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Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik

Festschrift für Frank G. Königs zum 60. Geburtstag

0325
2015
978-3-8233-7875-4
978-3-8233-6875-5
Gunter Narr Verlag 
Sabine Hoffmann
Antje Stork

Die Festschrift spiegelt in ihren zahlreichen Beiträgen die verschiedenen Forschungsfelder und vielseitigen Tätigkeitsgebiete von Frank G. Königs wider und würdigt dessen Schaffen anlässlich seines 60. Geburtstags. Seit ihrer Entstehung hat Frank G. Königs die Fremdsprachenforschung geprägt und entscheidend an ihrer Entwicklung als wissenschaftlicher Disziplin mitgewirkt. Ihm verdankt sie sowohl wesentliche Impulse in der Forschung als auch Tendenzen, die er als einer ihrer wichtigsten Vertreter bei der Etablierung als fundiert akademischer Lehre gezeitigt hat. Ausgewiesene Expertinnen und Experten des Fachgebiets setzen sich mit vier Themenbereichen der Fremdsprachenforschung und -didaktik auseinander: Mehrsprachigkeit, Kompetenzen ausbilden, prüfen und erforschen, Methoden in der Fremdsprachenvermittlung, (Aus-)Bildung von Fremdsprachenlehrenden.

<?page no="0"?> Sabine Hoffmann/ Antje Stork (Hrsg.) Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik Festschrift für Frank G. Königs zum 60. Geburtstag Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik <?page no="1"?> Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Sabine Hoffmann / Antje Stork (Hrsg.) Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik Festschrift für Frank G. Königs zum 60. Geburtstag <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-6875-5 <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis Tabula Gratulatoria ............................................................................................... 11 Sabine Hoffmann und Antje Stork Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik ......................... 15 Teil I: Mehrsprachigkeit Claus Gnutzmann Wie nützlich ist Englisch als Lingua franca in der Wissenschaftskommunikation? ..................................................................................................... 19 Wolfgang Hallet Mehrsprachiges Lernen im Fremdsprachenunterricht: Ebenen und Arten des sprachenvernetzenden Lernens ................................... 33 Britta Hufeisen Zur möglichen Rolle der sog. klassischen Sprachen für Gesamtsprachencurriculumskonzepte ............................................................... 45 Hans-Jürgen Krumm Bildungssprache Deutsch und das Curriculum Mehrsprachigkeit.................. 59 Franz-Joseph Meißner En fildelare i Sala döms av tingsrätten att betala 4,3 miljoner kronor… Sprachtransfer, Lerntransfer, Intakeoptimierung beim ersten Leseversuch in Schwedisch ................................................................. 71 Lars Schmelter Klein. Aber fein? - Ein minimalinvasiver Weg zur schulischen Förderung von Mehrsprachigkeit ........................................................................ 85 Wolfgang Tönshoff Deutsch als zweite oder weitere Fremdsprache - vom Lernerprofil zu einer spezifischen Didaktik und Methodik ............................ 97 <?page no="8"?> Inhaltsverzeichnis 8 Teil II: Kompetenzen ausbilden, prüfen und erforschen Sylwia Adamczak-Krysztofowicz Wie fertig sind wir mit adressatengerechter Förderung der Hörverstehenskompetenz? Überlegungen aus der Sicht des DaF-Unterrichts mit Erwachsenen in Polen ............................................. 111 Fabio Alves Was beim Übersetzen passiert: Der Einfluss von Königs’ Modell (1987) des Übersetzungsprozesses auf die prozessorientierte Forschung im Rahmen der Übersetzungswissenschaft ................................... 123 Eva Burwitz-Melzer Aufgaben zur Entwicklung und zum Überprüfen von Kompetenzen - ein Blick auf die gymnasiale Oberstufe und das Abitur ................. 133 Rüdiger Grotjahn und Karin Kleppin Evaluation der DaF-/ DaZ-Kompetenzen bei Bewerbern für den Schuldienst in Nordrhein-Westfalen: Konzept und spezifische Merkmale .......................................................................................... 145 Sabine Hoffmann Kooperieren, ko-konstruieren, koproduzieren - Interviews als soziale Praxis am Beispiel von Sprachlernberatungsgesprächen in DaF ............................................................................................... 157 Claudia Riemer Da war doch mal was - Lernerorientierung! Wissen wir bereits genug über die Lernenden und Lehrenden? .................................................... 169 Dieter Wolff Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht und sprachpsychologische Entwicklungsmodelle: Ein Plädoyer für eine stärkere Vernetzung am Beispiel des Schreibens ..................................... 179 Teil III: Methodik der Fremdsprachenvermittlung Ruth Albert Methoden der Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch ................... 191 <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis 9 Stefan Baier Lernplattformen und Web 2.0-Dienste im handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht ................................................................................... 203 Simon Falk Mobiles Lernen im Fremdsprachenunterricht ................................................. 215 Uwe Koreik „Der kleine Nazi“ - ein Kurzfilm als Königsweg zur Kultur- und Sprachvermittlung? ............................................................................................. 225 Jörg Roche Zur Sprachlosigkeit des Sprachunterrichts und seiner Didaktik - Das Prinzip der Handlungs- und Aufgabenorientierung als Alternative im Erwerb und der Vermittlung von Sprache ............................. 235 Dietmar Rösler Übersetzen und Übersetzungen als sprachdidaktische und kulturkundliche Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht .............................................................................................................. 247 Dagmar Silberstein Der Einsatz der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ für die Vermittlung von Modalpartikeln ............................................................................................. 259 Victoria Storozenko Tatort Fremdsprachenunterricht: Fremdsprachenlernen mit Krimis ..................................................................................................................... 273 Wolfgang Zydatiß Sprachlernen im fremdsprachigen Fachunterricht - oder: Der noch ‚lange Marsch‘ zu einer domänenorientierten Diskursfähigkeit in bilingualen Bildungsgängen .................................................................... 283 Teil IV: (Aus-)Bildung von Fremdsprachenlehrenden Karin Aguado Forschendes Lernen und Lehren als Strategien zur Professionalisierung von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern ................................ 297 <?page no="10"?> Inhaltsverzeichnis 10 David Gerlach Reflexion über Reflexion in der Fremdsprachenlehrerbildung ..................... 309 Michael Legutke und Imke Mohr Brücken zwischen Theorie und Praxis: Nachhaltige Fortbildung mit „Deutsch Lehren Lernen“ ............................................................................ 321 Hélène Martinez Standards in der Lehrer(aus)bildung: Zur Frage der Lehrbarkeit von Kompetenzen ................................................................................................ 333 Angela Schmidt-Bernhardt und Antje Stork Interkulturelles Lernen und Fremdsprachenlehrerausbildung. Oder: Die kulturelle Brille passt nicht immer .................................................. 345 Frauke Stübig und Heinz Stübig Interkulturelles Verstehen oder: Sprache ist der Bildung Anfang ................. 357 Teil V: Lebenslauf und Publikationen Lebenslauf Frank G. Königs ............................................................................. 369 Publikationen Frank G. Königs ......................................................................... 371 <?page no="11"?> Tabula Gratulatoria Adamczak-Krysztofowicz, Sylwia, Pozna ń (Polen) Aguado, Karin, Kassel Ahrens, Rüdiger, Würzburg Albert, Ruth, Marburg Alves, Fabio, Belo Horizonte (Brasilien) Bahr, Andreas E., Frankfurt/ Oder Baier, Stefan, Marburg Ballweg, Sandra, Darmstadt Barkowski, Hans, Jena Baur, Rupprecht S., Duisburg-Essen Beck, Lothar, Marburg Birkle, Carmen, Marburg Blell, Gabriele, Hannover Bredol, Carmen, Marburg Burwitz-Melzer, Eva, Gießen Caspari, Daniela, Berlin Casper-Hehne, Hiltraud, Göttingen Cerri, Chiara, Marburg Düwell, Henning, Göttingen Duxa, Susanne, Marburg Falk, Simon, Marburg Gergen, Andrea, Marburg Gerlach, David, Marburg Gnutzmann, Claus, Braunschweig Grotjahn, Rüdiger, Bochum Gru z c a, Franciszek, Warszawa (Polen) Hallet, Wolfgang, Gießen Helbig-Reuter, Beate, Bonn Hericks, Uwe, Marburg Hoffmann, Sabine, Palermo (Italien) Hufeisen, Britta, Darmstadt Institut für Romanische Philologie der Philipps-Universität, Marburg Jahns, Silke, Marburg Jentges, Sabine, Nijmegen (Niederlande) <?page no="12"?> Tabula Gratulatoria 12 Kasper, Gabriele, Honolulu (Hawaii) Kleppin, Karin, Bochum Klippel, Friederike, München Kohn, Kurt, Tübingen Koreik, Uwe, Bielefeld Kreyer, Rolf, Marburg Krings, Hans P., Bremen Krumm, Hans-Jürgen, Wien (Österreich) Kurtz, Jürgen, Gießen Küster, Lutz, Berlin Kuester, Martin, Marburg Legutke, Michael, Gießen Lüdecke, Martin, Marburg Lütge, Christiane, Münster Martinez, Hélène, Gießen Marx, Nicole, Bremen Mehlhorn, Grit, Leipzig Meißner, Franz-Joseph, Gießen Mohr, Imke, München Müller-Hartmann, Andreas, Heidelberg Nied Curcio, Martina, Rom (Italien) Quetz, Jürgen, Frankfurt/ Main Raabe, Horst, Bochum Raasch, Albert, Saarbrücken Raupach, Manfred, Kassel Reinfried, Marcus, Jena Riemer, Claudia, Bielefeld Roche, Jörg, München Roelcke, Thorsten, Berlin Rösler, Dietmar, Gießen Schmelter, Lars, Wuppertal Schmenk, Barbara, Waterloo (Kanada) Schmidt, Torben, Lüneburg Schmidt-Bernhardt, Angela, Marburg Schramm, Karen, Wien Schwerdtfeger, Inge C., Köln Seitter, Wolfgang, Marburg Silberstein, Dagmar, Ingolstadt Sinn, Michaela, Palermo (Italien) Spänkuch, Enke, Bochum <?page no="13"?> Tabula Gratulatoria 13 Stöver-Blahak, Anke, Hannover Stork, Antje, Marburg Storozenko, Victoria, Marburg Stübig, Frauke, Marburg Stübig, Heinz, Marburg Surkamp, Carola, Göttingen Tönshoff, Wolfgang, Konstanz Vogt, Karin, Heidelberg Weidemeyer, Helmuth, Neukirchen Wolff, Armin, Regensburg Wolff, Dieter, Essen Würffel, Nicola, Heidelberg Zöfgen, Ekkehard, Bielefeld Zydatiß, Wolfgang, Berlin <?page no="15"?> Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik Sabine Hoffmann/ Antje Stork „Festschrift“ ist eines der deutschen Worte, das in zahlreiche andere Sprachen wie das Englische oder das Italienische Eingang gefunden hat. Benutzt wird aber auch im Deutschen oder z.B. im Niederländischen der lateinische Ausdruck „liber amicorum“. Ein solches liber amicorum haben über dreißig Freund/ innen, Kolleg/ innen und Schüler/ innen anlässlich des 60. Geburtstages von Frank G. Königs mit ihren Beiträgen gefüllt. Aufgrund der zahlreichen Zusagen auf unsere Einladung zur Mitwirkung an einer Festschrift für Frank G. Königs war es für uns ein Leichtes, den Band zusammenzustellen, der nun allerdings auf einen größeren Umfang angewachsen ist als zunächst geplant. Im Deutschen steht das, was in einem Satz oder in einer lexikalischen Einheit am wichtigsten ist, oftmals am Ende. Und so wollen auch wir bei der Erläuterung des Titels dieser Festschrift mit dem Ende beginnen, nämlich bei der „Fremdsprachenforschung und -didaktik“. Königs war an der Ruhr- Universität Bochum wesentlich an der Etablierung der damals neuen Disziplin der Sprachlehrforschung (bzw. Sprachlehr- und -lernforschung) beteiligt. Diese Bezeichnung trägt auch seine heutige Professur an der Philipps- Universität Marburg („Allgemeine Didaktik und Sprachlehrforschung“). Seit einigen Jahren wird aber auch synonym die Bezeichnung „Fremdsprachenforschung“ verwendet, und so heißt seine Arbeitsgruppe am Institut für Schulpädagogik in Marburg denn auch „AG Fremdsprachenforschung“. Mit der Etablierung dieser Forschungsdisziplin wandelte sich auch die Fremdsprachendidaktik, die mittlerweile nicht mehr streng von der Fremdsprachenforschung zu trennen ist (vgl. Königs 2010, 12f), und zu deren wesentlichem Merkmal sich die „Lernerorientierung 1 “ herausgebildet hat. Und damit sind wir beim ersten Teil unseres Titels angelangt, nämlich der Orientierung an dem Lernenden. Mag auch der Lehrende, der lange von der Fremdsprachenforschung und -didaktik vernachlässigt wurde, heute „wieder aktiver ins Spiel“ kommen 1 Auf die Verwendung eines politisch korrekteren Ausdrucks wie „Lernendenorientierung“ oder „Lerner/ innenorientierung“ verzichten wir an dieser Stelle aus sprachästhetischen Gründen. <?page no="16"?> Sabine Hoffmann/ Antje Stork 16 (Königs 2014a, 71), so bleibt doch der Lernende eine wichtige Größe beim Lehren und Lernen einer Fremdsprache. Die vielfältigen Arbeitsschwerpunkte von Frank G. Königs reichen von den Konzeptbildungen der Sprachlehrforschung über die Methodik der Fremdsprachenvermittlung und die Psycholinguistik des Zweitsprachenerwerbs bis hin zur Übersetzungswissenschaft und Übersetzungsdidaktik sowie zur Schreibforschung. Die Beiträge in diesem Band behandeln vier Inhaltsbereiche, die im breiten Themenspektrum des Jubilars wichtige Plätze einnehmen: 1. Mehrsprachigkeit, 2. Kompetenzen ausbilden, prüfen und erforschen, 3. Methodik der Fremdsprachenvermittlung, 4. (Aus-)Bildung von Fremdsprachenlehrenden. Daran schließen sich der Lebenslauf des Jubilars sowie ein Verzeichnis seiner Publikationen an. Frank G. Königs ist in den vielen Jahren seines wissenschaftlichen Wirkens stets neugierig geblieben. Er hält es mit dem wichtigen Prinzip, das bereits Kindern (und nicht nur diesen) in der „Sesamstraße“ nahegebracht wird: „Wer nicht fragt, bleibt dumm! “. Fragen sind Ausgangspunkt und manchmal auch Endpunkt von Forschung. Forscher/ innen, so auch Fremdsprachenforscher/ innen, gehen einer Fragestellung nach, sie suchen nach wissenschaftlich begründeten Antworten. Dabei ist die Formulierung der (relevanten und forschungswerten) Frage bereits Teil von Forschung. Auch Frank G. Königs hat oftmals bereits im Titel seiner zahlreichen Publikationen Fragen formuliert: Fragen, die eine Problematik prägnant und nachvollziehbar auf den Punkt bringen und die trotzdem nicht trivial sind. Fragen dienen aber auch der Provokation - ein rhetorischer Kniff, den Frank G. Königs bewusst einsetzt (vgl. Königs 2014b, 389f). Beispiele: • Was hat die Sprachlehrforschung eigentlich gebracht? (Königs 2013) • Wie ernst müssen wir die Lernerorientierung nehmen? (Königs 2010b) • Dem Lerner aufs Maul schauen oder nach dem Munde reden? (Königs 2007) • Im oder gegen den Trend? - Oder: Woher sollen methodische Innovationen im Fach Deutsch als Fremdsprache kommen und was könn(t)en sie für die Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften leisten? (Königs 2014b) • Gelebte Studienreform: Das Kreativitätspotenzial deutscher Hochschulen - oder geht die Studienreform baden? (Königs 2006) • Aufgabenorientiertes Fremdsprachenlernen und Mehrsprachigkeit - eine lohnende Aufgabe? (Königs 2005) <?page no="17"?> Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik 17 • Sprachlehrforschung: gestern, heute - und morgen? (Königs 2004) • Mehrsprachigkeit? Klar! Aber wie? (Königs 2001) • Hat die Fremdsprachendidaktik noch eine Zukunft? (Königs 1997) • Wie fertig sind wir mit den Fertigkeiten? (Königs 1993) Mit diesem Band gratulieren wir dem Jubilar ganz herzlich zum Geburtstag! Bedanken möchten wir uns an erster Stelle bei den Beitragenden des Bandes für ihre Mitarbeit. Eine wichtige Unterstützung waren uns in den verschiedenen Phasen der Erstellung dieser Festschrift Renate Krist, Heike Lang, Lucia Facciolo Rockett und Jutta Hohe, die das finale Korrekturlesen übernommen hat. Auch ihnen gilt unser Dank sowie ferner dem Narr-Verlag und den Herausgeber/ innen der Gießener Reihe für die Aufnahme des Bandes in die „Gießener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik“. Palermo und Bad Homburg im Oktober 2014 Sabine Hoffmann und Antje Stork Literatur Königs, Frank G. (1993): „Wie fertig sind wir mit den Fertigkeiten? Psycholinguistische und lernpsychologische Überlegungen zu den fremdsprachlichen Fertigkeiten und Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht“. In: Deutsch als Fremdsprache 4, 203-210. Königs, Frank G. (1997): „Hat die Fremdsprachendidaktik noch eine Zukunft? Überlegungen zur Struktur eines Faches in schwieriger Zeit“. In: Deutsch als Fremdsprache 34 (2), 72-79. Königs, Frank G. (2001): „Mehrsprachigkeit? Klar! Aber wie? Lernpsychologische, vermittlungsmethodische und sprachenpolitische Dimensionen eines aktuellen Themas“. In: Jahrbuch der ungarischen Germanistik, 261-273. Königs, Frank G. (2004): „Sprachlehrforschung: gestern, heute - und morgen? “. In: Info DaF 31 (5), 513-532. Königs, Frank G. (2005): „Aufgabenorientiertes Fremdsprachenlernen und Mehrsprachigkeit - eine lohnende Aufgabe? “. In: Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg.): Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Task-Based Language Learning and Teaching. Festschrift für Michael K. Legutke. Tübingen: Gunter Narr, 67-80. Königs, Frank G. (2006): „Gelebte Studienreform: Das Kreativitätspotenzial deutscher Hochschulen - oder geht die Studienreform baden? “. In: Intemann, Frauke/ Königs, Frank G. (Hrsg.): ,Ach! texte - Didak-Tick der (modernen, un- <?page no="18"?> Sabine Hoffmann/ Antje Stork 18 modernen und außerirdischen) Sprachen. Eine etwas andere Festschrift für Claus Gnutzmann zum 60. Geburtstag (und zu allen weiteren). Bochum: AKS- Verlag, 69-95. Königs, Frank G. (2007): „Dem Lerner aufs Maul schauen oder nach dem Munde reden? Überlegungen zur Rolle der Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht“. In: Clalüna, Monika/ Studer, Thomas (Hrsg.): Deutsch im Gespräch. Sprechen im DaF-/ DaZ-Unterricht. Sprechen über DaF/ DaZ in der Schweiz. Akten der Gesamtschweizerischen Tagung für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer. 22. und 23. September 2006 - Universität Bern. o.O.: Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz (AkDaF)/ Verein der Lektorinnen und Lektoren für Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz (Ledafids), 75-90. Königs, Frank G. (2010a): „Fremdsprachendidaktik als Theorie und Disziplin“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Kallmeyer, 11-17. Königs, Frank G. (2010b): „Wie ernst müssen wir die Lernerorientierung nehmen? Oder: Warum Normenkonflikte im Fremdsprachenunterricht unausweichlich sind und wie wir damit umgehen können“. In: Dose, Stefanie/ Götz, Sandra/ Brato, Thorsten/ Brand, Christiane (Hrsg.): Norms in Educational Linguistics - Normen in Educational Linguistics, Didactic and Cultural Perspectives - Sprachwissenschaftliche, didaktische und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 101-115. Königs, Frank G. (2013): „Was hat die Sprachlehrforschung eigentlich gebracht? Plus- und Minuspunkte aus subjektiver Sicht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42, 7-21. Königs, Frank G. (2014a): „War die Lernerorientierung ein Irrtum? Der Fremdsprachenlehrer im Kontext der Sprachlehrforschung“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 43 (1), 66-80. Königs, Frank G. (2014b): „Im oder gegen den Trend? - Oder: Woher sollen methodische Innovationen im Fach Deutsch als Fremdsprache kommen und was könn(t)en sie für die Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften leisten? “. In: Bredel, Ursula/ Ezhova-Heer, Irina/ Schlickau, Stephan (Hrsg.): Zur Sprache.k ɔ m, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 39. Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache an der Universität Hildesheim 2012. Göttingen: Universitätsverlag, 389-408. <?page no="19"?> Wie nützlich ist Englisch als Lingua franca in der Wissenschaftskommunikation? Claus Gnutzmann 1 Einleitung „Die Spitzenforschung spricht englisch! “ - so lautete der Titel eines einflussreichen Aufsatzes, der vor nunmehr 30 Jahren erschien (Markl 1985). Der Aufsatz konstatiert zum einen das Faktum der Dominanz des Englischen als internationaler Wissenschaftssprache, speziell in den Naturwissenschaften, und wirkte gleichzeitig als Appell an deutschsprachige Wissenschaftler, das Englische zu gebrauchen, wenn man wissenschaftlich international „dabei sein will“. Nicht selten hat diese Aufforderung dazu geführt, dass das Englische auch in Kontexten verwendet wurde und wird, in denen dieses unangemessen und unnötig ist, 1 z.B. dann, wenn deutschsprachige Forscher bei Arbeitsbesprechungen oder auch auf Tagungen völlig oder weitestgehend „unter sich“ sind. Geht es im Übrigen nur ums Sprechen, oder ist nicht gerade in der Wissenschaftskommunikation, insbesondere bei der Fixierung von Forschungsergebnissen, die Fähigkeit des Schreibens ebenso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger? 2 Insofern wäre eine Formulierung wie „Die Spitzenforschung schreibt englisch! “ der Sache angemessener, wenn auch in der Öffentlichkeitswirkung wahrscheinlich weniger pointiert gewesen. 3 1 Vgl. hierzu etwa die sarkastisch anmutende Kritik von Weinrich (2001, 7), dass von der deutschen Kulturpolitik „in Deutschland eine gesichtslose lingua franca implementiert wird, von der behauptet wird, sie sei Englisch“. 2 Da für die Feststellung von Forschungsleistungen in erster Linie Publikationen maßgeblich sind, wie sie in vielen Fächern zunehmend Veröffentlichungen in internationalen Zeitschriften darstellen, kommt dem Schreiben und Publizieren von englischsprachigen Artikeln in der Berufsbiographie von Wissenschaftlern mittlerweile eine Bedeutung par excellence zu. 3 Im Vergleich zu den anderen Wissenschaften zeichnen sich die Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch die Rechtswissenschaften, durch eine Besonderheit aus: „These academic disciplines are strongly associated with language and culture, and since their objects of investigation are very much embedded in particular languages and cultures the latter are often assumed to play a ‚natural’ and constitutive role in the research processes in these areas“ (Gnutzmann 2006, 195). Diese Besonderheit hat zur <?page no="20"?> Claus Gnutzmann 20 Der folgende, in drei Abschnitte gegliederte Beitrag befasst sich zunächst mit der Definition und den Eigenschaften einer Lingua franca, speziell des Englischen als Lingua franca (ELF), und diskutiert daran anschließend den möglichen Nutzen, aber auch die Nachteile der Verwendung des Englischen als Wissenschaftssprache. Die abschließende Zusammenfassung perspektiviert die Ergebnisse im Kontext der unterschiedlichen Ausprägung von Anglophonie in den Wissenschaften und skizziert Möglichkeiten, wie der kommunikativen Benachteiligung von Nicht-Muttersprachlern beim wissenschaftlichen Schreiben begegnet werden kann. Der Aufsatz versteht sich als Beitrag zur fremdsprachlichen Schreibforschung, einem Gebiet, das nach einer langen Ära der Mündlichkeit seit einiger Zeit wieder zunehmend an Bedeutung gewinnt und zu dem Frank Königs zahlreiche grundlegende und empirische Veröffentlichungen vorgelegt hat (exemplarisch schon Königs 1988). 2 Was ist eine Lingua franca, was heißt Englisch als Lingua franca (ELF)? Der Titel des Beitrags suggeriert, dass es sich beim Gebrauch des Englischen in den Wissenschaften um eine Lingua franca handelt. Ist dies aber tatsächlich so eindeutig, wenn man an die Vielfalt mutter- und nichtmuttersprachlicher Kommunikation mit Hilfe des Englischen denkt? Bußmann (1990, 458) definiert eine Lingua franca als [g]enerelle Bezeichnung für ein sekundär erworbenes Sprachsystem, das als Kommunikationsmittel zwischen Sprechern verschiedener Muttersprachen (bzw. extrem verschiedener Dialekte) dient. In Betracht kommen dafür sowohl schulisch vermittelte »Literatursprachen« (z.B. Latein als L.F. des Mittelalters, Arab. als L.F. des Islam) als auch natürliche oder künstliche Mischsprachen aus mehreren Einzelsprachen. Ähnlich äußert sich auch Samarin (1987, 371) zur Funktion einer Lingua franca im Hinblick auf die Ausgangssprache der Gesprächsteilnehmer als „any lingual medium of communication between people of different mother tongues, for whom it is a second language“. Den beiden Definitionen - und man könnte weitere hinzuziehen - ist gemeinsam, dass es sich bei einer Lingua franca um ein sekundär erworbenes Sprachsystem bzw. eine Hilfssprache handelt. Somit gibt es in einer Lingua franca-Kommunikation mithilfe einer natürlichen Sprache keine Mutter- Folge, dass der Anteil englischsprachiger Publikationen in diesen Wissenschaftszweigen geringer ist als z.B. in den Natur- und Technikwissenschaften oder der Medizin. <?page no="21"?> Wie nützlich ist Englisch als Lingua franca? 21 sprachler der als Lingua franca verwendeten Sprache. 4 Das bedeutet folglich, dass Muttersprachler des Englischen von einer Lingua franca-Kommunikation ausgeschlossen sind, wenn das Englische in der Rolle einer solchen Verkehrssprache verwendet wird. So sieht es auch Firth (1996, 240), wenn er ELF definiert als „,contact language’ between persons who share neither a common native tongue nor a common (national) culture, and for whom English is the chosen foreign language of communication“. Lingua franca-Kommunikation mittels des Englischen ohne englische Muttersprachler - dieses ist auch die entscheidende Ausgangsvoraussetzung für die seit etwa 15 Jahren in der Angewandten Linguistik vertretene Auffassung, dass das Englische als Lingua franca spezifische Formen, Strukturen und Verwendungen herausbilde und damit auf dem Wege sei, sich als eine eigenständige, mehr oder weniger vom muttersprachlichen Englisch losgelöste Form des Englischen zu etablieren (vgl. Jenkins et al. 2011; Seidlhofer 2001; 2011). Die Hypothese einer eigenen ELF-Varietät basierte auf der Annahme, dass die Zahl der Nicht-Muttersprachler des Englischen die der Muttersprachler bei weitem übertreffe 5 und dass aufgrund dieser Relation der weitaus größere Teil der Kommunikation mithilfe des Englischen unter Nicht- Muttersprachlern des Englischen stattfinde. 6 Ein eher fragwürdiges Argument, denn entscheidender als quantitative Angaben zu den Sprechern sind die Häufigkeit und die Funktionen, für die das Englische als Lingua franca gebraucht wird. Der Funktionsbereich einer Lingua franca ist gegenüber dem einer Standardsprache erheblich eingeschränkt. 7 Ein Lingua franca-Benutzer 4 Die Vorstellung von einer Lingua franca als Mischsprache („hybrid language“) mit spezifischen, eingeschränkten Funktionen impliziert ebenfalls, dass das auf eine Einzelsprache zu beziehende „Native speaker“-Ideal in der Lingua franca-Kommunikation nicht zum Tragen kommen kann (vgl. hierzu auch Meyer 2004, 69). 5 Das Verhältnis von Muttersprachlern zu Nicht-Muttersprachlern wird von Seidlhofer (2005, n.p.) mit 1: 4 angegeben, wobei Angaben zu den Sprecherzahlen in der Literatur erheblich schwanken können (vgl. McArthur 2002, 3). 6 Seidlhofer (2011, 7) hingegen definiert ELF als „any use of English among speakers of different first languages for whom English is the communicative medium of choice, and often the only option“ und schließt damit, im Gegensatz zu den vorher zitierten Definitonen, englische Muttersprachler als Teilnehmer von ELF-Kommunikation ein, was in einem gewissen Widerspruch zu den von ihr festgestellten und unten genannten sprachlichen Spezifika von ELF gesehen werden kann; denn englische Muttersprachler würden diese Formen ja nicht verwenden. 7 Während eine Standardsprache im Allgemeinen aufgrund ihrer Kodifizierung in Grammatiken und Wörterbüchern und ihrer Verwendung in der geschriebenen Sprache einen hohen Verbindlichkeitsgrad besitzt, verfügt eine Lingua franca nicht über <?page no="22"?> Claus Gnutzmann 22 des Englischen verwendet diese Form je nach Notwendigkeit, also mal mehr, mal weniger und häufig lange Zeit gar nicht. Als sprachliche Merkmale von ELF werden im Oxford Advanced Learner’s Dictionary (vgl. Seidlhofer 2005) u.a. genannt: • Keine Markierung der 3. Person Sg. Präsens (I like, she like); • Austauschbare Verwendung der Relativpronomina who und which (things who und people which); • Auslassen des definiten und indefiniten Artikels sowie Einfügen derselben, wo sie im Standardenglischen nicht erscheinen (they have a respect for all, he is very good person); • Pluralbildung von Nomen, die im Standardenglischen keinen Plural zulassen (informations, knowledges, advices). Inwieweit es sich hier tatsächlich um ELF-spezifische Formen handelt, ist nicht entschieden. Sie sind bisher in der Forschung vor allem als typische Lernerfehler aus der Fehlerlinguistik oder als Interlanguage-Phänomene aus der Spracherwerbsforschung bekannt. Der durchaus systematische Charakter dieser Abweichungen hat im herkömmlichen Englischunterricht unter Berücksichtigung psychologischer, pädagogischer, aber auch kommunikativer Aspekte („message before accuracy“) schon seit Langem zu einer erhöhten Fehlertoleranz geführt. Anzumerken ist weiterhin, dass sich die Forschungen zu ELF fast ausschließlich auf die mündliche Kommunikation erstreckt haben. 8 Dort, insbesondere im informellen Gesprächskontext, ist es den Sprechern nicht nur möglich, sondern für sie zweckmäßig, eine gemeinsame Kommunikationsplattform mit eigenen, von der englischen Standardsprache abweichenden Regeln auszuhandeln. In den meisten Fällen bedeutet dies faktisch, dass sich der sprachlich überlegene Gesprächspartner dem Kompetenzniveau seines Kommunikationspartners anpasst, um möglichst den Erfolg der Kommunikation sicherzustellen, denn im Allgemeinen haben beide Gesprächsteilnehmer ja ein Interesse am Gelingen der Kommunikation. Das ist ein wesentlicher Grund, verbunden mit dem Prinzip „Let it pass“, wenn man etwas nicht verstanden hat, warum ELF-Interaktionen weitgehend als „robust“ und „konsensual“ beschrieben werden (House 2003, 558). Sollte es jedoch in der ELF-Kommunikation um die Durchsetzung bestimmter Standpunkte und Interessen gehen, z.B. bei Geschäftsverhandlungen, oder um die schriftliche Fixierung von Forschungsergebnissen, z.B. in wissenschaftlichen diese Merkmale und wird in erster Linie in der mündlichen, viel weniger normbasierten Kommunikation verwendet. 