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Beiträge zur Gabelentz-Forschung

0618
2014
978-3-8233-7861-7
978-3-8233-6861-8
Gunter Narr Verlag 
Kennosuke Ezawa
Franz Hundsnurscher
Annemete von Vogel

Der Sprachforscher Georg von der Gabelentz (1840-1893) war bislang mit seinen sprachtheoretischen Ansätzen als Vorläufer der modernen Linguistik oder mit seiner "Chinesischen Grammatik" (1881) als Verfasser eines Werks in einem eigenen methodischen Konzept bekannt. Dieser Sammelband, der aus der Gabelentz-Konferenz und -Ausstellung 2010 anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden ist, stellt den großen Sprachwissenschaftler, der dort von 1889 bis zu seinem frühen Tod als ordentlicher Professor für Sinologie und allgemeine Sprachwissenschaft wirkte, in einem wissenschaftsgeschichtlichen Konzept vor, das als Leitfaden zum Verstehen seines wissenschaftlichen Schaffens dienen kann. 2009 und 2013 erfolgte die Verleihung des ersten und des zweiten Georg von der Gabelentz Award der Association for Linguistic Typology, einer Disziplin, die eine neue Forschungsrichtung der Linguistik darstellt und deren Aktualität im universellen Geist Wilhelm von Humboldts begründet ist, in dessen Nachfolge Gabelentz sein Ziel als Wissenschaftler verfolgt hatte. Eine G. v. d. Gabelentz-Bibliographie ist in diesem Band enthalten.

<?page no="0"?> Beiträge zur Gabelentz-Forschung Kennosuke Ezawa / Franz Hundsnurscher Annemete von Vogel (Hrsg.) <?page no="1"?> Beiträge zur Gabelentz-Forschung <?page no="3"?> Beiträge zur Gabelentz-Forschung im Auftrag der Ost-West-Gesellschaft für Sprach- und Kulturforschung e. V., Berlin herausgegeben von Kennosuke Ezawa, Franz Hundsnurscher und Annemete von Vogel in Zusammenarbeit mit Wilfried Kürschner und Heinrich Weber <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Aus: Clementine von Münchhausen, H. Georg v.d. Gabelentz. Biographie und Charakteristik (1913), handschriftliches Original, Familienbestand. © 2014 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Layout und Einbandgestaltung: Fotosatz Hack, Dußlingen Satz: Informationsdesign D. Fratzke, Kirchentellinsfurt Druck und Bindung: Docupoint GmbH, Magdeburg Printed in Germany ISBN: 978-3-8233-6861-8 <?page no="5"?> Inhalt Vorwort der Herausgeber VII Einleitung. Die Internationale Gabelentz-Konferenz 2010 an der Humboldt-Universität zu Berlin (Kennosuke Ezawa, Franz Hundsnurscher, Annemete v. Vogel) XI Grußworte: Carol Genetti XVII Manfred Krifka XIX Georg Schütte XX I. Teil: Georg von der Gabelentz in der Wissenschaftsgeschichte A. Aus der Forschungsgeschichte Eugenio Coseriu (†): Georg von der Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft (1967; dt. Übers. 1972) 3 Gunter Narr: Zur Tübinger Reprintausgabe der „Sprachwissenschaft“ (1901; Reprint 1969) von Georg von der Gabelentz 39 E. F. K. Koerner: Animadversions on some recent claims regarding the relationship between Georg von der Gabelentz and Ferdinand de Saussure (1974) 43 Harald Weydt: Georg v. d. Gabelentz. Zu den deutschen Abtönungspartikeln (1977) 59 Eberhardt Richter (†), Manfred Reichardt, Gerhard Selter, Rüdiger Gaudes (†), Shu-xin Reichardt, Manfred Taube, Irmtraud Herms: Hans Georg Conon von der Gabelentz-− Erbe und Verpflichtung (1979) 67 Klaus Kaden und Manfred Taube: Bibliographie für Hans Georg Conon von der Gabelentz (1979) 113 <?page no="6"?> VI Inhalt Kennosuke Ezawa: Georg von der Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft (1982; dt. Übers. 1983) 127 Frans Plank: Hypology, typology: the Gabelentz puzzle (1991) 145 B. Aktuelle Beiträge Christian Lehmann: Zur wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung von Georg von der Gabelentz 177 Karl H. Rensch: Wilhelm von Humboldt, Hans Conon und Georg von der Gabelentz. Ihre richtungsweisenden Arbeiten zur Erforschung der austronesischen Sprachfamilie 181 Hans Frede Nielsen: Otto Jespersen’s Progress-in-Language Theory and Georg von der Gabelentz 199 II. Teil: Die Werke von Georg von der Gabelentz A. Allgemeine Sprachwissenschaft Roland Harweg: Aus der Lektüre von Georg von der Gabelentzens Buch „Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse“ (1901) 215 Sven Staffeldt: Die Sprechakttheorie und Georg von der Gabelentz 229 Wilfried Kürschner: Georg von der Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ (1892)-− Entstehung, Ziele, Arbeitsweise, Wirkung 239 B. Chinesische Grammatik Barbara Meisterernst: Chinesische Grammatikstudien seit Georg von der Gabelentz 261 Martin Gimm: Hans Conon von der Gabelentz, sein Sohn Georg und die Rolle des Manjurischen für das Chinesischstudium im 19. Jahrhundert 277 FENG Xiaohu: Zur Rezeption der „Chinesischen Grammatik“ (1881) von Georg von der Gabelentz in China 293 Zu den Autoren 299 <?page no="7"?> Vorwort der Herausgeber Der Sprachforscher Georg von der Gabelentz (1840-1893) war in dreifacher Hinsicht wegweisend: 1. als allgemeiner Sprachwissenschaftler mit umfassenden Kenntnissen auch über nicht-indogermanische Sprachen der Welt, die ihm eine Sicht ermöglichten, die erst heute durch die linguistische Pragmatik erschlossen worden ist: das Sprechen der Einzelsprache, nicht die Einzelsprache als solche ist der eigentliche Gegenstand der einzelsprachlichen Forschung. Gegenstände wie Artikel, Modalpartikeln, Sprechakte, die heute gängige linguistische Themen sind und dieses Verständnis voraussetzen, waren bereits von Gabelentz in Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse (1891, 1901) behandelt worden. 2. als Grammatiker mit dem Konzept eines synthetischen statt des traditionellen, analytischen Darstellungssystems der Einzelsprache, das er in seiner Chinesischen Grammatik (1881) erstmalig in der Wissenschaftsgeschichte realisiert hat. Er hat damit das Konzept der Generativen Grammatik von Noam Chomsky vorweggenommen, in dem es nicht um das morphologische Beschreiben, sondern um das syntaktische Erzeugen der Sprache geht. Die Sprachwissenschaft seiner Zeit kannte keinen methodischen Zugang zu dieser so genannten „isolierenden“ Sprache ohne Morphologie und hielt diese für eine „Sprache ohne Grammatik“. 3. als Begründer der Sprachtypologie, deren Idee er in seinem zuletzt verfassten und nach seinem Tode veröffentlichten Aufsatz ausgesprochen hat. 2009 wurde der erste Georg von der Gabelentz Award von der Association for Linguistic Typolog y (ALT) an die amerikanische Forscherin, Carol Genetti, verliehen, 2013 der zweite an den in England lebenden deutschen Forscher, Sebastian Fedden. In der Fachwelt wurde in den 1960er und -70er Jahren darüber diskutiert, ob der Schweizer Indogermanist und allgemeine Sprachwissenschaftler, Ferdinand de Saussure (1857-1913), der als Begründer der modernen, strukturellen Linguistik gilt, mit seiner Unterscheidung der Sprachbegriffe „langue“, „parole“, „(faculté du) langage“ durch die Gabelentzschen Begriffe „Einzel- <?page no="8"?> VIII Vorwort sprache“, „Rede“, „Sprachvermögen“ beeinflusst worden sein könnte. Heute weiß man jedoch, dass das Gabelentzsche allgemein sprachwissenschaftliche Denken, das auf dessen einmalig umfassendem Sprachwissen beruhte, weit über den zeichentheoretischen Ansatz der Sprachtheorie und synchronischen Sprachforschung Saussures hinausgegangen war, so dass die Diskussion nicht mehr aktuell ist. Sein großes Wissen war vor allem von seinem Vater, Hans Conon von der Gabelentz (1807-1874), der seinerzeit international als der größte Kenner der Sprachen der Welt galt, wesentlich gefördert worden. Über das persönliche Leben von Georg von der Gabelentz außerhalb der von den „Junggrammatikern“ in Leipzig dominierten, an den indogermanischen Sprachen orientierten Sprachwissenschaft sowie als Ehemann und Familienvater in einem adeligen Milieu sind bislang relativ wenig Fakten bekannt. Im vorliegenden Band sind fachliche Beiträge zur Internationalen Gabelentz-Konferenz 2010 zusammengestellt, die am 9. und 10. 8. 2010 im Rahmen der Veranstaltungen zum 200-jährigen Jubiläum der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand. In den Band sind zusätzlich einige relevante Beiträge zur Gabelentz-Forschung aus der Vergangenheit sowie nachträgliche schriftliche Beitrage von zumeist Konferenzteilnehmern mit aufgenommen worden. Beim Wiederabdruck älterer Arbeiten wurde die alte Schreibung grundsätzlich beibehalten. Bei den neueren ist mit Rücksicht auf die noch nicht erreichte endgültige neue Regelung der deutschen Rechtschreibung dem individuellen Wunsch größerer Spielraum eingeräumt worden. Sonstige Konferenzbeiträge, die sich auf die Familie v. d. Gabelentz beziehen, wurden 2013 zusammen mit Inhalten der Ausstellung „Georg von der Gabelentz. Seine Familie und seine Werke“, die vom 15. 7. bis 14. 8. 2010 als Begleitveranstaltung zur Konferenz lief, gesondert unter dem Titel Georg von der Gabelentz. Ein biographisches Lesebuch im selben Verlag publiziert. Eine umfassende Gabelentz-Forschung steht heute erst an ihrem Anfang. Es fehlen nicht nur eingehende Untersuchungen über seine wissenschaftlichen Leistungen einschließlich der Herausgabe kritischer Ausgaben seiner Hauptwerke, die Aufarbeitung seiner unveröffentlichten Manuskripte und Vorträge und eine authentische Biographie, sondern auch detaillierte Studien zu den erhaltenen familiengeschichtlichen Quellen, die Aufschluss über manche bislang ungeklärte Fragen geben könnten. Wir danken Herrn Dr. Gunter Narr, dem Leiter des Verlags, Herrn Dr. Bernd Villhauer, dem Lektoratsleiter des Verlags und dem für diesen Band zuständigen Mitarbeiter, Herrn Tilmann Bub, für die produktive Zusammenarbeit mit uns, die das Publikationsprojekt nach längeren Vorbereitungsphasen schließlich ermöglichte. <?page no="9"?> Vorwort IX Wir freuen uns darüber, dass wir hiermit der Öffentlichkeit ein Werk über Georg v. d. Gabelentz vorlegen können, dessen Hauptwerk Die Sprachwissenschaft (2. Aufl. 1901) bei der Gründung des Verlags 1969 in der vom Tübinger Sprachwissenschaftler, Eugenio Coseriu ( † 2002), angeregten erfolgreichen Reprintausgabe Pate stand. Coseriu bildete auch stets den geistigen Mittelpunkt der Ost-West-Gesellschaft für Sprach- und Kulturforschung, die im Jahre 2000 in der Humboldt-Universität zu Berlin gegründet wurde und die obigen Jubiläumsveranstaltungen der Universität über Gabelentz durchführte. Herrn Prof. Wilfried Kürschner, dem 2. Vorsitzenden der Ost-West- Gesellschaft, und Herrn Prof. Heinrich Weber, deren Vorstandsmitglied, sowie Herrn Dr. Manfred Ringmacher, Mitglied, gilt für ihre kollegiale Mitwirkung während dieses Publikationsprojektes unser herzlicher Dank. Unser ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Manfred Taube, Markkleeberg, und Herrn Dr. Manfred Reichardt, Leipzig, die uns über die Arbeit für ihre eigenen Texte hinaus persönliche Hilfen gewährt haben. Berlin/ Tecklenburg/ Wunstorf, im Februar 2014 Kennosuke Ezawa Franz Hundsnurscher Annemete v. Vogel <?page no="11"?> Einleitung Die Internationale Gabelentz-Konferenz 2010 an der Humboldt-Universität zu Berlin Kennosuke Ezawa, Franz Hundsnurscher, Annemete v. Vogel Georg von der Gabelentz (1840-1893) war ab 1889 bis zu seinem frühen Tod ordentlicher Professor für Sinologie und allgemeine Sprachwissenschaft 1 an der damaligen Berliner Universität (heute: Humboldt-Universität zu Berlin). Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der 1810 gegründeten Universität wurde am 9. und 10. 8. 2010 von der Ost-West-Gesellschaft für Sprach- und Kulturforschung (gegr. 2000 in der Humboldt-Universität) eine internationale Gabelentz-Konferenz im Senatssaal der Universität veranstaltet. Mitveranstalter waren das Institut für deutsche Sprache und Linguistik der Universität (vertreten durch Norbert Fries) und die Arbeitsstelle für Linguistische Dokumentation an der Universität Vechta (Leiter: Wilfried Kürschner). Die 60 Teilnehmer waren Germanisten, Romanisten, Anglisten, Indogermanisten, Sinologen, allgemeine Sprachwissenschaftler, Wissenschaftshistoriker sowie interessierte Laien. Vorausgegangen war die erste Gabelentz-Konferenz vom 19.-20. 3. 2000, die im Anschluss an das III. Ost-West-Kolloquium für Sprachwissenschaft (25.-26. 2. und 17.-18. 3. 2000 in Berlin) in den Schlössern Oppurg und Altenburg in Thüringen stattfand. 2 In Oppurg hielt Eugenio Coseriu († 2002), Tübingen, einen beeindruckenden Gabelentz-Vortrag vor dem allgemeinen Publikum, und in Altenburg sprach der Sprachtypologe Walter Bisang, Mainz, in einem Festvortrag über 1 Vgl. Kaden: 1993, 75. 2 Vgl. Ezawa: 2000. <?page no="12"?> XII Einleitung die Bedeutung der asiatischen und pazifischen Sprachen für die heutige Sprachwissenschaft. Altenburg ist die Stadt, in der Georg von der Gabelentz geboren wurde und aufwuchs. Sein Vater, Hans Conon von der Gabelentz (1807-1874), Staatsmann des damaligen Herzogtums Sachsen-Altenburg, war als Sprachforscher mit seiner legendären „Polyglotten Bibliothek“ im Schloss Poschwitz, die er von jung an aufgebaut hatte, weltweit bekannt. 2009 war erstmalig der Georg von der Gabelentz Award von der Association for Linguistic Typology an die amerikanische Forscherin, Carol Genetti, University of California Santa Barbara, für ihr Werk A Grammar of Dolakha Newar 3 verliehen worden, das 2007 bei Mouton de Gruyter, Berlin/ New York, erschien. Die Auswahlkommission tagte an der University of California Berkeley, und der Vorsitzende der Jury war der (jetzt in Köln, damals in Münster tätige) Sprachwissenschaftler Nikolaus Himmelmann. Die Konferenz erhielt von der Preisträgerin ein persönliches Grußwort. Der Sprachtypologe an der Humboldt-Universität und Direktor des Zentrums für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin, Manfred Krifka, übersandte eine Grußbotschaft von einer Forschungsreise in Melanesien. Von seinem Erfurter Kollegen, Christian Lehmann, kam ein schriftliches Statement zur wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung von Georg von der Gabelentz. Alle drei Texte sind im vorliegenden Band abgedruckt. Während in den 1960er und 1970er Jahren die Gabelentz-Forschung primär von einem ausgeprägten wissenschaftsgeschichtlichen Interesse beherrscht war, das den deutschen Sprachforscher als Vorläufer der modernen Linguistik herausstellte, sieht man heute in ihm eher, wie die obigen Preisverleihungen zeigen, den Begründer einer jüngeren, zunehmend an Bedeutung gewinnenden Forschungsrichtung, der Sprachtypologie. Zwar kommt bei Gabelentz der Begriff „Typologie“ erst in seinem allerletzten, posthum gedruckten Aufsatz (Gabelentz 1894) vor-− von ihm auch als „neue Aufgabe der Linguistik“ bezeichnet 4 -−, aber das typologische Denken hatte, wie Walter Bisang in seinem Plenarvortrag mit dem Titel „Die ,Chinesische Grammatik‘ von Georg von der Gabelentz aus typologischer Sicht“ 5 3 “Newar is a Tibeto-Burman language spoken by approximately 825,000 people … Most speakers are located in the Kathmandu Valley of Nepal … The Village of Dolakha is one such community”, Genetti: 2007, 1. 4 Gabelentz: 1894. Zum Titel des Aufsatzes, „Hypologie [: Typologie] der Sprachen, eine neue Aufgabe der Linguistik“, vgl. Plank: 1991. 5 Der Beitrag wurde als Einleitung zu einer von W. Bisang herausgegebenen, neuen Reprintausgabe der Gabelentzschen Chinesischen Grammatik abgedruckt, die 2013 im Julius Groos Verlag, Tübingen, erschien. <?page no="13"?> Einleitung XIII zum Schluss vermutete, bereits seiner frühen Beschäftigung mit dem klassischen Chinesisch, die zu seinem großen Werk Chinesische Grammatik (1881) führte, zugrunde gelegen. Dies hing damit zusammen, dass Chinesisch als heute so genannte „Syntax-Sprache“, in der die Position des Satzgliedes statt der lautlichen Form als primäres grammatisches Element gilt, einen eigenen Gegenstand darstellte. Und das Konzept eines synthetischen Systems der Grammatik statt des herkömmlichen analytischen, das Gabelentz in diesem Zusammenhang in seiner Chinesischen Grammatik eingeführt hatte, setzte ein neues, typologisches Denken über die Sprachen voraus. Eine typologische Sicht beinhaltete auch der Konferenzbeitrag von Hans Frede Nielsen, Odense, über Gabelentz’ Einfluss auf Jespersens „Progress-in- Language“-Theorie, in der dem Chinesischen, genauso wie dem Englischen, die letzte Stufe einer Entwicklung der menschlichen Sprache zugewiesen wurde. Jespersen verdankte bekanntlich in seiner Sprachauffassung Gabelentz besonders viel, welcher einen einmaligen Überblick über die Vielfalt der Sprachen der Welt besaß und entsprechende Äußerungen in Vorlesungen an der Universität Leipzig machte, die Jespersen als Student hörte. Die Sicherheit, die Jespersen später beim Aufkommen der strukturellen Linguistik als Sprachforscher bewies, beruhte offensichtlich auch auf seiner von Gabelentz erworbenen vertieften realistischen Sicht der menschlichen Sprachen. Die große Tragweite der dazu notwendigen empirischen Sprachforschung, die Gabelentz zu seiner Zeit im Gefolge von Wilhelm von Humboldt und unter Fortsetzung der Studien seines Vaters, Hans Conon von der Gabelentz 6 , mit beschränkten Arbeitsmitteln betrieb, zeigte Karl H. Rensch, Canberra, der auch durch seine frühe Gabelentz-Saussure-Studie bekannt ist, in seinem Vortrag unter dem Titel „W. v. Humboldt und G. v. d. Gabelentz in der Südseesprachenforschung“ anschaulich und detailliert auf. 7 Eine beachtliche Tradition der deutschen Sprachforschung wurde dadurch sichtbar. Wilfried Kürschners Darstellung des von Gabelentz im Auftrag des Auswärtigen Amtes verfassten Handbuchs zur Aufnahme fremder Sprachen (1892) ließ den zeitlichen Abstand von über 100 Jahren in der Forschungs- 6 Vgl. Gabelentz u. Meyer 1882. Vgl. auch den Abschnitt „Hans Conon von der Gabelentz als Sprachforscher“ auf den Seiten 370-382 des Notizbuchs Zur allgemeinen Sprachwissenschaft von Georg von der Gabelentz, das Manfred Ringmacher herausgegeben und erläutert hat (Gabelentz 2011). 7 Im vorliegenden Band als „Wilhelm von Humboldt, Hans Conon und Georg von der Gabelentz. Ihre richtungsweisenden Arbeiten zur Erforschung der austronesischen Sprachfamilie“ abgedruckt. <?page no="14"?> XIV Einleitung geschichte, die seitdem verflossen sind, deutlich spürbar werden. Georg von der Gabelentz wäre, wenn er heute lebte, ein leidenschaftlicher Feldforscher in Ozeanien geworden. Der Romanist Bernhard Hurch, Graz, hielt dazu ein Koreferat. Der Indogermanist und Indologe Roland Harweg, Bochum, bezog sich auf eine Stelle im Gabelentzschen Hauptwerk Die Sprachwissenschaft (2. Aufl. 1901) über das Kanaresische (eine der vier großen dravidischen Sprachen in Indien) und setzte sich mit den dort besprochenen Formen der positiven und negativen Aussage auseinander. 8 Der japanische Germanist Akio Ogawa, Nishinomiya, führte in seinem Referat die Gabelentzschen Begriffe „Erforschung der Einzelsprache“ und „Allgemeine Grammatik“ anhand von Beispielen aus dem Japanischen und Deutschen vor. FENG Xiaohu, Beijing, berichtete über den Verlauf der Rezeption der Gabelentzschen Chinesischen Grammatik (1881) in China. Die Sinologin an der Humboldt-Universität Barbara Meisterernst schilderte die Entwicklung der wissenschaftlichen Grammatik des Chinesischen vor und seit Gabelentz. Die Gabelentzsche Grammatik ist bis heute in China und weltweit unübertroffen. Ein Vortrag des einzigen unmittelbaren Nachkommen Georg von der Gabelentz’, Leopold v. d. Gabelentz, über die Sprachen in Indien, wo er als Geschäftsmann tätig ist, ein Rundtischgespräch über Gabelentz-Projekte mit Interessenten und familiengeschichtliche Vorträge (Otto Frhr. v. Blomberg, Annemete v. Vogel) mit Ausstellungsführung rundeten die zweitägige Konferenz ab. Auf dem Empfang sprachen der Oberbürgermeister der Stadt Altenburg, Michael Wolf, und der heutige Besitzer des „Berghäuschens“, Klaus Mertens, Triptis, das sich Gabelentz als Ferienhaus nach eigenem Entwurf gebaut hatte. Abschließend fand die Gründung eines „Gabelentz-Forums“ als Beratungsgremium innerhalb der Ost-West-Gesellschaft für Sprach- und Kulturforschung sowie die Jahresmitgliederversammlung der Gesellschaft statt. Der Gegenstand der einzelsprachlichen Forschung, die Erscheinung, die sie erklären will, ist,- − dies sei nochmals hervorgehoben,- − die Sprache als Äusserung, das heisst die R e d e . Wie kommt in der zu bearbeitenden Einzelsprache die Rede zustande, und warum gestaltet sie sich gerade so? … Wir lernen und lehren die Rede aufbauen aus ihren Stoffen und nach ihren Gesetzen, nachdem wir diese Stoffe und Gesetze inductiv, aus der Rede, ermittelt haben. Dies ist die Grenze, die wir erreichen müssen, die wir 8 Für den vorliegenden Band wurde von ihm nachträglich ein Beitrag über ein allgemeineres Thema, „Aus der Lektüre von Georg von der Gabelentzens Buch Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse (1901)“, beigesteuert. <?page no="15"?> Einleitung XV aber nicht überschreiten können, ohne in ein anderes Forschungsgebiet überzutreten. (Gabelentz: 1901, 59) Diese Worte stehen nicht in der 1. Auflage (1891) von Die Sprachwissenschaft, sondern nur in der 2., und sind nach seinem Tode von seinem Neffen, Albrecht Graf von der Schulenburg, Privatdozent für ostasiatische Sprachen an der Universität München, aus dem Nachlass ergänzt worden. Genauso findet sich das folgende, heute wohl geläufigste Gabelentz-Zitat nicht in der 1. Auflage: Aber welcher Gewinn wäre es auch, wenn wir einer Sprache auf den Kopf zusagen dürften: Du hast das und das Einzelmerkmal, folglich hast du die und die weiteren Eigenschaften und den und den Gesammtcharakter! - wenn wir, wie es kühne Botaniker wohl versucht haben, aus dem Lindenblatte den Lindenbaum construiren könnten. Dürfte man ein ungeborenes Kind taufen, ich würde den Namen Typologie wählen. (Gabelentz: 1901, 481) 9 Ein frühes Signal der Wende der Linguistik von der Einzelsprache zum einzelsprachlichen Sprechen als Gegenstand und ein ebenfalls frühes Signal der Wende der Sprachtheorie vom „System“ zum „Typus“ (Coseriu) als „Technik“ der Sprache waren damit gegeben worden. Der Gabelentz-Forschung kommt die Aufgabe zu, die Denkhorizonte zu erhellen, die am Ende des 19. Jahrhunderts den Verlauf der sprachwissenschaftlichen Forschungspfade im 20. Jahrhundert bestimmten. Während Ferdinand de Saussure unsicher war, ob die Syntax Teil der „langue“ sei und inwiefern die Untersuchung der „parole“ überhaupt sinnvoll sei und zur Linguistik gehöre, hat Georg von der Gabelentz in seiner offenen und zupackenden Art das Ganze der Sprache ins Auge gefasst: Das Ziel, dem die allgemeine Sprachwissenschaft zuzustreben hat, kann kein anderes sein als dies, die Wechselbeziehungen zwischen Volksthum und Sprache festzustellen. Hüben die Geistes- und Gemüthsart, die Lebensbedingungen, der Gesittungsstand der Völker und Völkerfamilien,- − drüben die Erscheinungen, die Kräfte und Leistungen ihrer Sprachen. (…) Offenbar können solche Gesetze, wenn überhaupt, nur auf dem Wege der umfassendsten und bedächtigsten Induction gewonnen werden. (…) Es gilt, die Sprachen allseitig zu betrachten und nach jedem ihrer hervorstechenden Merkmale zu ordnen. (Gabelentz: 1891, 457) 9 Manfred Ringmacher, Berlin, bereitete 2005 eine kritische Ausgabe von Die Sprachwissenschaft von Georg von der Gabelentz mit einer Synopsis der 1. (1891) und der 2. Auflage (1901) als CD-ROM auf, mit der man die Differenzen zwischen den beiden Auflagen anschaulich und genau feststellen kann. <?page no="16"?> XVI Einleitung Die Entwicklung der Linguistik, vor allem im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, zeigt durch die Herausbildung so weitgreifender und „parole“-orientierter Disziplinen wie Ethnolinguistik, Soziolinguistik, Psycholinguistik und Pragmalinguistik, dass die Sprachwissenschaft sich eben nicht auf die strikte Trennung von „langue“ und „parole“ und lediglich auf den ihr von F. de Saussure zugewiesenen „inneren Bereich“ der Sprachwissenschaft, auf Strukturalismus und Systemlinguistik, einlassen will, sondern die Allseitigkeit der Sprachbetrachtung anzustreben bemüht ist.- Literatur Ezawa, Kennosuke (2000), „Sprachforscher mit universellem Blick. Gabelentz-Konferenz in Altenburg (Thüringen)“, in: Humboldt 44 (1999/ 2000), Nr.-7 (18. 5. 2000), 7. Ezawa, Kennosuke (2013), „Georg von der Gabelentz als Sprachforscher“. In: Ezawa, Kennosuke/ v. Vogel, Annemete (Hrsg.), Georg von der Gabelentz. Ein biographisches Lesebuch. Tübingen: Narr, 13-17. Gabelentz, Georg von der (1881), Chinesische Grammatik mit Ausschluss des niederen Stiles und der heutigen Umgangssprache. Leipzig: Weigel. Reprintausgabe, hrsg. von Walter Bisang, Tübingen: Groos 2013. Gabelentz, Georg von der (1891, 1901), Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, Leipzig: Weigel. Reprintausgabe der 2. Aufl. 1901, hrsg. von Gunter Narr und Uwe Petersen, Tübingen: TBL (Narr) 1969. Gabelentz, Georg von der (1894), „Hypologie [: Typologie] der Sprachen, eine neue Aufgabe der Linguistik“, in: Indogermanische Forschungen 4, 1-7. Gabelentz, Georg von der (2011), „,Zur allgemeinen Sprachwissenschaft‘. Herausgegeben und erläutert von Manfred Ringmacher“, in: Kürschner, Wilfried (Hrsg.), Miscellanea Linguistica, Frankfurt a. M.: Lang, 335-394. Gabelentz, Georg von der, und Adolf Bernhard Meyer (1882), Beiträge zur Kenntniss der melanesischen, mikronesischen und papuanischen Sprachen, ein erster Nachtrag zu Hans Conon’s von der Gabelentz Werke „Die melanesischen Sprachen“. = Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (zu Leipzig) 8, Nr.-4. Genetti, Carol (2007), A Grammar of Dolakha Newar, Berlin/ New York: Mouton de Gruyter. Kaden, Klaus (1993), „Die Berufung Georg von der Gabelentz’ an die Berliner Universität“, Moritz, Ralf (Hrsg.), Sinologische Traditionen im Spiegel neuer Forschungen, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 57-90; Wiederabdruck in: Ezawa, Kennosuke/ v. Vogel, Annemete (Hrsg.) (2013), Georg von der Gabelentz. Ein biographisches Lesebuch, Tübingen: Narr, 271-288. Plank, Frans (1991), „Hypology, typology: the Gabelentz [1840-1893] puzzle“, in: Folia Linguistica 25, 421-458 [Wiederabdruck in diesem Band]. <?page no="17"?> Grußworte Carol Genetti, University of Carlifornia Santa Barbara August 2010 Dear Attendees of the Gabelentz-Conference: I am deeply honored to be the first recipient of the Gabelentz Award presented by the Association for Linguistic Typology, not only because of the recognition of my grammar, but especially due to the connection now conferred between myself and Georg von der Gabelentz, a visionary and forefather of the field of linguistic typology. Typologists compare the structures of languages from all around the world, to determine how they are similar, how they are different, what types of features co-occur, and why. To quote Gabelentz: Every language is a system, of which all parts are organically related to and cooperate with each other. One has to suppose that no one of these parts may lack, or be different, without the whole being changed. But it also seems that, in the physiognomy of languages, certain features are more distinctive than others. We must trace these features, and investigate which other features regularly co-occur with the former one. (Gabelentz 1901: 481; translation by Elfers) This line of questioning crucially relies on reference grammars, works which describe the details of the complex grammatical systems and how these parts are “organically related and cooperate with each other”. Grammars form the cornerstone of empirical theories of linguistics and so allow the science to evolve. But they do more than this. Each language is a testimony to how one group of people, interacting as a society over countless generations, has come to understand the world and the human condition. Grammars thus serve as repositories of the intellectual and cultural heritage of mankind, documents of increasing importance in the face of wide-spread language endangerment. This is true not only for their documentary value, but also because grammars serve as tools of language revitalization, used by communities to reclaim their linguistic and cultural heritage. <?page no="18"?> XVIII Grußworte The establishment of the Gabelentz Award is an important step in bringing global recognition to the value of these works. A more appropriate namesake for this award could not have been found, than this scholar, decades before his time, who glimpsed the complexity of the world’s languages, shaped the field of typology, and produced a momentous grammar of Classical Chinese. I send you best wishes for a delightful symposium, honoring the rich life of this distinguished intellectual. Yours sincerely, Carol Genetti Gabelentz, Georg von der (1901). Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. (Reprint, with an introduction by E. Coseriu, 1984). Tübingen: Gunter Narr. Deutsche Übersetzung (von Annemete v. Vogel) August 2010 Liebe Teilnehmer der Gabelentz-Konferenz, ich fühle mich höchst geehrt, die erste Empfängerin des Gabelentz Award zu sein, der von der Association for Linguistic Typology verliehen wird, nicht nur wegen der Anerkennung meiner Grammatik, sondern besonders im Hinblick auf die Verbindung, die jetzt zwischen mir und Georg von der Gabelentz hergestellt wird, einem Visionär und Vorfahr auf dem Feld der Sprachtypologie. Typologen vergleichen die Strukturen von Sprachen aus aller Welt, um zu bestimmen, wie sie sich ähneln, wie sie sich unterscheiden, welche Typen von Merkmalen gleichzeitig auftreten und warum. Ich zitiere Gabelentz: Jede Sprache ist ein System, dessen sämmtliche Theile organisch zusammenhängen und zusammenwirken. Man ahnt, keiner dieser Theile dürfte fehlen oder anders sein, ohne dass das Ganze verändert würde. Es scheint aber auch, als wären in der Sprachphysiognomie gewisse Züge entscheidender als andere. Diese Züge gälte es zu ermitteln; und dann müsste untersucht werden, welche andere Eigenthümlichkeiten regelmässig mit ihnen zusammentreffen. (Gabelentz 1901: 481; übersetzt von Elfers) [Anm. d. Übers.: hier Originaltext] Diese Art der Untersuchung verlässt sich entscheidend auf Bezugsgrammatiken, Werke, die die Einzelheiten des komplexen grammatischen Systems beschreiben und wie diese Teile „organisch zusammenhängen und zusammenwirken“. Grammatiken bilden die Ecksteine von empirischen Theorien der Linguistik und machen es so der <?page no="19"?> Grußworte XIX Wissenschaft möglich, sich zu entwickeln. Aber sie bewirken mehr als das. Jede Sprache ist ein Zeugnis davon, wie eine Gruppe von Menschen, die als eine Gesellschaft gegenseitig über unzählige Generationen aufeinander einwirkt, dazu gekommen ist, die Welt und das Dasein der Menschen zu verstehen. Grammatiken dienen so als Auf bewahrungsorte des intellektuellen und kulturellen Erbes der Menschheit, Dokumente von zunehmender Wichtigkeit angesichts der weitverbreiteten Existenzbedrohung von Sprachen. Dies trifft nicht nur auf ihren dokumentarischen Wert zu, sondern auch darauf, dass Grammatiken als Werkzeug dienen, Sprachen wieder zu beleben, indem sie von Gemeinschaften benutzt werden, um ihr sprachliches und kulturelles Erbe wieder zu gewinnen. Die Einrichtung des Gabelentz Award ist ein wichtiger Schritt, weltweite Anerkennung für den Wert dieser Werke zu bewirken. Eine angemessenere Namenswahl für diesen Preis hätte nicht getroffen werden können, als mit diesem Gelehrten, der Jahrzehnte vor seiner Zeit die Komplexität der Sprachen der Welt ahnte und das Feld der Typologie formte, und er schuf eine bahnbrechende Grammatik des klassischen Chinesisch. Ich sende Ihnen meine besten Wünsche für ein erfreuliches Symposium, das das reiche Leben dieses hervorragenden Intellektuellen ehrt. Mit Hochachtung Ihre Carol Genetti Manfred Krifka, Humboldt-Universität zu Berlin Sehr geehrte Damen und Herren, ich wäre gern selbst auf der Konferenz zu Georg von der Gabelentz anwesend gewesen, ist er doch für mich als Vertreter der Allgemeinen Sprachwissenschaft an der Humboldt-Universität auch ein wenig eine Art Vorgänger. Allerdings gibt es einen hoffentlich verzeihlichen Grund, weshalb ich nur indirekt durch Herrn Kürschner 1 zu Ihnen sprechen kann. Ich bin nämlich verhindert durch ein linguistisches Forschungsprojekt, das mich zu den Antipoden führt, genauer gesagt zu dem Staat Vanuatu, und dort auf die Insel Ambrym. Die erste noch heute zugängliche Kunde von der Sprache dieser Insel erreicht uns nun ausgerechnet von Hans Conon von der Gabelentz, der 1 Das Grußwort wurde verlesen von Wilfried Kürschner, dem zweiten Vorsitzenden der Ost-West-Gesellschaft für Sprach- und Kulturforschung [Hrsg.]. <?page no="20"?> XX Grußworte seine Information aus Notizen des anglikanischen Bischof John Coleridge Patteson bezog, welcher 1871 in den Salomonen umgebracht wurde und heute als Heiliger verehrt wird. Hans Conon beschrieb die Sprache auf etwa zehn Seiten in der 1873 überarbeiteten Version von- Die melanesischen Sprachen nach ihrem grammatischen Bau und ihrer Verwandschaft unter sich und mit den Malaiisch-Polynesischen Sprachen, erschienen in den- Abhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Seitdem ist nicht sehr viel passiert, aber wir wissen heute, dass es sich nicht um EINE Sprache handelt, sondern um deren fünf, und drei davon untersucht und dokumentiert unser Projekt, das von der Volkswagenstiftung gefördert wird. Hätte ich auf der Konferenz zu Georg von der Gabelentz anwesend sein können, dann hätte ich gerne über dessen Begriff des psychologischen Subjekts und Prädikats gesprochen, das heute in unseren Projekten zum Sonderforschungsbereich 632 unter den Bezeichnungen „Topik“ und „Kommentar“ noch immer eine zentrale Rolle spielt. Ich wäre auf die eher sprecherzentrierte Interpretation bei Gabelentz und deren hörerzentrierte Reinterpretation bei Hermann Paul eingegangen, aber auch auf Vorläufer dieser begrifflichen Unterscheidung bei Henri Weill und in der arabischen Grammatiktradition, und auf ihre „Nachläufer“ wie bei Mathesius, Marty, Hockett, Kuroda, Chafe und eben unseren hauseigenen SFB 632. Es wäre ein Leichtes gewesen, zu zeigen, dass das Werk von Georg von der Gabelentz auch heute noch an der Humboldt-Universität seine Früchte trägt. So muss ich mich nun mit den Possessivausdrücken der Sprache Daakie und ihren jeweils fünfzehn Personalformen herumschlagen. Ich wünsche Ihnen anregende Tage in Berlin! Manfred Krifka, Berlin 9. August 2010 Georg Schütte, Bundesministerium für Bildung und Forschung Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr darüber, dass die Humboldt-Universität zu Berlin mit der Gabelentz-Konferenz einen der sprachwissenschaftlichen Pioniere in der Erforschung und Lehre des Chinesischen in Deutschland ehrt. Georg von der Gabelentz’ „Chinesische Grammatik“ von 1881 gilt noch heute als ein <?page no="21"?> Grußworte XXI Standardwerk. Seinen nachhaltigen Einfluss auf die Sprachwissenschaft auch in unserer Zeit dokumentiert die Verleihung eines Preises, der seinen Namen trägt, an eine amerikanische Forscherin im Jahr 2009. Nicht zuletzt aber ist sein Einfluss spürbar, wenn sich internationale Sinologen im August 2010 an der Humboldt-Universität zu einer Konferenz treffen. Die Konferenz fällt in ein besonderes Jahr: Zum einen feiert die Humboldt-Universität zu Berlin ihr 200-jähriges Bestehen und ehrt mit der Gabelentz-Konferenz einen ihrer brillantesten Sprachwissenschaftler des 19. Jahrhunderts. Zum anderen begehen wir seit März letzten Jahres das „Deutsch-Chinesische Jahr der Wissenschaft und Bildung 2009/ 10“, an dem sich auch die Humboldt-Universität zu Berlin mit zahlreichen Veranstaltungen beteiligt hat. Mit den „China-Wochen an deutschen Hochschulen“ setzt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zusammen mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) einen besonderen Akzent für die Kooperation deutscher und chinesischer Hochschulen. Die Humboldt- Universität zu Berlin beteiligt sich daran beispielsweise mit einer Ausstellung chinesischer Austauschstudierender über ihre Erfahrungen in Deutschland und ihrem Heimatland. Das Ziel ist unter anderem die Werbung für China als Zielland für deutsche Austauschstudierende. Dass das Interesse deutscher Studierender an China und einem Sprach-, Studien- oder Forschungsaufenthalt stetig wächst, wäre ganz im Sinne von Georg von der Gabelentz gewesen. Insofern trifft es sich ausgezeichnet, dass die Konferenz zu einer Zeit stattfindet, in der das Deutsch-Chinesische Jahr mit den Chinawochen seinen Höhepunkt erfährt. Ich wünsche der Konferenz einen erfolgreichen Verlauf und möglichst viele interessierte Teilnehmer, die sich vom Zauber einer „Sprache ohne Grammatik“, so die damalige Vorstellung des Chinesischen, inspirieren lassen. Georg Schütte, Bonn 14. Juli 2010 <?page no="23"?> I. Teil: Georg von der Gabelentz in der-Wissenschaftsgeschichte <?page no="25"?> A. Aus der Forschungsgeschichte Eugenio Coseriu (†) Georg von der Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft (1967; dt. Übers. 1972) Vorbemerkung Der Aufsatz erschien 1967 in französischer Sprache im 23. Band von Word, der Zeitschrift des „Linguistic Circle of New York“. I Dieser Band war zugleich Festschrift für André Martinet, der seit 1955 als einer der führenden strukturalistischen Linguisten in Paris lehrte. Der Verfasser des Aufsatzes, Eugenio Coseriu, war 1963 aus Montevideo auf einen romanistischen Lehrstuhl nach Tübingen berufen worden. Deutschland hatte zwar eine bedeutende historisch-vergleichende Sprachwissenschaft aus dem 19. Jh., war aber damals noch „ein Land ohne Strukturalismus“. II Coseriu wollte diesem Mangel in Lehre und Forschung abhelfen und die neuere Linguistik und ihre Voraussetzungen in ihrem ganzen Umfang bekannt machen; seine Arbeiten zur Geschichte der Linguistik sind auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Sie dienen nicht zuletzt dazu, der „Theorie und Beschreibung“ wieder die Geltung zu verschaffen, die sie seit der Antike innehatte, die im 19.- Jh. aber zugunsten von „Vergleich und Geschichte“ verloren gegangen war. III Coseriu macht deutlich, dass Ferdinand de Saussure nicht voraussetzungslos die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft der Junggrammatiker überwindet, wie manche glauben, sondern dass er seine neue Theorie auch dadurch findet, dass er bereits vorhandene, aber fast vergessene Ideen der theoretisch-beschreibenden Richtung aufgreift und in sein System integriert. Er zeigt, dass der Sinologe und Sprachwissenschaftler Georg von der Gabelentz die Dreiteilung des Sprachlichen in langage, langue und parole und andere Unterscheidungen Saussures bereits in ähnlicher Weise getroffen hat. Dadurch leitet er eine Gabelentz-Renaissance ein, die durch die beiden Auflagen des Neudrucks IV der 2.-Auflage der „Sprachwissenschaft“ (1901, 1. A. 1891) besonders gefördert wird. Beiden Neudrucken ist der Aufsatz Coserius vorangestellt, dem ersten Neudruck das französische Original, dem zweiten Neudruck die deutsche Übersetzung von I Coseriu: 1967. II Kabatek/ Murguía: 1997, 106. III Vgl. Coseriu: 1988, 14. IV 1969, 1972. <?page no="26"?> 4 Eugenio Coseriu 0.1 Die Geschichte der theoretischen Sprachwissenschaft nimmt sich eigentlich recht seltsam aus: sehr oft ist sie ohne alle Kontinuität und kennt nur ihre jüngste Vergangenheit, weiß aber nichts von ihren älteren Epochen. Sogar die mehr oder minder gut bekannten und häufig diskutierten Theorien sind Uwe Petersen. Der Wiederabdruck folgt der deutschen Übersetzung, ordnet aber die deutschen und französischen Zitate übersichtlicher an. Die Gabelentz-Zitate aus der zweiten Auflage (1901) sind mit einem Stern (*) gekennzeichnet. Heinrich Weber Literatur Coseriu, E. (1967), „Georg von der Gabelentz et la linguistique synchronique“, Word 23, 74-100. Coseriu, E. (1988), Einführung in die allgemeine Sprachwissenschaft, Tübingen: UTB Francke. Gabelentz, G. v. d. ( 1 1891, 2 1901), Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, Neudruck 1 1969, 2 1972, Tübingen: TBL Verlag. Kabatek, J./ A. Murguía (1997), ‚Die Sachen sagen, wie sie sind …‘. Eugenio Coseriu im Gespräch, Tübingen: Gunter Narr Verlag. Anmerkung des Übersetzers Nach nunmehr über vier Jahrzehnten kann der gewissenhafte Chronist der Sprachwissenschaft Eugenio Coseriu noch einmal zu Wort kommen. Coserius Hauptverdienst scheint dabei zu sein, dass er verdeutlicht, wie ein „Paradigmenwechsel“ nicht sprunghaft und unvermittelt entsteht, sondern in Übergang und Wandel. Blicken wir nur auf den Zeitraum zwischen 1880 und 1920, so erscheinen 1880 Hermann Pauls Principien der Sprachgeschichte, 1891 Georg von der Gabelentz’ Sprachwissenschaft, 1916 Ferdinand de Saussures Cours de linguistique générale und 1920 noch einmal Pauls Prinzipien (in der 5. Auflage). D. h., in Deutschland gilt die historisch-genealogische Sprachwissenschaft damals offenbar immer noch als allein „wissenschaftlich“, während sonst in Europa auch schon „synchronisch-systematisch“ gearbeitet wird (etwa in Genf, Kopenhagen, Paris oder Prag). Der Prophet, so könnte man wiederum meinen, gilt im eigenen Lande nichts. Da ist es umso erfreulicher, wenn der Prophet nicht vergessen wird. Sein Wirken hatte wohl keine unmittelbaren Folgen, findet dann aber in der Geschichte der Wissenschaft seine volle Bestätigung. Verdient gemacht haben sich darum der Verleger sowie auch die Tübinger Germanisten Ezawa und Weber. Ihnen allen gilt daher unsere Anerkennung für ihre „historische“ Leistung. Hamburg, im Dezember 2013 Uwe Petersen <?page no="27"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 5 nicht ihren historischen Zusammenhängen nach bekannt. So gilt z. B. fast immer de Saussure als Urheber der Unterscheidungen zwischen langue und parole, zwischen signifiant und signifié sowie zwischen Synchronie und Diachronie, von Unterscheidungen, die de Saussure in der Tradition vorfand, die er wohl neuformuliert hat und denen er zum Teil auch eine neue Interpretation im Rahmen eines kohärenten Systems hat zukommen lassen, die er jedoch keinesfalls als erster formuliert hat. Die vielen Sprachwissenschaftler aber, für die die moderne Sprachwissenschaft mit de Saussure einsetzt, sind sich dessen nicht bewußt und stellen sich auch nicht einmal die Frage nach der Herkunft der Saussureschen Ideen. In den Vereinigten Staaten etwa beginnt man sein sprachwissenschaftliches „Training“ sehr oft mit Sapir und Bloomfield, heutzutage in gewissen Fällen sogar erst mit Chomsky, und es lassen sich auch schon junge Sprachwissenschaftler nennen, die nur über Chomsky mit der Tradition in Berührung kommen und die durchaus bereit sind, Humboldt so gut wie de Saussure einfach als-− freilich ein wenig naive und zurückhaltende-− Vorläufer der Transformationstheorie zu betrachten. 0.2 Unter allen von der gegenwärtigen theoretischen Sprachwissenschaft, und ganz besonders von den verschiedenen Theorien zur synchronischen Sprachanalyse vergessenen Sprachwissenschaftlern nun dürfte der Fall Georg von der Gabelentz wohl der eigenartigste sein. Ganz allgemein nämlich ist Gabelentz, dessen Werke vor allem von deutschen Sprachwissenschaftlern hin und wieder zu ganz anderen Zwecken benutzt werden, nicht als Vorläufer der gegenwärtigen Sprachwissenschaft bekannt. So zitiert L. Bloomfield 1 sein Werk über die allgemeine Sprachwissenschaft lediglich als „much less philosophical“ als das von Humboldt oder von Steinthal. H. Arens 2 beschränkt sich auf das Urteil, Die Sprachwissenschaft sei ein „wohlfundiertes“ Buch, und er übersieht dabei, daß die Unterscheidungen bei Finck 3 , den er zitiert, bis in den Wortlaut auf Gabelentz zurückgehen (z. B. „Sprache als einheitliche Gesamtheit von Ausdrucksmitteln“). Natürlich wird Gabelentz gleichermaßen von den Saussure-Exegeten übergangen, die ihr Interesse im allgemeinen nur auf die Interpretation, aber kaum auf die Herkunft der Saussureschen Ideen richten und im übrigen sehr zu der Auffassung neigen, der Cours de linguistique générale sei dem Hirn des Genfer Meisters auf wunderbare Weise entsprungen, gleichsam wie Athene dem Haupte des Zeus. Denn mit einer 1 L. Bloomfield, Language, New York 1933, S.-18. 2 H. Arens, Sprachwissenschaft. Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart, München 1955, S.-355. 3 F. N. Finck. Die Aufgabe und Gliederung der Sprachwissenschaft, Halle 1905, S.-359-360. <?page no="28"?> 6 Eugenio Coseriu einzigen Ausnahme wird die enge Verwandtschaft, die zwischen den Ideen F.- de Saussures und denen von Gabelentz besteht, einfach nicht bemerkt. Selbst O. Jespersen, der G. v. d. Gabelentz eigentlich recht gut kannte und der ihm nach eigener Aussage sehr viel verdankte, geht auf diese Verwandtschaft in seiner Besprechung des Cours von F. de Saussure 4 nicht ein, und auch später stellt er lediglich fest, daß der Einfluß von Gabelentz wie auch der von Wundt von geringerer Bedeutung war als der von einigen ihrer Vorgänger 5 . Wir dagegen sind der Meinung, daß Gabelentz in Wirklichkeit einen sehr bedeutsamen Einfluß ausgeübt hat, insbesondere auf de Saussure, und daß er daher als einer der Mitbegründer der modernen synchronischen Sprachwissenschaft angesehen werden muß. 0.3 Die Ausnahme, von der eben gerade die Rede war, gilt für die Unterscheidung langue- − parole. Und der erste, der hier eine Übereinstimmung zwischen de Saussure und Gabelentz-− wenn auch noch sehr zögernd − feststellte, scheint Spitzer 6 gewesen zu sein: „Oder de Saussures ‚linguistique de la langue‘ und ‚linguistique de la parole‘ sind vorgebildet in dem Ausdruck von der Gabelentzens (Sprachwissenschaft 2 , S.- 59), ‚Die Sprache als Äußerung, das heißt die Rede.‘“ Noch expliziter schreibt I. Iordan 7 , indem er ihn zitiert (Sprachwissenschaft 2 , S.- 3), daß Gabelentz eine der von F. de Saussure vergleichbare Unterscheidung mache zwischen „‚Rede‘, ‚als Erscheinung, als jeweiliges Ausdrucksmittel für den jeweiligen Gedanken‘, und ‚Sprache‘ ,‚als eine einheitliche Gesamtheit solcher Ausdrucksmittel für jeden beliebigen Gedanken‘, als ‚die Gesamtheit derjenigen Fähigkeiten und Neigungen, welche die Form, derjenigen sachlichen Vorstellungen, welche den Stoff der Rede bestimmen.‘“, was nicht ganz genau stimmt, zumal Gabelentz den letzteren Begriff Einzelsprache, und nicht bloß Sprache nennt. In der Neuausgabe seines Buches 8 berichtigt I. Iordan z. T. seine Interpretation und fügt hinzu, daß es bei Gabelentz noch einen dritten Begriff gebe, den des „Sprachvermögens“; doch behält er Sprache als Entsprechung von „langue“ bei. In Wirklichkeit aber ist Sprache bei Gabelentz- − wie wir hier noch sehen werden- − der allgemeine Ausdruck für alle Formen der Sprache überhaupt, während die 4 O. Jespersen, NTF (1916), wieder in: Linguistica. Selected Papers, Kopenhagen und London 1933, S.-109-115. 5 O. Jespersen, Language, London 1922, S.-98. 6 L. Spitzer, Aufsätze zur romanischen Syntax und Stilistik, Halle 1918, 2. A. Tübingen 1967, S.-345. 7 I. Iordan, Introducere în studiul limbilor romanice. Evoluția şi starea actuală a lingvisticii romanice, Iaşi 1932, S.-329. 8 I. Iordan, Lingvistica romanică. Evoluție. Curente. Metode, Bukarest 1962, S.-287. <?page no="29"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 7 spezifischen Termini, die auch denen von F. de Saussure entsprechen, Rede (‚parole‘), Einzelsprache (‚langue‘) und Sprachvermögen (‚langage‘) sind. Wahrscheinlich in Anlehnung an I. Iordan betont S.-Silva Neto 9 die genannte Übereinstimmung: er gebraucht nämlich für die „parole“ dieselbe Formulierung wie I. Iordan („linguagem como fenômeno individual“), die aber nicht ganz der von Gabelentz verwendeten entspricht (s. weiter unten). Schließlich haben wir selbst 10 schon festgestellt, daß die Unterscheidung von langue und parole bei Gabelentz bereits da ist und-− in jüngerer Zeit erst 11 -− daß Gabelentz ebenfalls explizit Synchronie und Diachronie unterschieden hat. Hier nun möchten wir nachweisen, daß dabei nicht einfach eine Übereinstimmung, sondern ein wirklicher Einfluß von Gabelentz auf de Saussure vorliegt, und zugleich möchten wir eine Reihe anderer Beiträge von Gabelentz zur Begründung der synchronischen und funktionellen Sprachwissenschaft herausstellen. 0.4 Dabei werden wir Gabelentz nach der zweiten Auflage der „Sprachwissenschaft“ (Leipzig 1901) zitieren, möchten aber zugleich darauf hinweisen, daß die meisten der uns hier interessierenden Passagen schon in der ersten Auflage (ibid. 1891) vorhanden sind und daß sie im allgemeinen auch unverändert in die zweite Auflage übernommen wurden. Nur in der zweiten Auflage vorkommende Passagen werden mit einem Sternchen versehen erscheinen. Den Cours de linguistique générale (CLG) werden wir nach der ersten Ausgabe (Lausanne-− Paris 1916) zitieren. 1.1 Die grundlegende Unterscheidung bei Gabelentz-− und von der alles übrige abhängt, insbesondere die Einteilung der sprachwissenschaftlichen Disziplinen- − ist die von Rede, Einzelsprache und Sprachvermögen. So bemerkt Gabelentz ganz ausdrücklich (S.- 3), daß die Definition der menschlichen Sprache als „gegliederter Ausdruck des Gedankens durch Laute“ eben „ein Mehreres in sich fasst“, d. h. also: ‚Zunächst gilt die Sprache als Erscheinung, als jeweiliges Ausdrucksmittel für den jeweiligen Gedanken, d. h. als Rede‘ (von Gabelentz selbst unterstrichen [im Original durch Sperrdruck- − Hrsg.], was also bedeutet, daß er diesen Begriff als Terminus technicus verwenden will). 9 S.-Silva Neto, Lingua, cultura e civilizaç-o, Rio de Janeiro 1960, S.-29. Vgl. a. F. Kainz, Psychologie der Sprache I, Stuttgart 1941, S.-20-21. 10 E. Coseriu, Sincronía, díacronía e historia, 1958, S.-13. 11 In: ‚François Thurot‘, ZFSL 77, 1967, S.-30 (wieder abgedruckt in: Sprache, Strukturen und Funktionen, 1971 2 , S.-125) <?page no="30"?> 8 Eugenio Coseriu ‚Zweitens gilt die Sprache als eine einheitliche Gesammtheit solcher Ausdrucksmittel für jeden beliebigen Gedanken. In diesem Sinne reden wir von der Sprache eines Volkes, einer Berufsklasse, eines Schriftstellers u. s. w.‘ Dabei weist Gabelentz ausdrücklich darauf hin, daß damit nicht etwa die Summe aller einzelnen Redeakte, sondern die Technik, nach der sie verwirklicht werden, gemeint ist: ‚Sprache in diesem Sinne ist nicht sowohl die Gesammtheit aller Reden des Volkes, der Classe oder des Einzelnen, − als vielmehr die Gesammtheit derjenigen Fähigkeiten und Neigungen, welche die Form, derjenigen sachlichen Vorstellungen, welche den Stoff der Rede bestimmen.‘ Und schließlich heißt Sprache auch einfach Sprachvermögen: ‚Endlich, drittens, nennt man die Sprache, ebenso wie das Recht und die Religion, ein Gemeingut der Menschen. Gemeint ist damit das Sprachvermögen, d. h. die allen Völkern innewohnende Gabe des Gedankenausdruckes durch Sprache.‘ Die Rede wird von Gabelentz folgendermaßen charakterisiert: ‚Die Lebensäusserung einer Sprache, richtiger die Sprache selbst, die ja nur eine Lebensäusserung ist, − ist die Rede, die unmittelbar aus der Seele des Menschen fliesst.‘ (S.-9) *‚Selbst die ärmste Sprache wird der Rede gewisse Freiheiten gestatten. Der Redende hat die Wahl, ob er den ihm vorschwebenden Gedanken in diese oder jene Form kleiden will, … So sind es drei Mächte, die hier bestimmend wirken: zwei ständige: die Gewohnheit und die individuelle Anlage, und eine momentane: die jeweilige Stimmung.‘ (S.-386) Die Sprache in ihrer zweiten Form nennt G. v. d. Gabelentz nun Einzelsprache: *‚Die Rede ist eine Äusserung des einzelnen Menschen, die sie erzeugende Kraft gehört also zunächst dem Einzelnen an. Aber die Rede will verstanden sein, und sie kann nur verstanden werden, wenn die Kraft, der sie entströmt, auch in dem Hörer wirkt. Diese Kraft-− ein Apparat von Stoffen und Formen-− ist eben die Einzelsprache.‘ (S.-59, vgl. a. S.-8 u. 12) 1.2 Für Gabelentz gilt also die folgende Unterscheidung: Rede Sprache Einzelsprache Sprachvermögen In Saussureschen Termini ausgedrückt, handelt es sich dabei offensichtlich um die Sprache als allgemeinen Begriff (der alle „manifestations du langage“ miteinschließt) und um die drei Grundformen der Sprache: parole, langue, und langage als universelle menschliche Fähigkeit. <?page no="31"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 9 1.3 Die Übereinstimmung zwischen de Saussure und Gabelentz in dieser Hinsicht, und insbesondere was die parole und die langue betrifft, ist so offenkundig, daß man sie nicht erst noch zu beweisen braucht. Man vergleiche aber trotzdem, was de Saussure zum Gegenstand der parole ausführt: ‚La parole est au contraire un acte individuel de volonté et d’ intelligence, dans lequel il convient de distinguer: 1° les combinaisons par lesquelles le sujet parlant utilise le code de la langue en vue d’exprimer sa pensée personnelle; 2° le mécanisme psychophysique qui lui permet d’extérioriser ces combinaisons.‘ (S.- 31) ‚Il n’y a donc rien de collectif dans la parole; les manifestations en sont individuelles et momentanées.‘ (S.-39) [‚Das Sprechen ist im Gegensatz dazu ein individueller Akt des Willens und der Intelligenz, bei welchem zu unterscheiden sind: 1. die Kombinationen, durch welche die sprechende Person den Code der Sprache zum Ausdruck ihrer eigenen Gedanken anwendet; 2. der psychophysische Mechanismus, der ihr die Äußerung dieser Kombinationen gestattet.‘-− ‚Also ist beim Sprechen nichts kollektiv; die Äußerungen sind hier individuell und momentan.‘] (Vgl. im übrigen auch F. de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, übers. v. H. Lommel, Berlin 1931, 1967 2 .) Die von Gabelentz wie von de Saussure der Sprache zugeschriebenen Merkmale werden noch weiter unten zu behandeln sein (cf. 3.1). Im Augenblick mag der Hinweis genügen, daß de Saussure ebenfalls unterstreicht, die Sprache sei nicht einfach die Summe aller Redeäußerungen (dazu vgl. man die Formulierungen, mit denen er die Sprache und die Rede charakterisiert, CLG, S.-39). Weiterhin ist zu bemerken, daß auch de Saussure von der Sprache als „faculté du langage“ (CLG, S.- 25) handelt, was genau dem Sprachvermögen bei Gabelentz entspricht. Doch besteht zwischen Gabelentz und de Saussure ein wesentlicher Unterschied in Hinsicht auf die Zweiheit von Sprache und Rede. Denn weder die Rede noch die Sprache werden bei Gabelentz je durch die Opposition Individuum : Gemeinschaft (oder „Masse der Sprechenden“) definiert, sondern immer nur durch die Opposition Erscheinung : Kraft, d. h. Verwirklichung : Technik. Sicherlich gibt auch Gabelentz zu bedenken, daß die Rede eine Äußerung des Einzelnen sei, doch darf das nicht zu der von ihm gegebenen Definition der Rede gerechnet werden, in der nur die Merkmale „konkret“ und „jeweilig“ erscheinen. Ebenso weist Gabelentz ganz explizit auf den sozialen Charakter der Sprache als allgemeinem Begriff und der Einzelsprache hin: „Die Sprache ist ein Erzeugniss der Gesellschaft“ (S.-3); „Jede Sprache ist Gemeingut einer grösseren oder kleineren Anzahl Menschen, die wir vorläufig ein Volk nennen wollen, weil in der Regel Sprachgemeinschaft und nationale Gemeinschaft zusammenfallen.“ (S.-8.) Aber wie schon bei der Rede, so wird auch bei der Sprache dieser soziale Charakter von Gabelentz nicht mit in die Definition einbezogen, denn die Sprache ist für ihn einfach <?page no="32"?> 10 Eugenio Coseriu eine Kraft und ein technisches System: „Ein Apparat von Stoffen und Formen.“ Für Gabelentz ist die Sprache sozial nur aufgrund der Notwendigkeit der Kommunikation − weil die Rede verstanden werden soll −, und nicht an sich schon. De Saussure dagegen überträgt diese selbe Unterscheidung auch auf den Begriff der Sprache, als nunmehr einem „fait social“, oder genauer noch versucht er mit aller Anstrengung, zwei wesentlich verschiedene Oppositionen miteinander zu kombinieren: Realisierung − System und Individuum − Gemeinschaft („collectivité“). So betont er eben den individuellen Charakter der parole, wogegen die „socialité“ für ihn zur Definition der langue gehört, die mithin die „soziale Seite“ der Sprache ausmacht (CLG, S.-24). Eben darum erscheinen im Cours auch zwei verschiedene Begriffe der „langue“, die nicht völlig miteinander übereinstimmen: eine langue als System und eine langue als soziale Institution. 12 Der Übergang von dem einen zu dem anderen Begriff der langue wird klar am Ende des Kapitels über die Veränderlichkeit des Zeichens (CLG, S.-114), wo die Sprache zunächst ganz im Sinne von Gabelentz als „l’ensemble des habitudes linguistiques qui permettent à un sujet de comprendre et de se faire comprendre“ definiert wird, wo er sich dann aber beeilt, die „masse parlante“ einzufügen, und damit eine folgenschwere Entscheidung trifft, die eine ganze Reihe von Widersprüchen einschließt (vgl. Coseriu, Sincronía, S.-19-25). 1.4 Die Unterscheidung der drei grundlegenden Formen der Sprache begründet nach Gabelentz auch die Existenz dreier verschiedener sprachwissenschaftlicher Disziplinen, die jeweils die Rede, die Einzelsprache und das Sprachvermögen zum Gegenstand haben, wobei ‚Gegenstand‘ hier als das zu verstehen ist, was sich der Betrachtung unmittelbar darbietet und von der Wissenschaft erklärt werden muß. Die Rede nun ist Gegenstand der einzelsprachlichen Forschung: *‚Der Gegenstand der einzelsprachlichen Forschung, die Erscheinung, die sie erklären will, ist … die Sprache als Äusserung, das heisst die Rede. Wie kommt in der zu bearbeitenden Einzelsprache die Rede zustande, und warum gestaltet sie sich gerade so? Eine Äusserung erklären heisst, die ihr zu Grunde liegenden Kräfte nachweisen.‘ Nun ist die erzeugende Kraft der Rede die Einzelsprache; folglich fällt die Erklärung der Rede mit der Beschreibung der Einzelsprache zusammen: ‚Sie [sc. die Einzelsprache] richtig beschreiben, heisst ihre Äusserungen erklären. Mehr soll und will die einzelsprachliche Forschung als solche nicht.‘ (S.-59) 12 Vgl. dazu E. Coseriu, Sistema, norma y habla, Montevideo 1952, Kap.-3; wieder in: Teoría del lenguaje y lingüística general, Madrid 1962, 2. A. 1967, S.-43-62. <?page no="33"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 11 So leitet also die einzelsprachliche Forschung die Sprache aus der Rede ab und erklärt umgekehrt die Rede aus der Einzelsprache: *‚Wir lernen und lehren die Rede aufbauen aus ihren Stoffen und nach ihren Gesetzen, nachdem wir diese Stoffe und Gesetze inductiv, aus der Rede, ermittelt haben. Dies ist die Grenze, die wir erreichen müssen, die wir aber nicht überschreiten können, ohne in ein anderes Forschungsgebiet überzutreten.‘ (S.-59) Vgl. weiterhin: ‚Die Einzelsprache ist ein Vermögen, das aus seinen Äusserungen begriffen, in diesen nachgewiesen werden will. Diese Aufgabe setzt sich die einzelsprachliche Forschung, und sie darf innerhalb ihres Kreises jenes Vermögen als ein sich im Wesentlichen gleichbleibendes behandeln. … Dieses Vermögen also soll der Einzelsprachforscher erkennen, beschreiben und aus ihm heraus soll er die Äusserungen der Einzelsprache erklären.‘ (S.-139) *‚Die einzelsprachliche Forschung erklärt die Sprachäusserungen aus dem jeweiligen Sprachvermögen und thut sich genug, wenn sie dieses Vermögen, wie es derzeit in der Seele des Volkes ist oder war, in seinem inneren Zusammenhange systematisch begreift.‘ (S.-140) Die einzelsprachliche Forschung ist demnach eine vornehmlich deskriptive, *„eine beschreibende Wissenschaft“. (S.-59) Desweiteren besteht nach Gabelentz eine sprachwissenschaftliche Disziplin, die wiederum die Einzelsprache erklärt, das heißt die jeweilige Einzelsprache oder einen jeweiligen Sprachzustand. Sie nennt er genealogischhistorische Sprachforschung: ‚Thatsächlich ist nun aber jenes Vermögen ein gewordenes und immer weiter werdendes, sich veränderndes und verschiebendes, und auch das will erklärt werden: durch welche Veränderungen ist die Sprache zu ihrem jeweiligen Zustande gelangt? womöglich auch, − wenn die Frage nicht in alle Zukunft unbeantwortet bleibt: warum ist die Sprache gerade so geworden und nicht anders? Auf alles dies kann die Einzelsprachforschung von ihrem Standpunkte aus und mit ihren Mitteln keine Antwort geben; hier stehen wir auf dem Gebiete der Sprachgeschichte.‘ (S.-139) Mehrmals auch verteidigt Gabelentz die Berechtigung und den Wert der beschreibenden Sprachwissenschaft gegenüber der historischen Sprachwissenschaft (so z. B. S.-59 u. 140), und er hält diese beiden Disziplinen auch sehr scharf und entschieden auseinander: *‚Die einzelsprachliche Forschung erklärt die Rede aus dem Wesen der Einzelsprache. Die genealogisch-historische Forschung erklärt die Einzelsprache, wie sie sich nach Raum und Zeit gespalten und gewandelt hat.‘ (S.-12) *‚Wie und warum jenes Vermögen und dieses Gefühl so geworden, begreift sie [sc. die deskriptive Sprachwissenschaft oder die einzelsprachliche Forschung] nicht. <?page no="34"?> 12 Eugenio Coseriu Dagegen will die Sprachgeschichte als solche eben weiter nichts als dies erklären. Das heisst: die Lebensäusserungen der Sprache, die Rede, begreift sie gar nicht. Will sie sie begreifen, so muss sie eben auf den einzelsprachlichen Standpunkt übertreten.‘ (S.-140) Das Verhältnis von deskriptiver und historischer Sprachwissenschaft zueinander sieht wie folgt aus: historische Sprachentwicklung historische Sprachwissenschaft A B Einzelsprache (Sprachzustand) Rede A B deskriptive Sprachwissenschaft (A = Materie (Inhalt) der einzelnen Disziplin; B = „Gegenstand“ der jeweiligen Disziplin, d. h. das, was sie zu erklären hat.) Die dritte sprachwissenschaftliche Disziplin, deren Gegenstand das Sprachvermögen bildet, nun ist nach Gabelentz die allgemeine Sprachwissenschaft: ‚Diese Wissenschaft hat das menschliche Sprachvermögen selbst zum Gegenstande. Sie will dies Vermögen begreifen, nicht nur in Rücksicht auf die geistleiblichen Kräfte und Anlagen, aus denen es sich zusammensetzt, sondern auch, soweit dies erreichbar ist, in dem ganzen Umfange seiner Entfaltungen.‘ (S.-302) Es gilt also insgesamt für den Gegenstand der drei sprachwissenschaftlichen Disziplinen: ‚Der Gegenstand der einzelsprachlichen Forschung ist die Sprache als Rede: die soll aus dem nationalen Sprachvermögen erklärt werden, nachdem dieses, inductiv, aus ihr ermittelt worden ist. Sie hat nicht den Ursprung dieses Vermögens zu erklären,-− das ist Sache der allgemeinen Sprachwissenschaft-− auch nicht dessen zeitliche Wandelungen zu verfolgen,-− das gehört der Sprachgeschichte an,- sondern sie soll dies Vermögen, wie es jeweilig ist, entdecken, beschreiben und bis in die letzten seiner Windungen hinein verfolgen.‘ (S.-76) Und danach gliedert sich das Werk von Gabelentz auch nach einem einführenden allgemeinen Teil völlig kohärent in drei Abteilungen (Bücher): Die <?page no="35"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 13 einzelsprachliche Forschung, Die genealogisch-historische Sprachforschung und Die allgemeine Sprachwissenschaft. 2.1 Gabelentz’ Unterscheidung von einzelprachlicher Forschung und genealogisch-historischer Sprachforschung, d. h. von Beschreibung und Geschichte, bedeutet keinesfalls eine weitere, zu der von Rede und Einzelsprache noch hinzutretende Unterscheidung, sondern einfach einen Folgesatz aus der letzteren: in der Sprachwissenschaft ist dies einfach die Unterscheidung, die sich aus der in der Sprache vorgenommenen zwischen Rede und Einzelsprache ergibt. Die einzelsprachliche Forschung ist mit Notwendigkeit synchronisch, weil die Sprache eben auch nur synchronisch funktioniert, d. h. in Saussureschen Termini ausgedrückt (die hier der Auffassung Gabelentz’ entsprechen): „la parole n’opère jamais que sur un état de langue“, und weil die Sprachgeschichte vom Gesichtspunkt der Sprachwissenschaft und ihrer Disziplinen aus zwar die jeweilige Sprache, aber nicht ihr Funktionieren in der Rede zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Entwicklung erklärt: ‚Jetzt dürfte der Ausspruch, dass die ganze Sprache in jedem Augenblicke lebt, weder überflüssig noch misszuverstehen sein. Was nicht mehr in der Sprache lebt, gehört nicht mehr zu ihr, sowenig wie der ausgefallene Zahn oder das amputirte Bein noch zum Menschen gehört. Dies besagt der Satz in negativer Richtung. In positiver behauptet er aber, dass jede lebende Sprache in jedem Augenblicke etwas Ganzes ist, und dass nur das im Augenblicke Lebende in ihr wirkt.‘ (S.-8) ‚Nicht Ei, Raupe und Puppe erklären den Flug des Schmetterlings, sondern der Körper des Schmetterlings selbst. Nicht die früheren Phasen einer Sprache erklären die lebendige Rede, sondern die jeweilig im Geiste des Volkes lebende Sprache selbst, mit anderen Worten der Sprachgeist.‘ (S.-9) Im übrigen handelt es sich hier um eine rein linguistische, und keine chronologische Synchronie, oder genauer noch um das Erfordernis, jedesmal ein und dasselbe sprachliche System zu beschreiben. So gehören auch Schriftsteller vergangener Epochen dem zu beschreibenden Sprachzustand an, insofern die von ihnen verfaßten Texte auch diesem selben System entsprechen: ‚In Luther’s Rede wurden der Hauptsache nach dieselben Stoffe von denselben Kräften beherrscht, nach denselben Gesetzen bearbeitet, wie in der Sprache irgend eines unserer Zeitgenossen.“ (S.-139) So handelt es sich dabei also um das, was in der Rede lebendig und wirksam ist: die Einzelsprache ist demnach die sprachliche Kraft, die zu einem gegebenen Zeitpunkt der Geschichte in der wirklichen Rede sich äußert, und daher muß sie auch als ein gleichzeitiges Ganzes beschrieben werden. Wenn nun andererseits die beschreibende Sprachwissenschaft mit Notwendigkeit synchronisch <?page no="36"?> 14 Eugenio Coseriu ist, dann ist die historisch-genealogische Sprachbetrachtung ihrerseits noch nicht mit Notwendigkeit diachronisch. Sie bezieht sich eben nicht ausschließlich auf einen einheitlichen Sprachzustand, sondern untersucht nur verschiedene Sprachzustände. Der Gegensatz zwischen den beiden Arten der Sprachbetrachtung besteht also ihrer Materie nach in dem Gegensatz zwischen einem und demselben Sprachzustand und verschiedenen Sprachzuständen. 2.2.0 In diesem Zusammenhang mag es wohl von Vorteil sein, die Prinzipien der deskriptiven Sprachwissenschaft und besonders diejenigen Aspekte näher zu betrachten, die sie nach Gabelentz’ Auffassung von der historischen Sprachwissenschaft unterscheiden. In dieser Hinsicht sind auch die Übereinstimmungen zwischen de Saussure und Gabelentz so auffällig und so zahlreich (und in Wirklichkeit stimmt de Saussures Theorie in allen Punkten mit der von Gabelentz überein), daß es uns angebracht erscheint, die beiden Autoren jeweils nebeneinander zu zitieren. 2.2.1 Zunächst einmal entspricht die deskriptive Sprachwissenschaft dem Gesichtspunkt der Sprecher. Denn sie beschreibt die sprachliche „Kraft“, die Sprache, die ihre Sprecher jedesmal in den einzelnen Sprechakten verwirklichen: ‚Die einzelsprachliche Forschung als solche hat die Sprache nur so, aber auch ganz so zu erklären, wie sie sich jeweilig im Volksgeiste darstellt. Zieht sie die Vorgeschichte, die Dialekte und stammverwandten Sprachen zu Rathe, so tritt sie auf das genealogisch-historische Gebiet über. Ich wiederhole es: sie muss dies thun, wo immer es möglich ist; aber sie darf nicht vergessen, dass zuweilen das Sprachbewusstsein eines Volkes alte Verbindungen löst, um neue anzuknüpfen, und dass diese neuen Verbindungen fortan die allein rechtskräftigen, wirksamen sind.‘ (S.-60) ‚Der einzelsprachliche Grammatiker steht auf dem Standpunkte der Eingeborenen; was diesem in seinem Sprachbewusstsein gegeben ist, das darf auch er als gegeben betrachten.‘ (S.-92) ‚… il est évident que l’aspect synchronique prime l’autre, puisque pour la masse parlante il est la vraie et la seule realité … II en est de même pour le linguiste.‘ (S.-131) [‚Es ist nun klar, daß die synchronische Betrachtungsweise der anderen übergeordnet ist, weil sie für die Masse der Sprecher die eigentliche und alleinige Wirklichkeit ist. … Dasselbe gilt für den Sprachwissenschaftler.‘] ‚La synchronie ne connaît qu’une perspective, celle des sujets parlants, et toute sa méthode consiste a recueillir leur témoignage; pour savoir dans quelle mesure une chose est une realité, il faudra et il suffira de rechercher dans quelle mesure elle existe pour la conscience des sujets.‘ (S.-132) <?page no="37"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 15 ‚Die einzelsprachliche Forschung hat es nur mit dem zu thun, was im Sprachgefühle des Volkes vorhanden ist.‘ (S.- 123- 24. Vgl. a. S.-25 und 28) [‚Für die Synchronie gibt es nur einen Gesichtspunkt, den der Sprechenden selbst; deren Zeugnisse zu sammeln, ist ihre ganze Methode. Denn um zu erfahren, wie weit etwas Wirklichkeit hat, wird es nötig und auch hinreichend sein, zu untersuchen, inwiefern etwas auch im individuellen Bewußtsein da ist.‘] 2.2.2 Da nun der Standpunkt der deskriptiven Sprachwissenschaft derjenige der Sprechenden ist, d. h. der des wirklichen Funktionierens einer Sprache, ergibt sich häufig auch, daß deskriptive Erkenntnisse sich nicht mit der historischen Wahrheit decken. Gabelentz nennt dazu deutsche Beispiele, de Saussure französische. Doch ist die Gleichheit beider Ansichten darum nicht weniger vollkommen: ‚Der Zusammenhang dieser Form [-er in Fällen wie: ein Tager vierzehn] mit ihrem Ursprunge wäre also dem Sprachbewusstsein des Volkes entschwunden, in diesem Bewusstsein stände entweder die Form vereinzelt da, oder sie hätte einen neuen Verwandtschaftsbund eingegangen, …‘ (S.- 60) ‚La vérité synchronique paraît être la négation de la vérité diachronique, et à voir les choses superficiellement, on s’imagine qu’il faut choisir; en fait ce n’est pas nécessaire; l’une des vérités n’exclut pas l’autre … étymologie et valeur synchronique sont deux choses distinctes. … Sans doute il y a deux origines du participe courant; mais la conscience linguistique les rapproche et n’en reconnaît plus qu’un: cette vérité est aussi absolue et incontestable que l’autre.‘ (S.- 139-40) [‚Was für die Synchronie gilt, scheint die Negation des in der Diachronie Gültigen zu sein. Und bei vordergründiger Betrachtung glaubt man sich vor die Wahl gestellt; doch eine solche Notwendigkeit liegt hier gar nicht vor; denn die eine Wahrheit schließt die andere keineswegs aus. … Etymologie und jeweilige Sprachbedeutung sind nämlich zwei verschiedene Dinge … Ohne Zweifel besitzt das Partizip courant zweierlei Ursprung. Das Sprachbewußtsein jedoch rückt sie aneinander und weiß nur von einem: diese Wahrheit nun ist ebenso ausschließlich und unwiderleglich wie die andere.‘] <?page no="38"?> 16 Eugenio Coseriu ‚Aus dem Begriffe des analytischen Systemes folgt, dass gleichartige Erscheinungen zusammengeordnet werden müssen. Was aber als gleichartig zu gelten habe, darüber entscheidet nicht die Vorgeschichte, die Etymologie, sondern der jeweilig wirkende Sprachgeist. Dieser wird allerdings wohl in den meisten Fällen mit der Etymologie übereinstimmen, aber er thut dies nicht immer. [Als Beispiele folgen dass und das, weil und Weile, nach und nahe, im gegenwärtigen Deutsch trotz ihrer gemeinsamen Etymologie jeweils vollkommen verschiedene Einheiten.] …. Der einzelsprachliche Grammatiker würde also aus der Rolle fallen und sich auf den sprachgeschichtlichen Standpunkt verirren, wenn er diese Wortpaare in seinem Systeme vereinigen wollte.‘ (S.-90) ‚Nous verrons aussi … que les identités diachroniques et synchroniques sont deux choses très différentes: historiquement la négation pas est identique au substantif pas, tandis que, pris dans la langue d’aujourd’hui, ces deux éléments sont parfaitement distincts.‘ (S.- 133, vgl. a. S.-257 f. zur subjektiven und objektiven Analyse) [‚Wir werden … auch noch sehen, daß synchronische und diachronische Identität jeweils ganz verschiedene Dinge sind: historisch gesehen ist die Negation pas identisch mit dem Nomen pas, während diese beiden Elemente in der heutigen Sprache vollkommen voneinander geschieden sind.‘] ‚Es ist eine reine Thatfrage, inwieweit das Sprachgefühl diese Verschiedenheiten als zulässig anerkennt, ob es den Archaismus für todt erklärt, oder ihm ein Greisenleben gönnt, ob es einen Provinzialismus in den Kehricht der Patois und Jargons wirft, oder ihm Berechtigung einräumt. Die Entscheidungen, die dieses Sprachgefühl fällt, mögen noch so launenhaft sein: die einzelsprachliche Forschung hat sich ihnen ohne Widerrede zu fügen.‘ (S.-125) 2.2.3 Drittens sind synchronische und diachronische Fakten von verschiedener Qualität. Bei der historischen Betrachtungsweise hat man es mit Veränderungen zu tun, bei der synchronischen dagegen mit einem System. Dieser Aspekt wird nun bei de Saussure sehr viel stärker hervorgehoben als bei Gabelentz. Gabelentz kommt es wiederum mehr auf den Unterschied zwischen den beiden Betrachtungsweisen an, während de Saussure die Fakten selbst schon als verschiedenartig betrachtet: <?page no="39"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 17 ‚Man bildet sich nur zu gern ein, man wisse, warum etwas jetzt ist, wenn man weiss, wie es früher gewesen ist, und die einschlagenden Gesetze des Lautwandels kennt. Das ist aber nur insoweit richtig, als diese Gesetze allein die Schicksale der Wörter und Wortformen bestimmen. Weiss ich z. B. , dass lateinisches f im Spanischen zu h, -li vor Vocalen zu j (sprich χ), und die Endung der zweiten Declination im Singular o, im Plural os geworden ist: so ist mir erklärlich, wie filius zu hijo werden musste. Gesetzt nun, jedes Wort und jede Form der spanischen Sprache wäre auf diese Weise genetisch abgeleitet: wäre damit die spanische Sprache erklärt? Sicherlich nicht. Denn die Sprache ist ebensowenig eine Sammlung von Wörtern und Formen, wie der organische Körper eine Sammlung von Gliedern und Organen ist. Beide sind in jeder Phase ihres Lebens (relativ) vollkommene Systeme, nur von sich selbst abhängig; alle ihre Theile stehen in Wechselwirkung und jede ihrer Lebensäusserungen entspringt aus dieser Wechselwirkung.‘ (S.-8-9) ‚On affirme souvent que rien n’est plus important que de connaître la genèse d’un état donné; c’est vrai dans un certain sens: les conditions qui ont formé cet état nous éclairent sur sa veritable nature et nous gardent de certaines illusions.‘ (S.-131) [‚Es wird uns häufig versichert, nichts sei so wichtig wie die Kenntnis der Entstehung eines bestimmten Zustandes. In einem gewissen Sinne stimmt das wohl auch; denn die Voraussetzungen seiner Entstehung lassen uns seine wahre Natur erkennen und können uns vor manchen Irrtümern bewahren.‘] ‚Ces faits diachroniques − on le voit clairement − n’ont aucun rapport avec le fait statique qu’ ils ont produit; ils sont d’ordre différent.‘ (S.-123) [‚Diese diachronischen Fakten stehen − wie deutlich zu sehen ist − in keinerlei Zusammenhang mit dem von ihnen verursachten statischen Faktum; sie sind einfach anderer Art.‘] ‚Dans la perspective diachronique on a affaire à des phénomènes qui n’ont aucun rapport avec les systèmes, bien qu’ils les conditionnent.‘ (S.-126) [‚Bei der diachronischen Betrachtungsweise hat man es mit Phänomenen zu tun, die in keinerlei Beziehung zu den Systemen stehen, obgleich sie diese mitbedingen.‘] ‚La langue est un système dont toutes les parties peuvent et doivent être considérées dans leur solidarité synchronique.‘ (S.-127) [‚Die Sprache ist ein System, dessen Teile insgesamt in ihrem synchronischen Zusammenhalt betrachtet werden können und müssen.‘] <?page no="40"?> 18 Eugenio Coseriu ‚Ce n’est pas en étudiant … les événements diachroniques qu’on connaîtra les états synchroniques.‘ (S.-128) [‚Durch Untersuchung der diachronischen Vorgänge wird man die einzelnen synchronischen Zustände nicht durchschauen.‘] ‚La parole n’opère jamais que sur un état de langue, et les changements qui interviennent entre les états n’y ont eux-mêmes aucune place.‘ (S.-130) [‚Die Rede geht immer nur von einem Sprachzustand aus, und die zwischen einzelnen Zuständen eintretenden Wandlungen finden dort keinen Platz.‘] 2.2.4 Viertens kann die Sprache als System nur in der Synchronie und von der deskriptiven Sprachwissenschaft erfaßt werden, während die Sprachgeschichte es nur mit gewissen Teilen des Systems zu tun hat: *‚Darin liegt nun der besondere Reiz der einzelsprachlichen Forschung, dass sie es immer, auch in ihren scheinbar kleinlichsten Spezialuntersuchungen, mit einem lebendigen, durchgeistigten Ganzen zu thun hat. Die geschichtliche Sprachvergleichung beschäftigt sich ihrem Wesen nach mit mehreren solcher Ganzen auf einmal. Um sie zu vergleichen, muss sie sie zerpflücken, sich an die Theile halten …‘ (S.-60) ‚… l’ axe de successivités …, sur lequel on ne peut jamais considérer qu’une chose à la fois. (S.-118) [‚… die Achse der Aufeinanderfolge, auf der man immer nur eine Sache zur Zeit betrachten kann‘] ‚Il en est de même pour le linguiste: s’il se place dans la perspective diachronique, ce n’est plus la langue qu’il aperçoit, mais une série d’événements qui la modifient.‘ (S.-131) [‚Dasselbe gilt für den Sprachwissenschaftler: wenn er den diachronischen Standpunkt einnimmt, dann erkennt er die Sprache selbst nicht mehr, sondern nur noch eine Reihe sie verändernder Ereignisse.‘] 2.2.5 Die deskriptive Sprachwissenschaft betrachtet mithin die Sprache als System, und das bedeutet zugleich, daß sie nicht allein synchronisch, sondern auch „monosystematisch“ ist. Sie untersucht die innerhalb eines einzigen sprachlichen Systems bestehenden gleichzeitigen und internen Bezüge: <?page no="41"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 19 ‚Die Aufgabe ist, eine Sprache lediglich so zu begreifen, wie sie im Geiste des sie redenden Volkes lebt. Dies Volk handhabt seine Sprache ohne rückwärts, auf ihre Vorgeschichte, oder seitwärts, auf ihre Dialekte und auswärtigen Verwandten zu schauen; alle Faktoren, welche die richtige Handhabung der Sprache bestimmen, liegen lediglich in dieser Sprache selbst, *in unbewusst wirkenden Gesetzen (Analogien), oder in unmittelbar durch Überlieferung Gegebenem.‘ (S.-61) ‚La première chose qui frappe quand on étudie les faits de langue, c’est que pour le sujet parlant leur succession dans le temps est inexistante: il est devant un état. Aussi le linguiste qui veut comprendre cet état doit-il faire table rase de tout ce qui l’a produit et ignorer la diachronie. Il ne peut entrer dans la conscience linguistique des sujets parlants qu’en supprimant le passé.‘ (S.-120) [‚Als erstes fällt einem beim Studium der sprachlichen Fakten auf, daß ihre zeitliche Abfolge für den Sprecher inexistent ist. Er weiß sich nur vor einem Zustand. Ebenso muß auch der Sprachwissenschaftler, der diesen Zustand begreifen will, von all den Faktoren absehen, die zu ihm geführt haben, und die Diachronie beiseite lassen. In das Bewußtsein der Sprecher kann er nur dann richtig eindringen, wenn er alles Vergangene übergeht.‘] *‚Die Thatsachen, die sie [die deskriptive Sprachwissenschaft] vergleicht, sind eben gleichzeitig und gleichsprachlich, im Gegensatze zu jenen, mit denen es die historisch-genealogische Forschung zu thun hat, und die entweder zu verschiedenen Zeiten aufeinanderfolgen oder, gleichviel ob neben- oder nacheinander, an verschiedenen Orten auftreten.‘ (S.-61) ‚La linguistique synchronique s’occupera des rapports logiques et psychologiques reliant des termes coexistants et formant système, tels qu’ils sont aperçus par la même conscience collective.‘ [‚Die synchronische Sprachwissenschaft wird sich mit logischen und psychologischen Beziehungen zwischen zugleich bestehenden und ein System bildenden Gliedern befassen, so wie sie auch von einem und demselben Kollektivbewußtsein wahrgenommen werden.] ‚La linguistique diachronique étudiera au contraire les rapports reliant des termes successifs non aperçus par une même conscience collective, et qui se substituent les uns aux autres sans former système entre eux.‘ (S.-144) [‚Die diachronische Sprachwissenschaft dagegen wird die zwischen aufeinander- <?page no="42"?> 20 Eugenio Coseriu folgenden Gliedern bestehenden und von dem jeweils gleichen Kollektivbewußtsein nicht wahrgenommenen Beziehungen untersuchen, bei denen die einen an die Stelle der anderen treten, ohne daß diese Glieder dabei ein System bildeten.‘] ‚La linguistique diachronique étudie, non plus les rapports entre termes coexistants d’un état de langue, mais entre termes successifs qui se substituent les uns aux autres dans le temps.‘ (S.-199) [‚Die diachronische Sprachwissenschaft nun untersucht nicht mehr die Beziehungen zwischen den zugleich vorhandenen und einem und demselben Sprachzustand angehörigen Gliedern, sondern die zwischen aufeinanderfolgenden und sich im Laufe der Zeit ablösenden Gliedern.‘] Jetzt dürfte auch klar sein, daß F. de Saussures Terminus „synchronique“ dem gleichzeitig bei Gabelentz entspricht, das damit einfach übersetzt wird, und daß F. de Saussures „termes successifs“ die Thatsachen, die aufeinanderfolgen bei Gabelentz sind. Es könnte jedoch so scheinen, als ob synchronie und diachronie nicht genau der Unterscheidung bei Gabelentz entsprächen, weil dieser auch, für die deskriptive Sprachwissenschaft, die „Monosystematizität“, d. h. daß die untersuchten Fakten auch einem und demselben System zugehören, fordert und weil er der historischen Sprachwissenschaft neben den aufeinanderfolgenden Vorgängen auch die gleichzeitigen, nur verschiedenen Dialekten oder Sprachen zugehörigen Fakten unterordnet. Nun handelt es sich dabei aber um eine terminologische (und nicht nur terminologische) Inkohärenz aufseiten de Saussures, der der Synchronie nicht allein die strikte Diachronie gegenüberstellt, sondern alles, was nicht direkt die internen Beziehungen innerhalb eines gegebenen Sprachsystems betrifft. De Saussure macht auch hier noch einmal dieselbe Unterscheidung wie Gabelentz und schafft dabei sogar den Terminus idiosynchronique, der für sich allein schon den beiden Termini gleichzeitig und gleichsprachlich bei Gabelentz entspricht: ‚Une seconde différence découle des limites du champ qu’embrasse chacune des deux disciplines. L’ étude synchronique n’a pas pour objet tout ce qui est simultané, mais seulement l’ensemble des faits correspondant à chaque langue; dans la mesure où cela sera nécessaire, la séparation ira jusqu’ aux dialectes et aux sous-dialectes. Au fond le <?page no="43"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 21 terme de synchronique n’est pas assez précis; il devrait être remplacé par celui, un peu long il est vrai, de idiosynchronique. Au contraire la linguistique diachronique non seulement ne nécessite pas, mais repousse une semblable spécialisation; les termes qu’ elle considère n’appartiennent pas forcément à une même langue.‘ (S.-132) [‚Ein weiterer Unterschied ergibt sich aus dem Umfang des jeweils von den beiden Disziplinen erfaßten Gebietes. Denn Gegenstand der synchronischen Untersuchung ist nicht alles gleichzeitig Auftretende, sondern nur die jeder Sprache zukommende Gesamtheit der Fakten; und die Abgrenzung kann, soweit notwendig, bis zu den Dialekten und Unterdialekten gehen. So ist im Grunde auch der Terminus synchronisch nicht präzis genug; er müßte wohl durch den allerdings etwas langen Ausdruck idiosynchronisch ersetzt werden. Die diachronische Sprachwissenschaft dagegen erfordert nicht nur keine solche Einschränkung, sondern muß sie auch ablehnen; denn die von ihr untersuchten Ausdrücke gehören nicht mit Notwendigkeit einer und derselben Sprache an.‘] 2.2.6 Ebenso wird man bemerken, daß der Ausdruck conscience collective bei F. de Saussure dem Volksgeist und dem (Sprach-)Bewusstsein eines Volkes bei Gabelentz entspricht. Und die Kritik F. de Saussures an der traditionellen historischen Sprachwissenschaft, die nach dessen Meinung „hybrid“ sei und sich „in zwei Sättel zugleich geschwungen habe“, weil sie eben nicht zwischen Zustand und Abfolge unterscheide (CLG, S.- 121-22), trifft sich mit derjenigen von Gabelentz, der ebenfalls gegen die *„Gebietsüberschreitungen“ der Sprachgeschichte Einspruch erhebt (S.- 140). Weiterhin wird man bei Gabelentz eine uneingestandene Identifizierung von Diachronie und historischer Phonetik feststellen, so wenn es z. B. bei ihm heißt: „… wenn man weiß, wie es früher gewesen ist, und die einschlagenden Gesetze des Lautwandels kennt.“ (S.-8) oder: *„… als müsste der, der die Gesetze einer vereinzelten Sprache in einer systematischen Grammatik darzustellen weiss, nicht mindestens ebensoviel Verständniss vom Wesen der menschlichen Sprache haben, als Jener, der das Lautinventar der indogermanischen Ursprache um ein paar neue Nuancen bereichert.“ (S.-140) Diese Identifizierung wird nun bei de Saussure ganz explizit vorgenommen: „La phonétique , et la phonétique tout entière, est le premier objet de la linguistique diachronique.“ (CLG, S.-200) 13 2.3 Es soll ebenfalls nicht unbemerkt bleiben, dass auch eine dritte Unterscheidung bei F. de Saussure, und zwar die zwischen linguistique interne und linguistique externe, ihre Entsprechung bei Gabelentz findet. Bei diesem allerdings betrifft sie die historische Sprachwissenschaft, und in Wirklichkeit kann dasselbe auch für F. de Saussures Unterscheidung gelten (vgl. CLG, 13 Vgl. a. R. Godel, Les sources manuscrites du Cours de linguistique générale de F. de Saussure, Genf 1957, S.-43; zur Kritik an dieser Identifizierung vgl. unsere Sincronía, S.-142-44. <?page no="44"?> 22 Eugenio Coseriu S.-41-44). So sagt de Saussure dort etwa über das Schachspiel: „le fait qu’il a passé de Perse en Europe est d’ordre externe; interne, au contraire, tout ce qui concerne le système et les règles,“ und danach formuliert er als methodisches Prinzip: „est interne tout ce qui change le système à un degré quelconque.“ (CLG, S.- 44) Gabelentz’ Formulierung lautet dagegen folgendermaßen: „Wir werden, um Missverständnisse zu vermeiden, gut thun, zwischen äusserer und innerer Sprachgeschichte zu unterscheiden. Die äussere Geschichte einer Sprache ist die Geschichte ihrer räumlichen und zeitlichen Verbreitung, ihrer Verzweigungen und etwaigen Mischungen (Genealogie). Die innere Sprachgeschichte erzählt und sucht zu erklären, wie sich die Sprache in Rücksicht auf Stoff und Form allmählich verändert hat.“ (S.-141-42) 3.0 Nicht weniger interessant sind die Übereinstimmungen zwischen beiden Autoren in Hinsicht auf deren allgemeine Auffassung von der Sprache und auf die einzelnen Gebiete der Sprachwissenschaft (Phonetik, Grammatik und Wortschatz). 3.1 Die Sprache ist für Gabelentz ebenso wie für de Saussure ein geschlossenes und autonomes System voneinander abhängiger Größen: ‚Beide [eine Sprache und ein Organismus] sind in jeder Phase ihres Lebens (relativ) vollkommene Systeme, nur von sich selbst abhängig; …‘ (S.-9) *‚Genug, jede Sprache liefert uns ein ganz individuelles und ganz einheitliches Bild. Was dem grübelnden Scharfsinn so schwer gelingt, ein folgerichtig durchgeführtes System, das hat hier, unbewusst und ungewollt, ein naiver Geist in voller Gesetzmässigkeit geschaffen, einen Riesenbau, dessen kleinster Keim, richtig gedeutet, vom Plane des Ganzen zeugen würde, und dessen Plan nun umgekehrt im letzten Keime nachgewiesen werden sollte.‘ (S.-76) *‚Jede Sprache ist ein System, dessen sämmtliche Theile organisch zusammenhängen und zusammenwirken. Man ‚… la langue est un système qui ne connaît que son ordre propre.‘ (S.-44) [‚… die Sprache ist ein System, das nur seine eigene Ordnung kennt.‘] ‚… car la langue est un système de pures valeurs que rien ne détermine en dehors de l’état momentané de ses termes.‘ (S.-119) [‚… denn die Sprache ist ein System reiner Werte, das von nichts anderem als dem jeweiligen Zustand seiner Glieder bestimmt wird.] ‚… la langue est un système dont toutes les parties peuvent et doivent être considerées dans leur solidarité synchronique.‘ (S.-127) [‚Die Sprache ist ein System, dessen einzelne Teile in ihrem synchronischen Zusammenhalt betrachtet werden können und müssen.‘] <?page no="45"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 23 ahnt, keiner dieser Theile dürfte fehlen oder anders sein, ohne dass das Ganze verändert würde.‘ (S.-481) ‚…si chaque idiome forme un système fermé.‘ (S.-144) [‚… wenn jede Sprache ein geschlossenes System bildet.‘] ‚… ce n’est pas l’ensemble qui a été déplacé ni un système qui en a engendré un autre, mais un élément du premier a été changé, et cela a suffi pour faire naître un autre système.‘ (S.-125) [‚… dabei ist weder das Ganze an sich versetzt worden, noch hat ein System ein anderes hervorgebracht; es wurde lediglich ein Element des früheren verändert, und das genügte zur Herausbildung eines anderen Systems.‘] Gewiß braucht Gabelentz zuweilen den Ausdruck Sprachgeist, doch gibt er klar zu verstehen, daß er damit das sprachliche System meint: „Die Sprachgesetze bilden unter sich ein organisches System, das wir den Sprachgeist nennen. Der Sprachgeist bestimmt die Art und Weise, wie der Sprachstoff gestaltet wird, − die Wort-, Form- und Satzbildung −; insofern ist er Bildungsprinzip oder innere Sprachform.“ (S.-63) 3.2.1 In Hinsicht auf die Phonetik sind sich die beiden Autoren insoweit einig, daß sie die lautliche Substanz als nicht wesentlich für das Verständnis grammatischer Verfahren betrachten. Dabei beschränkt sich Gabelentz auf den Hinweis, daß man ein grammatikalisches System vollkommen verstehen kann, ohne die genaue Aussprache von dessen einzelnen Formen zu kennen. De Saussure aber geht in derselben Richtung noch weiter und betrachtet die lautliche Materie sogar als der Sprache wesensfremd. Dagegen sind sich beide darin einig, daß die sog. Lautphysiologie nicht als eigentlich linguistische Wissenschaft, sondern nur als deren Hilfswissenschaft anzusehen sei: ‚Die Erfahrung hat nun bewiesen, dass man Sprachen von Grund aus grammatisch verstehen und sehr richtig beurtheilen kann, ohne von ihren Lauten mehr zu wissen, als dass sie deren ungefähr so und soviele besitze, die sich ungefähr so und so zueinander verhalten. Für die alten Cultursprachen hat man in den verschie- ‚… l’essentiel de la langue, nous le verrons, est étranger au caractère phonique du signe linguistique.‘ (S.-21) [‚… das an der Sprache Wesentliche ist, wie wir noch sehen werden, dem phonischen Charakter des sprachlichen Zeichens fremd.‘] <?page no="46"?> 24 Eugenio Coseriu denen Ländern Ausspracheweisen eingeführt, wohl wissend, dass man sich damit weit vom ursprünglichen Klange entfernte, − und doch ohne Nachtheil für die Praxis, wie für die Theorie. Und gesetzt, es gelänge uns, etwa Griechisch genau in den Lauten und dem Tonfalle der Athener perikleischer Zeit auszusprechen: was wäre gross damit gewonnen? ‘ (S.-33) ‚… les organes vocaux sont aussi extérieurs à la langue que les appareils électriques qui servent à transcrire l’alphabet Morse sont étrangers à cet alphabet; et la phonation, c’est-à-dire l’exécution des images acoustiques, n’affecte en rien le système lui-même.‘ (S.-37) [‚… die Sprechwerkzeuge sind für die Sprache ebenso akzidentell wie für das Morsealphabet die zu seiner Übermittlung dienenden elektrischen Apparate; und die Lauterzeugung, d. h. die Verwirklichung der akustischen Bilder, betrifft das System selbst in keiner Beziehung.‘] ‚Man irrt, wenn man die Lautphysiologie oder Phonetik, wie man sie heutzutage nennt, als einen Theil der Sprachwissenschaft bezeichnet. Letztere hat es mit den Schallerzeugnissen der menschlichen Sprachorgane nur insoweit zu thun, als sie in den Sprachen thatsächlich Verwendung finden; …‘ (S.-33) ‚La physiologie des sons (all. Lautou Sprachphysiologie) est souvent appelée ‚phonétique‘ (all. Phonetik, angl. phonetics). Ce terme nous semble impropre; nous le remplaçons par celui de phonologie … la phonologie … n’… est qu’une discipline auxiliaire [de la science de la langue] et ne relève que de la parole.‘ [S.- 55- 56] [‚Die Laut- oder Sprachphysiologie nennt man oft ‚Phonetik‘ … Dieser Terminus erscheint uns aber unzutreffend, und wir ersetzen ihn daher durch Phonologie; …. die Phonologie ist aber nur eine Hilfswissenschaft [der Linguistik] und betrifft nur die Rede.‘] Beide Autoren haben eine klare Vorstellung vom Phonem; und beide weisen sie darauf hin, daß die Sprachen nur ein begrenztes phonematisches Inventar haben. Doch gebraucht Gabelentz noch nicht den Ausdruck Phonem: er unterscheidet „Laute im Sinne der Phonetik“ und „Laute im Sinne der Sprachwissenschaft“ (S.-503). Im übrigen aber ist die Übereinstimmung vollkommen: ‚Die Sprache aber, und wäre es die kleinste Mundart, unterscheidet nur eine bestimmte Anzahl von Lauten, die sich zu den lautlichen Einzelerscheinungen ‚Devant chaque cas il faut dresser le système phonologique de l’idiome étudié, c’est-à-dire le tableau des sons qu’il met en oeuvre; chaque langue, en effet, opère <?page no="47"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 25 verhalten wie Arten zu Individuen, wie Kreise zu Punkten; sie zieht die Grenzen weiter oder enger, immer aber duldet sie einen gewissen Spielraum. Nicht Alle, die die Mundart richtig sprechen, sprechen den nämlichen Laut genau auf dieselbe Weise aus, ja man darf zweifeln, ob es der Einzelne immer thue. … Das Sprachgefühl, das für uns massgebend ist, macht da keinen Unterschied, es erkennt jede Art der heimischen Lautbildung für gleich richtig an, weiss aber recht wohl die in seinem Sinne fremdartige Aussprache zu erkennen.