Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen
Ein Studienbuch
0325
2015
978-3-8233-7867-9
978-3-8233-6867-0
Gunter Narr Verlag
Simone Heinold
Tempus, Modus und Aspekt (TMA) sind drei grammatische Kategorien, die sich sowohl in ihren Flexionsformen als auch in ihrer Bedeutung überschneiden können. Das Tempus zeigt an, wann etwas geschieht, der Modus zeigt an, in welcher Welt etwas unter welchen Bedingungen geschieht, und der Aspekt kann entweder bestimmte Ausschnitte von Ereignissen oder das Ereignis als Ganzes markieren. So wird es möglich, den Ablauf von Ereignissen
zu staffeln oder zeitliche Überschneidungen anzuzeigen.
Dieses Buch stellt die formalen und funktionalen Eigenheiten des deutschen TMA-Systems erstmals im Zusammenhang dar, und zeigt auf, wie unterschiedliche Typen von Ereignissen in verschiedenen Zeiten und Welten
verankert werden können. Dabei schaffen Beispiele und Übungen ein Bewusstsein dafür, welche Möglichkeiten in unserer Sprache zur Verfügung stehen, um Ereignisse auszudrücken. Um die grammatischen Eigenschaften deutscher Verben in einen größeren Rahmen einordnen zu können, werden in einigen Kapiteln TMA-Phänomene aus anderen Sprachen zum Vergleich herangezogen.
<?page no="0"?> Simone Heinold Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen Ein Studienbuch <?page no="3"?> Simone Heinold Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen Ein Studienbuch <?page no="4"?> Dr. Simone Heinold lehrte am Institut für Linguistik der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Morphologie; Semantik; Aspekt; Modus/ Modalität. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in the EU ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6867-0 <?page no="5"?> Vorbemerkung Dieses Buch ist entstanden aus den Vorlesungsfolien meiner Pro- und Hauptseminare zum Thema Tempus, Modus & Aspekt, die ich an der Goethe-Universität Frankfurt am Main zwischen 2010 und 2014 gegeben habe. Die Themenauswahl orientiert sich zwar an den üblichen Fragestellungen, die zu diesem Bereich der linguistischen Forschung immer wieder aufgeworfen werden. Viele der Aufgaben und Themen habe ich jedoch auch dieses Buch aufgenommen bzw. stärker im Detail beleuchtet, weil sie bei den Studierenden auf starkes Interesse gestoßen sind und Diskussionsbedarf ausgelöst haben. So mag es sein, dass aus Sicht manch eines Dozenten den Formen, die Tempus, Modus und Aspekt aufweisen können, hier zu viel Gewicht zugestanden wird. Wie kann man jedoch über semantische Inhalte diskutieren, wenn oft nicht einmal klar ist, welche Formen für ein bestimmtes Phänomen existieren und wie sie zu klassifizieren sind? Wie kann man über Fragen der linguistischen Forschung diskutieren, wenn bestimmte Grundregeln der deutschen Grammatik nur teilweise bekannt sind? Dieses Buch enthält einige Passagen, die zwar nicht unbedingt im Unterricht diskutiert werden müssen und deren Inhalte sicherlich als vorausgesetzt gelten dürfen, jedoch bei Bedarf der Studierenden zum Nachlesen und zum (erneuten) Stärken ihres grammatischen Grundlagenwissens verwendet werden können. Die Aufgaben im Buch stellen einen Mehrwert für Studierende und Dozierende dar: durch sie können Diskussionen in Gang gebracht, Wissenslücken aufgedeckt und ein tieferes Verständnis der Themen erreicht werden. Ich bedanke mich bei allen Studierenden der Universität Frankfurt, die in meinen Jahren der Lehre dort mitgeholfen haben, diese Seminarunterlagen zu verbessern und durch zahlreiche Referate, Hausarbeiten und Diskussionsrunden neue Themen und Aspekte angestoßen haben. Gedankt sei auch meinen Frankfurter Kollegen Andreas Pankau, Leah Bauke und Pia Weber sowie Björn Rothstein, Melanie Uth, Anja Kuhn und den Verantwortlichen des Narr Verlages, welche mit Hilfe und Rat zur Seite standen und zur Verwirklichung dieses Buchprojekts beigetragen haben. Ludwigsburg, im Januar 2015 Simone Heinold <?page no="7"?> Inhalt 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe 11 1.1 Wie definiert man Tempus, und welche Tempora existieren im Deutschen? 14 1.2 Was ist Modus, und welche Modi existieren im Deutschen? ................... 16 1.3 Was bedeutet Aspekt, und welche Arten von Aspekt gibt es? ................. 17 1.4 Was sind Aktionsarten, und welche gibt es? ............................................ 19 2 Aktionsart - Definitionen aus der Germanistik ........................ 25 2.1 Welche traditionellen Aktionsarten gibt es in der Germanistik? ............. 26 2.2 Aktionsarten in der Morphologie und der Syntax .................................... 30 2.3 Welchen Nutzen haben die Aktionsarten für die linguistische Analyse? 36 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept ....................................................... 39 3.1 Die Verbalphrase: Verben und ihre Objektargumente ............................ 40 3.2 Verschiedene Klassifikationssysteme im Vergleich ................................ 42 3.2.1 Zeitschemata ............................................................................................... 42 3.2.2 Innerer Aspekt ............................................................................................. 49 3.2.3 Zeitkonstitution ........................................................................................... 52 3.3 Terminologie und Anwendungen - ein Überblick ................................... 54 4 Aspekt . ............................................................................... 59 4.1 Existiert Aspekt im Deutschen? ............................................................... 60 4.2 Die slawischen „Aspektsprachen“ ........................................................... 66 4.3 Die englischen Progressivformen ........................................................... 69 4.4 Abgeschlossenheit heißt nicht Vergangenheit ....................................... 72 5 Tempus .............................................................................. 77 5.1 Reichenbachs Tempusdefinitionen ......................................................... 78 5.2 Die sechs deutschen Tempora ................................................................. 81 5.2.1 Das Präsens .................................................................................................. 82 5.2.2 Das Perfekt .................................................................................................. 87 5.2.3 Das Präteritum ............................................................................................. 90 5.2.4 Das Plusquamperfekt ................................................................................... 93 5.2.5 Das Futur I .................................................................................................... 94 5.2.6 Das Futur II ................................................................................................... 98 5.3 „Wiederentdeckte“ Tempora: Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt 99 .... ........... ........... ...... ... ... ........ ......... ...... .. <?page no="8"?> 8 Inhalt 5.4 Zwischen Tempus und Aspekt: das Perfekt ............................................ 102 5.5 Zwischen Tempus und Modalkonstruktion: das Futur ............................ 112 5.6 Tempus in den Sprachen der Welt .......................................................... 115 5.6.1 Temporaladverbiale .....................................................................................116 5.6.2 Binäre und trinäre Tempussysteme .............................................................117 5.6.3 Pidgin- und Kreolsprachen ..........................................................................120 5.7 Tempuslose Konstruktionen ................................................................... 121 6 Modus .............................................................................. 127 6.1 Definitionen: Modus vs. Modalität ......................................................... 128 6.2 Modus: eine morphologische Definition ................................................ 131 6.3 Abstufungen von Modalität: die deutschen Modalverben ..................... 134 6.4 Verschiedene Arten von Modalität - ein Exkurs ins Französische .......... 140 6.5 Der Imperativ: zwischen Modus und Satztyp .......................................... 141 6.5.1 Andere Imperativparadigmen - ein Exkurs ins Finnische .............................146 6.5.2 Andere Formen der Aufforderung ................................................................148 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten .................... 150 6.6.1 Das Konjunktiv-Paradigma ...........................................................................151 6.6.2 Die Lesarten des Konjunktivs im Wandel der Zeit ........................................152 6.6.3 Indirektes Referat ........................................................................................156 6.6.4 Die ambige Konstruktion würde + Infinitiv ...................................................159 6.7 Die Modalpartikeln: Übersetzungsprobleme ......................................... 164 7 Schlussbemerkung ............................................................. 171 8 Anhang ............................................................................. 173 8.1 Lösungen zu den Aufgaben .................................................................... 173 Aufgabe 1 ...............................................................................................................173 Aufgabe 2 ...............................................................................................................173 Aufgabe 3 ...............................................................................................................173 Aufgabe 4 ...............................................................................................................174 Aufgabe 5 ...............................................................................................................174 Aufgabe 6 ...............................................................................................................176 Aufgabe 7 ...............................................................................................................176 Aufgabe 8 ...............................................................................................................176 Aufgabe 9 ...............................................................................................................177 Aufgabe 10 .............................................................................................................179 Aufgabe 11 .............................................................................................................179 Aufgabe 12 .............................................................................................................180 Aufgabe 13 .............................................................................................................180 ..................... ................. ...................... <?page no="9"?> 9 Inhalt Aufgabe 14 ............................................................................................................ 181 Aufgabe 15 ............................................................................................................ 182 Aufgabe 16 ............................................................................................................ 182 Aufgabe 17 ............................................................................................................ 182 Aufgabe 18 ............................................................................................................ 182 Aufgabe 19 ............................................................................................................ 182 Glossar - Definitionssammlung .................................................... 185 Literatur .................................................................................... 187 Index 197 ............. ..................... ......................................................................................................... ...... <?page no="11"?> 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe Tempus, Modus und Aspekt sind drei Begriffe, die in der Linguistik meist in einem Atemzug genannt werden. Dies hängt damit zusammen, dass sich diese drei Kategorien sowohl in ihren grammatischen Formen als auch in ihrer Bedeutung überschneiden können. Durch Tempus-, Modus- und Aspektmarkierungen können Sprecher unterschiedliche Eigenschaften von Ereignissen hervorheben: Das Tempus zeigt an, wann etwas geschieht; der Modus zeigt an, in welcher Welt etwas unter welchen Bedingungen geschieht; und der Aspekt kann uns entweder bestimmte Ausschnitte von Ereignissen oder das Ereignis als Ganzes präsentieren. So wird es durch Sprache möglich, den Ablauf von Ereignissen zeitlich zu staffeln oder zeitliche Überschneidungen anzuzeigen. In Beispiel (1) sehen wir zwei Ereignisse: [Peter essen] und [Maria anrufen]. Indem der Sprecher für beide Teilsätze das Tempus Präteritum wählt, zeigt er an, dass beide in der Vergangenheit stattfanden. Der Modus ist der Indikativ und macht deutlich, dass es sich um ein Ereignis handelt, welches wirklich passiert ist und auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft werden kann. Dennoch haben wir im Satz (1) nicht den Eindruck, dass beide Ereignisse zum absolut selben Zeitpunkt stattfinden. Dies liegt daran, dass uns das erste im imperfektiven Aspekt präsentiert wird. Der Sprecher beschreibt das Ess-Ereignis, welches durch Peter ausgeführt wird, als eine beigezogene Zeitspanne, deren Beginn vor Marias Telefonanruf festgelegt wird. Erst als Peters Essen schon eine Zeit lang andauert, tritt das zweite Ereignis - Marias Anruf - zu einem bestimmten Zeitpunkt ein. Der Anruf wird in komprimierter zeitlicher Struktur dargestellt. (1) Peter war gerade dabei zu essen, als Maria anrief. Dieses Buch beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die im Deutschen bestehen, um, wie in Beispiel (1) gezeigt, unterschiedliche Typen von Ereignissen in verschiedenen Zeiten und Welten zu verankern. Der durchschnittliche Sprecher des Deutschen ist sich vor allem der Kategorie Tempus bewusst und besitzt über diese häufig ein Grundlagenwissen. Es ist den meisten klar, wie bestimmte Formen gebildet werden und welche Tempora im Deutschen existieren. Doch schon die Frage einer neugierigen Deutsch-als-Fremdsprache-Lernerin nach den Regeln für den Gebrauch von Perfekt und Präteritum, der beiden konkurrierenden Zeiten der Vergangenheit, kann einen deutschen Muttersprachler verunsichern. Bei dem folgenden Satzpaar in (2), in welchem die Tempora Perfekt und Präteritum in den beiden Teilsätzen schlicht vertauscht wurden, sehen viele befragte Muttersprachler keinen Bedeutungsunterschied. Sind also beide Tempora einfach synonym und somit in allen Kontexten gegeneinander austauschbar? (2) a. Peter hat gerade gegessen, als Maria anrief. b. Peter aß gerade, als Maria angerufen hat. <?page no="12"?> 12 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe Die Frage nach den prototypischen Bedeutungen und der Verwendung der deutschen Tempora wird im Kapitel 5 beantwortet. Des Weiteren werden wir auch ihre abweichenden Interpretationen und die Gründe für deren Existenz diskutieren. Auch bei der Kategorie Modus herrscht eine gewisse Unsicherheit vor, was ihre Definition und ihre konkreten Ausprägungen im Deutschen anbelangt. Die meisten Studierenden der Germanistik haben zumindest schon einmal von dieser Kategorie gehört und können auch häufig Konjunktiv, Imperativ und Indikativ als Modi des Deutschen nennen. Bei der Unterscheidung von Konjunktiv I und II ist allerdings oft nicht klar, welche Formen welchem Paradigma zuzuordnen sind. Daher wird im Kapitel 6, welches sich dem Modus widmet, auf eine übersichtliche Darstellung der Formen und Verwendungen des Konjunktivs Wert gelegt. Den Imperativ, der meist nur unter seiner semantischen Funktion als „Befehlsform“ wahrgenommen wird, diskutieren wir in seiner ganzen semantischen und morphologischen Breite auch im Vergleich zu den im Deutschen bestehenden Ersatzformen, die anderen Verbalkategorien zugeordnet werden können. Einige dieser alternativen Aufforderungsmöglichkeiten sind in (3) zu sehen. (3) a. Steh auf! - Imperativ b. Aufstehen! - Infinitiv c. Aufgestanden! - Partizip II d. Du sollst aufstehen! - Indikativ mit Modalverb e. Du stehst jetzt auf! - Indikativ mit V2-Satz f. Dass du mir jetzt endlich aufstehst! - Indikativ mit Verbletzt-Satz Die Kategorie Aspekt schließlich ist beim durchschnittlichen Muttersprachler wie auch bei manchem Studierenden weitestgehend unbekannt. Im Beispiel in (1) haben wir jedoch schon einen Eindruck davon bekommen, dass Ereignisse in unterschiedlicher zeitlicher Dichte präsentiert werden können, sei es zu einer Zeitspanne aufgefächert oder auf einen Zeitpunkt hin komprimiert. In Kapitel 4 zum Aspekt wird diese Kategorie im Detail vorgestellt. Außerdem werden wir sehen, dass in Sprachen wie dem Französischen und dem Englischen andere Möglichkeiten zur Aspektmarkierung vorliegen, als es im Deutschen der Fall ist. Dieses Buch macht es sich zur Hauptaufgabe, die formalen und funktionalen Eigenheiten des Deutschen Tempus-Modus-Aspekt (TMA) Systems zu erklären und auf übersichtliche Weise sowohl grammatisches Basiswissen als auch die neuesten Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet darzustellen und anhand von Beispielen und Übungen zu erklären. Ziel ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Möglichkeiten in unserer Sprache existieren, unserem Gegenüber Ereignisse auf unterschiedliche Weise zu beschreiben. In kurzen Seitenblicken auf das Englische, das Französische, das Finnische und die slawischen Sprachen wird gezeigt, über welche sehr unterschiedlichen Mittel andere Sprachen verfügen, um Ereignisse in Szene zu setzen. Hierbei ist es wichtig zu verstehen, dass keine der drei Kategorien - Tempus, Modus oder Aspekt - isoliert betrachtet und beschrieben werden kann, sondern dass viele semantische und morphologische Überschneidungspunkte vorliegen. In den Sprachen der Welt manifestieren sich Tempus, Modus und Aspekt häufig in der Flexionsmorphologie, d.h. in grammatischen Markierungen am Verb, und sind dort formal in vielen Fällen nicht so einfach voneinander zu trennen. So kann beispielsweise ein einziges Morphem Tempus und Aspekt gleichzeitig anzeigen. Jedoch gibt es <?page no="13"?> 13 auch Sprachen, die für jede dieser drei Kategorien eine eigene morphologische Markierung zur Verfügung stellen. Ebenso können Tempus, Modus oder Aspekt auch lexikalisch realisiert werden, also nicht auf Morphem-, sondern auf Wortebene. Tempus, Modus und Aspekt interagieren auch im semantischen Bereich. Ein Tempus, wie zum Beispiel das deutsche Futur, kann gleichzeitig eine modale Interpretation mit sich bringen. Durch diese modale Komponente kann der Sprecher ausdrücken, wie er sich zu seiner eigenen Aussage positioniert und wie sicher seine Informationen sind. In Beispiel (4) zeigt die normalerweise futurisch benutzte Konstruktion werden + Infinitiv an, dass Maria sich ihrer Aussage recht sicher ist, aber nicht überprüft hat, ob sie stimmt. Werden + Infinitiv drückt hier eine Wahrscheinlichkeit aus. (4) [Man hört, wie ein Auto in die Einfahrt fährt.] Maria: „Das wird Peter sein.“ Diese Polyfunktionalität des Futurs hat dazu geführt, dass manche linguistische Theorien dem Futur seinen Status als Tempus absprechen. Ebenso ist es möglich, dass ein und dieselbe Form in der linguistischen Theorie mal als Tempus, mal als Aspekt analysiert wird. Dies war lange Zeit beim deutschen Perfekt der Fall, welches einerseits Vergangenheit ausdrückt (also eine Tempusfunktion hat), aber in vielen Kontexten auch für die Abgeschlossenheit eines Ereignisses steht (und somit aspektuelle Eigenschaften aufweist). Wie man sieht, ergeben sich bei der Analyse von Tempus, Modus und Aspekt formale und funktionale Überschneidungen, die dafür sorgen, dass keine dieser Kategorien behandelt werden kann, ohne zumindest einen Seitenblick auf die beiden anderen zu werfen. Unzählige linguistische Arbeiten versuchen daher der formalen und inhaltlichen Komplexität sowie der Interaktion von Tempus, Modus und Aspekt nicht nur im Deutschen, sondern auch in anderen Sprachen der Welt Herr zu werden. Nicht selten findet auch die Kategorie Aktionsart Einzug in diese Diskussion. Während Tempus, Modus und Aspekt grammatische Kategorien sind, die ein Ereignis unter unterschiedlichen Bedingungen oder Zeiten präsentieren, sind Aktionsarten lexikalischer Natur, das heißt, sie werden durch das Verb selbst und nicht durch seine Markierungen ausgedrückt. Sie zeigen an, wie das vom Verb bezeichnete Ereignis zeitlich und inhaltlich abläuft: Tritt eine Veränderung ein oder nicht? Erstreckt sich das Ereignis über eine größere Zeitspanne oder kann es auf einen kurzen Zeitpunkt reduziert werden? Strahlt das Ereignis eine gewisse Dynamik aus oder haben wir es eher mit einem Zustand zu tun? Im Verlauf unserer Reise durch die Landschaft der deutschen TMA-Phänomene werden wir feststellen, dass die verschiedenen Aktionsarten der Grund dafür sind, dass Tempus, Modus und Aspekt eine so große Vielfalt an semantischen Eigenschaften aufweisen. Daher werden sie hier in zwei separaten Kapiteln behandelt. In Kapitel 2 wird der traditionelle Aktionsartenkatalog der Germanistik vorgestellt. Diesem wird dort jedoch mit einigem Misstrauen begegnet. An zahlreichen Beispielen wird aufgezeigt, warum sich die meisten dort aufgelisteten Klassifizierungen nicht für eine sichere Analyse eignen und terminologisch eher zu Ungereimtheiten führen. In Kapitel 3 werden andere, vorwiegend aus der Anglistik stammende Aktionsarttheorien präsentiert und verglichen. Um terminologische Konfusion zu vermeiden und deutlich zu machen, dass es sich bei den Aktionsarten aus Kapitel 2 und 3 um grundlegend unterschiedliche 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe <?page no="14"?> 14 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe Konzepte handelt, habe ich letztere unter der Überschrift „Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept“ behandelt. Um die Besonderheiten von Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen und in anderen Sprachen zu vermitteln, muss zunächst sichergestellt werden, dass die grundlegenden Definitionen dessen, was im Allgemeinen unter diesen Begriffen verstanden wird, bekannt sind. Diese Einleitung stellt eine für den Anfang recht allgemeine Arbeitsdefinition von Tempus, Modus und Aspekt sowie von Aktionsart vor. Diese Basisdefinitionen bilden den Ausgangspunkt für eine kritischere Auseinandersetzung mit den jeweiligen Kategorien in den dazugehörigen Kapiteln. 1.1 Wie definiert man Tempus, und welche Tempora existieren im Deutschen? Tempus ist, ganz allgemein gesprochen, die Grammatikalisierung der zeitlichen Verankerung eines Ereignisses (Comrie 1985, 1) oder eine grammatikalisierte Zeitangabe. Aufgabe dieser „grammatischen Zeit“ oder „Tempuskategorie“ ist es, mit Hilfe von anderen morphologischen, lexikalischen und kontextuellen Mitteln im weitesten Sinn einen Bezug zur „natürlichen Zeit“ herzustellen, wenn dieser Bezug durch Situation oder Kontext gefordert wird. (Klein 1974, 5) Tempusmarkierungen stellen also ein sprachliches Mittel dar, die zeitliche Realität sowie zeitliche Zusammenhänge interpretierbar zu machen. DEFINITION Tempus ist eine grammatikalisierte Zeitangabe. Durch Tempusangaben kann ein Ereignis zu bestimmten Zeiten ausgewertet werden. Ein Verb im Hauptsatz benötigt immer eine morphologische Tempusmarkierung, um auszudrücken, wie ein Ereignis zeitlich zum Jetzt, das heißt zur Sprechzeit oder zur „natürlichen Zeit“, verankert ist. Für das Deutsche wurden in den meisten Standardgrammatiken sowie Einführungswerken (z.B. Erben 1968, Helbig & Buscha 1974, Köller 1997, Dreyer & Schmitt 2000, Meibauer et al. 2002) lange Zeit sechs Tempora angenommen: Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur 1 und Futur 2. (5) a. Maria singt ein Lied. → Präsens b. Maria sang ein Lied. → Präteritum c. Maria wird ein Lied singen. → Futur I d. Maria hat ein Lied gesungen. → Perfekt e. Maria hatte ein Lied gesungen. → Plusquamperfekt f. Maria wird ein Lied gesungen haben. → Futur II Je nach Sichtweise wurden diese in zwei beziehungsweise drei Haupttempora unterteilt. Erben (1968, 55) nennt als solche Präsens und Präteritum, welche sich durch unterschiedliche Stammformen und bei starken Verben durch einen Vokalwechsel auszeichnen ((5a) und (5b)). Andere, meist am Lateinischen orientierte Werke, nehmen eine dreifache Unterteilung vor und unterscheiden Präsens, Präteritum und Futur 1 als <?page no="15"?> 15 1.1 Wie definiert man Tempus, und welche Tempora existieren im Deutschen? die grundlegenden Zeitmarkierungen des Deutschen (Beilhack 1834, 84). Die Gründe, die für eine Zwei- oder Dreiteilung des deutschen Tempussystems sprechen, werden in Kapitel 5 diskutiert. In der mündlichen Sprache haben sich jedoch noch weitere Formen entwickelt. So hört man immer öfter, besonders in der gesprochenen Sprache, Konstruktionen wie Maria hat ein Lied gesungen gehabt oder Maria hatte ein Lied gesungen gehabt. Diese vor allem in der Umgangssprache etablierten Tempora werden in einem eigenen Kapitel (5.3) behandelt und kommen bei Thieroff (1992), Zifonun et al. (1997), Welke (2005), Rothstein (2007), Duden (2009) sowie Thieroff & Vogel (2009) unter den Namen doppeltes Präsensperfekt und doppeltes Präteritumperfekt bzw. Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt vor. Schon längst jedoch haben sich ganze Forschungsarbeiten ausschließlich mit diesem Phänomen befasst (z.B. Rödel 2007). Auf diese werden wir im betreffenden Kapitel genauer eingehen. Ebenfalls im Kapitel 5 werden wir auch eine Möglichkeit kennenlernen, die Tempora des Deutschen konkret zu definieren und sie untereinander abzugrenzen. Hierzu wird das System von Reichenbach (1947) eingeführt. Insgesamt umfasst die morphologische Markierung der deutschen Tempora sowohl synthetische als auch analytische Formen. Wird eine Tempusform morphologisch am Verbstamm markiert, wie beispielsweise beim deutschen Präsens oder beim Präteritum, spricht man von einer synthetischen Form. Benötigt man ein flektiertes Hilfsverb und ein Hauptverb in einer infiniten Form, um Tempus auszudrücken, so wie das bei den vier anderen Tempora des Deutschen der Fall ist, spricht man von einer analytischen Form. Je nach Sprache variiert die Art und Weise, wie Tempora ausgedrückt werden können. In der Definition von Klein (1974) am Anfang dieses Kapitels finden wir Hinweise darauf, dass Sprachen auch noch andere Möglichkeiten als die Morphologie haben, einen Zeitbezug auszudrücken. Es gibt Sprachen wie das Indonesische oder das Chinesische, die Tempus im Allgemeinen oder ganz bestimmte Tempusunterscheidungen rein lexikalisch, also beispielsweise durch Adverbiale wie morgen, heute oder gestern anzeigen (Dahl 1985). Auch im Deutschen besitzen wir solche Adverbiale, die zusätzlich zu einer morphologischen Tempusmarkierung im Satz untergebracht werden können (6a). Im Falle des deutschen Futurs beobachtet man sogar einen Substitutionsprozess - das Futur I verliert immer weiter an Bedeutung und wird häufig durch Präsens + Adverb ersetzt (6b). (6) a. Peter wird morgen nach Paris fahren. b. Peter fährt morgen nach Paris. Eine Art der morphologischen Tempusmarkierung, die im Deutschen nicht existiert, ist die Kennzeichnung von sogenannten „remoteness distinctions“. Das sind Morpheme, die unterschiedliche zeitliche Entfernungen vom Jetzt ausdrücken können. Im Deutschen müssen wir hierzu auf eine lexikalische Strategie zurückgreifen und adverbiale Ausdrücke, wie gerade erst, vor einem Tag, vor mehreren Tagen, o.ä., benutzen. <?page no="16"?> 16 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe 1.2 Was ist Modus, und welche Modi existieren im Deutschen? Modus ist ein Begriff, der, wie Tempus, ein grammatisches Phänomen bezeichnet und daher „[…] ebenso wie das Tempus, das Genus verbi [Aktiv vs. Passiv], der Numerus und die Person eine Kategorisierung im verbalen Paradigma“ (Zifonun et al. 1997, 1723) darstellt 1 . In der deutschen Grammatik scheint sich als Synonym der Begriff „Aussageweise“ etabliert zu haben (Erben 1968, Dreyer & Schmitt 2000, Duden 2009). Durch die verschiedenen Modi sollen die möglichen Welten, in denen ein Ereignis stattfindet, bzw. die Bedingungen, unter denen es ausgewertet wird, markiert werden. DEFINITION Modus ist die Grammatikalisierung der Bedingungen, unter denen ein Ereignis ausgewertet wird. In den Grammatiken werden als die deutschen Modi Indikativ, Konjunktiv und Imperativ geführt (z.B. Erben 1968, Helbig & Buscha 1974, Köller 1997, Zifonun et al. 1997, Duden 2009). Der Indikativ markiert Ereignisse als der „realen Welt“ zugehörig; der Konjunktiv bezieht sich auf eine mögliche Welt ebenso wie der Imperativ. Der Unterschied zwischen Konjunktiv und Imperativ besteht darin, dass ersterer beschreibend, letzterer adressiert ist. So tritt ein Ereignis im Konjunktiv ein, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind, die meist in einem wenn-Satz formuliert und unabhängig vom Hörer sein können (7b). Der Wahrheitsgehalt eines Ereignisses im Imperativ hingegen lässt sich erst überprüfen, wenn der Adressat die geforderte Handlung ausgeführt hat (7c). Daher sind Imperativ-Ereignisse vom Hörer abhängig, der dafür zuständig ist, sie wahr zu machen. Während sich der Indikativ also dafür eignet, einen realen Sachverhalt darzustellen, bleibt beim Imperativ zunächst offen, ob der Sachverhalt existiert oder nicht (Brandt et al. 1992). (7) a. Peter schreibt einen Brief. → Indikativ b. Peter würde einen Brief schreiben, wenn... → Konjunktiv c. Zu Peter: „Schreib einen Brief! “ → Imperativ Eine Schwierigkeit bei der Definition von Modus ist, dass diese Kategorie meist nicht nur Auswirkungen auf das Verb, sondern auf den gesamten Satz hat. Formal ist ein bestimmter Modus oft typisch für einen bestimmten Satztyp: So weisen Aufforderungssätze häufig den Imperativmodus, Aussagesätze den Indikativ und Wunschsätze konjunktivische Verbformen auf (8) (Meibauer 2001, 80). (8) a. Komm nach Hause! → Aufforderungssatz b. Peter kommt nach Hause. → Aussagesatz c. Wenn er nur endlich nach Hause käme! → Wunschsatz Daher rührt auch der Begriff Satzmodus, der beispielsweise in Zifonun et al. (1997, 607) behandelt wird. Dieser erweitert jedoch die Diskussion des Begriffs Modus um die 1 Vergleiche auch Thieroff (2010, 2). <?page no="17"?> 17 1.3 Was bedeutet Aspekt, und welche Arten von Aspekt gibt es? syntaktische sowie die pragmatische Ebene, was dem Phänomen eine hier nicht zu bewältigende Komplexität verleiht. Da dieses Buch morphologische Phänomene und ihre Interpretationen bzw. Funktionen vorstellt, wird daher der Begriff Modus auch morphologisch verstanden. Im Kapitel 6.5 zum Imperativ jedoch werde ich einen kurzen Exkurs zum Zusammenhang von Satz- und Verbmodus wagen. Eine weitere terminologische und definitorische Komplexität besteht darin, dass die drei Verbmodi jeweils eine unterschiedliche Modalität mit sich bringen. “Mood categories express modalities such as orders, wishes, (non-)factivity, (non-)reality and the like” (Thieroff 2010, 2). So drückt der Verbmodus Indikativ Faktivität und Realität, der Imperativ Wünsche oder Befehle aus. Der Konjunktiv kann, wie wir in Kapitel 6 sehen werden, für eine ganze Reihe unterschiedlicher Modalitäten stehen. Modalität, ein Begriff, welcher häufig im Zusammenhang mit Modus genannt wird, bezeichnet ein semantisches Phänomen, welches auch lexikalisch im Satz realisiert werden kann, beispielsweise durch Modalverben (können, müssen, sollen etc.) oder Adverbiale (hoffentlich, wahrscheinlich, möglicherweise etc.). Man unterscheidet zwischen epistemischer, nicht-epistemischer und evidenzieller Modalität. Die epistemische Modalität zeigt an, wie sicher sich der Sprecher seiner Aussage ist („Das muss jetzt aber Peter sein! “); die Evidenzialität gibt Informationen über die Quelle einer Aussage („Laut Peter soll Maria schwanger sein“). Diese beiden Arten von Modalität sind typisch für Modalverben und Adverbiale im Deutschen. Die nicht-epistemische Modalität sagt uns etwas über die Möglichkeit oder Notwendigkeit einer Handlung („Peter muss jetzt ins Bett! “). Die letztere Art von Modalität ist nicht nur bei den Modalverben vorzufinden, sondern kann beispielsweise auch für bestimmte Modi attestiert werden. Ein Imperativmodus kann ausdrücken, dass eine Notwendigkeit besteht, eine bestimmte Handlung auszuführen (Kaufmann 2012). Modus und Modalität sind also nicht synonym zu verwenden, man kann jedoch über Modi sagen, dass sie eine bestimmte Modalität ausdrücken. 1.3 Was bedeutet Aspekt, und welche Arten von Aspekt gibt es? Aspekt ist die Art und Weise, wie Ereignisse in ihrer zeitlichen Ausdehnung dargestellt werden (Comrie 1976). Man unterscheidet hier zwei Szenarien: Wird eine Situation als Ganzes, also als von A bis Z durchgeführt, beschrieben? Oder stellt der Sprecher ein Ereignis als im Verlauf befindlich dar? Aspekt wird von deutschen Muttersprachlerinnen oft als verwirrende, uneindeutige Kategorie empfunden. Dies kann damit zusammenhängen, dass wir im Deutschen keine eigene morphologische Markierung für diese Kategorie haben, sondern sie lexikalisch bzw. durch bestimmte syntaktische Konstruktionen darstellen müssen. Vielleicht hilft eine Analogie, den Unterschied zwischen den beiden möglichen aspektuellen Szenarien besser klar zu machen: Stellen Sie sich einen Film darüber vor, wie Peter Spaghetti kocht. Sprachliche aspektuelle Markierungen geben uns die Möglichkeit, dieses Ereignis aus zwei Perspektiven darzustellen. (9) a. Peter kochte Spaghetti. b. Peter war gerade dabei Spaghetti zu kochen, als Maria anrief. <?page no="18"?> 18 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe Einmal können wir eine Perspektive wählen, mit der wir sozusagen den ganzen Film anschauen. Hier wird eine umgrenzende Perspektive gewählt. Wenn wir den Satz in (9a) äußern, beziehen wir uns auf ein Ereignis in seiner Gesamtheit, vom Anstellen des Herds, über das Aufsetzen des Wassers und das Spaghetti-in-den-Topf-werfen bis zu dem Zeitpunkt, wo sie fertig sind und wieder herausgeholt werden. Diese aspektuelle Perspektive nennt man perfektiv. Dies wird auch oft mit dem deutschen Wort abgeschlossen ausgedrückt, welches jedoch zu Verwirrungen führen kann, insbesondere wenn eine temporale Markierung hinzukommt. Die Studierenden fragen sich hierbei oft, wie ein Ereignis, das beispielsweise in der Zukunft geschieht (Peter wird Spaghetti kochen), abgeschlossen sein kann. Bei Aspekt geht es nicht darum, dass abgeschlossen im Sinne von vorbei sein oder in der Vergangenheit liegend zu deuten ist. Für diese Unterscheidung gibt es Tempus. Vielmehr benutzt die Sprecherin aspektuelle Formen, um ein Ereignis als gebündelte Einheit zu präsentieren. Solch eine Bündelung kann auch mit einem Ereignis in der Zukunft vollzogen werden. Wenn wir uns das Ereignis in (9b) anschauen, sehen wir den Vorgang, dass Peter Spaghetti kocht einfach in einer anderen Perspektive, der imperfektiven. Wenn wir wieder an unseren Film zurückdenken, würde diese Perspektive es uns erlauben, auf einen konkreten Zeitpunkt im Film zu fokussieren und dort beispielsweise den Film kurz anzuhalten. In Beispiel (9b) wäre dies zu dem Zeitpunkt, zu dem Maria anruft. Ein anderer Ausdruck für imperfektiv ist im Deutschen unvollendet. Auch dieser sorgt eher für Unklarheit. Für manche Studierenden ist es nicht nachvollziehbar, wie etwas, das beispielsweise in der Vergangenheit geschehen ist, unvollendet sein kann. Ein anschaulicher Ausdruck, der von Zifonun et al. (1997) verwendet wird, ist Außenperspektive für perfektiven, beziehungsweise Binnenperspektive für imperfektiven Aspekt. Ein Ereignis wird also einmal von außen als Ganzes und einmal von innen zu nur einem bestimmten Zeitpunkt beleuchtet. In Kapitel 4.4 werde ich den genauen Unterschied zwischen Perfektivität und Vergangenheit erklären. DEFINITION Aspekt ist die grammatikalisierte Binnen- oder Außenperspektive, unter der ein Ereignis dargestellt wird. Ob es im Deutschen eine wirkliche morpho-syntaktische Aspektmarkierung gibt, ist umstritten. Es gibt Theorien, die das Perfekt nicht als ein Tempus, sondern als einen Aspekt einordnen. Dies wird im Kapitel zum Perfekt in aller Ausführlichkeit diskutiert. Normalerweise wird Aspekt im Deutschen lexikalisch oder durch bestimmte syntaktische Konstruktionen ausgedrückt (10). Die Konstruktion am V-en sein in (10b) wird der Umgangssprache bzw. dem Dialekt („rheinische Verlaufsform“) zugeordnet. (10) a. Als Maria gerade telefonierte, kam Peter ins Zimmer. b. Als Maria am Telefonieren war, kam Peter ins Zimmer. c. Als Maria dabei war zu telefonieren, kam Peter ins Zimmer. Es gibt jedoch auch Sprachen, die Aspekt morphologisch markieren. Diese werden in Kapitel 4 behandelt. <?page no="19"?> 19 1.4 Was sind Aktionsarten, und welche gibt es? 1.4 Was sind Aktionsarten, und welche gibt es? Der Begriff Aktionsart wird in mehr als einer Weise verwendet. Er bezeichnet die unterschiedlichen Arten, wie ein Ereignis verlaufen kann. Im Gegensatz zu Tempus, Modus und Aspekt handelt es sich hierbei um eine lexikalische Eigenschaft. Unterschiedliche Verben repräsentieren unterschiedliche Arten von Ereignissen. So würde man beispielsweise dem Vorgang klopfen einen anderen zeitlichen Ablauf attestieren als dem Vorgang ein Haus bauen. Ersteres ist eher punktuell, während letzteres eine längere Zeitspanne in Anspruch nimmt und sogar ein Resultat (ein fertiges Haus) aufweist. Diese verschiedenen Ereignistypen machen die Grundbedeutung ihrer Verben aus und sind auch unter grammatischer Markierung durch Tempus, Modus und Aspekt stabil (Verkuyl 2005a, Heinold 2011a). Sicher kann man ein Ereignis Peter baut ein Haus in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft präsentieren, es als möglich oder tatsächlich, in Außen- oder Binnenperspektive darstellen, jedoch werden sich die inhärenten Eigenschaften des Hausbauens dadurch nicht ändern - diese Handlung wird immer eine längere Zeitspanne einnehmen und auf ein Endprodukt hinauslaufen. Eine andere Sichtweise, zumindest, was die Stabilität der Verbbedeutung anbelangt, wird beispielsweise von Klein (1974, 103) vertreten. Im Gegensatz zu den aspektuellen Oppositionswerten (imperfektiv-perfektiv), mit denen jedes Verbum morphologisch gekennzeichnet werden kann, handelt es sich bei den Aktionsarten um lexikalisch-semantische Kategorien, die dem einzelnen Verbum inhärent sind und die kontextuell beeinflußbar [sic! ] sind. Im Gegensatz zur Aussage von Klein werden die Aktionsarten in diesem Buch thematisiert, weil sie selbst es sind, die einen starken Einfluss auf Tempus, Modus und Aspekt, also die grammatischen Kategorien, haben können - nicht so sehr umgekehrt. So sind manche Modi wie der Imperativ mit bestimmten Verben ungünstig (oder gar unmöglich), oder bestimmte Tempora entwickeln, je nach Verb, unterschiedliche Interpretationen. Ob die lexikalischen die grammatischen Kategorien beeinflussen oder umgekehrt, darüber bestehen unterschiedliche Ansichten. Wie schon angedeutet, wird der Begriff Aktionsart unterschiedlich definiert, und in verschiedenen Standardwerken zum Thema kursieren unterschiedliche Listen von Aktionsarten. In der Germanistik bezieht man sich mit diesem Begriff sehr stark auf die Verbbedeutung als solche und versucht derivationsmorphologische Unterschiede, wie sie beispielsweise zwischen blühen, erblühen und verblühen existieren, zu erklären. So wird erblühen als der Anfang (inchoativ), verblühen als das Ende (egressiv) ein und desselben Prozesses (blühen) angesehen. Zusätzlich wollte man den Ablauf eines Ereignisses nicht nur anhand der zeitlichen, sondern auch anhand der inhaltlichen Eigenschaften kategorisieren. So wurden Verben aufgrund der Intensität des Ereignisses, das sie beschreiben (intensiv, diminutiv), in eine bestimmte Gruppe eingeteilt oder darauf hin untersucht, ob sie eine einfache oder eine wiederholte Handlung ausdrücken (iterativ). Diese Aktionsartdefinition birgt erhebliche Probleme aus formaler und semantischer Sicht. In Kapitel 2 werden die Aktionsarten, die lange Zeit in der Germanistik verwendet wurden und auch heute noch Bestandteil des Duden (2009) sind, vorgestellt. Gleichzeitig wird aber auch aufgezeigt, warum diese Kategorien meines Erachtens heute überholt sind und mehr zu einem terminologischen Durcheinander um den Begriff Aktionsart als zu einer sinnvollen Verbklassifikation beitragen. <?page no="20"?> 20 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe DEFINITION Aktionsart bezeichnet die Art und Weise, wie ein Ereignis zeitlich und inhaltlich abläuft. Aktionsart ist eine lexikalische Eigenschaft, die durch das Verb ausgedrückt wird und unabhängig von dessen grammatischer Einbindung in den Satz besteht. In Kapitel 3 werde ich dieser Definition von Aktionsart eine andere, die in der Anglistik und auch in neueren Werken zum Deutschen benutzt wird, gegenüberstellen. In diesen Theorien bezieht man sich mit dem Begriff Aktionsart nicht nur auf Verben, sondern auf Situationen, das heißt auf Ereignisse (ausgedrückt durchs Verb) und ihre Teilnehmer (ausgedrückt durch Subjekt und Objekt). Es fließen hier also die Eigenschaften der gesamten Verbalphrase (VP) mit in die Kategorisierung ein. In Werken, die diese Auffassung von Aktionsart haben, werden mit diesem Begriff meist die vier Zeitschemata aus Zeno Vendlers berühmtem Aufsatz von 1957 bezeichnet: Accomplishment, Activity, Achievement, State. Dabei werden auch im Deutschen oft die englischen Begriffe benutzt. Bei den Beispielen unten habe ich deutsche Äquivalente in Klammern angegeben, die jedoch ‒ zumindest im Fall von (11a) und (11b) ‒ nicht als Fachtermini gelten. (11) a. Accomplishment (Vollbringung): ein Haus bauen, ein Brot essen, eine Wand bemalen, einen Kuchen backen, nach Hause laufen, einen Pulli stricken b. Achievement (Errungenschaft): einen Schatz entdecken, am Bahnhof ankommen, den Gipfel erreichen, einen Freund sehen c. Activity (Aktivität): schwimmen, essen, im Garten buddeln, laufen, stricken, einen Wagen schieben, Brote essen d. State (Zustand): lieben, brauchen, sein, haben, wollen, hassen, wissen, können Um eine terminologische Konfusion in diesem Buch zu vermeiden, werde ich für die germanistische Klassifizierung von Verben den Begriff Aktionsart verwenden. Für die Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Ereignissen, die die gesamte Verbalphrase betreffen, wie sie in der anglistischen Sprachwissenschaft ihren Ursprung hatte, wird der Ausdruck Zeitschemata benutzt. Dies spiegelt sich auch in der Benennung der Kapitel 2 und 3 wider. DEFINITION Zeitschemata beschreiben Typen von Ereignissen, die zeitlich auf unterschiedliche Weise organisiert sind. Sie werden durch Verbalphrasen (VPs) ausgedrückt. Für den Anfang möchte ich als Grundlage die vier in (11) genannten Zeitschemata vorstellen. Sie lassen sich aus drei unterschiedlichen Eigenschaften - Telizität, Dauer und Dynamik - zusammensetzen. Telizität heißt zwar wörtlich Zielgerichtetheit, bezeichnet aber einfach die Orientierung einer Handlung auf einen natürlichen Endpunkt hin. Wenn man beispielsweise ein Brot isst, findet dieser Vorgang ein natürliches Ende, sobald das letzte Krümelchen dieses Brots vertilgt ist. Will man danach einen neuen Vorgang ein Brot essen beginnen, benötigt man dafür ein neues (anderes) Brot. Im Ge- <?page no="21"?> 21 1.4 Was sind Aktionsarten, und welche gibt es? gensatz dazu gibt es Ereignisse wie laufen, die keinen natürlichen, sondern einen arbiträren Endpunkt haben (Smith1991). Hier bestimmt der Handelnde selbst, wann das Ereignis ein Ende finden soll. Die Dauer eines Ereignisses bemisst sich danach, ob es eine Zeitspanne oder einen Zeitpunkt einnimmt. Wenn man die Ereignisse einen Schlüssel suchen und einen Schlüssel finden vergleicht, wird man feststellen, dass sich die Suche über einen größeren Zeitraum hinziehen kann, wohingegen das Finden immer jener kurze Zeitpunkt ist, in welchem die Augen über das gesuchte Objekt hinwegstreifen und unser Gehirn diesen Umstand verarbeitet. Die Dynamik eines Ereignisses steht der Statik von Zuständen gegenüber, das heißt, man fragt danach, ob überhaupt etwas passiert oder nicht. Wenn Peter ein Fahrrad hat, ist er zuerst einmal Besitzer dieses Objekts. Es interessiert in diesem Zusammenhang nicht, wie er dazu kam oder wie und unter welchen Umständen er es wieder loswird. Zustände können mit Eigenschaften verglichen werden. So heißt Peter mag Autos im Prinzip nichts anderes als Peter ist ein Autoliebhaber. In beiden Fällen entwickelt sich nichts, sondern die Situation bleibt konstant. Aus den genannten Eigenschaften ergibt sich folgendes Bild für die Situationstypen: ein Accomplishment ist ein Ereignis, welches dynamisch und telisch ist und sich über eine Zeitspanne erstreckt (ein Haus bauen). Ein Achievement hat dieselben Eigenschaften in Telizität und Dynamik inne, kann aber nur durch einen Zeitpunkt definiert werden (einen Schatz entdecken). Aktivitäten sind nicht auf einen natürlichen Endpunkt hin ausgerichtet, weisen aber Dynamik auf und erstrecken sich über Zeitspannen (laufen). Zustände sind nicht dynamisch und daher auch nicht telisch, dauern aber an (ein Auto haben). AUFGABE 1 Benennen Sie Tempus, Modus, Aspekt und Zeitschema im folgenden Satz. Analysieren Sie die Teilsätze (p) und (q) einzeln. (p) Peter war eben dabei, die Nummer des Notdienstes zu wählen, (q) als Maria ihren Schlüssel doch noch gefunden hat. Zum Schluss dieser Einleitung noch ein Wort zum Aufbau dieses Buches. Wie dem Inhaltsverzeichnis zu entnehmen ist, beginnt die Präsentation der Themen bei den Aktionsarten und endet beim Modus. Diese Reihenfolge ist nicht zufällig gewählt. Sie spiegelt die Organisation der einzelnen Kategorien innerhalb der syntaktischen Darstellung wider. Auf der untersten, lexikalischen Ebene im Satz stehen die Verbbedeutungen und somit die lexikalische Kategorie der Aktionsarten (Kapitel 2). Wird ein Verb in einen Satz eingesetzt, kommen die Objektargumente und das Subjekt hinzu. Dadurch ergeben sich die verschiedenen Zeitschemata, die in Kapitel 3 diskutiert werden. Hiermit ist die VP, der semantische Kern des Satzes, vollständig 2 . In der syntaktischen Theorie folgen nun sogenannte funktionale Kategorien, welche grammatische Eigenschaften repräsentieren und einer bestimmten hierarchischen 2 Für unterschiedliche Auffassungen vom Aufbau der Verbalphrase und der Positionierung des Subjekts siehe beispielsweise Sternefeld (2006, 159ff und 538ff) oder Adger (2003, 131 ff). <?page no="22"?> 22 1 Einleitung - ein allgemeiner Überblick über die Grundbegriffe Anordnung folgen. Hierbei gilt: je weiter oben in der Hierarchie eine grammatische Eigenschaft angesiedelt ist, desto mächtiger ist sie und desto größer sind die Auswirkungen, die sie auf den Satz hat. Die funktionale Kategorie, die direkt nach dem semantischen Ereigniskern lokalisiert wird, ist der Aspekt (Kapitel 4). Dies hat damit zu tun, dass selbst unflektierte Formen, wie z.B. Partizipien, aspektuelle Merkmale tragen (Donhauser 1986). So wird das Partizip I mit imperfektivem (singend), das Partizip II mit perfektivem Aspekt in Verbindung gebracht (gesungen) (Wunderlich 1984, Dupuy- Engelhardt 1994, Marillier 1994, Quintin 1994). Da Aspekt und Tempussowohl inhaltlich als auch formal verschmelzen können, ist Tempus die nächsthöhere Kategorie in der Hierarchie der grammatischen Markierungen (Kapitel 5). Im Gegensatz zu Aspekt betrifft Tempus normalerweise nur Formen, die auch gleichzeitig für Person und Numerus markiert sind (Donhauser 1986). Die höchste Kategorie im Satz ist der Modus (Kapitel 6), der anzeigt, unter welchen Bedingungen die Satzaussage auszuwerten ist. Daher wird der Modus als letzte Kategorie in diesem Buch behandelt. Im Schaubild unten sehen wir ein Schema, welches die hierarchischen Zusammenhänge von Aktionsart, Situationstyp, Aspekt, Tempus und Modus noch einmal in einer einfachen Übersicht zeigt. Satz Modus Tempus Subjekt/ Tempus Aspekt Modifikation/ Aspekt VP Zeitschemata V Aktionsart Objekt <?page no="23"?> 23 1.4 Was sind Aktionsarten, und welche gibt es? Zusammenfassung Bei Tempus, Modus und Aspekt handelt es sich um grammatische Kategorien, die Ereignisse sprachlich aus einem bestimmten Blickwinkel präsentieren. Tempus zeigt uns ein Ereignis zu verschiedenen Zeiten, Modus in verschiedenen Welten. Der Aspekt macht es für uns möglich, ein und dasselbe Ereignis von außen oder von innen zu betrachten. Die drei Kategorien haben morphologische Gemeinsamkeiten - sie teilen sich manche Formen in ihren Paradigmen. Semantisch verschwimmen sie häufig oder beeinflussen sich gegenseitig, weshalb es bei manchen sprachlichen Phänomenen schwierig ist, sie eindeutig einem der drei Bereiche zuzuordnen. Die Aktionsarten bzw. die Zeitschemata bezeichnen (lexikalisch-)semantische Eigenschaften von Verben bzw. Verbalphrasen. Im Gegensatz zu Tempus, Modus und Aspekt kann hier im Deutschen nicht von einem Paradigma gesprochen werden, da formal zu wenige Regelmäßigkeiten bestehen, die die einzelnen Klassen voneinander abgrenzen könnten. Die Verbeigenschaften können jedoch Auswirkungen auf bestimmte Bereiche von Tempus, Modus und Aspekt haben und sind häufig der Grund für grammatische Beschränkungen. Empfohlene Literatur Fürs Deutsche existiert hauptsächlich ein Studienbuch, welches alle drei Themen - Tempus, Modus und Aspekt - gleichermaßen behandelt: Bartsch (1980). Meist findet sich jedoch auch ein guter Überblick in den deutschen Grammatiken zu diesen Themen. Grammatiken, die Tempus, Modus, Aspekt sowie die Aktionsarten ausführlich beschreiben sind Duden (2009) und Zifonun et al. (1997). Ansonsten findet man unter den Lehrbüchern eher Einführungen zum Untergebiet Tempus, darunter Vater (2007) oder Rothstein (2007), und auch die überarbeitete Dissertation von Thieroff (1992) kann in Teilen als Einführungsbuch zu diesem Thema gelesen werden. Thieroff & Vogel (2009) stellen die Formparadigmen der deutschen Tempora und der Modi heraus. Auch in der Typologie existieren grundlegende Werke, meist in englischer Sprache, in denen das Deutsche mehr oder weniger ausführlich behandelt und ein guter Überblick über TMA-Phänomene in den Sprachen der Welt präsentiert wird. Hierzu zählen Comrie (1976) zu Aspekt und Comrie (1985) zu Tempus sowie Palmer (1986) zu Modus und Modalität. Eine Sammlung von Spezialaufsätzen, die einzelne Facetten von Tempus, Modus, Aspekt und Aktionsart im Deutschen im Vergleich zu anderen Sprachen wiedergeben, ist in Abraham & Janssen (1989) zusammengestellt. <?page no="25"?> 2 Aktionsart - Definitionen aus der Germanistik In diesem Kapitel werden wir Theorien kennenlernen, die Aktionsart als eine lexikalisch-semantisch definierte Kategorie betrachten, welche die Verlaufsweise von Vorgängen bestimmt und durch das Verb ausgedrückt wird. Diese Auffassung von Aktionsart wird auch heute noch häufig in der Germanistik vertreten, unter anderem von Duden (1959), Erben (1968), Flämig (1965), Helbig & Buscha (1974) und teilweise Pepouna(2007) 1 . Eine gute und sehr kritische Zusammenfassung dieser Theorien findet sich in Steinitz (1981). Unter der Aktionsart eines Verbs versteht man die Verlaufsweise und Abstufung des Geschehens, das vom Verb bezeichnet wird. Die Differenzierung des Geschehens erfolgt nach dem zeitlichen Verlauf (Ablauf, Vollendung, Anfang, Übergang, Ende) und nach dem inhaltlichen Verlauf (Veranlassen, Intensität, Wiederholung, Verkleinerung). (Helbig & Buscha 1974, 69) An dieser Definition zeigt sich, wie breit die Auffassung von Aktionsart angelegt ist, die in diesem Kapitel vorgestellt wird: Aktionsarten ergeben sich nicht nur durch rein zeitliche Eigenschaften, sondern beziehen auch die Wiederholung eines Vorgangs oder die Stärke seiner Ausführung mit ein. Nach Duden (1959, 83) werden diese Aktionsarten einzig und allein durch das Verb vertreten (z.B. essen, aufessen) und sind somit lexikalischer Natur. In dieser Eigenschaft unterscheiden sie sich von den in der Anglistik diskutierten Aktionsarten (oder auch Zeitschemata), die sich auf die gesamte Verbalphrase beziehen und auch die semantischen Eigenschaften der Teilnehmer an einer Handlung (Objektargumente) betreffen (z.B. ein Brot essen, Brote essen, essen) (Vendler 1957, Smith 1991). Wierzbicki (1999, 10) macht den Unterschied von Aspekt und Aktionsart deutlich: Obwohl beide zeitliche Eigenschaften von Ereignissen beschreiben, bestehen doch Unterschiede, was ihre Realisierungsform und ihre Gültigkeit angeht. Wie ein Ereignis dargestellt werden kann, als dauerhaft oder punktuell, als abgeschlossen oder zeitlich offen, ist Gegenstand der Perspektive. Lexikalisch wird die Perspektive durch die Aktionsarten ausgedrückt und grammatisch durch den Aspekt, wobei die Aktionsarten eine konventionalisierte Perspektive und der Aspekt die aktuelle Perspektive realisiert. Das heißt, dass bestimmte Verbbedeutungen bestimmte inhärente, zeitliche Eigenschaften aufweisen. Diese Eigenschaften sind stabil, egal in welcher Perspektive sie vom Sprecher in einer bestimmten Aussage dargestellt werden. So weist Pepouna (2007, 32) darauf hin, dass ein besonderes Merkmal von Aktionsart darin besteht, dass die einzelnen Klassen auch übersprachlich valide sind, was für Tempus, Modus und Aspekt nicht unbedingt zutrifft. Dies würde bedeuten, dass der Vorgang des Schlafens, egal durch welches Symbol er in verschiedenen Sprachen ausgedrückt wird (schlafen, dormir, sleep), immer dieselben zeitlichen Eigenschaften hat. Erben (1968, 73) deutet an, dass es zwar hauptsächlich das Verb ist, in welchem sich die Aktionsarten manifestieren, verweist aber auch auf morphologische (Präfixe) und syntaktische Markierungen dieser Kategorie (Hilfs- oder Funktionsverben). Die 1 Er unterscheidet jedoch deutlich zwischen Aktionsart und „Zeitkonstitution“, das heißt zwischen Eigenschaften des Verbs und Eigenschaften der Verbalphrase. <?page no="26"?> 26 2 Aktionsart - Definitionen aus der Germanistik Tatsache, dass er in Anlehnung an Flämig (1965) jedoch „kein ausreichend durchsystematisiertes Formenparadigma“ der „Aktionalität“ erkennt, weist darauf hin, dass wir es hier nicht mit einem grammatischen Phänomen zu tun haben, wie es bei Tempus und Modus der Fall ist. Inwiefern Aktionsart tatsächlich eine Kategorie ist, die an der Derivationsmorphologie oder an Hilfsverben festgemacht werden kann, wird in 2.2 thematisiert. Bei dieser Aktionsartdefinition ergeben sich automatisch Probleme. Eine wichtige Frage, die sich stellt, ist zum Beispiel, inwiefern sich die unterschiedlichen Klassifikationskriterien überhaupt miteinander vergleichen lassen. Können Stärke und Dauer eines Ereignisses überhaupt gegeneinander gemessen werden? Ist es aussagekräftig, über ein Ereignis zu sagen, es sei beispielsweise durativ, also länger in seinem zeitlichen Verlauf andauernd, und über ein anderes, es sei intensiv, also verstärkt? Dies mag einer der Gründe sein, warum die Dudengrammatik (2009, 408) sich rein auf die zeitliche Analyse von Verben unter der Rubrik Aktionsart beschränkt und auf Kategorisierungskriterien, wie Intensität, die früher noch häufig mit einbezogen wurden, verzichtet. Im Folgenden werden nun alle die Aktionsarten vorgestellt, die in der Germanistik zu großen Teilen bis heute Anwendung finden (Pepouna 2007, Duden 2009). Anhand von Übungsaufgaben und detailliert diskutierten Beispielen wird die Problematik dieser Klassifikation herausgestellt. In 2.3 wird in Anlehnung an Steinitz (1981) hinterfragt, ob die Aktionsartenanalyse, wie sie hier stattfindet, für das Deutsche überhaupt einen Nutzen hat und welche Terminologie für welche Phänomene weiter beibehalten werden soll. Die aus der amerikanischen Literatur stammenden Aktionsarten, die wir im Einleitungskapitel kurz kennengelernt haben, werden - um eine Verwechslung zu vermeiden - unter der Bezeichnung Zeitschemata in Kapitel 3 behandelt. Wir werden schnell feststellen, dass die Aktionsarten (aus diesem Kapitel) und die Zeitschemata (aus Kapitel 3) zwar ähnliche, jedoch keineswegs gleiche Konzepte beschreiben. Dass für beide häufig dieselbe Terminologie benutzt wird, macht die Komplexität dieses Themas aus. 2.1 Welche traditionellen Aktionsarten gibt es in der Germanistik? Wie schon erwähnt, versucht man durch die Aktionsarten sowohl den zeitlichen als auch den inhaltlichen Verlauf eines Ereignisses zu erfassen. Die folgenden Aktionsarten sind in den meisten (älteren) deutschen Grammatiken erwähnt. Zu den Aktionsarten, die sich ausschließlich auf den zeitlichen Ablauf eines Ereignisses beziehen, zählen durativ und terminativ, welche Gegensatzkonzepte bilden. Durative Verben wie schlafen oder arbeiten beschreiben eine Handlung ohne natürlichen Kulminationspunkt (1a). Terminative Verben hingegen implizieren einen Wechsel von einem Zustand in einen anderen, wie es bei einschlafen oder sterben der Fall ist (1b). (1) a. Da wohnten 13 Menschen in einem Raum, ohne Möbel, ein großes Bett, in dem sie abwechselnd geschlafen haben, an ein paar Nägeln in der Wand hing die Kleidung. b. Erst in der vergangenen Woche warnte das renommierte World Economic Forum, ein Zusammenschluss wichtiger Ökonomen und Politiker, dass die wirtschaftliche Aufbruchsstimmung einschlafen könnte. 2 2 Beispiele aus dem Zeit-Korpus via DWDS. http: / / www.dwds.de/ <?page no="27"?> 27 2.1 Welche traditionellen Aktionsarten gibt es in der Germanistik? Helbig & Buscha (1974, 69) weisen dieser letzteren Art von Verben den Begriff perfektiv zu - dieser wird jedoch heutzutage aus Klarheitsgründen in der Debatte um die Aktionsarten vermieden und in den meisten Theorien nur noch im Zusammenhang mit Aspekt benutzt. Dies ist auch in diesem Buch der Fall. Der Duden (2009) schlägt in der Tradition von Fabricius-Hansen (1975) anstelle von terminativ den Ausdruck transformativ vor. Ich werde diesen Begriff hier benutzen, zum einen, weil der Ausdruck terminativ im Kapitel 3 eine Rolle spielen wird und dort ein etwas anderes Konzept bezeichnet, zum anderen, weil er anschaulich ist, da er einen Zustandswandel eines Teilnehmers suggeriert, welcher durch die vom Verb ausgedrückte Handlung zustande kommt. So ändert sich Peters Zustand, wenn er einschläft, von wach zu schlafend. Transformativ ist eine Art Oberkategorie und kann weiter unterteilt werden in inchoativ (2a), ingressiv (2b) und egressiv (2c) - Aktionsarten welche dazu dienen, noch einmal speziell die Anfangs- und die Endphase eines Zustandswechsels sowie den Zustandswechsel selbst zu unterscheiden. (2) a. Es herbstet also wieder sehr. Aber blüht die Trauer noch, oder welkt sie schon? 3 b. Erst möge Ruanda ökonomisch aufblühen, dann wird man weitersehen. 4 c. Draußen im sorgsam auf halbwild getrimmten Garten verblühen die letzten Malven, Seerosenblätter treiben im Teich, und natürlich hängt ein grauer Himmel tief über Wiltshire. Auch hier bestehen Mehrdeutigkeiten bezüglich der Terminologie. Während für Helbig & Buscha (1974) sowohl ingressiv als auch inchoativ den Anfang eines Geschehens benennen (aufblühen, einschlafen, entflammen), unterscheidet Flämig (1965) zwischen ingressiv als dem Beginn eines Geschehens (einschlafen) und inchoativ als dem Übergang in einen anderen Zustand (reifen). Nur bei egressiv ist man sich einig: Es bezeichnet die Endphase eines Zustandswechsels. Dennoch kann zurecht argumentiert werden, dass Peter, wenn er einschläft, im Begriff ist, in einen anderen Zustand, den Schlaf, überzugehen und dass einschlafen also der inchoativen, nicht der ingressiven Klasse zugeordnet werden müsste. Das mag der Grund sein, warum Helbig & Buscha (1974) nicht zwischen inchoativ und ingressiv unterscheiden und für den Übergang in einen anderen Zustand den Begriff mutativ verwenden. Jedoch lassen sich auch Beginn (ingressiv) und Ende (egressiv) einer Handlung nicht so einfach festlegen. Betrachten wir die Verben geboren werden - leben - sterben. In Abbildung 1 können sie als die Punkte A, B und C auf der sich verändernden und zeitlich fortschreitenden Kurve des Lebens markiert werden. Das Ansteigen und Abfallen der Linie soll den Übergang in einen anderen Zustand darstellen. Sicherlich wäre es nachvollziehbar, geboren werden (A) als den Anfang eines Geschehens (leben) und folglich sterben als dessen Endphase (C) zu begreifen. Demnach müsste leben (B) die Phase zwischen Geburt und Tod bedeuten und, wenn man diese separate Kategorie festlegen will, als inchoativ, also als Übergang in einen anderen Zustand, klassifiziert werden. Was jedoch ist der neue Zustand, der durch den Vorgang leben erreicht wird? Älter werden? Das Sterben selbst? Und was passiert, wenn man die Kette des Lebens einfach früher 3 Peter Rühmkorf. 1999. Wenn aber dann. 4 Beispiele (2b) und (2c) aus dem Zeit-Korpus via DWDS. http: / / www.dwds.de/ <?page no="28"?> 28 2 Aktionsart - Definitionen aus der Germanistik beginnt? Zeugen (A) - geboren werden (B) - leben (C). Oder über den eigentlichen Sterbeprozess hinausdenkt? Leben (A) - sterben (B) - tot sein (C). Verschieben sich dann die Kategorien? Ist sterben plötzlich inchoativ statt egressiv? Um einen solchen gänzlich willkürlichen Klassenwechsel zu unterbinden, könnte die Regel eingeführt werden, nur von ein und derselben Basis derivierte Verben in diese Klassen aufzunehmen (blühen, erblühen, verblühen). Allerdings werden in Helbig & Buscha (1974) sowie Steinitz (1981) auch (Reihen aus) Simplexverben für diese Unterscheidung der transformativen Unterkategorien genannt. B A C Abbildung 1: Verschiedene Phasen eines Vorgangs Man sieht an diesem Beispiel recht deutlich, dass auch die Feststellung der rein zeitlichen Eigenschaften von Ereignissen mit dieser Klassifizierungsmethode nicht besonders eindeutig ist. Nach Steinitz (1981, 10ff) liegt die Problematik darin begründet, dass weder konkrete morphologische noch konkrete semantische Merkmale vorliegen, die die einzelnen Aktionsarten definieren. So könnte man mit der semantischen Vagheit sowie den relationalen Eigenschaften bei der Klassifikation durchaus zurechtkommen, wenn denn wenigstens bestimmte formale Kriterien (z.B. bestimmte Präfixe) eindeutig auf eine Klassenzugehörigkeit hinweisen würden. Dies ist jedoch auch nicht gegeben, wie wir im nächsten Teil dieses Kapitels sehen werden. Schematisch können die Zusammenhänge zwischen den in diesem Kapitel wichtigen Aktionsartklassen folgendermaßen dargestellt werden. Aktionsarten zeitlicher Ablauf quantitativer Ablauf Intensität durativ transformativ iterativ intensiv diminutiv ingressiv inchoativ egressiv Abbildung 2: Aktionsarten aus der Germanistik <?page no="29"?