8 Eine Ausnahme bildet Mauranen (2012), die bisher einzige Monographie, die vorwiegend das geschriebene wissenschaftliche Englisch nicht-muttersprachlicher Autoren zum Gegenstand hat. <?page no="23"?> Wie nützlich ist Englisch als Lingua franca? 23 Zeitschriften, wird das „Let it pass“-Prinzip wahrscheinlich weniger praktiziert werden. Da die sprachliche Standardisierung vor allem auf eine Kodifizierung der Schriftsprache abhebt und durch sie durchgesetzt wird (vgl. hierzu auch Gnutzmann 2008), erscheint es zweifelhaft, dass Regelhaftigkeiten der mündlichen ELF-Kommunikation in das Regelsystem des Standardenglischen überführt werden. Sie dürften somit für die schriftliche Wissenschaftskommunikation mit Hilfe des Englischen, z.B. in international anerkannten Fachzeit schriften, Monographien und Sammelbänden, im Grunde keine oder kaum Bedeutung haben. Wir halten zweierlei fest: 1. Gemäß dem allgemeinen Verständnis einer Lingua franca als Hilfssprache zwischen Menschen unterschiedlicher Muttersprachen erscheint es nicht gerechtfertigt, von Englisch als Lingua franca in den Wissenschaften zu sprechen, es sei denn, man schließt die englischen Muttersprachler aus, was angesichts ihrer starken Präsenz nicht sinnvoll wäre. Zwar gibt es international geprägte Kommunikationskontexte, die (fast) ausschließlich aus Nicht-Muttersprachlern des Englischen bestehen. 9 Die Vorstellung einer weltweiten schriftlichen Wissenschaftskommunikation mithilfe des Englischen ohne Beteiligung englischer Muttersprachler und ohne entsprechenden Rekurs auf die sprachlichen Normen dieser Gruppe erscheint mir allerdings unrealistisch. 10 2. Eine Verwendung von ELF als eine eigenständige Form des Englischen ohne Bezug zu muttersprachlichen Varietäten des Englischen ist ebenfalls ungeeignet als Medium der schriftlichen Wissenschaftskommunikation, da ihr nicht nur die notwendigen empirischen Grundlagen von wissenschaftlichen ELF-Texten fehlen, sondern auch die Akzeptanz in der weltweiten scientific community. Außerdem wäre es auch in diesem Fall abwegig, ein internationales, englischsprachiges Kommunikationsmedium für 9 Vgl. hierzu das von Mukherjee (2008) vorgestellte Konzept von „English as a Global Pidgin (EGP) in academia“, das er als eine Lingua franca-Version des Englischen beschreibt, die vor allem in den Naturwissenschaften vorkomme, keinerlei Bezüge zu den anglophonen Kulturen aufweise und für die die Unterscheidung von Mutter- und Nicht-Muttersprachlern weitgehend irrelevant sei. 10 Andererseits zeigt sich auch, wie wir im Rahmen eines von der Volkswagenstiftung geförderten Forschungsprojektes mit dem Titel „Publish in English or Perish in German? Wissenschaftliches Schreiben und Publizieren in der Fremdsprache Englisch“, festgestellt haben, dass in wissenschaftlichen Zeitschriften, die besonders stark von nicht-muttersprachlichen Beiträgern und Herausgebern geprägt sind, eine erhöhte Toleranz gegenüber Abweichungen von den sprachlichen Normen der englischen Standardsprache vermerkt werden kann. Dies führt in einigen Fällen letztlich zum „Aufweichen“ bestehender sprachlicher Normen und kann zur Herausbildung modifizierter, neuer Normen beitragen (vgl. Gnutzmann/ Rabe 2014). - <?page no="24"?> Claus Gnutzmann 24 die Wissenschaften zu kreieren, das englische Muttersprachler dezidiert ausschließen würde. Somit ist auch deutlich geworden, dass ELF in den Wissenschaften, insbesondere in schriftlichen Texten, für seine Formen und kommunikativen Funktionen nicht in vergleichbarer Weise Legitimität und Akzeptanz beanspruchen kann wie das Englische als Erstsprache. Das Konzept Englisch als Lingua franca in den Wissenschaften ist auch deshalb nicht unproblematisch, weil dadurch eine kommunikative Gleichheit der Sprecher und Schreiber suggeriert wird, die in der Wirklichkeit nicht vorhanden ist: Für die einen ist das Englische Erstsprache, für die anderen Zweit- oder auch Drittsprache. Hieraus erwachsen im Allgemeinen - unter der Annahme vergleichbarer bildungsmäßiger Voraussetzungen von Nicht-Muttersprachlern und Muttersprachlern des Englischen - unterschiedliche Grade der Sprachkompetenz. Auch wenn von den Protagonisten in der Diskussion des Englischen als Globalsprache alle Benutzer des Englischen zu Besitzern dieser Sprache erklärt werden („English belongs to all its users“), so klingt dies zunächst entgegenkommend, hat aber auch einen gönnerhaften Ton; denn es ist ja in der Tat nicht so, dass alle Sprecher des Englischen an der Weiterentwicklung des Englischen und seiner standardsprachlichen Kodifizierung in gleicher Weise teilhaben würden. Für den mündlichen Sprachgebrauch in der internationalen Wissenschaftskommunikation mag durchaus von einer erheblichen Flexibilität und Normabweichung in der Sprachverwendung - je nach Gesprächskontext und Sprecherkonstellation - ausgegangen werden. Dieses gilt jedoch nicht oder nur in sehr eingeschränktem Umfang für die schriftliche, standardbasierte Wissenschaftskommunikation. 11 Deshalb wäre es angemessener, diese kommunikative Ungleichheit zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern des Englischen anzuerkennen, als sie zu leugnen, wie es häufig der Fall zu sein scheint, z.B. in dem bekannten Buchtitel The Native Speaker is Dead! (Paikeday 1985). Denn nur, wenn man sich der kommunikativen Ungleichheit zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern bewusst ist, 12 lassen sich eine realistische Sichtweise der Problematik und Forderungen nach Überwindung derselben durch kompensatorische Maßnahmen sinnvoll begründen. So wird in einer Publikation 11 Vgl. hierzu die Einschätzung von Hamel (2007, 64): „[T]olerance of foreign pronunciation only superficially covers up the real language and discourse requirements for academic work in English only“. 12 Vgl. hierzu auch die Bewertung des Naturwissenschaftlers Mocikat (2007, 27): „Auch für Wissenschaftler, die das Englische exzellent beherrschen, bleibt Englisch doch eine Fremdsprache insofern, als neue Sachverhalte niemals so treffsicher, stilistisch so nuanciert und so bildhaft wiedergegeben werden können wie in der Muttersprache“. <?page no="25"?> Wie nützlich ist Englisch als Lingua franca? 25 dänischer Forscher berichtet, dass man in Skandinavien offiziell davon ausgeht, die Faktenlage ignorierend, daß alle (dänischen, finnischen, isländischen, norwegischen, schwedischen usw.) Studierenden das Englische so sicher beherrschen, daß ihre Studien durch die Anwendung der Fremdsprache in der Wissensvermittlung nicht beeinträchtigt werden. Es ist politisch unkorrekt, die Qualität der vorhandenen Sprachkenntnisse in Frage zu stellen (Laurén et al. 2004, 8). Deshalb, so heißt es weiter, seien Forschungsergebnisse, die gezeigt haben, dass eine zweisprachige, nicht auf das Englische reduzierte Ausbildung erforderlich sei, um auch die Muttersprache in der Fachkommunikation optimal zu entwickeln, in internationalen Studiengängen in nicht-sprachlichen Disziplinen aus Opportunitätsgründen nicht berücksichtigt worden. 13 Die heutige Rolle des Englischen in den Wissenschaften mit der des als Lingua franca fungierenden Lateinischen im Mittelalter (und auch noch später) zu vergleichen ist nicht zutreffend, wenn nicht sogar irreführend: Im Gegensatz zum Englischen mit seinen ca. 360 Millionen Muttersprachlern, verfügte das Lateinische über keine Muttersprachler, und es war nicht mit einer politischen und wirtschaftlichen Macht verbunden, wie dies beim Englischen heute der Fall ist. 14 Das Englische hingegen fungiert als Medium der nationalen englischsprachigen Kulturen wie auch als Nationalsprache der Supermacht USA. Für die Verwirklichung der Vision einer von Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern gemeinsam gestalteten Weiterentwicklung des Englischen sind das keine allzu günstigen Voraussetzungen. Ebenso schwer fällt es, den Optimismus zu teilen, dass es realistisch sei, eine nicht-englisch-muttersprachlich basierte Wissenschaftssprache wie Globalese (Haberland 1989) oder Globalish (Ammon 2003) zu entwickeln. Zweifellos wäre dies zum Abbau wissenschaftssprachlicher Barrieren eine interessante Perspektive, sie ist aber genauso wenig (sprachen-)politisch durchsetzbar wie der Gebrauch künstlicher Sprachen in der Wissenschaftskommunikation. Aufgrund der bisherigen Diskussion werde ich im Folgenden den Begriff „Englisch als Lingua franca der Wissenschaftskommunikation“ im Kontext internationaler englischsprachiger Veröffentlichungen vermeiden und stattdessen „Englisch als globale/ weltweite Wissenschaftssprache“ verwenden. Letztere wird von Nicht-Muttersprachlern des Englischen mehrheitlich als Fremdsprache verwendet. 13 Zur Rolle des Englischen in internationalen Studiengängen vgl. den Überblicksartikel von Coleman (2006), zu fremdsprachigen Studiengängen Gnutzmann/ Lipski- Buchholz (2013). 14 Zu den unterschiedlichen Voraussetzungen und Funktionen des Englischen und Lateinischen als Wissenschaftssprachen vgl. Phillipson (2003, 40f). <?page no="26"?> Claus Gnutzmann 26 3 Was ist der Nutzen des Englischen als weltweiter Wissenschaftssprache? In einer Online-Untersuchung (Gnutzmann et al. 2004) konnte auf die Frage „Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Englischen zur weltweiten Wissenschaftssprache? “ ermittelt werden, dass von den 2291 auswertbaren Antworten 60% der Befragten die Hinwendung zum Englischen „positiv“ beurteilten, 37% dieser Entwicklung „neutral“ gegenüber standen und 3% sie als „negativ“ einschätzten. Die wichtigsten Begründungen, warum die Rolle des Englischen als positiv einzustufen ist, waren die folgenden: • Erleichterung von Kommunikation/ Verständigung/ Wissenstransfer • Vorteile des Englischen als Weltsprache (bzw. als besonders weit verbreiteter Sprache) • Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache (nicht zwangsläufig Englisch) • Leichte Erlernbarkeit des Englischen Die Gründe für eine ablehnende Haltung des Englischen als weltweiter Wissenschaftssprache sind: • Kommunikations- und Verständnisprobleme durch mangelnde Sprachkompetenz im Englischen • Bedeutungsverlust des Deutschen und anderer Sprachen • Verlust der kulturellen Identität • Bedrohung der deutschen Sprache und anderer Sprachen durch das Englische • Vorteile für englische Muttersprachler gegenüber Nicht- Muttersprachlern • Minderbewertung/ Ausgrenzung von nicht-englischsprachiger Forschung Zum letzten Punkt ein Beispiel aus der Online-Befragung: Geisteswissenschaftliche Sachverhalte und Problemstellungen sind so eng an die Sprache gebunden, dass die alleinige Dominanz des Englischen zu einem Verlust an Wissen, Problembewusstsein, Vielfalt und Kommunikation führen würde. Der Kommentar thematisiert die sprachliche Konstitution von Forschungsgegenständen in „nationalsprachlich geprägten“ Wissenschaften und verweist auf die enge Beziehung zwischen Sprache als Mittel der Erkenntnis in einer Wissenschaft und der Kommunikation der Erkenntnis in eben dieser Sprache. Er lässt die Grenzen einer ‚flächendeckenden‘ Anglophonie in den Wissen- <?page no="27"?> Wie nützlich ist Englisch als Lingua franca? 27 schaften und ihre Auswirkungen in den Geisteswissenschaften deutlich werden. Das folgende Beispiel zeigt, dass sich nicht-muttersprachliche Benutzer des Englischen in ihrer Arbeit erheblichen Nachteilen ausgesetzt sehen: Ich beurteile die Entwicklung des Englischen als Wissenschaftssprache deswegen negativ, weil ich denke, dass dadurch Arbeiten von Personen, die Englisch nicht als Muttersprache sprechen, nicht dieselbe sprachliche Qualität erreichen können und daher - womöglich zu unrecht - auch nicht dasselbe Ansehen. Auch wenn das Englische mittlerweile in allen Fachgebieten verwendet wird, so sind der Grad der Anglophonie (Skudlik 1990) und die Einstellung dazu in den Fächern durchaus unterschiedlich. Die anglophonen Wissenschaften wie die Naturwissenschaften, die Mathematik oder Medizin verwenden die englische Sprache mehr oder weniger ausschließlich und messen der sprachlichen Dimension eines Aufsatzes weniger Bedeutung bei, als dies in den Geisteswissenschaften der Fall ist (vgl. Rabe/ Gnutzmann 2014). In den anglophonen Wissenschaften wird das Englische als Vorteil, ja durchaus als Katalysator für verbesserte Kommunikation und wissenschaftlichen Fortschritt angesehen. Die anglophon geprägten Fächer - Veterinärmedizin, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie, Linguistik - setzen außer dem Englischen noch andere Sprachen für die mündliche wie schriftliche Kommunikation ein. In den sog. nationalsprachlich geprägten Wissenschaften, wie beispielsweise den Sozial-, Rechts- und Geisteswissenschaften, wird hingegen die Übernahme bzw. Vereinnahmung durch anglo-amerikanische Sichtweisen und Wissenschaftsparadigmen kritisch bewertet. So weist der Niederländer de Swaan (2001: 78) mit Blick auf die Sozialwissenschaften darauf hin, dass dort mittlerweile die amerikanische Weltsicht als universell eingestuft wird: „English may now be the universal medium of social science, it certainly is not a neutral medium - on the contrary, it favours American ideas and American authors“. Dies hat beispielsweise zur Folge, so de Swaan, dass vornehmlich amerikanische Wirtschaftsmodelle als globale Standards propagiert würden. Francke (2005) zeichnet ein ähnliches Bild für die Wirtschaftswissenschaften in Deutschland. Er macht geltend, dass die Muttersprachen von nicht-angelsächsischen Ökonomen durch die anglo-amerikanische Wissenschaftssprache verdrängt werden. Er wirft dabei die Frage auf, ob dieser Prozess beeinflussbar ist, so „daß Kenntnisse unterschiedlicher Sprachen zum Schutze unterschiedlicher ökonomischer Kulturen erhalten und weitergegeben werden können“ (ebd., 34). <?page no="28"?> Claus Gnutzmann 28 4 Zusammenfassung und Perspektiven Ich fasse einige wichtige Vorzüge und Nachteile des Englischen als weltweiter Wissenschaftssprache zusammen und formuliere daran anschließend einen Vorschlag, wie der kommunikativen Benachteiligung von Nicht-Muttersprachlern im Hochschulkontext möglicherweise begegnet werden kann. Vorteile Nachteile Kommunikation „für alle“ und Wissenstransfer werden erleichtert. Es gelten (im Schriftlichen) die Regeln der englischen Standardsprache. Englische Muttersprachler (Verlage, Herausgeber etc.) fungieren als „gatekeepers“ von Korrektheit. Führt zu Ersparnis von Lernaufwand, Zeit und Geld für Nicht- Muttersprachler des Englischen, wenn… nur eine Fremdsprache (Englisch) erlernt werden muss, Übersetzungen werden entbehrlich. Zusätzliche Investitionen notwendig für Nicht-Muttersprachler, die Englisch als weitere Sprache lernen müssen. Sprachliche und wissenschaftliche Vielfalt gehen verloren. Das Englische bezieht insbesondere Wissenschaftler „kleiner“ Sprachen ein. Diese Autoren erhalten dadurch eine größere Leserschaft. Wissenschaftler, deren Muttersprachen vor einiger Zeit noch eine wichtige Rolle spielten, verlieren an Einfluss und Prestige. Bedeutsame, nicht auf Englisch verfasste Forschungen von Nicht-Muttersprachlern werden nicht oder kaum wahrgenommen. Auch Nicht-Muttersprachlern steht der Weg zu prestigeträchtigen englischsprachigen Fachzeitschriften offen. Sie werden dadurch auch international „sichtbar“. Nur mit erheblichem zusätzlichem Aufwand ist der Zugang zu prestigeträchtigen englischsprachigen Fachzeitschriften möglich. Abb. 1: Vorzüge und Nachteile des Englischen als weltweiter Wissenschaftssprache Die Verwendung des Englischen in der wissenschaftlichen Kommunikation hat, wie wir gesehen haben, sehr breite Zustimmung, aber auch Indifferenz und Ablehnung hervorgerufen. Die Reaktionen sind durch verschiedene Faktoren bestimmt. Hierzu gehören das jeweilige Fachgebiet, die kulturellen und politischen Implikationen des Englischen als Medium der Wissenschafts- <?page no="29"?> Wie nützlich ist Englisch als Lingua franca? 29 kommunikation sowie die Sprachverwendung durch Muttersprachler bzw. Nicht-Muttersprachler. In den Naturwissenschaften fungiert das Englische fast ausschließlich als Medium weltweiter Kommunikation. Somit ist die Anglophonie die Kommunikationsnorm in diesen Disziplinen, auch für Buch- und Zeitschriftenpublikationen außerhalb der englischsprachigen Länder. Da Forschung in den Naturwissenschaften und der wissenschaftliche Diskurs darüber sehr häufig als kultur- und sprachunabhängig angesehen werden, wird die Kommunikation mittels einer gemeinsamen und universell anwendbaren Sprache in diesem Bereich im Allgemeinen als eine positive und erstrebenswerte Entwicklung erachtet. Anders hingegen stellt sich die Rolle des Englischen als „Universalsprache“ im Bereich der Rechts-, Sozial- und Geisteswissenschaften dar. Diese Fachgebiete werden stets mit Sprache und Kultur in Verbindung gebracht, d.h., ihre Untersuchungsgegenstände sind mit den jeweiligen Sprachen und Kulturen eng verbunden. Hier gibt es eine reale Befürchtung, dass die Verwendung des Englischen zu einer Verdrängung kulturgebundener Wissenschaftsparadigmen und zu einer wissenschaftlichen, angelsächsisch dominierten, Monokultur führe. So wäre eigentlich zu erwarten, dass diese Disziplinen auf wissenschaftliche Mehrsprachigkeit setzen und nur einen geringen Grad an Anglophonie aufweisen. Allerdings zeigen die Veröffentlichungsstatistiken inzwischen klar, dass selbst in diesen Fachgebieten der Gebrauch des Englischen signifikant angestiegen ist und demzufolge auch in diesen Wissenschaften das Englische zur vorherrschenden Sprache wurde. Mit Blick auf die Ausgangsfrage bleibt festzustellen, dass es sich beim Englischen zweifelsfrei um eine nützliche, aber nicht unbedingt „leichte“ Sprache der Wissenschaften handelt, wenn man es nicht bei BSE („Bad Simple English“) belassen will. In diese Sprache muss folglich investiert werden. Anfragen des Typs „Sie sind doch Anglist, können Sie mir mal schnell ein Manuskript durchsehen, ich muss übermorgen einen Vortrag in Birmingham halten“ sollte man wohl besser ignorieren, auch um den Fragenden vor Augen zu führen, dass es mit einer einfachen Übersetzung eben nicht getan ist. Die Einrichtung eines forschungsbasierten englischen Sprachenservice in Universitäten erscheint ein dringendes Desiderat. Eine solche Einrichtung könnte wirkungsvolle Hilfe bzw. Starthilfe bei der Abfassung und Korrektur von englischsprachigen Manuskripten leisten sowie Übersetzungsdienste anbieten. Des Weiteren sollte ein angemessenes Angebot englischer Sprachkurse, gerade auch zur geschriebenen Sprache und zur schriftlichen Fachkommunikation, zur Verfügung stehen. Fairerweise muss man feststellen, dass die Sprachenzentren in vielen Universitäten ausgebaut worden sind, was das Englische anbelangt, allerdings haben die anderen Sprachen nicht in derselben Weise mitziehen können. Vor allem in den anglophon geprägten und <?page no="30"?> Claus Gnutzmann 30 nationalsprachlich geprägten Wissenschaften wäre es wichtig, wissenschaftliche Mehrsprachigkeit und somit auch Multiperspektivität der Forschung zu fördern. Das heißt ebenfalls, ein sprachkritisches Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Verwendung des Englischen in den Wissenschaften weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung für Spitzenforschung sein muss. Literatur Ammon, Ulrich (2003): „Global English and the non-native speaker. Overcoming disadvantage“. In: Tonkin, Humphrey/ Reagan, Timothy (eds.): Language and the 21st Century. Selected Papers of the Millennial Conferences of the Center for Research and Documentation on World Language Problems, held at the University of Hartford and Yale University. Amsterdam, Philadelphia: Benjamins, 23-34. Bußmann, Hadumod (1990): Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart: Kröner. Coleman, James A. (2006): „English-medium teaching in European higher education“. In: Language Teaching 39, 1-14. De Swaan, Abram (2001): „English in the social sciences“. In: Ammon, Ulrich (ed.): The Dominance of English as a Language of Science. Effects on other Languages and Language Communities. 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Dies verwundert insofern, als in vielen Schulen (in der Mehrzahl Gymnasien) die Lehrer/ innen sich z.B. wegen des zeitgleichen Beginns zweier Fremdsprachen sehr konkret mit der methodischen Herausforderung des sprachenvernetzenden Lehrens und Lernens konfrontiert sehen (vgl. Hallet/ Königs 2013, 304). Eine unterrichtspraktisch sehr wertvolle, das Mehrsprachigkeitslernen fördernde Arbeit wird daher von Fremdsprachenlehrer/ innen selbst geleistet, indem sie in Eigenregie Instrumente des sprachenvernetzenden Lernens entwickeln und erproben. Diese sind wichtig und unverzichtbar, z.B. bei der gleichzeitigen Einrichtung von Latein und Englisch ab der 5. Klasse (vgl. z.B. MBWWK RLP 2014) oder zur allgemeinen Förderung der Bereitschaft zum Fremdsprachenlernen. Jedoch stellt die systematische Entwicklung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze und Methodiken durch die Fremdsprachendidaktiken gerade im Hinblick auf das bereits tatsächlich stattfindende Mehrsprachigkeitslernen nach wie vor ein Desiderat erster Güte dar. Die Fremdsprachendidaktik muss sich vorhalten lassen, bisher nur wenige Instrumente mehrsprachigen Lehrens und Lernens für den schulischen Fremdsprachenunterricht vorgeschlagen zu haben. Vermutlich ist einer der Hauptgründe dafür die ‚monolinguale‘ Orientierung der Einzelsprachdidaktiken, die sich für die jeweils eigene Sprache zuständig fühlen und Expertise exklusiv für diese entwickeln. Das ist verständlich, jedoch beruht die Einsicht in die Notwendigkeit einer Mehrsprachigkeitsdidaktik andererseits ja gerade darauf, dass Sprachlernende stets, und zwar auch ohne explizite Aufforderung <?page no="34"?> Wolfgang Hallet 34 oder Instruktion, kognitiv auf ihr gesamtes sprachliches Wissen und das darin enthaltene Welt- und Erfahrungswissen rekurrieren. Diese metakognitive Reaktion können Lernende - auch bei noch so strikter ‚Einsprachigkeit‘ des Unterrichtsdiskurses - gar nicht abschalten. Allerdings verweilt diese Art der Sprachenvernetzung ohne Anleitung auf einer intuitiven und unsystematischen Ebene; die Entfaltung und Entwicklung metasprachlicher und metakognitiver Strategien zu einer echten Mehrsprachigkeits- und Sprachlernkompetenz ist weitgehend dem Zufall überlassen und bleibt damit rudimentär. Auf diese Weise leisten die ‚einsprachigen‘ Fremdsprachendidaktiken paradoxerweise ihren eigenen Beitrag zum ‚monolingualen Habitus der multilingualen Schule‘ (vgl. Gogolin 1994). Eines der am weitesten entwickelten und wertvollsten Mehrsprachigkeitskonzepte stellt die Interkomprehensionsdidaktik dar. Diese setzt auf eine rezeptiv orientierte mehrsprachige Verstehensstrategie, die durch das Entdecken und Wahrnehmen von bereits bekannten sprachlichen Elementen und Strukturen das Verstehen von Texten in unbekannten oder nur rudimentär bekannten Sprachen ermöglicht (vgl. z.B. Doyé 2005; Doyé/ Meißner 2010; Meißner 2005; Meißner 2011 sowie die Beiträge in Meißner et al. 2011). Zwar gehören prinzipiell alle sprachlichen Kenntnisse und alle möglichen anderen Arten des Wissens, vom kommunikations- und handlungspragmatischen Schemawissen über spezifisches kulturelles und Alltagswissen bis hin zum allgemeinen Weltwissen (vgl. Doyé 2005, 14ff; empirisch Morkötter 2010), zum zu aktivierenden, verstehensfördernden Vorwissen, aber im Wesentlichen und praktisch handelt es sich doch um die Nutzbarmachung von „sprachtypologischen Verwandschaftsbeziehungen zwischen den Sprachen einer Sprachfamilie mit unterschiedlicher Reichweite und unterschiedlichem Abstraktionsgrad“ (Königs 2010, 36). Alles Weitere, beispielsweise die Aktivierung von Welt- oder intertextuellem Wissen, verlangt auf Seiten der Lernenden nach recht komplexen metasprachlichen und metakognitiven Strategien, die systematisch eingeübt und aufgebaut werden müssen. Diese sind, nicht zuletzt wegen des hohen Grades an Individualität des Wissens und der kognitiven Strategien, jedoch sehr schwer zu systematisieren und damit auch zu didaktisieren. Neben einigen bekannten Problemen wie dem Umgang mit false friends oder der Frage der Sprachproduktion besteht eine der zentralen Problematiken der Interkomprehensionsdidaktik in ihrem beinahe ausschließlichen focus on form . Man kann heute davon ausgehen, dass ein solcher Fokus bestimmten, nämlich sehr stark kognitiv und metakognitiv orientierten Lernenden in ihrem Sprachlernverhalten entgegenkommt. Für viele andere stellt das formen- und strukturenbasierte Sprachlernen jedoch ein echtes Motivationsproblem dar. Für sie plausibilisiert und legitimiert sich das Sprachlernen eher <?page no="35"?> Mehrsprachiges Lernen im Fremdsprachenunterricht 35 oder ausschließlich über die Inhalte und Themen, zu denen man sich kommunikativ austauschen und diskursiv engagieren kann. Die Vorschläge in diesem Beitrag gehen daher davon aus, dass sich mehrsprachiges Lernen am ehesten in der Auseinandersetzung mit und der Verhandlung von relevanten und bedeutungshaltigen Themen und Problemlagen entwickeln und gestalten lässt. Zu den wenigen Systematisierungen, die sich operationalisieren, curricular stufen und unterrichtspraktisch wirksam machen lassen, gehört die Unterscheidung der Art der Relation von lernerseitig vorhandenem sprachlichen Wissen und neuen fremdsprachlichen Texten oder Kommunikationssituationen. Es lassen sich drei Arten unterscheiden: • Die „retrospektive Mehrsprachigkeit“; ihr lässt sich die Interkomprehension zuordnen, die sich, wie alle auf sprachliche Wiedererkennung zielenden Lernarten, „auf die bereits internalisierten und bis zu einem gewissen Grad beherrschten Sprachen einschließlich der Muttersprache bezieht“ (Königs 2010, 36). • Die „prospektive Mehrsprachigkeit“, die „den Aufbzw. Ausbau einer Mehrsprachigkeitskompetenz beinhaltet“ (Königs 2010, 36) und die Sprachlernbereitschaft im weiteren Verlauf des Bildungsgangs förden soll (vgl. Königs 2004). • Die parallele Mehrsprachigkeit, die sich auf das gleichzeitige Erlernen mehrerer Zweit- oder Fremdsprachen bezieht; dieses ist immer dann der Fall, wenn im Fremdsprachenunterricht z.B. auf gleichzeitig im Deutschunterricht Erlerntes Bezug genommen wird, wenn der Bilinguale Unterricht in deutschsprachigen Anteilen auf das zugleich fremdsprachig erworbene Sachfachwissen Bezug nimmt oder wenn gleichzeitig einsetzende Fremdsprachen (z.B. Latein/ Englisch oder Englisch/ Französisch) aufeinander Bezug nehmen. In dieser Systematisierung stecken wichtige Hinweise auf mit dem Mehrsprachigkeitslernen verbundene Kompetenzziele und curriculare Stufungen, auf mögliche Mehrsprachigkeitsmethodiken und nicht zuletzt auf Arten der Kooperation zwischen den beteiligten Lehrpersonen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, eine grundsätzliche Unterscheidung einzuführen zwischen synchroner und diachroner Mehrsprachigkeit, die es ermöglicht, auch sog. alte Sprachen wie Latein oder Altgriechisch oder ältere Sprachstufen, beispielsweise Althochdeutsch oder Alt- und Mittelenglisch, in das System des Mehrsprachigkeitslernens zu integrieren. Dies kann besonders deshalb sinnvoll sein, weil alte Sprachen und Sprachstufen sich auf vielfache Weise, vor allem sprachstrukturell und lexikalisch, aber auch generisch und text- oder literarhistorisch, deutlich als Brücken zwischen verschiedenen <?page no="36"?> Wolfgang Hallet 36 Sprachen erweisen. Durch das historisch aus ihnen hervorgegangene Welt- und Textwissen sind sie oft erstaunlich gut zugänglich (vgl. Hallet 2013; Rummel 2013). Daher sollten, wo immer möglich, auch alte Sprachstufen und Sprachen in ein System sprachenvernetzenden Lernens einbezogen sein. Mit diesen wichtigen, weil curricular wie unterrichtspraktisch relevanten Unterscheidungen ist aber noch nicht die Frage gelöst, wie ein Mehrsprachigkeitsunterricht jenseits der Ebene sprachentypologischer oder sprachstruktureller Ähnlichkeiten aussehen kann. Eine aussichtsreiche Weiterentwicklung kann eigentlich nur in der Hinwendung zu Prinzipien des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts und zum übergeordneten Ziel fremdsprachlicher Diskursfähigkeit liegen. In einem daran orientierten Mehrsprachigkeitsunterricht rücken die Inhalte und Gegenstände in den Vordergrund. Die sprachlichen Formen und damit auch strukturelle oder lexikogrammatische Merkmale werden damit nicht übergangen; vielmehr werden sie in ihrem dienenden, funktionalen Charakter erkennbar. Im nächsten Abschnitt soll dargestellt werden, wie man sich ein solches inhalts- und kommunikationsorientiertes Mehrsprachigkeitslernen vorstellen muss. 2 Arten des sprachenvernetzenden Lernens Eine Besinnung auf die Prinzipien des kommunikativen Sprachunterrichts bringt für das Mehrsprachigkeitslernen einige wichtige Merkmale mit sich, die auch sonst für einen lernerorientierten, motivierenden Unterricht gelten. Insbesondere handelt es sich dabei um die Einführung relevanter, bedeutungshaltiger Inhalte, die sich an lebensweltlichen Problemlagen, an den Erfordernissen der Teilhabe an Diskursen und einer reflexiven Haltung zur umgebenden Wirklichkeit orientieren. Mehrsprachigkeitsunterricht muss zugleich die Mehrsprachigkeit gesellschaftlicher Diskurse und kultureller Interaktion imitieren und modellieren, aus der ja nicht zuletzt eine der wichtigsten Begründungen für die Notwendigkeit mehrsprachigen Lernens resultiert. Mit dieser Orientierung an der Mehrsprachigkeit lebensweltlicher Situationen ist auch das Erfordernis der Imitation und Einübung in lebensweltliche interlinguale Kommunikationsstrategien und -techniken verbunden wie die Verabredung einer gemeinsamen Arbeitssprache (ähnlich wie im Bilingualen Unterricht), die Sprachmittlung (Hallet 2008a; Königs 2004) oder das Code Switching (vgl. Königs 2013). In den im Folgenden skizzierten Arten der Mehrsprachigkeitsarbeit, die jeweils an einem thematischen Beispiel erläutert werden, müssen diese inter- und translingualen Kommunikationsweisen stets mitgedacht werden, ohne dass sie hier jeweils benannt werden können. Die in diesem Abschnitt vorzustellenden Unterrichts- und Lernkonzepte beruhen auf der Vorstellung, dass das Material- und Aufgabenarrangement <?page no="37"?