‘ (S.-33-34) ‚Ich habe schon früher … darauf hingewiesen, dass das Sprachgefühl der Völker die Laute anders, weiter fasst, als die Lautphysiologie; es gestattet einen gewissen, grösseren oder geringeren Spielraum in der Lauterzeugung und in der Schallwirkung; erst wenn dieser überschritten wird, erhebt es Einspruch.‘ (S.-187-88) sur un nombre déterminé de phonèmes bien différenciés.‘ (S.-59) [‚In jedem Einzelfall sollte man zunächst das Lautsystem der untersuchten Sprache ermitteln, d. h. die Aufstellung der in ihr verwendeten Laute; denn jede Sprache gebraucht nur eine bestimmte Anzahl wohl unterschiedener Phoneme.‘] ‚Chaque idiome compose ses mots sur la base d’un système d’éléments sonores dont chacun forme une unité nettement délimitée et dont le nombre est parfaitement déterminé. Or ce qui les caractérise, ce n’est pas, comme on pourrait croire, leur qualité propre et positive, mais simplement le fait qu’ils ne se confondent pas entre eux …‘ ‚Ce qui le prouve, c’est la latitude dont les sujets jouissent pour la prononciation dans la limite où les sons restent distincts les uns des autres.‘ (S.-171) [‚Jede Sprache setzt ihre Wörter aufgrund eines Systems von Lautelementen zusammen, von denen jedes eine klar abgegrenzte Einheit bildet und deren Zahl genau festgelegt ist. Was sie nun als solche bestimmt, das sind nicht, wie man annehmen könnte, ihre eigenen positiven Eigenschaften, sondern das ist die einfache Tatsache, daß sie untereinander nicht verwechselt werden.‘ ‚Ein Beweis dafür liegt darin, daß die Sprecher über einen gewissen Aussprachespielraum verfügen, wenn eben die Sprachlaute voneinander unterschieden bleiben.‘] 3.2.2 Obwohl sich Gabelentz in der Grammatik stark von F. de Saussure unterscheidet, ist es doch interessant festzustellen, daß beide die Analogie der beschreibenden Sprachwissenschaft zuweisen und daß sie gleichfalls bemerken, daß die sprachlichen Formen nicht allein deshalb erhalten bleiben, weil <?page no="48"?> 26 Eugenio Coseriu sie als solche im Gedächtnis der Sprecher auf bewahrt werden, sondern weil sie auch und vor allem analogisch neugebildet werden. ‚Es ist sehr wichtig, jene zweierlei Bestandtheile scharf zu sondern: diejenigen, die nur in unmittelbarer Erinnerung wurzeln, und jene, die sich zum grossen Systeme der Analogien zusammenschliessen und aus diesem heraus jederzeit neu erzeugt werden können. Solche Erzeugnisse sind völlig zureichend erklärt, wenn ihnen ihre Stellung in jenem Systeme nachgewiesen ist, und diesen Nachweis kann von ihrem Standpunkte aus nicht die sprachgeschichtliche, sondern nur die einzelsprachliche Forschung führen.‘ (S.-64) ‚En résumé, l’analogie, prise en elle-même, n’est qu’un aspect du phénomène d’interprétation, une manifestation de l’activité générale qui distingue les unités pour les utiliser ensuite. Voilà pourquoi nous disons qu’elle est tout entière grammaticale et synchronique.‘ (S.-234) [‚Alles in allem ist die Analogie an sich nur ein Aspekt der (weiteren) Erscheinung der Interpretation, eine Seite einer allgemeineren Tätigkeit, die die Einheiten zunächst voneinander sondert, um sie dann zu verwenden. Deswegen ist sie eben nach unserer Meinung auch ganz und gar grammatisch und synchronisch.] ‚Ainsi les formes se maintiennent parce qu’elles sont sans cesse refaites analogiquement.‘ (S.-243) [‚So können sich die einzelnen Formen erhalten, weil sie auf dem Wege der Analogie immer wieder hergestellt werden.‘] 3.2.3 Ebenso vertreten die beiden Autoren übereinstimmend die Ansicht, daß zwischen Wortschatz und Grammatik keinerlei Grenzen bestehen. Gabelentz bemerkt dazu: „Jetzt stellen wir uns auf den einzelsprachlichen Standpunkt, das heisst auf den des nationalen Sprachgefühles. Da dürfte es nun einleuchten, dass hier eine grundsätzliche Scheidung zwischen dem Wortvorrathe und dem grammatischen Formwesen kaum besteht. Die Hülfswörter gehören zu Beiden; die Mittel der Wortbildung sind, was ihr Name besagt, Formenmittel, die zur Stofferzeugung dienen; und wo der etymologische Zusammenhang noch zu Tage liegt, da verbindet sich in diesem Gefühle das abgeleitete Substantivum, Adjectivum oder Adverb mit dem Verbum ebenso innig, wie sich die verschiedenen Formen desselben Verbums zusammen gesellen.“ (S.- 121-122). De Saussure (S.- 192 f.) vertritt im Prinzip dieselbe These, obwohl er anders argumentiert. Der Gedanke der rein assoziativen Beziehungen ist im Grunde aber bei dem einen wie dem anderen Autor derselbe. <?page no="49"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 27 4.0 Natürlich kann man selbst in den Fällen, wo die Grundanschauungen beider Autoren sich decken, nicht einfach sagen, daß de Saussure immer wieder mit Gabelentz übereinstimmt. In mancher Hinsicht ist er ihm nämlich weit überlegen, und ebenso gilt auch zuweilen das Gegenteil. 4.1.1 Zunächst einmal ist de Saussure sehr viel systematischer als Gabelentz. Dieser hat wohl recht viele ausgezeichnete Ideen, die auch zur Errichtung eines Systems ausreichen würden, doch findet man dies System bei ihm sehr häufig nur flüchtig angedeutet. Oft begnügt er sich damit, einen Grundsatz auszusprechen, und bricht dann dort ab, wo man eigentlich eine Fortführung in diese oder jene Richtung erwartet hätte. Ebenso gelangt er nicht zu den Schlußfolgerungen, die de Saussure aus manchen gleichen oder fast gleichen Prämissen zieht. 4.1.2 Zweitens gebraucht de Saussure eine viel präzisere Terminologie und definiert fast immer explizit die für sein System wichtigsten Begriffe, Gabelentz hingegen beschränkt sich oftmals darauf, die schon von dem deutschen Sprachgebrauch unterschiedenen und anerkannten Begriffe zu verwenden, und häufig bedient er sich verschiedener Ausdrücke, um damit denselben Begriff zu bezeichnen. So wechselt bei ihm z. B. Einzelsprache ab mit nationalem Sprachvermögen, und dort, wo kein Mißverständnis möglich ist, verwendete er einfach Sprache dafür. 4.1.3 Doch fehlt bei Gabelentz vor allem ein präziser Begriff der Funktionalität und der Opposition. Er weist wohl darauf hin, daß man auch das als verschieden zu betrachten habe, was die Sprache selbst unterscheide (S.- 91), doch gelangt er nicht zu dem Begriff der distinktiven Opposition. Überhaupt findet man bei Gabelentz nichts, was dem zweiten Teil des CLG („La linguistique synchronique“) und insbesondere dem Kapitel über die sprachlichen Gleichheiten und Werte vergleichbar wäre. Die entsprechenden Prinzipien sind bei ihm zwar schon vorhanden, doch entwickelt er sie nicht. Dazu noch wird man bemerken, daß gerade diese Kapitel am Anfang der modernen strukturalistischen Sprachwissenschaft stehen, in viel größerem Maße noch als die Unterscheidungen von langue und parole sowie von Synchronie und Diachronie. 4.2.1 Dagegen sind aber die Beziehungen zwischen Sprache und Rede bei Gabelentz sehr viel klarer, kohärenter und fundierter dargestellt, eben weil er seine Unterscheidung nur auf die Opposition Realisierung − System gründet und weil er dabei nicht den soziologischen Begriff der Sprache einführt, <?page no="50"?> 28 Eugenio Coseriu wogegen sich diese Unterscheidung bei de Saussure aus zwei verschiedenen Oppositionen herleitet. Daher kann Gabelentz auch eine Individualsprache annehmen, während sie bei de Saussure überhaupt nicht erscheint, weil sie schon aus dem einen seiner beiden Begriffe der „langue“ erklärbar wird. 14 Auch erkennt Gabelentz klarer als de Saussure, daß die deskriptive Sprachwissenschaft in einem ganz gewissen Sinne die Rede zum Gegenstand hat-− d. h. das Funktionieren der Sprache −, daß die Sprache sich aus der Rede ableitet und daß es eigentlich auch keinen Widerstreit von deskriptiver und historischer Sprachwissenschaft gibt, da letztere sich die Sprache zu erklären vornimmt, und nicht etwa die Rede. 4.2.2 Im übrigen ist auch schon die Unterscheidung zwischen deskriptiver und historischer Sprachwissenschaft bei Gabelentz sehr viel kohärenter als bei de Saussure. Bei Gabelentz ergibt sie sich, wie schon gesehen, aus der grundlegenden Unterscheidung von Rede und Einzelsprache, so daß die deskriptive Sprachwissenschaft mit Notwendigkeit synchronisch und „monosystematisch“ zugleich sein muß. Für Gabelentz handelt es sich dabei um eine Verschiedenheit der Standpunkte, d. h. um eine methodische Unterscheidung, die nur die Sprachwissenschaft, nicht aber die Sprache selbst betrifft. Es ergibt sich bei ihm allerdings eine gewisse terminologische Inkohärenz, wenn er genealogisch-historisch all das nennt, was nicht einzelsprachlich ist, also selbst die Betrachtung gleichzeitiger, aber verschiedenen Dialekten angehöriger (sog. „diatopischer“) Fakten. Doch wird diese Inkohärenz im Cours noch schwerwiegender und ist dort auch nicht mehr allein terminologisch, da de Saussure die Unterscheidung auf die Sprache selbst überträgt und Synchronie und Diachronie als Gleichzeitigkeit bzw. als Abfolge definiert. Da diese Unterscheidung nun andererseits die in sich einheitlichen Sprachsysteme betreffen müßte, faßt er die synchronische Sprachwissenschaft als zugleich „syntopisch“ auf und folglich die diachronische Sprachwissenschaft gleichfalls als Untersuchung dessen, was gleichzeitig, aber z. B. diatopisch ist. Daher entspricht auch seine synchronische Sprachwissenschaft nicht allem, was gleichzeitig ist (sie betrifft in Wirklichkeit nur, was in einem und demselben System zugleich da ist), und andererseits entspricht seine diachronische Sprachwissenschaft nicht bloß allem, was aufeinander folgt, da sie auch gleichzeitige, aber nicht zu demselben System gehörige Fakten betrifft. So ist also das eigentliche Gebiet der synchronischen Sprachwissenschaft enger als 14 Vgl. A. H. Gardiner, „The Distinction of ‚Speech‘ and ‚Language‘“, in: Atti del III Congresso Internazionale dei Linguisti (Florenz 1935), S.-354. <?page no="51"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 29 die Synchronie (die Gleichzeitigkeit), und die diachronische Sprachwissenschaft geht ebenfalls über die reine Diachronie (die Abfolge) hinaus: ein und dasselbe System verschiedene Systeme synchronische Sprachwissenschaft diachronische Sprachwissenschaft Gleichzeitigkeit Abfolge Für Gabelentz ist dies völlig legitim, denn er unterscheidet nur zwei verschiedene Arten der Sprachwissenschaft; nicht so für F. de Saussure, der die methodische Unterscheidung von systematischer Beschreibung und Geschichte mit einer naturgegebenen Unterscheidung von synchronischen und von diachronischen Fakten verknüpft wissen möchte. Diese Identifizierung enthält jedoch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die wir schon einmal an anderer Stelle (Sincronía, S.-135 f.) benannt haben. 4.2.3 Weiterhin ist zu beobachten, daß Gabelentz viel mehr als de Saussure den schöpferischen Charakter der Sprachtechnik hervorhebt. Dieser Gedanke ist bei de Saussure zwar nicht übergangen worden (vgl. seine Kapitel über die Analogie), doch wird er bei Gabelentz mit viel stärkerem Nachdruck und mit viel allgemeinerem Anspruch dargestellt; für ihn ist nämlich das System der Sprache eigentlich viel eher dynamisch als statisch, so wenn es bei ihm heißt: „Damit wurde allmählich die Rede des Kindes ein freies Erzeugniss, an Stelle des Nachahmens trat ein Nachschaffen.“ (S.-210, ferner S.-64, 65 usw.) Im übrigen macht Gabelentz einen ausdrücklichen Unterschied zwischen der Spracherlernung als Wiederholung und der Spracherlernung als freiem Schaffen: „Dem Erlernten gegenüber aber ist unser Verhalten ein zweifaches: einmal ein rein gedächtnissmässiges, das nichts Besseres kann, als das Gehörte wiederholen: − und zweitens das einer unbewussten Abstraction, vermöge deren wir nach überkommenen Regeln selber schaffen.“ (S.-485) 4.2.4 Schließlich betont Gabelentz auch viel mehr als dann de Saussure den systematischen Charakter des Wortschatzes: „Wäre etwa nur das Formenwesen einer Sprache ein organisches Ganze, und der Wortschatz ein zufällig angesammelter Haufen? “ (S.-121, vgl. a. S.-124 u. 482). Gabelentz vertritt dann auch die Ansicht, der gesamte Wortschatz gehöre zur Grammatik einer Sprache (S.-122), und bemerkt weiter, daß ein nach wissenschaftlichen Grundsätzen verfaßtes Wörterbuch nach den Bedeutungen angeordnet werden müßte <?page no="52"?> 30 Eugenio Coseriu („Also müssen die Wörter thunlichst nach ihren Bedeutungen, mit anderen Worten encyklopädisch geordnet sein.“ − S.- 166), und er entwirft danach sogar schon das Schema eines Begriffswörterbuches (S.-166-68). 5.0 In mancher Hinsicht geht Gabelentz auch weiter als F. de Saussure, und zwar gerade im Hinblick auf die Probleme und die Aufgaben der deskriptiven Sprachwissenschaft, und kommt damit einigen Entwicklungen in der neueren Sprachwissenschaft schon recht nahe. Hier sollen nur kurz einige seiner Ideen dargestellt werden, durch die er ein Vorläufer sogar der Sprachwissenschaft nach de Saussure wird und die sowohl die Phonologie als auch die verschiedenen Ebenen der sprachlichen Strukturierung und die grammatische Methodik betreffen. 5.1 Was die Phonologie anbelangt, so bemerkt Gabelentz, daß es dabei zwei zu untersuchende Aspekte gebe, nämlich das, was man heute das Inventar und die Distribution der Phoneme nennt. Als notwendige Stufe der Beschreibung einer Sprache gibt er dann auch die „Lehre vom Lautbefunde“ an (vgl. F.- de Saussures „système phonologique“) und grenzt ihren Gegenstand folgendermaßen ab: „Unter dieser Lehre verstehe ich die systematische Aufzählung und Beschreibung der Laute und die Angabe, an welchen Stellen und in welchen Verbindungen sie erscheinen dürfen, …“ (S.- 87). Darüber hinaus stellt er schon die Frage nach dem mono- oder biphonematischen Wert solcher Verbindungen wie ts, dz, tš, dž, tr. Dabei möchte er hier den Standpunkt der Sprecher als maßgeblich annehmen und formuliert dazu eine Richtlinie, die genau der 4. Regel bei Trubetzkoy entspricht: „Wenn also z. B. die Sprache im Anlaute sonst nur einfache Anlaute kennt, so behandelt sie auch solche Consonanten, wo sie anlauten, als einfache.“ (S.-135) 5.2.0 Was die Ebenen der sprachlichen Strukturierung anbetrifft, so hat Gabelentz zumindest schon eine Intuition der Unterscheidung von Sprachnorm und Sprachsystem, und ganz ausdrücklich erkennt er die Ebene des Sprachtypus an. 5.2.1 Er gibt nämlich zu verstehen, daß die Grammatik auch das mitumfaßt, was zwar „möglich“ ist, aber noch nicht wirklich vorhanden: „Die einzelsprachliche Grammatik lehrt das Zulässige, mithin das, was in jedem Augenblicke thatsächlich werden kann.“ (S.-122) Hierbei nun handelt es sich offensichtlich um eine intuitive Erfassung des Sprachsystems als System von Möglichkeiten, wenn Gabelentz auch die Unterscheidung von Möglichkeit und Realisierung mit derjenigen von Grammatik und Wortschatz identi- <?page no="53"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 31 fiziert: „Die Grammatik erklärt: die und die [Gebilde] dürfen geschaffen werden. Das Wörterbuch besagt: die und die sind wirklich bereits geschaffen worden.“ (S.- 123) Dazu ist jedoch noch zu bemerken, daß die Grammatik nach Gabelentz auch die Wortbildung miteinschließt (vgl. dazu S.- 122; und de Saussure S.- 121). Was nun die implizite Unterscheidung von System und Norm auf dem Gebiete der Phonologie anbelangt, so stellt Gabelentz fest, daß die Sprachlaute zwar über gewisse mehr oder minder breite Realisierungszonen verfügten, daß sich aber innerhalb dieser Zonen wieder Bereiche befänden, die gewissen bevorzugten Ausspracheweisen entsprächen (so bemerkt er, daß die bilabiale oder die labiodentale Aussprache von f und w im Deutschen jeweils nach den einzelnen Gegenden verschieden festgelegt ist; vgl. S.-188). 5.2.2 Doch weitaus bedeutender noch ist die von Gabelentz angedeutete Konzeption des Sprachtypus, da er hier nämlich ganz explizit den Unterscheid zwischen System und Typus macht und den Typus als Wechselwirkung zwischen bestimmten Eigentümlichkeiten des Systems betrachtet. Daher stellt er der Sprachtypologie auch gerade die Aufgabe, diese Wechselwirkungen herauszuarbeiten. Und dieser Gedanke ist so bedeutsam − auch Gabelentz selbst mißt ihm eine so umfassende Bedeutung zu −, daß seine Ausführungen hier im Ganzen zitiert werden sollen: *‚Jede Sprache ist ein System, dessen sämmtliche Theile organisch zusammenhängen und zusammenwirken. Man ahnt, keiner dieser Theile dürfte fehlen oder anders sein, ohne dass das Ganze verändert würde. Es scheint aber auch, als wären in der Sprachphysiognomie gewisse Züge entscheidender als andere. Diese Züge gälte es zu ermitteln; und dann müsste untersucht werden, welche andere Eigenthümlichkeiten regelmässig mit ihnen zusammentreffen. Ich denke an Eigenthümlichkeiten des Wort- und Satzbaues, an die Bevorzugung oder Verwahrlosung gewisser grammatischer Kategorien. Ich kann, ich muss mir aber auch denken, dass alles dies zugleich mit dem Lautwesen irgendwie in Wechselwirkung stehe. Die Induction, die ich hier verlange, dürfte ungeheuer schwierig sein; und wenn und soweit sie gelingen sollte, wird es scharfen philosophischen Nachdenkens bedürfen, um hinter der Gesetzlichkeit die Gesetze, die wirkenden Mächte zu erkennen. Aber welcher Gewinn wäre es auch, wenn wir einer Sprache auf den Kopf zusagen dürften: Du hast das und das Einzelmerkmal, folglich hast du die und die weiteren Eigenschaften und den und den Gesammtcharakter! − wenn wir, wie es kühne Botaniker wohl versucht haben, aus dem Lindenblatte den Lindenbaum construiren könnten. Dürfte man ein ungeborenes Kind taufen, ich würde den Namen Typologie wählen. Hier sehe ich der allgemeinen Sprachwissenschaft eine Aufgabe gestellt, an deren Lösung sie sich schon mit ihren heutigen Mitteln wagen darf. Hier würde sie Früchte zeitigen, die jenen der sprachgeschichtlichen Forschung an Reife nicht nachstehen, an Erkenntnisswerthe sie wohl übertreffen sollten. Was man bisher von geistiger Verwandtschaft, von verwandten Zügen stammverschiedener Sprachen <?page no="54"?> 32 Eugenio Coseriu geredet hat, das würde hinfort greifbare Gestalt gewinnen, in ziffermässig bestimmten Formeln dargestellt werden; und nun träte das speculative Denken an diese Formeln heran, um das Erfahrungsmässige als ein Nothwendiges zu begreifen.‘ (S.-481) Man wird dabei auch bemerken, daß eine der interessantesten Formen der gegenwärtigen Sprachtypologie, nämlich die von V. Skalička entwickelte, fast genau der hier von Gabelentz entworfenen Konzeption entspricht. 5.3 Auf dem Gebiet der Grammatik ist Gabelentz ein wirklicher Neuerer. Und wenn wir uns hier darauf beschränken werden, nur einige Anmerkungen zu seiner Auffassung zu machen, so möchten wir dennoch darauf hinweisen, daß sie eine ausführliche Untersuchung und einen Vergleich mit den verschiedenen grammatischen Methoden nach de Saussure wert wäre. Gabelentz unterscheidet zwei Arten der Grammatik: die analytische und die synthetische (S.- 84- f.). Dabei entspricht die erstere der heutigen strukturellen Grammatik und geht vom Satz aus, um dann zu den kleinsten grammatikalischen Einheiten des jeweiligen Sprachsystems, d. h. also von der Rede zur Sprache, zu gelangen; sie ist eine „semasiologische“ Grammatik, deren Untersuchungsrichtung vom signifiant zum signifié verläuft. Die letztere entspricht eher der gegenwärtigen generativen Grammatik; sie geht aus vom auszudrückenden Inhalt und will zum Ausdruck mit dem Satz gelangen, d. h. sie geht von der „parole non organisée“ über die Sprache zur „parole organisée“ und ist damit ein „onomasiologisches“ System der Grammatik, dessen Untersuchungsrichtung vom signifié zum signifiant verläuft. Unter den Fragen der synthetischen Grammatik − die Gabelentz übrigens in seiner Chinesischen Grammatik anwenden konnte − kommen bei den Satzteilen z. B. folgende vor: „Wie können sie erweitert werden? “, „Durch welche Mittel werden Satztheile ersetzt? “, „Wann dürfen und wann sollen Satztheile weggelassen werden? “ (S.- 101). Gabelentz zitiert dann auch nach seiner Chinesischen Grammatik eine ganze Reihe von Transformationsregeln (z. B. diejenigen für eine Verwandlung der aktiven Sätze in passive, des Attributes in einen Relativsatz, und von dort aus in einen Nominalausdruck), sowie auch eine Formel, die mehrere Konstitutions- und Transformationsregeln zusammenfaßt, und schließlich die Reihenfolge, in der diese Regeln anzuwenden wären (vgl. S.- 118). Darüber hinaus gebraucht er auch schon „Transformation“ und „transformieren“ entsprechende Begriffe (Verwandlung, verwandeln, vgl. die eben erwähnten Regeln und das wichtige Kapitel über die „Verwandlung der Sätze in Satztheile“, S.- 463-70). Auch ist dabei zu beachten, daß Gabelentz nicht die Auffassung vertritt, man könne die synthetische durch die analytische Grammatik ersetzen, sondern im Gegenteil ausdrücklich bemerkt, daß beide Standpunkte legitim und notwendig seien: „die Sprachen wollen synop- <?page no="55"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 33 tisch, einmal in Rücksicht auf ihre Erscheinungen, und dann in Rücksicht auf ihre Leistungen beurtheilt werden.“ (S.- 479, vgl. ferner S.- 480-81) Und dazu betrachtet er die synthetische Grammatik auch nicht als eine „Sprachtheorie“, sondern einfach als eine Methode der Beschreibung mit praktischer Ausrichtung. Daran muß nämlich heutzutage wieder einmal erinnert werden, wo man es sich zur Gewohnheit gemacht hat, rein praktische Hilfsmittel in der Grammatik und der Lexikologie als „Theorien“ der grammatischen Struktur und als „Semantik“ auszugeben. 5.4 Von den übrigen interessanten und fruchtbaren Ideen bei Gabelentz seien nur noch seine Ausführungen zur Lautsymbolik (S.-219 f.), seine Bemerkungen zum Mechanismus des Lautwandels (S.-188 u. 191) und seine Interpretation der deutschen Partikeln (S.-96) genannt. 6.1 Kommen wir aber wieder zu den Beziehungen zwischen Gabelentz und de Saussure zurück; es stellt sich nämlich die Frage, ob man aus allem oben Gesagten wirklich auf einen Einfluß des ersteren auf den letzteren schließen kann. Nach unserer Auffassung nun scheint dieser Einfluß aufgrund der großen Zahl und der Bedeutung aller Übereinstimmungen zwischen den beiden Autoren schon bewiesen und aller Zufall darin ausgeschlossen. Denn wir haben bemerken können, daß hier nicht bloß ferne oder generische Ähnlichkeiten vorliegen, sondern ein fast vollkommenes Zusammentreffen, sowohl in Hinsicht auf die vertretenen Thesen, als auch auf die zu ihrer Stützung verwendeten Argumente (vgl. insbes. 2.2.0-2.3). 6.2 Und schließlich kann man sogar ein kleines terminologisches Parallelwörterbuch für Gabelentz und Saussure zusammenstellen: Rede parole Einzelsprache langue gleichzeitig synchronique gleichzeitig und gleichsprachlich idiosynchronique aufeinander folgende Thatsachen termes successifs Volksgeist, Bewusstsein des Volkes conscience collective einzelsprachliche Forschung linguistique synchronique genealogisch-historische Sprachforschung linguistique diachronique innere Sprachgeschichte linguistique interne äussere Sprachgeschichte linguistique externe Wechselwirkung solidarité Spielraum latitude <?page no="56"?> 34 Eugenio Coseriu Mithilfe der Saussureschen Termini nun mag man einige der oben zitierten Stellen aus Gabelentz’ „Sprachwissenschaft“ ins Französische übertragen, man könnte sie ohne weiteres für Stücke einer apokryphen Fassung des CLG halten. Zweifellos kann man ebenso bei anderen Sprachwissenschaftlern der Zeit vor F. de Saussures Cours einige der besprochenen Ideen und Thesen finden. Doch wird man sie nie geschlossen bei einem einzigen Autor antreffen. 6.3 Desweiteren können zwischen Gabelentz und de Saussure auch noch zahlreiche andere Übereinstimmungen festgestellt werden, sogar bei Detailfragen und mehr oder minder sekundären Aspekten (wenigstens in Hinsicht auf Gabelentz’ Sprachauffassung). So z. B. weisen beide Autoren auf die Linearität der Rede hin (die bei de Saussure zum Prinzip erhoben wird): ‚Als Darstellungsmittel ist sie [sc. die Sprache] fortlaufende Rede, und der Lauf der Rede ist bekanntlich geradlinig, also ein Vor und Nach, kein Links und Rechts, kein Oben und Unten.‘ (S.-85) ‚… les signifiants acoustiques ne disposent que de la ligne du temps; leurs éléments se présentent l’un après l’autre; ils forment une chaîne.‘ (S.-105) [‚… die Lautkörper haben nur die Zeitgerade für sich; ihre Elemente erscheinen der Reihe nach und bilden eine Kette.‘] ‚Mais on sait que la chaîne phonique a pour premier caractère d’être linéaire.‘ (S.-149) [‚Aber bekanntlich hat die Lautreihe die Grundeigenschaft der Linearität …‘] Desgleichen findet man bei beiden den Vergleich der sprachlichen Fakten mit der Geldwährung: ‚Die meisten Menschen halten es mit der Sprache wie mit dem Gelde, achten mehr auf den Werth, als auf das Gepräge, führen in der Regel gültige Münze und streiten nur um die verdächtige.‘ (S.- 98, vgl. a. S.-53) ‚Ainsi ce n’est pas le métal d’une pièce de monnaie qui en fixe la valeur.‘ (S.-170) [‚So bestimmt nicht etwa das Metall den Wert eines Geldstücks; …‘] Beide behaupten sie − und in einem gewissen Sinne im Widerspruch, mit sich selbst −, die Sprecher würden die Regeln ihrer Sprache „unbewußt“ anwenden: <?page no="57"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 35 ‚Die richtige Handhabung der Muttersprache geschieht unbedacht, ohne dass der Redende sich von den Sprachgesetzen, die seine Rede bestimmen, Rechenschaft giebt.‘ (S.-63) ‚Der Grammatiker hat sich zuvörderst auf den Standpunkt eines Eingeborenen zu versetzen. Der kann seine Sprache, das heisst: er versteht sie richtig und wendet sie in der Rede richtig an, ohne sich von den Regeln, die ihn dabei leiten, Rechenschaft zu geben.‘ (S.-88) (Im übrigen gebraucht Gabelentz auch den Terminus „unbewusst“, so S.- 61 und 63.) ‚On ajouterait que la réflexion n’intervient pas dans la pratique d’un idiome; que les sujets sont, dans une large mesure, inconscients des lois de la langue.‘ (S.-108) [‚Man könnte hinzufügen, daß die Überlegung beim Gebrauch einer Sprache keine Rolle spielt, daß sich die Sprecher in hohem Maße der sprachlichen Regeln nicht bewußt sind.‘] ‚Car ce système est un mécanisme complexe; …; ceux-là mêmes qui en font un usage journalier l’ignorent profondément.‘ (S.-109) [‚Denn dies System ist ein komplexer Mechanismus; …; selbst die, welche ihn täglich verwenden, kennen ihn im Grunde nicht.‘] Endlich gibt es zwischen den beiden Autoren auch noch wörtliche oder fast wörtliche Übereinstimmung, selbst in solchen Fällen, wo ihre Gedanken an sich gar nicht einmal so sehr von Bedeutung sind. Dazu vgl. man das in den beiden folgenden Zitaten Unterstrichene: ‚Die Sprachwissenschaft bezweckt Erkenntniss der Sprache um ihrer selbst willen. *Ihr Gegenstand ist alle menschliche Sprache, sind also alle menschlichen Sprachen, die der Wilden sowohl wie die der gesitteten Völker, die neuen so gut wie die alten, die kleinsten Dialekte nicht weniger, als die grossen Sprachfamilien.‘ (S.-7-8) ‚La matière de la linguistique est constituée d’abord par toutes les manifestations du langage humain, qu’il s’agisse des peuples sauvages ou des nations civilisées, des époques archaïques, classiques ou de décadence, en tenant compte, dans chaque période, non seulement du langage correct et du ‚beau langage‘, mais de toutes les formes d’expression.‘ (S.-20) [‚Den Gegenstand der Sprachwissenschaft bilden zunächst alle Äußerungen des menschlichen Sprachvermögens, mag es sich dabei um wilde oder um zivilisierte Völker handeln, um archaische, klassische oder dekadente Epochen, und es sind dabei in jeder Periode nicht nur der korrekte und der ‚gute‘ Stil, sondern überhaupt alle Formen des Ausdrucks zu beachten.‘] <?page no="58"?> 36 Eugenio Coseriu 7.1 So scheint uns also ein Einfluß von Gabelentz auf F. de Saussure ganz unbestreitbar vorzuliegen. Und es könnte dem auch anders nicht sein: denn F. de Saussure war ein wohlinformierter Sprachwissenschaftler und konnte deshalb schon ein Werk über die Allgemeine Sprachwissenschaft, von dem die zweite Auflage sozusagen in der Vorbereitungszeit für seine Vorlesungen erschienen war, nicht einfach übergehen. Es stimmt zwar, daß Gabelentz in seinem Cours nicht genannt wird. Aber ist man sich darum bereits dessen gewiß, daß dies auch im mündlichen Vortrag so war? Man weiß nämlich, daß andere Autoren, die auf de Saussure einen bedeutsamen Einfluß ausübten, in der gedruckten Fassung des Cours ebenfalls nicht zitiert sind. Andererseits wissen wir heute, daß de Saussure 1891 noch ein getreuer und ergebener Anhänger der historischen Sprachwissenschaft war und daß er erst gegen das Jahr 1894 systematisch über Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft nachzuforschen begann (Vgl. R. Godel, Sources, S.-26-27, 31-32, 37-39). Sollten seine Überlegungen nun vielleicht durch die Lektüre des 1891 erschienenen Werkes von Gabelentz ausgelöst worden sein? 7.2 Man wird aber zugeben müssen, daß Gabelentz’ Ideen bei de Saussure nicht unverändert bleiben. Was nämlich bei Gabelentz oft nur Intuition war oder zuweilen auch nur Randbemerkung, das wird bei de Saussure explizit formulierte These, als Teil eines Systems. In seiner geometrischen Veranlagung verwandelt de Saussure das in Antinomie, was bei Gabelentz nur methodische Unterscheidung und was im Prinzip auch nur Feststellung war. Dann kombiniert de Saussure auch Gabelentz’ Unterscheidungen mit den Thesen anderer Autoren. So z. B. ist die Saussuresche Theorie von Sprache und Rede eine Kombination der rein phänomenologischen Unterscheidung von Gabelentz mit den Thesen Durkheims zum „fait social“; außerdem noch ist diese Theorie mit Madvig verbunden, und über Madvig auch mit Hegel. Immerhin bleibt aber der Kern all dessen, was de Saussure Gabelentz verdankt, klar erkennbar. 7.3 Natürlich verfuhr de Saussure als Professor eben wie alle Professoren: zu einem Teil wenigstens bereitete er seine Vorlesungen mithilfe bestimmter Bücher vor, darunter auch dessen von Gabelentz, bei dem er benutzte, was ihm dienlich schien. Und als Sprachwissenschaftler dachte er gewiß nicht allein über die Sprache als solche nach, sondern ebenso über schon von anderen Gelehrten dazu getane Äußerungen. Sein System hat er dann auch mit einigem von anderen Sprachwissenschaftlern oder Sprachphilosophen geliehenen Material errichtet. Bis heute jedoch hat man de Saussure vor allem ahistorisch gesehen, d. h. als Ausgangspunkt für eine neue Art der Sprach- <?page no="59"?> Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft 37 wissenschaft, in seinem Verhältnis zu der nachfolgenden Sprachwissenschaft, aber nicht als Endpunkt einer Tradition, d. h. in seinem Verhältnis zur vorhergehenden Sprachwissenschaft. Als sich dann aber dieses Problem stellte, da wies man besonders auf Übereinstimmungen, nicht aber auf die historischen Verbindungen hin. Daher wird es also Zeit, de Saussure in seinen historischen Zusammenhang zu verweisen und die zufälligen Übereinstimmungen von dem zu sondern, was nun im Gegenteil die historische Kontinuität der Sprachwissenschaft ausmacht. Der Einfluß, den Whitney und Durkheim auf de Saussure ausgeübt haben, ist recht gut bekannt; der besonders bedeutsame von Gabelentz wurde nun eben nachgewiesen. Andere von de Saussure in seiner Synthese verwendete Ideen stammen von den Stoikern, von Locke und aus der schottischen Schule (sehr wahrscheinlich durch die Vermittlung von Jouffroy), von Humboldt, Hegel, Madvig, Fortunatov (entweder direkt oder auch durch Porzeziński vermittelt) sowie von Baudouin de Courtenay. 15 7.4 Insbesondere aber der Tatsache, daß er eine klare, knappe und eindringlich formulierte Synthese darstellt, verdankt der Cours zum Teil seinen großen Erfolg. Gabelentz hingegen hat gerade von der Sprachwissenschaft vergessen werden sollen, an deren Begründung er mitwirkte. Lediglich ein Teil seiner Ideen hat durch ihre Entwicklung im Saussureschen System einen Einfluß auf die spätere Sprachwissenschaft erringen können, und das ganz besonders in Europa (doch wäre es interessant, einmal nachzuprüfen, wie weit sein Einfluß in den Vereinigten Staaten, bei Boas, Bloomfield und vor allem bei Sapir, gereicht haben mag). Andere Ideen von Gabelentz, zu denen die Sprachwissenschaft von anderen Prämissen aus und auf anderen Wegen gelangt ist, erscheinen dann wieder in der Linguistik nach de Saussure. Einige weitere jedoch warten noch darauf, wiederaufgenommen und entwickelt zu werden. 15 S.- dazu unseren Artikel „L’arbitraire du signe. Zur Spätgeschichte eines aristotelischen Begriffes.“ In: ASNS (1967), S.-82-112, insbes. S.-110-112. <?page no="61"?> Gunter Narr, Tübingen Zur Tübinger Reprintausgabe der „Sprachwissenschaft“ (1901; Reprint 1969) von Georg von der Gabelentz Eugenio Coseriu übernahm im Jahre 1963 in Tübingen einen Lehrstuhl für Romanische Philologie (ab 1966 auch für Allgemeine Sprachwissenschaft). Er war der erste Lehrstuhlinhaber, der systematisch die unterschiedlichen Theorien der Sprachwissenschaft ausführlich darstellte und diese in den historischen Kontext verankerte. Er bot Vorlesungen an über „Strukturalismus“, „Transformationelle Linguistik“, „Stratifikationelle Linguistik“ und über die Geschichte der Sprachwissenschaft. Dabei begann seine Darstellung nicht wie üblich mit Ferdinand de Saussure 1 , sondern mit dem Vorläufer der Modernen Linguistik, eben mit Georg von der Gabelentz. Sein Hauptwerk Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse erschien in erster Auflage 1891 (Leipzig) und in der dann maßgeblichen zweiten Auflage 1901 (Leipzig). Dieses Werk war längst vergriffen. Es war nur in wenigen Bibliotheken vorhanden, also kaum greif bar. Eugenio Coseriu besaß ein Exemplar der 2.-Auflage. Es bestand also ein dringendes Bedürfnis, dieses Werk wieder zugänglich zu machen. Die Idee eines Nachdrucks war rasch geboren, deren Umsetzung war allerdings nicht leicht zu bewerkstelligen. Erstens benötigte man ein Exemplar der 2. Ausgabe von 1901 und zweitens Mittel für ein solches Vorhaben, denn es konnte nicht davon ausgegangen werden, eine größere Auflage zu drucken und zu verkaufen. Mit Zuversicht und Mut gelang das Vorhaben. 1 Peter Wunderli hat eine deutsche Neuübersetzung der Vulgatafassung des Cours de linguistique générale vorgelegt: Peter Wunderli, Ferdinand de Saussure: Cours de linguistique générale. Zweisprachige Ausgabe französisch-deutsch mit Einleitung, Anmerkungen und Kommentar, Tübingen 2013. <?page no="62"?> 40 Gunter Narr Da das Buch antiquarisch nicht zu erhalten war, hat mir Eugenio Coseriu sein Exemplar zur Verfügung gestellt, um Filme für einen Nachdruck zu ermöglichen. Im Juli 1969 habe ich meinen Verlag gegründet und eine wissenschaftliche Reihe mit dem Titel „Tübinger Beiträge zur Linguistik“ begründet. Als deren erster Band sollte das Gabelentzsche Werk erscheinen in einer Auflage von 300 Exemplaren. Mit Uwe Petersen zusammen habe ich ein Vorwort verfasst. Wichtig war jedoch, dass uns Eugenio Coseriu bereitwillig seine Studie „Georg von der Gabelentz et la linguistique synchronique“, zuerst erschienen in Word 23 (1967), 74-100, zur Verfügung stellte. Dieser 1. Nachdruck wurde von der wissenschaftlichen Welt sehr begrüßt und verkaufte sich erstaunlicherweise so rasch, dass 1972 eine 2. Auflage mit 550 Exemplaren gewagt werden konnte. Der Aufsatz von Eugenio Coseriu wurde von Uwe Petersen ins Deutsche übertragen. Im Jahre 1984 erschien noch eine 3. Auflage in einer kartonierten und einer in Leinen gebundenen Ausgabe von je 250 Exemplaren. Es war angedacht, danach eine UTB-Paperbackausgabe für Studenten zu drucken. Aber zu diesem Zeitpunkt wandte sich die Linguistik von der Geschichte der Sprachwissenschaft eher ab. Die Nachfrage für eine preiswerte Studienausgabe bestand nicht mehr. Nun war also endlich das wegweisende Werk von Georg von der Gabelentz leicht zugänglich und Eugenio Coseriu führte mit zahlreichen Beispielen aus, wie sehr Ferdinand de Saussure aus dem Gedankengut von von der Gabelentz schöpft, ohne dies ausdrücklich zu zitieren. Übereinstimmungen zwischen Saussure und von der Gabelentz zum Beispiel, was die Auffassung von parole und langue betrifft, sind offenkundig. Es bleibt festzuhalten, dass durch die wegweisenden Vorlesungen Eugenio Coserius und den Neudruck der 2. Auflage der „Sprachwissenschaft“ eine Gabelentz-Renaissance eingeleitet wurde, die bis heute nicht aufgehört hat zu wirken. <?page no="63"?> Zur Tübinger Reprintausgabe der „Sprachwissenschaft“ 41 <?page no="65"?> E. F. K. Koerner, Berlin Animadversions on some recent claims regarding the relationship between Georg von der Gabelentz and Ferdinand de Saussure (1974)* II est difficile en effet, quand on relit aujourd’ hui la linguistique du passé, d’ échapper à l’ éclairage que les connaissances actuelles projettent à revers sur les formulations d’autrefois; difficile de résister à cette impression saisissante des vieux textes apparaissant comme “prémonitoires”, difficile de combattre le sentiment qu’on aperçoit partout des précurseurs. Georges Mounin in 1959 1 0. In his now almost celebrated article of 1967, E. Coseriu claimed that up to that time Saussure had been regarded mainly in an ahistorical fashion with respect to his relation with post-Saussurean linguistic developments, as a point of departure of a new linguistics, rather than the final point of a long-standing tradition, in other words, with regard to earlier linguistic trends (cf. Coseriu 1967, p.- 100). It would seem to me that an observation of this nature entails at least two misunderstandings. For one, it should by now have become eminently clear that the Cours marks the beginning of a new era in general linguistic theory, the inception of a new paradigm, to use a modern term, rather than the summing-up of ideas prevailing at a given period-− as can be said without pejorative associations of Paul’s Prinzipien. Second, and * Wiederabdruck aus: René Amacker, Tullio De Mauro, Luis J. Prieto (Hrsg.), Studi Saussuriani per Robert Godel. Bologna: Società Editrice Il Mulino, 1974, 165-180.-− I should like to thank Kathleen M. Fenton for having read an earlier draft of this paper suggesting a number of stylistic improvements. The remaining shortcomings are solely my responsibility [EFKK]. 1 Quoted in Koerner 1971a, p.-159 from Travaux de l’Institut de Linguistique 4, p.-8. <?page no="66"?> 44 E. F. K. Koerner it is curious to note that Coseriu should have put forward this contention since he has been regarded as an authority on Saussurean linguistic thought, it is simply not correct to assert that Saussure had not been frequently linked with various contemporary scholars and linguistic traditions ever since the appearance of the Cours in 1916 (cf. Koerner 1972a, pp.-69-88, for locations). On the contrary, it appears that several of the most distinguished of Saussure’s contemporaries, including Schuchardt and Jespersen, were intrigued by the question of the possible sources of Saussure’s linguistic inspiration. As a matter of fact, there has hardly been a year ever since that time that an earlier claim in this respect has not been reiterated or a new ‘predecessor’ announced of ideas embodied in the Cours. This is not the place to discuss the motives behind these multifarious attempts to track down the sources from which Saussure may have drawn his theories, although it appears doubtful that most of these probes have been conducted in an attempt to better understand Saussure’s revolutionary impact and to grasp the puzzling phenomenon of the appearance of a genius whose insights transcend the speculations that his contemporaries and successors have nurtured. The point I should like to make here, however, is that the impression the reader of these often ill-founded treatments cannot escape is that their authors are not so much interested in writing the history of linguistics but in re-writing it in their own, at times very personal, understanding of how actual events should have taken place. To cite a simple example, I refer to the historically verifiable fact that the young F. de Saussure spent the years 1876-78 and 1879-80 at Leipzig (with a one-year intermission during which he studied at the University of Berlin), whereas Georg von der Gabelentz (1840-93) was appointed to the newly established position of a professor of East-Asian languages at the same University in 1878, probably about the time Saussure moved to Berlin, only to return for his completion of the dissertation which he defended in February 1880. Yet Zwirner (1967, p.- 2442), realizing that Saussure associated himself strongly with the junggrammatische Richtung in his earlier years, claimed that Gabelentz took an active part in this movement, something which no attentive reader of Gabelentz’s Sprachwissenschaft would ever put forward, thus suggesting that Saussure must already have made contact with the scholar during his Leipzig period. This suggestion appears to have become a historical fact with uncritical emulators (e. g., G. Stötzel in “Poetica” 3, 1970, p.-17), who claim that Gabelentz was in fact one of Saussure’s teachers. Anyone concerned with making the history of linguistics a serious activity within the discipline could cite other examples of distortions of past events in the development of linguistic science. The matter under discussion in this paper should be seen as merely one instance reflecting the deplorable ‘state of <?page no="67"?> Relationship between Gabelentz and Saussure 45 the art’. Yet it appears that the relationship between Gabelentz and Saussure has become an issue of major proportions, if one is to judge from the number of those who have fully accepted the claims of certain scholars that Gabelentz’s Sprachwissenschaft, which first appeared in 1891, had an important impact on Saussure’s theoretical argument and in fact propounded crucial concepts which anticipate those outlined in the Cours. Indeed, the recent history of the alleged importance of Gabelentz for Saussure lays bare the very points at issue in presenting the history of linguistics in a serious manner. In this paper, I shall not repeat the argument concerning a number of genuine linguistic concepts which Gabelentz is said to have put forward about a generation before Saussure; I am confident that both my refutation of Coseriu 1967 (cf. Koerner 1971a; 1972d) and my evidence (Koerner 1972b) that it was not Gabelentz’s book of 1891 (2 nd ed., 1901) but Paul’s Prinzipien of 1880 (4 th ed., 1909) that constituted a major source of what Karl Bühler referred to as Saussure’s Cartesian Bewusstseinsklärung. Instead, I shall attempt to 1.- delineate the puzzling history of the claim as to Gabelentz’s important influence on Saussure’s linguistic thought (1918-1972); 2. put forward suggestions for the appropriate conduct of research in the history of linguistics, and 3.-demonstrate, by way of presenting a particular issue of Gabelentz’s alleged impact on Saussure more fully, that recent claims to this effect are untenable. 1. As early as 1918 Leo Spitzer noted what he believed to be obvious parallels between Gabelentz’s ideas of Sprache and Rede (cf. Gabelentz 1969, p.-59) and Saussure’s important language/ parole dichotomy (cf. CLG, pp.- 36 ss.; CLG Engler, 321-370). 2 Yet Spitzer’s still rather unspecified observation remained unnoticed in the literature for some time, to be mentioned in a footnote by Iordan and Orr (1937, p.- 283), who in fact merely stated that Gabelentz had established “a similar distinction between “Rede”, […], and “Sprache” ”, only after they had referred to Paul’s “twofold conception [i. e., langue vs. parole] of the phenomenon of language”, namely the distinction between (Sprach-) Usus and (individuelle) Sprechtätigkeit, a reference which Coseriu (1967, p.-75) chose to pass over in silence. Interestingly enough, Jespersen, who acknowledged his particular debt to Gabelentz (see Jespersen 1922, p.-98), is criticized for having failed to make this observations in his review of Saussure’s Cours in 1916 (cf. Coseriu 1967, p.- 75). Another scholar whom Coseriu did not mention in his article but who was thoroughly acquainted with Gabelentz’ 2 Cf. L. Spitzer, Aufsätze zur romanischen Syntax und Stilistik, Halle/ S.: M. Niemeyer, 1918, p.-345. See Coseriu 1967, p.-75, for a quotation of the passage in question. Concerning the sigla and other abbreviations, see the bibliography at the end of the article for further details. <?page no="68"?> 46 E. F. K. Koerner Sprachwissenschaft was Louis Hjelmslev. Although, in his often neglected but truly fascinating Principes de grammaire générale, he made perhaps as many references to Gabelentz’s book (cf. Hjelmslev 1928, pp.-11, 39, 43, 67, 76, 84, 91, etc.) as to the Cours, he was not led to argue because of apparent similarities of terms or ideas that they were not the result simply of a “coïncidence, mais d’une véritable influence de Gabelentz sur Saussure” as Coseriu (1967, p.-76) and others would have us believe. 3 Independently of earlier suggestions, other scholars referred to Gabelentz as a forerunner of Saussurean structuralist ideas. Kainz (1941, p.-20) felt it to be an “Akt geschichtlicher Gerechtigkeit” to draw attention to the fact that the threefold distinction of langage, langue, and parole had been made earlier in Gabelentz’s Sprachwissenschaft. Reichling (1948, p.- 13), quoting the now famous passage from Gabelentz (1969 [1901], p.-481) which was added to the second edition of Sprachwissenschaft, felt that with regard to the concept of language as system of mutually interdependent parts Saussure “had an almost visionary person as his predecessor” (p. 14), arguing that Saussure however improved considerably on ideas enunciated by Gabelentz. Michels (1952) chose another aspect of Gabelentz’s theorizing, claiming that he was in fact a forerunner of modern structuralism and phonology. Coseriu (1967, p.-76) reports that he drew attention to Gabelentz’s anticipation of Saussure’s langue/ parole distinction as early as 1958, whereas Silva Neto (1960, p.- 29) appears to owe his suggestions to Coseriu’s early claim, as his bibliographical note (p. 38) suggests. Yet it appears that it was not until 1964, at the Fifth Congress of Phonetic Sciences, that the alleged influence of Gabelentz on Saussure became an issue of scholarly concern among linguists. On that occasion E. Zwirner claimed that Gabelentz had anticipated Saussure’s distinction between both langue and parole, and synchrony and diachrony as well as the concept of system in language (cf. Zwirner 1965, pp.-7-9), contentions which Zwirner put forward repeatedly thereafter 4 , despite the interventions by p.-Meriggi and E. Buyssens in the discussion following Zwirner’s presentation at the Congress, in which the former drew attention to Paul’s Prinzipien as the 3 This is particularly interesting if we note that Hjelmslev (1928, p. 215), curiously ignoring Saussure’s Mémoire of 1878, made the following statement: “A notre connaissance, G. v. d. Gabelentz est le premier qui ait formulé explicitement l’idée dont il est question, […], le mot système”, referring to Sprachwissenschaft (cf. Gabelentz 1969, pp. 76, 385, 481), without, however, claiming that Saussure, with whose ideas Hjelmslev is particularly concerned in the chapter entitled “Le système grammatical” (pp. 214-295), was dependent on Gabelentz. 4 Cf. Zwirner 1966a, pp.- 189-90; 1966b, pp.- 81, 101-03, 109, 166; 1967, pp.- 2445.46; 1968a, pp.-448, 449, 452; 1968b, p.-xiv; 1969a, pp.-31, 35 f.; 1969b, for further references. <?page no="69"?> Relationship between Gabelentz and Saussure 47 source of Saussure’s langue/ parole conception and the latter to the principle of system which inspired Saussure’s Mémoire, many years prior to the appearance of Gabelentz’s work. But neither Zwirner himself nor his pupil K. H. Rensch (cf. Zwirner & Rensch 1968, p.- 91) was willing to give consideration to objections; the latter sought to substantiate his master’s claims (cf. Koerner 1971c, pp.- 249-50) in an article which contains statements such as that Saussure’s distinction between the synchronic and the diachronic approach to language “findet sich bereits” in Gabelentz’s book of 1891 (Rensch 1966, p.-36). In this, he ignored Paul’s clear separation of ‘descriptive Grammatik’ and ‘historische Grammatik’ or ‘Sprachgeschichte’ made as early as 1880 (cf. Koerner 1972, pp.-283-90, for details), and Saussure’s own awareness, during his professorship in Paris (1881-91), of the double aspect of linguistic study, as Meillet recalled in his obituary of Saussure in 1913, three years before the first appearance of the Cours, nota bene: F. de Saussure voulait surtout bien marquer le contraste entre deux manières de considerer les faits linguistiques: l’ étude de la langue à un moment donné, et l’ étude du développement linguistique à travers le temps. (Quoted in Koerner 1972b, p.-282). While Rensch (1967, pp.- 78 f.) repeated his earlier contentions, Coseriu was preparing the most suggestive and thorough attempt to substantiate his claim that Gabelentz’s influence was comparable to the one Whitney appears to have had on Saussure (cf. CLG, pp.-18, 26, 110; CLG Engler, 87, 166-176, 1264-1267; SM, pp.-32, 43-46, 51, etc.). This can be seen from the various laudatory references to Coseriu’s article in the recent literature. While Zwirner’s frequent remarks have received little attention and Rensch’s 1966 paper has been mentioned in Szemerényi (1971, p.- 43) and criticized by Godel (1968, pp.- 116 f.), Coseriu’s article found acceptance among a considerable number of distinguished scholars. Indeed, the reader who approaches Coseriu’s article without close familiarity with the development of European linguistic thought during the last decades of the 19 th century and first-hand knowledge of the sources of the Cours (especially Godel SM and CLG Engler) cannot escape the impression that Gabelentz’s Sprachwissenschaft in fact embodies ‘Saussurean’ ideas. Coseriu himself tried to reinforce his earlier statement in his 1967-68 university lectures; thus 1891, the year of the appearance of Gabelentz’s book becomes the starting point of structuralism (cf. Coseriu 1969, p.-24). Later on (pp.-36 f.) it is alleged that Saussure’s tripartition of parole, langue, and faculté du langage corresponds exactly (“genau”) to Gabelentz’s Rede/ Einzelsprache/ Sprachvermögen distinction and that Saussure had taken over his synchrony/ diachrony dichotomy from the same linguist, whereas Hermann Paul, for instance, figures exclusively as the one who identified linguistics with his- <?page no="70"?> 48 E. F. K. Koerner torical linguistics (p. 55), as it has become fashionable in modern histories of linguistics. To be sure, not to blame for the uncritical acceptance of his views by contemporaries, such as K. Baumgärtner, reviewing the reprint of Gabelentz’s book, who expressly stated: “Man braucht auf das Buch [i. e., Gabelentz 1969] nicht einzugehen”, since Coseriu’s investigation, “die bei fachgeschichtlicher Ignoranz der Linguistik ansetzt, arbeitet akribisch, streckenweise im Paralleldruck Gabelentz-Saussure [read: the dependence of the latter on the former] heraus, wo die Quellen der strukturalistischen Dichotomien und Trichotomien zu suchen wären” (“Germanistik” 13, 1972, p.- 247). A very similar reliance on the word of a distinguished scholar can be found in Szemerényj (1971, pp.- 42 f.), in which Coseriu’s (1967, p.- 99) question whether Saussure’s reflections upon problems in general linguistics in 1894 as attested in Godel (SM, pp.- 26 f., 31 f., 37-39) had been provoked by Gabelentz’s book of 1891 becomes a statement of fact: “Es dürfte ziemlich klar sein, dass die Wende [in Saussure’s linguistic thought] in den 90 er Jahren durch das Buch von Gabelentz (siehe S.42) herbeigeführt wurde” (Szemerényi 1971, p.-39, n. 17; cf. also Godel 1971). Similarly, Ivanescu (1972, p.- 70), like Rosenkranz (1970, p.- 3) before him, states Coseriu’s article “a le mérite d’avoir vu la grande influence de G. von der Gabelentz sur F. de Saussure en ce qui concerne la distinction entre la linguistique synchronique et la linguistique diachronique”, criticizing him only for having excluded the influence of Baudouin de Courtenay and Kruszewski on Saussure, and concluding that Saussure’s distinction was the result of a “synthèse personnelle entre la conception de Baudouin de Courtenay et celle de von der Gabelentz” (p. 72). The epitome of this attitude towards Coseriu’s ‘findings’ appears to me Christmann’s (1971, p.-245) statement: “Auf Grund von Coserius Demonstration kann man Gabelentz’ Buch mit Fug und Recht [! ] als die wichtigste [! ] Quelle für Saussures Cours ansehen”. Indeed, Christmann feels that he could add to the various ‘parallels’ that Coseriu had suggested with regard to the relation between Gabelentz and Saussure (pp.-246-52). I shall return to his contentions later. Suffice it to note here that Christmann (p. 245, n. 15) argues ad auctoritatem and dismisses Godel’s Sources manuscrites and Engler’s critical edition of the Cours, for instance, as not furnishing any material to warrant a change of position. However, it is gratifying to see that at least one scholar does not concur in the thesis of Gabelentz’s direct and indeed substantial influence on Saussure’s linguistic argument. Hiersche (1972, pp.- 21-24], reviewing the proposals of Zwirner, Rensch, and Coseriu, puts forward at least two important criticisms of their procedures, namely, exclusive reliance on the Cours as compiled by- Bally and Sechehaye and preoccupation with (not always very reliable) <?page no="71"?> Relationship between Gabelentz and Saussure 49 external chronology of an alleged dependence of Saussure and Gabelentz instead of an attempt of investigating “die innere Geschichte der Begriffsbildung” of their respective concepts (p. 23). Instead Hiersche believes he has convincingly demonstrated that the important source of Saussure’s linguistic inspiration, in particular where the Iangue/ parole distinction is concerned, is to be found in Durkheim’s sociological work, a position which does not convince me fully either (cf. Koerner 1971b, pp.- 45-60, 67-69, 226 f., with a certain reservation at p.-379). 2. It appears to me that none of the above-mentioned scholars has convincingly demonstrated his ability to conduct unbiased research in the field of our linguistic past. A number of reasons, it would seem, account for this deplorable state. Above all, the impression prevails that linguists who have distinguished themselves in general linguistic work believe that they are equally capable of writing the history of linguistics, without any additional training and preparation, an assumption which is reinforced by others who blindly accept their findings as matter-of-fact statements and do not feel it necessary to investigate the basis of the assertions made. As a result, the claims put forward by Zwirner, Rensch, and Coseriu have been accepted almost universally in the literature and entered into the so-called histories of linguistics (e. g., Szemerényi 1971; Leroy 1971). In other words, one of the major inadequacies or, rather, reasons for inadequacies and indeed distortions in the writing of the history of linguistic thinking appears to be the belief in authority coupled with intellectual laziness, in particular when the claims put forward by others happen to coincide with one’s own prejudices. As long as primary sources are either not read at all or, if read, not read sine ira et studio, there will be no history of linguistics but pseudo-academic gossip, not even chronicle. I criticized Coseriu on three points (cf. Koerner 1971a, pp.-158 f.), and shall expatiate on them here as they appear to have not been understood fully at the time (cf. Narr & Petersen 1972). First, Coseriu as well as all other scholars mentioned above have taken Gabelentz out of his historical context, the general intellectual climate in which Gabelentz developed his ideas. This would not only include an assessment of the ideas, both linguistic and extralinguistic, current in the 1880s and 1890s in Western Central Europe but also the establishment of Gabelentz’s particular background, including his family tradition and education. Here, and the attentive reader of Gabelentz’s Sprachwissenschaft cannot overlook this impression, important differences between Gabelentz and Saussure can be detected which might well explain the simple, but very significant fact (generally brushed aside by those who claim Saussure’s dependence on Gabe- <?page no="72"?> 50 E. F. K. Koerner lentz), that Saussure in fact owned a copy of the first edition of Gabelentz’s book (cf. Godel 1968, p.-117) but never made any reference to the book, either in his lectures on general linguistics or his personal notes, many of which have been discovered in recent years. It would seem to me that this established fact should at least have cautioned those who are quick to assume that Saussure was particularly inspired by Gabelentz’s ideas. Furthermore, it is odd that Coseriu (1967, p.- 100) simply referred to Whitney (whom Saussure praised on several occasions), stating that his importance for Saussure was a well-established fact, although it was only recently that two articles to this effect appeared (see Popa-Tomescu 1970; Sljusareva 1972); Paul is not mentioned in the articles of Zwirner, Rensch, Coseriu, Christmann, Ivănescu, and others, for that matter, although Saussure mentioned him explicitly both in his lectures (cf. CLG Engler, 90) and personal notes (cf. SM, p.-51; cf. also p.-30). Second, and this observation pertains to procedural principles in the investigation of linguistic theories and their relationships, Coseriu and others have not attempted, with reference to point one above, to elucidate Gabelentz’s linguistic ideas in the light of his general background and his own frame of reference but have been misled by superficial similarities to equate or at least approach Gabelentz’s terms with those of Saussure. Thus the simple fact that Saussure (CLG, p.- 31) stated that “Rede correspond à peu près a “parole” ” was taken by defenders of Coseriu’s claims (Narr & Petersen 1972, p.-461) as a strong argument in favour of Gabelentz’s impact on Saussure. Yet they should have been warned by the full statement in the Cours, which follows the sources closely (cf. CLG Engler 249), which reads (p. 31): […] les distinctions établies [between langue and parole] n’ont […] rien à redouter de certains termes ambigus qui ne se recouvrent pas d’une langue à l’autre. Ainsi en allemand Sprache veut dire ‘ langue’ et ‘ langage’; Rede correspond à peu près à ‘parole’, mais y ajoute le sens spécial de ‘ discours’. This obviously ambivalent semantics of Rede did not result in a more careful investigation of the relationship between Gabelentz’s concept of ‘Rede’ and Saussure’s particular use of ‘langue’. On the contrary, once the assumption had been made that Gabelentz’s and Saussure’s terms were very close with respect to their meaning and theoretical implication, it was all too easy to establish other ‘correspondences’ based largely on the previously established Vorverständnis according to which Rede and parole, Einzelsprache (as well as Sprache) and langue are epistemologically identical. From there, one may go on to the only logical conclusion that Saussure’s conscience collective (cf. CLG Engler, 1661) “corresponds” to Gabelentz’s Volksgeist (cf. Gabelentz 1969, p.- 385), if we are to believe Coseriu (1967, p.- 87), or that Gabelentz’s <?page no="73"?> Relationship between Gabelentz and Saussure 51 reference to “aufeinanderfolgende Tatsachen” (cf. Gabelentz 1969, p.- 61) “corresponds” to Saussure’s termes successifs (cf. CLG Engler, 1451), although Coseriu ought to have noticed that Gabelentz made a commonplace observation, whereas Saussure was talking about matters of theoretical consequence. Similar observations could be made of the rest of the alleged correspondences between Gabelentz’s and Saussure’s theories (if the term ‘theory’ is properly applied in the case of Gabelentz’s insightful yet unsystematic adumbrations; cf. Coseriu 1967, p.-91); one of these will be the subject of the concluding section of this note. Last but not least, neither Coseriu nor any other scholar for that matter did ask himself why most of the theoretically significant statements in Gabelentz’s Sprachwissenschaft were added by Albrecht Conon Graf von der Schulenburg (1865-1902), a nephew of Georg von der Gabelentz (1840-93), to the second edition of 1901 “where the progress of science required it”, as Schulenburg put it in his preface (cf. Gabelentz 1969, p.- vii). 5 In other words, Gabelentz’s ideas have been taken out of their historical (as well as their immediate) context, as if Paul’s Prinzipien of 1880 (2 nd ed., 1886) and Philipp Wegener’s Untersuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens of 1885, for example, had not appeared several years before Gabelentz’s Sprachwissenschaft. Moreover, where Saussure’s ideas are concerned, neither of the above-mentioned scholars made the effort to establish which of the passages in the Cours are based on his lectures or personal notes and which were added by the editors nor what general intellectual tradition he followed, a tradition, to be sure, which was quite distinct from Gabelentz’s as I shall indicate in what follows. 3. Recently, K. Müllner gave a striking example of what uncritical reliance on secondary and tertiary sources can lead to when, evidently following a reference made by the editors in their preface to the 1969 reprint of Gabelentz’s book as well as Coseriu’s suggestions, he stated concerning Saussure’s langue/ parole distinction: Diese Unterscheidung wurde von Ferdinand de Saussure […] vulgarisiert [! ], erschien aber schon früher bei F. Hegel [! ] und Wilhelm von Humboldt [! ], in der Sprachwissenschaft (“Linguistik und Didaktik” 5, 1971, p.-[81]). It is true that Hegel made, in his Encyclopädie of 1817, a passing reference to “die Rede, und ihr System, die Sprache” (cf. Koerner 1971b, p.- 226) which, 5 Because of the change in layout and size, the user might not notice that Schulenburg added about the equivalent of 80 printed pages (taking the first edition as a basis), altering hardly anything of the original and barely omitting a line or more of the original (cf. Koerner 1971b, p.-192 note 11, for details). <?page no="74"?> 52 E. F. K. Koerner when quoted out of context (in Gabelentz 1969, p.-[3]), may sound very suggestive. As concerns Humboldt and his alleged anticipation of Saussure’s distinction (as well as other concepts), a few remarks are in order, especially since not only Coseriu (1967, p.- 100) put forward this idea but others, in particular Christmann (1971), has placed Saussure within the Humboldtian tradition, something which I find utterly misleading. Coseriu (1969, p.- 98) complained that Saussure has generally been regarded as the beginning of structural linguistics but that his sources are omitted. Neither contention is tenable. The Praguean phonologists referred to Winteler, Baudouin de Courtenay, and others as having put forward structural ideas, and similar observations were made by Hjelmslev in his Prolegomena. With regard to the sources of Saussure’s linguistic inspiration, a host of 19 th -century scholars has been suggested during the past sixty years or so, a number without any justification. To these belong the whole group of what I have loosely termed the ‘Humboldtian trend’ (cf. Koerner 1973), including Humboldt himself, Steinthal, Misteli, Gabelentz, Finck, and many others. The fact appears strange only to those who approach the question of Saussure’s sources with preconceived ideas and who do not find it necessary to consult either Godel’s masterly book of 1957 (SM) or Engler’s critical edition of the Cours. As a matter of fact, while Gabelentz makes mention of Lucien Adam (1833-1918), Curt Bruchmann (1851-1928), James Byrne (1820-97), Hans Conon von der Gabelentz (1807-74), Raoul de La Grasserie (1839-1914), Franz Misteli (1841-1903), Heymann Steinthal (1823-99), and Friedrich Techmer (1840-91), all of whom associated themselves with Humboldtian ideas of language (and mind), none of these scholars is mentioned in Saussure’s published or still unpublished work. Indeed, Humboldt himself is mentioned once in Saussure’s lectures (cf. CLG Engler, 19), and the only full statement which Saussure made on Humboldt appears to be the following (which his pupil Louis Caille [1884-1962] jotted down in shorthand in 1907 and which Engler has been kind enough to furnish me in longhand): C’est presque à ce point de vue ethnolinguistique que G. de Humboldt se place dans ses idées philosophiques sur la structure des langues du globe. Le fond de ses travaux a pour but d’ établir les rapports de la linguistique avec la logique. Mais l’ impulsion a été donnée par ses études ethnologiques. (Quoted in Koerner 1971b, p.-173, n. 18) In other words, Humboldt was for Saussure a scholar of considerably different intentions and interests than he himself and, as a consequence, of no particular appeal. Small wonder that the term ‘ethnolinguistique’ does not appear in the index of terms of the Cours (cf. CLG, pp.-319-26) and that anthropological aspects of language receive little if any attention in the 300-page volume (cf. <?page no="75"?> Relationship between Gabelentz and Saussure 53 CLG, pp.- 304-06), part of which was added by the editors (cf. CLG Engler, 3182, 3184 s.). Yet we are told by a scholar of distinction that there exists “eine Filiation Humblodt-Gabelentz-Saussure, und sie umfasst nicht nur einzelne Gedanken, sondern entscheidende Züge” (Christmann 1971, p.-246). Lohmann’s well-informed paper (1967), Über das Verhältnis der Sprachtheorien von Humboldt, de Saussure und Trubetzkoy, in which the author demonstrates that there could hardly be a greater difference between Humboldt’s theories and those of Saussure, is relegated to a footnote as a curious counterexample in the midst of references to studies by Coseriu (cf. Christmann 1971, p.-252, n. 52), who, as anyone familiar with his work knows, has always tended to fuse Humboldtian and Saussurean linguistic ideas, an observation which can be made of many scholars whose first interest was with Humboldt and who later took interest in the Cours (e. g., Karl Bühler’s work) 6 . Since it appears that the burden of the argument lies on the question whether Saussure’s concepts of langue and parole constitutes in fact an adhésion humboldtienne as particularly obvious in Gabelentz’s Sprachwissenschaft (cf. Reichling 1948, p.-13, n. 19), I shall devote a few considerations to this issue in the remainder of this paper. In this 1966 article H. Mueller made it clear once for all that there are no correspondences between Saussure’s concepts of langue, langage, or parole and Humboldt’s understanding of language as energeia (Mueller 1966, pp.-99-102); it is gratifying to see that Christmann (1971, p.-247) agrees with this view, although he would like to suggest similarities between Humboldt’s usage of Sprache, Sprechen, and Rede, ideas which he convincingly finds more clearly defined in Gabelentz’s book but not in Saussure’s Cours; apparently because he did not find a suitable quotation to prove this thesis, he prefers not to quote from the Cours, but claims instead that Saussure belongs, with Gabelentz, to the Humboldtian trend in linguistics. In contrast to Narr and Petersen (1972), Christmann (1971, pp.-252 f.) stresses Gabelentz’s indebtedness to Humboldt, which is very conspicuous indeed in Sprachwis- 6 Christmann casts serious doubt on his acquaintance with 19th-century Indo-European linguistics when he uncritically accepts Vilém Mathesius’s distinction between the following two currents: a historical one associated with Bopp [! ] and a ‘static’ one associated with Humboldt [! ] (Christmann 1971, p.- 253, n. 56). In fact, despite their ideological differences, the personal and scholarly ties between the two were very close (cf. Mueller 1966, p.- 98, for a relevant quotation); moreover, to characterize Humboldt’s theory as “statisch” is a serious misinterpretation indeed, especially since it was Humboldt who stated often and again that language was not an ergon but energeia. But since Christmann wishes the reader to believe that Saussure’s concept of synchrony (which Saussure has frequently described as static) owes particular insights to Humboldt or Gabelentz (cf. Christmann 1971, pp.-245 ff.), such a label must have been very suggestive indeed. <?page no="76"?> 54 E. F. K. Koerner senschaft, though certain passages (cf. Gabelentz 1969, pp.- 327-34) were added to the second edition of 1901 by Schulenburg. I have cited sufficient external evidence, I believe, for my view that Saussure was by no means associated with the Humboldtian linguistic tradition which in fact has been much stronger in the 19 th and in the 20 th century than has commonly been recognized (cf. Koerner 1973b). I shall now venture to investigate the implications of a few of Gabelentz’s theorizing with respect to Saussure’s concepts of langue and parole. Coseriu (1967, pp.-76 ff.) devoted considerable space to this aspect of Gabelentz’s theorizing, he succinctly established that Sprache was used by Gabelentz as an overall term embracing three facts, namely, Rede as a concrete phenomenon, Einzelsprache, the language belonging to a particular community permitting the individual to make himself understood, and, finally, Sprachvermögen, language as a human faculty (cf. Gabelentz 1969, pp.- 2 ff.). If Rede, Einzelsprache, and Sprachvermögen constitute technical terms in Gabelentz’s argument, one is rather safe in concluding that Sprache is not a technical term, although Gabelentz (1969, p.-3; cf. also p.-81) defines it as “der gegliederte Ausdruck des Gedankens durch Laute”. Furthermore, and this is obvious from Gabelentz’s book as a whole, the commonplace statements regarding language as a system (cf. Gabelentz 1969, pp.-9, 63, 385, and those added by Schulenburg in 1901, at pp.-76 and 481) remain without theoretical consequence for the argument as a whole, whereas it is surely the concept of language as a system, more correctly, as a system of mutually interrelated terms (i. e., values) which is the essence of Saussure’s theory of language (cf. Koerner 1971b, pp 180 ff., for expatiation). Although Saussure recognizes the faculty of speech as a prerequisite for language (cf. CLG, pp.-29 f.), he did not regard it an object for the linguist to investigate (CLG, p.-25); Gabelentz (1969, pp.-10 f., 302 ff.), however, argued that Sprachvermögen constitutes the proper field of general linguistic inquiry, probably because it underlies all individual languages (cf. ibid., pp.-12, 58). Wilhelm Grube (1855-1908), a Sinologist like Gabelentz and a contemporary of his, wrote a fairly detailed bibliographical account of Gabelentz which Christmann (1971, p.- 252, n. 54) lists in a footnote. Grube (and Gabelentz himself had hinted at it in the preface to the first edition [cf. Gabelentz 1969, p.-v]) pointed out that Gabelentz’s book was the result of many years of teaching and reflection, and that the chapters did not appear in the book in the order of their composition, resulting in unevenness of presentation. 7 This 7 See W. Grube, in Allgemeine Deutsche Biographie 50, pp.- 548-55, at pp.- 253 f. (Berlin, 1905). <?page no="77"?> Relationship between Gabelentz and Saussure 55 fact may well account for the vacillations (not to say contradictions) that the attentive reader of Sprachwissenschaft can discover almost anywhere in the book, quite contrary to the impression of rigour and argument which the uninitiated reader may receive from Coseriu’s suggestive article of 1967. I referred earlier to Gabelentz’s threefold division of Sprache. Once Sprache is defined as a “Verständigungsmittel, Mittel des Gedankenverkehrs” (Gabelentz 1969, p.-55); in its conception as Einzelsprache it is Rede, once expressed by the individual (p. 58). Schulenburg then inserted, in an attempt to clarify Gabelentz’s views, that the expressive side of language, i. e., Rede, is the object of einzelsprachliche Forschung (p. 59), quite in contrast to Saussure who, first of all, was obviously not interested in the individual’s linguistic output but in langue as the underlying system, i. e., the socially-motivated linguistic code. Moreover, no convincing parallel can be drawn between Saussure’s concept of synchrony and Gabelentz’s einzelsprachliche Forschung, since synchronic linguistics is concerned with langue, not parole, and with language in general not with a particular one, whereas in Gabelentz’s understanding (cf. Gabelentz 1969, pp.- 302 ff.), general linguistics is to explore the human faculty of speech as such, a programme which sounds much more Chomskyan (and not accidentally, I may add) than Saussurean. Gabelentz’s Sprachwissenschaft contains a number of those ideas of consequence, as can be seen from the work of Franz Nikolaus Finck (1867-1910), Heinrich Winkler (1848-1930), Ernst Lewy (1881-1966), and it appears that many of them deserve reassessment in their own right. There is, however, little reason to regard Saussure as a member of either the Humboldtian trend in linguistics in general-− a trend which is characterized by particular interest in non-Indo-European languages, linguistic typology, questions pertaining to language and mind, especially those concerned with “innere Sprachform”- - or with Gabelentz’s ideas in particular. If there are superficial similarities, they are perhaps the result of the general climate of opinion but not of a direct influence. It is not necessary to assume that Saussure was a “selbständiger Entdecker” (cf. Gabelentz 1969, p.-v) of any of the proposals embodied in his Cours de linguistique générale in order to recognize his theory as having led to a revolution in linguistics. In fact, I find the following statement made more than 35 years ago singularly appropriate to conclude the present note: Saussure’s ideas are to be met with in the writings of a number of other scholars, particular in those of Bréal, Henry, and [Arsène] Darmesteter, and, as all of these were his seniors, one might be tempted to speak of Saussure as their debtor. But, as a similar kinship is to be detected between certain of Saussure’s doctrines and the teachings of the neo-grammarians, it is therefore appropriate to consider him as having focused a number of ideas which were <?page no="78"?> 56 E. F. K. Koerner taking shape in the linguistic world, and which were, in a sense, common property. His originality, which is indisputable, would thus consist of having evolved a complete and coherent system, all his own, irrespective of any particular ingredient. (Iordan & Orr 1937, p.-294, n. 1). References Christmann, Hans Helmut, 1971: Saussure und die Tradition der Sprachwissenschaft, in “ASNS” 208, 1972, pp.-241-55. Coseriu, Eugenio, 1967: Georg von der Gabelentz et la linguistique synchronique, in “Word” 23, 1969, pp.-74-100. (Slightly modified version also in Gabelentz 1969, pp.-[5]-[40]). -, 1969: Einführung in die Strukturelle Linguistik, comp. from lectures held at Tübingen (1967-68) by Gunter Narr and Rudolf Windisch, Tübingen, Roman. Seminar der Univ. Gabelentz, Georg von der, 1969: Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, repr. of 1901-edition, together with a preface by Gunter Narr and Uwe Petersen, and an article by E. Coseriu [cf. 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Der überhaupt erste Sammelband, der den deutschen Abtönungspartikeln gewidmet war, aus dem Jahre 1977 enthielt neben neuen Beiträgen zwei bereits vorliegende Texte, die jedoch einer linguistischen Öffentlichkeit fast unbekannt waren: die auf Japanisch geschriebenen Analysen von Tsugio Sekiguchi zu der deutschen Partikel doch (der Sekiguchi-Schüler Kennosuke Ezawa hatte sie gefunden, übersetzt und vorbereitet) und die Textpassagen, die Georg von der Gabelentz in seinem Buch Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse den deutschen Partikeln gewidmet hatte. Georg von der Gabelentz war zu der Zeit-− Mitte der Siebziger Jahre des 20.- Jahrhunderts- − der wissenschaftlichen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Es würde mich erstaunen, wenn es überhaupt Zeitgenossen gab, die seine Sprachwissenschaft gelesen hatten. Eugenio Coseriu nahm Georg von der Gabelentz zu dieser Zeit zur Kenntnis und wies mich auf diese bemerkenswerten Passagen hin. * Weydt, Harald (1977), „Georg v. d. Gabelentz. Zu den deutschen Abtönungspartikeln. Kommentiert von Harald Weydt (Berlin)“. In: Ders. (Hrsg.) (1977), Aspekte der Modalpartikeln-− Studien zur deutschen Abtönung, Tübingen: Niemeyer, 10-16. <?page no="82"?> 60 Harald Weydt Jetzt, wo die Schriften von Georg von der Gabelentz wieder in neuen Drucken vorliegen und das Interesse an der Geschichte der Sprachwissenschaft-− und auch an vergangenen Epochen des Sprachdenkens-− neu belebt ist, verdienen seine Bemerkungen zu den Abtönungspartikeln eine erneute Beachtung.-− Hier erfolgt der Wiederabdruck, nahezu unverändert. 1.0- Ein Sammelband, der den Stand der Forschung zu den deutschen Abtönungspartikeln darstellen will, sollte die bemerkenswerten Einsichten nicht übersehen, die bereits im 19. Jahrhundert Georg von der Gabelentz 1 gewann und formulierte. Als ich von E. Coseriu auf Gabelentz’ Bemerkungen zu den deutschen Partikeln aufmerksam gemacht wurde, war das Manuskript zu meinem Buch über Abtönungspartikeln 2 bereits abgeschlossen. Es ging mir dann so, wie es von der Gabelentz in der Vorrede zu der ersten Auflage seines Buches schrieb: „Manches, was ich für mein Eigenstes halte, mag sich schon längst in den Werken Anderer vorfinden“, und auch die auf der gleichen Seite etwas weiter oben stehende Bemerkung fand ich bestätigt: „In der Geschichte der Wissenschaft kommt es wohl vor, dass Einer so nebenher einen wichtigen, folgenreichen Gedanken ausspricht, den erst viel später ein Anderer ausbeutet. Und dieser Andere kann ebensogut selbständiger Entdecker, als von Jenem angeregt gewesen sein.“ In der Tat hat von der Gabelentz wichtige Gedanken zu den deutschen Partikeln „so nebenher“ ausgesprochen, fast beiläufig und als Illustration für seine allgemein linguistischen Thesen. Zwei der Stellen, an denen er sich mit den Partikeln beschäftigt, sollen im folgenden noch einmal vorgestellt werden. 2.1-Zunächst ein Stück aus dem IV. Kapitel des Vierten Buches; es ist der Beginn eines Unterkapitels über „Die Subjectivität“. Von der Gabelentz verweist dort auf die Funktion der Partikeln bei der intersubjectiven Einflußnahme und trennt den objektiven Sachverhalt, der im Satz zum Ausdruck gebracht wird, 1 Gabelentz, Georg von der (1969), Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. Leipzig 1891. 1969 unveränderter Neudruck der 2. Auflage. Tübingen: Narr. 2 Weydt, Harald (1969), Abtönungspartikel. Die deutschen Modalwörter und ihre französischen Entsprechungen. Bad Homburg usw.: Gehlen.-− Das Manuskript wurde schon im Herbst 1966 abgeschlossen. <?page no="83"?> Gabelentz--Zu den deutschen Abtönungspartikeln 61 von der das Gemüt betreffenden, „gemüthlich-geselligen“ Bedeutung. Weit davon entfernt, diese „Redensarten, die nicht zur Sache gehören“, normativ abzulehnen, erkennt er ihnen eine positive soziale Funktion zu. Und schließlich lassen seine Äußerungen erkennen, daß er die Verwendung von Partikeln und ähnlichen sprachlichen Mitteln als ein Charakteristikum des Deutschen auffaßt. Das Deutsche habe nicht nur die Möglichkeit, derlei seelische Regungen zum Ausdruck zu bringen; dies geschehe im Deutschen auch mit auffallender Häufigkeit. 2.2 II. Die Subjectivität. a. Psychologische Modalität. Wenn ich den Befehl in verschiedene Formen kleide: „Gieb es mir! Du wirst es mir geben! Du giebst es mir! “ - wenn ich ihn fast zur Bitte abmildere: „Gieb es mir einmal! Gieb es mir nur! Gieb es mir doch! “ - wenn ich Wunsch und Bitte auf mannigfache Weise ausdrücke: „Möchtest Du es mir geben! Bitte, gieb es mir! Ach, gieb es mir! Donnezle-moi, s’il vous plaiît! Würdest du es mir wohl geben? “ - wenn ich den Fragesatz jetzt kahl und kalt stelle: „Warst du dort? “ - jetzt mit allerlei Hülfswörtern „denn, auch, nur, eigentlich“ auspolstere; - wenn ich in die mittheilende Rede allerhand Wörter und Wörtchen einflicke, die mit dem Gegenstande der Rede nichts zu schaffen haben: „Sieh, das war dir nun wirklich eine missliche Sache; und, offen gestanden, lag eigentlich ein Theil der Schuld an mir“, - kurz, wenn ich dem, was ich sage, allerhand Redensarten beimenge, die nicht zur Sache gehören: so wird der Grund hiervon nicht unmittelbar in der Sache, im Gegenstande der Rede, sondern in einem seelischen Bedürfnisse meiner, des Redenden, zu suchen sein. Dieses Bedürfniss ist gemüthlich geselliger Art, im Gegensatz zu jenem, welches ich das sachlich geschäftliche nannte: der Redende will sich zum Hörenden in seelischen Verkehr setzen, will, um auch dies Wort zu wiederholen, nicht nur etwas, sondern sich selbst aussprechen, nicht nur eine Thatsache, ein Urtheil, einen Wunsch oder Willen, sondern sein eigenes seelisches Befinden dabei dem Anderen mittheilen. Die Neigung, dies zu thun, nenne ich Mittheilsamkeit, und sie kann nur da gedeihen, wo sie Anklang findet, das heisst, wo sie national ist. Sie ist sehr verschieden, von der Gesprächigkeit und ihren schlimmeren Formen, der Geschwätzigkeit und Klatschsucht. Nur der Neugierige ist gesprächig und nährt die Gesprächigkeit des Anderen. Nur der Empfindsame ist mittheilsam und ermuthigt den Anderen zu entsprechenden Ergüssen seines Innersten. […] <?page no="84"?> 62 Harald Weydt Wir haben es hier mit einer echt nationalen, zuweilen provinzialen Eigenheit der Sprache zu thun, mit einer der bezeichnendsten, die ich kenne. Nicht das allein ist wichtig, in welcher Stärke und in welcher Form sich die Mittheilung äussert, sondern auch, welches ihr Lieblingsgegenstand ist, ob der Nebengedanke des Redners, seine halbverhüllte Meinung, Zweifel, Vermuthung, Gewissheit,-− oder seine Nebenempfindung, und ob diese mehr der Sache oder mehr dem Angeredeten gilt. Alles das mag nun wieder verschiedentlich ineinander greifen: aus Achtung spricht man in zögernd vermuthendem Tone, die Muthmassung ist mit Hoffnung oder Besorgniss vermählt u. s. w. Immer jedoch wird es der aufmerksame Beobachter entdecken können, wenn eine oder die andere Richtung erheblich bevorzugt ist. Und weiter fragt es sich nicht nur, welcherlei seelische Regungen zum Ausdrucke gebracht werden können, sondern auch, wie oft oder selten sie in der Rede hervorbrechen. Man sieht: hier handelt es sich recht eigentlich um den nationalen Redestil, der dem Leben abgelauscht werden will, um eine Art Statistik.“ (Gabelentz (1969): 472 f.) 3. Die zweite, noch wichtigere Stelle, die hier vorgestellt werden soll, stammt aus den Erörterungen über die synthetische Grammatik. 3.1 Von der Gabelentz unterscheidet zwei Typen von Grammatiken, entsprechend den beiden Richtungen, in denen man Grammatiken schreiben kann: a)- vom fertigen Satz, der gegebenen grammatischen Erscheinung, ausgehend und zu den einzelnen Teilen kommend: das analytische System; dies entspricht der Perspektive des Hörers; b) das synthetische System, das der Redner-Perspektive entspricht: der Redende, und, entsprechend, der Grammatiker, der seine Grammatik in dieser Richtung erstellt, geht von einem auszudrückenden Gedanken aus, dessen sprachlichen Ausdruck er aus den in der entsprechenden Einzelsprache bereitgestellten Elementen zusammensetzen muß. 3.2 Um die Fragestellung der synthetischen Grammatik zu illustrieren, führt von der Gabelentz Beispiele aus mehreren Bereichen des Darzustellenden an, darunter auch folgende Analyse: Als psychologisch im engeren Sinne möchte ich diejenigen grammatischen Formenmittel bezeichnen, in denen sich das seelische Verhältniss des Redenden zur Rede oder seine Absicht, auf den Angeredeten einzuwirken, kundgiebt. Entschiedenheit oder Unsicherheit des Ausspruches, Erstaunen, Freude, Schmerz oder Furcht und allerhand Neben- und Hintergedanken, die wir auf Augenblicke hinter den Coulissen hervorlugen lassen: sie alle, wenn <?page no="85"?> Gabelentz--Zu den deutschen Abtönungspartikeln 63 sie an der grammatischen Formung der Rede Theil haben, sind psychologische Modalitäten der ersteren Art. Hier sprechen wir recht eigentlich uns selbst aus, hauchen dem objectiven Inhalte der Rede etwas von unserer Seele mit ein. Frage, Bitte, Befehl, Drohung dagegen gehören zur zweiten Art. Hier versetzen wir uns in die Seele des Anderen und bemessen den Ausdruck nach dem beabsichtigten Eindrucke. Rhetorisch ist Beides. Jene Ausströmungen der eigenen Seele sind es vielleicht ungewollt, aber dafür sind sie um so eindrucksvoller, und manche Sprachen, wie die altgriechische und die deutsche, gestatten ihnen einen weiten Spielraum. Wie zart ihre Mittel sein können, dafür ein Beispiel. Der Leser höre den A zum B sagen: „Hast Du es auch gelesen? “ Und dann höre er den C zum D sagen: „Hast Du es nur gelesen? “ Beide Fragen geschahen genau in der gleichen Betonung, der Ton fiel auf g- e- l- e- s- e- n. A und C wollen also wissen, ob B beziehungsweise D ein Buch oder sonstiges Schriftstück wirklich gelesen haben. Wäre es ihnen um das völlige Durchlesen zu thun gewesen, so hätten sie den Ton auf h- a- s-t gelegt. Hätte A das Wort a-u-c-h betont, so wäre der Sinn ähnlich gewesen, wie wenn er gefragt hätte: „Hast auch D- u es gelesen? “ Das heisst, er hätte an andere Leser gedacht. Hätte C das Wort n-u-r betont, so hätte er daran gedacht, dass D wohl auch eine Abschrift entnommen oder Dritten Mitteilung gemacht haben könnte. Wie gesagt, nichts von Alledem. Und doch besagen die beiden Wörtchen jedem Verständigen, dass A bei seiner Frage einen ganz anderen Nebengedanken gehegt habe, als C. A hatte nämlich erwartet, dass B das Buch lesen sollte; vielleicht hatte er es ihm geliehen oder empfohlen. Und hätte B das Buch nicht gelesen, so hatte A den Vorwurf in Bereitschaft: Was hat mir nun das Ausleihen oder Empfehlen genützt? C dagegen hatte nicht erwartet, dass D das Buch gelesen habe. Nun gewinnt er den Eindruck, als müsse das doch der Fall sein, und ist natürlich überrascht. Antwortet nun D verneinend, so darf auch C mit einem Vorwurfe erwidern. Der lautet aber: Warum stellst Du Dich denn so und versetzest mich in lrrthum? Ich habe die Erklärung dieses Beispieles sehr breit ausgesponnen. Solche Dinge sind aber auch oft fein wie Spinneweben und so durchsichtig, dass man sie selbst kaum sieht. Gewiss kann der Sprachforscher seine Sinne gar nicht genug auf solche Beobachtungen schärfen, und insofern entwächst er sein Lebtag nicht der Schule der classischen Philologen, die hierin die wahrhaft classische ist. (Gabelentz (1969): 95 f.) 3.3 Diese Analyse ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert; sie nimmt-− das ist bei aller Kürze ersichtlich-− Ergebnisse künftiger Forschung voraus, und sie zeigt in deren Darstellung Merkmale von Entdeckungs- und Beschreibungsverfahren, die sich erst später durchsetzen. So sieht von der Gabelentz klar, daß <?page no="86"?> 64 Harald Weydt das Deutsche bei einem Merkmal, das er zu den charakteristischsten zählt (siehe obiges Zitat), mit dem Altgriechischen eine auffallende Ähnlichkeit aufweist. Weiter geht er nicht, er zieht auch keine Folgerungen aus den getrennt stehenden Bemerkungen. Sodann kennzeichnet er die abtönende Funktion der Partikeln, ihre Funktion auf der „Intentionsebene“ (Weydt (1969): 61 ff.), als eine Kundgabe seelischer Einstellung des Redenden zur Rede oder als Mittel einer Absicht „auf den Angeredeten einzuwirken“. 3.4 An der Analyse von auch und nur sollen vier Punkte hervorgehoben werden. 3.4.1 Von der Gabelentz weist ausdrücklich auf die Rolle der Satzintonation hin; er gibt genau an, wo der Akzent liegen muß, damit der Leser die gemeinte mündliche Äußerung überhaupt identifizieren kann. Er beschreibt auch, in welcher Weise die Sätze anders verstanden werden müßten, wenn die Partikeln betont wären. 3.4.2 Zweitens löst von der Gabelentz das Problem, abtönende Bedeutungen auszudrücken, mit einer später noch oft angewandten Methode: er stellt die Bedeutung der Partikeln und des Satzes, im dem sie stehen, an den möglichen Kontexten dieses Satzes dar. Dazu konstruiert er einen charakteristischen Dialog, in dem der betreffende Satz vorkommen kann, und kennzeichnet die Erwartungen und Hintergrundsannahmen des Sprechers durch mögliche vorhergehende oder folgende Dialogteile. 3.4.3 Drittens ist sein Vorgehen strukturell-oppositiv. Eine große Schwierigkeit bei der semantischen Analyse einer Partikel wie auch in Hast Du das auch gelesen? besteht darin, festzustellen, welche Merkmale der Redesituationen, in denen der Satz gesagt werden kann, dem Auftauchen von auch in dem Satz zuzuschreiben sind. Hier bedient sich von der Gabelentz intuitiv der Opposition als heuristischen Verfahrens. Er bildet ein Minimalpaar: die verglichenen Sätze sind- − bis auf die betreffenden Partikeln- − gleich; auch der Satzakzent liegt auf der gleichen Stelle. Unterschiede, die nun auftreten, müssen auf unterschiedliche Funktionen der Partikeln zurückgehen. Dieses Verfahren ist genau das funktionell-strukturelle Verfahren der Kommutation, wie es z. B. in der Phonologie angewandt wird, um festzustellen, ob ein funktioneller Unterschied zwischen zwei Lauten besteht: man ersetzt auf einer der Ebenen (Inhalts- oder Ausdrucksebene) in ansonsten identischen Kontexten ein Element des Minimalpaares durch das andere und beobachtet, ob diese Ersetzung eine Änderung <?page no="87"?> Gabelentz--Zu den deutschen Abtönungspartikeln 65 auf der anderen Ebene bewirken kann. Ist das der Fall, so ist der Unterschied distinktiv. Auf diese Weise läßt sich nicht nur bestimmen, daß eine distinktive semantische Opposition vorliegt, sondern man hat auch einen Teil der Bedeutung bereits festgestellt. So ergibt das Beispiel von von der Gabelentz, daß A eine positive Erwartung zum Frageinhalt hatte, C in seiner Frage dagegen eine negative. 3.4.4 Äußerst interessant ist, viertens, der Inhalt der Partikelanalysen selbst. Für den heutigen Sprecher des Deutschen ist die Beschreibung von auch zutreffend. Ich selbst bin in meinem Buch-− unabhängig von von der Gabelentz-− zu ähnlichen Ergebnissen gekommen 3 . Dagegen läßt sich der zweite Teil, die Aussage über nur, heute gar nicht mehr nachvollziehen. Die Verständnislosigkeit beginnt damit, daß der Satz Hast Du es nur gelesen? mit betontem gelesen und unbetontem nur im heutigen Deutsch kaum möglich ist. Und auch, wenn man sich darüber hinwegsetzt, daß er nicht korrekt ist, so ist der semantische Gehalt, den von der Gabelentz vorschlägt, für den heutigen Sprecher nicht mehr erkennbar; er läßt sich mit der heutigen Bedeutung (den heutigen Redebedeutungen) von nur nicht mehr in Einklang bringen. Nun hat aber von der Gabelentz in seiner Studie eine recht anschauliche Beschreibung gegeben, wie der Satz mit nur seinerzeit verstanden wurde. Die Kontexte und die abtönende Bedeutung sind so genau charakterisiert, daß man die interessante Frage stellen kann, ob es im heutigen Deutsch eine Partikel gibt, die genau die von von der Gabelentz bezeichnete Funktion erfüllen würde. Dies scheint der Fall zu sein. Ob die Partikel, die heute genau anstelle von nur in der Rede des C stehen würde, wirklich alle Nuancen von nur hat, kann allerdings nicht entschieden werden, da nur eine Verwendung gekennzeichnet wurde. Aber es ist erkennbar, daß in diesem Satz Hast Du es … gelesen? unter genau den geschilderten Zusatzbedingungen heute etwa stehen würde. Der moderne Satz: Hast Du es etwa gelesen? entspricht in beiden angegebenen Merkmalen der von von der Gabelentz angegebenen Bedeutung des nur-Satzes: a) in der Sprechererwartung: der Sprecher des Satzes erwartet, daß Nein die richtige Antwort ist, er wäre über Ja erstaunt; und b) in der Möglichkeit des späteren Vorwurfs: antwortet D mit Nein, so wäre genau die angegebene vorwurfsvolle Reaktion Warum stellst Du Dich denn so und versetzest mich in lrrthum? möglich. 3.5 Man kann also aufgrund der Gabelentzschen Analyse konstatieren, daß ein Bedeutungswechsel bei nur stattgefunden hat. Es läßt sich sogar vermuten- - 3 Weydt (1969: 40, „Zu G (auch)“). <?page no="88"?> 66 Harald Weydt und diese Vermutung könnte durch sorg fältige Überprüfung an Texten weiter verfolgt werden-− ‚ daß die ‚nur‘-Bedeutung, als signifié erhalten geblieben ist und daß lediglich ein Austausch der signifiants stattgefunden hat. Es würde sich- − man müßte allerdings dazu die abtönende Bedeutung isoliert betrachten- - ergeben, daß die Ersetzung im Sprachsystem eines Zeichens durch ein anderes nur auf der materiellen Ebene stattgefunden hätte: ein interessantes Beispiel für eine strukturell-diachronische Semantik 4 auf dem Gebiete der nicht lexikalischen Bedeutungen. So eröffnen Gabelentzens als Illustration gedachte Bemerkungen die Aussicht auf eine noch zu leistende diachronische Untersuchung der deutschen Partikeln. 