> 29 2.1 Welche traditionellen Aktionsarten gibt es in der Germanistik? Schon bei den bisher vorgestellten Eigenschaften des zeitlichen Ablaufs wird deutlich, dass, was die Aktionsarten anbelangt, in der germanistischen Forschung eine Fülle an Terminologie besteht, die oft keinen klaren Definitionskriterien unterliegt. Unter die Eigenschaften des quantitativen Ablaufs von Ereignissen ordne ich hier, Steinitz (1981) folgend, die iterative Aktionsart ein. Durch sie wird die Wiederholung eines Geschehens bezeichnet. Bei Helbig & Buscha (1974) stellt sie eine Sonderform der durativen Aktionsart dar. Verben wie flattern, gackern, plätschern, streicheln fallen hierunter. Eine besondere semantische Eigenschaft dieser Klasse von Ereignissen besteht darin, dass diese in viele kleine Unterereignisse aufgeteilt werden können, die alle von gleicher Natur sind: So besteht flattern aus mehreren Flügelschlägen oder gackern aus mehreren Gackerlauten. (3) a. Alles flattert hier. Flattert zwischen Ernst und Zerstreuung hin und her. 5 b. Da muss sie sechzehn gewesen sein, vielleicht ein bisschen älter. Sie saß auf dem Podium, gluckste, kicherte und gackerte, strahlte in die Fernsehkameras. c. Manchmal streichelt er zwischendurch vor Freude die graue Limousine. Die Intensität als Eigenschaft von Verben habe ich als eigene Überkategorie zu den intensiven und diminutiven Aktionsarten von den anderen abgespalten. Dies liegt darin begründet, dass sie, meines Erachtens, nicht in die Debatte um Aktionsart und Aspektualität passen, die sich den rein zeitlichen Eigenschaften von Ereignissen widmet. Wie man am Beispiel der Dudengrammatik (2009) sieht, wurden diese beiden Aktionsarten in neueren Werken aus dem Katalog gestrichen. Wenn man versucht, eine Definition dieser beiden Eigenschaften abzugeben, wird schnell klar, was mögliche Gründe dafür sind. Helbig & Buscha (1974) nennen als intensive Verben solche, die die Verstärkung eines Geschehens ausdrücken sollen, darunter brüllen, saufen und sausen und als diminutive solche, die eine geringere Intensität eines Geschehens bezeichnen, wie es bei hüsteln, lächeln und tänzeln der Fall ist. Die Existenz der Kategorien intensiv und diminutiv suggeriert, dass ebenso eine Klasse „neutral“ bestehen sollte, die sich irgendwo zwischen den beiden Extrempunkten der Verstärkung und der Abschwächung bewegt. Solch eine neutrale Klasse ist für tänzeln, lächeln, hüsteln und saufen mit tanzen, lachen, husten und trinken durchaus denkbar. Was jedoch wären die neutralen Verben für brüllen und sausen? Kann schreien ein neutrales Verb zu brüllen sein oder ist es nicht im Gegensatz zu reden schon selbst verstärkt? Was hat eine geringere Intensität als sausen? Laufen? Gehen? Steinitz (1981) weist zu Recht auf zwei Probleme der Intensität als Eigenschaft hin: Sie ist relativ und eher willkürlich. Eine letzte Klasse, die speziell in Helbig & Buscha (1974) vorkommt, ist die Klasse der kausativen oder faktiven Verben. Bei Vertretern dieser Klasse, zu denen beugen, öffnen, senken, sprengen, etc. gehören, wird ein Bewirken oder Veranlassen des Vorgangs festgestellt. Ich habe diese Klasse im Schaubild oben bewusst ausgelassen, da sie am allerwenigsten mit den zeitlichen Eigenschaften von Verben zu tun hat und auch sonst eher selten Aktionsartanalysen auftaucht (vergleiche jedoch Dowty 1972). Kausativität ist zwar eine Eigenschaft von Verben, die für die grammatische Theorie von großem Interesse ist; sie wird jedoch meist in anderen Zusammenhängen diskutiert. 5 Beispiele aus dem Zeit-Korpus via DWDS. http: / / www.dwds.de/ <?page no="30"?> 30 2 Aktionsart - Definitionen aus der Germanistik Im Überblick in (4) werden noch einmal einige Verben für jede Aktionsartklasse aus dem Schaubild genannt. Hierzu wurden Beispiele aus Flämig (1965), Erben (1968), Helbig & Buscha (1974) und Steinitz (1981) gesammelt. Als Zwischenfazit kann man sagen, dass eines der größten Probleme der in diesem Kapitel vorgestellten Aktionsarten darin besteht, dass sie verschiedene, eigentlich voneinander unabhängige semantische Kriterien, wie Verlauf, Frequenz und Intensität vermischen. Daher sind sie nur schwer miteinander vergleichbar. Auch lassen sie sich nicht an einer bestimmten Form - beispielsweise an einem konkreten Affix - festmachen. Somit erscheint die Zuordnung bestimmter Verben unter eine bestimmte Aktionsart recht willkürlich und intuitiv zu sein. (4) a. durativ: schlafen, arbeiten, blühen, essen, laufen, wohnen, sitzen, bewohnen, besitzen, weiterschlafen, durcharbeiten b. transformativ-ingressiv: einschlafen, aufblühen, entflammen, erblicken, loslaufen, auflachen, abfahren, erblühen c. transformativ-inchoativ: reifen, rosten d. transformativ-egressiv: verblühen, brechen, finden, erjagen, platzen, verklingen, zerschneiden, erschlagen, erwürgen, verbrennen, totschlagen, freisprechen, durchbohren e. iterativ: flattern, atmen, fliegen, schreiten, betteln, klingeln, plätschern, streicheln f. intensiv: schnitzen, rennen, brüllen, sausen, saufen, platschen, schluchzen, bücken, triefen, ritzen, rutschen, kündigen, spendieren g. diminutiv: hüsteln, glimmen, lächeln, tänzeln, köcheln, werkeln AUFGABE 2 Versuchen Sie nun selbst, für die Aktionsarten durativ, transformativ-ingressiv, transformativ-inchoativ, transformativ-egressiv, iterativ, intensiv und diminutiv jeweils noch drei deutsche Verben zu finden. Welche Probleme beobachten Sie bei der Klassifizierung? 2.2 Aktionsarten in der Morphologie und der Syntax Wie in der Einleitung gezeigt, beziehen sich die hier vorgestellten Aktionsarten hauptsächlich auf lexikalisch-semantische Eigenschaften des Verbs (siehe auch Flämig (1965) und Anderson (1972)). Dies wird jedoch in vielen deutschen Grammatiken selten so deutlich ausgedrückt. Riecke (2000, 29) weist zurecht darauf hin, dass „jedes Verb […], unabhängig von seiner Stellung im grammatischen System, eine lexikalische Bedeutung [hat]. Man kann diese Bedeutung ganz allgemein Verbalhandlung (Actio) nennen.“ Ähnlich Pepouna (2007, 53). Er definiert Aktionsart als „die vom Kontext losgelöste zeitliche Eigenschaft des durch ein gegebenes Verb bezeichneten Geschehens.“ Wenn man jedoch in grammatischen Grundlagenbüchern, wie Flämig (1965), Erben (1968) und Helbig & Buscha (1974) weiterliest, wird man erstaunt feststellen, dass <?page no="31"?> 31 2.2 Aktionsarten in der Morphologie und der Syntax dieselbe Aktionsarteinteilung, die zuvor zur Klassifizierung von Verben diente, auch für Phänomene benutzt wird, die nicht auf der lexikalischen Ebene angesiedelt sind, sondern der Morphologie und der Syntax zugeordnet werden können. In diesem Buch wird Wert darauf gelegt, lexikalische, morphologische und morpho-syntaktische Phänomene voneinander abzugrenzen. In Lexikon, Derivation und Flexion sind, wie wir in den Kapiteln 3 und 4 sehen werden, unterschiedliche Mächte am Werk, die einander zwar durchaus beeinflussen, aber nicht so ohne weiteres miteinander in denselben Topf geworfen werden können. Eine Vermischung dieser Bereiche führt schon terminologisch zu Unüberschaubarkeit und wird der Vielschichtigkeit des Phänomens nicht gerecht. Im folgenden Abschnitt werden wir Beispiele sehen, die in den späteren Kapiteln dieses Buches wiederkehren werden - allerdings nicht unter der Rubrik Aktionsart, sondern in der Diskussion um Zeitschema und Aspekt, welche sich auf Domänen erstrecken, die weit über das einzelne Verb hinaus reichen. In der oben vorgestellten Literatur werden außer dem Verb folgende weitere Mittel zum Ausdruck der Aktionsarten im Deutschen genannt, wobei die hier verwendeten Sammelkategorien von Steinitz (1981) geprägt wurden: (1) syntaktische Konstruktionen, (2) Präfixableitungen, (3) Suffixableitungen, (4) morphologische Änderungen des Verbstammes. Unter dem Begriff „syntaktische Konstruktionen“ vereint Steinitz (1981, 15) all jene komplexen Ausdrücke, die „eine aktionale Modifikation der Verbbedeutung realisieren“. Hierunter fallen Adverbiale (immer, regelmäßig), Reduplikationskonstruktionen (wieder und wieder) und andere, in vielen Arbeiten eindeutig dem Aspekt zugeordneten Konstruktionen (am V-en sein) (Krause 1997, van Pottelberge 2005, Thiel 2008). Nicht nur der Name der Sammelklasse selbst, sondern auch die Auswahl ihrer Vertreter zeigt, dass wir die lexikalische Ebene der Verben hier verlassen haben und nun Satz- oder Verbmodifikatoren betrachten, die eventuell auf jedes Verb, ungeachtet seiner eigenen Aktionsartklasse, angewandt werden könnten (am Schwimmen sein, am Hüsteln sein, am Sterben sein etc.). Auch dieser Umstand zeigt, dass solche Konstruktionen unabhängig von der Verbbedeutung und der lexikalischen Ebene betrachtet werden müssen. Die Ausweitung des Phänomens Aktionsart auf die syntaktische Ebene wird damit erklärt, dass das Verb an sich einen so genannten „neutralen Ausdruck“ darstellt und die syntaktischen Konstruktionen, die es einbetten, den „spezifizierten Ausdruck“ bilden, was eigentlich schon anzeigt, dass solche Elemente als Modifikation verstanden werden (Steinitz 1981, 15f). Die Tatsache, dass auch schon die unmodifizierten Verben Aktionsarteigenschaften aufweisen, scheint hierbei keine wichtige Rolle zu spielen, obwohl bei Helbig & Buscha (1974, 71) auf Schwierigkeiten bei der Analyse hingewiesen wird. Im folgenden Überblick in (5) finden sich einige Beispiele der sogenannten syntaktischen Konstruktionen nach Aktionsarten geordnet. Alle aufgelisteten Konstruktionen sind Modifikationen des Verbs malen. Nach dieser Auffassung von Aktionsart könnte dieses im „neutralen Kontext“ durative Verb beispielsweise durch Adverbiale oder Reduplikation in andere Aktionsartklassen überführt werden. Die Beispiele für die intensive und die diminutive Klasse sind so in keiner der genannten Grammatiken aufgelistet, orientieren sich aber an den von Steinitz (1981, 16) vorgeschlagenen Modifikationen. <?page no="32"?> 32 2 Aktionsart - Definitionen aus der Germanistik (5) a. durativ: fortfahren zu malen, malen und malen, in einem fort malen, am Malen sein, immer/ unaufhörlich malen b. transformativ-ingressiv/ inchoativ 6 : beginnen zu malen, im Begriff sein zu malen, plötzlich malen c. transformativ-egressiv: aufhören zu malen, aufgeben zu malen, ein Bild malen d. iterativ: zu malen pflegen, gewohnt sein zu malen, regelmäßig malen, oft malen e. intensiv: viel malen f. diminutiv: wenig malen, ein bisschen malen Wie man an den Beispielen zum Verb malen und seinen Modifikationen in (5) sieht, ergeben sich für die Aktionsartanalyse auf syntaktischer Ebene mehrere Herausforderungen. Die Überführung des Verbs malen in alle möglichen anderen Aktionsarten mag ohne weitere Schwierigkeiten vonstattengehen. Dies ist jedoch nicht für alle Verben gleichermaßen möglich. Wenn man versucht, die Verbalphrase einen Schatz entdecken auf dieselbe Weise zu modifizieren, kommen merkwürdig erscheinende Konstellationen zustande (6a). Dies hat jedoch überraschenderweise nicht nur mit der neuen Aktionsart zu tun, die durch die Modifikation hergestellt wird. Es sind zwar alle unter durativ fallenden Modifikationen nicht akzeptabel, da sie nicht mit der transformativen und punktuellen Semantik des Verbalausdrucks (einen Schatz entdecken) kompatibel sind. Bei den transformativen und den iterativen Modifikationen gibt es jedoch einige, die durchaus vorstellbar sind (6b), sowie andere, die nicht passen. (6) a. *fortfahren einen Schatz zu entdecken; *einen Schatz entdecken und entdecken; *in einem fort einen Schatz entdecken; *am Schatz entdecken sein; *unaufhörlich / immer einen Schatz entdecken; *beginnen einen Schatz zu entdecken; *aufhören einen Schatz zu entdecken; *aufgeben einen Schatz zu entdecken; *einen Schatz zu entdecken pflegen; *viel/ wenig/ ein bisschen einen Schatz entdecken b. im Begriff sein einen Schatz zu entdecken; plötzlich einen Schatz entdecken; einen Schatz entdecken; gewohnt sein, einen Schatz zu entdecken; regelmäßig/ oft einen Schatz entdecken Es wird deutlich, dass bei der Kombination von Verb und Modifikation nicht nur semantische, sondern auch syntaktische Kriterien eine Rolle spielen. Auffällig ist aus semantischer Sicht, dass der als transformativ einzuordnende VP einen Schatz entdecken sich in keinem Fall mit durativer Modifikation verträgt. Eine Eigenschaft, die dafür verantwortlich sein könnte und die im germanistischen Aktionsartensystem nicht beachtet wurde, ist, dass es sich bei einen Schatz entdecken um ein punktuelles Ereignis handelt 7 . Dieses kann nur schwer in verschiedene Zeitphasen aufgeteilt oder in die Länge gezogen werden. Dafür sorgt außerdem sein natürlicher Endpunkt. Dieser ist erreicht, sobald der Schatz entdeckt ist. Dieses Ereignis kann nicht immer aufs Neue wiederholt werden. Ein syntaktisches Kriterium, was in den Beispielen in (6a) Probleme bereitet, ist, dass entdecken im Gegensatz zu malen insbesondere in der transitiven 6 Je nach Literatur wird die eine oder die andere Terminologie verwendet. 7 Punktualität als Eigenschaft von Aktionsarten wird in Pepouna (2007) diskutiert. <?page no="33"?> 33 2.2 Aktionsarten in der Morphologie und der Syntax Variante vorkommt. Das heißt, dass ein Objektargument, in unserem Fall einen Schatz, realisiert werden muss, um die Konstruktion vollständig zu machen (? Peter war gerade am Entdecken, als seine Mutter ihn rief). Einheiten wie am+V-en sein, verlangen jedoch ein Verb, keine VP. Daher klingt die Kombination am (einen) Schatz entdecken sein bestenfalls holperig. Umgangssprachlich wird möglicherweise einen Schatz am Entdecken sein daraus. Die Rolle, die Objektargumente bei der zeitlichen Organisation eines Ereignisses spielen, wird in Kapitel 3 beleuchtet. Im Verlauf dieses Buchs werden wir noch mehr als einmal mit der Tatsache konfrontiert werden, dass die Aktionsarten einen starken Einfluss auf grammatikalische Phänomene wie Tempus oder Modus haben können. Diese „syntaktischen Reflexe der Aktionsarten“ sind der Grund, warum z.B. Helbig & Buscha (1974, 72) versuchen, die Aktionsarten in die syntaktische Struktur und in die Morphologie mit hinein zu nehmen. Auch in der Derivationsmorphologie sehen sie, in Anlehnung an die slawischen Sprachen, eine Manifestation der Aktionsarten. In den slawischen Sprachen kann Aktionsart vor allem durch Präfixe ausgedrückt werden (Steinitz 1981), daher wurde auch in der Germanistik versucht, die deutschen Suffixe in ein systematisches Aktionsartenschema zu pressen. Beispiele 8 , in denen eine Präfigierung eine andere Aktionsart auslöst, sind in (7) gegeben. (7) a. durativ: schlafen - weiterschlafen, arbeiten - durcharbeiten b. ingressiv/ inchoativ: lachen - auflachen, fahren - abfahren, schlafen - einschlafen c. egressiv: blühen - verblühen, schlagen - erschlagen, brennen - verbrennen Was bei der derivationellen Präfigierung im Deutschen auffällt, ist, dass keine hundertprozentige Übereinstimmung von Form und Bedeutung gegeben ist. So könnte man, die Beispiele in (7c) betrachtend, zu dem Schluss kommen, dass das Präfix erim Allgemeinen den Aktionsarttyp egressiv repräsentiert. Dies funktioniert nach Steinitz (1981, 20) in erarbeiten, aber nicht in sich ergehen. Oft kreiert ereine ziemlich selbstständige neue Bedeutung, und die daraus zusammengesetzten Verben sind nicht immer transparent (erzählen, erstellen, erliegen). Solche idiosynkratischen, opaken Bildungen sind nicht nur typisch für die deutschen Präfix- und Partikelverben (Fleischer & Barz 1992, McIntyre 2002, Rich 2003 9 ), sondern für Derivation im Allgemeinen. „Während Flexionsprozesse normalerweise die meisten wählbaren Formen in regelmäßiger Weise betreffen, tendieren Derivationsregeln zu kapriziösem Verhalten 10 “ (Katamba 2004, 79).Ein etwas anderes Bild zeigt sich bei der Suffigierung der Verben. Die Suffixe -l und -r markieren in sehr regelmäßiger Weise iterative, intensive und diminutive Aktionsarten. Jedoch gilt auch hier, dass diese Wortbildungsprozesse nicht auf jedes beliebige deutsche Verb angewendet werden können oder umgekehrt zu jedem scheinbar abgeleiteten Verb eine neutrale Variante besteht (8b). Nur in manchen Fällen existieren eine markierte und eine nicht-markierte Version (8a). 8 Steinitz (1981, 19). 9 Rich (2003) beispielsweise erkennt allein für Partikelverben mit durch 24 Bedeutungsgruppen, die räumliche, zeitliche, Intensitäts-, aber auch abstrakte Konzepte mit einschließen. 10 Meine Übersetzung. Original: „While inflectional processes usually affect most of the eligible forms in a regular manner, derivational rules tend to be capricious.“ <?page no="34"?> 34 2 Aktionsart - Definitionen aus der Germanistik (8) a. werken - werkeln, husten - hüsteln, kochen - köcheln, tropfen - tröpfeln, tanzen - tänzeln b. lesen - *leseln, hören - *höreln, *flatten - flattern, *gacken - gackern, *mecken - meckern An den in diesem Kapitel gegebenen Beispielen wird ein ums andere Mal deutlich, dass die Aktionsarten als rein lexikalisch-semantische Klassifikation verstanden werden sollten und Versuche, sie in syntaktische Konstruktionen mit einzubinden und als grammatische Kategorie zu betrachten, zum Scheitern verurteilt sind. Dies liegt darin begründet, dass grammatische Vorgänge wie z.B. Flexion zum einen von großer Regelmäßigkeit und Allgemeinheit sowie zum anderen von einer relativ klaren Form- Bedeutungszuordnung geprägt sind (Katamba 2004). Keine dieser Eigenschaften trifft auf die hier vorgestellten Aktionsarten zu. Eine einigermaßen einheitliche Form- Bedeutungszuordnung kann höchstens im Bereich der derivationellen Suffigierung festgestellt werden, ansonsten kann die Aktionsart jedoch längst nicht immer an der äußeren Form des Verbs festgemacht werden. Dies wird auch von Admoni (1970, 169) bestätigt: Im Deutschen gibt es kein System von morphologischen Merkmalen, die den gesamten Bestand der Verben […] im Hinblick auf den Verlauf des Vorgangs einteilen, wie es im Russischen der Fall ist. […] Dennoch sind auch im Deutschen gewisse Erscheinungen vorhanden, welche mit den Verschiedenheiten im Verlauf des Vorgangs, d.h. mit der Aktionsart […] zusammenhängen. Helbig & Buscha (1974,71) sind sich dieses Problems zwar in gewisser Weise bewusst, sehen jedoch selbst nach dem Beispiel in (9) nicht von einer Beschränkung der Aktionsarten auf die lexikalische Verbbedeutung ab. (9) Die Kinder rupfen immer wieder die Blumen heraus. ( = perfektiv + intensiv + iterativ) Sie merken hierzu an: Auf Grund dieser verschiedenen, sich überlagernden Mittel zur Bezeichnung der Aktionsarten ist es äußerst schwierig, die Aktionsarten - als semantische Kategorien - deutlich voneinander zu trennen. Es gibt in der Tat Verben und Sätze, die mehreren Aktionsarten gleichzeitig zugeordnet werden können. Die getrennte Erfassung der Mittel, welche zeitliche Eigenschaften von Ereignissen repräsentieren können - Derivation, Flexion, Modifikation auf Satzniveau - ist eines der wichtigsten Ziele, die in diesem Buch verfolgt werden. Hierauf werden wir in den Kapiteln 3 und 4 eingehen. Die folgende Aufgabe soll zeigen, welche Rolle hierbei bestimmten Elementen im Satz zukommt. <?page no="35"?> 35 2.2 Aktionsarten in der Morphologie und der Syntax AUFGABE 3 1. Versuchen Sie, die Aktionsart von folgenden Ereignissen nach dem in Beispiel (9) gezeigten System zu bestimmen. 2. Markieren Sie jeweils, an welchem Element Sie eine bestimmte Aktionsart festmachen! 3. Gibt es Elemente, die semantisch größeren Einfluss auf die Aktionsart der VP haben als andere? a. ein Brot essen b. ständig ein Brot essen c. in andauerndes Hüsteln ausbrechen d. den ganzen Boden volltriefen e. am Einschlafen sein Die Aktionsarten nach diesen hier gesehenen Klassen anzunehmen, ist, wie Sie in der Übung gesehen haben, ziemlich intuitiv. Es gibt keine konkreten Kriterien für die Einteilung in die eine oder die andere Klasse. Ein weiteres Problem stellt die Zusammenfassung von semantischen, morphologischen und syntaktischen Eigenschaften unter der Rubrik Aktionsarten dar. Während schon einfache Verben bestimmte zeitliche Verlaufseigenschaften aufweisen, werden durch morphologische, syntaktische und lexikalische Modifikation mehrere Klassen von Aktionsarten in einem Satz vereint (siehe (9)). Da jedoch pro Satz nur ein Ereignis ausgedrückt werden kann (durch das flektierte Verb) und somit nur eine Aktionsart gegeben sein sollte, führen Analysen wie die in (9) in die Irre. Zum Schluss soll noch auf die Möglichkeit der sogenannten „Änderung des Verbstamms“ zum Anzeigen von Aktionsarten eingegangen werden, welche in Steinitz (1981) erwähnt wird. Wenn wir einige der Beispiele betrachten, die Helbig & Buscha (1974, 71) sowie Steinitz (1981, 22) für die intensiven Aktionsarten geben (10), wird klar, dass hier synchron von den meisten Sprechern nicht unbedingt ein semantischer Zusammenhang hergestellt werden kann. Natürlich kann es sein, dass man beim Schluchzen schluckt, und beides spielt sich „irgendwo in der Halsregion“ ab, aber schluchzen als eine verstärkte Variante von schlucken zu betrachten, geht sicherlich etwas zu weit. Ähnliches gilt für das Paar in (10b). Eine Kündigung ist tatsächlich ein Ver-künden eines negativen Umstandes, warum das Ganze aber als „verstärktes künden“ zu betrachten ist, ist nicht klar. Einzig beim Paar in (10d) ist nachzuvollziehen, was mit „intensiv“ eigentlich gemeint ist. So kann man triefen durchaus als ein starkes Tropfen umschreiben. (10) a. schlucken (neutral) - schluchzen (intensiv) b. künden (neutral) - kündigen (intensiv) c. biegen (neutral) - bücken (intensiv) d. tropfen (neutral) - triefen (intensiv) <?page no="36"?> 36 2 Aktionsart - Definitionen aus der Germanistik Die Ähnlichkeit der Paare in (10) ist nach Steinitz (1981, 23) eine rein morphologische, wobei die Bildungen als unproduktiv betrachtet werden können. Die Aktionsarten sind jedoch semantische Klassen. Dies macht deutlich, dass die Änderung des Verbalstammes im Deutschen weder ein Mittel zur Änderung von noch ein Indikator für eine bestimmte Aktionsart ist. Auch die Gegenüberstellung von neutralen und spezifizierten Verben ist nicht so einfach nachzuvollziehen, da ja eigentlich auch die Ausgangsverben schon eine Aktionsart aufweisen. 2.3 Welchen Nutzen haben die Aktionsarten für die linguistische Analyse? In 2.1 wurde aufgezeigt, welche Probleme mit der semantischen Definition der Aktionsarten aus der Germanistik bestehen. In 2.2 wurde diskutiert, wie sich besagte Aktionsarten formal manifestieren und auf welchen Niveaus innerhalb des Satzes sie dies tun. Wenn man diese beiden Kapitel liest, könnte man zu dem Schluss kommen, dass diese Klassifikation nichts als Probleme verursacht und daher womöglich abgeschafft werden sollte. Wie wir jedoch gesehen haben, bestehen gewisse, wenn auch nicht auf alle deutschen Verben anwendbare Regelmäßigkeiten in der Wortbildung, welche dafür sorgen, dass blühen und verblühen, schlafen und einschlafen, kochen und aufkochen usw. Konzepte mit unterschiedlichen zeitlichen Eigenschaften bezeichnen. Diese Verbpaare weisen jedoch eine gemeinsame Wurzel auf. Somit muss der semantische Unterschied in der Hinzufügung des Präfixes bzw. der Partikel begründet sein. Da sich Wortbildung oder Derivation mit der Veränderung eines Wortes auf lexikalischem Niveau befasst, spricht nichts dagegen, die Präfixe bzw. Partikeln in eine Aktionsartenanalyse mit einzubeziehen, auch wenn ihnen eine völlig andere Rolle zukommt als dies in den slawischen Sprachen der Fall ist (Steinitz 1981) (vgl. Kapitel 4.2 in diesem Buch). Sobald wir jedoch den Bereich der Wortbildung und des Lexikons verlassen und unsere Verben in einen Satz einsetzen, um es mit Objekten und Adverbien anzureichern oder es in eine andere, größere syntaktische Konstruktion einzusetzen (am V-en sein), müssen wir gleichzeitig auch die Domäne der Aktionsarten verlassen (Heinold 2011b). Da es pro einfachem Satz nur ein Verb als semantischen Hauptträger gibt, gibt es auch nur eine Aktionsart, die durch dieses repräsentiert wird. Um also über Verbbedeutungen oder -eigenschaften zu sprechen, können die Aktionsarten, wie sie hier vorgestellt wurden, zumindest zum Teil weiterbenutzt werden. Ich rate allerdings dazu, nur die Kategorien zu verwenden, die den zeitlichen Verlauf beschreiben: durativ, transformativ und iterativ. Diese Begriffe werden auch noch in späteren Kapiteln eine Rolle spielen. Die Unterteilung in inchoativ, ingressiv und egressiv ist m.E. für eine Debatte um Tempus, Modus und Aspekt nicht notwendig - hier spielt nur die Überkategorie transformativ eine Rolle -, kann aber in anderen Gebieten, wie beispielsweise der Diskussion um Präfix- und Partikelverben im Deutschen zur Anwendung kommen (verblühen, erblühen). Auch Funktionsverbgefüge (in Gang kommen, in Kraft treten, zur Anzeige bringen etc.) können dadurch beschrieben werden. Im folgenden Kapitel wird nicht das Verb, sondern die ganze Verbalphrase (VP) im Mittelpunkt stehen. Es werden Systeme zur Analyse von Zeitschemata vorgestellt, die einfacher in der Handhabung sind und konkrete semantische Eigenschaften sowie syntaktische Tests vorschlagen, durch die Klassen von Ereignissen erkannt werden können. <?page no="37"?> 37 2.3 Welchen Nutzen haben die Aktionsarten für die linguistische Analyse? Zusammenfassung Die in diesem Kapitel beschriebene Kategorie Aktionsart erweist sich als komplex, was ihre Definition, ihre Unterklassifizierung sowie die Terminologie zur Beschreibung der Phänomene angeht, die unter ihrem Namen diskutiert werden. Die Aktionsarten, wie sie hier verstanden werden, sind lexikalische Eigenschaften, die durch Verben ausgedrückt werden. Im Deutschen besteht die Möglichkeit, wenn auch nicht für alle Verben, Aktionsart durch derivationelle Präfigierung (er-, ver-, zeretc.) oder Suffigierung (-l, -r) zu ändern. Die Tatsache, dass diese Möglichkeit nur für einige Verben besteht, zeigt, dass solche Änderungen lexikalischer Natur sind und somit noch zur Wortbedeutung eines Verbs gezählt werden können. Der Versuch, Aktionsarten auf Satzniveau zu bestimmen, kann als gescheitert betrachtet werden. Die Aktionsarten, die sich dem inhaltlichen Verlauf des Geschehens widmen, wie intensiv und diminutiv, sind doppelt problematisch: die Eigenschaften, die sie beschreiben, sind nicht mit den für Tempus, Modus, Aspekt relevanten zeitlichen Merkmalen eines Vorgangs vergleichbar; außerdem handelt es sich um relationale Eigenschaften, was eine klare Klassifikation unmöglich macht. Empfohlene Literatur Einen kurzen Überblick über die Aktionsarten, wie sie heute in der Germanistik verstanden werden, gibt Duden (2009). Hierbei fehlen jedoch einige der Klassen, die im ursprünglichen Katalog, wie zum Beispiel in Erben (1968) oder Helbig & Buscha (1974), noch aufgelistet sind. Fabricius-Hansen (1975) geht im Detail auf die Unterkategorien der (in)transformativen Verben ein. In Steinitz (1981) werden die Aktionsarten im Deutschen gut und kritisch vorgestellt, und es wird erklärt, warum der traditionelle Katalog nicht ohne Probleme aufs Deutsche anwendbar ist. Zusätzlich wird die Aktionsartauffassung aus den slawischen Sprachen präsentiert. Riecke (2000) versucht nachzuvollziehen, wie der Begriff Aktionsart in den deutschen Grammatiken verstanden wird und was der Grund für die terminologische Konfusion ist. Zwei der neueren Arbeiten zum Thema sind Pepouna (2007) und Nicolay (2007). Erstere behandelt die Interaktion der Aktionsarten mit Aspekt und gewährt einen Einblick ins Französische und ins Polnische; letztere versucht eine Brücke zwischen den in diesem und im nächsten Kapitel diskutierten Auffassungen von Aktionsart zu schlagen und stellt nützliche Tests zur Abgrenzung der Klassen vor. <?page no="39"?> 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept In Kapitel 2 wurden Aktionsarten eingeführt, die die zeitlichen und inhaltlichen Eigenschaften von Verben in Klassen zusammenfassen. Aufgrund der dort aufgezeigten Schwierigkeiten mit dieser Art von Verbanalyse dient Kapitel 3 nun dazu, einen anderen Typ von Klassifikationssystem vorzustellen, der sich mit Verben und ihren temporalen Eigenschaften befasst. Wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, ist eine Verbklassifikation nach zeitlichen Eigenschaften immens wichtig bei der Analyse des Verhaltens bestimmter Verben unter Tempus-, Aspekt- und teilweise sogar Moduseinfluss (Kenny 1963, Ehrich & Vater 1989, Welke 2005, Vater 2007). Die temporalsemantischen Besonderheiten von Verben können deren Kompatibilität mit bestimmten Konstruktionen oder ihre Interpretationsmöglichkeiten im Kontext stark beeinflussen. Darum ist es wichtig, diese Eigenschaften anhand von wissenschaftlichen Kriterien genau bestimmen zu können und nicht nur eine intuitive Idee davon zu haben, wie die Vorgänge, die durch ein Verb benannt werden, intern zeitlich aufgebaut sind. Im Folgenden werden wir einen Typ von Aktionsartanalyse aus der vorwiegend amerikanischen Fachliteratur kennenlernen, welche uns relativ verlässliche grammatische Tests zur Verfügung stellt, mit denen wir unterschiedliche, für die grammatische Einbettung wichtige Zeitschemata auseinanderhalten können. Wie sehr die Aktionsarten aus Kapitel 2 und Kapitel 3 jeweils an die Forschung in bestimmten Sprachen gebunden sind, lässt sich feststellen, wenn man den Begriff „Aktionsart“ bei Google eingibt (Stand: 07.12.2014). Die deutschsprachige Wikipedia-Seite verweist bei „Aktionsart“ auf eine Eigenschaft des Verbs und präsentiert eine lange Liste von Begriffen und Verbklassen, die sogar noch weit über das hinausgeht, was wir in Kapitel 2 kennengelernt haben. Die englischsprachige Seite nennt als synonymen Begriff „lexikalischen Aspekt“ und listet drei bis fünf verschiedene Aktionsarten auf, die nichts mit den auf der deutschen Seite genannten zu tun haben. Die Beschreibung hier fällt viel kürzer aus, da sie sich auf die Nennung von einigen zentralen Kriterien für jede Aktionsart beschränkt. Charakteristisch für die Auffassung von Aktionsart im Bereich der eng lisch(sprachig)en Fachliteratur ist die große Bandbreite an Terminologie, die für dieses Phänomen gebraucht wird (siehe Überschrift dieses Kapitels). Die Begriffe Aktionsart, Zeitschema, Zeitkonstitution, Situationstyp sowie innerer oder lexikalischer Aspekt koexistieren teilweise in Anlehnung an die deutsche Auffassung und Begrifflichkeit von Aktionsart, teilweise in Abgrenzung zu dieser. Diese Vielfalt an Terminologie stellt eine der größten Herausforderungen innerhalb dieses Feldes dar, zumal jeder Begriff meist sehr strikt mit einem/ r bestimmten Autor/ in assoziiert wird und das Konzept, welches durch ihn beschrieben wird, nicht zu hundert Prozent mit den durch die anderen Termini ausgedrückten Ideen übereinstimmt. Im Folgenden werde ich versuchen, die hier genannten Begriffe genauer zu unterscheiden und sie vor allem zu den „deutschen Aktionsarten“ aus Kapitel 2 abzugrenzen. In 3.1 werden wir nun zuerst einmal die Gemeinsamkeiten von „amerikanischer Aktionsart“, Zeitschema, Zeitkonstitution, Situationstyp und innerem bzw. lexikalischem Aspekt kennenlernen. In 3.2 wird ein Überblick präsentiert, der jeden der genannten Begriffe einer bestimmten Theorie zuordnet und kurz in Schlagworten eine <?page no="40"?> 40 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept Definition der dazugehörigen Aktionsarten, Merkmale und Situationen nennt. In 3.3 wird beschrieben, in welchen Bereichen Anwendungen für die vorgestellten Klassifikationen bestehen. 3.1 Die Verbalphrase: Verben und ihre Objektargumente Der wichtigste Unterschied zwischen den Aktionsarten aus Kapitel 2 und 3 ist, dass in der germanistischen Literatur der Begriff Aktionsart zur Klassifizierung von Verben gelten soll. Hierbei sollen vor allem semantische Unterschiede erfasst werden, die durch Derivation zustande kommen. So werden Verbvariationen wie blühen, ver-blühen und er-blühen einander gegenüber gestellt. Des Weiteren spielen nicht nur zeitliche, sondern auch inhaltliche Eigenschaften von Verben eine Rolle für die Klassifikation. Die ursprünglich amerikanische (aber in der Folge auch im Niederländischen, Deutschen und anderen Sprachen angewandte) Klassifikation bezieht sich auf Verben und ihre Objektargumente - kurz: die Verbalphrase (VP). Schon (1957, 143) merkt Vendler in seinem wegweisenden Aufsatz „Verbs and Times“ an, dass Verben „Prozesse, Zustände, Gemütslagen“ und vieles mehr beschreiben können, was jedoch nicht nur ihren zeitlichen Eigenschaften geschuldet ist. Vielmehr muss auch die „An- oder Abwesenheit eines Objekts“ in Betracht gezogen werden, wenn etwas über verschiedene Aktionsarten ausgesagt werden soll. Interessant hierbei ist, dass Vendler den Begriff Aktionsart in seinem Aufsatz kein einziges Mal benutzt. Vielmehr spricht er von „time schemata“ (Vendler 1957, 143), die durch bestimmte Klassen von „englischen Verben“ (Vendler 1957, 144) ausgedrückt werden. Durch diese Beschreibung gesteht er dem Verb die semantische Hauptaufgabe innerhalb der VP zu; jedoch erkennt er an, dass es durchaus Auswirkungen auf die Eigenschaften eines Zeitschemas haben kann, ob man Äpfel oder nur einen Apfel isst. In (1) wird dieser Unterschied dargestellt. (1) a. Peter isst Äpfel. _________x 1 __________x 2 _________x 3 ……..x 4 b. Peter isst einen Apfel. x 1 __________x 2 In beiden Fällen - (1a) und (1b) - wird durch Peter die Handlung essen ausgeführt. Dies würde darauf schließen lassen, dass sich in (1a) und (1b) ein, was den zeitlichen <?page no="41"?> 41 3.1 Die Verbalphrase: Verben und ihre Objektargumente Ablauf anbelangt, identischer Vorgang abspielt, da dasselbe Verb benutzt wird. Dass dies nicht der Fall ist, wird klar, wenn wir uns die Illustrationen unter den Beispielen ansehen. In (1b) sind Anfangs- und Endpunkt des Essvorganges willkürlich von Peter gewählt. Selbst, wenn er am Ende ein paar Äpfel übrig lässt (hell markiert) oder einen der Äpfel nur anbeißt, ist der Satz Peter isst Äpfel in dieser Situation wahr. Da keine genaue Menge der Äpfel angegeben wird, die gegessen werden soll, kann Peter selbst bestimmen, wann er seinen Apfelkonsum einstellt. Peter könnte sich sogar dazu entschließen, eine Pause einzulegen und das Apfelessen nach einigen Augenblicken wieder aufzunehmen (gepunktete Linie). Über Peter selbst kann ausgesagt werden, dass er zum Zeitpunkt x 1 noch einen leeren Magen hatte, jedoch bei x 3 mit Fug und Recht behauptet werden kann: Peter isst Äpfel. Dasselbe gilt allerdings auch schon zu x 2 oder gar bei x 4 für den Fall, dass sich die Handlung bis dorthin zieht. Insgesamt beziehen sich Handlungen wie Äpfel essen jedoch meist auf Zeitspannen, nicht auf Zeitpunkte. In unserem Beispiel würden sie also zwischen x 1 und x 2 (oder x 3 bzw. x 4 ) stattfinden (Dowty 1979). Wird hingegen die Aussage Peter isst einen Apfel getroffen, kann dies nur als wahr gelten, wenn wirklich genau ein Apfel gegessen wird, also zwischen x 1 und x 2 in (1b) - nicht zwei Äpfel und nicht ein halber. Dieser Apfelessvorgang ist durch die genaue Quantifizierung des Objekts strikt in seinem Anfang und seinem Ende festgelegt. Wenn der Apfel, über den die Aussage gemacht wurde, gegessen ist, kann dieser Vorgang nicht mehr wiederholt oder weiter durchgeführt werden. Der Vorgang wird durch die Präsenz des Apfels bestimmt: Ist der Apfel konsumiert, ist automatisch auch der Vorgang beendet. (1a) hat also einen willkürlichen, (1b) einen natürlichen Endpunkt (Smith 1991). (1a) ist ein homogener Vorgang: Zu jedem Zeitpunkt x 2 , x 3 , x 4 sowie über die gesamte Zeitspanne wird dieselbe Handlung ausgeführt: Äpfel essen; (1b) hingegen läuft auf einen natürlichen Endpunkt zu und kulminiert in x 2 (Vendler 1957, 145). Die Beispiele über das Apfelessen machen einen Umstand deutlich: Während in der Aktionsartanalyse, die wir in Kapitel 2 kennengelernt haben, die Verben die alleinigen Repräsentanten von zeitlichen Eigenschaften waren, richtet sich der Aufbau von Zeitschemata in diesem Kapitel zwar auch am Verb aus (essen), kann jedoch durch die Quantifizierungseigenschaften des Objektarguments spezifiziert werden (1b) oder eben nicht (1a). Die Analyse von Vendler (1957) erkennt diesen Umstand an und gibt zwei unterschiedliche Aktionsartklassen oder Zeitschemaanalysen für die Fälle in (1a) und (1b) aus, obwohl es sich beide Male um dasselbe Verb handelt. Der Einfluss, den das Objektargument auf das Zeitschema in der VP hat, ist eine Eigenschaft, die in allen in diesem Kapitel besprochenen Theorien eine Rolle spielt. Der Unterschied zwischen diesen Theorien besteht hauptsächlich darin, wie viel Gewicht bei der semantischen Komposition der VP Verb und Objektargument zugestanden wird und wie viele verschiedene Situationstypen aus der unterschiedlichen Anzahl an relevanten Eigenschaften dieser beiden zentralen Einheiten generiert werden können. Im Folgenden sollen nun drei verschiedene Arten von Analysen der VP vorgestellt werden: (3.2.1) solche, in denen das Verb die zentrale Rolle spielt; (3.2.2) solche, in denen Verb und Objektargument gleich viel Gewicht zukommt; (3.2.3) solche, in denen die semantische Wichtigkeit des Objektarguments die des Verbs übersteigt. <?page no="42"?> 42 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept 3.2 Verschiedene Klassifikationssysteme im Vergleich 3.2.1 Zeitschemata In diesem Abschnitt wird nun eines der bekanntesten und meistgenutzten Klassifikationssysteme zur Bestimmung von Aktionsarten eingeführt. Die vier Zeitschemata, die Vendler in seinem Aufsatz von 1957 vorstellt, werden bis heute auch fürs Deutsche ausgiebig diskutiert und angewandt (z.B. Ehrich & Vater 1989, Herweg 1990, Nicolay 2007, Pepouna 2007, Vater 2007) und in Einführungswerken der Linguistik unter dem Namen Aktionsarten präsentiert (z.B. Meibauer et al. 2002, 194f) 1 . Zudem existieren neuere Versionen dieses Klassifikationssystems, die von anderen Autoren weiterentwickelt oder ergänzt wurden und die sehr ähnliche Konzepte beschreiben beziehungsweise die vendlersche Terminologie benutzen, um Ordnung in die vielen verschiedenen Arten von Situationsabläufen zu bringen, die in unserer Welt existieren (z.B. Comrie 1976, Smith 1991). Im Deutschen hat sich die Terminologie Aktionsarten festgesetzt und im Vergleich mit den in Kapitel 2 diskutierten Klassen zu viel Verwirrung geführt. Ich benutze hier Vendlers Ausdruck Zeitschemata. Der Ausdruck Aktionsarten bleibt in diesem Buch für die in Kapitel 2 diskutierte lexikalische Ebene aus der Germanistik reserviert. Vendler stellt fest, dass sich Situationen, die in der Sprache von Verben repräsentiert werden, durch bestimmte Eigenschaften unterscheiden lassen. Eine erste wichtige Eigenschaft, die zu solch einer Unterscheidung dient, wurde in 3.1 an den Beispielen (1) aufgezeigt: der natürliche Endpunkt einer Handlung. Durch dieses Kriterium lassen sich zwei Klassen von Zeitschemata unterscheiden: die Accomplishments und die Aktivitäten. Für erstere konnte sich kein deutscher Ausdruck überzeugend durchsetzen, jedoch kann Accomplishment mit ‚Errungenschaft‘ oder ‚Vollendung‘ übersetzt werden. Dieser Name zeigt schon an, wie sich die besagten Eigenschaften den jeweiligen Klassen zuordnen lassen. Accomplishments sind solche Zeitschemata, wie wir sie in (1b) kennengelernt haben. Sie bewegen sich auf einen natürlichen Endpunkt zu, während Aktivitäten solche homogenen Vorgänge mit arbiträrem Endpunkt wie in (1a) bezeichnen. Weitere Verbbeispiele, teilweise aus Vendler, sind in (2) aufgelistet. (2) a. Accomplishments: eine Meile laufen, einen Kreis zeichnen, ein Haus bauen, eine Wand streichen, ein Auto kaufen, einen Zaun reparieren, ein Buch lesen, einen Knopf annähen, etc. b. Aktivitäten: laufen, zeichnen, Kreise zeichnen, lesen, nähen, Wäsche waschen, Milch trinken, Plätzchen backen, etc. Hier wird wiederum deutlich, welche Rolle die An- oder Abwesenheit eines Objektargumentes (zeichnen vs. einen Kreis zeichnen) bzw. dessen Quantifikation (einen Kreis zeichnen vs. Kreise zeichnen) auf das Zeitschema haben kann. Die in diesem Kapitel vorgestellten Ansätze zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie allein durch die Art und Weise, wie die Eigenschaften der verschiedenen Klassen beschrieben werden, dem Objektargument zwar einen Einfluss auf die Zeitschemata zugestehen, diesen jedoch 1 Die Dudengrammatik (2009) lässt diese Art der Klassifikation gänzlich aus, obwohl sie sich mit Aktionsarten (jedoch ausschließlich denen aus unserem Kapitel 2) beschäftigt. <?page no="43"?> 43 3.2 Verschiedene Klassifikationssysteme im Vergleich auf die beiden Klassen in (2) beschränken und nicht weiter ausführen, welche genaue semantische Funktion das Objekt innerhalb der VP einnimmt. Somit ist die Eigenschaft [+/ - natürlicher Endpunkt] - bei Smith (1991) auch [+/ - telisch] genannt - eine von mehreren Eigenschaften, die zur Unterscheidung der Zeitschemata beitragen. Der Begriff der Telizität (gr. telos - ‚Ziel‘), also der Zielgerichtetheit eines Prozesses, suggeriert durch die deutsche Übersetzung, dass ein menschliches Agens in eine Handlung involviert ist, die er willentlich und mit einer bestimmten Absicht ausführt - eben um etwas bestimmtes, ein Ziel, zu erreichen. Schon bei den Aktionsartkonzepten aus Kapitel 2 wurde klar, dass Kausativität (jemand verursacht etwas) und Agentivität (es gibt einen Handelnden) aus der Debatte um den rein zeitlichen Aufbau von Ereignissen herausgehalten werden sollten, da sie oft nicht hilfreich sind, und kein systematischer Zusammenhang zwischen Agentivität und temporalen Eigenschaften besteht (Nicolay 2007, 35) 2 . Telizität bezieht sich also rein auf den natürlichen Endpunkt eines Ereignisses. DEFINITION Ein verbaler Ausdruck ist telisch, wenn die Handlung, die er beschreibt, einen natürlichen Endpunkt beinhaltet. Der Endpunkt wird meist durch das Objektargument ausgedrückt. Ein Test, mit dem telische von atelischen Verben unterschieden werden können, wird von Comrie (1976, 44f) genannt. Wenn Peter singt, was ein atelischer Vorgang ist, kann ich zu einem bestimmten Zeitpunkt x 1 über ihn sagen „Peter singt“. Sollte Peter zu einem Zeitpunkt x 2 , welcher unmittelbar, also im Sekundenabstand auf x 1 folgt, in seinem Singen unterbrochen werden, gilt zu x 2 dennoch „Peter hat gesungen“. Für einen telischen Vorgang, wie beispielsweise „Peter baut einen Stuhl“ funktioniert diese Regel nicht. Wenn Peter zu x 1 gerade dabei ist, einen Stuhl zu bauen, unmittelbar nach x 1 aber darin unterbrochen wird, kann zu x 2 nicht unbedingt gelten „Peter hat einen Stuhl gebaut“, da dieser voraussichtlich nicht vollendet wurde. Zwei weitere Zeitschematypen, welche von Vendler genannt werden und in Opposition zueinander stehen, sind Zustände und Achievements. Auch für letzteren Begriff wird im Deutschen der englische Begriff benutzt, da er sonst schwer von den Accomplishments zu unterscheiden wäre, denn auch er kann mit ‚Errungenschaft‘ oder ‚Vollendung‘ übersetzt werden. Beispiele für diese beiden Klassen sind in (3) gegeben. (3) a. Zustände: wissen, glauben, lieben, hassen, kennen, haben, mögen, können, wollen, dürfen, müssen, sollen, blond sein, groß sein, etc. b. Achievements: den Gipfel erreichen, das Rennen gewinnen, einen Schatz entdecken, Peter erkennen, am Bahnhof ankommen, etc. Zustände unterscheiden sich nun von Achievements darin, dass erstere für bestimmte Zeitspannen, letztere nur für Zeitpunkte auf ein Individuum zutreffen können, oder wie 2 Vergleiche jedoch Dowty (1979) zu Agentivität im Zusammenhang mit Dauer sowie als Unterscheidungsmerkmal von Achievements und Accomplishments. <?page no="44"?> 44 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept Smith (1991) es ausdrückt: Achievements sind [- andauernd], Zustände [+ andauernd]. DEFINITION Eine Handlung oder ein Zustand sind andauernd, wenn sie/ er zwischen zwei Zeitpunkten x 1 und x 2 und nicht zu einem einzigen Zeitpunkt x 1 definiert werden kann. In den Beispielen in (4) wird der Unterschied verdeutlicht. Wenn über Peter gesagt wird, dass er an Gott glaubt (4a), wird eine Eigenschaft beschrieben, die im Normalfall länger als einen kurzen Moment besteht und die sogar zu der Aussage verleiten könnte: Peter ist gläubig. Sicher gibt es irgendwo in Peters Vergangenheit einen Moment, in welchem er gläubig geworden ist, und es ist auch durchaus möglich, dass er in der Zukunft seinem Glauben abschwört, dennoch bezieht sich die Aussage über Peters Gläubig-Sein auf eine Zeitspanne, die länger als nur einen Augenblick dauert. In (4b) jedoch liegt der Fall anders: Es ist möglich, dass Peter schon stundenlang nach einem Schatz gesucht hat - dieser Vorgang wird jedoch durch das Verb suchen ausgedrückt. Das Verb entdecken in (4b) bezeichnet jedoch den einen kurzen Moment, in dem Peter beispielsweise mit seiner Schaufel beim Graben auf Metall statt auf Erde trifft. In diesem Moment ist der Schatz entdeckt - auch wenn das eigentliche Ausgraben (welches wiederum durch ein eigenes Verb beschrieben wird) noch länger dauern kann. (4) a. Peter glaubt an Gott. b. Peter entdeckt einen Schatz. Was den zeitlichen Ablauf anbelangt, können die Vorgänge in (4) wie in (5) dargestellt werden. (5) a. x 1 _____x 2 _____x 3 _____x 4 b. …x 1 … Während an Gott glauben die Zeitspanne zwischen x 1 und x 4 in (5a) ausfüllt und auch zu den Zeitpunkten x 2 und x 3 gilt, findet einen Schatz entdecken in (5b) zu x 1 , d.h. zu einem einzigen Zeitpunkt statt. Die gepunktete Linie in zeigt an, dass zwar schon vor und auch nach der Entdeckung des Schatzes irgendeine Handlung durchgeführt wird - diese wird jedoch jeweils durch ein anderes Verb repräsentiert (z.B. graben oder bergen). Wenn wir nun einmal die zeitlichen Darstellungen in (1a) und (5a) vergleichen, müssen wir feststellen, dass Zustände und Aktivitäten anscheinend gar nicht so verschieden sind. Beide ziehen sich über Zeitspannen hin, beide sind homogen und können abgebrochen werden, da sie keinen natürlichen Endpunkt haben. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass Zustände eher mit Eigenschaften und Aktivitäten mit Gewohnheiten in Verbindung gebracht werden. An einem englischen Beispiel illustriert Vendler (1957, 150f), dass die Unterscheidung dieser beider Fälle gar nicht so einfach ist und teilweise nur durch grammatische Eigenschaften zum Tragen kommt. Hierbei <?page no="45"?> 45 3.2 Verschiedene Klassifikationssysteme im Vergleich wird klar, dass aus Aktivitäten (6a), Angewohnheiten (6b) werden können. Hier gehen Aktivitäten und Zustände ineinander über. Ein grammatisches Unterscheidungsmerkmal der beiden Klassen ist, wie in (6) zu sehen, die Verwendung in der Verlaufsform mit -ing, die nur auf Aktivitäten angewendet werden kann (6a), da nur dort wirklich etwas passiert. Smith (1991) benutzt daher das semantische Merkmal [+/ - statisch], um die Zustände von allen anderen Klassen zu unterschieden. Wird eine Aktivität, die eigentlich [- statisch] ist, immer aufs Neue wiederholt, kann sie zur Eigenschaft werden. So kann aus Peter, der sehr häufig schwimmt (Aktivität), ein Schwimmer (Eigenschaft) werden. (6) a. Are you smoking? - Rauchst du gerade? b. Do you smoke? - Rauchst du? / Bist du Raucher? Im Deutschen existiert keine (grammatische) Verlaufsform, anhand derer man Aktivitäten und Zustände auseinanderhalten könnte. Ein Test ist jedoch die Verwendung mit gerade, welche auf eine Aktivität hinweist. Eine Verwendung von sein + Verb-er/ Adj lässt ebenfalls Rückschlüsse auf einen Zustand zu (Ich bin Raucher, Lehrer, Läufer, Sänger, groß, klein, blond etc.). Auch werden Zustände nicht besonders häufig im Imperativ verwendet. So werden Aufforderungen wie Sei Lehrer! , Weiß die Antwort! oder Mag Pizza! als eher merkwürdig empfunden (Smith 1991, 38 3 ), jedoch gibt es auch hier Ausnahmen 4 . Die Unterscheidung zwischen Aktivitäten und Zuständen gilt als komplexes Thema. Comrie (1976) und Smith (1991) versuchen eine semantische Definition. Ihrer Meinung zufolge definieren sich Zustände dadurch, dass sie ewig andauern können, es sei denn, jemand greift aktiv ein und ändert diesen Zustand (Comrie 1976, 49). Dies könnte z.B. bei Peter der Fall sein, der ein Fahrrad besitzt. Dieser Zustand trifft so lange auf ihn zu, bis er eine Anzeige in einer Zeitung schaltet und sein Rad verkauft. Bei Aktivitäten hingegen scheint die Situation umgekehrt zu sein: Um sie durchzuführen, ist immer wieder ein neuer „Energieaufwand“ (Comrie 1976, 49) notwendig. Bleibt dieser aus, ist der willkürliche Endpunkt erreicht. Aufgrund dieser schubweisen Energiezufuhr können Aktivitäten auch in kleinere Untereinheiten aufgeteilt werden (Dowty 1979, Smith 1991): So wird beispielsweise beim Laufen ein Fuß vor den anderen gesetzt, beim Äpfel essen verschwindet ein Apfel nach dem anderen, und allgemein kann man nachvollziehen, dass etwas „passiert“. So kann auf Fragen wie „Was ist passiert? / Was war los? “ zwar mit „Peter ist gelaufen“ oder „Peter hat Äpfel gegessen“, jedoch nicht mit „Peter besaß ein Fahrrad“ geantwortet werden. Nicolay (2007, 74) untersucht die Eigenschaften von deutschen Zustandsverben und kommt zu folgendem Ergebnis: „Der springende Punkt ist, dass mit dem Vergleich einer Sachlage zu unterschiedlichen Punkten […] das Ausbleiben einer Veränderung [festgestellt wird]. D.h. es muss unterschieden werden zwischen dem reinen Bestehen eines Zustandes und dessen Fortdauer 3 Siehe auch Lakoff (1966, 3) und Dowty (1979, 55-56). 4 Vergleiche Kaufmann (2012, 7), Fußnote 9: Vor einem Date vor dem Spiegel stehend zu sich selbst. „Sei blond! “ Hier liegt eine Imperativform eines Zustandsverbs vor, die einen Wunsch ausdrückt. Auch in Nicolay (2007, 95) werden Beispiele von Zustandsverben diskutiert, mit denen der Imperativ nichts Außergewöhnliches ist, z.B. in „Sei aufmerksam! “. <?page no="46"?> 46 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept […]“. Als geeigneten Test zur Erkennung von Zustandsverben nennt sie daher deren von Rapp (1997, 37f) beschriebene Unverträglichkeit mit der Partikel weiter. (7) a. Er brüllte 10 Minuten, und nach einer kurzen Pause brüllte er weiter. b. *Er wusste die Antwort 10 Minuten, machte eine Pause und wusste sie weiter. Während die Aktivität brüllen kurzzeitig aus- und dann wieder einsetzen kann, ist dies für Zustände wie wissen nicht möglich, da hier keine dynamische Komponente zugrunde liegt. DEFINITION Ein verbaler Ausdruck beschreibt einen dynamischen Vorgang, wenn dieser kurzzeitig unterbrochen und dann wieder aufgenommen werden kann. Ein weiteres Paar, das in manchen Fällen nicht so einfach unterschieden werden kann, sind Accomplishments (1b) und Achievements (5b). Sie gleichen sich ebenfalls in einer Eigenschaft, nämlich darin, dass sie in einem natürlichen Endpunkt kulminieren und ein Resultat aufweisen, d.h. der Schatz ist irgendwann entdeckt und der Apfel gegessen. Accomplishments entwickeln sich jedoch über längere Zeitspannen, während Achievements schon im Moment der Ausführung auch ihren Endpunkt finden. Die Unterscheidung zwischen einer Zeitspanne und einem Zeitpunkt ist jedoch oft nicht so einfach. Betrachten wir das Verb anrufen in Peter ruft Maria an. Beinhaltet anrufen das ganze Procedere vom Abnehmen des Hörers, über das Wählen, das Warten aufs Freizeichen und schließlich auch noch das Gespräch selbst? Oder bezeichnen wir mit anrufen eigentlich nur den einen, sehr kurzen Moment, in dem der Gesprächspartner am anderen Ende abnimmt und das Gespräch sozusagen hergestellt ist? Ein Test, den Vendler (1957, 148) anführt, ist wiederum der Verlaufstest. (8) a. Ich esse gerade einen Apfel. - Accomplishment b. ? Ich entdecke gerade einen Schatz. - Achievement c. ? Ich erreiche gerade das Ziel. - Achievement Das Accomplishment in (8a) sowie beide Achievements in (8b) und (8c) können in der Verlaufsform mit gerade dargestellt werden. Was meinen wir jedoch, wenn wir das sagen? Nehmen wir an, das Apfelessen dauert fünf Minuten; dann trifft in jedem Moment dieser Minute zu, dass ich einen Apfel esse. Es ist also völlig egal, ob der Satz in (8a) am Anfang oder gegen Ende der fünf Minuten ausgesprochen wird. Den Satz in (8b) zu äußern, ist jedoch auch möglich, wenn der Schatz streng genommen noch gar nicht entdeckt ist, sondern man noch mit der Schaufel in der Erde gräbt. So werden z.B. das Graben, das eigentliche Entdecken sowie das Bergen des Schatzes mit hinzugedacht. Auch der Satz in (8c) dürfte eigentlich nur in dem einen Moment geäußert werden, in dem der eigene Fuß die Ziellinie überquert. Hat man jedoch zuvor schon 42 <?page no="47"?> 47 3.2 Verschiedene Klassifikationssysteme im Vergleich Kilometer, beispielsweise bei einem Marathon zurückgelegt, erscheinen die letzten 195 Meter als eine recht kurze Distanz, und man könnte auch schon den Satz in (8c) äußern, wenn man sich noch auf der Zielgeraden befindet. Bei den Achievements ist es also streng genommen nicht der Fall, dass Aussagen wie in (8b) oder (8c) sich über mehr als einen sehr kurzen Zeitpunkt erstrecken. Dieser Umstand sorgt dafür, dass uns (9a) besser erscheint als (9b). (9) a. Während ich Maria anrief, kam Peter herein. b. ? Während ich einen Schatz entdeckte, brach meine Schaufel ab. Dies spricht dafür, dass anrufen doch als eine zeitspannenumfassende Handlung wahrgenommen wird, innerhalb der noch ein anderes Ereignis stattfinden kann. Dies ist bei entdecken schwer vorstellbar. Carlotta Smith behandelt Vendlers Zeitschemata in ihrem Buch von 1991 unter dem Begriff „situation type“ (Situationstypen). Sie stellt für jedes der bei Vendler erwähnten Zeitschemata drei semantische Merkmale zusammen, die durch ihre An- oder Abwesenheit den jeweiligen Situationstyp definieren. Die semantischen Merkmale sind in (10) genannt. (10) a. [+/ - static]: markiert, ob etwas passiert (-) oder nicht (+) b. [+/ - duration]: markiert, ob Zeitpunkt (-) oder Zeitspanne (+) abgedeckt wird c. [+/ - telic]: markiert selbstgewählten (-) oder natürlichen (+) Endpunkt Durch die Kombination dieser drei Eigenschaften können nun mit unterschiedlichen Werten die vier Zeitschemata, die wir von Vendler kennen, klar definiert werden. Dies ist in Tabelle 1 zu sehen. Hier wird deutlich, dass außer den Zuständen alle Zeitschemata dynamisch sind. Achievements sind die einzigen Vorgänge, die auf einen Zeitpunkt beschränkt werden können, und die Eigenschaft des natürlichen Endpunktes wird nur von Accomplishments und Achievements verkörpert. static duration telic Accomplishment - + + Achievement - - + Aktivität - + - Zustand + + - Tabelle 1: Zeitschemata und ihre semantischen Merkmale <?page no="48"?> 48 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept Aufgabe 4 1. Versuchen Sie nun folgende deutsche Verben bzw. VPs nach Vendlers Zeitschematypen zu klassifizieren. Tabelle 1 sowie die vorgeführten Tests können Ihnen hier zur Hilfe kommen. 2. Welche Vor- und Nachteile stellen Sie gegenüber der Aktionsartklassifikation aus Kapitel 2 fest? a. blühen: Die Blume blüht. b. verblühen: Die Blume verblüht. c. erblühen: Die Blume erblüht. d. sehen: Peter sieht Maria. e. sehen: [Peter war beim Augenarzt; dort wurde festgestellt: ] er kann sehen. f. tröpfeln: Der Wasserhahn tröpfelt. Die Aufgabe oben hat uns einen Umstand deutlich gemacht. Es ist nahezu unmöglich, ein bestimmtes Verb eindeutig und grundsätzlich in nur eine von Vendlers Zeitschemaklassen einzuteilen, wie es auch im Aktionsartsystem in Kapitel 2 versucht wird. Verbbedeutungen sind kontextabhängig, weil Verben komplexe Ausdrücke sind, die von ihren Teilnehmern mitbestimmt werden (siehe auch Herweg 1990, 44). Diese haben einen grundsätzlichen Einfluss auf den zeitlichen Ablauf eines bestimmten Ereignisses. Die Idee, dass Verben wie Nomen eine allgemeingültige lexikalische Bedeutung haben, ist daher nur eingeschränkt richtig. Sicherlich verbinden wir mit dem Verb singen ein bestimmtes lexikalisch-semantisches Konzept, das unabhängig von bestimmten Sprachen in der außersprachlichen Realität besteht (Pepouna 2007, 52). Diese Handlung läuft, egal in welcher Sprache wir sie benennen wollen, in ihren Grundzügen gleich ab: Ein lebendiges Wesen erzeugt eine Melodie. Der konkrete zeitliche Aufbau dieses Vorgangs kann jedoch von Situation zu Situation variieren und ist daher auch nicht im Lexikoneintrag dieses Verbs festgeschrieben. Ob Peter singt, eine Arie singt oder Arien singt wird erst beim Einsetzen bestimmter Elemente in den Satz festgelegt. Diese Elemente entscheiden jedoch über den zeitlichen Aufbau des Ereignisses. Daher ist die oft verwendete Ausdrucksweise „Accomplishmentverb“ bzw. „Achievementverb“ etc. irreführend. In den Kapiteln 3.2.2 und 3.2.3 werden wir Theorien kennenlernen, die explizit kompositionelle Analysen von Situationen erstellen und der Kontextabhängigkeit von Verben gerecht werden. Ich habe in der Einleitung dieses Unterkapitels schon angedeutet, dass Vendlers Zeitschemata in späteren Arbeiten ausgeweitet wurden. Smith (1991) greift Vendlers Auffassung von den vier bisher vorgestellten Zeitschemata sowie die den Klassen zugrunde liegenden Eigenschaften auf, sieht jedoch die Notwendigkeit für die Einführung eines fünften Zeitschemas (oder wie sie es nennt „Situationstypen“). Ausgangspunkt hierfür sind solche Verben wie klopfen, blinzeln oder niesen, die unter anderem auch schon in Comrie (1976, 42) sowie in der slawischen Aspektliteratur mit dem Ausdruck semelfaktiv beschrieben wurden. (11) Peter niest. <?page no="49"?> 49 3.2 Verschiedene Klassifikationssysteme im Vergleich In (11) liegt eine Situation vor, in der Peter einen Nieser von sich gibt. Es handelt sich hierbei um eine punktuelle Handlung, die einmalig, in einem kurzen Augenblick ausgeführt wird, ähnlich einem Achievement. Anders als letzteres jedoch, weist das semelfaktive Zeitschema keinen natürlichen Endpunkt bzw. kein durch die Handlung ausgelöstes Resultat auf. Ein Schatz ist irgendwann entdeckt, Peter am Bahnhof angekommen und der Gipfel erreicht (Achievement). Nach Ausführung der Handlung niesen sind jedoch weder Peter noch irgendwelche anderen Personen oder Gegenstände „geniest“. Selbiges gilt für (intransitives) klopfen oder blinzeln. Die in diesem Kapitel beschriebenen vier bzw. fünf Zeitschemata zeichnen sich durch drei Eigenschaften aus: Dauer, An-/ Abwesenheit eines natürlichen Endpunktes sowie Dynamik. Sie klassifizieren Vorgänge, die durch Verben und ihre Objektargumente repräsentiert werden, jedoch bildet das Verb das zentrale Element dieser Analyse. Im folgenden Abschnitt werden wir eine Theorie kennenlernen, die ebenfalls Verb und Objekt am zeitlichen Aufbau eines Vorgangs beteiligt sieht; allerdings ist das Kräfteverhältnis dieser beider Komponenten dort ausgeglichen und wird durch ein System an Kombinationsregeln kontrolliert. 3.2.2 Innerer Aspekt Henk Verkuyl entwirft in seiner Dissertation von 1972 ein Schema zur semantischen Komposition der Verbalphrase, in dem der sogenannte „innere Aspekt“ generiert werden soll. Dieser Begriff zeigt an, dass diese Sorte „Aspekt“ innerhalb der Verbalphrase auf lexikalischem, nicht syntaktischem Niveau definiert wird. Anders als Vendler, Smith oder Comrie stellt Verkuyl ein kompositionelles System zur Verfügung, welches Regeln beinhaltet, nach denen sich Verb und Objektargument semantisch kombinieren lassen: das sogenannte Plusprinzip. Dieses Kombinationsregelwerk, welches innerhalb der VP Anwendung findet, sorgt dafür, dass sowohl die lexikalischen Eigenschaften der Verben, als auch semantische Modifikationen, die bei der Einbindung der Verben in den Satzkontext (z.B. durch das Hinzufügen von Objekt oder Subjekt) entstehen, nachvollzogen und repräsentiert werden können. So ist in diesem System der Unterschied zwischen essen und einen Apfel essen transparent darstellbar. Ähnlich wie Vendler schreibt Verkuyl Verben bestimmte zeitliche Kleinsteigenschaften zu. So unterscheiden sich Verben wie sein, haben, können, wollen, lieben etc. von Verben wie singen, schreiben, graben, blinzeln, entdecken etc. dadurch, dass erstere statisch sind, letztere dynamisch, was durch das Merkmal [+/ - ADD TO] ausgedrückt wird. Der Unterschied zwischen den dynamischen und statischen Verben wurde im Detail in Kapitel 3.2.1 anhand von Beispiel (7) erläutert. Das englische Wort add to bedeutet übersetzt ‚etwas beitragen zu‘. Doch was wird hier wozu beigetragen? Man kann es sich so vorstellen, dass die Handlung, die durch ein [+ ADD TO]-Verb ausgedrückt wird, zu einer Veränderung im Verlauf der Zeit führt. Bei dynamischen Verben findet also eine Entwicklung, ein Voranschreiten statt („all pertain something going on in time“ (Verkuyl 1993, 16)). Nicht-dynamische Verben, die Vendlers Zuständen entsprechen, werden mit [- ADD TO] repräsentiert, da sie gleichbleibende Eigenschaften beschreiben. Dynamik bzw. Statik sind nach Verkuyl die einzigen temporalsemantischen Merkmale, die ein Verb auszudrücken in der Lage ist. Erst durch die Kombination mit dem Objektargument wird ein natürlicher Endpunkt eingeführt. Diese explizite Trennung von temporaler und quantifizierender Information ist einer der großen Unterschiede, die zur vendlerschen Theorie bestehen. <?page no="50"?> 50 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept Ob ein Objektargument nun einen natürlichen oder einen arbiträren Endpunkt einer Handlung darstellt, entscheidet sich durch seine Quantifizierung, also dadurch, welche Art von Determinierer es trägt. Objekte können spezifisch [+ SQA] oder nichtspezifisch [- SQA] quantifiziert sein, wobei die Abkürzung SQA für „specified quantity of A“ steht. Ein Objekt gilt dann als spezifisch quantifiziert, wenn per Determinierer eine zählbare Maßeinheit zur Verfügung gestellt wird, wie in (12a). Das Zählbarmachen des Objekts - Bier ist ein Massennomen und kann somit (eigentlich) nicht gezählt werden - führt dazu, dass ein bestimmter Rahmen für die durchzuführende Handlung (trinken) zur Verfügung gestellt wird. Sobald eine gewisse Anzahl von Dingen oder ein bestimmtes Maß einer Substanz getrunken, gegessen, verteilt, bezahlt, verkauft, gestohlen, ausgeschenkt etc., wurde, hat der in der Verbalphrase bezeichnete Vorgang sein natürliches Ende gefunden. (12) a. [+ SQA]: das Bier, ein Bier, zwei Bier, fünf Bier, die Biere, ein Glas Bier, ein Liter Bier, 2cl Bier, ein Fass Bier, ein Kasten Bier, … b. [- SQA]: Bier, kein Bier, - (kein Objektargument) Wenn also nun zeitliche Information (durch das Verb bereitgestellt) mit einer Maßeinheit (durch das Objektargument vertreten) in der VP kombiniert wird, entsteht ein sogenannter Pfad (Verkuyl 1993). Dieser Pfad fungiert als eine Art „Tachostand“, an dem abgelesen werden kann, wie weit ein Vorgang fortgeschritten ist. Für das Beispiel ein Glas Bier trinken ist also das Glas unser Tacho (13). (13) voll leer Unspezifische Mengen von Objekten bzw. Substanzen sind in (12b) zu sehen. Null- und Negativartikel bezeichnen keine konkrete Anzahl bzw. kein spezifisches Maß. Anders als in (13) haben wir bei Bier eine unbekannte Anzahl von Behältnissen für unsere Substanz und bei kein Bier überhaupt nichts, was wir zählen könnten oder woran das Voranschreiten des Vorgangs trinken abgelesen werden könnte. Auch wenn überhaupt kein Objektargument genannt wird, wie in Peter trinkt, wird ein [-SQA]-Merkmal angenommen. Das bedeutet, dass auch nicht vorhandene sprachliche Information eine Auswirkung auf die Interpretation der Verbalphrase hat. Dies ist eine weitere Besonderheit, die Verkuyls System von den in 3.2.1 gezeigten abhebt, und von Vorteil für das Verständnis und die Analyse von Zeitschemata. Durch die Kombination von verbaler [ADD TO] und nominaler Information [SQA] wird nun der sogenannte „innere Aspekt“ (oder ein Zeitschema) konstruiert. Das bedeutet also, dass in dieser Theorie Zeitschemata zusammengesetzte Konzepte sind, die aus lexikalischer und syntaktischer Information bestehen und nicht, wie wir es aus <?page no="51"?> 51 3.2 Verschiedene Klassifikationssysteme im Vergleich Kapitel 3.2.1 kennen, eine mehr oder minder inhärente Eigenschaft, die durch Verben ausgedrückt wird. Der „innere Aspekt“, der generiert wird, kann terminativ [+T] oder durativ [- T] sein. In (14) sind verschiedene Kombinationen zu sehen. (14) a. Peter trinkt/ stiehlt/ bezahlt fünf Bier/ einen Liter Bier/ das Bier. [+ADD TO] + [+SQA] = [+T] b. Peter trinkt/ stiehlt/ bezahlt Bier/ kein Bier/ -. [+ADD TO] + [- SQA] = [- T] c. Peter hat/ mag/ kennt fünf Bier/ einen Liter Bier/ das Bier. [- ADD TO] + [+SQA] = [- T] d. Peter hat/ mag/ kennt Bier/ kein Bier/ -. [- ADD TO] + [- ADD TO] = [- T] Der Kombinationsmechanismus, das Plusprinzip, funktioniert wie ein logisches und- Gatter. Nur wenn beide Kombinationseinheiten ein positives Vorzeichen tragen, kann am Ende ein positives [T], also ein terminatives Zeitschema entstehen. Demnach ist es einfacher, durative als terminative Zeitschemata herzustellen. In der folgenden Aufgabe finden Sie Beispiele, an denen Sie die Anwendbarkeit des Plusprinzips überprüfen können. Aufgabe 5 1. Analysieren Sie nun folgende Sätze nach dem Plusprinzip. Beachten Sie die Werte für die Verben und die Objektargumente und kalkulieren Sie den jeweiligen T- Wert. 2. Welche Vorteile und Nachteile sehen Sie gegenüber den bisher besprochenen Systemen zur Zeitschemaanalyse? 