> Mehrsprachiges Lernen im Fremdsprachenunterricht 37 die Mehrsprachigkeit des jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Diskurses abbildet und den Lernenden damit eine Vorstellung davon vermittelt, dass viele, zum Teil sehr zentrale Wirklichkeitsausschnitte und Diskurse nicht monolingual verfasst sind und sprachlich wie textuell nur mehrsprachig adäquat repräsentiert werden können. Erst die sprachliche, kulturelle und historische Mehrfachperspektivierung ermöglicht die Erfahrung von Differenzen, transkulturellen Ähnlichkeiten, Analogien oder Gemeinsamkeiten sowie historischer Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Auch liegt es auf der Hand, dass die Sprachkombination, die für ein konkretes Unterrichtsvorhaben gewählt wird, sich stets an den in einer Lerngruppe verfügbaren oder interkomprehensiv erreichbaren Sprachen sowie an deren Sprachstand, an der bereits entwickelten Mehrsprachigkeitskompetenz und an der zur Verfügung stehenden Zeit orientieren muss. Stets sollte zur Vermeidung von Überforderung das Prinzip start small gelten: Es ist günstig, die Arbeit mit mehrsprachigen Text- und Materialarrangements zunächst mit kurzen Texten und kleineren, überschaubaren Textkombinationen zu beginnen, um die Arbeitsweisen der Schüler/ innen beobachten zu können und ihre Mehrsprachigkeitskompetenz behutsam aufzubauen. Die Berücksichtigung der nicht-deutschen Muttersprachen einer Lerngruppe im Sprach- und Arbeitsmaterial bietet die Chance, diese normalerweise aus der Schulbildung ausgeschlossenen Sprachen im Lernprozess manifest zu machen und wertzuschätzen, ggf. auch dadurch, dass Lernende selbst Texte in ihrer Muttersprache in das Materialarrangement einbringen und diese den anderen Mitgliedern der Lerngruppe durch Mediation zugänglich machen. Mehrsprachigkeit bedeutet in einem solchen Materialarrangement also immer auch Multitextualität; diese wiederum ermöglicht die kulturelle Mehrfachperspektivierung eines Themas oder Diskurses und die Einbeziehung der Erstund/ oder Zweitsprachen der Lernenden zur Integration einer großen Bandbreite an lebensweltlichen Erfahrungen, Kognitionen und Prägungen. Wenn im Folgenden einzelne Arten des Mehrsprachigkeitslernens vorgeschlagen werden, dann soll das sprachstrukturelle und lexikalische Lernen nicht etwa dadurch ersetzt werden. Vielmehr ist dieses als integrales Element im Sinne eines focus on form in einem prinzipiell inhaltlich-thematisch orientierten Unterricht ( focus on content ) zu denken. Konzept-Lernen: ‚Familie‘ Mit diesem Begriff wird auf zentrale lebensweltliche Vorstellungen rekurriert, die unser Weltverstehen, unsere kulturellen Denkmuster und unsere Vorstellungen vom sozialen Zusammenleben prägen. Eine Thematisierung und <?page no="38"?> Wolfgang Hallet 38 sprachliche wie kulturelle Mehrfachperspektivierung ist deshalb wertvoll und bildend, weil sie den reflektierten Umgang, die kulturelle Kontextualisierung und die historische Relativierung lebensweltlicher Erfahrungen und vertrauter, scheinbar ‚natürlicher‘ Konzepte ermöglicht. Am Beispiel ‚Familie‘ lässt sich das sehr gut verdeutlichen. Die pluralisierten Familienkonzepte des 21. Jahrhunderts, das gleichzeitig präsente Modell der traditionellen Kleinfamilie und die große Bandbreite der Familienmodelle, die vermutlich in jeder Lerngruppe vertreten sind - von der one-parent family bis zur Mehrgenerationen- Großfamilie - werden auf diese Weise im Lichte anderer (ggf. auch historischer) Modelle als gewordene und gesellschaftlich konventionalisierte Lebensmodelle erkennbar. In Lehrwerken sind solche Familien auch für die modernen Fremdsprachen meistens Teil der storyline (die ‚Lehrwerk- Familien‘). Daher bieten die Lehrwerke vielfältige visuelle und textuelle Anknüpfungspunkte, mittels derer Familienerfahrungen in englisch-, französisch- oder spanischsprachigen Familien der Gegenwart, anhand des Latein- Lehrwerks ggf. aber auch in historischen Kontexten, thematisiert werden können. In einem mehrsprachigen Text- und Bildarrangement, eventuell unter Einschluss von Filmausschnitten und literarischen Texten, lassen sich unterschiedliche Auffassungen von Familie nebeneinander stellen, Kontinuitäten in den Rollenbildern und in der familiären Arbeitsteilung verdeutlichen, aber auch sozialer und kultureller Wandel sichtbar machen. Ein solches mehrsprachiges Materialarrangement regt die Lernenden bei einer entsprechenden Aufgabenstellung zum Vergleich der eigenen Lebensformen und Lebensgewohnheiten oder des pluralisierten Familienbegriffs der westlichen Gegenwartsgesellschaften (Ehe und Lebenspartnerschaften, oneparent families , gleichgeschlechtliche Partnerschaften usw.) mit anderen Familienmodellen an. Damit können nicht zuletzt vorschnelle binäre Oppositionen und Stereotypisierungen (‚die ‛ deutsche vs. ‚die ‛ britische oder ‚die ‛ französische Familie), wie sie oft mit interkulturellen Ansätzen verknüpft sind, vermieden werden; ‚Familie‘ als Lebensentwurf wird mehrfach perspektiviert und unterschiedlich versprachlicht. Kulturhistorisches Lernen: Olympia Am Beispiel ‚Olympia ‛ wird deutlich, dass sich bedeutende gesellschaftliche Institutionen und ritualisierte gesellschaftliche Ereignisse über Jahrzehnte und Jahrhunderte zu festgefügten Einrichtungen entwickelt haben. Sie haben eine (in diesem Fall: idealisierende) Ursprungsidee, eine multi- und transnationale Geschichte, die die Betrachtung der jeweiligen historischen und politischen Kontexte erfordert, und sie unterliegen einem Wandel, dessen Endpunkt die gesellschaftliche, politische und kulturelle Rolle des Ereignisses <?page no="39"?> Mehrsprachiges Lernen im Fremdsprachenunterricht 39 oder der Institution darstellt. ‚Olympia ‛ ist ein gutes Beispiel für eine von Beginn an transnationale, transkulturelle und multilinguale Einrichtung, der das mehrsprachige Lernen sehr angemessen ist. Viele weitere, oft machtvolle Institutionen lassen sich benennen, die auf ähnliche Weise verfasst sind: die UNO, die NATO oder die Europäische Union. Aber es lassen sich auch lebensweltlich konkreter erfahrbare Beispiele finden wie z.B. die Entwicklung und Herausbildung der staatlich-institutionellen Schulbildung, die Geschichte der Kinderarbeit seit dem 19. Jahrhundert, die Automobilproduktion oder die Herausbildung der Sportart Fußball (vgl. Hallet et al. 2006). In ein kulturhistorisches Unterrichtsarrangement müssen solche Texte und Materialien integriert werden, die in verschiedenen Jahrhunderten und Kontexten Schlaglichter auf bestimmte historische Ausformungen des jeweils gewählten Phänomens werfen, im Fall Olympia also z.B. auf die historischen und politischen Besonderheiten des jeweiligen Austragungsortes und die damit verbundenen Funktionalisierungen, besondere Ereignisse oder Wendepunkte in der Entwicklung von Paris 1900 über Berlin 1936 und Sydney 2000 bis zu Peking 2008 und London 2012 (vgl. die Vorschläge in Hallet 2008b). Auch hier gilt, dass die Texte (und Bilder! ) in den verschiedenen Sprachen sehr einfacher Art sein können und müssen, dennoch aber die jeweiligen Besonderheiten sehr gut erfassen können. Mit Blick auf die verschieden gut ausgeprägten Sprachfähigkeiten in einer Lerngruppe in verschiedenen Sprachen ist es geboten, außer Sachtexten in mehreren Sprachen auch visuelle und grafische Darstellungen sowie literarische Texte mit aufzunehmen. Gerade beim Thema Olympia unterstützt die Multimodalität und Visualität des Informationsangebotes die Verstehens- und Verarbeitungsprozesse; sie entspricht im Übrigen der weitgehend medialisierten Repräsention des Ereignisses und den Wahrnehmungsgewohnheiten der Lernenden. Generisches Lernen: A day in my life Sprache ist ein kulturelles und individuelles Werkzeug der Strukturierung, der kognitiven Verfügbarmachung und der diskursiven Repräsentation von Erfahrungen und Wahrnehmungen der Alltagswelt. Text- und Diskursgattungen dienen nicht zuletzt diesem Zweck: Ein Tagesablauf lässt sich diskursiv am besten in Form eines chronologisch organisierten Narrativs fassen und an andere kommunizieren. Daher gehören solche Genres wie der Tagesablauf, aber auch der argumentative Dialog oder der persönliche Brief zum kulturellen Grundbestand einer Gesellschaft. Sie stellen Individuen kulturell konventionalisierte Muster der Kommunikation und der Interaktion zur Verfügung. Diese Muster und diskursiv-interaktionalen Formen sind über Jahrhunderte <?page no="40"?> Wolfgang Hallet 40 gewachsen (daher auch in älteren Sprachstufen auffindbar) und oft so ‚natürlich ‛ , dass sie, wie z.B. das informelle persönliche Gespräch, gar nicht als kulturelle Muster wahrgenommen werden. Verschiedene Sprachen und Kulturen entwickeln spezifische Rhetoriken für ihre Genres, aber viele Muster, wie A day in my life, sind auch transkultureller Natur. Daher repräsentiert das narrative Genre ‚Tagesablauf‘ einerseits transkulturell übertragbare, leicht wiedererkennbare Wahrnehmungen und Erfahrungen; andererseits sind in diesem Genre sehr gut kulturspezifische Grundmuster (Routinen, soziale Interaktionen, Institutionen, Normen usw.) identifizierbar. Daher verwundert es nicht, dass fast alle modernen Fremdsprachenlehrwerke dieses Genre auf die eine oder andere Weise aufgenommen haben und vielfältige Anregungen, Aufgaben und Übungen dazu bereithalten. Diese müssen dann durch Texte und anregende Materialien aus anderen Sprachen ergänzt werden, sodass Kontraste, Differenzen und Ähnlichkeiten sichtbar werden. Für solche lebensweltlich und kulturell wichtigen und wirksamen Genres, die sich gerade im mehrsprachigen Vergleich gut aufschließen, lassen sich zahlreiche andere Beispiele finden und für den Fremdsprachenunterricht entwickeln. Eines davon sind z.B. die authentischen Kurzbiografien von bekannten Persönlichkeiten, etwa von Fußballern, wie sie im mehrsprachigen Arbeitsheft Football - le football - el fútbol (Hallet et al. 2006) in den drei Sprachen der Stars Beckham, Zidane und Raúl präsentiert werden. Hier können die Lernenden wegen der großen Übereinstimmung der generischen Grundmuster dieser Biographien auch ohne Kenntnis der einzelnen Sprache die wichtigsten Eckdaten herausfiltern und - wie in diesem Fall verlangt - in ein tabellarisches Raster eintragen. Die Translingualität und Transkulturalität solcher Muster können ein wichtiger Motor mehrsprachigen Lernens sein. Globales Lernen: Migration Allein schon das Wort verrät, dass es sich bei ‚Migration‘ um ein globales, in allen Sprachen gleichermaßen präsentes Phänomen handelt, vom Lateinischen bis zum Spanischen, Englischen oder Deutschen. Wenngleich der Begriff reichlich unspezifisch ist und Phänomene der Flucht und Vertreibung bis hin zur Arbeitsmigration und Auswanderung umfasst, so handelt es sich doch um ein globales Phänomen, dem die Mehrsprachigkeit besonders angemessen ist. Denn die Wanderung von der einen in die andere und zwischen verschiedenen Kulturen ist stets mit schwierigen sprachlichen Konstellationen und mit Kommunikationssituationen verbunden, in denen Mehrsprachigkeitsstrategien eine besondere Rolle spielen. Migration lässt sich angemessen jedoch stets nur in einzelnen Ausprägungen erfassen; gegenwärtig ist die Armutswanderung aus Osteuropa und Afrika nach Zentraleuropa medial <?page no="41"?> Mehrsprachiges Lernen im Fremdsprachenunterricht 41 stark präsent. Sie bestimmt einen europäischen politischen Diskurs, in dem es um die Ursachen, um Fragen der Grenzziehung und der Abschottung oder um Abhilfe und Prävention, Hilfe und Solidarität geht. Ein solches, buchstäblich den Globus umfassendes sozioökonomisches und politisches Problem und der damit verbundene (unvermeidlich) globale Diskurs bieten vielfältige Möglichkeiten der Abbildung und des globalen Lernens in einem mehrsprachigen Unterricht. Wenn es z.B. um Armutsflucht und -migration gehen soll, kann ein multilinguales Text- und Materialarrangement die Lernenden zu einer ausgewogenen, viele Stimmen und Positionen beachtenden Beschäftigung mit den Ursachen und Folgen der Flucht bewegen. Denkbar ist z.B. die (multitextuelle und multilinguale) Versammlung der originalen Stimmen von Flüchtlingen, die wegen der politischen oder ökonomischen Verhältnisse in ihrer Heimat nach Zentraleuropa geflohen sind und dort eine neue Zukunft suchen. Diese können in Form von Selbstauskünften oder videographierten Interviews in verschiedenen Sprachen als Textgrundlage dienen; ergänzt werden können diese durch Fernseh- Reportagen, Dokumente auf zahlreichen Webseiten oder auch Zahlen und Darstellungen internationaler Organisationen, die mit der Flüchtlingshilfe oder -problematik befasst sind. Die Globalität des Phänomens, das Betroffensein der Ursprungswie der Einwanderungsländer sowie die Vielzahl der internationalen Äußerungen und politischen Positionen zur Armutsmigration verdeutlichen die Grenzen einer jeden monolingualen Annäherung an dieses globale Phänomen und lassen eine angemessene Annäherung eigentlich nur auf dem Weg des mehrsprachigen Lernens zu: Globales Lernen ist notwendigerweise mehrsprachig. Literarisches Lernen: Holocaust Survivor-Erzählungen Zwar sind die oben angesprochenen Erfahrungen der Flucht und Migration in beinahe jedem individuellen Fall mit dramatischen und traumatisierenden Erfahrungen verbunden; dennoch ist die Flucht vor dem mörderischen nationalsozialistischen Regime historisch unvergleichlich. Im Holocaust sind nicht nur Millionen Menschen jüdischer Herkunft und andere ausgegrenzte Ethnien und Gruppen ermordet worden, sondern ebenso viele Menschen konnten dem Tod nur durch Flucht und Exil entkommen. Von vielen dieser Holocaust-Flüchtlinge sind autobiographische Erzählungen der traumatischen Erfahrungen der Flucht und Vertreibung überliefert. Da liegt es auf der Hand, dass der Diskurs vom Überleben unterm Holocaust, der Millionen Opfer nationalsozialistischer Verfolgung rund um dem Globus und in zahlreiche Länder verschiedener Sprache trieb, in seiner Mehrsprachigkeit und Globalität nur in einem mehrsprachigen Unterricht erfasst werden kann. <?page no="42"?> Wolfgang Hallet 42 Eine Besonderheit dieses Diskurses ist, dass für viele Überlebende des Holocaust die eigenen Erlebnissse nicht in unmittelbarer, sondern nur in fiktionaler oder fiktionalisierter Form erzählbar waren und sind. Vor dem Hintergrund des transnationalen und transkontinentalen Vernichtungsfeldzuges der Nationalsozialisten und den notwendigerweise globalen Fluchtwegen der Verfolgten ist es nicht überraschend, dass es solche Survivor -Erzählungen in beinahe allen Sprachen gibt. Für die Schule sind Kindheiten unterm Holocaust von besonderem Interesse, und viele Romane und Erzählungen vom Überleben verfolgter Kinder sind berühmt geworden wie Judith Kerrs When Hitler Stole Pink Rabbit, W.G. Sebalds Roman Austerlitz, dessen Titelheld seine transeuropäische Geschichte des Kindertransports rekonstruiert, oder auch Roberto Benignis tragikomischer Spielfilm La vita è bella . Eine mehrsprachige Unterrichtseinheit, die solche Erzählungen (oder Ausschnitte daraus) und Zeugnisse aus möglichst vielen Sprachen versammelt, kann den Lernenden einen Eindruck geben sowohl von der traurigen Einzigartigkeit eines jeden einzelnen Schicksals als auch von den traumatisierenden Grundmustern einer Kindheit unterm Holocaust (vgl. zu allem Hallet 2002, Kap. 8). 3 Zentrale Desiderate: Lehrerbildung und Aufgabenentwicklung Wenn die oben vorgeschlagenen Arten und Wege mehrsprachigen Lernens nicht einzelne Schlaglichter im Verlauf des Fremdsprachenlernens bleiben sollen, sondern von Beginn an immer wieder in den Unterricht der Einzelsprachen implementiert werden, kann man sich den sukzessiven Aufbau einer Mehrsprachigkeitskompetenz erhoffen, die jenseits sprachstruktureller Metakognition mit der Aktivierung des jeweils erforderlichen Weltwissens, eines spezifischeren thematischen Wissens, eines intertextuellen und generischen Wissens sowie mit entsprechenden Textverstehensstrategien verknüpft ist. Die in den o.a. Lernarten erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in verschiedenen Sprachen können dann auch auf der Ebene der Arbeit mit dem Einzeltext aktiviert werden. Entsprechend angeleitet können die Schüler/ innen lernen, wie sie für einen Text in einer unbekannten oder weniger geläufigen Sprache ihr Vorwissen systematisch für die Texterschließung nutzen können. Beispielsweise erhalten die Lernenden für das Verstehen eines mittelalterlichen englischen Textes aus der Artussage zehn Textverstehenskarten mit Leitfragen, die sie dazu anhalten, auf allen Ebenen des Textes, vom einzelnen Wort über ihr Alltagswissen bis zum plot der Sage, nach Bekanntem, Ähnlichem, Verwandtem oder Wiedererkennbarem Ausschau zu halten (vgl. Hallet 2013). Diese Methode lässt sich auf Texte in allen Sprachen anwenden, geht aber weit über die Interkomprehension hinaus. <?page no="43"?> Mehrsprachiges Lernen im Fremdsprachenunterricht 43 Methodiken wie diese entstehen aber nicht von selbst. Wenn mehrsprachiger Unterricht curriculares Allgemeingut und ein Bildungserfolg werden soll, muss mehrsprachiges Lehren und Lernen ein Standardthema in der (einzelsprachlichen) Lehrerausbildung werden. Denn auch dort herrscht nach wie vor die Einsprachigkeit als zentrales Ausbildungskonzept vor. Die Integration von Mehrsprachigkeitskomponenten in beide Phasen der Fremdsprachenlehrerausbildung ist daher dringlich. Eines der zentralen Felder der mehrsprachigen Lehrerausbildung muss die Aufgaben- und Materialentwicklung sein. Wie man oben sehen konnte, steht und fällt ein aussichtsreiches Mehrsprachigkeitslernen mit dem Zuschnitt von Themen und Materialien. Diese wiederum können nur zur lernwirksamen Entfaltung kommen, wenn sie in eine entsprechende Lern- oder Kompetenzaufgabe eingebettet werden, die auf verstehende Rezeption, auf problemlösendes Denken und auf eine damit verbundene fremdsprachige Diskursfähigkeit zielt (vgl. Hallet 2011, Kap. 5, sowie Müller-Hartmann et al. 2013). Das Konzept der komplexen Kompetenz- oder Lernaufgabe scheint für ein solches Vorhaben prädestiniert, stellt sie doch die Lernenden als selbstständig denkende, forschende und diskursfähige Individuen in den Mittelpunkt. Daher ist es höchste Zeit, endlich mit unterrichtstauglichen, methodisch systematisierten und spannenden Mehrsprachigkeitsaufgaben ernst zu machen. Literatur Doyé, Peter (2005): Intercomprehension. Guide for the Development of Language Education Policies in Europe: From Linguistic Diversity to Plurilingual Education. Reference Study . Strasbourg: Council of Europe. Doyé, Peter/ Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.) (2010): Lernerautonomie durch Interkomprehension: Projekte und Perspektiven/ L’autonomisation de l’apprenant par l’intercompréhension: Projets et perspectives/ Promoting Learner Autonomy through Intercomprehension: Projects and Perspectives . Tübingen: Gunter Narr. Gogolin, Ingrid (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster und New York: Waxmann. Hallet, Wolfgang (2002): Fremdsprachenunterricht als Spiel der Texte und Kulturen. Intertextualität als Paradigma einer kulturwissenschaftlichen Didaktik. Trier: WVT. Hallet, Wolfgang (2008a): „Zwischen Sprachen und Kulturen vermitteln. Interlinguale Kommunikation als Aufgabe“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 41 (93), 2-7. Hallet, Wolfgang (2008b): „Das Klassenzimmer als Olympische Arena. Integrative Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 5 (3), 3-7, 12. <?page no="44"?> Wolfgang Hallet 44 Hallet, Wolfgang (2011): Lernen fördern: Englisch. Kompetenzorientierter Unterricht in der Sekundarstufe I. Seelze-Velber: Kallmeyer. Hallet, Wolfgang (2013): „Sprach- und wissensvernetzende Textverstehensstrategien nutzen“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 47 (125), 10-13. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (2013): „Mehrsprachigkeit und vernetzendes Sprachenlernen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg): Handbuch Fremdsprachendidaktik. 2. Auflage. Seelze-Velber: Kallmeyer, 302-307. Hallet, Wolfgang/ Vignaud, Marie-Françoise/ Wlasak-Feik, Christine (2006): Football - le football - el fútbol. Das sprachenübergreifende Arbeitsheft. Seelze: Friedrich. Königs, Frank G. (2004): „Mehrsprachigkeit ernst genommen. Überlegungen zum Übersetzen (und Dolmetschen) mit Lernern unterschiedlicher Muttersprache“. In: ENS Lettres et Sciences humaines - Lyon/ The British Council/ Goethe-Institut (eds.): Les langues maternelles dans l‘enseignement des langues étrangères. Mother Tongues in Foreign Language Teaching. Muttersprachen im Fremdsprachenunterricht. Colloque des 12-13 février 1999 . Lyon: ENS Éditions, 83-106. Königs, Frank G. (2010): „Müssen wir unsere Normvorstellungen ändern? Überlegungen zum Verhältnis von Mehrsprachigkeitsdidaktik und Normen für den Fremdsprachenunterricht“. In: Doye/ Meißner (Hrsg.), 29-42. Königs, Frank G. (2013): „Einsprachigkeit, Zweisprachigkeit und Code- Switching“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Bilingualer Unterricht/ Content and Language Integrated Learning. Seelze-Velber: Kallmeyer, 174-180. [MBWWK RLP] Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2014): Handreichungen zum Schulprojekt „Latein Plus“. Band 3: Didaktische Ansätze . Mainz: Eigenverlag. Meißner, Franz-Joseph (2005): „Mehrsprachigkeitsdidaktik revisited: Über Interkomprehensionsunterricht zum Gesamtsprachencurriculum“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 34, 125-145. Meißner, Franz-Joseph (2011): „Les formats de tâches en didactique de l’intercompréhension“. In: Meißner et al. (eds.), 267-284. Meißner, Franz-Joseph/ Capucho, Filomena/ Degache, Christian/ Martins, Adriana/ Spitâ, Doina/ Tost, Manuel (eds.) (2011): Intercomprehension. Learning, Teaching, Research. Apprentissage, enseignement, recherche. Lernen, Lehren, Forschung . Tübingen: Gunter Narr. Morkötter, Steffi (2010): „Interkomprehension in der Jahrgangsstufe 7 - erste Erfahrungen mit Zwischen-Sprachen-Lernen“. In: Doyé/ Meißner (Hrsg.), 237-249. Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker, Marita/ Pant, Hans Anand (Hrsg.) (2013): Kompetenzentwicklung in der Sekundarstufe I. Lernaufgaben Englisch aus der Praxis . Braunschweig: Bildungshaus. Rummel, Andrea (Hrsg.) (2013): The Middle Ages. [Themenheft]. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 47 (125). <?page no="45"?> Zur möglichen Rolle der sog. klassischen Sprachen für Gesamtsprachencurriculumskonzepte Britta Hufeisen 1 Zur Einführung: Dank an Frank Unter den Stichworten Gesamtsprachencurriculum, curriculare Mehrsprachigkeit, integrierte Sprachendidaktik, integrative Sprachendidaktik oder Mehrsprachigkeitsdidaktik finden sich Überlegungen, wie man in einem Lernleben mehr Sprachen unterbringen kann und wie diese Sprachen einerseits lerner- und lehrseitig als auch institutionenseitig miteinander verbunden werden können (vgl. Haarmann 2014; Pilypaityte/ Vicente 2014; Wokusch 2014). Andererseits geht es in den Konzepten, die hinter diesen Begriffen stehen, um curriculare Überlegungen, wie Sprachen und Sprachenfächer sich besser als bisher mit den Nichtsprachenfächern verbinden lassen (vgl. Hufeisen 2005 und 2011a). Eines dieser Stichworte - Gesamtsprachencurricula - ist zugleich der Titel eines größeren Forschungs- und Anwendungsprojektes namens PlurCur beim Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz, in dem eben diese Verknüpfung ausprobiert und untersucht wird. Dabei sind alle möglichen Arten der Verknüpfung denkbar, und es werden an den derzeit fünfzehn Schulen, die zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrages Partnerschulen sind, die unterschiedlichsten Verknüpfungen gelebt und getestet. Einige der Projekte werden wissenschaftlich begleitet und einer intensiven Forschung unterzogen (vgl. DoktorandInnenkolloquium 2013). Meine konzeptionellen Überlegungen zum Gesamtsprachencurriculum sind nicht mehr ganz neu, und ich habe Einzelaspekte - theoretische Fundierung, konkrete Beispiele aus der Pilotierungsphase - bereits an verschiedenen Stellen zur Diskussion gestellt (z.B. Hufeisen 2010 und 2011b), so dass ich das an dieser Stelle nicht erneut ausbreiten muss. Wichtig ist allerdings festzuhalten, dass ich stets betont habe, für wie relevant ich es halte, alle Sprachen mit in die Konstruktion eines konkreten Gesamtsprachencurriculums einzubeziehen, auch die Herkunftssprachen, auch die Erstsprache(n), auch die Umgebungssprache(n), auch nicht so oft gelernte Fremdsprachen neben den üblichen, ohnehin und selbstverständlich immer gelernten Fremdsprachen und eben auch die sog. klassischen Sprachen (ich weigere mich, sie tote Sprachen zu nennen). <?page no="46"?> Britta Hufeisen 46 Erst eine Nachfrage des Jubilars dieses Bandes nach der Stellung von Latein im Gesamtsprachencurriculum während des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung an der Universität Augsburg im Oktober 2013 hat mir allerdings bewusst gemacht, dass ich bisher nie explizit Stellung zu Sprachen wie Latein bezogen hatte. Natürlich waren sie für mich konzeptionell immer mitgedacht und spielen dementsprechend an etlichen der PlurCur-Partnerschulen auch eine große und entscheidende Rolle. Aber wir wissen schon lange beispielsweise aus der Forschung zur feministischen Linguistik, dass Mitdenken und Mitmeinen nicht ausreicht, sondern dass man etwas mitnennen muss, wenn man etwas mitdenkt oder mitmeint. Bisher habe ich mir noch nie die Mühe gemacht, diese Sprachen bewusst und explizit auf ihr Potenzial für ein Gesamtsprachencurriculum hin zu diskutieren. Dieses Versäumnis möchte ich an dieser Stelle nachholen. Gleichzeitig danke ich dem Jubilar dafür, dass er mir nicht nur ein Thema für seine Festschrift beschert hat, das ihn und mich offenbar gleichermaßen interessiert, sondern mir darüber hinaus ganz kollegial eine Lücke in meinen Beschreibungen von Gesamtsprachencurricula aufgezeigt hat. So besteht auch die Möglichkeit, einige der Monita, die der Jubilar in einer seiner jüngsten Veröffentlichungen (Königs 2013) diskutierte, aufzugreifen und weiterzuspinnen. Wenn ich im Folgenden Sprachen anthropomorphistisch verwende und sie damit personifiziere, hat das u.a. damit zu tun, dass ich hier jeweils die Fachgemeinde ansprechen und keine einzelnen KollegInnen herausgreifen möchte. Meine abschließende Kritik und die Vorschläge für eine echte Kooperation richten sich an uns alle, nicht nur an Latein, sondern auch an Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache (= im Folgenden DaZ), als deren Vertreterin ich mich an dieser Stelle verstehe, und an alle anderen mit anderen Erst-, Zweit- und Fremdsprachen befassten KollegInnen. Wenn ich in diesem Beitrag von Mehrsprachigkeit schreibe, meine ich nicht nur das individuelle Verfügen über mehr als zwei Sprachen (zunächst ungeachtet eventueller Skalierungen auf dem GeR), sondern auch die Kompetenz, mit den Sprachen aus dem eigenen individuellen Sprachenrepertoire umzugehen und sie aufeinander zu beziehen bzw. sie synergetisch für weiteres Sprachenerkunden auszunutzen. Schließlich konzentriere ich mich wegen der spezifischen Fragestellung bei der Literaturrecherche im Wesentlichen auf fachwissenschaftliche und fachdidaktische Literatur, die ich in Lateinpublikationen gefunden habe. Allerdings gibt es einige wichtige Koautorschaften mit anglistischen Kolleginnen in diesen Publikationen; dazu mehr weiter unten. <?page no="47"?> Sog. klassische Sprachen und Gesamtsprachencurriculumskonzepte 47 2 Neues in der Wissenschaftslandschaft: Beim Alten bleiben oder Neues ausprobieren? Nein: Und! Zwei der Punkte, die Königs (2013, 10 und 17) kritisierte, waren die Hinwendung zu neuen Themen, bevor die vorhandenen ausreichend erforscht seien, und die fehlenden schlagkräftigen Ergebnisse bei diesen neuen Themen wie beispielsweise rund um die Mehrsprachigkeit. Die Hinwendung zu Neuem bedeutet nicht, dass das schon Vorhandene, das Konventionelle, das Traditionelle ignoriert oder nicht - mehr - wertgeschätzt würde. Aber es muss schon möglich sein, sich bereits Neuem zuzuwenden, auch wenn wir das Andere noch nicht erschöpfend bearbeitet haben. Dann müssen wir länger dran bleiben und können nicht gleich nach wenigen Jahren fertige Ergebnisse verlangen. Ideen und Entwicklungen rund um Sprache und Sprachen brauchen Zeit, müssen sich gegen Vorurteile und aktive Widerstände behaupten, müssen sich als treffliche Wissenschaftsgegenstände überhaupt erst einmal rechtfertigen und etablieren. Die verschiedenen Ideen rund um das Konzept Gesamtsprachencurriculum - die übrigens alle ungefähr zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Stellen entstanden - sind auch schon nicht mehr so neu. Trotzdem haben wir die Verpflichtung, Neuem, Halbneuem und auch nicht mehr so Neuem nachzugehen, um Fehler im System zu finden, um neue Ideen zur Sprachenlehr- und -lernpraxis wissenschaftstheoretisch, forschungsmethodisch und fachdidaktisch zu überprüfen und nicht zuletzt um Argumente für eine bessere Bildungspolitik vorzuhalten. Erst mit so umfangreichen und länger dauernden Projekten wie dem hier beschriebenen, erst mit sorgfältiger Begleitforschung und langjähriger Umsetzung in der Schule und an anderen Sprachlernorten kann man sinnvolle Aussagen zu diesen Ideen machen. Es bedarf also der größeren Geduld neuen Themen gegenüber, als Königs sie ihnen zugestehen möchte. Einen Teilaspekt - die Rolle von Latein bzw. die Kooperationen zwischen allen Sprachen - werde ich im Folgenden weiter diskutieren, ohne dies in diesem Rahmen erschöpfend erledigen zu können. Es wird also darüber auch noch in der näheren und ferneren Zukunft nachgedacht werden müssen. 3 Alte oder klassische und sonstige vermeintlich nicht auf Kommunikation ausgerichtete Sprachen: Beispiel Latein Ich gehöre zu der Generation der Leute, die mit dem Satz aufgewachsen sind: „Lern Latein, dann hast Du was für’s Leben, und es ist genauso wichtig wie die anderen Sprachen“. Dass dies eher eine Alltagsweisheit zu sein scheint und nicht durch ausreichend Forschung gesichert ist, tut der Beliebtheit und vor allem Langlebigkeit der Idee keinen Abbruch (vgl. Ortner 2011, 81). Diese <?page no="48"?