4 Siehe dazu: Coseriu, Eugenio (1964). „Pour une sémantique diachronique structurale“, Travaux de linguistique et de littérature II, 1: 139-186. <?page no="89"?> Eberhardt Richter (†), Manfred Reichardt, Gerhard Selter, Rüdiger Gaudes (†), Shu-xin Reichardt, Manfred Taube, Irmtraud Herms, alle ehemals Leipzig Hans Georg Conon von der Gabelentz-− Erbe und Verpflichtung * (1979) Vor fünfundzwanzig Jahren, anläßlich des 60. Todestages von Hans Georg Conon von der Gabelentz, hielt der unvergessene Eduard Erkes, Direktor des ehemaligen Ostasiatischen Instituts unserer Universität, einen Vortrag, den er mit folgenden Worten einleitete: „Die Karl-Marx-Universität hat die schöne Sitte, die Leipziger Universitätstradition zu pflegen und lebendig zu erhalten. Das geschieht nicht in dem Sinne, als ob wir bei den Traditionen toter Geschlechter verharren wollten, die, wie unser Namenspatron so treffend sagt, wie ein Alp auf dem Gehirn der Lebenden lasten; vielmehr wollen wir, wenn wir unserer Überlieferung eingedenk sind, uns bewußt bleiben, daß Denken wie Leben beständige Weiterentwicklung bedeutet und daß Entwicklung nur auf der Grundlage von etwas zu Entwickelndem erfolgen kann. So muß der vorwärtsstrebende Forscher sich der von seinen Vorgängern gelegten Grundlagen bewußt bleiben, mag er noch so weit über sie hinausgelangen.“ 1 In dem 1 Erkes, S.-385. * Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Wiederabdruck von: Eberhardt Richter, Manfred Reichardt, Gerhard Selter, Rüdiger Gaudes, Shu-xin Reichardt, Manfred Taube, Irmtraud Herms: „Hans Georg Conon von der Gabelentz- − Erbe und Verpflichtung“, in: Eberhardt Richter und Manfred Reichardt (Hrsg.): Hans Georg Conon von der Gabelentz. Erbe und Verpflichtung, Berlin: Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Sprachwissenschaft, = Linguistische Studien, Reihe A, Arbeitsberichte 53, 1979, S.-1-58. Herausgeber und Verlag haben sich nach besten Kräften bemüht, alle Autoren des Beitrags ausfindig zu machen und von ihnen eine Zustimmung zur Publikation zu erhalten. Leider war dies nicht bei allen Autoren möglich. In diesen Fällen werden die Rechteinhaber oder deren Rechtsnachfolger gebeten, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen. Mit Rücksicht auf die historische Bedeutung dieser Forschungsarbeit, die eine wertvolle Basis für die seitherige G.- v. d. Gabelentz-Forschung bildete, wurde beim Wiederabdruck keine inhaltliche Adaptation des Originals an die heutigen Verhältnisse vorgenommen.-− Hrsg. <?page no="90"?> 68 Eberhardt Richter u. a. vom IX. Parteitag im Mai 1976 angenommenen Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands wird „die sorgsame Pflege und Aneignung aller humanistischen und progressiven Kulturleistungen der Vergangenheit“ 2 in die sozialistische Nationalkultur eingeschlossen. „Die sozialistische Kultur der Deutschen Demokratischen Republik“, so heißt es, „ist dem reichen Erbe verpflichtet, das in der gesamten Geschichte des deutschen Volkes geschaffen wurde. Alles Große und Edle, Humanistische und Revolutionäre wird in der Deutschen Demokratischen Republik in Ehren bewahrt und weitergeführt, indem es zu den Aufgaben der Gegenwart in eine lebendige Beziehung gesetzt wird.“ 3 So verstandene Traditionspflege- − Würdigung jener Persönlichkeiten, die das fortschrittliche Profil unserer alma mater lipsiensis unmittelbar prägten, „Aufhebung“ hervorragender wissenschaftlicher Leistungen in Forschung und Lehre im dialektischen Verständnis von Bewahren und Weiterführen − ist uns Verpflichtung und Bedürfnis. Davon zeugt auch die unlängst erfolgte Einrichtung eines Traditionskabinetts unserer Universität. Im Sinne der Pflege progressiven wissenschaftlichen Erbes verbinden wir dieses Symposium mit der Erinnerung an die vor 100 Jahren erfolgte Einrichtung der ersten selbständigen Professur für ostasiatische Sprachen an der Universität Leipzig und mit der erneuten Würdigung des wissenschaftlichen Werkes jenes Mannes, der für das im damaligen Deutschland bislang nur in Berlin − durch Wilhelm Schott − vertretene Fachgebiet mit dem Ordinariat betraut wurde: des Linguisten und Sinologen Hans Georg Conon von der Gabelentz, eines jener Gelehrten, die sich um die Entwicklung der Orientalistik und der allgemeinen Sprachwissenschaft unbestreitbar große Verdienste erworben haben. Georg von der Gabelentz gewann wesentliche Einsichten in die Wissenschaft von der Sprache im allgemeinen und in Sprachen Ost- und Südostasiens. Viele seiner Erkenntnisse, beispielsweise die Berücksichtigung der Geschichte und Kultur der Sprachträger in der sprachwissenschaftlichen Arbeit und − mit unseren Worten formuliert − die Anerkennung des Systemcharakters der Sprache, zeugen vom Weitblick des Gelehrten und gehören heute zu den Grundauffassungen der marxistisch-leninistischen Sprachtheorie. Zu den wichtigsten aktuellen Aufgaben der Linguisten auf dem Gebiet der Asien- und Afrikawissenschaften in der DDR gehört es, ausgehend vom gesellschaftlichen Charakter der Sprache die vielfältigen wechselseitigen Beziehungen zwischen Sprache und Gesellschaft in den Ländern Asiens und Afrikas, die Struktur der verschiedenen Nationalsprachen und ihre 2 IX. Parteitag der SED Berlin, 18. bis 22. Mai 1976. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S.-52. 3 Ebenda <?page no="91"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 69 Entwicklung im Systemzusammenhang zu erforschen und die gewonnenen Erkenntnisse für die Sprachkommunikation wirksamer nutzbar zu machen und sie zudem schöpferisch in die marxistisch-leninistische Sprachtheorie einzubringen. Hans Georg Conon von der Gabelentz hat zu seiner Zeit in zentralen Aspekten der Sprachauffassung und der Forschungsmethode in der Sprachwissenschaft Maßstäbe gesetzt, die wir aufgreifen und entsprechend den gegenwärtigen Aufgaben in den linguistischen Disziplinen der sozialistischen Asien- und Afrikawissenschaften weiterführen werden. Dies schließt ebenso die kritische Auseinandersetzung mit nach unserer Meinung unhaltbaren Auffassungen Georg von der Gabelentz’, besonders zu sprachphilosophischen Fragen, ein. Mit den folgenden Ausführungen wollen wir deshalb einen Beitrag zur weiteren Würdigung und gleichermaßen kritischen Aneignung des humanistischen und progressiven Erbes auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft und der Sinologie in unserer Republik leisten. Einer der Kunst und der Wissenschaft aufgeschlossenen liberalen Adelsfamilie im damaligen Herzogtum Sachsen-Altenburg entstammend, durch den Vater − den international hoch geschätzten vielseitigen Sprachwissenschaftler Hans Conon von der Gabelentz − angeregt und angeleitet, hatte Hans Georg Conon von der Gabelentz bereits auf autodidaktischem Wege gründliche Kenntnisse der Sprachen und Literaturen europäischer, asiatischer und ozeanischer Völker erworben. Mit 18 Jahren begann er mit dem Studium des Chinesischen, seinem späteren sprachlichen Hauptarbeitsgebiet. Seine ersten Arbeiten galten Problemen der vergleichenden Syntax, sah er doch im Satz und nicht im Gebrauch des einzelnen Wortes das wichtigste Element der Sprache als gesellschaftliches Verständigungsmittel. Mit dieser wissenschaftlich fruchtbaren Position unterschied er sich von der damals vorherrschenden linguistischen Schule, die sich fast ausschließlich der Laut- und Formenlehre widmete. Der Familientradition folgend, studierte Hans Georg Conon von der Gabelentz in den Jahren 1859 bis 1863 Kameral- und Rechtswissenschaften − zuerst in Jena und dann in Leipzig − und trat 1864 in den königlich-sächsischen Staatsdienst. Er promovierte im Jahre 1876 in Leipzig mit der Ausgabe und Übersetzung des „Taijitu“ („Tafel des Urprinzips“) des Philosophen Zhou Dunyi (Song-Zeit). Von der Gabelentz hatte seine Dissertationsschrift mit den Worten versehen: „Möchte eine wohlwollende Aufnahme des gegenwärtigen Versuches mir die Hoffnung geben, daß auch meine Hände berufen seien, jenes Feld zu bebauen.“ 4 Folgerichtig bewarb sich noch im selben Jahre der 36jährige Assessor beim Bezirksgericht Dresden in 4 Zitiert nach: Dobrucky, S.-76. <?page no="92"?> 70 Eberhardt Richter u. a. einem Schreiben an das Sächsische Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts um eine Professur für chinesische, japanische und mandschurische Sprache an der Universität Leipzig. Das Ersuchen wurde mit unverhohlenem Interesse aufgenommen, das sich gewiß nicht nur daraus ableitete, daß die rasche Entwicklung der Sprachwissenschaft an der Leipziger Universität aus rein wissenschaftlichen Erwägungen heraus weitere Förderung erfahren sollte. Wir halten es daher für gerechtfertigt, an dieser Stelle mit einigen wenigen Bemerkungen auf die Verhältnisse und die politische Situation im junkerlich-bourgeoisen deutschen Staat einzugehen, bildeten sie doch einen wesentlichen Teil der gesellschaftlichen Umwelt, in der von der Gabelentz als Sprachforscher und -lehrer an den Universitäten Leipzig und Berlin wirkte. Das im Jahre 1871 auf französischem Boden proklamierte deutsche Kaiserreich war ein erzreaktionäres Staatswesen, gekennzeichnet durch das herrschende Klassenbündnis von Junkertum und Bourgeoisie bei führendem Einfluß der sich „auf preußischem Wege“ zu Kapitalisten wandelnden Großgrundbesitzer, durch die Vorherrschaft des preußisch-deutschen Militarismus und durch rigorose Unterdrückung der noch jungen, aber rasch erstarkenden Arbeiterbewegung und anderer demokratischer Kräfte. „Es war“, wie es im Abriß „Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ heißt, „im Zeichen eines räuberischen Annexionskrieges und der unmittelbaren Teilnahme an der blutigen Niederschlagung der Pariser Kommune entstanden, von den herrschenden Ausbeuterklassen mit Eisen und Blut geschmiedet worden … Mit der Konstituierung des Deutschen Reiches wurde die Herausbildung eines bürgerlichen Nationalstaates in Deutschland vollendet, jedoch auf antidemokratischem, reaktionärem Wege. Nicht einmal der Einheitsstaat wurde konsequent verwirklicht; zahlreiche Königreiche, Fürstentümer und andere Einzelstaaten blieben bestehen. Das preußischdeutsche Kaiserreich erwies sich, wie Marx schrieb, ‚als ein mit parlamentarischen Formen verbrämter, mit feudalem Beisatz vermischter und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflußter, bürokratisch gezimmerter, polizeilich gehüteter Militärdespotismus‘.“ 5 Unter den neuen Bedingungen konnten sich die Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft freier entfalten, die ursprünglich zurückgebliebene Industrie erhielt starke Impulse. Rasch schritten die Vergesellschaftung der Produktion und die Herausbildung der Wesenszüge des Imperialismus voran. Unter Nutzung der Erfahrungen der anderen industriell entwickelten Länder kam es − so Friedrich Engels-− „zu einer industriellen Umwälzung …, die gründlicher und tiefer und räumlich 5 Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, Berlin 1978, S.-20. <?page no="93"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 71 ausgedehnter und umfassender … als die der anderen Länder“ 6 war. Dazu trugen relativ niedrige Lohnsätze ebenso bei wie die Ausbeutung der lothringischen Erzvorkommen und die 5 Milliarden Goldfrancs französische Kriegskontributionen. Der kurzen Hochkonjunktur der „Gründerjahre“ folgten 1873 die Gründerkrise und der Gründerkrach. Die Krise beschleunigte die Konzentration und Zentralisation des Kapitals, und die Wirtschaftspolitik wandte sich mehr und mehr von den Prinzipien des ökonomischen Liberalismus ab. Unter der bonapartistischen Diktatur Bismarcks schritten die herrschenden Klassen zur politischen Offensive gegen die Arbeiterklasse, die im Mai 1875 in Gestalt der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands ihre gesamt-nationale, auf revolutionärer, marxistischer Grundlage beruhende Organisation geschaffen hatte. Die Bourgeoisie unternahm große Anstrengungen, um mit Hilfe des Staates in den harten Klassenauseinandersetzungen mit dem Proletariat ihre Positionen zu erhalten und zu festigen. Das im Oktober 1878 erlassene „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ verbot Vereine, Versammlungen und Druckschriften, „die durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bezwecken.“ 7 Gleichzeitig gewann die Sozialpolitik als Taktik der herrschenden Kreise in Deutschland erstmals große Bedeutung. Sie trug bekanntlich zum Einsickern des Opportunismus in die Sozialdemokratie bei. Mit der Herausbildung des Imperialismus entwickelte sich Deutschland zur kapitalistischen Großmacht, entstanden und verschärften sich die Gegensätze zwischen ökonomischer Macht und relativ geringem Einflußgebiet. Das führte dazu, daß der Staatsapparat zunehmend benutzt wurde, um die Expansionsgelüste der Monopolisten und Junker zu befriedigen. Der Übergang Deutschlands zur Kolonialpolitik im engeren Sinne − d. h. zur offenen Kolonialexpansion − erfolgte zwar erst in den Jahren 1884/ 85, Kreise der Handels-, Finanz- und Industriebourgeoisie hatten aber schon weitaus früher koloniale Ambitionen geltend gemacht. Missionsgesellschaften, Handels- und Bankhäuser sowie Forschungsreisende erkundeten seit Jahren mögliches koloniales Terrain in Afrika, Asien und Ozeanien. Wenn auch für die zweite Hälfte der 70er Jahre ein direkter Bezug zwischen kolonialen Interessen im Hinblick auf Ostasien und der Einrichtung des oben genannten Lehrstuhls an der Universität Leipzig nicht nachweisbar ist, so gibt es für uns doch keine 6 Friedrich Engels an August Bebel, 11. Dezember 1884. In: F. Engels, Briefe an Bebel, Berlin 1958, S.-101. 7 Zitiert nach: J. Streisand, Deutsche Geschichte in einem Band. Ein Überblick, 3. Aufl., Berlin 1974, S.-221. <?page no="94"?> 72 Eberhardt Richter u. a. Zweifel hinsichtlich des objektiven Zusammenhangs zwischen der Herausbildung des deutschen Imperialismus und seiner kolonialen Eroberungspolitik und der offiziellen wie inoffiziellen Förderung von Forschung und Lehre auf dem Gebiet der sogenannten orientalischen Sprachen. Hans Georg Conon von der Gabelentz hat sich − soweit wir das aus seinen uns zugänglichen Veröffentlichungen und seinem privaten Briefwechsel ableiten können − wenig um Politik gekümmert. Er verkörperte in geradezu klassischer Weise den Typ des ganz in seiner Wissenschaft aufgehenden, politisch nicht engagierten bürgerlichen Gelehrten. Mit Schreiben vom 27. 11. 1876 übersandte das Ministerium in Dresden die Eingabe von der Gabelentz’ an die Philosophische Fakultät der Leipziger Universität „durchaus befürwortend“ zur Begutachtung, nicht ohne ausdrücklichen Hinweis darauf, daß man den vorgeschlagenen Lehrstuhl „zur Zeit in Ermanglung der erforderlichen Mittel“ nicht begründen könne. Das im Februar 1877 eingereichte Gutachten der Fakultät unter dem Dekanat Heinrich Leberecht Fleischers befürwortete sachlich die Professur aus drei Gründen: 1. schreite die Erforschung der asiatischen Sprachen stetig von Westen nach Osten und die „uralten Kultursprachen des äußersten Ostens“ fänden daher zu Recht Aufnahme „in den Studienkreis der europäischen Universitäten“; 2. sei auch die Universität Leipzig „dieser Bewegung bisher im allgemeinen gefolgt“, wobei besonders auf die von Hermann Brockhaus − seit 1848 ordentlicher Professor für ostasiatische Sprachen (unter Einschluß des Sanskrit) − gehaltenen Vorlesungen über das Chinesische hingewiesen wurde; 3. werde der „materielle und geistige Wechselverkehr zwischen Europa und Ostasien“ immer lebhafter. Hinsichtlich der Person bezog man sich auf die Meinung des „altbewährten Sinologen“ Wilhelm Schott, der Hans Georg Conon von der Gabelentz als der Professur „sehr würdig“ erklärte. 8 Das sächsische Cultusministerium stimmte dem Antrag zu und ernannte mit Wirkung vom 1.7.1878 von der Gabelentz zum „außerordentlichen Professor der ostasiatischen Sprachen“ 9 . Vier Jahre später wurde Georg von der Gabelentz zum „ordentlichen Honorarprofessor“ 10 berufen, wobei ausdrücklich vermerkt wurde, daß damit nicht Sitz und Stimme in der Fakultät 8 Archiv der Karl-Marx-Universität Leipzig. Personalakte 487/ Dr. Hans Georg Conon von der Gabelentz, Bl. 4 (Entwurf des gutachterlichen Berichts der Philosophischen Fakultät für das Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 14. 2. 1877). 9 Ebenda, Bl. 5 (Schreiben des Ministeriums des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 21. 6. 1878). 10 Ebenda, Bl. 10 (Schreiben des Ministeriums des Cultus und öffentlichen Unterrichts vom 30. 6. 1882). <?page no="95"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 73 verbunden seien. Die Philosophische Fakultät der Leipziger Universität verfügte nunmehr über die erste selbständige Professur für dieses Fachgebiet. Es steht wohl außer Zweifel, daß die Verwaisung des Lehrstuhls von Hermann Brockhaus mit dessen Tod am 5. 1. 1877 zu der positiven Entscheidung nicht unwesentlich beitrug. Hans Georg Conon von der Gabelentz reihte sich würdig unter die hervorragenden Vertreter der Leipziger Philologie, repräsentiert durch die klassischen Philologen Georg Curtius, Karl Brugmann, Friedrich Wilhelm Ritschel und Friedrich Zarncke, den Slawisten August Leskien, die Indologen Hermann Brockhaus und Ernst Windisch, den Arabisten Heinrich Leberecht Fleischer, den Ägyptologen Georg Ebers und den Assyriologen Friedrich Delitzsch ein. „In das wissenschaftliche Bewußtsein der weiten Welt“, so stellte Theodor Frings hinsichtlich der sogenannten Geisteswissenschaften einmal fest, „trat die Leipziger Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch drei besondere Leistungen: die Sprachwissenschaft, die Psychologie und die Universalgeschichte.“ 11 Die Philologie stand dabei an erster Stelle, und vor allem durch ihre Pflege wurde Leipzig in der damaligen wissenschaftlichen Welt berühmt. Von der Gabelentz behandelte, wie Eduard Erkes schrieb, „die Sprache … nicht als Einzelphänomen, sondern als gesellschaftliche Erscheinung“ und „als ein Teilgebiet der allgemeinen Kulturgeschichte, das zu seinem vollen Verständnis die Kenntnis der Geschichte und Kultur der Völker voraussetzt, mit deren Sprachen man sich beschäftigt.“ 12 In der Sprachwissenschaft vollzog sich besonders mit Beginn der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts ein grundlegender Wandel, wie G. Helbig formuliert, ein „Übergang der Sprachwissenschaft aus ihrer philosophischen in ihre historische Etappe“ 13 . Diese qualitativ neue Periode in der Entwicklung der Sprachwissenschaft wurde von der analytischen Methode der junggrammatischen Schule geprägt und wirkte bis weit in unser Jahrhundert hinein. 14 Durch die reichen Arbeitsergebnisse der sogenannten Junggrammatiker, unter ihnen besonders O. Behaghel, K. Brugmann, B. Delbrück, H. Paul, E. Sievers und K. Verner, erfuhr die sprachwissenschaftliche Forschung einen außerordentlich bedeutenden Auftrieb. Insgesamt gesehen, vertraten sie jedoch eine als positivistisch zu wertende sprachwissenschaftliche Richtung. Die Vorgabe und das Hineintragen eines durchgängigen naturwissenschaftlichen Prinzips 11 Th. Frings: Zitiert nach: „Bedeutende Gelehrte in Leipzig“, Bd. I, Karl-Marx-Universität Leipzig 1965, Vorwort von M. Steinmetz, S.-XVII. 12 Erkes, S.-389. 13 Helbig, S.-15. 14 Vgl. dazu Helbig, S.-14−20, Růžička, S.-3-23 u. a. <?page no="96"?> 74 Eberhardt Richter u. a. (eines „naturwissenschaftlichen Apriori“ 15 ), die Akzentuierung der äußeren Sprachform in ausschließlichem Sinne führten − aus heutiger Sicht − de facto zur Negierung des Systemcharakters der Sprache und zur Trennung vom menschlichen Sprachträger. Erforschung der Sprachgeschichte wurde so zum Historismus: zur Betonung der Geschichte atomistisch betrachteter sprachlicher Fakten, jener der Laute. Das herausragende Stadium ihres Wirkens waren die Jahre von etwa 1876 bis 1890. Dies waren zugleich und nicht zufällig die wissenschaftlich fruchtbarsten Jahre Georg von der Gabelentz’ an der Leipziger Universität. Gerade die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Vertretern der junggrammatischen Schule trug anregend zur Formung seiner Ideen und Auffassungen zur allgemeinen Sprachwissenschaft bei und stimulierte die Veröffentlichung seiner sprachwissenschaftlichen Arbeiten − charakteristisch dabei seine Haltung: „Auch die Polemik habe ich thunlichst vermieden. Nur wenige Male schien es mir geboten, mich ausdrücklich vor meinen Vorgängern zu verantworten; sonst habe ich mich damit begnügt, meine Meinungen, so gut es anging, für sich reden zu lassen.“ 16 Doch wäre es nicht richtig, als Katalysator des Werdens der Anschauungen von der Gabelentz’ über Inhalt, Methoden und Aufgaben der Sprachwissenschaft allein die Junggrammatiker anzuführen. Wesentliche Grundlagen seiner Persönlichkeit als Sprachwissenschaftler leiten sich aus der romantischen Sprachwissenschaft, insbesondere von Wilhelm von Humboldt, her. Das Humboldtsche Konzept der in den Einzelsprachen spezifisch ausgeprägten Weltansicht wurde durch von der Gabelentz aufgenommen und durch die Einbeziehung ostasiatischer Sprachen weitergeführt. Diese weitgehend idealistische Auffassung W. v. Humboldts und in der Folge G. v. d. Gabelentz’ erfuhr in der neoromantischen Sprachwissenschaft, vor allem bei Leo Weisgerber, ihre markanteste idealistische Ausformung. Gleichzeitig befand sich von der Gabelentz in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit seinen Fachkollegen der ostasiatischen und besonders sinologischen Studien. Nach seiner Berufung in das neue Lehramt an der Leipziger Universität begann Georg von der Gabelentz, Vorlesungen über allgemeine Sprachwissenschaft, Chinesisch, Mandschurisch, Japanisch und Malayisch zu halten. Der Hörerkreis, vor dem von der Gabelentz las, war zumeist nie sehr groß gewesen. Die erhalten gebliebenen Belegbögen weisen nach Vorlesung und Semester in der Regel kaum ein halbes Dutzend Personen aus. Im Mai 1879 schrieb er an seine Schwester: „Ich lese chinesische Grammatik 3stündig vor 15 Helbig, S.-15. 16 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-VI. <?page no="97"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 75 3 Zuhörern.“ 17 Und seiner Mutter teilte er fünf Jahre später unter anderem mit: „Meine japanische Vorlesung habe ich heute mit neun Zuhörern eröffnet, eine ungewöhnlich hohe Zahl für den Gegenstand.“ 18 Im Gutachten der Berliner Universitätsprofessoren Weber, Schrader, Schulze und von Richthofen für die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für ostasiatische Sprachen an der Berliner Universität vom 14. 2. 1889 heißt es dagegen u. a. auch: „… und er erfreute sich, trotz des fernliegenden Charakters der von ihm vertretenen Lehrgegenstände, eines bis über 20 Zuhörer sich steigernden Collegiumbesuches“ 19 , eine Zahl, in der wir wohl mehr die Ausnahme als die Regel sehen sollten. Dabei ergibt sich aus den Belegbögen und Prüfungslisten, daß die Mehrheit nur für ein Semester bei von der Gabelentz hörte-− in der Hauptsache wohl, um den meist theologischen oder philologischen, aber auch juristischen Studien noch eine besondere Note zu geben. Eine der Ausnahmen war Carl Florenz, der sich als stud. phil. vornehmlich ostasiatischen Studien widmete, ab Sommer 1883 bei von der Gabelentz Famulus war und auch später mit seinem Lehrer in brieflicher Verbindung stand. 1887 sandte er ihm aus Berlin sein Manuskript der Übertragung japanischer Gedichte zur Einsichtnahme und eventuellen Verbesserung, ein Werk, das er dann dem Andenken Georg von der Gabelentz’ widmete. Es erschien allerdings erst 1927, als Florenz schon Professor für Japanische Sprache in Tokio war. Es liegen weitere Zeugnisse dafür vor, daß sich ehemalige Hörer an Georg von der Gabelentz um Rat in wissenschaftlichen oder auch Hilfe in persönlichen Angelegenheiten wandten, was aber wohl weniger auf von der Gabelentz’ Stellung an der Universität zurückzuführen ist, als vielmehr auf die Wirkung seines gütigen Wesens und seiner Persönlichkeit. Eine Schule im Sinne der direkten Fortführung seiner Lehrmeinungen an der Leipziger Universität zu bilden, war von der Gabelentz aufgrund dieser Bedingungen und sicher auch der gesamten Leipziger Situation in der Sprachwissenschaft nicht vergönnt. Deshalb blieb nach seinem Weggang von Leipzig nach Berlin im Jahre 1889 der Lehrstuhl auch zunächst vakant, ehe August Conrady ihn im Jahre 1897 übernehmen konnte. Immerhin haben in seiner Leipziger Zeit mehrere Spezialisten für Ostasienkunde bei von der Gabelentz promoviert, so im Frühjahr 1880 Max Uhle 17 Münchhausen S.-44 (Zitat aus Brief vom 6. 5. 1879). 18 Brief an seine Mutter vom 29.4.1884 (Staatsarchiv Weimar, Außenstelle Altenburg, Familienarchiv v. d. Gabelentz, Nr.- 720: Briefwechsel zwischen Georg v. d. Gabelentz und seiner Mutter). 19 Univ.archiv d. Humboldt-Universität z. Berlin, Phil. Fak.-Dekanat-Nr.-1461, Bl. 196/ Rückseite. <?page no="98"?> 76 Eberhardt Richter u. a. und Wilhelm Grube, worüber er an seine Schwester schrieb: „Meine beiden ältesten Zuhörer, Grube aus St. Petersburg und Uhle aus Sachsen, machten ihr Doktorexamen, Chinesisch als Hauptfach − und bestanden glänzend. Beide wollen sich habilitieren, beide vermutlich in Leipzig.“ 20 Wilhelm Grube, der 1881/ 82 in Leipzig bereits zwei Semester Neuchinesisch, Tibetisch und Mandschurisch gelesen hatte und danach an das Berliner Museum für Völkerkunde gegangen war, wurde nach Georg von der Gabelentz’ Tod im Jahre 1893 sein Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, allerdings nur im Status eines Extraordinarius. Georg von der Gabelentz war in erster Linie Sprachwissenschaftler. Als Philologe hat er sich auch mit den klassischen chinesischen Literaturdenkmälern beschäftigt, aber nicht unter literaturwissenschaftlichen Aspekten. Als Sinologe hat er hauptsächlich der klassischen Literatur im engeren Sinne, einschließlich der sogenannten vorklassischen Stilepoche, zum Zwekke der grammatischen und philologischen Forschung seine Aufmerksamkeit geschenkt. In diesem Zusammenhang hat er auch eine Reihe kürzerer Artikel und Vorträge als Rezensionen oder Annotationen, einschließlich eigener Probeübersetzungen zu neuen Ausgaben und Übersetzungen jener Werke in europäische Sprachen, z. B. über das „Wenzi zuan yi“, die gereimte Shijing- Übersetzung von Viktor von Strauß, eine neue Übersetzung des Zhuangzi von Giles, über den Philosophen Mo Di, über Konfuzius und seine Lehre veröffentlicht. Dabei sind es vor allem Fragen des Stils, denen er seine Aufmerksamkeit zuwendet. Und dies unter zweierlei Aspekt: Erstens, unter dem sprachlichgrammatischen im engeren Sinne, da seiner und nicht nur seiner Auffassung nach stilistische Mittel im Chinesischen noch viel enger zur eigentlichen Sprachlehre gehören als in anderen Sprachen. Ein Beispiel hierfür gibt er in dem Artikel „Ein Probestück von chinesischem Parallelismus“ 21 , in dem er direkt nachweist, wie man unter Nutzung typischer stilistischer Figuren, z. B. des sogenannten Parallelismus, gelegentlich allein mit deren Hilfe, auf rein mechanistischem Wege die für das klassische Chinesisch so wichtige Arbeit der Satzteilung leisten kann. Zweitens, unter dem Gesichtspunkt der Philologie, genauer der Textkritik. So versuchte von der Gabelentz, stilistische Fragestellungen in seinem kurzen Artikel über das „Wenzi zuan yi“ zur Erörterung des Echtheitsproblems und der Datierungsfrage auszunutzen. Er geht dabei u. a. von der Annahme aus, 20 Münchhausen S.-45. 21 G. v. d. Gabelentz, Ein Probestück von chinesischem Parallelismus. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 10, Berlin 1878, S.-230-234. <?page no="99"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 77 daß, wenn Wenzi, wie angenommen, ein Schüler von Laozi war, sich dies auch im Texte stilistisch nachweisen lassen müßte. Desgleichen versuchte er z. B. durch eine eigene Übersetzung einer Episode aus Zhuangzi („Der Räuber Tschik“) durch feinsinnige Beobachtung und Bewertung des Stils dieser im wesentlichen in Dialogform gehaltenen Geschichte einerseits eine Antwort auf die Frage der Echtheit des Textes zu finden, andererseits glaubte er dadurch auch ein weiteres Argument für seine mehrfach geäußerte Behauptung zu finden, daß im Altertum die Chinesen so geschrieben hätten, wie sie gesprochen haben, d. h. daß das klassische Chinesisch eine Widerspiegelung der damaligen Umgangssprache darstellt. Es versteht sich von selbst, daß von der Gabelentz auch Äußerungen zum literarischen ästhetischen Wert u. ä. Fragen der von ihm besprochenen Schriftsteller getroffen hat. Erinnert sei an die Bemerkungen, die er allgemein zum Stil von Zhuangzi gemacht hat, aber auch an die warmherzige Empfehlung, die er der Straußschen Shijing- Übersetzung mit auf den Weg gegeben hat. Er würdigte dabei unter Beigabe einer eigenen wörtlichen Probeübersetzung, wie es dem Dichter neben einer äußerst originalgetreuen Übersetzung gelungen sei, die Eigenart der alten chinesischen Verskunst, die auf den Besonderheiten der alten chinesischen Sprache basiert, adäquat im Deutschen wiederzugeben. Unter den in der neueren Umgangssprache geschriebenen Erzeugnissen der eigentlichen belletristischen Literatur hat sich von der Gabelentz offensichtlich nur mit dem Jin Ping Mei speziell befaßt. Er schätzte diesen Roman hoch ein wegen der genauen und realistischen Vermittlung sozialer Sitten und Gebräuche sowie des Gefühlslebens der Chinesen. Damit wurde er dem Werk jedoch nicht voll gerecht, da es ebenfalls eine sehr gute kritische Schilderung der sozialen und politischen Zustände im alten China darstellt. Georg von der Gabelentz war allgemeiner Sprachwissenschaftler und Sinologe gleichermaßen. Als Sprachwissenschaftler war er Sinologe insofern, als unter den zahlreichen Sprachen, mit denen er sich teils flüchtig, teils ausführlicher beschäftigt hat, das Chinesische an erster Stelle stand. Mit dieser Sprache hat er sich am intensivsten auseinandergesetzt, aus dieser Sprache hat er die meisten Anregungen für seine allgemein-sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnen. Und als Sinologe war er vor allem Sprachwissenschaftler nicht nur in dem Sinne, daß er sich nahezu ausschließlich mit der chinesischen Sprache, und zwar entsprechend seinen Bedingungen und Voraussetzungen hauptsächlich mit der sogenannten klassischen Schriftsprache, beschäftigte, sondern vor allem in dem Sinne, daß er das Chinesische von allgemein-linguistischem Standpunkte her betrieb. So stellte er selbst in seiner Antrittsrede vor der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Jahre 1890 heraus, daß sein Standpunkt derjenige der allgemeinen <?page no="100"?> 78 Eberhardt Richter u. a. Sprachwissenschaft sei, „auch dann, wenn ich mich bemühe, dieser Sprache in rein philologischer Arbeit immer neue Feinheiten abzulauschen“ 22 . Unter sprachwissenschaftlichem Standpunkt versteht er dabei, daß die Beschäftigung mit der Sprache nicht aus praktischen Gründen, der Erlernung der Sprache zum Zwecke der sprachlichen Kommunikation (des Übersetzens usw.) betrieben wird, sondern „die Sprachwissenschaft bezweckt Erkenntnis der Sprache um ihrer selbst willen“ 23 . Für ihn war die chinesische Sprache als solche interessant, „als eine der eigenthümlichsten, zugleich der einfachsten und der mächtigsten Entfaltungen des menschlichen Sprachvermögens“ 24 . Georg von der Gabelentz’ Hauptwerk auf sinologischem Gebiet ist die „Chinesische Grammatik. Mit Ausschluß des niederen Stiles und der heutigen Umgangssprache“, Leipzig 1881. Das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Leistung hat Hirth in einer kurzen Besprechung dieses Werkes mit dem einleitenden Satz gewürdigt: „Of all the Chinese grammars so far published this is the most perfect, in as much as it unites with the fulness of Prémare’s work the scholarly clearness of Schott’s ‚Chinesische Sprachlehre‘.“ 25 Mit diesem Werk wollte von der Gabelentz ein „ausführliches wissenschaftliches Lehr- und Nachschlagebuch zunächst für die klassische und nachklassische Sprache“ 26 vorlegen, dessen methodisches Ziel darin bestehen sollte, „den Lernenden dahin zu bringen, dass er Texte selbständig, ohne Beihülfe eines Lehrers oder einer Uebersetzung, lesen und verstehen, und dass er in der erlernten Sprache seine Gedanken richtig ausdrücken könne-− beides natürlich nur insoweit, als es durch Vertrautheit mit dem Geiste, den Gesetzen und Regeln der Sprache erreichbar ist“ 27 . Was den eigentlichen Stoff betraf, nämlich die Kenntnisse von der chinesischen Sprache, so betrat von der Gabelentz durchaus kein Neuland. Seit im Jahre 1703 die erste chinesische Grammatik in einer europäischen Sprache 28 erschienen war, hatte Forscherfleiß bereits weiteres Grundlegendes getan. Wesentliche Teile der (klassischen) chinesischen Literatur waren inzwischen in europäische Sprachen übersetzt, und es gab eine Reihe relativ umfangreicher Wörterbücher und Phrasensammlungen. Die hauptsächlichsten, großen 22 G. v. d. Gabelentz, 1891, S.-4. 23 G. v. d. Gabelentz, 1891, S.-9. 24 G. v. d. Gabelentz, 1891, S.-4. 25 Journal of the North-China Branch of the Royal Asiatic Society, New Series, vol. XVII, Shanghai 1882, Part I, S.-237. 26 In seinen „Anfangsgründen der chinesischen Grammatik mit Übungsbeispielen“, Leipzig, 1883, hat er auch einen Abriß der Grammatik der modernen Sprache gegeben. 27 G. v. d. Gabelentz 1881, Vorrede, S.-VII-VIII. 28 P. Francisco Varo, Arte de la lingua Mandarina, Canton 1703. <?page no="101"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 79 Dialekte waren bereits erfaßt, und erste Schritte auf dem Gebiet der Erforschung der Sprachgeschichte, der Etymologie und der Rekonstruktion der alten Lautwerte waren gemacht, erste Ergebnisse für eine genealogische Einordnung des Chinesischen lagen vor. Unter den Grammatikern im engeren Sinne war von der Gabelentz etwa der zwanzigste. Georg von der Gabelentz selbst hat über seine Vorgänger kurz berichtet. 29 Bereits bei Marshman, dessen „Elements of Chinese Grammar“ − auch unter dem Namen „clavis sinica“ bekannt −, Serampore 1814, in ihrer Anlage mechanistisch dem Schema der Grammatiken europäischer Sprachen angepaßt sind, finden sich eine Reihe der klassischen Wortstellungsregeln des Chinesischen formuliert. Eins der bedeutendsten sinologischen grammatischen Werke − schon aufgrund seiner umfangreichen, wohlgewählten Beispielsammlung (etwa 4000) − ist das des Jesuiten Prémare 30 , das zwar erst im Jahre 1831 im Druck erschien, jedoch bereits vor 1822 im Manuskript vorgelegen hat, worauf sich vor allem Rémusat gestützt hat. Der größte Teil dieses Buches behandelt etwa 150 Partikeln und einige andere Wörter häufigen und auffälligen Gebrauchs in ihren verschiedenen Anwendungen an Beispielen und mehr als ein Fünftel füllt die eigentliche Stilistik, während das, was etwa der Formenlehre unserer Grammatiken entspricht, auf etwa 20 Seiten behandelt wird. Rémusat schätzt die „Notitia“ eher als eine Rhetorik denn als eine Grammatik ein. Von der Gabelentz, der bei Prémare die hohe Meisterschaft in der Handhabung der chinesischen Sprache und feinsten stilistischen Geschmack bewunderte, erblickt den unvergänglichen Wert dieses Werkes darin, daß „wir keine chinesische Sprachlehre (besitzen), die sich in feiner und eingehender Behandlung dieses Gegenstandes mit Prémares Notitia messen könnte“, und daß „nicht so bald ein zweiter gleich befähigter Lehrer chinesischer Rhetorik erstehen (wird)“ 31 . Als ein Ereignis mußte es gewertet werden, als im Jahre 1822 die „Élémens de la grammaire chinoise“ von J. P. Abel-Rémusat 32 , dem ersten Inhaber eines sinologischen Lehrstuhls an einer europäischen Hochschule, veröffentlicht wurden. Damit war das erste Mal ein Elementarbuch des Chinesischen vorgelegt worden, das die Hauptregeln des chinesischen Sprachbaus, getrennt nach altem und neuem Stil, in Kürze, Übersichtlichkeit und Handlichkeit 29 G. v. d. Gabelentz 1878, speziell die Seiten 602-634. 30 J. Prémare, Notitia linguae sinicae, Malacca 1831; englische Übersetzung v. Bridgman, Canton 1847. 31 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-605-606. 32 Abel-Rémusat, 1822. <?page no="102"?> 80 Eberhardt Richter u. a. darbot und damit der Einsicht zum Durchbruch verhalf, „daß Chinesisch ebenso erlernbar wie lernenswert sei“ 33 . Entdeckungsrecht macht Rémusat auf die Konstruktions- und Wortstellungsregeln geltend, die er als „Résumé“ in einer Seite ans Ende seines eigentlichen Buches setzte. Im Grunde finden sie sich allerdings zum Teil bei Marshman und auch bei Prémare. Von der Gabelentz, der dieses Buch als ein „geist- und geschmackvolles Plagiat“ bezeichnet hat, indem inhaltlich fast alles von Prémare und Marschman „abgeborgt“ und sein wahrhaft Eigenes kaum mehr als die „Mache“ sei, bescheinigt ihm darin „Verdienst, ja Genie“ 34 , indem er doch „wenigstens die wichtigsten Hilfswörter und Wortstellungsgesetze in zusammenhängender Rekapitulation behandelt und so den Weg einer ersprießlichen Lehrmethode vorgezeichnet (hatte)“ 35 . In dieser Hinsicht möchte von der Gabelentz ihm nur noch die „Kitajskaja Grammatika“ von Bičurin 36 an die Seite stellen. Einen erheblichen Fortschritt brachte Rémusats Amtsnachfolger Stanislas Julien, der in einer Reihe von Streitschriften Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nachwies, „dass zum Verständnisse des Chinesischen mehr und Anderes gehöre, als in den Élémens stand“ 37 . Juliens Meisterschaft in der Analyse chinesischer Texte, in der er nahezu als unfehlbar galt, beruhte auf der Weiterentwicklung und meisterlichen Handhabung der sogenannten Stellungsgesetze. Er wies nach, daß diese Wortstellungsgesetze nicht nur verschiedene Formen ein und desselben Wortes (etwa Kasus bei Substantiven oder Genus des Verbs) bedingen, sondern auch ebenso oft für die Frage entscheidend sind, welchem Redeteil in unserem Sinne das betreffende Wort jeweils angehöre (ob Adjektiv, Substantiv, Adverb, Verbum neutrum, Verbum factitivum und dergleichen), sowie daß auf Grund des Sprachgebrauches viele Wörter durch die Nachbarschaft gewisser anderer ganz eigentümlich begrifflich beeinflußt werden und feste Verbindungen eingehen, zu unwandelbaren Komposita werden, deren Verkennung zu Mißdeutungen führen würde, woraus sich seiner Meinung nach die Notwendigkeit einer speziellen Phrasenlehre ergibt. Zusammengefaßt hatte Julien seine Erkenntnisse in der „Syntaxe nouvelle de la langue chinoise“ (Paris 1869/ 70, 2 Bde.), die er im Alter von 70 Jahren schrieb, und zwar speziell in der ersten Abteilung des 1. Bandes. Dieses Kapi- 33 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-606. 34 Ebenda, S.-606. 35 Ebenda, S.-612. 36 (Bičurin) Jakinf, Kitajskaja Grammatika, St. Petersburg 1834. 37 G. v. d. Gabelentz 1890, S.-4. <?page no="103"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 81 tel ist nach dem Urteil von der Gabelentz’ sehr ergiebig, was das vorgeführte Material betrifft, jedoch war er „selbst so wenig Linguist als Philosoph. Chinesisch verstehen hiess in seinem Sinne kaum mehr, als aus dem Chinesischen richtig in’s Französische übersetzen“ 38 . Seinen wissenschaftlichen Wegbereiter erblickte von der Gabelentz in Wilhelm Schott, der als erster „den kühnen Gedanken“ ausgesprochen und zu verwirklichen gesucht hatte, „die chinesische Sprache in einen grammatischen Rahmen zu fassen, der keine andere Voraussetzung gelten lässt, als den Bau und Geist dieser Sprache selbst“ 39 . Im Jahre 1857 hatte Wilhelm Schott, „weniger ausschließlich Sinologe als die meisten seiner Vorgänger, mehr Linguist als sie alle“ 40 , sein Werk „Chinesische Sprachlehre. Zum Gebrauche bei Vorlesungen und zur Selbstunterweisung“ veröffentlicht. Ihre hervorragende Bedeutung sieht von der Gabelentz in der „genial selbständigen Art, wie diese aufgefaßt und behandelt“ ist 41 . So sagt von der Gabelentz in seiner abschließenden Würdigung der Schottschen Arbeit: „Wer (aber) wissen will, wie einer der absonderlichsten Sprachkörper organisiert sei, wie er seinem Baue gemäß dargestellt sein wolle, der halte sich … an Schott und nur an diesen.“ 42 , und an einer anderen Stelle: „Auf den Wegen, die Schott gewiesen, müssen wir Sinologen weitergehen, wenn wir etwas Anderes ausmachen wollen, als eine Art Übersetzungsbureau.“ 43 Damit hatte von der Gabelentz das Konzept für seine eigene sinologische Arbeit abgesteckt. Dieses Konzept hatte er in seinem Artikel „Beitrag zur Geschichte der chinesischen Grammatiken und zur Lehre von der grammatischen Behandlung der chinesischen Sprache“ bereits im Jahre 1878 in Form von 83 Thesen programmatisch vorgeführt. Seine drei Jahre später erschienene große Grammatik stellt die strikte Durchführung des vorangeschickten Programms dar. Grube schreibt in seiner Besprechung der Grammatik: „Man kann behaupten, daß das vom Verfasser aufgestellte neue System nicht mehr und nicht weniger bezweckte als eine vollständige Reform der chinesischen Grammatik, und zwar eine Reform derselben auf Grund der in Schotts Chinesischer Sprachlehre in Anwendung gebrachten Prinzipien. Pflegte man sich bis zum Erscheinen von Schotts bahnbrechendem Buche damit zu begnügen, gewisse Regeln aufzustellen, die ein praktisches Verständnis der Sprache ermöglichten, und jene Regeln in ein 38 Ebenda. 39 G. v. d. Gabelentz 1890, S.-4. 40 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-620. 41 Ebenda. 42 Ebenda, S.-627. 43 G. v. d. Gabelentz 1890, S.-4. <?page no="104"?> 82 Eberhardt Richter u. a. System zu bringen, welches dem Schema unserer lateinischen Grammatiken meist zum Verwechseln ähnlich sah, so sollte jetzt an die Stelle der Regel das Gesetz treten, und aus den Gesetzen des Sprachbaus waren alsdann die Einzelerscheinungen der Grammatik zu begreifen, die letzteren an der Hand der ersteren zu prüfen, zu erklären, zu ordnen.“ 44 Von der Gabelentz legt einer idealen Grammatik vor allem zwei Forderungen zugrunde, „Vollständigkeit und Richtigkeit“. Dem Prinzip der Richtigkeit genügt es dabei nicht, „wenn man die einzelnen Regeln und Erscheinungen der Sprache treu und deutlich wiedergegeben und gebührend mit Beispielen belegt hat … Wir haben gute Lehrbücher, die ihre Aufgabe so und nur so auffassen. Solche mögen in allen ihren Theilen wissenschaftlich sein, − im Ganzen, ich meine als Ganze sind sie es nicht. Denn eine Darstellung ist nur dann wissenschaftlich, wenn sie sachgemäss ist, und wo die Sache ihre Ordnung in sich selbst trägt, da muss die Darstellung dieser Ordnung folgen, sonst thut sie der Sache unwissenschaftlichen Zwang an.“ 45 Nach von der Gabelentz gleicht die Sprache einem „gegliederten Körper“, dessen Teile „erkennbar verschieden“ sind. Eine sachgemäße Darstellung „muß dieser Gliederung folgen. Dies wird sie leisten, wenn sie erstens den Körper als einen so und so gegliederten (von uns hervorgehoben − die Verf.) und zweitens jedes Glied einzeln beschreibt. Nun ist diese Gliederung eine organische, der Körper ist ein Organismus, in welchem jeder Teil in zweckmäßiger Wechselwirkung zum Ganzen steht, … das Ganze beherrscht von einem gemeinsamen Lebensprinzipe, zu welchem sich die einzelnen Organe ungleichartig und ungleichwertig verhalten. Hier zeigt es sich, wo der Kern- und Ausgangspunkt einer systematischen Darstellung liegen muß: jenes herrschende Prinzip will begriffen, will an die Spitze gestellt, will aber auch, eben weil es ein herrschendes ist, im weiteren Verlaufe, in der Einzelbeschreibung immer und immer wieder als solches erkennbar sein“ 46 . Dieses herrschende Prinzip als ein solches erkannt und folgerichtig gehandhabt zu haben, ist wohl das größte Verdienst von Wilhelm Schott und vor allem von Georg von der Gabelentz. Und in diesem Sinne kommt seinen 83 Thesen über den Auf bau einer chinesischen Grammatik und ihrer Realisierung in seiner großen Grammatik, trotz ihres geringen polemischen Gehaltes, der Charakter grundlegender Streitschriften zu. Die klassische chinesische Schriftsprache stellt den typischen Vertreter des isolierenden Sprachbaus dar, d. h. sie pflegt „die grammatischen Beziehungen der Wör- 44 Siehe ZDMG, Bd. 36, 1882, S.-712. 45 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-83. 46 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-635. <?page no="105"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 83 ter wesentlich durch äusserliche Mittel − Wortstellung, Hilfswörter − nicht durch Veränderungen in oder an dem Worte zum Ausdrucke zu bringen“ 47 , anders ausgedrückt, ihr fehlt alles das, was in den Grammatiken der indoeuropäischen Sprachen unter Wortbildung und Morphologie fällt. Und so ergab sich der wohl einzigartige Fall, „daß der zwanzigste Grammatiker einer Sprache sich noch darum streiten muß, ob diese Sprache eine Grammatik habe oder nicht“ 48 . Daß eine Sprache Grammatik haben muß, steht für ihn a priori fest: „Dass eine Sprache, um verständlich zu sein, Gesetze haben muss, dass die Gesamtheit dieser Gesetze die Grammatik bildet, braucht an dieser Stelle freilich nicht wiederholt zu werden. Und auch das ergibt sich von selbst, dass die Grammatik einer isolirenden Sprache lediglich Syntax ist.“ 49 Es ist auch unter dem Aspekt gegenwärtiger Diskussionen in der Sprachwissenschaft interessant, welche Rolle von der Gabelentz der Syntax, nicht nur für das Chinesische, beimißt. „In der Tat glaube ich“, schreibt er, „eine vollständige Grammatik müsse nicht nur eine Syntax enthalten, sondern sie müsse geradezu von der Syntax ausgehen … Sprache ist Ausdruck des Gedankens. Der Gedanke ist die Verknüpfung von Begriffen. Diese Verknüpfung hat die Sprache darzustellen in gegliederter Form.“ Und so ist „der Satz in der Sprache die erste (einfachste) Einheit, welche zugleich eine Ganzheit bildet. Das Wort lebt, d. h. wirkt nur als Glied des Satzes, daher kann es nur als solches, kann es nur in seiner Beziehung zum Satzganzen begriffen werden. Sprachbau ist zunächst Satzbau, und dann natürlich wieder zuhöchst Satzbau“ 50 . Auf dieser Grundlage formulierte von der Gabelentz in § 51 seiner großen Grammatik seinen Leitgedanken für die Darstellung des Systems der chinesischen Grammatik: „Die chinesische Grammatik ist, abgesehen von der Laut- und Schriftlehre, lediglich Syntax, und will als solche begriffen sein. Begriffen, nicht nur angelernt. Denn diese Syntax ist in allen wesentlichen Stücken nichts weiter, als die logisch folgerichtige Entwickelung einiger weniger Grundgesetze, welche in ihrem Zusammenwirken sozusagen das Lebensprincip des Sprachorganismus bilden. Aus ihnen ist logisch zu deduciren, und die Erfahrung lehrt, dass ein solches Schlussfolgern, einsichtig gehandhabt, viel Einlernen von Einzelnheiten zu ersetzen vermag.“ 51 47 G. v. d. Gabelentz 1881, S.-4. 48 Ebenda, Vorrede, S.-X. 49 G. v. d. Gabelentz 1884, S.-273. 50 Ebenda, S.-273-274. 51 G. v. d. Gabelentz 1881, S.-19. <?page no="106"?> 84 Eberhardt Richter u. a. Es mußte eine reizvolle Aufgabe für den Linguisten darstellen, diesen Anspruch konsequent durchzuführen, die gesamte Grammatik „einer uns so fremdgearteten“ 52 Sprache, „die dabei zu den vollkommensten Trägerinnen des Gedankens gehört, den sie wunderbar fein zu gliedern, mannigfaltig zu verknüpfen und feinsinnig abzuschatten versteht“ 53 , auf einige wenige Grundprinzipien zurückzuführen und aus diesen zu entwickeln. „Wovon ein System“, so von der Gabelentz, „der chinesischen Grammatik, um ein organisches zu sein, auszugehen habe, das hätte schon, seit der alte Marshman sein classisches „The whole of Chinese grammar depends on position“ (Clavis sinica, Preface pg. IX) ausgesprochen, kein Geheimnis mehr sein sollen. Es war Marshman nicht gegeben, diesen Satz tatsächlich durchzuführen. Rémusat schreibt seine Élémens zu Ende, ehe er den Wortstellungsgesetzen ein kurzes Résumé widmet. Julien, der sie in seinem Examen critique und namentlich in seinen Exercises pratiques nach Gebühr betont, wurde ein Greis, ehe er seine Syntaxe nouvelle verfaßte, ein Buch, dessen Systemlosigkeit wir kennen. Erst Schott war es vorbehalten, den Stellungsgesetzen den ihnen zukommenden Platz anzuweisen.“ 54 Georg von der Gabelentz stellt somit folgerichtig als letztes und selbständiges „Hauptstück“ des einleitenden Teiles seiner großen Grammatik die sogenannten „Grundgesetze des Sprachbaus“ (S.- 112-113) der eigentlichen Grammatik voraus. Darin führt er in 9 kurzen Paragraphen auf insgesamt 2- Seiten diese wenigen Gesetze der Wortstellung auf. Die wichtigsten von ihnen sind zunächst: 1. Notwendige Bestandteile des (nicht elliptischen, von uns hinzugefügt − die Verf.) (grammatischen) Satzes sind Subjekt und Prädikat; ein Ausdruck der Kopula gehört nicht zu den unerläßlichen Erfordernissen. Das Subjekt steht vor dem Prädikate. 2. Das Objekt eines Verbums steht hinter diesem. Präpositionen sind sowohl ihrem Ursprunge als auch ihrer syntaktischen Behandlung nach Verba. 3. Ein Satzteil kann aus zwei oder mehreren einfach nebeneinandergestellten koordinierten Wörtern bestehen. Die Koordination ist entweder kumulativ oder alternativ. 4. Ein Wort, durch welches ein anderes näher bestimmt wird, steht vor diesem, usw. 52 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-634. 53 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-328. 54 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-635. <?page no="107"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 85 Schon frühzeitig war von der Gabelentz aufgefallen, „dass Sprachen mit sonst starren Wortstellungsgesetzen diese Gesetze gelegentlich durchbrechen, zumal, dass sie an die Spitze des Satzes Glieder stellen, die nach der üblichen Wortfolge woanders stehen sollten“ 55 . Diese Beobachtungen, die er nach eigener Aussage „beim Studium einiger Sprachen der indogermanischen, finnotatarischen, indochinesischen, malaiisch-polynesischen Stämme und des Japanischen“ gemacht hatte, führten ihn zur Entdeckung eines für seine grammatische Systemauffassung grundlegenden Kategorienpaares, für die er die Termini „Psychologisches Subjekt“ und „Psychologisches Prädikat“ wählte. Diese Konzeption, die er ausdrücklich als seine Idee bezeichnete, hatte er erstmals bereits im Jahre 1869 veröffentlicht. 56 Das Gesetz hat er am bündigsten in seinem Aufsatz „Zur chinesischen Sprache und zur allgemeinen Grammatik“ folgendermaßen formuliert: „Die mitteilende Rede zerfällt in 1) den Gegenstand, von dem ich rede, und 2) das, was ich davon aussage. Jenen Gegenstand nenne ich das psychologische Subjekt, jene Aussage das psychologische Prädikat, und das psychologische Subjekt steht zuerst, das psychologische Prädikat zu zweit.“ 57 Dabei sind diese Kategorien oft verschieden von ihren grammatischen Seitenstücken. 58 In allen ihm bekannten Sprachen kommen z. B. die Adverbien in doppelter Stellung vor: a) unmittelbar zum Verb tretend, b) satzeinleitend. Von der Gabelentz illustriert dies an dem deutschen Satzpaar „Napoleon wurde bei Leipzig geschlagen.“ und „Bei Leipzig wurde Napoleon geschlagen.“ und führt dazu aus, daß diese Sätze „im Erfolge ein- und dasselbe“ seien, „psychologisch aber besteht ein tiefer Unterschied: in dem einen Falle ist es Napoleon, in dem anderen die Gegend bei Leipzig, von der ich reden, auf die ich den Gedanken des Angeredeten hinlenken will, also mein psychologisches Subjekt.“ 59 Weiter zeigt er, wie z. B. die Satzpaare „Es drückt mich (mich drückt) der Stiefel.“ und „Der Stiefel drückt mich.“ oder „Mich blendet das Licht.“ und „Das Licht blendet mich.“ jeweils unter unterschiedlichen Kommunikationsbedingungen angewendet werden. 60 Diese Idee hat von der Gabelentz sechs Jahre später dahingehend weiter entwickelt, daß „jedes folgende Satzglied … sich zu der Gesamtheit der vorhergehenden als psychologisches Prädikat zum psychologischen Subjekte (verhält); 55 G. v. d. Gabelentz 1886, S.-102. 56 G. v. d. Gabelentz, Ideen zu einer vergleichenden Syntax − Wort- und Satzstellung. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 6, Berlin 1869, S.-376-384. 57 G. v. d. Gabelentz 1886, S.-103. 58 Vgl. G. v. d. Gabelentz, Ideen zu einer vergleichenden Syntax … 59 Ebenda, S.-380. 60 Ebenda, S.-381. <?page no="108"?> 86 Eberhardt Richter u. a. die Grenze zwischen beiden ist also eine sich ruckweise verschiebende.“ 61 Von der Gabelentz, der diesen Gedanken am Beispiele des deutschen Satzes entwickelt hat, scheint nun, daß „das deutsche Satzordnungsgesetz so einfach, seine psychologische Erklärung so naheliegend (ist), dass (er) versucht wäre, es für das ursprünglich allen Sprachen gemeinsame zu halten …“ 62 . Von der Gabelentz weist ausdrücklich darauf hin, daß sein psychologisches Subjekt nichts mit der Betonungs- oder Nachdrucktheorie zu tun habe. Denn: „Erstens kann der Nachdruck auf jedem Satzgliede ruhen, gleichviel welche Stelle dasselbe einnehme. Folglich ist die Stellung vom Nachdrucke und der Nachdruck von der Stellung unabhängig, folglich ist nicht die eine aus dem andern zu erklären. Zweitens legt man nicht darum Nachdruck auf ein Satzglied, weil es Gegenstand der Rede ist, sondern aus einem andern Grunde.“ 63 Schließlich macht er noch darauf aufmerksam, daß sein psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat auch nichts mit Delbrücks „okkasioneller Stellung“ und „Schleppe“ zu tun hat. „Jede okkasionelle Stellung am Anfange des Satzes“, sagt er, „beruht meiner Auffassung nach auf dem psychologischen Subjekte, jede Schleppe nenne ich ein psychologisches Prädikat. Aber nicht jedes psychologische Subjekt hat eine okkasionelle, d. h. eine von der konventionellen abweichende Stellung, und die allerwenigsten psychologischen Prädikate sind Schleppen. Denn jeder Satz hat wohl psychologisches Subjekt und Prädikat, aber nicht jeder hat okkasionelle Stellungen und Schleppen.“ 64 Seine Auffassung vom psychologischen Subjekt hat von der Gabelentz als sechstes der allgemeinen Stellungsgesetze in seiner Grammatik folgendermaßen formuliert: „Es scheint naturgemäss und ist jedenfalls dem Chinesen nicht weniger Bedürfnis als uns, mit der Rede bei dem zu beginnen, was ihren Gegenstand bilden soll, und nun in der Reihenfolge fortzufahren, dass von Schritt zu Schritt die Gesammtheit der folgenden Glieder sich zu der Gesammtheit der vorausgegangenen als Aussage über diese verhält. Nächster Gegenstand der Rede- − psychologisches Subject- − ist aber nicht immer das grammatische Subject (unser Nominativ), sondern es kann das auch ein anderer Theil des Satzes sein, z. B. eine Zeit oder ein Ort, das grammatische Object, ein Genitiv, welcher zu letzterem gehört, usw. Solche Wörter müssen 61 In dem Aufsatz: Weiteres zur vergleichenden Syntax − Wort- und Satzstellung. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 8, Berlin 1875, S.- 137 ff. Das Zitat ist dem Aufsatz „Zur chinesischen Sprache und zur allgemeinen Grammatik“, S.-104, entnommen. 62 G. v. d. Gabelentz, Weiteres zur vergleichenden Syntax …, S.-139. 63 G. v. d. Gabelentz 1886, S.-104. 64 Ebenda, S.-106. <?page no="109"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 87 also aus dem syntaktischen Verbande herausgerissen und absolut gestellt werden … In der erzählenden Rede pflegt in der Regel erst die Zeit, dann der Ort, dann das Subject des Geschehnisses genannt zu werden …“ Als Anmerkung fügt von der Gabelentz hinzu: „Sachlich richtiger wäre es vielleicht gewesen, diesem Paragraph die erste Stelle anzuweisen, so dass das Uebrige als Besonderungen, beziehungsweise Einschränkungen desselben erschiene. In der That aber enthält er nur in seinem zweiten Absatze einen die Regel bildenden Grundsatz, während die übrigen Fälle der absoluten Stellung theils durch besondere … Mittel zu Stande kommen, theils vermöge ihres selteneren Vorkommens die Ausnahmen bilden.“ 65 Wir meinen, daß von der Gabelentz hier in der Praxis einen Schritt hinter seine theoretischen Postulate zurückgeht, indem er sein psychologisches Subjekt doch wieder auf Fälle der „absoluten Stellung“, und das heißt auf die Hervorhebung, einschränkt. Die Begriffe des psychologischen Subjekts und Prädikats ziehen sich durch verschiedene Paragraphen seiner Grammatik. Möglicherweise sind sie aber noch in weit größerem Umfange für die Aufhellung der dem grammatischen System des Chinesischen zugrunde liegenden Gesetze nutzbar zu machen. So fehlt unseres Erachtens z. B. bei der Darlegung des Passivs, daß dabei das logische Objekt nicht nur zum grammatischen, sondern gleichzeitig oder vor allem zu einem nicht hervorgehobenen psychologischen Subjekt seines Verbs wird. Seine (eigentliche) Grammatik handelt von der Gabelentz im folgenden zweifach, in zwei etwa gleich großen „Systemen“ ab. Diese Idee, den gesamten grammatischen Stoff unter einem doppelten Aspekt darzustellen, hatte von der Gabelentz das erste Mal unseres Wissens bereits 1875 in seinem Aufsatz „Weiteres zur vergleichenden Syntax − Wort- und Satzstellung −“ dargelegt, dann in den genannten 83 Thesen und schließlich in seiner „Sprachwissenschaft“ ausführlich entwickelt. Er geht dabei von folgendem Gedanken aus: „Der Lernende (einer Sprache) will ein Doppeltes erreichen: er will den sich ihm bietenden Sprachstoff − Worte, Formen, Konstruktionen − verstehen, und er will seine Gedanken in dem fremden Idiome richtig ausdrücken lernen. Darum muss eine Grammatik zweierlei beantworten: 1. was bedeutet eine jede sprachliche Erscheinung? und 2. welche Ausdrucksformen besitzt die Sprache für die Gedanken? Und hieraus ergeben sich zwei notwendige Theile oder Systeme einer jeden Grammatik, die mit der uns geläufigen Eintheilung in Formenlehre und 65 G. v. d. Gabelentz 1881, S.-114-115. <?page no="110"?> 88 Eberhardt Richter u. a. Syntax nichts zu schaffen haben.“ 66 In seiner „Sprachwissenschaft“ führt er diesen Gedanken weiter aus: „Insofern ich sie (eine Sprache) verstehe, stellt sie sich mir dar als Erscheinung, oder richtiger als eine Gesammtheit von Erscheinungen, die ich deute. Sofern ich sie anwende, bietet sie sich mir als Mittel, oder richtiger als eine Gesammtheit von Mitteln zum Ausdrucke meiner Gedanken. Dort war die Form gegeben, und der Inhalt, der Gedanke zu suchen; hier umgekehrt: gegeben ist der Gedankeninhalt, und gesucht wird die Form, der Ausdruck.“ 67 Hieraus leitet von der Gabelentz die Vorstellung ab, daß der „ideale graphische Ausdruck“ hierfür „zweidimensional, tabellarisch“ sein müsse, „sodass man von jedem Punkte aus zwei Reihen überschauen könnte; denn Alles in der Sprache ist zugleich zu deutende Erscheinung und anzuwendendes Mittel … Diese tabellarische Form einer ganzen Grammatik ist ideal, … und der Grammatiker sollte auf ein Mittel sinnen, um sie thunlichst zu ersetzen, das heisst, sie in die Form der fortlaufenden Rede umzusetzen. Offenbar kann dies nur in einer Weise geschehen: er liest, so zu sagen, die Tabelle zweimal ab, das eine Mal der Länge, das andere Mal der Quere nach.“ So meint von der Gabelentz, es „ergeben sich zwei einander nothwendig ergänzende grammatische Systeme: das eine nenne ich das analytische, weil in ihm die Spracherscheinungen durch Zerlegung erklärt werden; das andere nenne ich das synthetische, weil es lehrt, die grammatischen Mittel zum Auf baue der Rede zu verwerthen“. 68 Aufgabe des analytischen Systems ist seiner Meinung nach somit, „die Erscheinungen der Sprache nach ihrem Zusammenhange unter einander und nach der Mannichfaltigkeit der Bedeutungen zu erklären“ 69 , während das zweite System „als eine geordnete grammatische … oder grammatisch-lexikalische Synonymik“ verstanden ist. 70 Sie bilden „in Rücksicht der grammatischen Darstellung zwei trennbare, doch einander nothwendig ergänzende Hälften eines Ganzen, in Rücksicht auf die Sprache selbst ein untrennbares Ganze, so zu sagen Kette und Einschlag eines Gewebes“ 71 . Dabei sind beide Systeme „mit dem gleichen, nur anders geschichteten Inhalte gefüllt“ 72 . Während „jede Form des menschlichen Sprachbaues … eine besondere Form und Ordnung der analytischen Grammatik (verlangt)“, so daß sich „weitere gemeingültige Vorschriften über 66 G. v. d. Gabelentz, Weiteres zur vergleichenden Syntax …, S.-130. 67 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-86. 68 Ebenda, S: 87. 69 G. v. d. Gabelentz 1881, S.-353. 70 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-660. 71 Ebenda, S.-637. 72 Ebenda, S.-638-639. <?page no="111"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 89 die Einrichtung eines analytischen Systems nicht geben lassen“ 73 , äußert sich von der Gabelentz zur Frage der Anordnung des synthetischen Systems zurückhaltender und hält wohl die Zugrundelegung des dem Schüler geläufigsten grammatischen Schemas für möglich. 74 Von der Gabelentz stellte selbst fest, daß die von ihm befürwortete Darstellung der Grammatik in zwei gesonderten Systemen für den praktischen Lehrzweck die Probe noch zu bestehen habe, war jedoch von ihrer Durchführbarkeit überzeugt. 75 Offensichtlich ist ihm in der Praxis niemand gefolgt. Der Hauptgrund mag auch darin liegen, daß die beiden, durch von der Gabelentz für die Spracherlernung formulierten Ziele in der Praxis des Sprachunterrichts als untrennbare Einheit gehandhabt werden. Gleichzeitig muß hier berücksichtigt werden, daß Georg von der Gabelentz’ Lehrgegenstand die chinesische Schriftsprache und im engeren Sinne die sogenannte klassische Stilperiode war, wie sie sich in der überlieferten Literatur wiederfindet, deren Höhepunkt etwa im letzten halben Jahrtausend vor der Zeitenwende lag, und die etwa seit einem Jahrtausend nicht mehr gesprochen wird. Somit stand als eigentliches Ziel der Ausbildung die Lektüre der überlieferten Literatur und damit die Textanalyse. Andererseits aber erscheint uns, daß es gerade dieser Auf bau war, der es von der Gabelentz ermöglichte, seinen Grundsatz, den Sprachorganismus aus dem Wirken einiger weniger Grundgesetze herzuleiten, konsequent transparent zu machen. Unserer Meinung nach wird dies bereits deutlich bei einem Vergleich der großen Grammatik mit seinen zwei Jahre später erschienenen „Anfangsgründen der chinesischen Grammatik“, einem kürzeren Auszug aus seinem großen Werk, in dem diese Zweiteilung aufgegeben und an den Anfang ein großer Teil dessen gesetzt worden ist, was in der großen Grammatik das zweite, das synthetische System ausmacht. Sein analytisches System zerfällt in die folgenden vier Hauptteile: 1. „Stellungsgesetze“, mit den Unterabschnitten „Nomen zu Nomen“, „Verbum zu Verbum“, „Nomina und Verba zueinander“, „Kasuslehre“, „Stellung der Adverbien“, „Dopplung und Wiederholung der Wörter“ und „Satzfolge“. Die ersten drei Unterabschnitte decken sich im wesentlichen mit dem entsprechenden Teil von Wilhelm Schotts Chinesischer Sprachlehre, bieten jedoch ein wesentlich reichhaltigeres Material. Neu aufgenommen ist zunächst der Abschnitt Kasuslehre. Er gewinnt sein Material aus den vorangegangenen und stellt im Grunde nur eine Abstraktion und Zusammenfassung aus diesen dar. 73 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-92. 74 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-661. 75 Ebenda, S.-663. <?page no="112"?> 90 Eberhardt Richter u. a. Die Berechtigung, im Chinesischen von Kasus zu reden, hat Georg von der Gabelentz in seinen bereits mehrfach zitierten 83 Thesen dargelegt: „Diese Sprache hat nun einmal keine anderen Unterscheidungsmittel als ihre Wortfolgegesetze. Was sie vermöge dieser voreinander auszeichnet, das, sollte ich meinen, dürfen und müssen auch wir verschieden bezeichnen, und was sie nach Ausweis dieses Merkmals gleich behandelt, das haben auch wir einheitlich aufzufassen.“ 76 Präziser formuliert finden wir in seiner Grammatik: „Nun hat es sich ergeben, dass allerdings die Beziehungen der Substantiva unter einander und zu anderen Redetheilen in der Wortstellung ihren Ausdruck finden, dass also die Sprache recht wohl Casusunterschiede zu machen weiss.“ 77 Von der Gabelentz nimmt folgende 5 Kasus an: 1. den Subjektivus, 2. den Prädikativus („wenn es (d. h. das Substantiv), ohne von einem Verbum regiert zu sein, am Ende des Satzes steht. In diesem Falle gilt es als Verbum neutrum (! ), sofern es den Begriff der Copula in sich trägt und Adverbien vor sich haben kann, dagegen in Rücksicht auf seine etwaigen genitivischen oder adjectivischen Attribute als Substantivum“), 3. den Objektivus, 4. den Genitivus (später hat von der Gabelentz hierfür den Terminus Adnominalis vorgeschlagen 78 ) und schließlich 5. den Adverbialis. Dagegen gehört nach seiner Meinung nicht hierher der Fall, wo sich ein Nennwort durch seine Stellung in ein verbum transitivum verwandelt. 79 2. „Hilfswörter“, untergliedert in die Abteilungen „Pronomina“, „Pronominalpartikeln“, und zwar „den Demonstrativpronominibus verwandte“, den „Pronomen der zweiten Person verwandte“ und „Frageadverbien“, weiter „die verbalen Hilfswörter“ und „die Finalpartikeln“. W. Grube bezeichnete diesen Abschnitt als „ein wahres Meisterstück grammatischer Detailstudien“. Wir begegnen „hier sowohl im Punkte der Anordnung als auch in den Detailuntersuchungen über den Gebrauch und die Geltung der Partikeln einer Fülle neuer Anschauungen. Zum ersten Male wird hier eine genetische Einteilung der Hilfswörter versucht, und wenngleich … der Ursprung nicht bei allen Partikeln gleich klar, die Einreihung mithin eine vorläufige ist, so unterliegt es doch keinem Zweifel mehr, daß die letztere im Prinzip unanfechtbar bleibt“ 80 . 3. „Bestimmung der Redeteile“ und 4. „Abgrenzung der Sätze und Satzteile“, beides relativ kurze Abschnitte, die bisher wohl das erste Mal als 76 Ebenda, S.-644 77 G. v. d. Gabelentz 1881, S.-156. 78 G. v. d. Gabelentz 1886, S.-97. 79 G. v. d. Gabelentz 1881, S.-157. 80 Grube, S.-714-715. <?page no="113"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 91 gesonderte Abschnitte in eine chinesische Sprachlehre aufgenommen worden sind. Die Frage nach den Wortklassen ist für das Chinesische nach wie vor umstritten. Sie erforderte in jedem Falle eine gesonderte Darstellung. Zur Orientierung sei hier nur vermerkt: Die Tatsache, daß die große Mehrzahl der chinesischen Wörter nicht ein für allemal einem bestimmten, sondern je nach dem Satzzusammenhange bald diesem bald jenem Redeteile angehört, findet sich bereits bei Rémusat expressis verbis ausgedrückt. 81 Julien wußte dies „in praktisch klare, nur vielleicht etwas zu mechanisch geförmelte Regeln“ zu fassen, ohne dabei eine „terminologische Unterscheidung zwischen Wortkategorie und Redeteil“ einzuführen. 82 Georg von der Gabelentz versucht, dieser Tatsache dadurch zu begegnen, daß er bei den Wörtern zwischen Wortkategorie, d. h. ihrer Grundbedeutung, ob sie Individuen oder Gattungen, Eigenschaften, Zahlen, Tätigkeiten oder Zustände usw. bezeichnen, und ihrer jeweiligen Funktion im Satze, speziell in Rücksicht auf den Redeteil, ob sie als Substantiva, Adjektiva, Verba usw. gebraucht sind, unterscheidet. Die Wortkategorien benennt er mit deutschen Wörtern (Hauptwort, Eigenschaftswort usw.), die Funktion dagegen mit lateinischen. Danach ist „die Kategorie … also dem Worte unwandelbar anhaftend, die Function bei vielen Wörtern wechselnd“ 83 . Dabei hat von der Gabelentz nach W. Grube „auch zum ersten Male auf eine Erscheinung aufmerksam gemacht, die für den chinesischen Satzbau im höchsten Grade charakteristisch ist, daß nämlich ‚ein Wort sammt seinem Zubehöre im Satzganzen einen anderen Redetheil vertreten kann, als diesem Zubehöre gegenüber‘ (§ 842)“. Diesem Grundsatz hat von der Gabelentz im siebenten seiner allgemeinen Stellungsgesetze Rechnung getragen, wo er formuliert: „Bilden zwei oder mehrere Wörter zusammen einen Satztheil, so werden sie syntaktisch zusammen wie ein einziges Wort − meist wie ein Substantivum − behandelt. Innerhalb ihrer behalten sie ihre gegenseitige Rection …“ 84 Georg von der Gabelentz bekennt selbst, daß „der Bau noch nicht vollendet“ ist, und erblickt „im Ausbau dieser Lehre eine der wichtigsten Aufgaben der Grammatik“ 85 . Beim Auf bau seines analytischen Systems und dessen Gliederung bemühte sich von der Gabelentz nach seinem eigenen Urteil, sich „einzig und allein von der Natur der Sache leiten zu lassen und der Sprache ihr Gewand auf den Leib zu passen“ 86 . Für seine Anordnung gibt er selbst folgende Cha- 81 Abel-Rémusat, S.-35. 82 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-649-650. 83 G. v. d. Gabelentz 1881, S.-113. 84 Ebenda, S.-115. 85 G. v. d. Gabelentz 1878, S.-650. 86 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-93. <?page no="114"?> 92 Eberhardt Richter u. a. rakteristik: „Der analytische Weg ist der Weg vom Weiteren zum Engeren und zwar, wenn er nicht bloss methodisch, sondern systematisch sein soll, in zweifachem Sinne. Erstens in Rücksicht auf den Stoff. Gegeben ist das Ganze als Erscheinung; daraus werden die Theile geschält. Das Ganze aber, die lebendige Einheit ist der Satz. Zweitens in Rücksicht auf die Gesetze und Regeln. Die allgemeineren haben voranzustehen, und aus ihnen und ihrem Zusammenspiele sind dann, soweit möglich, die besonderen zu erklären- … Diese Grundgesetze aber sind Gesetze der Wortstellung, und für die Wortstellung massgebend sind Anfang und Ende des Satzes. Darum ist vom begrenzten Satze auszugehen, also anzunehmen, dass die Sätze durch Interpunctionen abgetheilt seien … Unter den grammatischen Erscheinungen und Mitteln nehmen die Hülfswörter die zweite Stelle ein, − die zweite, weil ihre Bedeutung und Anwendung unter der Herrschaft der Stellungsgesetze steht und nur aus diesen zu erklären ist. Nun sind die meisten Stammwörter der chinesischen Sprache dem Functionswechsel … unterworfen. … Diese jeweiligen Functionen bestimmen sich nach den Stellungserscheinungen und Hülfswörtern, darum gebührt der Lehre von ihrer Ermittelung der dritte Platz. Dass die rein philologische Kunst der Satzabgrenzung, bei der ausser den grammatischen und logischen noch stilistische Erwägungen mitspielen, an letzter Stelle kommt, bedarf keiner weiteren Rechtfertigung.“ 87 Um einen Eindruck vom Inhalt und Auf bau des synthetischen Systems zu geben, muß es für unsere Zwecke genügen, eine kurze Inhaltsübersicht anzuführen. Die vier „Hauptstücke“ dieses „Buches“ sind „Die Satztheile“ (§§ 905- 1132), „Der einfache Satz“ (§§ 1133-1355), „Der zusammengesetzte Satz und die Satzverbindungen“ (§§ 1356-1450) sowie „Stilistik“ (§§ 1451-1470). In dem Hauptstück „Die Satztheile“ findet sich das Kapitel „Bildung der Redetheile“, in dem die Frage beantwortet werden soll, durch welche Mittel die Sprache ihre Stoffwörter hervorbringt, und das in die Abschnitte „Im Allgemeinen“, „Substantive“, „Eigennamen“, „Adjectiva“, „Verba“, „Adverbien“ und „Negativbildung“ zerfällt, ferner das Kapitel „Erweiterung der Satztheile“ mit den Unterabschnitten „Adnominale Bestimmungen“ und „Adverbiale Bestimmungen“, einschließlich der Behandlung der Präpositionen, sowie der Teil- und Verhältniswörter. Das dritte Kapitel ist überschrieben mit „Die Zahl“, darunter werden u. a. auch die Kategorie der Allheit sowie die Koordination behandelt. Das vierte Kapitel behandelt die Pronomina, das fünfte hat zu seinem Gegenstand „Ellipsen und Kürzungen“. 87 Ebenda, S.-91-93. <?page no="115"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 93 Das Hauptstück über den „Einfachen Satz“ zerfällt in die Kapitel „Subject, Prädicat, Object“, „Psychologisches Subject, Inversionen“ und „Copula, Modalität“. Das dritte Hauptstück ist in die Kapitel „Subjects-, Prädicats-, Objectssatz“, „Adnominalsätze“ und „Adverbialsätze, Conjunctionen“ gegliedert. Die „Stilistik“ schließlich behandelt nacheinander „Rhythmus, Parallelismus, Wiederholung, Klimax“ usw., Erscheinungen, die im Chinesischen wesentlich mehr grammatischer Natur sind als man annimmt. Im synthetischen System ist somit genau der entgegengesetzte Weg im Verhältnis zum analytischen eingeschlagen: diesmal schreitet die Darstellung von den Teilen zum Ganzen fort, und zeigt, wie sich das Ganze aus den Teilen zusammensetzt. W. Grube bezeichnete vor allem die beiden Hauptstücke, „Der einfache Satz“ und „Der zusammengesetzte Satz“, als „wahrhaft geniale Leistung“. Neben dem Abschnitt über das psychologische Subjekt und die Inversionen, welcher „zum ersten Male die für das Chinesische so überaus wichtige Lehre von den Inversionen im Zusammenhange erschöpfend behandelt“, führt er vor allem die Lehre von den modalen Hilfswörtern (§§ 1178-1355 und §§ 1378-1444) an und fügt hinzu: „… es ist erstaunlich, wie der Verfasser oft mit einer Art divinatorischem Blick die feinsten Färbungen und Schattierungen sprachlicher Subjektivität gleichsam erst zu erraten und dann zu fixieren und zu erweisen verstanden hat. Meines Erachtens bildet die Lehre von den modalen Hilfswörtern den eigentlichen Glanzpunkt der grammatischen Darstellung.“ 88 Georg von der Gabelentz’ große Grammatik ist noch heute für das Studium der chinesischen Schriftsprache unentbehrlich, da bisher unseres Wissens kein weiteres Werk dieses Umfangs und dieser Stoffülle zu diesem Thema erschienen ist. Das mag auch zeigen, wie erschöpfend von der Gabelentz seinen Stoff behandelt und wie gekonnt er ihn gestaltet hat, so daß zwar das Bedürfnis nach Ergänzungen und Berichtigungen − so erarbeitet und veröffentlicht von Eduard Erkes 89 − nicht aber das Bedürfnis nach einer Neubearbeitung vorhanden war. Und wenn Georg von der Gabelentz an Pān ̣ ini neben der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Arbeit das Künstlerische hervorhebt, „was keinem Gelehrten fehlen sollte, der nicht nur Steinbrecher sein will, sondern auch Baumeister“ 90 , so hat er damit auch eine Wertung seiner eigenen Arbeit formuliert. 88 Grube, S.-717-718. 89 E. Erkes, Chinesische Grammatik. Nachtrag zur chinesischen Grammatik v. G. v. d. Gabelentz, Berlin 1956. 90 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-23. <?page no="116"?> 94 Eberhardt Richter u. a. Das Japanische hat Georg von der Gabelentz im wesentlichen nur lehrend vertreten. Während seiner Amtszeit an der Leipziger Universität hatte er neben einer regelmäßigen Lehrveranstaltung über japanische Grammatik Lehrveranstaltungen zur „Erklärung des Ta-hioh (chinesisch und japanisch)“, zur „Erklärung des Yamato-bumi (Nitufon-ki)“, sowie zur „Japanischen Grammatik, nach Hoffmanns Japanischer Sprachlehre“ und, mit einer Wochenstunde ausgewiesen, „Japanische Lectüre (Chamberlain, Romanized Japanese Reader)“ angekündigt. In seiner publizistischen Tätigkeit nimmt das Japanische keine herausragende Stellung ein. Eine Reihe Bemerkungen, mehr allgemeiner Natur, finden sich in seiner „Sprachwissenschaft“ zu Illustrationszwecken. Speziell dem Japanischen hat von der Gabelentz, wenn man von einem im Grunde nichtssagenden „Catalog einer Sammlung japanischer Bücher“ 91 absieht (den er noch als Student veröffentlicht hat, und in dem er eine Reihe japanischer Bücher vorstellt, die sich im Besitz seines Vaters befanden), unseres Wissens nur einen einzigen Artikel von etwa einer Druckseite Länge gewidmet, in dem er neben einer Bemerkung über die sprachverwandtschaftlich isolierte Stellung der japanischen Numeralien bei diesen auf „eine Art Dualbildung mit auffallender Regelmäßigkeit in dem Vokalwandel“ hinweist. 92 Interessanter und bedeutsamer erscheinen uns seine in seinem Aufsatz „Weiteres zur vergleichenden Syntax − Wort- und Satzstellung −“ im XI. Kapitel „Die Partikeln fa (va) im Japanischen und ja im Toumpakewa-Alifurischen“ getroffenen Bemerkungen zur Partikel wa, in denen er, auf dem von Hoffmann in seiner Japanese Grammar aufgeführten Material fußend, erstmalig die Auffassung ausspricht, daß in dieser Partikel ein grammatisches Mittel zur Kennzeichnung des psychologischen Subjektes zu sehen sei. 93 Wie sein Vater, Hans Conon von der Gabelentz, so beschäftigte sich auch Georg von der Gabelentz nicht nur mit ostasiatischen Sprachen, sondern auch mit Sprachen zentralasiatischer Völker. Allerdings treten die einschlägigen Publikationen gegenüber seinen sinologischen Arbeiten schon rein zahlenmäßig stark zurück. Noch am häufigsten hat ihn das Mandschurische beschäftigt, das unter ihm als Lehr- und Promotionsfach eingeführt wurde und das von nun an − auch unter seinen Nachfolgern − immer wieder in den „Lectionscatalogen“ der Leipziger Universität auftaucht. Allerdings zeigen 91 G. v. d. Gabelentz, Catalog einer Sammlung Japanischer Bücher. In: ZDMG, Bd. 16, 1862, S.-532-537. 92 G. v. d. Gabelentz, Über eine Eigentümlichkeit des japanischen Zahlwortes. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 7, 1871, S.-111-112. 93 G. v. d. Gabelentz, Weiteres zur vergleichenden Syntax …, S.-319 ff. <?page no="117"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 95 Vorlesungsankündigungen wie „Erklärung des Thai-Kih-tuh, chinesisch und mandschurisch“ (SS 1879, auf seiner Dissertation auf bauend), daß das Mandschurische damals in erster Linie als Hilfswissenschaft der Sinologie betrieben wurde. So übersetzte er beispielsweise auch Auszüge aus dem Jin Ping Mei nicht nach der originalen, sondern nach der Mandschu-Fassung. 94 − Hin und wieder taucht das Mandschurische in zusammenfassenden Arbeiten auf, z. B. in den „Ideen zu einer vergleichenden Syntax“ 95 . Dagegen sind − abgesehen von einem Katalog der „Mandschu-Bücher aus Hans Conons Bibliothek in Poschwitz“ 96 − selbständige mandschurische Arbeiten nie publiziert worden, obwohl verschiedene einschlägige Manuskripte weitgehend fertiggestellt waren. Manches davon liegt bis heute im Altenburger Familienarchiv, so die „Anfangsgründe der Mandschu-Grammatik“ (1866), ein „Wörterbuch Deutsch-Mandschu“ und eine „Sammlung mandschurischer Worte (! ) für verschiedene Kategorien“. Sein Interesse für andere zentralasiatische Sprachen zeigt eine „Tungusische Wörtersammlung, nach Maximovicz excipiert“; sie befand sich im in den Bombenangriffen des zweiten Weltkrieges verlorengegangenen Nachlaß seines Schülers Wilhelm Grube. Wilhelm Grube war auch der erste, der − während der Amtszeit von von der Gabelentz − mongolistische Lehrveranstaltungen in Leipzig ankündigte: „Mongolische Grammatik als Einführung in das Studium der uralaltaischen Sprachen“ 97 . Sicher hat Georg von der Gabelentz auch auf diesem Gebiet seinen Schülern manche Anregung vermittelt − selbst hervorgetreten ist er im Bereich der Mongolistik außer mit einem kleinen Aufsatz über „König Midas im mongolischen Gewande“ 98 nicht. Tibetologische Studien förderte er vor allem dadurch, daß er der damals in der indochinesischen Sprachwissenschaft üblichen Ansicht entgegentrat, wonach als Ausgangspunkt des Vergleichs und für die Wiederherstellung der ältesten Formen vorherrschend das Chinesische zu benutzen sei. Den 94 Erschienen in Paris 1879: Kin Ping Mei, les aventures galantes d’un épicier. Roman réaliste, trad. du Mandchou. In: Revue orientale et américaine, publ. par L. de Rosny, Bd. 3, S.-169-197. 95 Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 6, Berlin 1869, S.-376-384. 96 ZDMG, Bd. 16, 1862, S.-538-546. 97 Sommersemester 1882, nachdem er ein Semester zuvor auch die früheste tibetologische Vorlesung an der Leipziger Universität gehalten hatte („Anfangsgründe der tibetischen Grammatik, Mi 11-12, publice“, Wintersemester 1881/ 1882), die allerdings erst 5 Jahre später (Sommersemester 1887) von Heinrich Wenzel fortgeführt wurde (zudem auch nur ein knappes Semester). 98 Globus, Illustrirte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde, Bd. 14, Braunschweig 1864, S.-248-249. <?page no="118"?> 96 Eberhardt Richter u. a. entscheidenden methodologischen Fortschritt vollzog er auf dem Orientalistenkongreß 1881 in Florenz, als er in seinem Vortrag „Sur la possibilité de prouver l’existence d’une affinité généalogique entre les langues dites indochinoises“ 99 als vielversprechende Grundlage der Vergleichung vielmehr das Tibetische bezeichnete, „das für die indochinesischen Sprachen ungefähr das sei, was Sanskrit oder Griechisch für die indogermanischen“ 100 . Weiter ausgebaut wurden die damals vorgetragenen Thesen dann von seinem Schüler Wilhelm Grube. 101 Voraussetzungen für spätere tibetologische Arbeiten schuf von der Gabelentz selbst, indem er tibetische Blockdrucke sammelte, die noch heute für Forschungen zur Verfügung stehen und von der Wissenschaft genutzt werden. In unmittelbarer Fortsetzung einer Arbeit seines Vates Hans Conon hat sich Georg von der Gabelentz auch mit Sprachen der auf den südlich und südöstlich des asiatischen Kontinents gelegenen Inseln lebenden Völker, speziell mit den melanesischen Sprachen, beschäftigt. Er soll handschriftliches Material zu mehr als dreißig dieser Sprachen hinterlassen haben 102 , Publikationen zum Gegenstand existieren etwa zehn; die wichtigste, hier zu nennende, sind die „Beiträge zur Kenntnis der melanesischen, mikronesischen und papuanischen Sprachen“, die er zusammen mit Adolf Bernhard Meyer veröffentlichte. 103 Es muß aber dahingestellt bleiben, ob sich von der Gabelentz des Umstandes bewußt gewesen ist, daß − wie sein Biograph schreibt 104 − die Erforschung der Südseesprachen „für die Erschließung der Kolonien so ungeheuer wichtig war“; Tatsache bleibt es jedenfalls, daß die Erforschung vieler Sprachen Asiens, Afrikas und der vorgelagerten Inselwelt ursächlich mit der Kolonisierung dieser Gebiete zusammenhing. Anliegen von der Gabelentz’ war es bei diesen Forschungen, weitere Aufschlüsse über die genealogische Verwandtschaft der untersuchten Sprachen zu gewinnen − wobei er selbst wiederholt auf die großen Mängel des ihm vorliegenden Materials hinweist und dennoch mit intuitiver Genialität zu Ergebnissen gelangt, die wenigstens zum größeren Teil Gültigkeit behalten haben. A. Conradys Würdigung der Ergebnisse der erwähnten „Beiträge“ dürfte Wesentliches aus diesem weiterhin Gültigen ansprechen: „Und es gelang ihm, was jener 99 Siehe: Atti del IV. congr. internaz. degli Orientalisti 1878, Bd. 2, Florenz 1881, S.-291; vgl. auch G. v. d. Gabelentz 1881, S.-104 f. (§ 235), und 1891, S.-167. 100 A. Conrady, Eine Indochinesische Causativ-Denominativ-Bildung, Leipzig 1896, S.-xv. 101 Grube 1881. 102 Dobrucky, S.-76 und Anm. 74. 103 In: Abh. der philol.-hist. Classe der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Bd. 8, No. IV, Leipzig, 1882, S.-375-541. 104 Dobrucky, Anm. 74. <?page no="119"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 97 (gemeint ist der Vater Hans Conon von der Gabelentz − die Verf.) als Vermuthung ausgesprochen hatte, zur Gewißheit zu erheben: daß wir es hier (gemeint ist „das Melanesische“ − die Verf.) mit einer Mischsprache (Contactsprache) zu thun haben, die aus der Amalgamirung einer Negritorace mit malaiisch-polynesischen Stämmen hervorgegangen ist.“ 105 Auch in bestimmten Einzelfragen hat sich von der Gabelentz’ Ansicht als richtig erwiesen, so, wenn er über die kolarischen (oder Munda-)Sprachen schreibt, sie „bilden einen kleinen, wie es scheint, völlig selbständigen Sprachstamm für sich“ 106 . Während diese Sprachen längere Zeit als den austroasiatischen zugehörig angesehen wurden, werden sie heute doch wieder als isolierte Gruppe eingeordnet. Zu nicht aufrechtzuerhaltenden Schlußfolgerungen ist er allerdings in Bezug auf die „Sprachen der Nicobaren-Insulaner“ gelangt, die er mit den malayo-polynesischen und den melanesischen zur großen Familie der „indonesischen“ Sprachen zusammenfassen wollte 107 , wogegen heute als gesichert gilt, daß Nikobarisch eine austroasiatische Sprache ist. Ganz fehlgegangen ist von der Gabelentz jedoch auch hier nicht, da P. Wilhelm Schmidt 108 später seine austroasiatische und austronesische (= malayo-polynesische) Familie zur „austrischen“ zusammenfassen konnte, also Verwandtschaft tatsächlich vorhanden ist. Nur über Art und Grad dieser Verwandtschaft-− wie übrigens auch das tatsächliche Verhältnis der melanesischen zu den austronesischen Sprachen-− gibt es bis heute unterschiedliche Meinungen. Bei der Behandlung der koreanischen Sprache zeigen sich bestimmte Grenzen des von der Gabelentzschen Verständnisses über das Verhältnis von Sprache und Gesellschaft, wenn er in Bezug auf die Konjugation schreibt: „In ihr entfaltet die Grammatik Reichtum und Feinheit, aber auch viel lästiges Etikettenwesen.“ 109 (von uns hervorgehoben-− die Verf.). Was er meint und beschreibt, sind die verschiedenen, sozial determinierten Stilschichten, die Verwendung verschiedener Morpheme (in anderen Sprachen können es selbst verschiedene Vokabeln sein) für ein und dieselbe Funktion je nach sozialer Stellung des Redenden, des Angeredeten bzw. dessen, von dem die Rede ist, abgestuft noch nach dem Grad der Unterstellung. Von der Gabelentz vermochte nicht zu erkennen, daß 105 Conrady, S.-4. 106 G. v. d. Gabelentz, Kolarische Sprachen. In: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, hrsg. von J. S.-Ersch und I. G. Gruber, 38. Theil, Leipzig, 1885, S.-104a. 107 G. v. d. Gabelentz, Einiges über die Sprachen der Nicobaren-Insulaner. In: Berichte der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, 1885. 108 P. W. Schmidt, Die Mon-Khmer-Völker, ein Bindeglied zwischen Völkern Zentralasiens und Austronesiens. In: Archiv für Anthropologie, N. F., Bd. 5, Braunschweig 1906, S.- 59-109 (daselbst im gleichen Jahr auch als Monographie erschienen). 109 Koreanische Sprache, in Ersch und Grubers „Enzyklopädie …“, 39. Theil, 1886, S.-59b. <?page no="120"?> 98 Eberhardt Richter u. a. es sich hierbei nicht nur um ein linguistisches, sondern gleichermaßen um ein soziales Problem handelt. Seiner umfassenden sprachlichen Interessiertheit folgend, hat sich Georg von der Gabelentz, so wird berichtet 110 , auch mit einer Reihe von Indianersprachen beschäftigt. Auf diesem Gebiet gibt es allerdings nur eine Veröffentlichung, die jedoch typisch ist für von der Gabelentz’ verallgemeinernde Betrachtungsweise eines konkreten sprachlichen Gegenstandes. Es handelt sich um die Darstellung der Kri-Sprache 111 in der von Ersch und Gruber herausgegebenen „Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste“ 112 . Dabei erweitert von der Gabelentz die Einordnung und Beschreibung dieser Sprache ganz beiläufig zu einer Abhandlung sprachtheoretischer und sprachphilosophischer Fragen, die sich aus der konkreten Sprache ableiten lassen, und bringt die Sprache zudem mit ihrer aus den gesellschaftlichen Bedingungen des Sprachträgers erwachsenden Funktion in Beziehung: „Es ist gut, sich die Aufgaben zu vergegenwärtigen, die eine solche Sprache zu lösen hat, also die Lebensbedingungen und Bedürfnisse des Volkes, das sie redet.“ 113 Und von dieser Vergegenwärtigung ausgehend, weist er dann darauf hin, „unter wieviel Vorbehalten man unsere grammatischen Ausdrücke auf die Kategorien einer solchen Sprache anwenden darf “ 114 -− eine durchaus noch aktuelle Überlegung, die um so erwähnenswerter erscheint, als die Betrachtung auch der „exotischsten“ Sprache durch die grammatische Brille der Indoeuropäistik und ihrer Terminologie bis heute nicht vollständig und endgültig überwunden wurde. Georg von der Gabelentz hatte zu alldem auch einen guten Überblick über die Literatur, die zu seiner Zeit über afrikanische Sprachen erschienen war. Dieses Interesse war durch seinen Vater angeregt worden, der als einer der ersten auf die Zusammenhänge der Bantu-Sprachfamilie hingewiesen 115 und im Auftrage des Vorstands der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft die Herausgabe afrikanistischer Arbeiten gefördert hatte 116 . Wie die entsprechenden Abschnitte in seiner „Sprachwissenschaft“ beweisen, hat Georg von 110 Dobrucky, S.-78. 111 Kri, meist englisch Cree geschrieben, französische Schreibung Cris: Stamm der nördlichen Algonkin-Indianer. 112 40. Theil, 1887, S.-50b-53a. 113 Ebenda, S.-51b. 114 Ebenda. 115 H. C. v. d. Gabelentz, Über die Sprache der Suaheli. In: ZDMG, Bd. 1, 1847, S.-238-242. 116 Vgl. Brief von H. C. v. d. Gabelentz an den Vorstand der DMG vom 30. 12. 1849, in dem er sich für die linguistische Bearbeitung und den Druck der Grammatik und des Wörterbuches der Odschisprache (= Twi) von Riis einsetzte. <?page no="121"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 99 der Gabelentz die schon zu seiner Zeit für die Afrikanistik grundlegenden Werke als solche erkannt, so vor allem die erste bedeutende Gliederung der Sprachen Afrikas durch R. Lepsius in der Einleitung zu seiner Nubischen Grammatik 117 -− zu der von der Gabelentz schrieb: „Gross und kühn gedacht ist jene Hypothese, die Lepsius … über die genealogischen Verhältnisse der Sprachen Afrikas aufgestellt hat“ 118 - − und Steinthals ausführliche Abhandlung über die „Mande-Negersprachen“ 119 , die Georg von der Gabelentz ein „geistvolles Buch“ 120 nannte. Im Zusammenhang mit seinen baskischen Studien hat er sich auch mit Koptisch, Tuareg und Berberisch befaßt 121 , außerdem über Nama (Khoisan- Familie, SW-Afrika) und Kunama (Nilo-Saharanische Familie, Sudan) gearbeitet, worüber jedoch keine Veröffentlichungen vorliegen. Im Prinzip ausgehend von dem sprachphilosophischen Gedankengut Wilhelm von Humboldts entwickelte Georg von der Gabelentz seine sprachwissenschaftlichen Auffassungen in der Auseinandersetzung mit Vertretern der gerade während der Jahre seiner Leipziger Amtszeit dominierenden Richtung in der Sprachwissenschaft, der junggrammatischen Schule. Von der Gabelentz zeichnete sich-− wie viele andere Gelehrte seiner Zeit auch-− durch eine profunde humanistische Bildung aus. Sein Vorteil bestand darin, daß er sich Wissen über Sprachen angeeignet hatte, die von der landläufigen Indogermanistik dieser Jahre wohl nicht nur aus sprachlicher Unkenntnis, wie die Entwicklung dokumentierte, außer Betracht gelassen wurden. Sein Weitblick in Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, genährt und geschärft durch die Breite mühevoll erarbeiteter Substanz, negierte die Konformität mit Inhalten einer Sprachwissenschaft, die auch von unserer sprachtheoretischen Position aus beurteilt den Teil für das Ganze ausgab und den Bezug zum Sprachträger vernachlässigte. Mit der Forderung der Junggrammatiker nach Priorität der äußeren Sprachform, der Laute, in der sprachwissenschaftlichen Arbeit war in der theoretischen wie praktischen Konsequenz verbunden, daß die innere Sprachform außerhalb jeglicher Betrachtungen blieb. Den Nachweis dafür liefert besonders Hermann Pauls Standardwerk der junggrammatischen Schule, „Principien der Sprachgeschichte“ (1880). Der Historismus der junggrammatischen Schule unterstreicht den Atomismus der sprachlichen Beschreibung. Die Zuwendung zu einer historischen 117 R. Lepsius, Nubische Grammatik, Berlin 1880. 118 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-275. 119 H. Steinthal, Die Mande-Neger-Sprachen, Berlin 1867. 120 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-87. 121 G. v. d. Gabelentz, Baskisch und Berberisch. In: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jg. 1893, S.-593-613. <?page no="122"?> 100 Eberhardt Richter u. a. Betrachtungsweise der Sprache beschränkt sich auf den Blick zur Geschichte der lautlich-formalen Komponente des Sprachsystems. Bestimmte Ansätze zur Überwindung junggrammatischer Lehrsätze bietet Hermann Pauls Prinzipienlehre, die sich- − bei Ablehnung des „Volksgeistes“ Humboldts- − „mit den psychischen und gesellschaftlichen Faktoren“ 122 beschäftigt, die auf die Sprache einwirken. Damit sind Gedanken angelegt, die auf von der Gabelentz nicht ohne Einfluß geblieben sind, trotz Ablehnung ihrer positivistischen axiomatischen Methode. Hier wird in der Tendenz ein Berührungspunkt zwischen Paul und von der Gabelentz sichtbar, der in der- − wenn auch eingeschränkten-− Reaktion Pauls auf von der Gabelentz in den „Principien der Sprachgeschichte“ seinen Niederschlag gefunden hatte. Doch eine Tatsache bleibt unverkennbar: „Die physiologische Orientierung der ersten Junggrammatiker und die mehr psychologische Orientierung Pauls gehören im Rahmen der positivistischen Methodik zusammen, die die Sprache als bloße Summierung von Sprechakten begreift.“ 123 Das Verdienst des „methodischen Postulats“ (Helbig) der junggrammatischen Schule ist dabei historisch unbestritten. Und dieses Postulat der Beachtung feingliedriger und jede Einzelheit berücksichtigender wissenschaftlicher Arbeit wirkte inspirierend auch auf Georg von der Gabelentz. Die Bildung seiner sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse vollzog sich nach Gegenstand und Zeit unterschiedlich. Von der Gabelentz betonte dies selbst, indem er schrieb: „Mein Buch („Die Sprachwissenschaft, …“- − die Verf.) ist in einer längeren Reihe von Jahren mit grossen Unterbrechungen entstanden, und seine Theile sind keineswegs in der Reihenfolge verfasst, in der sie nun vorliegen. Was mich eben beschäftigte, wurde, sobald es mir reif schien, als Aufsatz niedergeschrieben; mit der Zeit entstand der Plan zum Ganzen, …“ 124 Seine wissenschaftliche Grundposition hatte von der Gabelentz bereits im Jahre 1877 in der Rezension von Friedrich Müllers „Grundriss der Sprachwissenschaft“ (Wien 1876-1877) formuliert. Sie zeugt von unbestreitbarem Kenntnisreichtum und der Weitsicht dieses Wissenschaftlers. „Unsere Wissenschaft“, schrieb von der Gabelentz, „hat seit ihrem ersten Auf blühen einen doppelten Zweck verfolgt. Einmal gilt es ihr, einzelne Sprachen und Sprachsippen genealogisch, d. h. genetisch durch Vergleichung ihrer lautlichen Gestalten, zu begreifen. Zweitens aber soll die menschliche Sprache als solche in ihrem Ursprunge und Wesen, mithin zugleich in ihren sämmtlichen Möglichkeiten erkannt werden (von uns hervorgehoben- − die 122 Helbig, S.