3. Sind alle kalkulierten Ergebnisse intuitiv nachvollziehbar? a. Peter findet seinen Schlüssel b. Peter läuft nach Hause c. Peter kennt Maria. d. Peter stirbt. In der Aufgabe haben wir gesehen, dass das Plusprinzip bis auf einige Sonderfälle recht einfach funktioniert und transparent die Eigenschaften von Zeitschemata innerhalb der VP darstellen kann. Die kombinatorische Semantik sorgt dafür, dass ein 1: 1-Verhältnis von Form und Bedeutung besteht: Jedem Teil der VP wird nur ein einziges semantisches Merkmal zugeschrieben. Außerdem haben wir gesehen, dass auch Subjekte einen Einfluss auf das Zeitschema haben können (vgl. Aufgabe). Subjekte können beispielsweise darüber bestimmen, ob ein Vorgang nur einmal oder mehrmals passiert (Fünf Mädchen essen einen Apfel). Die Rolle, die die Subjekte innehaben, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Für eine ausführlichere Beschreibung wird auf die Werke von Verkuyl (1972, 1993) verwiesen. <?page no="52"?> 52 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept Eine überraschende Erkenntnis aus Verkuyls Plusprinzip ist, dass die Eigenschaft Zeitspanne (vs. Zeitpunkt), die wir aus anderen Ansätzen kennen, hier nicht als ausschlaggebend für die Unterscheidung von Zeitschemata betrachtet wird. Sie ist in keinem besonderen Merkmal repräsentiert. Ob dies als Vor- oder Nachteil zu werten ist, kann hier nicht mit letztendlicher Sicherheit entschieden werden, denn das System scheint bis hierher ohne sie auszukommen. Ein Nachteil von Verkuyls Analyse kann sein, dass in manchen Sonderfällen fortgeschrittenes linguistisches Wissen von Nöten ist, um eine Kalkulation für die VP richtig durchzuführen (siehe Aufgabe 5, Satz d). Welche Typen von Zeitschemata werden nun genau generiert? Während wir in Vendlers System vier, in Smiths Analyse fünf Klassen bestimmen konnten, gereichen die Kalkulationen des Plusprinzips nur zu drei Überklassen (Verkuyl 2005a, 23). Wie wir in (16) sehen, werden die Klassen Zustand (State), Prozess (Process) und Ereignis (Event) nach unterschiedlicher Zusammensetzung hergestellt: Für Zustände spielen die Eigenschaften des Objekts keine Rolle. Alleine durch die statischen Merkmale des Verbs kann diese Klasse bestimmt werden. Verben mit dynamischen Eigenschaften haben nun die Möglichkeit ein spezifisch quantifiziertes Objekt anzunehmen - dann entstehen Ereignisse, die als einzige [+T] Zeitschemata sind, oder eben nicht - dann entstehen sogenannte Prozesse. Diese ontologische Klassifikation in drei Ereignistypen findet sich noch in anderen Werken (z.B. Mourelatos 1978, Steward 1997). (15) NP [± SQA] [- SQA] [+SQA] STATE PROCESS EVENT V [- ADD TO] [+ADD TO] Im Folgenden soll nun noch ein letzter Typ von Ereignisanalyse präsentiert werden. Hierbei handelt es sich um den Ansatz von Krifka (1989), bei dem sich der zeitliche Aufbau von VPs hauptsächlich an den Eigenschaften der Objektargumente orientiert. 3.2.3 Zeitkonstitution Krifka stellt in seinem Buch „Nominalreferenz“ einen Zusammenhang zwischen den Referenzeigenschaften von Verben und Nomen her. Dieser Zusammenhang ist ausschlaggebend für seine Idee von Zeitkonstitution bzw. den Aufbau von Zeitschemata. Nomen können in zwei Klassen unterteilt werden: die mit kumulativer und die mit gequantelter Referenz. Kumulative Nomen sind unzählbar. Das liegt daran, dass ihnen keine Maßeinheit zugeordnet wurde. Aus Verkuyls System kennen wir diese Nomen als [- SQA]. Beispiele wären Äpfel, Milch, Gold, Brot etc. Die zweite Klasse von Nomen, die sich gequantelt nennt, entspricht den [+SQA] Nomen bei Verkuyl. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie (ab)gemessen oder gezählt werden können (ein Apfel, ein Liter Milch etc.). Die Unterscheidung zwischen den beiden Typen von Objekten, die diese Nomen bezeichnen, besteht in ihrer unterschiedlichen Zuordnung zu <?page no="53"?> 53 3.2 Verschiedene Klassifikationssysteme im Vergleich Zahlen. Gequantelte Referenz beinhaltet eine Maßfunktion (ein, zwei, fünf …), kumulative nicht. Diese Maßeigenschaften können Nomen nun auf Prädikate übertragen und anzeigen, ob ein Vorgang zählbar ist oder nicht. Gezählt werden kann ein Vorgang, wenn er ein natürliches Ende beinhaltet, wie in Peter baut ein Haus. Hierbei beziehen wir uns auf genau ein Hausbau-Ereignis. Wie man sieht, besteht eine große Nähe zu Verkuyls Analyse, vor allem, was dessen Eigenschaft [SQA], also die Quantifizierung der Objektargumente, anbelangt. In Krifkas Analyse zeigt sich jedoch ein Unterschied: Während bei Verkuyl Verb und Objektargument gleich großen Einfluss auf die Zeitkonstitution innerhalb der VP haben, ist das Objektargument bei Krifka mächtiger als das Verb. Es trägt die Hauptverantwortung dafür, ob es sich um einen zählbaren oder unzählbaren (in Verkuyls Worten, einen [+T] oder [‒ T]) Vorgang handelt. Sehen wir uns ein paar Beispiele im Vergleich an. (16) a. Das Buch kostet drei Euro. - gequantelt b. Die Kette enthält [ ] Kupfer. - kumulativ c. Peter liest drei Bücher. - gequantelt d. Peter bearbeitet [ ] Kupfer - kumulativ In (16a) sehen wir ein gequanteltes Prädikat, drei Euro kosten. Die Tatsache, dass das Objekt Euro der Zahl drei zugeordnet ist, sorgt dafür, dass wir von Zählbarkeit sprechen können, was in (16b) nicht der Fall ist. Bei Kupfer handelt es sich um eine Substanz, die, wenn sie gequantelt werden soll, einem Maß zugeordnet werden müsste. Wie wir im Vergleich mit (16c) und (16d) sehen, spielt die Tatsache, dass die Verben kosten und enthalten nicht-dynamisch sind, hier keine Rolle. Auch dynamische Verben, wie lesen oder bearbeiten, übernehmen die Referenzeigenschaften des Objekts. Hierin besteht nun der Unterschied zu Verkuyls Analyse, bei dem in Beispiel (16a) die statische Eigenschaft des Verbs die [SQA]-Eigenschaft des Objekts in den Hintergrund treten lassen würde. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in allen drei in 3.2 vorgestellten Ansätzen zur Zeitschemaanalyse ähnliche Eigenschaften eine Rolle spielen. Die Unterschiede bestehen hauptsächlich darin, welcher Einfluss Verb und Objektargument zukommt und wie viele Zeitschemaklassen am Ende generiert werden können. In der folgenden Aufgabe sollen diese Unterschiede noch einmal herausgearbeitet werden. <?page no="54"?> 54 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept Aufgabe 6 Analysieren Sie folgende Sätze jeweils nach 1. Vendlers Zeitschemata 2. Verkuyls innerem Aspekt 3. Krifkas Referenztypen a. Peter schwimmt. b. Peter schwimmt drei Bahnen. c. Peter kann Französisch d. Peter erreicht das Ziel. 3.3 Terminologie und Anwendungen - ein Überblick Wie wir bisher in diesem Kapitel gesehen haben, sind sich die meisten Analyseschemata für den zeitlichen Aufbau der Verbalphrase recht ähnlich. Sie alle haben gemeinsam, dass sie sich drastisch von den in Kapitel 2 vorgestellten Aktionsarten unterscheiden, die in der Germanistik häufig Anwendung finden. In diesem Kapitel haben wir nun einen bunten Strauß an Klassifikationssystemen und Fachtermini kennengelernt, woraus sich folgende Fragen ergeben: Welches Klassifikationssystem ist das Beste? Und welche Termini sind synonym austauschbar? In welchen anderen Bereichen spielt die Zeitschemaklassifikation eine Rolle? Dieses Unterkapitel soll Antworten auf all diese Fragen geben. Beginnen wir mit der Gegenüberstellung der Terminologie. Anhand der Überschrift von Kapitel 3 wird klar, dass schon bei der Benennung des Phänomens, welches in diesem Kapitel beschrieben wird, die Meinungen auseinandergehen. Dies hat einerseits damit zu tun, dass in manchen Fällen die Originalbegriffe aus dem Englischen stammen und übersetzt wurden, andererseits liegt es jedoch auch daran, dass immer versucht wurde, das Phänomen der Zeitschemata auch terminologisch von den Aktionsarten einerseits und dem Aspekt andererseits abzugrenzen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die hier vorgestellten Theorien und die dazugehörigen Fachtermini. Es werden die subtilen inhaltlichen Unterschiede zusammengefasst, die in den Kapiteln 2, 3.2.1, 3.2.2 und 3.2.3 beschrieben wurden. Tabelle 2 wird zudem der Tatsache gerecht, dass in den unterschiedlichen Theorien der zeitliche Aufbau von Ereignissen an unterschiedlichen lexikalischen Einheiten festgemacht wird (Verb vs. Objekt). Eine weitere terminologische Schwierigkeit dieses Themas stellt die Benennung der semantischen Merkmale dar, die über die Klassenzuordnung eines bestimmten Verbs entscheiden. Insbesondere der Begriff durativ bzw. andauernd wird in mehr als einer Weise benutzt. In der germanistischen Aktionsartendiskussion sowie bei Vendler und Smith bezeichnet er das Gegenteil von punktuell. Ein durativer Vorgang dauert also über eine längere Zeitspanne hinweg an und kann nicht zu einem einzigen Zeitpunkt definiert werden. Bei Verkuyl kann durativ jedoch als Synonym zu nicht-telisch gesehen werden. Es handelt sich also um Vorgänge, die keinen natürlichen Endpunkt haben und in seiner Theorie in Opposition zu terminativen Ereignissen stehen. Die fol- <?page no="55"?> 55 3.3 Terminologie und Anwendungen - ein Überblick gende Übung soll dazu dienen, sich noch einmal der Begriffe und ihrer Bedeutungen gewahr zu werden. Kategorie Klassen Vertreter Verbsemantik Objektsemantik Aktionsart unbeschränkt Duden (1959) Flämig (1965) Erben (1968) Helbig & Buscha (1974) + - Zeitschema Zustand Aktivität Accomplishment Achievement Vendler (1957) + - Situationstypen Zustand Aktivität Accomplishment Achievement Semelfaktiva Smith (1991) + + Innerer Aspekt Zustand Prozess Ereignis Verkuyl (1972, 1993) + + Referenz kumulativ gequantelt Krifka (1989) - + Tabelle 2: Überblick Terminologie Zeitschemata Aufgabe 7 Unten sehen Sie eine Liste von Begriffen, die Eigenschaften von Ereignissen bezeichnen. a. Bilden Sie Gegensatzpaare. b. Welche Paare bezeichnen ähnliche Eigenschaften? 1. dynamisch, 2. terminativ, 3. punktuell, 4. durativ, 5. atelisch, 6. gequantelt, 7. statisch, 8. durativ, 9. kumulativ, 10. telisch Widmen wir uns nun der Frage, welches das „beste“ Klassifikationssystem für unsere Bedürfnisse ist. Insgesamt ist zu sagen, dass Vendlers vier Klassen bis heute in der gesamten Literatur zu Tempus und Aspekt benutzt werden. Dies wird auch im Kapitel zu Tempus zu sehen sein. Allein aufgrund der ständigen Präsenz dieser Klassifikation in der Literatur können wir dieses System nicht außen vor lassen, auch wenn es einige <?page no="56"?> 56 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept Nachteile birgt. Oft ist es nicht einfach, ein Verb sicher in die eine oder andere Klasse einzuordnen, was daran liegt, dass in diesem Ansatz das Objektargument nicht explizit mit einbezogen wird und so Verben, die zwischen transitiver und intransitiver Verwendung alternieren mehreren Klassen zugeordnet werden können. Auch kann beim das Kriterium [durativ] in der Anwendung nicht klar festgelegt werden, wie „lang“ ein Augenblick sein darf, bevor er als Zeitspanne gesehen werden kann. Nichtsdestotrotz werden die vier Klassen häufig für das Verhalten von Verben unter Tempus-, Modus- und Aspektmarkierung verantwortlich gemacht und sind daher für unsere weiteren Betrachtungen in diesem Themenbereich von Wichtigkeit. Ein Vorteil von Verkuyls System ist, dass es verbale und nominale Information getrennt behandelt und explizit einen Bereich zwischen Syntax und Lexikon annimmt, auf dem sich die Zeitschemata zusammensetzen lassen. Verben kommen hier natürlicherweise in verschiedene Alternationen vor. Dieses System ist für eine solche kontextuelle Analyse explizit ausgelegt. Vor allem was die Interaktion mit bzw. die Trennung von Zeitschemata und grammatischem Aspekt anbelangt, ist dieses System hervorragend zur Darstellung geeignet. Dies wird in Kapitel 4 zu sehen sein. Eine Schwierigkeit bei Verkuyl ist die Terminologie, v.a. was die Begriffe „durativ“ und „Aspekt“ angeht, die in anderen Arbeiten für andere Konzepte benutzt werden. Krifkas Quantelung von Ereignissen ist vor allem hilfreich, wenn wir uns für die Zählbarkeit von Ereignissen, auch im Zusammenhang mit Subjekten, interessieren. Hier kann beispielsweise dargestellt werden, ob in Fünf Mädchen essen drei Kuchen von fünf Mädchen je eines drei Kuchen isst oder ob die drei Kuchen unter ihnen aufgeteilt werden. Insgesamt ist jedoch zu sagen, dass in diesem Ansatz die Verbbedeutungen keine große Rolle zu spielen scheinen. Als letztes nun ein kleiner Ausblick bezüglich der Anwendungen der Zeitschemaklassen im Zusammenhang mit Tempus und Aspekt. In (17) sehen Sie Beispiele von Verben mit verschiedenen Zeitschemata im Perfekttempus. Die Hauptfunktion, die das Perfekt hat, ist es, ein Ereignis als in der Vergangenheit verankert zu markieren. Jedoch können Perfektformen, je nach dem Kontext, in dem sie vorkommen und dem Verb, mit dem sie gebildet werden, verschiedene „Konnotationen“ oder „Effekte“ entwickeln (Welke 2005). Im Perfekt wird bei manchen, jedoch nicht bei allen Verben eine Nachzustandslesart festgestellt. Bei Verben mit telischen Eigenschaften, wie in (17a) und in (17b), hat sich aus dem in der Vergangenheit geschehenen Ereignis, ein (sichtbares) Resultat in der Gegenwart ergeben. So trägt Peter nun einen Gips, da sein Fuß immer noch gebrochen ist, und das gebaute Haus kann angeschaut werden. Bei atelischen Verben, die Zustände (17c) und Aktivitäten (17d) zum Ausdruck bringen, kann kein solches Ergebnis betrachtet werden, dass sich direkt aus der durch das Verb beschriebenen Handlung ergibt. (17) a. Peter hat sich den Fuß gebrochen. Er trägt einen Gips. b. Peter hat ein Haus gebaut. Dort drüben steht es. c. Peter hat ein Fahrrad gehabt. d. Peter hat gesungen. In Kapitel 5 werden wir noch näher auf die Effekte der verschiedenen Tempora und ihre Abhängigkeit von den Zeitschemata eingehen. In (18) sehen wir, dass auch aspektuelle Markierungen nicht für alle Zeitschemaklassen Sinn ergeben. Punktuelle Ereig- <?page no="57"?> 57 3.3 Terminologie und Anwendungen - ein Überblick nisse, wie das Achievement in (18c), können schwerlich in Verlaufsformen dargestellt werden, wohingegen dies bei durativen Ereignissen wie dem Accomplishment in (18a) oder der Aktivität in (18b) kein Problem darstellt. Auch Zustände, wie in (18d), sind zwar durativ, was einer Verlaufsform zuträglich sein sollte, jedoch fehlt ihnen die Eigenschaft der Dynamik. Wo nichts passiert, kann auch nichts weiterverlaufen. (19) a. Ich war gerade dabei etwas zu kochen, als … b. Ich war gerade dabei zu kochen, als … c. ? Ich war gerade dabei das Ziel zu erreichen, als … d. ? Ich war gerade dabei Pizza zu mögen, als … Diese Beispiele sind nur ein kurzer Ausblick auf das, was uns in den folgenden Kapiteln erwartet. Insgesamt muss gesagt werden, dass das Verständnis von Zeitschemata essenziell ist, wenn man auf den ersten Blick unregelmäßige Verhaltensweisen von Verben unter Tempus- Modus- und Aspektmarkierung nachvollziehen will. Im folgenden Kapitel wollen wir nun den lexikalischen Bereich der Wortbedeutungen verlassen und uns dem grammatischen Phänomen des Aspekts widmen. Zusammenfassung Die in diesem Kapitel vorgestellten Zeitschemata betreffen nicht nur das Verb, sondern auch sein Objektargument - kurz: die Verbalphrase. Durch die Kombination von Verb- und Objektsemantik können verschiedene Abläufe von Situationen nachvollzogen werden. Hierbei spielen Eigenschaften, wie die Dauer von Ereignissen, ihre Dynamik sowie ihre Zählbarkeit bzw. Zielgerichtetheit, eine Rolle. Die Wichtigkeit, die diesen Eigenschaften in den verschiedenen linguistischen Theorien zukommt, variiert. Eine Zeitschmaklassifikation hilft uns jedoch, bestimmte Tempus- Modus-Aspekt-Eigenschaften von Verben zu verstehen und das Auftreten von ungrammatischen Formen oder besonderen Interpretationen zu erklären. Empfohlene Literatur Ein grundlegender Artikel ist das hier viel zitierte „Verbs and Times“ von Zeno Vendler. Er stellt einen Meilenstein in der Aktionsartforschung dar und hat bis heute Aktualität, wenn auch einige Aussagen Vendlers widerlegt werden konnten. Smith (1991) erweitert den dort gegebenen Zeitschemakatalog und stellt konkrete semantische Merkmale für die Klassen zur Verfügung. Ein Werk, das grundlegende Einsichten in die Interaktion von Ereigniseigenschaften und Aspekt bietet sowie Phänomene aus unterschiedlichen Sprachen vorstellt, ist Comrie (1976). Pepouna (2007) behandelt fürs Deutsche Aktionsarten, Zeitschemata sowie andere aspektuelle Phänomene und geht auch auf das Französische und das Polnische ein. Auch Nicolay (2007) versucht, die hier in Kapitel 2 und 3 vorgestellten Auffassungen von Aktionsarten fürs Deutsche zu unterscheiden bzw. zusammenzubringen. Gautier & Haberkorn (2004) bieten eine Aufsatzsammlung zu Aktionsart- und Aspektphänomenen im Deutschen; die dort benutzte Terminologie sowie das Verständnis von „Aktionsart“ und „Aspekt“ entsprechen jedoch häufig nicht den hier vorgestellten Ideen, sondern knüpfen in vielen Fällen an die in Kapitel 2 vorgestellten Klassifikationen an. In Leiss (1992), wo allgemein die <?page no="58"?> 58 3 Zeitschemata, Zeitkonstitution & Co. - Aktionsart als zusammengesetztes Konzept Verbalkategorien aus diachroner Sicht im Zentrum des Interesses stehen, werden ebenfalls Wechselwirkungen von Aktionsart/ Zeitschemata und Aspekt, allerdings aus diachroner Sicht, diskutiert. Dowty (1972, 1979) und Jackendoff (1983) entwerfen Systeme, die zur semantischen Ereigniskomposition der Verbalphrase dienen. Eine ontologische Klassifikation unterschiedlicher Ereignistypen wird in Verkuyl (1972, 1993, 2005a), Mourelatos (1978) und Steward (1997) vorgenommen. Die Interaktion von Aktionsart, Aspekt und/ oder Tempus sind z.B. in Klein (1974) für das Französische und das Russische, in Herweg (1990) fürs Deutsche, in Bartsch (1995) fürs Englische dargestellt. In Verkuyl (2005b) sowie in MacDonald (2006) wird der sogenannte innere Aspekt in Interaktion mit grammatischem Aspekt und Tempus behandelt. Tenny (1994) stellt ein System zu Interpretation der VP vor, in dem sich Zeitschemata aus sogenannten aspektuellen Rollen ergeben, die den Protorollen in der Argumentstruktur ähnlich sind. Dölling et al.s (2008) Sammelband zur Ereignissemantik orientiert sich am Davidson’schen (1967) Ansatz der Ereignisargumente und bietet in zahlreichen Aufsätzen zu den unterschiedlichsten Sprachen einen weitreichenden Überblick über die Definitionen von Zeitschemata, deren Modifikation und ihrer Einbindung in den Kontext. Krifka (1989) letztendlich nähert verbale und nominale Ausdrücke einander in ihren Referenzeigenschaften an. Die Frage der Zeitschemata spielt auch immer wieder in der Debatte um nominalisierte Verben eine Rolle (Die Zerstörung der Stadt durch Cäsar). Auch hier werden semantische Eigenschaften von Nomen und Verben einander gegenübergestellt. Hierfür kann unter anderem auf Ehrich & Rapp (2000), Demske (2000) oder Heinold (2011b) fürs Deutsche verwiesen werden. <?page no="59"?> 4 Aspekt In den vorherigen Kapiteln haben wir lexikalische Phänomene kennengelernt, die mit der zeitlichen Struktur von Ereignissen zu tun haben. Es wurden die lexikalischsemantischen Eigenschaften von Verben und Verbalphrasen untersucht. In diesem Kapitel nun soll der Schritt in die Grammatik vollzogen werden. Die Phänomene, die diesem Buch ihren Titel geben - Tempus, Modus und Aspekt - sind nämlich wie schon mehrfach angedeutet meist morpho-syntaktisch realisiert und können - mit Einschränkungen - auf alle Verben einer Sprache angewendet werden. Bis hierher haben wir also nur die Vorarbeit geleistet und den Boden für das Verständnis der verschiedenen Ablaufweisen von Ereignissen bereitet. Die besondere Herausforderung dieses Kapitels besteht darin, dass das Phänomen Aspekt im Deutschen recht unbekannt ist. Jemand, der sich nicht mit Sprache beschäftigt hat, hat meist von dieser Kategorie noch nichts gehört. In anderen Sprachen jedoch ist das Phänomen frequent und bekannt, und es gibt sogar Sprachen, die als „Aspektsprachen“ bezeichnet werden, wozu unter anderem die slawischen Sprachen gehören. Außerdem muss danach unterschieden werden, ob eine Sprache wirklich eine (morphologische) perfektiv-imperfektiv Unterscheidung bietet (wie es eben bei den slawischen Sprachen der Fall ist) oder ob „nur“ eine Progressiv-Form vorliegt, wie z.B. im Englischen oder Isländischen (Dahl 1985, 85; 2000, 21). Auch muss beachtet werden, ob die Aspektbedeutung innerhalb von Tempusunterscheidungen stattfinden, und diese beiden Kategorien zusammen eine einzige grammatische Markierung bekommen, wie im Französischen oder Spanischen (Thieroff 2000, 297). In Kapitel 4.1 werde ich auf diese Unterscheidung noch im Detail eingehen. Eine ausführliche nach Sprachen aufgegliederte Analyse der verschiedenen Systeme findet sich in Hewson & Bubenik (1997). Bei manchen Experten mag die Frage aufkommen, warum die slawischen Sprachen erst hier Erwähnung finden, denn gerade die Forschung zu Aspekt, Aktionsart und Zeitschemata beruft sich auch fürs Deutsche oft auf Begrifflichkeiten und Erkenntnisse zu dieser Sprachfamilie. Hierin liegt meines Erachtens jedoch genau die Problematik: dieser Vergleich ist in großen Teilen für die terminologischen Schwierigkeiten bei der Definition von Aspekt, Aktionsart und Zeitschema verantwortlich. Die aspektuellen Phänomene der slawischen Sprachen sind nämlich nicht eins zu eins mit denen des Deutschen vergleichbar und die bisherigen Versuche dies zu schaffen, waren auch selten erfolgreich (positive Ausnahmen sind u.a. Steinitz 1981, Leiss 1992 oder Pepouna 2007, die sehr gründlich verschiedene Arten von Aktionsart, Zeitkonstitution und Aspekt unterscheiden). Daher habe ich mich entschieden, dieses Kapitel bis hierher aufzuschieben und erst an einem Punkt zu diskutieren, an dem die Begrifflichkeiten bekannt sowie das Verständnis von lexikalischen und grammatischen Eigenschaften schon einigermaßen hergestellt ist. Im Folgenden wird also nun der Unterschied zwischen dem Aspektsystem des Deutschen und dem der slawischen Sprachen erklärt (Kapitel 4.1 und 4.2), was uns dann auch gleich zwangsläufig zu der schon in der Einleitung gestellten Frage bringt: Hat das Deutsche überhaupt einen grammatischen Aspekt? Hierfür müssen wir uns vor allem der gesprochenen Sprache (Weinrich 1993, 624) bzw. den deutschen Dialekten (z.B. van Pottelberge 2004; Thiel 2007) zuwenden, denn dort existiert eine Konstruktion, die in der geschriebenen Hochsprache lange als nicht allzu elegant galt <?page no="60"?> 60 4 Aspekt (am Kochen sein), jedoch eine der wenigen Realisierungsmöglichkeiten von Aspekt im Deutschen darstellt und in neueren Grammatiken auch für die geschriebene Standardsprache als Verlaufsform akzeptiert wird (Duden 2009, 427). Des Weiteren wird mit dem Englischen eine Sprache vorgestellt, die allen Studierenden bekannt sein sollte und mit ihrer Progressivform (Peter is reading a newspaper) eine grammatische Realisierung von Aspektualität besitzt. In Kapitel 4.3 wird daher ein Exkurs ins Englische stattfinden; dieser soll den Studierenden, die mit den slawischen Beispielen und der Aspektidee, die diesen Sprachen zu Grunde liegt, nicht zurecht gekommen sind, eine weitere Möglichkeit bieten, die morphologische Realisierung von Aspekteigenschaften zu verstehen. Ich werde auch kurz darauf eingehen, welche Wechselwirkungen zwischen Aspekt und Aktionsart bestehen. In Kapitel 4.4. soll noch einmal das Verständnis von Aspekt im Gegensatz zu Tempus verstärkt werden. Was genau bedeuten eigentlich die Begriffe „abgeschlossen“ und „unabgeschlossen“ in Bezug auf zeitliche Einheiten und wie lassen sie sich von „vergangen“ abgrenzen? Diese Unterscheidung ist grundlegend für einige Diskussionspunkte aus dem Kapitel 5 (Tempus) und bietet einen guten Übergang zu diesem darauffolgenden Thema. Hier werden wir einen Blick auf die Vergangenheitszeiten des Französischen werfen und den Begriff Aorist genauer definieren. 4.1 Existiert Aspekt im Deutschen? In diesem ersten Unterkapitel nun soll diskutiert werden, ob das Deutsche überhaupt einen Aspekt besitzt. Zuvor möchte ich jedoch noch einmal kurz wiederholen, was Aspekt überhaupt bedeutet. In der Einleitung (Kapitel 1) haben wir erfahren, dass er sich bei Aspekt um die Perspektive handelt, in der ein Ereignis dargestellt wird. Hierbei unterscheiden wir die sogenannte perfektive oder Außenperspektive sowie die imperfektive oder Binnenperspektive. Um den Unterschied zwischen Aspekt und den Zeitschemata aus Kapitel 3 noch einmal klar zu machen, eignet sich folgendes Zitat von Pepouna (2007, 53): […] die Aktionsart bzw. die Zeitkonstitution ist die vom Kontext losgelöste zeitliche Eigenschaft des durch ein gegebenes Verb bezeichneten Geschehens, während der Aspekt - wie es Wierzbicki (1999) formuliert - die aktuelle (d.h. kontextbezogene) zeitliche Beschaffenheit des Geschehens bezeichnet. Als Beispiel für das Deutsche habe ich hier in der Einleitung eine mit am+Infinitiv+sein gebildete Form genannt (oft auch als rheinische Verlaufsform bezeichnet, Brons-Albert 1984), die in (1) zu sehen ist und die Binnenperspektive vermitteln soll. (1) Peter ist am Kuchenbacken. Bei dieser Verlaufsform glaubte man lange Zeit, dass es sich um ein rein dialektales Phänomen handle (daher der Name „rheinisch“), welches dadurch hauptsächlich der gesprochenen Sprache zugeordnet wurde. Besonders in westdeutschen Dialekten, angefangen von der Schweiz im Süden bis hoch nach Westfalen im Norden (Andersson 1989; van Pottelberge 2004; Ebert 2000) konnte diese Form verstärkt beobachtet wer- <?page no="61"?> 61 4.1 Existiert Aspekt im Deutschen? den 1 . Jedoch wurde in mehreren Studien nachgewiesen, dass sich diese Form auch immer mehr in der Standardsprache etabliert hat und im geschriebenen Gebrauch vorkommt (Ebert 1996; Krause 1997, 2002; Van Pottelberge 2004, 2005; Thiel 2008). Was auffällt ist, dass sich bei dieser Form keine morphologischen Markierungen am Verb zeigen, wie wir das von anderen grammatischen Kategorien wie Tempus oder Modus kennen. Im Englischen ist dies anders. Hier kann durch das Anhängen des Suffixes -ing an alle möglichen Verben und in Kombination mit dem Hilfsverb be eine klare formale Auszeichnung der sogenannten Verlaufsform stattfinden (2). Die morphologische Markierung sorgt auch dafür, dass die Binnenperspektive in verschiedenen Tempora (2a-2c) sowie in verschiedenen Genera Verbi (2d) benutzt werden kann. (2) a. Peter is singing. - Peter ist am Singen. b. Peter was singing. - Peter war am Singen. c. Peter will be singing. - Peter wird am Singen sein. d. The song was being sung. - Das Lied wurde gerade gesungen. Die vielen formalen Möglichkeiten, die zur Benutzung der Verlaufsform im Englischen bestehen, sowie ein Vergleich zwischen der englischen und der deutschen Verlaufsform bezüglich Häufigkeit und Anwendung werden in Kapitel 4.3 thematisiert. Einige Unterschiede sollten schon in der folgenden Übung klar werden. Aufgabe 8 1. Übersetzen Sie die folgenden englischen Sätze ins Deutsche. Achten Sie besonders auf die korrekte Wiedergabe von aspektuellen Unterscheidungen. Versuchen Sie, Konstruktionen zu finden, die die richtige Aspektualität ausdrücken. 2. Welche Probleme stellen Sie fest? a. Peter is rude. vs. Peter is being rude. b. I was reading a book, when Mary called me. c. Mary had been listening to some music, when Peter came. d. The windows were being cleaned, when I walked past the shop. e. I am being stalked by a guy I don’t know. How should I react? Welche Formen bestehen nun insgesamt im Deutschen, die Aspekt ausdrücken können, und welcher Status wird ihnen eingeräumt? In der Aufgabe oben haben wir gesehen, dass das am-Progressiv nicht immer funktioniert. Beginnen wir mit einem Blick in die Grammatiken und sehen nach, wie diese Form dort behandelt wird und welche Eigenschaften und Verwendungsweisen man ihr zuschreibt. Der Duden (2009) nennt die „Verlaufsform“, jedoch nicht unter der Rubrik Aspekt, sondern bei den „infinitregierenden Verben“ (Duden 2009, 427) sowie im Kapitel „Aktionsarten“ mit dem expliziten Hinweis auf eine Vermeidung der Begrifflichkeit Aspekt (Duden 2009, 411). In der 1 Vgl. Atlas zur deutschen Alltagssprache der Universität Salzburg: http: / / www.atlasalltagssprache.de/ runde-2/ f18a-b/ <?page no="62"?> 62 4 Aspekt umfangreichen Grammatik von Brinkmann (1971), in der gerade Verbalphänomene ausführlich dargestellt werden, findet sich kein Hinweis auf Aspekt oder eine Verlaufsform. Bei Erben (1968, 76f) wird die Verlaufsform zwar genannt, allerdings im Kapitel „Fügungen mit Hilfs- oder Funktionsverb“. Auch die Konstruktion in (3b) und (3c) kommen dort vor. Zifonun et al. (1997, 1877f) thematisieren die Verlaufsform auch in Bezug auf die Standardsprache und erkennen sie als schriftsprachliches Phänomen an. Bei Weinrich (1993, 624f) wird die Verlaufsform im Kapitel über die Präpositionen genannt. In der historischen Grammatik von Wilmanns (1906, 172), die das Gotische, das Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsche umfasst, werden folgende Formen zum Ausdruck von Binnenperspektive (oder wie er es formuliert vom „Beharren in einer Tätigkeit“) attestiert: Partizip Präsens im Mittelhochdeutschen 2 (3a) sowie präpositionale Infinitivkonstruktionen ab dem 15./ 16. Jahrhundert (3b - 3d). (3) a. umbe daʒ ist ër mich alleʒ streichende, listende unde smeichende ‘darum streichelt, heuchelt und schmeichelt er mir immer, od. in einem fort‘ ‘3 b. Er ist beim Schreiben. c. Er ist am Schreiben. d. Er ist im Schreiben begriffen. Die Begriffe Aspekt oder Verlaufsform fallen in dieser historischen Grammatik jedoch nicht. Generell scheint der Begriff Aspekt in den deutschen Grammatiken noch nicht angekommen zu sein, wenn auch vereinzelt aspektuelle Phänomene behandelt werden (vgl. Leiss 1992, 17). Dies mag daran liegen, dass das Deutsche weiterhin nicht zu den Aspektsprachen gezählt wird und die genannte Verlaufsform noch nicht überall als standardsprachliches Phänomen akzeptiert wird. Selbst wissenschaftliche Arbeiten, die sich speziell mit der Thematik Aspekt/ Aktionsart befassen, wie z.B. Amrhein (1996, 114) (in Anlehnung an Sasse 1991), sprechen dem Deutschen eine grammatikalische Aspektmarkierung ab und fokussieren auf die Aktionsartunterscheidungen bzw. die „lexikalische“ Repräsentation von aspektuellen Eigenschaften (Amrhein 1996). Eine andere Möglichkeit der Aspektrealisierung im Deutschen wird beispielsweise von Herweg (1990, 68ff) thematisiert. Er beschreibt das Partizip II als grammatikalisierten Träger des deutschen Aspekts und interpretiert somit das Tempus Perfekt als aspektuelle Form. Bei Leiss (1992, 288) wird ein Vergleich von Aspekt und Definitheit unternommen. Sie sieht Aspekt als universelle Kategorie; das Deutsche Aspektsystem ist jedoch noch in der Entwicklung begriffen. Als aspektuell erkennt sie Formen an, die ein Partizip II enthalten. Auch Funktionsverbgefüge können Aspekt im Deutschen realisieren (zum Abschluss bringen, in Verbindung setzen, in Gefahr sein, in Gebrauch sein etc.), wobei hier m.E. eher Aktionsarten gemeint sind, da die Semantik dieser Konstruktionen über die reine perfektiv-imperfektiv- Unterscheidung hinausgeht. Leiss (1992, 27) merkt zum Thema Aspekt im Deutschen an: „Man sollte einer Sprache eine grammatische Kategorie nicht vorschnell absprechen, nur weil sie nicht in den gewohnten Mustern transparent wird.“ Mit anderen Worten: Nur, weil wir uns im Deutschen der Kategorie Aspekt nicht vollständig be- 2 Vergleiche auch beispielsweise Leiss (1992), Quentin (1994), Marillier (1994) oder Dupuy- Engelhardt (1994) zur Aspektualität der beiden Partizipien im Deutschen. 3 Übersetzung von Wilmanns (1906, 172). <?page no="63"?> 63 4.1 Existiert Aspekt im Deutschen? wusst sind, und diese nicht systematisch durch ein Morphem wie im Englischen realisiert werden kann, heißt das nicht, dass Aspekt nicht existiert. Besonders in Werken zu Sprachwandel, Grammatikalisierung und Sprachdidaktik wird jedoch klar, dass sich fürs Deutsche mit dem am-Progressiv längst ein Aspekt entwickelt hat (Ebert 1996; Slater 1997; Krause 1997, 2002; Van Pottelberge 2004, 2005; Thiel 2008). Insbesondere Slater (1997) zeichnet die formale Entwicklung im deutsch-englischen diachronen Sprachvergleich nach. In Bybee et al. (1994, 128) zeigt sich, dass Formen wie das am-Progressiv, die aus sein+Infinitiv bestehen, auch in anderen Sprachen für diese aspektuelle Funktion genutzt werden. Ebenso spielen Präpositionen bzw. Richtungen eine Rolle. So existiert beispielsweise im Baskischen die Struktur Verbalnomen+Lokativ+sein (Bybee et al. 1994, 128), was durchaus mit der deutschen Form vergleichbar ist (siehe auch van Pottelberge 2005, 173). Bekannt aus dem Mittelenglischen (Jespersen 1949, 168) bzw. der englischen dialektalen Umgangssprache (Greenbaum 1996, 124) sind Konstruktionen wie in (4). (4) a. He is on hunting. 4 ‘Er ist beim Jagen.’ b. He was a-coming/ a-comin‘ home. ‘Er war am Heimkommen.’ Van Pottelberge (2005) spricht sich nicht nur für die Verlaufsform als Aspektmarkierung der deutschen Sprache aus, sondern attestiert dieser Konstruktion auch eine vollständige Grammatikalisierung. Die ersten Belege reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. (5) Fand wir king Philips, der am herausreiten was. (Lucas Rem: Tagebuch aus den Jahren 1494-1541 […]) (van Pottelberge 2005, 174). Van Pottelberge (2005) schreibt die progressive aspektuelle Semantik der am- Konstruktion allerdings weniger der beteiligten Präposition zu (wie es oft in typologischen Werken der Fall ist, Bybee et al. 1994, 132), sondern sieht diese in den Eigenschaften des substantivierten Infinitivs begründet, der seiner Meinung nach „die Verbalhandlung als solche, ohne temporale Bestimmung, ohne Subjekt oder Aktanten“ bezeichnet und „im Vergleich zu anderen Verbalabstrakta die Verbalhandlung als Verlauf [charakterisiert]; vgl. z.B. das Fallen vs. der Fall, das Sehen vs. die Sicht, das Reden vs. die Rede […]“ (van Pottelberge 2005, 178). Diese Sichtweise wird von der Nominalisierungsforschung bestätigt (Ehrich & Rapp 2000; Blume 2004; Scheffler 2005; Heinold 2011a, 2011b). Eine weitere aspektuelle Ausprägung, welche im Deutschen existiert, jedoch nicht so häufig in diesem Zusammenhang diskutiert wird, ist die adverbiale Modifikation durch gerade (Ausnahmen sind u.a. Dahl 1985, 166, Leiss 1992, 49 und Krause 1997, 56). 4 Beispiele aus Bybee et al. (1994, 132). <?page no="64"?> 64 4 Aspekt (6) a. Ich rauche. b. Ich rauche gerade. c. Peter war gerade dabei Spaghetti zu kochen, als Maria anrief. So kann durch ein Hinzufügen des Adverbials gerade in (6b) die Innenperspektive klar gemacht werden. (6a) - ohne weiteren Kontext - könnte zur Annahme verleiten, dass das Rauchen ein gewohnheitsmäßiges ist, wobei das Präsens-Tempus sich hier nicht nur auf den Sprechzeitpunkt beziehen würde, sondern eigentlich eine die Zeiten überdauernde Eigenschaft anzeigt (Ich bin Raucher). Auch bei Handlungen, die einander überschneiden, wie in (6c), kann das Adverbial gerade dazu genutzt werden, klar zu machen, welcher Vorgang einen größeren Rahmen für einen anderen bietet. So wird Marias Anruf in die Zeitspanne, in der Peter Spaghetti kocht, integriert. In (6c) sehen wir zusätzlich die Konstruktion dabei sein, etwas zu tun, die eine Gleichzeitigkeitsinterpretation auslöst. Insgesamt wurden hier nun mehrere Formen vorgestellt, die als Aspektrealisierungen im Deutschen, speziell für das Progressiv, in Frage kommen. Diese sind in (7) noch einmal aufgelistet. (7) a. Peter ist am Lesen. b. Peter ist beim Lesen. c. Peter ist im Lesen begriffen. d. Peter liest gerade. e. Peter ist gerade dabei, 5 zu lesen. In Krause (1997), der als eine weitere progressiv interpretierbare Konstruktion schwimmen sein nennt, wird deren Kombinierbarkeit im Zusammenhang mit Agentivität und Zeitschemaklassen diskutiert. (8) a. *Das Wasser ist beim Kochen. b. ? ? Das Wasser ist gerade dabei, zu kochen. c. Peter ist dabei, zu kochen. d. *Der alte Mann war beim Sterben. e. *Er ist am/ beim/ dabei zu Sitzen/ Stehen/ Liegen. f. Er sitzt/ liegt/ steht gerade. Eine Einschränkung der beimsowie der dabei-sein-Konstruktion besteht beispielsweise mit nicht-agentiven Subjekten (8a, 8b). Umstritten ist meines Erachtens Krauses Aussage, dass Aktivitätsverben, wie kochen in (8c), sich nicht mit dabei sein vertragen. Deshalb habe ich das Beispiel hier auch nicht mit Asterisk oder Fragezeichen markiert. Eine ähnliche Meinung wird in Glatz (2001, 51) vertreten. Bei der Überprüfung dieser 5 Zum Thema Kommasetzung bei solchen Infinitiven in der dabei-Konstruktion siehe Krause (1997), Fußnote 38. <?page no="65"?> 65 4.1 Existiert Aspekt im Deutschen? Konstruktion auf Google mit unterschiedlichen Aktivitätsverben wurden einige, wenn auch nicht viele Beispiele gefunden. Eine Auswahl ist in (9) zu sehen. In allen dreien wirkt die Konstruktion m.E. völlig natürlich. (9) a. Mildred steht kurz vor der Eröffnung ihres Restaurants und ist dabei, zu putzen. b. Naja, ich bin dabei zu spielen, brauch aber wohl noch etwas, da kaum Zeit [sic! ]. c. Valerie hatte nicht die geringste Lust auf ein Wortgeplänkel. „Ich bin dabei zu arbeiten“, würgte sie das Gespräch ab. Nach Krause (1997) bestehen des Weiteren Einschränkungen von bei+Infinitiv mit Achievementverben wie sterben (8d). Sogenannte Positionsverben wie in (8e) bereiten mit allen progressiven Konstruktionen Probleme, außer mit der gerade-Modifikation (8f). Solche Beispiele zeigen, dass die deutschen Progressivformen noch nicht so systematisch und verbklassenübergreifend grammatikalisiert sind wie die englischen ing- Formen. Was bedeutet nun genau progressiv? Ich habe zuvor schon angedeutet, dass hier ein Unterschied besteht zu imperfektiv (was als Gegenstück zu perfektiver Aspektualität gilt). Und auch der Begriff habituell fließt oft mit in die Aspektdebatte ein. In Comrie (1976, 25) wird versucht, den Unterschied in Abbildung 3 unten darzustellen. In Bybee et al. (1994, 137ff) wird eine sehr gute weiterführende Erklärung dieser Begriffe gegeben. perfektiv imperfektiv habituell andauernd nicht-progressiv progressiv Abbildung 3: Aspektuelle Klassen Zuerst muss gesagt werden, dass alle oben genannten Begriffe als Unterarten von Aspekt gesehen werden können. Jedoch existiert nicht für jeden Begriff eine sprachliche Realisierung (Bybee et al. 1994, 139; Thieroff 2000, 299). Ebenso lassen sich nicht alle Begriffe, zu denen sprachliche Realisierungen bestehen, auf alle Sprachen anwenden. Aber zuerst einmal zur Erklärung der Begrifflichkeiten. Perfektiv und imperfektiv gelten als das übergeordnete aspektuelle Paar, von dem der erste Begriff die Situation in Außen-, letzterer die Situation in Binnenperspektive darstellt. Solche Unterscheidungen finden sich in den slawischen Sprachen, wie wir im nächsten Kapitel (4.2) sehen werden, sind aber auch in den Vergangenheitszeiten von romanischen Sprachen, <?page no="66"?> 66 4 Aspekt wie dem Spanischen oder dem Französischen, integriert. Dort unterscheiden Tempora wie Indefinido (sp. Juan llegó) und Imperfekt (sp. Juan llegaba) bzw. Passé Simple (fr. Jean travailla) und Imparfait (fr. Jean travaillait) zwischen abgeschlossener und nichtabgeschlossener Vergangenheit (oft auch im Sinne von „Hintergrundhandlung“) (Comrie 1976). Eine weitere Unterscheidung wird dann bei imperfektivem Aspekt zwischen habituellen (bzw. gewohnheitsmäßigen) und andauernden Situationen gemacht. Für die fortlaufende Situation an sich gibt es keine sprachliche Realisierung, nur für ihre Unterarten progressiv und nicht-progressiv. Habituelle Situationen erstrecken sich über längere Zeitspannen. Das Englische besitzt die Vergangenheitskonstruktion He used to … dafür; im Deutschen kann man die Temporaladverbiale immer oder gewöhnlich einsetzen, um eine habituelle Lesart zu erzeugen: Er hat hier immer gegessen. DEFINITION Habituell ist eine Handlung, wenn sie über einen längeren Zeitraum immer wieder ausgeführt wird. Diese Wiederholung wird als ein Typ imperfektiver Aspektualität wahrgenommen. Der progressive Aspekt zeichnet sich dadurch aus, dass er sich in vielen Fällen nicht gut mit statischen Verben verträgt. Denken Sie an unser am-Progressiv: *Er ist am Haben/ Mögen/ Lieben/ Hassen/ Sein/ etc. Progressiv und habituell schließen sich allerdings nicht aus (Comrie 1976, 33). Im englischen Satz John used to be writing poems (‚John war immer am Gedichteschreiben‘) werden diese beiden Arten von Aspektualität kombiniert. Nicht-progressive, aber dennoch fortlaufende Situationen sind nur mit statischen Verben möglich. Ein Satz wie Peter ist gerade/ zurzeit ziemlich verliebt wäre wohl in diese Klasse einzuordnen. DEFINITION Progressiv, also im Verlauf befindlich, ist eine aspektuelle Ausprägung, die nur dynamische Verben annehmen können. Auch hierbei handelt es sich um einen Sonderfall des imperfektiven Aspekts. Im Folgenden soll nun erklärt werden, inwiefern sich der Aspekt in den slawischen Sprachen von dem im Deutschen unterscheidet und vor allem wie die Terminologieprobleme, auf die ich bereits in den beiden vorigen Kapiteln hingewiesen habe, zustande kommen. 4.2 Die slawischen „Aspektsprachen“ In Kapitel 4.1 sowie in Kapitel 3 wurde schon angedeutet, dass in den slawischen Sprachen, wie beispielsweise dem Polnischen, dem Russischen, dem Tschechischen, dem Bulgarischen oder auch dem Serbokroatischen, eine Aspektopposition perfektivimperfektiv besteht, die morphologisch realisiert wird (Dahl 1985, 172). Hierbei ist jedoch zu beachten, dass damit nicht die grammatische und ins Tempus integrierte Aspektunterscheidung gemeint ist, die oben fürs Spanische und das Französische dargestellt wurde und auch unter dem Namen Aorist bekannt ist (Comrie 1976; Dahl <?page no="67"?> 67 4.2 Die slawischen „Aspektsprachen“ 2000; Thieroff 2000). Historisch betrachtet bestand solch eine Unterscheidung zwar in allen slawischen Sprachen; heute ist sie jedoch nur noch im Bulgarischen zu finden (Comrie 1976, 89). Der Aspekt in den slawischen Sprachen ist von ganz besonderer Art und bewegt sich irgendwo zwischen Lexikon und Grammatik, weshalb er in vielen Werken auch einfach unter der Überschrift „Aktionsart“ (Steinitz 1981) oder „lexikalischer Aspekt“ (Pepouna 2007, 55) mit den Termini aus unserem Kapitel 2 beschrieben wird (Gross 1974). Ein guter Vergleich zwischen deutschem und slawischem Aspektverständnis sowie ein Überblick über die Terminologie finden sich in Czarnecki (2000). Die Herausforderung beim Verständnis des slawischen Aspekt besteht aus deutscher Sicht darin, dass wir in unserer Sprache Aspekt als eine syntaktische Kategorie kennen gelernt haben, die nicht morphologisch realisiert wird und von eher lexikalischen Konzepten wie Aktionsart und auch von den Zeitschemata abzugrenzen ist. Die slawische Aspektopposition funktioniert anders: Sie wird derivationsmorphologisch hergestellt, und andere grammatische Eigenschaften, wie Tempus, werden separat durch Flexionsmorphologie am perfektiven oder imperfektiven Verb markiert. Die aspektuellen Affixe der slawischen Sprachen werden oft mit Partikeln in den germanischen Sprachen verglichen (Comrie 197, 89). So existieren einerseits im Russischen die Verben lit´ und vylit´ ebenso nebeneinander wie im Englischen pour und pour out oder im Deutschen schütten und ausschütten (Dahl 1985, 84). Andererseits jedoch, im Gegensatz zu den germanischen Partikelverbableitungen, stellt der slawische Aspekt eine sehr regelmäßige und allgemeine Erscheinung dar, d.h. es gibt von fast allen Verben eine perfektive und eine imperfektive Variante. Diese Regelmäßigkeit ist normalerweise typisch für flexionsmorphologische Prozesse, die innerhalb der Grammatik, nicht innerhalb des Lexikons angesiedelt sind. Das Lexikon ist berühmt berüchtigt für seine Kapriolen und Unregelmäßigkeiten in der Wortbildung (Katamba 1994). Im Deutschen können für die Partikelverben nur wenige Regelmäßigkeiten bei Bildung und Interpretation attestiert werden (Mungan 1986, McIntyre 2002). Man trifft hier auf ein breites Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten, die nicht immer aspektueller Natur sind, sowie auf viele lexikalisierte Beispiele, die semantisch nicht transparent sind. Schauen wir uns die Sätze in (10) und (11) an, die diesen Umstand verdeutlichen sollen. In Gross (1974, 30) wird darauf hingewiesen, dass bei den russischen Aspektpaaren meist das Simplexverb das mit der imperfektiven Semantik, das morphologisch modifizierte Verb das mit der Perfektivinterpretation ist. Auch Steinitz (1981, 40) merkt an, dass es im Russischen jeweils ein „neutrales“ Verb gibt und eine morphologisch abgeleitete Version (10). Dasselbe gilt fürs Polnische (11). Diese beiden Versionen unterscheiden sich jedoch nur in ihren Aspekteigenschaften, was bei deutschen Paaren von Simplex- und Partikelverben nicht immer so ist (12). (10) Russisch 6 a. kipjatit (‚kochen‘) - vskipjatit (‚fertigkochen‘) b. rabotat (‚arbeiten‘) - prorabotat (‚durcharbeiten‘) 6 Beispiele aus Steinitz (1981). <?page no="68"?> 68 4 Aspekt (11) Polnisch 7 a. pisać list (‚an einem Brief schreiben‘) napisać list (‚einen Brief (fertig)schreiben‘) b. spać (‚schlafen‘) pospać (‚eine Mütze Schlaf nehmen, ein Schläfchen machen‘) (12) Deutsch a. schlafen - ausschlafen; aspektuelle Unterscheidung b. teilen - austeilen; keine aspektuelle Unterscheidung, neue Bedeutung Schon in Kapitel 2 wurde klar, dass die derivationelle Präfigierung im Deutschen keine semantischen Regelmäßigkeiten aufweist und dass Verben mit „neutraler“ Semantik und davon abgeleitete modifizierte Varianten nicht in allen Fällen existieren (Steinitz 1981). So finden wir zwar Paare, wie in (12a), wo das Simplexverb schlafen einen durativen, das abgeleitete Verb ausschlafen einen transformativen Vorgang beschreibt. In (12b) jedoch ist schon das Simplexverb transformativ. Die Rolle von ausist hier nicht aspektuell zu interpretieren. Offenbar verschwimmt hier die Terminologie: Um die lexikalischen Unterschiede in (12) zu beschreiben, habe ich mich gerade der Bezeichnungen aus dem Aktionsartkapitel bedient, obwohl wir uns doch hier über Aspekt unterhalten! Genau darin besteht die Schwierigkeit im deutsch-slawischen Aspektvergleich: Die beiden Ideen von Aspekt sind einfach nicht miteinander vergleichbar. In den slawischen Sprachen existieren morphologische Besonderheiten, die fürs Deutsche so nicht zutreffen. Auch wäre es falsch zu sagen, die deutschen Aktionsarten entsprächen dem slawischen Aspekt. Dies wird immer dann deutlich, wenn man von einer slawischen Sprache ins Deutsche übersetzen will. In (11b) beispielsweise fällt es sogar bilingualen Sprechern schwer, eine gute deutsche Übersetzung für das polnische Beispiel zu finden. Natürlich existiert im Deutschen ein Partikelverb ausschlafen. Man könnte nun anmerken, dass dieses ja eine Art perfektive Variante zu schlafen darstellen könnte (und somit die deutschen Aktionsarten mit dem slawischen Aspekt gleichsetzen). Allerdings steht bei der polnischen Aspektopposition eher die Zählbarkeit eines Vorganges im Zentrum des Interesses, wie wir es von den deutschen Zeitschemata (Kapitel 3) her kennen (vgl. auch die russischen Beispiele in Leiss (1994, 311). Leiss (1992) stellt den slawischen „Aspekt“ den deutschen Zeitschemata gegenüber und vertritt die These, dass die Aspektualität, die im slawischen durch verbale Affixe ausgedrückt wird, sich im Deutschen in der Wahl zwischen zählbarem und nicht-zählbarem Objektargument in der VP widerspiegelt. Daher auch meine Übersetzung in (11b) eine Mütze Schlaf nehmen, auch wenn dies umgangssprachlich anmutet. Insgesamt sollte man die Vermischung von deutschen und slawischen Aspektkonzepten besser vermeiden, denn diese sind auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt: Während der slawische Aspekt zwar eine wirkliche Opposition perfektivimperfektiv beinhaltet und auf eine große Anzahl an Verben anwendbar ist, wird er jedoch morphologisch dargestellt, d.h. durch Derivationsprozesse; die deutsche am- Konstruktion ist auf funktionaler aspektueller Ebene in der Syntax eingeordnet und kann deutlich von den durch Derivation hergestellten Aktionsarten und den in der VP hergestellten Zeitschemata abgegrenzt werden. Im folgenden Unterkapitel wollen wir nun die englischen Progressivformen unter die Lupe nehmen. Von der Art des Aspekts her werden wir viele Parallelen zur deut- 7 Beispiele aus Pepouna (2007). <?page no="69"?> 69 4.3 Die englischen Progressivformen schen Verlaufsform erkennen. Jedoch existieren in den beiden Sprachen auch einige Unterschiede in der Verwendung dieser Formen. 4.3 Die englischen Progressivformen Das englische Progressive kennt man als eine der ersten im Schulunterricht erlernten Formen. Schon wenn man beispielsweise am Telefon einen Freund fragen will, was er gerade macht (what are you doing? ), kommt man schwerlich ohne diese Aspektform aus. Wenn man sich die Präsenz von Progressive-Lehreinheiten in Schulbüchern bewusst macht, könnte man zum dem Schluss kommen, dass die Verlaufsformen im Englischen sehr viel frequenter sind als im Deutschen. In Thiel (2008) werden die Verhältnisse jedoch in ein anders Licht gerückt. Sie weist darauf hin, dass in verschiedenen quantitativen Studien, wie beispielsweise Mindt (2000), schon empirisch nachgewiesen werden konnte, dass der tatsächliche Gebrauch von beispielsweise dem Present Progressive, welches die häufigste der Verlaufsformen darstellt, in nur 5% aller Verbverwendungen vorkommt. Möglicherweise ist also die Wichtigkeit, die den Progressive Formen in deutschen Englischlehrwerken eingeräumt wird, nicht ihrer häufigen Verwendung im Englischen, sondern der geringen Sensibilisierung deutscher Muttersprachler für die Aspektunterscheidung geschuldet. Andersherum, im Deutsch-als- Fremdsprache-Unterricht, wird das Thema Aspekt selten in den Lehrplan integriert und taucht in den entsprechenden Büchern nicht besonders häufig auf (Thiel 2008). Der am Anfang dieses Aspektkapitels durchgeführte Vergleich verschiedener deutscher Grammatiken deutet ebenfalls darauf hin, dass fürs Deutsche zwar möglicherweise in Fachkreisen, jedoch nicht bei der Mehrheit der Sprechergemeinschaft eine Aspektdebatte geführt wird. Im Englischunterricht werden deutschen Sprechern die Aspektformen des Englischen zwar exzessiv nähregebracht, jedoch als Tempora ausgezeichnet. Man behandelt beispielsweise das Present Progressive als eine Sonderform des Präsens (was es ja auch ist - allerdings eine aspektuelle Sonderform! ). Der durchaus andere Status, den Aspekt im Englischen im Vergleich zum Deutschen hat, wird bei einem Blick in die Oxford English Grammar klar: Hier scheut man vor dem Begriff Aspekt nicht zurück (Greenbaum 1996, 253). Es wird explizit deutlich gemacht, wie sich Aspekt von Tempus unterscheidet und welche Möglichkeiten im Englischen zur Verfügung stehen, um verschiedene Tempora und Aspekte zu kombinieren. Das Progressive wird nach Greenbaum (1996, 276) dazu benutzt „to focus on the situation as being in progress at a particular time“. Calver (1946, 317) schreibt über die Verwendung von Simple Present und Present Progressive: The basic meaning of the simple present tense is the constitution of things, logical, physical, essential, etc.; of the present progressive, mere occurrence. The distinction between them is not a time-distinction. Das Simple Present sagt uns also, wie die Dinge sind, beschreibt bestehende Zustände oder regelmäßige, längere Zeiten überdauernde Vorgänge sowie Fähigkeiten oder universelle Wahrheiten (13); das Present Progressive beschreibt, wie/ dass die Dinge vor sich gehen, ablaufen. Das Present Progressive wird für Handlungen benutzt, die mit der Sprechzeit zusammenfallen (14). <?page no="70"?> 70 4 Aspekt (13) a. He plays the violin. b. The sun rises every morning. c. The train runs on Sundays during the summer. (Calver 1946, 322) (14) a. He is playing the violin. b. Oh look! The sun is rising. c. This train is not running today. Beim Erlernen der englischen Tempusformen fällt auf, in wie vielen unterschiedlichen Tempuskombinationen das -ing-Progressive auftreten kann. Krause (1997) nennt acht verschiedene aktivische Formen. Präsens He is working. Präteritum He was working. Perfekt He has been working. Futur I He will be working. He is going to be working. Konditional I He would be working. Plusquamperfekt He had been working. Futur II He will have been working. Konditional II He would have been working. Tabelle 3: Die englischen Progressive Formen Wenn man sich nun noch die möglichen Passivkonstellationen dazu denkt, kann man sich vorstellen, warum Thieroff (2000, 297) vom englischen Progressive als “highly grammaticalized” spricht - im Gegensatz zum Deutschen bei dem nicht alle Verben, Tempora oder Genera verbi in der am-Verlaufsform existieren. Auch tempuslose Aspektformen, wie in (15), sind im Englischen möglich (Matthews 1994, 75). (15) a. Partizip Präsens: I spotted John crossing the road. ‚Ich sah John, als/ wie er die Straße überquerte.‘ b. Perfektprogressiv: Having sat on an anthill, John started to scratch wildly. ‚Nachdem er auf einem Ameisenhügel gesessen hatte, fing John an, sich wild zu kratzen.‘ c. Passivprogressive: Having been battered by the waves, he made his way to the shore. ‚Nachdem/ Obwohl er von den Wellen böse zugerichtet wurde, schaffte er es zum Strand.‘ d. Gerundium: John’s entering the race surprised me. ‚Dass John an dem Rennen teilgenommen hat, hat mich überrascht.‘ Interessant ist hierbei, dass eine Verlaufssemantik in den deutschen Übersetzungen in (15b), (15c) und (15d) nicht zur Geltung kommt. <?page no="71"?> 71 4.3 Die englischen Progressivformen Aufgabe 9 Testen Sie nun Ihr Wissen über Formen und Verwendungsweisen der englischen Tempus- und Aspektformen. Setzen Sie die korrekten Verbformen in den Lückentext ein und begründen Sie, warum Sie eine bestimmte Form gewählt haben. Peter and Mary _______(live) in Newcastle for over a year now. They ______ (move) there from London in March 2013, because Peter ________(find) a new job in a local newspaper editorial office. They _______ (love) to live in the city center close to Peter’s office, but they _________ (not find) a place they could afford. In general, ________ (find) an apartment was hard, and for some time they _________(stay) at a hotel. Mary ______(hate) it, but what _____ (can) you do? However, after two months of _____ (skim) through the ads in journals and on the internet, they _________(come across) a nice little house some 20 km outside of Newcastle. Mary called her sister to tell her that they ________ (find) a beautiful place to stay and that she _______(pick up) the rest of her things someday soon so that they ______ (can feel) at home after all. Since their moving in, Mary and Peter_______(put) a lot of effort and work in their little house. These days, Mary ______(even lay out) some lettuce and tomato patches in the back yard. Auch für das englische Progressive bestehen Einschränkungen, die die Zeitschemata der zugrundeliegenden Verben betreffen. Einige davon haben wir in der Lückentextübung oben gesehen. Im Englischen, wie im Deutschen, gibt es einige Probleme, was die statischen Verbtypen und ihre Verwendung in der Verlaufsform anbelangt. Im Englischen werden oft vier verschiedene Unterarten von Zuständen attestiert (z.B. in Schopf 1969), die unterschiedlich gut in der Verlaufsform präsentiert werden können (Krause 1997): 1. Verben der Ruhe: wenig Probleme in der Progressive-Form He ist sitting/ lying/ standing/ sleeping. 2. Verben der sinnlichen Wahrnehmung und der Gemütsbewegung: Verlaufsform nur in bestimmten Interpretationen möglich: feel, hear, see, smell, hate, hope, love a. They are seeing each other. ‚Sie sind ein Paar.‘ b. McDonaldʼs Motto: I’m loving it. [Beim In-den-Burger-beißen]: ‚Boah, schmeckt das (jetzt aber) lecker! ‘ 3. Verben des Meinens/ Glaubens: treten nur selten im Progressive auf und wenn doch, dann meist mit anderer Bedeutung: believe, mean, think, understand a. Peter is believing in ghosts these days (Smith 1983). ‚Peter glaubt (ja) in letzter Zeit an Geister.‘ <?page no="72"?> 72 4 Aspekt b. I’m thinking of you. ‚Ich denke an dich.‘ (Hier nicht in der Semantik meinen/ glauben verwendet). 4. Verben, die Verhältnisse anzeigen: so gut wie nie im Progressive: contain, consist, own, belong, depend a. When water becomes ice, it expands, putting pressure on whatever is containing it. 8 ‚Wenn Wasser zu Eis wird, dehnt es sich aus und übt Druck aus auf was auch immer es in diesem Moment umschließt.‘ b. I’m depending on you (Liedtitel). ‚Ich verlasse mich auf dich./ Es kommt auf dich an.‘ An diesen Beispielen zeigt sich hervorragend, welchen Einfluss die Zeitschemata auf grammatische Kategorien, wie Aspekt, haben. Sie können zum einen eine bestimmte grammatische Form gänzlich blockieren, zum anderen aber auch in Kombination mit dieser neue, unter Umständen ungewöhnliche zeitliche Interpretationen erzeugen. In den Kapiteln zu Tempus und Modus werden wir noch mehr von diesen Effekten bzw. Konnotationen sprechen, für die die Zeitschemata verantwortlich sind. Wenn man das Beispiel in (3a) anschaut, sieht man nun, dass auch stative Verben mit Progressive- Formen benutzt werden können. Allerdings entsteht eine Art habituelle Interpretation, die Peters „momentanen“ Zustand des An-Geister-Glaubens wie eine verrückte, wieder vorbeigehende Mode erscheinen lässt. In meinen Augen kann hier von einem „habituellen Effekt 9 “ gesprochen werden, den die -ing-Form im Zusammenspiel mit believe erzeugt. In andern Werken zu Aspekt, werden solche Beispiele oft unter dem Begriff aspect shift diskutiert (z.B. de Swart 1998; Dölling 2014). Hier funktioniert der Zusammenhang zwischen Zeitschemata und Aspekt genau umgekehrt. De Swart (2000), attestiert dem Progressiv in (3a) die Macht, das Zeitschema des Verbs von Zustand in Aktivität zu ändern. In dieser Perspektive wäre es nicht die lexikalische Einheit, die Einfluss auf das grammatische Phänomen nimmt, sondern umgekehrt würde das grammatische Phänomen den inneren zeitlichen Aufbau des durch das Verb ausgedrückten Ereignisses ändern. Ich möchte an dieser Stelle schlichtweg darauf hinweisen, dass diese beiden unterschiedlichen Sichtweisen bestehen, jedoch nicht ins Detail gehen, was die Gründe für diese beiden Annahmen betrifft. Für weiterführende Diskussionen verweise ich daher auf Verkuyl et al. (2005). Im Folgenden Kapitel möchte ich nun noch einmal genauer auf die Unterscheidung zwischen Aspekt und Tempus sowie auf Möglichkeiten der Überschneidung eingehen. 4.4 Abgeschlossenheit heißt nicht Vergangenheit Bei einem Blick in Schulbücher für deutsche Englischlerner stellt man fest, dass zwar der Ausdruck „Verlaufsform“ das ein oder andere Mal genannt wird; die in Tabelle 3 8 http: / / www.prnewswire.com/ news-releases/ j-b-weld-offers-diy-winter-blast-repair-solutions- 242350541.html 9 Der Begriff „Effekt“ wird im Zusammenhang von Aktionsarten und Tempus bei Welke (2005) für nicht-übliche Interpretationen benutzt. Ich borge ihn hier aus für die verschiedenen aspektuellen Lesarten, die entstehen können. <?page no="73"?> 73 4.4 Abgeschlossenheit heißt nicht Vergangenheit genannten Formen werden den Schülern jedoch als Tempora näher gebracht. Die Schwierigkeiten, die bei der Vermittlung von Aspekt bestehen, hängen wohl auch damit zusammen, dass Aspekt nicht immer alleine auftritt und sozusagen isolierbar gemacht werden kann, wie dies im Englischen der Fall ist (16a). Im Gegenteil: er kommt mindestens ebenso häufig in Kombination mit Tempus vor, wo diese beiden grammatischen Kategorien in nur einer einzigen Form zusammengeschmolzen werden (wie z.B. im Französischen (16c)). (16) a. Progressive: Peter is/ was/ had been/ will be/ would be running home. ‚Peter ist/ war/ war gewesen/ wird/ würde am Heimrennen (sein).‘ b. Simple Past: Peter ran home. ‚Peter rannte heim.‘ c. Passé Simple: Pierre écrivit une lettre. Puis il sorta. ‚Peter schrieb einen Brief. Dann verließ er das Haus.‘ d. Imparfait: Pierre écrivait une lettre, quand Marie rentra. ‚Peter schrieb gerade an einem Brief, als Maria zurückkam.‘ Im Englischen wird die Aspektopposition durch eine Form mit -ing (imperfektiv) und eine Form ohne -ing (perfektiv) angezeigt. Diese kann einzeln, ohne beigeordnetes flektiertes Tempus vorkommen, wie bei den Gerunds oder den anderen tempuslosen Formen in (15). Die formale Teilbarkeit in das Verb be und das Vollverb+-ing zeigt an, dass wir es auch mit zwei semantisch verschiedenen Einheiten zu tun haben. Das Tempus, welches am Hilfsverb be markiert wird (z.B. is vs. was), setzt ein Ereignis immer zum Sprechzeitpunkt ins Verhältnis (mehr dazu im Kapitel 5.1). Es wird angezeigt, ob etwas vor, nach oder während der Äußerung des Sprechers stattfindet, also ob ein Ereignis vergangen, zukünftig oder aktuell ist. Der Aspekt, der durch die ing- Komponente zum Tragen kommt, soll das Ereignis zu einem anderen, möglicherweise unabhängig vom Sprecher bestehenden Zeitpunkt ins Verhältnis setzen und anzeigen, wie weit sich seine Gültigkeit erstreckt (Zeitspanne vs. Zeitpunkt). Hierbei geht es um Ereignisse, die zu einem bestimmten Zeitpunkt schon abgeschlossen sind oder eben noch andauern. Die Aspektopposition macht es möglich, Ereignisse in andere einzubetten oder von ihnen abzugrenzen, Ereignisse zu staffeln und überlappen zu lassen. Im Englischen fällt es durch diese formale Trennung von Tempus und Aspekt leichter, diese beiden grammatischen Konzepte auseinanderzuhalten. In Sprachen, wie dem Französischen, ist dies nicht so einfach. Ein erster Faktor, der Probleme bereitet, ist die oben genannte formale Verschmelzung von Vergangenheit und Aspekt. Die Endung -it in écrivit zeigt gleichzeitig Vergangenheit und Abgeschlossenheit an; die Endung -ait Vergangenheit und Imperfektivität. Für Verben aus anderen Konjugationsklassen, wie zum Beispiel rentrer (‚zurückkommen‘), ist die perfektive Vergangenheitsendung jedoch -a. Es gibt im Französischen also keine einheitliche Form, die ausschließlich eine bestimmte Aspektualität unabhängig vom Tempus anzeigt. Für die Formen, die Vergangenheit und Perfektivität vereinen, besteht ein eigener Ausdruck: Aorist. Der Aorist existiert in Europa in den romanischen Sprachen sowie im Bulgarischen und im Griechischen (Thieroff 2000). Eine zweite Problematik ergibt sich daraus, dass die aspektuelle Opposition im Französischen (perfektiv/ imperfektiv) überhaupt nur für die Zeiten der Vergangenheit <?page no="74"?