> Britta Hufeisen 48 Sozialisation jedenfalls hat meine Sicht geprägt, dass Latein einfach auch nur oder auch sowieso eine Sprache unter vielen anderen ist, die zwar einen etwas anderen Kommunikationsradius hat als manche andere Sprache, aber ansonsten eben auch eine Sprache ist, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Wer sagt denn, dass die vielgepriesene kommunikative Kompetenz oder Sprachhandlungskompetenz, vorzüglich verstanden als mündliche, diskursive Kompetenz, das Wesentliche ist? Wie immer bei solchen didaktischen Entwicklungen ist auch hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden, und mit der Dominanz der mündlichen kommunikativen Kompetenz sind andere Kompetenzen, allen voran die Textkompetenz in einer Weise vernachlässigt worden, deren Folgen uns nun an den Universitäten Probleme bereiten (vgl. Ehlich bereits 2003; für den Bereich DaF auch Portmann-Tselikas/ Schmölzer- Eibinger 2008). Latein kann - neben seiner relevanten Funktion um seiner selbst Willen als Grundlage für Lateinunterricht - eine gute Brückensprache im Sinne der europäischen Interkomprehension (vgl. Müller-Lancé 2003) sein, wenn man sie entsprechend lernt und bei den Folgefremdsprachen eben als Brücke und somit als eine Art Steinbruch, Basis oder Ausgangs- und Bezugspunkt einsetzt. Sie kann aber auch als Brückensprache fungieren, wenn es um die Debatte der Genese der europäischen Kultur, Politik, Philosophie und Weltanschauung geht. Folgerichtig werden Studiengänge entsprechend ausgestattet (vgl. z.B. die Bachelor- und Master-Studiengänge an der Universität Bielefeld „Die römische Literatur, Kultur und Gesellschaft im europäischen Kontext“) und Kerncurricula neu ausgerichtet (vgl. z.B. das Kerncurriculum Latein in Niedersachsen Sek. 1). Aus Sicht eines Gesamtsprachencurriculums, wie ich es mir vorstelle, ist also Latein ein vollwertiges Mitglied der Sprachengruppe, welches einige Spezialaufgaben - wie etwa eine besondere Verantwortung gegenüber der Entwicklung von Sprachreflexion - übernehmen kann, andere eben nicht (vgl. z.B. Siebel 2011, 102). Die Frage ist, wie die Beteiligten das sehen. Dazu werfen wir einen kurzen Blick in die Debatte der letzten Jahre, wie ich sie aus Sicht der Latein-KollegInnen recherchiert habe. 3.1 Latein als fester Bestandteil gesamtsprachencurricularer Konzepte: Wie halten es die LateinerInnen selbst? Bei meiner Recherche im Bereich der Latinistik fällt mir auf, dass zwar viel über den vermeintlich schwierigen Stand des Faches Latein geklagt wird (vgl. z.B. Ortner 2011 oder Wirth 2011), dass Gesamtsprachenkonzepte angedacht und eingefordert werden, es aber von Seiten des Lateinischen außer den für selbstverständlich erachteten Kooperationen mit der Anglistik (vgl. z.B. Doff/ Kipf 2007; Doff/ Lenz 2011) wenige Aktivitäten gibt, die auf eine offene <?page no="49"?> Sog. klassische Sprachen und Gesamtsprachencurriculumskonzepte 49 Haltung den anderen (Fremd- oder Zweit-)Sprachen gegenüber schließen lassen. Gerade für den schulischen Bereich ist diese Konzentration bedauerlich, für den universitären Bereich geradezu tödlich (vgl. Müller-Lancé 2009, insbes. 54-56 und später noch einmal 67), wenn man von gelungenen eben erwähnten Versuchen wie dem an der Universität Bielefeld absieht. Gelegentlich finde ich Verweise zu einigen romanischen Sprachen, und hin und wieder wird die Verbindung zur Hauptunterrichtssprache Deutsch hergestellt. Leider wird diese dann meist als Muttersprache bezeichnet, vgl. z.B. Ortner (2011, 81), oder Wirth (2011, 139), ungeachtet der Tatsache, dass Deutsch für mehr und mehr Lernende nicht die Erstsprache ist. Darauf geht beispielsweise Siebel (2011, 111) ein und zeigt anhand eines kontrastiven Vergleichs zwischen Latein und Deutsch Erklärungsmöglichkeiten für DaZ-Lernende. Das an der Humboldt-Universität angesiedelte Projekt Latinus Pons spezialisiert sich genau auf diese Frage, nämlich wie Latein DaZ-Lernenden eine Brücke sein kann, und verweist auf den Charakter des Lateinunterrichts als Möglichkeit zu Reflexion, Denken über Sprache und eben nicht Sprechenmüssen (vgl. die Latinus Pons-Leitseite 2013). Auch Kuhlmann (2012, 10) geht davon aus, dass aus diesen Gründen gerade Latein einen sprach(en)fördernden Effekt für DaZ-Lernende haben kann. Diese Annahme und Einstellung könnte ein weiterer Grund für steigende Zahlen bei den Lateinlernenden sein, von denen Gruber (2009/ 2010, 2f) berichtet und die nicht allein damit erklärt werden können, dass mehr Jugendliche das Gymnasium besuchen; es wäre in diesem Zusammenhang interessant zu erfahren, wie viele DaZ-Jugendliche Latein im Vergleich mit anderen Fremdsprachen lernen. Alle anderen in einem Schulgebäude vorhandenen Sprachen werden - so weit ich es recherchieren konnte - jedoch praktisch nicht erwähnt; wenn sie doch diskutiert werden, dann doch viel eher mit alleinigem Bezug auf die anderen üblichen modernen Schulfremdsprachen. So geht Gruber (ebd.) zwar explizit auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Russisch ein, allerdings stellt auch er nicht die möglichen Potenziale der Kooperation der Sprachen in den Vordergrund, sondern sieht sie in erster Linie konkurrierend nebeneinander. Dabei böten sich selbstverständlich auch in Richtung der anderen Sprachen Brückenschläge an. Stattdessen finde ich den Zwiespalt des Englischen, einerseits stolz auf die Sonderrolle der unbestrittenen Fremdsprache Nr. 1 zu sein und diese mittlerweile als selbstverständlich zu betrachten (vgl. z.B. Gnutzmann 2013, 53), andererseits - verständlicherweise - darüber zu klagen, dass diese Sonderrolle damit bezahlt werde, dass Englisch bloß noch als überregionale Verständigungssprache, ohne eigene Traditionen mit eigenen Kulturen, Literaturen, Traditionen und Konventionen wahrgenommen werden könne (vgl. z.B. Doff/ Lenz 2011, 35). <?page no="50"?> Britta Hufeisen 50 Latein klagt darüber, mangels Lernziels kommunikativer Kompetenz nicht als ordentliche Fremdsprache wahrgenommen zu werden, möchte aber gleichzeitig weder tatsächlich in die Riege der regulären Fremdsprachen eingereiht noch auf die Rolle der Reflexions- und Metasprache reduziert werden (vgl. z.B. Wirth 2011). Beide Sprachen nutzen ihre Stärken, die sich aus ihrer jeweiligen Nachfrage und Tradition ergeben, dabei nicht genügend aus, sondern stellen sich wahlweise als Notgemeinschaft oder als alleinige Kooperationsgemeinschaft dar: Wenn der Englischunterricht auch weiterhin bildend wirken und damit der Gefahr entgegentreten will, dass sich Englisch als lingua franca zu einem inhalts- und kulturlosen Werkzeug entwickelt, muss er neben dem sprachlichen Können und der Handlungsfähigkeit dem Wissen über Sprache, Sprachgebrauch, Literatur und Kultur der Zielländer sowie der Wertschätzung von Sprache und Kultur insgesamt wieder erhöhte Aufmerksamkeit schenken. Diese Neuausrichtung erscheint insbesondere in einer gestärkten Verbindung mit der im hohen Maße reflexionsorientierten Komplementärsprache Latein [ … ] viel versprechend, die sich in vielerlei Hinsicht zu Englisch komplementär verhält und zudem durch die den Schülerinnen und Schülern abverlangte reflexive Sprachbetrachtung als der Prototyp einer Bildungssprache anzusehen ist. (Doff/ Kipf 2007, 3) Diese Haltung, die ich durchgängig in der bisher gesichteten Literatur finde, konzentriert bzw. reduziert ihr Potenzial im Hinblick Gesamtsprachenkonzepte und -curricula auf allein zwei Sprachen. Sie erhält Verstärkung durch curriculare Entwicklungen wie die des Biberacher Modells oder von Latein Plus (vgl. Doff/ Lenz 2011), die die Allianz Englisch-Latein in den Vordergrund rücken und damit zementieren und auch nicht auf weitere Sprachen eingehen. Echte Gesamtsprachencurricula können jedoch deutlich mehr. 3.2 Allianz Latein Englisch - Nachgetragene Liebe der anderen Sprachen? Was ich außerdem bei der Recherche des fachwissenschaftlichen und insbesondere des fachdidaktischen Diskurses feststelle, ist eine gewisse bis starke Konzentration der Anglistik sowie der Latinistik auf die jeweils eigensprachliche Fachliteratur - von Verweisen der Latinistik auf das Altgriechische abgesehen -, so dass Initiativen, Kooperationen und Projekte anderer Sprachen und Sprachengruppen gar nicht zur Kenntnis genommen werden (können). Es wird in Kooperationspublikationen zwar durchaus aufeinander Bezug genommen; Forschungserkenntnisse und Publikationen aus den Bereichen der slawischen Sprachen oder der skandinavische Sprachen finden sich in den Literaturverweisen anglistischer und latinistischer Fachdidaktikliteratur jedoch nicht. Gerade in der skandinavistischen sprachwissenschaftlichen und <?page no="51"?> Sog. klassische Sprachen und Gesamtsprachencurriculumskonzepte 51 auch sprachdidaktischen Forschung gibt es sehr fortgeschrittene und ausgebaute Konzepte zu mehrsprachigkeitsorientierten Diskursen. Dort lebt man die „interskandinavische Semikommunikation“ (vgl. z.B. Doetjes 2002 oder Zeevaert 2007; semi ist hier durchaus positiv gemeint), und von den entsprechenden Forschungsergebnissen könnten auch die anderen Sprachen profitieren. Auch die Bereiche Deutsch als Fremdbzw. Zweitsprache werden systematisch nicht zur Kenntnis genommen und Kooperationen offenbar auch nicht gesucht (vgl. hier noch einmal die kurze, aber dennoch erfreuliche Ausnahme in Kuhlmann 2012, 10). Der gelegentliche Verweis auf andere romanische Sprachen reicht m.E. jedoch nicht aus (Beiträge wie die von Müller- Lancé 2009 oder Siebel 2011 stellen eine erfreuliche Ausnahme dar), um zu echten Gesamtsprachenkonzepten zu gelangen. In diesen Fällen handelt es sich allein um Zwei-Sprachen-Konzepte, die durchaus interessant und nachhaltig sind, das Potenzial an Schulen aber nicht ausschöpfen. Bei meiner fortgesetzten Recherche ergibt sich allerdings das gleiche ernüchternde Bild auch für die anderen Sprachen; auch hier werden in erster Linie die eigenzielsprachlichen Publikationen wahrgenommen. Für die romanischen Sprachen beispielsweise scheint Latein gelegentlich sogar als Konkurrenzsprache wahrgenommen zu werden, jede Form der Bezugnahme oder Kooperation schade der eigenen Sprache (z.B. die diesbezüglichen kritischen Diskussionen von Müller-Lancé 2009, 55). Ausnahme sind allein die Publikationen, die sich explizit mit Fragen zu Mehrsprachigkeit und ihrer Umsetzung in Lehr-Lern- Zusammenhängen beschäftigen (z.B. stellvertretend Behr 2010). Ein Zwischenfazit wäre an dieser Stelle, dass wir von einer echten systematischen Kooperation der Sprachen an Schulen kaum sprechen können (von vielfältigen individuellen und erfolgreichen Aktivitäten vor Ort abgesehen), wenn nicht einmal die Linguistiken, die Literaturwissenschaften, die Kulturwissenschaften, die Lehr-Lern-Forschungen, die Fachdidaktiken miteinander reden, kooperieren und gemeinsame Sache machen. 3.3 Wie könnte es gehen? Beispiele aus der Ideenkiste und aus der Praxis der Ausbildung, des (hoch)schulischen Alltags und der Forschung Wie so oft geht es bei der Debatte gar nicht um tatsächliche Möglichkeiten, sondern vielmehr um Haltungen, Vorerwartungen und Erfahrungen, die geprägt von einem Fachbewusstsein sind, welches sich bislang nicht um andere Fächer, andere Sprachen, andere als die traditionellen Inhalte oder Ziele der LehrerInnenausbildung kümmern musste und wollte. Diese Einstellung werden wir ändern müssen, wenn wir eine Vielzahl an Sprachen dauerhaft als relevant retten wollen (sofern wir das wollen). Damit meine ich gar nicht nur <?page no="52"?> Britta Hufeisen 52 die Bildungsbürokratie, sondern auch Eltern und Lernende selbst. So kommt Müller-Lancé (2009, 66) für Latein zu den folgenden Schlüssen: „Latein sollte also offensiv als Säule einer Mehrsprachigkeitsdidaktik vermittelt werden [ … ] und Klassische Philologen müssen sich auch als Linguisten begreifen [ … ] “ und nicht länger exklusiv als Literaturwissenschaftler. Was könnte das konkreter für die verschiedenen Sprachen heißen? Ich liste hier auf, was an Schulen des PlurCur-Projektes bereits geschieht, aber auch, wovon ich mir eine bessere Ausnutzung des durchaus vorhandenen Potenzials verspreche: • Die Sprachen nehmen einander in den verschiedenen Institutionen (z.B. Schule oder Universität, aber auch an anderen Erwachsenenbildungsinstitutionen) wahr. • Die Sprachen finden heraus, an welchen Stellen sie Schnittmengen haben, und diskutieren ihre gemeinsame, vielleicht sogar gemeinschaftliche Thematisierung in Lerngruppen. • Die Sprachen übernehmen sprachenübergreifende Aspekte wie die Ausbildung der Sprachenbewusstheit und der Sprachenlernbewusstheit, wie die Entwicklung von Sprach(en)lernstrategien immer dann und dort, wenn und wo es sinnvoll ist. • Die Sprachen nehmen auch die Verlautbarungen der anderen zur Kenntnis. • Die Sprachen verweisen aufeinander in der Lehreraus- und -weiterbildung und konzentrieren sich hier nicht ausschließlich auf bestimmte, vermeintlich besonders passende andere (Fremd-) Sprachen. • In der Lehramtsausbildung jeglicher Sprache wird in Veranstaltungen zu Spracherwerbstheorien, zu Sprachenlernen darauf verwiesen, dass im Kopf der Lernenden noch andere Sprachen sein könnten und dass dies konstruktiv genutzt werden kann. • Die Sprachen tun sich zusammen und entwickeln eine gemeinsame Basis für unterschiedliche Ausformungen und Realisierungen von Gesamtsprachenkonzepten, an denen jeweils unterschiedliche Sprachen beteiligt sein können, von deren Teilnahme aber keine Sprache ausgeschlossen wird. Dabei können alle Sprachen ähnliche, aber durchaus auch unterschiedliche, gegensätzliche, komplementäre Funktionen übernehmen. • Die Lehrwerke zu den Sprachen verweisen systematisch und an geeigneten Stellen aufeinander und konzentrieren sich dabei auf alle sprachlichen, literarischen und kulturellen Ebenen. <?page no="53"?> Sog. klassische Sprachen und Gesamtsprachencurriculumskonzepte 53 • Bücher und Lehrmaterialien, die schon jetzt zu Mehrsprachenunterricht existieren, werden wahrgenommen und eingesetzt (z.B. Behr 2010). • Neue Ideen, didaktische und methodische Wege werden ausprobiert und die Erfahrungen damit weiter gegeben (vgl. z.B. Kordt 2013). Dazu könnte auch zählen, gelegentliche Stunden zu „Mehrsprachigkeit“ einzuschieben oder während Projektwochen „Mehrsprachigkeit“ anzubieten. • Sprachenlehrende öffnen sich den anderen Sprachen, ohne den Anspruch zu haben, sie alle zu können. Sie halten es aus, bei Bezug auf andere Sprachen Kompetenzen an andere, wie z.B. Lernende, abzugeben. • Sprachenlehrende öffnen sich den Ideen rund um Mehrsprachigkeit ohne Angst, die eigene (Fach-)Identität als Lehrkraft der Sprache x zu verlieren, weil sie wissen, die Vernetzung mit den anderen Sprachen stärkt letztlich die Position der eigenen. • Sprachen wissen, dass Lernende zum mehrsprachigkeitsorientierten Denken angeleitet werden müssen und dass diese das nicht alle automatisch können und tun. • Sprachen finden Kompromisse zwischen wünschenswerter linguistischer Komplexität und notwendiger didaktischer Reduktion. • Sprachen entwickeln Werkzeuge für Lernende, damit diese ihr „gesamtsprachliches Inventar“ (Begriff abgeleitet nach Doff/ Lenz 2011, 44) oder ihre „basissprachliche Kompetenz“ (Begriff abgeleitet nach Siebel 2011, 104) anlegen können, wie z.B. eine vielsprachige Vokabelkartei (vgl. Hufeisen 1994) oder ein Gesamtgrammatikheft (dem eine gemeinsame Grammatikterminologie zugrunde liegt, vgl. die Schulberichte auf der PlurCur-Leitseite). • Die Spachenlehr-/ -lernforschung untersucht gezielt mehrspachigkeitsorientierte und gesamtsprachencurriculare Ansätze und spielt die Ergebnisse in die Anwendungsorientierung und die Praxis zurück. Latein kann je nach Schule, Situation und Lernenden jede dieser Rollen, Funktionen und Aufgaben übernehmen. Einige werden häufiger umsetzbar sein als andere, für manche Bereiche bietet sich Latein vielleicht mehr an als für andere, aber eigentlich gibt es keinen Bereich, in dem Latein sich nicht engagieren kann. Die Projektschulen, die Latein mit in ihrem Repertoire haben, berichten ebenfalls, dass dem Einsatz von Latein in ihren jeweiligen gesamtsprachencurricularen Unternehmungen keine Grenzen gesetzt sind. Das Gleiche gilt eigentlich auch für die andere klassische Spache, Altgriechisch, <?page no="54"?> Britta Hufeisen 54 aber danach hatte der Jubilar nicht gefragt, und daher ist die Frage hiernach Stoff für einen anderen späteren Beitrag. Mögliche weiterführende Fragen könnten den Bezug zwischen den Sachfächern und Latein betrachten, denn bilingualer Sach-/ Fachunterricht ist konstruktiver Teil des Gesamtsprachencurriculums: Wie könnten die Fächer zusammenarbeiten, wie könnten die Sachfächer von Latein profitieren, z.B. beim Erschließen von Fremdwörtern in fachsprachlichen Texten im Fach Biologie? Wie kann Latein von den anderen Fächern profitieren und sie in das eigene Curriculum holen? Die mögliche und tatsächliche Relevanz für das Fach Geschichte ist an vielen Stellen bereits diskutiert worden (vgl. Müller- Lancé 2009) und muss hier nicht eigens vertieft werden. Ebenfalls genauer ansehen müsste man sich spezifisch für Latein dessen systematische Integration in den Aspekt „Interkulturelle Studien/ Kulturstudien“, wie ich ihn im Gesamtsprachencurriculum anführe (vgl. Hufeisen 2011a, 274). Hierzu gibt es auch Überlegungen im englisch-lateinischen Tandem (vgl. Doff/ Kipf 2007 und Doff/ Lenz 2011); diese könnten um die anderen Sprachen an einer Schule erweitert werden. 4 Zum Abschluss - alle sind gleich viel wert und haben sich um das gemeinsame Ziel zu kümmern: Mehr Sprachen, mehr Sprachen gut und motiviert und motivierend in die Köpfe der Lernenden zu bringen! Es gibt vielleicht Spezialaufgaben für einzelne Sprachen, je nachdem, wo sie im individuellen Sprachenrepertoire bei Lernenden auftauchen, aber keine Sprache ist mehr wert als eine andere, auch wenn sie vielleicht eine größere Verbreitung hat, auch wenn sie vielleicht durch eine komplexe satz- und textgrammatische Struktur vermeintlich schwieriger und deswegen ausschließlich für clevere oder bestimmte Köpfe da zu sein glaubt (vgl. z.B. Ortner 2013, 79). Wenn wir aber wollen, dass Sprachen wieder einen Wert bekommen, dann müssen auch alle Sprachen an einem Strang ziehen, sie dürfen keine Konkurrenzen auflisten und sich nicht im gegenseitigen Ignorieren üben. Außerdem hielte ich es für enorm hilfreich, wenn wir von der Defizitorientierung, was noch alles fehlt und was alles noch nicht geleistet ist, wie sie in Peilicke (2011, 89-100) stark durchscheint und auch bei Siebel (2011) beklagt wird, und von der erneuten Hinwendung vor allem zu Phänomenen wie Interferenzen (vgl. Peilicke 2011, 93.) wieder abkommen und uns auf das konzentrieren, was möglich und sinnvoll und machbar ist (vgl. Abschnitt 3.3.). Alle Sprachen sollen sich für die Kommunikation und Kooperation miteinander eingeladen fühlen, aber sie müssen sich eben auch beteiligen und sich nicht in Spezialwünschen verfangen. Natürlich ergeben sich manche Koope- <?page no="55"?> Sog. klassische Sprachen und Gesamtsprachencurriculumskonzepte 55 rationen einfacher und schneller, das heißt aber nicht, dass nicht auch eine zunächst unmöglich erscheinende Zusammenarbeit sich als außerordentlich ergiebig und fruchtbar erweisen kann. Wenn wir aufhören, andere Sprachen als Konkurrentinnen zu sehen, sondern uns freuen, wenn Lernende sich für Sprachen entscheiden, dann haben wir gute Chancen, viele oder vielleicht sogar alle Sprachen, die an einem Ort benutzt werden, mit einzubeziehen und ihnen einen relevanten Platz einzuräumen. Nur dann können auch die Lernenden verstehen und nachvollziehen, warum sie die eine Sprache (neu) lernen und die andere erhalten können. Dank Ich danke Ina Seifert, Suthfeld, für wertvolle inhaltliche und bibliografische Hinweise aus dem Bereich Latein und Heidi Seifert, Technische Universität Darmstadt, für die Vermittlung dieses Kontaktes sowie beiden für ihre Kommentare zu einer früheren Version dieses Textes. Alle verbliebenen Schwächen dieses Beitrages gehen auf mein Konto. Literatur Bachelor-Studiengang Latein „Die römische Literatur, Kultur und Gesellschaft im europäischen Kontext“ (2013): http: / / ekvv.uni-bielefeld.de/ sinfo/ publ/ variante/ 22963424 (17.12.2013). Behr, Ursula (2010): „Zur Typologie von Übungen zum sprachenübergreifenden Lernen in der Sekundarstufe 1“. In: Doyé, Peter/ Meissner, Franz-Joseph (Hrsg.) (2010): Lernerautonomie durch Interkomprehension. Tübingen: Gunter Narr, 107-116. Doetjes, Gerard (2002): Hur bra förstår skandinaver skandinaviska språk? 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Ehlich, Konrad (2003): „Differenzierte Schreibqualifizierung - eine gemeinsame Aufgabe für Schule und Hochschule“. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 50 (2-3), 128-137. <?page no="56"?> Britta Hufeisen 56 Gnutzmann, Claus (2013): „Individuelle und soziale Identitätskonstruktion durch Sprachenlernen und Sprachgebrauch“. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Riemer, Claudia (Hrsg.) (2013): Identität und Fremdsprachenlernen. Anmerkungen zu einer komplexen Beziehung. Arbeitspapiere der 33. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 50-57. Gruber, Markus (2009/ 2010): Statistische Informationen zur Lage des Altgriechisch-Unterrichts in der Bundesrepublik Deutschland (2009/ 10). Regensburg: Universtität Regensburg. http: / / www.uni-regensburg.de/ Fakultaeten/ phil_Fak _IV/ Klass_Phil/ Griechisch/ Gruber-Dateien/ Statistik0910.pdf (17.12.2013). Haarmann, Ute (2014): „Gesamtsprachencurriculum“. 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Linguistic Analyses, Language Policies and Didactic Concepts. Amsterdam: Benjamins, 103-135. <?page no="59"?> Bildungssprache Deutsch und das Curriculum Mehrsprachigkeit 1 Hans-Jürgen Krumm Mehrsprachigkeit und Fremdsprachenunterricht bilden seit vielen Jahren einen der zentralen Forschungsschwerpunkte von Frank Königs; dabei hat ihn immer beides interessiert, die theoretische Grundlegung und die praktischen Konsequenzen für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht sowie die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern. Der folgende Artikel versteht sich als Beitrag zu einer sprachenpolitisch akzentuierten Fachdiskussion, an der Frank Königs (u.a. 2004; 2010) seit vielen Jahren mit zahlreichen Impulsen beteiligt ist. 1 Kinder in einer mehrsprachigen Welt Unsere Welt ist unumkehrbar mehrsprachig. Auch Kinder wachsen inzwischen in der Regel in eine lebendige, lebensweltliche Mehrsprachigkeit hinein. Allerdings greift das Bildungswesen diese Mehrsprachigkeit in der Schule viel zu wenig auf und nutzt sie schlecht. Was die Mehrsprachigkeit in der Schule betrifft, ist Österreich eines der europäischen Schlusslichter: Im Schnitt lernen in Europa bereits 61% aller Kinder auf der Sekundarstufe I zwei Fremdsprachen, bis 2020 sollen es 75% sein. Österreich liegt derzeit bei 9,4% und damit meilenweit von dem für 2020 gesetzten Ziel entfernt. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen die Fixierung auf Englisch bei gleichzeitiger Vernachlässigung der zweiten Fremdsprache, obwohl der Lehrplan eine viel größere Sprachenvielfalt zulassen würde, und zum anderen die Vernachlässigung der Sprachen, die viele Kinder bereits als Familiensprachen in die Schule mitbringen - der Muttersprachliche Unterricht fristet eine unattraktive Randexistenz als unverbindliche Übung, d.h. ein unbenotetes freiwilliges Unterrichtsangebot. Englisch muss sein, ganz ohne Zweifel, reicht aber in einer globalisierten Welt und Wirtschaft bei Weitem nicht aus. Die Frage, wie viel Sprache und wie viele Sprachen der Mensch braucht, lässt sich nicht 1 Gekürzter und überarbeiteter Text eines Vortrags bei der Tagung „Wie viel Sprachen braucht der Mensch? “, Graz, 03.04.2014. Der Charakter eines Vortrags an die Adresse von Bildungspolitikern wurde beibehalten. <?page no="60"?> Hans-Jürgen Krumm 60 definitiv mit einer fixen Zahl beantworten, aber gerade deshalb ist es wichtig, dass Kindergarten und Schule Kindern und Jugendlichen früh die Angst vor Sprachen nehmen, ihnen vielmehr Lust auf Sprachen machen und einen Zugang zu Mehrsprachigkeit eröffnen, indem die eigene Familiensprache, Deutsch und Englisch und nach Möglichkeit darüber hinaus zumindest eine weitere „Adoptivsprache“ im Schulprogramm angeboten werden. 2 Es ist die Aufgabe von Kindergarten und Schule, ALLE Kinder zu einem Leben in unserer mehrsprachigen Welt unter den Bedingungen der sprachlichen und kulturellen Vielfalt zu befähigen. Das bedeutet erstens, dass die mehrsprachigen Kinder nicht einsprachig gemacht werden dürfen. Das bedeutet aber zweitens, den einsprachigen Kindern diese Mehrsprachigkeit von Anfang an nicht vorzuenthalten und sie nicht auf Deutsch und Englisch zu beschränken. Damit unterfordern wir sie und tun ihrer kognitiven Entwicklung genau so wenig einen Gefallen wie ihren Berufschancen. In unseren eigenen Köpfen und für das Bildungswesen insgesamt ist ein Umdenken erforderlich, ein Paradigmenwechsel: Nicht Einsprachigkeit, sondern Mehrsprachigkeit ist der Normalfall und der Normalzustand der Welt. Daraus folgt: 1.) dass die Sprachen, die die Kinder mitbringen, in ganz anderer Weise als selbstverständliche Bestandteile von Sprachbildung einbezogen werden müssen, als das bisher geschieht; 2.) dass unsere Bildungseinrichtungen eine Diversifizierung, eine Ausweitung des Sprachenangebots vornehmen, wobei auf die lokale und regionale Situation bedacht zu nehmen ist. Die Lehrpläne sind vorhanden, der Muttersprachliche Unterricht, der als Unterrichtsangebot für alle Kinder einbezogen werden kann, ebenso. 2 Bildungssprache Deutsch - kein Widerspruch zur Förderung von Mehrsprachigkeit Im öffentlichen Diskurs ist immer wieder zu hören, zuallererst müssten alle Kinder und insbesondere diejenigen mit anderen Familiensprachen als Deutsch in der deutschen Sprache schulfit gemacht werden, da störe Mehrsprachigkeit. Diese Auffassung führt bis zu Verboten an die Adresse von Migrantenkindern, die Muttersprache in der Schule und in der Pause zu gebrauchen. Sprachförderung wird oftmals nur als Deutsch-Förderung verstanden. Das aber greift zu kurz. 2 Vgl. http: / / europa.eu/ rapid/ press-release_IP-08-129_de.htm, insgesamt zum Mehrsprachigkeitsprogramm der EU siehe: http: / / www.eu-bildungspolitik.de/ mehrsprachigkeit_31.html (7.4.2014). <?page no="61"?> Bildungssprache Deutsch und das Curriculum Mehrsprachigkeit 61 Die Förderung der Mehrsprachigkeit und die Förderung der Bildungssprache Deutsch stehen nicht im Widerspruch zueinander und dürfen auch nicht gegeneinander ausgespielt werden; das wäre sprachpsychologisch, sprachdidaktisch und sprachenpolitisch falsch. In der alltagssprachlichen Interaktion sind die Ausdrucksfunktion (was will diese Person uns sagen) und die Appellfunktion (was wird vom Hörer erwartet) zentrale Funktionen der Sprache, manchmal sogar wichtiger als die Gegenstände und Sachverhalte, die thematisiert werden. 3 Der Beziehungsaspekt, so haben das Watzlawick/ Beavin/ Jackson (1969, 53ff) als Kommunikationsaxiom formuliert, ist dem Inhaltsaspekt übergeordnet. Die Sprache, um die es hier geht, ist die Alltagssprache. Gekennzeichnet ist sie durch die Merkmale der gesprochenen Sprache; auch dann, wenn wir uns schriftlich ausdrücken, bleibt sie „konzeptuelle Mündlichkeit“. 4 Von dieser Alltagssprache unterscheiden wir diejenigen Sprachformen, die wir brauchen, wenn es um komplexere Sachverhalte geht: Das gilt insbesondere bei schriftlichen Texten, aber auch im Mündlichen, z.B. bei einem Vortrag, deshalb „konzeptuelle Schriftlichkeit“. Der amerikanische Sprachwissenschaftler Jim Cummins nennt die sprachlichen Fähigkeiten, um die es hier geht, „kognitiv akademische Sprachfähigkeit“ (cognitive academic language proficiency), wenn man so will, die Gehirnsprache, im Unterschied zur Alltagssprache, den „basic interpersonal communication skills“ (Cummins 1991, 75ff). In dieser fachbezogenen Sprache treten die Ausdrucks- und Appellfunktion zurück - es geht nicht darum, was man jemandem sagen will, sondern darum, Sachverhalte zu erfragen und darzustellen, in einer begrifflichen Form: Die Sprache ist „dekontextualisiert“, abstrakter, Intonation, Gestik und Mimik sind weniger wichtig. Die Darstellungsfunktion der Sprache dominiert: Es geht um den Aufbau von Wissen, deshalb spielen Konnektoren und Nebensätze (weil, denn, indem ...) sowie präzise Begriffe eine Rolle. Je weiter das Lernen fortschreitet, umso mehr kommen die kognitivakademischen Sprachfähigkeiten ins Spiel - im Deutschen haben sich dafür die Begriffe „Bildungssprache“ (vgl. Gogolin et al. 2011) und „Textkompetenz“ (vgl. Schmölzer-Eibinger 2007, 207ff) eingebürgert. Diese sprachlichen Fähigkeiten sind die Mittel des Lernens - und sie differenzieren sich mit der zunehmenden Schriftlichkeit des Sprachunterrichts ebenso weiter aus wie mit dem fachlichen Lernen in anderen Unterrichtsgegenständen. Bildungssprache ist für alle Kinder, nicht nur für diejenigen mit Migrationshintergrund, ein neues Sprachregister, das sich für alle Kinder von dem 3 In Anlehnung an die Terminologie des Organon-Modells von Karl Bühler (Bühler 1934/ 1978, 28). 4 Zu dieser Begrifflichkeit vgl. genauer: Koch/ Oesterreicher (1985, 15ff). <?page no="62"?> Hans-Jürgen Krumm 62 unterscheidet, was man mitbringt. Deshalb ist es falsch zu glauben, man könne Kindern im Kindergarten vorweg die Sprache beibringen, die sie zum Lernen brauchen, und das reiche dann für die Schule. Die Bildungssprache kann sich erst im Laufe des schulischen Lernens entwickeln. In den folgenden beiden Passagen aus österreichischen Lehrplänen (Sekundarstufe II, Mathematik und Physik) ist explizit formuliert, dass auch mathematisches und physikalisches Lernen sprachliche Lernaktivitäten sind, ja, dass die Mathematik dem Sprachvermögen der Kinder eine weitere Sprache hinzufügt. Die Signalwörter dafür sind durch Unterstreichung markiert: Mathematik: Mathematik ergänzt und erweitert die Umgangssprache vor allem durch ihre Symbole und Darstellungen, sie präzisiert Aussagen und verdichtet sie; neben der Muttersprache und den Fremdsprachen wird Mathematik so zu einer weiteren Art von Sprache. .. Aktivitäten, die mit Argumentieren, Hinterfragen, Ausloten von Grenzen und Begründen zu tun haben. Physik: Zwischen Alltagssprache und Fachsprache differenzieren können: Einsicht in die Notwendigkeit und Möglichkeit symbolischer Beschreibungen gewinnen; physikalische Sachverhalte beschreiben, protokollieren, argumentieren und präsentieren können. 