-18. 123 Helbig, S.-18-19. 124 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-V. <?page no="123"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 101 Verf.). Es ist dies die sprachphilosophische Aufgabe, deren völlige Lösung nur einer die ganze Sprachenwelt umfassenden Kenntnis gelingen wird. Dem Linguisten, der diesem Ziele zustrebt, wird man, abgesehen von dem Studium sprachphilosophischer Werke, eine doppelte Schulung empfehlen müssen: bei den Indogermanisten lerne er die Methode der etymologischen Sprachvergleichung; - − ohne diese Methode kein Fortkommen auf anderen Gebieten! Dann aber suche er sich in möglichst vielen, möglichst verschiedenartigen Sprachen und Sprachstämmen nach Kräften heimisch zu machen, um sich ein recht gestaltenreiches Bild von der unahnbaren Mannichfaltigkeit der Sprachen nach Ideengehalt und Ausdrucksmitteln zu verschaffen.“ 125 Erkennen wir heute die Überzeugungskraft dieser Argumentation, begreifen wir gleichermaßen die Gründe der geringen Resonanz, die seine Ideen im sprachwissenschaftlichen Zentrum Deutschlands jener Jahre finden konnten. Gegen die Dominanz des junggrammatischen Gedankenguts, historisch-gesetzmäßig in der Disziplin längst angelegt 126 , war der einzelne zurückgedrängt, zumal, wenn seine Beweisführung auf weithin unbekanntem Boden aufgebaut war. Unwiderlegbar schienen die reichen Fakten gründlicher indogermanistischer Forschung. Weniger Klage, als vielmehr Mahnung lesen wir deshalb aus von der Gabelentz’ Worten: „Ich habe hier wenige Genossen, besonders auch unter meinen Landsleuten; und eben dies mag es rechtfertigen, dass ich meinen Standpunkt zur Geltung bringe, nachdem so manche unserer hervorragendsten Indogermanisten ihrerseits das Gleiche gethan. Ich suche Verständigung (von uns hervorgehoben- − die Verf.) und thue mein Bestes, um sie zu finden; ich verlange nichts Besseres, als gegenseitige Anerkennung (von uns hervorgehoben- − die Verf.).“ 127 125 G. v. d. Gabelentz, Bespr. von Fr. Müller, Grundriss der Sprachwissenschaft, Wien 1876-1877. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 9, Berlin 1877, S.-373-374. 126 Vgl. Růžička. 127 G. v. d. Gabelentz, 1891, S.-V; aufschlußreich für die Situation, in der sich G. v. d. Gabelentz befand, und seine sprachwissenschaftliche Position ist auch der folgende Passus aus einem Brief v. d. Gabelentz’ an seine Schwester Clementine v. Münchhausen v. 17. 5. 1880. Darin schreibt er: „Leipzig wird … die Hauptuniversität für allg. Sprachwissenschaft und soll das unserem Plane nach immer noch mehr werden. Mit der Zeit wollen wir auch über die Sprachen von anderen Stämmen lesen. Es gilt, endlich der Sprachwissenschaft in Humboldts und Papas Sinne volle Geltung zu verschaffen. Die Indogermanisten mit ihren Lautvergleichen bildeten sich ein, Linguisten par excellence zu sein. Solange Schleicher und Curtius dominierten, konnten sie den Schwarm der klassischen Philologen an sich fesseln. Solange das Sanskrit als älteste Sprache des Stammes eine unbestrittene Herrschaft ausübte, übte es eine mächtige Zugkraft aus.-− Alles das ist jetzt anders geworden. Die Indogermanistik macht eine wunderbare Mauser durch und rupft nachgerade mit wahrer Lust sich selbst ihre glänzendsten Federn <?page no="124"?> 102 Eberhardt Richter u. a. Doch ist auch damit 128 bereits ein Zeichen zur Überwindung des junggrammatischen Konzepts gesetzt, wenn ausschließlich und gerade Hermann Paul, im anerkannten theoretischen Hauptwerk der Junggrammatiker, seinen „Prinzipien der Sprachgeschichte“, Georg von der Gabelentz Anerkennung beimißt. 129 Das Ideengut von der Gabelentz’ hatte in der unmittelbaren Folge jedoch wesentlichen Einfluß auf so bedeutende Gelehrte wie Vilém Mathesius (1882−1946) und Frank Nikolaus Finck (1867-1910) 130 . Von der Gabelentz gewann, und das ist unbestritten, aus der Beschäftigung besonders mit ost- und südostasiatischen Sprachen − in erster Linie jedoch dem Chinesischen − wichtige Erkenntnisse auch für die allgemeine Sprachwissenschaft seiner Zeit, die bis in unsere Tage zu verfolgen und weitgehend von Belang geblieben sind. „Schon die Lehrvorträge über vier uns so fremdartige und untereinander so verschiedene Sprachen, wie Chinesisch, aus. Sanskrit ist nicht mehr alleinige Wortführerin, und der Born seiner Literatur ist schon so weit erschöpft, daß die unermüdlichen Herausgeber schon oft recht fades Zeug mit abdrucken lassen. Mit den semitischen Studien steht es kaum besser. Auszubauen und zu berichtigen gibt es natürlich noch allerwärts, viel Neues aber kaum, außer in den Keilschriften Assyriens, … (noch) zu holen. Meine Kollegen klagen über die sichtliche Abnahme der orientalischen Interessen, mich aber entmutigt das gar nicht. Junge Leute werden immer lieber im frischen Grün weiden, als auf dem Stoppelacker Aehren lesen.“ (zitiert in Münchhausen, S.-45). 128 Vgl. auch Helbig, S.-18. 129 Vgl. H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, 5. unveränderte Aufl., Halle 1937, S.-124- 126 u. 284-288; so im Paragraphen 87 (S.- 124): „Jeder Satz besteht demnach aus mindestens zwei Elementen. Diese Elemente verhalten sich zueinander nicht gleich, sondern sind ihrer Funktion nach differenziert. Man bezeichnet sie als Subjekt und Prädikat. Diese grammatischen Kategorien beruhen auf einem psychologischen Verhältnis … Das psychologische Subjekt ist die zuerst in dem Bewußtsein des Sprechenden, Denkenden vorhandene Vorstellungsmasse, an die sich eine zweite, das psychologische Prädikat anschliesst.“ 130 Vgl. Vilém Mathesius: „In the first period of his scientific activity interest in general linguistics and literary history are combined in equal proportion. Impulses for his first grammatical studies came from the pioneering ideas of Sweet and Jespersen, of Wegener and Gabelentz“ (von uns hervorgehoben- − die Verf.) (nach B. Trnka, in: Th. A. Sebeok (ed.), Portraits of Linguists. A Biographical Source Book for the History of Western Linguistics 1746-1963, Bloomington and London 1966, Bd. 2, S.-476), und Franz Nikolaus Finck: „Finck setzte da die Arbeit fort, die Humboldt begonnen hatte, die im 19. Jahrhundert aber wenig gefördert worden ist. Und mit derselben Klarheit über sich selbst, mit der er beinahe jeder seiner Arbeiten die Stelle in der Entwicklung der Wissenschaft anweisen konnte, hat er als die Männer, denen er seinerseits am meisten zu verdanken hat, genannt: Humboldt, Steinthal, G. v. d. Gabelentz (von uns hervorgehoben − die Verf.), Misteli, Friedrich Müller, Winkler und Byrne, und er hat in späterer Zeit, als er noch schärfer seine Eigenart ausgebildet und erkannt hatte, zwei von diesen, Gabelentz und Friedrich Müller, weggelassen“ (nach E. Lewy, ebenda, S.-281). <?page no="125"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 103 Japanisch, Mandschu und Malaisch“- − schrieb von der Gabelentz in seiner „Sprachwissenschaft“ − „nöthigten mich immer wieder, in’s sprachphilosophische Gebiet hinüberzuschweifen. Dabei konnte ich beobachten, wie schwer sich oft die besten Köpfe von den muttersprachlichen Vorurtheilen losringen, wie aber dann, wenn dies gelungen, aus den entlegensten Gebieten herüber auf heimische Spracherscheinungen Licht fallen kann.“ 131 Von der Gabelentz’ Verdienste um die allgemeine Sprachwissenschaft, seine Erkenntnisse und ihre Weiterentwicklung in allen Einzelheiten herauszuarbeiten, kann nicht Aufgabe nur eines Vortrags sein. Die wesentlichsten lassen sich wohl ordnen in die Ideen zur Sprachsystembetrachtung, zum psychologischen Subjekt und Prädikat, zur Agglutinationstheorie, zur Typologie und Sprachbewertung, zum Verhältnis von Synchronie und Diachronie und zu den Lautgesetzen. Für das Verständnis der sprachwissenschaftlichen Position von der Gabelentz’ ist es notwendig, auf besonders eine seiner bedeutenden Erkenntnisquellen, Wilhelm von Humboldts Sprachphilosophie, hinzuweisen. Von ihr ist von der Gabelentz wesentlich beeinflußt worden. Die Sprachkonzeption Humboldts, seine Sprachphilosophie, wonach „die Geisteseigentümlichkeit und die Sprachgestaltung eines Volkes … in einer solchen Innigkeit der Verschmelzung ineinander stehen, daß, wenn die eine gegeben wäre, die anders müßte vollständig aus ihr abgeleitet werden … Die Sprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache, man kann sich beide nicht identisch genug denken“ 132 , diese Konzeption finden wir in ähnlicher Form bei Georg von der Gabelentz wieder, wenn er schreibt: „Jeder Mensch hat seine innere Welt von einem gewissen engeren oder weiteren Umfange, mit anderen Worten seinen Ideenkreis. Zu dieser inneren Welt, sie beherrschend, gehört auch eine subjektive (innere) Weltordnung, die in mehr oder minder feiner und reicher Weise die Dinge gruppirt, in Zusammenhang setzt oder trennt; mit anderen Worten: der Ideenkreis wird beherrscht durch eine bestimmte Anschauungsweise, die er doch natürlich auch seinerseits wiederum bedingt. In Beidem nun, in jenem Ideenkreise und in dieser Anschauungsart, besteht, dank dem sprachlichen Gedankenaustausche, eine gewisse Gemeinschaft unter den Sprachgenossen, die in der Sprache ihren Ausdruck finden muss.“ 133 Wenig später, im Buch „Die Sprachwissenschaft“, greift er in den Erörterungen zur 131 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-(III). 132 W. v. Humboldt, Über die Kawisprache auf der Insel Java. Nebst einer Einleitung über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, Berlin 1836-1839, neu hrsg. v. H. Nette, Darmstadt 1949, S.-41. 133 G. v. d. Gabelentz 1889, S.-195. <?page no="126"?> 104 Eberhardt Richter u. a. allgemeinen Sprachwissenschaft, Kapitel IV − benannt „Sprachwürderung. Gesichtspunkte für die Werthsbestimmung der Sprachen“ das Humboldtsche Konzept auf und bekennt sich im Hinblick auf die Erfassung und Definition der Aufgabe der Sprachwissenschaft zum Gedanken der Wechselwirkung zwischen Sprache und „Volksgeist“ 134 . Diese Auffassung W. v. Humboldts erscheint bei von der Gabelentz unter dem Wissen über Sprachen Ost- und Südostasiens weiterentwickelt; daß er sie induktiv verfolgt hat, beweisen bereits seine Bemerkungen in seiner Antrittsrede als Akademiemitglied vor der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 3.-Juli 1890 in Berlin. 135 Wenn auch bei Georg von der Gabelentz diese Ideen in bestimmtem Maße von seiner relativ breiteren konkreten sprachlichen Grundlage mit beeinflußt wurden und zudem die sprachwissenschaftliche Situation jener Zeit- − charakterisiert durch die Dominanz der junggrammatischen Schule- − bei einer kritischen Analyse nicht außer acht gelassen werden darf, so wird doch bereits aus diesem Zitat offenkundig, daß Georg von der Gabelentz in dem für uns heute nicht zu akzeptierenden sprachphilosophischen Gedankengut Wilhelm von Humboldts befangen blieb. Darüber hinaus wird ersichtlich, daß von der Gabelentz auch unter dem Einfluß der Psychologie Wilhelm Wundts, besonders den Ansätzen zur Völkerpsychologie, stand. Wenn auf diesen Erkenntnisquellen beruhend bestimmte inakzeptable Positionen im sprachtheoretischen Verständnis von der Gabelentz’ unverkennbar sind, so besteht sein Verdienst auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft aber-− und im Gegensatz zur junggrammatischen Schule-− darin, der Sicht der notwendigen Ganzheitsbetrachtung der Sprache, der Einbeziehung der inneren Sprachform, in der Überwindung der streng analytischen Methode der Junggrammatiker mit verholfen, dazu einen Beitrag geleistet zu haben. Dies konnte von der Gabelentz umso mehr, als ihm neben der Kenntnis von Sprachen verschiedener Genesis bzw. dem systematischen Überblick über jene zudem die methodologische Forderung, die Dialektik von Analyse und Synthese bei der Untersuchung des Sprachsystems, gegenwärtig war. Die Syntax mußte dabei folgerichtig eine zentrale Stellung einnehmen. Auf diesem Boden wuchs auch die Frucht seiner Erkenntnis vom psychologischen Subjekt und Prädikat. Dieser Gedanke der aktuellen Gliederung des Satzes lebt heute in seiner Weiterentwicklung in der Komposition der Bestandteile des Themas und Rhemas fort. Weitreichende Überlegungen begegnen uns in 134 G. v. d. Gabelentz 1891, S.-371-372. 135 G. v. d. Gabelentz 1890 (= Antrittsrede), S.- 5; vgl. auch: Antwort des Hrn. Curtius, in: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 34, 1890, S.-10. <?page no="127"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 105 der Agglutinationstheorie und in der damit verbundenen Auffassung von der Gabelentz’ zur Wertbestimmung der Sprachen. In der Auseinandersetzung mit den Junggrammatikern und im Unterschied zu ihnen bekennt sich Georg von der Gabelentz zu einer-− in unserem Verständnis-− Systembetrachtung der Sprache (wenngleich von der Gabelentz den Systembegriff selbst spezifisch grammatisch verwendet), betont er die wechselseitige Bedingtheit von äußerer und innerer Form der Sprache. Eine Dichotomie von Formsprachen und formlosen Sprachen, wie sie Steinthal und Friedrich Müller vertreten, das Konzept formloser Sprachen überhaupt, steht damit der Auffassung von der Gabelentz’ entgegen. Es gibt keine formlosen Sprachen, genau so wenig, wie die Isolierung einer äußeren Sprachform aus dem Sprachsystem heraus angeht. Jenes Einteilungsprinzip, wie es Steinthal und Müller erkennen wollen-− und wie es von Humboldt allerdings nur angedeutet worden war- − führt in der Konsequenz zu einer Sprachbewertung, die schließlich in der Marrschen Stadialtheorie der chinesischen Sprache einen niederen Entwicklungsstand zuschrieb. August Conrady bemerkte bereits darauf im Nachruf auf Georg von der Gabelentz, „daß der morphologische Standpunkt ihm nichts gilt“ 136 . Georg von der Gabelentz geht vielmehr von der Agglutinationstheorie aus. Mit ihr meint er, daß das Wesen, immanentes und schließlich formales Charakteristikum jeder Sprachentwicklung, der Sprachgenesis, die Agglutination sei. Der Prozeß der „Agglutination“ oder „Anfügung“ vollzieht sich über zunächst noch selbständige Hilfswörter zu formal verwendeten Wörtern (Formwörtern) und zu Formelementen (Affixe: Prä-, Sub- oder Infixe). Doch, „Wie alles in der Sprache vollzieht sich auch die Agglutination nicht mit einem Schlage, und der Eine mag noch lange als selbständiges Hülfswort empfinden, was der Andere schon als blossen formativen Worttheil behandelt“ 137 . Mit dem nach Wilhelm von Humboldt erstmals wieder erfolgenden Hinweis Georg von der Gabelentz’ auf die Einbeziehung auch der inneren Sprachform in die sprachwissenschaftliche Überlegung ist − wie bereits angedeutet − auch die Stellung Georg von der Gabelentz’ gegen die überbetonte Betrachtung von Wortbildungsfragen in der (morphologischen) Sprachenklassifizierung verbunden. „Denn nicht das Wort, sondern der Satz ist die organische Einheit der menschlichen Rede.“ 138 Diese Erkenntnis gewann von der Gabelentz nicht zuletzt aus dem Studium sogenannter isolierender Sprachen, in der Hauptsache des Chinesischen. Er betonte den Synergismus der Ausdrucksformen 136 Conrady, S.-4. 137 G. v. d. Gabelentz 1889, S.-199. 138 Ebenda, S.-210. <?page no="128"?> 106 Eberhardt Richter u. a. des sprachlichen Inhalts, die potentielle Variabilität der Sprache hierin. Die „Formung“ sei nicht nur morphologisch, sondern auch und besonders syntaktisch wie stilistisch zu begreifen. „Eine innige, sinnige Lyrik, eine reiche, fein ausgemeisselte Prosa, jedem Fluge des Gedankens dienstbar und gerecht, sind auf dem Boden einer isolirenden Sprache (= dem Chinesischen- − die Verf.) erblüht, und schwerlich ist der Formungstrieb hier schwächer, als er bei unsern indogermanischen Urahnen war; er hat nur andere Bahnen eingeschlagen und einen anderen Stoff bearbeitet; nicht das Wortbildungs- und Wortformungswesen, sondern die Syntax.“ 139 Und unter Hinweis auf den isolierenden Sprachtyp: „Eine Grammatik verliert dadurch nichts an formender Leistungskraft, dass sie rein syntaktisch, auf die Mittel der Wortfolge und Formwörter angewiesen ist.“ 140 Im Gegensatz zu Steinthal und Fr.- Müller erkennt von der Gabelentz nur „Gradunterschiede, mehr oder minder lebhafte Aeusserungen des Formungstriebes, nicht eigentliche Gegensätze,- …“ 141 Daraus spricht nicht allein das innige Verhältnis von der Gabelentz’ zu ostasiatischen Sprachen, und hier zu Sprachen des sogenannten isolierenden Baues- − insbesondere dem Chinesischen- −, sondern reiche Sprachkenntnis und tiefes Eindringen in das System dieser Sprachen sowie daraus abzuleitende Erkenntnis für die allgemeine Sprachwissenschaft. Durch genaue Sachkenntnis fundiert sind seine oft nur thesenhaft formulierten Vorstellungen, mitunter- − im noch unzureichenden Fakteninventar begründet- − Vermutungen, zur Sprachentwicklung. Hohe Anerkennung ist seinen tiefgehenden Gedanken auch zu sprachtypologischen Problemen, so nicht ohne Grund zu denen des sogenannten isolierenden Sprachentyps, zu zollen. Wenn Georg von der Gabelentz zu erkennen glaubt, „… bei allen Sprachen dieser Classe scheint die Isolation nicht ursprünglich (von uns hervorgehoben-− die Verf.), sondern tertiär, vielleicht quaternär zu sein“ und „was früher isolirt war, davon wird nun ein Theil zusammengefügt, componirt, und nun erscheint das Compositum als ein nach Aussen hin isolirter Satztheil höherer Ordnung. Bis jetzt jedoch ist die Zusammensetzung noch immer der Hauptsache nach eine bereichernde Erweiterung des isolirenden Baues“ 142 (von uns hervorgehoben − die Verf.), so sind dies Schlußfolgerungen, zu deren Verifizierung seither viele neue Fakten zusammengetragen wurden und die besonders für die historische Sprachtypologie relevant sind. 139 Ebenda, S.-213. 140 Ebenda, S.-198. 141 Ebenda, S.-195. 142 Ebenda, S.-197. <?page no="129"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 107 Bei der Erforschung der isolierenden Sprachen, jener Sprachen, die im Mittelpunkt des Interesses und der Arbeit Georg von der Gabelentz’ standen, gibt es-− insgesamt gesehen-− eine Vielzahl von noch weitgehend ungelösten oder nur teilweise gelösten Fragen, deren Klärung für die weitere Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Sprachtheorie von Belang ist. Dazu zählen Probleme wie die Struktur und Abgrenzungskriterien von Silbe, Morphem und Wort; der Charakter der grammatischen Kategorien; das Problem der Anerkennung und Klassifizierung der Wortarten (nicht nur nach morphologischen Kriterien, sondern auch und besonders nach syntaktischen); die morphologische Klassifizierung der Sprachen (die Bestimmung des Typs der isolierenden und agglutinierenden Sprachen und des Verhältnisses von Isolation und Agglutination in den isolierenden Sprachen, d. h. die Herausarbeitung des vorherrschend polytypologischen Charakters) 143 . Georg von der Gabelentz vollbrachte, wie dies wohl verdeutlicht werden konnte, Außergewöhnliches auf seinem speziellen Sprachgebiet. Er isolierte sich jedoch nicht darin, sondern stellte sich mit seinen Erkenntnissen anregend auch der Sprachwissenschaft seiner Zeit. Das Wissen um grundlegende Ergebnisse der allgemeinen Sprachwissenschaft war für Georg von der Gabelentz eine unerläßliche, ja primäre Voraussetzung für seine Studien auf dem Gebiet der ostasiatischen Sprachen, und gleichermaßen wirkten diese auf seine allgemein-sprachtheoretischen Anschauungen befruchtend zurück. In diesem dialektischen Prozeß reiften seine Ideen, vereint schließlich − beinahe symbolhaft − in zwei Werken, der „Chinesischen Grammatik“ und der „Sprachwissenschaft“, Zeugnisse eines bis in unsere Zeit wirkenden schöpferischen Geistes. Im bewußten Erkennen dieses doppelten Auftrages setzte Georg von der Gabelentz sowohl methodologisch als auch theoretisch einen Maßstab für wirkliche Wissenschaftlichkeit. Von der Gabelentz’ Erkenntnis der Reziprozität einzelsprachlicher und allgemeinsprachwissenschaftlicher Arbeit war das Fundament seines genialen Schaffens. Sich der bedeutenden Traditionen in der Wissenschaft von der Sprache im allgemeinen und im einzelnen bewußt zu sein, lenkt auf die Verpflichtung zu ihrer Weiterführung in unserer sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. 143 Vgl. hierzu besonders die Problemüberschau bei: V. M. Solncev, I. F. Vardul’, V. M. Alpatov, A. E. Bertel’s, N. N. Korotkov, G. D. Sanžeev, G. Š. Šarbatov, O značenii izučenija vostočnych jazykov dlja razvitija obščego jazykoznanija. In: Akademija Nauk SSSR, Institut Vostokovedenija: Doklady sovetskoj delegacii k Meždunarodnomu simpoziumu „Teoretičeskie problemy vostočnogo jazykoznanija“, Moskva 1977, S.-3-24. <?page no="130"?> 108 Eberhardt Richter u. a. Aufgabe der Linguisten der Asien- und Afrikawissenschaften in der DDR ist es, ausgehend vom gesellschaftlichen Charakter der Sprache die Wechselbeziehung von Sprache und Gesellschaft, die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten der Herausbildung und Entwicklung nationaler Sprachen in Asien und Afrika und ihre wachsende Rolle im Rahmen politischer, ökonomischer und kultureller Umgestaltungen der Gesellschaft umfassend zu analysieren. Diese Untersuchungen erfolgen auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie, insbesondere der marxistisch-leninistischen Sprachtheorie. Unsere sprachwissenschaftliche Arbeit in den Asien- und Afrikawissenschaften ist damit ein organischer Bestandteil der Aufgaben sowohl der entsprechenden Regionalwissenschaften wie auch der Sprachwissenschaft im Rahmen der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung unserer Republik. Hieraus leitet sich ein grundlegender Auftrag her, die Ausarbeitung von Lehr- und Wörterbüchern und weiterer wichtiger Lehrmaterialien für die Sprachen Asiens und Afrikas. Eine beachtliche Anzahl derartiger Monographien wurde bereits in den zurückliegenden Jahren in der DDR fertiggestellt und publiziert. Um einige Beispiele zu nennen, seien hier aufgeführt das Lehrbuch des modernen Arabisch von G. Krahl und W. Reuschel, das Deutsch-Arabische Wörterbuch von G. Krahl; das Lehrbuch des Bambara von S.- Brauner; das Wörterbuch Burmesisch-Deutsch von A. Esche; die Chinesische Grammatik von E. Erkes (ein Nachtrag zur Chinesischen Grammatik von Georg von der Gabelentz), das Wörterbuch Chinesisch-Deutsch, die Elementargrammatik des Neuchinesischen und Gesprochenen Chinesisch von M. Piasek, die Darstellung der wichtigsten Transkriptionssysteme für die Chinesische Sprache von K. Kaden; das Lehrbuch der modernen hebräischen Sprache von H. Simon; ein Wörterbuch Deutsch-Hindi und ein Grammatischer Leitfaden des Hindi von M. Gatzlaff- Hälsig; Wörterbücher Indonesisch-Deutsch und Deutsch-Indonesisch von G. Kahlo und H. Simon-Bärwinkel; ein Japanisch-Deutsches Zeichenlexikon von W. Wernecke und R.- Hartmann, Japanisch für Naturwissenschaftler und Techniker von E. Yasui und J. Berndt; The Structure of Lelemi Language von H. Höftmann; ein Wörterbuch Mongolisch-Deutsch von Sch. Zebek und J.- Schubert, ein rückläufiges Wörterbuch der mongolischen Sprache von H.-P. Vietze und L. Zenker und ein Lehrbuch der mongolischen Sprache von H.-P. Vietze; The Structure of the Nkonya Language von B. Reineke; ein Wörterbuch Persisch-Deutsch von H. Junker und B.-Alavi und ein Lehrbuch der persischen Sprache von B.- Alavi und M.- Lorenz; das Wörterbuch Sanskrit-Deutsch von K. Mylius und das Lehrbuch des Sanskrit von W. Morgenroth; ein Lehrbuch des Susu von M. Friedländer; ein Suaheli-Deutsches Wörterbuch von H. Höftmann und S.-Mhando, ein Lehrbuch des Swahili von <?page no="131"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 109 S.- Brauner und J. K. Bantu sowie überarbeitet von S.- Brauner und I. Herms; ein Tibetisch-Deutsches Wörterbuch von E. Richter; ein rückläufiges Wörterbuch der türkischen Sprache von H.-P. Vietze, L. Zenker und I. Warnke; ein Wörterbuch Vietnamesisch-Deutsch von W. Boscher und ein Wörterbuch Deutsch-Vietnamesisch von Ho-Gia-Huong, Do-Ngoan und W. Boscher. Die Publikation dieser und weiterer Titel zeugt nicht nur von der angestrengten Arbeit der Sprachwissenschaftler der Asien- und Afrikawissenschaften unserer Republik, sondern ist auch ein Ausdruck der guten Zusammenarbeit besonders mit dem zuständigen VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig und seinem erfahrenen Redaktionskollektiv. Dieses Programm zur Erarbeitung von Lehrmaterialien werden wir zielstrebig und den gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechend weiterführen. Die Lösung dieser Aufgabe schließt auch spezielle theoretische und methodologische Forschungen über die jeweiligen Regionalsprachen Asiens und Afrikas ein. Darüber hinaus muß es ein Anliegen jedes Linguisten auf dem Gebiet der Asien- und Afrikawissenschaften sein, unter Zugrundelegung seiner einzelsprachlichen Kenntnisse und Erfahrungen einen spezifischen Beitrag zur allgemeinen Sprachwissenschaft, zur Weiterentwicklung der marxistischleninistischen Sprachtheorie zu leisten und fundiert wie schöpferisch auch zu Grundfragen besonders der gegenwärtigen Entwicklung der Sprachwissenschaft Stellung zu nehmen. Dieser wichtige Gedanke war der Grundtenor der Beratungen von Asien- und Afrikawissenschaften (Linguisten) der sozialistischen Länder auf dem I. Internationalen Symposium „Theoretische Probleme der orientalistischen Sprachwissenschaft“ im November 1977 in Moskau. In ihrem gemeinsamen Hauptreferat „0 značenii izučenija vostočnych jazykov dlja razvitija obščego jazykoznanija“ betonten dort die sowjetischen Linguisten V. M. Solncev, I. F. Vardul’, T. U. Alpatov, A. E. Bertel’s, N. N. Korotkov, G. D. Sanžeev und G. Š. Šarbatov: „I dolg lingvista-vostokoveda, kak on nam predstavljaetsja, sostoit v tom, čtoby po mere sil aktivno učastvovat’ v ėtom dviženii vpered i na urovne dobyvanija faktov i privnesenija ich v oborot obščego jazykoznanija i na urovne tvorčeskogo osmyslenija dobytych faktov i soveršenstvovanija obščej teorii.“ 144 Wir meinen, dieser Beitrag ist zudem notwendig, um den auch in der modernen Linguistik noch immer erkennbaren Europazentrismus zu überwinden. Diese Aufgabe erstreckt sich auf alle wesentlichen Bereiche, Ebenen und Komplexe der allgemeinen Sprachwissenschaft. Das betrifft insbesondere die Bereiche Sprache in der Kommunikation (Sprache und Gesellschaft), Semantik, Lexikologie, Methodologie der Sprachwissenschaft, Grammatiktheorie und Geschichte der Sprachwissenschaft. In 144 V. M. Solncev et al. (siehe Anm. 143), S.-24. <?page no="132"?> 110 Eberhardt Richter u. a. der weiteren Entwicklung unserer Arbeit mit asiatischen und afrikanischen Sprachen halten wir die Konzentration auf Schwerpunkte in der Forschung für unerläßlich. Wir meinen, daß dafür besonders vier Komplexe in Betracht kommen: Es ist von grundlegender Bedeutung, die Wechselbeziehungen von Sprache und Gesellschaft in den Ländern Asiens und Afrikas, die Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen der Herausbildung und Entwicklung nationaler Sprachen in Asien und Afrika zu untersuchen und ihre wachsende Rolle im Rahmen politischer, ökonomischer und kultureller Umgestaltungen der Gesellschaft herauszuarbeiten. Wir müssen zweitens theoretische Forschungen zur Systemdarstellung wichtiger Nationalsprachen Asiens und Afrikas, sowohl synchronisch wie diachronisch als auch typologisch, betreiben. Es ist drittens notwendig, auf der Grundlage dieser sprachwissenschaftlichen Untersuchungen und spezieller methodischer Forschungen das Programm der Ausarbeitung von Lehrmaterialien für die Sprachen Asiens und Afrikas weiterzuführen. Das Ziel muß sein, den Bedarf derartiger Materialien in der Deutschen Demokratischen Republik weitgehend abzudecken. Eine wichtige Aufgabe ist schließlich, die bedeutenden humanistischen und progressiven Traditionen, die wir auch in der Linguistik und Philologie der Asien- und Afrikawissenschaften an unseren Universitäten haben, zu bewahren und weiterzuführen. Und dies entspricht zutiefst dem Wesen unserer sozialistischen Gesellschaft. Die erneute Würdigung des bedeutenden Werkes Hans Georg Conon von der Gabelentz’ und seine kritische Aneignung im Hinblick auf die Lösung der vor uns stehenden umfangreichen und verantwortungsvollen Aufgaben in der sprachwissenschaftlichen Arbeit in unserer Republik soll dazu ein Beitrag sein. Literaturverzeichnis (Nur die in den Anmerkungen mehrfach zitierten Werke) J. P. Abel-Rémusat, Élémens de la grammaire chinoise, ou principes généraux du Kou-wen ou style antique, et du Kouan-hoa, c’est-à-dire, de la langue commune généralement usitée dans l’Empire chinois, Paris 1822. A. Conrady, Georg von der Gabelentz. In: Beilage Nr.-303 der Allgemeinen Zeitung, München, 30.12.1893 (Nr.-361). Th. Dobrucky, Die Herren von der Gabelentz. In: Über ein halbes Jahrtausend auf angestammter Scholle. Geschichte der Herren von der Gabelentz (Leipzig 1938, als Handschrift gedruckt). E. Erkes, Georg von der Gabelentz. In: Wiss. Ztschrf. d. KMU Leipzig, 3. Jg., 1953/ 54, Ges.- und Sprachwissenschaftl. Reihe, H. 4. G. von der Gabelentz, Beitrag zur Geschichte der chinesischen Grammatiken und zur Lehre von der grammatischen Behandlung der chinesischen Sprache. In: ZDMG, Bd. 32, 1878. <?page no="133"?> Gabelentz - Erbe und Verpflichtung 111 - Chinesische Grammatik. Mit Ausschluß des niederen Stiles und der heutigen Umgangssprache, Leipzig 1881, 2 Berlin 1953. - Zur grammatischen Beurteilung des Chinesischen. In: Internationale Zeitschrift für Allgemeine Sprachwissenschaft, hrsg. v. F. Techmer, Bd. 1, Leipzig 1884. - Hans Conon von der Gabelentz als Sprachforscher. In: Berichte der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Jg. 1886, Sitzung vom 11. Dezember 1886. - Zur chinesischen Sprache und zur allgemeinen Grammatik. In: Internationale Zeitschrift für Allgemeine Sprachwissenschaft, hrsg. v. F. Techmer, Bd. 3, Leipzig 1887. - Stoff und Form in der Sprache. In: Berichte der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Jg. 1889, Sitzung vom 20. Juli 1889. - Antrittsrede des Hrn. von der Gabelentz. In: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 34, 1890, 2. - Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, Leipzig 1891, 2 1901. W. Grube, Die sprachgeschichtliche Stellung des Chinesischen, Leipzig 1881. G. Helbig, Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Unter dem besonderen Aspekt der Grammatik-Theorie, Leipzig 1973. Cl. von Münchhausen, H. Georg von der Gabelentz, Biographie und Charakteristik (Manuskript, Staatsarchiv Weimar, Außenstelle Altenburg, Familienarchiv von der Gabelentz, Nr.-918). R. Růžička, Historie und Historizität der Junggrammatiker. In: Linguistische Arbeitsberichte (Sektion Theoretische und angewandte Sprachwissenschaft der Karl-Marx- Universität Leipzig), Nr.-15, 1976. <?page no="135"?> Klaus Kaden und Manfred Taube, Leipzig Unter Mitarbeit von Karin Westphal, Leipzig Bibliographie für Hans Georg Conon von der Gabelentz * (1979) Als Quelle dienten von der Gabelentz’ handschriftliches Verzeichnis seiner Veröffentlichungen im Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR, die Zusammenstellung von Th. Dobrucky (siehe Nr.- 108, S.- 86-89) sowie allgemeine bibliographische Hilfsmittel (Friederici, K.: Bibliotheca orientalis. Leipzig: O. Schulze 1876-1882, LCB, OB, ZDMG usw.). Da die Angaben darin oft unvollständig oder ungenau sind, wurde versucht, alle aufzunehmenden Arbeiten de visu zu kontrollieren. Veröffentlichungen und Manuskripte, die wir trotz aller Bemühungen nicht selbst einsehen konnten, sind durch ein Kreuz links neben der laufenden Nummer oder neben dem Namen des Rezensionsautors gekennzeichnet. Die in den größeren Bibliotheken der DDR vorhandenen Publikationen sind durch ihre Signatur nachgewiesen, ohne daß wir dabei Vollständigkeit erstrebten; die Abkürzungen für die Bibliotheken bedeuten: DB: Deutsche Bücherei, 701 Leipzig, Deutscher Platz; DMG: Bibliothek der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Außenstelle der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, 401 Halle/ Saale, August-Bebel-Straße 13; DtSB: Deutsche Staatsbibliothek, 108 Berlin, Unter den Linden 8; LFB Asien Lg.: UB Lg., Bibliothek des Lehr- und Forschungsbereichs Süd- und Ostasien; * Wiederabdruck von: Klaus Kaden und Manfred Taube, unter Mitarbeit von Karin Westphal, „Bibliographie für Hans Georg Conon von der Gabelentz“, in: Eberhardt Richter und Manfred Reichardt (Hrsg.), Hans Georg Conon von der Gabelentz. Erbe und Verpflichtung, Berlin: Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Sprachwissenschaft, =-Linguistische Studien, Reihe A, Arbeitsberichte 53, 1979, S.-229-242. <?page no="136"?> 114 Klaus Kaden und Manfred Taube UB Bln.: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität Berlin, 108 Berlin, Clara-Zetkin-Straße 27; UB Lg.: Universitätsbibliothek der Karl-Marx-Universität Leipzig, 701 Leipzig, Beethovenstraße 6. Abkürzungen ADB Allgemeine Deutsche Biographie. Leipzig: Duncker & Humblot 1875-1912 (UB Bln.: Syst. Kat.; UB Lg.: Dt. Gesch. 32890). AE Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet u. hrsg. von J. S.-Ersch u. J. G. Gruber [ab 1856: H. Brockhaus; ab 1882: A. Leskien]. Leipzig: Brockhaus 1818-1889 (UB Bln.: A 10501 4° [Ls 1/ 108]; UB Lg.: Allg. Enc. 434; 58 A 1036). AISA Anzeiger für indogermanische Sprach- und Altertumskunde (Beiblatt zu Indogermanische Forschungen), Straßburg: Trübner (UB Lg.: Ling. 72 w ). ASGW Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (zu Leipzig). Leipzig: Hirzel (UB Bln.: As 10807 [Ls 1/ 470]; UB Lg.: Ges. Schr. 208 b ; 208 np ). AZ Allgemeine Zeitung. Stuttgart, Augsburg: Cotta [später München: Verlag der AZ] (UB Lg.: Neuere Gesch. 61 c ). BPhW Berliner Philologische Wochenschrift. Berlin: Calvary (UB Lg.: App. crit. 76 r ). BSGW Berichte (über die Verhandlungen) der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, philologisch-historische Classe. Leipzig: Hirzel (UB Bln.: 2824 b ; UB Lg.: Ges. Schr. 207 b ; 207 bm ). ChR + The China Review, or: Notes and Queries on the Far East. Hongkong: China Mail Office. DLZ Deutsche Litteraturzeitung. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung [später Berlin: H. Walther; Leipzig: Teubner] (UB Bln.: 114 td 4° [Ls 2/ 25]; UB Lg.: Dt. Ztschr. 472 n ). GGA Göttingische Gelehrte Anzeigen. Göttingen: Dieterich (UB Bln.: Aa 8625 [Ls 1/ 390]; UB Lg.: Dt. Ztschr. 50). Globus Globus. Illustrirte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde. Hildburghausen [ab Bd.11: Braunschweig: Vieweg & Sohn] (UB Bln.: 3851 bb ; UB Lg.: Länd.u.Vkde. 8 n ). IZAS Internationale Zeitschrift für allgemeine Sprachwissenschaft, hrsg. von F. Techmer. Leipzig: J. A. Barth [Georg von der Gabelentz <?page no="137"?> Bibliographie Gabelentz 115 gehörte zum Herausgebergremium] (UB Bln.: V 1100 4 o ; UB Lg.: Ling. 28 i ). JChBRAS Journal of the China [bis 1883: North-China] Branch of the Royal Asiatic Society. Shanghai (UB Bln.: Ab 80703; UB Lg.: Hist. As. 212 m ). JRAS Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland. London (UB Lg.: Hist. As. 211; ab 1865: 211 b ). LCB Literarisches Centralblatt für Deutschland. Lpzg.: E. Avenarius (UB Bln.: 114 tc [Ls 2/ 10]; UB Lg.: Dt.Ztschr.254). LGRPh Literaturblatt für germanische und romanische Philologie. Leipzig: Reisland [zuvor Heilbronn] (UB Lg.: Ling. 28). LOPh Literaturblatt für orientalische Philologie. Leipzig: O. Schulze (1884- 1888) (UB Bln.: Zt 2039 [Ls 4/ 8697]; UB Lg.: Or. Lit. 899 l ). MSEJ + Le Lotus. Mémoires de la Société des études japonaises, chinoises, tartares, indo-chinoises et océaniennes. Paris. NK Nyelvtudományi Közlemények. Budapest (UB Lg.: Ling. 72 v ). NPhR Neue philologische Rundschau. Gotha: F. A. Perthes in Bremen (UB Lg.: App. crit. 282 ed ). OB Orientalische Bibliographie, hrsg. von A. Müller. Berlin: Reuther (UB Lg.: Or. Lit. 876 e ). ÖMO Oesterreichische Monatsschrift für den Orient. Wien: Orientalisches Museum [1889: k. k. oesterreichisches Handelsmuseum] (UB Lg.: Or. Lit. 207 e ). SPAW Sitzungsberichte der Kgl. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin: Kgl. Ad. d. Wiss. (UB Bln.: Aa 7248 [Ls 1/ 350]; UB Lg.: Ges. Schr. 168). TP T’oung Pao. Archives pour servir à l’étude de l’histoire, des langues, de la géographie et de l’ethnographie de l’Asie orientale. Leide: Brill (UB Lg.: Hist. As. 251; DtSB: Uk 485). UZ Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart. Leipzig: Brockhaus (DtSB: Ac 7234 a ; UB Bln.: Ad 7469; UB Lg.: Allg. Enc. 1204). WKPh Wochenschrift für klassische Philologie. Berlin: Gaertner [1902: Gaertners Verlagsbuchhandlung H. Heyfelder] (UB Lg.: App. crit. 76 n ). WZ Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe. Leipzig: Karl- Marx-Universität. ZDMG Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Leipzig: Brockhaus (DtSB: Zt 106; UB Bln.: Zt 1488 [Ls 4/ 8730]). ZDPh Zeitschrift für deutsche Philologie. Halle/ Saale: Buchhandlung des Waisenhauses (UB Lg.: Lit. germ. A 226). <?page no="138"?> 116 Klaus Kaden und Manfred Taube ZVS Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin: Dümmler (UB Bln.: Pm 44710; UB Lg.: Ling. 73 c ). Monographien und Aufsätze 1860 1. Spuren eines ausgebildeteren Conjugationssystems im Dajak. In: ZDMG 14, 547-549. 1862 2. Catalog einer Sammlung japanischer Bücher. In: ZDMG 16, 532-537 [Sammlung H. C. v. d. Gabelentz’ in Poschwitz]. 3. Mandschu-Bücher. In: ZDMG 16, 538-546 [Sammlung wie Nr.-2]. 1863 + 4. Bilder aus dem chinesischen Leben. Nach dem Roman King-Ping-Mei. In: Globus 3, 143-146. 1868 5. König Midas in mongolischem Gewande. In: Globus 14, 248 f. 1869 6. Ideen zu einer vergleichenden Syntax - Wort- und Satzstellung. In: ZVS-6, 376-384. 1871 7. Ueber eine Eigenthümlichkeit des japanischen Zahlwortes. In: ZVS 7, 111 f. 1874 8. Sprachwissenschaftliches. In: Globus 25, 92-94,107 f.,122-124. 1875 9. Weiteres zur vergleichenden Syntax - Wort- und Satzstellung. In: ZVS 8, 129-165 und 300-338. 1876 10. Thai-kih-thu, des Tscheu-tsÏ Tafel des Urprinzipes, mit Tschu-hi’s Commentare nach dem Hoh-pih-Sing-li, chinesisch mit mandschuischer und deutscher Uebersetzung, Einleitung und Anmerkungen. Dresden: v. Zahn in Comm. (VIII, 88 S.) (UB Bln.: Phil. Diss. Leipzig 1876; UB Lg.: Or. Lit. 1133 q ). <?page no="139"?> Bibliographie Gabelentz 117 Rezensionen: A. S[chiefner] in: Bollettino italiano degli studii orientali, Anno 1 (serie prima), Firenze 1876/ 77, 3-5 (UB Lg.: Or. Lit. 899 co ); ders. in: Jenaer Literaturzeitung 3, Jena: H. Dufft 1876, 428 (UB Lg.: Dt. Ztschr. 475); [W.] Sch[ott] in: LCB 1876, 795; V. von Strauss und Torney in Beilage zur AZ 1876, Nr.- 237 (24. 8.), 3727 f. (u. d. T.: Zur chinesischen Literatur); ders. in: Zeitschrift für die gesammte lutherische Theologie und Kirche 39, Leipzig: Dörffling und Franke 1878, 537-540 (UB Lg.: Theol. Ztschr. 235); + _ in: China Recorder 7, 307; + _ in: ChR 5, 64. 11. Stand und Aufgaben der chinesischen Lexicographie. In: ZDMG 30, 587-602 [Rezension zu Williams, S. Wells: A Syllabic Dictionary of the Chinese Language. Shanghai: American Presbyterian Missionary Press 1874]. 1877 12. [Rezension zu Müller, Friedrich: Grundriss der Sprachwissenschaft. 1.-Bd., 1. und 2. Abteilung. Wien 1876, 1877]. In: ZVS 9, 373-401. 1878 13. Proben aus Victor von Strauss’ Schi-king-Uebersetzung mit Text und Analyse. In: ZDMG 32, 153-166. 14. Beitrag zur Geschichte der chinesischen Grammatiken und zur Lehre von der grammatischen Behandlung der chinesischen Sprache. In: ZDMG 32, 601-664. Rezensionen: + _ in: ChR 8, 127-130. Pott in IZAS 2, 1885, 60 ff. [umfassende Inhaltsangabe]. 15. Ein Probestück von chines. Parallelismus. In: ZVS 10, 130-134. 1879 16. Kin-ping-mei. Les aventures galantes d’un épicier. Roman réaliste, traduit pour la première fois du Mandchou [Auszug]. In: Revue orientale et américaine, hrsg. von L. de Rosny, 3, Paris, 169-197 (DMG Bb 870). 17. Malaiisch-polynesische und melanesische Sprachen und Literaturen. In: ZDMG, Supplement zum 33. Bd.: Wissenschaftlicher Jahresbericht über die Morgenländischen Studien von October 1876 bis December 1877, 39-44. 18. China und Japan. In: ZDMG loc. cit. [wie Nr.-17], 45-62. <?page no="140"?> 118 Klaus Kaden und Manfred Taube 19. Americana. In: LCB 1879, 1124-1129 [Rezension verschiedener amerikanistischer Arbeiten]. 1880 20. Zur chinesischen Philosophie. In: Wissenschaftliche Beilage zur Leipziger Zeitung, Jg.- 1880, Nr.- 92 (14. 11.), 545-547 [Rezension zu Grube, W.: Ein Beitrag zur Kenntniss der chinesischen Philosophie. T’ung-šu des Čeu-tsi. Wien: Holzhausen 1880] (UB Lg.: Neuere Gesch. 55). 1881 21. Sur la possibilité de prouver l’existence d’une affinité généalogique entre les langues dites indochinoises. In: Atti del IV. Congresso internazionale degli orientalisti tenuto in Firenze nel Settembre 1878, Vol.- II, Firenze, 283-293 (UB Bln.: Zt 3050-4.1,2; UB Lg.: Or. Lit. 888 nd ). 22. Chinesische Grammatik. Mit Ausschluss des niederen Stiles u. der heutigen Umgangssprache. Leipzig: Weigel (XXIX, 552 S.) (DtSB: Zx 584; UB Bln.: Zx 2565 4°; UB Lg.: Or. Lit. 400 n ; 400 na ; 400 nb ); 2. unveränderte Auflage [mit einem Vorwort von E. Erkes]: Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften 1953 (XXVIII, 549 S.) (LFB Asien Lg.: 1507b, c, e, f); 4.-unveränderte Auflage: Halle/ Saale: Niemeyer 1960 (DtSB: 15 V 186 4 ). Rezensionen: W. G[rube] in: LCB 1882, 119 f.; ders. in: ZDMG 36, 1882, 712-719; F. Hirth in: JChBRAS NS 17, 1882, 237-246; K. Himly in: GGA 1884, 211-252; F. Misteli in: IZAS 3, 1887, 27-91 (unter dem Titel: Studien über die chinesische Sprache); Friedr. Müller in: ÖMO 10, 1884, 123 f.; W. Sch[ott] in: DLZ 3, 1882, 318 f.; F. Techmer in: IZAS 1, 1884, 441-446. 23. Die ostasiatischen Studien u. die Sprachwissenschaft. In: UZ 1881, 1.-Bd., 279-291 [separat 1-15] [Antrittsvorlesung vom 28. 6. 1879 an der Universität Leipzig] (LFB Asien Lg.: 3145). 1882 24. Beiträge zur Kenntniss der melanesischen, mikronesischen und papuanischen Sprachen, ein erster Nachtrag zu Hans Conon’s von der Gabelentz Werke „Die melanesischen Sprachen“ [= ASGW 3, 1861, 1-266, und 7, 1873, 1-186]. Von - und Adolf Bernhard Meyer (= ASGW 8, Nr.-4, 170 S.) (UB Lg.: Or. Lit. 867 mc ). <?page no="141"?> Bibliographie Gabelentz 119 25. On a new Chinese Grammar. In: Verhandlungen des 5. Internat. Orientalisten-Congresses, gehalten zu Berlin im September 1881, 2. Theil, 2.- Hälfte. Berlin: Asher & Co. Weidmannsche Buchhandlung, 81-86 [Darstellung des Grundanliegens von Nr.-22] (UB Bln.: Zt 3050-5.2,2; UB Lg.: Or. Lit. 888 ne ). 26. Kabylen (Sprache). In: AE 2. Section, 32. Theil, 28 f. 27. Kaffern (Sprache). In: AE 2. Section, 32. Theil, 47-49. 28. Kamilaroi-Sprache. In: AE 2. Section, 32. Theil, 214 f. 29. Kanaresische Sprache. In: AE 2. Section, 32. Theil, 286-288. 30. Kanuri-Sprache. In: AE 2. Section, 32. Theil, 365 f. 1883 31. Anfangsgründe der chinesischen Grammatik. Mit Uebungsstücken. Leipzig: Weigel. (VIII, 150 S.) (DtSB: Zx 594; LFB Asien Lg.: 2344; UB Bln.: Zx 2571; UB Lg.: Or. Lit. 1125 f ; 1125 fa ). Rezensionen: + E. F[aber] in: ChR 14, 1885, 52-54; W. Gr[ube] in: LCB 1883, 1837; C. de Harlez in: Le Muséon. Revue internationale publiée par la Société des lettres et des sciences, 2, Louvain: Peeters 1883, 638-640 (UB Lg.: Aus. Ztschr. 154); K. Himly in: GGA 1884, 634-655; F. Misteli in: IZAS 3, 1887, 27-91; Friedr. Müller in: ÖMO 10, 1884, 123 f.; W. Sch[ott] in: DLZ 4, 1883, 1091 f.; + H. Steinthal in: MSEJ 5, 1886, 142-144; F. Techmer in: IZAS 1, 1884, 446; M. Uhle in: LOPh 1, 1883/ 84, 43-47. 32. China, Japan und die isolirten Völker Nordostasien’s. In: ZDMG, Supplement zum 33. Bd.: Wissenschaftlicher Jahresbericht über die Morgenländischen Studien im Jahre 1878, 97-107. + 33. On Transcription. In: ChR. 34. Karaibische Sprache. In: AE 2. Section, 33. Theil, 9-11. 35. Karakassen oder Karagassen. In: AE 2. Section, 33. Theil, 28. 36. Karen. In: AE 2. Section, 33. Theil, 50 f. 37. Kassia-Sprache. In: AE 2. Section, 34. Theil, 240 f. 38. Katschari-Sprache. In: AE 2. Section, 34. Theil, 374 f. 1884 39. Zur grammatischen Beurteilung des Chinesischen. In: IZAS 1, 272-280 (LFB Asien Lg.: 3120). <?page no="142"?> 120 Klaus Kaden und Manfred Taube 40. Ueber Sprache und Schriftthum der Chinesen. In: UZ 1884, 2. Bd., 623- 645. 41. Kawi-Sprache. In: AE 2. Section, 35. Theil, 44. 42. Ketschua. In: AE 2. Section, 35. Theil, 301-303. 43. Khamti, Kampti. In: AE 2. Section, 35. Theil, 384. 44. Khumi (Kumi). In: AE 2. Section, 36. Theil, 2 [nur 3 Zeilen]. 45. Kinai-Sprache. In: AE 2. Section, 36. Theil, 62. 46. King (chines. Literatur). In: AE 2. Section, 36. Theil, 96-98. 47. Kirânti. In: AE 2. Section, 36. Theil, 124. 48. Kiriri. In: AE 2. Section, 36. Theil, 287 f. 49. Klaproth (Heinrich Julius). In: AE 2. Section, 36. Theil, 359 f. 1885 50. Einiges über die Sprachen der Nicobaren-Insulaner. In: BSGW 47, 296- 307. 51. Some Additions to my Chinese Grammar. In: JChBRAS NS 20, 227-234 (LFB Asien Lg.: 2201). 52. Zur Lehre von der Transskription. In: IZAS 2, 252-257 (LFB Asien Lg.: 2259). 53. Die sprachwissenschaftliche Aufgabe des Wörterbuchs. In: Études achéologiques, linguistiques et historiques dédiées à Mr. le dr. C. Leemans. Leyde: Brill 276 (UB Bln.: Allg. Abt. 5232 2°; UB Lg.: Ges. Wke. 57 i ). 54. Zur Geschichte des Reichs der Mitte. In: Blätter für literarische Unterhaltung 1885 (22. 1.). Leipzig: Brockhaus, 61 [Rezension zu Fries, Sigm. Ritter von: Abriß der Geschichte Chinas seit seiner Entstehung. Wien, Hongkong, Shanghai 1884] (DtSB: AC 7021 [verlagert]; UB Lg.: Dt. Ztschr. 226). 55. Kolarische Sprachen. In: AE 2. Section, 38. Theil, 104-108. 1886 56. Hans Conon von der Gabelentz als Sprachforscher. In: BSGW 38, 217-241 (Sitzung vom 11.12.1886) (LFB Asien Lg.: 545). 57. The Languages of Melanesia. In: JRAS 18, 484-490 [separat 1-7] [Rezension zu Codrington, R. H.: The Melanesian Languages. Oxford: Clarendon Press 1885] (LFB Asien Lg.: 2258). + 58. L’œuvre du philosophe Kuàn-tsï; spécimen du texte, traduction et notes. In: MSEJ 5, 81-103. 59. Sprachliches über die Buschmänner und ihren angeblichen Harătismus [lies: Hamitismus]. In: Correspondenz-Blatt der dtsch. Gesellschaft f. Anthropologie, Ethnologie u. Urgeschichte 17. München: F. Straub, Nr.-8, 60-63 (UB Lg.: Ld.u.Vkde. 180 vl ). <?page no="143"?> Bibliographie Gabelentz 121 60. Koreanische Sprache. In: AE 2. Section, 39. Theil, 57-61. 1887 61. Das taoistische Wên-tsï. In: BSGW 39, 434-442 (Sitzung vom 10. 12. 1887) (LFB Asien Lg.: 1074). 62. Zur chinesischen Sprache und zur allgemeinen Grammatik. In: IZAS 3, 92-109 [Erwiderung auf Mistelis Rezension zu Nr.-22 und 31] (LFB Asien Lg.: 3118). Rezension: in: + Rivista di filosofia e scienze affini 7 (1889), Dic., 754 [nach 0B: 3, 1890, 218]. 63. Kri-Sprache. In: AE 2. Section, 40. Theil, 50-53. 64. Kru, Kru-Sprache. In: AE 2. Section, 40. Theil, 99-101. 65. Kuki [Volk und Sprache]. In: AE 2. Section, 40. Theil, 209 f. 66. Kunama [Sprache]. In: AE 2. Section, 40. Theil, 223-226. 67. Kung-fu-tse. In: AE 2. Section, 40. Theil, 230-240. 1888/ 89 68. Beiträge zur chinesischen Grammatik. Die Sprache des Čuang-tsÏ. In: ASGW 10, 579-638 (= Nr.- 8; separat S.- 1-60) (DtSB: Ab 994; LFB Asien Lg.: 150; UB Lg.: Or. Lit. 400). 69. The Style of Chuang-tsi. In: ChR 17, Nr.- 5, 292-298 [Übersetzung von Nr.68] (LFB Asien Lg.: 2202). 70. Das lautsymbolische Gefühl. In: Festgruss an Otto von Böhtlingk. Stuttgart: Kohlhammer (V, 121 S.), 26-30 (DtSB: Zw 620 a 4°; UB Bln.: Zv 51540). 71. Ueber den chinesischen Philosophen Mek Tik. In: BSGW 40, 62-70 (Sitzung vom 21. 7. 1888). 72. Confucius und seine Lehre. Leipzig: Brockhaus (I, 52 S.) [Vortrag vom 4. 2. 1888 im Saal des Orientalischen Seminars zu Berlin] (DtSB: Un 7330; UB Bln.: Zx 10580). Rezensionen: M. Haberlandt in: Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 18. Wien: In Comm. bei A. Hölder 1888, 279 (UB Lg.: Ld.u.Vkde. 181 dp ); ders. in: ÖMO 15, 1889, 83-87 (unter dem Titel: Zwei Lehrer des Ostens). + 73. Confucius and his Teaching. In: ChR 17, Nr.- 2, 61-82 [Übersetzung von Nr.-72]. 74. August Friedr. Pott. In: ADB 26, 478-485 (LFB Asien Lg.: 2260). 75. Lao-tse. In: AE 2. Section, 42. Theil, 89-94. <?page no="144"?> 122 Klaus Kaden und Manfred Taube + 76. The Life and Teaching of Lao-tse. In: ChR 17, Nr.- 4, 189-198 [Übersetzung von Nr.-75]. 77. Der Räuber Tschik, ein satir. Abschnitt aus Tschuang-tsï. In: BSGW 41, 55-69 (Sitzung v. 23. 4. 1889) [Übersetzung des Kap. 29]. 78. Stoff und Form in der Sprache. In: BSGW 41, 185-216 (Sitzung vom 20. 7. 1889) (LFB Asien Lg.: 493 und 2261). 79. Lepcha. In: AE 2.Section, 43. Theil, 185 f. 80. Li-fu (Volk und Sprache). In: AE 2.Section, 43. Theil, 391 f. 1890 + 81. Robber Tschik, a satirical Chapter from Tschouang-tsi. In: ChR 18, Nr.-6, 365-373 [Übersetzung von Nr.-77]. 82. Antrittsrede. In: SPAW 1890, [Stück] 34, 782-785 (Sitzung vom 3. 7. 1890) (LFB Asien Lg.: 2335). 1891 83. Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden u. bisherigen Ergebnisse. Leipzig: Weigel Nachfolger [Tauchnitz] (XX, 502 S.) (UB Lg.: Ling. 83 hg ; 83 hga ); 2. verbesserte und vermehrte Auflage, hrsg. von A. Graf von der Schulenburg [Neffe von G. v. d. Gabelentz]. Leipzig: Tauchnitz 1901 (XXI, 520 S.) (DtSB: V 2785 [beide Aufl.]; UB Bln.: V 3238 [beide Aufl.]; UB Lg.: Ling. 38 l ; 43 A 495); weitere Aufl.: Die Sprachwissenschaft. Mit einer Studie von E. Coseriu neu hrsg. von G. Narr u. U. Petersen. 2. Auflage [! ]. Tübingen: TBL(-Verlag) 1972 (520 S.) (= Tübinger Beiträge zur Linguistik 1) (DB: SA 23622-1). Rezensionen: O. Behaghel in: LGRPh 13, 1892, 257 f.; K. Bruchmann in: BPhW 12 (1892), 1893, 887-891, 916-923; Kalmár Elek in: NK 23 (1894), 94-103; G. M-r [= Gustav Meyer? ] in: LCB 1891, 1728 f.; R. Mehringer in: Beilage zur AZ 1891, Nr.-282 (2.12.), 3-6 (u. d. T.: Specialforscher und Sprachwissenschaft); ders. in: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 45, Wien: Gerold’s Sohn 1894, 785 (UB Lg.: Paed. 2000); Friedr. Müller in: Ausland. Wochenschrift für Erd- und Völkerkunde 65, Stuttgart: Cotta Nachfolger 1892, 524-528 (UB Lg.: Dt. Ztschr. 97); H. Oldenberg in: ZDPh 25, 1892, 113; G. Schlegel in: TP 2, 1891, 270 f.; H. Schmidt-Wartenberg in: Modern Language Notes 7, Baltimore 1892, 116-118 (UB Lg.: Ling. 28 d ); <?page no="145"?> Bibliographie Gabelentz 123 Fr. Stolz in: NPhR 9, 1892, 133-135; W. Streitberg in: AISA 2, 1892, 1-6; Wasserzieher in: Zeitschrift f. den deutschen Unterricht 6, 1893, Nr.-11 [nach AISA 4, 1894, 156]; H. Ziemer in: WKPh 9, 1892, 449-454; Rezensionen zur 2. Auflage: K. Bruchmann in: BPhW 21, 1901, 1558 f.; K. D. in: Beilage zur AZ 1903, Nr.-51, 1. Quartal, 407; A. Lepitre in: L’Université catholique NS 39, Lyon 1902, 123-128 (unter dem Titel: Revue de linguistique 1) (UB Lg.: Ausl. Ztschr. 110); H. Oldenberg in: ZDPh 34, 1902, 107 f.; F. Pabst in NPhR 20, 1903, 125-130; L. Sütterlin in: LGRPh 25, 1904, 319 f. („Das Buch mutet uns … wie ein Ueberbleibsel aus vergangener Zeit an“); A Tobler in: DLZ 23, 1902, 918-921; H. Ziemer in: WKPh 19, 1902, 537-541. 1892 84. Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen. Im Auftrage der Kolonial- Abtheilung des Auswärtigen Amts verfasst. Berlin: Mittler & Sohn (XV, 272 S.‚ davon 20 S. Text) [795 der wichtigsten Wörter nach Kategorien geordnet] (DtSB: V 1794; UB Bln.: V 8660; UB Lg.: Ling. 83 hb ). Rezensionen: B. in: LCB 1892, 1098 f.; C. G. Büttner in: DLZ 32, 1892, 1038 f.; ders. in: Geograph. Litteratur-Bericht für 1892. Gotha: J. Perthes 1892 (= Beilage zum 38. Bd. von A. Petermanns Mitteilungen [= Petermann, August: Mitteilungen aus J. Perthes’ Geographischer Anstalt über wichtige neue Forschungen auf dem Gesammtgebiet der Geographie]), 129 f. (= Nr.-862) (UB Lg.: Ld.u.Vkde. 280); Friedr. Müller in: Globus 61, 1892, 334. 85. Vorbereitendes zur Kritik des Kuan-tsï. In: SPAW 1892, [Stück] 10, 127- 152 (Sitzung vom 18.2.1892) (LFB Asien Lg.: 2203). 86. Zur Beurtheilung des koreanischen Schrift- und Lautwesens. In: SPAW 1892, [Stück] 33, 587-600 (Sitzung vom 23.6.1892) (LFB Asien Lg.: 3454). 1893 87. Zur Lehre vom vergleichenden Adverbialis im Altchinesischen. In: SPAW 1893, [Stück] 27, 465-470 (Sitzung vom 1.6.1893) (LFB Asien Lg.: 2204). 88. Baskisch und Berberisch. In: SPAW 1893, [Stück] 31, 593-613 (Sitzung vom 22. 6. 1893). <?page no="146"?> 124 Klaus Kaden und Manfred Taube Rezension: H. Schuchardt in: LGRPh 14, 1893, 334-338 („Je weniger ich das was der Verfasser beweisen will, ablehne, um so mehr die Art wie er es zu beweisen glaubt“). 89. Über Köhler’s Nama-Forschungen. In: SPAW 1893, [Stück] 39, 783 (Sitzung vom 19. 10. 1893). 1894 90. Die Verwandtschaft des Baskischen mit den Berbersprachen Nord- Africas nachgewiesen. Hrsg. nach dem hinterlassenen Manuscripte durch A. C. v. d. Schulenburg. Braunschweig: Sattler (V, 286 S.) (UB Bln.: Zr 45889; UB Lg.: Gr.lg.rec. 5167). Rezensionen: Gustav Meyer in: BPhW 15, 1895, 783-785; Friedr. Müller in: Globus 68, 1895, 14 (unter dem Titel: Die neuesten Arbeiten über das Baskische); [A.] S[eidel] in: Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprachen 1, Berlin: Reimar 1895, 380 f. (DMG: Bb 935; UB Lg.: Or. Lit. 857); H. St[umme] in: LCB 1895, 581 („Es muß ein Mißverständnis sein, daß das Werk als druckfertig angesehen wurde“); + I. C. Taylor in: Science 22, New York 1896, 77 [nach OB 10, 1897, 145]; + M. de Unamuno in: Revista crítica de historia y literatura españolas, portuguesas é hispano-americanas 1, Madrid: Suarez 1895, [Heft] 2 [nach LCB 1895, 739]. Vergleiche auch: R. Basset: Les noms des métaux et des couleurs en berbère. In: Mémoires de la Société de linguistique de Paris 9. Paris: E. Bouillon 1895/ 96, 58-92 (UB Lg.: Ling. 67 v ) [Sehr ablehnende Bemerkungen im Appendice, S.-90 f.]. 91. Hypologie der Sprachen, eine neue Aufgabe der Linguistik. In: Indogermanische Forschungen. Zeitschrift für indogermanische Sprach- und Altertumskunde 4. Straßburg: Trübner, 1-7. Ohne bibliographische Angaben: 92. Über die Verwendung des Rechenbrettes, besonders des chinesischen, zur Darstellung beliebiger Zahlensysteme (erwähnt von Dobrucky [siehe Nr.-108], S.-87, Anm.-71). Unveröffentlichte Manuskripte und Vorträge Die Titel mit den laufenden Nummern 93-97, 100, 102-105 sind genannt bei Dobrucky (siehe Nr.-108), S.-87, Anm. 71-76. <?page no="147"?> Bibliographie Gabelentz 125 + 93. Altjapanische Grammatik (datiert Berlin 1890). + 94. Anfangsgründe der Mandschu-Grammatik (datiert 1886). + 95. Auszug aus W. Pryse: An Introduction to the Khasia Language (datiert 1885). + 96. Darstellung der Mafoor-Sprache in Neu-Guinea. + 97. Ergänzung zu Hasselt: Hollandsch-Maforsch Wordenboek. 98. Inschriftenfunde am Jenissei und Orkhon (Vortrag vom 17.11.1892, genannt in SPAW 1892, 983). 99. Die Kabakadasprache in Neupommern (Vortrag vom 26.6.1890, genannt in SPAW 1890, 751). + 100. Material über 30 melanesische Sprachen. 101. Mittheilungen über die Schrift von G. Schlegel: Desultory Notes on Japanese Lexicography (Vortrag vom 18.5.1893, genannt in SPAW 1893, 393). + 102. Sammlung mandschur. Wörter für verschiedene Kategorien. + 103. Tungusische Wörtersammlung, nach Maximovicz excipiert (datiert 1861; UB Lg.: Nachlaß Grube, Lex. 212 [Kriegsverlust]). + 104. Wörterbuch Koptisch-Tuareg-Berber. + 105. Wörterbuch Deutsch-Mandschu. Dazu kommen reichlich 200 Rezensionen, und zwar 26 zur Afrikanistik, 50- zur Amerikanistik, 65 zu Ostasien, 15 zu Südasien, 15 zu Südostasien, 15-zu Zentralasien, 3 zu Albanisch und Baskisch, 30 zur allgemeinen Sprachwissenschaft und zu Kunstsprachen. Diese Rezensionen sind enthalten in LCB (Jg. 1875-1893), ferner in AISA (3, 1893), + Archiv für neuere Sprachen (86, 1890 [nach OB 5, 1892, 76 ]), GGA (1880, 1883), LOPh (1, 1884; 2, 1885; 3, 1887 [3mal]), + MSEJ (3, 1884), ZDMG (30, 1876 [2mal]) und ZVS (9, 1877). Ein nach Sachgebieten gegliedertes Gesamtverzeichnis der Rezensionen befindet sich an der UB Lg. (LFB Asien). - Einige Rezensionen, die den üblichen Umfang einer Besprechung überschreiten, wurden in die Bibliographie aufgenommen (Nr.-11, 12, 19, 20, 54 und 57). Literatur über Georg von der Gabelentz 106. Böttger, Walter: von der Gabelentz. In: Neue Deutsche Biographie 6. Berlin: Duncker und Humblot 1964, 2-3 (UB Bln.: Syst. Kat.). 107. Conrady, August: Georg von der Gabelentz. In: Beilage zur AZ 1893, Nr.-303 (30. 12.), 1-5 (vgl. Nr.-288, 7). 108. Dobrucky, Theodor: Die Herren von der Gabelentz. In: Über ein halbes Jahrtausend auf angestammter Scholle. Geschichte der Herren von der Gabelentz auf Poschwitz 1388-1938 (als Handschrift gedruckt, Leipzig 1938), 74-79 (mit Bibliographie) (LFB Asien Lg.: 885). <?page no="148"?> 126 Klaus Kaden und Manfred Taube 109. ders.: 550 Jahre von der Gabelentz im Altenburger Land. In: Altenburger Heimatblätter 7, 1938, Nr.- 10 f. (Beilage zur Altenburger Zeitung vom 20. 10. und 15. 11. 1938). 110. Erkes, Eduard: G. v. d. Gabelentz. In: WZ 3, 1953/ 54, 385-392. 111. ders.: Georg von der Gabelentz und August Conrady. In: Karl-Marx- Universität Leipzig. Beiträge zur Universitätsgeschichte 1, Leipzig: Enzyklopädie 1959, 439-463. 112. von der Gabelentz-Linsingen, Hans: Ahnentafel und Stammtafeln der Familie von der Gabelentz. Groitzsch (Bez. Lpzg.): 1922 (64 S. u. 1 Taf.) (DtSB: S 4450 a / 16). 113. Grube, Wilhelm: Georg von der Gabelentz. In: ADB 50, 1904, 548-555 (mit Bibliographie). 114. Lewin, Günter: Sinologie an der Leipziger Universität. In: WZ 28, 1979, 15-18. 115. Münchhausen, Clementine von [Schwester von Georg v. d. Gabelentz]: Georg von der Gabelentz. Biographie und Charakteristik (Manuskript, Staatsarchiv Weimar, Außenstelle Altenburg, Familienarchiv von der Gabelentz Nr.-918). 116. Schlegel, Gustave: Georg von der Gabelentz. In: TP 5, 1894, 75-78 (abgedruckt in: + Ostasiatischer Lloyd für die dtsch. Interessen im fernen Osten 8, Shanghai 1894, 691). 117. Szilasi, Móricz: Gabelentz György. In: NK 24, 1894, 78-82. 118. Taube, Manfred: Georg von der Gabelentz - seine Herkunft und seine Zeit (Manuskript, UB Lg., LFB Asien). (Nachtrag: Veröff. in: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig. Bd. 34, 1982, 16-36). 119. -: In: Globus 13, 1868, 96. 120. -: Georg von der Gabelentz. In: The Athenaeum Nr.- 2452, London 23. 12. 1893, S.-883 (UB Lg.: Ausl. Ztschr. 170). <?page no="149"?> Kennosuke Ezawa, Berlin Georg von der Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft * (1982; dt. Übers. 1983) 1.-2. Georg von der Gabelentz ist ein deutscher Sinologe und allgemeiner Sprachwissenschaftler aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er wurde 1840 als Sprössling eines alten Adelsgeschlechts in Poschwitz (heute Stadt Altenburg) im damaligen Herzogtum Sachsen-Altenburg geboren. 1 1 Über das Leben von Georg von der Gabelentz vgl. u. a. die Einträge von W. Grube in: Allgemeine Deutsche Biographie 50 (1905), S.- 548-555 (Wiederabdruck in: K. Ezawa/ A. v. Vogel (Hrsg.): Georg von der Gabelentz. Ein biographisches Lesebuch, Tübingen: Narr 2013, S.-29-34) und von W. Böttger in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S.-2-3. Der erstere ist eine ausgezeichnete biographische Darstellung, die wissenschaftliche Wertungen mit einschließt, und der letztere bietet ausführliche genealogische Angaben. Zur sonstigen biographischen Literatur vgl. u. a. die familiengeschichtliche Darstellung von Th. Dobrucky: „Die Herren v. d. Gabelentz“, in: Über ein halbes Jahrtausend auf angestammter Scholle. Geschichte der Herren von der Gabelentz auf Poschwitz 1388-1938, Leipzig: Bibliographisches Institut 1938 (als Handschrift gedruckt), S.-11-90 (Wiederabdruck in K. Ezawa/ A. v. Vogel (Hrsg.) (2013), s. o., S.- 37-83) sowie den Aufsatz von E. Richter, M. Reichardt, G. Selter, R. Gaudes, S.- Reichardt, M. Taube u. I. Herms: „Hans Georg Conon von der Gabelentz - Erbe und Verpflichtung“ in: E. Richter/ M. Reichardt (Hrsg.): Hans Georg Conon von der Gabelentz. Erbe und Verpflichtung = Linguistische Studien (A) 53 (1979), S.- 1-58, Wiederabdruck in diesem Band, S.- 67-111. Von seiner jüngeren Schwester, Clementine v. Münchhausen geb. v. d. Gabelentz, sind handschriftliche Aufzeichnungen H. Georg v. d. Gabelentz. Biographie und Charakteristik (1913) überliefert; eine gekürzte Kopie befindet sich im Familienarchiv Gabelentz im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg; eine komplette Abschrift wurde veröffentlicht in: K. Ezawa/ A. v. Vogel (Hrsg.) (2013), s. o., S.-85-170. * Übersetzung (mit Ergänzungen) von „Gâberentsu to gendai gengogaku“ in: Reports of the Keio Institute of Cultural and Linguistic Studies 14 (1982), S.- 107-126, der auf einen Vortrag vom Verf. auf der Jahresversammlung des Instituts am 5. 3. 1982 in Tokyo zurückgeht. Sie is in einer gekürzten Fassung des Haupttextes auf der XVI. Jahrestagung der Societas Linguistica Europaea in Posen (19.-21.8.1983) vorgetragen worden. Einleitende Worte des Vortrags, die im Aufsatz abgedruckt sind (1.), wurden von mir bei der Übersetzung weggelassen. <?page no="150"?> 128 Kennosuke Ezawa Sein Vater, Hans Conon von der Gabelentz, (1807-1874) war auch ein Sprachforscher, der besonders ostasiatische, ural-altaische, nordamerikanisch-indianische und Südseesprachen erforschte und eine Mandschurische Grammatik („Élémens* de Grammaire Mandchoue“ 1832; *alte, lange übliche Schreibung) geschrieben hat, die heute noch als Standardwerk gilt. Bekannt sind von seinem Vater außerdem eine Abhandlung „Über das Passivum“ (1861), 2 in der er insgesamt 208 indogermanische und nicht-indogermanische Sprachen vergleichend untersuchte, und eine mit Julius Loebe herausgegebene kritische Ausgabe der gotischen Bibel des Ulfilas (1843, 1846, 1860), 3 die aus Text, Grammatik und Glossar bestand. Georg von der Gabelentz nahm früh sein sprachwissenschaftliches Studium unter entscheidendem persönlichem Einfluss seines Vaters auf und erwähnt später an manchen Stellen in seinen Werken seinen verstorbenen Vater als Sprachforscher. 4 Er selbst wurde 1878 auf den ersten, an einer deutschen Universität eingerichteten Lehrstuhl für ostasiatische Sprachen an der Universität Leipzig berufen und blieb dort, bis er 1889 an die Berliner Universität (heutige Humboldt-Universität zu Berlin) ging. Leipzig war damals das Mekka der Sprachwissenschaft, wo die „Junggrammatiker“ 5 dominierten. Gabelentz führte in dieser akademischen Umgebung offenbar eine recht isolierte Existenz 6 und starb 1893 in Berlin an einer Krankheit im Alter von 53- Jahren, wenige Jahre nachdem sein allgemein-sprachwissenschaftliches Hauptwerk „Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse“ (1891) erschienen war. 3. Gabelentz stand - nicht zuletzt durch den Einfluss seines Vaters - mit seiner Sprachauffassung in der Humboldtschen Tradition der Sprachforschung. Seine allgemein-sprachwissenschaftlichen Arbeiten sind daher häufig in der „Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft“ veröffentlicht worden, die seit 1860 von Heymann Steinthal und Moritz Lazarus herausgegeben worden war. 7 2 In: Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (zu Leipzig) 8 (1861), S.-450-546. 3 Ulfilas, veteris et novi testamenti versionis Gothicae fragmenta. 4 Vgl. auch seinen Vortrag „H. C. v. d. Gabelentz als Sprachforscher“ in: Berichte (über die Verhandlungen) der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, philologisch-historische Classe, 38 (1886), S.-217-241. 5 Vgl. G. Helbig: Geschichte der neueren Sprachwissenschaft, München: Hueber 1971, 1. 2. 6 Vgl. Grube (1905), s. o., S.-554. 7 Über Steinthal und Lazarus vgl. die Einleitung von I. Belke in I. Belke (Hrsg.): M. Lazarus und H. Steinthal. Die Begründer der Völkerpsychologie in ihren Briefen. Tübingen: Mohr 1971. <?page no="151"?> Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft 129 Gabelentz veröffentlichte 1869 als 29-jähriger in dieser Zeitschrift einen kleinen Aufsatz von 8 Seiten mit dem Titel „Ideen zu einer vergleichenden Syntax“ 8 und schrieb einige Jahre später (1875) zweimal Ergänzungen dazu im Umfang von je über 30 Seiten. 9 Aus dieser Arbeit ist eine seiner originellsten sprachwissenschaftlichen Leistungen geworden, in der die Begriffe „psychologisches Subjekt“ und „psychologisches Prädikat“ eingeführt wurden, die sich von den herkömmlichen, rein formalen Begriffen des Subjekts und Prädikats grundsätzlich unterscheiden. So wird nach Gabelentz in den Sätzen Napoleon wurde bei Leipzig geschlagen und Bei Leipzig wurde Napoleon geschlagen die Aufmerksamkeit des Hörers jeweils auf Napoleon und Bei Leipzig gelenkt, d. h. daraus jeweils ein Thema der Aussage gemacht, so dass man diese Satzteile jeweils als „psychologisches Subjekt“ und entsprechend wurde bei Leipzig geschlagen und wurde Napoleon geschlagen als „psychologisches Prädikat“ bezeichnen kann. 10 Es ist dabei nach ihm ein universelles Phänomen der menschlichen Sprache, dass man zuerst das psychologische Subjekt und dann das psychologische Prädikat nennt. D. h., Gabelentz hatte in einer Zeit, in der sich die meisten Sprachwissenschaftler im Namen der vergleichenden Sprachwissenschaft oder Sprachgeschichte vornehmlich mit einer historischen Darstellung der Lautsysteme indogermanischer Sprachen beschäftigten, das bis dahin weitgehend unerschlossene Gebiet der Syntax, und zwar am Material indogermanischer und nicht-indogermanischer Sprachen, zum Gegenstand der eigenen Forschung gemacht, wobei er nicht bei der bloßen Klassifikation syntaktischer Erscheinungen geblieben, sondern sogar zu einer universalgrammatischen Konzeption gekommen ist. Bemerkenswert ist es auch, dass er bei solchen Untersuchungen stets von der Analyse des eigenen muttersprachlichen Bewusstseins ausging, über das er als Sprachforscher unmittelbar verfügte, und nicht von formalen Analysen von Texten in einer toten oder fremden Sprache. Im übrigen war Gabelentz auch an der Formalisierung grammatischer Regeln interessiert und machte in seinem Werk „Die Sprachwissenschaft“ (1891, 1901) den Versuch, die Transformation des aktiven zum passiven Satz und die Adnominalisierung von Prädikaten in mathematischen Formeln zu beschreiben. 11 Seine Begriffe 8 In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 6 (1869), S.-376-384. 9 „Weiteres zur vergleichenden Syntax“, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 8 (1875), S.-129-165, S.-300-338. 10 Gabelentz (1869), S.-378 ff. 11 Gabelentz (1891), S.-124/ (1901), S.-117 f. <?page no="152"?> 130 Kennosuke Ezawa des „psychologischen Subjekts“ und „psychologischen Prädikats“ sind in der heutigen Sprachforschung als „topic“ und „comment“ oder als „Thema“ und „Rhema“ geläufig. Über Georg von der Gabelentz finden sich Erwähnungen in den Werken führender Sprachwissenschaftler wie Hugo Schuchardt, Leo Spitzer, Otto Jespersen, Louis Hjelmslev, Iorgu lordan. 12 Besonders Jespersen äußerte sich in seinem Buch „Language: Its Nature, Development and Origin“ (1923) dahin, dass er Gabelentz in sprachwissenschaftlicher Hinsicht sehr viel verdanke. 13 Auch in bekannten Werken wie der „Philosophie der symbolischen Formen, Erster Teil: Die Sprache“ (1923) von Ernst Cassirer und der „Psychologie der Sprache“, Bd. 1, (1941) von Friedrich Kainz ist Gabelentz zitiert. Allgemein unter den heutigen Linguisten bekannt geworden ist Gabelentz allerdings durch den Vortrag von Eberhard Zwirner „Die Bedeutung der Sprachstruktur für die Analyse des Sprechens: Problemgeschichtliche Erörterung“ auf dem 5. Internationalen Kongress für Phonetische Wissenschaften im Jahre 1964 14 sowie den Aufsatz von Eugenio Coseriu „Georg von der Gabelentz et la linguistique synchronique“, der 1967 in der Zeitschrift „Word“ veröffentlicht wurde. 15 Auch schrieb Karl H. Rensch 1966 in der Zeitschrift „Phonetica“ eine Arbeit über „Ferdinand de Saussure und Georg von der Gabelentz. Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten dargestellt an der langue-parole-Dichotomie sowie der diachronischen und synchronischen Sprachbetrachtung“, die in der Fachwelt Beachtung fand. 16 Und nachdem 1969 die 2. Auflage des sprachwissenschaftlichen Hauptwerkes Gabelentz’ „Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und 12 L. Spitzer (Hrsg.): Hugo Schuchardt-Brevier, 2. Aufl. 1928/ (Neudruck) Darmstadt: Wiss. Buchges. 1976, Personenregister; L. Spitzer: Aufsätze zur romanischen Syntax und Stilistik, 1918/ 2. Aufl. Tübingen: Niemeyer 1967, S.- 345; O. Jespersen: Language: its Nature, Development and Origin, London/ New York: Allen & Unwin 1923, S.- 98; L. Hjelmslev: Principes de grammaire générale, Kopenhagen: Hoest 1928/ 2. Aufl. 1968; I. Iordan: An Introduction to Romance Linguistics, its Schools and Scholars (Übersetzung), London: Methuen 1937/ 2.-Aufl. 1970; hierzu vgl. E. Coseriu: „G. v. d. Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft“ (Übersetzung) in: G. v. d. Gabelentz: Die Sprachwissenschaft, 2. Aufl. 1901/ (Nachdruck) Tübingen: TBL (Narr), 2. Aufl. 1972, S.-/ 5/ , Wiederabdruck in diesem Band, S.-3-38. 13 S.-98. 14 In: Proceedings of the Vth International Congress of Phonetic Sciences, Basel/ New York: Karger 1965, S.-1-21, (Diskussion) 21-24. 15 In: Word 23 (1967), S.- 74-110; Wiederabdruck im Reprint von: G. v. d. Gabelentz: Die Sprachwissenschaft, 2. Aufl. 1901, Tübingen: TBL (Narr) 1969, S.- / 5/ -/ 40/ ; deutsche Übersetzung in der 2. Aufl. des Reprints 1972 (vgl. Fußnote 12) sowie als Wiederabdruck in diesem Band, S.-3-38. 16 In: Phonetica 15 (1966), S.-32-41. <?page no="153"?> Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft 131 bisherigen Ergebnisse“ (1901) im Reprint erschienen ist, hat die Zahl von Wissenschaftlern international zugenommen, die über Gabelentz schreiben. Hier seien exemplarisch genannt: Tullio de Mauro in Italien, E. F. K. Koerner in Kanada, Rolf Hiersche in Österreich, Hans Helmut Christmann in der Bundesrepublik Deutschland. 17 Im 1971 erschienenen Werk „Richtungen der modernen Sprachwissenschaft I: Von Saussure bis Bloomfield 1916-1950“ von O. Szemerényi ist auch eine ausführliche Darstellung über Gabelentz zu finden 18 . In der ehemaligen DDR fand im September 1978 in Leipzig ein Gabelentz-Symposium statt. 19 4. Alle diese Publikationen betreffen jedoch inhaltlich fast ausschließlich das wissenschaftsgeschichtliche Verhältnis von Gabelentz zu Ferdinand de Saussure, der als Begründer der modernen Linguistik gilt. Es wurden darin vor allem Fragen behandelt, ob nicht Saussure, der 1876-1878 und 1879-1880 in Leipzig studierte, Vorlesungen von Gabelentz gehört hat, der dort seit 1878 lehrte, oder, ob er nicht in seinen später berühmt gewordenen Genfer Vorlesungen über die allgemeine Sprachwissenschaft durch das 1891 in 1. und 1901 in 2. Auflage erschienene Werk „Die Sprachwissenschaft“ Gabelentz’ beeinflusst worden war. Man findet tatsächlich eine gewisse Parallelität zwischen der Gabelentzschen Unterscheidung von „Einzelsprache“ und „Rede“ und der Saussureschen Unterscheidung von „langue“ und „parole“, und auch der dritte Gabelentzsche Sprachbegriff „Sprachvermögen“ findet sich in der Saussureschen „(faculté du) langage“ wieder. Außerdem ist der Saussuresche Gedanke der Priorität der synchronischen Sprachforschung vor der diachronischen schon bei Gabelentz zu finden, der für die Saussureschen Termini „synchronique“ und „diachronique“ die Bezeichnungen „gleichzeitig“ und „genealogisch-historisch“ verwendet. Besonders Coseriu hat im oben erwähnten Aufsatz zahlreiche, fast parallele Stellen in der „Sprachwissenschaft“ von Gabelentz und im „Cours de 17 Vgl. T. de Mauro: „Notes biographiques et critiques sur F. de Saussure“ (Übersetzung), in: T. de Mauro (Hrsg.): F. de Saussure: Cours de linguistique générale, édition cititique, Paris: Payot 1972, S.-319-404; E. F. K. Koerner: F. de Saussure. Origin and Development of his Linguistic Thought in Western Studies of Language, Braunschweig: Vieweg 1973; R. Hiersche: F. de Saussures langue-parole-Konzeption und sein Verhältnis zu Durkheim und von der Gabelentz, Innsbruck: Inst. f. Vergl. Sprachwiss. d. Univ. Innsbruck 1972; H. H. Christmann: Idealistische Philologie und moderne Sprachwissenschaft, München: Fink 1974. 18 S.-42 ff. 19 E. Richter/ M. Reichardt (Hrsg.) (1979) (s. Fußnote 1) ist ein Bericht über dieses Symposium. <?page no="154"?> 132 Kennosuke Ezawa linguistique générale“ (1916) von Saussure angeführt und daraus geschlossen, dass ein Einfluss Gabelentz’ auf Saussure unbestreitbar ist. 20 Diese Vermutung schien sich auch weiter zu verstärken, als später in der Privatbibliothek Saussures ein Exemplar der 1. Auflage des Gabelentzschen Werkes gefunden wurde. Abgesehen von möglichen persönlichen Einflüssen in der Leipziger Studentenzeit, liegt zumindest die Möglichkeit recht nahe, dass Saussure als Sprachwissenschaftler durch das Werk Gabelentz’ „Die Sprachwissenschaft“ (1891) auf irgend eine Weise beeinflusst worden war, zumal 1892 in Fachzeitschriften Rezensionen über dieses Werk von den einflussreichen Junggrammatikern Otto Behaghel und Wilhelm Streitberg erschienen, 21 die Saussure als Fachwissenschaftler nicht übersehen konnte. 22 Saussure hatte sich außerdem, wie inzwischen festgestellt worden ist, im Jahr 1894, anlässlich des Todes des amerikanischen Linguisten, William Dwight Whitney, den er besonders geschätzt hatte, mit theoretischen Problemen der allgemeinen Sprachwissenschaft vorübergehend intensiv beschäftigt, um einen ausführlichen Nachruf auf ihn zu schreiben, ohne allerdings die Arbeit zu Ende geführt zu haben. Man muss freilich unterscheiden zwischen den allgemein-sprachwissenschaftlichen Gedanken Saussures, die bekanntlich nach dessen Tod (1913) von seinen Schülern Charles Bally und Albert Sechehaye aufgrund von Vorlesungsnachschriften durch Studenten im „Cours de linguistique générale“ (1916) rekonstruiert und festgelegt worden sind, und dem Denken Saussures selbst, der als junger Mann durch seine genialen Studien auf dem Gebiet der 20 „So scheint uns also ein Einfluß von Gabelentz auf F. de Saussure ganz unbestreitbar vorzuliegen“ (S.-/ 33/ , hier S.-36). 21 Behaghels Rezension erschien in: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 13 (1892), S.-257-258, und die von Streitberg in: Anzeiger für indogermanische Sprach- und Altertumskunde 2 (1892), S.- 1-6. Die Inhalte der beiden Rezensionen sind zwar keineswegs negativ, jedoch ist darin eine distanzierte Haltung gegenüber einem selbständigen Denker außerhalb des eigenen Fachkreises, der zahlreiche, ihnen unbekannte Sprachen kannte, jeweils eindeutig zu erkennen. 22 Dagegen behauptet der Sprachwissenschaftshistoriker E. F. K. Koerner, dass vielmehr die Begriffe „Sprechtätigkeit“ und „Usus“ von H. Paul einen Einfluss auf die Begriffe „parole“ und „langue“ von Saussure ausgeübt haben; vgl. seine Rezension der 1. Auflage (1969) des Reprints von Die Sprachwissenschaft (2. Aufl. 1901) von Gabelentz in: Lingua 28 (1971), S.- 153-159 sowie den Aufsatz „Hermann Paul and Synchronic Linguistics“ in: Lingua 29 (1972), S.- 274- 307. Außerdem vgl. E. F. K. Koerner: „Animadversions on some recent claims regarding the relationship between G. v. d. Gabelentz and F. de Saussure“, in: R. Amacker/ T. de Mauro/ L. Prieto (Hrsg.): Studii saussuriani per R. Godel, Bologna: Mulino 1974, S.- 165-180, Wiederabdruck in diesem Band S.-43-58. <?page no="155"?> Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft 133 Indogermanistik auf einmal in der Fachwelt bekannt geworden war und ein reines Forscherleben geführt hatte, ohne die geringste Absicht zu haben, ein Buch zur Einführung in die allgemeine Sprachwissenschaft zu schreiben. Es ist auch bekannt, dass seine Vorlesungen, die dreimal wiederholt wurden, nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Aufforderung der Fakultät gehalten worden waren und dass Saussure in seinem Vorlesungskonzept während dieser Zeit stark schwankte. Vor allem durch die Untersuchung später freigegebener handschriftlicher Quellen Saussures durch Robert Godel (Les sources manuscrites du CLG de F. de Saussure 1957) und die Synopsis der erhaltenen Vorlesungsnachschriften durch Rudolf Engler als kritische Ausgabe (ab 1968) sowie die italienische Übersetzung T. de Mauros mit sehr ausführlichen Anmerkungen (1967) wissen wir heute, dass Saussure z. B. seine drei Sprachbegriffe „langue“, „parole“ und „(faculté du) langage“ keineswegs vor seinen Vorlesungen inhaltlich festgelegt hatte, sondern im Laufe der Vorlesungen in Bezug auf deren Definitionen unterschiedliche, sogar konträre Äußerungen gemacht hatte. 23 Wenn dies der Fall ist, so könnte man sogar schließen, dass der Einfluss Gabelentz’ auf Saussure, auch wenn dieser „Die Sprachwissenschaft“ von Gabelentz in 1. Auflage gelesen hätte, doch nicht so definitiv gewesen ist, dass das gesamte Begriffssystem Saussures in seinen Vorlesungen dadurch endgültig determiniert worden wäre, so dass die scheinbare Parallelität zwischen „Einzelsprache“, „Rede“, „Sprachvermögen“ in „Die Sprachwissenschaft“ einerseits und „langue“, „parole“, „(faculté du) langage“ im „Cours“ andrerseits sogar als Zufall anzusehen ist. So ist die Gabelentz-Diskussion, die in der 2. Hälfte der 1960er Jahre einsetzte, in die Saussure-Diskussion, die parallel dazu lief, immer weiter einbezogen worden. Ich bin aber der Ansicht, dass eine Gabelentz-Diskussion, die die Bedeutung Gabelentz’ lediglich in der Übereinstimmung oder Nicht- Übereinstimmung seiner Begrifflichkeit mit der Saussures im „Cours“ sieht, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, die sich von seiten der weiter im Gang befindlichen Saussure-Diskussion ergeben, die wahre Bedeutung Gabelentz’ für die heutige Sprachwissenschaft verkennt. Denn der Gang der Sprachwissenschaft ist beim Saussure im „Cours“ nicht stehen geblieben, und uns haben sich durch die seitherige Entwicklung so manche Konsequenzen der abendländischen Sprachwissenschaft seit Beginn des 19. Jahrhunderts offenbart, einschließlich der Entstehung der 23 Z. B. Ch. Bierbach: Sprache als „Fait social“. Die linguistische Theorie F. de Saussure’s und ihr Verhältnis zu den positivistischen Sozialwissenschaften, Tübingen: Niemeyer 1978 (vgl. bes. „3. Die Genese der langue-parole-Dichotomie in den Quellen“, S.-52 ff.). <?page no="156"?> 134 Kennosuke Ezawa strukturellen Linguistik durch den „Cours“ und der so genannten Chomskyschen Revolution in der Linguistik. D. h., es ist heute nach der Bedeutung Gabelentz’ im Gesamtbild der Entwicklung der abendländischen Sprachwissenschaft zu fragen, deren Epochen etwa durch die Namen Jakob Grimm (1785-1863), August Schleicher (1821-1868), Hermann Paul (1846-1921), Ferdinand de Saussure (1857-1913), Leonard Bloomfield (1887-1949), Noam Chomsky (1928-) repräsentiert werden kann. In anderen Worten, wir sollten Gabelentz nicht lediglich Saussure oder Chomsky gegenüberstellen, sondern dem gesamten Entwicklungsgang der abendländischen Sprachwissenschaft seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Dadurch wird uns auch die Bedeutung Gabelentz’ als selbständiger Geist in seiner Zeit erst klar werden können. 24 5.1. Nehmen wir etwa den Gabelentzschen Begriff „Einzelsprache“. Zu dieser heißt es bei Gabelentz: „Sprache in diesem Sinne ist nicht sowohl die Gesamtheit aller Reden des Volkes, der Classe oder des Einzelnen, - als vielmehr die Gesamtheit derjenigen Fähigkeiten und Neigungen, welche die Form, derjenigen sachlichen Vorstellungen, welche den Stoff der Rede bestimmen“. 25 Diese Definition, die auf den ersten Blick nichts weiter Auffälliges an sich hat, will in der Sprache kein Ergebnis aus Sprechhandlungen sehen, sondern eine Gesamtheit von Fähigkeiten und Neigungen, die in formaler Hinsicht Voraussetzungen für Sprechhandlungen darstellen, und von sachlichen Vorstellungen, auf denen in stofflicher Hinsicht Sprechhandlungen beruhen. Sie ist der Ausdruck einer Sprachauffassung, die nicht zusammenfällt etwa mit der von H. Paul, der den Gegenstand der Sprachforschung in „sämtlichen Äußerungen der Sprechtätigkeit an sämtlichen Individuen in ihrer Wechselwirkung auf einander“ 26 (im Original in Sperrdruck) in der betreffenden Sprachgemeinschaft sah, oder von der von Saussure, der die Sprache als „System von Zeichen“ (système de signes) oder „soziales Faktum“ (fait social) ansah, oder aber von der von Chomsky, der die Sprache für eine 24 Als Saussure-Studien, die ebenfalls von einem kritischen Gesichtspunkt aus nach dem Sinn der Entwicklung der westlichen Sprachwissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert insgesamt fragen, sind etwa folgende zu nennen: Takashi Kamei: „Soshûru e no izanai“ (Einladung zu Saussure), in: Chûôkôron November 1970, Wiederabdruck in: T. Kamei: Nihongogaku no tame ni (Für eine Wissenschaft der japanischen Sprache), Tokyo: Yoshikawa-Kôbunkan 1971, S.-275-278; - : „A Saussurian Mystery“, in: Logos Semantikos (Festschrift Coseriu), Bd. I, Berlin: de Gruyter/ Madrid: Gredos 1981, S.-259-266. 25 Gabelentz (1891), S.-4/ (1901), S.-3. 26 H. Paul: Prinzipien der Sprachgeschichte, 5. Aufl. 1920/ Darmstadt: Wiss. Buchges. 1960, S.-24. <?page no="157"?> Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft 135 „Fähigkeit“ (competence), und zwar als Kenntnis (knowledge) des Sprechers/ Hörers von seiner Sprache, hält. 27 Vor allem liegt ihr eine Ansicht zugrunde, nach der die Sprache vom realen Dasein wie dem Volk, der Klasse oder dem Individuum - oder kommt diesen etwa kein reales Dasein zu? - nicht losgelöst betrachtet werden kann, d. h. eine realitätssynthetische Sprachauffassung, die die Sprache weder als Gesamtheit von Fähigkeiten (d. h. grammatischen Formen) noch als Gesamtheit von sachlichen Vorstellungen (d. h. lexikalischen Inhalten)‚ sondern als Verknüpfung der beiden heterogenen Elemente, der Form und des Stoffes, ansieht. In dieser realitätsbezogenen Auffassung „lebt die ganze Sprache in jedem Augenblicke“ (im Original in Sperrdruck), 28 und „Was nicht mehr in der Sprache lebt, gehört nicht mehr zu ihr, so wenig wie der ausgefallene Zahn oder das amputierte Bein noch zum Menschen gehört“. 29 Daher gehören nach Gabelentz auch Ausländer zur Sprachgemeinschaft, solange sie die Sprache der Gemeinschaft sprechen, oder Sprichwörter, Lieder und Sagen, sowie, wenn eine Schriftkultur vorliegt, von den Vorfahren Geschriebenes zur Sprache. 30 Dies ist die wahre Synchronie der Sprache nach Gabelentz; als solche unterscheidet sie sich von der „langue“ im „Cours“ in ihrem Wirklichkeitsgehalt erheblich. Vor allem handelt es sich bei ihr, im Gegensatz zur „langue“, nicht um die Sprache als Ergebnis einer primär durch methodisches Interesse motivierten, systematischen Abstraktion, sondern um die lebendige Sprache, die die Redeakte tatsächlich so sein lässt, wie sie sind, d. h. die Sprache als konkretes Volks-, Klassen-, und Individualbewusstsein, das allein die Realität der Redeakte zu erklären imstande ist. 5.2. Auch über die Geschichte der Sprache vertritt Gabelentz, genauso wie über die Einzelsprache, eine an der Realität orientierte, besondere Auffassung. Er nennt die diachronische Sprachwissenschaft deshalb „genealogischhistorische Sprachwissenschaft“, weil er darin nicht bloß die Stufen der gradlinigen Entwicklung einer einzelnen Sprache rekonstruiert, sondern die reale Geschichte von Sprachen in deren gegenseitiger Berührung, Vermischung und Spaltung dargestellt sehen will. Er betrachtet die Sprachgeschichte nicht als Abfolge von Synchronien der einzelnen Sprache in der Zeit, sondern begreift sie als dynamischen Wandel, der sich raum-zeitlich unter den ver- 27 N. Chomsky: Aspects of the Theory of Syntax, Cambridge/ Mass.: M. I. T. Press 1965, S.-24. 28 Gabelentz (1891), S.-9/ (1901), S.-8. 29 Ebd. 30 Ebd. <?page no="158"?> 136 Kennosuke Ezawa schiedenen Sprachen vollzieht. So heißt es bei ihm: „alle Sprachgeschichte ist zugleich Sprachmischung“. 31 Dabei soll diese Aussage nicht nur für Einzelsprachen als Nationalsprachen, sondern auch für Mundarten innerhalb einer Einzelsprache gelten. „Jede Schriftsprache einer großen Nation ist dialektischer Mischungen verdächtig, - ihr zum Gewinne, den Sprachhistorikern zum Verdrusse“. 32 Er erkennt also die positive kulturhistorische Bedeutung der Sprachmischung und -spaltung ausdrücklich an, eine Geschichtsauffassung, die sich von der naturalistisch-positivistischen Geschichtsauffassung des 19. Jahrhunderts grundsätzlich unterscheidet. „Wo sich ein kleines thatkräftiges Volk durch Einverleibung anderer zur Macht und Größe erhebt, da scheint die Sprache besonders schnell abgenutzt zu werden. Die markigen Züge des Angelsächsischen sind in wenigen Jahrhunderten zum Englischen verblichen. Jene Tungusenstämme, die im Mandschuvolke vereinigt China erobert haben, sprechen eine weit verschliffenere Sprache als ihre in Horden lebenden, halbwilden Stammesvettern. Und zwei der ältesten Kultursprachen, die chinesische und die ägyptische, tragen schon in ihren frühesten Denkmälern ein weit verwischteres, moderneres Gepräge, als ihre jüngeren Verwandten“. 33 5.3. Abgesehen von der Richtigkeit dieser Interpretation der Tatsachen, implizierte das historische Interesse Gabelentz’ für Sprachen ein solches kulturelles Interesse. Eine solche, dynamische, an Kulturen orientierte Betrachtung der Sprachgeschichte erschließt tatsächlich manche neue Aspekte im Sprachstudium. Jener vortreffliche „Kritiker der Sprache“, Fritz Mauthner (1849-1923), prägte den Begriff der „Bastard-Übersetzung“, die etwa im deutschen Wort „Lebewesen“ gegeben ist, das als Übersetzung aus lat. animalia erklärt werden kann, und sagte, dass die moderne deutsche Sprache voll von solchen Wörtern sei, die keine „Fremdwörter“, sondern gleichsam „fremd-ausgelöste Wörter“ sind, obwohl sich die Deutschen dieser Tatsache nicht mehr bewusst sind. 34 Auch Gabelentz schenkt dieser Bastard-Erscheinung besondere Aufmerksamkeit und bemerkt, dass die Zahl derjenigen Sprachen, die zu zwei Sprachstämmen fast je zur Hälfte gehören, immer weiter wächst, in dem Maße, in dem man die Tatsachen der Sprachgeschichte weiter klärt, und dass der alte 31 Gabelentz (1901), S.-260; fehlt in der 1. Auflage. 32 Gabelentz (1901), S.-277; fehlt in der 1. Auflage. 33 Gabelentz (1901), S.-283; fehlt in der 1. Auflage. 34 F. Mauthner: Die Sprache, Frankfurt a. M. o. J., S.-58, 76. (Mauthners Hauptwerk: Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3. Bde., 1901-1902, erschien 1982 bei Ullstein, Frankfurt a. M., in Taschenbuchausgabe.) <?page no="159"?> Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft 137 Grundsatz „Denominatio fit a potiori“, der eine Sprache demjenigen Sprachstamm zuordnet, zu dem sie hauptsächlich gehört, in der Genealogie der Sprachen allmählich nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Er würdigte in diesem Zusammenhang die Leistungen von Lucien Adam (1833-1918) und Hugo Schuchardt (1842-1927) besonders, die früh sog. Kreolensprachen untersucht hatten, 35 die in der heutigen Linguistik wieder als aktuelles Untersuchungsobjekt betrachtet werden. Die japanische Sprache seit der Meiji-Revolution (1868) weist im übrigen, wie die ausgezeichneten Studien Tsuyoshi Saitos in seinem Buch „Meiji no kotoba“ (Die Sprache der Meiji-Zeit; 1977) 36 zeigen, unendlich viele „fremdausgelöste Wörter“ auf, die sukzessiv im Laufe der Modernisierung entstanden waren und durch die erst die heutige japanische Kultur und Zivilisation überhaupt entstehen und bestehen konnte. 37 5.4. Was doch die Gabelentzsche Sprachwissenschaft am prägnantesten charakterisiert, ist seine Idee der „synthetischen Grammatik“, in deren Rahmen die oben besprochenen Begriffe des psychologischen Subjekts und Prädikats entstanden waren. Die Sprache ist nach Gabelentz dem Menschen nicht nur als „Erscheinung“ gegeben, die durch andere Menschen bereits zustande gebracht worden ist und die er vor allem zu verstehen hat, sondern auch als „Mittel“, das er zur Realisierung seiner Intentionen benutzt. Man könnte auch von der Sprache als Sprache vom Standpunkt des Hörers aus und als Sprache vom Standpunkt des Sprechers aus sprechen. Oder man könnte den Unterschied auch mit dem Unterschied des deutsch-japanischen und des japanisch-deutschen Wörterbuchs vergleichen. Aufgrund dieser grundsätzlichen Unterscheidung hält Gabelentz neben der bisherigen, primär den Standpunkt des Hörers vertretenden „analytischen“ Grammatik eine umgekehrte, „synthetische“ Grammatik für notwendig. Denn „das Bewußtsein, daß man den selben Gedanken auf verschiedenerlei Weise aussprechen“ kann, wurzelt nach Gabelentz tief im Menschen, und dieses Bewusstsein sei „doch auch ein Theil des Sprachgeistes“. 38 Daher nennt Gabelentz seine synthetische Grammatik auch „grammatische Synonymik“. 39 Im Fall des Deutschen würde diese grammatische Synonymik etwa die Formen des Aktiv- und Passivsatzes zur Bezeichnung des Objektes 35 Gabelentz (1891), S.-272/ (1901), S.-279. 36 Tokyo: Kôdansha 1977. 37 Z. B. bei „shakai“ (Gesellschaft), „kojin“ (Individuum), „shugi“ (-ismus) ist es der Fall. Saito weist die Entstehung all dieser Wörter bibliographisch äußerst genau nach. 38 Gabelentz (1891), S.-101/ (1901), S.-97. 39 Gabelentz (1891), S.-97/ (1901), S.-94. <?page no="160"?> 138 Kennosuke Ezawa der Handlung vorsehen, oder zur Anzeige des Gattungsbegriffs die Mittel des bestimmten Artikels im Singular, des bestimmten Artikels im Plural, des Null-Artikels, „jeder“, „alle“ usw., zum Ausdruck der „Möglichkeit“ das Hilfsverb „können“, „sein“ + Infinitiv mit „zu“ usw., oder für Sätze, die die Ursache und Wirkung bzw. die Bedingung und den Schluss angeben, „weil“ und „darum“, „wenn“ und „dann“ usw. Die Sprache verfügt aber nach Gabelentz nicht nur über solche Mittel zum Ausdruck logischer Beziehungen im weiteren Sinne, sondern auch über grammatische Mittel zum Ausdruck psychologischer, ethischer und ästhetischer Beziehungen. So handelt es sich nach Gabelentz bei dem sog. Diminutiv „-chen“ oder „-lein“ um Mittel zum Ausdruck ästhetischer, beim Unterschied von „du“ und „Sie“ um Mittel zum Ausdruck ethischer, bei den Modalpartikeln „doch“, „ja“, „eben“ usw. um Mittel zum Ausdruck psychologischer Beziehungen. 40 Untersuchungen der Modalpartikeln im Deutschen befinden sich seit den 1970er Jahren in einer fruchtbaren Entwicklung. Im 1977 erschienenen Sammelband „Aspekte der Modalpartikeln“ 41 von Harald Weydt finden sich eine Reihe von Studien auf internationaler Ebene. Der Herausgeber Weydt nennt als die ersten Wissenschaftler, die sich mit deutschen Modalpartikeln befasst haben, Gabelentz und den japanischen Grammatiker Tsugio Sekiguchi (1894-1958) und stellt ihre Studien an den Anfang des Bandes. 42 Die synthetische Grammatik in diesem Sinne ist systematisch darstellbar; Gabelentz stellt in seinem Werk „Die Sprachwissenschaft“ ihren Auf bau in allgemeiner Form dar. 43 Und seine „Chinesische Grammatik“ (1881) ist tatsächlich die erste synthetische Grammatik einer Sprache, die systematisch dargestellt worden ist. Die deutsche Grammatik Sekiguchis ist wohl die erste synthetische Grammatik des Deutschen. 44 40 Gabelentz (1891), S.-98/ (1901), S.-95. 41 Tübingen: Niemeyer 1977. Weydt veranstaltete danach sukzessiv Kongresse über Modalpartikeln und publizierte die Kongressberichte als Die Partikeln der deutschen Sprache, Berlin: de Gruyter 1979, und Partikeln im Deutschunterricht, Heidelberg: Groos 1981. 42 Vgl. den Wiederabdruck des Textes in diesem Band, 59-66. Bei der Arbeit Sekiguchis handelt es sich um seine Studie: „Doch to wa nan zo ya? “ (Was heißt doch? ), in: T. Sekiguchi: Doitsugogaku kôwa (Vorlesungen über die deutsche Sprache), Tokyo: Nikkôshoin 1939, S.-201- 206, die im Sammelband von Weydt (1977) in deutscher Übersetzung zu finden ist, S.- 3-9. 43 Gabelentz (1891), S.-105-108/ (1901), S.-101-104. 44 2008 erschien T. Sekiguchi: Synthetische Grammatik des Deutschen, ausgehend vom Japanischen, München: iudicium, übersetzt und herausgegeben von K. Ezawa in Zusammenarbeit mit H. Weydt und K. Sato (Original: Dokusakubun kyôtei, Leitfaden für die Übersetzung aus dem Japanischen ins Deutsche, Tokyo: Nikkôshoin1939). <?page no="161"?> Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft 139 5.5. Die Erkenntnis, die man durch eine systematische Darstellung der synthetischen Grammatik bzw. grammatischen Synonymik einer Sprache gewinnt, ist u. a. die, zu welchen Zwecken diese Sprache besondere formale Mittel entwickelt hat und sie tatsächlich ständig in Anspruch nimmt, d. h. , was deren Hauptinteressen sind. Denn die formalen Mittel bzw. grammatischen Elemente einer Sprache sind offensichtlich aus ursprünglich nicht formalen Mitteln durch Interessen, Neigungen und Bestrebungen des Subjektes der Sprache zu bestimmten abstrakten Zwecken weiter entwickelt worden und stellen als solche insgesamt einen festen Rahmen für dessen sprachliches Denken dar. Sie sind solche Mittel und Elemente, die, unabhängig von jeweiligen konkreten Inhalten, in den Äußerungen in der betreffenden Sprache grundsätzlich Anwendung finden. Die Grammatik ist in diesem Sinne, wie Roman Jakobson nach Franz Boas sagte, eine „ars obligatoria“. 