> 74 4 Aspekt existiert und nicht, wie im Englischen, für jedes Tempus generiert werden kann. Diese Verschmelzung führt oft dazu, dass Aspektualität und Vergangenheit in starken Zusammenhang gesetzt werden und eine Abgrenzung von „vergangenen“ und „abgeschlossenen“ Ereignissen schwerfällt. Hierbei gilt es zu beachten, dass einfach nur „abgeschlossene“ oder perfektive Ereignisse diese zeitliche Eigenschaft unabhängig von Tempora besitzen können. An den deutschen Beispielen in (17) sollte dies sichtbar werden. (17) a. Monet malte. b. Monet malte gerade, als unerwarteter Besuch erschien. Durch die Verwendung des Präteritums in (17a) und (17b) wird klar, dass es sich jeweils um vergangene Ereignisse handelt. Dieses Tempus verortet [Monet malen] zu einem Zeitpunkt, der vor der Sprechzeit angesiedelt ist. Jedoch kann nur eines der beiden Ereignisse als abgeschlossen angesehen werden - (17a). In (17b) wird ein konkreter Malvorgang vom Sprecher unterbrochen dargestellt, denn ein neues Ereignis [unerwarteter Besuch erscheinen] tritt ein. Der Fokus der Darstellung schwenkt auf dieses neue Ereignis um, und man weiß zuerst einmal nicht, wie es mit dem Malvorgang weitergeht. Obwohl [Monet malen] in (17b) also vergangen ist (Präteritum), ist dieser Vorgang dennoch nicht abgeschlossen (imperfektiver Aspekt). Im folgenden Kapitel wollen wir nun etwas mehr auf das Zusammenwirken von Tempus und Aspekt eingehen und eine Tempustheorie vorstellen, die die wichtigste Terminologie und die Grundzusammenhänge von Zeit und Tempus vermittelt. Im deutschen Perfekt werden wir eine Form kennenlernen, von der ein ums andere Mal diskutiert wurde, ob sie aspektuelle und temporale Eigenschaften vereint. Zusammenfassung Dieses Kapitel ist das erste, in dem eine grammatische Kategorie vorgestellt wurde. Es kontrastiert daher mit den vorhergegangenen Beschreibungen lexikalischer und kompositionell-semantischer Verbeigenschaften. Der Aspekt zeichnet sich, im Gegensatz zu Aktionsarten und Zeitschemata, nur durch zwei opponierende Ausprägungen aus: perfektiv und imperfektiv. Je nach Sprache kann diese Opposition derivationsmorphologisch (slawische Sprachen), flexionsmorphologisch (Englisch) oder auch durch zusammengesetzte syntaktische Konstruktionen (Deutsch) realisiert werden. Im Gegensatz zur perfektiven, kennt die imperfektive Aspektualität zwei weitere Untertypen. Die habituelle Lesart trifft auf Handlungen zu, bei denen durch ständiges Wiederholtwerden eine unabgeschlossene Interpretation hervorgerufen wird. Die Progressivform fokussiert auf den Abbzw. Verlauf einer konkreten Handlung und ist daher vorwiegend auf dynamische Verben beschränkt. Aspekt interagiert mit den Zeitschemata, welche Restriktionen für die aspektuelle Markierung hervorrufen können, aber auch mit den Tempora, die sich formal und inhaltlich mit Aspekt vermischen und dadurch den sogenannten Aorist erzeugen können. <?page no="75"?> 75 4.4 Abgeschlossenheit heißt nicht Vergangenheit Empfohlene Literatur Da Aspekt in den deutschen Grammatiken bislang keine große Rolle gespielt hat, existiert kein Einführungsbuch zu diesem Thema, wie wir es für Tempus oder Modus kennen. Ein absolutes Grundlagenwerk, welches sich diesem Thema aus typologischer Perspektive nähert ist jedoch Comrie (1976). In Dahl (2000) und Thieroff (2000) wird ein hervorragender Überblick über die Rolle gegeben, die Aspekt in den europäischen Sprachen spielt, sowie auf verschiedene formale Realisierungsmöglichkeiten hingewiesen. Van Pottelberge (2005) sowie Slater (1997), aber auch Svela (2010) bieten sehr weitläufige Untersuchungen zur deutschen am-Verlaufsform, mal aus historischer, mal aus Lerner-Sichtweise. Krause (1997) sowie Thiel (2008) gehen ins Detail zur Verwendungsweise, Verbreitung und den Restriktionen, die für die am-Verlaufsform, aber auch für andere deutsche Aspektkonstruktionen (dabei, bei etc.). Leiss (1992) schließlich zeichnet ein größeres Bild: Bei ihr wird Aspekt(ualität) als universelle Eigenschaft behandelt, die sich in unterschiedlichen Sprachen in verschiedenen Ausprägungen zeigt. Hier jedoch geht der Begriff Aspekt in das über, was wir in Kapitel 3 unter Zeitschema kennen gelernt haben. Für die französischen Zeiten der Vergangenheit sei auf De Swart (1998) verwiesen. Ein guter Überblick über das slawische Aspektkonzept wird m.E. in Steinitz (1981) speziell im Kontrast zum Deutschen sowie in Pepouna (2007) vermittelt. Andersson (1989) bietet interessante und wichtige Einsichten in die Interaktion von Aktionsart, Aspekt und Tempus. <?page no="77"?> 5 Tempus In diesem Kapitel werden wir den Formenreichtum und das breite funktionale Spektrum der deutschen Tempora kennenlernen. Einige dieser Tempora sind in ihren grammatischen Funktionen komplexer als andere und gute Beispiele für die Interaktion von Tempus, Modus und Aspekt. Hierunter fallen das Perfekt und das Futur I. Für diese beiden werden wir uns daher in die linguistische Theorie hineinwagen, während die anderen der sechs Tempora mehr in Bezug auf ihre Formenbildung und ihre Benutzung beleuchtet werden. Auch Problemstellungen für die Didaktik werden, wo nötig, thematisiert werden. Zuerst möchte ich aber ein Werkzeug vorstellen, welches dabei behilflich sein soll, uns überhaupt über den Zusammenhang von Tempus (einer grammatischen Kategorie) und Zeit (einer physikalischen Größe in der realen Welt) zu unterhalten. Dass dies zwei völlig unterschiedliche Dinge sind, macht folgendes Zitat aus von Stutterheim et al. (2009, 1f) klar. There is a clear distinction between an event […] and the description of a given event by some speaker on some occasion. A famous murder in the antique world involved two participants, Brutus and Caesar, some activity on the part of the former and some changes that happened to the latter: first, he was alive, and then, he was not alive. These and other features of the event - the time and the place at which it happened and the instrument which Brutus used - are part of reality. A speaker, faced with the task of giving a fairly accurate description of this event, has a number of options. He may or may not choose to take into account some of the entities - persons and objects - that are involved. […] He may decide to present this event as on-going, or as completed […]. The speaker may present the description in one clause, or distribute it over several clauses or sentences […]. There are many other options in giving a description of one and the same event. Man muss also unterscheiden zwischen dem, was passiert ist, und der Art, wie das Ganze sprachlich dargestellt wird. Wie wir in der Einleitung (Kapitel 1) schon gesehen haben, bezieht sich Tempus grammatikalisch aufs Verb. Das Verb ist die einzige Wortart, die für diese Eigenschaft markiert werden kann (aber nicht muss). Dies liegt daran, dass Verben Vorgänge beschreiben, die via Tempusmarkierung zeitlich verankert werden können. So wird dem Hörer angezeigt, wann etwas geschieht. Verben ohne Tempusmarkierung, die Thema in Kapitel 5.7 sein werden, zeigen nur an, dass etwas passiert, jedoch nicht, wann. Die Unterscheidung zwischen einem in der Zeit der realen Welt verankerten Ereignis und seiner sprachlichen Realisierung (der Verbalphrase, VP) ist jedoch manchmal nicht ganz einfach. Dies hat damit zu tun, dass auch in Grammatiken und Deutschunterricht solche Namensgebungen wie „die Zeiten der Vergangenheit“ benutzt werden, um auf bestimmte Tempora zu referieren. Hier wird also eigentlich mit dem Wort „Zeit(en)“ die grammatikalische Realisierung von Zeitrelationen bezeichnet, d.h. es soll angezeigt werden, ob sich etwas vor- oder gleichzeitig zur Sprechzeit abspielt - das sprachliche Mittel sollte jedoch mit dem Begriff „Tempus“ bezeichnet und von der Zeit selbst bzw. bestimmten Zeitpunkten oder -spannen in der realen Welt unterschieden werden. Im Folgenden werde ich mich also bemühen, die Begriffe „Tempus“ und „Zeit“ <?page no="78"?> 78 5 Tempus sehr systematisch für die grammatische Kategorie einerseits und die in Stunden und Minuten gemessene physikalische Größe andererseits zu verwenden. Um diesen Unterschied klar zu machen und ein Vokabular zur exakten Bezeichnung zur Verfügung zu stellen, wird in Kapitel 5.1 die Analyse der deutschen Tempora nach Reichenbach (1947) eingeführt. Dieses System wird hier für das Deutsche gezeigt, jedoch haben die darin benutzen Begrifflichkeiten auch Einzug in die Tempusdebatte in anderen Sprachen gefunden. Im nächsten Kapitel 5.2 wollen wir uns der Behandlung der deutschen Tempora in den Grammatiken widmen und überprüfen, welcher Katalog an morphologischen Paradigmen und Verwendungsweisen dort für das Deutsche dokumentiert wird. In Kapitel 5.3 kommen wir auf zwei Tempora zu sprechen, die offiziell mal als Tempora des Deutschen akzeptiert werden, mal davon ausgeschlossen bleiben: Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt. In Kapitel 5.4 und 5.5 wagen wir einen Exkurs in die linguistische Theorie. Insbesondere die Tempora Perfekt und Futur sind hier die Inspiration für zahlreiche Debatten über die Interaktion von Tempus, Aspekt und Modus gewesen. Deshalb soll ihnen hier besondere Aufmerksamkeit zukommen und ein Einblick in die Grundsatzdiskussion zu den grammatischen Kategorien gegeben werden. Das Futur ist in der germanistischen Theorie bekannt für seine modalen und temporalen Verwendungsweisen; seine Analyse bereitet den Boden für einige der Phänomene, die wir in Kapitel 6 kennenlernen werden. Das Kapitel 5.6 dient als Überblick über die bis dahin im Detail diskutierten Tempora; es setzt das deutsche Tempussystem ins Verhältnis zu Systemen in anderen Sprachen der Welt. Dieser typologische Exkurs soll das Deutsche hier in einen größeren Zusammenhang rücken und Vergleiche mit anderen Sprachen, wie beispielsweise dem Englischen, Französischen oder Finnischen, vereinfachen. Auch die Entstehung und Entwicklung von grammatischen Kategorien wird hier kurz anhand von Pidgin- und Kreolsprachen thematisiert. In Kapitel 5.7 werden zu guter Letzt Formen vorgestellt, die zwar ein Verbalgeschehen bezeichnen, jedoch ohne formale Tempusmarkierung auskommen, was auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint. Hierunter fallen im Deutschen die sogenannten Ereignisnominalisierungen (die Zerstörung der Stadt), welche komplexe Ereignisse in der komprimierten Form einer Nominalphrase (NP) realisieren und losgelöst von Tempus, also im Prinzip in abstrahierter Form, darstellen können. Ihnen werden jedoch aspektuelle Eigenschaften zugesprochen, die je nach Art der Nominalisierung variieren können. Ein weiteres interessantes Phänomen stellen im Deutschen infinite Formen dar, die kein Tempus, aber eine Modalität ausdrücken und zur Realisierung von Aufforderungen benutzt werden können (Aufstehen! / Aufgestanden! ). Hier soll diskutiert werden, wie Aufforderungsinterpretationen bei solch unterspezifizierten Formen überhaupt stattfinden können und so ein Bogen zum nächsten und letzten Kapitel (Modus) geschlagen werden. Beginnen wir nun jedoch mit der Einführung von Reichenbachs Analyse der deutschen Tempora und der grundlegenden Terminologie für diesen Themenbereich. 5.1 Reichenbachs Tempusdefinitionen In Reichenbach (1947) wird ein System zur semantischen Definition der deutschen Tempora vorgestellt, welches bestimmte Zeitpunkte als feste Größen beinhaltet. Diese <?page no="79"?> 79 5.1 Reichenbachs Tempusdefinitionen Definitionen sowie die dazugehörigen Fachtermini bilden noch heute die Grundlage für viele Tempustheorien. Reichenbach führt ein semantisches System ein, welches die deutschen Tempora Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und II als zusammengesetzte Konzepte versteht, die sich jeweils durch drei verschiedene Zeitpunkte definieren lassen. Diese drei Bezugszeiten heißen Sprechzeit (S), Ereigniszeit (E) und Referenzzeit (R). Im Folgenden werde ich diese drei Bezugszeiten immer grafisch durch fett, unterstrichen und kursiv kennzeichnen, um die Beispiele anschaulicher zu gestalten. Bei der Sprechzeit handelt es sich ganz einfach um den Augenblick, in dem ein Satz geäußert wird. Dieser Zeitpunkt bzw. dieses Zeitintervall befindet sich immer in der Gegenwart des Sprechers, der Hier-Jetzt-Ich-Origo (Bühler 1934). Von hier aus kann entweder nach vorne in die Zukunft oder zurück in die Vergangenheit geschaut werden. Ereignisse, die in Gegenwartstempora dargestellt werden, überlappen mit der Sprechzeit oder spielen sich ganz in ihr ab. Bei der Ereigniszeit handelt es sich um den Zeitpunkt oder die Zeitspanne, in dem das sprachlich ausgedrückte Ereignis tatsächlich stattfindet. Es wird immer relativ zur Sprechzeit betrachtet; dieses Verhältnis zwischen Sprech- und Ereigniszeit sorgt für die Untergliederung in Tempora der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Die Referenzzeit ist das abstrakteste Konzept. Im Großen und Ganzen handelt es sich um den Zeitpunkt oder die Zeitspanne, auf die man sich mit seiner Aussage bezieht und zu der man das Ereignis ins Verhältnis setzt. Sie wird in manchen Theorien auch als Betrachtzeit (Eisenberg 1994; Zifonun et al. 1997) bzw. Orientierungszeit (Zifonun et al. 1997; Duden 2009) oder Topikzeit (Klein 1994) bezeichnet. R stimmt zwar in manchen Fällen mit der Ereigniszeit überein (wie im Präsens beispielsweise), kann aber auch davon abweichen. Auf diese Weise kann eine zeitliche Staffelung von Ereignissen, wie z.B. bei Vor- oder Nachzeitigkeitsbeziehungen ausgedrückt werden (z.B. Plusquamperfekt). Dank der Referenzzeit kann man verschiedene Tempora der Vergangenheit, wie Präteritum, Perfekt und Plusquamperfekt unterscheiden oder auch die Futurtempora voneinander abgrenzen. Während alle Tempora der Vergangenheit dasselbe Verhältnis von S und E haben (E liegt vor S, nämlich in der Vergangenheit vom Sprecher aus gesehen), ist R jeweils eine andere. So definiert sich das Plusquamperfekt dadurch, dass es eine Vergangenheit vor der eigentlichen Vergangenheit bezeichnet, und somit R weit zurück liegt. Das Perfekt jedoch hat, wie wir an zahlreichen Beispielen sehen werden, oft Auswirkungen auf die Gegenwart. R reicht also bis in die Jetzt-Zeit hinein. Rothstein (2007, 15f) beschreibt auf umfassende und leicht verständliche Art die Definitionsprobleme, die in der Linguistik mit diesem Begriff bisher bestanden. DEFINITION S = Sprechzeit, Hier-Jetzt-Origo, Moment, in dem der Sprecher einen Satz äußert. E = Ereigniszeit, Zeitpunkt oder -intervall, zu dem ein Ereignis in der Welt stattfindet. R = Referenzzeit, Zeitpunkt oder -intervall, zu dem der Sprecher ein Ereignis sprachlich ins Verhältnis setzt. Schauen wir uns nun im Detail an, wie die deutschen Tempora durch S, E und R definiert werden können. Hierbei ist das Semikolon zu lesen als „findet gleichzeitig statt <?page no="80"?> 80 5 Tempus bzw. überlappt stark“ und das Größer-als-Zeichen (<) als „findet statt vor“. In (1) sehen wir nun zunächst die Tempora, die sich insbesondere durch ihr Verhältnis zum Sprechzeitpunkt definieren. Im Präsens in (1a) wird das Ereignis [Maria Fenster putzen] als gleichzeitig zur Sprechzeit, in (1b) als davor liegend und in (1c) als noch eintretend markiert. Die Referenzzeit R fällt für alle drei Tempora mit der Ereigniszeit selbst zusammen; das bedeutet, dass in diesen Fällen keine Vor- oder Nachzeitigkeit oder eine Referenz zu anderen Ereignissen vorliegen. (1) a. Präsens: S ; E ; R → Maria putzt die Fenster. b. Präteritum: E ; R < S → Maria putzte die Fenster. c. Futur: S < E ; R → Maria wird die Fenster putzen. In (2) sehen wir nun die Tempora, in denen die Referenzzeit eine entscheidende Rolle spielt. Die grafische Unterscheidung zwischen fett, unterstrichen und kursiv soll hier beim Verständnis der Beispiele helfen. Wie wir sehen, ist in allen drei Beispielen Peter fett markiert. Dies zeigt an, dass es einen Sprechzeitpunkt (S) gibt, zu dem Peter den Satz in Anführungszeichen äußert, in diesem Fall der jetzige Moment. In (2a) sehen wir das Perfekt. Im Vergleich mit dem Präteritum, welches einfache Vergangenheit bezeichnet, stellt das Perfekt einen Bezug zur Gegenwart her. Im Beispiel unten besteht der Bezug darin, dass das Ereignis selbst [Maria Fenster putzen] zwar in der Vergangenheit stattgefunden hat (daher unterstrichen und als Ereigniszeit gekennzeichnet), jedoch zum Jetzt, dem Zeitpunkt an dem Peter vor diesen Fenstern steht und ihre Sauberkeit bewundert, ins Verhältnis gesetzt wird. Das Jetzt ist die Referenzzeit. (2) a. Perfekt: E < R ; S → Peter: „Maria hat die Fenster geputzt“ [und jetzt sind sie sauber]. b. Plusquamperfekt: E < R < S → Peter: „Maria hatte die Fenster schon geputzt, als ich heimkam.“ c. Futur II: S < E < R → Peter: „Maria wird die Fenster schon geputzt haben, wenn wir heimkommen.“ Die Beispiele (2b) und (2c) zeichnen sich dadurch aus, dass E, R und S jeweils gestaffelt sind und nie zusammenfallen. Auch beim Plusquamperfekt wird Peter in fett markiert, da er als Sprecher das Jetzt repräsentiert. Das Ereignis [Maria Fenster putzen] ist, wie bei Perfekt und Präteritum, in der Vergangenheit und somit vor S angesiedelt. Jedoch wird hier Bezug auf ein weiteres Ereignis, in einer näher zum Sprechzeitpunkt gelegenen Vergangenheit genommen, welche durch Kursivmarkierung angezeigt wird und das Ereignis [ich heimkommen] beinhaltet. Auch in (2c) wird ein zweites Ereignis benutzt, um die Zeitbezüge in Relation zu setzen. Peters Sprechen des Satzes findet im zeitlichen Ablauf als Erstes statt, darauf folgt das Ereignis [Maria Fenster putzen] und erst dann [wir heimkommen]. Dies lässt sich in der Reihenfolge S < E < R ablesen. Es wird also auf eine noch weiter in der Zukunft liegende Gegebenheit Bezug genommen, zu der das Futur II ins Verhältnis gesetzt wird. <?page no="81"?> 81 5.2 Die sechs deutschen Tempora Aufgabe 10 Testen Sie nun, ob Sie die Tempusdefinitionen von Reichenbach verstanden haben. Führen Sie folgende Aufgaben durch und verdecken Sie dabei die Beispiele (1) und (2) in diesem Buch, sodass Sie nicht nachschauen können. Versuchen Sie, die Semantik der Tempora zu verstehen. 1. Was passiert in den Beispielen unten zu den Zeitpunkten S, E und R? 2. Erstellen Sie für jedes Beispiel eine Formel, die die drei Zeiten in Bezug zueinander setzt (wie in (1) und (2)). Sie können diese nun leicht aus Ihren Beobachtungen aus dem ersten Aufgabenteil ableiten. a. Maria: „Peter wird erst später kommen.“ b. Peter am Telefon: „Hallo Maria, wir sind jetzt gerade vom Urlaub heimgekommen.“ c. Peter am Telefon: „Guten Tag, ich hatte vor einer Stunde eine Pizza bestellt. Leider ist sie bis jetzt nicht geliefert worden.“ e. Maria am Telefon: „Na Peter, was machst du gerade? “ f. Maria am Telefon: „Na Peter, was machst du in letzter Zeit so? “ Wie wir in der Übung gesehen haben, hilft Reichenbachs Darstellung, die semantischen Unterschiede zwischen den einzelnen Tempora des Deutschen zu begreifen. Sie ist exakter als manch eine ausführliche Beschreibung in Grammatikbüchern; andererseits deckt sie, wie man am Beispiel (2e) in der Übung gesehen hat, auch nicht alle Verwendungsweisen der deutschen Tempora ab. Auch wenn, wie in Aufgabe (2e), Temporaladverbiale mit anderen zeitlichen Eigenschaften als das Tempus selbst auftreten, ist Vorsicht geboten, und die Konstellation von E, R und S muss möglicherweise überdacht werden. Im Folgenden soll nun ein Überblick über die sechs traditionellen deutschen Tempora, ihren Formen- und Verwendungsreichtum sowie ihre Behandlung in deutschen Grammatiken gegeben werden. 5.2 Die sechs deutschen Tempora Dieses Kapitel ist für all diejenigen geschrieben, die entweder Nachholbedarf in den Grundlagen der deutschen Grammatik haben oder sich (auch aus didaktischer Sicht) für die Behandlung der Tempora in deutschen Grammatikbüchern interessieren. Hierbei werde ich für jedes der sechs klassischen Tempora im Deutschen kurz durchgehen, 1. wie die Formbildung funktioniert bzw. welche Paradigmen vorliegen und 2. welche Verwendungsweisen in den Grammatiken genannt werden. Semantische und morphologische Problemstellungen für die linguistische Theorie werden hier nicht behandelt, sondern finden erst in den Kapiteln 5.4 bis 5.7 Beachtung. <?page no="82"?> 82 5 Tempus 5.2.1 Das Präsens Die Formen des Präsens Im Präsens unterscheiden wir bei der Formbildung die schwachen, die starken und die Mischverben (Duden 2009, 433f). Schwache Verben behalten den Infinitivstamm in allen Formen bei, wohingegen bei den starken Verben schon in der Präsenskonjugation ein Vokalwechsel stattfinden kann (geben - gibt) (Dreyer & Schmitt 2000, 37). Ein Test zur Erkennung starker Verben ist der Stammformentest. Die Stammformen beinhalten für jedes Verb den Infinitiv (gehen), das Präteritum (ging) und das Partizip II (gegangen). Wechselt ein Verb zumindest einmal innerhalb dieser drei Formen den Vokal, haben wir es i.d.R. mit einem starken Verb zu tun. Es gibt hierbei drei Ablautmuster, nach denen sich starke Verben einteilen lassen (Duden 2009, 452f): ABA, ABB und ABC. ABB ist das häufigste Muster. Hierunter fallen Verben mit ei oder ie im Infinitiv (3). Hierbei unterscheidet sich die Form des Infinitivs (A) von denen des Präteritums und des Partizips (beide Muster B) (3a). Ablautmuster ABC trifft auf Verben mit i- oder e- Laut im Infinitiv zu und ist das zweithäufigste (Duden 2009, 453) (3b). Verben mit a oder langem e im Infinitiv richten sich häufig nach Muster ABA. Hier haben Infinitiv (A) und Partizip (A) denselben Stammvokal (3c). (3) a. Muster ABB: beißen, biss, gebissen b. Muster ABC: schwimmen, schwamm, geschwommen c. Muster ABA: fahren, fuhr, gefahren Starke Konjugationsmuster können auch als formenreich oder unregelmäßig im weitesten Sinne 1 bezeichnet werden. Bei schwachen Verben bleibt der Vokal im Stammformentest gleich (lachen, lachte, gelacht). Schwache Verben sind auch daran erkennbar, dass sie ihr Partizip II auf -t bilden. Das Partizip der starken Verben hingegen endet auf -en. Außerdem ist für das Präteritum der schwachen Verben das silbeneinleitende t- Suffix charakteristisch (lach-te) (Duden 2009, 433). Die Mischverben weisen Bildungsmerkmale sowohl von der schwachen als auch von der starken Konjugationsklasse auf. Was den Vokalwechsel angeht, ähneln sie den starken Verben (denken - dachte); in ihrer Partizipbildung zeigen Sie jedoch dieselben Eigenschaften wie die schwachen Verben - sie enden auf -t und nicht auf -en (ge-dacht). Es ist durchaus möglich, dass Verben ihren Status hinsichtlich der Konjugation im Laufe der Zeit ändern können. So entwickeln sich für einige Verben speziell die Präteritumsformen vom starken hin zum schwachen Muster. In Tabelle 4 sehen wir einen Überblick über die Verben, die aktuell von solchen Veränderungen im Präteritum betroffen sind 2 . Solche diachronen Veränderungen weisen auf einen Abbau von Markiertheit in Flexionsparadigmen hin (Mayerthaler 1980; Wurzel 1984). Dies bedeutet, dass sich bei historischen Veränderungen im Bereich der Morphologie oder der Phonologie eher die schwachen Formen durchsetzen. Es ist also in der Grammatik ein Wandel von markierten (d.h. komplexen) zu unmarkierten (einfacheren) Formen beobachtbar. 1 Thieroff & Vogel (2012, 7) unterscheiden noch einmal zwischen „stark“ und „unregelmäßig“, wobei letztere Gruppe den hier genannten Mischverben entspricht. 2 Tabelle aus: http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ call/ public/ fragen.ansicht? v_id=73 <?page no="83"?> 83 5.2 Die sechs deutschen Tempora Infinitiv Schwache Form Starke Form backen backte buk bewegen bewegte bewog erschrecken erschreckte erschrak hängen hängte hing hauen haute hieb melken melkte molk pflegen pflegte pflog schaffen schaffte schuf stecken steckte stak Tabelle 4: Verben mit starker und schwacher Präteritumsform Die in Tabelle 4 genannten Verben befinden sich noch im Übergang vom starken zum schwachen Muster. Es gibt jedoch andere Verben im Deutschen, die diesen Wandel bereits komplett vollzogen haben und deren althochdeutsche starke Formen bereits aus dem kollektiven Sprechergedächtnis der Deutschen getilgt sind. Eines dieser Verben ist beispielsweise bellen, das heute in die schwache Klasse fällt (bellte, gebellt). Seine althochdeutschen Stammformen waren jedoch dem starken Konjugationsmuster ABC zuzuordnen: bellan, ball, gibollan 3 . DEFINITION Stammformen zeigen die drei verschiedenen Ausprägungen von Stämmen, die jedes Verb hat. Diese erkennt man in Infinitiv, Präteritum und Partizip II. Sie sind ein Indikator dafür, ob es sich um ein starkes oder ein schwaches Verb handelt. Kommen wir nun von den Stämmen zu den Suffixen. Die Flexionsendungen des Präsens sind für starke und schwache Verben gleich. Neu gebildete oder aus anderen Sprachen entlehnte Verben sind immer zuerst einmal schwach, wie man in Tabelle 5 sieht. Schwache Verben Präsens Stamm Starke Verben Präsens Stamm Präsensendung 1. Sg. 2. Sg. 3. Sg. 1. Pl. 2. Pl. 3. Pl. lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims geh|lauf|les|sprech|fahr geh|lauf|les|sprech|fahr geh|lauf|les|sprech|fahr geh|lauf|les|sprech|fahr geh|lauf|les|sprech|fahr geh|lauf|les|sprech|fahr -e -(e)st -t -en -(e)t -en Tabelle 5: Das Präsens Herausforderungen für die Bildung des Präsens ergeben sich also hauptsächlich bei den starken Verben, in Fällen, in denen ein Vokalwechsel stattfindet. Im Folgenden widmen wir uns nun der Verwendung dieser Formen. 3 http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ call/ public/ fragen.ansicht? v_id=73 <?page no="84"?> 84 5 Tempus Die Verwendungen des Präsens Intuitiv wird meist angenommen, dass das Präsenstempus Nicht-Vergangenheit ausdrückt und sich auf Ereignisse im Hier und Jetzt bezieht. Auf den zweiten Blick jedoch sind die Verwendungen des Präsens überraschend variationsreich. Zunächst einmal vereint das deutsche Präsens zwei aspektuelle Ausprägungen in einem Tempus: Man kann es für gerade andauernde Tätigkeiten benutzen (4a), aber auch für gewohnheitsmäßige, wiederkehrende Aktivitäten (4b), die sich demnach über Vergangenheit, Präsens und Zukunft erstrecken (Duden 2009, 505; Thieroff & Vogel 2012, 15). Daher spricht Weinrich (1993, 213) auch von einer „Neutral-Perspektive“, die das Präsens ausdrückt. Zeller (1994) benutzt gar den Ausdruck „Untempus“, um auf die atemporalen Eigenschaften des Präsens hinzuweisen. Gerade unveränderbare, zeitlose Wahrheiten lassen sich mit diesem Tempus beschreiben oder ein Ereignisraum, der, wie in der Aufgabe oben gesehen, in der Vergangenheit beginnt und bis in die Gegenwart andauert (Weinrich 1993, 214). (4) a. Peter raucht (gerade). b. Peter raucht (gewohnheitsmäßig). c. Die Erde ist rund. d. Ich arbeite zurzeit nicht. e. Ich fahre nach Hamburg. Auch rein futurische Bezüge (4e) sind denkbar, werden allerdings meist durch ein zukunftsbezogenes Adverbial (morgen) im Satz kenntlich gemacht (Vater 2007). Der Zusammenhang von präsentischen und zukünftigen Aktionen wird dadurch erklärt, dass in Sätzen wie (4e) schon in der Gegenwart eine Handlungsabsicht besteht, die eigentliche Verwirklichung der Handlung jedoch erst in der Zukunft ausgeführt wird (Duden 2009, 506). Die Zeitspanne, die das Präsens umfasst, kann daher unterschiedlich groß sein (Fabricius-Hansen 1991). Gerade in den Beispielen in (4a) und (4c) wird das deutlich. Zifonun et al. (1997, 1692) fassen dies so zusammen: Das Präsens legt die relative Lage von Sprechzeit [S] und Betrachtzeit [R] nicht fest. Die Betrachtzeit kann aus dem Kontext oder über Räsonnements erschlossen werden. Ein Satz im Präsens ist wahr, wenn das von dem tempuslosen Satzrest denotierte Ereignis an einem Intervall stattfindet, das mit der Betrachtzeit überlappt. Das Präsens lässt die zeitliche Festlegung semantisch offen. Ein Spezialfall unter den Präsensverwendungen ist das Präsens historicum (Vater 2007, 50). Es unterscheidet sich von allen anderen Präsensbedeutungen darin, dass kein Teil des Ereignisses bis in die Gegenwart hineinreicht oder mit ihr überlappt. Semantisch wird eine Übertragung angenommen. (5) Am 15. März 1815 fahren um Mitternacht zwölf Wagen in den Hof des Tuilerienpalais. <?page no="85"?> 85 5.2 Die sechs deutschen Tempora Für solch eine historische Deutung des Präsens muss allerdings eine adverbiale Zeitangabe erfolgen, die das Ereignis klar in der Vergangenheit verankert, damit der Hörer die „Standpunktverlegung“ (Zifonun et al. 1997, 1696) nachvollziehen kann. Ähnliche Typen von Präsensverwendungen liegen beim szenischen und beim epischen Präsens vor. Während das historische Präsens - wie in (5) zu sehen ist - meist zur Beschreibung historischer Fakten dient, wird das epische Präsens als Erzähltempus in fiktionalen Texten und das szenische Präsens eher in mündlichen Erzählungen verwendet (6). Alle drei Typen haben gemeinsam, dass sie vergangene Ereignisse lebendig erscheinen lassen sollen (Duden 2009, 506) bzw. „für einen Moment der Erzählung den Eindruck der unmittelbaren Handlungswelt“ verkörpern (Weinrich 1993, 219). (6) Stehʼ ich gestern an der Haltestelle, rauscht der 42-er vorbei ohne anzuhalten. Ich winke so und schreie hinterher, aber der Fahrer kriegt nichts mit. Insgesamt kommt das Präsens oft ohne Zeitadverbiale aus, kann aber dennoch besonders in seinen Funktionen als gegenwarts- oder zukunftsbezogen entschlüsselt werden. Dies liegt v.a. in den Zeitschemabedeutungen verschiedener Verben begründet. So sind punktuelle Ereignisse in Präsenstempus ausschließlich mit Jetzt-Bezug zu interpretieren. (7a, 7b). Daher weisen Behaghel (1924), Saltveit (1960) und Welke (2005) darauf hin, dass beispielsweise Achievements in Präsensform generell eine zukünftige Komponente innewohnt, wenn nicht angenommen werden soll, dass sie zeitgleich zur Sprechzeit passieren. Auch andere eher durative Ereignisse, die einen Endpunkt in der Zukunft besitzen, wie Accomplishments, können ohne die Hilfe von Adverbialen eine Zukunftsbedeutung entwickeln (7c). Hierbei liegt die Vollendung der Handlung in der nahen oder weiteren Zukunft, ist aber äußerst wahrscheinlich (Vater 2007; Duden 2009). Aktivitäten sind in Präsensverwendung ohne Adverbiale und weiteren Kontext oft schwierig zu interpretieren, da sie immer eine Gewohnheits- und eine Vorgangslesart mit sich führen (7d). (7) a. Es blitzt. b. Peter entdeckt den Schatz. c. Peter baut ein Haus. d. Peter raucht. Doch welches sind nun die Hauptfunktionen des Präsens und welches eher außergewöhnliche Verwendungsweisen? Di Meola (2013, 30) unterscheidet drei Sichtweisen, nach denen das Präsens in der germanistischen Forschung bisher betrachtet wurde: 1) das Präsens als neutrales Tempus 2) das Präsens als Tempus der Nicht-Vergangenheit 3) das Präsens als Tempus der Gegenwart Bei Ek (1996) kommen folgende Perspektiven hinzu: 4) das Präsens mit mehreren temporalen Bedeutungen 5) das Präsens ist kein Tempus <?page no="86"?> 86 5 Tempus Auf den ersten Blick scheinen sich einige dieser Perspektiven zu doppeln. Ist Präsens- Tempus nicht automatisch dasselbe wie Nicht-Vergangenheitstempus? Und was ist der Unterschied zwischen neutralem und keinem Tempus? Sichtweise eins ergibt sich aus den vielen, schwer unter einen Hut zu bringenden Verwendungsweisen, die oben schon genannt wurden und die Zukünftiges, Präsentisches und Vergangenes betreffen können. Ballweg (1988) weist dem Präsens recht wenig eigene Temporalität zu und definiert als vage Grundbedeutung, dass beim Präsens einfach in allen möglichen Interpretationen Faktzeit (ähnlich wie bei Reichenbach Ereigniszeit) 4 und Betrachtzeit (ähnlich wie bei Reichenbach Referenzzeit) überlappen. Die drei Bezüge, die das Präsens nun haben kann (Gegenwärtiges, Vergangenes, Zukünftiges) erklären sich daraus, dass das zusammengehörige Paar aus Betracht- und Faktzeit gemeinsam vor oder hinter die Sprechzeit verschiebbar ist. Ist im Kontext nichts Genaueres angegeben, nimmt man an, dass Betracht- und Faktzeit mit der Sprechzeit überlappen, woraus sich die gewöhnliche Präsensbedeutung ergibt. In Fällen wie dem historischen Präsens wird beispielsweise durch Adverbiale angezeigt, dass Betracht- und Faktzeit in die Vergangenheit verschoben werden. In Bezug auf vergangenheitsbezogene Verwendungen des Präsens mag diese Analyse eine Erklärung liefern; im Kapitel 5.2.5 zum Futur werden wir jedoch sehen, dass das Präsens keine zukunftsbezogenen Adverbiale braucht, um eine Futurbedeutung zu generieren. Eine ähnlich allgemeine Beschreibung, die jedoch eher die Sprechhaltung als eine temporale Eigenschaft betrifft, wird z.B. in Weinrich (1993) gegeben. Nach seiner Auffassung wird im Präsens besprochen, was den Hörer „unmittelbar angeht“ (Engel 2004, 267). Vertreter der zweiten Sichtweise weisen Verwendungen wie historisches, episches oder szenisches Präsens eher als übertragene Bedeutungen, nicht wirkliche Vergangenheitsreferenz, zurück und sehen die temporale Hauptaufgabe des Präsens in der Darstellung von Präsentischem und Zukünftigem (z.B. Thieroff 1992; Ek 1996). Bei der Betrachtung des Präsens als Tempus der Gegenwart wird davon ausgegangen, dass das Präsens eine konventionelle Grundbedeutung, nämlich die Kennzeichnung von präsentischen Vorgängen, hat und daraus andere Varianten, je nach Kontext, abgeleitet werden können (z.B. Grewendorf 1982; Welke 2005). Das Präsens mit mehreren temporalen Bedeutungen wird bei Steube (1980) diskutiert. Er nimmt für das historische Präsens eine wirkliche Vergangenheitsreferenz an, was im Gegensatz zu den bisher erwähnten Theorien steht (Ek 1996, 18). Zeller (1994) schließlich, Vertreter der fünften o.g. Perspektive, geht so weit, das Präsens einfach nur noch als „temporal unspezifizierte Erscheinungsform des Verbs“ (Ek 1996, 10) einzuordnen. Ausschlaggebend sind für ihn Beispiele, wie Wasser gefriert bei 0 Grad, die außerhalb der Zeit angesiedelt und nicht messbar sind. Im Kapitel 5.6 werden wir uns noch weiter damit beschäftigen, welchen der anderen klassischen Tempora in der linguistischen Theorie bereits ihr Status als Tempus abgesprochen wurde. Der gemeinsame Nenner, auf den sich viele dieser Sichtweisen bringen lassen, ist die aktuelle Relevanz, die im Präsens geäußerte Sätze für den Sprecher haben - da spielt es auch keine Rolle mehr, ob es sich eigentlich um Vergangenes handelt, wie es beispielsweise beim historischen Präsens der Fall ist. Der Sprecher erlebt ein Ereignis noch einmal und macht es durch die Verwendung des Präsenstempus für das Jetzt 4 Ballweg (1988) operiert mit Begiffen, wie z.B. Faktzeit, Aktzeit oder Betrachtzeit, die ich allerdings hier nicht einführen möchte. Daher versuche ich immer eine Ähnlichkeit zu Reichenbachs Terminologie herzustellen, auch wenn natürlich Unterschiede in der Definition bestehen. <?page no="87"?> 87 5.2 Die sechs deutschen Tempora relevant. Im Folgenden wenden wir nun den Blick in die Vergangenheit und uns dem Perfekt zu. 5.2.2 Das Perfekt Die Formen des Perfekts Das Perfekt ist eine analytische, d.h. zusammengesetzte Zeitform. Sie wird aus der Präsensform der Verben haben oder sein und dem Partizip II des Hauptverbs gebildet. Hierbei bestehen speziell für den Fremdsprachenlerner, aber auch für den Muttersprachler im regionalen Kontext zwei Arten von Herausforderungen. Zuerst muss das richtige Hilfsverb ausgewählt werden (8). (8) a. Ich hab-e ge-rauch-t. b. Ich bin ge-lauf-en. Normalerweise wird die Wahl des Hilfsverbs gerade bei der Gruppe der Bewegungsverben von der Argumentstruktur des Hauptverbs beeinflusst: Transitive Verben wählen haben, intransitive sein (Dreyer & Schmitt 2000, 63). In (9) wird in beiden Beispielen das Verb fliegen verwendet. Nur in (9b) jedoch liegt zusätzlich zum Subjekt (Bruce Dickinson) ein direktes Objekt vor (das Flugzeug von Iron Maiden). Dies sorgt für die unterschiedliche Wahl des Auxillares. (9) a. Bruce Dickinson und seine Jungs von Iron Maiden sind um die Welt geflogen. b. Bruce Dickinson persönlich hat das Flugzeug von Iron Maiden an die verschiedenen Auftrittsorte geflogen. Andere Verben dieser Klasse, von denen jedoch nicht alle beide Alternationen aufweisen, sind aufstehen, fahren, fallen, gehen, kommen, reisen, begegnen. Ansonsten lässt sich die Wahl des Hilfsverbs sein daran festmachen, dass die Semantik des intransitiven Hauptverbs eine Zustandsänderung aufweist. Hierbei kann die Zustandsänderung von ingressiver/ inchoativer (10a) oder von egressiver Natur sein (10b) (siehe Kapitel 2 zu den Aktionsarten des Deutschen). (10) a. Ich bin aufgewacht/ eingeschlafen/ gewachsen. b. Er ist gestorben/ ertrunken/ umgekommen/ erstickt. Das Auxiliar haben wird von allen transitiven 5 (11a) und allen reflexiven Verben gewählt (11b). Hinzukommen die Modalverben (11c) und Verben, die ein Dativobjekt fordern, aber keine Bewegung bezeichnen (11d). Eine weitere Gruppe sind intransitive 5 Hierbei ist zu beachten, dass manche dieser Verben in einer transitiv/ intransitiv-Alternation vorkommen können: (i) Peter hat ein Brot gegessen. (ii) Peter hat gegessen. Auf die Wahl des Hilfsverbs hat das keine Auswirkung. <?page no="88"?> 88 5 Tempus Verben, die keine Bewegung oder Zustandsänderung, sondern eher einen lokalen Zustand beschreiben (11e) (Dreyer & Schmitt 2000, 63). (11) a. bauen, fragen, essen, hören, lieben, machen, öffnen … b. sich beschäftigen, sich bemühen, sich rasieren … c. dürfen, können, mögen, müssen, sollen wollen … d. antworten, danken, drohen, gefallen … e. hängen, liegen, sitzen, stehen, stecken … Gerade die letzte Gruppe (11e) sorgt auch im regionalen Kontext unter deutschen Muttersprachlern immer wieder für Diskussionsbedarf. Hierzu sehen Sie einen Auszug aus einem Grammatikforum 6 , in dem die Frage des Hilfsverbs bei Verben wie stehen diskutiert wird. (12) Frage: „Im Stau stehen! Ich bin oder habe zwei Stunden im Stau gestanden? “ Antwort 1: „Korrekt ist habe/ hat ... gestanden; in Süddeutschland hörst du aber auch bin/ ist ... gestanden. […]“ Antwort 2: „"Korrekt ist", wirklich, Kürbis? Ich plädiere dafür, dass es gleichwertige Varietäten sind.“ Antwort 3: „[…] Auch wenn der Duden und andere Grammatikwerke beide Formen als korrekt anerkennen, würde ich sie keineswegs als "gleichwertig" bezeichnen, denn die Nord-Süd-Teilung gilt da sehr strikt. Im Norden wird "ich bin gestanden" als falsch empfunden und von Lehrern ggf. korrigiert. Mag sein, dass es im Süden genau umgekehrt ist oder vielleicht ist man dort in diesem Punkt auch toleranter, auf jeden Fall aber sollte sich jeder Deutschlerner bewusst sein, dass er sich mit der Wahl des Hilfsverbs eindeutig einer Regionalfraktion anschließt.“ Im süddeutschen Raum sind etwa Sätze wie in (13) zu hören (Dreyer & Schmitt 2000). (13) a. Als das Päckchen geliefert wurde, bin ich noch im Bett gelegen. b. Ich bin schon über eine halbe Stunde am Treffpunkt gestanden. Hat man sich erst einmal für ein Hilfsverb entscheiden, stellt sich nun die Frage, ob das Hauptverb zur starken, zur schwachen oder zur Mischkonjugation gehört. Diese Information ist wichtig, um das Partizip korrekt bilden zu können. Fremdsprachenlernerinnen sollten hier für jedes Verb die Stammformen auswendig gelernt haben, denn allein das Aussehen eines Verbs gibt uns wenig Aufschluss darüber, in welche Klasse es gehört. Die Zuordnung zum starken oder zum schwachen Muster entscheidet darüber, ob das Partizip auf -en oder -t endet (gelaufen vs. gefragt). Das gemischte Muster folgt hier der schwachen Konjugation und endet auf -t. Außerdem ist bei komplexen Verben für die Bildung des Partizips relevant, ob sie trennbar oder untrennbar sind. Je nachdem weist ihr Partizip seine charakteristische ge-Markierung auf (14a) oder eben nicht (14b). 6 http: / / dict.leo.org/ forum/ viewGeneraldiscussion.php? idThread=1177158 <?page no="89"?> 89 5.2 Die sechs deutschen Tempora (14) a. Peter hat aus Versehen das kleine Kind um-ge-fahr-en. b. Ich habe die Baustelle weiträumig um-fahr-en. Für deutsche Muttersprachlerinnen wird dieses Kriterium bei entlehnten komplexen Verben, wie downloaden oder upgraden relevant. (15) a. Ich habe die Dokumente up-ge-load-et/ ge-upload-et. b. Hast du dein Avira schon up-ge-grad-et/ ge-upgrad-et? Je nachdem, ob das entlehnte Verb vom deutschen Sprecher als komplex oder simplex wahrgenommen wird, schiebt sich das gebeim Partizip zwischen die beiden Wortteile oder davor. Oft wird in Analogie zum deutschen herunterladen ein komplexes Wort angenommen und die erste Variante gewählt (herunter-ge-lad-en). Das Duden Online- Wörterbuch nennt diese Variante als die einzig richtige 7 , wobei aus linguistischer Sicht die zusammengesetzte Form (ge-download-et) genauso sinnvoll ist. Bei entlehntem Material lassen sich oft keine Annahmen zum inneren morphologischen Aufbau eines Wortes machen (speziell für Sprecher, die des Englischen nicht mächtig sind). Somit wird jegliches entlehnte Wortgut einfach als Simplex interpretiert (vgl. z.B. King 2000, Matras 2007 zur Transparenz von morphologischen Entlehnungsprozessen). Die Verwendungen des Perfekts Wie wir gesehen haben, existieren bei der Bildung der Perfektformen einige Punkte, bei denen Diskussionsbedarf besteht. Die Verwendung des Perfekts stellt sich in manchen Grammatiken als überraschend einfach dar. Speziell DaF-Grammatiken nennen als Hauptfunktion des Perfekts die Vergangenheitsdarstellung in der wörtlichen Rede bzw. der gesprochene Sprache (z.B. Dreyer & Schmitt 2000, 325), und auch im DaF- Unterricht ist immer wieder feststellbar, wie leicht sich Lernerinnen mit der Verwendung dieser Form tun. Am Ende dieses Unterkapitels werden wir noch mehr über die Verteilung von Perfekt und Präteritum auf die gesprochene und die geschriebene Sprache hören. Im Duden (2009, 507) weist man auf die Vergangenheitsbedeutung des Perfekts, seinen Gegenwartsbezug und seinen Vorzeitigkeitscharakter hin, bleibt aber in Bezug auf seine semantischen Besonderheiten eher vage. „Wichtig ist vor allem, dass der Bedeutungsbeitrag in hohem Maße von anderen Elementen innerhalb des Satzes, vom weiteren sprachlichen Kontext und vom allgemeinen Hintergrund abhängt.“ Die Debatten, die in der linguistischen Theorie speziell für dieses Tempus geführt werden, werden in den meisten Grammatiken (möglicherweise zu recht) übergangen oder aber auf kurze und einfache Erklärungen heruntergebrochen. Weinrich (1993, 223) merkt an, dass „man sich mit dem Perfekt in weitaus den meisten Fällen auf Vergangenes bezieht. Dadurch kommt es zu einer gewissen Überlappung und Konkurrenz mit dem Präteritum, insofern dieses Tempus […] ebenfalls Vergangenes zum Gegenstand hat.“ Im Gegensatz zum Präteritum, welches als erzählend und in einer vergangenen Situation verankert gilt, hat das Perfekt immer eine Art 7 http: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ downloaden <?page no="90"?> 90 5 Tempus Relevanz für die Gegenwart. Weinrich (1993) attestiert diesem Tempus außerdem die Funktion eines „Fazits“ für eine bestehende Situation sowie „raffende“ erzählerische Eigenschaften. Im Theoriekapitel zum Perfekt (5.4) werden wir uns genau mit diesen semantischen Besonderheiten im Detail beschäftigen. Als Überleitung zum nächsten Unterkapitel möchte ich nun noch einmal auf die Debatte um die Verteilung von Präteritum und Perfekt auf die geschriebene bzw. gesprochene Sprache eingehen. Jäger (2007) weist darauf hin, dass in der DaF-Literatur drei Regeln gängig sind, die von der germanistischen Forschung so nicht ohne Weiteres bestätigt werden können. So wird in DaF-Grammatiken oft vorausgesetzt, dass Perfekt und Präteritum gegeneinander austauschbar, textsortenspezifisch und regionenspezifisch sind. Dass diese beiden Tempora eben nicht in allen Kontexten gegeneinander ausgetauscht werden können, werden wir in unserem Spezialkapitel zum Perfekt (5.4) sehen. Dass sie teilweise zumindest jedoch in gesprochener und geschriebener Sprache in anderen Häufigkeiten verteilt sind, bestätigt beispielsweise die Studie von Hennig (2000, 179ff). Danach besteht speziell in der gesprochenen Umgangssprache eine Tendenz, ausschließlich Perfekt zu verwenden. In einer Analyse von Talkshows wurde hierbei festgestellt, dass 56,14% Perfektformen 43,86% Präteritumsformen gegenüberstanden. Was auf den ersten Blick relativ ausgeglichen wirkt, wurde relativiert durch die Betrachtung der Verben, die in die eine oder die andere Klasse fallen. So wurden 86,8 % der Präteritumsformen von folgenden immer wiederkehrenden Verben abgedeckt: denken, dürfen, geben, haben, können, kommen, müssen, sagen, sein, stehen, werden, wissen, wollen. Hierbei handelt es sich um Hochfrequenzverben, bei denen vermutlich die Kürze der Form (ich war vs. ich bin gewesen) über die Schwierigkeiten bei der Bildung des Präteritum siegt. Auch Jäger (2007, 97) bestätigt „regionale und varietätenspezifische Unterschiede“, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die „DaF-Regel […] die sprachliche Realität vereinfacht.“ Welke (2005, 314) attestiert, dass in Fällen, in denen eine solch frequente Verwendung des Perfekts vorliegt wie etwa in der gesprochenen Umgangssprache, die „semantische Opposition von Perfekt und Präteritum“ verloren geht. Auch regionale Unterschiede bei der Verwendung des Perfekts werden von Welke (2005, 315) bestätigt: „In einzelnen Dialekten und Umgangssprachen des Deutschen ist die Ablösung des Präteritums durch das Perfekt bereits weitestgehend erfolgt, und das Perfekt ist hier ein einfaches Vergangenheitstempus ohne spezifische Perfekt-Effekte.“ So können gewisse Funktionen und semantischen Besonderheiten des Perfekts auch aus der Perspektive des Sprachwandels analysiert werden (vgl. auch Rothstein (2007, 48) zum Präteritumsschwund in den oberdeutschen Dialekten und dem Schweizerdeutschen). 5.2.3 Das Präteritum Die Formen des Präteritums Zur Bildung des Präteritums wird bei den starken Verben ein anderer Stamm als im Präsens benutzt (Ablaut). Hier kommen die schon zuvor erwähnten Stammformen ins Spiel. In diesem Tempus sind jedoch zusätzlich auch die Endungen für die beiden Konjugationsklassen (stark - schwach) unterschiedlich, wie man in Tabelle 6 sehen kann. Selbst im schwachen Paradigma, wo sich der Stammvokal nicht ändert, tritt zumindest <?page no="91"?> 91 5.2 Die sechs deutschen Tempora ein anderes Suffix auf als im Präsens. Das -te-Suffix gilt hier als Erkennungszeichen des Präteritums (Thieroff & Vogel 2012, 13). Das Präteritum ist das Tempus, welches unter Fremdsprachenlernern oft sehr stiefmütterlich behandelt wird, da seine Bildung aufgrund der Formenvielfalt als eher schwierig empfunden wird und das Perfekt im Deutschen bereits viele Funktionen des Präteritums abdeckt. In der gesprochenen Alltagssprache ist das Präteritum insgesamt verhältnismäßig rar - einige hochfrequente Verben bilden hier die Ausnahme - und auch für deutsche Muttersprachler stellt die korrekte Bildung von solch seltenen Formen, wie der 2. Person Singular Präteritum aktiv Indikativ eine Herausforderung dar. Oder wann waren Sie zum letzten Mal in der Situation, die Formen in (16) bilden zu müssen? (16) du fraßt/ gebarst/ genossest/ gossest/ littst/ rissest/ soffst/ leitetest/ bürstetest etc. Jäger (2007, 98) weist jedoch darauf hin, dass gerade die 2. Personen des Präteritums im Norddeutschen viel häufiger sind als im Süddeutschen. Als hochfrequente Präteritumsformen in der gesprochenen Sprache (Thieroff & Vogel 2012, 19) gelten vor allem die der Verben haben und sein sowie die der Modalverben. Die Funktionen des Präteritums Das Präteritum konkurriert, wie zuvor schon angesprochen, in seiner Vergangenheitsfunktion mit dem Perfekt. Verantwortlich dafür ist, dass die Ereigniszeit bei beiden vor der Sprechzeit angesiedelt ist, d.h E < S. Somit sind sie beide Tempora der Vergangenheit. Während das Perfekt seinen Referenzpunkt jedoch in der Gegenwart hat, ist der des Präteritums in der Vergangenheit angesiedelt. Daher eignet sich das Präteritum besonders für Ereignisse, die keine Auswirkung auf die Gegenwart mehr haben und gänzlich in der Vergangenheit liegen. Im Gegensatz zum Perfekt ist hier die Betrachtbzw. Referenzzeit recht unflexibel (Zifonun et al. 1997, 1697). Die „prototypische Funktion“ des Präteritums ist jedoch, dass es als „Leittempus der erzählten Welt“ (Weinrich 1993, 219) gilt und im Gegensatz zum Präsens, dem „Leittempus der besprochenen Welt“ (Weinrich 1993, 219) steht. Hierbei können entweder Sequenzen eine konstant in der Vergangenheit liegende Referenzzeit (z.B. Beschreibung einer Szenerie; Hintergrunddetails (17)) oder eine innerhalb der Vergangenheit voranschreitende Referenzzeit (Aufeinanderfolgen von Ereignissen in der Vergangen- Schwache Verben Präteritum Stamm Endung Starke Verben Präteritum Stamm Endung 1. Sg 2. Sg 3. Sg 1. Pl 2. Pl 3. Pl lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims lach|frag|skyp|blanchier|sims -te -test -te -ten -tet -ten ging|lief|las|sprach ging|lief|las|sprach ging|lief|las|sprach ging|lief|las|sprach ging|lief|las|sprach ging|lief|las|sprach --(s)t --en -t -en Tabelle 6: Das deutsche Präteritum <?page no="92"?> 92 5 Tempus heit (18)) verkörpern (Zifonun et al. 1997, 1698). Die folgenden Beispiele sind aus der deutschen Übersetzung von Tom Sawyer. (17) Herr Walter war ein äußerst gewissenhafter und ehrlicher Mensch. Er behandelte Religion und geheiligte Orte mit solcher Ehrfurcht, dass seine Stimme in der Kirche einen besonderen Klang annahm. (18) Mit dem Auge eines Künstlers betrachtete Tom seinen letzten Pinselstrich. Dann fügte er noch einen eleganten Schwung hinzu und begutachtete wieder sein Werk. Ben warf sich neben Tom ins Gras und biss in seinen Apfel. Tom lief das Wasser im Mund zusammen, aber er malte unbeirrt weiter. In (17) werden Eigenschaften des Herrn Walter dargestellt, d.h. die Hintergrunddetails zum Verständnis der Figur werden vermittelt. In (18) hingegen wird eine Handlungskette innerhalb der Vergangenheit beschrieben. Auf Ereignis 1 (betrachten) folgt Ereignis 2 (hinzufügen), darauf Ereignis 3 (begutachten) usw. Im Bereich Deutsch als Fremdsprache, wo die Hauptunterscheidung zwischen Präteritum und Perfekt im schriftlichen und mündlichen Gebrauch liegt, wird das Präteritum als „Schreibtempus für literarische und berichtende Texte“ (Dreyer & Schmitt 2000, 325) vorgestellt. Diese Fixierung auf den Gebrauch des Präteritums in der geschriebenen Sprache ist allerdings mit einigem Misstrauen zu sehen, zumal auch über den gesprochenen Kanal „erzählt“ werden kann. Auch ist die Einschätzung des Präteritums als eine Art gehobenen Stils in der mündlichen Sprache nicht so ohne Einschränkungen angebracht. Man denke an die Großmutter, die ihren Enkeln eine Gute-Nacht- Geschichte erzählt (Dreyer & Schmitt 2000, 326). Diese wird mit großer Wahrscheinlichkeit die einleitenden Worte „Es war einmal …“ beinhalten und auch sonst hauptsächlich im Präteritum präsentiert werden, ohne in irgendeiner Weise abgehoben zu klingen. Im Gegenteil - im Kontext einer Erzählung wird das Präteritum als natürlich empfunden und geradezu erwartet. Dies weist darauf hin, dass der funktionale Schwerpunkt dieses Tempus wohl tatsächlich eher eine Frage der Welt, in der sich ein Ereignis abspielt, ist, als eine Frage des Kanals, durch den ein Ereignis verbalisiert wird. Weinrich (1993, 213ff) stellt den Unterschied zwischen Präsens und Präteritum durch zwei semantische Merkmale dar, die diesen beiden Tempora innewohnen. Das Präsens besitzt ein [BEREITSCHAFT] Merkmal, welches dem Hörer signalisiert, dass er über die Wahrheit einer im Präsens ausgedrückten Prädikation sofort und augenblicklich entscheiden kann, indem er das Gesagte mit der realen Welt abgleicht und so möglicherweise den Sprecher direkt in Frage stellen kann. Das Präteritum hingegen hat das Merkmal [AUFSCHUB] inne, was dem Hörer signalisiert, eine Prädikation vorerst einmal als gegeben zu akzeptieren, zumal sie gerade im Moment des Sprechens sowieso nicht überprüfbar ist. „Der Hörer soll also seine Handlungsbereitschaft [zu widersprechen] eine Zeitlang ruhen lassen, und entspannt, mit Gelassenheit zuhören“ (Weinrich 1993, 219). Diese Unterscheidung charakterisiert m.E. die besondere Voraussetzung, die das Präteritum als „Erzähltempus“ mitbringt, sehr passend. Auch später im Kapitel über den gesprochenen und geschriebenen Gebrauch werden wir darauf zurückkommen. <?page no="93"?> 93 5.2 Die sechs deutschen Tempora Aufgabe 11 a) Setzen Sie die Verben in Klammern in Perfekt oder Präteritum. b) Nach welchen Kriterien haben Sie die jeweiligen Tempora ausgewählt? Maria und Peter (stehen) am Fenster und (schauen) auf die Straße. Die Sonne (scheinen) und die Vögel (singen). Draußen (laufen) Tom vorbei. Er (hinken). Maria: „Tom sich (verletzen)? “ Peter: „Ich (hören), dass er neulich einen Unfall (haben). Ein Auto ihn (anfahren).“ Maria: „Der hat aber auch ein Pech. Letztes Jahr (haben) er schon den ganzen Sommer einen Gips und vorletztes Jahr (kommen) er immer mit Krücken in die Uni.“ 5.2.4 Das Plusquamperfekt Die Formen des Plusquamperfekts Wie das Perfekt, ist das Plusquamperfekt ein analytisches Tempus. Wenn man die Bildung der Perfektformen verstanden hat, tut man sich mit dem Plusquamperfekt normalerweise nicht mehr schwer. Der einzige Unterschied zum Perfekt besteht darin, dass das Hilfsverb haben oder sein nicht im Präsens, sondern im Präteritum vorkommt: ich hatte gesungen/ ich war gegangen. Sehr viel mehr Information findet man zu den Formen dieses Tempus weder in den deutschen noch in den DaF-Grammatiken (Weinrich 1993; Zifonun et al. 1997; Dreyer & Schmitt 2000; Duden 2009; Thieroff & Vogel 2012). Auch hier sei für die Bildung des Partizips II, welches den einen Teil der Plusquamperfektform ausmacht, auf das Perfektkapitel verwiesen. Die Funktionen des Plusquamperfekts Auch was seine Verwendung angeht, wird das Plusquamperfekt in den Grammatiken als eher unkompliziert behandelt. Anders als beispielsweise das Präsens hat es nur eine Funktion: Es drückt eine weit zurückliegende Vergangenheit aus. Steht es in Bezug zu einem anderen Ereignis in einer zum Jetzt näheren Vergangenheit, spricht man auch von Vorvergangenheit. Das bedeutet nichts weiter, als dass das Ereignis mit Plusquamperfektmarkierung [Maria essen] in (19) in der Zeit vor einem anderen Ereignis liegt [Peter heimkommen]. (19) Als Peter heim kam, hatte Maria schon gegessen. In Weinrichs Worten weist das Plusquamperfekt zwei semantische Merkmale auf: [AUFSCHUB] und [RÜCKSCHAU]. Daher eignet es sich, um beispielsweise Vorgeschichten zu erzählen. „Man findet das Plusquamperfekt daher mit einer gewissen Häufung am Anfang einer Geschichte, wenn die Kenntnis der Vorgeschichte zum Verständnis der erzählten Handlung notwendig oder wünschenswert ist.“ (Weinrich 1993, 227f) Die folgende Textpassage ist von Seite 1 in Stieg Larssons Roman Vergebung und bestätigt Weinrichs Worte. <?page no="94"?> 94 5 Tempus (20) Dr. Anders Jonasson wurde von Schwester Hanna Nicander geweckt. Es war kurz vor halb zwei Uhr morgens. „Was ist los? “, fragte er benommen. „Draußen landet gerade ein Rettungshubschrauber. Zwei Patienten. Ein älterer Mann und eine junge Frau. Sie hat eine Schussverletzung.“ „Aha“, sagte Anders Jonasson müde. Er hatte nur ungefähr eine halbe Stunde geschlafen. Heute hatte er Nachtdienst in der Notaufnahme im Sahlgrenska-Krankenhaus von Göteborg. Es war ein furchtbar anstrengender Abend gewesen. Seit er um 18 Uhr seinen Dienst angetreten hatte, waren vier Patienten hinzugekommen, die bei einem Frontalzusammenstoß bei Lindome verletzt worden waren. Eine Frau war schwer verletzt, eine andere war kurz nach der Einlieferung für tot erklärt worden. In seltenen Fällen kann das Plusquamperfekt aber auch eine Vorzeitigkeit zum Präsens (21a) (Zifonun et al. 1997, 1709) oder gar Nachzeitigkeit zum Präteritum darstellen (21b) (Weinrich 1993, 228): (21) a. Die Nachttischlampe ist so ein altes Monstrum, dass ihre Gummilitze brüchig geworden war und eine Kupferader Kontakt mit dem Metallfuß hatte. b. Böttger machte seine Versuche in Dresden so lange, bis er die richtige Mischung aus Kaolin, Quarz und Kalifeldspat gefunden hatte. Insgesamt ist das Plusquamperfekt jedoch in seiner Formbildung als auch in seinen Funktionen eher unerforscht. Nachdem wir nun die Tempora der Vergangenheit behandelt haben, wollen wir einen Blick auf die sprachliche Gestaltung von zukünftigen Ereignissen werfen. 5.2.5 Das Futur I Die Formen des Futur I Für den futurischen Tempusbereich weist das Deutsche keine synthetischen Formen auf. Sowohl Futur I als auch Futur II sind zusammengesetzte Tempora. Das Futur I ergibt sich aus der konjugierten Präsensform des Hilfsverbs werden und dem Infinitiv des Hauptverbs (22a). Hier besteht manchmal selbst für Muttersprachler Verwechslungsgefahr mit der Passivform des Präsens, die sich mit werden + Partizip II bildet (22b). In einigen wenigen Fällen stimmen Infinitiv und Partizip II formal überein (22c, 22d), meist jedoch sind sie durch das ge-Präfix des Partizips unterscheidbar (22a, 22b). (22) a. Peter wird vor der ganzen Klasse singen. - Futur aktiv b. Das Lied wird vor der Klasse gesungen. - Präsens passiv c. Peter wird das alles nicht mehr lang ertragen. - Futur aktiv d. Das Leid wird still ertragen. - Präsens passiv In der Aufgabe, die am Ende von Kapitel 5.2 folgt, können Sie überprüfen, wie gut Sie selbst Tempora und Genera verbi auseinander halten können. <?page no="95"?> 95 5.2 Die sechs deutschen Tempora Die Verwendungen des Futur I Was seine Verwendung angeht, wird das Futur I im heutigen Deutsch scheinbar immer mehr durch das Präsens ersetzt, welches dann oft in Kombination mit einem zukunftsbezogenen Adverbial auftritt (23a). Speziell bei Ereignissen, die in naher Zukunft liegen, ist ein futurischer Bezug auch ohne das Hinzufügen von Zeitadverbialen möglich (23b) (Weinrich 1993). (23) a. Morgen fährt Peter nach Paris. b. Glaubst du, wir bekommen noch einen Platz? In den Grammatiken des Deutschen wird das Futur I jedoch noch immer als traditionelles Tempus geführt und auch für Lerner mehr oder weniger ausführlich behandelt (z.B. Zifonun et al. 1997; Duden 2009). Nach Weinrich (1993) hat das Futur I zwei besondere Bedeutungskomponenten inne: [BEREITSCHAFT] und [VORAUSSCHAU]. Man bezieht sich also auf eine Handlung, von der man erwartet, dass sie passieren wird und nimmt sie so „wünschend, planend oder befürchtend vorweg“ (Weinrich 1993, 231). Je weniger absehbar das Eintreffen einer Handlung ist und je weiter sie in der Zukunft liegt, desto mehr tendieren Sprecher dazu, das Futur I statt des Präsens zu benutzen (Weinrich, 1993, 232). An diesem Punkt kommt auch die modale semantische Komponente des Futur I ins Spiel: Von Zukünftigem können wir nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es passiert. Doch, wie Welke (2005, 370) es ausdrückt: „Vielleicht stößt die Erde just eine Sekunde nach einer entsprechenden Zukunftsbehauptung mit einem Riesenmeteorit zusammen, und alles ist vorbei […]“ und wird somit nie passieren. Dem Futur I haftet also auch immer eine Ungewissheit an, die sich aus seinem Zukunftsbezug heraus ergibt. Auf der einen Seite kann dem Futur I daher eine temporale Funktion attestiert werden. Diese ergibt sich besonders in Kombination mit Temporaladverbien (24a). Andererseits weist das Futur I jedoch auch eine modale Komponente auf, die ein Ereignis als wahrscheinlich, aber nicht überprüfbar kennzeichnet (24b). Hierbei spricht man von epistemischer Modalität. (24) a. Morgen wird Peter wieder zu Hause sein. b. Peter wird wieder zu Hause sein. Während sich (24a) eindeutig auf Zukünftiges bezieht (morgen), referiert man mit (24b) auf etwas Gegenwärtiges. Man stelle sich eine Situation vor, in der Maria an Peters Haus vorbeiläuft und beispielsweise das Licht brennen sieht. In dieser Situation könnte sie vermuten oder darauf schließen, dass Peter zu Hause ist, ohne es überprüft zu haben, und den Satz in (24b) äußern. Genauso gut ist es jedoch möglich, dass Einbrecher am Werk sind oder ein Nachbar in Peters Abwesenheit dessen Katze füttert und darum das Licht brennt. Die epistemische Modalität weist uns also auf den Status einer Proposition hin und zeigt uns an, wie wahrscheinlich ein Ereignis aus Sicht des Sprechers ist. Die epistemische Komponente wird durch das Modalverb werden in die Futur-I-Form eingebracht. Im Modus-Kapitel 6 werden wir noch weitere Typen von Modalität kennenlernen, die sich jeweils den unterschiedlichen Modalverben zuordnen lassen. <?page no="96"?> 96 5 Tempus DEFINITION Epistemische Modalität weist auf den Status einer Proposition hin und zeigt an, welchen Grad von Wahrscheinlichkeit ein Sprecher einem Ereignis beimisst. Epistemische Modalität bezieht sich auf zukünftige, gegenwärtige oder vergangene Ereignisse. Wir haben nun gesehen, dass das Futur I eine Schnittstelle zwischen Temporalität und Modalität bildet und somit ein interessantes Forschungsthema im Bereich Tempus, Modus, Aspekt darstellt. Aus diesem Grund ist diesem Tempus in Kapitel 5.5 ein Exkurs in die linguistische Theorie gewidmet, in dem wir mehr über den Zusammenhang von Zukunft und Wahrscheinlichkeit erfahren werden. Zum Schluss wollen wir uns nun der Verteilung von Futur I und Präsens mit Futurbedeutung im Deutschen widmen. Es gibt diverse Studien, die die Verwendung der beiden Tempora in der gesprochenen und geschriebenen Sprache oder unter Berücksichtigung verschiedener semantischer Parameter beleuchten. Das umfassendste, datenbasierte Werk in diesem Zusammenhang ist sicherlich Di Meola (2013), worin semantische, pragmatische und syntaktische Faktoren untersucht werden, die für den Gebrauch von Futur I und Präsens eine Rolle spielen, wie zum Beispiel Sicherheit/ Unsicherheit des Sprechers bezüglich des Eintreffen eines Ereignisses, die Art des Sprechaktes, die grammatische Person, die Bewertung der Informationsquelle, der Neueintritt einer Handlung, zeitliche Nähe bzw. Distanz, die Anwesenheit von anderen Zeitangaben im Satz, u.v.m. Diese Parameter wurden traditionell in der Futur- Forschung untersucht, jedoch oft mit widersprüchlichen Ergebnissen. Nach Auswertung eines Korpus von 6000 Belegen aus jeweils zur Hälfte gesprochener und geschriebener Sprache, stellt Di Meola (2013, 133ff) folgende Eigenschaften des Futur I fest. In der Tabelle unten steht „+“ für „(stark/ leicht) überdurchschnittlich häufig“ und „‒“ für „unterdurchschnittlich häufig“. Was hervorsticht, ist die Feststellung, dass das Präsens insgesamt häufiger zur Beschreibung zukünftiger Ereignisse verwendet wird als das Futur I. Dies macht das Futur zu einem markierten Tempus, welches vor allem pragmatische, semantische und temporale Aufgaben innehat (Di Meola 2013, 137) (zum Thema Markiertheit, siehe Kapitel 5.2.1). Besonders die temporalen Aufgaben sind hier für uns interessant - auf die semantischen und pragmatischen soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. In Tabelle 7 sehen wir, dass das Futur besonders mit Ereignissen vorkommt, die in ferner Zukunft liegen. Im Einleitungskapitel hatte ich über sogenannte „remoteness distinctions“ geschrieben, die in manchen Sprachen morphologisch enkodiert sind und anzeigen können, wie weit ein Ereignis vom Sprechzeitpunkt entfernt ist. Sicherlich kann zeitliche Distanz im Deutschen durch Temporaladverbiale angezeigt werden (z.B. morgen vs. in einem Jahr), jedoch scheint es, dass sich auch das Futur I möglicherweise in Richtung einer grammatischen Markierung zur Unterscheidung von ferner im Gegensatz zu naher Zukunft entwickelt. Die zweite temporale Funktion des Futur I ist die sogenannte Profilierung (Di Meola 2013, 140). Hierbei geht es um die Abgrenzung von Gegenwart und Vergangenheit (siehe Tabelle 7 oben). Anders als möglicherweise erwartet wurden Futurmarkierungen besonders häufig mit Temporalangaben gefunden, die Zukunftsbezug aufweisen. <?page no="97"?