5 In den Lehrplänen anderer Unterrichtsgegenstände ist das nicht immer so explizit formuliert, aber es gilt: Für Lernen braucht man Sprache, und zwar nicht irgendeine, sondern eine spezifische Sprachform, nämlich die Bildungssprache, also die Fähigkeit, Sprache bewusst wahrzunehmen, Strukturen und Muster zu erkennen und gezielt zu benutzen. Abbildung 1 zeigt, wie komplex das Zusammenspiel von alltagssprachlichem und bildungssprachlichem Sprachgebrauch, von konzeptioneller Mündlichkeit im Unterrichtsgespräch und Schriftlichkeit im Zusammenhang mit Unterricht ist, ein permanenter Wechsel von der einen, der Alltagssprache, in die andere, die Bildungssprache mit ihren fachlich unterschiedlichen Varietäten. Dabei geht es nicht nur um Fachbegriffe, sondern auch um Textsorten-Konventionen: Wie spricht oder schreibt man z.B. bei einem mündlichen Referat, in einem Protokoll; welche Konventionen sind bei Prüfungsaufgaben zu beachten? 5 Vgl. die Lehrplananalyse der österreichischen Lehrpläne in Reich/ Krumm (2013, 159ff). <?page no="63"?> Bildungssprache Deutsch und das Curriculum Mehrsprachigkeit 63 Abb. 1: Zusammenspiel von Alltags- und Bildungssprache (aus: Tajmel 2013, 245) Diese Auflistung zeigt, dass eine bildungssprachliche Kompetenz ein hohes Maß an Sprachenbewusstheit, an De-Kontextulisierung, an „Übersetzungsfähigkeit“ zwischen Alltags- und Bildungssprache erfordert, ganz ähnlich dem, was Kindern mit Migrationshintergrund oft aus den Laiendolmetsch- Situationen in ihrer Familie schon vertraut ist: Alltagssprachliches wird in Fachsprachliches übersetzt und umgekehrt. Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit sind für den Erwerb der Bildungssprache eine sehr gute Grundlage: Die Erkenntnis, dass ein „Tisch“ nicht ein Tisch ist, sondern dass ‚Tisch‘ lediglich die Benennung ist, dass der gleiche Gegenstand auch asztal (ungarisch), cto (serbisch) oder tavola (italienisch) heißen kann, ist ein wichtiger Schritt für die bewusste Fokussierung auf die Trennung und den Zusammenhang von Inhalt und sprachlicher Form, wie er für die Bildungssprache und das Erschließen von Bedeutungen unumgänglich ist. 3 Förderung der Bildungssprache: Nicht immer helfen separate Sprachförderkurse Natürlich helfen Sprachförderkurse in vielen Fällen - aber sie helfen vor allem bei der Entwicklung der alltagssprachlichen Fähigkeiten: Kindern, die in ihrer vor- und außerschulischen Lebenswelt zu wenig Kontakt mit der deutschen Sprache hatten, helfen Förderangebote, indem sie diesen Kontakt intensivieren und vor allem die basissprachlichen Fähigkeiten der sprachlichen Interaktion auf Deutsch vermitteln. <?page no="64"?> Hans-Jürgen Krumm 64 Auch Kinder mit nichtdeutschen Familiensprachen bringen alltagssprachliche Fähigkeiten in der Regel in altersgemäßer Ausprägung in ihrer Familiensprache in die Schule mit; ihnen kann eine spezifische Sprachförderung helfen, diese sprachlichen Fähigkeiten nun auch für Deutsch zu entwickeln bzw. adäquat zu übertragen. Das beginnt mit genauem Hören, mit dem Zusammenhang von Laut und Schrift, dem Wortschatz und mit den sprachlichen Konventionen der dialogischen Alltagssprache einschließlich der Orthographie, Morphologie und Grammatik. Zweisprachig wäre diese Förderung sogar noch wirksamer und nachhaltiger (vgl. Gogolin/ Neumann 2009). Ob wir das wollen oder nicht, Kinder, die mit mehr als einer Sprache aufwachsen, müssen sich früh Gedanken über die Logik der neuen Sprache im Vergleich mit der schon vorhandenen machen: „Wieso DIE Tür, DAS Fenster - beides ist Loch in Wand“, so versucht ein Schüler, dem Artikelgebrauch im Deutschen eine Sachlogik abzuringen. Es gibt immer wieder Signale für ein kluges Hantieren mit Mehrsprachigkeit schon bei sieben- und achtjährigen Kindern. Mehrsprachigkeit produziert Sprachenbewusstheit - und diese ist die Grundlage für die Entwicklung der bildungssprachlichen Fähigkeiten in Deutsch. Denn die bildungssprachlichen Fähigkeiten lassen sich in separaten Sprachförderkursen nur begrenzt entwickeln: Hier geht es um fachliches Verstehen im Medium der Sprache, hier wird Sprache nicht um ihrer selbst willen gelernt, sondern sie funktioniert als Werkzeug zum differenzierten Verstehen und Verarbeiten konkreten fachlichen Wissens, als Werkzeug des Textverstehens wie dann auch der eigenen Textproduktion (vgl. Ehlich et al. 2008). Je stärker die Texte, mit denen das erarbeitet wird, mit den fachlichen Lernprozessen zu tun haben, desto höher die Motivation und desto nachhaltiger das sprachliche Lernen. Im Kindergarten, in der Vorschule, im separaten Förderkurs lassen sich die alltagssprachlichen Fähigkeiten von Kindern weiterentwickeln, dafür ist die persönliche Beziehung der Kinder zu den „Sprachvorbildern“ wichtig. Für die Darstellungsfunktion der Sprache gilt das nicht mehr in gleichem Maße, Mimik, Gestik und personale Interaktion sind hier nicht mehr zentral. Die Bildungssprache entwickelt sich vielmehr in enger Verbindung mit fachlichem Lernen, hier geht es um Sprachwissen und Sprachkönnen. Damit die Bildungssprache Deutsch gelernt und dann sogleich im schulischen Kontext genutzt werden kann, braucht es einen „Sprachgebrauchsunterricht“. Eine neue Sprache lernt man besonders gut, indem man sie in realen Kontexten, mit relevanten Inhalten gebraucht, um Aufgaben zu lösen. Diese Sprachproduktion • „zwingt“ zur Mobilisierung des vorhandenen Sprachkönnens und Sprachwissens, <?page no="65"?> Bildungssprache Deutsch und das Curriculum Mehrsprachigkeit 65 • erlaubt es, Hypothesen über das Funktionieren der neuen Sprache im Unterschied zu den schon mitgebrachten Sprachen zu entwickeln und zu testen • und führt zur kombinierten Aufmerksamkeit auf die Form (‚Präsentation‘) und die Inhalte, was ein nachhaltigeres Lernen bewirkt. 4 Mehrsprachigkeit leistet einen besonders wirksamen Beitrag zur Entwicklung der Bildungssprache Deutsch Mehrsprachigkeit leistet einen besonders wirksamen Beitrag zur Entwicklung der Bildungssprache Deutsch - und das aus einem relativ einfachen Grund: Das Miteinander der verschiedenen Sprachen bei zwei- und mehrsprachigen Menschen führt dazu, dass diese von vornherein eine sehr hohe Sprachaufmerksamkeit, ein besonderes Sprachenbewusstsein entwickeln: Das Vergleichen von Sprachen, die Suche nach Gemeinsamem und Unterschiedlichem stellen sich bei Mehrsprachigen unwillkürlich ein. Mehrsprachigkeit führt in der Regel zwangsläufig zu erhöhter Sprachwahrnehmung; mit ihr kommt die kognitive Dimension von Sprache ins Spiel. Mehrsprachige Kinder stehen früher als einsprachige vor der Notwendigkeit, sich klar zu machen, welche Sprachen sie mit welchen Sprecherinnen und Sprechern aus ihrem Repertoire wählen (wollen oder müssen); und diese Erfahrungen des Neben- und Miteinanders von Sprachen in der kommunikativen Praxis führen vielfach auch zu frühen Sprachvergleichen, die ihrerseits die Entwicklung von Sprachenbewusstheit verstärken (vgl. Krumm 2012). Kifayat (15 Jahre alt, geboren in Afghanistan) formuliert quasi sprachpsychologisch korrekt den Unterschied zwischen Bildungs- und Alltagssprache: „Deutsch und Englisch sind in meinem Kopf, weil die zwei habe ich bei Versuchen gelernt und für Lernen braucht man das Gehirn. Und das Gehirn ist in meinem Kopf. <Kognitiv-akademische Sprachfähigkeit - und jetzt die alltagssprachliche Ausprägung> Pashto und Dari sind in meinem Herzen, weil als ich Kind war, meine Mutter hat in diesen beiden Sprachen gesprochen“. Während es in der Alltagssprache um den Beziehungsaspekt geht, kommt mit der Bildungssprache die Kognition, das abstrakte Denken, die dekontextualisierte Sprache ins Spiel: Das heißt, die Vermittlung der Bildungssprache Deutsch gelingt nicht gegen die von den Kindern mitgebrachten Sprachen, nicht als Zwang zum Sprachwechsel, sondern nur als eine Erweiterung der vorhandenen Spracherfahrungen. Das bedeutet: 1.) Die Förderung der Sprachwahrnehmung und reiche, mehrsprachige Sprachumgebungen sind bereits im Kindergarten wichtig; dazu ist es nie zu früh. <?page no="66"?> Hans-Jürgen Krumm 66 2.) Mehrsprachige Kinder dürfen nicht aus der monolingualen Perspektive als ‚defizitär‘ betrachtet werden, sondern sie sind ‚Zweitsprachenlernende mit eigenem Zugang zur Zweitsprache‘, das gilt auch für die Diagnose und die Leistungsbeurteilung. 3.) „Brückenbauer“ zwischen den Sprachen sind wichtig: Interkulturelle Mitarbeiter/ innen in Kindergarten und Schule, Buddy-Systeme mit älteren, mehrsprachigen Schüler/ innen zum Beispiel. 4.) Integrierende Sprachenangebote statt eines Nebeneinanders der Sprachen helfen den Schülerinnen und Schülern, Ordnung in die Sprachenvielfalt zu bringen. Bisher überlassen wir das den Kindern selbst: Die Schule macht isolierte Sprachenangebote, hier Muttersprache, da Zweitsprache, hier erste, da zweite Fremdsprache. Aber im Kopf der Kinder muss daraus ja ein Miteinander werden, nur dann ist Mehrsprachigkeit ein verfügbares Kapital. 5 Das Curriculum Mehrsprachigkeit: Die Förderung von Sprachwissen und Sprachenbewusstheit Mit dem Curriculum Mehrsprachigkeit (Krumm/ Reich 2011, vgl. auch Reich/ Krumm 2013) haben Hans Reich und ich versucht, ein solches integriertes schulisches Angebot für Mehrsprachigkeit möglich zu machen. Wir haben dieses Curriculum für die Schulstufen 1 bis 12 im Auftrag des österreichischen Unterichtsministeriums entwickelt: Es zielt auf die schulische Unterstützung sprachlicher Bewusstwerdungsprozesse. Es expliziert und differenziert den Begriff der Sprachenbewusstheit als Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, „sich in der heutigen Welt sprachlicher Vielfalt zu orientieren, sich selbstbestimmt und zielbewusst neue sprachliche Qualifikationen anzueignen und sich in vielsprachigen Situationen kompetent zu bewegen“ (Krumm/ Reich 2011, 2). Gegliedert ist das Curriculum jeweils in drei bzw. ab der Sekundarstufe in vier Bildungsbereiche: 1) Wahrnehmung und Bewältigung vielsprachiger Situationen 2) Wissen über Sprachen ab Sekundarstufe: 2: Vergleichen von Sprachen 3: Erarbeiten sozialer und kultureller Bezüge von Sprachen 4) Sprachlernstrategien Die kognitiven, bildungssprachlichen Aspekte kommen in konzentrierter Weise im Bereich des Erwerbs von Wissen über Sprachen bzw. des Vergleichens von Sprachen zum Tragen. Es geht um die Kompetenz, sprachliche Elemente, Strukturen und Regeln in mehreren Sprachen und eben auch in <?page no="67"?> Bildungssprache Deutsch und das Curriculum Mehrsprachigkeit 67 den Fächern des schulischen Unterrichts zu beschreiben und in Beziehung zueinander zu setzen. In den ersten beiden Schulstufen geht es zunächst um die Bewusstmachung basissprachlicher Strukturen und Elemente im Deutschen im Vergleich mit den mitgebrachten Sprachen: Mehrsprachig, sprachenübergreifend ist es leichter, das Unterscheiden und Vergleichen zu lernen als einsprachig. Ab Klassenstufe 3 nimmt der Mehrsprachigkeitsunterricht sodann systematischeren Charakter an: Er vermittelt Strategien des Sprachenlernens, Begriffe und Fähigkeiten der vergleichenden Sprachanalyse und Kenntnisse zur Sprachenvielfalt auch außerhalb der unmittelbaren Erfahrungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler. Die Aneignung des Registers Bildungssprache wird damit als eine eigene Sprachlernaufgabe anerkannt, und zwar nicht nur als Bildungsaufgabe für den Deutsch-, sondern auch für den Sachunterricht. Zur Bewältigung dieser Aufgabe kann das Curriculum Mehrsprachigkeit grundlegende Lernfähigkeiten vermitteln. Dazu gehören die Arbeit mit dem Sprachenportfolio, die Entwicklung zwei- oder dreisprachiger Wortkarteien und die Einführung in die Benutzung zweisprachiger Wörterbücher, lauter auf Sprachenbewusstheit zielende Verfahren. Dazu bietet das Curriculum Themen und Materialien an und macht die Bezüge zu den vorhandenen Sprach- und Fachlehrplänen deutlich. Für die dritte und vierte Schulstufe formuliert der österreichische Deutschlehrplan, „Kinder sollten Einsichten in Sprachstrukturen durch Entdecken, Ordnen und Vergleichen gewinnen“ (zitiert nach Reich/ Krumm 2013, 30). Mit dem Curriculum Mehrsprachigkeit wollen wir erreichen, dass diese wichtigen kognitiven, bildungssprachlichen Fähigkeiten bei allen Kindern genutzt werden, wobei die in der Klasse vorhandenen Sprachen ein hervorragendes Unterrichtsmaterial darstellen. Zur Verwirklichung eines solchen auf Mehrsprachigkeit fokussierten Unterrichts enthält das Curriculum Mehrsprachigkeit Umsetzungsvorschläge, die hier nur angedeutet werden können: • Mehrsprachigkeit als fächerintegrativer Unterrichtsgegenstand insbesondere im Deutsch-, im Deutsch als Zweitsprache- und im Englischunterricht, • Mehrsprachigkeit in wechselnder Verantwortung einzelner Unterrichtsfächer je nach Qualifikation der Lehrenden; hier können dann auch Sachfächer eine Mitverantwortung übernehmen. • Voraussetzung, dass das funktioniert, ist, dass eine Schule den Fokus Mehrsprachigkeit als profilbildendes Element in ihr Leitbild oder Schulprofil aufnimmt. <?page no="68"?> Hans-Jürgen Krumm 68 6 Folgerungen zum Schluss Abschließend seien als Konsequenz aus dem Gesagten drei zentrale Perspektiven benannt: 1.) Gebraucht wird für die einzelne Schule wie für das Bildungssystem insgesamt ein Konzept für eine integrierte Sprachbildung, in der die Sprachen nicht gegeneinander ausgespielt werden und die Sprachen der Kinder einen festen Platz haben; das Curriculum Mehrsprachigkeit bietet sich dafür als Grundlage an. Es bedarf dafür aber auch einer verstärkten Information und Kooperation von und mit Eltern, Kindergärten und Schulen. Es gibt ausgezeichnete Beispiele, z.B. die „Sprachenvolksschule“ in Wiener Neustadt 6 , die in Klasse 1 mit drei Sprachen beginnt: Deutsch, Englisch und - je nach Familiensprache eines Teils der Schüler - Ungarisch oder Türkisch; d.h., hier hat jedes der Kinder die Muttersprache als Sicherheitssprache, hier gibt es eine Sprache, nämlich Englisch, in der alle Kinder unabhängig von der Familiensprache gemeinsam als Nullanfänger beginnen, und es gibt jeweils eine Peer-Sprache, auf die man neugierig werden kann, weil ein Teil der Kinder sie schon mitbringt, Deutsch im einen, Türkisch oder Ungarisch im anderen Fall. In Klasse 3 kommen dann Italienisch oder Französisch hinzu. Das hat natürlich Konsequenzen: Zusammenarbeit mit Eltern, Team Teaching, Zusammensetzung des LehrerInnenteams usw. 2.) Für die Schule folgt aus dem Gesagten die Ausweitung und Öffnung des „Muttersprachlichen Unterrichts“ zu einem Unterrichtsangebot für alle und damit eine stärkere Diversifizierung des Sprachenangebots. Die Lehrpläne für den Muttersprachlichen Unterricht können hierfür die Grundlage bilden, es braucht keine schulrechtlichen Änderungen. Nötig sind die durchgängige Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit auch in der Leistungsbeurteilung und die Einbeziehung von interkulturellen Mitarbeitern und den bisher auf den muttersprachlichen Unterricht begrenzten Lehrkräften. 3.) Mehrsprachigkeit in Kindergarten und Schule setzt eine entsprechende Aus- und Fortbildung der PädagogInnen voraus. Das bedeutet z.B., die Lehramtsstudien an den Pädagogischen Hochschulen auch für andere Sprachen als Englisch einzurichten und das Potenzial von mehrsprachigen Studierenden zu nutzen. Auf der Grundlage des Curriculums Mehrsprachigkeit wurde am Österreichischen Sprachenkompetenzzentrum ein 6 http: / / www.vs-josefstadt.schulweb.at/ (7.4.2014). <?page no="69"?> Bildungssprache Deutsch und das Curriculum Mehrsprachigkeit 69 „Rahmenmodell Basiskompetenzen Sprachliche Bildung für alle Lehrenden“ mit den entsprechenden Lehrkompetenzen ausgearbeitet. 7 Pierre Bourdieu (1983) bezeichnet Sprache als ein symbolisches Kapital, das dazu beitragen kann, den Handlungsspielraum von Menschen zu vergrößern. Mir geht es darum, daran zu erinnern, dass Sprache im Bildungswesen heute weniger denn je als nur eine Sprache zu verstehen ist. In allen mit Sprache verbundenen Bildungsprozessen ist Mehrsprachigkeit im Spiel - nicht nur als Zielsetzung des Bildungssystems in einer globalisierten Welt, sondern auch als Rahmenbedingung für das Lernen. Das ist nicht nur eine Herausforderung zur Bewältigung von sprachlicher und damit in der Regel kultureller Heterogenität, sondern auch eine Chance zum Ergreifen neuer Bildungsmöglichkeiten mit Hilfe des sprachlichen Kapitals, welches Kinder bereits mitbringen und auf dem die Schule aufbauen kann. Was nicht passieren darf, ist die Missachtung der Mehrsprachigkeit der Kinder, das wäre eine „Kapitalvernichtung“, eine Verhinderung von Chancengerechtigkeit. Nicht ein Gegeneinander von Mehrsprachigkeit und Deutsch, sondern die Förderung der Bildungssprache Deutsch im Rahmen einer Erziehung zur Mehrsprachigkeit ist nach meiner Überzeugung die richtige Antwort auf diese Herausforderung. Ein Schüler hat das, zwar noch nicht in perfektem Deutsch, aber doch klar gesehen und auf den Punkt gebracht 8 : ... ja, wenn du mehr Sprachen kannst, hast du eine breite Palette um dich auszudrücken, um Bedeutungen von Wörtern zu erschließen - das erkennst du auch daran, dass Wörter in einer Sprache sind nicht dasselbe in anderen Sprachen. Literatur Bourdieu, Pierre (1983): „Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital“. In: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Göttingen: Schwartz, 183-198. Bühler, Karl (1934/ 1978): Sprachtheorie. Frankfurt am Main: Ullstein. Cummins, Jim (1991): „Conversational and academic language proficiency in bilingual contexts“. In: AILA-Review 8, 75-89. Ehlich, Konrad/ Bredel, Ursula/ Reich, Hans H. (Hrsg.) (2008): Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung. Bonn/ Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung. 7 http: / / oesz.at/ download/ Rahmenmodell_Basiskompetenzen_21_1_2014.pdf (7.4.2014). 8 Unterstrichen: sprachliche Glättung durch Verf. (unveröffentlichte Sammlung von Sprachenbiografien des Verf.). <?page no="70"?> Hans-Jürgen Krumm 70 Gogolin, Ingrid/ Dirim, İnci/ Klinger, Thorsten/ Lange, Imke/ Lengyel, Drorit/ Michel, Ute/ Neumann, Ursula/ Reich, Hans H./ Roth, Hans-Joachim/ Schwippert, Knut (2011): Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FÖRMIG - Bilanz und Perspektiven eines Modellprogramms. Münster: Waxmann. Gogolin, Ingrid/ Neumann, Ursula (Hrsg) (2009): Streitfall Zweisprachigkeit - The Bilingualism Controversy. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Koch, Peter/ Oesterreicher, Wulf (1985): „Sprache der Nähe - Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte“. In: Romanistisches Jahrbuch 36, 15-43. Königs, Frank G. 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Krumm, Hans-Jürgen/ Reich, Hans H. (2011): Curriculum Mehrsprachigkeit http: / / oesz.at/ download/ cm/ CurriculumMehrsprachigkeit2011.pdf (7.4.2014). Reich, Hans H./ Krumm, Hans-Jürgen (2013): Sprachbildung und Mehrsprachigkeit. Ein Curriculum zur Wahrnehmung und Bewältigung sprachlicher Vielfalt im Unterricht. Münster: Waxmann. Schmölzer-Eibinger, Sabine (2007): „Auf dem Weg zur Literalen Didaktik“. In: Schmölzer-Eibinger, Sabine/ Weidacher, Georg (Hrsg.): Textkompetenz. Eine Schlüsselkompetenz und ihre Vermittlung. Tübingen: Gunter Narr, 207-222. Tajmel, Tanja (2013): „Bildungssprache im Fach Physik“. In: Gogolin, Ingrid/ Lange, Imke/ Michel, Ute/ Reich, Hans H. (Hrsg.): Herausforderung Bildungssprache - und wie man sie meistert. Münster: Waxmann, 239-256. Watzlawick, Paul/ Beavin, Janet H./ Jackson, Don D. (1969): Menschliche Kommunikation. Bern u.a.: Huber. <?page no="71"?> En fildelare i Sala döms av tingsrätten att betala 4,3 miljoner kronor… Sprachtransfer, Lerntransfer, Intakeoptimierung beim ersten Leseversuch in Schwedisch Franz-Joseph Meißner 1 Mehrsprachigkeit und Transfer in den Schriften von Frank G. Königs Frank G. Königs verknüpft im Artikel „Mehrsprachigkeit und vernetzendes Sprachenlernen“ (Hallet/ Königs 2010) vier Leitgedanken eng miteinander: erstens: die lernerseitig als träges Wissen bereits vorhandene Mehrsprachigkeit und Sprachlernerfahrung als ein Potenzial an Ressourcen und Kompetenzen nutzbar machen; zweitens: Mehrsprachigkeit als umfassendes europäisches Bildungsziel begreifen; drittens: einzelzielsprachlich übergreifende Lernökonomie entwickeln und vernetzendes Lernen zugunsten des Mehrsprachenerwerbs befördern; viertens: Mehrsprachigkeitsdidaktik interkulturell, lebensweltlich und für das Weiterbauen von Sprachlernkompetenz begreifen. Solange diese Zielorientierungen gelten, bleibt das Phänomen des Transfers (hinfort T.) in seinen vielfältigen und polyreferenziellen Ausprägungen zentral betroffen. Dies erklärt, weshalb dem Begriff auch in den Überlegungen von Frank G. Königs zum Lernen und Lehren fremder Sprachen grundlegende Bedeutung zukommt. Dies belegt allein schon die Aufzählung der „Prinzipien“ der „psycholinguistische(n) Grundlagen des Fremdsprachenlernens“ (Königs 2010, 326): „Prinzip der Strategiebildung […], der Lernerautonomie […], der Individualisierung […], der Bewusstheit und der Bewusstmachung, […] der Musterbildung, […] der Anknüpfung an Bekanntes und die positive Seite des Transfers“. Die ‚Übertragung von vorhandenem Wissen und Können auf neues Wissen und Können‘, also der T. (vgl. Gage/ Berliner 1996, 316), ist das elementarste Element der Kette, das ein jedes ihrer Glieder mit allen anderen verbindet. <?page no="72"?> Franz-Joseph Meißner 72 2 Transfer - Interlanguage - Intakeoptimierung Der Begriff T., wie er ganz überwiegend in der Fremdsprachendidaktik Verwendung fand, fasste im Grunde schon deshalb viel zu eng, als er letztlich innerhalb eines ‚Sprachlernparadigmas‘, nicht aber eines ‚Spracherwerbsparadigmas‘ entstand (zur Vorgeschichte von T. vgl. Meißner im Druck): Über Jahrzehnte hinweg korrelierte T. eng mit der Vorstellung ‚im Sinne der zielsprachlichen Norm richtig (positiv) oder falsch (negativ)‘. Viel seltener wurde T. in seiner fundamentalen Bedeutung für den Erwerb der Erstsprache (und daran anschließend weiterer Sprachen) begriffen. Schon in seiner Dissertationsschrift hat Frank G. Königs dazu beigetragen, den Irrtum zu korrigieren. So ersetzte er die simple Auffassung ‚Norm der Zielsprache (welche auch immer? ) = Norm für die Fremdsprache‘ durch eine lernbezogene und flexible Definition: , derzufolge es ‚die‘ Norm im Fremdsprachenunterricht nicht gibt, stattdessen aber eine Vielzahl diverser, auf unterschiedlichen Ebenen anzusiedelnder Normen. (Königs 1983, 483) Zuvor hatte die Fehleinschätzung zu schwerwiegenden Fehlsteuerungen im Fremdsprachenunterricht beigetragen. Stichwortartig sei an das ‚Dogma der strengen Einsprachigkeit‘ erinnert, das den interlingualen Identifikationstransfer (Disambiguierung) als Element des Spracherwerbs unterschätzte und das ‚Ausprobieren‘ sprachlicher Schemata einschränkte. Offensichtlich verhinderte die enge Anbindung von T. an reduktionistisch-behavioristische und strukturalistische Vorstellungen die Inblicknahme der Prozesshaftigkeit und Individualität des Spracherwerbs. Für die Beurteilung des T. auf den Fremdsprachenerwerb ist die Entdeckung der Interlanguage bzw. der Lernersprache in den 1970er Jahren konstitutiv. Die Interlanguage-Hypothese wird in den letzten Jahrzehnten insbesondere von der Analyse interkomprehensiv basierter Sprachverarbeitungsprozesse unterstützt (s. Meißner 2010a). Der Grund liegt darin, dass das Interkomprehensionsereignis die Lernersprache in statu nascendi abbildet (Meißner 2010b, 382; Raupach 2010). Bemerkenswert ist, dass sich die involvierten mentalen Operationen nicht nur über Elizitationsverfahren wie Lautdenkprotokolle, teilnehmender Beobachtung, Videographie und deren Interpretation im Verein mit kommunikativer Validierung greifen lassen, sondern dass die Analyse der schülerseitigen Interkomprehensionshandlung selbst als eine Strategie zur Förderung von Sprachlernkompetenz eingesetzt wird. Hier liegt der Schlüssel für die Verbindung von Interkomprehension und sprachlernbewusstheits- und sprachlernkompetenzbildenden Strategien (Meißner 2012b). <?page no="73"?> Sprachtransfer - Lerntransfer - Intakeoptimierung 73 Es kann daher nicht überraschen, dass die Interkomprehensionsdidaktik die in den Wissenschaften vom Lehren und Lernen fremder Sprachen gebräuchliche Transferlehre weiter ausdifferenziert und spezifiziert hat. Zugleich wurde - ebenfalls auf empirischer Grundlage - ein in Fallstudien erprobtes methodisches Modell vorgelegt, das transferbasiertes Lernen erleichtern und dessen Ergebnisse sichern soll (Bär 2009; Meißner 2004). Lernpsychologisch steht es dem Problemlösungsparadigma nahe und weist zahlreiche Anknüpfungspunkte an die jüngere Lerntheorie auf (was hier nicht weiter beleuchtet werden kann). Seine wesentlichen Phasen umfassen 1.) Perzeption eines ‚unklaren‘ sprachlichen oder verhaltensbezogenen Musters, 2.) Entwurf einer Disambiguierungs- oder Lösungshypothese, 3.) deren Verifikation / Falsifikation / evtl. Modifikation (Plausibilitätsprobe, Disambiguierung, Kontrolle), 4.) Bestätigung oder Re-Initiation des Vorgangs auf der Grundlage einer modifizierten Hypothese. Jeder Phase liegen Transferprozesse der unterschiedlichen Art zugrunde. Es ist natürlich die Qualität dieser Prozesse, d.h. der Verarbeitung eines Inputs, also der Intake, der am Maß des Lernerfolges wesentlich beteiligt ist. Das Phasenmodell lässt sich mit dem Konzept der ‚Kompetenzen‘ des REPA (Meißner 2012a), in das es eingeflossen ist, verbinden. Die spracherwerbsfördernde Wirkung von Transferprozessen ist plausibel in enger Anlehnung an Normans (1982) Modell der Informationsverarbeitung erklärbar. Dessen Organisationsprinzipien lauten accretion (Zuwachs an Sprachdaten), tuning (Einpassung der neuen sprachlichen Wissensschemata in die Systematik der im mehrsprachigen Lexikon vorhandenen Schemata einschließlich ihrer Veränderung durch Abgleich mit den neuen lingualen Daten) und (re)structuring (Bildung neuer stabiler Wissensstrukturen). Mit den mentalen Operationen verbinden sich Kreations-, Reorganisations-, Löschungs- und Abstraktionsprozesse. Neben der Lernersprache ist die bereits angesprochene Intakeoptimierung für die Qualität von Sprachenlernen und T. konstitutiv. Sie umfasst die mentalen Prozesse, die ein Lerner bezüglich der neuen Informationen initiiert. Die neuere Lernforschung hebt in diesem Zusammenhang die positive Wirkung vernetzender Verfahren hervor, in denen neue mit schon vorhandenen Wissensschemata verknüpft werden. Die Art des Intake entscheidet also darüber, ob und wie Transferaktivitäten zielgerichtet aufgebaut werden. 3 Transfer in der Interkomprehensionsdidaktik (und außerhalb) Ausgehend von den wesentlichen Transfertheorien des fremdsprachendidaktischen Diskurses führt Meißner (u.a. 2004) das Interkomprehensionsereignis auf unterschiedliche linguale und steuerungsbezogene Transferaktivitäten zu- <?page no="74"?> Franz-Joseph Meißner 74 rück. Unterschieden wird der T. im Wesentlichen nach Produktion und Identifikation; Richtung: Brücken- und Zielsprache(n) oder umgekehrt; Reichweite: intraversus interlingual; Bezirke der sprachlichen Architektur: Lexik, Morphologie, Syntax usw; Formkongruenz und Bedeutung- oder Funktionsadäquanz. Relevant ist des Weiteren die Komplementarität lingualer und spracherwerbsbezogener Transferverfahren. Die Aufgabe des sog. „didaktischen T.“ 1 besteht im Wesentlichen im Monitoring der Interkomprehen sionshandlung zugunsten des Mehrsprachenerwerbs. Betroffen ist die Ver besserung der mentalen Organisation von Transferprozessen durch metakognitive Strategien (Gage/ Berliner 1996, 321ff): Erhöhung der Suchbreite nach Transferbasen oder samples (vgl. Ellis 2011) und die Herstellung von Nachhaltigkeitseffekten (z.B. durch breite und tiefe Verarbeitung der sprachlichen Daten). Der didaktische T. muss umso weiter greifen, desto distanter eine Zielsprache von den dem Lerner bekannten Brückensprachen ist. Selbstverständlich gelten auch alle weiteren Elemente, die für das erfolgreiche Sprachenlernens notwendig sind (die jedoch hier nicht beleuchtet werden können). 4 Die ersten Sätze Schwedisch lesen... und einen persönlichen Lernplan für Schwedisch erstellen Die folgenden Aufzeichnungen stellen einen stark verkürzten Ausschnitt aus dem Protokoll eines Interkomprehensionsversuches zur ersten Lektüre eines schwedischen Zeitungstextes dar. Die Probandin (hinfort M.) ist eine 59jährige Designerin deutscher Muttersprache. Sie besitzt Kenntnisse im Englischen (geschätzt B2+), Französischen (geschätzt B2) und Lesekompetenz im Italienischen. Sie hatte bislang weder mit dem Schwedischen noch mit anderen nordgermanischen Sprachen Kontakt. Das Niederländische ist ihr hingegen oft begegnet. Mit der Interkomprehensionsmethode ist M. dank ihrer Italienisch- und passiven Niederländischkenntnisse (geschätzt A2) implizit vertraut. M. verbindet mit der Lektüre des schwedischen Zeitungsartikels keine nachhaltige Spracherwerbsabsicht. Die Interkomprehensionsproben wurden auf 2 mal 30 Minuten begrenzt. Zur Elizitation wurden Videographie und teilnehmende Beobachtung (TB) 1 In bunter Folge: Motivationssteuerung; Organisation der Lernumgebung; Lernzeitmanagement; Definition von Lernzielen und Lernstrecken; Bewertung und Kontrolle der Lernschritte und der Lernergebnisse; Einsatz von Hilfsmitteln; Organisation sozialer Komponenten erfolgreichen Lernens: Tandem und ggf. Lernberatung; Lernprotokoll; persönliches Mehrsprachen-Wörterbuch; Fortschreibung der Hypothesengrammatik; und immer wieder: Trennung des lexikalischen und morphosyntaktischen Materials in die Kategorien ‚opak‘ und ‚transparent‘. - - <?page no="75"?