45 Der sog. Sprachgeist ist nichts anderes als solche historisch gewordene Form des sprachlichen Denkens. 6.1. All diese Gedanken Gabelentz’ über die Einzelsprache, die Sprachgeschichte und die synthetische Grammatik scheinen mir ein bestimmtes Daseinsverständnis des Sprachforschers vorauszusetzen. Die Sprache nicht als Gesamtheit der vollzogenen Redeakte, sondern als Gesamtheit der sprachlichen Fähigkeiten, Neigungen und Vorstellungen des sprechenden Subjekts anzusehen, bedeutet einmal ein genetisches Daseinsverständnis statt des substanzialistischen, zum anderen ein dualistisches Daseinsverständnis, das die Form und den Stoff als die beiden Prinzipien des menschlichen Daseins anerkennt. Wenn man etwa den Gang der Forschung in der Phonetik betrachtet, die als das fortgeschrittenste Gebiet der heutigen Linguistik gelten kann, und feststellt, dass man von der analytischen Lautphysiologie der Junggrammatiker über die sog. Experimentalphonetik der 1930er Jahre und die akustische Lautanalyse und -synthese ab Mitte der 1950er Jahre zur synthetisch-physiologischen Phonetik in der Folgezeit gelangt ist, so wird es einem klar, dass sich heute die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die sprachlichen Erscheinungen einschließlich der lautlichen grundsätzlich als Erzeugungsprozesse des Tätigkeitssubjektes verstanden werden müssen. 46 45 Zu dieser Ansicht vgl. R. Jakobson: „Boas’ View of Grammatical Meaning“, in: American Anthropologist 61 (1959), S.-139-145; F. Boas: „Language“, in: F. Boas (Hrsg.): General Anthropology, Boston 1938, S.-124-145. 46 Vgl. K. Ezawa: „Zur Variation der Sprachlaute“, in: Logos Semantikos (Festschrift E. Coseriu), Vol. V, Berlin: de Gruyter/ Madrid: Gredos 1981, 45-57. <?page no="162"?> 140 Kennosuke Ezawa Andrerseits hat man es heute in der Chomskyschen Generativen Transformationsgrammatik, die den Erzeugungscharakter der Sprache betont, mit einer Sprachforschung zu tun, deren idealisierende Gegenstandserfassung sich von der im „Cours“ in nichts unterscheidet. Sie hat zwar neue Erkenntnisse über den formalen Erzeugungsprozess der Sprache gebracht, die reale, aktive Spracherzeugung selbst ist aber nicht mit diesem formalen Prozess gleichzusetzen. Hierin liegt das Grundmissverständnis Chomskys über Wilhelm von Humboldt. 47 6.2. Auch die Ansichten Gabelentz’ zur Sprachgeschichte scheinen sich gerade heute zu bestätigen, nachdem der nationalistische Sprachpurismus dem sprachlichen Pluralismus und Liberalismus gewichen ist. Was die japanische Sprache anbetrifft, so ist es heute evident, dass nicht die singuläre, „reine“ altjapanische Sprache, das sog. „yamato kotoba“, sondern die verschiedenen Formen des Japanischen einschließlich der altchinesischen und modernen europäisch-amerikanischen Bestandteile insgesamt die japanische Sprache als geschichtliches Dasein ausmachen. Dies hängt mit der komplexen historischen Entwicklung der japanischen Kultur eng zusammen, die eine sich monogenetisch fortpflanzende japanische Sprache nie zuließ. 48 Vor allem die moderne japanische Sprechsprache, die wir heute sprechen, scheint, wie einschlägige Untersuchungen herausgearbeitet haben, ihren Ursprung in dem mehr oder weniger künstlichen öffentlichen Kommunikationsmittel in der Edo-Zeit, dem sog. „hon-edo“ (Edo-Hauptsprache), gehabt zu haben, das sich im Laufe der verhältnismäßig kurzen Zeit nach der Meiji- Revolution (1868) zum heutigen Japanisch weiterentwickelt hat. 49 Dies erinnert unmittelbar daran, dass die moderne deutsche Sprache ihre Basis z. T. in der sog. Kanzleisprache hatte und in Meißen, dem kulturellen Zentrum der ostdeutschen Siedlungsgebiete, in denen verschiedenste Stämme 47 Vgl. K. Ezawa: „Zum Chomskyschen Kreativitätsbegriff “, in: Kwartalnik Neofilologiczny XXIV, 2-3 (1977), S.- 223-234 sowie E. Coseriu: „Semantik, innere Sprachform und Tiefenstruktur“, in: E. Coseriu: Sprache - Strukturen und Funktionen, Tübingen: Narr, 3. Aufl. 1979, S.-177-185. 48 Im Zusammenhang mit diesem Problem ist die Idee Takao Suzukis in seinem Aufsatz „English kara Englic e“ (Von English zu Englic) in: T. Suzuki: Kotoba to shakai (Sprache und Gesellschaft), Tokyo: Chûôkôronsha 1975, S.-256-261, nicht nur vom praktischen und sprachdidaktischen, sondern auch vom allgemeineren, sprachkulturtheoretischen Gesichtspunkt aus beachtenswert. 49 Vgl. Kenji Morioka: „Gendai no gengoseikatsu“ (Das Sprachleben in der Gegenwart), in: Kôza kokugoshi (Reihe: Geschichte der japanischen Sprache) 6, Tokyo: Taishûkan 1972, S.-361-434. <?page no="163"?> Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft 141 nebeneinander lebten, zustande kam. (Tokyo, die neue Hauptstadt nach der Revolution, war genauso ein solcher Schmelztiegel der Provinzmenschen). Die deutsche Sprache, die die heutigen Deutschen sprechen, ist, genauso wie die heutige japanische Sprache, geschichtlich gesehen, keineswegs so alt, wie man vielfach annimmt. So ist z. B. in den großangelegten statistischen Untersuchungen in der ehemaligen DDR, die dem Zeitraum 1470-1730 galten, festgestellt worden, dass sich z. B. die für das heutige Deutsch sehr charakteristische Erscheinung wie der Satzrahmen erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verfestigt hat. 50 In diesem Sinne sollten wir heute von der positivistisch-naturalistischen Geschichtsauffassung des 19. Jahrhunderts endgültig Abschied nehmen. 6.3. Auch hinter dem Gabelentzschen Konzept der „synthetischen Grammatik“ scheint sich eine bestimmte Kritik bzw. Reflexion über die Sprachauffassung zu verbergen, die auf dem traditionellen Daseinsverständnis des abendländischen Menschen beruht. Hinter der traditionellen „analytischen Grammatik“ steckt die intellektualistische Weltanschauung, die eine grundsätzliche Übereinstimmung der Seinserkenntnis mit dem Sprachausdruck sucht. Nach dieser wissenschaftlichen Ideologie soll die Sprache einheitlich sein, weil die Welt eine Einheit ist, und entsprechend auch eindeutig verstanden werden. Das Erkennen bedeutet nach ihr nichts anderes als durch die Sprache zur Ordnung der Welt zu gelangen, die sie abbildet. Die Sprache des Volkes ist daher unterdrückt und die klassischen Sprachen oder die extrem normierte Sprache der bildungstragenden Schicht für die Sprache überhaupt gehalten worden. Sobald man jedoch den abendländischen Kulturkreis verlässt, stellt man fest, dass die Sprache ein Mittel ist, das für das jeweilige Volk in erster Linie da ist, um eine gemeinsame Welt, ein gemeinsames Medium, ein „sensorium commune“, unter denjenigen Menschen zustande zu bringen, die zusammen leben. „Sie (die Sprache) stellt eine Welt dar, das heißt die Gesammtheit der Vorstellungen, in denen und über die sich das Denken eines Volkes bewegt; und sie ist der unmittelbarste und bündigste Ausdruck für die Art, wie diese Welt angeschaut, für die Formen, die Ordnung und die Beziehungen, in denen die Gesammtheit ihrer Objekte gedacht wird. Wer sie so versteht, - und nur der versteht sie wissenschaftlich, - zu dem redet durch sie das Volk: dies ist mein 50 Vgl. G. Kettmann/ J. Schildt (Hrsg.): Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene (1470-1730): Der Einfachsatz, Berlin: Akademie-Verlag 1976 (bes. J. Schildt: „Zur Ausbildung des Satzrahmens“, S.-237-284). <?page no="164"?> 142 Kennosuke Ezawa Standpunkt, dies also mein geistiger Gesichtskreis und die Perspektive, in der sich für mich die Dinge gruppieren - und dies ist die Eigenart meines geistigen Auges, womit ich die Welt betrachte und das sich an und in dieser Welt geschult hat“. 51 Für Gabelentz, der manch einem solchen geistigen Auge in der nichteuropäischen Welt begegnet war, bedeutete die grammatische Beschreibung nichts anderes als ein systematisches Studium der Maßnahmen, die solches von den Mitgliedern des Volkes geteilte geistige Auge zur sprachlichen Gestaltung ihrer Welt entwickelt hat. D. h., die Sprache ist nicht der Ausdruck der Erkenntnis der einen Welt, sondern der Ausdruck derjenigen Welt, die zwischen den Menschen existiert, die die gleiche Sprache sprechen, der Ausdruck dieser Menschenwelt, ein Mittel zu deren Aufrechterhaltung, die Gesamtheit der Lebensformen, die zu dieser Welt gehören. Die Formen der zwischenmenschlichen Kommunikation, die eines der zentralen Themen der heutigen Linguistik darstellen, waren also von Gabelentz in ihrer positiven sprachlichen Relativität eindeutig erkannt worden. Die Konsequenzen einer Sprache ohne Menschen, einer Geschichte ohne Menschen, einer Wissenschaft ohne Menschen werden in der heutigen Welt immer eindeutiger erkannt. „Sprache ist eine Funktion -‚ ihr Vermögen eine Kraft des Menschen. Was soll nun entscheiden: Die Art der Kraft und ihrer Wirkungen, wie in der Physik, oder das Subjekt wie in der Geschichte? Im ersteren Falle wäre die Sprachwissenschaft ich weiß nicht welches Gemisch von vergleichender Physiologie und Psychologie, - im zweiten Falle ist sie ein Theil der großen Wissenschaft vom Menschen“. 52 7. Was einen bei der Lektüre des Gabelentzschen Werkes „Die Sprachwissenschaft“ (1891, 1901) überrascht, ist die Lebendigkeit der Sprache, die fast im Plauderton verläuft, und die Schlichtheit und Prägnanz der darin verwendeten Begriffe. Dieses Buch, in dem eine außerordentlich scharfe, manchmal fast extreme Argumentation in einfachen Worten, mitunter sogar mit Witzen, entfaltet wird, ist nicht nur wegen seines sehr systematischen Auf baus und des vollständigen Registers, sondern auch in stilistischer Hinsicht als seltenes Meisterwerk zu bezeichnen. (Bei seinen Aufsätzen oder Forschungsberichten ist dies nicht immer der Fall). Die 2. Auflage dieses Buchs, die zehn Jahre nach der 1. Auflage posthum von seinem Neffen, dem Orientalisten, Albrecht von der Schulenburg, herausgegeben worden ist, enthält zahlreiche Nachträge aufgrund der Einträge 51 Gabelentz (1901), S.-76; fehlt in der 1. Auflage. 52 Gabelentz (1891), S.-4/ (1901), S.-4. <?page no="165"?> Gabelentz und die heutige Sprachwissenschaft 143 im Handexemplar des Verfassers, ist jedoch im gesamten Auf bau unverändert geblieben. Ein Lebenswerk also, an dem der Verfasser bis zu seinem frühen Tode leidenschaftlich weiter gearbeitet hatte. Ich wünsche, dass dieses sprachwissenschaftliche Meisterwerk in deutscher Sprache heute von vielen in der Welt gelesen wird. 53 53 2010 erschien eine japanische Übersetzung von „Die Sprachwissenschaft“ von G. v. d. Gabelentz, und zwar der 1. Auflage (1891), als Gengogaku (Sprachwissenschaft; Übersetzer: Atsuo Kawashima), Tokyo: Dôgakusha. Eine englische Übersetzung des Werkes ist von der Ost-West-Gesellschaft für Sprach- und Kulturforschung, Berlin, zur Publikation vorbereitet. <?page no="167"?> Frans Plank, Konstanz Hypology, typology: the Gabelentz puzzle * (1991) 1. Vogue words It would be difficult to formulate the research programme of linguistic typology more succinctly than in the following words from Georg von der Gabelentz’s Die Sprachwissenschaft (1901: 481): Jede Sprache ist ein System, dessen sämmtliche Theile organisch zusammenhängen und zusammenwirken. Man ahnt, keiner dieser Theile dürfte fehlen oder anders sein, ohne dass das Ganze verändert würde. Es scheint aber auch, als wären in der Sprachphysiognomie gewisse Züge entscheidender als andere. Diese Züge gälte es zu ermitteln; und dann müsste untersucht werden, welche andere Eigenthümlichkeiten regelmässig mit ihnen zusammentreffen. Ich denke an Eigenthümlichkeiten des Wort- und des Satzbaues, an die Bevorzugung oder Verwahrlosung gewisser grammatischer Kategorien. Ich kann, ich muss mir aber auch denken, dass alles dies zugleich mit dem Lautwesen irgendwie in Wechselwirkung stehe. Die Induction, die ich hier verlange, dürfte ungeheuer schwierig sein; und wenn und soweit sie gelingen sollte, wird es scharfen philosophischen Nachdenkens bedürfen, um hinter der Gesetzlichkeit die Gesetze, die wirkenden Mächte zu erkennen. Aber welcher Gewinn wäre es auch, wenn wir einer Sprache auf den Kopf zusagen dürften: Du hast das und das Einzelmerkmal, folglich hast du die und die weiteren Eigenschaften und den und den Gesammtcharakter! - wenn wir, wie es kühne Botaniker wohl versucht haben, aus dem Lindenblatte den Lindenbaum construiren könnten. Dürfte man ein ungeborenes Kind taufen, ich würde den Namen Typologie wählen. Hier sehe ich der allgemeinen Sprachwissenschaft eine Aufgabe gestellt, an deren Lösung sie sich schon mit ihren heutigen Mitteln wagen darf. Hier würde sie Früchte zeitigen, die jenen der sprachgeschichtlichen Forschung an Reife nicht nachstehen, an Erkenntnisswerthe sie wohl übertreffen sollten. Was man bisher von geistiger Verwandtschaft, von verwandten Zügen stammverschiedener Sprachen geredet hat, das würde hinfort greifbare Gestalt gewinnen, in ziffermässig bestimmten * Wiederabdruck des Aufsatzes: Plank, Frans (1991), „Hypology, typology: the Gabelentz [1840-1893] puzzle,“ Folia Linguistica 25, 421-458. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags de Gruyter, Berlin. - Hrsg. <?page no="168"?> 146 Frans Plank Formeln dargestellt werden; und nun träte das speculative Denken an diese Formeln heran, um das Erfahrungsmassige als ein Nothwendiges zu begreifen. This is something many working typologists today will readily subscribe to, and actually quoting this passage or parts of it has become the vogue in textbooks (e. g. Haarmann 1976: 15 f., Ramat 1983: 6), position papers (e. g. Reichling 1948: 13, Coseriu 1980: 162, 1983: 272, Plank 1981: 35), editorial introductions to collections (e. g. Seiler 1978: 12, Plank 1986: 1, Hammond/ Moravcsik/ Wirth 1988: 5), and in explorations of the ancestry of structural linguistics à la Saussure (e. g. Coseriu 1967: 95 f., Baumann 1976: 199 ff.). 1 Who consults Die Spachwissenschaft as reprinted in 1969, 1972, and 1984 (such is now the demand! ), encounters this passage already in the added preliminary matter, a repeat of Coseriu (1967). In view of the great acclaim which this “berühmte Stellungnahme” (Coseriu 1983: 272) has received lately, it behoves the historian of linguistics, and also the typologist for whom yesterday’s typology is of more than antiquarian value, to raise two questions about it: Is it authentic? Wherein lies its real importance? 2. Family likeness In order to establish the paternity of that brainchild, typology, it should be noted that the passage in question is missing from the first edition of Die Sprachwissenschaft, published in 1891. 2 The emphasis in chapter VI, Die allgemeine Grammatik, of book IV, except for this addition essentially unaltered in the second edition of 1901, is on the fundamental tasks facing general linguistics, as Gabelentz sees it, viz. to provide synoptic accounts of particular grammatical phenomena as well as of their particular capacities across the languages of the earth, and to demonstrate the mutual correspondence of forms and functions, something that was usually taken for granted. The two preceding chapters, Sprachwürderung and Die Sprachschilderung, outline the yet more ambitious task of determining, inductively, the correspondences between the forms and functions of languages on the one hand and the mental and emotional characteristics, states of civilization, and conditions of existence of language communities, and survey previous, in Gabelentz’s view 1 Baumann (1976) finds repercussions of this passage in the work of Leonard Bloomfield, Nikolaj Sergejevič Trubetzkoy, Vladimír Skalička, and perhaps also Wilhelm Meyer-Lübke. See also Koerner (1974) on the controversial issue of Gabelentz’s influence. 2 Curiously Reichling (1948) states and Baumann (1976) implies that it was already present in the original edition of 1891. So far as I know, Koerner (1972: 279, 1974: 168) is the only one to have paid attention to differences between the first and second editions of this book. <?page no="169"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 147 unsatisfactory work along such lines in the Humboldtian tradition. Gabelentz shares with his predecessors the presupposition that languages are organic, or systemic, wholes: die Sprache ist ebensowenig eine Sammlung von Wörtern und Formen, wie der organische Körper eine Sammlung von Gliedern und Organen ist. Beide sind in jeder Phase ihres Lebens (relativ) vollkommene Systeme, nur von sich selbst abhängig; alle ihre Theile stehen in Wechselwirkung und jede ihrer Lebensäusserungen entspringt aus dieser Wechselwirkung. (1891: 10) - Nichts gleicht einem Organismus mehr, als die menschliche Sprache. Alles in ihr steht in ursächlichem und zwecklichem Zusammenhange … (1891: 15) - Es kann nicht anders sein: alles muss mit allem nothwendig zusammenhängen. (1891: 466) Gabelentz also implies occasionally that some grammatical characteristics are presumably more salient than others in the overall structure of languages (e. g. 1891: 457, “hervorstechende Merkmale”), and that these will ultimately be decisive for conclusions about the cultural value (“Culturwerth”) of a language (1891: 376). The notion of language ‘types’ is sometimes used informally, in contradistinction to genealogical groupings, but one senses a certain diffidence when it comes to referring to the structural classes of the Schlegels, Humboldt, and Schleicher as types. 3 Even the morphological differences between flexion and agglutination seem to Gabelentz gradual rather than categorical; and in classifications-cum-evaluations that set great store by features such as agreement, gender, morphonological alternations, the clear and distinctive recognition of a subject relation, an inclusive-exclusive contrast in personal pronouns, or the differentiation of a dual number, he misses a truly systemic perspective. Thus, to the attentive reader of Gabelentz’s book of 1891, especially of the chapter on Sprachwürderung, it should have become apparent that the systemic ranking of classificatory features is an Aufgabe but not yet a bisheriges Ergebnis der Sprachwissenschaft, and that the Methode called for is induction. It is only in the second edition, however, that the correlation of parts and the subordination of characters, to be uncovered by cross-linguistic induction, are brought to the fore so dramatically, in the celebrated quotation, and that ‘typology’ is suggested as a special name for this allegedly novel objective of linguistic inquiry. The second edition of Die Sprachwissenschaft was posthumous: Georg von der Gabelentz had died on 10 December 1893 at the age of 53. It was edited by 3 In earlier publications (e. g. 1878: 642, 1887: 53), however, Gabelentz does use the terms “isolirender Typus” and “incorporirender, polysynthetischer Typus”, but also refers to these as “Klassen”. <?page no="170"?> 148 Frans Plank his nephew, Albrecht Conon Graf von der Schulenburg (1865-1902), Privatdocent for East-Asian languages at the University of Munich, but well versed also in American Indian tongues and comparative grammar in general. 4 Now, unless relevant surviving manuscripts of Gabelentz or Schulenburg should come to light, 5 it might seem difficult to determine which of them was responsible for particular revisions and additions, which all in all were considerable. From Schulenburg’s preface, dated May 1901, it could be inferred that he takes responsibility for all alterations himself: Leider war es ihm [Gabelentz] nicht mehr vergönnt, den weiteren Ausbau dieses grossartig angelegten Werkes mit eigener Hand zu unternehmen. … Dem Ueberlebenden erübrigte es, mit schonender Hand das Geschaffene, soweit es irgend anging, zu erhalten, und nur da, wo der Fortschritt der Wissenschaft es dringend verlangte, Änderungen und Erweiterungen vorzunehmen. This is the interpretation of Koerner (1974: 173), who without further ado also- ascribes that “commonplace statement regarding language as a system” so cherished by modern typologists to Schulenburg (1974: 176). However, even on the evidence of the editor’s preface alone this is too rash a conclusion, for Schulenburg does not strictly speaking deny that his late uncle had at least begun to elaborate on one or another subject dealt with in his textbook. This would have been in keeping with Gabelentz’s working habits: according to his preface the original version of Die Sprachwissenschaft too had evolved from a series of occasional articles written over a period of several years supplemented by lecture notes. Circumstantial evidence pointing to Gabelentz himself as the author of at least parts of the typology passage is its very personal and almost flamboyant style. In addenda that are clearly Schulenburg’s, mentioning literature postdating Gabelentz’s death, the diction is less florid, and first person singular is generally avoided (though not on page 338, when quoting from Misteli 1893). On the other hand, going by the contents of this passage, Schulenburg is not entirely out of the running as its possible author, since he shared the intellectual background of his uncle. For example, Gabelentz was among the few confessed admirers of James Byrne (1820-97), whom he singled out for praise in his inaugural speech at the Prussian Academy of Sciences (1890: 4 The Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) 1700-1910 (vol. 130, 1985, pp. 151, 287) lists five linguistic monographs by Schulenburg; these are given in the References. His Tsimshian grammar (1894) was praised as a classic by Franz Boas. 5 The unpublished manuscripts and talks by Gabelentz listed by Kaden/ Taube/ Westphal (1979: 241) do not bear on the present issue. <?page no="171"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 149 784 f.) and to whom he devoted a section of his book (1901: 426 f., taken over unchanged from the first edition). So was Schulenburg, who in 1895 even published a booklet, Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues, which was a digest of the Irishman’s stupendous General Principles of the Structure of Language (1885/ 1892), comparable in orientation and scope to the programme of Humboldt (note Schulenburg’s title! ) and his follower Hans Conon von der Gabelentz (1807-74), Schulenburg’s grandfather and Georg von der Gabelentz’s oft-acknowledged father. 6 Thus, being no less familiar than his uncle with this tradition of comparative linguistics, Schulenburg was particularly impressed, at the time he was preparing a new edition of Die Sprachwissenschaft, 7 by Byrne’s endeavour to relate a wide range of structural properties of languages to the mentalities and ultimately the conditions of existence of the peoples and races speaking them. Byrne’s approach had been two-pronged: first “the action of the causes which tend to affect the structure of language” was deduced from “the laws of our nature”, then the actual effectiveness of these hypothetical causes was proved by induction, in a detailed and comprehensive survey of the harmoniously cohering structural properties that seemed relevant. The six groups into which the languages of the earth were divided by Byrne, areally and genealogically motivated though some of them seem (but note such heterogeneous assemblages as the Oceanic, Indian, North-East and Central African group or that comprising the Chinese, Indo-Chinese, Tibetan, and Syro-Arabian languages), were intended to represent a classification grounded on the coinciding results of cultural, ethnopsychological, and structural-linguistic criteria. 8 The “quickness or slowness of man’s mental action” was the single psychological cause deemed most effective, and it was held responsible for “the leading characteristics by which the languages of mankind are distin- 6 Byrne’s General Principles were also given a warm, or at any rate non-hostile, reception in Hale (1886), Techmer (1887), Misteli (1893), and especially Finck (1898/ 99). Cf. also the appreciation of Byrne by Lewy (1944). See Gabelentz (1886) on his father. 7 One wonders, incidentally, why a second edition was published at all. That the first edition sold out so quickly seems unlikely, considering the contemporary academic dominance of the Indo-Europeanists. The reviews (listed in Kaden/ Taube/ Westphal 1979: 238 f.) had not exactly been enthusiastic, either. 8 The relationship between (dominant) structural and (subordinate) genealogical/ areal classification, as conceived of by Byrne, is similar in kind to that found, for instance, in Steinthal (1860) and Misteli (1893). Misteli calls the genealogical classes which respectively typify his six structural classes (“einverleibend, wurzel-isolirend, stamm-isolirend, anreihend, agglutinirend, flectirend”) ‘types’; the incorporating class, for instance, is realized in his system by a Mexican and a Greenlandic “Typus”. <?page no="172"?> 150 Frans Plank guished from each other” (e. g. 1885: I, vii; cf. Schulenburg 1895: 20, “markanteste Züge”), with the “subjectivity of the verb” emerging as an especially prominent trait. 9 It was by “the inductive method of concomitant variations”, assimilated from the famous John Stuart Mill’s System of Logic, Ratiocinative and Inductive (1843), that Byrne sought to substantiate his “connected view of the entire grammatical system” (ibid.), which included a host of more or less conspicuous phonetic, morphological, and syntactic characteristics such as the relationships between consonants and vowels, the elaboration of the categories of tense, mood, voice, number, gender, inclusive-exclusive, the use of agreement and of word order. The Dean of Clonfert (Byrne was a clergyman by profession) was always stressing that what he was engaged in, not yet called typology, 10 was a science. It was a science of man, to be sure, but Byrne was not alone in feeling a strong methodological affinity for the evolutionary biology of Charles Darwin, which showed in particular in his fundamental assumption that the “forms of thought” and the corresponding manners of the “formation of the sentence” become established in each region by natural selection (e. g. 1885: I, 26; cf. Schulenburg 1895: 8 passim). 11 Thus, acquaintance with James Byrne’s General Principles alone, perhaps the most ambitious but by no means the only work of this kind to appear in the second half of the 19th century, could have provided the motifs from which the typology story in the second edition of Die Sprachwissenschaft is woven: the correlation of grammatical parts, their hierarchical ranking, the preference for functional explanations (in terms of cultural and mental requirements), the emphasis on induction, and biology as a model science. In his preface Schulenburg, who had such an acquaintance, expressly states a constraint he imposed on himself in his revision: his additions would be limited to what was urgently required by the progress of the science. Now, on the face of it, the typology passage does not really seem to report on any specific recent work by others or Schulenburg himself. Nevertheless, roughly the last decade of the century did see a number of significant contributions to structural language classification, coming too late to be fully appreciated in a book published in 1891, which might have induced a reviser of Die Sprachwis- 9 This is a pivotal trait also in the systems of Finck (1898/ 99), Winkler (1887), Misteli (1893), and Steinthal (1860), as well as of earlier comparatists such as Adam Smith (1761) (on whom see Plank 1991). 10 In Schulenburg’s (1895) study on Byrne “Typus” is only used in an ethnological sense, when North American Indians are referred to as type specimens of the class of hunters. 11 A direct, if trivial reference to The Descent of Man occurs on p. 383 of volume II (1885); the Appendix to volume II, comparing the mental powers of man and of lower vertebrates, also touches on Darwin. <?page no="173"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 151 senschaft to bring into focus this theme which had previously been dealt with perhaps a little diffusely. Highly pertinent were above all Zur Sprachgeschichte (1887) by Heinrich Winkler (1848-1930), ‘De la classification des langues, II. Partie: Classification des langues non-apparentées’ (1890) by Raoul de la Grasserie (1839-1914), Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaues (1893) by Franz Misteli (1841-1903), and, after Gabelentz’s death, Der deutsche Sprachbau als Ausdruck deutscher Weltanschauung (1898/ 99) by Franz Nikolaus Finck (1867-1910). Misteli is indeed quoted extensively by Schulenburg, but on the ‘inner form of language’ (1901: 338-343), just as Gabelentz had quoted Heymann Steinthal’s book of the same title (1860), of which Misteli’s was a revision. As to the typological research programme itself, however, it is announced in the second edition of Die Sprachwissenschaft without any acknowledgments of recent precursors. I believe there is one undisclosed link, though, to Grasserie’s article just mentioned, and this will be dealt with in a moment, after a more direct source has been identified. 3. Perils of posthumous publication In the last decade of the 19th century there appeared yet another work that has to be taken into consideration here. The fourth volume of Indogermanische Forschungen (1894), the official Neogrammarian organ, opened with an article, curiously entitled ‘Hypologie der Sprachen, eine neue Aufgabe der Linguistik’, that seemed somewhat out of place amidst minute examinations of sound laws and analogical changes. Its author was Georg von der Gabelentz. It was the last piece he had sent off for publication, and it had been seen through the press after his death by the editors of this learned Indo-Europeanist journal (Karl Brugmann and Wilhelm Streitberg), whence the queer title. 12 The point of departure of this paper is a factor, perhaps underestimated by James Byrne, that is liable to interfere with the alignment of structural-linguistic classes and psychological-cultural types: contact-induced language changes unaccompanied by psychological-cultural changes. In Gabelentz’s opinion, however, such states of incongruity are unlikely to last long, as even substantial admixtures of vocabulary and grammar tend to be assimilated soon. With the exception of trade jargons and pidgins, lacking native speakers, he is prepared to take virtually all structural properties of all languages into account as the basis from which to induce interrelations. Invoking for these native languages once more that conventional piece of a priori wisdom, 12 “Hypologie” appears not only in the title but also in the table of contents and the running heads. <?page no="174"?> 152 Frans Plank Sie sind freie organische Gebilde, und weil und insoweit sie dies sind, stehen alle ihre Teile zueinander in notwendigem Zusammenhange (1894: 4), and pointing out the plausibility of the stronger assumption daß gewisse Züge in der Physiognomie der Sprachen, zumal lexikalische, stilistische und syntaktische, besonders charakteristisch sind (ibid.), he goes on to call for empirical confirmation of these two axioms. Taking palmistry and paleontology as his models - the gipsy woman who claims to be able to tell what someone is like by examining the lines on his palm, the great Cuvier who was able to reconstruct fossils from a few bones - he insists that what descriptive linguistics must aim at is the ability to make predictions. And this can only be achieved by controlled induction, ideally by what he calls “eine Statistik der Konjunkturen” (1894: 6). As the most striking example of a ‘conjuncture’ of two intrinsically unrelated physiognomic traits across genealogically and areally unrelated languages, he mentions the ergative vs. absolutive (activus-instrumentalis vs. neutro-passivus) case marking pattern of Basque, Tibetan, Eskimo, and Australian languages, which in all of these languages except the Australian ones co-occurs with a split ordering pattern of adnominal attributes, with genitives preceding and with adjectives following their head nouns. 13 This conjuncture is, thus, a statistical one: if a language has trait A (ergativity), it will with far more than chance frequency also have trait B (divergent genitive and adjective ordering); if it has trait B, it will, supposedly with somewhat lower frequency, also have trait A. If this mechanical method is applied on a large enough scale, this will be the ultimate result: aus einem Dutzend bekannter Eigenschaften einer Sprache müsste man mit Sicherheit auf hundert andere Züge schliessen können; die typischen Züge, die herrschenden Tendenzen lägen klar vor Augen. (1894: 7) Such descriptive generalizations would be as unexceptionable as the soundlaws of the Neogrammarians. 14 Once conjunctures have been induced and statistically qualified, the remaining task is their explanation. Here the perspective has to widen again, for the demonstration that regular co-occurrences (“Zusammentreffen”) reflect deeper connections (“Zusammenhänge”) can 13 In fact, most Australian languages do seem to favour this split ordering pattern, as do other ergative languages, including Hurrian, Urartean, and Papuan ones. In Eskimo the prenominal attributive noun is of course strictly speaking not in the genitive case. 14 With his hypology/ typology Gabelentz evidently sought to emulate his Neogrammarian colleagues, and this presumably was his main reason for submitting this paper to the Indogermanische Forschungen, of all journals. <?page no="175"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 153 only be achieved, in Gabelentz’s functionalist philosophy, by correlation with perhaps less objective ethnopsychological, cultural, and historical considerations. There can be no question, then, about the source from which the typology passage in the second edition of Die Sprachwissenschaft sprang: it is but a condensation of Gabelentz’s hypology article of 1894, skipping the language contact preamble, Gabelentz’s most telling example of his ‘statistics of conjunctures’, as well as some practical advice to aspiring statisticians (on which see below). In case it was Schulenburg who did the condensing, although even this is a moot question, it is clearly Gabelentz himself who must be given credit for all that is really creditable about this proposal for a future typology. 4. The fossil connection But was typology, as conceived of by Georg von der Gabelentz towards the end of his life, indeed entirely a thing of the future? 15 In his own previous work, especially that focussed on classical Chinese, Gabelentz had already been guided by the two axioms at the heart of his typology, viz. that languages, the ‘articulated expressions of thought’, are systems où tout se tient and that some structural properties are so fundamental as to determine most others. This was to be reflected by the very organization of descriptive, and also of pedagogic, grammars: Nun ist diese Gliederung [of the body of a language] eine organische, der Körper ist ein Organismus, in welchem jeder Theil in zweckmässiger Wechselwirkung zum Ganzen steht, -- einer den andern bedingend, jetzt unterstützend, jetzt beschränkend, das Ganze beherrscht von einem gemeinsamen Lebensprincipe, zu welchem sich die einzelnen Organe ungleichartig und ungleichwerthig verhalten. Hier zeigt es sich, wo der Kern- und Ausgangspunkt einer systematischen Darstellung liegen muss: jenes herrschende Princip will begriffen, will an die Spitze gestellt, will aber auch, eben weil es ein herrschendes ist, im weiteren Verlaufe, in der Einzelbeschreibung immer und immer wieder als solches erkennbar sein. (1878: 635) … einige wenige Grundgesetze, welche in ihrem Zusammenwirken sozusagen das Lebensprincip des Sprachorganismus bilden. Aus ihnen ist logisch zu deduciren, und die Erfahrung lehrt, dass ein solches Schlussfolgern, einsichtig gehandhabt, viel Einlernen von Einzelheiten zu ersetzen vermag. (1881: 19) In the case of Chinese it was almost self-evident, to Gabelentz at any rate as well as to some of his respectable predecessors (especially Marshman 1814), 15 Reviewing the second edition of Die Sprachwissenschaft, this book struck Ludwig Sütterlin (1904) as “ein Ueberbleibsel aus vergangener Zeit”, but it is unclear whether the typology programme was supposed to be included in this global damnation. <?page no="176"?> 154 Frans Plank that the dominant principle was the linear ordering of words: from the general rule that “die nähere Bestimmung steht vor dem näher zu Bestimmenden” (1878: 642 f.) it was possible to deduce particular ordering regulations for all kinds of constructions as well as much of the grammar of auxiliary words (or particles), of the remarkably fluid parts of speech, and of clause combination. It is not only for didactic purposes but in recognition of the special mould of this language that Gabelentz begins his Chinesische Grammatik (1881) with the “Stellungsgesetze” and attempts to develop everything else as a “Spezification” of these. 16 Of course many of the relevant properties of Chinese had already figured prominently in the debates on the isolating vs. flexional modes of expressing the categories of accidence and their respective evaluations, and as a sinologist Gabelentz did what he could to prove the disrepute of the isolating type unfounded, emphasizing that it was as organic as the flexional type by virtue of the unity of its syntax. Compared to Gabelentz’s later formulations of the typology project, however, it is significant how little he appears to rely on cross-linguistic induction at this stage. It is by consideration of the individual language to be described alone that he apparently wants to establish the organic cohesion of its grammatical parts and almost to divine its dominant traits. Greater stress is accordingly laid on the logical deduction of implied particulars (see above quote). Evidently, conjunctures of logically independent traits, such as ergative-absolutive case marking and divergent ordering of adjectives and genitives, featuring in the 1894 hypology paper, were not to be discovered in this manner. The evidence needed in order to recognize these were invariant co-occurrences of traits across languages, detectable only by comparison. The comparative enterprise to be called ‘typology’ indeed was not introduced as being without precedent. In the second edition of Die Sprachwissenschaft the daring botanist who has sought to reconstruct an entire life-form (a lime-tree) from a mere fragment (its leaf) is held up as the future linguistic typologist’s model, but the non-initiate reader is not enlightened as to the circumstances that enabled such remarkable feats to be performed or at least attempted. There are further indications that Gabelentz was in fact following the example of seekers of system in the realms of nature, but these too are rather allusive. Like his contemporaries he would occasionally use key Darwinian notions to garnish accounts of the evolution of languages, but there is an earlier student of the animal kingdom, illustrious in his time and a source of inspiration also for Charles Darwin, to whom Gabelentz appears to 16 The principles of linear ordering were one of Gabelentz’s specialties; see also Gabelentz (1869, 1875). <?page no="177"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 155 have felt a stronger elective affinity, and whom he once mentioned, if rather incidentally and in the not very respectable company of a gipsy palmist, in his hypology paper. 17 It is instructive to compare the first two sentences of the typology passage in Die Sprachwissenschaft (1901: 481) with a paragraph from the Discours préliminaire of the first volume of a celebrated work first published in 1812, Recherches sur les ossemens fossiles de quadrupèdes: Tout être organisé forme un ensemble, un système unique et clos, dont toutes les parties se correspondent mutuellement, et concourent à la même action définitive par une réaction réciproque. Aucune de ces parties ne peut changer sans que les autres changent aussi; et par conséquent chacune d’elles, prise séparément, indique et donne toutes les autres. (1812: 58) This was known as “le principe de la corrélation des formes dans les êtres organises”, also called ‘principle of final causes’ on account of its Aristotelian provenance, and it is difficult to believe that Gabelentz did not have this particular passage, or one or the other similar statement of this first anatomical rule of Georges Cuvier (1769-1832), 18 before his eyes when he made his own pronouncement(s) on the organic nature of languages. The other basic principle of Cuvier’s comparative anatomy, equally renowned, was that of “la subordination des caractères”, pioneered in fact by Antoine-Laurent de Jussieu in his Genera plantarum (1789) as the criterion by which to group species in the most natural manner. As adopted by Cuvier and enunciated repeatedly, 19 this principle was meant to ensure that the primary divisions in zoological taxonomy were based on anatomical traits (“caractères supérieurs/ dominants”) of the greatest functional importance for the survival of the animal in its environment (with the nervous system eventually ranking highest) and secondary and further inferior divisions on traits (“caractères subordonnés/ superficiels”) associated with gradually less momentous vital functions (pertaining e. g. to digestion and locomotion). The more superior a character, the more constant it was supposed to be among species, and the greater was therefore its predictive value when it came to reconstruct extinct organisms 17 Baumann (1976) overplays the importance of Darwin for Gabelentz. 18 A very similar formulation of this rule might have been found, for instance, in Cuvier’s letter to Jean-Claude Mertrud, prefixed to the famous Leçons d’anatomie comparée (1805: I, v). 19 For instance in the Tableau élémentaire de l’ histoire naturelle des animaux (1798: 17-22) or in Le règne animal distribué d’après son organisation (1817: I, 10). For more detailed discussion of Cuvier’s systematizing see Daudin (1926), Coleman (1964), Rheinberger (1986), Appel (1987), and, in relation especially to Humboldt, Picardi (1977), and, in relation to Friedrich Schlegel, Wells (1987). <?page no="178"?> 156 Frans Plank preserved only in part (whence derived Cuvier’s popular fame). All this is echoed in Gabelentz’s expectation to find some traits more important and less freely variable than others also in the anatomy, or as he used to call it, physiognomy of languages. Given to teleological reasoning in deducing particular organic structures from particular functional requirements, i. e. Aristotle’s ‘conditions of existence’, Cuvier, whose public allegiance was with the école des faits rather than the école des idées, nevertheless propagated empiricist methodology, especially in order to correlate characters which were less dominant and constant. To quote again from the Discours préliminaire of his great fossil work: il faut que l’observation supplée au défaut de la théorie; elle établit des lois empiriques qui deviennent presque aussi certaines que les lois rationnelles, quand elles reposent sur des observations suffisamment répétées. (1812: 63) And Cuvier would emphasize that one could thus effectively calculate with mathematical precision which form of the tooth, for instance, belonged with which forms of the condyle, the scapula, and the nails - just as an equation of a curve determines all of its properties. Gabelentz’s ‘statistics of conjunctures’, complemented by theorizing about the functional laws behind the observed regularities, is not a far cry from Cuvier’s programme. Despite such similarities of formulation and outlook I doubt that Gabelentz’s knowledge of Cuvier’s writings and of the controversies in biology and paleontology of which they were part was intimate. Gabelentz’s training had been in law and cameralistics, and he was an assistant judge at the district law court of Dresden when, in 1876, he applied successfully for an extraordinary professorship for Chinese, Japanese, and Manchu languages at the University of Leipzig, where he, self-taught in sinology and general linguistics under the guidance of his father, had just earned a doctorate with an edition and translation of a Chinese philosophical classic. He is not on record as having ever taken a close interest in the natural sciences, and what he knew of Cuvier and Darwin, judging by his own publications, could well have been acquired by cursory reading, maybe even of secondary, popularizing sources. Unlike Gabelentz, Friedrich Techmer (1843-91), his colleague at Leipzig and editor of a remarkable journal, Internationale Zeitschrift für Allgemeine Sprachwissenschaft (appearing in only five volumes from 1884 to 1890), had a scientific background. And Techmer was knowledgeable about Cuvier, to whom he referred on several occasions in volumes 4 and 5 of his journal (1889: 176, 194, 255; 1890: 205). He once surmised that Cuvier, the comparative anatomist, had been an inspiration to Franz Bopp, the comparative morphologist; and in another review he credited Cuvier’s paleontological <?page no="179"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 157 success to his mastery in applying the principle of the correlation of forms to the remains of extinct organisms, quoting from an éloge to Cuvier by Flourens (“principe au moyen duquel chaque partie d’un animal peut être donnée par chaque autre, et toutes par une seule”). Gabelentz, a contributor to the first three volumes of the Internationale Zeitschrift and a member of its editorial board, may well have been reminded by Techmer of the “Beispiel eines anerkannten Meisters der Methodik auf naturwissenschaftlichem Gebiete”. In fact, the thesis Zur vergleichenden Physiologie der Stimme und Sprache which Techmer had submitted to the University of Leipzig in 1880 for the purpose of Habilitation, must have been even more instructive for Gabelentz in this respect. Here Techmer quotes the crucial passage from Cuvier (“Tout être organisé forme un ensemble …”) at great length (1880: 61) in the context of a programmatic sketch of a ‘paleontology of phonetics’. In the same chapter Techmer also emphasizes the necessity of induction in phonetic analysis and the desirability of a statistics of the relative frequency of sounds in particular languages. He summarizes his research programme thus (1880: 61): Man lernt aber auch schon in dem Lautsystem natürlich entwickelter Sprachen mehr und mehr eine harmonische Gliederung erkennen und die ‘Tonart’ des Ganzen bestimmen; und es ist zu hoffen, dass man dahin gelangt, von jeder todten Sprache fehlende u n b e k a n n t e L a u t e z u f i n d e n, wie die x, y, z … von Gleichungen, wenn nur die nöthige Anzahl von Grössen und Gleichungen gegeben, d. h. von Lauten und ihren Beziehungen. The expectation of harmonious interrelations between the parts of a system (in Techmer’s case only of sounds), the hope eventually to be able to predict some parts from others with quasi mathematical certainty, the insistence on inductive and statistical methods, and the reference to Cuvier’s paleontology as a model - all these elements recur in Gabelentz’s ‘statistics of conjunctures’, and it is difficult to believe that Gabelentz was not directly indebted to Techmer’s thesis for the succinct formulation of the typological programme. Had Gabelentz himself been steeped in paleontology and biological taxonomy, he would presumably have had more to say on the very notion of type when launching a programme of linguistic typology modelled on a supposed biological analogue and intended to partake of its respectability. He would probably have recalled that perhaps the best-known feature of Cuvier’s own zoological taxonomy was the highest-level classification into four “embranchements” (Vertebrata, Mollusca, Articulata, Radiata), whose respective ‘plans of organization’ were claimed to be invariable (hence inalterable in response to human or natural influences) and incommensurate (hence beyond cross-comparison and at odds with the idea of a single chain <?page no="180"?> 158 Frans Plank of being). The unity of type was a fundamental tenet of Cuvier’s natural system (and was later explained in evolutionary terms by Darwin), even though such units tended to be recognized intuitively rather than to be rigorously established by means of the principles of correlation and subordination. Not a nominalist, Cuvier sought to relate ‘what nature brings together’, and the types, the most representative instances of a class at the respective taxonomic level, were the points of reference for intra-class comparison from the level of species to that of the four embranchements. Unlike Cuvier, other biological systematists did not reject the doctrine of the chain of being, but instead temporalized the chain and were prepared to discard the idea of the fixity of species. Types did have a place in such scenarios as well, but tended to be conceived of temporally, as prototypes from which existing life-forms derived rather than as non-temporal archetypes or mere type specimens. There was no resonance of all this in Gabelentz’s typology. Taking his cues from Kant’s “Urbild” and Goethe’s bio-morphological studies, while disapproving of facile organismic analogies, Wilhelm von Humboldt had been pondering over the feasibility of adapting a notion of type for profitable use also in the realm of language. 20 For all his Humboldtian affinities, such philosophical concerns were not deemed especially relevant for his fledgling typology by Gabelentz, either. Gabelentz indeed appears to have seen no need to explicate what types are and with how many of them to reckon. The term itself is employed informally in Die Sprachwissenschaft (as was already mentioned) to refer to structural classes as opposed to genealogical ones (such as “Familien”, “Sippen”, or “Stämme”), but is sometimes also given a genealogical sense (especially in the compound “Familientypus”). Perhaps surprisingly, when raising the curtain on his new task for linguistics, he presents typology as the study of conjunctures rather than of types. Presumably it was only after the induction of conjunctures had been completed and the statistics calculated that talk about types of languages would become meaningful, since they would have to be identified in terms of what have turned out to be “entscheidende Züge”. On the expectation that such traits would form complex hierarchies, with some being even more decisive, richer in what they imply, than others, language types could be defined as more or less inclusive taxonomic units depending on the hierarchical level at which a decisive trait was being selected. 21 For 20 See especially his ‘Grundzüge des allgemeinen Sprachtypus’ (1824-26), of which only an extract had been published by Gabelentz’s time, in the first volume of the Internationale Zeitschrift für Allgemeine Sprachwissenschaft (1884). 21 The hypology paper envisages a dozen or so most decisive traits. <?page no="181"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 159 instance, to use Gabelentz’s own example, two types of languages could be distinguished by the criterion of ergative-absolutive vs. nominative-accusative relational coding; but if these traits, implying (with more than chance frequency) prenominal genitive and postnominal adjective order, should happen to be themselves implied by some others, a more inclusive distinction of types could be made in terms of these latter traits. At least in this sense a language could thus be a member of several types. Speculating about the unity of types and the possibility of their temporalization, if he was aware of such issues as once debated among systematists of nature, may well have seemed idle to Gabelentz, whose obvious priority was to get going with the inductive search for conjunctures, with the principles of correlation and subordination of characters as his working hypotheses. But death intervened before the search could begin in real earnest. 5. A pastime of judges Now, Gabelentz was not the first to bank on these principles which had been gaining currency as the world took note of Cuvier’s stunning paleontological achievements. Not long ago he had had a precursor in Raoul de la Grasserie, judge at the Tribunal civil at Rennes and later Rouen and prolific writer on comparative law, sociology, psychology, metrics, and grammar, as well as on poetry. 22 In Die Sprachwissenschaft (1891: 462) Gabelentz had acknowledged Grasserie’s Études de grammaire comparée (a series of 24 monographs published between 1882 and 1914, of which 15 had appeared by 1893, the year of Gabelentz’s death) as ingenious contributions to the Humboldtian programme of an encyclopedia of categories; and it would have behoved him to give Grasserie a mention also in his hypology paper, which bears a certain, and hardly coincidental, likeness to the Breton polymath’s recent article, ‘De la classification des langues’, which Techmer’s Internationale Zeitschrift had just published in two instalments (1889-90). One topic broached in its first part is what Grasserie called “l’alliance”, as opposed to “la parenté”, between languages, of which he distinguishes several kinds and degrees (the most extreme case being “l’hybridité”). This theme of language mixture recurs in Gabelentz’s ‘Hypologie der Sprachen’, in the form of a prelude to the real issue - viz. how best to reduce the realm of languages to order. In Gabelentz’s advice on this task, looming large in his mind only after Die Sprachwissen- 22 The National Union Catalog. Pre-1956 Imprints (vol. 311, 1974) needs pages 659-664 to list the monographic writings of Raoul de la Grasserie, whose empirical specialization as a linguist was in American languages. For a brief contemporary appreciation see Henry Carnoy’s Dictionnaire biographique international des écrivains (vol. I, 1902, 220-223; vol. II, 1903, 46-50). <?page no="182"?> 160 Frans Plank schaft had been in the press, one can also hear a rather distinct echo of Grasserie’s plea for natural rather than artificial linguistic classifications. For Grasserie classification, if properly done, was the surest route to understanding the essence of whatever domain came under study - mankind, its institutions including language, plants, or animals. In botany and zoology classifiers seemed to him to have advanced farthest since, not content with artificial systems like those championed by Linné, they had set their sights higher and aspired after natural classifications, based on the entire ensemble of characters of plants or animals rather than on only one or the other of their individual traits. Without mentioning Cuvier’s name, Grasserie attributes the- biologists’ progress to “le grand principe de la subordination des caractères”: Une différence entre deux plantes ou deux animaux trouvée à un seul point de vue, au point de vue sexuel, par exemple, entraînerait par une concordance restée mystérieuse des différences entre les mêmes êtres à des points de vue tout différents ou dans de tout autres organes. (1890: 297) Of course a great number of artificial classifications in terms of individual traits had to be carried out before the great synthesis could be attempted, and success was not guaranteed, either. But, as Grasserie saw it, different partial classifications in botany and zoology had indeed converged on uniform overall systems, where not all characters of organisms were equally salient but some were subordinate to others. The ultimate aim of classifications for Grasserie was to shed light on the history of their domains; he nevertheless reserved judgment on the Darwinian evolutionary explanation of natural groupings. No matter how mystérieuse, “correlations” or “correspondances” of a host of characters could in principle also represent a family resemblance (un air de famille) of organisms which, for the time being, must count as genealogically unrelated. 23 Although less given to organismic imagery than many contemporaries, Grasserie was hopeful that languages would eventually lend themselves to being naturally classified just like plants and animals. The classifications already available for this domain all struck him as partial, hence artificial, no matter how precise their criteria. Most of ‘De la classification des langues’ is spent on an exposé of Grasserie’s own version of partial classifications of languages which, on the evidence of an etymological comparison of roots, could 23 Was it by sheer coincidence that Grasserie (1890: 297, 336) used the epithet “mystérieux” and Gabelentz (1894: 5) “mystisch” in reference to the interrelations that were at the focus of the typologist’s interest? <?page no="183"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 161 not be claimed to be related by parentage or alliance. Taking into account forms, ideas, and the relations between them, each of these spheres provided him with a wealth of classificatory criteria: relevant formal distinctive features included the sound inventory, the consonant-vowel proportion, syllable, morpheme, and word structures, sandhi processes, regressive or progressive influences between neighbouring sounds, and accent; to the ideational plane pertained the dichotomies formal/ non-formal, concrete/ abstract, and subjective/ objective, assumed to manifest themselves inter alia in the differentiation of parts of speech, the linear order of determining and determined elements, the elaboration of categories of accidence, the reliance on function words, and the obligatoriness of personal and possessive pronouns; and ‘morphological’ classifications focussed on both the ideas expressed and the forms used to express them, especially at the level of words. Morphological classifications therefore required that formal and ideational criteria be used in combination, and Grasserie accordingly ends up with a rather elaborate taxonomy. Its highest-level distinction is that between ‘psychological’, ‘morphological’ and ‘phonetic’ languages (roughly corresponding to the traditional isolating, agglutinative, and flexional classes), depending on whether grammatical meanings lack expression other than by linear order, are expressed by (morphologically possibly bound) function words (mots vides), or are expressed by phonetic modifications of stems or by agreement. These three morphological classes then can each be subdivided by purely formal and purely ideational criteria, the former favoured by Grasserie with the phonetic, the latter with the psychological and formal classes. Even though he would emphasize that languages are liable to group differently depending on the criteria used, as is typical of artificial classifications, he saw at least his main ideational dichotomies as in part hierarchically interrelated. The distinctions between formal and non-formal languages on the one hand and between subjective and objective ones on the other seemed to him essentially to coincide; and that between abstract and concrete languages (a matter of degrees) allegedly ranked lower as being less comprehensive: both the formal/ subjective and the non-formal/ objective classes of morphological languages supposedly could be abstract (as shown by the presence of articles and prepositions, respectively) or concrete (as shown by the presence of “flexions” and agglutination, respectively). 24 Grasserie’s ideational criteria are the least tangible ones, and his 24 Cf. Grasserie (1890: 321 f.). But he is not entirely consistent on this point: in enumerating his classes, he first subdivides psychological languages into concrete and abstract ones, each of these then into non-formal and formal ones, and these latter are in turn distinguished as subjective and objective. <?page no="184"?> 162 Frans Plank reasoning at this point is fallacious (evidently, when all four classes definable by a combination of two criteria have members, hierarchizations of these criteria are arbitrary). His point, nevertheless, is clear: Artificial classifications turn natural to the extent that classificatory criteria interrelate. The only way to uncover such interrelations, especially the more interesting, non-obvious ones, is by induction (“La classification, résultat d’inductions nombreuses et prises dans tous les sens”, 1890: 338). Grasserie concludes his article with a number of examples of languages which he believed to form natural classes without being demonstrably genealogically affiliated (1890: 336 f.). Some of these do not seem pertinent, insofar as the suggested classifications are not really (or not very perspicuously) based on induced interrelations. Of those which are, these are particularly instructive: What naturally unites the Semitic and Hamitic groups are the dominant phonetic feature of the exclusive use of vocalic variations of roots for certain grammatical purposes and its subordinate feature, its “substratum nécessaire”, the triconsonantal structure of roots; what naturally unites the Uralic, Altaic, and Samoyedic groups are the dominant feature, again phonetic, of vowel harmony and the subordinate features (the first morphological, the second ideational) of profuse agglutination and of an “enveloping” order of déterminant before déterminé, especially of object before verb; what naturally unites the so-called monosyllabic languages of East Asia are the dominant feature of the use of accent (or rather tone) for lexical differentiation and the subordinate features of the monosyllabism of roots, of a “developing” order of déterminé before déterminant (verb before object), and, morphologically, of an absence of function words or agglutinative affixation; what naturally unites the Polynesian, Melanesian, and Malayan languages of Oceania are the dominant feature of rich pronominal differentiations (with respect to number, inclusive-exclusive person, and direction) and the subordinate features of a wealth of preposed particles including even a (pronoun-derived) article, of a “developing” order, of an aversion to bound morphology, and of a preponderance of vowels over consonants, with vowel sequences unreduced by elisions. For some of his induced interrelations Grasserie offered explanations (vowel harmony, for example, is claimed to be functionally useful especially in the context of agglutination, providing a firm bond between stems and their arrays of affixes); some struck him as virtually self-explanatory (vocalic root variations, for example, seem to him impossible without a stable consonantal frame); others remained mysterious for the time being. And what enabled Grasserie to determine whether interrelated features were dominant or subordinate? He is curiously reticent on this point, but <?page no="185"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 163 evidently he was going by impressionistic comparisons of their distributions across the languages on which he had information, not only across those he proposed to group together in a natural class. For example, being presumably aware of languages which had neither vowel harmony nor agglutination, of languages which had both (viz. the Uralic, Altaic, and Samoyedic ones), and of languages which had only agglutination, but of no languages which had vowel harmony without also having agglutination, he was right to conclude that vowel harmony implies agglutination but not the other way around - that vowel harmony was in this sense a dominant and agglutination a corresponding subordinate feature. Believing his observations of unequal but interdependent distributions of features to be essentially correct, he had thus every reason to be convinced of the validity of Cuvier’s second principle, suitably adapted, also in the realm of languages: Deux langues qui ne concordent qu’ à un point de vue, si ce point de vue est principal pour eux, si leur caractère commun est saillant, prolongent leur harmonie jusqu’ à d’autres points de vue, jusque dans les classifications d’ordre différent. (1890: 297 f.) Characters could of course have turned out to be interrelated by mutual as well as by one-way implications. But Grasserie was not especially curious about mutual implications, the topic of Cuvier’s first principle. And there indeed was little to be gained by them for classification. As is revealed by the truth-tables of conditional and biconditional connectives, which link three structural properties (A, B, C) in our schematic example, biconditionally connected properties, no matter how numerous, can never distinguish more than two classes, viz. languages having all of these properties and languages having none, whereas conditionally connected properties produce more classes and at the same time rank them hierarchically: A B C A B C A B C true true true true true false false false true true false false true false true false true true false true true false false false false true true false false false true false true false false false true false false false <?page no="186"?> 164 Frans Plank The conditional connection A B C defines this hierarchical classification: languages with A (also sharing B and C) languages without A languages with B (also sharing C) languages without B languages with C languages without C It is not very surprising, therefore, that designers of language classifications, always convinced of systemic cohesion no matter how partial their actual classifications, had commonly been proceeding on the implicit assumption that some distinctive features (the antecedents of conditional connectives which were not also consequents) were more important than others, and accordingly chose the seemingly most important ones of them all as the cornerstones of their systems. Grasserie himself, more cautious than his predecessors, did not offer another grand natural system accommodating all languages, but, more acutely aware of the right method of how eventually to construct one, was content with suggesting only a few natural classes. Raoul de la Grasserie’s ‘De la classification des langues’ somewhat diminishes Gabelentz’s claims to fame as the sole founding father of typology as we know it today. Grasserie, to be sure, did not call his purportedly natural classification ‘typologie’ (although, apart from using ‘type’ in the sense of ‘type specimen’, he once (1890: 296) writes that the “type général” is the true subject of comparative grammar), 25 and succinctness was not his main strength. But do we pay tribute to Gabelentz merely for his innovative terminology and the lucidity of his style? In substance the research programmes of the two men of the law could seem to have differed but little. And was not Grasserie’s more richly exemplified? Also, Gabelentz is unlikely not to have seen Grasserie’s ‘De la classification des langues’ before he wrote his own ‘Hypologie der Sprachen’, and, while not set on a wholly new line of thinking by reading this piece, was presumably helped by it to perceive and state more clearly the direction in which to go. 25 Incidentally, in a series of papers by Mikołaj Kruszewski in the Internationale Zeitschrift für Allgemeine Sprachwissenschaft, ‘Prinzipien der Sprachentwickelung’, whose last instalment follows the second part of Grasserie’s article on classification, the term “Typ” is used repeatedly, though in an entirely different context (‘types of words’). <?page no="187"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 165 6. Remembrances But there were also earlier signposts by which Gabelentz appears to have been guided. As stated in the preface (1891: v, 1901: v), Gabelentz’s ambition in writing Die Sprachwissenschaft had not been to emulate veritable textbooks of the kind of Karl Wilhelm Ludwig Heyse’s System der Sprachwissenschaft (posthumously edited in 1856 by Heymann Steinthal, once a student of Heyse’s at the University of Berlin). Nonetheless, although never actually quoted, this System of the classical philologist and mature student of Bopp and Hegel, Heyse (1797-1855), arguably left a few traces in Die Sprachwissenschaft. 26 It is a commonplace to distinguish between description and explanation; in linguistics as everywhere else, “wir wollen nicht bloß kennen lernen, was ist, sondern erkennen, was sein muß, und warum es so und nicht anders ist”-- as it was put by Heyse (1856: 15). The task of what Heyse called “philosophische Sprachwissenschaft”, in contradistinction to the “geschichtliche (i. e. historical-descriptive) Sprachforschung”, accordingly had to be this: in der Erscheinung das Gesetz, in dem Wirklichen das Wesentliche, die Nothwendigkeit zu erkennen, und die Gesammtheit der wahrgenommenen Thatsachen als ein in sich mit Nothwendigkeit zusammenhängendes System wesentlicher Gesetze zu begreifen. (1856: 15) Reading about the task of explaining induced conjunctures in Die Sprachwissenschaft (1901: 481), one is struck by the similarity of formulations; to repeat the relevant parts from our introductory quotation: … wird es scharfen philosophischen Nachdenkens bedürfen, um hinter der Gesetzlichkeit die Gesetze, die wirkenden Mächte zu erkennen. … um das Erfahrungsmässige als ein Nothwendiges zu begreifen. This coincidence, perhaps trivial on its own, gains significance when one considers also the context of the passage borrowed from Heyse. Heyse’s combination of “geschichtliche Sprachforschung” and “philosophische Sprachwissenschaft” was to supersede the traditional, insufficiently empirical “theoretische oder rationale Sprachlehre”. To him language comparison rather than abstract reflection was the right way towards a truly general grammar which would consist in two parts, an “(ethnographisch-)genealogisches” and a “begriffmäßiges Sprachen-System”. The ‘conceptual’ system, to some 26 Something similar to Gabelentz’s two-pronged descriptive approach, in terms of an ‘analytic’ and a ‘synthetic’ system, can also be found in Heyse’s System, where these very terms are used. Heyse (1856: 166) also has a passing reference to Cuvier on the races of man. <?page no="188"?> 166 Frans Plank extent overlapping with the genealogical one, would be “eine Classification der Sprachen nach ihrem inneren Charakter, ihrer wesentlichen Eigenthümlichkeit” (1856: 231). Such classifications had already been attempted (by the Schlegels, Bopp, Pott, Schleicher, Humboldt, and Steinthal), but they all seemed premature to Heyse, for not enough was yet known about the more out-of-the-way languages. The ‘essential characteristics’ upon which to base more adequate future classifications would potentially be diverse, and Heyse’s informal survey accordingly includes phonetic, lexical, morphological, and syntactic candidates (1856: 235-51), which, however, must not be considered in isolation: Nur müssen diese Elemente nicht vereinzelt, sondern unter beständiger Beziehung auf einander, als in einander greifende Glieder eines Ganzen betrachtet werden. (1856: 234) The “innere Harmonie aller Elemente einer Sprache, die Einheit ihres Bildungsprincips” (1856: 300) may even manifest itself in such seemingly idiosyncratic regularities as those of phonotactics. The ensembles of overt and inner structural features characteristic of the different classes could be indicative of different mentalities of language communities; but Heyse also reckoned with reverse influences of language structures on the “Volksgeist”. Heyse’s conception of a “begriffmäßiges Sprachen-System”, not the result of inductive searches for novel systemic connections between dominant and subordinate features, was not especially original. 27 It is primarily from the way it was presented that one suspects it deserves a place of honour in the ancestry of Gabelentz’s typology. Upon the death of August Friedrich Pott (1802-87), the custodian of the legacies of both Humboldt and Bopp who had taught general linguistics to unappreciative students at Halle, Gabelentz skimmed once more the extensive writings of this friend of his father’s. In his obituary for the Allgemeine deutsche Biographie (1888) he paid tribute to Pott among other things for his sober views on linguistic kinship and specially recommended a polemic article, ‘Max Müller und die Kennzeichen der Sprachverwandtschaft’ (1855), to overenthusiastic genealogists. This makes instructive reading also for students of the gestation of typology. 27 As far as I am aware, Antoine Court de Gébelin (1719-84) was the first explicitly to recognize a “grammaire comparative” as separate from both universal and particular grammar, in the second volume of his Monde primitif (1774: 558 ff.; cf. also 1776: 138 ff.). In Germany, Johann Werner Meiner (1723-89) had called for an empirical-comparative “harmonische Sprachlehre”, to be distinguished from the traditional speculative “philosophische Sprachlehre” (1781: v). <?page no="189"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 167 In his invective directed at Max Müller and his fellow believers in Turanian and other fanciful families, Pott pointed out that similarities between languages could be due to chance, universal or typological affinities (“generelle Aehnlichkeiten allgemein-menschlicher Art oder im physiologischen Typus”), as well as to borrowing or original inheritance (“Stammverwandtschaft”). The likelihood of shared non-universal properties being due to chance decreases the more numerous they are, whence the necessity to calculate probabilities and to base one’s conclusions from observed similarities on statistics (“statistisches Verhältnis bei Abwägung von Aehnlichkeit und Unähnlichkeit zwischen Sprache und Sprache gegen einander”, 1855: 420). Qualitative criteria need to be invoked when distinguishing between typological affinity and genealogical affiliation, since in both cases the similarities will be too numerous to be reasonably attributed to chance. “Physiologische Textur-Aehnlichkeit”, also called “Aehnlichkeit in der grammatischen Textur”, suffices for affinities of type, whereas such similarities must be accompanied by etymological ones for languages to count as “stammverwandt”. The great chain of being in its temporalized form was not to the liking of Pott, the amateur botanizer, who could therefore draw support for the distinction between typological and genealogical relatedness in linguistics from zoological classification, where the unity of type (e. g. that of mammals) supposedly was not a proof of a common evolutionary origin. For the physiological types of languages, much less numerous than what might be suggested by overt, physiognomic diversity, some structural traits seemed more important than others; Pott’s examples of “eigentlich bedingende Lebensprincipien” of types are the reliance alternatively on word order, function words, or inflection (of the flexional kind) to encode grammatical categories, and the triliteral structure or monosyllabicity of roots (as found in Semitic and Indo-European, respectively). Pott made no attempt here to flesh out such classifications by reducing further physiognomic traits to physiological types. Occurrences of shared features in genealogically unrelated languages from distant parts of the globe (“auf den entferntesten Punkten der Erde”, 1855: 420), at any rate, were for him no more a cause for surprise than they were some forty years later for Gabelentz (“Kaum minder verblüffend aber ist eine andere Wahrnehmung, wenn nämlich zwei physiognomische Züge, die anscheinend schlechterdings nichts mit einander zu thun haben, gepaart an den verschiedensten Punkten der Sprachenwelt wiederkehren”, 1894: 5). Whatever such almost identical formulations prove on their own, Pott’s article on language relationships and Gabelentz’s typology programme share enough other traits to be considered physiologically as well as genealogically related. Pott’s marked preference for the term “(physiologischer) Typus” is echoed in Gabelentz’s naming of his <?page no="190"?> 168 Frans Plank brainchild. Pott’s “bedingende Lebensprincipien” have their counterparts in Gabelentz’s “hervorstechende/ entscheidende Merkmale”, with biological classification serving as the joint model. And there is the common methodological tool of statistics, to be applied to cross-linguistically recurring combinations of physiognomic traits, albeit to somewhat different ends. Pott had played a major and not uncontroversial role in propagating what came to be known as Humboldt’s four-way classification of languages (isolating, agglutinative, flexional, incorporating), and on this point had been engaged in a running battle with that other Humboldtian heir, Heymann Steinthal (1823-99), who held that Humboldt’s classification was not one of languages at all but of techniques of word and clause construction. What was mainly at issue here, empirically (though facts were often lost sight of), was whether grammatical machineries, or organisms, indeed were internally sufficiently homogeneous, unwavering in their allegiance to the isolating, agglutinative, flexional, or incorporating technique, to warrant the classification of entire languages by their preferences for one or the other of these techniques. However, the staunchest diversitarians would not go so far as to claim that combinations of techniques were ever irredeemably capricious: one or the other was recognizably predominant in virtually all known languages, even if the differences between them were not categorical but a matter of degrees; lexemes of a given class would not vary randomly within languages in opting for one or another technique; and the varieties of techniques employed in a language to express the several terms of one category (say, 1st, 2nd, and 3rd person, or singular, dual, and plural number) tended to be rather limited. In this debate, where Pott fought on the uniformitarian side, there was thus some basic consensus that languages, while not necessarily all of a piece, were not chaotic agglomerations of techniques of construction. Language classifications in this vein were never really entirely artificial, in so far as they saw the various particular uses of techniques as to some extent systemically interrelated. 28 By the middle of the century virtually everybody would have subscribed to that fundamental condition for classifications as once set down by Pott’s Humboldtian adversary and companion, Steinthal: 28 Grasserie’s (1890) criticism of his predecessors as well as of himself as being preoccupied with artificial classification is thus too sweeping. Pott’s aim in particular was a classification of languages according to their “Totalhabitus” (e. g. 1884: 56), a term as well as an aim he had borrowed from another comparative anatomist, Johann Friedrich Blumenbach, whose Handbuch der vergleichenden Anatomie (1805) and other writings were almost as influential as Cuvier’s. <?page no="191"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 169 Das Eintheilungsmerkmal darf also nicht irgend eine vereinzelte Bestimmung an den Sprachen sein, … sondern es muß den ganzen sprachlichen Organismus durchdringen und bestimmen. (1850: 67) However, classifiers did tend increasingly to disagree on what exactly was that most-prized all-pervasive determinant and on what exactly were its structural ramifications. Debates about conjunctures of differently ranked traits, thus, were in full swing as Pott and Steinthal were in their prime. The danger was that they were becoming stale and dogmatic, revolving around a limited range of facts that were rehashed over and over again. But fortunately there had appeared on the scene the likes of James Byrne and Raoul de la Grasserie, who were more adventurous in their search for conjunctures. If Gabelentz was continuing this tradition, to which he was by no means a stranger, why then did he insist that ‘typology’ was a task that was somehow new? 8. A word of advice Comparatists of the 19th century were able to draw on reasonably accurate descriptions of many of the world’s languages. Few, however, were conscientious enough to do so to the extent that would have been necessary in order to raise the credibility of their induced conjunctures way above the level once attained under less favourable circumstances. 29 Traits were rarely debated as candidates for systemic cohesion which had not already figured in one or another earlier classificatory scheme, and the combinations in which these largely familiar elements tended to appear were rarely novel. Previously suggested conjunctures were rarely refuted; some simply sank into oblivion or were discarded when theoretical predispositions changed. Lip service continued to be paid to the grand idea that languages are mechanisms, organisms, or systems où tout se tient, and although the ambition to emulate systematists of nature such as Cuvier continued to be widespread, 30 few made serious efforts to find out just how much truth there was in this truism. It is 29 In fact, much of what had been achieved by 18th century and earlier typologists (or ‘geniologists’) had meanwhile been forgotten, once the Romanticist continuators of the Enlightenment tradition of typological research had failed to acknowledge their intellectual debts. I have dealt with this submerged tradition elsewhere (Plank 1987a, 1987b, 1989, 1991). 30 Friedrich Schlegel (1772-1829) is perhaps best known of those who claimed that what they were doing as comparative grammarians was similar to what Cuvier had done as a comparative anatomist. This claim (Schlegel 1808: 28), though often quoted, is probably exaggerated; see Wells (1987). <?page no="192"?> 170 Frans Plank perhaps a mitigating circumstance that the task at hand, unlike the historical-comparative study of Indo-European, Germanic, Romance, or Slavonic sounds, inflections, and words, remained essentially a domain of a group of amateurs, 31 fired with enthusiasm but not well equipped to conduct research on such a large scale, and prone to misjudgments about which achievements were within their reach. Their task grew ever more daunting as the knowledge of languages widened and deepened and the evidence to be sifted by the comparatist thus multiplied. Moreover, success was never guaranteed, even if one set one’s sight on inducing no more than a couple of modest conjunctures rather than on proving once and for all that literally tout se tient. This was the state of affairs to which Georg von der Gabelentz reacted with his outline of a new task for linguistics. His point was not that something be done which had never been attempted before in the realm of language. For centuries comparatists had busied themselves with inducing conjunctures and constructing from them natural systems, although lately this had not been a central concern of mainstream professional linguistics. And that was Gabelentz’s point: what had been achieved in the past fell short of what it was possible to achieve at present or in the near future, on condition that research was done in a professional manner. This condition was the really important part of his message. As things stood, there was a yawning chasm between the pretensions of linguistic systematists and their actual accomplishments: misst man die Theorie an den Thatsachen: so scheint es bald, als hätte man nur die traurige Wahl, sich sofort für insolvent zu erklären oder mit Kunstmitteln Wechselreiterei zu treiben, bis der Bankerott von selbst ausbricht. (Gabelentz 1894: 4) Convinced that the fault lay with the accomplishments rather than the pretensions, Gabelentz offered two pieces of advice on how to bridge this chasm between them. The first was of a practical kind and concerned the procurement of reliable information about a representative sample of the languages of the world. The traditional method was for the individual researcher to wade through whatever published accounts were available and to use excerpts from these as the basis of his inductions. Often he would be unable to assess the reliability of his sources, which, moreover, could differ widely in conceptual format. Such difficulties could be overcome if comparatists were able to consult 31 Very few of those devoting themselves to this task, up to Georg von der Gabelentz, earned their living as general comparative grammarians (Pott and Steinthal did, and, in the 18th century, Nicolas Beauzée, at least temporarily), but even they had not received institutionalized training in this particular field of inquiry, nor did they pass on their expertise to students who would themselves become general comparative grammarians. <?page no="193"?> Hypology, typology: the Gabelentz puzzle 171 with recognized experts on particular languages and if these consultations were standardized. What was called for, thus, was the use of a questionnaire designed by a team of experts, so as to cover all cross-linguistic eventualities: Die Arbeit verlangt eine Kommission, und die Kommission verlangt ein bis ins Einzelnste ausgearbeitetes Programm, und dies Programm verlangt mehr selbstentsagenden Gehorsam, als man von der Mehrzahl der Gelehrten erwarten darf. Doch solche Schwierigkeiten sind zu überwinden. Unter dem Programme aber denke ich mir eine Art Fragebogen, der kategorienweise alle grammatischen Möglichkeiten erschöpft, so dass jede Frage mit einem Ja oder Nein beantwortet ist. Eine solche Fragestellung ist schwierig für den Fragesteller selbst, manchmal auch für den Beantworter; aber Unmögliches wird keinem der Beiden zugemutet. (1894: 6) It is a pity that this appeal to the team spirit of typologists failed to make its way into the second edition of Die Sprachwissenschaft. Gabelentz’s second piece of advice only just managed to sneak into the posthumous edition of his book, but is so inconspicuous there that it escaped many seekers of handy quotations. As should have become obvious from the above survey, applying the principles of the correlation of parts and of the subordination of characters in pursuit of a natural system of languages got more and more difficult as the linguistic universe widened. Especially with systematists who ventured off the beaten track, such as James Byrne or Raoul de la Grasserie, the danger was that this project was running wild. As the best means to avoid losing control when engulfed in oceans of data Gabelentz suggested statistics: Einem nothwendigen, die Gewähr der Richtigkeit in sich tragenden Gedanken [such was his optimism] darf man aber nicht darum entsagen, weil der erste Versuch, ihn zu verwirklichen, fehlschlug. Es gilt, ihn in eine kontrollierbare Form zu kleiden, und besser kontrollierbar ist keine als die statistische. Hier wünschte ich die Arbeit anfangen zu sehen. (1894: 4) In the added passage in Die Sprachwissenschaft (1901: 481), what remains of this is a rather peripheral allusion to “ziffermässig bestimmte Formeln”. However, from another addendum three pages further it is clear that the proper method of data analysis indeed was intended to be the gist of Gabelentz’s programme, for here he explains what he actually means by ‘typology’: “jene grammatische Statistik …, die ich vorhin als Typologie bezeichnete” (1901: 484). Georg von der Gabelentz’s career as a typologist was cut short by an early death. His hope had been to see his programme of a rigorous statistics of conjunctures, carried out in collaboration, completed during his <?page no="194"?> 172 Frans Plank lifetime. That object of desire, “eine wahrhaft allgemeine Grammatik, ganz philosophisch und doch ganz induktiv” (1894: 7), was in sight, as even the laws behind the incontrovertible regularities would be discovered by the beginning of the 20th century, if all went well. It’s the conditionals that matter. References Appel, Toby A. 1987. The Cuvier-Geoffroy debate. French biology in the decades before Darwin. New York: Oxford Univ. Press. Baumann, Hans-Heinrich. 1976. “Über die dreifache Wurzel der Idee zu einer implikativen Typologie.” Lingua e Stile 11, 189-222. Blumenbach, Johann Friedrich. 1805. Handbuch der vergleichenden Anatomie. Göttingen: H. Dietrich. Byrne, James. 1885. General principles of the structure of language. London: Trübner, 2-vols. (2nd edn., London: Kegan Paul, Trench, Trübner, 1892.) Coleman, William. 1964. Georges Cuvier, zoologist. A study in the history of evolution theory. Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Press. 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Georg von der Gabelentz wurde 1889 als ordentlicher Professor nach Berlin berufen. Laut amtlichem Schreiben war er für allgemeine Sprachwissenschaft, chinesische Sprache und Literatur sowie für „Mandschu, Altjapanisch, Malayisch, Samoanisch und verwandte Sprachen“ zuständig. 1 Er war weltweit der einzige Professor mit einer solchen Kombination. Und auch deren beide Hauptbestandteile, die allgemeine Sprachwissenschaft einerseits und die ostasiatischen Philologien andererseits, waren zu der Zeit die Denomination sehr weniger Professuren. Das Studium des Chinesischen und Japanischen war noch kaum im akademischen Betrieb etabliert. Und was die allgemeine Sprachwissenschaft betrifft, so war Gabelentz im 19. Jh. einer von einer Handvoll Professoren 1 Ich danke Kennosuke Ezawa für die präzise Information. <?page no="200"?> 178 Christian Lehmann dieses Fachs in der Welt und anscheinend der einzige Ordinarius für dieses Fach in Deutschland. 2 Daneben gab es im Lande selbstverständlich diverse Professuren für historisch-vergleichende Sprachwissenschaft alias Indogermanistik sowie Professuren für die Sprachen verschiedener anderer Kulturräume. Gabelentz stand also, sowohl was seinen linguistischen Ansatz als auch was den beackerten Sprachenraum betrifft, auf ziemlich verlorenem Posten, insbesondere gegenüber einer übermächtigen Indogermanistik. Nur so ist es zu erklären, dass er zwar bedeutende Schüler in der Sinologie und mit anderen Kulturräumen befassten Disziplinen, nicht jedoch in der Sprachwissenschaft hervorgebracht hat. Zu dieser Verallgemeinerung gibt es bekanntlich eine bemerkenswerte Ausnahme: man wird sagen müssen, dass Gabelentz’ bedeutendster Schüler in der allgemeinen Sprachwissenschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit Ferdinand de Saussure gewesen ist. Lediglich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht deswegen, weil an der Bedeutung de Saussures Zweifel bestünden, sondern weil sein Schülerverhältnis zu Gabelentz nicht historisch erwiesen ist. Aber man muss eigentlich nur die bekannten Fakten zusammen nehmen: Saussure war Student der Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig im Wintersemester 1879-80, also zu einer Zeit, wo Georg von der Gabelentz dort als Professor für ostasiatische Sprachen lehrte. Gabelentz’ Buch Die Sprachwissenschaft lag in erster Auflage vor, als Saussure begann, sich mit Fragen der allgemeinen Sprachwissenschaft auseinanderzusetzen, und in zweiter Auflage, als er sich der Aufgabe stellte, in Genf Vorlesungen über allgemeine Sprachwissenschaft vorzubereiten, ein Gebiet, auf dem er nie etwas publiziert hatte. Bekanntlich sind in Gabelentz’ Buch folgende Begriffe, Begriffspaare und -tripel expliziert: „Rede - Einzelsprache - Sprachvermögen“, „Synchronie vs. Diachronie“, „Stoff vs. Form“, „Sprachsystem“, „innere und äußere Sprachgeschichte“, Begriffe, die im Cours de linguistique générale wieder aufgenommen sind und dieses Buch berühmt gemacht haben. Diese Koinzidenzen sind überzufällig und lassen - mit Eugenio Coseriu (1967) und trotz Konrad Koerner (1971) - nur den Schluss zu, dass de Saussure Gabelentz’ Gedankengut wiedergibt. Dass der Name Gabelentz im Cours de linguistique générale nicht fällt, beweist nichts dagegen und wäre, gegeben 2 Seine unmittelbaren Vorläufer, Heymann Steinthal und August Friedrich Pott, waren Extraordinarien für Sprachwissenschaft bzw. Allgemeine Sprachwissenschaft. Die älteren Johann Christoph Adelung, Johann Severin Vater und Karl Wilhelm Ludwig Heyse waren für andere Fächer berufen oder nicht Universitätsprofessor von Beruf. <?page no="201"?> Wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung von Gabelentz 179 den Charakter dieses Buchs, seinem Autor und seinen Herausgebern nicht einmal vorzuwerfen. Andere wichtige von Gabelentz in seinem Buch - wenn auch ohne diese Termini - etablierte Begriffe sind ,Grammatikalisierung‘ und das Paar ,Onomasiologie vs. Semasiologie‘. Sie sind ebenfalls in die Grundlagen der Sprachwissenschaft eingegangen, allerdings abermals nicht im Zusammenhang mit Gabelentz’ Namen. Die Grammatikalisierung wurde 1912 von Antoine Meillet sozusagen offiziell in die Linguistik eingeführt, der semasiologische vs. onomasiologische Ansatz zur Sprachbeschreibung wurde 1924 von Otto Jespersen allgemein bekannt gemacht. Meillet und Jespersen waren freilich mit diesen Begriffen entfernt nicht so erfolgreich wie Saussure mit den von ihm aufgegriffenen. Das ist angesichts der sprachtheoretischen und methodologischen Bedeutung dieser Begriffe schade; die Linguistik hätte einen anderen Verlauf genommen, wenn sie im Cours de linguistique générale gleich mit behandelt worden wären. Nichtsdestoweniger bleibt als Bilanz festzuhalten: Georg von der Gabelentz hat durch sein Werk erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Sprachwissenschaft genommen, und zwar nicht in erster Linie durch seine unmittelbare Wirkung, sondern dadurch, dass jüngere Linguisten die Bedeutung seiner Ideen erkannt und sie bekannt gemacht haben. Und auch das hat er mit Ferdinand de Saussure gemeinsam. Für die Geschichte der Wissenschaft ist es letztlich nicht wichtig, dass Personen, sondern dass Ideen wirken. Zitierte Literatur Coseriu, Eugenio (1967), „Georg von der Gabelentz et la linguistique synchronique“, Word, 23, 74-100. [Wiederabdruck der deutschen Übersetzung in diesem Band.] Gabelentz, Georg von der (1891), Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. Leipzig: Weigel Nachf. (Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage, Leipzig: Tauchnitz, 1901). Jespersen, Otto (1924), The philosophy of grammar. London: G. Allen & Unwin; New York: H. Holt & Co. Koerner, E. F. Konrad (1971), Review of: Georg von der Gabelentz, Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. Reprint of 1901 ed. with preface by Gunter Narr & Uwe Petersen and with an article by Eugenio Coseriu (Tübingen: Tübinger Beiträge zur Linguistik, 1969), Lingua, 28, 153-159. Meillet, Antoine (1912), „L’évolution des formes grammaticales“, Scientia, 12 (26), 6-24. Saussure, Ferdinand de (1916), Cours de linguistique générale, publié par Charles Bally et Albert Séchehaye avec la collaboration de Albert Riedlinger, Paris: Payot. <?page no="203"?> Karl H. Rensch, Canberra Wilhelm von Humboldt, Hans Conon und Georg von der Gabelentz. Ihre richtungsweisenden Arbeiten zur Erforschung der austronesischen Sprachfamilie Als sich nach der Forschungsreise von Louis-Antoine de Bougainville in den Pazifik (1766-69) in Europa die Kunde von den paradiesischen Zuständen auf den Inseln der Südsee in Europa verbreitete, löste das unter den gebildeten Ständen und in akademischen Kreisen eine lebhafte Diskussion über den Sinn des menschlichen Daseins und eine fast euphorische Selbstkritik an der westlichen Zivilisation hervor. Man war sich einig: auf der anderen Seite der Erde lebten die Menschen noch in einer heilen Welt, in enger Verbundenheit mit der Natur. Ihre Lebensweise, ihre sozialen Bindungen und politischen Einrichtungen hatten sich im Einklang mit den natürlichen Gegebenheiten ihrer Umwelt entwickelt, und so gab es keinen abträglichen Gegensatz zwischen gesellschaftlichem Fortschritt und menschlicher Entwicklung. Die im Menschen angelegten ethischen und moralischen Qualitäten waren nie gefährdet, sie konnten sich in der Persönlichkeit der Paradiesbewohner frei und unbehindert entfalten. Das Ergebnis war der Edle Wilde, das anthropologische Fixierbild des Südseeinsulaners, das in Europa jahrzehntelang die Anthropologen, Soziologen und Psychologen faszinierte und ihre Phantasie beschäftigte. Auch die Sprachwissenschaftler konnten sich seinem charismatischen Bann nicht entziehen. Das Studium der Sprache des Edlen Wilden liess Erkenntnisse über die Entstehung von menschlicher Sprache erhoffen. Die Logik, naiv, aber zwingend, war wie folgt: inspiriert von Condillac hatte Rousseau in seinem 1755 veröffentlichten Essay Discours sur les sciences et les arts geschrieben, Sprache habe sich aus dem Naturschrei (cri de nature) entwickelt, aus dem Bedürfnis, Gefühle wie Liebe, Hass, Mitleid, Ärger etc. durch lautliche Äußerungen zum Ausdruck zu bringen. Da müsste man doch <?page no="204"?> 182 Karl H. Rensch davon ausgehen können, dass der enge Zusammenhang zwischen vokalisierten Gefühlsäußerungen und den sich daraus entwickelnden Lautformen, i. e. Wörtern, in solchen Sprachen lebendig und nachweisbar geblieben ist, deren Sprecher heute noch in enger Verbundenheit mit der Natur leben. Philibert de Commerson, ein Mediziner und Botaniker, der Bougainville auf seiner Forschungsreise in den Pazifik begleitet hatte, war von der Sprache Tahitis begeistert. 1 Das war eine Sprache voller Expressivität, melodischem Charme und Natürlichkeit, so verschieden von den korrumpierten Idiomen des Okzidents, die es dem Sprecher leicht machen, den Hörer mit semantischen und rhetorischen Finessen zu verwirren. Dem Tahitianer reicht ein kleiner Wortschatz von ungefähr 500 Wörtern völlig aus, um alle sprachlichen Belange des täglichen Lebens zu befriedigen. Das bedeutet aber keinesfalls, dass seine Sprache den europäischen Sprachen unterlegen ist. Commerson begegnet einer möglichen Kritik an der lexikalischen Armut der Sprache mit dem Argument, dass die Tahitianer die ursprüngliche Fähigkeit des Menschen behalten haben, neue Ideen, Konzepte und Gegenstände spontan zu benennen. Der emotionale Eindruck des Neuen, die sinnliche Empfindung, die das vorher nicht Bekannte hervorruft, erzeugen Wörter, deren Laute mit dem Sinngehalt der Neuschöpfung verbunden sind. Aber was die Sprache des Edlen Wilden ganz besonders liebenswert und unkompliziert macht: sie kommt ohne Deklinationen, Konjugationen und jegliche Syntax aus. Diese euphorische Beschreibung des Tahitianischen wurde von gebildeten Menschen, die sich auf der Schule mit Fremdsprachen herumgeplagt hatten, natürlich mit großer Skepsis aufgenommen. Sprachwissenschaftler nahmen die Schwärmerei ohnehin nicht ernst. Es gab allerdings einige Punkte, wo Commerson ihr Interesse gefunden hatte. Das Tahitianische war als eine Sprache beschrieben worden, in der es im Vergleich zu den Vokalen auffällig wenige Konsonanten gab. Das war ungewöhnlich, denn in allen bisher bekannten Sprachen überwog die Zahl der Konsonanten die der Vokale bei weitem. Es zeigte sich auch bald, dass diese Einschätzung Commersons sich nicht auf die Anzahl vokalischer Qualitäten bezog, sondern auf das zahlenmäßige Vorkommen von Vokalen und Konsonanten in Einzelwörtern. Im Tahitianischen sind ausschließlich die Silbenmuster V(V) und CV(V) zulässig, und das bedeutet, dass in mehrsilbigen Wörtern eine gleich große oder größere Anzahl von Vokalen als von Konsonanten vorkommt. Die fünf Vokalqualitäten a e i o u werden zwar durch eine phonologisch relevante Längung auf zehn erhöht, aber in der auditiven Wahrnehmung klingt das lange a in einem Wort wie pārau ,Perlmutter‘ nicht anders als das kurze a in parau 1 cf. Knowlton, p. 8-15. <?page no="205"?> W. v. Humboldt und Hans Conon und Georg von der Gabelentz 183 ,sprechen‘. Außerdem ist der Knacklaut, der in allen polynesichen Sprachen zu den konsonantischen Phonemen zählt, für den Laien eher ein Phänomen des Stimmverhaltens (Stimmritzenverschluss) als eine konsonantische Lautung. Der Eindruck des vokalischen Klangcharakters der gesprochenen Sprache wird weiterhin durch die geringe Variabilität und die damit verbundene Repetition ähnlicher Silben im Bau der Lexeme erhöht. Das Hawaiianische hat zum Beispiel nur 162 verschiedene Silben, die zur Wortbildung zur Verfügung stehen, das ist ein Bruchteil der 23638 Silben, die im Thai möglich sind 2 . Nach der ersten und zweiten Pazifik-Expedition von James Cook (1768- 71, 1772-75) wurden verlässlichere Beschreibungen von Südseesprachen bekannt, und Commersons Bericht machte einer nüchterneren Einschätzung des Tahitianischen und der verwandten polynesischen Sprachen Platz. Besonders die linguistischen Arbeiten von Georg und Reinhold Forster 3 legten den Grundstein für die nun folgende seriöse Erforschung der pazifischen Sprachen. In Tahiti hatten sie in situ ein umfassendes und phonetisch exaktes Vokabular erstellt, das nicht nur die Qualitäten der vokalischen und konsonantischen Segmente durch diakritische Zeichen differenzierte, sondern auch die phonotaktischen Eigenarten des Silbenbaus beschrieb. Erstaunlich lange hielt sich in der englischsprachigen Welt der Mythos von der Leichterlernbarkeit des Tahitianischen. Cook hatte in seinem vielgelesenen Journal der ersten Reise von einem ungebildeten Marinecorporal berichtet, der nach einem Aufenthalt von nur drei Monaten in Tahiti die Sprache fließend sprechen konnte. Diese erstaunliche Geschichte bewog unter anderem die London Missionary Society dazu, unverzüglich in Tahiti eine Missionsstation zu gründen. Man war davon überzeugt, dass die Missionare keine Schwierigkeit haben würden, die einheimische Sprache in kurzer Zeit zu erlernen und die Tahitianer zum Christentum zu konvertieren. Die Erwartungen erfüllten sich nicht, es dauerte viele Jahre, bis es den englischen Missionaren gelang, die keineswegs einfache Sprache zu meistern und die gesetzten Ziele zu erreichen. Ihre Erfahrungen mit dem Tahitianischen, ihre Übersetzungen der christlichen Literatur und das Tahitisch-Englische Wörterbuch sollten aber im 19. Jahrhundert zu einer der wertvollsten Quellen für die Erforschung des polynesischen Sprachstamms werden. Wilhelm von Humboldt war einer der ersten Sprachwissenschaftler, die sich intensiv mit der Beschreibung der polynesischen Sprachen beschäftigte. Während seiner Zeit als preußischer Botschafter in London nahm er persön- 2 cf. Crystal, p. 164. 3 cf. Rensch 2000. <?page no="206"?> 184 Karl H. Rensch liche Kontakte mit der London Missionary Society auf. Er bekam Zugang zu den Berichten und sprachlichen Arbeiten, die die in der Südsee tätigen Missionare an das Mutterhaus geschickt hatten 4 . Humboldts Interesse an der Sprache und den Sprachen ging weit über synchronische oder diachronische Studien hinaus, es war anthropologisch motiviert und ausgerichtet. Er schreibt: „Die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus aufzusuchen, sie in ihrer wesentlichen Beschaffenheit zu schildern, die scheinbar unendliche Mannigfaltigkeit, von richtig gewählten Standpunkten aus, auf eine einfachere Weise zu ordnen, den Quellen jener Verschiedenheit, sowie ihrem Einfluss auf die Denkkraft, Empfindung und Sinnesart der Sprechenden nachzugehen, und durch alle Umwandlungen der Geschichte hindurch dem Gange der geistigen Entwicklung der Menschheit an der Hand der tief in dieselbe verschlungenen, sie von Stufe zu Stufe begleitenden Sprache zu folgen, ist das wichtige und viel umfassende Geschäft der allgemeinen Sprachkunde.“ 5 Humboldts Interesse an den polynesischen Sprachen findet ihre Erklärung in dieser seiner Auffassung vom eigentlichen Zweck der Sprachwissenschaft. Noch immer hatte das Idiom des Edlen Wilden, die polynesische Sprache, den Ruf von natürlicher Einfachheit und Ursprünglichkeit. Sie war im positiven Sinn primitiv und archaisch, ohne veraltert zu sein. Die daraus folgende Überlegung war: Je primitiver und archaischer eine Sprache ist, desto besser lässt sich ihr organisches Wachsen erkennen, desto offenkundiger ist die Art und Weise, wie sie Wörter formt und Gedanken ausdrückt und anordnet, in denen sich die schöpferische Tätigkeit des menschlichen Geistes kundtut. Commerson hatte behauptet, dass die Tahitianer intuitiv eine psychoneurale Verbindung zu einem unbekannten Objekt herstellen könnten, die sich spontan in einer neuen Lautform manifestiert. Diese im Menschen angelegte Fähigkeit zur Spracherzeugung zu erforschen und zu dokumentieren, dafür schienen Humboldt die polynesischen Sprachen besonders geeignet. Sie lieferten Beispiele für seine Auffassung von Sprache als geistiger Kraft 4 Die Staatsbibliothek in Berlin besaß die Arbeiten und Feldnotizen von Reinhold und Georg Forster, die auf der zweiten Reise von Cook wertvolle Sprachaufnahmen auf allen in der Südsee besuchten Inseln gemacht hatten. Humboldt kannte diese Quellen, hielt sie bedauerlicherweise aber nicht für sehr zuverlässig (cf. Über die Kawi-Sprache …, Bd. 3, p. 436, Fußnote) und vertraute mehr den Daten der in Tahiti stationierten englischen Missionare. cf. Rensch 1999, p. 233-234. 5 Humboldt, Über die Kawi-Sprache …, Bd. 3, p. 425. Erste Erwähnung in: Ueber die Sprachen der Südseeinseln. (Am 24. Januar 1828 in der Akademie der Wissenschaften in der öffentlichen Sitzung gehaltene Vorlesung); cf. Leitzmann, Bd. 6, Erste Hälfte, p. 37. <?page no="207"?> W. v. Humboldt und Hans Conon und Georg von der Gabelentz 185 (energeia). „Man muss Sprachbildung überhaupt als eine Erzeugung ansehen, in welcher die innere Idee, um sich zu manifestieren, eine Schwierigkeit zu überwinden hat. Diese Schwierigkeit ist der Laut. Die Überwindung gelingt nicht immer. Manchmal müssen die Ideen nachgeben und derselbe Laut oder dieselbe Lautform wird für verschiedene Ideen angewendet, wie wenn Conjunctiv und Futur (wegen der Ungewissheit von beiden) in einigen Sprachen auf gleiche Weise gestaltet werden“. Eine Möglichkeit, neue Ideen mit Lautformen zu verbinden, ist der Gebrauch von Metaphern. Der menschliche Geist erkennt sinnverwandte Ähnlichkeiten zwischen Objekten, Eigenschaften, Vorstellungen und Aktivitäten und kann durch Bedeutungsübertragungen lexikalische Insuffizienz kreativ überwinden. Humboldt findet seine These an Beispielen aus der Sprache der Maori bestätigt. Seiner Meinung nach waren zwei Personalpronomen aus Ortsbezeichnungen hervorgegangen. Im Maori gibt es eine Anrede für eine unbekannte männliche Person e- māra, die mit ,(he) du (da! )‘ zu übersetzen wäre. Das Wort māra bedeutet auch ,offener, der Sonne ausgesetzter Platz‘. Offenbar hätten die Maoris eine verbindende Ähnlichkeit zwischen der lichten Offenheit des Landes und dem hellen, offenen Antlitz eines menschlichen Gegenübers empfunden und so auf metaphorischer Grundlage ein neues Personalpronomen geschaffen. Als weiteres Beispiel für die Entstehung eines Personalpronomens aus einer lokativen Referenz führt Humboldt e kō ,(he) du (da! )‘ an, im Maori die Anrede für eine unbekannte jüngere weibliche Person. kō ist homophon mit dem lokativen Adverb kō ,dort drüben‘. Dieses Phänomen ist laut Humboldt keineswegs eine anekdotische Erscheinung in Südseesprachen, auch im Chinesischen, Japanischen und Armenischen lassen sich auf Grund ähnlicher Lautungen Ortsbestimmungen oder lokative Adverbien mit Personalpronomen in Verbindung bringen. 6 Das philosophisch-humanistische Interesse an Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch Humboldts sprachwissenschaftliche Arbeiten an polynesischen Sprachen. Sein großes Verdienst ist es, dass er sich bei seinen Behauptungen nicht in impressionistischen Gemeinplätzen verliert, sondern mit überzeugenden Fakten aufwarten kann, die er aus dem intensiven Studium von Quellen gewonnen hatte. Humboldt hatte nie Gelegenheit, selbst linguistische Daten in Ozeanien zu sammeln. Aber einmal machte er in Berlin die Bekanntschaft eines Polynesiers aus Hawaii namens Harres Maitai, der ihm half, seine Kenntnis des Hawaiianischen zu vervollständigen. 6 cf. Humboldt 1829. <?page no="208"?> 186 Karl H. Rensch Schon Anfang des 17. Jahrhunderts war es dem Holländer Frederick Houtman aufgefallen, dass es zwischen dem Malayischen und der Sprache von Madagaskar Ähnlichkeiten gab. 7 Im Jahre 1616 durchquerte eine holländische Expedition unter Schouten und LeMaire den Pazifik in westlicher Richtung und brachte die ersten Wortlisten pazifischer Sprachen nach Europa. Anhand der auf den polynesischen Inseln Niuatoputapu (heute zum Königreich Tonga gehörend) und Futuna (heute Teil des französischen Überseeterritoriums Wallis und Futuna) gesammelten Wortlisten weist Aadrian Reelant, Professor für orientalische Sprachen an der Universität Utrecht, in seinem 1706-1708 erschienenen Werk Dissertationum Miscellanearum nach 8 , dass sich die malayische Sprache von Madagaskar bis nach Polynesien erstreckt. Weiteres lexikalisches Beweismaterial, das Reinhold und Georg Forster auf der zweiten Pazifikreise von James Cook 1772-1775 auf Tahiti, Tonga, Neuseeland, den Marquesasinseln und Rapa Nui (Osterinsel) gesammelt hatten, bestätigte die Verwandtschaft der neuentdeckten polynesischen Sprachen mit dem Malayo, wie sie den Sprachstamm der im Indischen Ozean gesprochenen Sprachen nannten. Die Mutmaßung, dass die polynesischen Sprachen eventuell von süd- oder mittelamerikanischen Sprachen wie dem Chilenischen, Peruanischen, Mexikanischen abstammten, war auf Grund ihrer Arbeiten unhaltbar geworden. Humboldt geht in seinen genealogischen Forschungen auf die Erkenntnisse seiner Vorgänger mit keiner Silbe ein. Das ist weiter nicht verwunderlich, man kann davon ausgehen, dass die Existenz einer malayisch-polynesischen Sprachfamilie zu seiner Zeit unter Sprachwissenschaftlern bekannt war und keiner besonderen Erwähnung mehr bedurfte. Was Humboldts Arbeiten an der malayisch-polynesischen Sprachfamilie von denen seiner Vorgänger auszeichnet, ist nicht nur der Umfang des bearbeiteten lexikalischen Materials, sondern vor allem die erstmalige Einbeziehung grammatischer Strukturen in die Methodik des Sprachvergleichs. Die Gegenüberstellung von Wortlisten von 131 Kognaten aus dem Malayischen 9 im Westen (inklusive Madagassisch, 7 cf. Frederick Houtman. 8 cf. Relandus, vol. III, p. 123. „Incolae hujus insulae (gemeint ist Niuatoputapu) videntur lingua quoque Malaïca uti, vel certe non multum ab ea diversa, uti & incolae viciniarum Insularum, quas Hornanas appellavit idem.“ („Hoorn-Inseln“ war die frühere Bezeichnung für Futuna und Alofi). 9 In seinem Kawi-Werk wird der Terminus Malayisch in mehrfacher Bedeutung verwendet: a) für die ganze Sprachfamilie mit dem westlichen Zweig der indonesischen Sprachen und dem östlichen Zweig der polynesischen Sprachen, b) für die westlichen malayischen Sprachen, c)-für das Malayische im engeren Sinne, i. e. die indonesische Sprache mit ihren ältesten Belegen aus dem 7. Jahrhundert, wie es im Süden Malakkas, auf Riau und der Ostküste Sumatras <?page no="209"?> W. v. Humboldt und Hans Conon und Georg von der Gabelentz 187 Javanisch, Bugis und Tagalog) und dem Polynesischen im Osten (Tonga, Maori, Tahiti, Hawaii) ergänzt er durch den Vergleich ihrer grammatischen Strukturen, die bekanntlich größeren Aufschluss und zuverlässigere Beweise für Familienzugehörigkeit erbringen. Mit welcher Gründlichkeit und akribischen Sorgfalt Humboldt bei der Sprachvergleichung vorging, zeigt sich in der Diskussion von zwei west-östlichen Lexemen. Die Basisformen tanam (Malay) ,etwas in die Erde eingraben, versenken, pflanzen‘; cain (Tagalog) ,essen‘ entsprechen den gleichbedeutenden Formen tanu und kai in Tonga. Wo sind im Osten die auslautenden Nasale geblieben? Humboldt, der sich in seinen grammatischen Beschreibungen der polynesischen Sprachen eingehend mit ihrer Morphologie beschäftigt hat, kann nachweisen, dass die Nasale in suffigierten Nominalableitungen auch im Osten noch belegbar sind: tanum-anga ,sechster Monat, in dem die Yamswurzeln schon gepflanzt sind‘ (Tonga), tanum-ia - Passiv von tanu (Maori, Rarotonga) und kain-anga ,Essen, Mahlzeit‘ (Tonga). 10 Die Egebnisse von Humboldts genealogischen Arbeiten sind im 3. Band des Kawi-Werks zusammengefasst. Es gibt nun fundierte, überprüf bare Beweise für die Existenz einer malayo-polynesischen Sprachfamilie, die sich von Madagaskar bis zur Osterinsel erstreckt. Weiterhin scheint erwiesen: Die Urheimat des Malayo-Polynesischen war offenbar eine der Inseln des südostasiatischen Ozeans bzw. des benachbarten küstennahen Festlandes. Alle untersuchten Sprachen gehören demselben grammatischen Typus an, einzelsprachliche Abwandlungen widersprechen nicht dem allgemeinen Strukturmuster. Die Sprachen Polynesiens repräsentieren die archaischste Form des Malayo-Polynesischen und die unkomplizierte, einfache Struktur ihrer Grammatik kann als Indiz für ihr hohes Alter gelten. Darüber hinaus war das Studium der malayo-polynesischen Sprachen für Humboldt von außerordentlicher Wichtigkeit, weil sie 1. mit den indischen Sprachen eine gemeinsame Grenze haben und eine signifikante Anzahl von Sanskritwörtern enthalten und 2. eine Verbindung bestehen könnte zwischen den malayischen Sprachen und den amerikanischen. Mit dem Chinesischen haben die malayo-polynesischen Sprachen gemein, dass sie separate Lexeme benutzen, um grammatische Beziehungen zu gesprochen wird (mit zahlreichen lexikalischen Entlehnungen aus dem Altindischen, Arabischen, Persischen, Portugiesischen und Holländischen). Der Terminus Malayo-Polynesisch wurde 1841 von Bopp eingeführt. 10 nach Buschmann, p. 36. <?page no="210"?> 188 Karl H. Rensch bezeichnen. Da die grammatischen Partikeln konsistent und regelmäßig sind, repräsentieren sie für Humboldt die Übergangsstufe vom isolierenden Sprachtyp zu den Sprachen, die Affixe benutzen. Humboldt unterzieht sein Vorgehen bei der genealogischen Erforschung einer für sein Verständnis von Sprachwissenschaft bezeichnenden kritischen Einschränkung. Die typologische Forschung muss Vorrang haben vor der genealogischen. Zwar soll der die Struktur identifizierenden Grammatik einer Sprache grössere Bedeutung zugemessen werden als dem Wortschatz, aber die Grammatik ist nicht ausreichend, um den Typus der Sprache zu bestimmen. Notwendigerweise muss nämlich das Studium der Grammatik in spezifische Einzelheiten gehen, was den Blick auf den Geist und den Charakter der Sprache ablenken und trüben kann. „Es muss eine grundlegende Maxime für die Sprachforschung sein, dass der Geist der Sprache nur in der verbundenen Rede sich offenbaren kann“. Um Sprachen angemessen zu vergleichen, muss man zu ihrem Bildungsprinzip hinaufsteigen, wie es in der Synthese der Rede hervortritt. Es war eine glückliche Fügung, dass tonganische Quellen Humboldt Zugang zu einem längeren Text gewährten, der das Kriterium von verbundener Rede erfüllte. Es handelte sich um die Legende der Entstehung des tonganischen Archipels, die Humboldt ins Deutsche übersetzte. Der göttliche Schöpfer Tangaloa, dessen Name in ganz Polynesien bekannt ist, zog die Inseln mit einem Netz vom Meeresgrund an die Oberfläche. Besiedelt wurden sie anfangs von einer alten und außergewöhnlichen Rasse hellhäutiger Menschen, deren Urheimat irgendwo im Nordwesten lag. Humboldt fiel die Ähnlichkeit mit südamerikanischen Mythen auf, in denen ebenfalls von einer hellhäutigen Urbevölkerung die Rede ist. Wenn man die Legende aus unserer Sicht auf ihre historische Substanz reduziert, bleibt ein Kern von folgenden verizifierbaren Sachverhalten übrig: Tonga ist aus unterseeischen Vulkanen entstanden, die ersten Bewohner waren relativ hellhäutig (wie Angehörige der malayischen Rasse), und sie kamen aus Südostasien (was nordwestlich von Tonga liegt). Diese extra-linguistischen Informationen zusammen mit den genealogischen und typologischen Eigenschaften einer Sprache sind die Voraussetzung für Humboldts sprachwissenschaftliches Hauptanliegen: die Denkkraft, Empfindung und Sinnesart der Sprechenden zu erforschen und an Hand von Sprache dem Gang der geistigen Entwicklung der Menschheit zu folgen. Seit der zweiten Pazifikreise von Cook war durch die Forsterschen Sprachaufnahmen bekannt, dass es in der Südsee auch Idiome gab, die von den polynesischen Sprachen und unter sich sehr verschieden waren. Georg Forster schreibt in seinen Tagebuchnotizen über die Landung auf der Insel Mallicolo: <?page no="211"?> W. v. Humboldt und Hans Conon und Georg von der Gabelentz 189 „Ihre Sprache war von allen uns bekannten Südsee-Dialekten so verschieden, dass wir auch nicht ein einziges Wort davon verstanden.“ Die Forsters hatten versucht, sich auf Tahitianisch verständlich zu machen. Auf der Insel Tanna 11 machten sie dieselbe Erfahrung, die Leute dort verstanden selbst Wörter aus Mallicolo nicht, das nur etwa 250 Meilen entfernt liegt. Die Sprache auf Mallicolo (heute Malekula) und auf Tanna, Inseln, die heute Teil von Vanuatu sind, sowie die Sprache 12 der Eingeborenen von Balade, denen die Cook-Expedition im Norden Neukaledoniens begegnet war, wurden von Menschen gesprochen, die sich durch eine dunkle Hautfarbe und gekraustes Haar auch äußerlich von den Polynesiern unterschieden. Humboldt hatte diesen Sprachen keine größere Aufmerksamkeit geschenkt. Zum einen waren sie dürftig dokumentiert, zum andern lagen sie außerhalb seiner Interessen, sie gehörten offenbar nicht zum malayo-polynesischen Sprachstamm. Erst 1860 geraten diese nicht-polynesischen Sprachen in das nähere Blickfeld der europäischen Sprachwissenschaftler. Es ist das große Verdienst von Hans Conon von der Gabelentz, die Erforschung dieser Sprachen angeregt und aktiv vorangetrieben zu haben. In seiner grundlegenden Schrift Die melanesischen Sprachen nach ihrem grammatischen Bau und ihrer Verwandtschaft unter sich und mit den malayisch-polynesischen Sprachen beschreibt er zehn Sprachen, von denen inzwischen linguistisches Informationsmaterial zugänglich geworden war: 13 die Sprachen von Fidschi; Aneytum, Erromango, Tanna und Mallicolo (Vanuatu); Mare und Lifu (Loyalty Inseln); Duauru (Neukaledonien); Bauro und Guadalcanal (Salomonen). Im Jahre 1873 erscheint seine zweite Abhandlung über melanesische Sprachen. Monseigneur Patteson, Bischof von Melanesien, hatte Hans Conon von der Gabelentz aus Auckland weiteres Untersuchungsmaterial zugeschickt, das ihm erlaubte, Beschreibungen der folgenden Sprachen zu verfassen: Fate, Api, Pama, Ambryn, Kunmarama (alle in Vanuatu); Lifu, Uea (Loyalty Inseln); Yehen und eine zweite unbenannte Sprache (Neukaledonien); Bauro, Ulaua, Maramasiki, Anudha, Mahaga, Eddystone (Salomonen). Ergänzt wird die Arbeit von einer lexikalischen Gegenüberstellung von Wörtern aus 28 zum 11 cf. Georg Forster 1979, p. 304. 12 cf. Georg Forster 2000, vol. II, p. 566. „Their language, if we except the word areekee and one or two more, had no affinity with any one of the various languages which we had heard in the South Sea before. This was the more surprising to us, as we had found one language, or at least dialects of it, in all the easterly islands of the South Sea before.“ 13 Hans Conon von der Gabelentz stand in Verbindung mit E. Norris in London und R. Rost in Canterbury, die ihm Missionsschriften und Bibelübersetzungen von pazifischen Sprachen zur Verfügung stellten. <?page no="212"?> 190 Karl H. Rensch Teil bis dato unbekannten Sprachen aus dem westlichen Pazifik, über deren Verwandtschaftlichkeit Hans Conon von der Gabelentz sich solange nicht äußern will, bis auch ihre grammatische Struktur bekannt ist. Im Vorwort der ersten Abhandlung hatte Hans Conon erklärt, warum er sich für diese von zeitgenössischen Sprachwissenschaftlern als Exotika kaum beachteten Sprachen interessiert. Er sieht es als Aufgabe der Sprachwissenschaft an, „a l l e [Sperrdruck im Original] Sprachen der Erde zu umfassen, zu durchdringen, und so ein System der allgemeinen Sprachkunde aufzustellen, auf welchem als Schlussstein das Gebäude einer wahrhaft allgemeinen Grammatik aufgeführt werden kann.“ Im Gegensatz zu Wilhelm von Humboldt, der Sprachwissenschaft als Mittel zur Erkundung der geistigen Entwicklung des Menschengeschlechts sieht, vertritt er die Meinung, dass Sprachwissenschaft Selbstzweck sein muss. Das bedeutet für seine Arbeit an den melanesischen Sprachen, sich ausschliesslich mit konkreten sprachwissenschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen und sie im Rahmen der akzeptierten sprachwissenschaftlichen Methodik zu beantworten. Schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass die melanesischen Sprachen in ihrem Lexikon stark voneinander abweichen. Dennoch gibt es genügend Hinweise darauf, dass sie alle zu einem Stamm gehören. Darüber hinaus fand Hans Conon von der Gabelentz unerwartete lexikalische und grammatische Berührungspunkte mit dem Polynesischen. Und so formuliert er in vorsichtigen Worten die These von einer möglichen Urverwandtschaft der melanesischen und polynesischen Sprachen. Das ungelöste Problem ist für ihn allerdings, wie zwei Sprachgruppen miteinander verwandt sein können, deren Sprecher zwei verschiedenen Menschenrassen angehören. Die Erforschung der ozeanischen Sprachen steckte noch in den Kinderschuhen, und so scheut er sich, aus gutem Grund, eine definitive Antwort auf die Frage nach der vermutlichen Urverwandtschaft zu geben. Stattdessen schreibt er: „In einzelnen Wörtern und in Eigentümlichkeiten der Grammatik finden sich so auffallende Übereinstimmungen, dass der Gedanke an eine Urverwandtschaft unwillkürlich an Boden gewinnt.“ Heute gilt als erwiesen, dass die von ihm beschriebenen Sprachen in Vanuatu (früher Neue Hebriden) und den Salomonen mit den malayopolynesischen Sprachen zu einer Familie gehören. Man hat dieser erweiterten Familie den Namen „Austronesisch“ gegeben in der Erwartung, dass dem neutralen geographischen Terminus nicht die restriktiven Assoziationen mit den früheren Bezeichnungen anhafteten. 14 14 cf. vorhergehende Fußnote 9. <?page no="213"?> W. v. Humboldt und Hans Conon und Georg von der Gabelentz 191 Wie sein Vater war auch Georg von der Gabelentz an „fremdartigen und untereinander verschiedenen Sprachen“ interessiert. Er stand der Einseitigkeit der vorwiegend an indo-europäischen Sprachen ausgerichteten Linguistik seines Jahrhunderts kritisch gegenüber, die zum Schaden einer fortschreitenden Erforschung menschlicher Sprache Einzelsprachen anderer Kultur- und Sprachkreise wenig Beachtung schenkte. Zweifellos fühlte er sich auch der Familientradition und dem Erbe seines Vaters verpflichtet, als er 1882 zusammen mit Adolf Bernhard Meyer seine Beiträge zur Kenntniss der melanesischen, mikronesischen und papuanischen Sprachen veröffentlichte. Im Untertitel macht er den Bezug auf seinen Vater deutlich: Ein erster Nachtrag zu Hans Conon’s von der Gabelentz Werke „Die melanesischen Sprachen.“ Das Werk ist abgefasst in der Form eines polyglotten enzyklopädischen Wörterbuchs und enthält Daten aus über 70 Sprachen nach Sachgruppen geordnet. Das Werk bringt auch einen Beitrag von Miklucho Maclay „Papua Dialekte der Maclay Küste in New Guinea sowie der Sprache von Errub und Maer, 15 und die Sprache der Bai von Segaar“. 16 Hans Conon von der Gabelentz war nach der Veröffentlichung seiner Untersuchung der melanesischen Sprachen kritisiert worden, weil er die Verwandtschaft der polynesischen und melanesischen Sprachen als wahrscheinlich, nicht aber als erwiesen dargestellt hatte. Die vorherrschende Meinung war, dass die malayischen, polynesischen und melanesischen Sprachen als Äste eines gemeinsamen Stammes anzusehen seien. Nach Sichtung der sprachlichen Daten, die Georg von der Gabelentz von den neulich bekannt gewordenen Sprachen zur Verfügung gestellt worden waren, kommt dieser genau wie sein Vater zu einer ähnlich vorsichtigen Einschätzung der Lage: „Immerhin jedoch dürfen Zahl und Art der gefundenen lautlichen Ähnlichkeiten in den meisten Fällen den Gedanken an ein bloss zufälliges Zusammentreffen ausschliessen, und so wäre vorläufig wenigstens die Wahrscheinlichkeit gewonnen, dass die Mehrheit der hier einbezirkten Sprachen unter sich und zu den malaiisch-polynesischen in engerer Beziehung stehen.“ Ein Problemfall für die Einordnung und Etablierung ihrer Verwandtschaft mit den anderen untersuchten Sprachen war die „merkwürdige“ Sprache der Mafooresen 17 , die den Nordosten der Vogelkop-Halbinsel von Neuguinea bewohnen. Die Mafooresen sind Melanesier, aber ihre Sprache 15 Es handelt sich um zwei Inseln in der Torres Straße nordöstlich von Cape York, Australien. Maer [Mer] ist der Name der Sprache, die Insel ist heute als Murray Island bekannt. 16 Die Segaar Bai liegt im MacCluer Golf an der Südwestküste Neuguineas. Die Sprache heißt heute Sekar oder Seka und gehört zur austronesischen Sprachfamilie. 17 Das Mafoor wurde 1885 von Hendrik Kern als austronesische Sprache identifiziert. Ihr heutiger Name ist Numfor. <?page no="214"?> 192 Karl H. Rensch ist in ihrer Struktur atypisch für eine melanesische Sprache. Neben einer „Agglutination der rohesten, lockersten Art besitzt die Sprache ein System innerer Wurzelsteigerung, eine Quasiflexion“, wie Georg von der Gabelentz es formuliert, die in keiner melanesischen Sprache zu belegen ist. Zwei weitere Sprachen von Inselvölkern in der Nachbarschaft von Neuguinea, das Palau und eine im Norden der Insel Halmahera gesprochene Sprache bereiteten ähnliche Schwierigkeiten. Sie passen in ihrer morphologischen Struktur nicht zu den melanesischen Sprachen, weisen darüber hinaus auch unter sich keine Gemeinsamkeiten auf, sind aber alle mehr oder minder stark mit polynesischen Elementen verquickt. Georg von der Gabelentz und Adolf Bernhard Meyer standen vor der verzwickten Frage: Können morphologisch verschiedene Sprachen miteinander verschwistert sein, oder gehören die Idiome dieser und anderer Neuguineaer eventuell nicht zu den melanesischen Sprachen im festgestellten Sinne des Wortes? Eine Antwort darauf war Ende des 19.-Jahrhunderts nicht möglich. Heute vermeiden wir es, im genetisch-linguistischen Sinn von melanesischen Sprachen oder von melanesischem Sprachzweig zu sprechen, aber der Terminus Melanesien im geographischen Sinne lässt sich schwerlich vermeiden, wenn wir ozeanische Sprachen lokalisieren wollen. 18 Melanesien wird sowohl bewohnt von Menschen, die Papuasprachen sprechen, als auch von Menschen, deren Sprachen mit dem Malayo-Polynesischen urverwandt sind. Die Papuasprachen bilden eine eigene Sprachfamilie, die anderen Sprachen in Melanesien gehören zur austronesischen Sprachfamilie, die sich von Madagaskar bis zur Osterinsel erstreckt 19 . Selbst innerhalb Melanesiens gibt es keine „melanesische“ Gruppe der austronesischen Sprachen, denn es hat sich gezeigt, dass einige austronesische Sprachen in Melanesien enger verwandt sind mit polynesischen Sprachen als mit anderen austronesischen Sprachen, die dort vorkommen. Georg von der Gabelentz und Adolf Bernhard Meyer hatten in ihrer Arbeit mehr als 70 Sprachen in Melanesien untersucht. Wir wissen heute, dass einige dieser Sprachen damals wegen unzureichender Daten 20 nicht als Papuasprachen [PAP] oder als nicht-affiliierbare Sprachen (language isolates) [N. A.] erkannt werden konnten, nämlich 21 Amberbaki (Amberbaken, Dekwambre, Ekware, Kebar) [Mpur] = N. A.; Errub [Erub] = PAP; Hattam (Adihup, Atam, Borai, Mansip, Miriei, Moi, Tinam, Uran) [Hatam] = N. A.; Karoon [Karon 18 cf. Karte im Anhang: „Das Nebeneinander von austronesischen und Papuasprachen“. 19 cf. Karte im Anhang: „Die Verbreitung der austronesischen Sprachfamilie“. 20 Wir beziehen uns im folgenden auf Angaben im Ethnologue: Languages of the World. 21 In runden Klammern alternative Namen, in eckigen der heutige. <?page no="215"?> W. v. Humboldt und Hans Conon und Georg von der Gabelentz 193 Dori] = MAYBRAT Familie; Maer [Mer] = PAP; Mairassi (Faranyao, Kaniram) = MAIRASI Familie; Salawati (Mekwei, Mooi, Mosana) [Moi] = PAP. Georg von der Gabelentz greift in der Einleitung zu seinem Nachtrag den Widerspruch zwischen Anthropologie und Linguistik wieder auf, den sein Vater darin sah, dass zwei verschiedene Menschenrassen, die dunkelhäutigen Australoiden, zu denen die Melanesier zählen, und die hellhäutigen Mongoloiden wie Malaien und Polynesier Sprachen sprechen, die urverwandt sind, also zur selben Sprachfamilie gehören. Zwei Erklärungen wären möglich, aber es gibt für sie nicht die geringsten historischen Beweise, nur linguistisch inspirierte Mutmaßungen: 1. Anfangs gab es zwei rassisch verschiedene Stämme. Im Laufe der Zeit hat ein Stamm unter Verzicht auf die eigene Sprache die Sprache des anderen angenommen oder: 2. Eine ursprünglich rassisch einheitliche Völkergruppe hat ihre Sprache behalten, ist aber durch fortgesetzte Mischung mit hellhäutigen bzw. dunkelhäutigen Menschen in zwei Stämme gespalten worden. Ein Beispiel für die erste Hypothese wäre die Sprache der dunkelhäutigen Negritos auf den Philippinen, die über Jahrhunderte in engster Nachbarschaft mit hellhäutigen Mongoliden leben. Rassenmischung hat es kaum gegeben, aber ihre Sprache hat sich der Sprache der umwohnenden Völker angeschlossen und hat infolgedessen ihre ursprüngliche Eigenart völlig eingebüßt. Was die malaiisch-melanesische Sprachverwandtschaft betrifft, kommt eine parallele Erklärung nicht in Frage. Rassenmischung hat es zweifellos gegeben, und eine Zweiteilung der ursprünglichen Rasse ist schlechterdings nicht von der Hand zu weisen. Aber es fällt schwer, zu glauben, dass die von beiden Teilen geredeten Sprachen im linguistischen Sinne „völlig ebenbürtige Töchter einer Mutter sind, da sie in vielen Stücken ein gegensätzliches Verhalten zeigen“. Um dieses Szenario adäquat beschreiben zu können, erweitert von der Gabelentz die genealogische Familienmetapher durch den Begriff „halbbürtige Geschwister“ und den brillant formulierten Zusatz: „Man darf, so scheint es nicht länger verneinen, dass eine Sprache neben der Mutter auch noch einen Vater haben könne, und man wird vergebens so schlechthin abzugrenzen versuchen, inwieweit der gemeinsame Sprössling mehr nach dem Einen oder nach der Anderen gerathen müsse.“ Auf die melanesischen Sprachen angewandt, bedeutet die Erweiterterung des Verwandtschaftsbegriffes, dass man bei ihrer Entstehung die Möglichkeit von Sprachmengung in Betracht ziehen muss. In diesem Zusammenhang gebraucht von der Gabelentz den Begriff Mischsprachen. Wie solche Mischsprachen, übrigens zu seiner Zeit unter Fachkollegen ein verpönter Begriff, in <?page no="216"?> 194 Karl H. Rensch der Vergangenheit auf der anderen Seite der Erde sich entwickelt haben, darüber gibt es keine dokumentarischen Informationen. Aber wichtige Hinweise auf allgemein gültige sprachliche Entstehungsprozesse ergeben sich seiner Meinung nach aus der Beobachtung gegenwärtiger Kontaktsprachen und dem Studium des Pidgin-Englisch. Diese Ideen und Empfehlungen von Georg von der Gabelentz sind von nachfolgenden Generationen beherzigt worden. Von seinen Vorarbeiten und denen seines Vaters hat die genealogische Erforschung der ozeanischen Sprachen wesentliche Impulse erfahren. Das gleiche gilt für Humboldts detaillierte grammatische Beschreibungen polynesischer Sprachen, seine grundlegenden theoretischen Überlegungen zum Sprachvergleich und ihre praktische Exemplifizierung an malaiisch-polynesischen Idiomen. Die Wiederauflage ihrer Schriften ginge über die Bedeutung und den Nutzen schwer zu beschaffender sprachlicher Materialien älteren Datums hinaus, sie wäre ein Desideratum von großem Interesse für die Geschichte der Sprachwissenschaft. Anhang (s. Karte 2 und Karte 1) <?page no="217"?> W. v. Humboldt und Hans Conon und Georg von der Gabelentz 195 Karte 2: Die Verbreitung der austronesischen Sprachfamilie, nach Bellwood, Peter (1979), p.-116. Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch den Verfasser/ By permission of Oxford University Press <?page no="218"?> 196 Karl H. Rensch Karte 1: Das Nebeneinander von austronesischen und Papuasprachen, nach Bellwood, Peter (1979), p.-120. Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch den Verfasser/ By permission of Oxford University Press <?page no="219"?> W. v. Humboldt und Hans Conon und Georg von der Gabelentz 197 Johann Reinhold Forster (1729-1798) und Georg Forster (1754-1794). Stich nach einem Gemälde von John Francis Rigaud <?page no="220"?> 198 Karl H. Rensch Bibliographie Bellwood, Peter (1979), Man’s Conquest of the Pacific. New York: Oxford University Press. Buschmann, Eduard (1843), Aperçu de la langue des Iles Marquises et de la langue Taïtienne précédé d’une introduction sur l’ histoire et la géographie de l’Archipel des Marquises. Berlin: Lüderitz. Crystal, David (1992), The Cambridge Encyclopedia of Language. Cambridge/ New York/ Melbourne: Cambridge University Press. Ethnologue. Languages of the World (2009), 16th edition. Dallas: SIL International. Forster, Georg, Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772-1775. Herausgegeben von H. Homann (1979). Tübingen und Basel: Horst Erdmann Verlag. Forster, Georg (2000), A Voyage Round the World. Edited by Nicholas Thomas and Oliver Berghoff, assisted by Jennifer Newell. 2 vols. 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Bd. 3. von der Gabelentz, Hans Conon (1873), Die Melanesischen Sprachen nach ihrem grammatischen Bau und ihrer Verwandtschaft unter sich und mit den Malaiisch-Polynesischen Sprachen. Erste Abhandlung. Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Bd. 7. Houtman, Frederick de (1603), Spraeck ende woord-bock in de Maleysche ende Madagaskarsche talen / met vele Arabische ende Turcsche woorden. Amstelredam: J. Ez. Cloppenburch. Humboldt, Wilhelm von (1829), Über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen Sprachen (gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 17.-Dezember 1829). Humboldt, Wilhelm von (1836-1839), Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java. 3 Bde. Berlin: F. Dümmler. Kern, Hendrik (1885), Over de verhouding van het Mafoorsch tot de Maleisch-Polynesische talen. Leiden. Knowlton, E.-1955, „A letter from Tahiti“, 1769. In: The Journal of Oriental Literature 6, 8-15. 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Canberra: Archipelago Press. <?page no="221"?> Hans Frede Nielsen, Odense Otto Jespersen’s Progress-in-Language Theory and Georg von der Gabelentz Deutsche Zusammenfassung Der dänische Sprachwissenschaftler Otto Jespersen (1860-1943) verfocht sein akademisches Leben lang die These, dass Sprachen wie Chinesisch und Englisch von allen Sprachen der Welt die größten Fortschritte erzielt hätten: Ursprünglich seien sie geprägt von flexivischer Vielfalt, Unregelmäßigkeit, Zweideutigkeit und freier Wortstellung und hätten es am weitesten gebracht in Bezug auf einsilbige Wörter (vor allem Chinesisch), Regelmäßigkeit, Eindeutigkeit und feste Wortstellung. Laut Jespersen war der Verlust der Flexionsformen (z. B. im Englischen) auf die nicht immer klaren und eindeutigen Funktionen der Endungen zurückzuführen, viel eher als auf einen mechanischen Verlust und eine Abschleifung wegen der Betonungsverhältnisse. Damit setzte sich Jespersen u. a. mit August Schleicher (1823-1868) auseinander, der in seiner Sprachentwicklungstheorie behauptete, dass die Sprachen in prähistorischer Zeit reich an Flexionsformen und perfekt gewesen, aber bei ihrem Eintreten in die Geschichte verfallen seien, weil sie nun nicht mehr innere Zielsetzungen verfolgt, sondern nur als Ausdrucksmittel gedanklicher Tätigkeiten gedient hätten. Hier stellt sich nun die Frage nach Georg von der Gabelentz (1840-1893) und seinem Einfluss auf Jespersen. Dieser besuchte nämlich Anfang 1888 während eines kurzen Studienaufenthalts in Leipzig Gabelentz’ Lehrveranstaltungen über das Chinesische. Dieser Besuch wurde später von einem Mitbewerber um die Professur für englische Sprache und Literatur, die im Jahre 1893 von der Universität Kopenhagen zur Besetzung ausgeschrieben worden war, als Grund angeführt, um zu behaupten, dass Jespersen in seiner Theorie der “Fortschritte in der Sprache”, die er in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 1891 aufgestellt hatte, Gabelentz plagiiert habe. <?page no="222"?> 200 Hans Frede Nielsen Obwohl Jespersen in seiner Autobiographie aus dem Jahr 1938 sehr wenig über seine Studien bei Gabelentz sagt, hatte er in der Einleitung seiner Habilitationsschrift durch Hinweise auf den Unterricht von Gabelentz und auf mehrere Schriften von diesem seine Abhängigkeit von Gabelentz und von dessen Nachweis der sprachlichen Logik, nach der sich chinesische Sätze entfalten, eindeutig anerkannt. Die Habilitationsschrift war mehr als ein Jahr vor der Anklage durch den Mitbewerber um die Englischprofessur verteidigt worden. Auch in späteren wissenschaftlichen Arbeiten (1894, 1922) wird Gabelentz von Jespersen mit großem fachlichen Respekt erwähnt. Mein Schluss lautet, dass Jespersen sehr wohl während seines Studienaufenthalts in Leipzig von Gabelentz eine Inspiration bekommen haben kann. Hervorgehoben werden soll aber, dass seine Theorie der “Fortschritte in der Sprache” mit seinen übrigen Interessen in vollem Einklang steht, ja mit seiner ganzen Persönlichkeit. Er war ein Empiriker und Rationalist und hatte auch eine praktische Art im Umgang mit der Sprache. Er arbeitete etwa in seiner Studentenzeit als Stenograph im dänischen Reichstag und liebte es, die denkbar kürzesten Ausdrücke für das zu finden, was gesagt oder getan worden war. Und schon als Student war er von Charles Darwin und Herbert Spencer mit deren felsenfestem Glauben an “natural selection” und “survival of the fittest” tief beeinflusst. Tatsächlich schreibt er in seiner Autobiographie, dass er in einer Prüfungsarbeit aus dem Sommer 1887 etwas geschrieben habe, das als “Vorläufer der ‘Fortschritte in der Sprache’ betrachtet werden kann”, d. h. also ein halbes Jahr vor seinem Besuch in Leipzig bei Gabelentz! Obwohl Jespersen alle Jahre hindurch an seiner Fortschrittstheorie festhielt, wurde sie von den meisten Sprachhistorikern von Anfang an skeptisch und distanziert zur Kenntnis genommen; sie glaubten eher an eine Entwicklung in Spiralen zwischen Synthetischem und Analytischem als an den Gedanken einer evolutionären Entwicklung auf ein ideelles Ziel hin. Ein moderner Kritiker wie Samuels (1972) sieht z. B. die Sprachentwicklung als ein (zufälliges) Produkt aus Sprachgebrauchsvariation, systemischer Regulierung und Kontakt. Und die Möglichkeit, dass so genannte Normalsprachen das Ergebnis von Pidgin/ Kreol-Entwicklungsprozessen sein können, lässt sich zwar nicht ablehnen, steht aber im groben Gegensatz zum Fortschrittsgedanken Jespersens, da Pidginsprachen mit ihrer einfachen und flexionsarmen Struktur typologisch dem nahe stehen, was im Modell Jespersens ein evolutionäres Endziel sein sollte! <?page no="223"?> Jespersen’s Progress-in-Language Theory and Gabelentz 201 1. Jespersen’s Views on Language Evolution The concept of “progress” in linguistic change launched by Otto Jespersen (1860-1943) in the introduction to his doctoral dissertation from 1891 should be seen as a reaction against especially August Schleicher’s theory of language development. According to Schleicher (1823-1868), the historical development of any language is a story of decay, by which he means linguistic reduction. Chinese, which signifies neither stem-function nor flexional forms, is a particularly striking case, and modern languages like French and German show much attrition in comparison with Latin and Gothic 1 respectively: … unsere Worte nehmen sich gotischen gegenüber aus, wie etwa eine Statue, die durch langes Rollen in einem Flussbette um ihre Glieder gekommen und von der nicht viel mehr als eine abgeschliffene Steinwalze mit schwachen Änderungen des einst vorhandenen geblieben ist; ein gotisches habaidêdeima 2 lautet jetzt hätten, englisch gar nur had … (Schleicher: 1869, 34) Conversely, the further back in the history of a language we move, the higher the degree of linguistic perfection. Nevertheless Schleicher presupposes a development towards higher linguistic forms subsequent to the genesis of a language, but these higher forms were established during the pre-historical era of the language. Schleicher thinks that only peoples or tribes with fully developed languages could make their entrance into history, at which point language - being no longer an aim in itself - had become a vehicle of expressing intellectual activity. Schleicher further believes that an abundance of historical events will accelerate language decay, which explains why English among all the Germanic languages “… in Laut und Form die stärksten Einbussen erlitten hat …” (Schleicher: 1869, 35). On all points, Jespersen takes the opposite view of Schleicher. Jespersen has no liking for theories which have no possibility of empirical substantiation; and the claim that modern languages like English and French are less perfect than Gothic and Latin is attributed by Jespersen to Schleicher’s admiration for the classical languages and a corresponding contempt for the modern vernacular languages. With reference to the emphasis put by Wilhelm von Humboldt (1767- 1835) on languages as a means of communication, Jespersen - in his doctoral dissertation (Jespersen: 1891, 9) - instead suggests that the language which reaches the highest degree of communicative effectiveness with the fewest 1 Gothic is an early Germanic language attested from the fourth century A. D. 2 habaidêdeima is a 1st person preterite plural subjunctive form of the weak verb haban ‘to have’. <?page no="224"?> 202 Hans Frede Nielsen or simplest means is superior to other languages (cf. also Jespersen: 1894, 13 and Jespersen: 1922, 324). Thus Modern English had is infinitely preferable to Gothic habaidêdeima 2 as anybody would agree who had to walk one mile instead of four, as Jespersen puts it (Jespersen: 1891, 11): had corresponds to 15- different Gothic forms (representing three persons, three numbers and two moods), and in terms of simplicity and economy this makes English vastly superior to Gothic. Jespersen therefore does not accept Schleicher’s description of had and German hätten as worn-out relics of a perfect statue: What if, on the one hand [the statue] was not ornamental enough as a work of art, and if, on the other hand, human well-being was at stake if it was not serviceable in a rolling-mill: which would then be the better, - a rugged and unwieldy statue, making difficulties at every rotation, or an even, smooth, easy-going and well-oiled roller? (Jespersen: 1894, 11, cf. Jespersen: 1922, 326) Not surprisingly, Jespersen regards the attrition and resulting monosyllabism in Chinese as beneficial to the language as was also the establishment of a fixed word-order, the logical precision of which makes it “the highest, finest, and accordingly latest developed expedient of speech to which man has attained” (Jespersen: 1894, 90). It is worth noting that Jespersen did not see fixed word-order as a functional substitution for the loss of flexional endings. On the contrary, the fixation of word-order preceded the loss of endings (Jespersen: 1891, 50, Jespersen: 1894, 96-7). If this had not been the case, the language would for a time have been incomprehensible. Jespersen’s view thus comes close to that of the “functional school” of Wilhelm Horn (1921) and Martin Lehnert (1954). But why, then, do flexional endings disappear? In his doctoral dissertation, Jespersen tries to answer this question in relation to the Old English declensional system. He grants that, despite inadequate linguistic records, contact with Danish vikings may have been of decisive importance as far as the simplificatory processes affecting nominal suffixes are concerned, processes which took place at a particularly early stage in the areas of Danish settlement in England. On the other hand, he prefers to explain this development, like other changes, on the basis of English itself (Jespersen: 1891, 98). Again, he advances a “functional” explanation, attributing the flexional reduction not to the Neogrammarian 3 concept of “blind” phonetic attrition, but rather to functional inadequacy. In Old English, the unaccented endings -e, -a, -u were in themselves phonetically distinct, but since they were each 3 The Neogrammarians (“Junggrammatiker”) were a group of German linguists who claimed that sound laws admitted of no exceptions. <?page no="225"?> Jespersen’s Progress-in-Language Theory and Gabelentz 203 used in several case-forms and declensional classes, their functional values had become blurred. The effect of this was inconsistency and, eventually, loss. The survival of the Old English plural and genitive endings -as and -es is, according to Jespersen (Jespersen: 1891, 100-104), due to their greater distinctiveness and clearer functional roles as denotators of the plural and the genitive, cf. Modern English kings and king’s < Old English cyngas and cynges. Among the developments thought by Jespersen to be indicative of the “progressive” tendency in English can be mentioned that of the English verb cut, … which can serve both as present and past tense, both as singular and plural, both in the first, second and third persons, both in the infinitive, in the imperative, in the indicative, in the subjunctive, and as a past participle … and remember, moreover, that the identical form, without any inconvenience being occasioned, is also used as a noun (a cut) … (Jespersen: 1894, 346, cf. Jespersen: 1922, 333) Jespersen, who calls this example extreme, “but by no means unique”, regards the coalescence of forms and conversion in question as a model of simplicity and economy. Finally, it will be shown how prosody in Jespersen’s opinion affected Germanic and therefore English in a “progressive” way. It is well known that the accent was shifted to the root syllable in Germanic. Jespersen regards this not as a mechanical process as did the Neogrammarians, but as a psychological process: the most important part of the word was stressed, namely the root syllable. By this “value-stressing” the Germanic system, in comparison with the movable Aryan (i. e. Indo-European) accent, … must be said to be more rational, more logical, as an exact correspondence between the inner and the outer world is established if the most significant element receives the strongest phonetic expression. (Jespersen: 1938a, 25) Germanic gains the further linguistic advantage of having the same syllable (root syllable) stressed in related words so that the connection between them is not obscured as it sometimes is in other Indo-European languages (Jespersen: 1938a, 23). Jespersen’s investigation of the histories of English and other languages has proved to him that the further back in time we move, the longer and more irregular forms we find. Moreover, what he calls the “clumsy repetitions” (Jespersen: 1922, 364) of concord increase and so does the irregularity (i. e. the freedom) of word-order. Jespersen has no doubt that, had it been attested 2000 years prior to the earliest inscriptions, Latin (or the ancestor of Latin) would have been vastly more synthetic than even Cicero’s language (Jespersen: 1894, 121, cf. also Jespersen: 1933a, 101). To someone (like Jespersen) <?page no="226"?> 204 Hans Frede Nielsen who has heard “the linguistic grass grow”, the evolution of human speech represents … a wise natural selection, through which while nearly all innovations of questionable value disappear pretty soon, the fittest survive and make human speech ever more varied and flexible, and yet ever more easy and convenient to the speakers. (Jespersen: 1905, 210, Jespersen: 1938a, 198) Jespersen does not think, however, that any language in the world has yet attained perfection, a state where all irregularity and ambiguity would be banished and the same thing always expressed by the same means (1894: 365). But unlike Schleicher, Jespersen thinks that English and Chinese have moved further towards perfection than most languages. Before we proceed to a brief discussion of the factors that determined Jespersen’s view of linguistic evolution, it should be pointed out that Jespersen stuck to his concept of “progress” in language from 1891, when he became a dr.phil., to his dying day. We can read about it not so much in his seven-volume opus magnum, A Modern English Grammar on Historical Principles (1909-1949), where he deliberately refrains from propounding a general theory of linguistic change, but in Studier over engelske kasus (1891), Progress in Language (1894, 365), Growth and Structure of the English Language (1905), Language (1922), Linguistica (1933a & b) and Efficiency in Linguistic Change (1941). There is evidence that the hypothesis may have been conceived even some years before 1891. In his autobiography published in 1938, En sprogmands levned (published in an English translation in 1995 under the title A Linguist’s Life), he says (and this was when he sat for one of his written exams for the cand.mag. degree at Copenhagen University in the summer of 1887): Den første opgave i hovedfaget gik ud på sådan noget som en sammenlignende vurdering av latinsk og fransk sprogbygning. Her var jeg rigtig i mit es og fik skrevet en hel del, som måske kan betragtes som en forløber for Fremskridt i sproget. (Jespersen: 1938b, 47) The first question in the main subject was something about a comparative evaluation of Latin and French language structure. This was right up my street and I managed to write quite a lot, which may perhaps to some extent be seen as a forerunner of Fremskridt i Sproget 1891; cf. Progress in Language 1894. (Jespersen: 1995, 58) <?page no="227"?> Jespersen’s Progress-in-Language Theory and Gabelentz 205 2. The Beginnings of Jespersen’s “Progress” Theory and Georg von der Gabelentz In what I have said so far, Jespersen’s view of language evolution was depicted as a reaction against Schleicher’s linguistic philosophy. It should be noted, however, that Jespersen himself points out that Schleicher is mainly focussed upon because he stands out pre-eminently among his contemporaries, and exercises a vast influence down to our day (Jespersen: 1894, 4, cf. Jespersen: 1891, 3). Among Schleicher’s later followers Jespersen mentions specifically the Oxford professor Max Müller (1823-1900) and William Dwight Whitney (1827-1894), the American linguist. Paradoxically, both Schleicher and Jespersen professed themselves adherents of Wilhelm von Humboldt, Schleicher in relation to Humboldt’s theory of language typology and Jespersen with regard to Humboldt’s emphasis on language as a means of human communication (cf. above and Jespersen: 1894, 13) and the latter’s insistence on the enrichment of content in the modern languages to counterbalance increasing formal decay (Jespersen: 1933a, 99-100). Jespersen was only 17 years old when he was first introduced to the evolutionary theories of Charles Darwin and Herbert Spencer in his freshman year at Copenhagen University. Professor Heegaard, 4 his philosophy teacher, “taught” (Jespersen: 1938b, 22, Jespersen: 1995, 26) him and his fellow students to admire especially Spencer, and Jespersen readily acknowledges his intellectual debt in this connection (Jespersen: 1941, 5), a debt which permeates all his written work and particularly, of course, his concept of progress in language. A striking example is the quotation from Growth and Structure of the English Language (Jespersen: 1938a, 198) cited above: it is no coincidence that it contains Darwinian and Spencerian catch phrases like “natural selection” and “the fittest survive”, cf. also Jespersen: 1922, 297. Not that Jespersen agreed with Spencer in all details, particularly not with the latter’s definition of linguistic progress, which was seen to entail an increasing heterogeneity. No, as we are now well aware, Jespersen took progress to be a utilitarian concept meaning “advance in usefulness”, where the ultimate aim would be a language state in which a minimum of effort provided a maximum of linguistic effect (Jespersen: 1941, 5-7). There has been some doubt as to the extent to which Otto Jespersen’s Progress-in-Language theory was influenced by Georg von der Gabelentz (1840- 1893), who was professor of East-Asian languages at Leipzig University from 4 P. Sophus V. Heegaard (1835-1884), professor of philosophy at Copenhagen University 1875-1884. <?page no="228"?> 206 Hans Frede Nielsen 1878 until his move to (what is now called) the Humboldt University in 1889. In his autobiography published in 1938 Jespersen has this to say concerning his study visit to Leipzig at the beginning of 1888. I quote from the English translation of the autobiography: Around New Year I went to Germany, first to Leipzig on Sweet’s advice, 5 as at that time I was rather inclined to concentrate on comparative Indo-European grammar. … I was permitted to sit in on the lectures of Brugmann 6 and Leskien. 7 … My stay in Leipzig lasted nearly a month. (Jespersen: 1995, 68) Jespersen makes no mention here of Gabelentz, but the latter’s name does crop up at a later point in the autobiography in connection with an accusation of plagiarization against Jespersen made by his Icelandic rival to the new chair of English Language and Literature at Copenhagen University, Jón Stefánsson (1862-1952), whom Jespersen had himself previously accused of plagiarization. In his autobiography Jespersen says that Stefánsson … sought to show that I was not a whit better myself. He alleged that in my Fremskridt i sproget I had plagiarized Professor Gabelentz, whose lectures on Chinese I had briefly attended in Leipzig. This accusation led me to send my book and Stefánsson’s article to Gabelentz. Gabelentz then sent Stefánsson a very caustic reply, in which he advised him in future to be more honest and expressed the opinion that Jespersen was an independent researcher who had not made any improper use of ideas of his. A copy of this letter was sent to Vilhelm Thomsen, 8 who showed it to me. (Jespersen: 1995, 86-7) The mutual exchange of accusations between Stefánsson and Jespersen takes place in 1892-93 (for more details, see Kürschner 2002) in the interval between the acceptance and publication of Jespersen’s doctoral dissertation Studier over engelske kasus in 1891 AND 13 April 1893, when Jespersen took up his professorial chair of English Language and Literature. It is true that in 1938, in his autobiography, Jespersen is strangely reticent about the fact that he had attended Gabelentz’s lectures in Leipzig in 1888, and the explanation could simply be that he was still bothered by the old accusations of plagiarization made by Stefánsson. Gabelentz’s name, however, does crop up several times in Jespersen’s introduction to his 1891 dissertation entitled “Fremskridt i sproget” [“Progress in language”] (Jespersen: 1891, 5 Henry Sweet (1845-1912), English linguist. 6 Friedrich Karl Brugmann (1849-1919), professor of Sanskrit and linguistics at Leipzig from 1882. 7 August Leskien (1840-1916), Slavicist, professor at Leipzig 1870-1916. 8 Vilhelm Thomsen (1842-1927), professor of comparative philology at Copenhagen University 1887-1913. <?page no="229"?> Jespersen’s Progress-in-Language Theory and Gabelentz 207 1-66; cf. Jespersen: 1894, 80-111), not just in the shape of several notes referring to three scholarly works by Gabelentz (1881, 1883, 1884), but also to the fact that he had attended Gabelentz’s lectures in 1888 and benefitted from them. Jespersen has this to say (Jespersen: 1891, 47): Prof. G. v. d. Gabelentz udtrykte sig paa sine forelæsninger om kinesisk i Leipzig 1888 omtrent saaledes: intet sprog er i den grad egnet til at skærpe sansen for logik som kinesisk [“In his lectures on Chinese in Leipzig in 1888 Prof. G. v. d. Gabelentz expressed himself in more or less the following way: no language is to the same extent as Chinese capable of whetting one’s sense of logic”] And the quotation continues in the following manner: en kinesisk sætning eller sætningskæde er ordnet med den samme logiske stringens som en engelsk brevadresse, hvor det specielleste sættes forrest og hvert følgende led betegner en videre ramme, der omslutter de foregaaende … (Jespersen: 1891, 47-8) In Progress in Language published three years later, only this last bit of the quotation was retained, being rendered in Jespersen’s English translation as (Jespersen: 1894, 89): A Chinese sentence is arranged with the same logical precision as the direction of an English letter, where the most specific word is placed first, and each subsequent word is like a box comprising all that precedes … Gabelentz is thus not specifically mentioned in this context in the 1894 book, but my point is that Jespersen had paid tribute to Gabelentz in his dissertation from 1891, himself acknowledging both the fact that he had sat in on Gabelentz’s lectures and that he had been fascinated by his ideas. Stefánsson’s accusations against Jespersen had been made over a year later. I am inclined to believe that in 1938, when he wrote his autobiography, Jespersen may have forgotten what he had written about Gabelentz in his dissertation 47 years previously, his mind still being pained by the unfair allegations made by the Icelander. In the preface to his Progress in Language from 1894 Jespersen makes the following point concerning a newly published theoretical work by Gabelentz vis-à-vis his own Progress-in-language hypothesis: In the linguistic literature which has appeared since my Studier [1891], I have found little to learn with regard to my own subject; if G. von der Gabelentz’s Die Sprachwissenschaft (Leipzig, 1891) had appeared before instead of after my Studier, it would probably have influenced my exposition, as I should have been able from that admirable work to draw many arguments in favour of my hypothesis; but as it is, I have thought it the wisest plan to leave the main structure of my work as it was, and only <?page no="230"?> 208 Hans Frede Nielsen once for all refer the reader to Gabelentz’s great work, which no one can read without profit. (Jespersen: 1894, vii-viii) Much later, in his famous book entitled Language from 1922, Jespersen again expresses his admiration for Gabelentz: … the two greatest linguistic works on general linguistics to have appeared between 1880 and 1920 were those by Georg v. d. Gabelentz and Wilhelm Wundt: 9 … important and in many ways excellent as they are, they have not exercised the same influence on contemporary linguistic research as some of their predecessors. Personally I owe incomparably much more to the former than to the latter. (Jespersen: 1922, 97-8) My conclusion, then, would be that Jespersen’s “progress” theory was formed between 1887 and 1891, and that undoubtedly he was inspired by a number of other scholars, one of them being Georg von der Gabelentz during Jespersen’s month of study in Leipzig in 1888. But essentially Jespersen’s view of language evolution was a very personal one, which is probably why he so stubbornly/ faithfully stuck to it for over 50 years. His theory was clearly in harmony with his other interests and pursuits in life, indeed with his personality as readers of his autobiography will no doubt agree. He was essentially a radical who thrived on being in opposition to the opinio communis: At the time when he conceived his “progress” theory his target was Schleicher’s widely accepted model for language evolution. Remembered in this connection should also be Jespersen’s predilection for what he calls “virkelighedens fulde dagslys” [“the full daylight of reality”] (Jespersen: 1891, 66) and corresponding distaste for obscure theorizing. In his obituary of Jespersen, L. L. Hammerich 10 rightly stresses Jespersen’s practical turn of mind, which manifested itself in e. g. the pleasure he took in stenography and in finding the shortest possible expressions for things said or conceived. He even introduced abbreviations of his own making into his written work (Hammerich: 1944, 44-5). As an undergraduate student in Copenhagen, Jespersen had worked as a parliamentary stenographer for several years (Jespersen: 1938b, 25-7, Jespersen: 1995, 29-31). It was suggested above (cf. also Jespersen: 1891, 7, Jespersen: 1894, 9 and Jespersen: 1933a, 102) that Schleicher had admired classical languages and despised modern ones. In Jespersen’s case the reverse appears to hold good: he loved modern languages, especially English, and hated Latin. And it is true of both scholars that their linguistic likes and dislikes can be said to have had 9 Wilhelm Wundt (1832-1929), German philosopher and psychologist. 10 Louis L. Hammerich (1892-1975), professor of German philology at Copenhagen University 1922-1958. <?page no="231"?> Jespersen’s Progress-in-Language Theory and Gabelentz 209 bearing on their theories of language evolution. Jespersen’s hatred of Latin stemmed from an early age: as a schoolboy he was crammed with Latin six or eight hours every week for seven years. As an undergraduate student in Copenhagen University he worked actively in favour of making Latin, which was the only obligatory subject in the faculty, optional. Jespersen did not succeed then, but managed to achieve his goal about 15 years later when he had become a professor. Later again, in an article in a periodical, he argued against introducing a Danish secondary-school reform in which Latin would come to predominate at the expense of much more important disciplines such as modern languages, cf. 1938b: 14, 36, 92, 99. As Professor of English in Copenhagen University Jespersen made no secret of what modern language was closest to his heart. His Growth and Structure of the English Language can be read as the homage paid by an Anglophile to the English language which is praised for its business-like, virile qualities, its conciseness, logic and sobriety (Jespersen: 1938a, 2-16, 234). No wonder that Growth and Structure of the English Language became so popular in the English-speaking world and among Anglophiles elsewhere. Schleicher’s view of the imperfections of the language was long forgotten. 3. The Fate of Jespersen’s Hypothesis A final question to be asked: how did Jespersen’s theory of language progress fare in the scholarly world? At Jespersen’s public defence of his doctoral dissertation in May 1891 (Jespersen: 1938b, 69), one of the two appointed examiners, Professor Hermann Møller, 11 argued (as many historical linguists would today) in favour of language history moving in spirals (cyclic swings) and not, as Jespersen believed, along a line of constant “progress” from a starting-point with a maximum of synthesis, cf. above. According to Møller, synthesis was superseded by analysis, which again was replaced by a new synthesis as in the case of the Latin future amabo, which in Vulgar Latin was succeeded by a periphrastic future, amare habeo, which developed into new synthetic forms in Romance, cf. French aimerai, Italian amerò. French aimerai even seems to be yielding to je vais aimer, an analytic expression. Similarly Møller thought that there was a steady alternation between regularity and irregularity in language development (Jespersen: 1894, 124-5, Jespersen: 1922, 424-5, cf. also Møller: 1890-92, 292-303, Gabelentz: 1901, 256-7, Vendryès: 1921, 420, Samuels: 1972, 50 and Aitchison: 1981, 227, 234). 11 Hermann Møller (1850-1923), professor of Germanic philology at Copenhagen University 1888-1921. <?page no="232"?> 210 Hans Frede Nielsen Jespersen countered these and similar attacks by other scholars by saying that regular and analytic forms arise much more frequently than irregular and synthetic ones, which a large-scale, diachronic investigation would confirm (Jespersen: 1894, 125, Jespersen: 1922, 424-5, Jespersen: 1933a, 101-101). In Efficiency in Linguistic Change, Jespersen (Jespersen: 1941, 7-8) seems to make a concession to his critics by thinking it within the bounds of possibility that … in my endeavour to refute old theories I paid too little attention to those changes that are not beneficial … But Jespersen’s basic belief in linguistic “progress” is unchanged: … I still think that I was right in saying that on the whole the average development was progressive and that mankind has benefitted by this evolution. Present-day linguists tend to ignore Jespersen’s theory of progress in language development, but hardly because they agree with him! For example, the interest taken in pidgins and creoles within recent decades have opened up the eyes of linguists to the possibility that so-called normal languages may have their origins in a pidgin-creole process, cf. DeCamp: 1971 and Aitchison: 1981, 192-206, esp. 206. One of the striking characteristics of pidgins is their structural simplicity; in fact, their lack of inflectional suffixes often has the effect that words occur in more than one function or word class, cf. what was said above concerning Modern English had and cut. - It might be added here that the relatively recent scholarly focus on mixed languages (creoles), was in fact anticipated by Gabelentz (Gabelentz: 1901, 158-9, 278-83, esp. 279). Two fairly recent books on linguistic change that do refer to Jespersen’s hypothesis, and which are both at variance with it, are Samuels: 1972 and Lass: 1980. Samuels’s belief that linguistic evolution is a (coincidental) product of parole-based variation, systemic regulation and contact, is clearly incompatible with the concept of a “teleological drive towards perfection” (Samuels: 1972, 50). Lass (Lass: 1980, 133) speaks of Jespersen’s “naive ‘progressivism’”, an extreme sort of functionalism linked to an evolutionary interpretation of language history. As was pointed out above, Jespersen’s concept of language change resembled that of the “functional school” of Horn and Lehnert. Not surprisingly, Samuels is a severe critic of this school, partly because Horn and Lehnert fail to see the significance of redundancy in grammatical systems and partly because they do not accept the possibility of inflectional loss or weakening through “sound-law” as proposed by the Neogrammarians. These points of criticism can easily be levelled at Jespersen’s brand of functionalism as well. <?page no="233"?> Jespersen’s Progress-in-Language Theory and Gabelentz 211 It will lead a bit far to go into further detail with the arguments against the functionalists. Instead, I shall restrict myself to suggesting the existence of an inherent inconsistency, indeed irony, in Jespersen’s view of language change - and this should be seen as an extension of Møller’s argument mentioned above: I am thinking of Jespersen’s assumption that irregularities were at a maximum in the earliest human language and that there has since been a steady movement towards an ideal language, where all irregularity has been done away with, cf. above and Jespersen: 1933a, 101, Jespersen: 1922, 425-6. It is very ironic that a linguist dedicated to an empirical approach operates with a linguistic utopia, the IDEAL language, in practice ignoring an irrefutable linguistic fact: that there are irregularities in all attested languages. 12 Bibliography Aitchison, J. (1981), Language Change: Progress or Decay? London: Fontana. DeCamp, D. (1971), “The Study of Pidgin and Creole Languages”, in: Hymes, D. (ed.), Pidginization and Creolization of Languages. Cambridge: University Press, 13-39. Gabelentz, G. von der (1881), Chinesische Grammatik, Leipzig: Weigel [Reprintausgabe edited by W. Bisang, Tübingen: Julius Groos Verlag, 2013.] Gabelentz, G. von der (1883), Anfangsgründe der chinesischen Grammatik. Leipzig: Weigel. Gabelentz, G. von der (1884), “Zur grammatischen Beurteilung des Chinesischen”, Internationale Zeitschrift für allgemeine Sprachwissenschaft 1, 272-80. Gabelentz, G. von der (1891) [1901], Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, Leipzig: Tauchnitz. [Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage, Leipzig 1901.] Hammerich, L. L. (1944), “Mindeord over … Otto Jespersen. 16. Juli 1860 - 30. April 1943”, Tale i Videnskabernes Selskabs Møde den 22. Oktober 1943, Det Kgl. Danske Videnskabernes Selskab, Oversigt over Selskabets Virksomhed Juni 1943-Maj 1944, Copenhagen: Munksgaard, 41-57. Hansen, E. & H. F. Nielsen (2007), Irregularities in Modern English, Second edition revised by Erik Hansen, Odense: University Press of Southern Denmark. Horn, W. (1921), Sprachkörper und Sprachfunktion (= Palaestra 135), Leipzig: Mayer & Müller. Jespersen, O. (1891), Studier over engelske kasus. …(? ) Med en indledning: Fremskridt i sproget, Copenhagen: Klein. Jespersen, O. (1894), Progress in Language with Special Reference to English, London: Swan Sonnenschein. [Second edition, 1909.] 12 This contribution is an extended and thoroughly revised version of Nielsen 1989. I would like to thank my colleague Flemming Talbo Stubkjær for kindly translating into German the summary introducing the present paper. <?page no="234"?> 212 Hans Frede Nielsen Jespersen, O. (1909-49), A Modern English Grammar on Historical Principles, I (1909), II (1914), III (1927), IV (1931), V (1940), VI (1942) and VII (1949), London: Allen & Unwin/ Copenhagen: Munksgaard. Jespersen, O. (1922), Language. Its Nature, Development and Origin. London: Allen & Unwin. Jespersen, O. (1933a), “Energetik der Sprache”, first published in Scientia 16 (1914): 225 ff., in: Jespersen, O., Linguistica, Copenhagen: Levin & Munksgaard, 98-108. Jespersen, O. (1933b), “Monosyllabism in English”, (Lecture read before the British Academy, 6 Nov., 1928.), in: Jespersen, O., Linguistica, Copenhagen: Levin & Munksgaard, 384-408. Jespersen, O. (1938a), Growth and Structure of the English Language, 9th ed. (1st ed. 1905.), Leipzig: Teubner. Jespersen, O. (1938b), En sprogmands levned, Copenhagen: Gyldendal. Jespersen, O. (1941), Efficiency in Linguistic Change, (Det Kgl. Danske Videnskabernes Selskab. Historisk-filologiske Meddelelser. 47,4.), Copenhagen: Munksgaard. Jespersen, O. (1995), A Linguist’s Life, an English Translation of Otto Jespersen’s Autobiography with Notes, Photos and a Bibliography, edited by A. Juul, H. F. Nielsen & J. E. Nielsen, Odense: University Press. Kürschner, W. (2002), “Otto Jespersen (1860-1943) und Georg von der Gabelentz (1840-1893)”, in: K. Ezawa, W. Kürschner, K. H. Rensch & M. Ringmacher (eds.), Linguistik jenseits des Strukturalismus, Akten des II. Ost-West-Kolloquiums, Berlin 1998, Tübingen: Narr, 173-83. Lass, R. (1980), On Explaining Language Change, Cambridge: University Press. Lehnert, M. (1954), Laut und Leben: Englische Lautgeschichte der neueren Zeit (1400- 1950), Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften. Møller, H. (1890-92), Review of Jespersen (1891), in: Nordisk Tidskrift for Filologi (ny række) 10, 292-317. Nielsen, H. F. (1989), “On Otto Jespersen’s View of Language Evolution”, in: A. Juul & H. F. Nielsen (eds.), Otto Jespersen: Facets of his Life and Work, Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins, 61-78. Samuels, M. L. (1972), Linguistic Evolution with Special Reference to English, Cambridge: University Press. Schleicher, A. (1869), Die deutsche Sprache, 2. Aufl. Stuttgart: Cotta. Vendryès, J. (1921), Le Langage, Paris: La Renaissance du Livre. <?page no="235"?> II. Teil: Die Werke von Georg von der Gabelentz <?page no="237"?> A. Allgemeine Sprachwissenschaft Roland Harweg, Bochum Aus der Lektüre von Georg von der Gabelentzens Buch „Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse“ (1901) Georg von der Gabelentzens in 1. Auflage 1891 und in 2. (nach der ich zitiere) 1901 erschienenes Buch „Die Sprachwissenschaft“ ist ein thematisch überaus reichhaltiges und vielseitiges Werk, und ich kann deshalb nur sehr wenige Themen daraus ansprechen. Beginnen aber will ich mit einigen Worten über den Stil des Werkes und seines Verfassers. 1. Der Stil des Buches Georg von der Gabelentz beginnt einen kleinen Abschnitt seines Buches, in dem er sich über die Schreibweise von Grammatikern und Sprachforschern äußert (Gabelentz: 1901, 107-108), mit der Feststellung, dass „unsere Wissenschaft bei der grossen Menge der Gebildeten für eine der allertrockensten“ gelte, und das vielleicht „Ärgste“ in dieser Hinsicht leisteten, so sagt er weiter, gerade „die besten Lehr- und Handbücher unserer historischen Indogermanistik“; denn darin sei ein Ton, „ein vornehm bloss andeutender Ton eingerissen, der es verschmäh[e], in rechtschaffenen Sätzen zu reden, als gälte es, die Syntax in der Praxis ebenso zu vernachlässigen, wie in der Theorie“. Und er beschließt dieses vernichtende Urteil mit der Feststellung, niemand misshandele die Sprache und durch sie den Leser ärger als ein Teil unserer Sprachforscher. Wie aber schreibt von der Gabelentz selber? Schreibt er anders? Ja, er schreibt anders, und er schreibt so sehr anders, dass er sich jene vernichtenden Äußerungen wohl anmaßen darf. Die Art und Weise, in der er anders schreibt, mag andeutungsweise bereits aus jenen kritischen Äußerungen selber hervorgehen, in die er seine Polemik gekleidet hat, nicht unbedingt aus ihrer inhaltlichen Stoßrichtung, wohl aber <?page no="238"?> 216 Roland Harweg aus ihrer formalen Eleganz. Nun muss man, um den Verfassern jener Lehr- und Handbücher doch ein wenig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, zwar sagen, dass von der Gabelentzens Buch, anders als jene Bücher, kein Handbuch der Laut- und Formenlehre einer Einzelsprache ist und deshalb, schon rein thematisch, im Hinblick auf die Möglichkeiten stilistischer Entfaltung viel größere Freiheiten genossen hat - doch gleichwohl, die Art und Weise, wie es diese Freiheiten genutzt hat, ist alles andere als selbstverständlich; denn sie weist den Wissenschaftler von der Gabelentz zugleich als einen großen Stilisten aus. Sein Stil, durchsetzt mit originellen Charakterisierungen wie der der Juristerei (mit der er begonnen) als „ein großer Conditionalis“ und kühnen Wortbildungen wie „Semi-Agglutinationist“ (als der er fürchtet verketzert zu werden; Gabelentz: 1901, 396), ist von einer Biegsamkeit und flüssigen Eleganz, einer von treffenden Vergleichen in einer nicht selten ans Poetische grenzenden Bildersprache sprühenden Diktion, wie sie unter Sprachwissenschaftlern durchaus selten ist, und dies unter steter Wahrung der Prinzipien wissenschaftlicher Genauigkeit. Allerdings mutet von der Gabelentz dem Leser, offenbar ein humanistisch gebildetes Publikum voraussetzend, dabei hin und wieder auch unübersetzte lateinische oder griechische Einsprengsel zu, und gelegentlich verwendet er sogar Ausdrücke, die, wie z. B. gätlich, Entwegung oder Würderung, gar nicht der allgemeinen deutschen Schriftsprache angehören und selbst derjenigen seiner Zeit nicht angehört haben dürften. Aber das tut seinem Stil als ganzem keinerlei Abbruch, und ich stehe nicht an, die Behauptung zu wagen, was Schopenhauer als Stilist unter den Philosophen, das sei er als Stilist unter den Sprachwissenschaftlern, zögere nicht, ihn, stilistisch gesehen, geradezu einen Schopenhauer der Linguistik zu nennen. Nur eine Schwäche, so scheint mir, weist das Buch, stilistisch gesehen, dennoch auf, und das sind, in dem Abschnitt über den Humboldtschen Begriff der inneren Sprachform, die überlangen und überzahlreichen, meist kommentarlos miteinander verbundenen Zitate, vor allem von Humboldt, dann aber auch von Steinthal und Friedrich Müller. Geschuldet sind diese Zitate - deren Zahl und Länge übrigens ganz im Widerspruch steht zu des Autors Bemerkung im Vorwort des Buches, mit Zitaten „einigermassen gekargt“ zu haben - dem Wunsch, den Zitierten „nach Kräften gerecht zu werden“, und doch zweifelt von der Gabelentz, ob „die Sache [gemeint ist der unklare Humboldtsche Begriff der inneren Sprachform, R. H.] dadurch sehr an Klarheit gewonnen“ habe (Gabelentz: 1901, 343). <?page no="239"?> Aus der Lektüre von „Die Sprachwissenschaft“ 217 2. Urteile über Vorgänger und Zeitgenossen Polemik habe er, so sagt von der Gabelentz im Vorwort zu seinem Buche, tunlichst vermieden, und wo sie ihm doch einmal geboten schien, da spricht er, vornehmerweise, davon, dass es ihm darum gegangen sei, sich vor seinen Vorgängern zu verantworten. So findet man in seinen Urteilen über Vorgänger und Zeitgenossen im allgemeinen mehr Lob als Tadel in dem Buch, aber im Lob selber gibt es doch Abstufungen. Am stärksten lobt von der Gabelentz Wilhelm von Humboldt. Er sei, so sagt er, der erste gewesen, der umfassende Kennerschaft mit philosophischem Tiefsinn in sich vereinigt habe (Gabelentz: 1901, 28). Es sei „erstaunlich, wie allseitig dieser Riesengeist seinen Stoff durchdacht“ habe, und selten seien „reiches Wissen und tiefes Denken, Scharf blick für das scheinbar Kleinste und die Fähigkeit, selbst das scheinbar Entlegenste sicher zu combinieren, glücklicher gepaart gewesen“. Er nennt ihn den „gedankenreichsten unter den Sprachforschern“ und seine Werke „de[n] classische[n] Text der allgemeinen Sprachwissenschaft“. Leider, so fügt er allerdings hinzu, seien seine Werke „meist weniger klar als tief “ und setzten „Kenntnisse voraus, die schon aus äusseren Gründen [nur] den Wenigsten erreichbar“ seien. Ich weiß nicht genau, wen ich, in der Hierarchie der Gelobten, an zweiter Stelle nennen sollte. Gewiss ist da „des grossen Leibniz allseitiger Geist“ (Gabelentz: 1901, 27), aber dieser, obwohl er „sich auch auf die Probleme der menschlichen Sprachen“ gerichtet habe, steht doch nicht eigentlich in der Reihe seiner Vorgänger vom Fach. Vielleicht aber sind Steinthal und Pott hier zu nennen: Heymann Steinthal, zu dessen besonderen Verdiensten es gehöre, immer wieder das Andenken an Humboldt, den „Halbvergessenen“, aufgefrischt zu haben, und Friedrich August Pott, der zwar einer der Meister der Indogermanistik, also nicht der allgemeinen Sprachwissenschaft war, dessen Sprachstudien ihn jedoch gleichwohl um die ganze Erde geführt hätten (Gabelentz: 1901, 30) und von dem wie von Humboldt - die beide keine Schule gegründet hätten - der Satz gelte, dass sich ihre „Universalität und Genialität nicht schulmässig züchten“ ließen (Gabelentz: 1901, 29). Schulen haben, im 19. Jahrhundert, bekanntlich Franz Bopp und Jacob Grimm gegründet, der erstere hat die Indogermanistik, der letztere die Germanistik begründet. Ihnen gegenüber aber klingt von der Gabelentzens Lob doch etwas verhaltener. So erwähnt er bei Grimm, dass die mit seinem Namen verknüpften Lautgesetze, bevor er sie selber mustergültig beschrieben habe, bereits von dem Dänen Rask entdeckt worden seien, und wenn er, auf Seite 173, sagt, dass das, was Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm auf <?page no="240"?> 218 Roland Harweg heimischem Boden durchwühlt hätten, zwar in den Augen eines patriotisch fühlenden Volkes eitel Gold, in Wirklichkeit aber vielleicht doch nur Bronze oder Eisen gewesen sei - ganz im Gegensatz zu dem, was die „Indianisten“, also die Indologen, im fernen Osten zutage gefördert hätten -, dann klingt auch das nicht gerade begeistert. Was Bopp angeht, so nennt von der Gabelentz seine „Vergleichende Grammatik“, in der zum ersten und bisher einzigen Male die ungeheure Arbeit unternommen worden sei, das ganze Material einer Sprachfamilie grammatisch zu ordnen und zu beurteilen (Gabelentz: 1901, 27), zwar „grossartig“ und seine berühmte Erstlingsschrift von 1816 ihren „würdigen Vorläufer“ (Gabelentz: 1901, 26), aber seine im Alter „im“, so von der Gabelentz, „Taumel der Entdeckungslust“ unternommenen Versuche, auch kaukasische und malaiische Sprachen dem indogermanischen Verwandtschaftskreise zuzuweisen, werden von ihm doch scharf kritisiert und als „Verirrung“ verurteilt (Gabelentz: 1901, 155). Ein jüngerer Forscher, ja Zeitgenosse, den von der Gabelentz in hohen Tönen lobt, ist, mit seinem Buche „Principles of the Structure of Language“ von 1885, der heute weithin vergessene irische Sprachphilosoph James Byrne, ein Mann, dessen Buch von der Gabelentz ein eigenes kleines Kapitel widmet (Gabelentz: 1901, 426 f.). Darin nennt er das Buch „ein[en] grossartige[n] Versuch, die wichtigsten Erscheinungen der Sprachen durch analytische Schlussfolgerung auf ihre psychischen Grundlagen zurückzuführen, und dann inductiv nachzuweisen, wie sie thatsächlich dem Cultur- und Seelenleben der Völker entsprechen“. Das Buch ist für von der Gabelentz, mit Bezug auf die darin diskutierten Fragen, das vielleicht tiefsinnigste seit Humboldt, in dessen Nachfolge es geschrieben ist. Von der Gabelentz vergisst, wenn er von seinen Vorgängern spricht, auch seinen Vater, Hans Conon von der Gabelentz, nicht, und wenn er von ihm redet, dann immer in warmem und achtungsvollem Ton, und man darf sicher sein, dass er dies nicht nur aus Pietät getan hat, sondern durchaus in Anerkennung seiner ebenfalls außergewöhnlichen Verdienste. 3. Erfassung von Sprachen An einer Stelle seines Buches (Gabelentz: 1901, 54) schreibt von der Gabelentz, es werde zuweilen gefragt, wie viele Sprachen es auf der Welt gebe, und er nennt als Antworten auf diese Frage, die er gelesen habe, Zahlen von 1000 bis 2000 - höhere habe er nicht gelesen, aber irgendwie seien, da es oft genug schwierig sei, zwischen Sprache und Dialekt zu unterscheiden, alle irgendwie richtig. Heute pflegt man an die 6000 Sprachen zu unterscheiden, aber bei dieser Zahl gilt der Dialektvorbehalt natürlich erst recht. <?page no="241"?> Aus der Lektüre von „Die Sprachwissenschaft“ 219 Es versteht sich von selbst, dass ein einzelner Sprachforscher - und mag er auch ein ganzes langes Leben lang nichts anderes tun als sich intensiv mit Sprachen zu beschäftigen (was Georg von der Gabelentz selber gar nicht vergönnt war, da er erstens früh gestorben und zweitens erst vergleichsweise spät Sprachwissenschaftler von Beruf geworden ist) - sich, selbst oberflächlich, bestenfalls einem ganz winzigen Bruchteil der Sprachen unseres Planeten nähern kann. Georg von der Gabelentz sagt nicht, mit wie vielen Sprachen er sich beschäftigt habe, verrät uns (Gabelentz: 1901, 49) jedoch, mit wie vielen (und zwar auf eine Weise, dass man habe sagen können, er habe sie „erlebt“) sein Vater sich abgegeben habe, nämlich mit „in die achtzig“ (was wohl heißt: mit über achtzig), und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sein Sohn einer ähnlich hohen Zahl von Sprachen nähergetreten ist. Das aber wäre, wie ich, der ich mich selber im Laufe meines Lebens mit etlichen Sprachen beschäftigt habe, aus eigener Erfahrung sagen kann, eine ungeheure Leistung - so wie sie es im Falle seines Vaters tatsächlich ist. Die Anzahl der Sprachen, die der Sohn in seinem Buche n e n n t, geht allerdings noch weit darüber hinaus. Es sind etwa so viele, wie der Vater in seinem Werk über das Passiv berücksichtigt hat, nämlich deutlich über 200. Gewiss, manche dieser Sprachen, so z. B. eine Reihe der afrikanischen, zählt er, indem er (Gabelentz: 1901, 282) die von Lepsius in der Einleitung zu seiner „Nubischen Grammatik“ aufgestellten afrikanischen Sprachfamilien referiert, lediglich auf, aber es bleibt trotzdem noch eine große Menge von Sprachen übrig, über die er sich in einer Weise äußert, die verrät, dass er sich zumindest in der Grammatik dieser Sprachen gut ausgekannt hat. Und diese Sprachen stammen aus den unterschiedlichsten Weltgegenden und gehören zu den verschiedensten Sprachfamilien und Sprachtypen. Bei einigen der ferner liegenden zitiert er, wenn er bestimmte Einzelheiten aus ihrer Grammatik mitteilt, zugleich auch die benutzte Quelle, und das mag anzeigen, dass seine Kenntnisse über die Informationen, die diese Quelle liefert, nicht hinausgegangen sein mögen und dass er sie bei der Abfassung der betreffenden Stelle seines Buches vielleicht erst noch hat nachschlagen müssen. An vielen Stellen, nämlich überall dort, wo er keine Quelle angibt, aber sieht es so aus, als habe er aus einem ihm stets verfügbaren, präsenten Wissen geschöpft. Gewisse Bereiche seines Sprachwissens sind natürlich eine Frucht seiner universitären Lehrtätigkeit, und da diese, wie er im Vorwort schreibt, die Sprachen Chinesisch, Japanisch, Mandschu und Malaiisch umfasste, ist es natürlich, wenn er auf diese Sprachen, vor allem aber das Chinesische (über das er bereits 1881 eine umfangreiche und noch heute viel geschätzte Grammatik veröffentlicht hatte) immer wieder in seinem Buche rekurriert. Aber <?page no="242"?> 220 Roland Harweg auch auf Sprachen wie das Koreanische, das - damals Annamitisch genannte - Vietnamesische, das Tibetische und vor allem das Arabische und das Sanskrit, die alte Kultursprache der Inder, von den zahlreichen europäischen Sprachen, darunter nicht zuletzt dem Deutschen mit seinen verschiedenen Mundarten, ganz zu schweigen, kommt er, teils mit allgemeinen strukturellen Zügen, teils aber auch mit interessanten Einzelheiten, an den verschiedensten Stellen seines Werkes zu sprechen. Und unter den europäischen Sprachen fehlt selbst das bis heute als isoliert geltende Baskische nicht, das er späterhin, in einer erst postum erschienenen Schrift, noch versucht hat mit den nordafrikanischen Berbersprachen in Verbindung zu bringen. Aber von der Gabelentz macht in seiner „Sprachwissenschaft“ nicht nur Aussagen über Einzelsprachen, er macht auch Aussagen über ganze Sprachfamilien, von den melanesischen Sprachen (bei deren Erforschung er sich an Vorarbeiten seines Vaters hatte anschließen können) über die polynesischen und die australischen (deren Verwandtschaft mit den - heute bei uns Munda-Sprachen genannten - kolarischen Sprachen in Indien er erwägt) bis hin zu den semitischen, den ural-altaischen und, immer wieder, den indogermanischen mit ihren verschiedenen Unterfamilien; denn obwohl von der Gabelentz kein Indogermanist war, kannte er sich doch auch in den indogermanischen Sprachen und den Ergebnissen und Problemen ihrer Erforschung erstaunlich gut aus. Letzten Endes ist, was die von ihm herangezogenen Sprachen und Sprachfamilien angeht, kein Erdteil unserer weiten Erde unerfasst geblieben, auch die Neue Welt mit ihren nord-, mittel- und südamerikanischen Eingeborenensprachen (von denen er wenigstens jeweils einige berücksichtigt) nicht. 