> 97 5.2 Die sechs deutschen Tempora Eigenschaft Futur I Ereignisse in ferner Zukunft + Ereignisse in naher Zukunft ‒ Ereignisse, die eindeutig in der Zukunft liegen + Ereignisse, die sich von der Gegenwart in die Zukunft erstrecken ‒ Mit Modalitätsangaben der Sicherheit und Wahrscheinlichkeit + Mit Antagonismusangaben + Mit zukunftsbezogenen Temporalangaben + Explizite Thematisierung der Kontinuität eines Ereignisses + Explizite Thematisierung der Diskontinuität eines Ereignisses + Betonte Wichtigkeit des Ereignisses + Explizite Thematisierung der Informationsquelle + Subjekt der 3. Person + Aktivsätze (vs. Passiv) + Indikativsätze (vs. Konjunktiv) + Deklarative Hauptsätze (vs. Nebensätze) + Nicht-adverbiale Nebensätze (vs. adverbiale) + Fragesätze ‒ Übergeordnete Sätze + Mit Negationselement + Modalverben ‒ Imperfektive, nicht-agentive, statische, terminative, Diskontinuität ausdrückende Verben + Sprechakttypen mit erhöhter Sprecherinvolvierung + Direkte (vs. indirekte) Sprechakte + Explizite Thematisierung des vollzogenen Sprechaktes + Dominanz des Hörers + Unkooperativität des Gesprächspartners + Geschriebene Sprache + Insgesamt Häufigkeit für zukünftige Ereignisse ‒ Tabelle 7: Die Verwendung des Futur I im Deutschen; Di Meola (2013) Das bedeutet, dass „das Futur gerade nicht zur Disambiguierung eines ansonsten zeitlich nicht klar verankerten Ereignisses dient, sondern präferentiell dann zum Einsatz kommt, wenn durch eine temporale Angabe die zeitlichen Verhältnisse weitgehend geklärt sind“ (Di Meola 2013, 100). Das Futur zeigt also nur unterstützend an, was durch die Temporalangabe sowieso schon klar war. Doch nicht nur im Zusammenspiel mit Adverbialen, sondern auch bei der Aktionsart der Verben scheint das Futur I Präferenzen zu haben. Besonders häufig wird es bei imperfektiven (z.B. erleben, tun, liegen) und statischen Verben (z.B. wissen, sein, haben) beobachtet. Dies hängt nach Di Meola damit zusammen, dass diese einen kontinuierlichen Übergang zwischen Jetzt und Zukunft repräsentieren und daher eher zeitlich strukturiert werden müssen als andere Verbklassen. Auch Modalverben haben schon eine inhärente futurische Bedeutungskomponente inne, weshalb sie eher im Präsens vorkommen. Insgesamt bringt Di Meolas Studie einige unerwartete Erkenntnisse zum Futur I ans Tageslicht. In Kapitel 5.5 soll noch näher auf die temporalen und die modalen Funktionen von Futur I und II eingegangen werden. <?page no="98"?> 98 5 Tempus 5.2.6 Das Futur II Die Formen des Futur II Das Futur II wird auch Vor-Futur (Weinrich 1993) oder Futurperfekt genannt (Zifonun et al. 1997, Duden 2009) und setzt sich aus der konjugierten Form von werden, dem Partizip II des Hauptverbs sowie dem Infinitiv der Auxiliare haben oder sein zusammen. (25) a. Peter wird losgefahren sein. b. Maria wird aufgeräumt haben. In den Grammatiken des Deutschen wird es meist zusammen mit dem Futur I behandelt, da diese beiden Tempora sich in Bildung und Verwendung sehr ähneln. Die Verwendungen des Futur II Auch das Futur II weist zwei semantische Komponenten auf: eine temporale und eine modale. In seiner rein temporalen Funktion ist es wie das Futur I durch Präsens in Kombination mit Adverbialen weitestgehend ersetzbar (26). Der Vorzeitigkeit, die das Futur II auszudrücken in der Lage ist, muss allerdings durch die Wahl des richtigen Adverbials Rechnung getragen werden. (26) a. Peter ist dann schon losgefahren. b. Maria hat bis dahin schon aufgeräumt. Ohne Adverbiale wird die modale Lesart des Futur II ausgelöst (25). Im Gegensatz zum Futur I bezieht man sich hier jedoch auf Vergangenes. Dies ist daran erkennbar, dass man die Beispiele in (25) auch im Perfekt in Kombination mit einer Modalpartikel ausdrücken kann (27), ohne die Bedeutung zu verändern. (27) a. Peter ist wohl losgefahren. b. Maria hat wohl aufgeräumt. Auch hier zeigt der Sprecher an, dass ein „Mangel an verlässlichen Nachrichten“ (Weinrich 1993, 235) bezüglich Peters Losfahren oder Marias Aufräumen besteht. Zum Abschluss dieses Unterkapitels soll in der nun folgenden Aufgabe noch einmal ein kurzer Überblick über alle hier vorgestellten Tempora des Deutschen gegeben werden. Hierbei sollen Sie überprüfen, ob Sie die Unterschiede zwischen deren Formen und Funktionen verstanden haben. <?page no="99"?> 99 5.3 „Wiederentdeckte“ Tempora: Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt Aufgabe 12 Testen Sie sich nun selbst! 1. Nennen Sie die Tempora, die in den Beispielsätzen unten vorliegen. 2. Ändern Sie Passivin Aktiv- und Aktivin Passivsätze (wenn dies möglich ist) und behalten Sie das Tempus bei. a. Peter wird jedes Jahr größer. b. Die Hausordnung ist grundlegend verändert worden. c. Die Vase war schon lange vorher kaputt. d. Das Stadion wird für 5 Mio. Euro erneuert. e. Peter wird um 17h45 in Stuttgart ankommen. f. Vor etlichen Jahren hatte man die Eichen gefällt. g. Maria wird zum Klavierunterricht gegangen sein. . Im folgenden Kapitel werde ich nun auf zwei Tempora eingehen, die sich ihren Weg in die Grammatikbücher in den meisten Fällen erst noch bahnen müssen. 5.3 „Wiederentdeckte“ Tempora: Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt bekommen hier ein eigenes Kapitel. Dies hängt damit zusammen, dass diese Tempora immer noch als Phänomene der gesprochenen oder der „mündlich gefärbten Schriftsprache“ (Duden 2009, 514) gesehen und auch in den Grammatiken von den traditionellen Tempora separiert werden. In diesem Kapitel will ich kurz beschreiben, welche Besonderheiten die Formen aufweisen und bekannte Gründe für die Entstehung dieses Phänomens liefern. Warum das Doppelperfekt und das Doppelplusquamperfekt oft als „superkomponierte Formen“ (Zifonun et al. 1997, 1687) bezeichnet werden, wird klar, wenn man sich mit seiner Bildung beschäftigt. Die Hilfsverben haben oder sein werden nicht nur mit einem Partizip II des Hauptverbs kombiniert, wie es beim Perfekt oder beim Plusquamperfekt der Fall ist (daher auch die Namensgebung), sondern es wird zusätzlich ein Partizip II des benutzten Hilfsverbs angehängt, was in den Beispielen in (28) zu sehen ist. (28) a. Ich habe das Buch vergessen gehabt. b. Ich bin eingeschlafen gewesen. c. Ich hatte das Buch vergessen gehabt. d. Ich war eingeschlafen gewesen. Zifonun et al. (1997, 1687) erwähnen sogar Formen, in denen das konjugierte Hilfsverb im Konjunktiv vorkommen kann. Die folgenden Beispiele haben sie aus Zeitungsbzw. Radiokorpora extrahiert. <?page no="100"?> 100 5 Tempus (29) a. Nach seiner Rückkehr ließ Zeffirelli den Burgtheaterdirektor wissen, er habe seinen Agenten lediglich beauftragt gehabt, Bedenken wegen des Zeitpunktes anzumelden (…). (Welt, 21.10.1966, 9) b. Der Landesvorsitzende der SPD (…) bedauerte, dass das Gespräch mit der katholischen Kirche erst in Gang gekommen sei, nachdem sich die Fraktion festgelegt gehabt hätte. (Nachrichten aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, 6.3.1967, ARD, Hörbeleg). In beiden Beispielen sieht man, dass die Doppelperfekt-Formen in indirekter Rede vorkommen und somit die gesprochene Sprache repräsentieren. Die Jahre, aus denen die Belege stammen, machen deutlich, dass das Doppelperfekt keine so neue Form ist. Thieroff (1992, 208) nennt gar Belege aus einer Grammatik von 1573 8 , und auch bei Goethe werden solche Formen benutzt (Vater 2007, 72). Rödel (2007, 16) weist darauf hin, dass Doppelperfekt und -plusquamperfekt bereits in diversen frühneuhochdeutschen Grammatiken thematisiert wurden, jedoch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit gerieten. Erst ab den 1960ern kehrten sie zurück in die Grammatiken bzw. ins linguistische Bewusstsein. Daher auch die Namensgebung für dieses Kapitel: wiederentdeckte Tempora. Die Tatsache jedoch, dass diese Tempora noch nicht wirklich in der geschriebenen Sprache angekommen sind, zeigt, dass es hier möglicherweise noch einiges Entwicklungspotenzial gibt. Doch wird sich dieses Tempus überhaupt in der deutschen Standardsprache etablieren, wenn es bereits seit dem 16. Jahrhundert besteht und doch bis heute als Exot gilt? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst die Gründe für die Entstehung dieses Tempus betrachten und außerdem nach seiner Funktion fragen. In der Linguistik hat sich die These eingebürgert, dass das Doppelperfekt direkt mit dem oberdeutschen Präteritumsschwund zu tun hat und als eine Art Ersatzform betrachtet werden kann (z.B. Lindgren 1963; Erben 1980; anders jedoch Rödel 2007). Jedoch lassen sich auch Belege aus anderen deutschen Sprachräumen sowie aus der geschriebenen Sprache finden (Vater 2007, 72; Rödel 2007, 200). Eine sehr ausführliche Beschreibung der Funktionen des Doppelperfekts und des Doppelplusquamperfekts ist in Thieroff (1992) zu finden. In Thiel (1964) wird als Funktion dieser Tempora die Markierung einer Aussage als Mitteilung beschrieben. Wie Weinrich (1993) teilt Thiel die Tempora in Erzähl- und Mitteilungstempora ein. Wie wir in den vorigen Kapiteln gesehen haben, ist beispielsweise das Präteritum ein Erzähltempus, wohingegen das Perfekt ein Mitteilungstempus ist. In Anlehnung an diese zwei Typen von Tempora leitet Thiel nun folgende Funktion für das Doppelperfekt ab: Während das Perfekt eine Mitteilung der Vergangenheit und das Präteritum eine Erzählung derselben ist, handelt es sich beim Plusquamperfekt um die Erzählung der Vorvergangenheit und beim Doppelperfekt um die Mitteilung derselben. Es wird also schon im Doppelperfekt eine Vorvergangenheit hergestellt. Wozu dann aber noch das Doppelplusquamperfekt? Für dieses Tempus attestiert Thiel Vor-Vorvergangenheitsbezug; es reicht also noch weiter zurück. Während das Doppelperfekt in vielen Fällen, allein was den Vorvergangenheitsbezug angeht, durch das Plusquamperfekt ersetzt werden kann, gibt es beim Doppelplusquamperfekt Fälle, in denen kein anderes Tempus seine Funktionen übernehmen kann 8 Bei ihm heißt diese Form Perfekt II bzw. Plusquamperfekt II. <?page no="101"?> 101 5.3 „Wiederentdeckte“ Tempora: Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt (Thieroff 1992, 215f). Hier kommt die oben genannte Vor-Vorvergangenheit ins Spiel. Bei Thieroff ist hierfür folgendes aussagekräftige Beispiel aus Hauser-Suida & Hoppe- Beugel (1972, 264) zu finden. (30) Als Bressand seine Operntexte schrieb, hatte Herzog Anton Ulrich am Schlosse das 1688 vollendete Opernhaus gebaut und Musiker und Sänger berufen gehabt. In der Reihenfolge der Ereignisse stünde demnach [Musiker und Sänger berufen] an erster Stelle, worauf [Opernhaus bauen] und wieder später [Operntexte schreiben] folgen. Die besondere Funktion des Doppelplusquamperfekts besteht also darin, eine weitere Ebene der Zeitstaffelung zu schaffen, wenn dies aufgrund der Abfolge der Ereignisse für notwendig erachtet wird (vgl. auch Rödel 2007, 105). Erben (1980) benutzt hierfür den Ausdruck „Vorzeitigkeit 2. Grades“. Aus diesem Grund wird das Doppelplusquamperfekt in vielen Grammatiken als tatsächliches Tempus anerkannt, während das Doppelperfekt, da es durch das Plusquamperfekt ersetzbar ist, als inkorrekte Form gilt (Thieroff 1992, 216). Seine Funktion als „berichtendes“ Tempus scheint hier keine Rolle zu spielen. Beispiele, die suggerieren, dass aus temporaler Sicht teilweise Äquivalenz zwischen dem Perfekt/ Plusquamperfekt und dem Doppelperfekt/ Doppelplusquamperfekt besteht, lassen Rödel (2007) nach anderen Erklärungen für die Ko-Existenz dieser Formen suchen. Er stellt folgende Besonderheiten bei der Verwendung dieser Tempora fest: Doppelte Perfektbildungen kommen besonders häufig in Hauptsätzen und nur relativ selten in Nebensätzen vor. Gerade im Hauptsatz, in dem die Verbformen in zwei Satzklammern verteilt sind, wird die Rolle deutlich, die die beiden aufeinanderfolgenden Partizipien spielen: Sie formen eine untrennbare Einheit, d.h. wir sagen Peter war zu dem Zeitpunkt schon nach Hause gegangen gewesen und nicht *Peter war gegangen zu dem Zeitpunkt schon nach Hause gewesen. Diachron betrachtet, war dies nicht immer so, was darauf hindeutet, dass diese Konstruktion einen Grammatikalisierungsprozess durchlaufen hat (Rödel 2007, 199). Der Komplex aus zwei Partizipien steht am hinteren Satzende und lässt es zu, dass Information in gewisser Weise nachgeschoben werden kann. Auch in anderen indogermanischen Sprachen existieren doppelte Perfektbildungen. Dort wird diesen Formen eine aspektuelle Funktion zugesprochen. Rödel (2007, 134) attestiert auch den deutschen Formen aspektuelle Bedeutung, woraus sich seiner Meinung nach ein Kontrast zum Plusquamperfekt ergibt. Während letzterer eine in der Vergangenheit zurückliegende Situation beschreibt, drückt das Doppelperfekt eine in der Vergangenheit abgeschlossene Situation aus (31) a. Dann, eines Tages, da hat er schon eine ganze Weile hier gearbeitet gehabt, immer saubere Arbeit, weißt du ja selbst, ist er hin zu Johanna und hat ihr klaren Wein eingeschenkt. b. Dann, eines Tages, da hat er schon eine ganze Weile hier gearbeitet, immer saubere Arbeit, weißt du ja selbst, ist er hin zu Johanna und hat ihr klaren Wein eingeschenkt. In (31a) trennt das Doppelperfekt die Zeit „als er hier gearbeitet gehabt hat“ und den Zeitpunkt, an dem Johanna reiner Wein eingeschenkt wird, klarer ab als in (31b). Die- <?page no="102"?> 102 5 Tempus se aspektuelle Komponente wird laut Rödel durch das zweite Partizip, welches dieser Konstruktion eigen ist, ausgelöst. Welchen Status haben das Doppelperfekt und das Doppelplusquamperfekt nun im deutschen Tempussystem? Thieroff kommt zu dem Schluss, dass beide Tempora trotz ihrer relativen Seltenheit in der deutschen Sprache aufgrund ihrer besonderen Funktionen bereits Teil des Tempussystems sind. Demnach muss die Debatte um Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt eher aus einer funktionalen als aus einer diachronen Perspektive gesehen werden: wir empfinden diese Tempora möglicherweise manchmal als „merkwürdig“ oder „ungewöhnlich“, nicht weil es sich um eine neue Form handelt, die sich erst einbürgern muss, sondern weil, wie im Falle des Doppelplusquamperfekts, eine komplexe zeitliche Relation beschrieben wird, die einfach nicht so häufig vorkommt. Auch die Markierung der Vergangenheit als „berichtet“, die durch das Doppelperfekt vorgenommen wird, ist demnach auf bestimmte Situationen beschränkt. Rödel (2007, 171) sieht die doppelten Perfektformen eher einem „Mechanismus“ unterworfen, „der auf jedem Perfekttempus operieren kann und der jeweils die prinzipiell gleichen Konsequenzen nach sich zieht“, wobei bei diesen beiden Formen schon eine Grammatikalisierung attestiert werden kann. In Rödels Analyse steht die Erweiterung des Tempussystems um eine aspektuelle Komponente im Zentrum der Debatte, nicht so sehr das Tempussystem als solches. Insgesamt ist man sich in der Forschung jedoch weitgehend einig, dass diese Formen, in welcher Weise auch immer, Bestandteil der deutschen Tempora und als solche in die Grammatiken zu integrieren sind. Mit Ende dieses Kapitels sind nun alle deutschen Tempora mit ihren Formen und Funktionen vorgestellt. Im Folgenden möchte ich nun die Bedeutung des Perfekts und des Futur I für das Zusammenwirken von Tempus, Modus und Aspekt aus Sicht der linguistischen Theorie herausstellen. 5.4 Zwischen Tempus und Aspekt: das Perfekt In diesem Kapitel wollen wir uns nun tiefer in die linguistische Theorie begeben. Das Perfekt bietet sich für diese Detailbetrachtung an, weil ihm, wie schon erwähnt, sowohl temporale als auch aspektuelle Funktionen zugesprochen werden. Es ist das deutsche Tempus, welches traditionsgemäß die meisten Diskussionen ausgelöst hat. Man hat es nicht nur in seiner Rolle als Tempus in Frage gestellt (Bartsch 1969) sondern auch über seine semantische Zusammensetzung (Bäuerle 1979; Ballweg 1989; Klein 1999; von Stechow 1999) und seine Funktion gestritten (vgl. z.B. Thieroff 1992 oder Welke 2005). In diesem Kapitel stehen vor allem die Funktion des Perfekts sowie die Rolle, die seine beiden Komponenten, Hilfsverb und Partizip II dabei spielen, auf dem Prüfstand. Hierzu werde ich einige Perfekt-Theorien etwas ausführlicher vorstellen und aufzeigen in welchen Grundannahmen und Details sie sich unterscheiden. Es muss jedoch gesagt werden, dass gerade in der Perfekt-Forschung dermaßen viele Theorien mit sehr unterschiedlichem Fokus aus dem Boden geschossen sind, dass es unmöglich ist, allen im Umfang eines Grundlagenbuches zu einem so vielschichtigen Thema wie Tempus, Modus und Aspekt gerecht zu werden. Ich konzentriere mich hier auf einige Ansätze, die bestimmte Kriterien ins Zentrum rücken, welche bei der Perfekt-Analyse klassischerweise Probleme bereiten, wie z.B. die Zeitschemaklassen der zugrundeliegenden Verben (Ehrich & Vater 1989), die temporale Modifikation durch Zeitadverbiale (Ehrich & Vater 1989), die zusammengesetzte Struktur des Perfekts (Klein 1999), die Rolle, die darin insbesondere dem Partizip II zukommt (Musan 1999) oder die sehr <?page no="103"?> 103 5.4 Zwischen Tempus und Aspekt: das Perfekt unterschiedlichen semantischen Effekte, die das Perfekt aufweisen kann, wie z.B. Nachzustand, Gegenwartsrelevanz, Abgeschlossenheit usw. (Musan 1999; Welke 2005). Zeitschemata und „reine“ Perfektbedeutungen Ein grundlegender Text zur Interpretation und Verwendung des Perfekts im Deutschen stammt von Ehrich & Vater aus dem Jahre 1989. Die Autoren geben einen Überblick über die verschiedenen Funktionen, die man dem Perfekt in der linguistischen Theorie bereits zugeschrieben hat. So wurde das Perfekt bereits als 1) Tempus, 2) als Aspekt und 3) als Mischform aus diesen beiden Kategorien behandelt. Eine vierte Perspektive stuft das Perfekt als eine Vereinigung von Tempus und Aspekt ein, die auf verschiedenen Ebenen manipulierbar ist und je nach Kontext in ihrer temporalen Bedeutung variieren kann. Die Basis für die unterschiedlichen Bedeutungsaspekte des Perfekts bilden bei diesem Ansatz die vier Zeitschemata von Vendler (vgl. Kapitel 3 in diesem Buch). Diese letzte Perspektive, die sich Komplexitätshypothese nennt (Ehrich & Vater 1989, 106), möchte ich hier zuerst vorstellen, auch wenn neuere Studien die Analyse von Ehrich & Vater zurückweisen. Sie gibt jedoch eine pragmatische Perspektive auf die Unterscheidung von Perfekt und Präteritum, welche die vielen Lesarten, die diese beiden Tempora aufweisen, erfasst und auf einfache Weise darstellt. Das Perfekt wird hier als deiktische und vom Kontext in hohem Maße abhängige Form eingeführt, die von Sprechern zu unterschiedlichen Zwecken verwendet wird. Ehrich & Vater (1989) begreifen das Perfekt als temporale Form, die auf drei Bedeutungsebenen operiert, auf denen jeweils unterschiedliche Aspekte von Temporalität repräsentiert werden. Die Grundfunktion des Perfekts ist in ihren Augen eine temporale, weshalb ich auch hier weiter vom Perfekt als Tempus sprechen werde. Diese temporale Grundfunktion wird auf der sogenannten deiktischen Ebene repräsentiert. In der Pragmatik gelten Tempora i.A. als temporaldeiktische Elemente. Andere temporaldeiktische Elemente, die Sie möglicherweise kennen, sind unter den Temporaladverbien zu finden (morgen, gestern, heute). Deiktika haben eine Bedeutung inne, die nur aufgrund der Kenntnis des (extralinguistischen) Kontextes bestimmt werden kann. In Beispiel (32a) sehen wir, dass der Referent von heute ein anderer ist (25.2.2014) als der in (32b) (26.2.2014). Die Bedeutung des Begriffs heute ergibt sich aus dem Zeitpunkt, an dem er geäußert wird; daher ist heute ein deiktisches Zeichen. Die Referenten für Peter und Rom bleiben in beiden Beispielen gleich, was zeigt, dass sie nicht vom Kontext abhängig und somit nicht deiktisch, sondern symbolisch sind. (32) a. Am 25.2.2014: „Heute fährt Peter nach Rom.“ b. Am 26.2.2014: „Heute besichtigt Peter den Trevi-Brunnen in Rom.“ Anhand der Beispiele in (32) lässt sich auch gut der deiktische Charakter von Tempora erklären. Der Satz in (32a) ist beispielsweise nur am 25.2.2014 wahr, am Tag danach jedoch nicht. Um ihn am 26.2.2014 wahr zu machen, müsste man das Tempus von Präsens in Präteritum oder Perfekt ändern - also ein neues Verhältnis von Sprech- und Ereigniszeit herstellen - und so das Vergangensein des Ereignisses markieren. <?page no="104"?> 104 5 Tempus DEFINITION Deiktika sind Zeichen, deren Referent nur in Abhängigkeit vom Kontext bestimmbar ist. Hierbei kann es sich um Lexeme (z.B. Adverbiale, Pronomen etc.) oder Morpheme (Tempusflexion) handeln. Für Ehrich & Vater (1989) ist es daher diese deiktische Ebene, auf der für jedes Tempus das Verhältnis zwischen Ereigniszeit und Sprechzeit definiert wird. Sie benutzen für ihre Darstellung die Reichenbachschen Zeitpunkte/ -intervalle E (Ereigniszeit), R (Referenzzeit) und S (Sprechzeit). Das Perfekt weist in dieser Analyse in allen seinen Verwendungen ein Verhältnis E < S auf und kann somit als ein Tempus der Vergangenheit verstanden werden. In dieser Eigenschaft verhält es sich identisch zum Präteritum, weshalb die beiden in vielen Kontexten gegeneinander ausgetauscht werden können. Die zweite Bedeutungsebene, die für das Verständnis des Perfekts nach Ehrich & Vater (1989) wichtig ist, ist die intrinsische Ebene. Hier wird das Verhältnis zwischen Ereigniszeit und Referenzzeit spezifiziert. Für das Perfekt gilt E < R; es wird also eine Art Vorzeitigkeit des Ereignisses in Bezug auf einen anderen Referenzpunkt angedeutet. Auf dieser Ebene verhält sich das Perfekt gleich wie das Plusquamperfekt. Ereigniszeit und Referenzzeit sind für beide Tempora gestaffelt und fallen nicht zusammen. Die dritte Bedeutungsebene ist die kontextuelle Ebene. Auf dieser zeigt sich das ganze semantische Variationsspektrum des Perfekts. Hier wird nach Ehrich & Vater (1989) das Verhältnis zwischen R und S definiert - und zwar in Abhängigkeit vom Kontext. Das bedeutet, dass die kontextuelle Ebene vom Sprecher manipuliert werden kann und der Gegenwartsbezug, den das „reine“ Perfekt normalerweise (im Gegensatz zum Präteritum) aufweist, annulliert werden kann. Dies wird in den Beispielen in (33) deutlich. (33) a. Peter hat sich das Bein gebrochen. → E > R ; S b. ? Goethe ist gestorben. → E > R ; S (? ) c. Goethe ist 1832 gestorben. → E ; R > S Beide Ereignisse, [Peter sich das Bein brechen] sowie [Goethe sterben], liegen von der Sprechzeit aus gesehen in der Vergangenheit (E < S). Durch die Benutzung des Perfekts wird hier jedoch ein Bezug zur Gegenwart hergestellt (R ; S), der zumindest eine zeitliche Nähe des vergangene Ereignisses zum Jetzt erahnen lässt. In (33a) kann sich die Aktualität des Satzes daran zeigen, dass beispielsweise Peter im Hintergrund mit einem Gips vorbeihumpelt. In (33b) mutet die Verwendung des Perfekts im Zusammenhang mit Goethes Tod jedoch merkwürdig an, da dieses Ereignis schon mehrere hundert Jahre in der Vergangenheit liegt. Den Referenzzeitpunkt also zur gleichen Zeit wie die Sprechzeit anzusiedeln, funktioniert in diesem Beispiel daher nicht richtig. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, wie der Referenzzeitpunkt für (33b) weiter in die Vergangenheit verschoben werden kann. Dies passiert auf der kontextuellen Ebene: Es wird einfach ein Temporaladverbial mit Vergangenheitsreferenz in den Satz eingesetzt, wie es in (33c) der Fall ist. Dadurch, dass wir ein bestimmtes Datum explizit im Kontext erwähnen, wird der Vergangenheitsbezug des Perfekts in dieser Verwendung hervorgehoben, und ein neues Verhältnis von R, E und S entsteht, das dem des Präteri- <?page no="105"?> 105 5.4 Zwischen Tempus und Aspekt: das Perfekt tums gleich kommt. Hier könnten also die beiden Tempora gegeneinander ausgetauscht werden, ohne dass es zu semantischen Unstimmigkeiten kommt. Das „reine“ Perfekt (33a, 33b) steht also für ein vergangenes Ereignis, welches einen Bezug zur Gegenwart, eine gewisse Aktualität innehat oder auf ein Resultat einer vergangenen Aktion in der Gegenwart hinweist - je nach zugrundeliegendem Zeitschema. Das kontextuell durch 1832 angereicherte Perfekt (33c) hingegen kann als reine Vergangenheitszeit angesehen werden. In Tabelle 8 werden die verschiedenen Ebenen getrennt voneinander für Präsens, Perfekt, Präteritum und Plusquamperfekt dargestellt (Ehrich & Vater 1989, 120). Kontextuell intrinsisch R = S (manipulierbar) R < S E ; R Präsens Präteritum E < R Perfekt Plusquamperfekt E > R -- -- Tabelle 8: Semantische Abgrenzung der Vergangenheitstempora vom Präsens nach Ehrich & Vater (1989). Wie man sieht, sind Präsens und Präteritum auf der intrinsischen Ebene vergleichbar: bei beiden liegen Referenz- und Ereigniszeit zusammen, d.h. sie können (aus sich selbst heraus) keine vor- oder nachzeitigen Ereignisse ausdrücken. Präsens und Perfekt sind sich in ihrer kontextuellen Manipulierbarkeit ähnlich: Bei ihnen kann das Verhältnis von R und S durch Hinzufügen von beispielsweise Temporaladverbien verändert werden. Perfekt und Präteritum wiederum sind sich auf keiner dieser Ebenen ähnlich. Das einzige, was sie gemein haben, ist ihre Zeitreferenz, die in der Vergangenheit liegt und die deiktische Ebene abdeckt. Die Übereinstimmung auf der deiktischen Ebene zwischen diesen beiden Tempora ist nach Ehrich & Vater der Grund dafür, dass sie in manchen Kontexten austauschbar sind; ihre Unterschiedlichkeit, was intrinsische und kontextuelle Eigenschaften anbelangt, ist jedoch der Grund dafür, dass sie nicht in allen Kontexten austauschbar sind. Ehrich & Vater (1989, 121) geben u.a. folgende Beispiele. (34) a. Die Katze lag gestern auf dem Tisch. b. Die Katze hat gestern auf dem Tisch gelegen. c. Sie bekommen die Ware, wenn Sie bezahlt haben. d. *Sie bekommen die Ware, wenn Sie bezahlten. In (34b) wurde die kontextuelle Ebene des Perfekts manipuliert und ein Adverbial (gestern) hinzugefügt, welches klare Vergangenheitsreferenz anzeigt und so Perfekt und Präteritum austauschbar macht (34a). In (34c) hingegen zeigt der Kontext (wenn …) an, dass das Ereignis, welches im Perfekt beschrieben wird, noch gar nicht stattgefunden hat. Hier wurde also der Referenzzeitpunkt verschoben und deckt sich nicht mehr mit dem des Präteritums in (34d). Daher wird dieser Satz als ungrammatisch empfunden. Eine weitere Besonderheit der Komplexitätshypothese, die von Ehrich & Vater vertreten wird, ist, dass die Zeitschemata der zugrundeliegenden Verben als Ausgangs- <?page no="106"?> 106 5 Tempus punkt für bestimmte Verschiebungen der Perfektbedeutung angesehen werden. So wird z.B. erklärt, warum zeitneutrale Verben (ein großer Dichter sein) eher mit dem Präteritum gebildet werden oder warum sogenannte resultative Verben immer einen Gegenwartsbezug suggerieren. Während letztere eine natürliche Begrenzung aufweisen, können Zustände und Aktivitäten theoretisch unendlich weitergeführt werden. Auf sprachlicher Ebene muss also für solche Verben eine Begrenzung eingeführt werden (Hans hat von 4 bis 5 Uhr Klavier geübt), was durch Zeitadverbiale geschieht. Hierdurch wird die kontextuelle Ebene verändert, und ein neues Verhältnis von R und S kann die Folge sein, was manche Ausdrücke plötzlich inkompatibel mit bestimmten Tempora machen kann. Der Ansatz von Ehrich & Vater steht wie kein anderer in der Perfekt- Diskussion für die Verschmelzung von grammatischer Tempusbedeutung und lexikalischer Verbbedeutung. Die Sichtweise, dass Zeitschemata und Kontext bei den Lesarten des Perfekts eine entscheidende Rolle spielen, wurde in später folgenden Werken teils in Frage gestellt (Thieroff 1992), teils weiterverfolgt (Welke 2005). Insbesondere die Beispiele in (33) waren hier Gegenstand der Diskussion. So weist Thieroff (1992, 181ff) zurecht darauf hin, dass der Satz in (33b) auch durch das Hinzufügen eines nicht-temporalen Adverbials (Goethe ist an Altersschwäche gestorben), oder ein vergleichbarer Satz durch das Hinzufügen eines Objektarguments (Goethe hat geheiratet vs. Goethe hat Christiane Vulpius geheiratet) akzeptabler wird, was darauf schließen lässt, dass Zeitschema und Kontexteinbettung womöglich weit weniger stark bzw. in anderer Weise auf die Perfektinterpretation einwirken als von Ehrich & Vater angenommen. Thieroff (1992) zeigt, dass die Präsenz von bestimmten Adverbialen stärker zu wiegen scheint als die Art des zugrundeliegenden Zeitschemas. Ehrich & Vater argumentierten, der Satz in (33b) könne als Titel einer satirischen Zeitschrift durchaus als „hot news“ (Thieroff 1992, 182) mit starker Gegenwartsrelevanz verstanden werden. Dasselbe gilt in Thieroffs Augen jedoch auch für andere Sätze, wenn man sie sich in diesem Kontext vorstellt (Das darf doch nicht wahr sein. Goethe hat in Weimar gelebt? ! ). Dass die Verbsemantik sowie die Modifikation auf Satzebene einen Einfluss auf die Interpretation des Perfekts haben, ist unbestritten. Allerdings ist das Zusammenspiel von Verb, Tempus und Modifikation derart komplex, dass es sich möglicherweise lohnt, einen genaueren Blick auf die Ingredienzen, die das Perfekt ausmachen, zu werfen. Vielleicht lassen sich den einzelnen lexikalischen und morphologischen Einheiten klar bestimmte Aufgaben zuordnen? Spiegelt die morphologische Zusammensetzung des Perfekts seine Bedeutung wider? Klein (1999) zerlegt in seiner morphologischen Analyse das Perfekt zuerst einmal in seine vier Teile ‒ Lexem, ge-Präfix, Auxiliar, Finitheitsmarkierung - und setzt diese in drei Schritten nach und nach zu dem zusammen, was wir Perfekt nennen. Schritt 1 (morphologisch): Das Präfix gewird auf ein infinites Verblexem angewandt, z.B. rennen. Heraus kommt eine weitere infinite Form: gerannt. Schritt 2 (syntaktisch): Das infinite Partizip II gerannt wird mit einem infiniten Hilfsverb kombiniert, z.B. sein. Heraus kommt eine komplexe infinite Form: gerannt sein. Schritt 3 (morphologisch): Die Finitheitsmarkierung wird auf gerannt sein angewandt. Das Flexionsmorphem beinhaltet nicht nur Markierungen für Person <?page no="107"?> 107 5.4 Zwischen Tempus und Aspekt: das Perfekt und Numerus, sondern z.B. auch für Tempus (siehe auch Kapitel 6.2 in diesem Buch). Heraus kommt eine komplexe finite Form: z.B. ist gerannt. Nach Klein (1999) trägt jede der vier Komponenten ihren Teil zur Gesamtkonstruktion Perfekt bei. In jedem der aufgezählten Schritte besteht die Möglichkeit, auch andere Formen, wie Infinitive, Passive oder sogar ungrammatische Formen, zu generieren (*gerannt haben). Schon in Schritt 1 kann die Verbsemantik Einflüsse darauf nehmen, welche Ausführungen der Schritte 2 und 3 hinterher überhaupt noch möglich sind und welche Bedeutungen generiert werden können. So können sich beispielsweise nur manche Verben sich mit haben verbinden (siehe Kapitel 5.2.2), während andere wiederum sein als Auxiliar benötigen; manche Verben können Resultatszustände ausdrücken, andere nicht, usw. Klein spricht sich gegen die gängige Annahme aus, dass Ereignisse so einfach zu beschreiben seien, dass man ihnen eine einzige Ereigniszeit E zuordnet, wie es bei allen auf Reichenbach fußenden Erklärungen der Fall ist. Er sieht im Gegenteil, dass sich ein Ereignis wie beispielsweise geben aus verschiedenen Unterereignissen zusammensetzt, und zu bestimmten Zeitpunkten eben bestimmte Abläufe eintreten. Er beschreibt daher Ereignisse als „Eigenschaften von bestimmten Entitäten zu bestimmten Zeiten“ (Klein 1999, 58). Demnach gäbe es für ein Ereignis [Maria Peter ein Päckchen geben] also eine Zeit, zu der beispielsweise Maria im Besitz eines Päckchens wäre, eine weitere Zeit, zu der das Päckchen den Weg zwischen Maria und Peter zurücklegt und eine dritte Zeit, in der das Päckchen einen neuen Besitzer hat, Peter. Allein solche Komplexitäten verbergen sich auf der lexikalischen Ausgangsebene bei einer Perfektanalyse. Was passiert nun in Schritt 1, wenn gehinzutritt? Aus syntaktischer Sicht klingt die Antwort eher banal: Das Partizip kann nur noch in bestimmte Konstruktionen eintreten und sich z.B. nur noch mit einer kleinen Anzahl an Hilfsverben verbinden (haben, sein, werden). Semantisch gesehen weist das ge-Präfix einer Entität eine andere Eigenschaft zu einer anderen Zeit zu (Nachzeitigkeit). Bei einem gelandeten Flugzeug beispielsweise bestehen zwei Eigenschaften zu zwei Zeiten: Zu Zeit 1 hat das Flugzeug die Eigenschaft, noch in der Luft zu sein, zu Zeit 2, wird ihm eine neue Eigenschaft zugewiesen: gelandet. Diese Veränderung der Eigenschaften in Relation zu verschiedenen Zeiten ist der Beitrag, den das ge-Präfix zum Perfekt leistet. Kommen wir nun zu Schritt 2, der Kombination des Partizips mit seiner Nachzeitigkeitssemantik und dem Hilfsverb. Welchen Beitrag leisten haben und sein zur Perfektbedeutung? Anders als reine Partizipien haben Verbkomplexe wie gelandet sein die Möglichkeit, als finit markiert zu werden, d.h. sie sind in der Zeit verankerbar, und man kann festlegen, wann genau denn nun das Flugzeug die Eigenschaft gelandet aufweist bzw. aufgewiesen hat. Das Partizip gelandet alleine würde nur anzeigen, dass das Flugzeug seine Eigenschaft ändert, nicht wann dies geschieht. Die Funktion des Auxillares sein ist eine rein morpho-syntaktische: Es „sorgt dafür, dass eine Konstruktion, die bestimmte Eigenschaften ausdrückt, finit gemacht werden kann, ohne im Übrigen etwas an diesen Eigenschaften zu ändern“ (Klein 1999, 74). Auch durch das Hinzufügen von haben kann ein Partizip finit gemacht werden. Da haben jedoch insbesondere mit transitiven Verben benutzt wird, bei denen mehr als einem Teilnehmer Eigenschaften zugeordnet werden müssen, übernimmt dieses Hilfsverb die Aufgabe, uns etwas über die Eigenschaften desjenigen Teilnehmers mitzuteilen, der nicht bereits durch das Partizip abgedeckt wird. In Maria hat Peter verprügelt, weist das Partizip verprügelt auf eine „neue“ Eigenschaft von Peter hin - er ist der Verprügelte, wobei er zuvor noch unversehrt war. Jemanden verprügelt zu haben, ist jedoch eine Eigenschaft von Maria, und <?page no="108"?> 108 5 Tempus zwar zu dem Zeitpunkt, an dem die Aktion des Verprügelns beendet ist. Das Partizip II in Verbindung mit dem Hilfsverb haben weist also auf eine Eigenschaft von einem zweiten Teilnehmer (hier Maria) hin. Klein erklärt im Detail wie dieses System für alle möglichen Verbklassen funktionieren kann. Der letzte Beitrag zum Perfekt wird von der Finitheitsoperation, die auf das Hilfsverb ausgeübt wird, beigesteuert. Durch die Finitmachung kann, wie oben schon angedeutet, ein Ereignis in der Zeit verankert werden, bzw. anzeigen, welche Eigenschaft zu welchem Zeitpunkt auf das Subjekt zutrifft. Auf welchen der von Klein (1999) skizzierten Ebenen nun unterschiedliche Lesarten des Perfekts zustandekommen können, skizzieren beispielsweise Musan (1999) oder Welke (2005), auch wenn sie in großen Teilen nicht Kleins Terminologie und Ansatz der Komplexität von Ereignissen übernehmen. Die kompositionelle Analyse von Klein ist jedoch ein hervorragender Ausgangspunkt, um zu verstehen, welche Aufgaben Partizip und Hilfsverb im Perfekt zukommen und wo Raum für Varianz besteht. Wie kommen die Perfekt-Effekte zustande? Auch Musan (1999) setzt sich mit dem Perfekt als komplexe, zusammengesetzte Zeit und seinen Effekten auseinander. Sie operiert jedoch mit einer anderen Terminologie als Klein (1999) und Reichenbach (1947). Im Fokus ihrer Analyse stehen die gesamtheitliche Behandlung aller deutschen Tempora sowie ihre Abgrenzung zueinander. Eine weitere wichtige Rolle spielen die Einflüsse, die Zeitadverbiale auf die Tempora haben (vgl. auch Musan 2002). Bei Musan (1999) besteht wie bei Klein (1999) das Perfekt aus zwei Bedeutungsteilen, die zu einander ins Verhältnis gesetzt werden, dem finiten Hilfsverb und dem Hauptverb in Partizipform. Während das Hilfsverb die sogenannte Tempuszeit (TZ) repräsentiert, enkodiert das Partizip die Situationszeit (SZ) eines Resultatszustandes. DEFINITION Tempuszeit ist die Zeit, die im flektierten Verb realisiert wird. Situationszeit bezeichnet die Zeit, zu der ein Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Die Situationszeit ist vergleichbar mit der Ereigniszeit bei Reichenbach. In Lola ist gerannt, wäre gerannt der Resultatszustand, der „Nachzustand eines Lolarennt-Intervalls“ (Musan 1999, 15). Dieses Gerannt-Sein wird beim Perfekt mit dem Präsens-Tempus des Hilfsverbs sein in Relation gesetzt. Präsens zeigt an, dass sich der Nachzustand, der durch das Partizip ausgedrückt wird, mit dem Jetzt überschneidet. Anders formuliert: Es gab ein Intervall, in dem galt: Lola rannte; dieses hat bis nah an den jetzigen Zeitpunkt herangereicht, ist aber jetzt, in dem Moment der Aussage, beendet. Ähnlich funktionieren die anderen beiden mit Partizip II zusammengesetzten Tempora Futur II und Plusquamperfekt. Die Tempuszeit von Futur II, welche am Hilfsverb markiert wird, zeigt an, dass der Resultatszustand, der im Partizip II ausgedrückt wird, diesmal zu einem Zeitpunkt in der Zukunft ins Verhältnis gesetzt wird. Anders formuliert: In Lola wird gerannt sein, gibt es einen Resultatszustand gerannt, der nach einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft gültig sein wird. Im Schaubild unten kann man es sich so vorstellen, dass sich beim Futur II die mittlere Schiene (rennen - gerannt sein) einfach ein Stück nach rechts in Richtung Zukunft verschiebt. Beim Plusquamperfekt wird das Ganze analog in die Vergangenheit verlegt; im Schaubild unten würde <?page no="109"?> 109 5.4 Zwischen Tempus und Aspekt: das Perfekt die mittlere Schiene nun nach links geschoben. Der Resultatszustand gerannt bleibt also in allen drei Tempora derselbe, kann aber in der Zeit vor oder hinter die Äußerungszeit (ÄZ) versetzt werden. Dies passiert durch das Tempus des Hilfsverbs. Insgesamt funktioniert das System ähnlich wie bei Klein (1999), ohne dass jedoch im Detail auf die einzelnen morphologischen und lexikalischen Repräsentanten eingegangen wird. TZ Vergangenheit Präsens Futur RENNEN GERANNT SEIN [sein/ haben]+prät. [sein/ haben]+präs. [sein/ haben]+fut. -------------------------------------------------------ÄZ-------------------------------------------------------------- Auch das Präteritum und sein imperfektiver Aspekt können nach Musan mit diesem Modell erklärt werden. Hierbei spielt eine Rolle, dass es sich beim Präteritum eben nicht um ein zusammengesetztes Tempus handelt. Es gibt nur eine Verbform, in der Temporalität und Aspektualität vereint sind. Beim Präteritum kann die Tempuszeit auch semantisch nicht von der Situationszeit abgespalten werden. Die Tempusform des Präteritums zeigt an, dass etwas in der Vergangenheit geschehen ist (Lola rannte), was aber nicht im Verhältnis zu einem jetzigen Zeitintervall ausgewertet wird, wie beim Perfekt, sondern gleichzeitig mit der Tempuszeit in der Vergangenheit. Die Perfekt- Effekte leitet Musan (1999) nun daraus ab, dass beispielsweise durch bestimmte Temporaladverbien oder auch die lexikalischen Zeitschema-Eigenschaften eines Verbs entweder ein Resultatszustand oder der davor stattfindende eigentliche Vorgang betont sein kann. Als Begründung, warum Perfekt und Präteritum dennoch oft austauschbar sind, nennt Musan (1999,29) die gemeinsame Eigenschaft der beiden Tempora, dass sie „zumindest einen Teil der Situationszeit des Verbs vor der Äußerungszeit lokalisieren.“ Auch bei Welke (2005) entstehen die Effekte des Perfekts hauptsächlich durch den semantischen Beitrag des Partizip II in Kombination mit haben oder sein. Er stellt fest, dass bestimmte Perfektbedeutungen, wie z.B. der sogenannte „Nachzustand“, nur bei einigen „perfektiven“ Verben zu finden sind, die das Auxiliar sein zur Perfektbildung auswählen. Bei der Lesart Nachzustand verweist das Perfekt auf einen Zustand, der in der Vergangenheit hergestellt wurde, aber zur Sprechzeit noch weiter besteht, oder wie Welke (2005, 214) es ausdrückt: Zustand als Resultat eines Vorgangs (Der Stuhl ist umgekippt). Solche Konnotationen kommen zur eigentlichen Bedeutung des Perfekts, der Vergangenheitsbedeutung, hinzu. Dies ist möglich, weil nach Welkes Ansicht für das Perfekt mehrere sogenannte Evaluationszeiten bestehen können, von denen die eine oder die andere in gewissen Umgebungen besser zum Tragen kommt. Der Begriff Evaluationszeit stammt aus Bäuerle (1979) und bezeichnet einen Bezugspunkt, der normalerweise einfach mit der Sprechzeit zusammenfällt. Man evaluiert also Situationen im Vergleich zum Jetzt, schaut vor oder zurück. Demnach gibt es drei Evaluationszeiten: Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft (Welke 2005, 8). Eine sekundäre Evaluationszeit kann nun entstehen, wenn aspektuelle Bedeutungskomponenten, wie beim Perfekt, hinzutreten. Solch eine aspektuelle Komponente ist im Reichenbachschen System, welches wir zu Beginn des Tempuskapitels kennengelernt haben, <?page no="110"?> 110 5 Tempus nicht explizit inbegriffen, wird aber durch die Einführung der Referenzzeit angedeutet. Beim Perfekt haben nach Welke beide Teile der Verbform ihre eigene Evaluationszeit ‒ das präsentische Hilfsverb die primäre, das aspektuelle Partizip die sekundäre. Ähnliches haben wir bei Klein (1999) gesehen, wenn dort auch die verschiedenen Evaluationszeiten den jeweiligen Teilnehmern an der Handlung klarer zugeordnet werden können. Während Tempora Deiktika sind, d.h. immer vom Hier und Jetzt, also von der Sprechzeit aus, bestimmt werden, ist das für Aspekt anders, wie man im Schaubild zu Musan (1999) oben sieht. Fürs Perfekt in Abgrenzung zum Präteritum gilt: Beide haben dieselbe primäre Evaluationszeit, nämlich Vergangenheit (ähnlich wie bei Musan und Ehrich & Vater). Erst in der sekundären Evaluationszeit (ähnlich Reichenbachs Referenzzeit) unterscheiden sie sich. Das Perfekt kann durch seine perfektive aspektuelle Komponente mal vom Präsens in die Vergangenheit schauen (Es hat geregnet) und so Abgeschlossenheit anzeigen oder eben aus der Vergangenheit in die Gegenwart blicken und solche Bedeutungen wie den o.g. Nachzustand generieren. Auch Temporaladverbiale können die sekundäre Evaluationszeit beeinflussen und gar zu einer futurischen Auswertung des Perfekts führen (Morgen um die Zeit sind wir schon angekommen). Extended Now - Das ausgedehnte Jetzt Zum Schluss unseres tiefergehenden Exkurses in die linguistische Theorie möchte ich noch kurz eine Sichtweise vorstellen, die eigentlich in der Anglistik verwurzelt ist (McCoard 1978; Dowty 1979), jedoch auch immer mehr Einzug in die deutsche Sprachwissenschaft findet (z.B. von Stechow 1999; Rothstein 2007; Rathert 2004). Der Begriff Extended Now beschreibt demnach die Grundbedeutung des Perfekts: Es öffnet ein Zeitintervall vom Sprechzeitpunkt beginnend in die Vergangenheit, schaut zurück. Insbesondere, wenn Adverbiale der Sorte schon immer, schon oft vorliegen, wird angenommen, dass das Jetzt, der Sprechzeitpunkt eine Art Grenze bezeichnet. Von dieser Grenze aus kann „nach links“, also in Richtung Vergangenheit in uneingeschränkter Weise hinausgeblickt werden (siehe Darstellung unten). Das Jetzt wird also sozusagen in die Vergangenheit ausgedehnt und ist nicht komplett abgekoppelt von ihr. Dies ist im Zeitstrahl unten dargestellt. NOW -------------E------------------------------------------------R; S------------------------> Die Ellipse umfasst den Bereich, der durch das Perfekt ausgedrückt wird. R bildet die rechte Grenze dieses Perfektintervalls (Rothstein 2007, 53f). Sie kann entweder eingeschlossen sein oder nicht. Daraus ergeben sich die Unterschiede in (35). (35) a. Ich habe dich schon immer geliebt. b. Ich habe dich immer geliebt. Aber nun geht es nicht länger mit uns. <?page no="111"?> 111 5.4 Zwischen Tempus und Aspekt: das Perfekt In (35a) ist R die eingeschlossene Grenze der Perfektzeit, in (35b) ist R ausgegrenzt. Solche Betrachtungsweisen eignen sich ebenfalls für die Futurtempora in die andere Richtung auf dem Zeitstrahl. Wie wir gesehen haben, werden in verschiedenen Ansätzen ähnliche Eigenschaften des Perfekts jedoch aus teilweise unterschiedlichen Perspektiven behandelt. Gemein haben die hier vorgestellten Theorien, dass sie das Perfekt als Tempus mit aspektuellen Eigenschaften begreifen, welches so wie das Präteritum in erster Linie auf Vergangenes verweist. Die doch sehr unterschiedlichen Effekte, die das Perfekt vom Präteritum abgrenzen, erklären sich aus seiner aspektuellen Bedeutungskomponente heraus, die durch das Partizip II bedingt ist. Ich denke jedoch, wir haben dank dieser Analysen eine Idee davon bekommen, wie Aspekt und Tempus interagieren können. Die Darstellung solcher Schnittstellen ist eine der zentralen Aufgaben in diesem Buch. In Tabelle 9 sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten der vorgestellten Theorien noch einmal zusammengefasst. Autor(en)/ Theorie Terminologie Schwerpunkte Ehrich & Vater (1989) Reichenbach: E, R, S Das isolierte Perfekt vs. das Perfekt im Kontext; Zeitschemata Klein (1999) -- 9 Morphologische Komposition, Kombinierbarkeit von Formen, Argumentstruktur der Verben Musan (1999, 2002) ÄZ, SZ, TZ Rollen von Hilfsverb und Partizip, Effekte, Betonung der einzelnen Komponenten Welke (2005) Primäre & sekundäre Evaluationszeit Effekte, Zusammensetzung des Perfekts Extended Now Reichenbach E, R, S als Grundlage Rolle bestimmter Adverbiale, Abgrenzung/ Zusammenfall von Gegenwart und Vergangenheit Tabelle 9: Überblick Perfekt-Analysen Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das deutsche Perfekt in der linguistischen Theorie von den unterschiedlichsten Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung multipler Eigenschaften diskutiert wurde. Viele existierende Perfekt-Analysen, wie z.B. Fabricius-Hansen (1986), von Stechow (1999) oder Rathert (2004), wurden hier jedoch nicht im Detail besprochen. Auf sie werde ich noch kurz in den Literaturempfehlungen eingehen. Nachdem mit dem Perfekt nun eine Schnittstelle zwischen Tempus und Aspekt aufgezeigt wurde, wollen wir uns nun dem Futur, welches eine weitere Schnittstelle repräsentiert, im Detail widmen. 9 Klein (1999) führt zwar den Begriff Topikzeit ein, welcher allerdings für meine Beschreibung oben nicht nötig war. <?page no="112"?> 112 5 Tempus 5.5 Zwischen Tempus und Modalkonstruktion: das Futur Die Existenz eines Futur-Tempus im Deutschen wird in einigen Tempustheorien in Frage gestellt. Man ist sich v.a. im Unklaren über die temporale bzw. die modale Funktion dieser Konstruktion werden + Infinitiv. Vater (2007) gibt einen Überblick über unterschiedliche Meinungen, die in der linguistischen Theorie zu dieser Frage geäußert wurden. Saltveit 1960: „modaler und temporaler Wert stehen im Verhältnis der umgekehrten Variation zueinander. Zunehmender Zukunftsbezug heißt hier abnehmende Modalitätsfunktion.“ Kotin 2003, 213f: „werden ist in Verbindung mit dem Infinitiv ein epistemisches Modalverb, es drückt eine mehr oder weniger sichere Annahme des Sprechers [...] aus.“ Vater 1975: „habe ich... geschlussfolgert, dass werden + Infinitiv grundsätzlich als Modalkonstruktion zu werten sei,...“ (Vater 2007, 69) Schon in Kapitel 5.2.5 haben wir gesehen, dass für werden + Infinitiv ebenso wie für das Futur II epistemische Modalität vorliegen kann, besonders, wenn sich die Ereigniszeit eines Vorgangs eben nicht in der Zukunft verankern lässt. Hierzu sei ein weiteres Beispiel gegeben. (36) a. Peters Platz in der Klasse ist leer. Lehrerin: „Wo ist Peter? “. Maria: „Keine Ahnung … der wird krank sein.“ b. Maria zu Peter: „Du solltest dir jetzt echt was anziehen oder du wirst morgen krank sein.“ Hier wird deutlich was Saltveit in seiner Aussage oben mit der „umgekehrten Variation“ meint. In (36a) liegt kein Zukunftsbezug von werden + Infinitiv vor, denn Peter ist jetzt krank. Dennoch verwendet Maria kein Präsenstempus - also muss diese Konstruktion eine andere Funktion haben. Wie Saltveit bemerkt, ist dies eine modale: Maria zeigt an, dass sie sich über Peters Krankheit keineswegs sicher ist. Es handelt sich um eine reine Vermutung. In (36b) hingegen wird klar, dass ein Zukunftsbezug vorliegt (morgen). Die Modalität nimmt insofern ab, als Maria jetzt nicht nur vermutet, dass Peter krank sein wird, sondern es geradezu prognostiziert, d.h. sich relativ sicher ist. Vollständige Sicherheit kann bezüglich einer die Zukunft betreffenden Aussage jedoch nie vorliegen, denn wir wissen letztendlich erst, ob etwas eingetroffen ist, wenn es vorbei ist. Doch wie genau kommt diese modale Komponente zustande? Der Verantwortliche für die epistemische Funktion des Futurs scheint im Hilfsverb werden gefunden zu sein. Werden unterscheidet sich durch diese modale Komponente von anderen zur Tempusbildung nötigen Hilfsverben wie sein und haben. Deshalb plädiert z.B. Vater (1975) dafür, werden in die Reihe der Modalverben wie können und müssen aufzunehmen, da auch sie ähnliche Bedeutungsaspekte aufweisen: Sie können den Wahrscheinlichkeitsgrad einer Handlung ausdrücken. Verschiedene Grade von Wahrscheinlichkeit sind in (37) zu sehen. <?page no="113"?> 113 5.5 Zwischen Tempus und Modalkonstruktion: das Futur (37) Maria fährt an Peters Haus vorbei … a. „Peter muss zu Hause sein.“→ Er ist höchstwahrscheinlich/ bestimmt zu Hause. [Kontext: Möglicherweise steht das Auto vor der Tür.] b. „Peter wird zu Hause sein.“ → Peter ist wahrscheinlich zu Hause. [Kontext: Zu dieser Uhrzeit ist er normalerweise zu Hause und auf der Arbeit war er nicht mehr.] c. „Peter kann zu Hause sein.“ → Peter ist vielleicht zu Hause. [Kontext: Auf die Frage: „Wo ist Peter wohl? “ als eine von vielen Möglichkeiten] In solchen Beispielen wird deutlich, welche weltlichen Voraussetzungen bestehen müssen, um die eine oder die andere Aussagen treffen zu können. Im Kapitel zu Modus werden wir eine Möglichkeit kennenlernen, die Funktionen der verschiedenen Modalverben im Deutschen zu unterscheiden und Abstufungen von Modalität genauer zu beschreiben. Was auffällt ist, dass auch bei anderen Modalverben als werden eine Affinität zwischen Zukunft und Modalität besteht. Folgende Beispiele sind aus Vater (2007, 70). In manchen Fällen, in denen der Zukunftsbezug überwiegt, können Modalverben sogar füreinander ausgetauscht werden. (38) a. Ich werde (will) es mir noch einmal überlegen. b. Du wirst sehen, was du davon hast! c. Es will (wird) Abend werden. d. Die neue Brücke soll (wird) am 1.1.2011 eingeweiht werden. Aufgrund dieses fließenden Übergangs von Temporalität zu Modalität wird das Futur in manchen Theorien aus dem Katalog der deutschen Tempora gestrichen und als reine Modalkonstruktion eingestuft. In anderen Theorien wird das Futur als ambige Form gesehen, die je nach Kontext eben temporale oder modale Funktion haben kann. Einerseits besitzt es eine zeitliche Referenz, andererseits kann es einen Wahrscheinlichkeitskommentar des Sprechers in Bezug auf ein Ereignis repräsentieren. Grundsätzlich jedoch sind zukünftige Ereignisse immer nur im Sinne von Wahrscheinlichkeiten interpretierbar. In vielen Ansätzen, die sich besonders mit der temporalen Funktion des Futurs beschäftigen, sind Zeitschemata bzw. Aktionsarten von Bedeutung (z.B. Leiss 1992). Gerade mit durativen Verben wird ein besonders ausgeprägter Zukunftsbezug festgestellt (vgl. Vater 2007, 72). Dass diese Aussage über den Zukunftsbezug der durativen Verben haltbar ist, scheint, wenn man die Beispiele in (39) ansieht, jedoch fraglich. Im Gegenteil sieht es so aus, als ob vor allem die Achievement Zeitschemata in (39c), die alles andere als durativ sind, ohne jeglichen anderen temporalen Kontext mehr Zukunftsbezug haben als die anderen Beispiele. Als Test zur Unterscheidung der modalen und der temporalen Funktion der Sätze in (39a-39c) kann man die Fragen in (40) stellen. Bei den Zuständen in (39d) treten Probleme auf, die dem Fehlen einer dynamischen Komponente bei diesen Verben geschuldet sind. <?page no="114"?> 114 5 Tempus (39) a. Peter wird laufen/ schwimmen/ hämmern/ träumen/ schlafen. b. Peter wird ein Haus bauen/ ein Brot essen/ ein Buch lesen. c. Peter wird einen Schlüssel finden/ das Ziel erreichen/ einen Schatz entdecken. d. Peter wird Maria lieben/ hassen/ kennen. Das Verb machen in der Frage jedoch bezieht sich eben auf dynamische Vorgänge. Auch wenn der Test hier aufgrund dieser semantischen Gegebenheit bei Zuständen nicht funktioniert, kann man doch Situationen konstruieren, in denen sowohl modale als auch temporale Funktionen von werden + Infinitiv mit Zustandsverben auftreten. (40) a. Was macht Peter? b. Was macht Peter morgen? (40a) provoziert die modale Bedeutung von werden, denn bei Antwort durch die Sätze in (39) wird kein zukünftiges Ereignis beschrieben, sondern die Wahrscheinlichkeit eines gegenwärtigen kommentiert. (40b) mit seinem Adverbial morgen weist eindeutig einen temporalen Zukunftsbezug auf. Die Sätze in (39a) und (39b) können auf beide Fragen als Antwort dienen. Bei den Achievements in (39c) ist es jedoch fraglich, ob eine modale Funktion wirklich gegeben sein kann. Hierzu würde vorausgesetzt, dass wir die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ausdrücken, welches gerade jetzt im Moment des Sprechens stattfindet. Dies geht jedoch nur, wenn uns ein Ereignis als imperfektiv vorstellen können: während wir sprechen, wäre also demnach Peter beispielsweise dabei zu schwimmen. Solch eine aspektuelle Entzerrung ist allerdings mit punktuellen Ereignissen wie Achievements nicht möglich. Demnach sind eigentlich gerade punktuelle Ereignisse die, die ausschließlich eine temporale (zukünftige) Lesart besitzen. Für die Zustände in (39d) lassen sich folgende Situationen vorstellen, um ihre Funktionen klar anzuzeigen. (41) a. „Warum schaut Peter Maria so böse an? “ „Er wird sie wohl hassen.“ b. „Was passiert, wenn dich Maria nun wieder versetzt? “ „Ich werde sie vermutlich hassen.“ In (41a) herrscht eindeutig eine modale Lesart vor, die sich aufs Jetzt bezieht, wobei (41b) auf Zukünftiges verweist. Auch hier schwingt jedoch eine modale Komponente (Absicht) mit. Nachdem die deutschen Tempora nun eingehend vorgestellt sind und auch auf umstrittene Themen in der linguistischen Theorie eingegangen wurde, haben Sie hier die Möglichkeit, noch einmal Ihr Verständnis vom semantischen Aufbau der Tempora zu überprüfen. In der folgenden Übung geht es vor allem darum, in welcher Reihenfolge die Ereignisse in der realen Welt stattfanden und in welcher Reihenfolge sie im Text sprachlich enkodiert werden. Hierbei soll der Zusammenhang von und gleichzeitig die Unterscheidung zwischen Tempus und Zeit aufgezeigt werden. <?page no="115"?> 115 5.6 Tempus in den Sprachen der Welt Aufgabe 13 Im folgenden Text finden Sie mehrere nummerierte Ereignisse vor. In welcher Reihenfolge haben diese Ereignisse in Wirklichkeit stattgefunden? Arbeiten Sie mit der Notationsweise E1 ; E2 oder E1<E2, etc. Welche Probleme stellen Sie fest? Peter lebte zu dieser Zeit in Florenz (E1). Er hatte sich dort ein Häuschen mit seiner Frau gekauft (E2). Maria war zwar erst im vergangenen Mai aus Hamburg hinterhergekommen (E3), aber seitdem waren sie beide begeistert mit dem Ausbau der verschiedenen Zimmer beschäftigt (E4). Zu dem Zeitpunkt, als unsere Geschichte beginnt (E5), war Maria gerade außer Haus, um einzukaufen (E6). Für den nächsten Tag hatten sich Freunde aus Deutschland angekündigt (E7) und alles sollte dann perfekt sein (E8). Peter war gerade dabei die Küche auf Hochglanz zu bringen (E9), als das Telefon klingelte (E10). 5.6 Tempus in den Sprachen der Welt Wie wir in den vergangenen Kapiteln gesehen haben, bestehen bei manchen der klassischen Tempora nicht ganz unberechtigte Zweifel, ob es sich überhaupt um Tempora handelt. Unsere heile Schulgrammatikwelt, in der wir uns bisher bewegt haben und in der sechs Tempora als gesetzt galten, dürfte also einigermaßen durcheinandergekommen sein. Im Folgenden werden wir aber sehen, dass das nur der Anfang war und es linguistische Theorien gibt, die noch um einiges weiter gehen. Die traditionelle Annahme von sechs deutschen Tempora entstammt dem Lateinischen, von dem lange Zeit angenommen wurde, dass es eine ideale Sprache sei, weshalb alle Analysen anderer Sprachen danach ausgerichtet wurden (Vater 2007, 44). Auch in den meisten traditionellen Grammatiken werden fürs Deutsche sechs Tempora angenommen (Becker 1870; Behaghel 1924; Eisenberg 1994; Duden 2009): Präsens, Perfekt, Präteritum, Plusquamperfekt, Futur I & II. Hierbei ist jedoch fraglich, wie diese im Verhältnis zueinander stehen (z.B. Perfekt als Zeit der Vergangenheit oder Präsens? ). Wie wir in den vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, ist speziell der Status der Futurtempora umstritten (Modalkonstruktion), aber auch für das Perfekt haben wir schon von rein aspektuellen Analysen gehört. Bartsch (1969) beispielsweise unterscheidet im Allgemeinen nur zwischen zwei vollwertigen Tempora: Präsens und Präteritum, welches einfach als nicht-Präsens eingestuft wird. Allen anderen traditionellen Tempora werden andere, nicht-temporale Funktionen zugeschrieben, wie Aspekt oder Modalfunktion. Manche Ansätze sprechen sich gar dafür aus, die verbale Kategorie Tempus abzuschaffen und definieren eine temporale Verankerung der Ereignisse im Satz rein über die Bedeutung der vorhandenen Temporaladverbiale (Janssen 1989; Engel 2004). Dies ist jedoch nicht so ohne weiteres möglich. In Vater (2007, 45) finden wir einen hervorragenden Überblick über diverse linguistische Theorien, die die ganze Bandbreite von einem einzigen bis hin zu zehn Tempora im Deutschen vertreten. <?page no="116"?> 116 5 Tempus 5.6.1 Temporaladverbiale Doch kommen wir zurück auf die Frage, wie viele Tempora im Deutschen existieren. Was ist dran an der Überlegung, dass das Deutsche alle temporalen Relationen nur durch Temporaladverbiale ausdrücken kann? Nach Comrie (1976) gibt es nur einige wenige Zeitadverbiale, die speziell dafür da sind, eine Situation zum Jetzt ins Verhältnis zu setzen: heute, morgen, gestern. Sie sind Beispiele für absolute Zeitreferenz. Als echte temporaldeiktische Ausdrücke sind sie nur interpretierbar, wenn durch den extralinguistischen Kontext klar wird, worauf sie sich beziehen, oder zuvor im linguistischen Kontext schon ein Zusammenhang hergestellt wurde. Eine klassische Schwierigkeit mit absoluten Zeitadverbialen ergibt sich in der indirekten Rede. (42) a. Peter am 29.5.2014: „Ich komme morgen mit ins Kino.“ b. Maria am 29.5.2014: „Peter hat gesagt, er kommt morgen mit ins Kino.“ c. *Maria am 1.8.2014: „Peter hat gesagt, er kommt morgen mit ins Kino.“ In (42) sieht man, dass sich nur die Situationen in (42a) und (42b) für die Benutzung des Adverbials morgen eignen, wenn sein Referent der 30.5.2014 sein soll. In (42c) hingegen wird ein Missverständnis generiert. Dies liegt daran, dass in dieser Situation mit diesem Ausdruck keine absolute Zeitreferenz herstellbar ist, da die Bedeutung von morgen als „Tag nach Sprechzeitpunkt“ beschrieben werden kann. Da in (42a) und (42b) der Sprechzeitpunkt am selben Tag (29.5.2014) angesiedelt ist, macht es auch nichts aus, dass morgen im zweiten Satz in der indirekten Rede verwendet wird. Die Zeitreferenz bleibt dieselbe. In (42c) gibt es jedoch einen neuen Sprechzeitpunkt und die Übertragung der Bedeutungskomponente „Tag nach Sprechzeitpunkt“ kann nicht 1: 1 stattfinden. Für Fälle wie (42c) existiert eine andere Klasse von Zeitadverbialen, welche Momente im Verhältnis zu (irgendwelchen) anderen Momenten definieren. Diese anderen Momente werden meist durch bestimmte Zusätze definiert und können in Situationen wie (42c) verwendet werden: an diesem Tag, am selben Tag, am Tag zuvor, am nächsten Tag. Abstrakt könnte ihre Bedeutung als „Tag nach/ vor/ gleichzeitig wie [29.5.2014]“ beschrieben werden, wobei das Datum in Klammer variabel ist. Der Unterschied zu morgen besteht darin, dass zwar nicht der Sprechzeitpunkt selbst, doch zumindest das Verhältnis von Sprech- und Ereigniszeit konkretisiert wird. Selbst, wenn den Hörer nicht weiß, zu welchem Datum ein Satz genau geäußert wurde, wird durch die Verwendung von diesem/ selben/ zuvor/ nächsten klar, wie das Verhältnis von Sprechzeit und Ereigniszeit ist. Solche Ausdrücke sind Beispiele für relative Zeitreferenz. Relative Zeitadverbiale sind in Kombination mit allen anderen Tempora möglich. Am nächsten Tag kann beispielsweise mit Tempora der Vergangenheit verwendet werden, drückt aber nicht absolutes Futur aus, sondern nur eine Zukunft, die relativ zur durchs Tempus ausgedrückten Vergangenheit besteht (43a). Mit einem Adverbial mit absoluter Zukunftsreferenz (morgen) ist der Satz im Präteritum allerdings nicht kompatibel (43b). (43) a. Am nächsten Tag putzte Maria den Teppich. b. *Morgen putzte Maria den Teppich. <?page no="117"?> 117 5.6 Tempus in den Sprachen der Welt An diesem Beispiel sieht man, dass die grammatische Kategorie Tempus im Deutschen doch einige andere temporale Eigenschaften verkörpert als manche Adverbiale. Aus diesem Grund scheint es mit einigen Schwierigkeiten verbunden zu sein, diese Kategorie gänzlich „abzuschaffen“ bzw. nicht anzuerkennen. Ein anderes Extrem in Bezug auf die Anzahl der Tempora wird beispielsweise von Thieroff (1992) vertreten. Er nennt ganze zehn Tempora für das Deutsche, darunter die klassischen sechs, plus Doppelperfekt, Doppelplusquamperfekt sowie die beiden Konditionale (hätte, hätte gehabt), denen er zusätzlich zu ihrer modalen Funktion temporale Unterschiede attestiert. Wie man sieht, ist die Bandbreite der angenommenen Tempora im Deutschen je nach Sichtweise sehr unterschiedlich. Um die Einteilung und Bestimmung der Tempora auch sprachübergreifend ein wenig einfacher zu gestalten, hat man versucht, die zeitlichen Unterscheidungen, die sprachlich durch Verbmorphologie gemacht werden können, ein wenig gröber zusammenzufassen. 5.6.2 Binäre und trinäre Tempussysteme In der Tempustheorie nimmt man an, dass es allgemein in der Sprache drei absolute Tempora gibt (Comrie 1985, 36f). „Absolutes Tempus“ ist nach Comrie ein etwas missverständlicher Begriff: Tempus bezieht sich immer auf einen anderen Punkt im Zeitablauf und sollte von daher eigentlich in allen Fällen als relativ gelten. Comrie definiert daher den Begriff „absolutes Tempus“ folgendermaßen: ein Tempus, das das Jetzt (Präsens) als deiktisches Zentrum seiner Bedeutung einschließt (Comrie 1985, 36). Hierunter fallen fürs Englische Präsens, Simple Past und Futur. Das sind alles Tempora, bei denen die Konstellation R ; E gilt. Fürs Präsens fällt die Ereigniszeit immer mit dem Jetzt zusammen, das Simple Past bezeichnet ein Ereignis vor dem Jetzt und das Futur ein Ereignis nach dem Jetzt. Der Begriff relatives Tempus steht für ein Tempus, das das Jetzt nicht als deiktisches Zentrum in seine Bedeutung einschließt, z.B. das Past Perfect (E<R<S), das unserem Plusquamperfekt entspricht (vgl. jedoch Matthews (1994, 88) zu den Unterschieden der beiden Formen). Es beschreibt eine Situation, die nach einem schon vergangenen Bezugsmoment stattfindet. (44) Peter had already taken the bike, when Mary noticed she needed it. DEFINITION Absolute Tempora weisen E ; R auf; bei relativen Tempora sind E und R zeitlich gestaffelt und fallen nie zusammen. Die Annahme von absoluten Tempora, wie sie von Comrie fürs Englische gemacht wird, begünstigt eine Dreiteilung des Tempussystems in Vergangenheits-, Präsens- und Futurtempora, die so allerdings nicht für alle Sprachen durchgeführt werden kann. Die meisten, v.a. europäischen Sprachsysteme weisen nur eine Zweiteilung der Tempora auf (Comrie 1985, 48). Es wird dann entweder zwischen Vergangenheit- und Nicht- Vergangenheit oder zwischen Futur- und Nicht-Futur als absoluten Tempora unterscheiden, wobei der erste Fall der häufigere ist. Das Deutsche, ebenso wie das Finnische, sind Beispiele für binäre Tempussysteme (Comrie 1985). <?page no="118"?> 118 5 Tempus In den finnischen Grammatiken (z.B. Fromm 1982; Karlsson 1984) werden in der Regel überhaupt nur vier Tempora angegeben: ein synthetisches Präsens, ein synthetisches Imperfekt, ein analytisches Perfekt und ein analytisches Plusquamperfekt. Wie im Deutschen gibt es hier also eine binäre Teilung zwischen Vergangenheits- und Nicht- Vergangenheitstempora (Tommola 1994, 220). Für das Futur besteht hier eine analytische Konstruktion tulla (‚kommen‘) + 3. Infinitiv im Illativ-Fall, welche im Finnischen jedoch nicht als wirkliches Tempus betrachtet wird, wie es auch in manchen Theorien zum Deutschen auch für werden + Infinitiv der Fall ist. Im Allgemeinen sind sich die beiden Sprachen Deutsch und Finnisch nicht nur, was die Bildung ihrer Formen anbelangt, recht ähnlich, sondern auch, was die Funktionen der einzelnen Tempora betrifft. In (45) sehen wir einige Beispiele. (45a) zeigt die Präsensform, (45b) das Präteritum, welches ein -i als kennzeichnendes Suffix beinhaltet. (45c) und (445), in denen wir Perfekt und Plusquamperfekt sehen, sind nur insofern unterschiedlich, als dass das Hilfsverb sein in verschiedenen Tempora auftritt. (45) a. Petri otta-a kirja-n. Petri nehm-3.Sg. Buch-Akk. ‚Peter nimmt das Buch.