> Sprachtransfer - Lerntransfer - Intakeoptimierung 75 (durch den Autor) eingesetzt. Die folgende Skizze wurde auf der Grundlage der während der TB genommenen Notizen als auch des Videos erstellt. Die vom Autor ausgewählte textliche Vorlage entstammt der Rubrik Nyheter (Neuheiten/ Nachrichten) (aus) Sverige (Schweden) des Wirtschaftsmagazins SvD NÄRINGSLIV vom 30. Dezember 2013. Hilfsmittel: Internetwörterbücher Schwedisch-Deutsch/ Deutsch-Schwedisch Wb I: http: / / deutsch-schwedisches-woerterbuch.elch.nu/ lexikon.php? Wb II: http: / / desv.dict.cc/ Von M. zusätzlich gewählt: http: / / en.bab.la/ dictionary/ english-swedish/ Abb. 1: Internetseite von SvD Näringsliv. Quelle: http: / / www.svd.se/ naringsliv/ nyheter/ sverige/ delade-beckfilm-far-bota-43miljoner_8832466.svd (30.12.2014) Konventionen: […] vom Autor ergänzte Passage; „…“ wörtliche Rede aus dem Videoprotokoll; kursiv sprachbezogene Informationen, z.B. aus den Wörterbüchern. 5 Protokollskizze aus teilnehmender Beobachtung (Ausschnitt): Ein warming up erfolgt auf der Grundlage des Intro der Webseite (s.o.). M. erkennt, dass sie das meiste auf Anhieb versteht: Start, Neuheiten (nyheter), Live, Börse, Karriere, *Suche vom Vortag (falscher Freund), Analyse, Motor, <?page no="76"?> Franz-Joseph Meißner 76 Karriere, sodann: Schweden, Welt (< Världen in Kombination mit Sverige durch intelligentes Raten und formaler Ähnlichkeit), Digitales, Lifestyle, Quiz, Jobsuche, SvD-Angebote, Trainingsleben/ Sport. Pengar ‚Geld‘ wird mit Hilfe eines Wörterbuchs (hinfort Wb) erschlossen; zu näringsliv wird zwar die Wurzel näring ‚Ernährung‘ erkannt; die Bedeutung ‚Wirtschaft‘ kann aber erst über ein Wb identifiziert werden. Die Überprüfung der Bedeutung erfolgt in Richtung Schwedisch-Deutsch und Deutsch-Schwedisch, wodurch das Synonym ekonomi ‚Ökonomie‘ begegnet. M. äußert sich sodann zur Bedeutungsverschiebung von dt. Ernährung, Nahrung zu ‚Wirtschaft‘. Auch småföretag ist nicht auf Anhieb transparent. Da M. die Struktur des Kompositums dekomponiert, suchte sie die Form små. Als sie auf ‚klein‘ stößt, führt sie einen formbezogenen Transfer durch: „schmal, klein“. Das Wb erweitert sodann ihr Assoziationsfeld: småfolk „das kleine Volk“ (Wb liefert ‚die kleinen Leute‘); dann småsjuk ‚leicht krank‘. Företag meint laut Wb ‚Unternehmen‘, nicht etwa ‚Vortag‘; es erfolgt die Korrektur des falschen Freundes. Små företag wird als ‚Kleinunternehmen‘ identifiziert. Zur Überprüfung öffnet M. den Link und findet mehrere Textbeispiele zu företag ‚Firma, Unternehmen‘: Kreativ lösning för småföretag på pengajakt, was sie z.T. mit Hilfe des Wb (jakt ~ Jagd, Suche) wie folgt überträgt: „Kreative Lösung für kleine Firmen auf der Suche nach Geld (Finanzen)… Fundraising.“ Dann bemerkt sie: „Ach ja, das mit dem Zusammenschreiben ist wohl im Schwedischen nicht immer ganz klar. Små företag schreiben die Wörterbücher auseinander. Komisch.“ Offensichtlich ist die Kenntnis der Textsorte ‚Cover einer Zeitung‘ eine Verständnishilfe. M. meint, dass sie Mikael Persbrandts Foto (Gunvald Larsson in der Serie ‚Kommissar Beck‘) motiviere, den Artikel verstehen zu wollen. Satz 1 Vorlage Delade Beckfilm - får böta 4,3 miljoner (bildliche Unterstützung durch ein Photo von Mikael Persbrandt). Spontanes Verständnis: „Kommissar) Beck-Film… 4,3 Millionen“ (Pause) „Ein Beck- Film, Film mit Kommissar Beck bringt 4,3 Millionen oder so“. Hypothesen: „får böta könnte ‚was mit ‚Beute‘ zu tun haben‘ (…). “ Zu delade: „keine Ahnung“. Lernsteuerung: Notwendigkeit der Klärung von delade und får böta. „Verstehe zu wenig, brauche ein Wörterbuch und eigentlich auch eine Grammatik oder richtigen Schwedischunterricht.“ TB: delade M. konsultiert Wb zur Form delade: Findet heraus, dass es „was Zusammengesetztes“ ist und sucht nun dela. Ergebnis: „att dela - teilen“. Erneute Konsultation, jetzt zu att. Ergebnis: zu, oft vor Infinitiv. Geht zurück zum Eintrag dela. Betrachtet das Lemma in <?page no="77"?> Sprachtransfer - Lerntransfer - Intakeoptimierung 77 Verbindung mit Präpositionen: att dela in ~ untergliedern; ~ upp ~ aufteilen; ~ ut ~ austeilen. Findet die Informationen „nicht wirklich immer klar“... Bemerkt: „Ich brauche mehr Beispiele.“ Erneute Konsultation zu delade: „Delade ist eine Form von dela. Genaueres findet M. beim Eintrag dela (dividieren) … (teilen). Findet hier alle flektierten Formen. Betrachtet diese eingehend. Fragt: „Was ist denn ein supinum? “ Sodann liest sie vor, u.a.: „delas presens, passiv form“ - „Was ist das? “ (überlegt) “wird geteilt, geteilt werden“. Notiert: „Konjugationsformen nachsehen und lernen.“ TB: får böta Konsultation von Wb: „får ~ kriegen. Reaktion: „Aha, kriegt Beute, …“. Wb nennt: bot, böter ~ Strafe (neben straff: at sitta av sitt straff ‚s. Strafe absitzen‘). M.: „Straff ist klarer. Vielleicht ist die Form böt-a ein Infinitiv? “ (Dabei blickt sie auf das Beispiel att böta ~ Strafe zahlen. Sie konsultiert strafen und findet at straffa und bestraffa. Sie sucht erneut böta und akzeptiert: „Bußgeld bezahlen.“ Abb. 2: Dekodation von Satz 1 Satz 2 Vorlage En fildelare i Sala döms av tingsrätten att betala 4,3 miljoner kronor jämte ränta till Nordisk Film A/ S TB: Konsultation der Wb zu fildelare, Sala, döms, jämte. Filesharer, döms wird erst geklärt, als die Verbform döma gesucht wird urteilen, beurteilen, verurteilen. Jömt ~ stets (Adv.), nebst, ränta ~ Zins. Wb nennt auch straffränta ~ Strafzins. Spontanes Verständnis: „Ein Fildelare im Gericht muss bezahlen 3,4 Millionen Kronen an Nordfilm - oder so, an Nordfilm, aber mir fehlt was - warte - Zinsen an Nordfilm. Aber was ist mit dem jämte? TB: Wie kommst du zu der Aussage? „En ~ ein, i ~ in, delare ist ‚was mit teilen; ting kenne ich von das Thing bei den Germanen, rätten so wie Recht, richten, att ~ zu, betala ~ bezahlen; till vielleicht nach oder an.“ TB: fildelare Wb I: fildelare ~ filesharer. „Ach toll, das Wörterbuch zeigt, wie man den Plural bildet. Nee, nicht wirklich, Einzahl und Mehrzahl haben ja dieselbe Form. Au Weia, das ist ja wie im Deutschen, wo die Hauptwörter gebeugt werden: Der Mann, des Mannes, dem Manne - sagt doch keiner mehr - also: Männer! Also: fidelares ~ des Filesharers. (…) Wieso hat das Schwedische zwei Formen für den Genitiv Singular? Hierzu brauche ich eine Erklärung.“ - Sie <?page no="78"?> Franz-Joseph Meißner 78 informiert sich sodann zu Filesharing in Wikipedia und findet heraus, dass wohl eine „Internet-Tauschbörse“ gemeint sei. Die Ambivalenz der genitivischen Formen wird nicht gelöst. TB: Sala schlägt in Wikipedia nach und findet, dass Sala eine Stadt ist (…): „Ein Filesharer in Sala.“ TB: döms M. sucht die Form döms in Wb und findet döma ~ urteilen. „Wird der Filesharer nun verurteilt oder urteilt er? Mir fehlt das Subjekt.“ (Pause) „Wie war das noch mit den Formen bei dem einen Verb… dela? “ Guckt nach und findet die Formen delades preteritum passiv form, delas infinitiv passiv form und presens passiv form. (erneute Pause). „Vielleicht hilft mir av weiter, ist vielleicht so wie englisch by oder französisch par [plus logisches Subjekt]? “ Ergebnis av ~ von ist nicht eindeutig. TB Impuls: „Könnte ein englischschwedisches Wörterbuch helfen? “ Googelt und findet das dictionary English-Swedish. Dort: Bestätigung, dass av auch en. by [+ logisches Subjekt] entsprechen kann. „Es könnte also heißen: Ein Filesharer in Sala (wird) verurteilt von einem Gerichtshof zu zahlen 3,4 Millionen an Nordfilm.“ (Pause) „Das mit dem englischen Wörterbuch war gut. (…) Man kann das Schwedische von zwei Sprachen her angehen. Manchmal hilft die eine [Sprache], wenn es mit der anderen nicht klappt.“ TB: jämte Wb II disambiguiert (nebst); bleibt ohne Kommentar TB: ränta Wb I: Zins (formähnlich: Rente); ohne weiteren Kommentar TB: till aus dem Ko-Text erschlossen: an, nach; ohne Kommentar 2. Versuch: „Ein Sharefiler (sic) in Sala wird vom Gericht verurteilt, zu bezahlen 3,4 Millionen Kronen plus Zinsen an die Nordfilm S.A.“ „Das ist aber kein Deutsch“. M. korrigiert die Satzstellung. Abb. 3: Dekodation von Satz 2 Im Folgenden wurde M. gebeten, das erkannte Sprachmaterial in eine dreispaltige Tabelle einzuordnen und es knapp schriftlich zu kommentieren. Komposita sollen dekomponiert und ihre Elemente durch Bindestrich angezeigt werden. Sprachmittel Entsprechungen Sprachlernnotiz en ein unbestimmter Artikel. Muss wissen, ob nach Geschlecht und Zahl angepasst wird. fil-delare file-sharer Englisch hilft. Woran erkennt man, dass es ein Nomen ist? Woran Singular und Plural? i in Stimmt wohl. Mehr Text würde zeigen, ob ich richtig liege. <?page no="79"?> Sprachtransfer - Lerntransfer - Intakeoptimierung 79 döms wird verurteilt Die Form verstehe ich immer noch nicht richtig. Das mit dem Infinitiv passiv…? ? ? Irgendwie komisch.. av von, en. by Brauche mehr Text zur Bestätigung. tingsrätten Gerichtshof Muss nochmal ting nachschlagen, um die zusammengesetzten Wörter mit ting zu sehen. Das hilft mir immer. (schaut nach) att zu, oft vor Infinitiv OK, wie im Englischen [to + Verb]. betal-a bezahl-en Die Infinitiv-Endung ist -a; auch in att dela ‚teilen‘, straffa usw. miljon-er Million-en Eine Pluralendung ist -er - wie in dt. Männ-er. Gibt es auch, wo sich ein Vokal im Wort ändert, wie bei Mann und Männer? kron-or (verbessert: kron-a) Kron-e (verbessert) Krone-n) Was heißt Krone in der Einzahl? (Findet krona). Also ist hier kronor die Mehrzahl von krona. (verbessert die 1. und die 2. Spalte). till nach Nicht bis wie englisch till. Nordisk Nord-isch OK. Vielleich auch nördlich? Film Film OK. War das jetzt Plural oder Singular? A/ S. S.A. (société anonyme) Anonymous Society? Ich finde das in der englischen Wikipedia nicht. Egal. Kenne ich aus dem Französischen. detta dieser, -e, -es Das hat mehr Bedeutungen als dieser, diese… Muss prüfen. efter nach (after) Mit den Präpositionen ist das oft nicht richtig klar. Brauche wieder mehr Text. Muss die Präpositionen im Text sehen. han er Irgendwie komisch. Erinnert mich an it. hanno, ist aber ganz was anderes. eller oder Auch fremd. hon sie „Ich merke mir han eller hon ‚er oder sie‘. Hört sich gut an. Gut finde ich, dass die elektronischen Wörterbücher die Formen auch sprechen. Leider tun das die schwedischen nicht so oft. del-a teil-en Habe ich zuerst nicht erkannt. Dann die Ähnlichkeit mit dem Deutschen und dem Holländischen gesehen: del-a ~ teil-en, holl. delen. Aus dem Platt kenne ich dat deel. In der Geschichte gab es wohl sowas wie op ewig ungedeelt oder so. Konsultiert <?page no="80"?> Franz-Joseph Meißner 80 Wikipedia und findet den Artikel up ewig ungedeelt. -a ist Infinitiv. flera (zu) viele, etliche OK, heißt ‚zu viel‘. Aber alle Bedeutungen im Wörterbuch sind mir nicht klar. Brauche mehr Text. filmer Film-e Das könnte der Plural sein: en film, filmer? Muss ich kontrollieren. på auf OK. sajten Seiten Wie im Deutschen. SweBit, SweByte Finde meine Übersetzung geil. däribland darunter Hätte ich im Satz auch ohne Wörterbuch rausgekriegt. deckar-film-en Kriminalfilm-e deckar ~ Krimi - ohne Wörterbuch nicht erkennbar. Der Eigenname (Kommissar) Beck macht es klar. lev-ande leb-end wie im Deutschen begravd begraben begraben… wurde begraben. Wie ist das mit der Form [Partizip Perfekt], z.B. gegeben. Guck ich jetzt nach: Geben ist ge, gegeben ist given. Gibt es wie im Englischen unregelmäßige Verben? Abb. 4: Erstellung der Hypothesengrammatik 6 Antworten der Probandin zum Lerntransfer Wie liest du Schwedisch? Gelernt habe ich, dass ich über die schwedischen Wörter oft zwei-, drei oder viermal nachdenken muss, um sie zu verstehen. Oft erkenne ich nicht direkt, ob es Entsprechungen im Deutschen gibt. (…) Man muss sich in die Sprache einfinden. Unbedingt bräuchte ich so etwas wie eine Kurzgrammatik, die kurz und knapp verständlich erklärt, was Schwedisch schwer macht: (…) Vielleicht wären Tabellen gut. Wie beurteilst du die Rolle der Wörterbücher für das Lernen? … eine riesige Stütze… Nur muss man immer erst die Grundform [eines Wortes] herausfinden, da es im Text oft anders auftaucht: die gebeugten Formen, die zusammengesetzten… […] Echt gut ist aber, dass, wenn man ein Wort sucht, man sehr oft auch andere zusammengesetzte Formen findet. 2 So baut man viel mehr Anschlüsse vom Deutschen her auf. Die Assoziationen 2 z.B. Richter ~ domare > fotbollsdomare ~ Schiedsrichter, linjedomare ~ Linienrichter, undersökningsdormare ~ Untersuchungsrichter‘ usw. <?page no="81"?> Sprachtransfer - Lerntransfer - Intakeoptimierung 81 mit vielen Wörtern und dass du ihnen einen Sinn geben kannst, sind eine echte Verstehens- und auch Behaltenshilfe. Das Wiedererkennen deutscher Wörter oder Wortanteile im Schwedischen gibt auch Mut weiterzulernen, weil du merkst: Nicht alles ist so undurchsichtig, wie es zuerst scheint; das, was du aus deiner Sprache weißt, ist im Schwedischen nutzbar. Es ist klar, dass ich ohne die elektronischen Wörterbücher den Text nicht hätte kapieren können. Die schwedischen Wörterbücher könnten aber besser sein. Oft lassen sie dich im Regen stehen. Gut war der Tipp mit dem englisch-schwedischen Wörterbuch. Über zwei [mehr Sprachen] zu gehen, macht manchmal das Vergleichen besser. Wie siehst du das Zusammenspiel von Text und Wörterbüchern zum Nachdenken über Schwedisch und Schwedischlernen? (…) Die Wörterbücher erlauben [es], Wörter und Formen [miteinander] zu vergleichen. Oft geht die Beschäftigung dann aber weiter in Richtung Grammatik. Fängst du an, über Sprache nachzudenken, lässt dich das nicht einfach wieder los. Dann schlägst du nach und wieder nach. Ja, ohne Wörterbücher hätte ich nicht so über das Schwedische nachdenken können. Aber wie gesagt: Man braucht auch Hilfen zur Grammatik. Könntest du dir aufgrund deiner jetzigen Lernerfahrungen mit dem Schwedisch lesen Lernen einen Lernplan für Schwedisch erstellen? Meine Erfahrungen reichen auch nicht aus [um die Frage zu beantworten], weil ich ja nur gelesen (…) und nur wenig gelesen habe. (…) Das Lesen hat mir aber ziemlich klar gezeigt, was ich ganz konkret lernen muss, um weiter [ins Schwedische] einzusteigen. (…) Ich denke, dass guter Schwedischunterricht die Hilfen nutzen muss, die das Deutsche und das Englische bereitstellen. 7 Fazit An den gezeigten Daten aus Sprachverarbeitungsprozessen lässt sich ablesen, dass/ ob • sich die Interkomprehensionsforschung selbst verstärkt der Intakeoptimierung zuwenden muss, • Analysen zur Rolle von Metakognition die Dimension der Lernhandlung zu wenig berücksichtigen, wenn sie konkrete Phänomene der mentalen Sprachverabeitung bzw. des Intakeverhaltens ausblenden, <?page no="82"?> Franz-Joseph Meißner 82 • die Intakeoptimierung sehr stark über die Nutzung von Hilfsmitteln verläuft, die selbst als Träger des Inputs begriffen und weiter erforscht werden müssen, • kritisch zu fragen ist, ob die Konsultationskompetenz von Wörterbüchern, elektronischen Glossaren, Lernergrammatiken usw. hinreichend von der Forschung zur Lernerautonomisierung und Sprachlernkompetenz berücksichtigt wird, • die Lehrwerkentwicklung und ihre wissenschaftliche Begleitung (stärker als bislang) die Intakeoptimierung in den Blick nehmen müssen, • die Untersuchung von interlingualen und didaktischen Transferprozessen abhängig ist von der Struktur der Ziel- und Brückensprachen; daher muss auch die Transferforschung eng sprachbezogen arbeiten. Dies ergibt sich aus dem Vergleich von Transferprozessen zwischen romanischen Sprachen und dem Schwedischen. Damit ist die vom Jubilar 1988 aufgeworfene Frage „der Suche nach dem richtigen Wort“ auf der Grundlage der heutigen Forschungen zu Interkomprehension, Sprachlernkompetenz und Materialentwicklung neu gestellt. Literatur Bär, Marcus (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tübingen: Gunter Narr. Ellis, Nick C. (2011): „Optimizing the input: Frequency and sampling in usage-based and form-based focused learning“. In: Long, Michael H./ Doughty, Catherine J. (eds.): The Handbook of Language Teaching. Sussex: Wiley-Blackwell, 139-158. Gage, Nathaniel/ Berliner, David C. (1996): Pädagogische Psychologie. 5. vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim und München: Beltz. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (2010): „Mehrsprachigkeit und vernetzendes Sprachenlernen“. In: Hallet/ Königs (Hrsg.), 302-307. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.) (2010): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Kallmeyer. Königs, Frank G. (1983): Normenaspekte im Fremdsprachenunterricht. Ein konzeptorientierter Beitrag zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr. Königs, Frank G. (1988): „Auf der Suche nach dem richtigen Wort. Analysen zum lexikalischen Suchverhalten beim Schreiben in der Fremdsprache <?page no="83"?> Sprachtransfer - Lerntransfer - Intakeoptimierung 83 und beim Hinübersetzen“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 17, 99- 117. Königs, Frank G. (2010): „Lernpsychologische und psycholinguistische Grundlagen des Fremdsprachenlernens“. In: Hallet/ Königs (Hrsg.), 326- 329. Meißner, Franz-Joseph (2004): „Transfer und Transferieren. Anleitungen zum Interkomprehensionsunterricht“. In: Klein, Horst G./ Rutke, Dorothee (Hrsg: ): Neuere Forschungen zur Europäischen Interkomprehension. Aachen: Shaker, 39-66. Meißner, Franz-Joseph (2010a): „Interlanguage“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttart und Weimar: Metzler, 126-127. Meißner, Franz-Joseph (2010b): „Interkomprehensionsforschung“. In: Hallet/ Königs (Hrsg.), 381-386. Meißner, Franz-Joseph (2012a): „Standard setting in intercultural education by means of the Framework of Reference for Pluralistic Approaches (FREPA)“. Key-note; 6th International Annual CertiLingua-Conference, Helsinki 8-9-2012. http: / / www.certilingua.net/ wp-content/ uploads / meisner_frepa_certilingua-keynote.pdf (30.12.2013). Meißner, Franz-Joseph (2012b): „Teaching and learning intercomprehension: A way to learner autonomy“. In: De Florio-Hansen, Inez (ed.): Towards Multilingualism and the Inclusion of Cultural Diversity. Kassel: University Press, 37-58. Meißner, Franz-Joseph (im Druck): „Analogie - Inférence - Transfert dans une perspective diachronique. Un plaidoyer pour une Encyclopédie de l'histoire des termes de didactique des langues“. In: Castagne, Eric (coord.): Analogie et intercompréhenson. Reims: PU. Norman, Donald A. (1982): Learning and Memory. San Francisco: Freeman. Raupach, Manfred (2010): „Lerner- und Interimsprachen“. In: Hallet/ Königs (Hrsg.), 330-333. <?page no="85"?> Klein. Aber fein? - Ein minimalinvasiver Weg zur schulischen Förderung von Mehrsprachigkeit Lars Schmelter Dass Mehrsprachigkeit durch schulischen Fremdsprachenunterricht gefördert werden soll, kann als Konsens gelten. Auf dem Wege dorthin sind begriffliche, konzeptuelle, curriculare und didaktische Fragen zu klären. Die zum Teil sehr umfangreichen Vorschläge, wie Mehrsprachigkeit im schulischen Fremdsprachenunterricht gefördert werden könnte, werden bislang in der Praxis kaum angenommen. Im letzten Abschnitt dieses Beitrages wird ein Projekt skizziert, das versucht, minimalinvasiv im Französischunterricht zur Mehrsprachigkeitsförderung beizutragen. 1 Große Worte - Mehrsprachigkeit im europäischen Diskurs Bereits seit den 1950er Jahren wird im Umfeld und mit Unterstützung des Europarates über Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität gesprochen, und es werden entsprechend motivierte Studien und Publikationen angestoßen. Bis heute haben sowohl die Begriffe und die mit ihnen verbundenen Konzepte als auch die verfolgten Ziele zum Teil sehr bedeutsame Veränderungen erfahren. Mit dem Inkrafttreten der Verträge von Maastricht nahm sich auch die Europäische Union intensiver der Mehrsprachigkeit und ihrer Förderung an. Die Förderung der Mehrsprachigkeit der europäischen Bürger kann heute als eines der zentralen Ziele der bildungs- und kulturpolitischen Veröffentlichungen und der entsprechend finanzierten Fördermaßnahmen der Europäischen Union gelten. Sie erfolgt mit dem Blick auf die Identität Europas, die demokratische Mitwirkung seiner Bürger an politischen Diskussionen und Entscheidungsprozessen, die wirtschaftliche Mobilität der Bürger und das Zusammenwachsen der Staaten der Europäischen Union. Die Formel „Muttersprache plus zwei weitere europäische Sprachen“ spiegelt diese Bestrebungen wider. 1 Sieht man von einigen wenigen Papieren ab (siehe u.a. Groupe des 1 Dabei gehen diese Bemühungen um die Förderung der Mehrkulturalität und Mehrsprachigkeit Europas in ihren emanzipatorischen und friedensstiftenden Ansprüchen zumindest in Teilen auf den Europarat und die durch ihn angestoßenen Veröffentlichungen zurück. Auf die personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten sowie den <?page no="86"?> Lars Schmelter 86 Intellectuels pour le Dialogue Interculturel 2008), dann zielen diese Fördermaßnahmen zumeist auf die offiziellen bzw. Staatssprachen ab. Zum Teil werden auch die autochthonen Regional- und Minderheitensprachen berücksichtigt. Die ebenfalls in den verschiedenen Ländern gesprochenen „Sprachen ohne Territorium“, d.h. die Sprachen von Migranten, werden - sieht man von den Sinti und Roma ab - so gut wie nicht in den offiziellen Papieren berücksichtigt (siehe Schmelter in Vorbereitung). Während also auf der einen Seite die Mehrsprachigkeit der europäischen Staatengemeinschaft ebenso wie die der Einzelstaaten mittlerweile als Realität anerkannt wird, sind die politischen Diskurse über die lebensweltliche Mehrsprachigkeit ebenso wie die wissenschaftlichen und alltagssprachlichen Diskurse zugleich in hohem Maße heterogen und nicht auf einen Nenner zu bringen (Cichon/ Cichon 2009, 148ff). Der historisch gewachsene europäische Sprachenpluralismus, evidente kommunikatorische Notwendigkeiten, aber auch die heute immer noch schwer hinterfragbare Gleichsetzung von staatlicher und sprachlicher Einheit führt dazu, dass wir auf der europäischen Diskursebene eine deutlich hierarchisierte Handhabung interstaatlicher und innerstaatlicher Mehrsprachigkeit antreffen. (Cichon/ Cichon 2009, 149). 2 Große Vielfalt - Mehrsprachigkeit im fremdsprachendidaktischen Diskurs Die Heterogenität der politischen und gesellschaftlichen Diskurse über Mehrsprachigkeit lässt sich auch in der Fremdsprachendidaktik erkennen. Dies beginnt bereits bei der Definition dessen, was Mehrsprachigkeit ist, wie sich in den Arbeitspapieren der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts (Bausch et al. 2004) exemplarisch nachlesen lässt. Während „Mehrsprachigkeit“ bei einigen Autoren unter Verweis auf Wandruszka (1979) bereits in der Erstbzw. Muttersprache angelegt ist, beginnt sie bei anderen erst mit dem Erwerb einer zweiten, von den Erstsprachen distinkten Sprache. Wiederum andere Autoren sehen die „echte“ Mehrsprachigkeit erst mit dem Erwerb der dritten Sprache als gegeben. Diese konzeptuelle Vielfalt ist nicht nur nicht angetan, den wissenschaftlichen Diskurs zu erleichtern, sondern sie ist auch bei der bildungs- und sprachenpolitischen Mitwirkung der Fremdsprachendidaktik hinderlich (vgl. Königs 2004). Insofern ist der Typologisierungsversuch von Königs (2003), der unterschiedliche Kontexte und Sprachlernbiographien im Rahmen von Fremdsprachenunterricht be- Wandel, den zentrale Begriffe und Konzepte genommen haben, kann hier nur hingewiesen werden (siehe hierzu ausführlicher Schmelter in Vorbereitung). <?page no="87"?> Klein. Aber fein? 87 rücksichtigt und dabei 18 verschiedene Typen von Mehrsprachigkeit herausarbeitet, ein wichtiger Beitrag zur begrifflich-konzeptuellen Verständigung. Andererseits hebt die Begriffs- und Konzeptvielfalt nicht nur die Vielzahl der Forschungsaktivitäten und die Komplexität des Phänomens hervor. Kemp (2009) zeigt, wie schwierig und vor allem arbiträr die Definition von Mehrsprachigkeit nicht nur aufgrund der Komplexität des Phänomens an sich, sondern auch aufgrund der diversen theoretischen und ideologischen Hintergründe der definitionsgebenden Forscher ist. Jede Definition und Typologisierung geht mit Verkürzungen einher, die jedoch zugleich notwendig sind, um überhaupt zu einer für empirische Forschung operationalisierbaren und in praktischen Kontexten didaktisch nutzbaren Definition zu gelangen. Denn um Mehrsprachigkeit eindeutig festlegen zu können, müssten nicht nur die immer auch standortabhängigen Grenzen von Sprache(n) geklärt werden, sondern auch der ebenfalls zumeist nicht objektiv festzusetzende Grad der Beherrschung, von dem an eine Sprache bei der Festlegung von Mehrsprachigkeit „zählt“. Defining a phenomenon as complex as multilingualism is problematic in many ways, and necessitates defining what a language is and how languages can be counted with regard to individuals’ proficiency, functional capability, and identity. (Kemp 2009, 23) Da vor diesem Hintergrund erkennbar ist, dass das „‚mehrsprachige Individuum‘ [...] nicht zu vermessen“ ist (Christ 2004, 31), greife ich für die weiteren Überlegungen in diesem Beitrag auf die in deutschsprachigen Publikationen regelmäßig herangezogene Festlegung von Bertrand/ Christ (1990, 208) zurück, nach der derjenige als mehrsprachig gelten kann, „der auf der Basis der Kenntnis seiner Muttersprache eingeschränkte Kenntnisse in wenigstens zwei weiteren Sprachen entweder in gleichen oder in verschiedenen Diskursbereichen hat“. Eine genaue Definition dessen, was mit dem Begriff Sprache bezeichnet werden soll, ist im Zusammenhang dieses Beitrags nur bedingt notwendig, da abgesehen von der/ den Erstsprache(n), der Verweis auf die Schulfremdsprachen und die in ihren Curricula festgelegten normativen Setzungen ausreichen. Sprachen sind hier folglich die als Schulfächer unterrichteten Sprachen sowie die subjektiv als distinkte Sprachen empfundenen und funktional genutzten sprachlichen Systeme der primären sprachlichen Sozialisation. Der im Folgenden in den Blick genommene Unterricht des Französischen als zweiter schulisch vermittelter Fremdsprache dürfte in den meisten deutschen Schulen Schüler der bei Königs (2003, 92f) beschriebenen Typen A4 und A6 sowie bisweilen auch A5 zusammenbringen, d.h. Schüler mit Deutsch als Erstsprache, Schüler, die neben Deutsch als Erst- oder Zweitsprache über andere Erstsprachen verfügen, und Schüler, für die das Französische <?page no="88"?> Lars Schmelter 88 zu den Erstsprachen zu zählen ist. Allen gemeinsam ist, dass sie als erste schulisch vermittelte Fremdsprache in der Regel Englisch gelernt haben. 3 Umfangreiche Vorschläge zur Bewältigung einer großen Aufgabe - die Förderung von Mehrsprachigkeit im schulischen Fremdsprachenunterricht Trotz vieler Differenzen im Detail können wir mit Blick auf die Rolle, die dem schulischen (Fremd-)Sprachenunterricht bei der Förderung von Mehrsprachigkeit zukommen soll, innerhalb der Fremdsprachendidaktik über die Didaktiken der Einzelsprachen hinweg von einigen konsensuellen Punkten ausgehen. Mehrsprachigkeit zu fördern, wird von den meisten Autoren als Aufgabe aller Fächer betrachtet, auch wenn den sprachlichen Fächern hierbei ein besonderes Gewicht zukommt. Auch die Ansicht, dass Mehrsprachigkeitsförderung die vorhandenen sprachlichen Wissens- und Kompetenzbestände berücksichtigen sollte, wird zumeist geteilt. Dies setzt eine mittlerweile gemeinhin vertretene integrative anstelle einer bislang häufig auch in Curricla noch vorzufindenden additiven Didaktik voraus, da nur so fächerübergreifende Curricula und Vorgehensweisen konzeptualisiert und koordiniert umgesetzt werden können (Hallet/ Königs 2010). Zugleich - und dies wird immer wieder zu Recht betont - soll der Unterricht einer Einzelsprache weiterhin in erster Linie zum Komptenzauf- und -ausbau in dieser Sprache führen. 2 Für die konkrete Umsetzung mehrsprachigkeitsfördernder Maßnahmen im Fremdsprachenuntericht sind eine Reihe von Konzepten formuliert und zum Teil sogar empirisch erprobt worden. Beispielhaft kann hier auf die Arbeiten zu einem Gesamtsprachencurriculum (z.B. Hufeisen 2011), die Vorschläge zum sprachenübergreifenden Lernen (u.a. Behr 2007) und die mittlerweile umfangreichen konzeptuellen und empirischen Arbeiten zur Interkomprehensionsdidaktik (siehe als knappen Überblick Meißner 2010b) verwiesen werden. In der Forschung zur Interkomprehension, auf die ich mich hier beschränke, da sie im weiteren Verlauf noch von Bedeutung sein wird, konnte für die jeweils untersuchten Kontexte gezeigt werden, dass mit interkomprehensionsdidaktischen Verfahren schnelle Lernfortschritte beim Leseverstehen 2 Das handlungsorientierte psycholinguistische Konzept von Mehrsprachigkeit als sprachenübergreifender kommunikativer Kompetenz unter Rückgriff auf Kompetenzen in allen individuell verfügbaren Sprachen, wie dies vom Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen formuliert wird (Europarat 2001), trifft als Leitkonzept für die Gestaltung von Fremdsprachenunterricht zum Teil auf deutliche Skepsis (z.B. Maurer 2011). <?page no="89"?> Klein. Aber fein? 89 erzielt werden können. Diese können für den weiteren Kompetenzaufbau in anderen sprachlichen Kompetenzbereichen genutzt werden und wirken sich positiv auf die Motivation der Lernenden aus (Bär 2010). Zugleich konnte gezeigt werden, dass interkomprehensionsdidaktische Unterrichtselemente zur Ausbildung und Entwicklung von Sprachen- und Sprachlernbewusstheit beitragen können (Morkötter 2011). Daneben sollen sich positive retroaktive Effekte einstellen, d.h., dass z.B. von einem interkomprehensiven Einstieg ins Spanischlernen rückwirkend auch die Kompetenzen in den zuvor gelernten Sprachen Französisch und Englisch profitieren. Interkomprehensive Verfahren scheinen also zur schulischen Förderung von Mehrsprachigkeit gut geeignet zu sein (siehe die knappe Zusammenstellung bei Meißner et al. 2011, 87f). Dem Französischen, das zumeist als zweite Schulfremdsprache unterrichtet und gelernt wird, kommt bei der Förderung von Mehrsprachigkeit nicht nur deshalb eine besondere Stellung und Funktion im Gesamtsprachencurriculum zu (vgl. Schmelter 2010). 