4. Wertung von Sprachen und Sprachtypen Sprach- und Sprachtypenwertung oder, wie von der Gabelentz vornehmlich sagt, „Sprachwürderung“ ist ein Anliegen der älteren Sprachwissenschaft, das Georg von der Gabelentz von Wilhelm von Humboldt, seinem großen Lehrmeister, übernommen hat. Für Humboldt standen Sprachen und die geistigen Anlagen und Ausprägungen der Völker, die sie sprechen, in einer Art von Wechselbeziehung zueinander, und so ist seine Wertung der einzelnen Sprachen auch immer mit einer Wertung der sie sprechenden Völker verbunden. Nur so ist es zu verstehen, dass zwei so unterschiedliche Sprachtypen wie der formenreiche indogermanische und der beinahe formenlose chinesische von Humboldt trotz seiner Hochschätzung formenreicher Sprachen beide zu den hochwertigen Sprachtypen gerechnet, viele der nach ihrem morphologischen Bau zwischen diesen beiden Extremen angesiedelten <?page no="243"?> Aus der Lektüre von „Die Sprachwissenschaft“ 221 Sprachtypen hingegen, wenn denn ihre Völker keine „Kulturvölker“, sondern sogenannte „wilde“ oder „halbwilde“ waren, durchaus niedriger eingestuft wurden. Die Abhängigkeit der Beurteilung des Wertes einer Sprache von der Einschätzung des kulturellen Status ihres Volkes scheint auch bei von der Gabelentz noch fortzubestehen, wie er denn mit Bezug auf das Englische mit seinem so weitgehenden Flexionsverlust (für den der Humboldtverehrer Steinthal diese Sprache tadelt, er selber aber, zusammen mit Jacob Grimm, sie preist) bekennt (Gabelentz: 1901, 393), er habe sie schon deshalb nicht für „verkommen“ ansehen können, weil sie „sich als Trägerin einer der herrlichsten Literaturen bewährt“ habe - und auch deshalb nicht, wie er suggeriert, weil „auf der Endstation dieser Entwicklung unter Anderen das Chinesische“ stehe. Von der Gabelentz ist in der Frage der Wertung der Sprachen allerdings zurückhaltender als Humboldt und vor allem als dessen ihn verschärfender Adept Steinthal. Wo jene Artunterschiede gesehen haben, will er nur Gradunterschiede gelten lassen, ja an einer Stelle (Gabelentz: 1901, 393) geht er sogar so weit, zu sagen, jede Sprache sei relativ vollkommen, und viele der einzelnen Sprachen oder Sprachstämmen vorgehaltenen Schwächen zerpflückt er durch entsprechende Beispiele aus angeseheneren Sprachen und Sprachstämmen. Aber tendenziell ist doch auffällig, dass er die von Humboldt und Steinthal so hoch geschätzten indo- und vor allem altindogermanischen Sprachen zugunsten des durch das Chinesische, offenbar seine Lieblingssprache, vertretenen Sprachtyps abwertet. Der chinesische Sprachtyp, der isolierende, schon von Humboldt relativ hoch bewertet, erfährt also bei ihm noch eine Aufwertung, und von dieser Aufwertung profitieren zugleich auch einige jener neuindogermanischen Sprachen, die, wie das Englische, diesem Typus zustreben. Etwas zu irritieren scheint ihn nur, dass dem von ihm so hoch eingeschätzten chinesischen Sprachtyp nicht nur Kultursprachen angehören (Gabelentz: 1901, 389). Seine leichte Abwertung des altindogermanischen Sprachtyps - den er übrigens, typologisch gesehen, statt flektierend lieber defektiv nennen möchte (wobei freilich das Wort ärger klingt, als es gemeint ist, da es nur in Analogie zu der Bezeichnung der Verben mit Formen aus mehreren Stämmen, wie z. B. dt. bin, ist, war oder engl. go, went gewählt ist) - zeigt sich auch in seinem Kapitel über den „Formungstrieb“ (Gabelentz: 1901, 360 ff.). Da ist z. B. in Bezug auf die verschiedenen Genera von „nutzlosem Gewächs“ (dass sie dies nicht unbedingt sind, zeigt übrigens ihr Potential zur Steigerung der Eindeutigkeit pronominaler Wiederaufnahme) und „zwecklose[m] Tand“ und mit Bezug auf die verschiedenen Konjugationen und Deklinationen <?page no="244"?> 222 Roland Harweg von „Luxus“ und von „Formverschwendung“ anstelle einer woanders herrschenden „verständige[n], zielbewusste[n] Ökonomie“ die Rede. Aber dann rechtfertigt er diese „Formverschwendung“ doch auch wieder, rechtfertigt sie, indem er sie auf einen künstlerischen Gestaltungstrieb zurückführt, denselben, der „nachmals die Wunderwerke europäischer und indischer Kunst geschaffen“. Und doch hebt er auch hier erneut das Chinesische hervor und glaubt, dass der Formungstrieb, den diese isolierende, also formenlose Sprache hervorgebracht habe, schwerlich schwächer gewesen sei als der unserer indogermanischen Urahnen. Nur habe er dort „andere Bahnen eingeschlagen und einen anderen Stoff bearbeitet“, nämlich „nicht das Wortbildungs- und Wortformungswesen, sondern die Syntax“. 5. Fremdwörter Fremdwörter, in großer Zahl aufgenommen, können auf die sie aufnehmende Sprache zwei entgegengesetzte und gegensätzlich gewertete Wirkungen ausüben: einerseits können sie die Sprache verunreinigen, andererseits können sie sie bereichern. Die Sprachen mögen, wie von der Gabelentz sagt (Gabelentz: 1901, 429), an Leistungsfähigkeit gewinnen, was sie an Eigenartigkeit einbüßen. Aber die Einbuße an Eigenartigkeit kann durch Aneignung abgemildert werden. All dies, Bereicherung, Verunreinigung und Abmilderung der Verunreinigung durch Aneignung, ist schlaglichtartig angesprochen, wenn von der Gabelentz sagt (Gabelentz: 1901, 428 f.): […] dieselbe Gabe und Neigung, vermöge deren heutzutage die Japaner im Sturme europäische Cultur erobern, hat sie seit Jahrhunderten verleitet, ihre schöne Sprache durch geborgte chinesische Flitter zu verunzieren. Indem ich diesen Ausdruck wähle, denke ich daran, wie fremdartig noch immer jene chinesischen Elemente in der japanischen Rede lassen, und wie anderer Art doch die Aneignungskraft der Engländer ist, die die zahllosen Fremdwörter ihrer Sprache rücksichtslos englisiert haben, als gälte die Importwaare erst, wenn sie mit britischer Emballage und Marke versehen ist. Eroberung - allerdings zu von der Gabelentzens Zeiten mehr Eroberung europäischer Kultur als europäischer Wörter - ist Bereicherung, Verunzierung ist Verunreinigung und „Englisierung“ ist Aneignung. Aber was die Aneignungskraft der Japaner und der Engländer betrifft, so scheint sie mir so unterschiedlich denn doch nicht zu sein. Zumindest die zahlreichen europäischen, und das heißt heute zumeist: englischen Fremdwörter des Japanischen (Fremdwörter, die allerdings zumeist erst in jüngerer Zeit übernommen worden sind) sind, auf Grund von Silbenstrukturunterschieden und Abkürzungen, nicht weniger stark verändert als die altfranzösischen im Englischen. Engländer vermögen viele dieser Wörter, wie z. B. das auf word <?page no="245"?> Aus der Lektüre von „Die Sprachwissenschaft“ 223 processor zurückgehende wāpuro, überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen, und lautlich klingen auch die sinojapanischen Wörter heute anders als ihre chinesischen Entsprechungen. 6. Psychologisches Subjekt Der vielleicht wirkungsmächtigste der von Georg von der Gabelentz geprägten Begriffe, ein Begriff, der, anders als seine Unterscheidung zwischen analytischer und synthetischer Grammatik und seine de Saussure vorgreifende Unterscheidung zwischen Rede, Einzelsprache und Sprachvermögen, bereits vor der Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts durch Eugenio Coseriu eingeleiteten und einige seiner Schüler weitergetriebenen Wiederbelebung der Gedanken von der Gabelentzens seine Wirkung ausgeübt hat, ist der des psychologischen Subjekts. Gewiss, ein Begriff wie der der Prager Schule anhaftende Begriff Thema (der allerdings, beiläufig, auch schon bei von der Gabelentz begegnet; Gabelentz: 1901, 373) mag, auch in jener Zeit, bekannter gewesen sein, unbekannt aber war der Begriff psychologisches Subjekt, auch damals, gleichwohl nicht. Die Etablierung eines psychologischen Subjekts, laut seinem sinologischen Schüler Wilhelm Grube angeregt durch sein Studium des Japanischen, war, vor dem Hintergrunde der jahrtausendealten Tradition der Lateingrammatik (die nur das grammatische und allenfalls, beim Passiv, ein logisches Subjekt kannte), eine zu von der Gabelentzens Zeit kühne Tat, implizierte sie doch nichts weniger als dass z. B. am Anfang eines Satzes stehende adverbiale Bestimmungen oder Objekte plötzlich als Subjekte zu gelten hatten. Im Falle von Sätzen, die mit einem Verbum des In-Erscheinung-Tretens oder Sinnfälligwerdens beginnen, also von Sätzen wie chines. Xià yŭ (von der Gabelentz schreibt hiá iü`) oder lat. Descendit pluvia ‚Es regnet‘, wörtlich ‚Es fällt Regen‘, aber scheint mir von der Gabelentz bei seiner Applikation des Begriffes psychologisches Subjekt (und des komplementären Begriffes psychologisches Prädikat) (Gabelentz: 1901, 372) doch zu weit gegangen und konterintuitiv verfahren zu sein. In solchen Sätzen, also Sätzen wie Es fällt Regen, will er nämlich das Verbum als psychologisches Subjekt und das Substantiv als psychologisches Prädikat interpretiert wissen. Meiner Ansicht nach aber bestehen solche Sätze, genauso wie der deutsche Satz Es regnet oder der lateinische Pluit, nur aus einem psychologischen Prädikat, lassen also, wie ich in meinem Aufsatz „Subjekt und Prädikat“ (in dem ich allerdings statt vom psychologischen von einem aussagentheoretischen Subjekt gesprochen habe) versucht habe genauer darzulegen, ein psychologisches Subjekt gänzlich vermissen. Von der <?page no="246"?> 224 Roland Harweg Gabelentzens Fehler liegt also in diesem Falle meines Erachtens darin, dass er geglaubt hat, jeder Satz müsse ein psychologisches Subjekt haben, dass er sich subjektlose Sätze, also auch Sätze ohne ein psychologisches Subjekt, gar nicht hat vorstellen können. 7. Ur- und Kindersprache Integriert in die Diskussion um das psychologische Subjekt und das psychologische Prädikat findet sich bei von der Gabelentz auch eine Bemerkung zur Ur- und zur Kindersprache (Gabelentz: 1901, 368). Er geht dabei, für die Ursprache, schon von zwei Redegliedern pro Satz aus, sagt aber, der Zusammenhang zwischen ihnen sei, wie noch heute in der Sprache der Kinder - wo der Ausdruck Papa Hut sowohl ‚des Vaters Hut‘ als auch ‚Der Vater hat den Hut aufgesetzt‘ bedeuten könne -, natürlich noch unbestimmt gewesen. In der Tat - so reden kleine Kinder, aber unbestimmt scheint der Ausdruck bei ihnen wohl nur zu sein, wenn man Betonung und Intonation außer acht lässt. Mit Betonung auf dem Glied Hut und vielleicht einer kleinen Pause zwischen den beiden Gliedern bedeutet er eher ‚Der Vater hat den Hut aufgesetzt (oder: einen Hut auf)‘, mit Betonung auf dem Gliede Papa und ohne Pause zwischen den beiden Gliedern aber eher ‚Papas Hut‘, wobei er aber trotzdem ein - wenn auch elliptischer - Satz sein und soviel wie ‚Das ist Papas Hut‘ bedeuten dürfte. Mit Bezug auf heutige Sprachen, die, und zwar in der Rede der Erwachsenen, solche Nebeneinanderstellungen zweier formloser Ausdrücke in ihrer Standardform zeigen, bringt von der Gabelentz genau diese beiden Argumente selber (Gabelentz: 1901, 450). Aber sollten sie tatsächlich nur für diese gelten? 8. „Falsche Congruenz“ Kongruenz, also die auf verschiedene Stellen des Satzes verteilte Mehrfachkennzeichnung bestimmter grammatischer Kategorien, ist eine formale Erscheinung, die sich in vielen Sprachen und besonders exzessiv in den afrikanischen Bantusprachen findet, denen sie, wie von der Gabelentz sagt (Gabelentz: 1901, 390), geradezu den Stempel aufgedrückt hat. In den altindogermanischen Sprachen und auch noch im heutigen Deutsch begegnet diese Erscheinung als Kasus-, Numerus- und Genuskongruenz zwischen Substantiv und attributivem Adjektiv (in den altindogermanischen Sprachen auch zwischen Substantiv und prädikativem Adjektiv) sowie als Personen- und Numeruskongruenz zwischen Subjektpronomen und finiten Verbalformen. <?page no="247"?> Aus der Lektüre von „Die Sprachwissenschaft“ 225 Über das Kongruenzszenario der deutschen Hochsprache nun gehen einige Mundarten des Deutschen (und ansatzweise, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch bestimmte Formen der Umgangssprache des Deutschen) in spektakulärer und einer den Grammatiker, und vor allem den historisch orientierten Grammatiker, geradezu verblüffen müssenden Weise hinaus, nämlich so, dass die Kongruenz der finiten Verbalformen auch Konjunktionen erfasst. Es zeugt für von der Gabelentzens Umsicht auch in diesem Bereich, dass er diese Erscheinungen, also Formen wie obst du hergehst oder dassen wir kommen, überhaupt bemerkt und notiert hat, aber wenn er sagt (Gabelentz: 1901, 214), mit derartigen Kongruenzen sei das Kongruenzbedürfnis auf Irrwege geraten, und von „falsche[r] Congruenz“ spricht, dann ist das bei einem Manne, der sich sonst betont deskriptiv und so ganz und gar nicht präskriptiv gibt, doch etwas verwunderlich, und eine Mundartgrammatik wie die Bairische Grammatik von Merkle betrachtet diese Erscheinung denn auch anstandslos als grammatisch. Beruht von der Gabelentzens Einschätzung darauf, dass er diese Erscheinung HISTORISCH für nicht gerechtfertigt hält? Aber ist denn, so wäre in diesem Falle zu fragen, diese Erweiterung des ererbten Kongruenzszenarios mit anderem Maß zu messen als der vielfach zu beobachtende Abbau desselben, ein Abbau, für den er z. B. das Englische lobt (Gabelentz: 1901, 390)? Und sprachTYPOLOGISCH dürfte von der Gabelentz ebenfalls nichts gegen die Konjunktionenkongruenz haben können, hat dies wahrscheinlich auch nicht, denn er verweist auf ähnliche Erscheinungen im Nama-Hottentottischen, im Koptischen und im Somali (Gabelentz: 1901, 214). 9. Betonung und Antithese In seinem Betonungskapitel sagt von der Gabelentz (Gabelentz: 1901, 374), jede nachdrückliche Betonung eines Redegliedes sei antithetisch, gleichviel ob ein bestimmter einzelner Gegensatz oder alles andere als das Betonte ausgeschlossen werden solle. Normalerweise spricht man, denke ich, nur im ersteren Falle von Antithese, aber soviel ist richtig: Kontrastivität liegt in beiden Fällen vor, und insofern ist es gut, sie zusammenzufassen. Aber in Begriffen der nach-gabelentzschen strukturalistischen Linguistik gesprochen, sind es grundverschiedene Formen von Kontrastivität. Ich selber habe, in meinem Aufsatz „Die textologische Rolle der Betonung“ von 1971, die erstere, die eigentlich antithetische, einmal als syntagmatisch kontrastive und die andere, diejenige, durch die „alles andere“ ausgeschlossen werden soll, als paradigmatisch kontrastive interpretiert und bezeichnet. <?page no="248"?> 226 Roland Harweg 10. Gebundene Rede Unter gebundener Rede versteht man normalerweise Rede in Versen. Von der Gabelentz jedoch versteht darunter etwas anderes, etwas Unbewussteres und weniger Künstliches, etwas Natur- und Urwüchsigeres. Aber gerade weil es sich dabei um etwas Natur- und Urwüchsiges handelt, ist es für den Sprachwissenschaftler und vielleicht auch für den Laien interessant. Beispiele, die von der Gabelentz bringt (Gabelentz: 1901, 225 ff.), sind unter anderm das rhythmisch gegliederte Aufsagen lateinischer Flexionsparadigmen durch Lateinschüler oder das in periodischem Wechsel ein- und ausatmende Abzählen langer Reihen von Personen oder Gegenständen. Auch vereinheitlichende Akzentverschiebungen, wie sie z. B. bei den wortbildungsmäßige Reihen bildenden Kasus- oder Tempusnamen zu beobachten sind, rechnet von der Gabelentz hierher. So z. B. werden die Kasusnamen, anders als z. B. ein Wort wie Partizip, und Tempusnamen wie Perfekt oder Imperfekt, anders als z. B. das Adjektiv perfekt, alle auf der ersten Silbe betont. 11. Lautsymbolisches Gefühl Lautsymbolisches Gefühl ist das Gefühl, dass Wörter und die Dinge, Handlungen, Vorgänge, Zustände oder Eigenschaften, die sie bezeichnen, auch lautlich etwas miteinander zu tun haben müssten. Es ist ein Gefühl, das seit Ferdinand de Saussure (der in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts die These aufgestellt hat, dass die Beziehung zwischen sprachlichen Zeichen und dem, was sie bezeichneten, arbiträr oder genauer: unmotiviert sei) unter Linguisten in Misskredit geraten ist, und auch Georg von der Gabelentz scheint, als Wissenschaftler, durchaus skeptisch in Bezug auf dieses Gefühl zu sein. Aber das Volk sei nun einmal tief von diesem Gefühl durchdrungen, und als normaler Sprachteilhaber könne er sich, „wider besseres Wissen“, wie er eingesteht (Gabelentz: 1901, 219), auch selber nicht von diesem Gefühle frei machen. Er führt ganze Reihen von Beispielen - Beispielen, in denen ähnliche Bedeutungen mit ähnlichen Lauten verbunden seien - an, und tatsächlich kann man sich der unterschwelligen Suggestivkraft dieser Reihen nicht leicht entziehen. Von der Gabelentz aber meint nun, dass man, als Sprachforscher, dieses naive Gefühl auch ernst nehmen sollte, und jemand, der dies, gegen den in der Sprachwissenschaft herrschenden Zeitgeist, in jüngster Zeit, mehr als hundert Jahre nach von der Gabelentzens Mahnung, versucht hat zu tun, ist, mit seinem 2008 erschienenen Buch The Iconic Roots of Language, der Bochumer Linguist und Semiotiker Walter A. Koch. <?page no="249"?> Aus der Lektüre von „Die Sprachwissenschaft“ 227 Literatur Gabelentz, Georg von der (1901), Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. Durchgesehener Nachdruck der 2. Auflage von 1901. Hrsg. und mit einem Vorwort versehen von G. Narr und U. Petersen sowie mit einem Aufsatz von E. Coseriu: „Georg von der Gabelentz et la linguistique synchronique“. Tübingen 1969; Wiederabdruck der deutschen Übersetzung (1972) in diesem Band. Grube, Wilhelm (1905), „Gabelentz, Georg von der“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, 50, Leipzig: Duncker & Humblot, 548-555. Harweg, Roland (1971), „Die textologische Rolle der Betonung“, in: Stempel, Wolf-Dieter (Hrsg.), Beiträge zur Textlinguistik, München: Fink, 123-159. Harweg, Roland (1971), „Subjekt und Prädikat“, Folia Linguistica, 5, 253-276. Koch, Walter A. (2008), The Iconic Roots of Language. Essays on the Non-Arbitrary Origins of Human Communication, Norderstedt: BoD (Books on Demand). Merkle, Ludwig (1993), Bairische Grammatik, 5. Aufl., München: Hugendubel (1. Aufl. 1975). <?page no="251"?> Sven Staffeldt, Würzburg Die Sprechakttheorie und Georg von der Gabelentz 1. Die Modernität der Alten Verschiedentlich ist in der Linguistik, vielleicht aber auch ganz allgemein, der Trend festzustellen, sich auf Werke älterer Autoren zurückzubesinnen. Manchmal werden die Alten als Gewährspersonen herangezogen, wenn es darum geht, den Ursprung einer bestimmten Richtung oder bestimmter Thesen festzulegen. Zwei Beispiele. Die Feministische Linguistik sieht ihren Ursprung in immer wieder zitierten Stellen aus dem Werk von Fritz Mauthner (insbesondere Mauthner: 3 1923, 56-61) und Otto Jespersen (insbesondere Jespersen: 1925, 220-238). 1 Und in der Phonetik/ Phonologie wird gelegentlich Sievers ( 5 1901) herangezogen, z. B. wenn es um die Erklärung des Merkmals der Gespanntheit geht (vgl. Chomsky/ Halle: 1968, 324 f.). Manchmal aber werden ältere Autoren auch regelrecht wiederentdeckt. Der Slogan, unter dem solche Wiederentdeckungen gefasst werden könnten, ist dann: „Das steht doch alles schon bei den Alten“. So spielt etwa Hermann Paul für die gegenwärtige Entwicklung der kognitiven Semantik eine herausragende Rolle, die Dirk Geeraerts so beschreibt: Paul’s usage-based model of semantic change fits seamless in any contemporary view on the dialectic relationship between semantics and pragmatics; and the regular patterns of metaphor and metonymy investigated in cognitive semantics may sometimes be found almost literally in the older literature. (Geeraerts: 2010, 277) Auch für die Sprechakttheorie gibt es solche Rückführungen. So steht natürlich Karl Bühler, eine der wichtigsten Gewährspersonen für die Pragmatik insgesamt, mit Bühler 1934 als ein Kandidat für eine solche Besinnung fest 1 Vgl. etwa Samel: 2 2000, 27. <?page no="252"?> 230 Sven Staffeldt (vgl. etwa Staffeldt: 2 2009, 131). Aber auch andere bieten sich an. Als Vorläufer der Sprechakttheorie identifiziert Cloeren (1988) etwa deutsche Sprachkritiker des 19. Jahrhunderts. Und Burkhardt findet gar bei dem Rechtsphilosophen Reinach (1921) eine die Sprechakttheorie vorwegnehmende Theorie der sozialen Akte: Zunächst soll jedoch die in ihren Umrissen skizzierte Geschichte der Sprechakttheorie um eine Position ergänzt werden, die wesentliche Aspekte der sprechakttheoretischen Betrachtung bereits vorwegnimmt und bisher fast völlig unbeachtet geblieben ist. Es handelt sich um die ‚Theorie der sozialen Akte‘ des Rechtsphilosophen und Husserl- Schülers Adolf Reinach, die - neben ihrer philologischen Bedeutung - geeignet ist, einige Probleme der Sprechakttheorie in neuem Lichte anzugehen. (Burkhardt: 1986, 10) In diesem Aufsatz soll mit Georg von der Gabelentz nicht noch ein weiterer Urahn der Sprechakttheorie vor J. L. Austin und J. R. Searle entdeckt werden. Dennoch ist es interessant zu erfahren, ob und inwieweit auch bei Gabelentz ( 2 1901) bereits sprechakttheoretische Anklänge zu vernehmen sind. Je mehr solcher Anklänge nämlich gefunden werden können, um so weniger klar kann von einer plötzlichen pragmatischen Wende gesprochen werden, die aus dem Nichts käme und radikal mit alten Positionen brechen würde. Es ist nämlich vielmehr so, dass pragmatische Ideen, Beschreibungen und auch Forderungen schon lange vorher in der Luft lagen und auch eine pragmatische Wende alles andere als aus dem Nichts heraus passiert. 2. Sprechakttheoretische Anklänge bei Georg von der Gabelentz 2.1. Das Sprachverständnis: Zweck der Sprache Gabelentz hat (wie auch Bühler) ein funktionales Verständnis von Sprache. Für ihn ist Sprache vornehmlich ein Mittel (wie auch Bühler sie als Organon modelliert). An mehreren Stellen nimmt Gabelentz eine ins Funktionale gehende Wesensbestimmung der Sprache vor. Neben der Bestimmung der Sprache als „unmittelbarster Ausfluss der Seele“ (Gabelentz: 2 1901, 39) oder als „Verständigungsmittel, Mittel des Gedankenverkehrs“ (ebd., 55) setzt er sie direkt und in der Hauptsache mit Gedanklichem in Beziehung: M e n s c h l i c h e S p r a c h e i s t d e r g e g l i e d e r t e A u s d r u c k d e s G e d a n k e n d u r c h L a u t e . (Gabelentz: 2 1901, 3) Sprache ist gegliederter Ausdruck des Gedankens, und Gedanke ist Verbindung von Begriffen. (Gabelentz: 2 1901, 81) In der Charakterisierung der Sprache als Mittel zum Ausdruck von Gedanken sieht Gabelentz dann auch den wesentlichen Zweck der Sprache: <?page no="253"?> Die Sprechakttheorie und Gabelentz 231 Der Zweck der Sprache ist der Ausdruck des Gedankens. Der Gedanke und seine Theile müssen mit einem ausreichenden Grade von Energie in’s Bewusstsein treten, um zum sprachlichen Ausdruck zu drängen. Energie heißt in diesem Falle soviel als Klarheit. Sich einen Gedanken klar machen heisst ihn zergliedern. Dem Ergebnisse dieser Zergliederung soll der sprachliche Ausdruck entsprechen, mithin muss er selbst gegliedert, d. h. articuliert sein. (Gabelentz: 2 1901, 6) 2 Gabelentz vertritt hier eine durchaus nicht ungewöhnliche Position zum Zusammenhang von Sprache und Denken: Das Denken geschieht vor dem Sprechen und das Sprechen gibt das Ergebnis des Denkens wieder. In der damaligen Zeit aber entwickeln sich in der Psychologie und in der Sprachwissenschaft alternative Positionen. Sowohl von Freud als auch von Saussure wird hier eine andere These vertreten. Für Freud ist die Koppelung von Objektvorstellungen (so Freud 1891, später in Freud 1915: Sachvorstellung) mit Wortvorstellungen die „Bedingung dafür, daß eine Vorstellung bewußt werden kann.“ (Staffeldt: 2004, 35) Und auch Saussure hält den Schauplatz des Denkens solange für ein unbestimmtes Feld der vagen Vorstellung, wie es nicht mit dem bestimmten Gebiet der Laute beherrscht wird: Das Denken, für sich allein genommen, ist wie eine Nebelwolke, in der nichts notwendigerweise begrenzt ist. Es gibt keine von vornherein feststehenden Vorstellungen, und nichts ist bestimmt, ehe die Sprache in Erscheinung tritt. (Saussure: 2 1967/ 1931, 133) Wenn der Prozess des Zergliederns des Gedankens, von dem Gabelentz spricht, ein Bewusstmachen erfordert, so wird hier dagegen eine Unabhängigkeit des bewussten Denkens von Sprache angenommen. Obwohl er damit eine eher traditionelle Sicht auf den Zusammenhang von Sprache und Denken hat, ist es ausgesprochen interessant, wie er das Verhältnis von dem, was er Gedanke (als „Verbindung von Begriffen“; Gabelentz: 2 1901, 81) nennt, zu sprachlichen Handlungen fasst: Der regelmäßige Zweck der Rede ist Mittheilung. […] Ein He! oder St! ist ein Befehl, ein Pfui! der völlig zureichende Ausdruck eines sittlichen oder ästhetischen Urtheils. (Gabelentz: 2 1901, 360) 2 Natürlich liegt hier eine metonymische Kürzung vor. Es ist nicht der Zweck der Sprache, Gedanken auszudrücken, sondern sie ist das Mittel für diesen Zweck. Aber solche Verkürzungen sind ja alles andere als unüblich. Jedenfalls stellt Gabelentz mit dieser Bestimmung den Werkzeug-Charakter der Sprache in den Vordergrund. Dass eine Analyse von Einzelsprachen auch Kulturanalysen sind, erklärt sich aus dem folgenden Rückschluss: Wenn die Sprache unmittelbarster Ausfluss der Seele und ihr Zweck eben in dem Ausdruck von Gedanken zu sehen ist, dann bringt die Untersuchung einer Einzelsprache natürlich auch die jeweiligen Denkgewohnheiten der Sprachgemeinschaft zum Vorschein. <?page no="254"?> 232 Sven Staffeldt Sprache ist Ausdruck des Gedankens. Dieser Ausdruck dient vorwiegend der Mittheilung im weiteren Sinne des Wortes; denn gleich der aussagenden Rede ist auch die fragende, befehlende, bittende eine Gedankenmittheilung. (Gabelentz: 2 1901, 451) Der klare, also zergliederte Gedanke ist bei weitem nicht nur bei der aussagenden Rede anzutreffen. Auch Befehle, Fragen und Bitten usw. dienen der Gedankenmitteilung. Dieser Umstand ist einer der Ausgangspunkte, wenn man anderen (etwa Studierenden) sprechakttheoretische Gegebenheiten näher zu bringen versucht. Es kann dann nämlich gezeigt werden, dass ein und derselbe Inhalt in verschiedenen Sprachhandlungen auftauchen kann. So verfährt etwa auch Searle, wenn er zeigt, dass die Proposition „Sam (=-Referenz) raucht gewohnheitsmäßig (=-Prädikation)“ als identischer Inhalt von verschiedenen Sprechhandlungen (Behauptung, Frage, Befehl usw.) auftauchen kann. Das ist ja gerade der Kern des Modells eines Sprechaktes: Ein Inhalt wird mit einem bestimmten Zweck geäußert. Dabei muss die Äußerung selbst nicht die Proposition enthalten, um als Sprachhandlung verstanden zu werden. Das zeigen die Beispiele von Gabelentz (etwa: Pfui! ). In sprechakttheoretischen Termini würde man sagen: Hier liegt der Vollzug eines illokutionären Aktes vor (Abgeben eines ästhetischen oder sittlichen Urteils) mittels eines bloßen Äußerungsaktes (Äußern einer Interjektion) ohne Vollzug eines propositionalen Aktes. Auch den Zusammenhang von Denken und Sprache sieht Gabelentz ähnlich wie Searle. Letzterer betrachtet die Sprache als abgeleitete Intentionalität. Alle Bedeutungshaftigkeit erhält die Sprache durch die Möglichkeit des Geistes, repräsentieren zu können. Nicht zuletzt sind sprachliche Handlungen bei Searle im Allgemeinen so aufgebaut wie auch intentionale Zustände. Lässt sich ein Sprechakt als F(p) 3 symbolisieren (F-=-Handlungsfunktion; p-=-Proposition), so kann die gleiche Struktur für intentionale Zustände angenommen werden: Z(r) 4 , wobei Z-=-psychischer Modus und r-=-Repräsentationsgehalt. Der Ausgangspunkt, das Sprachverständnis, scheint bei Gabelentz und der orthodoxen Sprechakttheorie Searle’scher Provenienz also gleich zu sein: Die Sprache ist Ausdruck des Gedankens. 3 Vgl. Searle: 7 1997, 51. 4 Vgl. Searle: 2 1996, 21. <?page no="255"?> Die Sprechakttheorie und Gabelentz 233 2.2. Psychologische Modalität: Handlungen, Zustände, Wirkungen In dem, was Gabelentz psychologische Modalität (im Gegensatz zur logischen) nennt, deuten sich mehrere Gemeinsamkeiten zur Sprechakttheorie an: Als psychologisch im engeren Sinne möchte ich diejenigen grammatischen Formungsmittel bezeichnen, in denen sich das seelische Verhältniss des Redenden zur Rede oder seine Absicht, auf den Angeredeten einzuwirken, kundgiebt. (Gabelentz: 2 1901, 95) … die Lehre von der psychologischen Modalität, das heißt von der Beziehung des Redenden zur Rede, ob er mittheilt, fragt, ausruft, befiehlt oder bittet, ob er mit Entschiedenheit oder mit bescheidener Zurückhaltung, vermuthend, fürchtend, hoffend, zweifelnd spricht. (Gabelentz: 2 1901, 103) Um es kurz zu machen: Mit dem, was Gabelentz psychologische Modalität nennt, erfasst er, sprechakttheoretisch vereinfachend gesprochen, in etwa die Illokution, den ausgedrückten intentionalen Zustand und die Perlokution eines Sprechaktes. 5 Hier ist die hauptsächliche Parallele von Gabelentzschen Konzeptionen zu sprechakttheoretischen Grundannahmen zu finden. Schauen wir uns also an, was Gabelentz zur psychologischen Modalität zu sagen hat. Gabelentz unterscheidet ausrufende Redeformen von mitteilenden i. w. S. Mitzuteilen sind, wie wir schon gesehen haben, Gedanken. Die mitteilenden Redeformen unterscheidet Gabelentz nun zunächst danach, welcher Art der mitzuteilende Gedanke ist: ein Urteil oder ein Wunsch. Wenn das Urteil ein vollständiges ist, spricht Gabelentz von einer Mitteilung i. e. S. Dies entspricht der Klasse der assertiven Sprechakte. Hier wird gesagt, wie es sich in der Welt verhält. Aufrichtigkeitsbedingung assertiver Sprechakte sind intentionale Zustände epistemischer Art (ein Glaube, eine Vermutung, eine Gewissheit, eine Annahme usw.). SprecherInnen legen sich mit Vollzug eines assertiven Aktes darauf fest, dass sie glauben, vermuten, wissen, annehmen usw., dass es sich so und so in der Welt verhält. Wenn das Urteil ein unvollständiges ist, spricht Gabelentz von einer Frage. Hier sieht er einen Überschneidungsbereich zum Wunsch als mitzuteilenden Gedanken. Denn der Fragende möchte mit echten Fragen ja, dass der Angesprochene antwortet. Es wird mit einer Frage seiner Ansicht nach also sowohl ein unvollständiges Urteil als auch ein Wunsch ausgedrückt. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich die sprechakttheoretische Einschätzung 5 Auf die Erläuterung sprechakttheoretischer Grundlagen wird hier verzichtet. Es sei an dieser Stelle auf zwei Lehrbücher verwiesen: Hindelang: 5 2010 und Staffeldt: 2 2009. <?page no="256"?> 234 Sven Staffeldt von Fragen. Searle sieht sie als direktive Sprechakte an, bei denen der Wunsch ausgedrückt wird, der Angesprochene möge den fehlenden Wissensinhalt beibringen. Dies sieht auch Gabelentz: „Also könnte es scheinen, als wäre die Frage nur eine Unterart des Befehls.“ (Gabelentz: 2 1901, 319) Wunderlich setzt für Fragen eine eigene Klasse an, die erotetische (vgl. Wunderlich: 1976, 77), deren Zweck er aber ganz ähnlich beschreibt (vgl. Wunderlich: 1976, 82 f.). Wenn der mitzuteilende Gedanke ein (nicht auf Wissensergänzung bezogener) Wunsch ist, spricht Gabelentz von einer gebietenden Redeform, worunter Befehle, Bitten und Verbote usw. fallen. Damit erfasst er die Klasse der direktiven Sprechakte. Sprecher bringen mit einem direktiven Sprechakt zum Ausdruck, dass sie den Wunsch haben, der Hörer möge dies oder jenes tun oder unterlassen. Gabelentz fasst die Unterscheidung seiner drei Typen der mitteilenden Redeformen mithilfe des folgenden Schaubildes zusammen: Abb. 1: Übersicht der mitteilenden Redeformen (Gabelentz: 2 1901, 320) Darüber hinaus sieht Gabelentz eine Funktion des Sprechens auch darin, sich auszusprechen: In solchen Stimmungen befindet sich der Mensch unter dem Einflusse mächtiger Erregungen, die nach Entladung drängen. […] Solche Reden nun nennen wir ausrufende. (Gabelentz: 2 1901, 319) Damit erfasst Gabelentz zum einen expressive Sprechakte, bei denen Sprecher emotionale Zustände zum Ausdruck bringen: Im Ausrufe äussert sich eine lebhafte Erregung, entweder nur die Art dieser Erregung oder […]. (Gabelentz: 2 1901, 323) Zum anderen aber auch andere Zustände, die von einer Erregung begleitet werden bzw. Grund für diese Erregung sind, etwa wieder ein Wunsch oder eine Tatsache. In der Entladung von Erregungszuständen sieht Gabelentz als eine psychologische Grundlage auch ein bedeutendes Motiv für die Ent- <?page no="257"?> Die Sprechakttheorie und Gabelentz 235 stehung von Sprache überhaupt: Freude, Angst, körperlicher oder seelischer Schmerz, Schreck, Erstaunen: sie alle drängen unmittelbar zu Stimmungsäusserungen. (Gabelentz: 2 1901, 312) 6 Somit sind bei Gabelentz also jedenfalls bereits die Klasse der assertiven, der direktiven und der expressiven Sprechakte zu erkennen. Aber auch das Problem, dass Sprechakte nicht immer direkt vollzogen werden, also das Problem der indirekten Sprechakte sieht er bereits: Endlich kleidet die Sprache oft ihre Gedanken in geborgte Gewänder. Die m i t t h e i l e n d e Redeform mag jetzt eine Frage enthalten: ‚Ich wüsste gern ob …‘, - jetzt mag sie einen Befehl, eine Bitte, ein Verbot in sich schliessen: ‚Du musst…, Du darfst nicht …, Du würdest mir einen Gefallen thun, wenn Du …‘ usw. Die fragende Form mag ein fertiges Urteil verhüllen. Es ist dies der Fall der rhetorischen Frage, die besagen will: ‚Gieb die Antwort nicht mir, sondern Dir, stelle Dir die Frage, so wirst Du urtheilen wie ich! ‘. Oder es mag eine Aufforderung in fragender Form ausgesprochen werden: ‚Wirst du gleich kommen? ! Wärest du wohl so freundlich …? ‘ Es scheint naturgemäss, dass auch der Ausruf gern die Form einer Frage annehme: ‚Wie schön ist das! ‘ […] Endlich kann der Ausruf jetzt eine thatsächliche Mittheilung bezwecken: ‚Ein schönes Bild! ‘, - jetzt eine Frage: ‚Wüsste ich doch …! ‘ - jetzt wohl auch eine Aufforderung: ‚Wenn du mir doch hülfest! ‘ (Gabelentz: 2 1901, 319 f.) Nicht nur die illokutionäre Seite ist bei Gabelentz in ihren Grundzügen angelegt, die perlokutionäre kommt ebenfalls zu ihrem Recht. Auch diese Seite gehört als „Absicht, auf den Angeredeten einzuwirken“ (Gabelentz: 2 1901, 95) bei Gabelentz zur psychologischen Modalität. Gabelentz sieht sehr deutlich, dass die vollständige Beschreibung der Sprache den Wirkungsaspekt mit umfassen muss: Der Redende will einen Gedanken, vielleicht auch eine Stimmung ausdrücken, er will im Hörer jedenfalls Verständniss, vielleicht auch eine gewisse Stimmung oder Willensneigung erregen. (Gabelentz: 2 1901, 319 f.) Unter „Verständniss“ kann zweierlei verstanden werden: Einerseits - und das würde „jedenfalls“ anzeigen - ginge es ganz generell um den illokutionären Effekt des Verstehens dessen, was der Sprecher vom Hörer will. Es kann aber auch - und das würde die Kontrastierung mit „Stimmung oder Willensneigung“ anzeigen - ein bestimmter kognitiver Effekt gemeint sein, der in Verbindung mit assertiven Sprechakten steht. Wenn dem so ist, dann hat Gabelentz hier die drei wesentlichen perlokutionären Klassen erfasst, nämlich die 6 Übrigens eine Theorie über den Ursprung der Sprache, die ähnlich auch schon von Rousseau vertreten wird: die sog. Interjektionstheorie. Vgl. Rousseau: 2 1996 [zuerst 1781]. <?page no="258"?> 236 Sven Staffeldt Klasse der epistemischen Perlokutionen (Verständnis) 7 , die der emotionalen (Stimmung) und die der motivationalen (Willensneigung). 8 3. Zusammenfassung Gabelentz hat einen funktionalen Zugang zur Sprache. Für ihn ist sie das Mittel zum Ausdruck von Gedanken. Diese Gedanken dürften in etwa dem entsprechen, was in der Sprechakttheorie die Propositionen sind. Sie sind nicht nur bei mitteilenden Redeformen anzunehmen, sondern auch bei gebietenden oder ausrufenden. Mit diesen drei Redeformen, die Gabelentz sowohl formal als auch inhaltlich beschreibt, erfasst er in etwa drei illokutionäre Klassen, wie sie auch im Bühler’schen Organonmodell angelegt sind und von der Sprechakttheorie beschrieben werden: Assertiva, Direktiva und Expressiva. Die einzelnen Redeformen beschreibt Gabelentz in ihrer Zwecksetzung aber nicht nur als Ausdruck von im Einzelnen genau zu bestimmenden Gedanken, sondern auch von ihrer Wirkungsseite her. Damit ist auch die perlokutionäre Seite mit erfasst. Was bei Gabelentz noch nicht angelegt ist, das ist - neben den fehlenden Klassen der deklarativen und der kommissiven Sprechakte - der für die Sprechakttheorie so grundlegende Zusammenhang vom regelhaften Sprechen. Es ist das große Verdienst von Austin ( 2 1998 [engl. 1962]), gezeigt zu haben, dass Sprechakte verunglücken können, und dasjenige von Searle, aus den Bedingungen des Gelingens von Sprechakten Regeln zu deren Beschreibung abzuleiten. Dies ist einer der Grundpfeiler der orthodoxen Sprechakttheorie, der bei Gabelentz noch nicht aufgestellt ist. Er hat aber bereits erkannt, dass Sprechen Handeln ist, dass es Sprechhandlungen verschiedenen Zwecks gibt und dass mit dem Sprechen innere Zustände ausgedrückt werden. Alles dies ist Gabelentz möglich, weil er die Saussure’sche Unterscheidung von langue (Einzelsprache) vs. parole (Rede) (vs. langage (Sprachvermögen)) vorwegnimmt: M e n s c h l i c h e S p r a c h e i s t d e r g e g l i e d e r t e A u s d r u c k d e s G e d a n k e n s d u r c h L a u t e . [Absatz] Es sei hier schon bemerkt, dass diese Definition ein Mehreres in sich fasst. Zunächst gilt die Sprache als Erscheinung, als jeweiliges Ausdrucksmit- 7 Dass Gabelentz unabhängig davon, ob „Verständnis“ einen epistemischen Effekt meint oder nicht, jedenfalls auch einen solchen postuliert, zeigt die folgende Stelle: Ich spreche meinen Gedanken aus und verlange, dass der Angeredete nun ebenso denke: ‚Glaube mir! ‘. Die entsprechende Form der Rede ist die mittheilende im engeren Sinne: ich theile dir meinen Gedanken mit, damit er hinfort auch Dein Gedanke werde. (Gabelentz: 2 1901, 318) 8 Vgl. zu der Klassifizierung der Perlokutionen Staffeldt: 2007, 97-135, 171 f., Staffeldt: 2 2009, 146-157 sowie Staffeldt: 2010. <?page no="259"?> Die Sprechakttheorie und Gabelentz 237 tel für den jeweiligen Gedanken, d. h. als R e d e . Zweitens gilt die Sprache als eine einheitliche Gesammtheit solcher Ausdrucksmittel für jeden beliebigen Gedanken. In diesem Sinne reden wir von der Sprache eines Volkes, einer Berufsklasse, eines Schriftstellers u. s. w. Sprache in diesem Sinne ist nicht sowohl die Gesammtheit aller Reden des Volkes, der Classe oder des Einzelnen, - als vielmehr die Gesammtheit derjenigen Fähigkeiten und Neigungen, welche die Form derjenigen sachlichen Vorstellungen, welche den Stoff der Rede bestimmen. Endlich, drittens, nennt man die Sprache, ebenso wie das Recht und die Religion, ein Gemeingut der Menschen. Gemeint ist damit das S p r a c h v e r m ö g e n, d. h. die allen Völkern innewohnende Gabe des Gedankenausdruckes durch Sprache. (Gabelentz: 2 1901, 3) 9 Diese Unterscheidung ermöglicht es ihm, Sprechen als Handeln begreifen zu können. Die Sprachwissenschaft untersucht die Rede, um etwas über den Auf bau der Einzelsprache sagen zu können, die sie dann in Form und Stoff (s. das Zitat oben) beschreibt. Nur so kann die Sprache als Ausdruck des Gedankens unter der Maßgabe erfasst werden, dass Gedanken immer auch etwas zu tun haben mit Zwecken der Rede. Und diese Zwecke sind es, die das Sprechen zur Handlung werden lassen. Literatur Austin, John Langshaw ( 2 1998 [engl. 1962]), Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with words). Dt. Bearb. v. Eike von Savigny. Stuttgart: Reclam. Bühler, Karl ( 3 1999 [zuerst 1934]), Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart: UTB/ Lucius&Lucius. Burkhardt, Armin (1986), Soziale Akte, Sprechakte und Textillokutionen. A. Reinachs Rechtsphilosophie und die moderne Linguistik. Tübingen: Niemeyer. (=-RGL, 69). 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Leipzig/ Wien: Deuticke. 9 Dass hier die Saussure’sche Unterscheidung von langue vs. parole (vs. langage) vorweggenommen wird, betont auch Coseriu in seinem Aufsatz „Georg von der Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft“, der seit der zweiten Auflage des Neudruckes von „Die Sprachwissenschaft“ dieser vorangestellt ist (vgl. Coseriu: 3 1984, [6]-[13]; hier: 7-14). <?page no="260"?> 238 Sven Staffeldt Freud, Sigmund (1915), „Das Unbewusste“, in: ders. (1999), Gesammelte Werke. Hrsg. v. Anna Freud und Willi Hofer. Bd. 10. Frankfurt a. M.: Fischer, 263-303. Gabelentz, Georg von der ( 2 1901), Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. Hrsg. v. G. Narr und U. Petersen. Reprografischer Nachdruck 1984. Tübingen: Narr. Geeraerts, Dirk (2010), Theories of Lexical Semantics. Oxford: Oxford University Press. Hindelang, Götz ( 5 2010), Einführung in die Sprechakttheorie. Sprechakte, Äußerungsformen, Sprechaktsequenzen. Berlin/ New York: de Gruyter. 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M.: Lang, 287-299. Wunderlich, Dieter (1976), Studien zur Sprechakttheorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. <?page no="261"?> Wilfried Kürschner, Vechta Georg von der Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ (1892) - Entstehung, Ziele, Arbeitsweise, Wirkung Von den Werken, die Georg von der Gabelentz (1840-1893) in Buchform veröffentlicht hat, gehört das hier vorzustellende Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen, erschienen ein Jahr nach der Sprachwissenschaft (1891) und ein Jahr vor seinem Tod, sicher zu den am wenigsten beachteten. Meines Wissens hat nur Bernhard Hurch eines der wenigen in Bibliotheken und Archiven noch greif baren Exemplare ausgewertet und darüber in einem Aufsatz berichtet (Hurch: 2009). Ich selber habe beim Linguistenkongress 2008 in Seoul einen Vortrag zum Thema gehalten, der in den Kongressakten auf Englisch publiziert ist (Kürschner: 2009) und auf den die vorliegende Fassung mit einigen Korrekturen und Aktualisierungen zurückgeht. 1 1.-Das Handbuch im Kontext 1.1.-Wortlisten Das Handbuch steht im Zusammenhang mit einer Sorte linguistischer Hilfsmittel, die Gabelentz „Collectaneen“ nennt. Dabei handelt es sich um Zusammenstellungen sprachlicher Materialien unterschiedlicher Art, die mehr oder weniger systematisch gesammelt wurden. 2 Ihre geschichtlichen Vorläufer sind 1 Ich möchte Manfred Ringmacher für viele wertvolle Hinweise danken, die er mir für die ursprüngliche Vortragsfassung und die hier vorliegende Überarbeitung gegeben hat. 2 Den „Collectaneen“ widmet Gabelentz in der Sprachwissenschaft innerhalb des Kapitels „Die einzelsprachliche Forschung“ einen eigenen Abschnitt mit folgenden Unterabschnitten (laut Inhaltsverzeichnis): „A. Anlegung und Führung der Collectaneen. Abwechselndes cursorisches Lesen. Form der Collectaneen; verschiedene Methoden“, „B. Prüfung und Ordnung der Collectaneen. Neue Sichtung, Umordnung“ (Gabelentz: 1891, 78-81, Gabelentz: 1901, 77-80). <?page no="262"?> 240 Wilfried Kürschner Wortlisten, auch Vokabularien genannt. Einige sind sehr berühmt geworden, etwa die Linguarum totius orbis vocabularia comparativa von Peter Simon Pallas (1741-1811), die 1786-89 in St. Petersburg veröffentlicht wurden. 3 Hierher gehört auch die Wortliste (1787) von Lorenzo Hervás (1735-1809), dem Verfasser des Catálogo de las lenguas de las naciones conocidas (1800-05). Des Weiteren ist Gabelentz’ Vater, Hans Conon von der Gabelentz (1807-1874), zu erwähnen, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine größere Zahl von Grammatiken verschiedener Sprachen veröffentlichte und sich dabei auf Kollektaneen stützte, die er selbst und andere zusammengestellt hatten (s. u.). 1.2. Die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches und ihre sprachlichen Implikationen Wie der Buchtitel (wiedergegeben im Anhang) anzeigt, war das Handbuch ein Auftragswerk, das Georg von der Gabelentz für die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes erstellte. Soweit ich weiß, gibt es keine Archivfunde, aus denen hervorginge, wie es zu dieser Beauftragung kam. Sie kann aber mit Sicherheit in den Zusammenhang der Bemühungen des Deutsches Reiches gestellt werden, sich als Kolonialmacht neben den anderen europäischen Staaten zu etablieren, die ihre Kolonialpolitik Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zuvor begonnen hatten: Portugal, Spanien, England, Frankreich, die Niederlande, sogar Belgien, Dänemark und Schweden, um nur die wichtigeren Staaten zu nennen. 4 Deutschland war zu der Zeit im Ganzen eine „verspätete Nation“, die in vielerlei Hinsicht hinter den fortgeschritteneren Staaten hinterherhinkte, auch was die Inbesitznahme von überseeischen Gebieten, von Protektoraten oder „Schutzgebieten“, wie sie genannt wurden, betraf. Es gab nur ein paar deutsche Kolonien, und zwar in Afrika: Deutsch-Südwestafrika (jetzt Namibia), die erste, im Jahr 1883 etablierte Kolonie, Deutsch-Ostafrika (erworben im Jahre 1884, jetzt Tansania, Ruanda und Burundi), Kamerun und Togo (jetzt Teile von Ghana und Togo - beide 1884/ 85 erworben); in Asien: die Kiautschou-Bucht (China, erworben 1898); schließlich in der Südsee: Deutsch-Neuguinea (erworben 1885), bestehend 3 Sie gehen laut Hurch (2009/ dt., Anm. 7) „zumindest zum Teil“ auf den „Bacmeisterschen Fragebogen zur Sammlung von Sprachproben aus dem Jahre 1773“ (Bacmeister: 1773) zurück. Manfred Ringmacher vermerkt dazu: Nach der Einschätzung von Friedrich Adelung war Bacmeister (1730-1806) „der Erste[,] der die Ausführung der großen Idee einer allgemeinen Zusammenstellung aller Sprachen des Erdbodens auf eine wohlüberdachte Art unternahm“ (Adelung: 1815, 24); seine Materialien seien „schon von Pallas sehr häufig für das große Vergleichende Wörterbuch benutzt“ worden (ebd. 32). 4 Vgl. z. B. Pelizaeus, spez. „Die kolonialen Gesellschaften und die Sprachen“ (Pelizaeus: 2008, 164-166); Conrad: 2008; populärwissenschaftliche Auf bereitung: Knopp: 2010. <?page no="263"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 241 aus dem Kaiser-Wilhelms-Land und dem Bismarck-Archipel, der Bougainville-Insel, den nördlichen Salomon-Inseln, den Marshallinseln (erworben 1885), den Karolineninseln, den nördlichen Marianen und Palau sowie Deutsch-Samoa (alle im Jahre 1899 erworben). Die Verwaltung all dieser Kolonien war Aufgabe des Auswärtigen Amtes und wurde durch deutsche Militär- und Zivilbeamte erledigt. Wie man sich denken kann, sprachen diese Beamten nicht die Sprachen der besetzten Länder, in denen eine Vielzahl von Stammessprachen einschließlich Dialekte gesprochen wurden. Das Interesse an diesen Sprachen bestand dort sicher erst einmal ganz pragmatisch darin, sie mehr oder weniger rudimentär als Mittel kennenzulernen, mit dem ein kommunikativer Kontakt mit der indigenen Bevölkerung aufgebaut werden konnte. Außerdem existierte ein ebenfalls praktisch ausgerichtetes Interesse an Sprachen, das auf die Bemühungen der christlichen Mission zurückging. Missionare waren bestrebt, Eingeborene nicht nur in den deutschen Kolonien, sondern auch an vielen anderen Stellen in der Welt zum Christentum zu bekehren. Dazu war es nötig, die Bibel und katechetische Literatur wie Gebetsbücher und Gesangbücher zu übersetzen und die Fähigkeit zu erwerben, mit Menschen in ihrer eigenen Sprache zu sprechen und zu ihnen zu predigen. 5 Daneben gab es auf Seiten der Sprachwissenschaft ein großes Interesse an der riesigen Menge menschlicher Sprachen, die auf dieser Welt gesprochen werden. Dieses wurde noch durch die Suche nach „Weltsichten“, die diese Sprachen in sich tragen sollen, befördert, ein Gedanke, der auf Wilhelm von Humboldt zurückgeht. Auch die übrigen Wissenschaften waren an der Vermehrung ihrer Kenntnisse interessiert. Um die Untersuchungen der in diesen Angelegenheiten Reisenden anzuleiten und zu unterstützen, gab es ein besonderes Handbuch mit dem Titel Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, herausgegeben von Georg (von) Neumayer (1826-1909), das 1875 erstmalig, dann 1888/ 1891 in zwei Bänden in der 2., „völlig umgearbeiteten und vermehrten Auflage“ und schließlich 1906 in der 3., nochmals „völlig umgearbeiteten und vermehrten Auflage“ erschien. 6 Die erste und die zweite Auflage (1875, 1891) enthielt in der Rubrik „Linguistik“ einen praxisbezogenen Artikel von H.- Steinthal (1823-1899); 5 Zur Erforschung dieser Art von linguistischen Bemühungen hat sich eine „Missionarslinguistik“ etabliert mit einem organisatorischen Zentrum in den „International Conferences on Missionary Linguistics“ seit 2003 (die Aktenbände, bisher 5, wurden von Otto Zwartjes herausgegeben). Vgl. auch Zwartjes: 2009, Hovdhaugen: 1996 und Breitenbach: 2004 - vor allem zur chinesischen Grammatik des spanischen Dominikaners Francisco Varo (1627-1687). 6 Die in den einzelnen Beiträgen angesprochenen Wissens- und Wissenschaftsgebiete sind den im Literatuverzeichnis aufgeführten Untertiteln zu entnehmen. <?page no="264"?> 242 Wilfried Kürschner in der dritten Auflage stammte der entsprechende Beitrag von Carl Meinhof (1857-1944). 7 Die drei oben erwähnten Gruppen, „unsere Kolonialbeamten, Missionare und Forschungsreisenden“, spricht Gabelentz in der „Einleitung“ des Handbuchs an und zusätzlich auch alle anderen, die, „während sie in fernen Landen weilen, Zeit und Lust haben, die Sprachenkunde zu fördern“ (1892, 1). Das könnte das Bild eines wohlbetuchten Reisenden hervorrufen mit genug Zeit und Muße, sprachliche Daten zu sammeln, geradeso wie andere Pflanzen suchen oder Schmetterlinge jagen. Gabelentz setzt solchen Reisenden „Sprachforscher vom Fach“ entgegen, die selten in die Lage kommen, „an Ort und Stelle Materialien sammeln zu können“ (ebd.). Sie sind daher auf die Hilfe der genannten Reisenden angewiesen, die, „wenn sie einmal ans Werk gehen, leicht Lust und Verständnis für die Sache“ gewinnen und erleben, „dass auch das Sammeln von Wörtern, Sätzen und allerlei Texten zur Passion werden kann“ (ebd.). Das Handbuch richtet sich also an diese „fachfremden“ Exploratoren mit folgendem Ziel: 7 Meinhof: 1906 motiviert die „Aufnahme fremder Sprachen“ folgendermaßen: „Abgesehen von dem praktischen Nutzen, den der Reisende ja selbst sofort genießt, gewährt die Sprachkenntnis besonderes Interesse, weil sie dem Forscher ermöglicht, nicht nur die physische Beschaffenheit der Eingebornen zu studieren, sondern auch einen Blick in ihre Geisteswelt zu tun und so das interessanteste Forschungsobjekt, das es gibt, den Menschen, gründlich kennen zu lernen“ (ebd. 438-439). Bei Steinthal: 1875/ 1891 steht der Zweck der Materialsammlung im Vordergrund. Sein Artikel beginnt mit folgenden Sätzen: „Der Reisende vergesse niemals die Hauptregel, dass seine Aufgabe für die Reise nur ist: Material zu sammeln, das später in Musse von ihm selbst oder von Anderen wissenschaftlich bearbeitet werden soll. Er hat Thatsachen zu beobachten und darzustellen“ (Steinthal: 1875, 551 bzw. 1891, 258). Den sprachwissenschaftlichen Laien ermuntert er wie folgt: „Der Reisende glaube nur nicht, dass er sich, ohne Sprachforscher zu sein, nicht um Erforschung von Sprachen kümmern könne. Abgesehen davon, dass jede Bildung auf Grammatik beruht, dass zumal unsere Gymnasialbildung einen wesentlich philologischen Zuschnitt trägt, ist für die Linguistik, wie sie heute liegt und noch nothwendig lange liegen wird, jeder Beitrag willkommen“ (ebd.). - Gabelentz nimmt im Handbuch keinen Bezug auf den bereits 17 Jahre und nochmals ein Jahr zuvor erschienenen Artikel von Steinthal. Meinhof (1906, 460) kennt das Handbuch und empfiehlt es mit folgenden Worten: „Eine gute Anleitung für die Vokabularien ist ein gedrucktes Wörterverzeichnis, wie es v. d. - Gabelentz herausgegeben hat […]. Der Gebrauch dieses Hilfsmittels erleichtert die Arbeit sehr. Doch versäume man nicht, die Pluralformen und andere Bildungselemente der Vokabeln hinzuzufügen, wenn dies für die betr. Sprache nötig ist. Natürlich darf man sich nicht darauf versteifen, alles von den Leuten zu erfragen, was bei Gabelentz aufgeführt ist, z. B. ‚Brotfrucht‘ bei einem Volk, das die Brotfrucht nicht kennt.“ <?page no="265"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 243 Dies Sammeln soll ihnen erleichtert, und der Wissenschaft sollen brauchbare, zuverlässige, dabei durch eine gewisse Uniformität übersichtliche Arbeiten zugeführt werden. […] Allein Sprachen aufzeichnen ist für den Unvorbereiteten immer erst mühsam; und wer es für leicht hält, der macht es leicht falsch. Einige Fingerzeige für die Methode des Abfragens, Beobachtens und Aufzeichnens werden also willkommen sein. (Ebd.) 2. Inhalt und Aufbau des Handbuchs Zunächst ein paar Bemerkungen zur Beschaffenheit des Buches. Es hat Querformat mit einer Länge von 17,5 Zentimetern und einer Höhe von 11,5 Zentimetern. Es ist in „Molesquin“ (Moleskin, Englischleder), einem aufgerauten Baumwollgewebe, gebunden und enthält an einer Seite eine Bleistiftschlaufe. Die Zahl der Seiten beträgt 272 (die Seiten 199-272 sind liniert) und zusätzlich 15 römisch nummerierte Seiten am Anfang mit einer alphabetischen Liste der im Handbuch als Hauptstichwörter aufgeführten (deutschen) Wörter mit Verweis auf ihre Stelle im Wörterbuch. Das Buch ist knapp anderthalb Zentimeter dick und kann daher leicht in der Ausrüstung des Reisenden Platz finden. 2.1. Besonderheiten der Untersuchung Gabelentz’ Interesse beschränkt sich im Handbuch auf die in den Kolonien des Deutschen Reiches gesprochenen Sprachen, die er für „nicht […] besonders schwierige Sprachen“ hält, „soviel sich bisher beurtheilen und vermuthen lässt“ (1892, 1). Gabelentz möchte den Reisenden, wie gesagt, mit einigen praktischen Hinweisen zum Vorgehen bei der Datenerhebung ausrüsten, die sich in der Hauptsache auf die Erhebung von Wörtern mit ihren lautlichen Details bezieht. Dabei könne es zu allerlei Besonderheiten und Schwierigkeiten kommen. Zuerst aber geht Gabelentz auf die Explorationssituation allgemein ein: Wilden wird es oft schwer, zu begreifen, wozu der Sprachforscher sie mit seinen Fragen quält, denn zur Qual wird es ihnen leicht, ihre Gedanken halbe und ganze Stunden lang auf Dinge, die ausserhalb ihres Interessenkreises liegen, zu festigen. Man muss sie also bei Laune erhalten und nicht zu sehr ermüden; sonst kann es geschehen, dass sie sich durch verkehrte Antworten rächen. (1892, 3) Er fährt fort: „Aber auch beim besten Willen können verkehrte Antworten vorkommen.“ Ein Beispiel: Man stelle sich vor, dass man von dem Informanten sein Äquivalent des Wortes Hand erkunden möchte und ihm deshalb die Hand entgegenstreckt. Nun könnte es passieren, dass seine Antwort nicht das Wort Hand im Allgemeinen, sondern deine Hand bedeutet, da der „Gewährs- <?page no="266"?> 244 Wilfried Kürschner mann“ ,Hand‘ nicht in abstracto denken könne. Umgekehrt könnte er auch Handfläche, Handrücken, ausgestreckte Hand oder Die ist weiß antworten.-- Am Anfang der gerade zitierten Passage nennt Gabelentz die eingeborenen Menschen „Wilde“; eine Seite später vergleicht er die Informanten mit „Kindern“ (1892, 4). Sie sprächen „rohe Sprachen“ (ebd.), ihnen fehle es oft an Wörtern für allgemeine Begriffe wie ,Bruder‘, sie könnten nur den älteren Bruder oder den jüngeren Bruder, das heißt „nur Namen der Arten, aber keinen Namen der Gattung“ nennen. Dies sollte, glaube ich, nicht überbewertet werden, sondern steht in Übereinstimmung mit europäischem Denken und Sprechen von eingeborenen Menschen an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert. 8 Einen Beleg dafür bietet Gabelentz’ Mahnung an den Datensammler: Sonst aber halte man sich an den Satz, dass jeder Wilde seine Muttersprache richtig spricht [Hervorhebung im Original], jedenfalls in der Regel richtiger als ein Europäer. Wo uns also etwas fehlerhaft vorkommt, da wird wahrscheinlich der Fehler in unserm Verständnisse liegen. Die Leute denken eben anders als wir, und durch ihre Sprache wollen wir erfahren, wie sie denken. (1892, 5) 2.2. Aufbau und Inhalt des „Wörterbuchs“ Die „Wörterbuch“ genannten Datenblätter und ihre Anordnung gehen, wie Gabelentz zu Beginn der Einleitung vermerkt, auf ein „Wörterbuch zur Vergleichung der melanesischen und papuanischen Sprachen“ in einem früheren Werk von ihm selbst und Adolf Bernhard Meyer zurück: Beiträge zur Kenntniss der melanesischen, mikronesischen und papuanischen Sprachen, erschienen im Jahr 1882, das heißt zehn Jahre vor der Publikation des Handbuchs. 9 8 Hurch verweist allerdings darauf, dass der Begriff ,rohe Sprachen‘ „zwar ein von Humboldt gerne und oft verwendeter“ ist, „doch sollte sein Gebrauch am Ende des Jahrhunderts nicht mehr ohne besonderen Hinweis vonstatten gehen. Bedenklicher ist zum Beispiel die mehrmalige Rede von den ,Wilden‘, ein Terminus, der bei Zeitgenossen in der Wissenschaft nicht mehr üblich war. Die Kolonien als ,Schutzgebiete‘ zu bezeichnen, fällt in Jahren, in denen in allen Weltteilen Unabhängigkeitskriege stattfanden, bestenfalls unter Euphemismus“ (Hurch: 2009/ dt., Anm. 4). - Zur „(angeblichen) Rohheit der Sprachen“ äußert sich Gabelentz in der Sprachwissenschaft (1891, 365, - 378 im Kapitel „Sprachwürderung“; 1901, 381, 396). 9 Auf die Arbeit von 1882 beziehen sich wohl die folgenden Ausführungen in den Vorbemerkungen des Handbuchs: „Die Melanesier und Papuas wollen vollends vorsichtig behandelt sein. Denn sie sind nur zu geneigt, jeden Sprachfehler eines weissen Mannes nachzumachen und wirklich in ihre Sprache aufzunehmen. Alles, was ihre Unbefangenheit beeinträchtigen könnte, muss man also sorgsam vermeiden, sie scharf belauschen und ihre Redeweise genau nachahmen, nicht ohne Noth vorzeitig radebrechen. Je unberührter von Fremden bisher diese Stämme waren, desto reiner werden ihre Sprachen sein.“ (1892, 4) <?page no="267"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 245 Wie aus dem Untertitel hervorgeht, bezieht sich diese Arbeit auf ein Werk von Georg von der Gabelentz’ Vater: 10 Sie ist „ein erster Nachtrag zu Hans Conon’s von der Gabelentz Werke ,Die melanesischen Sprachen‘“ aus dem Jahre 1861. 11 In dem etwa 90 Seiten umfassenden „Wörterbuch zur Sprachenvergleichung“ werden zur Vorbereitung komparatistischer Untersuchungen Wörter aus gut 70 „Sprachen und Dialekten“ des genannten Raumes (1882, - 391) zusammengestellt, die aus Hans Conons Werk von 1861 und weiteren zwischenzeitlich erschienenen Arbeiten stammen. Das Wörterbuch ist „enzyklopädisch“ (ebd.), „nach Gegenständen, nicht alphabetisch“ (1892, - 2) geordnet, wobei die „Gegenstände“ durch Wörter des Deutschen bezeichnet werden. Ein summarischer Vergleich der beiden Fassungen des „Wörterbuchs“ ergibt, dass die zweite Fassung, die des Handbuchs, gegenüber der ersten in einigen Punkten erweitert ist. So wird etwa beim Stichwort Nr. - 43 „Gott“ im Handbuch hinzugesetzt: „(Götter, Götzenbilder, Fetische)“ oder bei Nr. - 48 „Mond“ weiter spezifiziert: „Vollmond - zunehmender M. - abnehmender M. - Neumond“. Aber auch das Umgekehrte kommt vor: Nr. - 697: 1882 „Anzünden, erleuchten“, 1892 nur „Anzünden“. Nähere Einzelheiten über die Erstellung des Wörterbuchs enthalten weder das Handbuch (1892) noch die Beiträge (1882) 12 . - Ein etwas weniger umfangreiches „Schema für ein solches Wörterbuch, dessen Bequemlichkeit ich erprobt habe“, ist übri- 10 Über Georg von der Gabelentz’ Verhältnis zu seinem Vater, insbesondere seine Einschätzung von dessen wissenschaftlichem Werk kann man jetzt in dem Porträt „Hans Conon von der Gabelentz als Sprachforscher“ Erhellendes erfahren. Es ist Teil eines Notizbuches mit Eintragungen aus dem Jahr 1879 (und vielleicht später), das Manfred Ringmacher herausgegeben und kommentiert hat (Gabelentz: 2011, - 347-394, hier - 370-382). 11 Es steht erfreulicherweise im Internet in digitalisierter Form als PDF-Datei zum Herunterladen bereit. In diesem Band der „Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften“ ist auch Hans Conon von der Gabelentz’ Arbeit „Über das Passivum“ enthalten. 12 In deren Bezugswerk, den Melanesischen Sprachen (1861), ist jedenfalls kein direkter Vorgänger zu finden, es gibt lediglich Wortlisten, die für die einzelnen behandelten Sprachen zwar gewisse Muster aufweisen, aber nicht einheitlich angelegt sind. Die als erste aufgeführte für „28 Sprachen melanesischer und Papua Volksstämme“ besteht aus folgenden Wörtern: Sonne - Mond - Erde - Wasser - Feuer - Mensch - Auge - Kopf - Haar - Nase - Mund - Zahn - Hand - Fuß - ein - zwei - drei - vier - fünf - sechs - sieben - acht - neun - zehn (1861, 4-8). Für die im Anschluss behandelten Sprachen werden Substantive nach folgenden Sachgruppen geordnet angeführt (hier am Beispiel der Sprache der Insel Erromango, heute zu Vanuatu): Himmel, Zeit - Erde - Mensch - Tier - Pflanze - Wohnung, Geräte usw., die darauf folgenden Adjektive und Verben werden alphabetisch nach der Herkunftssprache aufgelistet (1861, 126- 128). <?page no="268"?> 246 Wilfried Kürschner gens in der Sprachwissenschaft im Abschnitt „Collectaneen zum Verwandtschaftsnachweise“ zu finden (1891, 177-178, 1901, 166-167). 13 Die Liste im Handbuch besteht aus Einzelwörtern, manchmal Wortfügungen. Sie sind nach dem Wortartenschema der traditionellen Grammatik angeordnet, gegebenenfalls mit Untergruppen, die ihrerseits den traditionellen Unterteilungen folgen. Die Wörter, deren Äquivalente zu erfragen sind, stehen jeweils nummeriert am Anfang einer linierten Zeile. Zwischen den einzelnen Zeilen mit Worteinträgen sind oft eine oder mehrere bloß linierte Zeilen oder ganze Seiten davon eingefügt. Diese typographische Anordnung soll den Sammler ermutigen, an mehr und andere verwandte Begriffe zu denken oder, realistischer gesagt, an deutsche Wörter zu denken und das indigene Gegenstück herauszufragen. Die Anordnung der Wortarten allerdings ist nicht die traditionelle, sondern beginnt mit den Pronomina, wobei die Personalpronomina am Anfang stehen. Wie dem Anhang unten zu entnehmen ist, in dem die von Gabelentz benutzten Kategorien jeweils zusammen mit einigen Beispielen aufgeführt sind, bereitet Gabelentz den Sammler darauf vor, auch nach Begriffen zu fragen, die im deutschen Wortschatz nicht vorkommen: Wir haben keine Wörter für ,wir zwei, wir drei‘ und schon gar nicht für ,wir zwei: ich und du‘ im Gegensatz zu ,wir zwei: ich und er‘ usw. Den Pronomina folgen konkrete und abstrakte Substantive, die nach der Art eines Thesaurus, eines Begriffswörterbuchs, angeordnet sind. Das heißt, Wörter werden nach ihren Bedeutungszusammenhängen in Wortfeldern und Wortfamilien, wie wir heute sagen würden, angeordnet. Die Substantivliste fängt mit Wörtern an, die mit Gott und dem Himmel 14 zu tun haben, und sie hört, wie viele andere solche Listen, auf mit der Verlegenheitskategorie „Allgemeines“. Einige der Anordnungen sind ziemlich überraschend. Man 13 Dort stellt Gabelentz fest: „Das Schema ist gewiss noch sehr verbesserungsfähig und erspart natürlich das Hin- und Herblättern nicht ganz, verringert es aber doch. Andere Gruppirungen sind ja wohl denkbar und können sich unter Umständen bewähren, z. B. Auge, sehen, blind; Sonne, Tag, hell, leuchten. Allein erstens können die Verbindungen von einem Punkte aus nach sehr verschiedenen Seiten verlaufen; und zweitens wären solche aus allen Redetheilen [= Wortarten] zusammengestellte Gruppen kaum zu einem übersichtlichen Ganzen zu vereinigen.“ 14 Sie stimmt insoweit mit der von Pallas überein, vgl. Adelung (1815, 73). Auch die meisten der für die Einzelsprachen in H. - C. von der Gabelentz’ Werk von 1861 aufgeführten Listen beginnen mit dem Begriff „Himmel“. Dieser steht auch am Anfang von Steinthals Liste, die übrigens nicht nach Wortarten, sondern nach Wortfeldern geordnet ist (1875, 560; 1891, - 271- 278). Meinhof hat keine Wortliste; er empfiehlt, „zunächst nach Tieren, Körperteilen und einfachsten Verwandtschaftsnamen zu fragen“ (1906, 446). <?page no="269"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 247 betrachte etwa die Nummern 271 bis 275 (im Anhang): Die Wörter Geist, Schatten, Name, Stimme und Wort stehen am Ende der Kategorie „Sonstige Körpertheile, Ausscheidungen“. 15 Die Anordnung der Adjektive beginnt mit der Kategorie „Gross u. s. w.“ und endet mit „Allgemeines“ wie bei den Substantiven. Adverbien werden nach den traditionellen Untergruppen der Zeit- und Ortsadverbien usw. untergliedert. Konjunktionen und Präpositionen zeigen kein bekanntes Muster. Bei Verben kommt die Methode der Begriffsanordnung deutlich an ihre Grenzen. Beginnend mit Verba Dicendi, die aus dem Lateinischen und anderen Grammatiken bekannt sind, gelangt die Liste rasch zur Kategorie „Andere Verba (alphabetisch geordnet)“ von abreißen bis ziehen. Gabelentz’ Interesse an diesen Listen konzentriert sich deutlich auf den lexikalischen Aspekt. Die Grammatik wird nicht völlig vernachlässigt, obwohl es z. B. im Zusammenhang mit Possessivpronomina keinen Hinweis darauf gibt, Daten darüber zu ermitteln, wie der Begriff ,Besitz‘ jenseits traditioneller Wortartengrenzen in der betrachteten Sprache grammatikalisiert ist. Vorgesehen ist dies möglicherweise beim Verb, wo unter Nr. - 726 zu lesen ist: „Haben (Wie wird das ausgedrückt? Beispiele: ) ___“, 16 sowie bei den Präpositionen, wo erstaunlicherweise Kasuskategorien erscheinen, und zwar unter Nr. - 532b „Dativ“ und unter Nr. - 538b „Genitiv“ 17 . Was Substantive angeht, wird die Markierung von ,Plural‘ oder vergleichbaren Kategorien nicht in den Listen selber berücksichtigt, sondern im Abschnitt „Anweisung zum Gebrauch des Wörterbuchs“ (1892. 19-20). Dort fordert Gabelentz den Untersuchenden auf, die Pluralformen, falls vorhanden, zu ergänzen. Dassel- 15 So auch in der Liste von 1882, in der die Kategorienbezeichnung allerdings den Zusatz „etc.“ hat (1882, - 434). In der vorangehenden Kategorie „Hals, Rumpf etc./ u. s. w.“ sind auffällige Unterschiede zwischen den Fassungen von 1882 und 1892 festzustellen, und zwar im Sinne von Ausdiffenzierungen im Bereich einiger „heikler“ Begriffe: 1882: Nr. - 234, 236-237 nur „Gesäss, Penis, Hoden, Vagina“ (1882, 434), 1892: Nr.-234 „Gesäss - Hinterbacken - After (Loch)“, Nr. - 236 „Penis - Harnröhre - glans“, Nr. - 237 „Hoden - Hodensack“, Nr. - 238 „Weibliche Scham - Schamlippen - Mutterscheide - clitoris - mons Veneris - Schamleiste“; im alphabetischen Register hat sich 1892 noch der Eintrag „Vagina 238“ gehalten, obwohl das Stichwort in „Weibliche Scham“ geändert ist. Dazu passen auch im Bereich der Verben in der Kategorie „Leben, Körperfunctionen“ die Ergänzungen unter Nr. - 620: 1882: „Speien“ (473), 1892: Nr. - 620 „Speien“, 620b „Seine Nothdurft verrichten“, 620c „Pissen“, 620d „Menstruiren“ (Nr. - 620a existiert nicht). 16 In der Liste 1882 noch ohne diesen Zusatz (484); „Haben“ erscheint dort unter Nr. - 727, was damit zu erklären ist, dass unter Nr. - 721 alphabetisch der Eintrag „Gäten, ausreissen“ steht, der 1892 mit der Schreibung „Jäten“ unter Nr. - 734 eingeordnet ist. Dies hat zu einer Umnummerierung geführt (die im alphabetischen Register korrekt berücksichtigt ist). 17 Beides nicht in der Liste 1882. <?page no="270"?> 248 Wilfried Kürschner be trifft auf unterschiedliche Verbformen zu - der Untersuchende wird gebeten, sie zu sammeln oder durch Beispiele (Sätze) zu zeigen, dass Verben in der untersuchten Sprache unveränderlich sind. 18 Zu den Adjektiven: Auch bei den Adjektiven sollte man oft Verbindungen mit Substantiven anführen: „Der weisse Stein, drei hohe Bäume, der Stein ist weiss, die Bäume sind hoch“ u. s. w. (1892, 20) Zu den Hilfswörtern: Die Bedeutung der Hülfswörter (Prä- und Postpositionen, etwaiger Genitiv- oder Objektspartikeln, Konjunktionen) muss nothwendigerweise durch Beispiele erläutert werden; denn die entsprechenden deutschen Wörter sind mehrentheils viel zu unbestimmt. Füllt hier der Sammler den ihm gelassenen freien Raum fleissig aus, so arbeitet er einem wichtigen Theile der Grammatik vor. (1892, 20) Man kann also sagen, dass ein Exemplar des Handbuchs, das mit Daten einer bestimmten Sprache gefüllt ist, nicht nur eine Art Nomenklatur eines Teils ihres Wortschatzes darstellt, sondern idealerweise eine grammatisch angereicherte und annotierte Liste. Die leeren 73 Seiten am Ende des Buches hat Gabelentz für größere sprachliche Einheiten vorgesehen: Die leeren Blätter am Ende des Wörterbuchs sind für gebräuchliche Redensarten und sonstige Sätze, womöglich auch für zusammenhängende Texte, Erzählungen und Lieder aus dem Munde der Eingeborenen bestimmt. (Ebd.) Es sei nicht verschwiegen, dass das Wörterverzeichnis nicht ganz sorgfältig gearbeitet ist. Abgesehen von den beispielhaft erwähnten zweifelhaften Zu- und Einordnungen gibt es Uneinheitlichkeiten bei der Durchnummerierung, die zu einem Teil auf die Überarbeitung der Liste von 1882 zurückzuführen sind. So erscheint einerseits wie schon in der Liste von 1882 z. B. „570. - 570a. - 570b. - 570c.“, andererseits „532a. - 532b.“ ohne ,532.‘ Dies geht auf eine Ausdifferenzierung von Nr. - 532 zurück: 1882 nur „Zu“, 1892: „532a. Zu (Richtung wohin)“, „532b. „Dativ“. Oder „644. - 644b.“ ohne ,644a.‘; hier liegt wieder der Zusatz eines „heiklen“ Begriffs vor (vgl. oben Anm. - 15): 1882: Nr. - 644 „Berühren“, 1892: „644. Berühren, betasten“, „644b. Den Beischlaf vollziehen“. Blindverweise: 1892 wie 1882 wird von Nr. - 570b („schelten, schimpfen“, 1882 nur „schelten“) auf Nr. - 747 und von Nr. - 570c („betrügen, täuschen“) auf 18 Diese Forderung greift Meinhof (1906, 460) auf, wie schon oben in Anmerkung 7 zitiert: „Doch versäume man nicht, die Pluralformen und andere Bildungselemente der Vokabeln hinzuzufügen, wenn dies für die betr. Sprache nötig ist.“ <?page no="271"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 249 Nr. - 748 verwiesen - unter Nr. - 746-748 heißt es ohne Worteinträge nur „s. - 570a bis c.“, allerdings erfolgt 1892 von Nr. - 570a kein Verweis auf Nr. - 746, wohl aber 1882. 2.3. Zur phonetischen Notation Ein wichtiges Kapitel bei dem ganzen Unternehmen bildet die Wiedergabe der Lautung der erhobenen Daten. Gabelentz gibt in den Vorbemerkungen Hinweise dazu in den Abschnitten „Beobachtung der Lautung und Töne“ und „Die Lautbeschreibung“ (1892, 5-18). Der Explorator soll, ausgehend vom Bekannten, nämlich von der Beobachtung von Sprechern seiner Muttersprache mit lautlichen Auffälligkeiten, „nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen“ beobachten (1892, - 6), soweit die Sprechorgane und ihre Eigentümlichkeiten eben optisch zu erkennen sind („Haltung und Bewegungen der Zunge“, „Stellung der Zähne“). Überdies erhält er detaillierte Vorschläge für eigene Sprechübungen, um sich für die Beobachtung und Wiedergabe fremder Lautungen zu sensibilisieren. Besondere Aufmerksamkeit gebührt dem Wort- und Satzakzent. Gabelentz verweist den Explorator auf die Verhältnisse in den Mundarten und den geläufigen Fremdsprachen Französisch und Englisch. Für die „Lautschreibung“ stützt sich Gabelentz auf „R. Lepsius’ sogen. Standard-Alphabet“ (Lepsius: 1855/ 1971) 19 und gibt eine „kurze Anweisung“ (1892, 10) für die Notation der Vokale (11-13) und der Konsonanten (13-17). Eine Beschreibung der Schnalzlaute, die „die Hottentotten, die Buschmänner und die ihnen benachbarten Kaffern und Zulus“, also die eingeborenen Bewohner des damaligen Deutsch-Südwestafrika und benachbarter Gebiete, in ihren Sprachen haben, bildet den Abschluss (17/ 18) des phonetischen Teils des Handbuchs. 3. Wirkung des Handbuchs In seinem Bericht über die Arbeit des Berliner Seminars für Orientalische Sprachen „zwischen linguistischer Forschung und kolonialer Praxis, 1887-1914“ schreibt Nagel (2010) dem Handbuch „eine zentrale Rolle“ bei dem Versuch zu, die Sammelaktivitäten der „sehr heterogenen Truppe, die vor Ort die Grundlagen der Sammelarbeit leistete“ - genannt werden Missionare, Lehrer, aber auch andere Kolonialbeamte, Offiziere der Schutztruppen, Forschungsreisende -, „von zentraler Stelle aus zu vereinheitlichen, 19 So auch Steinthal (1875, 552-556, spez. - 553 f.; 1891, - 259-265, spez. - 261) und Meinhof (1906, 462-486, spez. 476 mit Hinweis auf Gabelentz’ Handbuch). Aus den Seitenangaben ist abzulesen, welch großen Stellenwert Steinthal und besonders Meinhof der Phonetik beimessen. <?page no="272"?> 250 Wilfried Kürschner wenn auch nur beschränkte Mittel dafür verfügbar waren“ (2010, 274 - f.). Das Handbuch „wurde seitens der Kolonialverwaltung gezielt verteilt und stellte wahrscheinlich unmittelbar seit seinem Erscheinen 1892 die Hauptgrundlage für die Spracherfassung durch ,Amateure‘ dar“. Nagel verweist zum Beleg auf Archivalien im Bundesarchiv Berlin, Bestand des Reichskolonialamts mit Materialien aus Togo, Kamerun und Ostafrika (2010, 275). Besonders hervorzuheben sei, dass Gabelentz das Einheits- oder Standard-Alphabet des Ägyptologen Karl Richard Lepsius (1810-1884, s. o.) verwendet habe: „Die Benutzung dieses Hilfsmittels unmittelbar in der Kolonialzeit ist selten belegt; allerdings dürfte es bei etlichen Missionaren in den vorkolonialen Jahrzehnten durchaus eine Rolle gespielt haben und auf dem Umweg über das Gabelentz-Handbuch schließlich prägend für den Umgang mit nichtschriftlichen Idiomen geworden sein“ (ebd.). In einer größeren Arbeit nimmt Pater Wilhelm Schmidt, ein Mitglied der Societas Verbi Divini (besser bekannt unter dem Namen „Steyler Missionare“), eines katholischen Ordens von Fratres und Priestern, Bezug auf das Handbuch. Schmidt schrieb 1901/ 1902 über die Sprachsituation im damals deutschen Teil von Papua-Neuguinea und benutzte dabei teilweise Gabelentz’ Wortliste, um Daten aus unterschiedlichen Sprachen und Dialekten zu vergleichen. Er erwähnt, dass das Buch oft von Beamten und Missionaren benutzt wird (Schmidt: 1901, - 357). Er bezieht sich auf Erhebungen der Sprachen von Tami, Jabim, Karkar und Kake-dong (Kai), die beim Ausfüllen des Buches herangezogen worden seien (373). Es ist nicht feststellbar, ob diese für die Ausarbeitung eines Wörterbuchs oder einer Grammatik verwendet worden sind. In der Ibero-Amerikanischen Bibliothek in Berlin sind, wie Manfred Ringmacher mitteilt, drei Exemplare des Handbuchs vorhanden, die vom deutschen Ethnologen Robert Lehmann-Nitsche (1872-1938) für drei Sprachen Patagoniens ausgefüllt wurden. Im Online-Katalog der Bibliothek (www.iaicat.de) sind sie unter der Suchkombination „Lehmann-Nitsche Handbuch“ zu finden: 1. „die Sprache Fona in Feuerland“ („1898-1902“) - laut Katalog stammen die „Vokabeln in diesem Heft […] von Informanten und Dolmetschern namens Navarro, Ischoskiai, Kiótomén. - Zusätzlich wurden ethnographische Beobachtungen notiert“; 2. „die Sprache Ahúnikdnki (Patagonisch) in Patagonien“ („Buenos Aires, 28./ 29. 06. 1903“) - „Die Vokabeln in diesem Heft stammen von einer Informantin und Dolmetscherin namens Táününuünund“; 3. „,die Sprache der Puelche (Gününa Künü) in Nordpatagonien“ („1915-1916“). Im Online-Katalog der Bibliothek des Ibero- Amerikanischen Instituts wird unter dem Namen Georg von der Gabelentz kein Exemplar des Handbuchs nachgewiesen. Das im Folgenden erwähnte <?page no="273"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 251 antiquarische Exemplar ist, wie aus der Markierung auf der Rückseite des vorderen Umschlagblattes ersichtlich ist, offenbar aus der genannten Bibliothek ausgesondert. Es enthält keinerlei Eintragungen. Mit einigem Glück findet man vielleicht in Bibliotheken von Klöstern und Forschungsinstituten weitere Exemplare mit Erhebungen oder Kopien davon. Es würde aber auch nicht sehr überraschen, wenn diese Bücher als bloße Verbrauchsgüter, nicht des Archivierens wert, ausgesondert worden sind. So gibt es nur einige wenige Bibliotheken in Deutschland und im Rest der Welt, in denen Exemplare des Handbuchs noch vorhanden sind, wie z. B. die Deutsche und die Österreichische Nationalbibliothek, die Bayerische Staatsbibliothek München und die British Library. Im Gabelentz-Archiv seiner Heimatstadt Altenburg in Thüringen gibt es zwei Exemplare, eines ganz ohne Eintragungen und das andere ziemlich vollständig gefüllt mit Einträgen aus dem Baskischen, vermutlich von Gabelentz’ eigener Hand. 20 Antiquarisch wird das Buch höchst selten angeboten; Ende Juli 2010 war es allerdings in einem Berliner Antiquariat für 57,50 Euro erhältlich. Literatur [von] Adelung, Friedrich (1815), Catharinens der Grossen Verdienste um die Vergleichende Sprachenkunde. St., Petersburg: Drechsler. - Nachdruck: Mit einer Einleitung und einem bio-bibliographischen Register von Harald Haarmann. Hamburg: Buske, 1976. Bacmeister, Hartwich Ludwig Christian (1773), Ob” javlenie i prošenie kasajuščijasja do sobranija raznych jazykov v priměrach [Nachricht und Bitte wegen einer Sammlung von Sprachproben.], St. Petersburg: Akademie der Wissenschaften. 21 Breitenbach, Sandra (2004), Leitfäden in der Missionarslinguistik, Frankfurt a. M.: Lang. Conrad, Sebastian (2008), Deutsche Kolonialgeschichte, München: Beck. von der Gabelentz, Georg/ Adolf Bernhard Meyer (1882), Beiträge zur Kenntniss der melanesischen, mikronesischen und papuanischen Sprachen, ein erster Nachtrag zu Hans Conon’s von der Gabelentz Werke „Die melanesischen Sprachen“. = Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (zu Leipzig) 8, Nr. - 4, 376-541, Leipzig: Hirzel. von der Gabelentz, Georg (1891), Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. Leipzig: Weigel. - Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage, herausgegeben von Albrecht Graf von der Schulenburg. Leipzig: Tauchnitz, 1901. - Nachdrucke: Mit einer Studie von Eugenio Coseriu neu herausgegeben von Gunter Narr und Uwe Petersen, Tübingen: Tübinger Beiträge zur Linguistik, 1969; with a new introduction by Chris Hutton, London: Routledge/ Thoemmes Press, 1995. 20 Dieses Exemplar hat Hurch: 2009 ausgewertet. 21 Titelaufnahme gemäß Gemeinsamer Verbundkatalog (GVK) nach den Exemplaren der Staatsbibliothek zu Berlin und der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. <?page no="274"?> 252 Wilfried Kürschner von der Gabelentz, Georg (1892), Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen. Berlin: Mittler. von der Gabelentz, Georg (2011), „Zur allgemeinen Sprachwissenschaft. Herausgegeben und erläutert von Manfred Ringmacher“, in: Wilfried Kürschner (Hrsg.): Miscellanea Linguistica, Franfurt am Main: Lang, 335-394. von der Gabelentz, Hans Conon (1861), Die melanesischen Sprachen nach ihrem grammatischen Bau und ihrer Verwandtschaft unter sich und mit den malaiisch-polynesischen Sprachen. = Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 3, III-V, 1-266, Leipzig: Hirzel. Hervás, Lorenzo (1787), Vocabolario Poligloto. Idea dell’Universo, Band 20, Cesena: Gregorio Biasini. Hervás, Lorenzo (1800-05), Catálogo de las lenguas de las naciones conocidas, y numeración división y clase de éstas según la diversitad de sus idiomas y dialectos, Madrid: Ranz. Hovdhaugen, Even (Hg., 1996), … and the Word was God: Missionary Linguistics and Missionary Grammar, Münster: Nodus-Publikationen. Hurch, Bernhard (2009), „‚Emakume-bahitzea‘ eta lege fonetikoak Georg von der Gabelentz-en Hizkuntza arrotzak jasotzeko eskuliburua-ren ingurukoak“, Anuario del Seminario de Filología Vasca Julio de Urquijo: International Journal of Basque Linguistics and Philology 43, 1-2, 503-516. - Dt.: „Über ,Weiberraub‘ und Lautgesetze. Anmerkungen zu Georg von der Gabelentz’ ,Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen‘ in baskischer Version“ (Mskr.). Knopp, Guido (2010), Das Weltreich der Deutschen. Von kolonialen Träumen, Kriegen und Abenteuern, München: Pendo Verlag. Kürschner, Wilfried (2009), Georg von der Gabelentz’ Manual for Recording Foreign Languages (1892) - Origins, Aims, Methods, Effects, in: Current Issues in Unity and Diversity of Languages. Collection of the Papers Selected from the CIL 18 [18th International Congress of Linguists], Held at Korea University in Seoul, on July 21-26, 2008, published by LSK (Linguistic Society of Korea), Seoul: Dongnam Publishing Co., 3897-3920. - Auch auf CD-ROM. Lepsius, Carl Richard (1855), Das allgemeine linguistische Alphabet. Grundsätze der Übertragung fremder Schriftsysteme und bisher noch ungeschriebener Sprachen in europäische Buchstaben, Berlin: Hertz. - Nachdruck: Wiesbaden: Sändig, 1971. Meinhof, Carl (1906), „Linguistik“, in: von Neumayer (Hrsg.): 3 1906, Band II, 438-488. Nagel, Jürgen G. (2010), „Sprachschule oder kolonialwissenschaftliches Zentralinstitut? Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen zwischen linguistischer Forschung und kolonialer Praxis, 1887-1914“, in: Mark Häberlein, Alexander Keese (Hrsg.), Sprachgrenzen - Sprachkontakt - kulturelle Vermittler. Kommunikation zwischen Europäern und Außereuropäern (16.-20. Jahrhundert), Stuttgart: Steiner, 261-280. Neumayer, Georg (Hrsg., 1875), Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen. Mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der kaiserlichen Marine. Berlin: Oppenheim. Neumayer, Georg (Hrsg., 2 1888/ 1891), Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen. In Einzelabhandlungen verfasst von P. Ascherson [u. a.]. 2., völlig umgearbeitete und vermehrte Auflage in zwei Bänden. Band I: Geographische Ortsbe- <?page no="275"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 253 stimmung, Topographische Aufnahmen, Geologie, Erdmagnetismus, Meteorologie, Astronomie u. s. w. Band II: Landeskunde, Statistik, Heilkunde, Landwirthschaft, Botanik, Anthropologie, Ethnographie, Linguistik, Zoologie, das Mikroskop und der photographische Apparat u. s. w., Hannover: Jänecke. von Neumayer, Georg (Hrsg., 3 1906): Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen in Einzel-Abhandlungen verfasst von L. - Ambronn [u. a.]. 3., völlig umgearbeitete und vermehrte Auflage in zwei Bänden. Band I: Geographische Ortsbestimmung, Gelände-Aufnahmen, Geologie, Erdbeben, Erdmagnetismus, Meteorologie, Meeresforschung und Gezeitenkunde, Astronomie u. s. w. Band II: Landeskunde, Statistik, Heilkunde, Landwirtschaft, Pflanzengeographie, Linguistik, Zoologie, Ethnographie, das Mikroskop und der photographische Apparat u. s. w. Hannover: Jänecke. - Nachdruck in vier Bänden: Bremen: Europäischer Hochschulverlag, 2010. Pallas, Peter Simon (1786/ 1789), Linguarum totius orbis vocabularia comparativa, St. Petersburg: Schnoor. - Nachdruck: Hamburg: Buske, 1977-78. Pelizaeus, Ludolf (2008), Der Kolonialismus. Geschichte der europäischen Expansion, Wiesbaden: Marix Verlag. Schmidt, P. Wilhelm (1900, 1901), „Die sprachlichen Verhältnisse von Deutsch-Neuguinea“, Zeitschrift für afrikanische, ozeanische und ostasiatische Sprachen 5, 354-384; 6, 1-34. Steinthal, H. [Vorname nicht ausgeschrieben] (1875), „Linguistik“, in: Neumayer (Hrsg.): 1875, 551-570, wieder in: Neumayer (Hrsg.): 2 1891, Band II, 258-287. Zwartjes, Otto (ed., 2009), Quot homines tot artes: New Studies in Missionary Linguistics, Amsterdam: Benjamins. <?page no="276"?> 254 Wilfried Kürschner HANDBUCH ZUR A UFNAHME FREMDER S PRACHEN . Im Auftrage der Kolonial-Abtheilung des Auswärtigen Amts bearbeitet von G EORG VON DER G ABELENTZ . BERLIN 1892. E RNST S IEGFRIED M ITTLER UND S OHN KÖNIGLICHE HOFBUCHHANDLUNG KOCHSTRASSE 68 70. Anhang Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen. Im Auftrage der Kolonial-Abtheilung des Auswärtigen Amts verfasst von Georg von der Gabelentz. Die Sprache ..................... in ..................... aufgenommen von ..................... im Jahre ...... Berlin 1892. E r n s t S i e g f r i e d M i t t l e r u n d S o h n Königliche Hofbuchhandlung Kochstra se 68 70. Inhalt Alphabetisches Register. III Einleitung. 1 Was und wie ist abzufragen? 3 Beobachtung der Laute und Töne. 5 Die Lautschreibung. 10 Die Vokale. 11 Die Konsonanten. 13 Schnalzlaute. 17 Anweisung zum Gebrauch des Wörterbuchs. 19 Wörterbuch. 22 I. Pronomina. A. Pronomina personalia. 1. Ich 2. Du 3. Er, sie, es 4. Wir zwei, ich und du Wir zwei, ich und er Wir drei, ich und ihr [...] 5. Ihr zwei Ihr drei Ihr (mehreren) 6. Sie zwei Sie drei Sie (mehreren) <?page no="277"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 255 B. Pronomina demonstrativa, reflexiva, indefinita. 7. Dieser 8. Jener 9. Selbst 10. Andere C. Pronomina possessiva. 11. Mein 12. Dein Sein, ihr (sing.) 13. Unser beider Unser (mehrerer) [...] Beispiele: D. Fragewörter. 14. Welcher? 15. Wer? [...] 20. Wann? seit wann? bis wann? II. Zahlwörter. 21. 1 der erste allein einzeln 22. 2 der zweite zu zweit beide 23. 3 der dritte selbdritt [...] 35. 1000 2000 10000 100000 36. Einige 37. Alle [...] 41. Halb 42. Etwas III. Substantiva. A. Gott, Himmel. 43. Gott (Götter, Götzenbilder, Fetische) 44. Himmel 45. Welt [...] 49. Stern B. Himmelsgegenden. 50. Nord [...] 53. West Nordost Nordwest Südost Südwest C. Zeit. 54. Zeit 55. Tag [...] 66. Frieden 65. Ebbe 66. Fluth D. Wetter. 67. Wind 68. Sturm [...] 76. Regen 77. Überschwemmung E. Erde. 78. Erde (Erdarten) 79. Land [...] 92. Insel 93. Strand F. Stein, Metall. 94. Stein 95. Felsen [...] 98. Eisen Gold Silber Kupfer Erz, Metall 99. Schwefel G. Feuer. 100. Feuer Flamme [...] 103. Asche H. Wasser. 104. Wasser [ ] 110. Hafen, Bucht J. Pflanzen. 111. Pflanze [...] 140. Sago 141. Zuckerrohr K. Thier [sic], Säugethiere. 142. Thier 143. Heerde 144. Schwein 145. Hund 146. Maus 147. Ratte 148. Fledermaus L. Vögel. 149. Vogel 150. Flügel [...] Tag <?page no="278"?> 256 Wilfried Kürschner 156. Taube 157. Adler M. Reptilien, Amphibien, Fische. 158. Schlange 159. Krokodil [...] 164. Haifisch 165. Aal 165b. Schuppe Flosse Fischschwanz Fischblase Gräte N. Insekten u. s. w. 166. Insekt 167. Fliege [...] 180. Perlenmuschel 181. Perle O. Mensch. 182. Mensch 183. Mann Gatte [...] 207. Freund 208. Gast 209. Feind 209b. Krieger 209c. Schimpfwörter P. Kopf. 210. Kopf [...] 214. Stirn [...] 224. Ohr Ohrmuschel Gehörgang Ohrläppchen Q. Hals, Rumpf u. s. w. 225. Hals Kehle Nacken Adamsapfel 226. Körper Rumpf 227. Leichnam 228. Brust weibl. Brüste Euter Zitze [...] 234. Gesäss Hinterbacken After (Loch) 235. Schwanz 236. Penis Harnröhre glans 237. Hoden Hodensack 238. Weibliche Scham Schamlippen Mutterscheide clitoris mons Veneris Schamleiste R. Extremitäten. 239. Arm [...] 244. Zehen 245a. Nägel an Finger und Zehen 245b. Klauen Huf [...] 251. Ferse, Hacke S. Sonstige Körpertheile, Ausscheidungen. 252. Haut Fell (behaart) 253. Knochen [...] 266. Schweiss 266b. Koth 266c. Harn [...] 271. Geist 272. Schatten 273. Name 274. Stimme 275. Wort T. Wohnung. 276. Dorf 277. Dach 278. Haus [...] 293. Nagel, Pflock U. Schiff. 294. Schiff 295. Mast 296. Ruder 297. Segel 298. Anker V. Waffen und Geräthe. 299. Waffe 300. Stock [...] 320. Musikinstrument 321. Trommel W. Gefässe. 322. Gefäss 323. Topf [...] 328. Korb 329. Netz X. Kleidung, Schmuck. 330. Kleid 331. Hut [...] 344. Sack 345. Saum <?page no="279"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 257 Y. Nahrung. 346. Speise Mahlzeit Frühstück [...] 352. Tabak 353. Gemüse Z. Allgemeines. 354. Ding 355. Stück Theil 356. Geschäft 357. Markt 358. Maass Klafter 359. Kreuz IV. Adjectiva. A. Gross u. s. w. 360. Gross 361. Hoch [...] 369. Alt 370. Schwer B. Klein u. s. w. 371. Klein 372. Schmal [...] 381. Neu 382. Jung C. Gestalt, Consistenz. 383. Gerade 384. Glatt [...] 395a. Weich 395b. Locker lose D. Farben. 396. Weiss 397. Schwarz [...] 402. Grün 403. Hell E. Eigenschaften des Gefühls, Geschmacks, Geruchs, Gehörs. 404. Kalt 405. Warm heiss [...] 414. Bitter 415. Stinkend, verfault F. Körperliches Befinden. 416. Nackt 417. Kahl [...] 428. Blind einäugig 429. Schwanger G. Gemüths- und Verstandeseigenschaften. 430. Gehorsam 431. Mässig [...] 451. Feig 452a. Böse, schlecht 452b. Geil H. Allgemeines. 453. Wahr 452. Rein [...] 460. Fertig 461. Leer V. Adverbien. A. Der Zeit. 462. Gestern vorgestern 463. Heute [...] 477. Dereinst 478. Damals B. Des Ortes (einschl. Präpositionen). 479. Rechts 480. Links 481. Neben, daneben [...] 499. Zwischen 500. Umher 501. Zurück C. Der Art und Weise. 502. Ja 503. So 504. Vielleicht wahrscheinlich hoffentlich [...] 508. Mehr weniger (Sätze mit Komparativen) 509. Nein 510. Nicht will nicht kann nicht darf nicht [ ] 515. Noch 516. Nur VI. Conjunctionen. 517. Und (Beispiele) 518. Oder (Beispiele) 519. Aber 520. Denn, weil [...] 527. Wenn <?page no="280"?> 258 Wilfried Kürschner 528. Ob 529. Obschon 530. [leer] 531. [leer] VII. Präpositionen. 532a. Zu (Richtung wohin) 532b. Dativ [...] 538a. Von (etwas her) 538b. Genitiv [...] 541. Bei (dicht bei, nahe bei) 542. An (der Seite von [...]) VIII. Verba. A. Sagen, sprechen u. s. w. 543. Sprechen, reden, sagen 544. Schreien [...] 567. Lästern 568. Leugnen 569. Verweigern 570. Streiten 570a. Lügen 570b. Schelten, schimpfen (vgl. 567, 747) 570c. Betrügen, täuschen (vgl. 748) B. Denken u. s. w. 571. Denken 572. Gedenken 573. Träumen [...] 604. Vergessen 605. Irren 606. Richten C. Leben, Körperfunctionen. 607. Gebären geboren werden 608. Können 609. Wachsen 610. Leben [...] 620. Speien 620b. Seine Nothdurft verrichten 620c. Pissen 620d. Menstruiren [...] 644. Berühren, betasten 644b. Den Beischlaf vollziehen D. Gehen, Kommen u. s. w. 645. Gehen 646. Kommen [...] 678. Tröpfeln 679. Schwellen E. Dasein, verweilen. 680. Sein 681. Dasein (wo sein) 682. Bleiben [...] 690. Vergehen 691. Fehlen, nicht dasein F. Andere Verba (alphabetisch geordnet). 692. Abreissen, trennen 693. Abwischen [...] 702. Ausstrecken 703. Bauen 704. Bedecken bekleiden, anziehen einwickeln [...] 711. Brechen, zerbrechen 712. Brennen (intransitiv) (transitiv) verbrennen 712b. Bringen 712c. Dienen [...] 722. Giessen 723. Glänzen, scheinen 724. Graben begraben 725. Greifen 726. Haben (Wie wird das ausgedrückt? Beispiele: ) [...] 729. Handeln, Handel treiben 730. Heben 731. Heirathen 732. Holen [...] 741. Kratzen 742. Lärmen 743. Lassen, verursachen 744. Löschen 745. Lösen, erlösen 746 748 s. 570a bis c. 749. Machen 750a. Mahlen 750b. Malen [...] 759. Rösten 760. Rudern 761. Säen 762. Sammeln [...] 770. Stehlen 771. Strafen 772. Tätowiren 773. Tauschen [...] 781. Verderben, verwüsten 782. Vereinigen 783. Vergelten, rächen 784. Verletzen, verwunden [...] 793. Zerreissen 794. Zerstreuen 795. Ziehen <?page no="281"?> Gabelentz’ „Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen“ 259 Im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg steht ein Exemplar des „Handbuchs zur Aufnahme fremder Sprachen“ mit Stoffeinband und erhaltener Bleistifthalterung an der Oberkante. Signatur: Familienarchiv von der Gabelentz, Bibliothek, G.IV.a.1.4b <?page no="283"?> B. Chinesische Grammatik Barbara Meisterernst, Berlin Chinesische Grammatikstudien seit Georg von der Gabelentz Neben seiner Bedeutung für die allgemeine Sprachwissenschaft und insbesondere für die Sprachtypologie hat Georg von der Gabelentz, ohne selbst eine Schule begründet zu haben, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Grammatikstudien vor allem des klassischen Chinesisch nach ihm gehabt. In nicht unerheblichem Maße sind spätere Analysen des Chinesischen bereits von ihm vorgedacht worden, ohne dass dies den sie entwickelnden Linguisten unbedingt bewusst gewesen wäre. Insbesondere sein syntaktischer Ansatz ist beachtet worden, da dieser, aufgrund des Mangels einer Morphologie, die der der indogermanischen Sprachen vergleichbar wäre, der adäquateste Ansatz zur Beschreibung vieler Phänomene des Chinesischen ist. Dieser Ansatz findet sich repräsentiert im zentralen Paragraphen § 51 der Gabelentzschen Grammatik: § 51. Die chinesische Grammatik ist, abgesehen von der Laut- und Schriftlehre, lediglich Syntax, und will als solche begriffen sein. Begriffen, nicht nur angelernt. und dient als Motto auch für moderne Syntaktiker, z. B. im einzigen europäischen Zentrum für chinesische Linguistik, dem Centre de Recherches Linguistiques sur l’Asie Orientale in Paris. Dass von der Gabelentz auch heute noch von modernen Syntaktikern in dieser Weise als beispielgebend betrachtet werden kann, trägt der Tatsache Rechnung, dass er unter denjenigen Sinologen, die sich eingehender mit der Grammatik des (schriftsprachlichen) Chinesisch auseinandergesetzt haben, einer der wenigen ist, die über eine echte linguistische Schulung verfügten. Seine Bedeutung wird auch in der Würdigung deutlich, die er durch Christoph Harbsmeier, dem aus Göttingen stammenden und in Oslo lehrenden Sinologen, Sprachphilosophen und Linguisten, in Band VII der Serie Science and Civilisation in China (1998) und in der Einleitung zu seiner <?page no="284"?> 262 Barbara Meisterernst grammatischen Studie zum klassischen Chinesisch Aspects of Classical Chinese Syntax (1981) erfährt; demnach kann die Gabelentzsche Grammatik als Kulmination des traditionellen Gelehrtentums des 19. Jahrhunderts betrachtet werden, die bis heute nicht wirklich übertroffen wurde. Gewürdigt, wenn auch mit kritischerem Unterton wird von der Gabelentz’ Werk auch in Friedrich (2004), der auf der 4. Konferenz für Klassische Chinesische Grammatik in Vancouver (2001) einen Vortrag über die chinesische Literatursprache, Georg von der Gabelentz und synchrone Linguistik präsentierte. In seinem Essay stellt Friedrich die Bedeutung von von der Gabelentz’ Entscheidung, die chinesische Sprache „in demjenigen Zustande, in welchem sie sich durch ihre schriftlichen Denkmäler offenbart, das heisst als einer isolierenden“ zu betrachten, heraus (Gabelentz: 1881/ 1960, 130). 1 Nach Friedrich kommt diese Entscheidung, sich vom historisch-genetischen Ansatz zu befreien, bei aller damit verbundenen Problematik, der Etablierung einer synchronen Perspektive auf eine bestimmte Sprache, nämlich das Chinesische, gleich. 1. Georg von der Gabelentz und seine chinesische Grammatik im Spiegel der linguistischen Literatur Wie allgemein bekannt, haben sich von der Gabelentz’ linguistische Interessen bereits früh manifestiert. 