‘ b. Petri rakast-i Maria-n. Petri lieb-Prät. Maria-Akk ‚Peter liebte Maria.‘ c. Ole-mme tilanneet kahvi-a. Sein-1.Pl. bestellt Kaffee-Part 10 . ‚Wir haben Kaffee bestellt.‘ d. Ol-i-mme tilanneet kahvi-a. Sein-Prät.-1.Pl. bestellt Kaffee-Part. ‚Wir hatten Kaffee bestellt.‘ Das finnische Präsens kann wie das deutsche aktuelle oder zeitlose Vorgänge und Situationen beschreiben. S fällt mit R und E zusammen. Wie im Deutschen kann auch hier durch Hinzufügen eines Zeitadverbials mit Zukunftsreferenz futurische Bedeutung entstehen (Tommola 1994). In (46a) sehen wir diese Variante der Zukunftsreferenznahme. In (46b) wird die schon zuvor erwähnte, im Sprachgebrauch recht häufige kommen-Konstruktion gezeigt. Beide Beispiele sind aus Comrie (1985, 44). (46) a. Minä mene-n huomenna. Ich geh-1.Sg. morgen. ‚Ich gehe morgen.‘ 10 Die Abkürzung Part. steht für den Kasus Partitiv, der im Finnischen existiert. Dieser wird immer benutzt, wenn unzählbare Nomen quantifiziert werden müssen. Im Deutschen entspricht er einer Konstruktion wie „von dem Kaffee“. <?page no="119"?> 119 5.6 Tempus in den Sprachen der Welt b. Minä tule-n mene-m-ään. Ich komm-1.Sg geh-3.Inf-Illat. ‚Ich werde gehen.‘ Zwischen den beiden Tempora der Vergangenheit Imperfekt und Perfekt bestehen ähnliche Unterschiede wie im Deutschen zwischen Präteritum und Perfekt, wobei die Referenzzeit für ersteres klar in der Vergangenheit vor der Sprechzeit angesiedelt ist (47a), bei letzterem Sprechzeit und Referenzzeit zusammenfallen und so eine Gegenwartsrelevanz erzeugt wird (47b). Allerdings ist die Gegenwartsrelevanz des Perfekts noch stärker als im Deutschen und kann ansatzweise mit dem Englischen Present Perfect verglichen werden. Das Plusquamperfekt drückt Vorvergangenheit aus. Die folgenden Beispiele stammen aus Tommola (1994, 223 bzw. 225). (47) a. Hän astu-i sisään huone-eseen. Siellä Pirkko keitt-I kahvi-a. Er tret-Prät herein Zimmer-Illat. Dort Pirkko koch-Prät. Kaffee-Part. ‚Er trat ins Zimmer. Dort kochte Pirkko Kaffee.‘ b. Ole-mme asunet täällä jo kaksi vuotta. sein-1.Pl. gewohnt hier schon zwei Jahre ‚Wir wohnen hier schon seit zwei Jahren.‘ Oft wird eine Zwei- oder Dreiteilung des Tempussystems formal an der synthetischen Bildung der Formen festgemacht (Comrie 1985, 46). Demnach hätte beispielsweise das Französische ein trinäres System. Das Futurtempus hat hier seine eigene Morphologie und wählt einen besonderen Stamm (48). (48) a. Marie chant-e. Maria sing-3.Sg. ‚Maria singt.‘ b. Marie chant-er-a. Maria sing-Fut-3.Sg. ‚Maria wird singen.‘ Generell wurde bei den indoeuropäischen Sprachen in dieser Hinsicht ein Unterschied zwischen der romanischen und der germanischen Sprachfamilie festgestellt. Dahl (1985, 166ff) gibt einen Überblick darüber, welche Tempora in den beiden Sprachfamilien vorliegen und durch welche Formen sie realisiert werden. Unter den germanischen Sprachen, für die Dahl Afrikaans, Englisch, Deutsch, Schwedisch und eine Kreolsprache 11 namens Fitzroy aus Südafrika anführt, liegen in allen Fällen maximal zwei morphologisch gebildete Tempora vor, für Afrikaans gar nur eines (Past). In allen Fällen, außer bei der Kreolsprache, wird durch diese formelle Opposition ein Unterschied zwischen Präsens und Vergangenheit ausgedrückt. In Fitzroy Crossing Kriol liegt einer der selteneren Fälle vor, in denen die binäre Opposition zwischen Präsens und Futur existiert. Hier sehen wir also lauter Beispiele für binäre Tempussysteme. 11 Mehr zu Kreolsprachen später in diesem Kapitel. <?page no="120"?> 120 5 Tempus Anders liegt der Fall bei den romanischen Sprachen (Dahl 1985, 170). Unter allen Sprachen, die Dahl aus dieser Familie auflistet (Katalanisch, Französisch, Italienisch, Lateinisch, Limousinisch, Rumänisch, Spanisch und Portugiesisch) sind jeweils mindestens drei morphologisch markierte Tempora gelistet, die in allen Fällen, bis auf das Rumänische, Gegenwarts-, Zukunfts- und Vergangenheitsbezug ausdrücken. Hier haben wir es also mit trinären Tempussystemen mit drei absoluten Tempora zu tun. Es gibt jedoch auch Sprachsysteme, die überhaupt keine absoluten Tempora aufweisen, z.B. Burmesisch (Comrie 1985, 50ff). Es gibt hier zwar ereignisrelevante Morphologie, die jedoch in erster Linie Modalität anzeigt: Realis (te/ tha/ ta/ hta) vs. Irrealis (me/ ma/ hma). Interessant ist die Bedingung, dass Realismarkierungen nur in Sätzen vorkommen können, die ein vergangenes oder präsentisches Ereignis beschreiben. Hierbei gibt es keine grammatikalische temporale Unterscheidung. Für Sätze mit futurischer Bedeutung hingegen muss eine Irrealis-Markierung im Satz vorhanden sein. Dieses System illustriert deutlich den Zusammenhang zwischen Tempus und Modalität, den wir auch schon fürs deutsche Futur gesehen haben. Die primäre Funktion der burmesischen Irrealis-Markierung ist modal, nicht temporal, jedoch unterliegt ihre Verwendung bestimmten temporalen Restriktionen. In solchen Sprachen, wie dem Burmesischen, gibt es also keine grammatikalisierte Zeitmarkierung. Zeitliche Referenz kann in erster Linie durch lexikalische Mittel (Adverbiale) und logische Deduktion in der Abfolge von Ereignissen hergestellt werden (Weltwissen). 5.6.3 Pidgin- und Kreolsprachen Besonders die lexikalischen Mittel zur Zeitreferenz spielen bei der Entwicklung von Sprachen eine Rolle. Dies ist bei der Herausbildung von Pidgins und Kreolsprachen sichtbar. Pidgins sind sogenannte Ad-hoc-Sprachen, die entstehen, weil zwei Sprecher aufeinandertreffen, die keine gemeinsame Sprache sprechen. Ein Beispiel für solch ein Zusammentreffen, welches historisch schon für die Entstehung von diversen Pidgins gesorgt hat, ist die Zeit der Kolonialisierung, in der oft europäische Seefahrer fern der Heimat auf indigene Völker trafen. Pidgins sind Sprachen, die für solche Ad-Hoc- Situationen gebildet werden, und kommen mit rudimentärer, aus dem Stehgreif geformter Grammatik aus (McMahon 1994, 258). Sie bestehen meist aus Elementen einer europäischen und einer Eingeborenensprache. Pidgins haben ein sehr kleines Lexikon, durch dessen Elemente dann auch Komposition zur Wortschatzerweiterung sowie Flexion zur grammatischen Markierung erfolgt. In der Geschichte hat es öfter den Fall gegeben, dass ein Pidgin, welches eine reine konstruierte Handelssprache war und daher keine Muttersprachler hatte, im Laufe der Zeit, beispielsweise, wenn sich europäische Siedler längerfristig niedergelassen hatten oder Sklaven sich in einem neuen sprachlichen Umfeld zurechtfinden mussten, zu einem sogenannten Kreol wurde. Eine Kreolsprache entsteht immer dann, wenn sich ein Pidgin in einer Sprechergemeinschaft etabliert und eine neue Generation das frühere Pidgin als Muttersprache erlernt und weiterentwickelt (McMahon 1994, 260f). Diese Weiterentwicklung gilt besonders für grammatische Formen. In diesem Fall kann sich aus einem Pidgin, in dem Zeitbezug nur lexikalisch markiert wurde, im Kreol eine morphologische Tempusmarkierung herausbilden. Im Pidgin ist die Sprache noch sehr ikonisch, d.h. einzelne Wörter verkörpern meist einzelne Konzepte. Diese einzelnen Konzepte können lexikalischer oder grammatischer Natur sein. Das Beispiel in (49), in dem ein Phänomen der Wortbildung dargestellt ist, <?page no="121"?> 121 5.7 Tempuslose Konstruktionen ist aus dem Tok Pisin, eine Pidginsprache aus Papua Neu-Guinea (McMahon 1994, 259). (49) Gras bilong het grass belong head ‚Haar‘ In (50) sehen wir Beispiele aus dem hawaiianischen Kreol-Englisch 12 , die die Grammatik betreffen. Hier können sowohl temporale als auch aspektuelle Eigenschaften lexikalisch markiert werden, d.h. durch separate Wörter (went, stay). In der weiteren Entwicklung solchen Sprachen kann es dann jedoch auch passieren, dass aus einer lexikalischen Markierung (50c) eine morphologische (50d) wird (-ing). (50) a. Dey wen pein hiz skin. They went paint his skin. ‚They painted his skin.‘ b. Yu gon turn in yaw pepa leit? You going turn in your paper late ‚Will you turn in your paper late? ‘ c. Da kaet ste it da fish. The cat stay eat the fish. ‚The cat is eating the fish.‘ d. Da kaet iting da fish. The cat eating the fish. ‚The cat is eating the fish.‘ Wie man in diesem Kapitel gesehen hat, gibt es die unterschiedlichsten Formen, durch die Zeitbezug sprachlich markiert werden kann. Im Folgenden wollen wir uns damit beschäftigen, was passiert, wenn wir zwar ein Ereignis sprachlich umsetzen wollen, jedoch eine Form dafür wählen, die zeitlich schwer verankerbar ist. 5.7 Tempuslose Konstruktionen Auch in Sprachen, die im Prinzip Tempus markieren, wie dem Deutschen, gibt es tempuslose Konstruktionen. Hierunter fallen aus dem verbalen Spektrum Infinitive (gehen) und Partizipien (gehend, gegangen). Für Infinitive geht man davon aus, dass die Endung -en in erster Linie die Wortart Verb markiert und eben anzeigt, dass eine Grundform vorliegt. Die Partizipien hingegen sind durch ihre Morphologie (-end, ge-en) für Aspekt markiert, wobei das Partizip I Imperfektivität und das Partizip II Perfektivität repräsentiert (z.B. Donhauser 1986 oder Leiss 1992). Um Ereignisse ausdrücken zu können, muss man sich jedoch nicht immer der Wortart Verb bedienen, es gibt auch nominale Ereigniskonstruktionen. Wie man in (51) 12 Diese Beispiele sind aus: http: / / www.hawaii.edu/ satocenter/ langnet/ definitions/ hce.html <?page no="122"?> 122 5 Tempus sieht, haben diese jedoch keine eigene Zeitreferenz, sondern sind nur durch den Kontext interpretierbar. (51) a. Die Zerstörung der Stadt durch den Feind → zeitlose NP, weil kontextlos b. Die Zerstörung der Stadt durch den Feind fand gestern statt. → Vergangenheitsreferenz durch Tempus des Verbs stattfinden c. Die gestrige Zerstörung der Stadt durch den Feind. → Vergangenheitsreferenz durch Adjektiv gestrig In der folgenden Übung sollen Sie nun den Besonderheiten der tempuslosen Ereigniskonstruktionen selbst auf den Grund gehen. Nützen Sie hierzu Ihr grammatisches Vorwissen und die Informationen, die Sie in den vorigen Kapiteln erhalten haben. Diese Aufgabe fasst nicht nur bestimmte Eigenschaften von Verben im Allgemeinen noch einmal zusammen, sondern stellt unter anderem eine wertvolle Überleitung zum nächsten Kapitel Modus dar. Aufgabe 14 1. Bestimmen Sie, von welcher Wortart die fett gedruckten Ausdrücke sind (nominal, verbal, adjektivisch). 2. Nach welchen grammatischen Eigenschaften sind sie flektiert? 3. Welches Tempus würden Sie ihnen zuordnen und wie kommt diese temporale Bedeutung Ihrer Meinung nach zustande? a. Schreiend rannte Maria zur Tür hinaus. b. Die Schutzhülle abnehmen! c. Hereinspaziert! d. Das Heulen der Wölfe klang mir immer noch in den Ohren. Wie wir in der vorangegangenen Übung gesehen haben, müssen Ereignisse nicht immer per Tempusmorphologie oder durch die Anwesenheit von Zeitadverbialen zeitlich verankert sein. Es kann auch die natürliche Abfolge von Ereignissen sowie eine modale Komponente für die temporale Bestimmung eines Vorgangs sorgen. Tempuslose, ein Ereignis beschreibende Formen sind offensichtlich auch nicht immer eindeutig der Wortart Verb zuzuordnen. Die morphologische Markierung für Tempus ist zwar das grammatische Merkmal, welches Verben von allen anderen Wortarten unterscheidet, jedoch gibt es auch noch andere Möglichkeiten, Ereignisse auszudrücken, wie z.B. durch Nomen oder Adjektive bzw. Partizipien. Die Beispiele in der Übung zeigen erneut, dass es viele Bereiche gibt, in denen Tempus, Modus und Aspekt interagieren. Partizipien sowie deverbale Nominalisierungen werden seit langem unter Berücksichtigung von Aspektualität untersucht. Während ein aspektueller Unterschied von Partizip I und II große Bedeutung für die Diskussion um die Funktionen bestimmter Tempora, wie dem Perfekt, hat (Ballweg 1989; Grewendorf 1995), sind Nominalisierungen bisher eher abgesondert und ohne Zusammenhang zu einer temporalen Verankerung im Satz betrachtet worden (u.a. Grimshaw <?page no="123"?> 123 5.7 Tempuslose Konstruktionen 1990; Ehrich & Rapp 2000; Alexiadou 2001; Heinold 2011b). In erster Linie wurde hier untersucht, welche aspektuellen (und anderen semantischen) Unterschiede beispielsweise zwischen Nominalisierungen wie denen in (52) und (53) bestehen. (52) a. Schnelles Handeln ist jetzt angebracht. b. Solch eine Handlung ist unangebracht. (53) a. Das Bekleben der Wand dauerte Stunden. b. Die Beklebung der Wand fand an einem einzigen Tag statt. c. Die Beklebung der Wand konnte nicht mehr so einfach entfernt werden. 13 In allen fünf Sätzen haben wir es bei den Nominalisierungen mit Ereignissen oder Ergebnissen von Ereignissen (53c) zu tun, die aufgrund ihrer Wortart selbst nicht für Tempus markiert sind. Dennoch bekommen wir unterschiedliche Ideen über ihr Andauern, Fortgehen oder Abgeschlossensein. Auch was ihre grammatischen Eigenschaften betrifft, unterscheiden sich die Nominalisierungen. Manche ähneln Verben, mache sind ganz klar Nomen. So ist Handlung im Gegensatz zu Handeln zählbar und eine Beklebung kann ein Objekt sein, was entfernbar ist, während Bekleben immer nur einen Vorgang bezeichnen kann (Ehrich & Rapp 2000; Heinold 2011b). Aufgrund dieser Komplexität, die den verschiedenen Typen von deverbalen Nominalisierungen in Morphologie und Semantik eigen ist, wurde eine Diskussion um ihre Einbettung im Satz bisher in den meisten Fällen eher außen vor gelassen. In letzter Zeit jedoch hat man sich in der linguistischen Forschung auch stärker damit beschäftigt, welche Interaktionen zwischen diesen tempuslosen Formen und den sie umgebenden Elementen im Satz bestehen (z.B. Heinold 2011b). Insgesamt sind solche Ausdrücke jedoch ein interessantes Forschungsgebiet, um die Interaktion von Tempus und Aspekt sowie die Übertragung von temporalen Eigenschaften auf andere Einheiten im Satz zu beobachten. Interessante Diskussionspunkte für die Überschneidung von Tempus und Modus (oder zumindest Modalität) ergeben sich ebenfalls aus einigen anderen in der Übung oben vorgeführten Beispielen. Wie zu sehen war, eignen sich tempuslose Verbformen, wie Infinitive und Partizipien, gut dazu, Aufforderungen auszudrücken - eine Aufgabe, für die es eigentlich eine besondere grammatische Form gibt: den Imperativ. Wie wir in Kapitel 6 im Detail erfahren werden, ist auch der Imperativ selbst eine tempuslose Form (Donhauser 1986). Er kann zwar für Numerus markiert werden (Geh! Geht! ), bezeichnet jedoch immer die Aufforderung zu einer Handlung, welche dann natürlicherweise in der Zukunft liegt (da sie ja erst noch vom Hörer realisiert werden muss), und nie ein vergangenes oder gerade stattfindendes Ereignis, welches auf seinen Wahrheitswert hin mit der Wirklichkeit abgeglichen werden könnte. Hier wird nun ein Zusammenhang von Tempus und Modus erkennbar: es gibt Modi, die für Tempus markierbar sind, wie der Indikativ, und Modi, die nicht temporal verankert werden können, wie der Imperativ (oder seine Ersatzformen, Infinitiv und Partizip). Welche Rolle der Konjunktiv hierbei einnimmt und welche Auswirkungen sich daraus für eine Definition der Modi ergeben, werden wir nun in Kapitel 6 diskutieren. 13 Siehe auch Ehrich & Rapp 2000. <?page no="124"?> 124 5 Tempus Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden acht Tempora der deutschen Sprache vorgestellt, wovon sechs dem klassischen Katalog zuzuordnen sind (Präsens, Perfekt, Präteritum, Plusquamperfekt, Futur I & II) und zwei, wenn auch nicht wirklich neu in ihrem zeitlichen Auftreten, so zumindest jedoch noch nicht zur Gänze im Gebrauch der Standardsprache etabliert sind: Doppelperfekt und -plusquamperfekt. Die meisten deutschen Tempora weisen zwar eine konkrete semantische Grundbedeutung auf, die sich durch das Verhältnis von Ereignis-, Sprech- und Referenzzeit ausdrücken lässt, können aber in Abhängigkeit vom Kontext multiple Effekte oder Konnotationen annehmen. Besonders das Perfekt sticht in diesem Zusammenhang heraus: Je nach Kontext kann seine aspektuelle oder seine temporale Semantik betont werden. So ist es in vielen, jedoch nicht in allen Fällen austauschbar mit dem Präteritum. Bei den Futurtempora existiert neben der temporalen Zukunftslesart meist noch ein zweite epistemische Ebene, die die modale Funktion von werden + Infinitiv verkörpert. Je nach Kontext, kann auch hier die eine oder die andere Ebene mehr hervortreten. Außer durch Tempora kann Zeitreferenz auch lexikalisch ausgedrückt werden. Die lexikalische Markierung kann zusätzlich oder anstelle der morpho logischen benutzt werden, je nach Sprache. In der historischen Entwicklung von Sprachen, können sich die beiden Formen der Tempusmarkierung auch abwechseln (Pidgins & Kreolsprachen). Zuletzt gibt es auch Ausdrücke, die Ereignisse ohne jegliche zeitliche Verankerung beschreiben können, wie Infinitive oder Nominalisierungen. Insgesamt hat sich durch das ganze Tempuskapitel immer wieder die Wichtigkeit von Aspekt für Tempus bzw. die Wichtigkeit von Tempus für Modalität gezeigt. Empfohlene Literatur Gerade für das Thema Tempus existieren viele neue und gute Einführungs- und Studienbücher, die sich mal mehr mit den Formen der deutschen Tempora, mal mehr mit ihren Funktionen beschäftigen (z.B. Rothstein 2007; Vater 2007; Thieroff & Vogel 2009). Auch in vielen Grammatiken wird dieses Thema nicht nur aus morphologischer Sicht behandelt. Zifonun et al. (1997) ist sicher eine derjenigen, die sich den Bedeutungsaspekten der deutschen Tempora intensiv und auf hohem Niveau widmen. Auch in der Textgrammatik von Weinrich (1993) findet man eine ausführliche Darstellung der sechs klassischen Tempora sowie viele anschauliche Textbeispiele. Weinrich (1964) geht allerdings noch sehr viel tiefer ins Detail und zieht Textanalysen aus dem Englischen, dem Französischen, dem Spanischen und dem Italienischen zum Vergleich heran. Welke (2005) nimmt für seinen Überblick über die deutschen Tempora die Perspektive der Prototypensemantik ein und stellt Verbindungen zu Aspekt und Modalität her. Thieroff (1992) verknüpft seine Tempusanalyse mit Modus und Distanz. Linguistische Arbeiten, die sich einem oder zwei Tempora im Besonderen widmen, gibt es ebenfalls: Für das Präsens ist Ek (1996) zu nennen, für das Futur im Vergleich mit dem Präsens Di Meola (2013). Bei den Tempora der Vergangenheit liegt der Fokus häufig auf der Abgrenzung von Perfekt und Präteritum. Jäger (2007) vergleicht diese beiden Tempora in der gesprochenen Sprache. Hennig (2000) stellt die Tempora der Vergangenheit einander im gesprochenen und im geschriebenen Deutsch gegenüber. Einen Überblick über verschiedene Auffassungen des Perfekts geben Klein & Musan (1999). In von Stechow (1999) und Rathert (2004) wird ein besonderer Bedeutungsas- - <?page no="125"?> 125 5.7 Tempuslose Konstruktionen pekt des Perfekt beleuchtet, der hier nur kurz angesprochen wurde: Extended Now. In Musan (2001) findet sich eine kritische Auseinandersetzung damit. Kuroda (1999) behandelt das Perfekt aus diachroner Perspektive. Hierbei geht sie auch auf die Entwicklung der habenbzw. sein-Selektion ein. In Alexiadou et al. (2003) wird das Perfekt in Sprachen wie dem Deutschen, dem Englischen, dem Griechischen etc. behandelt. Insbesondere die doppelten Perfekttempora haben in letzter Zeit verstärkt das Interesse der Forschung auf sich gezogen. Buchwald-Wargenau (2012) gibt einen historischen Überblick über die Entwicklung dieser Formen durch die Jahrhunderte, Rödel (2007) stellt ihre aspektuellen Eigenschaften in den Vordergrund. Ein typologisches Grundlagenwerk, welches die wichtigsten Begriffe zum Thema Tempus einführt und aufzeigt, welche Formen in den Sprachen der Welt benutzt werden, um temporale Relationen auszudrücken, ist Comrie (1985). Auch Klein (2009) macht es sich zur Aufgabe, die verschiedenen Arten der sprachlichen Enkodierung von Zeit zu besprechen. Die Werke von Dahl (2000, 1985) können als linguistische Landkarten der Tempora aus den unterschiedlichsten Sprachfamilien verstanden werden. <?page no="127"?> 6 Modus Dieses Kapitel behandelt Modus als grammatische Kategorie. Eine der traditionellen Schwierigkeiten bei diesem Thema besteht nicht nur darin, eine allgemeingültige Definition von Modus zu finden, sondern auch Modus und Modalität, zwei Konzepte, die eng miteinander verbunden sind, voneinander abzugrenzen. Hierzu gab es in der Vergangenheit die unterschiedlichsten Versuche. Ebenso, wenn es zu bestimmen gilt, welche Modi im Deutschen existieren. Das erste Unterkapitel 6.1 soll dazu dienen, diese Schwierigkeiten genauer zu beleuchten und einen Überblick über die bisherigen Blickwinkel, unter denen dieses Thema behandelt wurde, zu geben. In Kapitel 6.2 wird eine morphologische Definition der Kategorie Modus anhand grundlegender Werke wie Donhauser (1986) oder Petrova (2008) angestrebt. Hierzu beschäftigen wir uns zuerst mit den Formen, die dem deutschen Modussystem traditionell zugesprochen wurden: Welche morphologischen Einheiten sind überhaupt in der Lage, welche Art von Modalität auszudrücken? Wir werden schnell feststellen, dass sich die Zuordnung von Form und Bedeutung in diesem Bereich äußerst schwierig gestaltet und auch für die linguistische Theorie eine Herausforderung darstellt. In Kapitel 6.3 widmen wir uns speziell dem Bedeutungsaspekt, der Modalität. Um über Modus in angemessener Form sprechen zu können, ist es von zentraler Bedeutung, sich zuerst mit den verschiedenen Arten von Modalität auseinanderzusetzen. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Phänomenen und Begriffen, die grundlegend für das Verständnis der grammatischen Kategorie Modus sind. Hier nehmen wir die deutschen Modalverben unter die Lupe, die ein ganzes Spektrum an unterschiedlichen modalen Funktionen zu bieten haben. Dazu wird das traditionelle Klassifikationssystem von Kratzer (1981, 1991) und die dort benutzte Terminologie eingeführt. Dadurch soll die Grundlage für die darauffolgende Beschäftigung mit den einzelnen Modi des Deutschen und ihrem äußerst breiten Bedeutungsspektrum geschaffen werden. In Kapitel 6.4 wagen wir einen Exkurs ins Französische, in welchem Modus und Modalität eine völlig andere Rolle spielen als im Deutschen. Dieses Kapitel ist auch für Studierende geschrieben, die keine Vorkenntnisse in der französischen Sprache besitzen. Hier soll es darum gehen, den Blick für andere Ausprägungen und Realisierungen von Modalität zu bekommen. Dies ist von Bedeutung für die anschließende Auseinandersetzung mit Form und Bedeutung der deutschen Modi. Ab Kapitel 6.5 widmen wir uns den Modi des Deutschen im Detail. Wir begegnen dem Imperativ und ergründen die Frage, ob es sich hierbei tatsächlich um einen Modus handelt, oder ob er nicht besser allein als Satztyp klassifiziert wäre, wie es des Öfteren in der Vergangenheit versucht wurde. Dieser Zusammenhang von Satztypen und Modi ergibt sich auch, wenn man einen Blick auf andere Sprachen wirft, wie zum Beispiel auf das Französische. Wieder andere Sprachen bestätigen klar die Klassifizierung des Imperativs als morphologisches Paradigma. Das Finnische beispielsweise, welches in Kapitel 6.5.1 kurz vorgestellt werden soll, wartet mit sechs verschiedenen Imperativformen auf, die klar einem Paradigma zugeordnet werden können. Die Schwierigkeit des Deutschen jedoch besteht darin, dass es seinen Imperativ sowohl in syntaktischer als auch morphologischer Weise definiert und so eine Art Zwischenform generiert. In Kapitel 6.5.2 werden wir uns mit anderen Formen der Aufforderung beschäftigen. Kapitel 6.6 ist dem Konjunktiv gewidmet. Hierbei soll zuerst einmal einigen formalen Schwierigkeiten mit diesem Modus Rechnung getragen werden. Es wird erläutert, <?page no="128"?> 128 6 Modus welche Formen überhaupt als Konjunktiv betrachtet werden können und welche funktionalen Aufgaben Konjunktiv 1 und 2 zufallen. In Kapitel 6.6.4 wird speziell auf die Konstruktion würde + Infinitiv eingegangen, die im Deutschen mehrere Aufgaben übernehmen kann und traditionell für das Verständnis des Konjunktivs Probleme bereitet.In Kapitel 6.7 wird eine Realisierungsform von Modalität diskutiert, die u.a. fürs Deutsche typisch ist und die in Kombination mit bestimmten Modi Auswirkungen auf deren modale Funktionen haben kann: die Modalpartikel. Gerade Nichtmuttersprachler tun sich oft schwer mit dem Verständnis solch „kleiner Wörter“, wie ja, doch, denn etc., deren Bedeutung oft nicht so einfach zu fassen ist und die Einfluss auf ganze Sätze haben kann. Da der Modus Indikativ bereits mit dem Kapitel Tempus abgehandelt wurde und auch in den jetzt folgenden ersten beiden Unterkapiteln zur Sprache kommt, wird er nicht mehr separat thematisiert werden. 6.1 Definitionen: Modus vs. Modalität In der Schulgrammatik wurde der Definition der beiden Begriffe „Modus“ und „Modalität“ lange Zeit keine große Bedeutung zugemessen. Es schien relativ unumstritten zu sein, dass die drei Modi des Deutschen in Indikativ, Imperativ und Konjunktiv bestehen und sich in bestimmten Flexionsparadigmen manifestieren (z.B. Brinkmann 1971; Duden 1995, o.ä.). In manch anderen Grammatikwerken wird Modus sogar unter der Überschrift „Das Verb und seine Einstellungen“ zusammen mit Tempus behandelt (Weinrich 1993). Erst in neueren, weiter gefassten Grammatiken (Zifonun et al. 1997; Duden 2009) wird die grammatische Kategorie gesondert beschrieben und ausführlicher definiert. Auch in neueren Werken zur Flexionsmorphologie haben Modusdefinitionen Einzug gehalten. So stellen Thieroff & Vogel (2012, 21) fest, dass die Merkmalsklasse Modus […] regelhaft die sprachliche Realisierung von Modalität am Verb [repräsentiert], d.h. die ‚Art und Weise‘, wie der Sprecher einen Sachverhalt hinsichtlich der Wirklichkeit einschätzt. Der Behauptung von Abraham (2009), dass Modus in den meisten Grammatiken und Büchern zum Thema hauptsächlich durch die Aufzählung der einzelnen Modi definiert werde, kann daher nicht vollständig zugestimmt werden, wenn auch in einigen neueren Einführungswerken, die sich ausschließlich mit grammatischen Formen befassen, immer noch so vorgegangen wird (z.B. Sahel & Vogel 2013). Die Problemstellung mit der Definition des Begriffs „Modus“ besteht nach Petrova (2008) darin, dass die Modi des Deutschen bisher hauptsächlich nach ihrer Funktion definiert wurden. So wird beispielsweise der Imperativ traditionell als Befehlsmodus bezeichnet, obwohl er noch diverse weitere Verwendungsweisen hat. Diese Identifikation von bestimmten Funktionen mit einem Modus führt oft dazu, dass auch umgekehrt die Identifikation einer Form fälschlicherweise aus ihrer Bedeutung hergeleitet wird. Nehmen wir den Satz in (1), in dem klar ein Befehl geäußert wird. Diverse Studierende sind, wenn sie gefragt werden, der Meinung, dass es sich bei der Verbform aufstehen um einen Imperativ handelt, was sie allein aus der befehlenden Bedeutungskomponente erschließen. (1) Müller, aufstehen! <?page no="129"?> 129 6.1 Definitionen: Modus vs. Modalität Dass wir es in Wirklichkeit mit einem Infinitiv mit direktiver Funktion zu tun haben, wie wir ihn schon im vorangegangenen Kapitel kennengelernt haben, wird dabei schnell übersehen. Petrova (2008) weist daher zu Recht darauf hin, dass Indikativ, Konjunktiv und Imperativ grammatische Mittel zum Ausdruck von unterschiedlichen „Stellungnahmen des Sprechers zum Gültigkeitsgrad der Aussage“ [Modalität m.A.] sind. Findet jedoch keine morphologische Veränderung am Verb statt, sprechen wir nicht mehr von Modus. Modalität kann auch in lexikalischen Formen ihre Realisierung finden, wie es beispielsweise bei den Modalverben der Fall ist. Daher möchte ich an dieser Stelle noch einmal meine Modusdefinition aus dem Einführungskapitel wiederholen, die m.E. klarmacht, dass Modus immer an eine formale Markierung am Verb gebunden ist. DEFINITION Modus ist die Grammatikalisierung der Bedingungen, unter denen ein Ereignis ausgewertet wird. Welche Modalität durch welchen Modus letztendlich ausgedrückt wird, ist eine eher schwer zu beantwortende Frage, der wir uns in den Unterkapiteln zum Imperativ und zum Konjunktiv widmen werden. Doch was ist denn nun Modalität genau? Wie wir Petrovas Definition entnehmen können, scheint es irgendetwas mit der Einstellung des Sprechers zu seiner Aussage zu tun zu haben. Hier jedoch muss man wieder mehrere Fälle von „Einstellung“ unterscheiden. Auf der einen Seite kann sich der Sprecher, wie in der Definition beschrieben, über die Gültigkeit seiner Aussage äußern, indem er beispielsweise einen bestimmten Modus oder ein Modalverb benutzt. Hierbei wird angezeigt, ob ein Ereignis in der wirklichen (2a) oder einer möglichen Welt auszuwerten ist (2b). Auch kann klargemacht werden, wie sicher sich eine Sprecherin bezüglich ihrer Aussage ist, bzw. wie sie möglicherweise zu ihrer Aussage kommt (Schlussfolgerung (2c), Hörensagen (2d) etc.). (2) a. Peter war zu Hause. b. Peter wäre schon zu Hause, wenn sein Zug nicht so viel Verspätung hätte. c. Peter muss zu Hause sein. d. Peter soll ja zu Hause sein. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, eine Aussage anderweitig zu kommentieren und so eine persönliche Einstellung auszudrücken. Dies finden wir oft, wenn Modalpartikeln im Spiel sind. So zeigt die Partikel denn in (3a) beispielsweise eine Art Vorwurf an, wohingegen im ja in (3b) die Überraschung des Sprechers zum Ausdruck kommt. (3) a. Mann! Was machst du denn da? b. Wow! Das ist ja ein Ding! <?page no="130"?> 130 6 Modus Wie wir sehen, kann es sich beim Ausdruck der Sprechereinstellung um sehr unterschiedliche Arten des Kommentars handeln. In den Kapiteln 6.3 und 6.4 werden wir noch auf die unterschiedlichen Formen von Modalität genauer eingehen. Für den Moment soll uns folgende Definition genügen. DEFINITION Modalität gibt die Einstellung des Sprechers zum Gesagten wieder. Diese kann die emotionale Bewertung bzw. den eingeschätzten Gültigkeitsgrad der Aussage selbst widerspiegeln oder die Welt anzeigen, in der das Gesagte auszuwerten ist. Gerade, wenn es darum geht, auszuwerten, in welcher Welt eine Aussage Gültigkeit hat oder wie ihr Wahrheitswert zustande kommt, sind die drei uns bekannten Modi von Bedeutung. Hierbei kommt dem Indikativ (4a) die Rolle zu, Gewissheit über die Realität des Ausgesagten anzuzeigen. Der Sprecher zeigt durch die Benutzung dieses Modus an, dass er seine Aussage zur Überprüfung durch den Hörer bereitstellt, der dann entscheiden kann, ob das Gesagte als wahr oder falsch zu bewerten ist. Der Konjunktiv markiert eine Aussage als unwirklich oder nur eingeschränkt gültig (4b). Beim Imperativ schließlich geht es nicht mehr um die Auswertung der Bedingungen, unter denen das Gesagte wahr ist, sondern darum, das Gesagte wahr zu machen. Erst wenn Peter in (4c) den Zug nimmt (oder eben den Bus), können wir wissen, ob der Aufforderung nachgekommen wurde oder nicht, das Ereignis also eingetreten ist oder nicht. (4) a. Peter nimmt den Zug. b. Es hieß, Peter habe den Zug genommen. c. „Peter, nimm den Zug! “ Wir haben nun ein grobes Bild davon, was Modalität bedeutet und wie sie im Zusammenhang zu Modus steht. Im Kapitel zu den Modalverben werden wir hierzu in die Tiefe gehen. Insgesamt muss gesagt werden, dass der Begriff Modalität in den Grammatiken bisher hauptsächlich dann überhaupt diskutiert wird, wenn es um die Verwendungsweisen verschiedener Modi geht (Duden 2009, 1114) oder wenn die Modalverben des Deutschen ins Zentrum des Geschehens rücken (Weinrich 1993, 52; Duden 2009, 556f). Auch in der Diskussion um die Satztypen trifft man ein ums andere Mal auf diesen Begriff (Duden 2009, 500), jedoch ohne dass zwangsläufig eine Basisdefinition insbesondere in Abgrenzung zum Modus gegeben wird. Wie wir im Folgenden sehen werden, lässt sich jedoch nur schwer eine tiefergehende Diskussion über Modus und Modalität führen, wenn vorher keine klaren, abgrenzenden Definitionen festgelegt wurden. Im nächsten Kapitel möchte ich nun genauer auf die morphologischen Formen der Modi im Deutschen eingehen und zeigen, warum sie einerseits ein wichtiges Feature zur Erkennung und Bestimmung der drei Modi sind, warum sie aber andererseits auch Probleme bereiten, gerade wenn es darum geht, welche Modi das Deutsche überhaupt besitzt. <?page no="131"?> 131 6.2 Modus: eine morphologische Definition 6.2 Modus: eine morphologische Definition Im vorigen Kapitel wurde schon angedeutet, dass die Hauptproblematik bei der Definition der deutschen Modi darin besteht, dass Form und Funktion nicht in einem 1: 1- Verhältnis stehen. Hierzu ein paar weitere Beispiele aus der Rubrik Imperativ. (5) a. Komm jetzt endlich mit! b. Du kommst jetzt mit! c. Los, mitkommen! d. Ach komm! Das kann ja wohl nicht wahr sein! e. Komm her und ich knallʼ dir eine! f. Komm du mal nach Hause und alles steht unter Wasser! Da jubelst du sicher auch nicht gerade! In Beispiel (5a) sehen wir den Idealfall bei der Zuordnung von Form und Funktion. Der Modus ist der Imperativ, die Funktion ist eine (starke) Aufforderung. Dies ist das prototypische Paar, das man in der Schulgrammatik traditionellerweise anerkennt. In (5b) und (5c) sehen wir jedoch eine Abweichung, was die Form anbelangt. Die Funktion bleibt weiter die Aufforderung - diese wird jedoch in (5b) durch einen Indikativ und in (5c) durch einen Infinitiv realisiert. Solche „Mismatches“ auf der Formseite haben dazu geführt, dass man in der linguistischen Theorie einer semantisch-pragmatischen Definition des Imperativs zunehmend skeptisch gegenüberstand (Donhauser 1986; Petrova 2008). In (5d) bis (5f) sieht man jedoch auch Beispiele, die zeigen, dass selbst die Form des Imperativs nicht zu hundert Prozent an irgendwelche auffordernden Sprechakte gebunden sein muss. Speziell fürs Englische sind diese Abweichungen von Form und Funktion beim Imperativ in den letzten Jahren in einigen Dissertationen erforscht worden (z.B. de Rycker 1990; De Clerck 2005; Van Olmen 2011). Dort wird das ganze Spektrum an nicht-typischen Funktionen des Imperativs aufgezeigt. Auch Donhauser (1986) beschäftigt sich mit einigen dieser Phänomene fürs Deutsche. So finden wir in (5d), was bei ihr „interjektionaler Imperativ“ genannt wird. Die Form ist zwar ein Imperativ, die Verwendung jedoch eher eine Routineformel: das Gegenüber wird nicht zum Kommen aufgefordert, sondern der Sprecher drückt seine Ungläubigkeit in einer Art Ausruf aus. In (5e) finden wir eine konditionale Bedeutung vor, nach dem Schema „Wenn du kommst, knall ich dir eine“. (5f) ist ein interessanter Fall, der auch in anderen Sprachen, wie dem Finnischen, existiert und beispielsweise in Hakulinen et al. (2004) besprochen wurde; fürs Englische sei auf De Clerck verwiesen. Auch hier geht es eher um eine hypothetische Situation: „Stell dir vor du kommst nach Hause …“. Wie man also sieht, ist selbst, wenn formal ein Imperativ vorliegt, nicht gesichert, dass zwangsläufig eine Aufforderungsbedeutung ausgedrückt werden soll. Aufgrund der Probleme bei der inhaltlichen und formalen Definition von Modus, wird in manchen Arbeiten Modus nur noch als die unterschiedliche Komplexität von Verbformen gesehen (Wunderli 1970; Donhauser 1986). Solch eine Sichtweise hat den Vorteil, dass die Bedeutungskomponente komplett ausgeklammert wird und das Problem auf eine grammatische Ebene gehoben wird. In solchen Modellen gilt alleine der Indikativ als sogenannte „vollständig aktualisierte“ Form (Donhauser 1986). Vollstän- <?page no="132"?> 132 6 Modus dig aktualisiert bedeutet nichts anderes, als dass durch die Verwendung dieser Form vollständig logisch beurteilbare Sätze formuliert werden. Nur ein Satz im Indikativ ist zeitlich in der realen Welt verankert und kann als wahr oder falsch bewertet werden. Der Konjunktiv ist niederer in der Hierarchie der Modi und stellt demnach einen nur teilweise aktualisierten Satz dar. Er kann keine wahrheitsbezogenen Aussagen ausdrücken. Vielmehr geht es darum, was die Bedingungen sind, unter denen eine Aussage wahr ist. (6) a. Wenn es geregnet hätte, wären wir natürlich daheim geblieben. b. Wenn es regnen würde, müssten wir uns natürlich was anderes überlegen. Der Irrealis z.B. bezieht sich nicht auf die reale Welt, sondern auf eine mögliche (in der es geregnet hat) (6a). Der Potenzialis bezieht sich ebenso wenig auf die wirkliche Welt, zumindest nicht auf die präsentische (6b). In einer zukünftigen Welt können die angenommenen Bedingungen allerdings schon noch eintreffen. Im Gegensatz zum Indikativ fehlt dem Konjunktiv die Fähigkeit, eine Aussage in der realen Welt zu verankern. Dies ist nach Donhauser (1986) nur über eine Tempusmarkierung am Verb möglich, welche sie dem Konjunktiv abspricht. Andere Analysen wie Thieroff (1992) und Petrova (2008) sprechen dem Konjunktiv allerdings durchaus temporale Eigenschaften zu. Der Imperativ ist in Donhausers (1986) Modell ebenfalls nur eine teilaktualisierte Form. Seine grammatische Besonderheit besteht darin, dass er nicht für Person markiert ist. Im Deutschen existieren nur zwei wirkliche grammatische Imperativformen, eine für Singular (7a), eine für Plural (7b). Die Höflichkeitsform in (7c) wird nicht als wirkliche Imperativform anerkannt, da ein syntaktisches Kriterium des Imperativs darin besteht, dass er sein Subjekt nicht im Satz realisiert, was auf die Höflichkeitsform nicht zutrifft. Dasselbe gilt für die 1. Person Plural in (7d) (Donhauser 1986; Heinold 2012). (7) a. Geh-ø! b. Geh-t! c. Gehen Sie! d. Gehen wir! Um eine Aufforderung an andere Personen - zum Beispiel an eine 3. - auszusprechen, muss man sich im Deutschen anderer Konstruktionen behelfen. Unter anderem besteht die Möglichkeit, eine Modalverbkonstruktion (8a) oder einen Indikativ mit dementsprechender Betonung zu verwenden (8b). (8) a. Peter soll jetzt endlich reinkommen! b. Peter kommt jetzt auf der Stelle rein! Aufgrund des Fehlens einer Personenmarkierung sieht Donhauser den Imperativ auf halbem Weg zu den infiniten Formen und bezeichnet ihn als semi-finit. In ihrer Hierarchie der Verbalkategorien folgen dementsprechend das Partizip, welches für Aspekt markiert ist und zwischen perfektiv und imperfektiv unterscheiden kann (vgl. Aspektli- <?page no="133"?> 133 6.2 Modus: eine morphologische Definition teratur) sowie der Infinitiv, der keine grammatische verbale Eigenschaft aufweist. Dies lässt sich in einem Stufenmodell der Aktualisierung (nach Donhauser 1986) darstellen: Infinitiv Semantem Verb Partizip Semantem Verb Aspekt Imperativ Semantem Verb Aspekt Numerus Konjunktiv Semantem Verb Aspekt Numerus Person Indikativ Semantem Verb Aspekt Numerus Person Tempus Wie man sieht, scheint Tempus in diesem Ansatz die Eigenschaft zu sein, die den Ausschlag gibt, ob etwas einen Wahrheitswert darstellen kann oder nicht. Der Indikativ ist der einzige Modus, der diese Eigenschaft hat. Dieses Stufenmodell steht im Gegensatz zu den Theorien, die Modus als eine Art Tempus auffassen oder zumindest Überlappungen sehen (z.B. Thieroff 1992). Hierbei wird oft der Einwand laut, dass es ja auch unterschiedliche Tempora für den Konjunktiv gäbe (9). Ebenso wird auf Restriktionen der Konjunktivformen durch Zeitadverbiale hingewiesen, was deutlich macht, dass auch dieser Modus nicht gänzlich unabhängig von temporalen Gegebenheiten ist. Die folgenden Beispiele stammen aus Petrova (2008, 28). (9) a. Wenn jetzt/ morgen/ *gestern die Sonne schiene, gingen wir in/ würden wir in den Park gehen. b. Wenn gestern die Sonne geschienen hätte, wären wir in den Park gegangen. Insgesamt versucht das Stufenmodell, die Modi des Deutschen anhand ihrer grammatischen Eigenschaften voneinander abzugrenzen und Erklärungen für bestimmte Verhaltensweisen dieser Formen zu geben. Die Beschreibung der Verbalkategorien als zusammengesetzte Einheiten, wie es Donhauser (1986) oder Wunderli (1970) vornehmen, wurde auch schon früher unter etwas anderem Blickwinkel versucht. Jakobsons (1957) Analyse zum Aspekt im Slawischen gilt hierzu als grundlegend. Hier werden die Verbalkategorien als eine Fusion von indexalem und symbolischem Zeichen verstanden, da sie meist über die Sprechsituation definiert werden. Sie setzen sich zwar aus anderen Unterkategorien und Merkmalen zusammen wie im oben vorgestellten Stufenmodell, doch auch hier wird eine Abstufung der Komplexität innerhalb von Modus, Tempus und Aspekt versucht. Auch Leissʼ (1992) Arbeit zu den Verbalkategorien im Deutschen (welche sich zwar am Rande mit Modus beschäftigt, hier aber auf den Indikativ beschränkt ist) kann im Zusammenhang mit solch einer Komplexität der Kategorien gesehen werden und schlägt den Bogen zu der von Guillaume (1929) beschriebenen Chronogenese. Hiernach brauchen die grammatikalischen Prozesse Aspekt, Tempus und Modus unterschiedliche lange, um in „realen psychischen Prozessen“ erzeugt zu werden (Leiss 1992, 3). Wir haben in diesem Kapitel gesehen, dass bestimmte Auffassungen vom Modus, die häufig durch die Schulgrammatiken vermittelt werden, so nicht aufrecht erhalten werden können. Weder können bestimmten Modi exakt bestimmte Bedeutungen zugeordnet werden, noch ist in vielen Fällen klar, welche Formen überhaupt zum Paradigma gezählt werden sollen. Je nach Sichtweise und Problemstellung ergeben semantisch-pragmatische, morphologische oder gar syntaktische Analysen von Modus mehr Sinn. Inwiefern Temporalität innerhalb der Modi repräsentiert ist, wird in den einzel- <?page no="134"?> 134 6 Modus nen Unterkapiteln zum Imperativ und zum Konjunktiv zu klären sein. Im folgenden Kapitel wollen wir uns eingehender mit Modalität beschäftigen. Zu wissen, welche Arten von Modalität bestehen, kann uns helfen, die semantisch-pragmatischen Eigenschaften der Modi besser zu verstehen. Hierzu schauen wir uns die deutschen Modalverben genauer an, die, wie wir oben gesehen haben, in manchen Fällen Modi wie in den Imperativ ersetzen können. 6.3 Abstufungen von Modalität: die deutschen Modalverben In diesem Kapitel geht es um die deutschen Modalverben und darum, welche Arten von Modalität sie ausdrücken können. Doch welche Verben zählen überhaupt zu den deutschen Modalverben und wie erkennt man sie mit Sicherheit? Schauen Sie sich die Beispiele in (10) an! Welches sind Ihrer Meinung nach Modalverben und warum? (10) a. Peter muss morgen seine Hausarbeit abgeben. Sonst fällt er durch. b. Fertig! Peter kann morgen endlich seine Hausarbeit abgeben. c. „Ach ja, Peter, Grüße vom Prof. Du sollst morgen deine Hausarbeit abgeben.“ d. „So, endlich habe ich Zeit für die Korrektur … Jetzt darfst du mir deine Hausarbeit abgeben.“ e. Peter wird morgen endlich seine Hausarbeit abgeben. Nach Öhlschläger (1989) ist „ein Verb […] dann als Modalverb zu klassifizieren, wenn es neben der Grundmodalität über eine zusätzliche epistemische verfügt“ (Leiss 2009, 6). Mit der Grundmodalität ist einfach die Frage danach gemeint, ob eine Handlung als notwendig oder möglich angesehen wird. Bei der Verwendung des Verbs müssen erkennen wir eine starke Notwendigkeit, wohingegen das Verb können eine reine Möglichkeit verkörpert. Sollen ist irgendwo dazwischen, und auch bei dürfen scheint wieder eine Möglichkeit zu bestehen, etwas zu tun. Doch was ist z.B. mit werden im Beispiel oben? Welche Grundmodalität hat es überhaupt? Ist eine Art Notwendigkeit erkennbar - z.B. dass ein Ereignis mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eintreten wird? Wenn man sich die deutsche Futur-Konstruktion mit werden + Infinitiv anschaut, kann man daraus schließen, dass sie auf jeden Fall eine schwache Notwendigkeit anzeigt. In Peter wird bald nach Hause kommen ist es doch einigermaßen wahrscheinlich, dass das Ereignis [Peter nach Hause kommen] eintrifft (vgl. Kapitel 5.5). Das heißt, eine gewisse Grundmodalität kann man werden bescheinigen. Werden taucht jedoch in vielen Fällen nicht im Katalog der deutschen Modalverben auf (z.B. Weinrich 1993, 289ff; Dreyer & Schmitt 2000, 100; Duden 2009, 458), wenn man jedoch Öhlschlägers Definition von oben zugrunde legt, können Zweifel darüber aufkommen, ob es nicht doch dort hineingehörte. Versuchen wir eine epistemische Modalität, die das Erkennungszeichen für ein Modalverb sein soll, für werden zu entdecken! Über Epistemizität haben wir schon einiges im Kapitel Tempus erfahren. Hier zur Wiederholung noch einmal die Definition. <?page no="135"?> 135 6.3 Abstufungen von Modalität: die deutschen Modalverben DEFINITION Epistemische Modalität weist auf den Status einer Proposition hin und zeigt an, welchen Grad von Wahrscheinlichkeit ein Sprecher einem Ereignis beimisst. Epistemische Modalität bezieht sich auf zukünftige, gegenwärtige oder vergangene Ereignisse. Doch was bedeutet das nun genau? Was ist mit dem „Status einer Proposition“ gemeint? Im Online Lexikon Linguistik der HU Berlin drückt man es so aus: „[...] epistemische Modalität bezieht sich auf die Erwartungen, die Sprecher aufgrund ihres Hintergrundwissens haben.“ Dieses Hintergrundwissen kann entweder Weltwissen sein, wie die Dinge normalerweise eben so ablaufen, oder ein Sprecher kann aufgrund von Indizien eine bestimmte Schlussfolgerung ziehen. (11) a. Peter muss gestern lange weg gewesen sein - er sieht total übermüdet aus. b. Maria wird gestern die Bücher mitgenommen haben, ... oder? In Beispiel (11a) vermutet der Sprecher allein anhand von Peters Aussehen, dass Peter lange weg war. Der Sprecher selbst war weder vor Ort und hat Peter gesehen noch hat er Peter danach gefragt. In (11b) stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Wenn alles normal gelaufen ist (so wie abgemacht), hat Maria die Bücher gestern mitgenommen. Der Sprecher hat aber weder Maria noch die Bücher heute schon gesehen, von daher hofft er/ nimmt er an, dass Maria die Bücher mitgenommen hat. Döhler (2002) weist darauf hin, dass sich die epistemische Modalität im Gegensatz zur nicht-epistemischen nicht auf den semantischen Zusammenhang zwischen Subjekt und Prädikat bezieht, also ausdrückt, ob ein Handelnder eine Notwendigkeit bzw. Möglichkeit für sein Tun sieht (12a). Vielmehr geht es darum, die Beziehung zwischen dem Sprecher und der von ihm gemachten Proposition zu verdeutlichen (12b), d.h. auszudrücken, wie der Sprecher zu dem von ihm Gesagten (Peter ist zu Hause) steht. (12) a. „Ich muss jetzt aber wirklich nach Hause.“ b. „Peter muss zu Hause sein. Es brennt Licht.“ Das Verb müssen hat also eindeutig eine epistemische Modalität aufzuweisen und kann daher zu Recht zu den Modalverben gezählt werden. Doch auch werden weist, wie wir in (11b) gesehen haben, solch eine Modalität auf. Daher sollte es normalerweise ebenso in den Katalog der deutschen Modalverben Aufnahme finden. Eine weitere Form von Modalität erkennen wir beim Verb sollen (Diewald 1999). Hier spricht man von evidenzieller Modalität bzw. Evidenzialität (13). Der Sprecher zeigt dabei deutlich an, woher er sein Wissen hat - nämlich aus zweiter Hand. Diewald (1999) spricht auch von „quotativer Funktion“. (13) Peter soll eine neue Freundin haben. <?page no="136"?> 136 6 Modus DEFINITION Evidenzielle Modalität zeigt an, woher der Sprecher seine Informationen hat. Somit kann er die Verantwortung für die Aussage, sollte sie sich als falsch herausstellen, von sich weisen. In einigen Sprachen der Welt gibt es grammatische Markierungen, die Evidenzialität anzeigen. Hier besteht nicht nur die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass die Informationsquelle eine andere Person ist, sondern auch zu markieren, ob der Sprecher das Gesagte gehört, gesehen oder erschlossen hat (Aikhenvald 2004, 1). Im Deutschen manifestiert sich Evidenzialität jedoch eher lexikalisch. Diewald & Smirnova (2010) nennen werden, scheinen, drohen und versprechen in Verbindung mit dem Infinitiv als evidenzielle Konstruktionen im Deutschen. Ebenso kann das Verb wollen in Sie will nichts davon gewusst haben als eine Art Markierung für die Aussage einer anderen Person dienen. Fürs Deutsche werden nun folgende Verben zu den Modalverben gezählt, da sie sowohl eine Grundals auch eine epistemische Modalität haben: können, müssen, brauchen, dürfen, sollen, mögen, wollen, werden. Im nächsten Teil dieses Kapitels werden wir nun genauer auf die verschiedenen Arten von Modalität, die jedes einzelne dieser Verben besitzt, eingehen. Nach Kratzer (1981, 1991) sind Modalverben Operatoren, die nach drei Kriterien definiert werden können: (1) ihrem Modalbezug, (2) ihrer modalen Basis und (3) ihrer Ordnungsquelle. Modalbezug bedeutet schlichtweg, dass Mögliches von Notwendigem unterschieden wird. Hierbei handelt es sich um die „invariante Kernbedeutung des Verbs“. So ist es für müssen typisch, dass es eine starke Notwendigkeit ausdrückt, wohingegen können für eine Möglichkeit steht. In dieser Kategorie werden Möglichkeitsvon Notwendigkeitsoperatoren getrennt, also die modale Stärke festgelegt (Kratzer 1981,43f). Hierbei sehen wir auch, dass sollen in zwei verschiedenen Kategorien vorkommen kann. Die modale Stärke hängt hier davon ab, ob das Verb epistemisch oder nicht-epistemisch verwendet wird. Für die anderen Verben spielt dieser Umstand keine Rolle. Kratzer (1977, 340) gibt jedoch auch für müssen und können mehrere Bedeutungsabstufungen an. (14) a. Möglichkeit: kann, darf b. Notwendigkeit: muss, soll 1 c. schwache Notwendigkeit: soll 2 , wird, dürfte Bei der modalen Basis oder auch dem Zugänglichkeitsbezug geht es um die festgelegte Weltenmenge, die das zugängliche Wissen des Sprechers widergibt. In dieser Kategorie unterscheidet man, wie das Verhältnis der Zugänglichkeit der möglichen Welt zur Basiswelt steht (Redehintergrund). So eine Relation kann festgelegt sein durch „Gesetzhaftes“ oder durch eine allgemein anerkannte Wissensbasis („what we know“). Man unterscheidet daher zwischen epistemischer modaler Basis, d.h. die Menge der Propositionen, die das in einer gegebenen Welt zugängliche Wissen des Sprechers bezeichnen und zirkumstanzieller Basis, d.h. die Menge der Propositionen, die die in einer Welt zugänglichen Fakten wiedergibt. Oder anders ausgedrückt: das, was der Sprecher vermutet/ glaubt/ hofft/ etc., steht dem gegenüber, was ist. <?page no="137"?> 137 6.3 Abstufungen von Modalität: die deutschen Modalverben Die Ordnungsquelle gibt Rangfolge der Welten der modalen Basis an. In dieser Kategorie unterscheidet man, wie die möglichen Welten im Verhältnis zueinander stehen (je nach Konversations- und Kenntnisbasis) oder was die Evaluationsprioritäten sind. In Beispiel (15a) haben wir eine sogenannte deontische Quelle, die sich auf Gesetze und Pflichten bezieht. Dadurch wird eine Notwendigkeit für eine zirkumstanzielle modale Basis geschaffen. Es soll also als ein Fakt angesehen werden, dass eine Regelung besteht, nach der ein Mörder nicht ungeschoren davonkommen darf. (15b) hingegen weist zwar dieselbe modale Basis auf (zirkumstanziell), hat aber eine andere Ordnungsquelle und somit auch eine andere modale Stärke. Hier geht es eher darum, dass jemandem etwas erlaubt wird, was zum Wohl bzw. Nutzen für diese Person ist. Es wird eine Möglichkeit eröffnet. Hier sieht man, dass ein Modalverb, je nach Kontext, unterschiedliche Ordnungsquellen haben kann. (15) a. Der Mörder darf nicht ungeschoren davonkommen. b. Du darfst ruhig ein Eis essen. Es gibt u.a. folgende Arten von Ordnungsquellen. buletisch Wünsche deontisch Gesetze, Pflichten doxastisch Glauben, dass x dynamisch auf Fähigkeiten bezogen Hörensagen aus zweiter Hand stereotypisch normalerweise teleologisch zielgerichtet, Nutzen Tabelle 10: Ordnungsquellen Daraus ergibt sich für die Modalverben des Deutschen folgende Übersicht (Abraham 2009, 256). Verb Modale Stärke Modale Basis Ordnungsquelle muss Notwendigkeit keine Einschränkung keine Einschränkung kann Möglichkeit keine Einschränkung keine Einschränkung darf Möglichkeit deontisch deontisch teleologisch soll 1 Notwendigkeit deontisch buletisch soll 2 schw. Notwendigkeit leer epistemisch Hörensagen wird schw. Notwendigkeit epistemisch doxastisch dürfte schw. Notwendigkeit epistemisch stereotypisch Tabelle 11: Die deutschen Modalverben Hier sieht man nun, welchen Status das Verb werden einnimmt. Es hat eine rein epistemische Modalität, keine zirkumstanzielle. Dies mag der Grund sein, warum es häufig <?page no="138"?> 138 6 Modus nicht in der Liste der Modalverben auftritt. Bei dürfen haben wir eine Art Zweiteilung, was die modale Basis betrifft. Während dürfen selbst nur eine deontische Basis hat, kann durch einen Konjunktiv (dürfte) eine epistemische Basis hergestellt werden. Das Verb sollen wird in seiner zweiten Variante als „leer epistemisch“ gekennzeichnet. Hierdurch wird deutlich, dass im Kratzerschen Ansatz Evidenzialität eine Art Epistemizität ist. Diese Ansicht wird in der Forschung jedoch nicht von allen geteilt. Leiss (2009) gibt einen Überblick darüber, wie versucht wird, zwischen den beiden Begriffen zu differenzieren. Nach Aikhenvald (2004) beispielsweise definieren sich evidenzielle Ausdrücke ausschließlich dadurch, dass sie auf die Quelle der Information hinweisen. Zusätzliche Bedeutungen, wie Verlässlichkeit, Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit, die alle in den Bereich der Epistemizität fallen, werden hierbei ausgeklammert. Nach Leiss (2009, 18) können Epistemizität und Evidenzialität zusammenfallen, abhängig davon, wie sie sprachlich enkodiert werden. Modalitätsadverbien wie offensichtlich oder sicher z.B. können entweder evidenzielle oder epistemische Modalität haben, nicht beides gleichzeitig. Bei den Modalverben sieht Leiss jedoch eine doppelte Sprecherdeixis gegeben. Das bedeutet, dass sowohl eine Wahrscheinlichkeitseinschätzung durch den Sprecher, als auch der Hinweis auf eine vom Sprecher unabhängige Quelle erfolgt. Die folgende Aufgabe kann nun genutzt werden, um sich mit der Klassifikation von Kratzer genauer auseinanderzusetzen und ein Verständnis für die drei Eigenschaften von Modalverben zu bekommen. Aufgabe 15 Finden Sie für die Beispiele unten die modale Stärke, die modale Basis und die Quelle der Ordnung: a. Der Hausmeister muss den Schnee wegräumen. b. Du kannst ruhig mein Auto nehmen. c. Maria kann schwimmen. d. Kannst du an der nächsten Einfahrt halten? e. Peter soll mehrere Häuser in Dänemark besitzen. f. Peter dürfte jetzt schon im Flieger sitzen. g. Man soll hier nicht rauchen. Ein Faktor, der für die Erschließung der modalen Basis von Modalverben eine Rolle spielt, ist die grammatische Person, für die ein Verb markiert ist. Während die 3. Person eher beurteilerdeiktisch ist, sind die 1. und 2. Person quellendeiktisch (Abraham 2009). Hier zur Wiederholung noch einmal die Definition von „deiktischen Ausdrücken“ aus dem Kapitel Tempus. DEFINITION Deiktika sind Zeichen, deren Referent nur in Abhängigkeit vom Kontext bestimmbar ist. Hierbei kann es sich um Lexeme (z.B. Adverbiale, Pronomen etc.) oder Morpheme (Tempusflexion) handeln. In den Beispielen unten sieht man speziell den Unterschied zwischen den Pronomen der 1. und 3. Person. In (16a) sind der Beurteiler des Satzes (der Sprecher) und der <?page no="139"?> 139 6.3 Abstufungen von Modalität: die deutschen Modalverben Handelnde („er“) nicht dieselbe Person. Hier liegt eine epistemische Lesart vor, in der der Sprecher eine Vermutung ausdrückt. In (16b) hingegen sind Sprecher und Beurteiler ein und dieselbe Person. Deshalb mutet es komisch an, dass der Sprecher über sich selbst eine Vermutung anstellen muss. Wieso weiß er nicht, wo er war? Abraham (2009, 257) nennt als Ausnahmen, in denen solch eine epistemische Lesart für Verben der 1. Person ausgedrückt werden kann, den Fall der Traumwelt. Auch sonstige Einschränkungen des Erinnerungsvermögens können einen Rahmen für solch eine Aussage bilden. (16) a. Er muss in Grönland gewesen sein. b. *Ich muss in Grönland gewesen sein. 1 Für zweite Personen sind epistemische Lesarten von Modalverben zwar möglich, jedoch besteht hier für das Gegenüber die direkte Möglichkeit zum Widerspruch bzw. zur Richtigstellung oder zur Bestätigung. (17) Peter: „Du musst ja echt betrunken gewesen sein.“ Maria: „Nein, mir war nur schwindelig.“/ „Oh ja.“ Es hat sich immer wieder herausgestellt, dass es Studierenden schwerfällt, zwischen epistemischer und nicht-epistemischer Bedeutung zu unterscheiden. Es gibt jedoch drei bestimmte Hinweise bzw. Tests, die es einfacher machen, die beiden auseinanderzuhalten. 1. Temporaler Bezug: Ist das Ereignis, das beschrieben wird, schon vergangen bzw. findet es gerade im Moment des Sprechens statt? Wie schon zuvor ausgeführt, ist es für epistemische Modalität möglich, dass sie sich auf schon Vergangenes bzw. gerade Passierendes beziehen kann. Bei zirkumstanzieller Lesart würde sich ein Satz wie Peter wird krank sein auf Zukünftiges beziehen. 2. Grammatische Person: Welche grammatische Person liegt vor? Die erste und zweite Person eignen sich, wie in (16) gezeigt, nur eingeschränkt für eine epistemische Verwendung von Modalverben. 3. Ersetzung: Kann das Modalverb durch eine Partikel oder ein Adverbial ersetzt werden? Epistemische Modalität bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Aussage wahr ist. Dies kann man auch mit Adverbialen oder Partikeln enkodieren: Peter wird schon zu Hause sein. - Peter ist vermutlich schon zu Hause. Zum Abschluss dieses Kapitels nun noch eine Aufgabe, in der Sie überprüfen können, ob Sie den Unterschied zwischen epistemisch und nicht-epistemisch verstanden haben. Hierbei können Sie die eben vorgestellten Hilfestellungen benutzen. 1 Beispiele aus Abraham (2009, 257). <?page no="140"?> 140 6 Modus Aufgabe 16 Welche der Modalverben in den Beispielen unten werden epistemisch verwendet, welche nicht? a. Maria: „Peter hat mir ein Geheimnis verraten. Er will gehört haben, dass Sonja und Martin bald heiraten werden.“ b. Peter: „Wenn du rechtzeitig zur Schule kommen willst, musst du jetzt aber los.“ c. Maria: „Das kann ja wohl nicht wahr sein! “ d. Peter: „Oh je, was hab ich denn da gemacht. Das kann ich eigentlich besser.“ e. Maria: „Oh je, dieser Peter … Er soll doch nicht immer seinen Krempel herumliegen lassen! “ f. Peter: „Ich habe gehört, Karl hat sich beide Beine gebrochen und liegt im Krankenhaus. Das muss ziemlich schmerzhaft sein.“ g. Maria: „Jetzt will ich dann aber nach Hause gehen. Ich rufe am besten schon mal ein Taxi.“ h. Peter: „Wer klingelt denn jetzt noch? Maria wird doch nicht ihre Schlüssel vergessen haben? “ Auch im nächsten Kapitel geht es um die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Aussage wahr ist. Dort werden wir jedoch sehen, dass dies im Französischen mit anderen Mitteln als im Deutschen ausgedrückt werden kann. 6.4 Verschiedene Arten von Modalität - ein Exkurs ins Französische Im Französischen werden vor allem Indikativ, Subjonctif und Conditionnel zu den Modi gezählt. Der Imperativ fällt in den meisten Grammatiken unter die Rubrik „Satztypen“ (Confais 1980; Klein & Kleineidam 1994). Er hat keine eigene morphologische Markierung (das Verb hat dieselbe Endung wie im Indikativ), sondern wird durch Verbstellung ausgedrückt. Das Subjekt (du) fällt weg, wie im Deutschen, und das Verb rückt an die erste Stelle im Satz. (18) a. Tu va-s à Paris. Du geh-2.P.Sg. nach Paris. ‚Du gehst nach Paris.‘ b. Va-s à Paris! Geh-2.P.Sg nach Paris! ‚Geh nach Paris! ‘ Das französische Conditionnel, das im weitesten Sinne dem deutschen Konjunktiv entspricht, wird wie sein deutsches Pendant meist in wenn-Gefügen oder der indirekten Rede verwendet. In wenn-Gefügen darf jedoch wie im Englischen nur das Verb im Hauptsatz im Konjunktiv stehen. <?page no="141"?> 141 6.5 Der Imperativ: zwischen Modus und Satztyp (19) S’ il fais-ait beau, j’ ir-ais à la plage. Wenn es mach-Imperf.3.P.Sg. schön, ich geh-Cond.1.P.Sg an den Strand. ‚Wenn es schön wäre, würde ich an den Strand gehen.‘ Der Subjonctif, der im Deutschen keine direkte Entsprechung hat, ist ungefähr mit dem vergleichbar, was wir oben unter Modalität kennengelernt haben: Der Sprecher wertet etwas als möglich, notwendig, vorgestellt, wünschenswert etc. aus. Dies kann z.B. durch nebensatzeinleitende Konstruktionen wie ich weiß, dass …, ich bin mir sicher, dass …, ich glaube, dass … etc. ausgelöst werden. Im eingebetteten Satz wird dann per Indikativ markiert, dass eine Aussage als sicher gilt, im Subjonctif, dass Zweifel angebracht sind. Confais (1980) ordnet nebensatzeinleitende Ausdrücke von sicher bis ausgeschlossen. Nur im oberen Drittel der Wahrscheinlichkeitsskala darf im Nebensatz ein Indikativ folgen. Alle anderen Wahrscheinlichkeiten müssen per Subjonctif angezeigt werden. 100% Es ist wahr, sicher, dass ... INDIKATIV Es ist fast sicher, dass ... Es ist wahrscheinlich, dass ... --------------------------------------------------------------------------------------------- Es ist sehr, absolut wahrscheinlich, dass ... SUBJONCTIF Es ist nicht unmöglich/ nicht ausgeschlossen, dass ... Es ist nicht sicher, dass ... Es ist wenig wahrscheinlich, dass ... Es ist zweifelhaft, ob .... 0% Es ist unmöglich/ ausgeschlossen/ falsch/ nicht richtig, dass ... Hier sieht man nun, dass selbst eine Sicherheit des Sprechers über die Unmöglichkeit eines Unterfangens mit dem Subjonctif einhergeht, einfach, weil es als sehr unwahrscheinlich gilt, dass das im Nebensatz beschriebene Ereignis eintrifft. Für deutsche Lernerinnen des Französischen sind die Grenzen zwischen Indikativ und Subjonctif nicht immer einfach nachzuvollziehen, zumal solch eine Unterscheidung im Deutschen keine Auswirkung auf den ausgewählten Modus hat. Im Folgenden soll es nun darum gehen, wie denn im Deutschen dann ausgewählt wird, welchen Modus man in einem Satz benutzt und welche Formen für welche Modi charakteristisch sind. Wir beginnen mit dem Imperativ. 6.5 Der Imperativ: zwischen Modus und Satztyp Die Behandlung des deutschen Imperativs bis Mitte der 1980er Jahre findet vorwiegend aus der Sichtweise beschreibender Grammatiken statt. Dies hängt damit zusammen, dass sowohl was seine Formen, als auch was seine Bedeutungsabstufungen betrifft, in der linguistischen Forschung große Uneinigkeit darüber besteht, wie der Imperativ definiert werden soll. Des Weiteren gibt es Schwierigkeiten, den Imperativ zu den anderen, sehr gut erforschten Modi (Indikativ und Konjunktiv) abzugrenzen und einzuordnen (Bosmanszky 1976; Wichter 1978; Donhauser 1986; Altmann 1987). Diverse Grammatiken und syntaktische Analysen (z.B. Hindelang 1978; Erben 1998) behandeln den Imperativ hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt seiner sogenannten <?page no="142"?> 142 6 Modus „Umschreibungen“ (Terminologie vgl. z.B. Donhauser 1986) und ordnen ihn in der Syntax unter „Satztypen“ ein. Andere, eher morphologisch orientierte Werke (z.B. Winkler 1989) wiederum fokussieren auf die Überschneidungen, die der Imperativ mit anderen Flexionsparadigmen aufweist, und beschreiben sehr detailliert deren Regelmäßigkeiten und Ausnahmen. Es gibt bis dahin jedoch wenige Werke, die den Versuch unternehmen, den Imperativ in Form und Bedeutung systematisch in ein theoretisches Framework einzubetten und Aussagen über seine Entwicklung und seinen Status innerhalb der deutschen Moduslandschaft zu machen. In den meisten Analysen werden einzelne Bereiche, wie morphologische Form, Benutzung in bestimmten Kontexten etc. herausgegriffen und separat beschrieben, ohne eine Verbindung zu den Schnittstellen mit anderen Bereichen der linguistischen Analyse oder den anderen Verbalkategorien herzustellen. Erst in neueren Arbeiten zum deutschen Imperativ findet eine Auseinandersetzung mit seiner Bedeutung für die linguistische Theorie unter syntaktischen (Lohnstein 2000; Wratil 2005) und formal-semantischen Gesichtspunkten statt (Lohnstein 2000; Kaufmann 2012). Um die Schwierigkeiten bei der formalen und funktionalen Klassifikation des Imperativs noch einmal deutlicher zu machen, starten wir mit einer kleinen Aufgabe in dieses Thema. Dort sehen Sie verschiedene Sätze, die bewusst ohne Satzzeichen notiert wurden. Aufgabe 17 1. Welche der folgenden Sätze würden Sie als Imperativ klassifizieren und warum bzw. warum nicht? 