4 Große Erwartungen - Französisch als besondere Brücke zur schulisch geförderten Mehrsprachigkeit Der Französischunterricht kann in Deutschland als der Ort gelten, an dem Schüler im Sinne von Bertrand/ Christ (1990) die Grenze zur Mehrsprachigkeit überschreiten; und zwar unabhängig von ihrer primären sprachlichen Sozialisation und ihrer damit eventuell schon zuvor erlangten Mehrsprachigkeit. Daraus erwachsen besondere Bedingungen für das Lehren und Lernen dieser Sprache, die Hufeisen (2010) auf der Grundlage empirischer Arbeiten in ihrem Modell multiplen Sprachenlernens theoretisch abbildet. Zugleich eignet sich das Französische aufgrund seiner Spezifika in besonderer Weise als Brückensprache beim interkomprehensiven Zugang zu anderen romanischen Sprachen (Klein 2002). Insofern könnten im Französischunterricht eingesetzte interkomprehensive Elemente für den Ausbau der Mehrsprachigkeit eine ganz besondere Wirkung entfalten. Bei näherer Betrachtung der Realitäten kommt man jedoch wohl nicht umhin festzustellen, dass der Französischunterricht in Deutschland der von ihm erwarteten Förderung von Mehrsprachigkeit nicht gerecht wird. Schon die motivationale Unterstützung der Lernenden bei der Aneignung des Französischen gelingt im Französischunterricht - wie mehrere Untersuchungen zeigen konnten - vergleichweise schlecht (siehe u.a. Beermann/ Cronjäger 2011; Meißner et al. 2008 sowie zur Situation des Französischunterrichts insgesamt Caspari 2010). Auch das Aufgreifen des Vorwissens, wie es mehrfach u.a. von Meißner (z.B. 2011) eingefordert wurde, scheint zumindest nicht regelmäßig zu erfolgen. So weist de Florio-Hansen (2008) auf Ergebnisse von <?page no="90"?> Lars Schmelter 90 Studierendenbefragungen hin, die zeigen, dass auf die sozialisationsbedingte Mehrsprachigkeit der Schüler im Französischunterricht - trotz entsprechender Unterrichtsvorschläge (z.B. Nieweler 2001) - bislang kaum eingegangen wird (siehe auch Rück 2009). Hier spiegelt sich die bereits erwähnte „hierarchisierte Handhabung“ (Cichon/ Cichon 2009, 149) von Mehrsprachigkeit auf politischer Ebene im Fremdsprachenunterricht wider. Ganz im Sinne der integrativen Mehrsprachigkeitsdidaktik werden z.B. in Französisch- Lehrwerken mehrsprachige Vokabellisten angeboten. Allerdings wird zumeist nur auf Schulfremdsprachen verwiesen. Wichtig wäre allerdings auch, dass die muttersprachlichen Sprachkenntnisse von Migrantenkindern in die fremdsprachlichen Lernprozesse einbezogen werden. (Küster/ Rein-Sparenberg 2013, 53) Die deutschen Autoren der MES-Studie leiten aus ihren Befunden und in Kenntnis der Arbeiten zur Interkomprehension eine Reihe von einleuchtenden Empfehlungen ab. So sollte das Interesse an Pluralität von Sprachen und Kulturen bei den Schülern geweckt und die Sprachen- und Sprachlernbewusstheit sollten gefördert werden. Die lebensweltliche Mehrsprachigkeit von Schülern sollte damit nicht länger als unnütz herabgewürdigt werden (Meißner et al. 2008, 162f). Konkret sollten deshalb die Funktionen der vorhandenen sprachlichen Kompetenzen in den diversen Erst-, Zweit- und Fremdsprachen besprochen werden. Zudem sollten Lernprozesse ebenso einsichtig gemacht werden wie die Einstellungen zu Sprachen, um diese unter motivationalen und lernökonomischen Gesichtspunkten besser nutzen zu können. Interkomprehensive Verfahren, in denen systematisch der Transfer und die vorhandenen Potenziale bewusst gemacht und genutzt würden, seien hierzu in besonderer Weise geeignet (Meißner et al. 2008, 169). So ließen sich noch weitere Befürworter interkomprehensiver Verfahren im Französischunterricht zitieren. Allerdings trifft die über Einzelprojekte hinausgegehende Implementation von interkomprehensiven Elementen in den schulischen Fremdsprachenunterricht auf einige Schwierigkeiten, die Meißner et al. (2011, 89f) mit Blick auf den Spanischunterricht zusammentragen; sie dürften jedoch auch für den Französischunterricht gelten. Wenn man davon ausgeht, dass schulischer (Fremdsprachen-)Unterricht sehr stark durch die zumeist von Verlagen bereitgestellten Lehrmaterialien - und dies sind im Fremdsprachenunterricht regelmäßig komplexe Lehrwerke - geprägt ist (Schmelter 2011), dann kann von den bei Meißner et al. (2011) genannten Schwierigkeiten das Fehlen interkomprehensiver Elemente bzw. die fehlende Berücksichtigung der Interkomprehension in diesen Lehrwerken insgesamt als eine besonders hohe Hürde für sprachenverknüpfendes Lernen gelten. Ein weiteres Hindernis <?page no="91"?> Klein. Aber fein? 91 machen Meißner et al. (2011, 89) in der Zurückhaltung der Lehrpersonen gegenüber umfassenden Neuerungen aus: Die Interkomprehension teilt die Schwierigkeiten, die sich bei allen Innovationen innerhalb großer Systeme wie „Schule“ ausmachen lassen (vgl. Interkulturelles Lernen, kommunikative Orientierung, Kompetenzorientierung). (Meißner et al. 2011, 89) Siepmann (2007, 70) geht aufgrund ähnlicher Annahmen bei seinen Überlegungen zu einer veränderten Wortschatz- und Grammatikarbeit bewusst von der relativen Lehrwerkzentrierung und den Beharrungstendenzen von Lehrpersonen bei allzu großen Veränderungsansprüchen aus und macht daher minimalinvasive Vorschläge. Auch das im Folgenden näher darzustellende Projekt geht von diesen Grundannahmen aus. 5 Klein, aber fein? - Begründung eines minimalinvasiven, integrierten Trainings zur Vermittlung lexikalischer Transferstrategien Sieht man sich die vorliegenden Dokumentationen und empirischen Untersuchungen zur Interkomprehensionsdidaktik genauer an, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass hier zumeist ein recht massiver Eingriff in bestehende Unterrichtsroutinen erfolgt, der u.a. Folgen für den weiteren Umgang mit dem eingeführten Lehrwerk hat. Was tun, wenn die Lesekompetenz der Lerner nach 30 Stunden B1 erreicht hat, das Lehrwerk aber gleichwohl auf die Parallelität der Förderung der produktiven und rezeptiven Kompetenzen angelegt ist? Was tun, wenn das Lehrwerk reflexives Lernen nur unzureichend unterstützt? (Meißner et al. 2011, 89) Für den Französischunterricht kommt - wie oben bereits angedeutet - hinzu, dass viele Lerner - spätestens - nach zwei, drei Lernjahren ihr Interesse am Französischen verloren haben und der Unterricht nicht mehr auf eine stabile Motivation für das Erlernen dieser Sprache bauen kann. Dies hat dann auch Auswirkungen auf den erhofften positiven Einfluss von interkomprehensiven Fenstern auf potenziell nachfolgende bzw. ergänzende Sprachlehrgänge. So konnte Schlösser (2014) einerseits die großen Lern- und Bewusstseinserträge eines nur 90-minütigen interkomprehensiven Fensters im Französischunterricht für das Spanische und die positiven Rückmeldungen dazu konstatieren, musste aber andererseits auch erkennen, dass diese positiven Erfahrungen im 3. Lernjahr der Gesamtschule eventuell zu spät kommen, wie das nachfolgen- <?page no="92"?> Lars Schmelter 92 de Schülerzitat aus ihrer Untersuchung veranschaulicht: „Spanisch wählen? Wir sind doch froh, wenn wir Französisch los sind! “ (Schlösser 2014, 3). Interkomprehension deutlich früher einsetzen zu lassen, um das Vorwissen möglichst früh positiv, d.h. lernförderlich und damit motivierend aufzugreifen (siehe Meißner 2010a), stößt jedoch aufgrund der notwendigen ausgebauten Kenntnisse in potenziellen Brückensprachen an Grenzen. Der von Morkötter (2011) eingeschlagene Ausweg, u.a. auf das Niederländische auszuweichen, um Sprach(lern)bewusstheit zu schulen, scheint unter motivationalen Gesichtspunkten und mit Blick auf die erforderlichen größeren Eingriffe in den Französischunterricht nicht unproblematisch; auch weil die Erwartungen der Schüler und ihrer Eltern andere sind. Kleineren sprachenübergreifenden Maßnahmen, wie Behr (2007) sie vorschlägt, fehlt häufig ebenfalls die von Schülern und Eltern erwartete Sprachspezifik. Insofern kann die systematisch in den regulären Französischunterricht integrierte Vermittlung lexikalischer Transferstrategien im 2. Halbjahr des 1. Lernjahres bzw. im 1. Halbjahr des 2. Lernjahres, bei der auf das gesamte individuell verfügbare sprachliche Wissen der Schüler zurückgegriffen wird, eine sprachspezifische, früh einsetzende Alternative darstellen. Analysiert man unter diesem Gesichtspunkt die neueste Lehrwerkgeneration für Französischunterricht, so stellt man fest, dass zwar punktuell auf verschiedene Möglichkeiten des (sprachlichen) Transfers hingewiesen wird. Die aufgezeigten Transfermöglichkeiten werden jedoch nicht systematisch in den folgenden Lektionen aufgegriffen und weitergeführt. So fehlen u.a. Texte, die den Rückgriff auf Transferstrategien notwendig und damit ein weiteres Einüben der einmal vermittelten Strategien möglich machen (Kossack 2013; Schröter 2013). Im Rahmen eines Forschungsprojekts, dessen Ziel es ist, in einem quasiexperimentellen Design Bedingungsfaktoren für das Erlernen von Französisch als dritter Sprache (L 3 ) im Sinne des Faktorenmodells von Hufeisen (2010) empirisch zu prüfen, ist vor diesem Hintergrund ein entsprechendes Trainingsprogramm entwickelt und pilotiert worden (siehe Göbel et al. 2013). Kern des Trainings sind auf spezifische Lehrwerke abgestimmte Aufgaben, deren Bearbeitung in der Regel 10 bis 20 Minuten in Anspruch nimmt und die deshalb weitgehend problemlos in den regulären Unterricht integriert werden können. Die Aufgaben wurden teils in der Forschergruppe, teils von Studierenden in Lehrveranstaltungen zur Mehrsprachigkeitsdidaktik, teils im Rahmen eines Workshops an der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) entwickelt, an dem Studierende, Referendare aus dem Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Solingen sowie erfahrene Lehrpersonen teilnahmen. Ihr bisheriger Einsatz durch Studierende erfolgte in Gesamtschulen und Gymnasien im Umfeld der BUW zumeist einmal wöchentlich und erstreckte <?page no="93"?> Klein. Aber fein? 93 sich über mehrere Wochen (in der Regel 10 bis 12 Wochen). Begleitet wurden diese Einsätze des Trainings durch eine Reihe von Tests und Fragebögen, die zur Überprüfung der Wirkung des Trainingsprogramms entwickelt wurden und im Rahmen der Pilotstudie erprobt werden sollten (Göbel et al. 2013; Göbel 2014). Die Ergebnisse und Einsichten, die wir im Rahmen der Pilotierungsphase gewinnen konnten, sind vielversprechend. Ob klein tatsächlich auch fein ist, d.h., ob das von uns entwickelte minimalinvasive Training zur Vermittlung von Lexiktransferstrategien tatsächlich wie bislang auf der Grundlage der vorliegenden fremdsprachendidaktischen und bildungswissenschaftlichen Erkenntnisse (siehe hierzu u.a. Göbel et al. 2010) angenommen bei ansonsten annähernd gleichen Bedingungen zu einer höheren Kompetenz im Französischen, zu höherer Sprachbewusstheit und zu einer höheren Akzeptanz von Mehrsprachigkeit führt, muss das Projekt erst noch zeigen. Eine nicht unbedeutende Feinheit zeichnet sich jedoch schon jetzt ab. Die Pilotierungsphase hat Akteure aus unterschiedlichen relevanten Feldern, die mit dem schulischen Französischunterricht befasst sind, zusammengebracht. Die notwendige enge Kooperation u.a. zwischen Studierenden und Lehrpersonen sowie Studierenden und Forschenden wurde bislang von allen Beteiligten als gewinnbringend empfunden (siehe auch die ähnlichen Erfahrungen bei Diehr/ Kassel 2013). Insofern deutet einiges darauf hin, dass die Art des Projekts selbst zur Förderung einer integrativen Mehrsprachigkeitsdidaktik beiträgt. Dies empirisch zu prüfen, wäre jedoch ein weiteres Projekt. 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Für die Unterrichtsgestaltung hielt man lange Zeit eine strenge Trennung der verschiedenen Sprachen für notwendig, u.a. vor dem lerntheoretischen Hintergrund des Behaviorismus und seinem Interferenzkonzept. Eine der Konsequenzen war das Bemühen um einen strikt einsprachigen Unterricht. In der Praxis zeigte sich allerdings schon früh, dass nicht nur die Muttersprache als Interferenzquelle in Frage kam, sondern dass Lerner auch Fehler produzierten, die offensichtlich auf den Einfluss einer zuvor gelernten Fremdsprache zurückgingen. Gleichwohl wurde daran festgehalten, den Unterricht primär von der Zielsprache her anzulegen und Bezüge zwischen Sprachen auszublenden oder allenfalls auf die sogenannten ‚falschen Freunde‘ zu reduzieren. Erst seit den achtziger Jahren wuchs die Einsicht, dass die mentale Interaktion zwischen Sprachen nicht nur zu Interferenzen, sondern - positiv betrachtet - auch zu lern- und kommunikationsfördernden Transferprozessen führen kann. Vor dem Hintergrund der intensivierten Diskussion über Mehrsprachigkeitsbegriffe und sprachenpolitische Konzepte ist seitdem erfreulicherweise ein deutlich verstärktes Fachinteresse an der Frage zu beobachten, welche Besonderheiten den Unterricht in zweiten und weiteren Fremdsprachen kennzeichnen und welche Konsequenzen in curricularer und unterrichtsmethodischer Hinsicht hieraus zu ziehen sind (vgl. exemplarisch die Beiträge in Bausch et al. 2004). Diese Diskussion ist nicht nur z.B. für die romanischen Sprachen bedeutsam (vgl. Bahr et al. 1996; Meißner/ Reinfried 1998). Sondern sie ist gerade auch für das Deutsche von praktischer Relevanz: So schätzt man seit Längerem, dass es weltweit in mindestens drei Viertel aller Fälle im Unterricht als zweite oder weitere Fremdsprache gelernt wird - zu- <?page no="98"?> Wolfgang Tönshoff 98 meist parallel zum früher einsetzenden Englisch (vgl. Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache 2003; 2006). Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, diesen Deutschunterricht in den übergeordneten Kontext der europaweit geführten Diskussion um die ‚Erziehung zur Mehrsprachigkeit‘ zu stellen und ausgehend von den lernerseitigen Voraussetzungen Prinzipien für seine Gestaltung abzuleiten. Damit geht es ausdrücklich nicht um einen Sprachvergleich - etwa zwischen dem Englischen und dem Deutschen -, sondern um fremdsprachendidaktisch motivierte Überlegungen zur Konkretisierung eines adressatenspezifischen Vermittlungskonzepts: Der Deutschunterricht darf keine phasenverschobene Kopie des Unterrichts in der ersten Fremdsprache sein, sondern sollte für die Schüler eine neue Lernerfahrung bedeuten und vorhandene Transferpotenziale gezielt nutzen. Erste Umfragen und Interviews mit Deutschlehrkräften aus verschiedenen europäischen Ländern verweisen allerdings auf ein vielfach nur geringes Problembewusstsein und auf eine Haltung, wonach jede Fremdsprache im Grunde nach denselben unterrichtsmethodischen Prinzipien unterrichtet wird (vgl. Bausch 2003). Im Weiteren werden ausgehend von einer kritischen Bestandsaufnahme Perspektiven für die curriculare Entwicklungsarbeit und für die Lehrmaterialentwicklung aufgezeigt. Zudem ergeben sich Konsequenzen für die Lehrerausbildung. Abschließend wird ein Blick auf die empirische Forschung geworfen, die bisher allerdings kaum über vom untersuchungsmethodischen Instrumentarium her sehr eingeschränkte Ansätze hinausgekommen ist. Deshalb bedarf es parallel zu den notwendigen Entwicklungsarbeiten in jedem Fall weiterer Forschungsaktivitäten, die auch in methodischer Hinsicht der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes angemessen sind. 2 Lernerprofil Die Diskussion über ‚Deutsch als zweite und weitere Fremdsprache‘ kann nicht losgelöst von der Frage geführt werden, welche Besonderheiten das Lernen und Lehren von zweiten und weiteren Fremdsprachen überhaupt kennzeichnen. Ausgangspunkt für die Konkretisierung eines spezifischen Konzepts für den Unterricht dieses Typs sind die Voraussetzungen und Merkmale auf Seiten der Lerner. Sie unterscheiden sich vor allem von denjenigen, die das Lernen einer ersten Fremdsprache auf der Primarstufe kennzeichnen, und lassen sich u.a. vor dem Hintergrund neuerer Arbeiten zum interlingualen Transfer (vgl. u.a. Edmondson 2001) bzw. zur zwischensprachlichen Hypothesengrammatik (vgl. z.B. Meißner/ Burk 2001; Meißner/ Senger 2001) sowie unterrichtsbezogener empirischer Untersuchungen (vgl. Bahr et al. 1996) vor- <?page no="99"?> Deutsch als zweite oder weitere Fremdsprache 99 läufig konturieren. Zu den wichtigsten Charakteristika des Lernerprofils zählen u.a.: • die altersbezogenen, differenzierten kognitiven Fähigkeiten und Interessen der Lerner sowie ihr umfangreicheres Weltwissen; • ihr vergleichsweise komplexer Sprachbesitz in der jeweiligen Muttersprache und mindestens einer Fremdsprache; • ihre bereits vorhandenen Fremdsprachenlern- und Kommunikationserfahrungen sowie ihr Strategiewissen; • ihre stärker ausgeprägte Fähigkeit zu selbst gesteuertem Lernen. Fremdsprachenlerntheoretisch von zentraler Bedeutung ist hier die Grundannahme von der einen kommunikativen Kompetenz, zu deren Herausbildung alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen (Europarat 2001, 17). Die gleichzeitigen oder sukzessiven Aneignungsprozesse verlaufen nicht einfach additiv und voneinander separiert, sondern die verschiedenen Wissensbestände können in vielfältiger Weise miteinander interagieren. Dabei ist grundsätzlich mit wechselseitigen, sowohl proals auch retroaktiv wirkenden, positiven und negativen Einflüssen zu rechnen. Deshalb wäre es in unserem Fall unangemessen, ein Etikett wie „Deutsch nach Englisch“ zu verwenden; stattdessen sollte von „Deutsch mit Englisch“ gesprochen werden (Bausch 2003). 3 Didaktisch-methodische Prinzipien Für einen Unterricht, der das Lernerprofil berücksichtigen und zugleich alle Möglichkeiten zur Ökonomisierung des Lernwegs nutzen will, lassen sich eine Reihe didaktisch-methodischer Prinzipien formulieren, die in ihrer Bündelung als konstitutiv für den Unterricht in zweiten oder weiteren Fremdsprachen angesehen werden können (vgl. u.a. Bausch/ Heid 1992; Neuner/ Hufeisen 2001; Tönshoff 2004): • Altersangemessene, thematisch möglichst viel ‚Neues‘ umfassende Lerninhalte, keine demotivierende Unterforderung durch sich wiederholende kommunikative ‚Standardsituationen‘. • Der Rückgriff auf intellektuell fordernde und kulturell bedeutsame Texte von Anfang an, gerade solcher Texte, die Anknüpfungspunkte an andere Sprachen und Kulturen bieten. • Unmittelbar handlungsorientiertes Arbeiten im Rahmen lebens- oder schulrelevanter kommunikativer Aufgabenstellungen, was für den Anfangsunterricht eine besondere Akzentsetzung auf die Sprachrezeption (vor allem auf das Leseverstehen) impliziert. • Ein hoher Stellenwert von Aktivitäten zur altersgemäßen Förderung der Sprachbewusstheit; vergleichendes und systematisieren- <?page no="100"?> Wolfgang Tönshoff 100 des Vorgehen, z.B. bei der Kognitivierung sprachlicher Regularitäten und bei der Wortschatzvermittlung unter Berücksichtigung sowohl des negativen als auch des - besonders zu übenden - positiven Transfers aus anderen Sprachen. • Die gezielte Entwicklung interkultureller Kompetenz, ggf. auch unter Heranziehung der ‚Mittlerwelt‘ der schon bekannten soziokulturellen Gegebenheiten des Sprachraums der ersten Fremdsprache. • Die vertiefende Beschäftigung mit Lern- und Kommunikationsstrategien und mit den Möglichkeiten des Strategietransfers, auch mit Blick auf die Fähigkeit zum selbstständigen Weiterlernen von Fremdsprachen. • Der Einsatz weiterer autonomiefördernder und selbstreflexiver Lernverfahren wie Portfolios und Lerntagebücher sowie die Etablierung eines ‚Metalerndiskurses‘, d.h. die Thematisierung der Erfahrungen mit dem Lernen und Gebrauchen mehrerer Sprachen. • Die deutliche Relativierung des Prinzips einer möglichst frühzeitigen und durchgängigen Einsprachigkeit, gerade im Anfangsunterricht. • Motivierende, auch kognitivierende Korrekturformen und Selbstkorrekturhinweise; keine Stigmatisierung ‚mutiger‘ Fehler, um keine Widerstände gegen das Lernen weiterer Fremdsprachen zu provozieren. • Insgesamt größtmögliche Methodenvielfalt zur Berücksichtigung unterschiedlicher Lerntypen bzw. Lernstile sowie häufige und markante Methodenwechsel. 4 Erziehung zur Mehrsprachigkeit Die Diskussion über Deutsch als zweite oder weitere Fremdsprache ist auf europäischer Ebene zudem eingebettet in die politischen und fremdsprachendidaktischen Bemühungen um die ‚Erziehung zur Mehrsprachigkeit‘: Nach den Forderungen des Europarats und der Europäischen Union soll jeder Schüler die Möglichkeit haben, mindestens zwei (moderne) Fremdsprachen zu lernen. An dieser Stelle seien lediglich drei der zahlreichen Perspektiven und Konsequenzen angedeutet, die sich aus der Entwicklung eines integrativen Konzepts curricularer Mehrsprachigkeit auch für den fremdsprachlichen Deutschunterricht ergeben (vgl. ausführlicher Bausch/ Helbig 2003; Königs 2004; 2006; Tönshoff 2004): 1. Der Abschied von einer near nativeness als durchweg gültigem Vollkommenheitsideal; stattdessen differenzierte Lernziele auf verschiede- <?page no="101"?> Deutsch als zweite oder weitere Fremdsprache 101 nen Kompetenzniveaus. Hier stellt der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) eine erste Grundlage dafür dar, Fremdsprachenunterricht übergreifend modular zu planen und die im individuellen Sprachenprofil erreichten Teilkompetenzen miteinander in Beziehung zu setzen. 2. Veränderungen in Bezug auf die Lehrgangsdauer und auch neue Organisationsformen des Unterrichts, z.B. Wechsel von intensiven und extensiven Phasen, unterbrochene Lehrgänge oder auch Auffrischungs- und Niveauerhaltungskurse. 3. Die enge institutionelle Kooperation der Lehrkräfte der verschiedenen sprachlichen Fächer. Gemeinsame didaktische Planungen auf horizontaler Ebene, d.h. jahrgangsbezogen über Fächergrenzen hinweg, sind hier ebenso wichtig wie die schul- und stufenübergreifende Kooperation, z.B. zwischen Primar- und Sekundarstufenlehrkräften. 5 Notwendige Entwicklungsarbeiten Die im Abschnitt 3 skizzierten didaktisch-methodischen Prinzipien konstituieren ein Rahmenkonzept für den Unterricht in zweiten und weiteren Fremdsprachen, das die Synergieeffekte der wechselseitigen Einflüsse von Sprachlernprozessen zu nutzen versucht. Dieses Rahmenkonzept muss im konkreten Fall mit den Bedingungen des Schul- und Bildungssystems im jeweiligen Land und mit den Besonderheiten des Faches Deutsch verknüpft werden. Als Faktoren aus dem Landeskontext sind dabei u.a. zu berücksichtigen: • die jeweilige Sprachenkonstellation und die typischen schulischen Sprachenfolgen, in unserem Fall u.a. die Frage, ob Deutsch primär als zweite oder als weitere Fremdsprache gelernt wird; • das durchschnittliche Lernalter, in dem der Deutschunterricht einsetzt; • die allgemeinen und fachspezifischen Lehr- und Lerntraditionen. Wirft man einen näheren Blick auf den Stand der Bemühungen in verschiedenen europäischen Ländern, eine Didaktik und Methodik für Deutsch als zweite bzw. weitere Fremdsprache zu konkretisieren, so stellt man allerdings fest, dass zwischen der konzeptuellen Ebene und der konkreten Umsetzung noch erhebliche Diskrepanzen bestehen. Notwendig erscheint eine langfristig angelegte, kontinuierlich zu betreibende Entwicklungsarbeit; dies gilt vor allem für den curricularen Bereich und für die Erarbeitung von Unterrichtsvorschlägen und Lehrmaterialien. Bislang reflektieren nur wenige der existierenden Schulcurricula bzw. Lehrpläne für den fremdsprachlichen Deutschunterricht die jeweilige Sprachenfolge und das spezifische Lernerprofil. Dort, wo überhaupt danach diffe- <?page no="102"?> Wolfgang Tönshoff 102 renziert wird, ob es sich z.B. um Deutsch als erste oder als zweite Fremdsprache handelt, beschränken sich die Unterschiede in aller Regel auf eine steilere Lernstoffprogression, die ihrerseits auf die insgesamt geringere Unterrichtszeit zurückgeht. Sehr zu begrüßen sind vor diesem Hintergrund erste Versuche, z.B. aus Tschechien und Bulgarien, auf curricularer Ebene spezifische Lernziele von Deutsch als zweiter Fremdsprache festzuschreiben und auch bei der Formulierung ‚didaktisch-methodischer Grundsätze‘ explizit zu berücksichtigen, was die Schüler an Kenntnissen und Fertigkeiten aus dem Unterricht in der ersten Fremdsprache mitbringen (vgl. u.a. Dikova et al. 2001). Diese Versuche gewinnen zusätzliche Bedeutung durch ihre Einbettung in die Bemühungen um eine Modernisierung des Fremdsprachenunterrichts insgesamt, die den Reformprozess in den betreffenden Ländern charakterisieren. Allerdings sind auch diese curricularen Entwicklungsprojekte in ihrer Genese noch stark durch die Tradition der ‚Fächerautonomie‘ geprägt, und die aktuellen Texte können typologisch als primär produktorientierte Curricula gelten. Im Rahmen des langfristigen Prozesses ihrer Implementation, Evaluation und Revision sollte deshalb erstens die Perspektive einer Verzahnung mit Curricula anderer Fremdsprachen ausgelotet werden. Zweitens wird zu prüfen sein, inwieweit Verfahren aus prozessorientierten Ansätzen der Curriculumentwicklung, die bislang vor allem in die aktuellen Curricula des Europarats und die Europäischen Sprachenzertifikate Eingang gefunden haben, auch für den schulischen Bereich fruchtbar gemacht werden können. Im Rahmen dieser Ansätze wird u.a. beschrieben, wie Lernende bei der Lösung kommunikativer Aufgaben im Rahmen sogenannter ‚Szenarien‘ ihre Sprachkompetenz weiterentwickeln und dabei auch ihre Sprachbewusstheit und ihre Lernkompetenz steigern können. Aus praktischer Sicht besteht ein besonders wichtiges Desiderat in der Entwicklung konkreter Unterrichtsvorschläge und Lernmaterialien. In der fachdidaktischen Literatur gibt es eine Reihe von Erfahrungsberichten und Anregungen für Bewusstmachungs- und Übungsaktivitäten, die sich primär auf die typische Konstellation „Englisch als 1., Deutsch als 2. Fremdsprache“ beziehen. Standen anfangs Überlegungen und Materialien zum Wortschatzlernen im Vordergrund, so liegen inzwischen auch vermehrt Einzelvorschläge für andere Lernbereiche - wie z.B. die Grammatik- und die Textarbeit - vor (vgl. u.a. Berger/ Colucci 1999; Berger/ Curci/ Gasparro 2003; Kniffka 1999; Mazza 2002; Neuner/ Hufeisen 2001; Neuner et al. 2009; Rieger 1999). Kurstragende Lehrwerke, die für sich in Anspruch nehmen, speziell für Deutsch als zweite bzw. weitere Fremdsprache geeignet zu sein, sind erst ganz vereinzelt entwickelt worden, so in Bulgarien, Russland, Slowenien und Südkorea (vgl. An 1999; Bim/ Sadomova 2000; Dikova/ Mavrodueva/ Kudlinska- <?page no="103"?> Deutsch als zweite oder weitere Fremdsprache 103 Stankulowa 2000; Oresic 2002). Diese Lehrwerke berücksichtigen den komplexen Sprachbesitz der Lernenden allerdings lediglich durch die punktuelle Gegenüberstellung grammatikalischer und lexikalischer Einheiten oder durch einzelne Texte mit einem hohen Anteil an Internationalismen bzw. Anglizismen. Außerdem werden vorhandene Sprachlernerfahrungen und Strategien bislang kaum thematisiert und für das aktuelle Deutschlernen zu nutzen versucht. Grundsätzlich positiv ist jedoch in jedem Fall die Tatsache zu werten, dass der Erstellung spezifischer Lernmaterialien überhaupt verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Deshalb seien an dieser Stelle stichwortartig einige konzeptionelle Elemente für zukünftige Lehrwerkentwicklungen benannt, die über die bisherigen Ansätze hinausreichen: 1. Die Thematisierung von ‚Mehrsprachigkeit‘ auf der Ebene von Lehrwerkpersonen und Textinhalten; die Berücksichtigung auch von Sprachwechseln und Sprachmischungen in der alltäglichen Kommunikation; 2. die systematische Einbeziehung der Transferperspektive bei Progressionsentscheidungen und eine z.T. veränderte, auf mehrdimensionalen Vergleich hin angelegte Art der Präsentation sprachlicher und soziokultureller Lerngegenstände; 3. Sensibilisierungsübungen zur Reflexion über Sprachen und zur Erweiterung der Sprachbewusstheit; 4. fertigkeitsbezogene Aufgaben, die auch auf Kenntnisse aus der ersten Fremdsprache rekurrieren; bei den rezeptiven Fertigkeiten die Konzentration auf die Aktivierung ‚transferfähiger‘ Wissenselemente; bei der produktiven Entfaltung des Deutschen eine verstärkte Übung auch interferenzanfälliger Bereiche; 5. Übungssequenzen zur Bewusstmachung, Erprobung und Überprüfung individueller Lernstrategien sowie Aufgaben zur Förderung der Sprachlernbewusstheit und zur Selbstevaluation, wie sie auch für die Arbeit mit dem Europäischen Sprachenportfolio bedeutsam sind; 6. Übungsangebote für binnendifferenzierende Maßnahmen, um den quantitativen und qualitativen Unterschieden im Sprachbesitz der einzelnen Schüler besser Rechnung tragen zu können. Für die Entwicklungsarbeiten insgesamt erscheint eine Abstimmung auf internationaler Ebene in jedem Fall sinnvoll; dabei können auch Mittlerorganisationen aus deutschsprachigen Ländern eine wichtige Unterstützerrolle spielen. <?page no="104"?> Wolfgang Tönshoff 104 6 Konsequenzen für die Lehrerausbildung Aus der Diskussion über Deutsch als zweite Fremdsprache ergeben sich schließlich Konsequenzen für das Qualifikationsprofil der Lehrenden. Dies gilt nicht nur für Länder, in denen Deutschlehrkräfte traditionell als Ein- Fach-Lehrer ausgebildet werden. Die Ausbildung sollte insgesamt der Funktion von Lehrkräften als Experten für das Fremdsprachenlernen und als Mittlern zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen gerecht werden. Sie sollte deshalb deutlicher als bisher auf sprachenübergreifendes und fächerverbindendes Arbeiten angelegt sein und entsprechende unterrichtsmethodische Handlungskompetenzen vermitteln (vgl. auch die Beiträge in Bausch et al. 2003). Grundvoraussetzungen für ein erweitertes Qualifikationsprofil sind die Vertrautheit mit Curricula und Lehrmaterialien der anderen sprachlichen Fächer, solide Englischkenntnisse sowie ggf. Kenntnisse in weiteren Schulfremdsprachen. Ferner sollten die Ausbildungsgänge Module zur Lernberatung und zur Förderung diagnostischer Kompetenzen umfassen, nach Möglichkeit auch Hospitationspraktika im Unterricht anderer Fremdsprachen. In jedem Fall dürfte es sinnvoll sein, den Lehrkräften im Rahmen ihrer Ausbildung auch eine Vermittlungskompetenz für die eigene Muttersprache mit auf den Weg zu geben. 7 Forschungsstand und Perspektiven Bereits zu Beginn ist darauf hingewiesen worden, dass relativ wenige Forschungsarbeiten zum Lehr- und Lernbereich ‚Deutsch als zweite Fremdsprache‘ existieren (vgl. u.a. Dentler 1998; Ecke/ Hall 2000; Eschenlohr 2003; Gibson et al. 2001; Hufeisen 1991; Kjär 2000; Marx 2002; 2005; Michiels 1999; Oebel 2004; Piller 2002; Vogel 1992; Welge 1987). Es handelt sich in nahezu allen Fällen um rein fehleranalytische Arbeiten angewandt linguistischer Provenienz, die sich auf schriftliche Lernerprodukte stützen. Die Klassifikation erfolgt auf der Grundlage lernerexterner Sprachvergleichsdaten. Erste Fremdsprache ist mit Ausnahme einer Studie (Michiels 1999) das Englische. Bei diesen als Querschnittsuntersuchungen angelegten Fehleranalysen dominieren zwei Designvarianten: • Bei Variante 1 werden Schreibprodukte zweier Lernergruppen mit derselben Muttersprache verglichen, wobei die eine Gruppe Deutsch als erste, die andere Gruppe Englisch als erste und Deutsch als zweite Fremdsprache lernt oder gelernt hat. <?page no="105"?