2 Erste Veröffentlichungen im Bereich ostasiatischer Sprachen gab es bereits 1860 und 1862 und schon früh war er einiger „Sprachen der indogermanischen, finnotatarischen, indochinesischen, malaiisch-polynesischen Stämme und des Japanischen mächtig“ (Gabelentz: 1869, 376). Allerdings richtete sich nach Conrady, seinem Nachfolger in Leipzig, sein Interesse weniger auf etymologisch-genealogische Probleme wie das Verwandtschaftsverhältnis der Sprachen untereinander als darauf, „in der Mannichfaltigkeit der Erscheinungen das Gemeinsame zu erkennen, also die Frage der Völkerpsychologie zu lösen“ (cf. Leibfried: 2003, 31). Das erstgenannte, d. h. das Verwandtschaftsverhältnis der Sprachen untereinander war offensichtlich eher Conradys Ansatz, der sich in seiner Arbeit Eine indochinesische Causativ-Denominativbildung und ihr Zusammenhang mit den Tonaccenten. Ein Beitrag zur vergleichenden Grammatik der indochinesischen Sprachen (Leipzig 1896) manifestiert, welche erst die indochinesische Sprachwissenschaft eigentlich begründete. 1 Dieser Doktrin geht eine Darstellung der „Lautgeschichtlichen und Etymologischen Probleme des Chinesischen„, soweit sie zur damaligen Zeit, d. h. vor dem großen Phonologen Karlgren zu beurteilen gewesen waren, voraus. 2 Eine Zusammenfassung wird in Leibfried: 2003 präsentiert. <?page no="285"?> Chinesische Grammatikstudien seit Gabelentz 263 Mit seinem auf Humboldt basierenden Ansatz unterschied von der Gabelentz sich, wie bekannt, deutlich von den vorherrschenden linguistischen Strömungen seiner Zeit. Dieser Ansatz mag ihn aber zu seiner eher ganzheitlichen Perspektive auf Sprache geführt haben. In seinem Aufsatz von 1869 „Ideen zu einer vergleichenden Syntax“ legt er die Ausrichtung seiner sprachwissenschaftlichen Interessen offen: Während die meisten der zeitgenössischen Sprachwissenschaftler sich mit Problemen der Laut- und Formenlehre befassten, interessierte sich von der Gabelentz vordringlich für syntaktische Probleme, d. h. die Probleme des Satzbaus, ein Interesse, welches ihn befähigte, der Struktur des Chinesischen besonders Rechnung zu tragen (Leibfried: 2003, 32). Demgemäß ist er der erste, der sich, gestützt auf die Arbeit von Schott, konsequent von den Vorgaben der lateinischen Grammatiktradition loszulösen versucht hat, die bis dahin weitgehend auch die Grammatiken des Chinesischen bestimmt hatte. Die Unterschiede zum Lateinischen, d. h. den Mangel an Flexion hat bereits Varo in seiner Grammatik des Chinesischen (Canton 1703), der ersten (überlieferten) chinesischen Grammatik, erwähnt, ebenso wie nach ihm Prémare, der feststellt: „There are no numbers, genders, or cases of the nouns, no simple forms of pronouns, no inflexion by person or time of characters that stand for verbs, and no fixed system of adverbs“ (Prémare 1831; die englische Übersetzung ist J. G. Bridgman 1847 entnommen). Demgemäß war die Unzulänglichkeit der Terminologie der lateinischen Grammatik sicherlich in gewissem Maße schon den Linguisten vor von der Gabelentz, wie z. B. Marshman (1814) und Julien (1869-70), bewusst, und vor allem sie hatten bereits die besondere Stellung der Syntax für das Chinesische herausgestellt, aber ihre Grammatiken sind nicht konsequent dementsprechend ausgerichtet. Der syntaktische Ansatz, der bereits in von der Gabelentz’ Aufsatz von 1869 dargelegt ist, wird dann in seiner Grammatik folgerichtig umgesetzt. Der Kontext einer syntaktischen Analyse des Chinesischen erlaubt von der Gabelentz dann auch, Besonderheiten der chinesischen Syntax zu erfassen, z. B. indem er einen Terminus wie den des Psychologischen Subjekts als eine Antwort auf die Frage einführt, auf welchen allgemeinen Prinzipien die Wort- und Stellungsgesetze in den einzelnen Sprachen beruhen (Gabelentz: 1869, 377). Diesen Terminus definiert er folgendermaßen (Gabelentz: 1869, 378): „und ich nenne das, woran, worüber ich den Angeredeten denken lassen will, das psychologische Subject, das, was er darüber denken soll, das psychologische Prädicat. … Die S t e l l u n g jener beiden psychologischen Haupttheile des Satzes ist nun meines Erachtens naturgemäß die, daß das Subject zuerst und das Prädicat zu zweit steht“ (Gabelentz: 1869, 379). Der Begriff des psychologischen Subjekts wird im Folgenden etwas ausführlicher behandelt werden. <?page no="286"?> 264 Barbara Meisterernst Leider war von der Gabelentz aufgrund seines Wechsels von Leipzig nach Berlin und seines frühen Todes nicht in der Lage, eine Schule zu begründen, wenn auch seine grammatischen Bemühungen in der Sinologie zumindest bis zu einem gewissen Grad fortgesetzt wurden. 3 Eduard Erkes (1953/ 54), der die Gabelentzsche Grammatik 1953 und 1960 in unveränderter Neuauflage wieder herausgegeben hat, bemerkt, dass „eine systematische Auswertung und Fortsetzung der Gabelentzschen grammatischen Arbeiten (fand) eigentlich nur an seiner ursprünglichen Wirkungsstätte, in Leipzig, statt … Die Grammatik wurde von seinem Nachfolger Conrady und ebenso von den späteren Inhabern des Lehrstuhls, Haenisch, Wedemeyer und mir, dem Unterricht als Lehrbuch zugrunde gelegt.“ Erkes fügt hinzu: Einen kurzen Auszug daraus stellt der grammatische Abriss in Haenischs Lehrbuch der Schriftsprache dar, der jedoch, wie Haenisch selbst betont, die Gabelentzsche Grammatik weder ersetzen kann noch will. Die Zahl der Arbeiten, die sich mit der Nachprüfung und Ergänzung seiner Grammatik befasst haben, ist gering und von sehr unterschiedlichem Wert, und vieles, was dazu aus dem Studium von Texten, die von der Gabelentz noch nicht zugänglich waren, sich ergeben hat, ist noch unveröffentlicht; besonders betrifft das die Untersuchungen meines Lehrers Conrady, dessen wissenschaftlicher Nachlass leider zum größten Teil bei einem Bombenangriff auf London im Verlag Asia Major zugrundegegangen ist, ferner meine eigenen und die meines früheren Schülers und jetzigen Kollegen Ulrich Unger. Auf den letzteren werde ich mich im Folgenden insbesondere beziehen, da er durch seine persönliche Geschichte und seine umfangreiche, aber leider unveröffentlichte Grammatik am ehesten als Nachfolger von von der Gabelentz bezeichnet werden kann. Aber auch andere Grammatikstudien werden Erwähnung finden. Neben meinem Lehrer Ulrich Unger scheint die Gabelentzsche Grammatik einen offensichtlichen Einfluss auch auf andere Verfasser rezenterer Studien zur Grammatik insbesondere des klassischen Chinesisch gehabt zu haben, wie z. B. auf Dobson und sein Late Archaic Chinese (1959) und auf Pulleyblank mit seiner Grammatik Outline of Classical Chinese Grammar (1995); in beiden Grammatiken ist sie in der Bibliographie aufgeführt, und obwohl beide Autoren sich nicht direkt auf von der Gabelentz beziehen, scheinen sie doch bestimmte Ansätze von ihm übernommen und so von 3 Obwohl von der Gabelentz’ Grammatik im Allgemeinen positiv aufgenommen wurde, hat sie auch Kritik erfahren, so z. B. von Otto Franke, nach dessen Meinung sie nicht mehr als eine glänzende Theorie war (Erkes: 1953/ 1954). <?page no="287"?> Chinesische Grammatikstudien seit Gabelentz 265 seinen Arbeiten profitiert zu haben. 4 Von diesen beiden Grammatiken ist die Grammatik Dobsons eher linguistisch geprägt als die Pulleyblanks. Dafür zeichnet sich die Grammatik Pulleyblanks, die relativ knapp gehalten ist, eindeutig durch eine bessere Intuition mit Bezug auf die klassische Sprache aus. Beide haben in der Nachfolge von von der Gabelentz die Terminologie der lateinischen Grammatiktradition aufgegeben. Diese beiden sind hier aufgeführt, da sie einen relativ vollständigen Überblick über einen synchronen Abschnitt der chinesischen Grammatik anstreben. Daneben gibt es eine Reihe von Teilgrammatiken und Einzelstudien, z. B. von Harbsmeier, Peyraube und anderen, die in diesem Zusammenhang Erwähnung zu finden hätten. 5 Was Ulrich Unger betrifft, so stand er eindeutig in der Tradition der „Leipziger Schule“, die sich in der Nachfolge von von der Gabelentz herausgebildet hatte. Sein unmittelbarer Lehrer war Eduard Erkes, der Herausgeber der unveränderten Neuauflage der Chinesischen Grammatik. Unger wurde aber ebenfalls stark von dem Leipziger Indologen und Sinologen Friedrich Weller sowie von André Wedemeyer beeinflusst. Bereits ab 1979 fand Ungers Einführung in das Klassische Chinesisch, welche in ihrer Organisation viel dem Lehrgang von Haenisch verdankt, in privaten Auflagen in seinem Unterricht Verwendung; diese wurde 1985 bei Harrassowitz veröffentlicht. Allerdings hat Unger sich sowohl in seiner Einführung als auch in seiner unveröffentlichten Grammatik ganz auf das klassische Chinesisch im engeren Sinn, also die Sprache des 5. bis 3. Jh. v. Chr., beschränkt und diese Auswahl in seinem Vorwort, sicherlich mit impliziter Referenz auf Haenisch und von der Gabelentz, explizit begründet. Er grenzt sich somit eindeutig von der Behandlung der Schriftsprache als eines mehr oder weniger einheitlichen Sprachsystems, welches Jahrtausende ohne signifikante Veränderungen überdauert hat, ab. 6 Wie von der Gabelentz führt auch Unger in seiner Grammatik eine Art Zweiteilung in die eigentliche Grammatik und in eine Rhetorik durch, die möglicherweise durch die Gabelentzsche Zweiteilung in ein analytisches und ein synthetisches System inspiriert war, aber doch in keiner Weise mit dieser zu vergleichen ist. Nur der Rhetorikteil seiner Grammatik ist (eben- 4 In Pulleyblanks Einleitung wird von der Gabelentz’ Grammatik as „particularly noteworthy, but … held in little regard“ erwähnt (Pulleyblank: 1995, xiii). 5 Auf Lehrbücher der chinesischen Schriftsprache werde ich an dieser Stelle nicht eingehen. 6 Natürlich ist auch v. d. Gabelentz die Tatsache bewusst, dass es sich bei der Schriftsprache nicht um eine vollkommen einheitliche Sprache handelt, dennoch unterscheidet er keine sprachlichen Perioden und grenzt die Auswahl seiner Beispiele nicht auf eine bestimmte Periode ein. <?page no="288"?> 266 Barbara Meisterernst falls bei Harrassowitz 1994) veröffentlicht. Trotz seiner Vielfalt an sorgfältig ausgewählten Beispielen und deren Erläuterung und einer außergewöhnlichen Kenntnis des klassischen Chinesisch muss man zugestehen, dass die Ungersche Grammatik mit Bezug auf die Systematik ihrer Darstellung der syntaktischen Verhältnisse des Chinesischen in einigen Bereichen hinter der Gabelentzschen zurückbleibt, wenn sie auch im Detail in vielen Punkten, auch aufgrund neuerer Erkenntnisse, von der Gabelentz übertrifft. Auch zeigt sie vielfach noch eine deutlichere Nähe zur Terminologie der lateinischen Grammatiktradition als diese, was sicher darauf zurückzuführen ist, dass ein allgemein linguistischer Ansatz Unger bedeutend ferner lag, als dies bei von der Gabelentz der Fall war, und dass demgemäß seiner Darstellung des Chinesischen keine bestimmte linguistische Theorie zugrunde lag. Da diese Grammatik bedauerlicherweise unveröffentlicht ist, konnte sie bisher in linguistischen Kreisen kaum wahrgenommen werden. In der Folge möchte ich - unter Einbeziehung der Ungerschen Grammatik-- anhand einiger weniger Punkte zeigen, wie sich die grammatische Analyse des Chinesischen, mit Schwerpunkt auf dem klassischen Chinesisch im engeren Sinne, seit von der Gabelentz und unter seinem Einfluss entwickelt hat. Zu diesem Zwecke sind drei Kategorien, die besonderes Interesse in der linguistischen Forschung fanden, herausgegriffen worden. 2. Die Weiterentwicklung der Gabelentzschen Theorien in der heutigen linguistischen Forschung: 3 Beispiele 2.1-Das Psychologische Subjekt und die Topikalisierung im Chinesischen An dieser Stelle möchte ich auf den oben bereits eingeführten Begriff des psychologischen Subjekts zurückkommen. Wie bereits erwähnt, legt von der Gabelentz in seinem Artikel „Ideen zu einer vergleichenden Syntax“ (1869) die Ausrichtung seines sprachwissenschaftlichen Ansatzes offen dar, der dann in der Folge in seiner Grammatik umgesetzt wird. Gleich zu Beginn des ‚Vierten Hauptstücks‘ (Gabelentz: 1881/ 1960, 113) weist von der Gabelentz auf die besondere Relevanz der Syntax im Chinesischen hin: § 254. Die ganze nun folgende Grammatik ist Syntax, und diese ganze Syntax beruht auf wenigen, mehr oder minder unverbrüchlichen Gesetzen der Wortstellung. Vom Satze ist also auszugehen; er ist zugleich erstes Objekt der analytischen Untersuchung und erster Zweck der synthetischen Sprachanwendung. Mit diesem theoretischen Ansatz unterscheidet seine Grammatik sich in großem Maße von den zur selben Zeit erscheinenden Grammatiken verschiedener indogermanischer Sprachen, in denen die Syntax immer eine <?page no="289"?> Chinesische Grammatikstudien seit Gabelentz 267 untergeordnete Rolle gegenüber der Phonologie und Morphologie der jeweiligen Sprache spielt. In diesem Kontext führt er dann auch den Terminus des Psychologischen Subjekts ein, welcher folgendermaßen in seiner Grammatik definiert wird: § 260. Es scheint naturgemäss und ist jedenfalls dem Chinesen nicht weniger Bedürfniss als uns, mit der Rede bei dem zu beginnen, was ihren Gegenstand bilden soll, und nun in der Reihenfolge fortzufahren, dass von Schritt zu Schritt die Gesammtheit der folgenden Glieder sich zu der Gesammtheit der vorausgegangenen als Aussage über diese verhält. Nächster Gegenstand der Rede - psychologisches Subjekt - ist aber nicht immer das grammatische Subjekt (unser Nominativ), sondern es kann auch ein anderer Theil des Satzes sein, z. B. eine Zeit und ein Ort, das grammatische Objekt, ein Genitiv, welcher zu letzterem gehört, u. s. w. Solche Wörter müssen also aus dem syntaktischen Verbande herausgerissen und absolut gestellt werden. (Hervorhebung im Original) Mit dieser Feststellung hat von der Gabelentz eines der typischen Charakteristika der chinesischen Syntax meines Wissens als erster in dieser Deutlichkeit aufgezeigt. 7 Diese Struktur wird dann in der späteren Literatur, basierend auf Hockett (1958), der die neuen Termini topic versus comment einführt, als Topic-Comment-Struktur bezeichnet, und Chinesisch wird als topic-prominent charakterisiert. Folgende Definition findet sich in einer der gebräuchlichsten Referenzgrammatiken (Li / Thompson: 1981, 15) zum modernen Chinesisch: One of the most striking features of Mandarin sentence structure, and one that sets Mandarin apart from many other languages, is that in addition to the grammatical relations of „subject“ and „direct object“, the description of Mandarin must also include the element „topic“. Because of the importance of „topic“ in the grammar of Mandarin, it can be termed a topic-prominent language. Basically, the topic of a sentence is what the sentence is about. It always comes first in the sentence, and it always refers to something about which the speaker assumes the person listening to the utterance has some knowledge. Mit Bezug auf die Position des Topiks im Satz wird festgehalten, dass es sich immer in satzinitialer 8 Stellung befindet und dass es, im Gegensatz zum Subjekt, keine semantische Relation mit dem Verb eingehen muss. Vor Li/ 7 Der Terminus des psychologischen Subjekts (und Prädikats) taucht zuerst in den ‚Ideen zu einer vergleichenden Syntax‘ (1) von 1869 auf und wird dann in der Folge in der Linguistik gelegentlich verwendet, bis er sich 1958 bei Hockett unter dem Terminus topic (versus comment) in der allgemeinen Linguistik etabliert. 8 Li/ Thompson (1981, 86): „A topic always occurs in sentence-initial position (unless it is preceded by a connector that links it to the preceding sentence.)“ <?page no="290"?> 268 Barbara Meisterernst Thompson wird diese Kategorisierung bereits von Chao Yuen-ren (1968, 70) in seiner Grammar of Spoken Chinese verwendet, der als erster Chinesisch als eine Topik-prominente Sprache kategorisiert, wenn auch noch nicht in dem Sinne, wie sie dann in Li/ Thompson verstanden ist: The conception of topic and comment is much more appropriate. The subject is literally the subject matter to talk about, and the predicate is what the speaker comments on when a subject is presented to be talked about. (Chao: 1968, 70) Chao bezieht diesen Ansatz sehr wahrscheinlich von Hockett (1958), der in seiner Bibliographie aufgeführt ist; von der Gabelentz findet sich dagegen nicht, und es ist nicht anzunehmen, dass er auch durch ihn hätte beeinflusst gewesen sein können. Die Notion topic-comment wird dann von Li/ Thompson ganz im Sinne von von der Gabelentz in ihrer Referenzgrammatik ausgearbeitet, und im Gegensatz zu Chao, der Topik und Subjekt nicht unterscheidet, bestimmen diese Topik als eine weitere Kategorie neben dem Subjekt: „In contrast we consider topic and subject to be two different types of notion“. Sie rechnen auch Temporal- und Lokativbestimmungen in satzinitialer Position der Kategorie „Topik“ zu und stehen somit von der Gabelentz näher als Chao, sicherlich aber ohne von seinem Ansatz Kenntnis gehabt zu haben (Li/ Thompson: 1981, 94). Auch Pulleyblank in seiner Grammatik Outline of Classical Chinese Grammar widmet ein vollständiges Kapitel der Topikalisierung (Pulleyblank: 1995, 69 ff.), das sich in seiner Auflistung der verschiedenen Topikalisierungsstrukturen eng an die in von der Gabelentz aufgeführten hält, obwohl keine unmittelbare Beziehung zwischen den jeweiligen Analysen hergestellt wird. In der Ungerschen Grammatik dagegen wird das Phänomen der Topikalisierung an verschiedenen Stellen abgehandelt, u. a. unter der Rubrik „Isolierte nominale Elemente am Satzanfang“ (Unger: 1988, 57): Am Satzanfang, vor dem Subjekt, können, ohne formale Kennzeichnung (durch Präpositionen etwa), noch andere nominale Elemente stehen. Diese unterscheidet er in absolut gestellte und exponierte: Vom Casus absolutus (z. B. Temporalbestimmungen) wird der Genitiv absolutus (formal nominalisierter Satz) geschieden; die Exponierungen werden an entsprechender Stelle als „Exponierung des Objekts“, „Exponierung von Präpositionalphrasen“ und vom „Objekt eines Präpositionalverbs“ (Unger: 1988, 61) diskutiert, des weiteren finden sich Einträge unter bestimmten Formwörtern, z. B. die Thematisierung durch die Markierung zhĕ u. a. <?page no="291"?> Chinesische Grammatikstudien seit Gabelentz 269 Als ein Beispiel für die verschiedenen Topikalisierungsstrukturen mag sein Eintrag unter ‚Exponierung des Objekts‘ dienen (Unger: 1987, 69). Hierzu führt er, offensichtlich angeregt durch von der Gabelentz, aus: Ist das Objekt isoliert, dann gibt es an, wovon der Satz handeln soll - man könnte es daher in dieser Position auch „Satzthema“ nennen. Exponiertes Objekt und der Rest des Satzes stehen, so könnte man sagen, in einer Subjekt-Prädikat-Relation zueinander, dergestalt, daß das Prädikat seinerseits wieder in Subjekt und Prädikat zerfällt. Er präsentiert eine Reihe von Beispielen für dieses Phänomen, welches als typischer Fall von Topikalisierung in der gesamten chinesischen Sprachgeschichte zu beobachten ist: das Objekt, das Topik des Satzes, erscheint in satzinitialer Stellung, hinterlässt aber eine pronominale Spur, das Objektpronomen, in seiner regulären Position: (1) Lunyü 3,9 (Unger: 1987, 69) Xià lĭ, wú néng yán zhī Xia Riten, ich können reden OBJ [die Glossen sind vom Autor hinzugefügt] ‚Über die Riten/ Institutionen der Hia könnte ich reden.‘ 9 Unger präsentiert eine Fülle von Beispielen unter streng synchronem Gesichtspunkt, dennoch ist die Darstellung, obwohl sicherlich durch die Gabelentzsche Grammatik angeregt, weniger systematisch als in derselben, und aufgrund der Abhandlung an verschiedenen Stellen wird keine einheitliche Darstellung der linguistischen Strategie ‚Topikalisierung‘ durch verschiedene grammatische Mittel angestrebt. 10 Dies ist nur ein Beispiel, an dem sich von der Gabelentz wie auch sonst oft als Vordenker einer sich erst viel später ausbildenden Systematisierung der Syntax des Chinesischen erweist. 2.2 Inversion >> Anteposition (präverbale Stellung des Objekts, zu unterscheiden von Topikalisierung) Zusammen mit dem psychologischen Subjekt werden auch andere Formen der Inversion bei von der Gabelentz abgehandelt, so die präverbale Stellung des Objekts zum Zwecke der Kontrastierung. 9 Die Glossen entsprechen dem üblichen Pinyin-Transkriptionssystem, während sich in der Übersetzung die Ungersche Transkription des Chinesischen findet. In den Beispielen, die der Ungerschen Grammatik entnommen sind, sind die Glossen vom Autor hinzugefügt worden, die Übersetzung wurde aus Unger übernommen. 10 Dass die bei ihm an verschiedener Stelle aufgeführten linguistischen Strategien der Topikalisierung unter dieser einen Kategorie zusammengefasst werden können, war Unger selbstverständlich bewusst und ist in seinem Unterricht entsprechend dargestellt worden. <?page no="292"?> 270 Barbara Meisterernst Die chinesische Sprache gehört zu den so genannten SVO (Subjekt-Verb- Objekt) Sprachen. Diese Wortstellung wird, abgesehen von drei Ausnahmen von der Normalstellung im klassischen Chinesisch, in denen das Objekt präverbal erscheint, strikt eingehalten. Diese Ausnahmen sind: 1. Wenn das Objekt ein Interrogativpronomen ist, steht es präverbal; 2. Wenn das Objekt ein Pronomen ist und in einem negierten Satz steht, dann erscheint es meist präverbal, d. h. zwischen der Negation und dem Verb; 3. Die (von Unger in Anlehnung an von der Gabelentz so genannte) Anteposition, in der das Objekt (ein lexikalisches Nomen) zum Zwecke der Kontrastierung in präverbaler Position erscheinen kann. Diese Ausnahmen gelten in der klassischen Periode im ersten Fall ausnahmslos, im zweiten Fall sehr häufig und sind im dritten nur selten und nur zum Zwecke der Fokussierung (im Gegensatz zur Topikalisierung) belegt. Sie sind schon in den frühen nachklassischen Texten nicht mehr produktiv. Es findet eine Verschiebung von der präverbalen Position der Interrogativ- und anderen Pronomina zur postverbalen Normalstellung des Objekts statt; die präverbale Stellung eines lexikalischen Objekts zum Zwecke der Fokussierung ist nur noch in bestimmten Wendungen belegt. Bereits in Julien (1869) werden die ersten beiden dieser Ausnahmen als Fälle von Anteposition kategorisiert; diese werden dann von von der Gabelentz in systematischer Weise in einem separaten Absatz zusammengeführt, in welchem das präverbale Interrogativpronomen unter § 341 und das präverbale Pronomen unter § 343 abgehandelt werden. Daneben werden in diesem Absatz grammatische Morpheme diskutiert, die heute nicht mehr der Kategorie der Anteposition des Objekts zugerechnet werden. In seinem dritten Buch, dem „Synthetischen System“, wird unter § 1173 eine weitere Konstruktion, die in der Literatur häufig unter der 3. Ausnahme zur Basiswortstellung abgehandelt wird, diskutiert, i. e. die „Inversion des Objekts“, die in dem Kapitel zum „Psychologischen Subjekt“ aufgeführt ist. Ein weiterer Fall, der in Julien (1869) in seiner Abhandlung unter den Markierungen des Akkusativs aufgeführt wird, nämlich die Wiederaufnahme eines präponierten Objekts durch das Demonstrativpronomen shì , findet sich nicht in von der Gabelentz, wird aber in der Folge in der chinesischen linguistischen Literatur sowie u. a. in Unger und Pulleyblank den drei Ausnahmen der Basiswortstellung des Chinesischen zugerechnet. Hierbei handelt es sich um Fälle wie in dem folgenden Beispiel, das der Ungerschen Grammatik entnommen ist: <?page no="293"?> Chinesische Grammatikstudien seit Gabelentz 271 (2) Zuo, Cheng 13 (Unger: 1987, 75) Yú wéi lì shì shì Ich WEI Nutzen SHI schauen ‚… aber ich habe einzig auf (unseren) Vorteil gesehen.‘ von der Gabelentz ist sich der Sonderstellung der von ihm aufgeführten Ausnahmen innerhalb der chinesischen Syntax wohl bewusst, findet sich aber nicht in der Lage, eine schlüssige Erklärung für sie abzugeben: Die Anteposition durchbricht anscheinend das sonst so feste Satzgefüge des Chinesischen in bedenklicher Weise und dürfte nicht leicht mit Sicherheit zu erklären sein. (Gabelentz 1881/ 1960, 148, Zusatz I) Diese drei oben aufgeführten Ausnahmen von der Grundwortstellung sind ausführlich in der linguistischen Literatur abgehandelt worden und haben als Argument in einer Diskussion zur Basiswortstellung des Proto-Chinesischen gedient, die belegen wollte, dass die ursprüngliche Wortstellung des Chinesischen wie in fast allen anderen tibeto-birmanischen Sprachen SOV (Subjekt- Objekt-Verb) gewesen sein muss. Diese Annahme ist mittlerweile wissenschaftlich widerlegt, einerseits durch Studien zur Syntax der Orakelinschriften von Redouane Djamouri in Paris 11 und andererseits durch rezente Studien zur Funktion der Objektpräponierung, z. B. von Edith Aldridge (2010) zur Stellung der Interrogativpronomina und von Meisterernst (2010) zur Präponierung eines lexikalischen Objekts, die beide kürzlich im Journal of East Asian Linguistics erschienen sind. Beide Studien gehen davon aus, dass die jeweiligen behandelten syntaktischen Konstruktionen als Fälle von Fokussierung zu analysieren sind. In meiner Studie stütze ich mich auf die in Unger aufgestellten unterschiedlichen syntaktischen Strukturen, durch die das Objekt präponiert werden kann, und stelle die Hypothese auf, dass nur ein Teil der in Unger und anderen (z. B. in Pulleyblank, aber auch in der chinesischen Literatur) aufgelisteten Fälle als Fokussierungsstrukturen und damit als echte Fälle von Objektpräponierung angesehen werden können. Für die in von der Gabelentz unter § 1173 unter Inversion aufgelisteten Fälle mit einem lexikalischen Objekt wird eine neue, eine nominale Analyse, vorgeschlagen, sie würden damit nicht mehr zur Kategorie der Anteposition (oder Inversion) des Objekts gehören. Dies mag als ein Beispiel dafür dienen, wie die rezente Forschung syntaktische Phänomene, die bereits in der Gabelentzschen Grammatik syste- 11 Diese belegen, dass 93,8 % aller Sätze in den Orakelinschriften die Stellung SVO (Subjekt- Verb-Objekt) haben (Djamouri: 2001, 146). <?page no="294"?> 272 Barbara Meisterernst matisch beschriebenen sind, mit Mitteln der modern generellen Linguistik analysiert und so Erklärungen für die schon in von der Gabelentz erwähnten Abweichungen von der Basiswortstellung gefunden hat, welche die von von der Gabelentz aufgestellte Hypothese der Relevanz der Wortstellungsregeln für das Chinesische bestätigen. 2.3 Präpositionen Präpositionen, in der Literatur auch vielfach „Koverben“ genannt, spielen eine herausragende Rolle in der Syntax des Chinesischen. In Julien (1869) (wie schon in anderen Grammatiken vor ihm) werden die Präpositionen als Kasusmarkierungen abgehandelt; d. h. den verschiedenen Casus der lateinischen Grammatik werden entsprechende Präpositionen des Chinesischen zugeordnet. Einige dieser Präpositionen werden in den Monographien Juliens mit größerer Ausführlichkeit, wenn auch unsystematisch abgehandelt, indem unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen aufgelistet werden, eine Technik, die in von der Gabelentz (1878, 610, 637) deutlich kritisiert wird: An dieser Stelle entdeckt sich der Grundfehler Stanislas Julien’s, der mit wahrem Wohlbehagen, ohne Ordnung, ohne Kritik Nummer für Nummer aufzählt, durch wie viele verschiedene französische Wörter eine und dieselbe chinesische Partikel sich übersetzen lasse. In von der Gabelentz ist den Präpositionen ein eigenes Kapitel „Die verbalen Hülfswörter“ gewidmet: § 692. Die hier zu behandelnden Formwörter sind vom Hause aus, - theils nachweislich, theils sicherem Vermuthen nach - verba activa oder neutra transitiva von allgemeiner Bedeutung. § 693 Die regelmässige Stellung dieser Hülfswörter ist vor ihren Objekten; … (Hervorhebung im Original) Die Hypothese des verbalen Ursprungs aller Präpositionen gehört seit von der Gabelentz zu einer der Grundannahmen zur Struktur des Chinesischen. Syntaktisch weisen Präpositionen im Chinesischen eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit Verben auf, und es fällt auf, dass im Laufe der chinesischen Sprachgeschichte immer wieder dieselben Zeichen in der Regel, aber nicht ausschließlich, in derselben Aussprache verwendet werden, um Verben und Präpositionen zu schreiben. Diese Tatsache hat dazu geführt, dass sich der Terminus „Koverb“ in der chinesischen Linguistik eingebürgert hat und vielfach anstelle des Terminus „Präposition“ verwendet wird, allerdings ohne dabei auf den frühen Ursprung dieser Hypothese schon in von der Gabelentz zu verweisen. <?page no="295"?> Chinesische Grammatikstudien seit Gabelentz 273 Auch in Ungers Grammatik findet sich, sicherlich auf denselben gestützt, derselbe Ansatz wie bei von der Gabelentz: Die Präpositionen sind offenbar alle verbalen Ursprungs. Man kann sie geradezu „Präpositionalverben“ nennen. Das von einer Präposition abhängige Nomen oder nominale Syntagma ist demnach das Objekt der Präposition. Die Präposition ist also nichts anderes als ein dem prädikativen Verb untergeordnetes Nebenverb. (Bd. 1 Unger: 1987, 38) Ein gesamter Band (Unger 1989) ist dann der Darstellung der verschiedenen Präpositionen gewidmet. Auch Pulleyblank folgt der Gabelentzschen Hypothese und verwendet in seinem Outline konsequent den Terminus „Coverbs“ und handelt dieselben in einem gesonderten Kapitel ab: The free serial verb construction, in which any and all verbs may be found, gives rise to various special constructions, in which particular verbs lose their independent status and serve as markers of grammatical functions, such as showing case relationships of nouns to the main verb. (Pulleyblank: 1995, 47) Ebenso wie bei Julien, Prémare, und vor ihnen schon bei Varo wird auch bei Pulleyblank ein Zusammenhang zwischen der Kategorie Kasus und der Verwendung von Präpositionen hergestellt, aber hier wird der verbale Ursprung in den Vordergrund gestellt, der bei jenen keine Rolle spielt, und der Terminus bezieht sich nicht auf das Kasussystem der lateinischen Grammatik. Auch bei Chao Yuen-ren (1968) und bei Shadick (1968) findet sich der Terminus „Coverb“ in ähnlicher Definition. Diese enge Verbindung von Verb und Präposition ist in vielen rezenten Studien zur Grammatikalisierung thematisch, und der Fall „Präpositionen“ oder „Koverben“ wird als ein Beispiel für den Grammatikalisierungsprozess von vollen Wörtern zu Formwörtern angeführt. Die These, dass es sich bei allen Präpositionen um grammatikalisierte Verben handelt, wurde erst kürzlich durch Publikationen von Redouane Djamouri und Waltraud Paul (1997 und 2009) in Frage gestellt, die auf den erst Anfang des 20. Jahrhunderts gefundenen frühesten schriftlichen Dokumenten, den Orakelinschriften, beruhen, von denen von der Gabelentz noch keine Kenntnis haben konnte. In den beiden Artikeln zeigen Djamouri, Spezialist für Orakelinschriften, und Paul, Spezialistin für moderne chinesische Syntax, dass die Präpositionen zài und yú (1997, 2009) und die Präposition zì (2009) in den frühesten uns zur Verfügung stehenden Dokumenten nur als Präpositionen und nicht als Verben belegt sind. Dies, zusammen mit anderen syntaktischen Argumenten, führt zu der These, dass Präpositionen und Verben zur gleichen Zeit, oft durch dasselbe <?page no="296"?> 274 Barbara Meisterernst Zeichen repräsentiert, bestanden und dass viele Fälle, die offensichtliche Ausnahmen in der Syntax der Präpositionen zu bilden scheinen, wie die Tatsache, dass bei einer kleinen Zahl von Präpositionen oder Koverben das Komplement der Präposition gelöscht werden kann, möglicherweise darauf zurückzuführen sind, dass sie eher als Verben denn als Präpositionen zu analysieren sind. Gerade in diesem Bereich - wie in vielen anderen der chinesischen Grammatik - sind weitere Studien ein Desiderat. 3. Zusammenfassung Diese wenigen Beispiele zeigen einerseits, dass der eingangs erwähnte Paragraph von von der Gabelentz für viele moderne Linguisten, vor allem der europäischen Schule, Programm ist. Und andererseits machen sie deutlich, dass von der Gabelentz in vielfacher Beziehung, ob das nun von der heutigen Linguistik explizit anerkannt ist oder nicht, als Vordenker der syntaktischen Analyse des Chinesischen betrachtet werden muss. Wie anhand der wenigen Beispiele ersichtlich, hat von der Gabelentz aufgrund seines neuen syntaktischen Ansatzes in der Beschreibung des Chinesischen Besonderheiten der chinesischen Syntax wahrnehmen können, die vor ihm nicht erkannt worden sind. Viele dieser besonderen Charakteristika haben dann teilweise erst hundert Jahre nach Erscheinen seiner Grammatik - auch aufgrund neuer, an der Syntax orientierter Grammatiktheorien und häufig, ohne dass ein direkter Einfluss von von der Gabelentz nachgewiesen werden könnte - Eingang in moderne Beschreibungen des klassischen Chinesisch gefunden. Des Weiteren haben diese wenigen Beispiele demonstriert, wie neue syntaktische Analysen Erklärungen für syntaktische Besonderheiten bieten, für die von der Gabelentz selbst noch keine Erklärung finden konnte. Sie zeigen aber auch, dass es noch viele Bereiche gibt, in denen die Gabelentzschen Analysen verifiziert, verfeinert oder korrigiert werden können. Demgemäß wäre eine kritische Ausgabe der Gabelentzschen Grammatik, in der die verschiedenen Bereiche gegen den neuesten Forschungsstand abgeglichen würden, äußerst wünschenswert für das Verständnis der Struktur des Chinesischen, und könnte helfen, viele der bis heute ungeklärten Fragen zur Syntax des Chinesischen zu beantworten. Denn abschließend muss man Harbsmeier Recht geben, der bemerkt, dass die Gabelentzsche Grammatik als systematische Darstellung der chinesischen Schriftsprache bis heute so nicht übertroffen wurde, obwohl die neueren Grammatiken und die vielen separaten Studien insbesondere zum klassischen Chinesisch - aufgrund neuer Theorien, aber auch neuer Textmaterialen - einen deutlichen Fortschritt im Verständnis der Strukturen des Chinesischen seit der Zeit von von der Gabelentz aufweisen. <?page no="297"?> Chinesische Grammatikstudien seit Gabelentz 275 Bibliographie Aldridge, Edith (2010), „Clause-internal Wh-movement in Archaic Chinese“, Journal of East Asian Linguistics 19.1, 1-36. Chao Yuen-ren (1968), A Grammar of Spoken Chinese. Berkeley, Los Angeles: University of California Press. Djamouri, Redouane (2001), „Markers of Predication in Shang Bone Inscriptions“, in: Chappell, Hilary (Hrsg.), Sinitic Grammar, Oxford: Oxford University Press, 143-171. 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Levi, Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins Pub. <?page no="299"?> Martin Gimm, Köln Hans Conon von der Gabelentz, sein Sohn Georg und die Rolle des Manjurischen für das Chinesischstudium im 19. Jahrhundert 1. Hans Conon v. d. Gabelentz 1 (im Folgenden: Conon) auf Poschwitz und Lemnitz (geb. am 13. Okt. 1807 in Altenburg, gest. am 3. Sept. 1874 in Lemnitz bei Triptis), der Vater Georgs v. d. Gabelentz, gilt als einer der bedeutendsten deutschen Sprachwissenschaftler W. v. Humboldtschen Formates im 19. Jahrhundert. Nach einem Studium von Jurisprudenz und Kameralia, des seinerzeit - neben Theologie und Medizin - favorisierten Weges zu einer ‚amtlichen‘ Karriere, an den Universitäten Leipzig (1825-1826) und Göttingen (1827-1828) widmete er sich, soweit es seine späteren Hauptaufgaben als hoher Staatsbeamter (seit 1848 Ministerpräsident) des Herzogtums Sachsen- Altenburg 2 und Landadliger sowie seine zahlreichen Nebenämter zuliessen, mit Elan seiner wissenschaftlichen Passion: der Aneignung und Erforschung fremder Sprachen, „seiner Hauptwissenschaft, der Sprachenkunde.“ 3 Er war ein Aficionado, ein „Amateur“ im wörtlichen Sinne, der es trotz seiner engen 1 Nähere Quellenangaben zu Folgendem s. Gimm: 2005; eine Ergänzung hierzu befindet sich in Bearbeitung. - Zur Familiengeschichte s. u. a. Boineburg-Lengsfeld: 1818/ 89, Theil 52, 24-27; Gabelentz-Linsingen: 1922; Gabelentz-Linsingen: 1938, 6-10; Dobrucky: 1938, 11-90. 2 Seit 1829 in altenburgischem Staatsdienst - beginnend 1829 als Auditor beim Rent- und Kreisamt Altenburg und endend 1848/ 9 als Staatsminister - wirkte er unter den Wettiner Herzögen Friedrich (1763-1834, reg. ab 1826), Joseph (1789-1868, reg. ab 1834), Georg (1796-1853, reg. ab 1848) und Ernst I. (1826-1908, reg. ab 1853). Zu seinen Funktionen und politischen Aufgaben s. Risse: 2007. 3 S. die Aufzeichnungen seines Sohnes Georg in Gimm: 1997, 252. Dort charakterisiert ihn sein Sohn: „Über achtzig Sprachen hat er studiert: Er war also wohl unbestreitbar der grösste Sprachkenner der Welt“ (255). Conon hatte bereits in Kindertagen geäußert, dass es sein „sehnlichster Wunsch wäre, alle Sprachen zu verstehen“. S. Gabelentz, H. C.: „Aus meinem Leben/ Tagebuch“, o. Pagin. <?page no="300"?> 278 Martin Gimm Einbindung in ein Geflecht von Aufgaben verstand, seine Zeiteinteilung einer strengen Disziplin zu unterwerfen. 4 Im Unterschied zu seinem jüngeren Sohn, dem Sinologen Georg, der - inmitten väterlicher Gelehrtenwelt und fürsorglicher Familienobhut aufgewachsen - nach einer juristischen Laufbahn seit seinem 38. Lebensjahr als Professor tätig war (s. u.), wirkte Conon nie lehrend an einer Universität, sondern zeichnete sich als „Privatgelehrter“ im besten Sinne aus. Er legte auf seinem Gut Poschwitz und im Schloss Lemnitz 5 eine umfangreiche, auch für den Sohn Georg in gleicher Weise bedeutsame Fachbibliothek an, zu deren chinesischen und manjurischen Beständen ihm in besonderem Maße sein Schwiegersohn Richard v. Carlowitz-Maxen (1817-1886) verholfen hatte (s. u.). Von Fachkollegen, mit denen er eine umfangreiche Korrespondenz führte, hochgeschätzt, nahm Conon an mehreren wissenschaftlichen Gesellschaften regen Anteil. So wurde er Mitglied Nr.- 5 der am 2. Oktober 1845 konstituierten „Deutschen Morgenländischen Gesellschaft“, für die er auch zeitweilig als Präsident 6 wirkte. 4 In einem in seinem Journal von 1830 niedergeschriebenen Arbeitsplan des jugendlichen Conon ist lediglich die Zeit zwischen 10 und 13-Uhr für Arbeiten für das „Amt“ vorgesehen. In den Zeiten von 8 bis 10-Uhr sowie von 14 bis 21-Uhr beschäftigte er sich pro Stunde - täglich wechselnd - fast ausschliesslich mit Fremdsprachen; genannt sind dort für 1830: Böhmisch, Chinesisch, Dänisch, Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Lateinisch, Malaiisch, Manjurisch, Mongolisch, Persisch, Schwedisch, Spanisch, Ungarisch und - Mathematik; hierzu s. Gabelentz. H. C.: „Aus meinem Leben/ Tagebuch“, o. Pagin. - Conons Interesse für Sprachen war angeblich in seinen Altenburger Kinderjahren, in denen seine Familie im Hause seines Großvaters mütterlicherseits Alexander v. Seebach (gest. 15. Okt. 1825) in Altenburg, Burgstrasse, wohnte, durch das Sprachengewirr der vorbeiziehenden napoleonischen Truppen angeregt worden. 5 Oberhalb des Barockschlosses Lemnitz, im Zentrum des Dorfes gleichen Namens (heute Gemeinde Lemnitz-Leubsdorf), etwa 3- km südwestlich der Stadt Triptis in Thüringen gelegen, hatte sich Georg im Jahre 1884 sein „Berghäuschen“ als Altersruhesitz gebaut (heutige Adresse: Am Forsthaus 32, 07819 Lemnitz); denn das von ihm ererbte Schloss Poschwitz war als Witwensitz seiner Mutter, Henriette Grace v. Linsingen (1813-1892), vorgesehen. Leider konnte Georg wegen seines frühen Todes das Haus nur noch wenige Jahre als Ferienrefugium nutzen. 6 Die in Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 2 (1848), 505, veröffentlichte Mitgliederliste führt ihn - „Dr. Hans Conon v. d. Gabelentz, geh. Regierungsrath (jetzt Staatsminister) in Altenburg“ - als Mitglied Nr.-5 unter den damals 276 ordentlichen Mitgliedern auf. Vor der Gründung der genannten Gesellschaft hatte Conon gemeinsam mit sechs anderen, am Orient interessierten Gelehrten, zu denen auch der Dichter Friedrich Rückert (1788-1866) gehörte, die Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes herausgegeben, von der indes nur sieben Jahrgänge (1837 bis 1846/ 50) erschienen sind. <?page no="301"?> H. C. und G. v. d. Gabelentz und Manjurisch 279 In seinen vielfältigen linguistischen Beiträgen 7 , in denen er nach den von ihm eigens entwickelten empirischen und analytischen Methoden 8 , bei denen er zur Erarbeitung der Grammatikprinzipien oft fremdsprachige Bibelübersetzungen - zum Bücherbestand des Schlosses Poschwitz gehörten Bibelausgaben in 281 Sprachen - und auch von Missionaren verfasste christliche Traktate verwendete, wertete er Materialien zu über zweihundert Einzelsprachen 9 aus, die er sich, wie damals nicht unüblich, auf autodidaktischem Wege im Laufe der Jahre mit bewunderungswürdigem Fleiß angeeignet hatte. Nach dem Urteil seines Sohnes Georg 10 … arbeitete [er] am liebsten auf unbebauten Feldern, da wo sein entdeckungslustiger Geist erst Bahn brechen musste. Wo er andere am Werke sah, verhielt er sich in der Regel beobachtend, lernend, aber nicht selbstschöpferisch; [er war] ein Genie in der Kunst scharfsinniger, sicherer Combination. Einige Jahre später konstatierte er: Mein Vater war nicht minder vielseitig. Oft verband sich bei ihm das philologische Interesse an fremden Literaturen mit dem allgemein sprachwissenschaftlichen. Am Liebsten wandelte er auf unbetretenen Pfaden, führte der Sprachenkunde neuen Stoff zu; und dabei hat er auch an der Entdeckung mehrerer Sprachstämme unter den ersten Pionieren mitgearbeitet. 11 7 Ein Verzeichnis der von Conon veröffentlichten linguistischen und orientalistischen Schriften nach heutigem Stand findet sich im Anhang zu Walravens (2004). Erwähnenswert sind weiterhin seine zahlreichen in Pierer’s Universallexikon in Altenburg veröffentlichten Beiträge. Als seine später wohl bekannteste Arbeit ist Gabelentz, H. C.: 1861 zu erwähnen, wo er Paradigmen aus insgesamt 208 Sprachen heranzieht (s. Index, 545-546). 8 Eine humoristisch gemeinte Erläuterung seiner Vorgehensweise bot er einmal einer Verwandten mütterlicherseits, Ottilie v. Stenglin (geb. ca. 1815), am Beispiel des Deutschen: „Erst sucht ihr euch, wenn die Worte getrennt sind, alle Worte mit 2 oder 3 Buchstaben heraus. Das muss dann sein: da, er, es, ob, an, ab, der, das, die, den, dem, was, wen, wem usw. Nun probiert ihr, ob ihr da nicht Worte wie der, die, das herausbekommt … Schlimmsten Falles macht ihr eine Liste, wie oft jedes Zeichen im Text vorkommt. Am häufigsten ist im Deutschen das e, danach n, und nun sehet ihr, ob ihr damit weiterkommt.“, s. o. (Zitiert in Münchhausen, 90). 9 Hierzu s. Gabelentz, H. C.: 1861; hierzu s. Anm. 7. 10 Gabelentz, G.: 1886, 231: „Am liebsten lernte er Sprachen aus Texten, Sprachen, für die er selbst Grammatik und Wörterbuch schaffen musste.“ Ähnlich schreibt Georg in seinen Lebenserinnerungen, s. Gimm: 1997, 255: „Mit Vorliebe studierte er solche Sprachen, welche bis dahin weder grammatisch noch lexikalisch bearbeitet waren. Mit einem Scharfsinn und einer Umsicht, wie sie wenigen gegeben sein dürfte, wußte er aus oft dürftigen Texten den Wortschatz und die grammatischen Gesetze einer Sprache zu entdecken, um dann das Entdeckte, völlig grundlos, aber klar und zuverlässig, wie es seine Art war, zum Gemeingute der Wissenschaft zu machen.“ 11 S. Gabelentz, G.: 1901, 30. <?page no="302"?> 280 Martin Gimm Im Grunde verkörperte der Vater Conon in seinem Jahrhundert den Idealtyp des hochgebildeten, nicht unbemittelten Geisteswissenschaftlers, dessen breit orientierte wissenschaftliche Interessen und Leistungen - unabhängig vom Erfolg oder Misserfolg in einer akademischen Lauf bahn - sich auf einer umfassenden Sammlung und Kollationierung ausgewählter, oft nach System und Vorbild naturwissenschaftlicher Disziplinen angelegter Humaniora gründeten. Zusammenfassend charakterisierte ihn sein Sohn Georg in seiner Würdigung von 1886 12 wie folgt: Gegenüber der damals unter Grimms und Bopps Führung aufkommenden und blühenden Schule der Indogermanisten, die die zerlegende Vergleichung toter Wortstämme, Formen und Laute pflegten, suchte H. C.s eigentümliche polyglotte Begabung, Wilhelm v. Humboldt verwandt, den Geist fremdgearteter Sprachen zu erforschen. Er ist nicht Anatomist oder Atomist der Sprachen gewesen, man kann ihn den Biologen der Sprachwissenschaft nennen, der nicht nach den formalen Verhältnissen der Sprachen und deren Verwandten fragt, sondern nach den geheimen Lebenskräften, aus denen die Sprache sich formt und lebt. 1.1. Zum Erwerb von Chinesischkenntnissen, der uns hier vorwiegend interessiert, verfügte Conon zu seiner Zeit vor allem über folgende Mittel: 1. Als gedruckte Texte waren ihm die meisten in seiner Zeit erreichbaren zur Hand. Hervorzuheben ist hier eine Art grammatisches Lehrbuch, das ihm sein Mitstudent Hermann Brockhaus (s. u.) einst geschenkt hatte: Jean Pierre Abel-Rémusat (1788-1832), Élémens de la grammaire chinoise ou principes généraux du kou-wen ou style antique et du kouan-hua…., Paris: Impr. royale (1822), das auf der Hs. des P. Joseph Prémare (1666-1736), Notitiae linguae sinicae, beruht. (Das Manuskript des Letztgenannten befand sich damals in der Nationalbibliothek von Paris und wurde erst 1831 in Malacca gedruckt). Als chinesisches Lexikon war ihm seit seiner Leipziger Studentenzeit das großformatige, damals schon sehr seltene Wörterbuch von Basile Brollo de G[l]emona (1648-1704), Dictionnaire chinois, français et latin, Paris: Impr. impériale (1813), zur Hand. 13 2. Ein Lehrer/ native speaker für das Chinesische stand ihm nicht zur Verfügung 14 . Wo sollte er als Privatgelehrter in Thüringen, fern jeder großen 12 Gabelentz, G.: 1886, 225. 13 Zu den genannten Werken s. auch Gimm: 2005, 102-104. Die ihm für das Studium des Manjurischen zugänglichen Schriften sind dort 101-102 genannt. 14 Hierzu s. schon die Bemerkung des Zwanzigjährigen vom 31. Juli 1827: „Wie oft aber fühle ich den Mangel eines Lehrers, eines mündlichen Unterrichts. Dinge, über denen ich vielleicht Stunden, ja Tage, Wochen lang grüble, ohne etwas dabei zu gewinnen, als die traurige Ueberzeugung, daß alles Grübeln fruchtlos ist, würde mir ein solcher in einer Minute auflösen. <?page no="303"?> H. C. und G. v. d. Gabelentz und Manjurisch 281 Stadt, sich auch über das Chinesische in adäquater Weise informieren? 15 Insbesondere bestand für ihn keine Möglichkeit, Chinesisch sprechen zu lernen. 16 (Conon und Georg waren beide nicht in China gewesen - und hatten offenbar auch nicht das Bedürfnis dazu.) 3. Conon pflegte indes ausgesprochen gute Kontakte mit Wissenschaftlern, Reisenden und Missionaren; im Falle des Chinesischen z. B. mit Heinrich Plath (1802-1874) in Göttingen, Wilhelm Schott (1802-1889) in Berlin und manchen anderen, mit denen er sich in vielen Fragen beraten und auch Texte und Bücher austauschen konnte. 17 2. Georg v. d. Gabelentz’ 18 (1840-1893), des jüngsten seiner beiden Söhne, wissenschaftliche Betätigung war kaum anderer Natur. Im Grunde gilt hier seine eigene Äußerung im Lebenslauf von 1889: Wie-Confucius sagt: was andere an einem Tag machen, mache ich in zehn. Aber um so größer ist dann auch die Freude, wenn endlich nun eine Schwierigkeit beseitigt, eine Dunkelheit aufgeklärt ist, und ich mir nun bewußt bin, dies habe ich allein, durch mich selbst allein gethan. Dies Gefühl entschädigt freilich für alle Mühe und Beschwerde.“ (Aus meinem Leben, Familienarchiv v. d. Gabelentz, Nr.-619a, ohne Pag.) 15 Conon war offenbar nur zweimal mit Chinesen zusammengetroffen. (1.) Lt. Schreibkalender des Jahres 1853 (Familienarchiv v. d. Gabelentz, Thüringisches Staatsarchiv, Altenburg - im Folgenden: F. G. - Nr.-1282) war er am 26. Januar mit Georg nach Leipzig gereist, „um die Chinesen zu sehen“. Möglicherweise handelte es sich hier um die zwei südchinesischen Handelsleute, die am 17. Okt. 1822 auch Goethe in Weimar besucht hatten und über die Heine ein Gedicht geschrieben hatte. Hierzu s. Details bei Schwarz: 1988; s. auch Gimm: 1995, 564-565, Anm. 10; Gütinger: 2004, 56-110 u. ö. (2.) Außerdem wohnte bei ihm zeitweilig eine chinesische Kinderfrau, genannt „Aqui“, die seine Tochter Pauline (1836-1885), die mit Richard v. Carlowitz (s. o.) verheiratet war, bei einem Besuch aus Kanton mitgebracht hatte. Sie sprach einen Regionaldialekt und war vermutlich des Lesens und Schreibens unkundig. In einem Brief an Wilhelm Schott vom 1. 8. 1862 (F. G., Nr.-634) berichtete Conon: „In meinem Hause ist jetzt Chinesisch in reinstem Canton- Dialekt sehr gebräuchlich, da meine Tochter [Pauline v. Carlowitz] eine Chinesin als Kinderwärterin mitgebracht hat und die Kinder unter sich fast nur Chinesisch sprechen.“ 16 Erinnert sei hier auch an eine Briefstelle v. 16. Jan. 1830 (F. G., Nr.-699) an Conon von dem bekannten Gelehrten Johann Heinrich Plath (1802-1874), der damals an der Universität Göttingen wirkte, worin er berichtete, dass er zwar 3 bis 5 Studenten für Chinesisch unterrichte, aber nicht wisse, wie man Chinesisch auszusprechen habe („ich habe noch keine Chinesen selbst gehört“). 17 Hierzu s. z. B. Walravens (Hrsg.): 2008. 18 Geb. am 16. März 1840 in Poschwitz, gest. am 10. Dezember 1893 in Berlin. Aus der zahlreichen Literatur zu Georg von der Gabelentz sei aus unmittelbarem Erleben besonders der Beitrag seines Schülers Wilhelm Grube (1855-1908) hervorgehoben, s. Grube: 1902. S. auch Kaden/ Taube: 1979; Taube: 1982; Leutner: 1987; Leibfried: 2003, 9, 19-20, 23-50, 56-64 sowie die dort angeführte Literatur. <?page no="304"?> 282 Martin Gimm Mein sprachwissenschaftliches Streben bewegt sich vorzugsweise in der von W. v. Humboldt vorgezeichneten, auch von meinem […] Vater verfolgten Richtung. 19 Nach dem genannten Dokument hatte er nach seinem Besuch des Gymnasiums in Altenburg (seit 1855), wo er seit 1858 begonnen hatte, Chinesisch zu erlernen, zu Ostern 1859 das Abitur abgelegt und sich noch im gleichen Jahr als Student der „Rechtsu. Cammeralwissenschaften“ an der Universität Jena und ab dem 3.- Semester (1860-1863) an der Universität Leipzig eingeschrieben. Nach Ablegung des 1. juristischen Examens im Jahre 1863 trat er als „Accessist“ in den königlich-sächsischen Verwaltungsdienst. Nach seinem 2.- juristischen Examen im Jahre 1865 wurde er „Hülfsreferendar“ und 1866 „Referendar“ in Leisnig. In den Jahren 1867-1868 wirkte er als „Auditor“ in Leipzig, danach in Straßburg und Chemnitz und seit 1873 als „Assessor“ beim Bezirksgericht in Dresden. Nach historischen Studien zu den Leisniger Burggrafen 20 , die auch mit der Gabelentzschen Familiengeschichte in Beziehung standen, widmete er sich in Chemnitz weiteren Sprachstudien bei einem böhmischen Pater. Wahrscheinlich gaben diese - nach seiner Heirat mit Alexandra Freiin v. Rothkirch-Trach am 20. Okt. 1872 - die Anregung, sich von der juristischen Lauf bahn, in der er letztlich nicht glücklich war 21 , abzuwenden und unter dem Einfluss seines Vaters ein „Zweitstudium“ in die Wege zu leiten, um das unter väterlicher Obhut Begonnene fortzuführen. Es handelte sich hier um ein wohl mehr auf privater Basis 22 arrangiertes Studium von Fächern der Philosophischen Fakultät, insbesondere linguistischer und philosophischer Disziplinen, für das (nach dem in seiner Leipziger Dissertation 23 zum Dr. phil. von 1876 ange- 19 Mskr. des eigenen Lebenslaufs vom 29. Juni 1889 (Gabelentz, G.: F. G., Nr.-906, o. Pagin.). 20 Hierzu s. Dobrucky: 1938, 76. 21 Schon sein Vater war mit seiner eigenen juristischen Lauf bahn nicht ganz glücklich, wie er in seinem Tagebuch (Gabelentz, H. C., F. G., Nr.-619a) am 23. Juni 1827 vermerkt: „Darum meine Vorliebe zu fremdartigen Sprachen, zu dem hieroglyphenartigen Chinesischen […] Jurisprudenz ist mir zu positiv, zu unfruchtbar für das Denken und Grübeln.“ Dennoch hatte der Sohn nach dem Zuge der Zeit „nicht ganz seinem Wunsche gemäss […] auf Verlangen des Vaters“ Rechtswissenschaften studiert; „wie er mir oft versichert hat, [ein] ihm ganz unbehaglicher Beruf “. S. Schlegel: 1894. 22 In den erhaltenen Matrikeln der Universität Leipzig ist Georg nicht als Stud. phil. nachzuweisen; s. im Internet: www.archiv-uni-leipzig.de. 23 Gabelentz, G.: 1876b. In seinem Lebenslauf (Gabelentz, G.: 1876, 89) bemerkt er von seinem Studium an den Universitäten Jena und Leipzig, „woselbst ich nächst den zur Vorbereitung auf den Staatsdienst erforderlichen Rechts- und Staatswissenschaften vorzugsweise unter Leitung der Herren Professoren Kuno Fischer und Hermann Brockhaus philosophischen und linguistischen Studien oblag.“ Nach dem Promotionsbuch d. Philosoph. Fakultät d. Univer- <?page no="305"?> H. C. und G. v. d. Gabelentz und Manjurisch 283 fügten Lebenslauf) die Professoren Hermann Brockhaus in Leipzig und Kuno Fischer in Jena (! ) verantwortlich zeichneten. Einzelheiten zu diesen Jahren, in denen Georg u. a. noch als Assessor beim Bezirksgericht Dresden tätig war, bleiben noch zu ermitteln. Der Indologe Hermann Brockhaus 24 (geb. 28. Jan. 1806 in Amsterdam, gest. 5. Jan. 1877 in Leipzig) war ein etwa gleichaltriger Freund und enger Vertrauter 25 seines Vaters Conon aus Gymnasial- und Studientagen. Als Sohn des bekannten Verlagsgründers Friedrich Arnold Brockhaus (1772-1823), der seit 1811 in Conons Heimatstadt Altenburg ansässig war, wirkte er nach seiner Leipziger Promotion (1838) seit 1839 als ao. Professor für orientalische Sprachen an der Universität Jena, seit 1841 wieder in Leipzig als „academischer Lehrer der Sanskrit-Literatur“ und danach (von 1848 bis 1877) als o. Professor für altindische Sprache und Literatur daselbst. In späteren Jahren (1870-1871) war er Dekan der Philosophischen Fakultät und 1872-1873 Rektor der Universität Leipzig. Aus Mangel einer regulären Vertretung des Faches Sinologie hatte Brockhaus in früheren Jahren gelegentlich auch Kurse zur chinesischen Sprache 26 angeboten. In Georgs Leipziger Studienzeit waren jedoch nach den Vorlesungsverzeichnissen offiziell keine chinesischen Lehrveranstaltungen mehr angekündigt. sität Leipzig (B 128 b) hatte er seinen Promotionsantrag in seiner Funktion als „bacc. iur. u. Gerichtsassessor in Dresden“ gestellt. 24 Mit ihm, dem dritten Sohn des bekannten Leipziger Verlagsgründers Friedrich Arnold Brockhaus (1772-1823), hatte Conon in den Jahren 1821-1825 das Friedrichsgymnasium in Altenburg besucht. Auch hatte dieser von ihm das Chinesisch-Lehrbuch von Rémusat: 1822, s. o., als Geschenk erhalten. (Hierzu s. Dobrucky: 1938, 50-51). Hermann Brockhaus’ Vater betrieb seit 1811 in Altenburg ein „Kunst- und Industriecomptoir“, den Vorläufer des 1814 als „F. A. Brockhaus“ begründeten Unternehmens. Hermann Brockhaus war seit 1836 mit Richard Wagners Schwester Ottilie (1811-1883) verheiratet. - S. Dobrucky: 1938, 74-79 u. ö.; Mylius: 1979; Mangold: 2004, 19, 110, 113, 162 u. ö.; Franco: 2009, 393-395, s. auch Universitätsarchiv Leipzig, Personalakten PA 0353. - Einer seiner Studenten war der später in Oxford wirkende Orientalist und Ordinarius für vergleichende Sprachwissenschaft (Friedrich) Max Müller (1823-1900), der als Herausgeber der Serie The Sacred Books of the East bekannt wurde. Er war der Sohn des romantischen Dichters Wilhelm Müller (1794-1827), der durch seine von Franz Schubert (1797-1828) vertonten Liederzyklen „Die schöne Müllerin“ (op. 23, 1823) und „Die Winterreise“ (op. 89, 1827) Berühmtheit erlangte. 25 U. a. hatte Brockhaus die Ehrenpromotion seines Vaters Conon an der Universität Jena vom 24. Sept. 1862 in die Wege geleitet. 26 Die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig (1842-1876) führen im WS 1845 die Lehrveranstaltung „Elemente der chinesischen Sprache“ und später im SS 1859 nur „Culturgeschichte von China und Indien“ an. Im Zuge seiner Beschäftigung mit der chinesischen Sprache hatte sich Brockhaus im Jahre 1852 auch zur Frage der Herstellungsmöglichkeit eines chinesischen Lexikons geäußert; hierzu s. Brockhaus: 1852. <?page no="306"?> 284 Martin Gimm Als weiterer Mentor seiner Dissertation zeichnete der bekannte Philosoph und Neukantianer Kuno Fischer 27 (geb. 23. Juli 1824 in Schlesien, gest. 5. Juli 1907 in Heidelberg), dessen Wirken und Einflusskraft Georgs spätere Gedankenwelt stark bestimmen sollte. In dieser Zeit war er jedoch nicht in Leipzig tätig, sondern wirkte von 1855 bis 1871 sehr erfolgreich als Professor für Philosophie an der Universität Jena, bis er 1872 einem Ruf nach Heidelberg folgte. Wie die Verbindung zu Kuno Fischer zustande kam, ist bislang noch unklar. 2.1. Georgs Erwerb von Chinesischkenntnissen beruhte vor allem (1.) auf der Fürsorge des Vaters. Stärker als bisher angenommen wirkten sich die väterlichen Begabungen und Charakteranlagen in besonderem Maße prägend auf die Ausbildung und die spätere Wirkung seines Sohnes aus. Obschon sich Georg seinem Wesen nach vom Vater, der sich stets als Amateur empfand, unterschied 28 , bauten seine Kenntnisse in ostasiatischen Sprachen und in linguistischer Methodik zum großen Teil auf der Gelehrsamkeit und Belesenheit des Vaters auf. Es war das grundlegende Wissen, das sich Conon nach eigens entwickelten fundierten Verfahren durch tägliches Studium autodidaktisch angeeignet hatte, das er in täglichem Bemühen an den Sohn privatim weitergab. Solches bestätigte der Sohn in mehrfacher Weise: - 1876 Von früher Jugend habe ich mit besonderer Vorliebe linguistische und orientalistische Studien getrieben […] Mein theurer Vater war mir auch in diesem Theile meiner Bestrebungen ein immer anregender und helfender Führer. 29 - 1883 Während mich die Abfassung dieses Buches [Anfangsgründe der chinesischen Grammatik] beschäftigte, ist mir mehr als einmal der Wunsch gekommen, es möchte von 27 S. Selow: 1961; Windelband (Hg.): 1907. 28 Im Gegensatz zu seinem Vater, der sich eher als universeller Sprachgelehrter verstand, hatte sich der Sohn, auch wegen der ihm später obliegenden spezifischen Universitätsaufgaben, auf bestimmte Bereiche mit ihren Nebengebieten, nämlich auf Chinesisch, Japanisch, Manjurisch und Malaiisch, konzentriert, ohne jedoch zeitweilig auch andere Sprachzweige zu vernachlässigen; s. Gimm: 2005, 11. Während der Vater, nach Familienaufzeichnungen zu urteilen, weniger über Erfahrungen im Sprechen als im Lesen seiner sprachlichen Studienobjekte verfügte und dies auch nie anstrebte, hatte sich der Sohn in späteren Jahren durchaus auch den praktischen Belangen zugewandt. Hierzu s. auch Gimm: 2010, 56, Anm. 15. Von der Vielgestaltigkeit von Georgs wissenschaftlichen Interessen und Kenntnissen zeugt die große Zahl (ca. 250) der von ihm verfassten Rezensionen. 29 Gabelentz, G.: 1876, 90. <?page no="307"?> H. C. und G. v. d. Gabelentz und Manjurisch 285 dem seltenen Lehr- und Darstellungstalente meines unvergesslichen Vaters sich auch auf mich etwas vererbt haben. Ihm war es wie Wenigen gegeben, das Schwierigste leicht aufzufassen und es ebenso leichtfasslich vorzutragen. Nachgestrebt habe ich so gut ich konnte; aber der Gegenstand selbst, der Eintritt in eine völlig fremde Gedankenwelt bringt seine Schwierigkeiten mit sich. 30 - 1886 Das Beste, was mir in meinem Fache gelingen mag, ist unmittelbar immer sein Werk. 31 - 1891 Manches, was ich für mein Eigenstes halte, mag sich schon längst in den Werken Anderer vorfinden; und wenn ich es wirklich zum ersten Male zu Papier gebracht habe, so kann, ohne dass ich es mich entsinne, mein verewigter Vater der Urheber gewesen sein. 32 - um 1890 Ich weiß von vielen meiner sprachlichen Gedanken absolut nicht zu sagen, ob ich sie selber zuerst gefaßt oder vom Vater schon gehört habe. 33 Georgs Schüler, Wilhelm Grube (s. o.), fasste dies so zusammen: Den mächtigsten und nachhaltigsten Einfluß auf seine linguistische Ausbildung hat jedoch unstreitig sein Vater ausgeübt. 34 (2.) Georg, als der um 33 Jahre Jüngere, verfügte inzwischen über den Zugang zu einer wesentlich erweiterten Anzahl von Hilfsmitteln, die das Chinesische betrafen. 35 Erwähnt seien aus seiner Generation nur Veröffentlichungen wie J. M. Callery, Dictionnaire Encyclopédique de la langue chinoise, Paris (1844), Joseph Edkins, A Grammar of Chinese Colloquial Language, London (1857), Wilhelm Schott, Chinesische Sprachlehre, Berlin (1857), P. Angelo Zottoli, Cursus litteraturae sinicae, 5 Bände, Shanghai (1859-1882), Thomas Wade, Yü-yen Tzu-er Chi, A Progressive Cours, London (1867), Stanislas Julien, Syntaxe nouvelle de la langue chinoise, Paris (1869) usw. (3.) Wie es scheint, hatte Georg - ähnlich wie sein Vater - nur wenig Kontakt zu Chinesen in Deutschland, zumal er am Erwerb der in der Hauptstadt oder 30 Gabelentz, G.: 1883, Vorwort, VII. 31 S. Gabelentz, G.: 1886, 241. 32 Gabelentz, G.: 1891, Vorwort, VI (: 1901, V). 33 Eigene Äußerung, nach Conons Tochter Clementine v. Münchhausen (Münchhausen: 159). 34 Grube: 1905, 548. 35 Die das Chinesische betreffenden Bibliotheksbestände Georgs (und auch Conons) sind bislang nicht überschaubar. Manche der im folgenden genannten Bücher erwähnt er im Vorwort seiner Chinesischen Grammatik (Gabelentz, G.: 1881a, XIV). <?page no="308"?> 286 Martin Gimm am Hof gesprochenen Sprache (damals Mandarin genannt) nur beiläufig interessiert war. Eine gewisse Ausnahme bildete hier der gebildete Manjure Yinchang 36 (1859-1934), damals Attaché an der chinesischen Botschaft in Berlin, der eine hervorragende klassische Ausbildung genossen hatte und auch gut Deutsch sprechen konnte. Georg erwähnt ihn 1883 ausdrücklich in einem Vorwort 37 als Informant und Gewährsmann für seine chinesischen Textinterpretationen. 2.2. Georgs akademische Lauf bahn begann an der Universität Leipzig 38 , wohin er aufgrund seiner bisherigen Veröffentlichungen bereits am 21. Juni 1878 als ao. Professor für ostasiatische Sprachen - seit dem 20. Juni 1882 o. Honorarprofessor - berufen wurde. Während seiner dortigen Lehre, in der er sich vor allem dem Chinesischen, daneben auch dem Japanischen, Manjurischen, Mongolischen und Malaiischen widmete - seit 1883 war sein Famulus der später als Japanologe bekannte Carl Florenz 39 (1845-1912) -, entstanden seine beiden Grammatiken 40 von 1881 und 1883. Seit 1885 war er Mitglied der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, philologisch-historische Classe, und erhielt im Jahre 1889 einen Ruf als o. Professor auf den neu errichteten Lehrstuhl für chinesische Sprache und Literatur und 36 Yinchang hielt sich zu dieser Zeit (1874-1894) zunächst als Dolmetscher und später als Generalleutnant und Militärattaché an der kaiserlich-chinesischen Botschaft in Berlin auf und war später (1901-1906 sowie 1908-1909) dort als Gesandter tätig. Seit 1910 wirkte er in China kurzzeitig als Kriegsminister. Er war manjurischer Abstammung vom Einfachen weißen Banner und mit einer deutschen Frau verheiratet. Zu ihm s. Josef Kürschner (Hrsg.): 1901, Sp.-387-388; Seuberlich: 1971. - Nach chinesischen Quellen verstarb er bereits 1928. 37 Gabelentz, G.: 1883, Vorrede, VII: „Konnte ich mir einen competenteren Beurtheiler wünschen? “ 38 S. Personalakten PA 0437. 39 Zu Georgs bekanntesten Studenten zählten neben Carl Florenz (s. o.): Rudolf Dvorak (1860-1920), August Gramatzky (1862-1942), Jan Jacob Maria de Groot (1854-1921), Wilhelm Grube (1855-1908), F. W. K. Müller (1863-1930), Arthur v. Rosthorn (1862-1945) und Max Uhle (1856-1944). Anlässlich des Todes dedizierte ihm Carl Florenz seine bekannte Übersetzungssammlung Dichtergrüsse aus dem Osten u. ö. („Dem Andenken Georg’s von der Gabelentz gewidmet“, Florenz: 1894, 2). 40 Insbesondere ist auf seine während der Leipziger Tätigkeit im Jahre 1881 entstandene Grammatik hinzuweisen, die sich für Generationen westlicher Sinologen als bahnbrechend erwies (Gabelentz G.: 1881a). Dieses Werk konnte in dieser Zeit bereits auf einigen Vorarbeiten auf bauen, so auf der grundlegenden Grammatik von Rémusat (1822) und auf der wesentlich anspruchsloseren, zwei Jahrzehnte danach erschienenen ersten Grammatik in deutscher Sprache aus der Feder des Wiener Botanikers Stephan Ladislaus Endlicher (1804-1849). <?page no="309"?> H. C. und G. v. d. Gabelentz und Manjurisch 287 allgemeine Sprachwissenschaft an die Universität Berlin 41 , wo er Nachfolger des gerade verstorbenen Wilhelm Schott (1802-1889) wurde, der dort seit 1832 als Privatdozent und Professor für ostasiatische Sprachen wirkte und ebenfalls ein enger Freund seines Vaters war. 42 Bis zu Georgs frühem Tod im Jahre 1893 blieb Berlin seine Hauptwirkungsstätte. 3. Die Rolle des Manjurischen: Wie oben bemerkt, stand Georg (wie zuvor seinem Vater) eine fundierte Ausbildung in der chinesischen Sprache nur eingeschränkt zur Verfügung, und es erschien daher geboten, sich nach anderen verfügbaren Hilfsmitteln umzusehen. In solchem Falle bot sich das Manjurische an, das man als Lingua franca des Kaiserhofes und der herrschenden Kreise während der Qing- Dynastie (1644-1912) charakterisieren kann. In seiner Rolle als Ancilla sinologiae 43 , d. h. als Interpretationshilfe für das rechte Verständnis chinesischer Texte, konnte es ausreichen, den damals allerorten zu beklagenden Mangel eines einheimischen Lettré wenigstens halbwegs zu ersetzen. Da seine segensreiche - heute merkwürdigerweise meist verkannte - Bedeutung für die europäische Sinologie des 17. bis 19. Jh.s. an anderer Stelle näher analysiert werden soll, seien hier nur einige Stichworte zu dieser Frage angeführt. Abgesehen von den anderen mannigfaltigen Problemen der chinesischen Schriftsprache, für die eine einheimische Grammatik 44 zu dieser Zeit noch 41 In seiner Initiativbewerbung an das Dresdener Ministerium sprach Georg spezifiziert von einer „Professur der chinesischen, japanischen und mandschuischen Sprache“. Hierzu s. Kaden: 1993. Von besonderer Bedeutung wurde das während seiner Berliner Zeit kompilierte Kompendium Die Sprachwissenschaft (Gabelentz, G.: 1891). 42 Hierzu s. Walravens: 2008. 43 Ausführliches zur Bedeutung des Manjurischen für die Frühzeit der europäischen Sinologie s. auch Gimm: 2005, 98-101, Gimm: 1997, 227-228. Später (etwa seit der Mitte des 19. Jh.s) spielten in gewisser Weise die japanischen Übersetzungen chinesischer Texte für die westliche Sinologie eine vergleichbare Rolle. 44 Bemerkenswert ist ein mangelhaftes „Grammmatikbewusstsein“ traditioneller chinesischer Gelehrter; denn, abgesehen von Traktaten zu den xuzi , den sog. ‚leeren‘ (kenematischen) Schriftzeichen, und zahllosen Kommentarwerken, ist in China nie eine zusammenfassende eigene Grammatik oder etwas Ähnliches entstanden. Erst in den mehrsprachigen Lexika und Sprachhandbüchern der Qing-Dynastie lassen sich aus der Notwendigkeit, damalige Minoritätensprachen zu verarbeiten, Versuche zur Wiedergabe sprachlicher Termini aufspüren. Das erste einheimische Sprachhandbuch, Mashi wentong , erschien erst 1898, d. h. 17 Jahre nach Georgs großer Chinesischer Grammatik von 1881, und war ebenfalls nach lateinischen Kategorien strukturiert. Verfasser war Ma Jianzhong (1844-1900), der in missionarischer Umgebung aufgewachsen war und in Frankreich studiert hatte. Ihm verdanken wir auch den frühesten chinesischen Terminus für „Grammatik“ (wentong). <?page no="310"?> 288 Martin Gimm nicht existierte, und der Notwendigkeit, historisch-kontextuelle Zusammenhänge zu durchschauen, was eine umfassende „literarische Bildung“ erforderte, machte sich für den Chinesischadepten insbesondere eine Art „Unschärfe“ der textlichen Formulierungen dieser „Sprache ohne Grammatik“ 45 bemerkbar, auf die allerdings hier nicht näher eingegangen werden kann. Im Unterschied zum Strukturtyp des Chinesischen, das der isolierenden Sprachgruppe zugehört, bietet das Tunguso-Manjurische, das mit dem Mongolischen und Türkischen verwandt ist, als agglutinierende Sprache eine größere Nähe zu den indo-europäischen Sprachen. 46 Zum anderen konnte man zu Gabelentz’ Zeiten über eine große Zahl hervorragender, oft kaiserlich initiierter (qinding ) Übersetzungen chinesischer Standardtexte - und ergänzend dazu auch über Sprachlehrbücher und (bis zu 5-sprachigen) Lexika - verfügen. Keine der Fremddynastien in China hatte sich je an ein solch aufwendiges Übersetzungsunternehmen herangewagt. Die Kaiser der Qing-Dynastie hatten erkannt, dass man nur durch Anpassung an das altbewährte chinesische Regierungs- und Verwaltungssystem und die Übernahme der Leitlinien kultureller Tradition einen Erfolg bei den Bemühungen, eine erneute Fremdherrschaft über das eroberte China zu errichten, erreichen könne. Es traf sich nun gut, dass der Vater Conon in der Lage war, sich einen ausreichenden Vorrat an den damals noch leicht erreichbaren Manjuversionen, insbesondere durch seinen Schwiegersohn Richard v. Carlowitz (s. o.), zu beschaffen, der sich seit 1844 als Begründer einer Handelsfirma und späterer Konsul des Norddeutschen Bundes in China aufhielt. Wohlweislich hatte Conon mindestens seit seinem zwanzigsten Lebensjahr (1827) Manjurisch studiert, und „fortan hat ihn mit längeren und kürzeren Unterbrechungen das Mandschu beschäftigt bis an sein Ende.“ 47 In dieser Tradition strebte ihm auch der Sohn Georg nach und verwendete die ihm verfügbaren manjurischen Ausgaben als Hilfe für seine chinesischen 45 Georg hatte seinerzeit betont: „die Grammatik einer isolierenden Sprache [ist] lediglich Syntax.“ S. Gabelentz, G.: 1884, 273. Allgemein hierzu s. z. B. Franke (1955), 135-141. 46 Schon der Jesuitenpater J. J. M. Amiot (1718-1793) hatte betont: „La langue Mantchou est dans le goût de nos langues d’Europe; elle a sa méthode & ses règles; en un mot, on y voit clair. […] cinq ou six années d’étude suffiroient à un homme appliqué pour mettre en état de lire avec profit tous les livres écrits en Mantchou.“ S. Amiot: 1770, Préface du traducteur, vj. - Als wesentliche Vorteile des Manjurischen hob J. P. Abel-Rémusat im Jahre 1820 hervor: 1) Es gibt den Inhalt des chinesischen Textes sehr genau wieder, 2) seine syntaktische Struktur wird leichter durchschaubar, 3) dadurch bietet es Hilfe für die im Chinesischen traditionsgemäß fehlende Interpunktion. S. Rémusat: 1820, 124. 47 Gabelentz, G.: 1886, 237. <?page no="311"?> H. C. und G. v. d. Gabelentz und Manjurisch 289 Textübersetzungen 48 . Auch widmete er sich in seinen Lehrveranstaltungen regelmäßig der Vermittlung dieser Sprache 49 . Bezüglich des Wertes dieser manjurischen Hilfsmittel für das Studium chinesischer Texte gelangte Georg in seiner Zeit zu folgenden Bekenntnissen: --1862 […] alle Mandschu-Uebersetzungen sind für uns authentische, sie sind genau bis zur Peinlichkeit; und die Mandschu-Sprache ist in ihrem Bau unendlich klarer als die chinesische; […] kurz - die Sprache der Amurländer bietet die bequemste Brücke in die Literatur des Mittelreiches. 50 --1876 [Bei der Bewältigung schwieriger Texte ist es so,] dass in alle Ewigkeit dem Sinologen die traurige Wahl bleibe, ob er sich an die Mandschu-Uebersetzungen halten oder lieber die besten Jahre seines Lebens mit Vorstudien verbringen will, ehe er erfolgsgewiss ein selbständiges Schaffen beginnen könne. […] Hier ergiebt sich der Werth der Mandschu-Literatur. Was sie uns an Uebersetzungen und an Wörterbüchern bietet, darf zwar nicht als unfehlbar, wohl aber zum überwiegenden Theile als authentisch gelten, insofern man darunter das verstehen will, was die besten Kritiker des neueren China für richtig anerkennen. […] denn Kenntniss der Mandschusprache ist das Wenigste, was man von einem Sinologen verlangen kann, und die Kenntniss ist leicht im erforderlichen Grade erworben. […] Die grossen Kaiser der jetzigen Dynastie eilten ihre Uebersetzer an die Arbeit zu schicken, ehe denn ihr kriegerisches Nomadenvolk in chinesischem Denken heimisch, mithin ehe dessen Sprache der alten Mittelreichscultur entgegengereift war. […] die Khang-hi, Kian-lung und ihre Gelehrten sind und bleiben darum doch die treuesten Retter in unsern Nöthen. 51 --1881 Sie [die Manjuren] haben sich, seit sie China erobert (1644), mit ebensoviel Eifer wie Erfolg der Pflege der chinesischen Sprache und Literatur gewidmet. Erlauchte Kaiser […], selbst Gelehrte ersten Ranges, liessen eine Menge der vorzüglichsten chinesischen Bücher in ihre Muttersprache übersetzen und unter ihren Landsleuten verteilen. Die meisten dieser Uebertragungen können als authentische, manche von ihnen als meisterhafte gelten. Sie vor Allem haben uns Europäern den Weg der sinologischen Forschung gebahnt […]. 52 48 So finden sich z. B. in seiner Chinesischen Grammatik von 1881 manjurische Teilstellen auf den Seiten 89, 126, 132, 197, 209, 214, 231, 247, 304, 454. 49 Nach den Vorlesungsverzeichnissen bot er in Leipzig folgende Kurse an: „Anfangsgründe der mandschuischen Grammatik“ im SS und WS 1879, WS 1880, WS 1881; „Mandschuische Grammatik“ im WS 1882, SS 1884, SS 1885; „Mandschuische Sprache“ im SS 1886, SS 1887, SS-1888, SS 1889. 50 Gabelentz, G.: 1862, 538. 51 Rezension zu S. Wells Williams, Dictionary (Gabelentz, G.: 1876), 589 und 599-600. 52 Gabelentz, G.: 1881a, § 48, 17-18. <?page no="312"?> 290 Martin Gimm Der Fremdherrschaft der Mandschu in China ist unsere Sinologie in mehr als einer Beziehung Dank schuldig. […] ihre Uebersetzungen so vieler der wichtigsten chinesischen Werke in eine leicht erlernbare Sprache mit bequemer Buchstabenschrift müssen als nahezu authentische gelten und sind, wo sie vorhanden, uns noch heute ein unschätzbares Hülfsmittel. Kein europäischer Sinologe darf die Mandschusprache vernachlässigen. 53 Literatur 54 Amiot, Jean Joseph Marie (1770), Éloge de la ville de Moukden et de ses environs; Poeme Composé par Kien-long, Empereur de la Chine & de la Tartarie, actuellement régnant, Paris: Tilliard. Boineburg-Lengsfeld, Albert v. (1818/ 89), in: J. S. Ersch und J. G. Gruber, Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Leipzig: Gleditsch, Theil 52, 24-27. Brockhaus, Hermann (1852), „Vorschläge zu zweckmässiger Einrichtung eines chinesischen Wörterbuches“, ZDMG, 532-535. Dobrucky, Theodor (1938), „Die Herren v. d. Gabelentz“, in: Über ein halbes Jahrtausend auf angestammter Scholle, Geschichte der Herren von der Gabelentz auf Poschwitz 1388-1938, Leipzig, 11-90. Endlicher, Stephan Ladislaus (1845), Anfangsgründe der chinesischen Grammatik, Wien: C. Gerold. Florenz, Carl (1894), Dichtergrüsse aus dem Osten. Japanische Dichtungen, Leipzig u. Tokyo. Franco, Eli (2009), Indologie, in: Geschichte der Universität Leipzig 1409-2009, 4, 1. Halbband, Leipzig: Universitätsverlag, 393-395. Franke, Herbert (1955), „Bemerkungen zum Problem der Struktur der chinesischen Schriftsprache“, Oriens Extremus, 2, 135-141. Gabelentz, Georg von der (1862), „Mandschu-Bücher“, ZDMG, 16. Gabelentz, Georg von der (1876a), Rezension zu S. Wells Williams, Dictionary, ZDMG, 30, 589 und 599-600. Gabelentz, Georg von der (1876b), Thai-kih-thu, des Tscheu-tsï. 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Vorbemerkung Lange Zeit war den chinesischen Sinologen nicht klar, dass die erste chinesische Grammatik NICHT die Grammatik von Herrn MA (MA SHI WEN TONG, 1898) ist. Es musste bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts dauern, bis Prof. YAO Xiaoping (Fremdsprachenuniversität Beijing) herausfand, dass es vor diesem Buch in Europa schon andere chinesische Grammatiken oder grammatische Darstellungen des Chinesischen gab, besonders von Missionaren, die vom 17. Jahrhundert an in den Osten gereist waren. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: 1. Arte de la lengua Mandarina von Francisco Varo (1703), 2. Notitiae linguae sinicae von Joseph Prémare (1731), 3. The Elements of Chinese Grammar von Joshua Marshman (1814), 4. Élémens de la grammaire chinoise von Jean Pierre Abel-Rémusat (1822), 5. „Ueber den grammatischen Auf bau der Chinesischen Sprache“ von Wilhelm von Humboldt (1826), 6. A grammar of the Chinese colloquial language, commonly called the Mandarin dialect von Joseph Edkins (1857), 7. Syntaxe nouvelle de la Langue Chinoise von Stanislas Julien (1869). 2. Rezeption der „Chinesischen Grammatik“ von Gabelentz in China Bis zur Veröffentlichung von MA SHI WEN TONG war also die chinesische Grammatik bereits knapp 200 Jahre in Europa erforscht worden, mit umfang- und erkenntnisreichen Ergebnissen. Die Chinesische Grammatik (1881) von Georg v. d. Gabelentz, die auf der Grundlage der Forschungsergebnisse der <?page no="316"?> 294 FENG Xiaohu allgemeinen Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert verfasst wurde, ist ebenso eine der vor MA SHI WEN TONG in Europa erschienenen Grammatiken, und zwar eine der gründlichsten. Ihre Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit suchen bis ins 21. Jahrhundert ihresgleichen. Die Chinesische Grammatik von Gabelentz ist nicht die erste in Europa, aber zweifelsohne eine der besten. Von Varo über Prémare bis Julien waren die systematischen Deskriptionen des Chinesischen immer davon ausgegangen, dass die Vor- und Nachteile einer Sprache stets aus dem Gesichtspunkt des Lateinischen beurteilt werden sollen und müssen. In ihnen war immer die Implikation zu entnehmen: eine Sprache kann nur nach den grammatischen Regeln des Lateinischen beurteilt werden. Latein war außerdem ein Maßstab für das Intelligenzniveau, das die geistige Entwicklung einer Nation repräsentiert. Jeder Leser der Chinesischen Grammatik von Gabelentz begegnet aber der gegensätzlichen Erkenntnis. Gabelentz gehört zu den ersten in Europa, die ihre Chinesisch-Forschung nicht aus dem Gesichtspunkt des Lateinischen, sondern aus dem des Chinesischen entwickelten. Damit zählt er zu den Pionieren der europäischen Linguistik, die statt Europa die ganze Welt in den Fokus der Wissenschaft stellten. Er begann seine umfangreiche Chinesische Grammatik erst dann zu schreiben, nachdem er sich lange Jahre wissenschaftlich mit der Phonetik, Schrift und Geschichte des Chinesischen befasst hatte, was ihn von seinen Vorgängern im Chinesisch-Studium wie Leibniz, Adelung und Wilhelm von Humboldt heraushebt. Im Gegensatz zu diesen ging Gabelentz nicht von dem in seiner Zeit dominierenden Eurozentrismus aus. Er begegnete der vorherrschenden Meinung über die angebliche, sich in der Morphologie zeigende Überlegenheit der indo-europäischen Sprachen gegenüber dem Chinesischen, die auch die Überlegenheit der Europäer in der Wissenschaft, Produktion und Kultur sowie im Denken überhaupt begründen sollte. In den morphologischen Erscheinungen der europäischen Sprachen, etwa des Deutschen, stellte er gerade deren Unterlegenheit etwa mit solchen Fragen bloß: Warum muss derselbe Begriff mit unterschiedlichen phonetischen Formen ausgedrückt werden? Warum müssen Konjugationsformen da sein, wenn schon vom Subjekt her klar ist, von welchem Sprecher die Rede ist? Warum muss es das Neutrum als grammatisches Genus geben, wenn es naturgemäß nur das Männliche und das Weibliche gibt? Sein Fazit aus diesen Überlegungen ist: jede Sprache ist eine abgeschlossene Einheit für sich. Ihre Qualität und Entwicklungsphase allein an die Morphologie der Sprache anzuknüpfen ist kein zuverlässiger Bewertungsmaßstab. In diesem Sinne trug Gabelentz den Geist von Leibniz weiter, der im Chinesi- <?page no="317"?> Rezeption der „Chinesischen Grammatik“ von Gabelentz in China 295 schen ein Muster seiner characteristica universalis gefunden zu haben glaubte (ohne jemals in China gewesen zu sein, genauso wenig wie Gabelentz). Damit distanzierte sich Gabelentz auch von deutschen Denkern wie Hegel, den Brüdern Grimm und Schleicher, die im Chinesischen gar keine Grammatik festgestellt haben wollten. Diese Ansicht von Gabelentz geht auf seine bewusste sprachwissenschaftliche Position zurück. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an verschob sich nämlich der Fokus der europäischen Grammatikforschung allmählich auf die Syntax. Gabelentz gehörte zu den ersten Syntaxforschern seiner Zeit. Eine grammatische Struktur ist für ihn in erster und letzter Linie Syntax. Nicht zufällig trägt deshalb der I. Abschnitt des 1. Hauptstücks im zweiten Buch seiner Chinesischen Grammatik die Überschrift „Stellungsgesetze“, die in sieben Kapiteln abgehandelt werden. Wilhelm von Humboldt behauptete damals, eine Grammatik im Chinesischen entdeckt zu haben, die nur aus der Wortstellung bestehe. Nach ihm beruhe die chinesische Grammatik lediglich auf zwei Grundregeln: 1. Das beschränkende Wort steht vor dem beschränkten Wort, 2. Das beschriebene Wort steht hinter dem beschreibenden Wort. Die Rezeption der Chinesischen Grammatik von Gabelentz in China hat bis heute eine relativ kurze Geschichte hinter sich. XING Qinglan ( ) schrieb 1947 in seinem dem 50jährigen Veröffentlichungsjubiläum von MA SHI WEN TONG gewidmeten Aufsatz in der Zeitschrift Wochenschau des Chinesischen ( , Nr.- 59): „Auch westliche Missionare schrieben einige chinesische Grammatiken, z. B. die im Westen verbreitete Chinesische Grammatik (von Gabelentz)“, wobei Gabelentz von ihm fälschlicherweise für einen Missionar gehalten wurde. Diesen Fehler wusste MO Dongyin ( ) in seiner heute viel zitierten Entwicklungsgeschichte der Sinologie ( , 1949, Neuauflage 2006) zu korrigieren, indem er Gabelentz’ „Beitrag als Sprachwissenschaftler zur sinologischen Forschung“ betonte. Die höchste Bewertung Gabelentz’ erteilte ZHOU Fagao ( ) nach der Kulturrevolution, der in seiner Arbeit „Über die Chinesische Linguistik“ ( , 1980) die Chinesische Grammatik von Gabelentz als „das bis heute bedeutendste grammatische Werk des klassischen Chinesisch“ bezeichnete. WANG Li ( ), der wohl renommierteste Linguist Chinas im 20. Jahrhundert, hat auch einmal Gabelentz erwähnt, und zwar im Rahmen einer Kritik an MA SHI WEN TONG: „Wir können auch einen kurzen Blick in die Chinesische Grammatik werfen, die der deutsche Sinologe Gabelentz 1881 veröffentlichte, um festzustellen, dass er von 5 ‚Kasus‘ im Chinesischen spricht. <?page no="318"?> 296 FENG Xiaohu Wenn MA Jianzhong alles von europäischen Forschern abgeschrieben hat, warum übernahm er nicht diese Behauptung von Gabelentz? “ 1 YAO Xiaoping wies auch darauf hin, dass WANG Li den Begriff „Kasus“ von Gabelentz fälschlich wie einen grammatischen Begriff im Latein betrachtete, während Gabelentz eher von der Definition des Begriffs in der allgemeinen Sprachwissenschaft ausgegangen war 2 . YAO Xiaoping ist auch der erste Wegbereiter einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Chinesischen Grammatik von Gabelentz. Das oben angeführte Zitat aus seiner Arbeit Geschichte der Sprachwissenschaft in China ist nicht seine einzige Bemerkung über Gabelentz. 1996 pries er Gabelentz in seinem Aufsatz „Chinesische Geschichte der Sprachwissenschaft in den Augen des Westens“ ( ) in Ausländische Linguistik ( 1996/ 3 nicht nur als ernsthaften Erforscher der chinesischen Grammatik, sondern auch der chinesischen Sprachgeschichte. Das war der Beginn seiner Untersuchungen über Gabelentz. In der Zeitschrift Gegenwartslinguistik ( ; umbenannte Nachfolgezeitschrift von Ausländische Linguistik) räumte er in seinem Aufsatz „Chinesische Grammatik und MA SHI WEN TONG - Neue Bewertung des historischen Beitrags von MA SHI WEN TONG“ ( ) in der Ausgabe 1999/ 2 gewagterweise der Chinesischen Grammatik von Gabelentz einen größeren historischen Beitrag zur Darstellung der chinesischen Grammatik ein als der des MA SHI WEN TONG, was damals in der chinesischen Sinologie fast eine Revolution bedeutete. Dieser Aufsatz von YAO gilt bis heute als Einführungsliteratur über Gabelentz in China und stellt den ersten Meilenstein der wissenschaftlichen Forschung über die Gabelentzsche Chinesische Grammatik in China dar, die als wissenschaftliche Grammatik auch heute in Europa ihresgleichen sucht. Es war auch YAO, der vom 3. bis 4. Juni 2000 das Symposium zum Andenken des 100. Todestages von MA Jianzhong an der Fremdsprachenuniversität Beijing veranstaltete, an dem der Verfasser dieses Aufsatzes teilnahm. Im Sammelband des Symposiums setzten sich einige Aufsätze mit der Chinesischen Grammatik von Gabelentz auseinander. Nach der Grundsteinlegung durch YAO war jedoch lange Zeit nichts Neues mehr auf diesem Gebiet publiziert worden. Überblick über die ‚Chi- 1 Wang Li, Geschichte der chinesischen Sprachwissenschaft ( , 1981 ). 2 Näheres vgl. Yao Xiaoping 2005 (http: / / humanum.arts.cuhk.edu.hk/ ~lha/ latin_intensive/ Ma_other.html) <?page no="319"?> Rezeption der „Chinesischen Grammatik“ von Gabelentz in China 297 nesische Grammatik‘ von Gabelentz ( , Magisterarbeit) aus dem Jahre 2003 von WANG Yan ( ) an der Fremdsprachenuniversität Beijing ist die einzige Arbeit, die wissenschaftlich einen nennenswerten Beitrag zu diesem Thema bedeutet. Leider ist diese Arbeit bis heute in China nicht publiziert worden. YAO war auch der erste in China, der eine Übersetzung der „Chinesischen Grammatik“ von Gabelentz anregte. Bereits 2003 diskutierte er in einer von ihm organisierten Runde mit einigen GermanistInnen, unter denen der Verfasser dieses Aufsatzes anwesend war, über diese Initiative. 3. Fazit Die Rezeption der Gabelentzschen Chinesischen Grammatik in China lässt noch vieles zu wünschen übrig, obwohl sie in der chinesischen Forschung durchaus bekannt ist. Heute sollte man zunächst folgende Aufgaben ins Auge fassen: 1. ihre wissenschaftliche Untersuchung, 2. Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern und Bildung eines Arbeitskreises für eine einschlägige Forschungsarbeit, 3. ihre vollständige Übersetzung ins Chinesische. <?page no="321"?> Zu den Autoren Eugenio Coseriu (†), Prof. Dr. Studium Roman. u. Slaw. Philologie, Philosophie. 1944 u. 1949 Promotion. 1963 o. Professor f. Roman. Philologie u. (ab 1966 auch) allg. Sprachwiss. Univ. Tübingen. Gest. 2002. Kennosuke Ezawa, Dr. phil., Studium Germanistik u. Philosophie in Tokyo (Keio-Univ.). 1969 Promotion Köln. Ab 1971 Akad. Rat/ Oberrat f. Linguistik Dt. Seminar Univ. Tübingen. 1993/ 94 Gastprofessur Humboldt-Univ. Berlin. FENG Xiaohu, Prof. Dr. geb. 1962. Studium Linguistik in Chong Qing, Beijing, Mainz, Berlin. 1999 Promotion. 2004 o. Professor Univ. of Intern. Business & Economics, Beijing. Mitglied Intern. Wiss. Beirat IDS, Mannheim. Carol E. Genetti, 1990-Present. Professor, Dept. of Linguistics, University of California, Santa Barbara. 1990. Univ. of Oregon. Ph. D. in Linguistics. 2009. Association for Linguistic Typology inaugural v. d. Gabelentz Award. Martin Gimm, Prof. Dr. Studium d. Sinologie, Mongolistik, Manjuristik, Tibetologie in Leipzig, Berlin, Taipei. Tokyo. Promotion 1965. Habilitation 1969. 1970-1996 o. Professor f. Sinologie und Manjuristik Univ. Köln. Roland Harweg, Prof. Dr. Studium allg. u. vergl. Sprachwiss., Indologie, oriental. Sprachen, klass. Philologie in Münster. 1961 Promotion. 1965 Habilitation. Seit 1969 o. Professor f. germanist. Linguistik, Univ. Bochum. Franz Hundsnurscher, Prof. Dr. Studium Deutsch, Englisch, Geschichte in München u. Tübingen. 1967 Promotion. Seit 1974 o. Professor f. Deutsche Philologie Univ. Münster. Klaus Kaden, Prof. Dr. sc. phil. Studium Sinologie u. Japanologie HU Berlin. 1963 Promotion. 1976 Habilitation. 1977 Dozent. 1983 Professor f. Chinesische Sprache, Humboldt-Univ. Berlin. E. F. K. Koerner, Dr. Dr. h. c. mult. Professor f. Allg. Sprachwiss., Univ. Ottawa, Kanada, emeritiert. Seit 1973 Herausgeber der Zeitschrift „Historiographia Linguistica“ u. von Buchreihen bei John Benjamins. <?page no="322"?> 300 Zu den Autoren Manfred Krifka, Prof. Dr. 1976-81 Studium München. 1987 Promotion. 1990-2000 Univ. of Texas at Austin. 2000 Professor f. Linguistik Humboldt- Univ. Berlin. 2001 Direktor Zentrum f. Allg. Sprachwiss. (ZAS), Berlin. Wilfried Kürschner, Prof. Dr. 1965-70 Studium Germanistik, Anglistik in Tübingen. 1973 Promotion. 1980 Habilitation. Seit 1980 Professor f. Allg. Sprachwiss. u. germanist. Linguistik Univ. Vechta. Christian Lehmann, Prof. für Sprachwiss., ab 1984 in Bielefeld, seit 1999 in Erfurt. Hauptarbeitsgebiete: Typolog.-vergl. Sprachwiss., Dokumentation bedrohter Sprachen, Linguistik des Lateinischen, Grammatikalisierung. Barbara Meisterernst, Prof. Dr., Studium Sinologie, Germanistik, allg. Sprachwiss. Münster, Gastprof. Univ. Gent, Forschungsstelle (DFG) Inst. f. Asienu. Afrikawiss. Humboldt-Univ., seit 2013 Vertretungsprof. Sinologie HU. Hans Frede Nielsen, Prof. Dr. 1975-2006 Dozent/ Professor f. Englische Sprache/ Historische Linguistik einschließlich Wissenschaftsgeschichte, Univ. of Southern Denmark (Odense Univ.). Uwe Petersen, Übersetzer und Lehrbeauftragter. Studium der klass. Philologie und Romanistik in Tübingen, Lille und Perugià. 1975-1988 Lehrbeauftragter in Stuttgart. Heute freier Übersetzer in Tübingen und Hamburg. Frans Plank, Prof. f. Allg. u. Anglist. Sprachwiss., Univ. Konstanz; Editor-Linguistic Typology; Joint Editor-Transac. Philol. Soc.; Morphologie, Syntax, Prosodie, Germ. Sprachen, Typologie, Histor. Sprachwiss., Gesch. d. Sprachwiss. (Autorenkollektiv) Eberhardt Richter (†), Dr. phil. habil., Prof. für Tibetisch- Burmesische Sprachwissenschaft; Manfred Reichardt, Dr. phil., Sinologe; Gerhard Selter, Dr. phil., Dozent für Moderne Geschichte Indiens; Rüdiger Gaudes (†), Dr. phil., Tibetisch/ Khmer-Forscher; Shu-xin Reichardt, Dr. phil., Sinologin (Sprachw.); Manfred Taube, s. u.; Irmtraud Herms, Dr. phil., Dipl.-Afrikanistin (Sprachw.); alle früher Univ. Leipzig. Karl H. Rensch, Prof. Dr. Studium Romanistik, Sprachwiss., Phonetik in Münster. Wiss. Assistent Inst. f. Phonetik Univ. Köln (Gabelentz-Saussure- Studie 1966). Ab 1969 Australian National Univ. Erforscht polynes. Sprachen. Georg Schütte, Dr., geb. 1962, Studium Journalistik Univ. Dortmund u. City Univ. of New York, 2004 Generalsekretär A. v. Humboldt-Stiftung, seit Dez. 2009 Staatssekretär Bundesministerium f. Bildung u. Forschung. <?page no="323"?> Zu den Autoren 301 Sven Staffeldt, Prof. Dr. geb. 1974 in Stralsund. Studium Dt. Philologie, Publizistik u. Kommunikationswiss. in Münster. 2003-2008 Wiss. Mitarbeiter TU Berlin und 2008/ 09 Uni Erfurt. Seit 2009 Akad. Rat Uni Würzburg. Manfred Taube, Prof. Dr. phil. Professor f. Tibetologie u. Mongolistik, Univ. Leipzig. Seit 1993 Mitglied d. Sächs. Akademie d. Wiss. zu Leipzig, Philol.hist. Klasse. 1987 Friedrich-Weller-Preis. Annemete v. Vogel, Oberstudienrätin i. R. Studium Musik u. Anglistik in Berlin. Leitete 2010 Gabelentz-Ausstellung Berlin. 2. Vorsitzende des Gabelentz-Forums in der Ost-West-Ges. f. Spr.u. Kulturforschung, Berlin. Heinrich Weber, Prof. Dr. geb. 1940. Studium Germanistik, Geschichte, Politik. 1968 Promotion. 1969-2005 Akad. Rat/ Oberrat für germ. Linguistik in Tübingen. 1989 Habilitation. Grammatik, Sprachgesch., Gesch. d. Linguistik. Karin Westphal, geb. 1941. Studium Geschichte u. Sinologie Univ. Leipzig. 1972-1992 Fachinformatorin/ Studienorganisation Sektion Afrika- und Nahostwiss., 1996-2006 Zentrales Prüfungsamt Philos. Fakultäten Univ. Leipzig. Harald Weydt, Prof. Dr. Studium Germanistik, Romanistik, Philosophie in Bonn u. Tübingen. 1975 FU Berlin, seit 1993 Europa-Univ. Viadrina Frankfurt (O.). Dt. u. vergl. Gramm., Partikeln, Sozioling., Fremdspr.erlernung. <?page no="324"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! Kennosuke Ezawa / Annemete von Vogel (Hrsg.) Georg von der Gabelentz Ein biographisches Lesebuch 2013, 344 Seiten geb. €[D] 58,00/ SFr 74,70 ISBN 978-3-8233-6778-9 ! verfasste unter anderem die erste wissenschaftliche Grammatik des Chinesischen, die auch heute noch als ein Standardwerk gilt. Dieses neue Buch stellt ihn, seine wissenschaftliche Arbeit und seine Familiengeschichte, einem breiteren Publikum vor. Seine neun Jahre jüngere Schwester, Clementine v. Münchhausen, hinterließ ein Manuskript „H. Georg v. d. Gabelentz. Biographie und Charakteristik“; eine neue komplette Abschrift durch die Urenkelin der Verfasserin, Annemete v. Vogel, bildet das Kernstück des Buches. Bislang waren nur Teile davon als Abschriften in Archiven zu lesen. Außerdem wird die detaillierte, 1938 in kleiner "#$ # % &' ' ' ' # Adelsgeschlechtes Gabelentz in Altenburg/ Thüringen von Pfarrer Theodor Dobrucky wiedergegeben. Zusammen mit Bildern und Dokumenten aus der Gabelentz- Ausstellung der Humboldt-Universität zu Berlin von 2010 werden einige Arbeiten von Fachwissenschaftlern und Forschern zu Gabelentz‘ Leben als Wissenschaftler, Auszüge aus seinen Hauptwerken sowie seine scharfsinnigen „Sentenzen“, die privat überliefert sind, abgedruckt. So soll der Band ein primäres Quellenbuch für alle diejenigen sein, die sich für diesen universellen Gelehrten interessieren, dem heute eine zunehmende internationale Bedeutung als Vorläufer der globalen Sprachforschung zukommt. <?page no="325"?> Der Sprachforscher Georg von der Gabelentz (1840-1893) war bislang mit seinen sprachtheoretischen Ansätzen als Vorläufer der modernen Linguistik oder mit seiner „Chinesischen Grammatik“ (1881) als Verfasser eines Werks in einem eigenen methodischen Konzept bekannt. Dieser Sammelband, der aus der Gabelentz-Konferenz und -Ausstellung 2010 anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden ist, stellt den großen Sprachwissenschaftler, der dort von 1889 bis zu seinem frühen Tod als ordentlicher Professor für Sinologie und allgemeine Sprachwissenschaft wirkte, in einem wissenschaftsgeschichtlichen Konzept vor, das als Leitfaden zum Verstehen seines wissenschaftlichen Schaffens dienen kann. 2009 und 2013 erfolgte die Verleihung des ersten und des zweiten Georg von der Gabelentz Award der Association for Linguistic Typology, einer Disziplin, die eine neue Forschungsrichtung der Linguistik darstellt und deren Aktualität im universellen Geist Wilhelm von Humboldts begründet ist, in dessen Nachfolge Gabelentz sein Ziel als Wissenschaftler verfolgt hatte. Eine G. v. d. Gabelentz-Bibliographie ist in diesem Band enthalten.