2. Welche formalen (syntaktischen & morphologischen) Merkmale machen einen Imperativ im Deutschen aus? 3. Welche Bedeutung wird durch den Satz ausgedrückt? (20) a. Lauf schnell heim b. Maria lehnt sich an c. Bitte nicht anlehnen d. Du gehst jetzt e. Gehen wir Da die Antworten auf diese Fragen von zentraler Bedeutung für dieses Kapitel sind, werden sie nicht, wie bisher in diesem Buch üblich, in den Anhang verschoben, sondern direkt hier ausführlich diskutiert. Die einzige Möglichkeit, den Satz in (20a) zu deuten, ist ein Imperativ. Der erste Hinweis ist freilich, dass semantisch eine Aufforderung ausgedrückt wird. Formal können wir keine Realisierung eines Suffixes entdecken - ein typisches Erkennungszeichen für einen Imperativ auf Satzebene. Ebenso können wir eine V1-Stellung des Verbs erkennen, was einen Imperativsatz signalisiert (Duden 2009). Der Verbstamm steht ohne jegliche Endung da, was eine morphologische Auffälligkeit und nur beim Imperativ Singular der Fall ist. Dieses Zusammenspiel von Form und Bedeutung ist der Idealfall, der jedoch eher selten in natürlicher Sprache vorkommt: Eine unambige, klar zu iden- <?page no="143"?> 143 6.5 Der Imperativ: zwischen Modus und Satztyp tifizierende Form, die ihre prototypische Bedeutung ausdrückt. Auf semantischer, morphologischer und syntaktischer Ebene stehen hier alle Zeichen auf „Imperativ“. Schon im nächsten Satz (20b) ist die Situation nicht mehr so eindeutig. Dies liegt daran, dass die Satzzeichen weggelassen wurden und wir den Satz auch nicht ausgesprochen hören - die Satzmelodie könnte uns einen Hinweis auf die richtige Interpretation geben. Allein aus der Wortstellung (V2) und der Verbendung wird klar, um welchen Modus es sich handelt: den Indikativ. Schon was die Satztypen anbelangt, kann es sich hierbei um einen Aussage- oder Fragesatz handeln. Auch von der Bedeutung her ist das Rätsel erst einmal nicht zu lösen - diese hängt davon ab, welcher Satztyp vorliegt. Den Fall in (20c) haben wir schon vorher in diesem Kapitel gesehen. Bei der Form handelt es sich um einen Infinitiv - das Verb endet auf -en und führt kein Subjekt mit sich. Auf morphologischer und syntaktischer Ebene haben wir also einen Imperativ ausgeschlossen. Der Infinitiv drückt jedoch nicht, wie im Beispiel vorher, eine Aufforderung, sondern eine Bitte aus. Dies zeigt uns, dass nicht nur finite, sondern auch infinite Formen eine ganze Reihe an Funktionen und Bedeutungen haben können - je nachdem in welchem Kontext sie auftreten. (20d) ist der bisher schwierigste Fall, was die Bedeutung anbelangt. Morphologisch gesehen handelt es sich klar um einen Indikativ (Endung -st), aber je nach Intonation oder Zeichensetzung sind hier drei verschiedene Satzarten möglich: Aussagesatz, Fragesatz oder eine als Aussagesatz verpackte Aufforderung. Spätestens bei diesem Beispiel wird klar, dass auf den drei Ebenen - Syntax, Morphologie und Semantik - unterschiedliche Kräfte am Werk sind, die zwar voneinander abhängen können, aber nicht in allen Fällen müssen. Hier kommen wir in den Bereich der Pragmatik, welche allerdings erst weiter hinten im Kapitel eine Rolle spielen soll. (20e) weist dieselben morphologischen Merkmale wie (20c) auf - eine Endung -en - hat jedoch ein Subjekt (wir), nach dem es sich richtet, weshalb hier kein Infinitiv, sondern ein Indikativ vorliegt. Dass beide grammatischen Merkmale zufällig ein und dieselbe Realisierungsform haben, macht es oft schwierig zwischen bestimmten Formen zu unterscheiden. Dieses Phänomen tritt häufig in der deutschen Sprache nicht nur im verbalen Bereich auf und wird Synkretismus genannt. Historisch gesehen fallen hierbei mehrere, früher unterschiedliche Formen in einer zusammen. Grammatiken zu früheren Entwicklungsstufen des Deutschen (z.B. Mettke 1993; Paul 1998; Schrodt 2004; Braune & Eggers 1987; Bergmann et al. 2004; Hartweg & Wegera 2005; Ehrismann & Hardt 2007) thematisieren den Imperativ nur oberflächlich und vor allem unter dem Blickpunkt des jeweils existierenden Flexionsparadigmas. Hierbei wird deutlich, dass die morphologischen Imperativformen in der Entwicklung vom Altzum Neuhochdeutschen um die 1. Person Plural reduziert wurden und dass in der heutigen 2. Person Singular ein Zusammenfall früherer unterschiedlicher Konjugationsklassen zu verzeichnen ist, was ein Grund für die heute mögliche Variation bei diesen Formen sein kann (Lauf(e)! ). DEFINITION Synkretismus bezeichnet den Zusammenfall mehrerer, früher unterschiedlicher grammatischer Formen. Syntaktisch liegt in (20e) eine V1-Stellung vor, was auf eine Fragestellung hinweist. Jedoch wissen wir, dass diese Konstellation von Verb und Subjekt auch zur Aufforde- <?page no="144"?> 144 6 Modus rung verwendet werden kann (im Sinne von: Lasst uns gehen! ). Wenn sich das Subjekt selbst in eine Aufforderung mit einschließt, spricht man von einem Hortativ (van der Auwera et al. 2013) 2 . Wie wir sehen, spielen bei der Analyse von Sätzen sowohl morphologische als auch semantisch-pragmatische und syntaktische Kriterien eine Rolle. Gerade für den Imperativ liegen Klassifikationssysteme aus allen drei Bereichen vor. Auf der einen Seite kann er durch seine Bedeutung bzw. Funktion klassifiziert werden. Hierbei gibt es Sprechakte, die typisch für Imperative sind, z.B. die Aufforderung oder den Befehl (Donhauser 1986; De Clerck 2005; Kaufmann 2012). Andererseits weist er auch Funktionen auf, die weniger häufig sind und oft einfach nur bestimmte Stärkegrade der Aufforderung darstellen, wie z.B. eine Bitte, einen Ratschlag, ein Verbot oder eine Drohung. Aber auch Bedeutungsspektren, die weit über direktive Sprechakte hinausgehen, können vom Imperativ erfasst werden (De Clerck 2005). Selbst durch seine syntaktischen Besonderheiten kann ein Imperativ klassifiziert werden. In diesen Fällen spricht man von Satztyp. Hierzu werden die Kategorien Imperativsatz, Deklarativsatz, Interrogativsatz, Exklamativsatz und Optativsatz gezählt. Bei einer Analyse nach Satztyp geht es darum, welche Satzstellung vorliegt, welche Referenzeigenschaften Imperative haben und welche Rolle die nicht realisierten Subjekte spielen (Wunderlich 1984; Wratil 2005; Gärtner 2013). Insbesondere aus diachroner Sicht ist dieses Thema sehr spannend, denn die morpho-syntaktischen Besonderheiten des Imperativs existieren noch nicht allzu lange in der Form, wie wir sie heute kennen. Für das Althochdeutsche hat Axel (2007) eine umfassende theoretische und datenbasierte Studie zur Herausbildung der Verbstellung vorgelegt. Schon in dieser Sprachstufe ist die V1-Stellung zur Erkennung von Imperativen ein wichtiger, aber nicht immer verlässlicher Indikator. Es existieren auch freie Deklarativsätze mit V1sowie Imperativsätze mit V2-Stellung. Overte Subjekte sind im Althochdeutschen optional, treten jedoch öfter auf als im Neuhochdeutschen. Axel (2007) kommt zu dem Schluss, dass das Althochdeutsche als „partielle Null-Subjekt-Sprache“ zu sehen ist (Axel 2007, 54), zumal auch in Deklarativsätzen Subjekte unrealisiert bleiben können. Aus lexikalischer Sicht wird für die althochdeutsche Epoche häufig die Partikel nu (nun/ jetzt) in Imperativsätzen attestiert. Die Funktion dieser Partikeln in Bezug auf die Satzart ist noch nicht vollständig geklärt (Axel 2007, 56). Von der Häufigkeit ihrer Verteilung her, werden sie jedoch stark mit Imperativen, vor allem verneinten, in Beziehung gebracht. Aus der Sichtweise der Morphologie spielt das Imperativparadigma eine zentrale Rolle, nicht nur für eine Klassifikation des Imperativs als Modus, sondern auch im Zusammenhang mit seinen grammatischen Eigenschaften. Kein anderer Modus bereitet in diesen drei Untersuchungsfeldern solche Probleme wie der Imperativ. Im Deutschen, aber auch in anderen Sprachen, wie dem Italienischen, dem Finnischen, dem Spanischen etc., tragen sogenannte Ersatzformen oder Umschreibungen (Donhauser 1986), die ebenfalls die Funktionen des Imperativs übernehmen können, weiter zur Komplexität des Themas bei. Hierzu zählen der in der Aufgabe besprochene Infinitiv, aber auch Partizipien und Indikative (Fries 1983; Glaser 2002; Heinold 2012, 2013). Selbst Mo- 2 Es wird noch weiter unterschieden in Ko-/ Ad-/ Exhortative (vgl. z.B. De Clerck 2005, 122). Für diese Unterarten gibt es unterschiedliche Definitionen. Meist spielt jedoch eine Rolle, inwiefern sich der Sprecher mit in die Aufforderung einschließt bzw. welche Stimmung die Aufforderung transportiert (Enthusiasmus, Anfeuerung etc.). <?page no="145"?> 145 6.5 Der Imperativ: zwischen Modus und Satztyp dalverben oder frei stehende Nebensätze mit Aufforderungscharakter sind im Deutschen zu finden (Wunderlich 1984). Dies sorgt dafür, dass der Imperativ eine Art Fass ohne Boden für Linguisten aus diversen Disziplinen ist. Im Folgenden wollen wir uns der morphologischen sowie der funktionalen Analyse des Imperativs widmen. Nach Donhauser (1986) stellt das größte Problem beim Imperativ die Abwendung dieses Phänomens von der rein morphologischen Ebene dar. Der Imperativ zeichnet sich geradezu dadurch aus, dass nur bestimmte morphologische Formen in seinem Paradigma zur Verfügung stehen, nach Donhausers Definition sogar eigentlich nur eine - die 2. Person Singular (Geh! ). Sie ist die einzige Form, die auf rein morphologischer Basis sofort als Imperativ erkannt werden kann. Fischer (1980) spricht daher von „markiertem“ Imperativ. Schon die 2. Person Plural (Geht! ) weist dieselbe Morphologie wie der Indikativ auf (ihr geht). Allerdings ist die Auslassung des Subjektpronomens in diesem Falle Hinweis genug, dass wir es mit einem Imperativ zu tun haben. Heinold (2012, 4) gibt daher folgendes Imperativparadigma fürs Deutsche an. 2. P. Sg. -ø 2. P. Pl. -t Tabelle 12: Die Formen des deutschen Imperativs Dieses lückenhafte, unvollständige Paradigma unterscheidet den Imperativ von den anderen Modi, Indikativ und Konjunktiv, und deckt sich gut mit Donhausers These, dass der Imperativ eben nicht auf derselben Stufe wie die anderen Modi des Deutschen zu sehen ist (siehe Stufenmodell). Auch ihre Charakterisierung des Imperativs als semifinit wird nachvollziehbar. Kriterien hierfür sind erstens, dass beim Imperativ die Subjektsetzung nicht obligatorisch erfolgt (18a) und dass zweitens speziell die Singularform des Imperativs mit ihrer Nullendung aussieht, als ob sie nicht-finit wäre. Trotz dieser ganzen formalen Unzulänglichkeiten funktioniert der Imperativ jedoch: Der Referent einer Handlung im Imperativ kann allerdings nur aus dem situativen Kontext bestimmt werden. Somit wird der Imperativ im Stufenmodell von Donhauser zum am wenigsten aktualisierten der klassischen Modi. Bei Wunderli (1970), der das Stufenmodell fürs Französische entworfen hatte, wird die Semantik der Modi durch die Vergabe bestimmter Markierungen definiert. Dem Tempus kommt die Aufgabe zu, die zeitliche Situierung des Geschehens zu markieren. Die Person ist die Bezugsgröße des Geschehens. Aspekt schließlich weist darauf hin, in welcher Perspektive (perfektiv/ imperfektiv) eine Handlung betrachtet wird. Hiermit wäre der Imperativ ein „teilaktualisierter“ Modus, der eine zusammengesetzte Größe darstellt, die sich aus dem Zusammenwirken von nur zwei Parametern definiert: Aspekt und Numerus. Es bleibt jedoch die Frage, wieso dem Imperativ ein Aspekt zugesprochen wird. Morphologisch zeichnet sich der Imperativ im Gegensatz zum Konjunktiv und zum Indikativ also durch eine Formenarmut und ein lückenhaftes Paradigma aus. Man sollte nun meinen, dies sei ja eigentlich kein Problem für die Funktion, die der Imperativ standardmäßig übernimmt - nämlich das Richten einer Aufforderung an ein direktes Gegenüber. Wozu sollte man für solch eine sprachliche Handlung etwas anderes als eine 2. Person oder ein anderes Tempus benötigen? Diese Einschätzung jedoch resultiert daraus, dass die meisten von uns nur solche Sprachen kennen, in denen der Imperativ ebenfalls morphologisch unterrepräsentiert ist, wie z.B. im Englischen oder Französischen. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen und mit dem Finnischen eine <?page no="146"?> 146 6 Modus Sprache vorstellen, in der der Imperativ formal auf derselben Stufe wie die anderen Modi zu sehen ist und ein nahezu vollständiges Paradigma aufweist. 6.5.1 Andere Imperativparadigmen - ein Exkurs ins Finnische In den finnischen Grammatiken (z.B. Fromm 1982; Karlsson 1984) werden vier Modi angegeben. Der Indikativ beschreibt eine „Handlung als solche“, ohne eine Stellungnahme des Sprechers einzuschließen. Er ist „merkmalslos“, was bedeutet, dass es kein spezielles Suffix gibt, welches den Indikativ markiert, sondern, dass die Formen einfach direkt mit den Tempusmarkierungen versehen werden (21a). Im zweiten Modus, dem Konditional, wird die Bedingtheit einer Handlung durch das Suffix -isi gekennzeichnet. Das Konditional kommt typischerweise in wenn-Sätzen vor oder wird als Höflichkeitsform verwendet (21b). Ein Modus, der im Deutschen nicht mit einer Extramarkierung gewürdigt, sondern mit durch den Konjunktiv abgedeckt wird, ist der Potenzialis. Er wird mit -ne markiert und kennzeichnet eine Handlung als möglich oder denkbar (21c). Der vierte Modus ist schließlich der Imperativ, welcher sich formal an der Endung -kaa/ kää bzw. -koo/ köö erkennen lässt, bzw. in der 2. Person Singular, wie im Deutschen, endungslos ist (21d). (21) a. sano-n sag-1.P.Sg ‚ich sage‘ b. sano-isi-n sag-Kond-1.P.Sg ‚ich würde sagen‘ c. sano-ne-n sag-Pot-1.P.Sg ‚ich dürfte sagen; ich erlaube mir zu sagen 3 ‘ d. sano sag ‚Sag! ‘ In Tabelle 13 sehen wir alle Formen des finnischen Imperativparadigmas im Überblick (Tommola 2010). Hierbei wird schnell klar, wie unterschiedlich sich die Situation dort im Vergleich mit dem Deutschen gestaltet. Auch im Finnischen existiert keine eigene Form für die 1. Person Singular, ansonsten liegt allerdings ein vollständiges Paradigma vor. Die unterschiedlichen Vokalausprägungen des Imperativsuffixes erklären sich durch das im Finnischen existierende Gesetz der Vokalharmonie, welches eine Angleichung an die anderen Vokale im Wort verlangt. Was besonders den deutschen Muttersprachlerinnen ins Auge stechen wird, ist, dass es im Finnischen Formen für die 3. Person gibt. Während wir im Deutschen zumindest eine Art Äquivalent für die 1. Person Plural besitzen, müssen wir uns für die 3. Personen mit anderen Formen behelfen. 3 Übersetzung nach Fromm (1982, 109). <?page no="147"?> 147 6.5 Der Imperativ: zwischen Modus und Satztyp Hierbei kommen die Modalverben in den Sinn (Peter soll singen). Zusätzlich existiert in der Umgangssprache eine sogenannte Indefinitform, welche sich im Deutschen am besten mit einem unpersönlichen Passiv, wie in (22), übersetzen ließe. 1. P. Sg. -- 2. P. Sg. laula-ø sing-IMP 3. P. Sg. laula-koo-n sing-IMP-3.Sg. 1. P. Pl. laula-kaa-mme sing-IMP-1.Pl. 2. P. Pl. laula-kaa sing-IMP-2.Pl. 3. P. Pl. laula-koo-t sing-IMP-3.Pl. Indefinit (man) laule-tta-koo-n sing-Indef-IMP-3.Sg Tabelle 13: Der Imperativ im Finnischen (22) Jetzt wird gesungen! Wenn wir die finnischen Formen in Tabelle 13 und in Beispiel (22) anschauen, werden die Unzulänglichkeiten des deutschen Modussystems umso klarer. Aus (22) geht hervor, dass eine eindeutige formale Kennzeichnung für die verschiedenen Modi besteht, die außerdem fast alle Personen abzudecken scheinen. Interessant ist hierbei, inwieweit diese sehr klare morphologische Markierung genügt, um einen Imperativ als solchen zu identifizieren (und somit den Imperativ rein morphologisch zu definieren) oder ob auch hier Besonderheiten in Wortstellung oder Nennung des Subjekts zu finden sind (und also eine Interaktion morphologischer und syntaktischer Eigenschaften besteht). In deutscher Sprache gibt es bereits einige Werke, die den Sprachvergleich deutschfinnisch für die Wortstellung (Tarvainen 1985) und speziell für den Imperativ unternommen haben (Winkler 1989). Auch ausschließlich für das Finnische wurden relevante Publikationen in deutscher Sprache verfasst, die sich mit syntaktischen (Ikola 1981; Tarvainen 1985), morphologischen und semantischen Problemen des Imperativs und weiterer „Aufforderungsformen“ befassen (Matzel & Ulvestad 1978; Karlsson 1984; Fromm 1982; Hyvärinen 2001). Die traditionellen Grammatiken des Finnischen (wie zum Beispiel die o.g. Fromm 1982 und Karlsson 1984) sind weitestgehend aus Sicht einer normativen Beschreibung des Modussystems interessant. Den Ausgangspunkt für die syntaktischen Besonderheiten, die für den Imperativ in Bezug auf die Wortstellung beachtet werden müssen, bildet Tarvainen (1985). Während für das Deutsche eine V1-Stellung des Verbs und eine Auslassung des Subjekts der Normalfall sind (Geh heim! Geht heim! ), weist das Finnische eine größere Variation in der Wortstellung auf. Tarvainen (1985, 348) attestiert dem Finnischen keinen „Satzrahmen nach deutschem Vorbild“, da nur Vorfeld und Nachfeld existieren. Insgesamt ist hier die Wortstellung freier als im Deutschen: Im Aussagesatz herrscht <?page no="148"?> 148 6 Modus meist V2 vor, wobei jedoch auch V1, V3 und VL möglich sind. Interessanterweise ist V1 die häufigste Wortstellungsvariante im Imperativsatz, obwohl durch die Flexionsmorphologie bereits eine eindeutige Kennzeichnung des Imperativs geschaffen wäre. Die Realisierung des Subjekts hat für unterschiedliche Personen einen unterschiedlich hohen Grad an Obligatorik. Die 2. Personen verzichten in der Standardsprache auf die Realisierung eines overten Subjekts, wohingegen die 3. Personen, die im Deutschen nicht existieren, immer ein overtes Subjekt mit sich führen. Das finnische Paradigma weist außerdem noch eine 1. Person Plural auf, die fürs Deutsche zwar existiert, aber aufgrund der obligatorischen Subjektrealisierung oft nicht zum Imperativparadigma gerechnet wird (Donhauser 1986). Im Finnischen ist die Subjektrealisierung hingegen fakultativ (Tarvainen 1985). Insgesamt ist zu sagen, dass das finnische Paradigma ein komplexes, gut ausgebautes morphologisches System darstellt, welches zusätzlich syntaktische Maßnahmen (z.B. Wortstellung) sowie eine Reihe von Ersatzformen (speziell Indikative und Infinitive) zu Verfügung hat, wohingegen das Deutsche nur eine einzige unambige Form besitzt und Lücken bei den verschiedenen Personen mit anderen Satztypen auffüllt beziehungsweise Ambiguitäten der morphologischen Formen mit syntaktischen Maßnahmen ausgleicht. 6.5.2 Andere Formen der Aufforderung Man sollte nun denken, dass eine Sprache wie das Finnische, die solch ein ausgeklügeltes Imperativsystem hat, auf sogenannte Ersatzformen vollständig verzichten könnte. Schließlich ist innerhalb der grammatischen Markierungen so gut wie alles möglich. Doch selbst das Finnische weist andere Formen auf, mit denen eine Aufforderung realisiert werden kann (Heinold 2012). Gerade diesen Ersatzformen wurde in der neueren Forschung sprachübergreifend mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Typologische Werke, wie Aikhenvald (2010) oder Birjulin & Xrakovskij (2001) widmen sich der Frage, welche Ersatzformen für Imperative in den Sprachen der Welt überhaupt existieren und welche Gründe bzw. Notwendigkeiten für ihre Existenz vermutet werden. Warum sind diverse unterschiedliche Formen nötig, um ein und dieselbe Sache auszudrücken - eine Aufforderung an eine andere Person? Außerdem bleibt die Frage, welche Formen sich überhaupt eigenen, um eine direktive Bedeutung auszudrücken. Fürs Deutsche wurden vor allem der Infinitiv (Fries 1983; Glaser 2002; Heinold 2012; Gärtner 2013) und das Partizip Perfekt (Brinkmann 1971; Heinold 2013) in ihrer Funktion als Imperativersatz untersucht. Diese sind insofern von besonderem Interesse, da sie gewisse morphologische Gemeinsamkeiten mit dem Imperativ teilen, wie wir in Donhausers Stufenmodell gesehen haben. Alle drei sind beispielsweise nicht vollständig aktualisiert und nicht für Person markiert. Insbesondere diese letzte Eigenschaft scheint von besonderer Wichtigkeit zu sein, wenn es darum geht, eine Aufforderung an jemanden, vor allem an eine größere Gruppe, zu adressieren. Bei den Beispielen in (23) wird klar, dass es völlig egal ist, ob der Ansprechpartner, der die geforderte Handlung realisieren soll, eine einzelne Person oder eine ganze Gruppe ist. Der Ansprechpartner ergibt sich aus dem situationellen Kontext. Es findet keine grammatische Kongruenz statt, da im Satz sowieso kein Subjekt existiert, sondern nur eine semantische (Bennis 2006). Der Adressat der Aufforderung soll zum Subjekt der Handlung werden. <?page no="149"?> 149 6.5 Der Imperativ: zwischen Modus und Satztyp (23) a. Zurückbleiben bitte. b. Als nächstes das Mehl hinzugeben. c. Stillgestanden! d. Hereinspaziert! Heinold (2012) merkt an, dass im Deutschen besonders die Infinitive hochfrequent sind. Sie können - anders als der morphologische Imperativ - auch wirkliche 3. Personen adressieren (vgl. auch Fries 1983). In (23a) beispielsweise richtet sich die Aufforderung an alle Zuhörer. Mit Modalverb ausgedrückt könnte man genauso gut sagen: „Alle sollen aufstehen.“ Die spezielle Eigenschaft der Infinitive ist, dass sie an Orte gebunden sein können, wobei die Aufforderung noch weiterbestehen kann, auch wenn die Handlung schon von bestimmten Adressaten ausgeführt wurde (24). (24) a. [Schild an der Tür]: Drücken! b. [Schild im Park]: Rasen nicht betreten! Semantisch gehören Befehl, Aufforderung und Ratschlag zu den häufigsten Interpretationen des direktiven Infinitivs. Sie finden sich besonders häufig in Instruktionen, wie es bei Rezepten oder Anleitungen der Fall ist (Glaser 2002). Das Partizip Perfekt mit auffordernder Funktion wird in der Literatur häufig auf die Militärsprache beschränkt (Aikhenvald 2010). Außerdem wird ihm eine größere modale Stärke zugesprochen als anderen direktiven Formen (Brown & Levinson 1978). Eine Korpusstudie von Heinold (2013) belegt jedoch auch in der Standardsprache eine Reihe von Partizipien, die definitiv keinen militärischen Kommandocharakter haben. (25) a. Hereinspaziert! b. HSV-Fans aufgepasst! c. Gut aufgewacht! d. Alle mal aufgebrezelt! Die Assoziation mit der Militärsprache mag darin begründet liegen, dass direktive Partizipien meist in minimalen Kontexten verwendet und anders als der Infinitiv immer in Situationen mit einem direkten Adressaten benutzt werden, der die Aktion dann sofort ausführen soll. Der Infinitiv kann also morphologische und pragmatische Lücken im Imperativparadigma ausgleichen (3. Person und Ortsgebundenheit). Das Partizip ist in seiner direktiven Form eine relativ unambige, kurze Möglichkeit, Aufforderungen auszudrücken, da es nicht die vielen modalen Abstufungen des morphologischen Imperativs kennt, sondern hauptsächlich zwischen Aufforderung und Hortativ schwankt (Heinold 2012, 2013). Insgesamt haben wir in diesem Kapitel gesehen, dass eine Beschäftigung mit dem Imperativ zwangsläufig eine Analyse der syntaktischen, der morphologischen und der semantisch-pragmatischen Ebene mit sich bringt. Nur eine Ebene gesondert zu betrachten, ist auf lange Sicht nicht zielführend. Die Schwierigkeiten bei der Definition des Imperativs resultieren in seiner Stellung zwischen morphologischer Markierung und <?page no="150"?> 150 6 Modus Satztyp. Besonders deutlich wurde in diesem Kapitel, dass es sich durchaus lohnt, einen Blick auf andere Sprachen zu werfen, um bestimmte Phänomene besser zu verstehen, bzw. ihre unterschiedlichen Ausprägungen kennen zu lernen. Im nächsten Kapitel beschäftigen wir uns mit dem letzten fehlenden Modus, dem Konjunktiv. 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten Im Bereich des Konjunktivs habe ich oft während meiner Lehrtätigkeit festgestellt, dass unter den Studierenden ein Bedürfnis nach der Differenzierung der Formen und ihrer korrekten Anwendung besteht. Der Grund dafür mag darin zu suchen sein, dass in der gesprochenen Umgangssprache ein Großteil der Konjunktivformen heute durch würde- Konstruktionen oder Indikative ersetzt werden. Aus diesem Grund möchte ich damit beginnen, das Paradigma von Konjunktiv I und II sowie ihre Verwendungsweisen und Ersatzformen im Sinne einer Schulgrammatik kurz zu erklären. In einem separaten Kapitel (6.7) wird dann die Konstruktion würde + Infinitiv behandelt, der die unterschiedlichsten Funktionen zukommen. Beginnen wir also mit der Frage, was überhaupt ein Konjunktiv I oder II ist. Nach Welke (2005, 455) sind Modi Satzoperatoren, die zur temporalen Verbform hinzukommen können. Sie verhalten sich wie epistemische Adverbien (wahrscheinlich, sicherlich, möglicherweise etc.). Der Konjunktiv I ist ein BEHAUPTET-Operator (26a). Er wird typischerweise in der indirekten Rede verwendet und zeigt an, dass jemand anderes eine Behauptung aufgestellt hat, wie in unserem Beispiel Peter. Dieser Modus wird häufig in Nachrichtensendungen benutzt. Wenn längere Reden, beispielsweise von Politikern wiedergegeben werden, wird oft ein Konjunktiv I an den anderen gehängt, ohne bei jedem Satz wiederholen zu müssen, wer der Sprecher ist. Der Konjunktiv zeigt automatisch an, dass es sich bei dem Gesagten immer noch um die Rede handelt (26b) (26) a. Peter sagte, Maria sei aus Berlin. b. Die Kritik an der Aufarbeitung des Bergwerksunglücks sei völlig unangemessen, sagte der islamisch-konservative Politiker. Die Verantwortlichen würden ermittelt. „Wir werden alles dafür tun, dass diese zur Rechenschaft gezogen werden.“ Erdogan kritisierte auch die Berichterstattung in Deutschland über das Grubenunglück. Ein Teil der deutschen Medien habe versucht, die Katastrophe für sich auszuschlachten und ihn beleidigt. [Tagesschau 24.5.2014] Der Konjunktiv II ist nach Welke (2005, 455) ein ANGENOMMEN-Operator. Er wird typischerweise im konditionalen Gefüge verwendet (27a) und hat zwei Ausprägungen, Potenzialis und Irrealis. Geschehenes in der Vergangenheit ist immer schon überprüfbar. Daraus ergibt sich die Irrealis-Lesart (27b). Potenzialis bezieht sich auf die Gegenwart und die Zukunft. Hier besteht die Möglichkeit, dass etwas noch wahr werden kann (27c). Konjunktive sind nach Welke (2005) recht unselbständige Kennzeichnungen, im Gegensatz zu den Tempora beispielsweise. Der Konjunktiv I muss immer zum Sprecher in Relation gesetzt werden, während der Konjunktiv II immer von bestimmten Bedingungen (im wenn-Satz) abhängt. <?page no="151"?> 151 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten (27) a. Wenn Maria rechtzeitig zurückkäme, könnten wir noch gemeinsam essen. b. … dann wäre Peter in Berlin gewesen. c. … dann wäre Peter in Berlin. Je weiter sich Konjunktive allerdings von ihren Bezugselementen im Text entfernen, desto obligatorischer werden sie. Das haben wir oben im Beispiel (27b) gesehen. In der gesprochenen Sprache hört man häufig, dass Konjunktive durch Indikative ersetzt werden (28). Dies geht allerdings nur, solange ihre Bezugselemente deutlich im Kontext genannt werden. (28) a. Peter hat gesagt, Maria kommt heutʼ Abend. b. Wenn es heute regnet, gehen wir nicht in den Zoo. So konstruktionsgebunden Konjunktiv I und II sein mögen, es gibt tatsächlich eine bestimmte Konstruktion, in der beide gegeneinander ausgetauscht werden können: die hypothetischen Vergleichssätze (Petrova 2008, 29). (29) Das Kind weinte so, als ob es große Schmerzen habe/ hätte/ haben würde. Diese Austauschbarkeit ist jedoch nur gegeben, wenn die Ereignisse in beiden Teilsätzen gleichzeitig stattfinden. 6.6.1 Das Konjunktiv-Paradigma Kommen wir nun zu den Formen des Konjunktivs. In beiden Konjunktiv-Paradigmen weisen manchen Verben Unregelmäßigkeiten auf. Es kann sein, dass die Konjunktivformen mit denen des Indikativs zusammenfallen (30). Bei den Verben sagen und fragen beispielsweise entspricht der Konjunktiv I dem Indikativ Präsens (30a) und der Konjunktiv II dem Indikativ Präteritum (30b). Dies mag einer der Gründe dafür sein, warum sich bei vielen Studierenden die Idee festgesetzt hat, der Konjunktiv I sei ein Konjunktiv des Präsens, der Konjunktiv II einer der Vergangenheit. Dies ist, wie oben schon gezeigt, nicht richtig. Konjunktiv I und II unterscheiden sich in ihrer Bedeutung und vor allem in den Kontexten, in denen sie vorkommen - nicht in einer temporalen Komponente. (30) a. Konjunktiv I: ich sage, ich frage b. Konjunktiv II: ich sagte, ich fragte In Fällen, wie in (30) sieht die deutsche Grammatik vor, dass zur klaren Kennzeichnung des Konjunktivs eine Ersatzform aus würde + Infinitiv verwendet wird (ich würde sagen/ fragen). Die würde-Formen haben sich heute jedoch vor allem in der mündlichen Sprache so eingebürgert, dass die ursprünglichen Konjunktivparadigmen teilweise regelrecht in Vergessenheit geraten sind. Daher möchte ich hier die Gelegenheit nutzen <?page no="152"?> 152 6 Modus und ein vollständiges Beispiel eines Konjunktivparadigmas geben. Wie man unten sieht, wird auch im Konjunktiv nach Präsens und Vergangenheit unterschieden. Jedoch nicht zwischen, sondern innerhalb der beiden Konjunktive. Auch futurische Bedeutungen können innerhalb des Konjunktivparadigmas ausgedrückt werden. Für diese steht jedoch das separate Unterkapitel 6.6.4 zur Verfügung (würde + Infinitiv) KI Präsens Vergangenheit 1.Sg komme sei gekommen 2.Sg kommest seist gekommen 3.Sg komme sei gekommen 1.Pl kommen seien gekommen 2.Pl kommet seiet gekommen 3.Pl kommen seien gekommen KII Präsens Vergangenheit 1.Sg käme wäre gekommen 2.Sg kämest wärst gekommen 3.Sg käme wäre gekommen 1.Pl kämen wären gekommen 2.Pl kämt wärt gekommen 3.Pl kämen wären gekommen Tabelle 14: Konjunktiv I & II im Deutschen Petrova (2008) bestätigt, dass innerhalb des Konjunktivparadigmas eine zeitliche Unterscheidung vorliegt, die vom Stufenmodell, welches wir im Kapitel zum Imperativ kennengelernt haben, nicht erfasst werden kann. Die Formen, die ich oben unter Konjunktiv II Vergangenheit angegeben habe, werden bei ihr mit „Konjunktiv Plusquamperfekt“ bezeichnet (er wäre gekommen), der dem „Konjunktiv Perfekt“ (er sei gekommen) gegenübersteht. Bisher haben wir die Formen der Konjunktive im Deutschen sowie eine grundsätzliche funktionale Unterscheidung von Konjunktiv I & II kennengelernt. Im Folgenden möchte ich nun im Detail auf die vielen verschiedenen Lesarten des Konjunktivs, auch aus diachroner Sicht, eingehen. 6.6.2 Die Lesarten des Konjunktivs im Wandel der Zeit Über den Konjunktiv II haben wir oben schon erfahren, dass er speziell in wenn- Gefügen seinen Auftritt hat und dort einen ANGENOMMEN-Operator darstellt. Jedoch sind Irrealis und Potenzialis nicht seine einzigen Lesarten. Petrova (2008) gibt einen detaillierten Überblick über die historisch verbürgten Funktionen von Konjunktiven im Allgemeinen. Diese sind in Tabelle 13 zusammengefasst. Die Unterscheidung in Potenzialis und Irrealis besteht, wie schon zuvor angedeutet, darin, dass eine Situation mit Potenzialis-Lesart durchaus noch verwirklicht werden kann, während Irrealis-Lesarten anzeigen, dass Gewissheit über die Nicht-Realisier barkeit eines Vorgangs besteht (z.B. Leirbukt 1991). Petrova gibt folgende Beispiele für Potenzialis-Lesarten. - <?page no="153"?> 153 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten Potenzialis Möglichkeit Irrealis Unmöglichkeit Deliberativ/ dubitativ Zweifel, Unsicherheit Optativ Wunsch Voluntativ Aufforderung Konzessiv Einräumung Final Ziel/ Absicht Tabelle 15: Historisch verbürgte Lesarten des Konjunktivs (31) a. Es wäre ja katastrophal, wenn der Wächter uns jetzt sehen könnte. Hoffentlich hat er kein Super-Fernglas dabei. […] b. Ich weiß nicht, ob ihr es gesehen habt. Hättet ihr es gesehen, dann wäret ihr erschrocken gewesen. Während bei (31a) klar nachzuvollziehen ist, dass eine Möglichkeit besteht, in der der Wächter die Sprecher doch noch entdeckt - einfach, weil sich die Situation jetzt, im Moment des Sprechens abspielt und der Ausgang ungewiss ist -, ist bei (31b) nicht so einfach zu erkennen, welches Potenzial hier noch besteht. Der einleitende Satz ich weiß nicht, ob … ist hier der Schlüssel. Obwohl wir es mit einer Situation in der Vergangenheit zu tun haben, die eigentlich schon entschieden ist (hättet gesehen, wäret erschrocken), besteht im Moment der Aussage ein Informationsdefizit bei der Sprecherin. Aus ihrer Sicht ist es durchaus möglich, dass die Angesprochenen gleich bestätigen oder verneinen werden, dass sie etwas gesehen haben, bzw. erschrocken sind oder nicht. Man sieht an diesen Beispielen, dass ein Potenzialis sich zwar in vielen Fällen auf Gegenwärtiges oder Zukünftiges bezieht, dass es allerdings auch Ausnahmen gibt, in denen eine bereits vergangene Situation betroffen sein kann. Petrova (2008, 91f) drückt es so aus: Konstituierend für die potenziale Lesart in beiden Belegen ist die Ungewissheit bzw. die Nicht-Entscheidbarkeit des Sprechers bezüglich des Zutreffens des bezeichneten Sachverhalts, die kontextuell durch Indikatoren wie hoffentlich, ich weiß nicht u.ä. unterstützt werden. In (32) sehen wir Beispiele für eine Irrealis-Lesart. Der Sprecher weiß, dass der Adressat gestern nicht im Unterricht war bzw. jetzt krank ist. Somit bleiben die Ereignisse, die im Hauptsatz skizziert werden, hypothetisch. (32) a. Wenn du gestern im Unterricht gewesen wärst, wüsstest du jetzt Bescheid. b. Wenn du nicht krank wärst, könnten wir ins Schwimmbad gehen. Die dubitative Lesart ist dadurch erkennbar, dass solche Konjunktive in eingebetteten Fragesätzen auftreten. Petrova nennt Belege aus dem Althochdeutschen (33), wo diese Lesart vorkommt. Ob es im Neuhochdeutschen jedoch Beispiele dafür gibt, kann bezweifelt werden - hier würde eher ein Indikativ verwendet werden. <?page no="154"?> 154 6 Modus (33) Wio meg ich wízzan thanne, thaz uns kínd werde? Wie kann ich denn wissen, dass wir ein Kind bekämen? Beim optativen Gebrauch werden die Wünsche des Sprechers ausgedrückt. Hierbei kann es sich um Zukünftiges, Präsentisches oder Vergangenes handeln. Im heutigen Deutsch treten solche Interpretationen in irrealen Wunschsätzen auf (34). (34) a. Wären wir doch früher heimgegangen! b. Könnte ich doch besser singen! Aus dem Althochdeutschen nennt Petrova (2008, 98) jedoch auch Beispiele, in denen Glückwunschäußerungen (35a) oder Bitten im eingebetteten Nebensatz (35b) durch solche Konjunktive realisiert werden. (35) a. Thémo s i íamer héili joh sálida giméini […] Ihm sei ewige Heiligkeit und auch Segen […] b. Thih bíttu ich mines múates, thaz mír queme alles gúates Dich bitte ich von ganzem Herzen, dass mir Gutes in Ewigkeit zuteilwerde. Beim voluntativen Gebrauch geht es um Aufforderungen im weitesten Sinne. Diese Funktion wird heute vor allem durch Imperativ, Indikativ und die infiniten Formen abgedeckt, und die Konjunktive klingen hier eher „archaisierend und formelhaft“ (Petrova 2008, 99). (36) Man höre und staune! In eingebetteten Nebensätzen können Konjunktive jedoch weiterhin diese voluntative Semantik transportieren, was jedoch dem indirekten Referat, welches in diesen Beispielen vorliegt, geschuldet sein dürfte. (37) a. Sie baten darum, dass man ihnen diesen Ort zeigte. b. Sie forderten, dass die Steuern sofort bezahlt würden. Für den voluntativen Gebrauch unterscheidet Petrova fürs Althochdeutsche in Jussive, Prohibitive und Adhortative. Diese Begriffe sind äußerst problematisch, weil sie manchmal morphologische Formen bezeichnen, manchmal aber einfach verwendet werden, um auf den Stärkegrad einer Aufforderung oder einen bestimmten Kontext hinzuweisen, in dem ein Konjunktiv (oder auch ein Imperativ) vorkommt. Fürs Deutsche, welches über keine besondere morphologische Markierung für diese drei Fälle verfügt, wird der Jussiv als Befehl an eine 3. Person, der Prohibitiv als verneinte Aufforderung (Verbot) und der Adhortativ als Aufforderung an eine 1. Person Plural, also eine Gruppe, in die sich der Sprecher mit einschließt, begriffen. In den Beispielen in (38) sieht man, dass im Neuhochdeutschen diese Konzepte rein funktional definiert <?page no="155"?> 155 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten werden. (38a) zeigt zwar einen Konjunktiv mit Jussiv-Lesart, aber in (38b) müssen wir für den Prohibitiv auf einen negierten Imperativ zurückgreifen. (38c) zeigt die Form, über die sich die Forschung nicht einig wird, ob sie sie zum Imperativparadigma dazuzählen soll oder nicht. Ich hatte dies im Kapitel 6.5 ausgeschlossen. In Zifonun et al. (1997, 1725) wird die Form in (38c) explizit als Adhortativform des Deutschen genannt, da sie im Gegensatz zu den Imperativen explizit für Person markiert ist (wir). Aus solch einer morpho-syntaktischen Sichtweise macht die Verwendung dieses Begriffs durchaus Sinn. Die anderen von Petrova genannten Bezeichnungen sind jedoch m.E. für das Deutsche überflüssig und eigenen sich vorwiegend für Sprachen, die für diese Konzepte eine eigene morphologische Markierung aufweisen. (38) a. Man verrühre 3 Eier, 250 g Mehl und 100 ml Milch zu einem Teig. b. Rauch nicht! c. Gehen wir! Der konzessive Gebrauch beschränkt sich heute auf die irrealen Konditionalgefüge, wie wir sie in (32) gesehen haben (Petrova 2008, 106). Ein semantischer Unterschied besteht jedoch darin, dass im konzessiven im Gegensatz zum irrealen Konditionalsatz, die Bedingung im wenn-Satz für das Eintreffen der im Hauptsatz beschriebenen Situation unerheblich ist. Mit anderen Worten: die widrige Situation hätte in keinem Fall verhindert werden können. Im Gegensatz dazu hätte der Adressat in (32a) sein Unwissen ganz einfach verhindern können - indem er am vorigen Tag im Unterricht erschienen wäre. Die folgenden Beispiele für konzessive Lesarten sind aus Duden (2009, 519). (39) a. Auch wenn Goethe das Jahr 1832 überlebt hätte, wäre er heute tot. b. Auch wenn sie wollte, könnte sie ihm trotzdem nicht helfen. Der von Petrova fürs Althochdeutsche genannte finale Gebrauch des Konjunktivs, in dem eine Absicht oder ein Ziel erklärt wird, ist heute nicht mehr zu beobachten (Zifonun et al. 1997; Duden 2009). Aus den Beispielen in (40) lässt sich jedoch ersehen, dass diese Funktion heute durch den Indikativ abgedeckt werden kann (Duden 1995, 157). (40) a. Ein Haustyrann, … der es für nötig befindet, eiserne Vorhänge niederzulassen, damit das Wehgeschrei von innen nicht nach außen schalle (schallt), kann nicht mehr guten Glaubens verteidigt werden (Kantorowicz). b. (Die Kinder) … dürfen noch ein wenig aufbleiben, auf dass ihnen das Erwachsenengespräch zum Vorteil gereiche (gereicht) (Böll). Insgesamt lassen sich alle hier beschriebenen Bedeutungsaspekte des Konjunktivs unter dem Thema „nicht-wirklich“ bzw. „nicht-erfolgt“ verorten (Petrova 2008, 112). Interessanterweise fallen in diese Rubrik auch die Konjunktive im Höflichkeitskontext (Zifonun et al. 1997, 1753). Sie dienen dazu, das Gesagte als nicht-faktisch erscheinen zu lassen und somit eine Abschwächung einer Forderung, einer Einstellung oder der Überbringung einer unangenehmen Tatsache zu erzielen. <?page no="156"?> 156 6 Modus (41) a. Würden Sie bitte die Musik leiser machen? b. Ich würde ihnen dieses Medikament empfehlen. c. Mir wäre es sehr recht, wenn Sie sich darum kümmern. d. Das wären dann 250 Euro. Zum Abschluss dieses Kapitels über die hypothetischen Bedeutungsaspekte des Konjunktivs soll nun eine Übung dazu dienen, zwischen den verschiedenen Lesarten besser unterscheiden zu können. Aufgabe 18 1. Bestimmen Sie, welche Lesarten bei den Konjunktiven in den folgenden Beispielen vorliegen! 2. Handelt es sich jeweils um eine Form des KI oder des KII? a. Möge die Macht mit dir sein! b. Der Bote trete ein und überbringe seine Botschaft! c. Ich verlasse mich immer auf mein Glück, möge kommen, was da wolle. d. Seien wir doch mal ehrlich ... e. Wenn der Schlüsseldienst endlich käme, könnte ich aufschließen. f. Hätte ich nur nicht so viel gegessen! g. Wenn du schon groß wärst, dürftest du mit in den Film kommen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass manche Funktionen des Konjunktivs vom Altzum Neuhochdeutschen weggefallen sind. Besonders im Bereich der Aufforderung werden im heutigen Deutsch eher Imperative oder, falls 3. Personen betroffen sind, ein Modalverb wie sollen bzw. ein Infinitiv verwendet. Generell bestätigt sich durch Petrovas Studie, dass Konjunktive heute, egal ob im voluntativen oder optativen Gebrauch, viel stärker von ihrer Einbettung in Nebensätze und somit von der Semantik des übergeordneten Verbs (z.B. befehlen) abhängen, als dies im Althochdeutschen der Fall war. Insgesamt weisen viele der von Petrova (2008) gegebenen Beispiele darauf hin, dass das Modalsystem des Deutschen im Verlauf der Zeit transparenter geworden ist und sich bestimmte Funktionen den einzelnen Modi heute besser zuordnen lassen als früher. So lässt sich heute eine klarere Trennung zwischen Konjunktiv I und II sowie zwischen Konjunktiv und Imperativ ziehen. Das nächste Unterkapitel widmet sich nun dem zweiten Funktionskomplex, den der Konjunktiv abdeckt, dem indirekten Referat. 6.6.3 Indirektes Referat Eine grundlegende Unterscheidung, die bei Indirektheitskontexten gemacht werden muss, ist die Frage danach, ob die indirekte Rede in einen abhängigen Nebensatz (z.B. durch dass oder ob) eingebettet wird (42a), oder ob sie einen selbständigen Satz bildet (42b). Der zweite Fall liegt oft vor, wenn längere Passagen wiedergegeben werden (berichtete Rede). Hierzu wird zu Beginn mit einem einleitenden Nebensatz angezeigt, dass ein indirektes Referat vorliegt. Im weiteren Verlauf weist jedoch allein der <?page no="157"?> 157 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten Konjunktiv in selbständigen Hauptsätzen darauf hin. Die erlebte Rede wiederum kommt gänzlich ohne einleitende Verben des Sagens oder Denkens aus (42c) (Duden 2009, 523). (42) a. Der Bäcker hat gestern meiner Tochter gesagt, dass er sie leider enttäuschen müsse. 4 b. Der Bäcker hat gestern meiner Tochter gesagt, dass er sie leider enttäuschen müsse. Er sei doch nicht der Weihnachtsmann. Ob sie das sehr schlimm finde? Sie möge ihm das bitte nicht allzu übel nehmen. c. Der Bäcker war schlechter Laune. Er musste jetzt wirklich der Tochter die Wahrheit erzählen. Es ging nicht an, dass sie in dem Alter an den Weihnachtsmann glaubte! Hoffentlich würde sie nicht allzu enttäuscht sein. Die erlebte Rede taucht meist in präteritalen Kontexten auf, wo viele der Präteritumstempora einfach beibehalten werden (musste, ging, glaubte). Sobald jedoch in diesen Vergangenheitstexten ein Blick voraus gewagt wird, also in die Zukunft der denkenden oder erzählenden Person, wird die Form würde + Infinitiv benutzt. Auf solche Fälle gehen wir gesondert in Kapitel 6.6.4 ein. Insgesamt jedoch bleibt die Frage, in welchen Situationen eine indirekte Rede durch Konjunktiv gekennzeichnet werden muss und wann nicht. Schließlich ist es im mündlichen, umgangssprachlichen Gebrauch eher ungewöhnlich, den Konjunktiv zu benutzen. Grundsätzlich gilt, dass je besser die indirekte Aussage als solche gekennzeichnet ist, z.B. durch Nebensätze mit dass oder ob, durch andere Referatshinweise (nach der Aussage von …, … so die Kanzlerin) oder den Verben sollen bzw. wollen (Zifonun et al. 1997, 1764f), desto fakultativer wird die Verwendung eines Konjunktivs (Welke 2005, 456). (43) a. Nach der Aussage der Lehrerin habe die Schülerin sich hysterisch aufgeführt. b. Nach der Aussage der Lehrerin hat die Schülerin sich hysterisch aufgeführt. c. Peter dachte, dass Maria krank sei. d. Peter dachte, dass Maria krank ist. Zifonun et al. (1997, 1766) sehen die „kontextspezifischen Verbindlichkeitsansprüche“ als einen Grund für die Verwendung des Konjunktivs bzw. des Indikativs. Hierzu unterscheiden sie zwei Typen von Verwendungsregularitäten. 1. Verwendungstypen, in denen Indirektheitskontexte explizit markiert werden und in denen den normativen Empfehlungen zum Umgang mit Indirektheit weitgehend gefolgt wird. 2. Verwendungstypen, in denen die Orientierung an normativ geregelten Verfahren zur Markierung von Indirektheit weitgehend unterbleibt. Die Wahl des Verwendungstyps hängt meist davon ab, ob wir es mit öffentlicher oder privater Kommunikation zu tun haben. Gerade in Nachrichtensendungen oder -texten 4 Alle Beispiele aus Duden (2009, 523f). <?page no="158"?> 158 6 Modus dominiert daher der erste Typ, wo Indirektheit deutlich angezeigt wird. Sogar Zweifachmarkierungen aus Konjunktiv + dass sind hier zu beobachten (44a). Sobald jedoch unstrittige Tatsachen berichtet werden, sind Übergänge in den Indikativmodus angebracht (Zifonun et al. 1997, 1768). In (44b) wird angezeigt, dass die Aussage des Parlamentspräsidenten vom Vortag als belegt gilt (und beispielsweise in besagter Quelle nachgelesen werden könnte). Die Aussage Kulcsars berichtet der Nachrichtensprecher zwar auch, distanziert sich aber gleichzeitig davon („wir teilen diese Aussagen nicht, wir berichten nur darüber“). (44) a. Italiens Transportminister Carlo Bernini hatte am Dienstagabend dem Verband der Transportunternehmer zugesagt, dass mit Österreich neu über das Transitabkommen verhandelt werde. (Rhein-Neckar-Zeitung, 21.9.1989, 2) b. Kulcsar erklärte, auf Fragen, er teile die Auffassung des ungarischen Parlamentspräsidenten Matyas Szürös, der in einem am Vortag veröffentlichten Interview der „Washington Post“ mittelfristig ein neutrales Ungarn für möglich erklärt hatte. In Nachrichtensendungen lässt sich die Verwendung des Konjunktivs zur Vermittlung von Indirektheit oder Distanzierung besonders dann beobachten, wenn Nachrichten aus unzugänglichen Kriegsgebieten oder auch anonym in Umlauf gebrachte Botschaften ausgestrahlt werden. Durch die Verwendung des Konjunktivs kann hier die Echtheit der Nachricht bezweifelt bzw. die Unsicherheit der Quelle herausgestellt und so eine Verantwortung im Falle einer Fehlinformation abgegeben werden. Hier kommt zur Indirektheitskomponente, die durch den Konjunktiv ausgedrückt wird, noch eine Modalitätskomponente hinzu (Zifonun et al. 1997, 1771). Auch das evidenziell verwendete Modalverb sollen weist zusätzlich darauf hin, dass die Information aus zweiter Hand stammt und nicht als gesichert gilt. In (45) sehen wir, wie über längere Strecken unterschiedliche Mittel zur Kennzeichnung von Information als indirekt und strittig eingesetzt werden können. (45) Nach Angaben von Uno-Beobachtern hat die syrische Armee bei den Kämpfen um Aleppo auch Kampfflugzeuge eingesetzt. Die Uno-Beobachter hätten am Dienstag gesehen, dass ein Jet auf Aleppo geschossen habe, sagte die Sprecherin der Uno- Beobachtermission in Syrien, Sausan Ghosheh, an diesem Mittwoch. Amnesty International berichtet von zahlreichen unbeteiligten Opfern. Viele junge Männer, aber auch Kinder und ältere Menschen sind laut der Menschenrechtsorganisation von Regierungstruppen oder verbündeten Milizen erschossen worden. Die heftigen Kämpfe in Aleppo seien „sehr besorgniserregend“, schrieb die Uno-Sprecherin per E-Mail. Darin hieß es außerdem: „Wir haben jetzt die Bestätigung, dass die Opposition in Aleppo über schwere Waffen, darunter Panzer, verfügt.“ Viele Menschen hätten angesichts der Kämpfe vorübergehend Zuflucht in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden in sicheren Stadtteilen gesucht. Es gebe Engpässe bei Nahrungsmitteln, Treibstoff und Gas. Auch in der Hauptstadt Damaskus flammten die Gefechte zwischen Aufständischen und Regierungstruppen am Mittwoch wieder auf. Rebellen zufolge wurde erstmals in der Nähe von zwei christlichen Vierteln gekämpft. 5 5 SPON, 1.8.2012, <?page no="159"?> 159 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten In informellen Kommunikationssituationen ist meist keine regelmäßige Markierung von Indirektheit zu beobachten. In den meisten Fällen werden hier Indikative verwendet.Wir haben nun geklärt, in welchen Fällen Konjunktive und Indikative austauschbar sind. Was bleibt, ist die Frage nach der Austauschbarkeit von Konjunktiv I und II im Referatskontext. Im Unterkapitel zu den Formen des Konjunktivs (6.6.1) wurde darauf hingewiesen, dass im Falle einer formalen Überschneidung zwischen Konjunktiv I und Indikativ, eine Konjunktiv-II-Form der Klarheit halber gewählt werden kann. Doch wie erklären sich dann die Beispiele in (46)? (46) a. Er sagte, er komme. b. Er sagte, er käme. In (46a) liegt eine unambige Konjunktiv I Form vor (Indikativ wäre kommt). Jedoch scheint der Satz in (46b) auch nicht direkt ungrammatisch zu sein oder eine andere Bedeutung zu haben. Thieroff (1992, 226) bestätigt, dass sich bei Konjunktiv I und II im Referatskontext immer mehr um freie Varianten ohne Bedeutungsunterschied handelt. Zwar existiert die in 6.6.1 beschriebene Ersatzregel, jedoch weisen unterschiedliche Grammatiken darauf hin, dass kein semantischer Unterschied in Beispielen wie (46) festgestellt werden kann (z.B. Helbig & Buscha 1987; Engel 1988). Welke (2005) behilft sich zur Lösung des Problems mit einer Differenzierung aus prototypensemantischer Sicht: Für ihn gilt im heutigen Deutsch, dass die prototypische Funktion des Konjunktiv I eben die eines Behauptet-Operators, die des Konjunktiv II diejenige eines Angenommen-Operators ist. Dies bedeutet jedoch weder, dass dies diachron ebenso der Fall war, noch dass die beiden Konjunktive keine anderen Funktionen ausfüllen könnten. Im Folgenden wollen wir uns nun mit noch einer weiteren Konstruktion beschäftigen, die in Konkurrenz mit den Konjunktivformen treten kann. 6.6.4 Die ambige Konstruktion würde + Infinitiv Die Konstruktion würde + Infinitiv wirft seit jeher fürs Deutsche einige Fragen auf, was Autoren schon zu Überschriften wie „Die Geheimnisse der deutschen würde- Konstruktion“ inspiriert hat (Fabricius-Hansen 2000). Speziell die Herkunft dieser Konstruktion sowie ihre vielen verschiedenen Verwendungsweisen sind Thema linguistischer Untersuchungen. Auch ist nicht gänzlich klar, ob man diese Konstruktion unter Modus (z.B. Fabricius-Hansen 1997) oder Tempus (Thieroff 1992) verorten soll. Die Dissertation von Smirnova (2006) gibt einen breiten Überblick über die Sichtweisen, die hierzu in der linguistischen Forschung kursieren. In diesem Buch möchte ich die Funktionen der würde-Konstruktion ebenso aus diachroner Sicht angehen, wie wir dies zuvor für den Konjunktiv gemacht haben. Dies hilft m.E. nicht nur dabei, den Gründen für die Ambiguität dieser Form auf den Grund zu gehen, sondern auch dabei, tiefere Einblicke in die Entwicklung des gesamten Tempus-Modus-Aspekt-Systems des Deutschen zu bekommen. http: / / www.spiegel.de/ politik/ ausland/ aleppo-syrische-rebellen-richten-offenbar-assadgetreue-hin-a-847677.html <?page no="160"?> 160 6 Modus Die grundlegendsten Werke aus der neueren linguistischen Forschung, die das Thema aus diachroner Sicht angehen, sind Fabricius-Hansen (2000), Welke (2005) und Smirnova (2006). Welke listet folgende Funktionen von würde + Infinitiv im heutigen Deutsch auf: Ersatzform analytischer Konjunktiv I +II bei Gleichheit der Konjunktivform mit dem Indikativ: Peter sagte, er würde ihn fragen./ Wenn ich dich fragen würde, würdest du auch nicht nein sagen. Konjunktiv Futur (im Gegensatz zu Indikativ Futur): Ich würde jetzt gehen. Höflichkeitsform: Würdest du mir mal das Salz geben? Anzeigen eines Indirektheitskontextes: Peter sagte, er würde morgen vorbeikommen. Zukunft in der Vergangenheit: Peter und ich würden dann auf dem Rasen liegen und in den Himmel starren. / Sie wusste: Peter und Maria würden diesen Unfall nicht überleben. Wie man sieht, sind die unterschiedlichen Bedeutungen eher schwer unter einen Hut zu bekommen. Welkes Zielsetzung besteht daher darin, in einer diachronen Analyse den „Archetyp“ zu finden, auf den alle diese Funktionen in irgendeiner Weise zurückgehen. Er beginnt seine Suche von formaler Seite, ebenso wie Fabricius-Hansen (1998, 2000), die für werden + Infinitiv ein „defektes Paradigma“ attestiert. Da würde ein Konjunktiv von wurde ist, verwundert es einigermaßen, dass im heutigen Deutsch keine dementsprechende indikativische Konstruktion besteht (47b), wie es z.B. bei Passiven oder anderen Konstruktionen mit dem Verb werden der Fall ist. Allerdings kennen wir heute die Konstellation von werden+Infinitiv als Ausdruck für Zukünftiges (47a). Hängen alle diese Konstruktionen in (47) irgendwie zusammen und wenn ja, wie? (47) a. Peter wird ein Haus bauen. b. *Peter wurde ein Haus bauen. c. Peter würde ein Haus bauen. Aus diachroner Sicht interessant ist, dass selbst unser heutiges Futur (47a) früher keine temporale oder modale, sondern eine aspektuelle Funktion hatte: Es diente dazu, ingressive bzw. inchoative Ereignisse zu kennzeichnen (Kapitel 2.1) und konnte sowohl im Präsens als auch im Präteritum vorkommen (Fabricius-Hansen 2000, 85; Smirnova 2006, 42). (48) a. er wirt/ wart dienen b. dâ bî wart man sie erkennen Werden + Infinitiv stand im Alt- und Mittelhochdeutschen in Konkurrenz zu Kombinationen aus werden + Partizip Präsens (er wirt/ wart dienende), die eher progressive Aspektualität anzeigten. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts hat sich jedoch nach Fabricius- Hansen (2000) die Kombination aus werden im Präsens und dem Infinitiv als Futurausdruck durchgesetzt. <?page no="161"?> 161 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten Als die Funktion von werden+Infinitiv allerdings vom aspektuellen Bereich auf den temporalen überging, starb die dazugehörige Vergangenheitsform aus, und die Variante mit werden im Präteritum konnte seitdem nicht mehr beobachtet werden. Stattdessen bildete sich eine Konjunktivform heraus mit der Bedeutung „Zukunft in der Vergangenheit“, was auch heute noch eine der Hauptbedeutungen dieser Konstruktion ist. Smirnova (2006, 44) bestimmt den Beginn für die zunehmende Verbreitung der Konstruktion auf den Anfang der neuhochdeutschen Epoche, wo sie zuerst im hypothetischen Hauptsatz Verwendung findet (vgl. auch Behaghel 1924). Doch was genau bedeutet „Zukunft in der Vergangenheit“? Dieser Ausdruck klingt möglicherweise etwas widersprüchlich. Schauen wir uns Welkes Beispiele an, die deutlicher werden lassen, was gemeint ist. (49) a. Es war Freitag und ich wusste, dass der alte Derkum freitagabends immer ins Kino ging, aber ich wusste nicht, ob Marie zu Hause sein oder bei einer Freundin fürs Abi pauken würde. 6 b. Er glaubte, dass Emma kommen würde. Wichtig ist hier, dass in beiden Fällen, durch die jeweils einleitenden Sätze klar wird, dass die eigentliche Handlung in der Vergangenheit stattfindet (ich wusste nicht, er glaubte). Hierdurch wird die Gesamtperspektive in die Vergangenheit gelegt. Von dort aus schauen nun die Figur im Text und der Leser gemeinsam in die Zukunft, wo sie ein bestimmtes Ereignis erwarten ([Marie pauken], [Emma kommen]). Die Zukunft, um die es geht, ist also die der im Text auftretenden Figuren. Was beiden Beispielen gemein ist, ist dass es sich immer um eine Art indirekte Rede handelt - angezeigt durch den einleitenden Satz. Dies ist, wie wir im vorangegangenen Unterkapitel erfahren haben, eine der klassischen Funktionen von Konjunktiven. Welke unterscheidet jedoch zwei Fälle des Futur Präteritum: Die sogenannte deixisverschobene und die nichtdeixisverschobene Perspektive. Im Kapitel Tempus haben wir den Begriff Deixis schon einmal definiert, deshalb verweise ich auf dieses Kapitel für eine Wiederholung. Bei der deixisverschobenen Perspektive spricht Welke auch von erlebter Rede, welche wir schon in Kapitel 6.6.3 kennengelernt haben. Bei Zifonun et al. (1997) wird der Begriff erlebtes Denken verwendet. Hierbei bekommt der Leser eines Textes den Eindruck, dass er selbst an die Stelle der agierenden Person versetzt wird und sozusagen in den Text eintaucht. Er „hört“ geradezu die Gedanken der Personen im Text - so wie wir es oben in Beispiel (49a) gesehen haben - und weiß wie die Person im Text nicht, was in der Zukunft passieren wird. Hierbei gilt, was Comrie (1989, 60) über den Zusammenhang von Modalität und Zukunftsbedeutung sagt: “it is semantically not implausible to try to subsume future time reference under inferential modality: the general characteristic of both is that the speaker commits himself to a proposition for which there is no direct evidence.” Es kann aber auch passieren, dass ein auktorialer Erzähler eine Situation in der Vergangenheit beschreibt und von dort einen Blick in die (verhängnisvolle? ) Zukunft der Hauptpersonen gewährt. Dies ist die nicht-deixisverschobene Perspektive. Der Leser wird nicht zur Person im Text, sondern sieht die Ereignisse eher unabhängig vom 6 Welke (2005, 462 bzw. 469). <?page no="162"?> 162 6 Modus in der Geschichte vorgegebenen zeitlichen Ablauf. Im Gegensatz zur deixisverschobenen Lesart steht der Erzähler über den Dingen und hat die Macht, den von Comrie beschriebenen Zusammenhang zwischen Unsicherheit und Zukunft außer Kraft zu setzen. Solche würde-Konstruktionen können auch durch das Verb sollen ersetzt werden. (50) Ehe sie, Leni und ihr Mann, von der Gestapo verhaftet sein würden, sollte Marianne von ihrem neuen Mann [...] so viele verächtliche Worte [...] hören ... 7 In diesem Beispiel gilt als gesichert: Marianne wird von ihrem neuen Mann so viele verächtliche Worte hören. Auch Fabricius-Hansen (2000, 94f) beschäftigt sich mit der Ersetzung durch sollen. Wie Welke spricht sie diesen Formen eine personenverschobene Perspektive ab. Eines ihrer Beispiele für solch eine Verwendung von würde + Infinitiv sehen wir in (51). (51) Dann machte sie sich […] daran, zu untersuchen, was der nächtliche Eindringling gesucht haben könnte. Es gab keine Spuren. […] Auf ihrem Schreibtisch lag der „Diskurs über den Freitod“ noch da, wo sie ihn hingelegt hatte, daneben der Bleistift und ihr Kalender. Im Schreibtisch lag die Pistole. Erst am nächsten Tag würde ihr auffallen, dass ein anderes Datum aufgeschlagen war, aber dann würde sie nicht mehr wissen, ob sie das am Abend zuvor selbst gemacht hatte. (Doris Gercke: Weinschröter, du musst hängen). Hier wird deutlich, wie sehr der Erzähler über der im Text beschriebenen Handlung (und somit der Gegenwart der Figur) steht. Er kann sich einfach in der Zeit vor- und zurückbewegen und hat Wissen über Zukünftiges. Die deixisverschobene und die nicht-deixisverschobene Perspektive decken also die Funktion von würde+Infinitiv als Markierung der indirekten Rede ab. Eine weitere Umgebung, in der die Konstruktion typischerweise auftritt, ist jedoch, wie in Kapitel 6.6.2 schon besprochen, der wenn-Satz. Hierfür lassen sich nach Welke (2005) folgende semantische Szenarien festlegen. Zum einen kommt beim Konjunktiv Präteritum des Futurs eine ANGENOMMEN + ZUKUNFT Bedeutung gegenüber der Jetzt-Zeit zum Tragen (52a). Hierbei ist die konjunktivische Bedeutung dominant. In (52a) wird also ein möglicher zukünftiger Fall skizziert, der so eintreten kann oder auch nicht. Eine zweite Möglichkeit wäre der analytische Konjunktiv Präteritum mit Gegenwartsbezug, der in (52b) zu sehen ist. Im Gegensatz zu (52a) wird eine in der Sprechergegenwart schon eingetretene Situation besprochen. (52) a. So wird offenbar eine Art Pauschalbeitrag für gesetzlich Versicherte erwogen[...] Im Gegenzug würde/ wird die Ausgliederung von Krankengeld oder Zahnersatz entfallen. 8 b. Wenn ich nach La Palma mitgeflogen wäre, würde ich jetzt die Sonne genießen. 7 Welke (2005, 468f). 8 Welke (2005, 480 bzw. 469). <?page no="163"?> 163 6.6 Der Konjunktiv: formale und funktionale Schwierigkeiten Insgesamt sieht das semantische Bild, das Welke für die würde-Konstruktion zeichnet, folgendermaßen aus. Ausgehend von einem semantischen Archetyp „Zukunft in der Vergangenheit“ lassen sich auf der einen Seite Verwendungen im Rahmen der indirekten Rede sowie gleichzeitig ein Vorkommen dieser Konstruktion in wenn-Sätzen erklären. Die Tabelle unten fasst dies noch einmal zusammen (nach Welke 2005, 470). Archetyp: Zukunft in der Vergangenheit, Konjunktiv des Futur Präteritum Kontext: Indirekte Rede Kontext: Wenn-Sätze Erlebte Rede (deixisverschoben) Konjunktiv Präteritum des Futurs Nicht-deixisverschobene indirekte Rede Analytischer Konjunktiv Präteritum mit Gegenwartsbezug Tabelle 16: Bedeutungen der deutschen würde-Konstruktion Auch Smirnova (2006, 324) beschreibt ein ähnliches Spektrum an Funktionen für diese Konstruktion. Ihr zufolge haben diese Verwendungsweisen jedoch gemeinsam, dass sie alle die semantische Komponente „Folge“ vereinen. In abhängigen Konstruktionen, wie Nebensätzen in der indirekten Rede, bezieht sich die Folge auf eine Abhängigkeit von einem kognitiven Verb; in wenn-Gefügen auf die Abhängigkeit von den durch den Kontext gegebenen Bedingungen. Doch wie passt nun die Verwendung dieser Konstruktion im Höflichkeitskontext ins Bild? Der Duden (2009, 521) merkt zunächst an, dass das Besondere an der Verwendung im Höflichkeitskontext darin besteht, dass die Konstruktion dort nicht durch die gewöhnliche Konjunktiv II-Form ersetzbar ist. (53) a. Würden Sie bitte hereinkommen? b. *Kämen Sie bitte herein? Die Konstruktion würde + Infinitiv ist in dieser Verwendungsweise konventionalisiert und gewährt dem Gegenüber, an welches die Bitte gerichtet ist, eine Möglichkeit, diese ohne Gesichtsverlust (Brown & Levinson 1978) abzulehnen. Dieser „größere Handlungsspielraum“ (Duden 2009, 521) liegt an der hypothetischen Bedeutungskomponente, die der Konjunktiv im Gegensatz zum Imperativ mit sich bringt (Komm herein! ). Abschließend kann zum Konjunktiv, der auch in der Konstruktion würde + Infinitiv seine Realisierung findet, Folgendes gesagt werden: Er ist ein Modus, der gebraucht wird, um irreale oder potenzielle Situationen zu beschreiben. Dies passiert zum einen in der indirekten Rede, zum anderen in wenn-Gefügen. In der würde-Konstruktion überschneiden sich Modus und Tempus semantisch sehr stark: Etwas in der Zukunft ist immer etwas Mögliches, wohingegen etwas in der Vergangenheit auf seine Realität überprüft werden kann. Bei würde+Infinitiv besteht die Schwierigkeit darin, dass sowohl eine temporale als auch eine modale Komponente gleichzeitig bestehen und eine an sich merkwürdige Situation kreieren: Wir blicken zurück, aber gleichzeitig nach vorne, was eine Unsicherheit bezüglich des Stattfindens eines Ereignisses mit sich bringt. Das macht die würde-Konstruktion zu einer der komplexesten semantischen Formen im deutschen Modussystem. Im letzten Kapitel zum Thema Modus wollen wir uns nun mit kleinen Wörtern beschäftigen, die eine große Auswirkung auf die Bedeutung eines Satzes haben können - den Modalpartikeln. <?page no="164"?> 164 6 Modus 6.7 Die Modalpartikeln: Übersetzungsprobleme Im Deutschen gibt es viele so genannte Modal- oder Abtönungspartikeln, die im Mittelfeld von Hauptsätzen vorkommen können (Weydt 1969). Sie werden vor allem in der gesprochenen Sprache benutzt, um Annahmen, Erwartungen und Bewertungen des Sprechers anzuzeigen. Im Duden (2009, 591) werden fürs Deutsche folgende häufige Repräsentanten dieser Klasse aufgelistet: ja, denn, wohl, doch, aber, nur, halt, eben, mal, schon, auch, bloß, eigentlich, etwa, nicht, vielleicht, ruhig. Als Wortart zeichnen die Modalpartikeln sich vor allem dadurch aus, dass sie bestimmte syntaktische und morphologische Eigenschaften nicht haben. Waltereit (2006, 1) listet folgende Charakteristika auf, die in diversen Werken zu diesem Thema diskutiert werden (z.B. Helbig 1988; Thurmair 1989 etc.): Modalpartikeln sind nicht flektierbar, meist unbetont, fakultativ, nicht koordinierbar, nicht modifizier- oder erweiterbar, nicht erfragbar, nicht negierbar und nicht miteinander kombinierbar. Dieser Darstellung widerspricht der Duden (2009, 594). Demnach sind die Partikeln zwar kombinierbar, jedoch nur, wenn bestimmte Abfolgen eingehalten werden: ja > halt > doch > einfach > auch > mal. Thurmair (1991) gibt folgendes Beispiel: (54) Kombinieren Sie doch nur ruhig auch mal Modalpartikeln. Eine letzte Eigenschaft von Modalpartikeln ist, dass sie semantisch dem ganzen Satz übergeordnet sind. Im Folgenden sehen wir einige Beispielsätze. (55) a. Zu diesem Zeitpunkt war Peter ja noch zu Hause. b. Was ist denn los mit dir? c. Das ist doch klar! d. Du hast wohl Panik bekommen? ! e. Dann musst du halt nachfragen! f. Wäre schon nicht die schlechteste Lösung … g. Renn ja nicht weg! Modalpartikeln treten in unterschiedlichen Satzarten auf, z.B. in Aussagesätzen (55a), Fragesätzen (55b) oder Imperativsätzen (55g). Je nach Satzart und Art der Partikel können sie unbetont (55a) oder betont sein (55g, 55f) (Duden 2009, 591). Modalpartikeln können leicht mit Adverbien (56a), Gradpartikeln (56b) oder Satzäquivalenten (56c) verwechselt werden (Ormelius-Sandblom 1997). Satzäquivalente sind einfacher zu erkennen, da sie isoliert am Anfang oder Ende des Satzes auftreten (Meibauer 1994, 186; Ormelius-Sandblom 1997, 58). Bei der Unterscheidung zwischen Grad- und Modalpartikeln hingegen, insbesondere bei schon, gibt es einige Probleme. Bei der Verwendung als Gradpartikel scheint schon ebenso wie als Modalpartikel seine temporale Bedeutung verloren zu haben, die es als Adverbial noch besitzt. Eine Modalpartikel jedoch bezieht sich auf eine ganze Proposition, während die Gradpartikel eben nur eine Graduierung einer anderen Konstituente im Satz versucht (Ormelius- Sandblom 1997, 57). In (56b) zum Beispiel bezieht sich das schon auf die Konstituente einmal. <?page no="165"?> 165 6.7 Die Modalpartikeln: Übersetzungsprobleme (56) a. Peter hat das Buch schon zurückgebracht. b. Ich habe doch nur einmal geraucht! ‒ Schon einmal ist einmal zu viel. c. Kommst du zu Marias Party morgen? - Schon, aber nicht gleich um 8. Was ihre Bedeutung anbelangt, drücken Modalpartikeln eine Art Vorwissen über bzw. die Einstellung oder Bewertung des Sprechers zum/ des Gesagten aus. Sie können Erwartungshaltungen oder Hintergrundannahmen transportieren (Liefländer-Koistinen 2004, 96). DEFINITION Modalpartikeln sind kontextabhängige, im Mittelfeld lokalisierte Träger von modaler Bedeutung. Sie vermitteln Einstellungen sowie Erwartungen oder weisen auf einen bestimmten Wissensstand der Gesprächsteilnehmer hin. Es besteht jedoch einiger Diskussionsbedarf in der Forschung, ob man dieser Wortart überhaupt eine konzeptionelle Bedeutung zusprechen kann. Oft scheinen Partikeln eine rein pragmatische Funktion zu haben und darauf hinzuweisen, wie der Hörer eine Aussage im Kontext verorten muss (Waltereit 2006,9). Die Schwierigkeit bei der Bestimmung einer lexikalischen Bedeutung liegt darin, dass ein und dieselbe Partikel je nach Kontext völlig unterschiedlich funktionieren kann. Schauen wir uns noch einmal die Beispiele aus (55) an. Die Partikel ja in (55a) signalisiert dem Gegenüber, dass ein gemeinsames Wissen vorliegt. Eigentlich weiß der andere, dass Peter zu Hause war - es soll nur noch einmal der Vollständigkeit halber und zur Absicherung wiederholt werden. Hierbei geht es also um die Bestätigung von gemeinsamem Wissen. Den Satz in (55b) könnte man selbstverständlich genauso gut ohne die Partikel denn äußern. Allerdings wird so das Interesse des Sprechers in der Angelegenheit betont. Das doch in (55c) signalisiert die Voraussetzung von Wissen, im Sinne von „das müsstest du eigentlich wissen“, was immer auch einen vorwurfsvollen Ton mit sich bringt. Die Partikel wohl in (55d) zeigt an, dass die Sprecherin eine Vermutung aufstellt und sich nicht ganz sicher ist. Wohl findet man auch häufig, wenn Information durch Hörensagen weitergegeben wird, wo ebenso eine Unsicherheit des Sprechers bezüglich der gerade gegebenen Information ausgedrückt wird. Eben in (55e) bestätigt die Unumstößlichkeit bzw. die allgemeine Bekanntheit einer Tatsache (In solchen Situationen muss man - wie jeder weiß - nachfragen). Das schon in (55f) gehört eher der Umgangssprache an und könnte im Standarddeutschen durch zugegeben ersetzt werden. Das ja in (55g) dient zur Untermauerung und Verstärkung der Aufforderung. So viel Bedeutung in so einem kleinen Wort! Sprechen Sie nun zur Probe einmal innerlich den Satz in (55b) in einem anderen Tonfall aus! Plötzlich klingt er nicht mehr so sehr nach Interesse, sondern eher nach Ungeduld oder Vorwurf. Weinrich (1993, 851) weist darauf hin, dass jedoch alle diese Bedeutungen eines gemeinsam haben: Sie zeigen an, dass in einer bestimmten „Situation etwas vorgefallen sein [muss][…], was zu dieser Frage besonderen Anlass gibt.“ Diese starke Kontextabhängigkeit der Partikeln macht es für Fremdsprachenlernerinnen schwierig, diese Wörter ins eigene Repertoire aufzunehmen und selbst zu benutzen. Muttersprachler hingegen wissen mehr oder weniger intuitiv, welche der vielen Funktionen eine Partikel in einem bestimmten Fall einnimmt. Für sie scheint es eher schwierig zu sein, die genaue Bedeutung von <?page no="166"?> 166 6 Modus Partikeln zu benennen (vgl. auch die Studie von Ikoma & Werner 2009 zur Selbsteinschätzung von Sprechern). Alleine für die Modalpartikel ja dokumentiert Waltereit (2006) drei verschiedene Verwendungen. (57) a. Bekanntheit: Ich habe Peter gestern getroffen. Er hat ja jetzt eine Freundin. b. Überraschung: Das wusste ich nicht! Peter hat ja eine Freundin! c. Betonung: Iss mir JA nicht so viel Eis wie letztes Mal! Das Bekanntheits-ja zeigt an, dass die Sprecherin annimmt, dass ihrem Gegenüber die Information, die sie gerade geäußert hat, bereits bekannt ist. Das Überraschungs-ja hat eher umgekehrte Funktion: Ein bisher unbekannter Sachverhalt wird als solcher gekennzeichnet. Das betonte Ja hat verstärkende Wirkung und untermauert die Aufforderung, die beispielsweise in (57c) ausgedrückt wird. Um Ihnen zu zeigen, wie Partikeln mit dem Kontext interagieren, sehen Sie unten einen Ausschnitt aus Loriots Sketch „Das Frühstücksei“ 9 . (58) Das Ehepaar sitzt am Frühstückstisch. Der Ehemann hat sein Ei geöffnet und beginnt nach einer längeren Denkpause das Gespräch. ER Berta! SIE Ja ... ! ER Das Ei ist hart! SIE (schweigt) ER Das Ei ist hart! SIE Ich habe es gehört ... ER Wie lange hat das Ei denn gekocht ... SIE Zu viel Eier sind gar nicht gesund ... ER Ich meine, wie lange dieses Ei gekocht hat ... SIE Du willst es doch immer viereinhalb Minuten haben ... ER Das weiß ich ... SIE Was fragst du denn dann? ER Weil dieses Ei nicht viereinhalb Minuten gekocht haben kann! SIE Ich koche es aber jeden Morgen viereinhalb Minuten! ER Wieso ist es dann mal zu hart und mal zu weich? SIE Ich weiß es nicht ... ich bin kein Huhn! ER Ach! ... Und woher weißt du, wann das Ei gut ist? SIE Ich nehme es nach viereinhalb Minuten heraus, mein Gott! ER Nach der Uhr oder wie? SIE Nach Gefühl ... eine Hausfrau hat das im Gefühl ... ER Im Gefühl? ... Was hast du im Gefühl? SIE Ich habe es im Gefühl, wann das Ei weich ist ... ER Aber es ist hart ... vielleicht stimmt da mit deinem Gefühl was nicht ... 9 Aus: Loriot: Gesammelte Prosa. Copyright © 2006 Diogenes Verlag AG Zürich. <?page no="167"?> 167 6.7 Die Modalpartikeln: Übersetzungsprobleme SIE Mit meinem Gefühl stimmt was nicht? Ich stehe den ganzen Tag in der Küche, mache die Wäsche, bring deine Sachen in Ordnung, mache die Wohnung gemütlich, ärgere mich mit den Kindern rum und du sagst, mit meinem Gefühl stimmt was nicht! ? ER Jaja ... jaja ... jaja ... wenn ein Ei nach Gefühl kocht, dann kocht es eben nur zufällig genau viereinhalb Minuten! SIE Es kann dir doch ganz egal sein, ob das Ei zufällig viereinhalb Minuten kocht ... Hauptsache, es kocht viereinhalb Minuten! ER Ich hätte nur gern ein weiches Ei und nicht ein zufällig weiches Ei! Es ist mir egal, wie lange es kocht! SIE Aha! Das ist dir egal ... es ist dir also egal, ob ich viereinhalb Minuten in der Küche schufte! ER Nein ... SIE Aber es ist nicht egal ... das Ei muss nämlich viereinhalb Minuten kochen … ER Das habe ich doch gesagt ... SIE Aber eben hast du doch gesagt, es ist dir egal! ER Ich hätte nur gern ein weiches Ei ... SIE Gott, was sind Männer primitiv! ER (düster vor sich hin) Ich bringe sie um ... morgen bringe ich sie um ... Wie man sieht, sorgen die Partikeln für eine gewisse Grundatmosphäre. Speziell die Partikel doch kommt im Text ein ums andere Mal vor. Auch hier sehen Sie unterschiedliche Bedeutungsnuancen. In der Literatur kursieren nach Ormelius-Sandblom (1997) unterschiedliche semantische Analysen für doch. Nach Burkhardt (1989, 365) kann doch interpretiert werden als „im Gegensatz zu dem, was du den Anschein machst zu tun oder zu denken, gilt p“. Dies ist im Frühstücksei-Dialog bei der letzten Verwendung von doch der Fall (Aber eben hast du doch gesagt ...). Thurmair (1989) weist darauf hin, dass doch auch Bekanntes kennzeichnen kann - so wie es im Dialog oben der Fall ist, wenn es um die (seit Jahren bestehende) Routine des morgendlichen Eierkochens geht (Du willst es doch immer viereinhalb Minuten haben). Auf der einen Seite kann doch also eine „affirmative“, auf der anderen Seite jedoch auch eine adversative Komponente zugesprochen werden (Ormelius-Sandblom 1997, 74). Im Dialog oben wird auch deutlich, dass Modalpartikeln typisch sind für mündliche und umgangssprachliche Rede (Duden 2009, 591). Allerdings haben nicht alle Sprachen so viele oder überhaupt Modalpartikeln. Waltereit (2006, 2) sieht sie vor allem in den „festlandgermanischen“ Sprachen, wie z.B. dem Niederländischen oder dem Dänischen, spricht sie den romanischen Sprachen jedoch ab, auch wenn dort teilweise andere Partikelarten oder sonstige Wortarten mit kommunikativer Funktion existieren. Insbesondere bei Übersetzungen bereiten die Partikeln Probleme. Wie soll man ein Wort übersetzen, welches es so in der anderen Sprache gar nicht gibt? Ein typischer Fehler bei der Übersetzung ins Englische zum Beispiel, besteht darin, die Partikeln einfach wegzulassen, weil man kein wirkliches Äquivalent in der englischen Sprache kennt. Macht man das, geht jedoch ein Teil der modalen Bedeutung verloren. Oft muss man zu anderen Mitteln greifen, um die subtile Bedeutung der Modalpartikeln mit in die andere Sprache hinüberzunehmen. <?page no="168"?> 168 6 Modus Aufgabe 19 1. Versuchen Sie diese deutschen Sätze ins Englische zu übersetzen. Seien Sie so präzise wie möglich! 2. Welche Probleme stellen Sie fest? a. Du bist ja total verrückt! b. Das alte Buch brauchst du doch gar nicht! c. Das weißt du doch! d. Peter soll ja auf der Feier gestern betrunken gewesen sein. e. Peter muss gestern spät heim gekommen sein. In der Forschung gibt es diverse Werke, die sich genau mit diesem Übersetzungsproblem beschäftigen. Durch Übersetzungen wurde zudem versucht, der Bedeutung der Partikeln auf die Spur zu kommen (z.B. Liefländer-Koistinen 2004; Waltereit 2006). Als Übersetzungsstrategien bieten sich, je nach Sprache, die unterschiedlichsten Möglichkeiten. Im Englischen kann man sich häufig mit rhetorischen Fragen, Modalverben, Adverbien, Wiederholung oder Betonung behelfen (Liefländer-Koistinen 2004, 100f). (59) a. Deutsch: Aber wissen möchte man schon, wer den Riegel aufgesperrt hat. b. Englisch: But wouldn’t it be nice to know who unlocked the gate? 10 Fürs Italienische nennt Waltereit (2006) die Rechtsversetzung bestimmter zu betonender Konstituenten als eine Lösung, deutsche Partikeln wiederzugeben. Das Französische hingegen weist einige sogenannte „kommunikative Funktionswörter“ auf, die solche Funktionen übernehmen können: hein, je te jure, tu sais, tu vois, ben, tiens. Interessant ist hierbei auch, dass bei Übersetzungen sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung Probleme bestehen, solchen kommunikativen Strategien wirklich Rechnung zu tragen. Insgesamt wurden die Abtönungspartikeln in der linguistischen Theorie aus semantischer (u.a. Thurmair 1989; Waltereit 2006); pragmatischer (u.a. Thurmair 1989, Waltereit 2006, Grosz 2011, 2014a); syntaktischer (u.a. Thurmair 1989; Coniglio 2009; Grosz 2014b) und prosodischer Sicht untersucht (z.B. Ikoma & Werner 2009). Damit dürfte klar sein, dass sie weit mehr als nur „Füllwörter“ darstellen (Duden 2009, 591). Hiermit sind wir nun in erster Linie am Ende des Moduskapitels, aber auch schon bald am Ende des Buches angelangt. Über Modus haben wir hier gelernt, dass er traditionell als die Auswertung eines Satzes unter unterschiedlichen Umständen definiert wird und als grammatische Kategorie gilt. Modalität hingegen wird in unterschiedlichen Theorien als eine Art semantischer Operator beschrieben, der die Welten, auf die sich eine Aussage bezieht, definiert und Parameter, wie Notwendigkeit und Möglichkeit einführt. Außerdem wird durch Modalität auch eine Aussage bezüglich des Wissens des Sprechers gemacht. Modalität wird durch lexikalische Elemente wie Verben, Adverbiale, Partikeln ausgedrückt und grenzt sich auch hierin zu Modus ab, welcher ja 10 Beispiel aus Liefländer-Koistinen (2004, 98f). <?page no="169"?> 169 6.7 Die Modalpartikeln: Übersetzungsprobleme eher grammatisch-morphologisch definiert wird. In den Sprachen der Welt bestehen unterschiedliche Relationen zwischen Modus und Modalität. Während Modi zwar immer eine Modalität ausdrücken, gilt umgekehrt nicht, dass Modalität immer auch durch einen Modus angezeigt werden muss. Mit Beendigung dieses Kapitels sind wir nicht nur am Ende des Themas angelangt, sondern aus syntaktischer Sicht ganz oben in der Satzhierarchie. Deshalb möchte ich zum Abschluss noch einmal ein Element aufgreifen, welches ich in Kapitel 1 eingeführt hatte: die syntaktische Hierarchie von Tempus, Modus und Aspekt. Dies werde ich im abschließenden Kapitel 7 tun. Zusammenfassung In diesem Kapitel wurde versucht, Modus von Modalität abzugrenzen. Während das Deutsche über drei grammatische Modi verfügt, den Indikativ, den Imperativ und den Konjunktiv, gibt es noch weitere lexikalische Formen, die unterschiedliche Arten von Modalität ausdrücken können. Die deutschen Modalverben zeichnen sich beispielsweise durch eine allgemeine Grundmodalität sowie Epistemizität oder Evidenzialität aus. Auch infinite Verbformen wie Infinitiv und Partizip können an die Stelle eines Imperativs treten und deontische Modalität enkodieren, was es schwierig macht, einen Zusammenhang von Modus und Finitheit herzustellen. Eine weitere Form, die im Deutschen zum Ausdruck von Modalität dient, haben wir in der Abtönungs- oder Modalpartikel kennengelernt. Im Sprachvergleich jedoch wurde deutlich, dass Modalität nicht in allen Sprachen der Welt auf dieselbe Weise in Erscheinung tritt und deshalb oft für Probleme bei der Übersetzung sorgt. Insgesamt hat das deutsche Modussystem starke formale und inhaltliche Veränderungen durchlaufen. Während sich der Imperativ vor allem in seinem Paradigma und seinen syntaktischen Merkmalen seit früheren Sprachstufen des Deutschen verändert hat, ist beim Konjunktiv auch eine Veränderung des Bedeutungsspektrums zu bemerken. Speziell die Form würde + Infinitiv stellt ein Sammelsurium für historisch derivierte und neuere Bedeutungsaspekte dar, die nicht so einfach unter einen Hut zu bekommen sind. Empfohlene Literatur Ein allgemeiner Überblick zu Thematik Modus/ Modalität sowie zur damit einhergehenden Terminologie wird in Brinkmann (1971), Palmer (1986) sowie in Zifonun et al. (1997) gegeben. In den meisten Grammatiken wird vor allem auf die Modi des Deutschen fokussiert. Hierzu finden sich ausführliche Darstellungen in Duden (2009). Ein Grundlagenwerk zum deutschen Imperativ ist Donhauser (1986), die sich mit formalen und funktionalen Schwierigkeiten bei der Definition dieses Modus auseinandersetzt. Winkler (1989) geht auf die unterschiedlichen Auffassungen bezüglich des Formenparadigmas ein und nimmt einen Sprachvergleich vor. Als neuere Dissertationen zu diesem Modus sind vor allem Wratil (2005) und Kaufmann (2012) fürs Deutsche zu nennen. Erstere strebt einen diachronen Sprachvergleich an, während letztere die Schnittstelle von Semantik und Pragmatik ins Zentrum ihrer Analyse rückt. Der Imperativ und andere direktive Formen sind auch aus typologischer Sicht interessant. Hierzu haben wohl Aikhenvald (2010) und Xrakovskij (2001) die bisher umfassendsten Werke vorgelegt. Einzelbeschreibungen von direktiven Ersatzformen im Deutschen finden sich u.a. in Fries (1983) (Infinitiv) oder Heinold (2013) (Partizip). Die Entwick- <?page no="170"?> 170 6 Modus lung des Konjunktivs wird von Petrova (2008) nachgezeichnet, während die Dissertation von Smirnova (2006) auf die würde-Konstruktion fokussiert. Nicht nur aus diachroner sondern auch aus synchroner Sicht sind die Werke von Fabricius-Hansen (1997, 1998, 2000) ein wichtiger Meilenstein für die Beschreibung des Konjunktivs im Deutschen. Wenn es um die Funktion und Verwendung von Modalpartikeln geht, sind sicherlich Thurmair (1989, 1991), Ormelius-Sandblom (1997) sowie Waltereit (2006) Ausgangspunkte zur breiteren Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Der Einfluss von Modalpartikeln in unterschiedlichen Satztypen und Konstruktionen wird in Grosz (2014a,b) sowie Grosz (2011) beschrieben. <?page no="171"?> 7 Schlussbemerkung In diesem Studienbuch wollte ich vorstellen, was Tempus, Modus und Aspekt aus semantischer, aber auch aus morphologischer Sicht bedeuten und vor welche Herausforderungen die drei Kategorien die moderne linguistische Forschung stellen. Da es sich speziell bei Tempus und Modus um absolut gängige Themen in der Schulgrammatik handelt, ist es oft überraschend, welche und wie viele neuen Aspekte ihnen abgewonnen werden können. Altbekannte, kritiklos anerkannte Definitionen werden über den Haufen geworfen und neue Zusammenhänge tun sich auf, die man so zuvor noch nicht vermutet hatte. Gerade die semantische Verwebung von Tempus, Modus und Aspekt sollte in diesem Buch ein zentrales Thema darstellen, zusammen mit den Einflüssen, die Verbbedeutungen auf bestimmte Eigenschaften dieser grammatischen Kategorien haben können ‒ egal ob man sie nun als Aktionsarten, Zeitschemata oder Zeitkonstitution bezeichnet und versteht. Dies hatte ich im Einführungskapitel mit dem unten der Übersicht halber wiederholten Schema versucht darzustellen. Satz Modus Tempus Subjekt/ Tempus Aspekt Modifikation/ Aspekt VP Zeitschemata V Aktionsart Objekt Nachdem wir Aktionsart, Aspekt, Tempus und Modus im Detail beleuchtet haben, wird umso klarer, was in diesem Baum dargestellt werden soll. Allein beim Thema Perfekt haben wir gesehen, wie lexikalische, morphologische und syntaktische Ebene interagieren und Zeitschema, Aspekt und Tempus in einer komplexen Form verschmelzen können. Dank der Analyse von Klein (1999) konnten wir exakt nachvollziehen, wie der Aufbau von Sätzen nicht nur formal sondern auch inhaltlich erfolgt. Wir haben auch gesehen, dass der Zusammenhang von Form und Bedeutung für dieses Thema eine äußerst wichtige Rolle spielt und der semantischen Komplexität aspektueller, tempora- <?page no="172"?> 172 7 Schlussbemerkung ler oder modaler Formen in vielen Fällen nur beizukommen ist, indem stur nachvollzogen wird, welches Element welche semantischen Eigenschaften in eine Konstruktion mit einbringt. Es war mir außerdem wichtig, immer wieder den Blick vom Deutschen abzuwenden und die Verwirklichung eines bestimmten Phänomens in anderen Sprachen zu verstehen bzw. den Lesern näherzubringen. Auf diese Weise kann ein tieferes Verständnis für den Bedarf nach einer neuen Sichtweise auf alte Themen entstehen und die Vielfalt, die in verschiedenen Sprachen innerhalb dieser grammatischen Kategorien vorherrscht, aufgezeigt werden. Der Reichtum an Formen und Bedeutungen, die in den Sprachen der Welt für Tempus, Modus und Aspekt bestehen, lässt ansatzweise erahnen, was Sprache an sich bedeutet und welche riesige Anzahl an Strukturen Menschen zur Kommunikation zur Verfügung steht. <?page no="173"?> 8 Anhang 8.1 Lösungen zu den Aufgaben Aufgabe 1 (p): Tempus: Präteritum Modus: Indikativ Aspekt: imperfektiv Zeitschema: Accomplishment (q): Tempus: Perfekt Modus: Indikativ Aspekt: perfektiv Zeitschema: Achievement Aufgabe 2 Es kann durchaus möglich sein, dass Sie einige Ihrer Verben in mehr als eine Klasse eingeteilt haben. Eine typische Problematik ist, dass man nicht weiß, ob man die Aktionsart nach dem zeitlichen Verlauf, dem quantitativen Ablauf oder der Intensität bestimmen soll. So kann das Verb schwimmen beispielsweise, wie laufen, unter durativ fallen. Es hat keinen inhärenten Endpunkt. Andererseits erinnern die einzelnen Schwimmzüge, aus denen sich ein Schwimmvorgang zusammensetzt, an die Flügelschläge des Fliegens oder die Schritte des Schreitens oder die einzelnen Nieser des Niesens. Sollte es deshalb als iterativ klassifiziert werden? Leider geben die hier vorgestellten Theorien keine konkrete Antwort auf diese Fragen. In Kapitel 3 werden wir jedoch sehen, dass es möglich ist, zwischen solchen Vorgängen zu unterscheiden. Aufgabe 3 a. ein Brot essen: egressiv + durativ; das direkte Objekt ändert die Aktionsart des Verbs b. ständig ein Brot essen - iterativ + egressiv + durativ; das Adverbial gibt der egressiven VP einen wiederholenden Charakter c. in andauerndes Hüsteln ausbrechen - durativ + diminutiv + inchoativ; hier scheint das inchoative Verb ausbrechen, der Hauptaktionsartträger zu sein d. den ganzen Boden volltriefen - egressiv + intensiv; hier sieht man, dass Eigenschaften des inhaltlichen und des zeitlichen Verlaufs relativ wenig miteinander zu tun haben und sich nicht gegenseitig aufheben oder überlagern, sondern in einer VP koexistieren und sogar harmonieren können <?page no="174"?> 174 8 Anhang e. am Einschlafen sein - durativ + inchoativ; die durative syntaktischen Konstruktion ändert nicht die Aktionsart des Verbs, sondern präsentiert uns einen inchoativen Vorgang in Binnenperspektive (Aspekt) Aufgabe 4 a. Die Blume blüht: Zustand. Die Frage „Was macht die Blume gerade? “ und die dazugehörige Antwort „Sie blüht“ ergeben im Deutschen nicht viel Sinn. Es passiert nichts, wenn eine Blume blüht, sondern sie befindet sich vorerst in einem Zustand. Es gibt keine Subintervalle, die beobachtet werden können. Durch Eingriff von außen (kein Wasser, Herbst, zu viel Hitze) kann sie von blühen in nicht blühen übergehen. b. Die Blume verblüht: Accomplishment. Während die Blume verblühte, pflanzte Maria im anderen Beet schon wieder Tomaten. Es gibt einen natürlichen Endpunkt, aber der Vorgang dauert länger an. Während dieses Vorganges kann in jedem Stadium gesagt werden: Die Blume verblüht gerade. Würde man Dowtys Kriterium der Agentivität hinzunehmen, würde dieses Beispiel (ebenso wie das folgende) eher als Achievement klassifiziert werden. Seiner Ansicht nach unterscheiden sich diese zwei Klassen v.a. darin, dass Accomplishments einen Agens aufweisen können, Achievements nicht. Die Blume in diesem Beispiel ist eher ein passives Element, dem das Verblühen widerfährt. c. Die Blume erblüht: Accomplishment. Sicher ein kürzerer Moment als verblühen, welches sich über mehrere Tage ziehen kann, aber dennoch nicht nur ein Moment; Test: Während die Blume erblühte, schaute ihr Maria gespannt zu. d. Peter sieht Maria: Achievement. Test: ? Während Peter Maria sah, überquerte er die Straße. Sehen, im Sinne von Erkennen, beschreibt einen sehr kurzen Augenblick mit einem natürlichen Endpunkt. Wenn Peter Maria einmal erkannt hat, kann er sie nicht un-erkennen oder noch einmal erkennen. e. Er kann sehen. Zustand. Hier ist im Prinzip nicht das Vollverb sehen, sondern das Modalverb können ausschlaggebend für die Klassifizierung. Können zeigt eine Fähigkeit an, die Peter besitzt. Um den Zustand des Sehen-Könnens zu ändern, müsste von außen eingegriffen werden. f. Der Wasserhahn tröpfelt. Aktivität. Test: Der Wasserhahn hat getröpfelt, dann hat er kurz aufgehört und jetzt tröpfelt er wieder. Kann außerdem erfragt werden durch: Was war los? Antwort: Der Wasserhahn hat getröpfelt. Aufgabe 5 a. Peter findet seinen Schlüssel. [+ADD TO]+[+SQA]= [+T] <?page no="175"?> 175 8.1 Lösungen zu den Aufgaben b. Peter läuft nach Hause. [+ADD TO]+[SQA] = [+T] Das Besondere an diesem Ansatz ist, dass ausdrücklich auch Präpositionalobjekte von Bewegungsverben einen [+SQA]-Wert bekommen. Sie stellen einen Pfad dar (der Weg nach Hause), an dem das Fortschreiten und der letztendliche Erfolg der Handlung bewertet werden können. Ist Peter zu Hause angekommen, hat die Handlung nach Hause laufen ihr natürliches Ende gefunden. c. Peter kennt Maria. [-ADD TO]+[+SQA]=[-T] Das Verb kennen bezeichnet einen Zustand, keine dynamische Handlung, und ist daher mit [-ADD TO] bewertet. Kennenlernen beispielsweise wäre dynamisch, denn eine Veränderung findet statt. Konkrete Personen, die zwar keinen Determinierer beigestellt bekommen, aber einen Eigennamen tragen, werden auch als zählbar bewertet. Insgesamt wiegt das Minus-Kriterium stärker und führt zu einem negativen T-Wert. d. Peter stirbt [kein Objekt]. [+ADD TO]+[-SQA]=[-T] In diesem Satz liegt kein Objektargument vor, was bedeutet, dass wir für diese fehlende Information einen Minuswert in die Rechnung einbringen müssen. Hieraus würde ein Zeitschema ohne natürlichen Endpunkt entstehen, wie das beispielsweise auch bei Peter singt der Fall wäre. Unsere Intuition sagt uns jedoch, dass diese Analyse von Beispielsatz d.) merkwürdig anmutet. Welcher Vorgang, wenn nicht sterben, hat einen natürlichen Endpunkt? Hier sollte daher eigentlich ein [+T]-Wert generiert werden. Dass dies auf den ersten Blick nicht der Fall ist, liegt daran, dass wir es in Beispiel d) mit einem besonderen Typ intransitiver Verben zu tun haben, den sogenannten unakkusativen Verben. Intransitive Verben werden in zwei Klassen aufgeteilt, in die unakkusativen, wie beispielsweise sterben, schmelzen, verwelken, wachsen, einschlafen, und die unergativen, wie beispielsweise rennen, singen, lachen, lesen, schwimmen etc. Der Unterschied zwischen diesen Verbtypen besteht in ihrer Semantik und in ihrer Tiefensyntax. Die Gruppe der unakkusativen Verben hat eine passive Semantik. Wenn Peter stirbt, macht er das nicht aktiv und freiwillig, sondern es passiert ihm eher. Daher nimmt man an, dass Peter eher ein Objekt, denn ein Subjekt ist (Perlmutter 1978) und in der Tiefenstruktur der Syntax als Akkusativobjekt fungiert. Der Satz hieße also im Original (Es) stirbt Peter. Erst in der Oberflächensyntax, in der ein Subjekt verlangt wird, bewegt sich Peter in Subjektposition. An seiner semantischen Rolle als passivem Teilnehmer ändert dies jedoch nichts. Daher wird in der Plusprinzipkalkulation Peter als Objekt mit dem Wert [+SQA] behandelt. Die Rechnung sieht also korrekt folgendermaßen aus. d. (Es) stirbt Peter. [+ADD TO]+[+SQA]=[+T] <?page no="176"?> 176 8 Anhang Dies erzeugt eine intuitiv korrekte Analyse. Unakkusative Verben sind hier Ausnahmen. Unergative Verben wie laufen funktionieren, wie oben besprochen. Das fehlende Objektargument wird mit [-SQA] berechnet. Aufgabe 6 1a. Aktivität 2a. [-T] Prozess 3a. kumulative Referenz 1b. Accomplishment 2b. [+T] Ereignis 3b. gequantelte Referenz 1c. Zustand 2c. [-T] Zustand 3c. kumulative Referenz 1d. Achievement 2d. [+T] Ereignis 3d. gequantelte Referenz Aufgabe 7 a. Gegensatzpaare: 1 & 7, 2 & 4, 3 & 8, 5 & 10, 6 & 9 b. Paare, die ähnliche Eigenschaften bezeichnen: terminativ-durativ, gequanteltkumulativ, telisch-atelisch. Alle drei Paare beschreiben Eigenschaften der VP. 1, 3, 7 und 8 hingegen sind Eigenschaften, die immer eher mit dem Verb allein assoziiert werden. Hierbei fällt auf, dass Verkuyls Terminologie ungünstig gewählt ist. Durativ ist ein Begriff, der aufgrund der Literatur sehr stark mit Zeitspannen und dem langen Andauern von Vorgängen assoziiert ist. Diese Eigenschaft (Dauer vs. Zeitpunkt) spielt bei ihm jedoch überhaupt keine Rolle. Die drei Paare, die als „ähnlich“ klassifiziert wurden, weisen, was ihre Definitionen anbelangt, Unterschiede auf. So weisen telische Verben vor allem auf einen natürlichen Endpunkt hin, während gequantelte und terminative VPs die Zählbarkeit oder Abmessbarkeit eines Vorgangs betonen. Dass Zählbarkeit und natürlicher Endpunkt jedoch in einem engen Zusammenhang stehen, haben wir in diesem Kapitel gesehen. Aufgabe 8 a. Peter ist ein Rüpel./ Peter ist immer so unhöflich. vs. Peter benimmt sich gerade unmöglich./ Peter ist gerade unhöflich. Die Unterscheidung hier vollzieht sich zwischen einer Art Charaktereigenschaft und einer kurzzeitigen Anwandlung von Unhöflichkeit. Diese Unterscheidung ist im Deutschen nicht so einfach darzustellen, vor allem, wenn man an der englischen Konstruk- <?page no="177"?> 177 8.1 Lösungen zu den Aufgaben tion „unhöflich sein“ festhalten möchte. Der Satz Peter ist gerade unhöflich klingt ohne jeden weiteren Kontext recht merkwürdig im Deutschen. Daher wäre eine Übersetzung durch das Verb „sich benehmen“ besser. b. Ich war gerade dabei, ein Buch zu lesen, als Maria anrief. Das am-Progressiv macht hier aufgrund der terminativen Verbalphrase Probleme: *Ich war am ein Buch lesen. In der dialektalen Form besteht die Möglichkeit: Ich war gerade ein Buch am Lesen. c. Maria war am Musikhören gewesen, als Peter kam. In Kombination mit der Plusquamperfektform wirkt das am-Progressiv recht überladen (siehe auch Krause 1997, 55). Bei einer Recherche auf Google mit verschiedenen Verben wurden nur wenige Belege für solch eine Tempus-Aspekt-Kombination gefunden, u.a.: i. Natürlich, er war am Lesen gewesen. ii. Als Bärbel nach hause [sic! ] kam [sic! ] sah [sic! ] schon die ganze Bagage am Esstisch und war am Essen gewesen. d. Das Fenster wurde gerade geputzt, als ich an dem Laden vorbeiging. In Kombination mit dem Passiv ist das am-Progressiv im Deutschen nicht möglich. *Das Fenster war am Geputztwerden, … e. Ich werde zurzeit von einem Typen verfolgt, den ich nicht kenne. Wie soll ich reagieren? Hier bezieht sich die englische Verlaufsform nicht auf einen einzigen Moment, den Moment des Sprechens, sondern auf eine Zeitspanne, die ich hier im Deutschen mit zurzeit ausgedrückt habe. Solche Verlaufsinterpretationen, die größere Zeitspannen umfassen, werden später in Kapitel 4 diskutiert. Aufgabe 9 Peter and Mary have been living (1) in Newcastle for over a year now. They moved (2) there from London in March 2013, because Peter found/ had found (3) a new job in a local newspaper editorial office. They would have loved (4) to live in the city center close to Peter’s office, but they didn’t find (5) a place they could afford. In general, finding (6) an apartment was hard, and for some time they were staying (7) at a hotel. Mary hated (8) it, but what can (9) you do? However, after two months of skimming (10) through the ads in journals and on the internet, they came across (11) a nice little house some 20 km outside of Newcastle. Mary called her sister to tell her that they had found (12) a beautiful place to stay and that she would pick up (13) the rest of her things someday soon so that they could feel (14) at home after all. Since their moving in, Mary and Peter have put (15) a lot of effort and work into their place. These days, Mary is even laying out (16) some lettuce and tomato patches in the backyard. <?page no="178"?> 178 8 Anhang Anmerkungen: Zu 1: Ein Schlüsselausdruck hier ist „for over a year now“. Es wird zugleich eine Zeitspanne angezeigt, was einen progressiven Aspekt fordert, und ein Bezug zur Gegenwart hergestellt, was durch ein Present Perfect Tempus anzeigt wird. Zu 2: Ein bestimmtes Datum in der Vergangenheit zeigt an, dass es sich um einen Zeitpunkt handelt. Daher wird keine Progressivform verwendet, sondern einfach Simple Past. Zu 3: Die korrekte Zeit wäre hier Vorvergangenheit. Zuerst findet Peter den Job (punktuell, nicht progressiv), dann ziehen die beiden um. Zu 4: Wie der zweite Satzteil anzeigt, handelt es sich um ein Ereignis in der Vergangenheit, was letztendlich doch nicht eingetreten ist. Daher braucht man eine Konditionalform der Vergangenheit. Zu 5: Abgeschlossen in der Vergangenheit - Simple Past. Zu 6: Hier würde im Deutschen mit Infinitiv übersetzt: eine Wohnung zu finden, war schwierig. Die Form drückt einen Verlauf aus. Zu 7: Hier ist der Schlüsselbegriff: „for some time“ und bezeichnet etwas, das länger, aber komplett in der Vergangenheit geschah. Simple Past (were) kombiniert mit Verlaufsform. Zu 8: Zustandsverb „hate“. Wird normalerweise nicht im Progressiv gebildet, selbst wenn die Handlung bzw. der Zustand sich über eine Zeitspanne erstreckt. Daher Simple Past. Zu 9: Ein allgemeiner Ausspruch, der immer und überall Gültigkeit besitzt. Simple Present. Zu 10: Eine Zeitspanne wird angegeben und der Präposition „of“ untergeordnet. Die Präposition „after“ zeigt an, dass diese Zeitspanne bereits vorbei ist (Vorzeitigkeit) und eine Form wie „having skimmed“ o.ä. wird überflüssig Zu 11: Perfektives Ereignis in der Vergangenheit: Simple Past. Zu 12, 13, 14: Die folgenden drei Formen stehen in einer Konstellation der „reported speech“ d.h. es wird berichtet, was jemand anderes gesagt hat. Hierbei verschieben sich traditionell die Tempora. „we have found“ in Marys Aussage wird zu „they had found“ in der indirekten Rede. „We will pick up“ wird zu „they would pick up“. „We can feel“ wird zu „they could feel“. Mehr zum Phänomen der Zeitenverschiebung bei indirekter Rede im Kapitel 6 (Modus). Zu 15: Eine Handlung in der Vergangenheit, deren Auswirkungen in der Gegenwart bestaunt werden können (z.B. die Sachen, die am Haus verändert wurden). Schlüsselwort ist „since“. <?page no="179"?> 179 8.1 Lösungen zu den Aufgaben Zu 16: Schlüsselbegriff ist „these days“ (zurzeit). Hier wird eine längere Zeitspanne im Verlauf dargestellt - daher die Progressivform Aufgabe 10 1. a. S: Maria spricht; E: Peter kommt heim; R: Peter kommt heim b. S: Peter spricht; E: Peter (und andere) kommen vom Urlaub heim; R: Peter spricht. c. S1,2: Peter spricht; E: Peter bestellt Pizza; R: Die Pizza wird nicht geliefert (& Peter spricht). d. Maria spricht; E: Peter macht etwas; R: Maria spricht & Peter macht etwas e. Maria spricht; E: Peter macht etwas; R: Peter macht etwas (und Maria spricht) 2. a. S < E ; R b. E < R ; S c. E < R < S d. E ; R ; S e. E ; / < R ; S In (2d) und (2e) sehen wir ein Phänomen, das beispielsweise im Deutschen und im Englischen unterschiedlich behandelt wird. Das Präsens im Deutschen, welches in beiden Beispielen vorkommt, kann sehr unterschiedliche zeitliche Ausprägungen aufweisen (mehr dazu im Kapitel über das Präsens). In (2d) finden wir die übliche Präsensverwendung, in der Gleichzeitigkeit von E, R und S vorherrscht. Im Englischen würde man hier mit einer Verlaufsform übersetzen („What are you doing? “). In (2e) jedoch zeigt das Temporaladverbial (zurzeit) an, dass Maria sich mit ihrer Frage auf eine recht lang andauernde Zeitspanne bezieht. Zurzeit kann beispielsweise die letzte Woche oder den gesamten letzten Monat einschließen. Der Moment, in dem sie spricht, ist jedoch ein Zeitpunkt bzw. eine sehr kurze Zeitspanne. Das heißt, das Ereignis E muss zwangsläufig nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit betreffen. Im Englischen würde hier ein Present Perfect benutzt („What have you been up to lately? “). Dieses Tempus bezeichnet Ereignisse, die in der Vergangenheit begonnen haben und immer noch andauern. Für solch eine Konstellation steht im Deutschen kein separates Tempus zur Verfügung (vgl. auch Vater 2007). Aufgabe 11 Die meisten Studierenden werden ihre Tempuswahl vermutlich vor allem nach dem Kriterium gesprochen/ geschrieben gewählt haben und die Beschreibung der Szene am Anfang ins Präteritum gesetzt haben. Hier ist jedoch auch ein semantisches Kriterium zur Präteritumsbenutzung zu sehen, nämlich das, was Weinrich (1993) unter „Aufschub“ versteht. Es wird eine Atmosphäre des Erzählens erzeugt und ein Hintergrund beschrieben. Sobald wir uns durch die wörtliche Rede in Peters und Marias Gegenwart hineinversetzen, zeigt das Perfekt einen Bezug zu deren Gegenwart an und charakterisiert gleichzeitig eine Passage gesprochener Sprache. Allein die Hochfrequenzverben haben und kommen werden wahrscheinlich von den meisten im Präteritum verwendet, <?page no="180"?> 180 8 Anhang jedoch nicht verletzen, hören oder anfahren. Hier sieht man, dass es selten nur einen einzigen Grund gibt, sich in einer Situation für die Verwendung des einen oder des anderen Tempus zu entscheiden. Aufgabe 12 1. a. Präsens; werden ist hier Vollverb. b. Perfekt c. Präteritum d. Präsens e. Futur I f. Plusquamperfekt g. Futur II 2. a. kein Passiv möglich b. Man hat die Hausordnung grundlegend verändert. c. kein Passiv möglich d. Man erneuert das Stadion für 15 Mio. Euro. e. kein Passiv möglich f. Die Eichen waren vor etlichen Jahren gefällt worden. g. kein Passiv möglich Aufgabe 13 Das erste Problem, das Sie vermutlich festgestellt haben, ist, dass es im Text Ereignisse gibt, die andauernd sind und sich über mehrere andere Ereignisse hinweg erstecken. Hierfür müssen Sie sich eine geeignete Darstellungsart überlegen. Ich habe das Problem so gelöst, dass ich das fortlaufende Ereignis, einfach wiederholt in Klammern aufgenommen habe. Sie können allerdings auch unterhalb der Buchstaben einen Pfeil oder eine Linie einzeichnen, die anzeigt, bis zu welchem anderen Zeitpunkt ein Ereignis weiterläuft. Eine weitere Schwierigkeit besteht mit den Zeitschemata. Bei der zeitlichen Abgrenzung bereiten Zustände die meisten Schwierigkeiten (perfekt sein sollen). Es liegt in ihrer Natur, dass sie zwar mal irgendwann angefangen haben und möglicherweise auch irgendwann nicht mehr zutreffen werden, jedoch sind Anfangs- und Endpunkt sehr schwierig zu bestimmen. Erinnern Sie sich noch aus den vorigen Kapiteln, wie man bestimmt, wann ein Zustand endet? Im Gegensatz zu einer Aktivität, die einfach nicht weiter ausgeführt wird, kann ein Zustand nur dann enden, wenn jemand von außen eingreift und eine Anstrengung unternimmt, um einen neuen Zustand herzustellen. Wann oder ob solch ein Eingriff von außen stattfindet, kann in unserer Geschichte nur durch Weltwissen hergeleitet werden. Voraussichtlich endet der Zustand „perfekt sein sollen“ in unserer Geschichte, wenn die Gäste aus Deutschland wieder abreisen. Beim Ereignis (E1) sieht man, was die Bezeichnung „Hintergrundbeschreibung“, die oft bei den Funktionen des Präteritums genannt wird, bedeutet. Dass Peter in Florenz <?page no="181"?> 181 8.1 Lösungen zu den Aufgaben lebt, gilt in dieser Geschichte zuerst einmal für alles, was sich sonst noch abspielt als Grundvoraussetzung. Ob es so bleibt, wissen wir nicht. In dieser Übung sieht man, wie stark der eigentliche zeitliche Ablauf einer Ereigniskette und ihre sprachliche Präsentation auseinandergehen können. Obwohl die Ereigniskette unten wie ein einziges Durcheinander aussieht, ist das genau das, was wir machen, wenn wir jemandem eine Geschichte erzählen. Wir strukturieren zeitliche Abläufe und setzen sie zueinander ins Verhältnis. E2 < E1 < E3 (; E1) < E4 (; E1) < E7 (; E1 ; E4) < (E1; E4; ) E5; E6 ; E9 < E10 (; E9 ; E1 ; E4) < E8 (; E1; E4) Aufgabe 14 a. Partizip I; Wortart: Verb oder Adjektiv, je nach Kontext (der gehende Peter); kann Aspektualität (imperfektiv), jedoch kein Tempus, keine Person, keinen Numerus, keinen Modus ausdrücken (Donhauser 1986). Manchmal wird Genus verbi (aktiv) attestiert. Die temporale Verankerung des Schreivorgangs wird vom flektierten Verb rennen übernommen, da durch die imperfektive Bedeutung des Partizip I eine Gleichzeitigkeitslesart ausgelöst wird. b. Infinitiv; Wortart: Verb; kann kein Tempus, keine Person, keinen Numerus, kein Genus verbi und keinen Modus ausdrücken. In dieser Verwendung nehmen wir jedoch eine Imperativbedeutung wahr. Rein morphologisch, ist dies jedoch kein Imperativ-Modus (das wäre nimm bzw. nehmt). In Kapitel 6 werden wir noch lernen, dass es bestimmte Formen im Deutschen gibt, die, obwohl sie selbst keine Imperative sind, doch zur Aufforderung eines Gegenübers benutzt werden können, wie dies hier mit dem Infinitiv der Fall ist. Aufforderungen beziehen sich immer auf Zukünftiges, denn die Handlung hat ja noch nicht stattgefunden. Man spricht hier von Erfüllensbedingungen, nicht Wahrheitsbedingungen wie in normalen Aussagesätzen (Meibauer 2001). Bei Aufforderungen geht es demnach nicht darum, ob etwas wahr oder falsch ist - ein Umstand, der im Abgleich mit verschiedenen Zeiten ausgewertet werden muss -, sondern unter welchen Bedingungen ein Gegenüber einer Aufforderung nachkommt. c. Partizip II; Wortart: Verb oder Adjektiv, je nach Kontext; kann Aspektualität (perfektiv), jedoch kein Tempus, keine Person, keinen Numerus, keinen Modus ausdrücken; manchmal wird Genus verbi (Passiv) attestiert. Wie in (b) ist hier eine modale Funktion dieses tempuslosen Ausdrucks erkennbar. Das Gegenüber wird animiert oder aufgefordert, hereinzukommen. Auch hier bedingt die modale Interpretation, dass das Ereignis hereinspazieren als noch eintreffend, also in der Zukunft liegend wahrgenommen wird. d. Nominalisierter Infinitiv; Nomen; flektiert nach Genus, Numerus, Kasus, wie alle Nomen. Deverbale Nominalisierungen zeigen keine verbalen Flexionsmerkmale. Semantisch wird oft eine aspektuelle Bedeutung oder Genus verbi attestiert (z.B. Alexiadou 2001; Ehrich & Rapp 2000; Heinold 2011a). Die Interpretation vom Heulen als vergangenem Ereignis, wird vom flektierten Verb (klang) ausgelöst. Das Zeitadverbial immer noch weist gar auf ein Vorvergangenheitsverhältnis von heulen und klingen hin. <?page no="182"?> 182 8 Anhang Aufgabe 15 a. Notwendigkeit, zirkumstanzielle Basis, deontisch (b. Notwendigkeit, epistemische Basis, stereotypisch, wenn z.B. gerade von draußen Schippgeräusche in die Wohnung dringen) b. Möglichkeit, zirkumstanzielle Basis, teleologisch c. Möglichkeit, zirkumstanzielle Basis, dynamisch d. Möglichkeit, zirkumstanzielle Basis, buletisch e. schw. Notwendigkeit, leer, Hörensagen f. schw. Notwendigkeit, epistemische Basis, stereotypisch g. Notwendigkeit, zirkumstanzielle Basis, deontisch Aufgabe 16 a) epistemisch, b) nicht-epistemisch, c) epistemisch, d) nicht-epistemisch, e) nichtepistemisch, f) epistemisch, g) nicht-epistemisch, h) epistemisch Aufgabe 17 Lösung direkt im Text unter der betreffenden Aufgabe Aufgabe 18 a. Möge die Macht mit dir sein! - Optativ, KI b. Der Bote trete ein und überbringe seine Botschaft! - Voluntativ (Jussiv), KI c. Ich verlasse mich immer auf mein Glück, möge kommen, was da wolle. - Konzesiv,KI d. Seien wir doch mal ehrlich… - Voluntativ (Adhortativ), KI e. Wenn der Schlüsseldienst endlich käme, könnte ich aufschließen. - Potenzialis, KII f. Hätte ich nur nicht so viel gegessen! - Optativ, KII g. Wenn du schon groß wärst, dürftest du mit in den Film kommen. - Irrealis, KII Optative und voluntative Lesart unterscheiden sich vor allem darin, dass sich Optative auch auf Vergangenes beziehen können, Voluntative nicht. Bei Optativen braucht es theoretisch auch niemanden, der die Worte hört, denn sie richten sich nicht direkt an jemanden, sondern der Sprecher spricht zu sich selbst. Bei voluntativen Konjunktiven soll eine 1., 2. oder 3. Person eine Aufgabe erfüllen - daher muss die Aufforderung von jemandem gehört werden. Es muss also ein Adressat im Raum sein. Aufgabe 19 Die hier von mir gegebenen Lösungen sind nur Vorschläge, wie man den Partikeln beikommen kann, ohne ihre Bedeutung komplett zu verändern oder zu verlieren. Es gibt sicherlich auch noch andere Möglichkeiten. a. You are completely crazy! b. Come on, you don’t need that old book anyway! c. I thought you knew that! <?page no="183"?> 183 8.1 Lösungen zu den Aufgaben d. Peter is said to have been drunk at the party yesterday./ I have heard that Peter was drunk at the party yesterday. e. It seems Peter came home late yesterday. <?page no="185"?> Glossar - Definitionssammlung Absolutes Tempus: Absolute Tempora weisen E=R auf; bei relativen Tempora sind E und R zeitlich gestaffelt und fallen nie zusammen. Aktionsart: Aktionsart bezeichnet die Art und Weise, wie ein Ereignis zeitlich und inhaltlich abläuft. Aktionsart ist eine lexikalische Eigenschaft, die durch das Verb ausgedrückt wird und unabhängig von dessen grammatischer Einbindung in den Satz besteht. andauernd: Eine Handlung oder ein Zustand sind andauernd, wenn sie/ er zwischen zwei Zeitpunkten x 1 und x 2 und nicht zu einem einzigen Zeitpunkt x 1 definiert werden kann. Aspekt: Aspekt ist die grammatikalisierte Binnen- oder Außenperspektive, unter der ein Ereignis dargestellt wird. Deiktika: Deiktika sind Zeichen, deren Referent nur in Abhängigkeit vom Kontext bestimmbar ist. Hierbei kann es sich um Lexeme (z.B. Adverbiale, Pronomen, etc.) oder Morpheme (Tempusflexion) handeln. dynamisch: Ein verbaler Ausdruck beschreibt einen dynamischen Vorgang, wenn dieser kurzzeitig unterbrochen und dann wieder aufgenommen werden kann. epistemisch: Epistemische Modalität weist auf den Status einer Proposition hin und zeigt an, welchen Grad von Wahrscheinlichkeit ein Sprecher einem Ereignis beimisst. Epistemische Modalität bezieht sich auf gegenwärtige oder vergangene Ereignisse. Ereigniszeit: E = Ereigniszeit, Zeitpunkt oder -intervall, zu dem ein Ereignis in der Welt stattfindet. evidenziell: Evidenzielle Modalität zeigt an, dass der Sprecher eine Information vom Hörensagen kennt. Somit kann er die Verantwortung für die Aussage, sollte sie sich als falsch herausstellen, von sich weisen. habituell: Habituell ist eine Handlung, wenn sie über einen längeren Zeitraum immer wieder ausgeführt wird. Diese Wiederholung wird als ein Typ imperfektiver Aspektualität wahrgenommen. Modus: Modus ist die Grammatikalisierung der Bedingungen, unter denen ein Ereignis ausgewertet wird. Modalität: Modalität gibt die Einstellung des Sprechers zum Gesagten wider. Diese kann die emotionale Bewertung bzw. den eingeschätzten Gültigkeitsgrad der Aussage selbst widerspiegeln oder die Welt anzeigen, in der das Gesagte auszuwerten ist. Modalpartikeln: Modalpartikeln sind kontextabhängige, im Mittelfeld lokalisierte Träger von modaler Bedeutung. Sie vermitteln Einstellungen sowie Erwartungen oder weisen auf einen bestimmten Wissensstand der Gesprächsteilnehmer hin. progressiv: Progressiv, also im Verlauf befindlich, ist eine aspektuelle Ausprägung, die nur dynamische Verben annehmen können. Auch hierbei handelt es sich um einen Sonderfall des imperfektiven Aspekts. Referenzzeit: R = Referenzzeit, Zeitpunkt oder -intervall, zu dem der Sprecher ein Ereignis sprachlich ins Verhältnis setzt <?page no="186"?> 186 Glossar - Definitionssammlung Situationszeit: Situationszeit bezeichnet die Zeit, zu der ein Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Die Situationszeit ist vergleichbar mit der Ereigniszeit bei Reichenbach. Sprechzeit: S = Sprechzeit, Hier-Jetzt-Origo, Moment, in dem der Sprecher einen Satz äußert. Stammformen: Stammformen zeigen die drei verschiedenen Ausprägungen von Stämmen, die jedes Verb hat. Diese erkennt man in Infinitiv, Präteritum und Partizip II. Sie sind ein Indikator dafür, ob es sich um ein starkes oder ein schwaches Verb handelt. Synkretismus: Synkretismus bezeichnet den Zusammenfall mehrerer, früher unterschiedlicher grammatischer Formen. telisch: Ein verbaler Ausdruck ist telisch, wenn die Handlung, die er beschreibt, einen natürlichen Endpunkt beinhaltet. Der Endpunkt wird meist durch das Objektargument ausgedrückt. Tempus: Tempus ist eine grammatikalisierte Zeitangabe. Durch Tempusangaben kann ein Ereignis zu bestimmten Zeiten ausgewertet werden. Tempuszeit: Tempuszeit ist die Zeit, die im flektierten Verb realisiert wird. Zeitschema: Zeitschemata beschreiben Typen von Ereignissen, die zeitlich auf unterschiedliche Weise organisiert sind. Sie werden durch Verbalphrasen (VPs) ausgedrückt. <?page no="187"?> Literatur Abraham, W. 2009. Die Urmasse von Modalität und ihre Ausgliederung. Modalität anhand von Modalverben, Modalpartikel und Modus. Was ist das Gemeinsame, was das Trennende, und was steckt dahinter? In: Abraham, W. & Leiss E. (Hrsgg). Modalität und Evidentialität. Epistemik und Evidentialität bei Modalverb, Adverb, Modalpartikel und Modus. Tübingen: Stauffenburg, 251‒302. Abraham, W. & Janssen, T. (Hrsgg.). 1989. Tempus - Aspekt ‒ Modus: die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen. Tübingen: Niemeyer. Adger, D. 2003. Core syntax. A minimalist approach. 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Berlin & New York: De Gruyter. <?page no="197"?> Index Ablaut 82, 90 Abschwächung eines Geschehens 29 absolute Zeitreferenz 116 Accomplishment 20, 21, 42, 46, 57 Achievement 20, 21, 46, 49, 57, 113 Activity 20 Adhortativ 154 Afrikaans 119 Aktionsart 13, 19, 20, 23, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 39, 40, 42, 54, 57, 58, 59, 60, 67, 68, 87, 97, 113, 171 Aktivität 21, 42, 44, 45, 46, 56, 57, 72, 84, 85, 106, 180 Aktualisierung 133 Althochdeutsch 83, 144, 153, 154, 155, 156 beurteilerdeiktisch 138 buletisch 137 Burmesisch 120 deiktisch 103, 104, 105, 138 deontisch 137, 138, 169 Dialekte 18 Doppelperfekt 15, 99, 100, 101, 102, 117, 124 Doppelplusquamperfekt 15, 99, 100, 101, 102, 117 doxastisch 137 durativ 26, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 36, 51, 54, 55, 56, 57, 68, 85, 113, 176 dynamisch 21, 46, 47, 49, 52, 53, 55, 66, 74, 113, 114, 137 egressiv 19, 27, 28, 30, 32, 33, 36, 87 Englisch 58, 59, 61, 63, 66, 67, 69, 70, 71, 73, 74, 78, 117, 119, 121, 124, 125, 131, 145, 167, 168 epistemisch 17, 95, 112, 124, 134, 135, 136, 137, 139, 140, 150 Ereigniszeit 79, 80, 86, 91, 103, 104, 105, 107, 108, 112, 116, 117 Event 52 evidenziell 17, 135, 136, 138, 158 final 155 Finnisch 78, 117, 118, 131, 144, 145, 146, 147, 148 Französisch 37, 57, 58, 59, 66, 73, 78, 119, 120, 124, 127, 140, 141, 145, 168 Futur I 14, 15, 70, 79, 80, 94, 95, 96, 97, 98, 102, 108, 115, 124 Futur II 14, 70, 80, 98, 108, 112 gequantelt 52, 53, 55 Hier-Jetzt-Ich-Origo 79 Hörensagen 129, 137, 165 Hortativ 144, 149 Imperativ 12, 16, 17, 19, 45, 123, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 152, 154, 163, 169 inchoativ 19, 27, 28, 30, 32, 33, 36, 87, 160 Indikativ 12, 16, 17, 91, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 140, 141, 143, 145, 146, 151, 153, 155, 157, 159, 160, 169 indirekte Rede 100, 116, 140, 150, 156, 157, 161, 162, 163 Infinitiv 12, 60, 63, 65, 82, 83, 94, 98, 112, 114, 118, 124, 129, 131, 133, 136, 143, 144, 148, 149, 151, 152, 156, 157, 159, 160, 161, 162, 163, 169 ingressiv 27, 28, 30, 32, 33, 36, 87, 160 intensiv 19, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 124 Irrealis 120, 132, 150, 152, 153 Italienisch 120, 124, 144, 168 iterativ 19, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 36 Katalanisch 120 Konditional 70, 146 Konjunktiv I 150, 151, 152, 156, 159, 160 Konjunktiv II 150, 151, 152, 159, 163 konzessiv 155 Kreolsprache 78, 119, 120, 124 kumulativ 52, 53, 55 Limousinisch 120 Mittelhochdeutsch 62, 160 Modalbezug 136 modale Basis 136, 137, 138 <?page no="198"?> 198 Index modale Stärke 136, 137, 138, 149 Modalität 17, 23, 78, 96, 112, 113, 120, 124, 127, 128, 129, 130, 134, 135, 136, 137, 139, 141, 168, 169 Modalpartikel 98, 129, 163, 164, 165, 166, 167, 169, 170 Modalverb 12, 17, 87, 91, 95, 97, 112, 113, 127, 129, 130, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 145, 147, 149, 156, 158, 169 Modus 12, 16, 22, 23, 95, 124, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 140, 141, 143, 144, 145, 146, 147, 150, 156, 159, 163, 168, 169, 171, 172 Nachzeitigkeit 80, 94, 107 Nominalisierung 78 Optativ 153 Ordnungsquelle 136, 137 Partizip Perfekt 148, 149 Partizip Präsens 62, 70, 160 Passiv 97, 99, 147 Past Perfect 117 Perfekt 14, 18, 56, 62, 70, 74, 79, 80, 87, 89, 90, 91, 92, 93, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 115, 118, 119, 122, 124, 171 Pidgin 78, 120 Plusquamperfekt 14, 70, 79, 80, 93, 94, 99, 100, 101, 104, 105, 108, 115, 117, 118, 119, 124 Portugiesisch 120 Potenzialis 132, 146, 150, 152, 153 Präsens 14, 15, 64, 69, 70, 79, 80, 82, 83, 84, 85, 86, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 103, 105, 109, 110, 115, 117, 118, 119, 124, 151, 152, 160 Präteritum 14, 15, 70, 74, 79, 80, 82, 83, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 100, 103, 104, 105, 106, 109, 110, 111, 115, 116, 118, 119, 124, 151, 160, 162, 163 Präteritumsschwund 90, 100 progressiv 63, 64, 65, 66, 69, 160 Prohibitiv 154 Prozess 19, 40, 43, 52 quellendeiktisch 138 Referenzzeit 79, 80, 86, 91, 104, 110, 119, 124 relative Zeitreferenz 116 Rumänisch 120 Satztyp 16, 143, 144 schwaches Verb 83 Schwedisch 119 semelfaktiv 48 Spanisch 59, 66, 120, 124, 144 Sprechzeit 14, 69, 74, 77, 79, 80, 84, 85, 86, 91, 104, 109, 116, 119 Stammformen 14, 82, 83, 88, 90 starkes Verb 82 stereotypisch 137 Subjonctif 140, 141 Synkretismus 143 teleologisch 137 Temporaladverbial 104 Tempus 13, 14, 15, 18, 22, 23, 58, 69, 71, 72, 73, 74, 77, 78, 85, 86, 89, 90, 91, 92, 95, 102, 103, 104, 107, 111, 112, 114, 115, 116, 117, 118, 120, 123, 124, 125, 133, 145, 159, 161, 163, 171, 172 Verlaufsform 18, 45, 46, 57, 60, 61, 62, 63, 69, 70, 71, 72, 75 voluntativ 154, 156 Vorzeitigkeit 94, 98, 101, 104 zirkumstanziell 136, 137, 139 Zugänglichkeitsbezug 136 Zustandsverb 45, 46, 114 <?page no="200"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Das kompakte, gut durchstrukturier te und leicht lesbare Lehrbuch gibt Studierenden, Lehrenden und allen anderen an der Spr ache Inter e ssier ten einen pr oblemor ientier ten und forschungsnahen Überblick über diese relativ junge sprachwissenschaf tliche Disziplin, die P f lichtbestandteil des germanistischen Studiums ist. Das Lehrbuch erfordert keine speziellen linguistischen Vorkenntnisse, ist geeignet zur selbstständigen Vorbereitung eines Seminars oder einer Prüfung, kann aber auch ebenso gut seminarbegleitend benutzt werden. Alle Phänomene werden klar umrissen, anhand sprechender Beispiele und Textbelege veranschaulicht und voneinander abgegrenzt. Basiswissen Deutsche Phraseologie ist durch ein Sachregister erschlossen. Didaktisch sinnvolle Literaturhinweise und eine Auswahl von Wörterbüchern und erprobten Online-Verzeichnissen regen zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema an. Elke Donalies Basiswissen Deutsche Phraseologie UTB M 2009, VI, 126 Seiten, €[D] 14,90/ SFr 27,90 ISBN 978-3-8252-3193-4 <?page no="201"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BESTELLEN! Katja Kessel/ Sandra Reimann Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache UTB 2704 M 4., durchgesehene Auflage 2012, 296 Seiten, €[D] 16,99/ SFr 24,90 ISBN 978-3-8252-3692-2 Die bewährte Einführung wendet sich an Studierende der Germanistik, die die deutsche Gegenwartssprache im wissenschaftlichen Sinne durchschauen und unter analytischen Gesichtspunkten kennen lernen wollen. Gegenstand sind die wichtigsten Teilbereiche und Methoden der neueren deutschen Sprachwissenschaft. Besonders ausführlich werden die komplexen Kapitel Syntax und Wortbildung behandelt, die zum Kanon der meisten sprachwissenschaftlichen Prüfungen gehören. Jedes Kapitel enthält Übungen mit Lösungen und weiterführende Literatur. <?page no="202"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! Gabriele Graefen / Martina Liedtke Germanistische Sprachwissenschaft Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache UTB 8381 L 2., überarbeitete Auflage 2012 362 Seiten + CD-ROM €[D] 26,99/ SFr 35,90 ISBN 978-3-8252-8491-6 Diese multimediale Einführung vermittelt das Grundlagenwissen der germanistischen Linguistik und berücksichtigt dabei stets die besonderen Erfordernisse bei der Lehre von Deutsch als Fremdoder Zweitsprache. Auch die unterschiedlichen Arbeitsfelder der Angewandten Linguistik finden Berücksichtigung. Für die 2. Auflage wurde die Darstellung neu gegliedert, thematisch erweitert und aktualisiert; ein Index und ein ausführliches Literaturverzeichnis wurden hinzugefügt. Die beiliegende CD-ROM ergänzt den Volltext des Buches durch umfangreiches Tonmaterial sowie Gesprächsbeispiele und Transkripte. Zahlreiche Übungsaufgaben mit Musterlösungen ermöglichen die Überprüfung des vermittelten Wissens, Links zu empfehlenswerten Internetressourcen helfen beim tieferen Einstieg in ausgewählte Themenbereiche. <?page no="203"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Karin Pittner / Judith Berman Deutsche Syntax Ein Arbeitsbuch narr studienbücher 5., durchgesehene Auflage 2013 200 Seiten €[D] 19,99/ SFr 28,00 ISBN 978-3-8233-6834-2 Dieses Lehrbuch führt in die Grundbegriffe und Methoden der syntaktischen Analyse des Deutschen ein. Behandelt werden syntaktische Kategorien und Funktionen, Valenz und Argumentstruktur, die Formen des Passivs, die Wortstellung, der Aufbau von komplexen Sätzen, Besonderheiten bei der Verwendung der Pronomina sowie Grundbegriffe der Informationsstruktur. Jedes Kapitel enthält Übungen mit Lösungshinweisen und Literaturtipps zum Weiterlesen, die den Studierenden die Möglichkeit geben, sich den Stoff weitgehend selbständig zu erarbeiten. „Die Verfasser haben ihr im Vorwort angegebenes Ziel vollauf erreicht: Sie haben ein Arbeitsbuch mit Überblickscharakter vorgelegt, das sich als Einführung vorzüglich eignet.“ Gerhard Helbig in Deutsch als Fremdsprache <?page no="204"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Robert Mroczynski Gesprächslinguistik Eine Einführung narr studienbücher 2014, 272 Seiten €[D] 22,99 / SFR 29,90 ISBN 978-3-8233-6851-9 Die gesprochene Sprache wurde in der Linguistik lange Zeit als chaotisch und deshalb nicht untersuchungswürdig angesehen. Mittlerweile hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass sie alles andere als chaotisch ist. Sie folgt ihren eigenen Regeln und weist ihre eigenen Strukturen und Dynamiken auf, die erkannt und beschrieben werden können. Welche Regeln, Strukturen und Dynamiken das sind, soll in dieser Einführung vorgestellt werden. Im Vordergrund stehen zunächst grundlegende Fragen: Was ist gesprochene Sprache? Was sind Untersuchungsgegenstand und Methodik der Gesprächslinguistik? Wie können gesprochene Daten erhoben und transkribiert werden? Im zweiten Schritt wird dann auf die vielfältigen Besonderheiten der gesprochenen Sprache eingegangen. Dazu gehören grammatische, pragmatische, prosodische und auch nonverbale Eigenschaften. Das Buch richtet sich vor allem an Bachelor-Studierende der germanistischen Sprachwissenschaft, kann aber auch den Studierenden der Sozial-, Medien- und Kommunikationswissenschaften interessante Informationen und Ideen liefern. <?page no="205"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Athina Sioupi Aspektdistinktionen im Vergleich Deutsch/ Englisch - Griechisch Tübinger Beiträge zur Linguistik, Vol. 538 2014, 247 Seiten €[D] 58,00 / SFR 74,70 ISBN 978-3-8233-6757-4 Dieser Band bietet einen Überblick über die umfangreiche Literatur zu der (Nicht-)Progressivform im Englischen, der einfachen und der periphrastischen Form im Deutschen und dem (Im)perfektiv im Griechischen sowie über die Zeitkonstitution von den 1950er Jahren bis heute. Er erläutert kritisch die verschiedenen Ansätze, stellt sie einander gegenüber und beschreibt, mit welchen Verbklassen die periphrastische Form im Deutschen kompatibel ist. Zu diesem Zweck werden Belege aus digitalen Korpora der geschriebenen Sprache präsentiert. Zentral ist die Fragestellung, inwieweit die Semantik des Imperfektivs im Griechischen, der Progressivform des Englischen und der periphrastischen Form des Deutschen gleichzusetzen ist. Im Rahmen der formalen Semantik wird ein Ansatz entwickelt, in dem sich die semantische Analyse für das Englische, Deutsche und Griechische in Bezug auf Aspekt bewegt, und es wird gezeigt, wie der Unterschied zwischen der periphrastischen Form im Deutschen und dem imperfektiven Aspekt im Griechischen erklärt werden kann. <?page no="206"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Albert Busch / Oliver Stenschke Germanistische Linguistik 3., überarb. und erw. Auflage 2014 VIII, 263 Seiten, €[D] 16,99 / SFr 24,00 ISBN 978-3-8233-6855-7 Die bewährte Einführung in die germanistische Linguistik ist speziell auf die Bedürfnisse der modularisierten Studiengänge zugeschnitten. Sie ist in 14 Einheiten gegliedert, die sich an einem typischen Semesterplan orientieren und somit direkt für Lehrveranstaltungen im Rahmen eines „Basismoduls Germanistik“ bzw. „Germanistische Linguistik“ verwendet werden können. Sie beziehen sich auf die übergeordneten Themenbereiche „Sprache als System“ und „Sprache im Gebrauch“. Die einzelnen Einheiten dienen zum einen der Vermittlung von Basiswissen, zum anderen dem Erwerb der Kompetenz, dieses Wissen selbständig anzuwenden. Sie sind daher gegliedert in einen wissensvermittelnden Teil mit klar abgesetzten Definitionen und einen Übungsteil. Zu beidem gibt es auf der begleitenden Homepage www.bachelor-wissen.de ergänzende Angebote, mit denen die erworbenen Kompetenzen vertieft werden können. Für die 3. Auflage wurde insbesondere das Kapitel zur Pragmatik gründlich überarbeitet. „Das Buch bietet für Anfangssemester eine sehr gut verständliche Einführung.“ ekz-Informationsdienst <?page no="207"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Hans Jürgen Heringer Deutsche Grammatik und Wortbildung in 125 Fragen und Antworten UTB 218 Seiten €[D] 19,99 / SFR 28,00 ISBN 978-3-8252-4227-5 Dieser Band gibt einen vollständigen Überblick über die grammatischen Regeln des Deutschen. Er richtet sich an Studierende und Lernende, bietet auch grammatisches Grundwissen, das außerhalb der Universität benötigt wird. Die Grammatik ist klassisch systematisch aufgebaut. Die Anordnung nach Fragen und Antworten bietet aber zudem die Möglichkeit der Schwerpunktsetzung. Zahlreiche Beispiele veranschaulichen und erläutern die grammatischen Probleme. Aus dem Inhalt: Welche Arten von Verben gibt es? • Gibt es Regeln für das Genus? • Wie ist der Satz gegliedert? • Wie stehen die Wörter im Satz? • Wie kann man Sätze verbinden? • Welche Wortbildungen gibt es? <?page no="208"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Matthias Granzow-Emden Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten bachelor-wissen 2., überarbeitete Auflage 2014 X, 310 Seiten €[D] 17,99 / SFR 25,40 ISBN 978-3-8233-6883-0 Diese neuartige Einführung in die deutsche Grammatik verbindet schulgrammatisches Wissen und neuere Grammatikmodelle in anschaulicher und verständlicher Weise miteinander. Insbesondere Lehramtsstudierende können sich damit die Kenntnisse und Kompetenzen aneignen, die sie für ihr Studium und ihren künftigen Beruf brauchen; erfahrene Lehrkräfte bekommen wichtige Impulse für neue Wege im Deutschunterricht. Die funktional orientierten Erklärungen und die zahlreichen systematisch gestalteten Tabellen im Bereich der Verben, Nomen/ Nominalgruppen, Präpositionen und Pronomen eignen sich darüber hinaus für DaF-/ DaZ-Kurse sowie für die autodidaktische Aneignung des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache. <?page no="209"?> Tempus, Modus und Aspekt (TMA) sind drei grammatische Kategorien, die sich sowohl in ihren Flexionsformen als auch in ihrer Bedeutung überschneiden können. Das Tempus zeigt an, wann etwas geschieht; der Modus zeigt an, in welcher Welt etwas unter welchen Bedingungen geschieht; und der Aspekt kann entweder bestimmte Ausschnitte von Ereignissen oder das Ereignis als Ganzes markieren. So wird es möglich, den Ablauf von Ereignissen zu staffeln oder zeitliche Überschneidungen anzuzeigen. Dieses Buch stellt die formalen und funktionalen Eigenheiten des deutschen TMA-Systems erstmals im Zusammenhang dar, und zeigt auf, wie unterschiedliche Typen von Ereignissen in verschiedenen Zeiten und Welten verankert werden können. Dabei schaffen Beispiele und Übungen ein Bewusstsein dafür, welche Möglichkeiten in unserer Sprache zur Verfügung stehen, um Ereignisse auszudrücken. Um die grammatischen Eigenschaften deutscher Verben in einen größeren Rahmen einordnen zu können, werden in einigen Kapiteln TMA-Phänomene aus anderen Sprachen zum Vergleich herangezogen.