> Deutsch als zweite oder weitere Fremdsprache 105 • Bei Variante 2 werden Schreibprodukte einer größeren Gruppe von Deutschlernern mit verschiedenen Muttersprachen analysiert, die alle über Englischkenntnisse verfügen. Untersucht wird vor allem die Anzahl mutmaßlicher Interferenzfehler aus der Muttersprache und aus der ersten Fremdsprache, zumeist differenziert nach Sprachebenen und in einigen Fällen auch nach Lernniveau. Die Ergebnisse der Fehleranalysen sind im Einzelnen uneinheitlich, insbesondere was die relative Einwirkungsstärke auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen angeht. Tendenziell scheint der (negative) Transfer aus der ersten Fremdsprache Englisch auf das Deutsche umso ausgeprägter zu sein, je geringer die Deutschkenntnisse sind und je besser das Englische beherrscht wird. Bei den Untersuchungen der Variante 2 ist der Anteil der Interferenzen aus dem Englischen bei Sprechern nicht-indoeuropäischer Muttersprachen besonders ausgeprägt. Ein erstes wichtiges Desiderat sind angesichts des Forschungsstandes psycholinguistisch orientierte Studien zum Lernen von Deutsch als zweiter bzw. weiterer Fremdsprache, von denen auch Beiträge zur Modellierung von Mehrsprachigkeit und multiplem Sprachenlernen erwartet werden dürfen. Ziel sollte sein, die Interaktion der verschiedenen Wissensbestände und Lernprozesse sehr viel umfassender und differenzierter als bisher zu charakterisieren und dabei nicht nur Interferenzen, sondern insbesondere auch positive Transferleistungen stärker in den Blick zu nehmen, sowohl bei produktiven, als auch bei rezeptiven Lernaufgaben. Bei der Spezifikation von Transferwahrscheinlichkeiten sollten in jedem Fall weitere Faktoren einbezogen werden, wie z.B. der Erwerbskontext, die Aufgabenart, der jeweilige Lerntyp bzw. Lernstil, die aktuelle Gebrauchshäufigkeit der einzelnen Sprachen, ihr Status als Mutter- oder Fremdsprache sowie Lernereinstellungen, etwa zum Prestige von Sprachen und zur eigenen Mehrsprachigkeit. Insbesondere sollten auch die subjektiven Einschätzungen der Lerner zur Distanz zwischen den involvierten Sprachen und zur Markiertheit bestimmter Redemittel berücksichtigt werden. Damit ergeben sich auch forschungsmethodische Konsequenzen. Output- Analysen stoßen schnell an Grenzen, selbst wenn sie nicht rein fehleranalytisch vorgehen, sondern die gesamte sprachliche Performanz einschließen. Die Beziehung zwischen der Produkt- und der Prozessebene bleibt mehrdeutig; direkte Schlüsse von lernersprachlichen Produkten auf zugrunde liegende Prozesse und Strategien sind problematisch. Der gesamte Bereich der Sprachrezeption bleibt ohnehin weitgehend ausgeklammert, da es sich hier um rein mentale ‚Produkte‘ handelt. (Eine erfreuliche Ausnahme stellt hier die Dissertation von Marx 2005 dar.) <?page no="106"?> Wolfgang Tönshoff 106 Wie in anderen Bereichen der Sprachlehrforschung sollten deshalb auch bei Untersuchungen zum interlingualen Transfer verstärkt introspektive Datenerhebungsverfahren in komplementärer Funktion zum Einsatz kommen, z.B. verschiedene Techniken des gleichzeitigen oder nachträglichen ‚Lauten Denkens‘. Durch die Erhebung derartiger Daten ergibt sich in vielen Fällen die Möglichkeit, die auf Performanzdaten beruhenden Interpretationen durch prozessbezogene Verbalisierungen der Lerner entweder zusätzlich abzustützen oder begründet zurückzuweisen (vgl. u.a. Aguado et al. 2013). In jedem Fall wichtig sind außerdem longitudinal angelegte Fallstudien, um die diskontinuierlichen und hochgradig individuellen Lernprozesse in ihrem zeitlichen Verlauf besser nachzeichnen zu können. Ein besonders dringliches Desiderat stellen jedoch Untersuchungen dar, die den Unterricht und die in ihm handelnden Personen selbst in den Blick nehmen. Da unterrichtsanalytische Studien zum Lernen von Deutsch als zweiter Fremdsprache bisher fehlen, muss es vorrangig darum gehen, wesentliche Ausschnitte dieses Wirklichkeitsbereichs umfassend und detailliert zu dokumentieren, anschließend deskriptiv-interpretativ zu explorieren und so zur Formulierung von Hypothesen zu gelangen, die die Grundlage für weitere Untersuchungen darstellen können. Sinnvolle inhaltliche Schwerpunkte der Analysen lassen sich dabei vor dem Hintergrund der genannten didaktischmethodischen Prinzipien bestimmen. Relevante Untersuchungsbereiche wären z.B. die Textarbeit im Anfangsunterricht, die Förderung der Sprachbewusstheit, spezifische Übungsformen oder der Umgang mit dem Prinzip der Einsprachigkeit. Von zentraler Bedeutung ist zudem die weitere Differenzierung und empirische Absicherung des skizzierten Lernerprofils. Sinnvolle Forschungsschwerpunkte liegen hier u.a. in der Untersuchung der Auswirkungen vorangehender Lernerfahrungen und insbesondere in der Frage, inwieweit vorhandene Lernstrategien auf neue Sprachlernprozesse transferierbar sind, wie dies im Unterricht gefördert werden kann und welche Rolle dabei Persönlichkeitsvariablen sowie emotionale und motivationale Variablen spielen. Angesichts der Komplexität der Untersuchungsgegenstände und der explorativen Zielsetzung erscheint es auch hier geboten, bei der Datenerhebung neben Verfahren der Fremdbeobachtung nach Möglichkeit auch introspektive Verfahren, verschiedene Formen von Interviews und Fragebögen einzusetzen, um die subjektiven Sichtweisen der am Unterricht Beteiligten mit zu berücksichtigen und bei der Analyse und Interpretation verschiedene Datentypen aufeinander beziehen zu können. Nicht nur für eine Differenzierung von Lernerprofilen erscheinen z.B. biographische Zugänge auf der Basis narrativer Interviews besonders ergiebig. Perspektivisch dürften auch länderver- <?page no="107"?> Deutsch als zweite oder weitere Fremdsprache 107 gleichend angelegte Untersuchungen der Lehr- und Lernpraxis aufschlussreich sein. Mit Blick auf die laufenden und zukünftigen Entwicklungsarbeiten liegt schließlich eine aktuelle Forschungsaufgabe in der wissenschaftlichen Begleitung der Erprobung von Unterrichtsvorschlägen und Lehrmaterialien. Einen auf unmittelbare Praxisrelevanz zielenden Forschungsansatz stellt hier die Handlungs- oder Aktionsforschung dar. Dabei werden von den Lehrkräften selbst oder in Kooperation mit ihnen Daten zu konkreten Praxisproblemen erhoben und durch Intervention bewirkte Veränderungen des Unterrichts evaluiert (vgl. u.a. Altrichter/ Posch 2006 sowie die konzise und anschauliche Darstellung speziell für das Fremdsprachenlernen bei Nunan 2001). Die Handlungsforschung kann und will zwar keine Verallgemeinerbarkeit ihrer Ergebnisse beanspruchen, sie kann jedoch gerade bei innovativen curricularen und unterrichtsmethodischen Ansätzen eine Schlüsselfunktion im Kontext von Lehrerfortbildung übernehmen und ist zugleich ein wichtiges Instrument zur Intensivierung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Praxis. Literatur Aguado, Karin/ Heine, Lena/ Schramm, Karen (Hrsg.) (2013): Introspektive Verfahren und Qualitative Inhaltsanalyse in der Fremdsprachenforschung. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang. Altrichter, Herbert/ Posch, Peter (2006): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. An, Sa-Kyun (1999): Ch’oisin Togiro - Neue Deutsche Sprache. 6. Auflage. Seoul: Moon Yea Lim. Bahr, Andreas/ Bausch, Karl-Richard/ Helbig, Beate/ Kleppin, Karin/ Königs, Frank G./ Tönshoff, Wolfgang (1996): Forschungsgegenstand Tertiärsprachenunterricht. Ergebnisse eines empirischen Projekts. Bochum: Brockmeyer. 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Überlegungen aus der Sicht des DaF-Unterrichts mit Erwachsenen in Polen 1 Sylwia Adamczak-Krysztofowicz 1 Einleitung Wenn man erwachsene Teilnehmende an Sprachkursen befragt, welche sprachliche Fähigkeit in ihrer Einschätzung am wichtigsten für die fremdsprachliche Kommunikation ist, dann nennen die meisten von ihnen die mündliche Sprachproduktion, mit der sie den Erfolg bei der direkten Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften und Kulturen gleichsetzen. Dabei überrascht sie häufig die Einsicht, dass das verstehende Hören sowohl im alltäglichen Gebrauch der Sprache als auch im Unterricht viel relevanter ist. Es nimmt in der muttersprachlichen Alltagskommunikation im Durchschnitt mit 45% eine führende Position ein, gefolgt vom Sprechen mit 30%, dem Lesen mit 16% und schließlich dem Schreiben mit 9% (Neveling 2000, 3). Auf die wichtige Rolle des verstehenden Hörens für die aktive Teilnahme am fremdsprachigen Interaktionsprozess machen viele Fremdsprachendidaktiker/ innen (u.a. Myczko 1995; Solmecke 1993; Trojan 2014; Wolff 2002 und Zawadzka 1987) seit mehreren Jahrzehnten aufmerksam; darunter auch Frank G. Königs (1993; 2007), der als einer der ersten eine Überwindung der traditionell „isolierten“ Betrachtungsweise des klassischen Fertigkeiten-Ansatzes fordert. Wenn man bei der Durchsicht der Fachliteratur zur Entfaltung der Hörverstehenskompetenz (HV-Kompetenz) das Augenmerk auf die Reflexion von lernerbezogenen subjektiven Interessen und individuellen Schwierigkeiten für eine lernerorientierte Auswahl und Gestaltung von auditiven und audiovisuellen Unterrichtsmaterialien richtet, kann man sehr schnell feststellen, dass groß angelegte empirisch fundierte Arbeiten im Bereich der Be- 1 Der Aufsatz spielt auf den Titel des Beitrags von Frank G. Königs (1993) an und stellt einige ausgewählte Ergebnisse aus meiner Habilitationsschrift (Adamczak- Krysztofowicz 2009) dar, deren erste Teile ich während meiner DAAD-Forschungsstipendien bei Frank G. Königs in den Jahren 2005 und 2008 verfassen und mit dem Jubilar ausführlich diskutieren konnte. <?page no="112"?> Sylwia Adamczak-Krysztofowicz 112 stimmung des Textschwierigkeitsgrades sowie der Erstellung und Evaluation von Hörtexten und Höraufgaben für die adressatenbezogene Entfaltung der HV-Kompetenz im Erwachsenenalter noch rar sind. Aus diesem Grunde steht im Zentrum des vorliegenden Beitrags zuerst die Fragestellung, welche erwachsenenspezifischen Schwierigkeitsdeterminanten und Optimierungsbedürfnisse bei der Entwicklung der HV-Kompetenz didaktisch zu nutzen sind. In diesem Zusammenhang werden in Abschnitt 2 die bisherigen theoretischen Erkenntnisse zu Problemen bei der HV-Förderung und zu didaktischen Implikationen im Erwachsenenalter dargelegt. Danach werden in Abschnitt 3 ausgewählte Ergebnisse zur Einschätzung von Schwierigkeiten der lernenden Erwachsenen in Polen und zu Bedürfnissen bezüglich der Optimierung ihres HV-Trainings in den Fokus genommen. Aus den in Abschnitten 2 und 3 dargestellten Erkenntnissen werden im vierten Teil Thesen zur adressatengerechten Förderung der HV-Kompetenz abgeleitet und Forschungsdesidarata aufgelistet. 2 Erwachsenenspezifische Schwierigkeitsfaktoren und didaktischmethodische Vorgehensweisen bei der HV-Förderung im Erwachsenenalter Es existieren (meines Wissens) noch kaum glottodidaktische Erkenntnisse auf dem Gebiet der Erforschung der Schwierigkeitsfaktoren und der daraus abzuleitenden didaktisch-methodischen Vorgehensweisen bei der HV-Entfaltung bei Erwachsenengruppen unterschiedlichen Alters. Aus diesem Grunde werden in diesem Abschnitt die wichtigsten Forschungsergebnisse diskutiert, die auf die altersbedingte Beeinträchtigung des Wahrnehmungsapparates, der Aufmerksamkeit und der Gedächtnisleistung fokussieren: • Physiologische Hörschwierigkeiten: Während die Hörfähigkeit im Kindesalter stetig zunimmt und in der Pubertät ihren Höhepunkt erreicht, tritt schon ca. nach dem 50. Lebensjahr ein allmählicher Verlust der Hörschärfe für alle Töne ein. Dabei können die Töne höherer Lautfrequenzen schon viel früher deutlich absinken. Berndt (2001, 78) kommt zu dem Fazit, dass ein Mensch im Alter von 60 Jahren noch 80% (oder weniger) der Hörfähigkeit besitzt, über die er mit 20 Jahren verfügte. Eine konkrete Folge dieser Tatsache ist die, dass ältere Personen in ihren Reaktionen auf Geräusche langsamer werden, wobei Männer im Vergleich zu Frauen noch schlechter abschneiden. Das schlechtere und langsamere Hören beeinträchtigt das HV im Sprachunterricht mit Älteren vor allem dadurch, dass der Lerner akustische Informationen unter einer bestimmten Lautschwelle nicht richtig wahrzunehmen ver- <?page no="113"?> Adressatengerechte Förderung der Hörverstehenskompetenz 113 mag und bei Hintergrundgeräuschen die sich überschneidenden akustischen Informationen viel langsamer, lückenhaft oder auch kaum diskriminieren kann. Dies spricht im Hinblick auf die Unterrichtspraxis mit heterogenen Erwachsenen für eine optimale Raumakustik und Sitzordnung sowie altersgerechte Aufbereitung der Hörmaterialien. • Schwierigkeiten mit der selektiven Aufmerksamkeit: Die neuere Altersforschung geht von der Annahme aus, dass die Defizite im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit 2 (vor allem bei der Hemmungskomponente, die irrelevante Informationen unterdrücken sollte) umso deutlicher ausfallen, je komplexer die gestellte Anforderung ist. Dies hat zur Folge, dass ältere Erwachsene tendenziell mehr Zeit für die Selektion und die kurzfristige Speicherung der für sie neuen Informationen brauchen. Diese Verzögerungseffekte (d.h. verlangsamte Reaktion bei der Filterung und Verarbeitung der sensorisch wahrgenommenen Reize) vergrößern sich nochmals, wenn entsprechende Störfaktoren auftreten. Bei wenig komplizierten und eindeutigen Aufgaben, die nicht unter Zeitdruck gelöst werden müssen, sind dagegen die basalen (d.h. mechanisch-fluiden) Funktionen der selektiven Aufmerksamkeit noch weitgehend unversehrt. • Schwierigkeiten mit der Funktionstüchtigkeit des Arbeitsgedächtnisses 3 : Auf der Basis der dreistufigen Mehr-Speicher-Gedächtnis modelle 4 wird angenommen, dass es im Alter zu einer Verringe rung der verfügbaren Gedächtniskapazität kommt. Diese Beein trächtigung des Arbeitsgedächtnisses, die sich in erster Linie bei unstrukturiertem bzw. fremdem Input zeigt, wird unterschiedlich erklärt (vgl. hierzu Hasselhorn/ Gold 2006, 205). Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von 2 Die Qualität der Informationsverarbeitung hängt von der Funktionstüchtigkeit der Aufmerksamkeitszuwendung ab, die bei verschiedenen Personen (interindividuelle Differenzen) und in diversen Situationen (intraindividuelle Variablen) unterschiedlich gut ausgebildet ist. Zur Forschungslage vgl. Zawadzka (1987, 130ff) sowie Hasselhorn/ Gold (2006, 70ff). 3 Das Arbeitsgedächtnis (AG, engl. working memory) wird von einigen Forschern alternativ zu dem Terminus Kurzzeitspeicher (KZG) verwendet. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, sich Schwarz (2008, 104) anzuschließen und eine terminologische Trennung zu bevorzugen. 4 Zu den verschiedenen Varianten des von Atkinson und Shiffrin (1968, zit. nach Schwarz 2008, 102) entwickelten Mehr-Speicher-Modells vgl. Wolff (2002, 37ff) und Berndt (2003, 138ff). - - - <?page no="114"?> Sylwia Adamczak-Krysztofowicz 114 Berndt (2001, 81; 2003, 143), die die erschwerten Merk- und Abrufprozesse im episodischen Speicher der Älteren auf die fehlende Möglichkeit des Zugriffs auf bereits vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen aus dem semantischen Speicher zurückführt. Weitere Ansätze suchen nach Erklärungen in der Reduzierung der neuronalen Struktur in der basalen Frontalhirnrinde des Gehirns (zu Erläuterungsvarianten im Umfeld der Gehirnforschung vgl. Berndt 2003, 122ff). Eine eindeutige wissenschaftliche Erklärung steht allerdings noch aus. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Beeinträchtigung des Wahrnehmungsapparates, der Aufmerksamkeit und der Gedächtnisleistung das fremdsprachliche HV bei Erwachsenen auf diversen Altersstufen tatsächlich beeinflusst. Bei der Suche nach der Beantwortung dieser Fragestellung werden nur diejenigen Beiträge der Sprachandragogik näher fokussiert, die sich auf konkrete empirisch untermauerte Daten beziehen. Zu solchen Arbeiten gehört die Untersuchung von Goh (2000), die sich jedoch nur ausschließlich auf Hörverstehensprobleme eines Teils der jüngeren Erwachsenen (d.h. 40 chinesischer Englischlerner im Durchschnittsalter von 19 Jahren) konzentriert. Während die Untersuchung von Goh (ebd.) nur junge Ewachsene in den Fokus nimmt, rücken in der Studie von Berndt (2003) die leistungspsychologischen Aspekte des höheren Lebensalters in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. So weisen die von Berndt (2003, 171ff) interviewten 12 italienischen Senioren (alle nach dem 60. Lebensjahr) auf folgende Schwierigkeiten bei der auditiven Textrezeption hin: ein schwächeres Gehör, Schnelligkeit und mangelnde Lautstärke des Gesprochenen sowie Flüchtigkeit der gesprochenen Sprache. Darüber hinaus empfinden sie Gespräche und Geräusche im nächsten Umkreis als besonders störend beim HV-Training. Die thematisierten Problembereiche könnten allerdings durch entsprechende Vorbereitung abgeschwächt werden. So empfiehlt Berndt (2003, 173) folgende Vorgehensweisen für die Konzeption eines HV-Trainings mit älteren Erwachsenen: • Mehrkanalige altersgerechte Aufbereitung von Hörtexten: Hörtexte sollen sich in ihrer Aufbereitung nach den sensorischen und kognitiven Möglichkeiten heterogener Erwachsenengruppen richten. Diese Empfehlung betrifft die Forderung sowohl nach einer hohen Verständlichkeit der gesprochenen Sprache als auch nach der Deutlichkeit und Größe der visuellen Stützvorlagen. Demnach ist die Aufbereitung von auditiven Unterrichtsmaterialien unabdingbar, bei denen altersgerechte Lautstärke sowie prosodische Korrektheit (d.h. deutliche Betonung, Rhythmus, Satzmelodie <?page no="115"?> Adressatengerechte Förderung der Hörverstehenskompetenz 115 ohne unnatürliche Übertreibungen) beachtet werden. Darüber hinaus sind Störfaktoren (z.B. schlechte Raumakustik, Sitzordnung, Hintergrundgeräusche etc.) nach Möglichkeit auszuräumen und zu viele unbekannte Vokabeln sowie komplexe lange Satzstrukturen zu umgehen. • Altersgerechte Aufbereitung von Höraufgaben: Bei der Aufgabengestaltung sind Aufgaben zu vermeiden, bei denen Lernende mehrere komplexe Handlungen unter Zeitdruck ausführen sollen. Anstatt dessen sollten einfachere Übungen bzw. in Teile zerlegte strukturierte Aufgabenformate mit relativ langer Lösungszeit eingesetzt werden. Dank diesem methodischen Vorgehen lässt sich die belastende Komplexität der Reizangebote in klare Sequenzen auflösen. • Integriertes Lern- und Gedächtnistraining: Aus diesem Prinzip resultierend soll ein Konzept einer erwachsenengemäßen HV- Entfaltung zusätzlich in jedem Fall ein Strategien- und Gedächtnistraining beinhalten. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich eine kontinuierliche und abwechslungsreiche Vermittlung kognitiver und metakognitiver Strategien in der Kombination mit gedächtnistrainierenden Elementen gefordert. • Sicherung der Transparenz und Offenheit der Lernvorgänge: Die Beachtung dieses Prinzips ermöglicht das aktive Einbeziehen der Kursteilnehmenden in die Kursplanung und Unterrichtsgestaltung, fördert die positive Einstellung zum methodischen Vorgehen und zu den individuellen Lernmöglichkeiten und stützt somit die Hinführung der Lernenden zum selbstgesteuerten Lernen. Die in diesem Abschnitt zusammengetragenen Erkenntnisse der Sprachandragogik, die für ältere Erwachsene formuliert wurden, sollen jetzt auf der Basis von eigenen Untersuchungsergebnissen ausdifferenziert werden. 3 Ergebnisse zur Einschätzung von Schwierigkeiten der Erwachsenen und zu Bedürfnissen bezüglich der Optimierung ihres HV-Trainings im DaF-Unterricht in Polen Um ein großes und heterogenes Lernerfeld befragen zu können, wurden 23 Kursteilnehmer (12 Frauen und 11 Männer) auf dem Kompetenzniveau B1, B1+, B2, B2+ und auf den Altersstufen 18-24, 25-30, 31-40, 41-50 in problemzentrierten qualitativen Interviews befragt (zum Interviewleitfaden vgl. Adamczak-Krysztofowicz 2009, 383ff). Darüber hinaus wurde eine umfangreiche quantitative Fragebogenerhebung in 14 Sprachschulen, 6 Instituten, in einer Firma und in einem Jugendkulturhaus in 13 Städten in ganz Polen <?page no="116"?> Sylwia Adamczak-Krysztofowicz 116 durchgeführt (zum Aufbau des Fragebogens vgl. Adamczak-Krysztofowicz 2009, 390ff). Von 318 ausgewerteten Bögen wurden gut zwei Drittel (68,3%) von weiblichen und knapp ein Drittel (31,3%) von männlichen Kursteilnehmenden beantwortet. Was die Altersstufe anbetrifft, war die Altersspanne zwischen 18 und 24 Jahren mit 50% am häufigsten vertreten. Die anderen Altersgruppen waren folgendermaßen verteilt: 25-30 (28%), 31-40 (17%) sowie 41 und älter (nur 5%). Im Folgenden stelle ich in erster Linie in Auszügen den qualitativen Teil der Studie, nämlich die Ergebnisse zur Einschätzung von Schwierigkeiten der lernenden Erwachsenen sowie ihre Vorschläge zur adressatengerechten Gestaltung ihres HV-Trainings dar. Ergebnisse zur Einschätzung von Schwierigkeiten der Erwachsenen Aus der Analyse der 23 Interviews zu den Schwierigkeiten beim fremdsprachlichen HV ergeben sich drei individuelle Problemfelder: im Lerner-Hörer- Bereich sowie textbezogene und aufgabenbezogene Schwierigkeiten. Die Angaben der befragten Kursteilnehmer/ innen zu ihren individuellen Schwierigkeiten im Lerner-Hörer-Bereich, die sich wegen einer anderen Reihenfolge nur zum Teil mit den Ergebnissen der Studien von Goh (2000) und Berndt (2003) decken, weisen in erster Linie auf Einbußen bei der Laut- und Wortdiskriminierung sowie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen hin. Die Äußerungen zur Einschätzung der text- und aufgabenbezogenen Schwierigkeiten zeigen dagegen, dass die meisten Probleme der befragten Erwachsenen aus den sprachlichen Texteigenschaften (wie unbekannte Wörter und Fachbegriffe) und Eigenschaften des Sprechenden (wie Sprechtempo und undeutliche Aussprache) sowie lernzielbezogenen (beim detaillierten und genauen Hinhören) und textsortenspezifischen Bedingungskomplexen resultieren. Die von den Kursteilnehmenden vorgenommene Beurteilung der subjektiven Schwierigkeiten beim verstehenden Hören macht deutlich, dass es einerseits viele Kursteilnehmer/ innen gibt, die über eine relativ hohe Bewusstheit hinsichtlich der den Verstehensprozess beeinträchtigenden differenzierten Problemfelder verfügen. Andererseits sind einige erwachsene Lernende nicht in der Lage, ihre Probleme beim HV-Training deutlich zu machen. Bei ihnen scheint auch die metakognitive Sensitivität für die Wahl und den Einsatz angemessener Verstehensstrategien überraschend wenig ausgeprägt zu sein. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass die progressive HV- Förderung zusammen mit einem sensibilisierenden Strategientraining wenig Einzug in die andragogische Unterrichtspraxis in Polen gehalten hat. Folglich muss es ein Anliegen der Fremdsprachendidaktik sein, Lehrende auf ein erwachsenengemäßes HV-Training vorzubereiten. <?page no="117"?> Adressatengerechte Förderung der Hörverstehenskompetenz 117 Vorschläge zur erwachsenengemäßen Gestaltung eines HV-Trainings Bei der Beantwortung der vorletzten offenen Frage am Ende des Fragebogens, welche die optimale Gestaltung eines adressatengerechten HV-Trainings in DaF-Kursen mit Erwachsenen betraf, listen 127 Kursteilnehmende folgende Vorschläge für die Verbesserung ihrer HV-Kompetenz auf (die Reihenfolge stellt die Rangfolge dar): Intensivierung der HV-Aktivitäten (65 Nennungen), Fokussierung auf verschiedenartige authentische Hörtexte (35 Nennungen), Intensivierung der Arbeit mit audiovisuellen Texten (35 Nennungen), Variation in der Auswahl von aktuellen Themen unter besonderer Berücksichtigung der Alltagssituationen (24 Nennungen), intensive Arbeit an den Schlüsselwörtern und am neuen Hörwortschatz eines Textes (19 Nennungen), Steigerung des Niveaus des HV-Trainings durch den Einsatz von anspruchsvolleren Hörtexten (15 Nennungen), gut durchdachte Progression bei der HV-Förderung (11 Nennungen), mehrfaches Hören (10 Nennungen), obligatorische Vorentlastungsphase mit vorheriger Erläuterung des Kontextes (8 Nennungen), Kombination des Hörverstehens mit dem Lesen durch die Bereitstellung von Texttranskriptionen (8 Nennungen), Achten auf gute technische Qualität der Aufnahmen (7 Nennungen), Besprechung von lerner-, text- und aufgabenbezogenen Schwierigkeiten (7 Nennungen), mehr Zeit für die Aufgabenlösung (6 Nennungen), sensibilisierendes Strategientraining in Kombination mit Aktivitäten zur Gedächtnis- und Konzentrationssteigerung (5 Nennungen), Bereitstellung von Aufnahmen für die Hausarbeit (5 Nennungen) sowie Hören in Abschnitten (1 Nennung). Ein deutlicher Teil der Verbesserungsvorschläge bezieht sich somit auf die Forderung nach thematisch vielfältigen und nach authentischen Hörtexten sowie nach vielseitigen Höraufgaben allgemein. Darüber hinaus werden häufig Wünsche geäußert, die auf eine sorgfältige Vorbereitung sowie auf eine integrativ orientierte Nachbereitung der Hörtextarbeit fokussieren. Die angegebenen Antworten korrelieren größtenteils mit den Erkenntnissen der qualitativen Interviews mit lernenden Erwachsenen. Demnach lassen sich die in den Interviewpassagen zum Ausdruck gebrachten individuellen Bedürfnisse und Wünsche zur Effektivierung der Arbeit an der HV- Förderung in folgenden Stichpunkten zusammenfassen: Abwechslung im Unterrichtsgeschehen durch differenzierte Arbeitsverfahren und Übungsformen (bei eindeutiger Präferenz der Entwicklung von allen Hörstilen auf der Basis offener Aufgabenstellungen sowie differenzierter halb-offener Aufgabenformate in Kombination mit nonverbalen und spielerischen Aktivitäten), Hilfestellung durch visuelle Stützen in Form von Videoaufzeichnungen, Bildern, Fotos und Zeichnungen, vorherige Einführung in den thematischen Gegenstand, vorherige Behandlung (samt der Automatisierung und Kontrolle) der Schlüsselwörter, Einführung in sprachliche Varietäten, Register, Dia- <?page no="118"?> Sylwia Adamczak-Krysztofowicz 118 lekte etc., Intensivierung des HV-Trainings durch ein umfangreicheres Pensum im Unterricht (d.h. eine größere Vielfalt von authentischen Texten und vielseitigen Themen), Verbesserung der Tonqualität, Einbeziehung des Leseverstehens in verschiedenen Etappen des HV-Trainings, Integration von Hörverstehen und Sprechen, und zwar vor und nach dem Hörvorgang (seltener während des Hörens) in Form von Hypothesenaufstellungen, Diskussionsrunden, Zusammenfassungen von Hörbüchern und thematischen Präsentationen, Kombination von Vokabellernen mit Hörverstehen (aufgezeichnete Wortlisten, interaktive Wortschatzübungen auf CD oder Kassette etc.), Kombination von Hören und Schreiben bei der Schulung des Anfertigens von Notizen sowie durch Schreibaufgaben in der Nachphase der Hörverstehensarbeit. Aus den hier stichpunktartig zusammengefassten Lernbedürfnissen beim HV-Training ist somit ersichtlich, dass die interviewten Personen einen breiten Fächer an Lösungsvorschlägen zur Optimierung des adressatengerechten HV-Trainings bei Erwachsenen in unterschiedlichen Altersstufen (direkt bzw. indirekt) formulieren, die u.a. auch das integrativ orientierte methodische Instrumentarium umfassen, für das Frank G. Königs seit Jahren plädiert. Darüber hinaus wünschen sich die Befragten eine sorgfältige Vorbereitung auf die auditive Textrezeption und plädieren für einen intensivierten realitätsbezogenen Umgang mit authentischen Hörtexten und für die Vielseitigkeit der thematischen Schwerpunkte im Unterrichtsalltag. 4 Thesen zur adressatengerechten Förderung der HV-Kompetenz Die in den Abschnitten 2 und 3 ermittelten Erkenntnisse lassen sich in folgende Thesen zur erwachsenengemäßen HV-Förderung überführen: • Berücksichtigung spezifischer Merkmale des Unterrichts mit Erwachsenen durch stärkere Teilnehmerfokussierung und Individualisierung des Lernprozesses: Besonderes Augenmerk gilt bei diesem Prinzip einer weitgehenden Anpassung der Lernziele, der Lerninhalte und der Lernverfahren des Sprachkurses an die Bedürfnisse und Erwartungen der erwachsenen Kursteilnehmenden. Diese Notwendigkeit der Anpassung bedingt zwangsläufig die Erkundung von Voraussetzungen und Erwartungen der heterogenen Lernenden (z.B. mittels einer Fragebogenaktion am Anfang des Kurses) sowie die Anwendung vielfältiger Formen der Binnendifferenzierung (z.B. durch eine Organisation paralleler Aktivitäten im Rahmen von Partner- und Gruppenarbeit oder das Verfahren der freien Material- und Medienwahl) und der Individualisierung <?page no="119"?> Adressatengerechte Förderung der Hörverstehenskompetenz 119 des Lernprozesses (z.B. durch die Formulierung der individuellen Lernbedürfnisse im Lerntagebuch oder im Lernprotokoll). • Altersgerechte Aufbereitung von Aufgaben: Bei der Aufgabengestaltung sind Aufgaben zu vermeiden, bei denen Lernende mehrere komplexe Handlungen unter Zeitdruck ausführen sollen. Anstatt dessen sollten einfachere Übungen bzw. in Teile zerlegte strukturierte Aufgabenformate mit relativ langer Lösungszeit eingesetzt werden. Dank diesem methodischen Vorgehen lässt sich die belastende Komplexität der Reizangebote in klare Sequenzen auflösen. • Längere Vorentlastungsphase mit obligatorischer Kontexteinblendung: Um die Lernenden auf die Textrezeption vorzubereiten, empfiehlt es sich, ihr Interesse für die anstehenden Inhalte durch Hinweise auf interessante Informationen, auftretende Personen oder die Struktur des Textes zu wecken. Es ist auch sinnvoll, die Arbeit an der Hypothesenbildung in die Vermittlung der Kontexttinformationen einzubeziehen. Was die Auflistung und Erläuterung des neuen Wortschatzes anbetrifft, warnt Arendt (2000, 419) davor, die neuen Vokabeln in großer Zahl aufzulisten, wobei er argumentiert, dass kein Hörer bei den rasanten Abläufen im HV-Prozess imstande ist, sich an die Bedeutung von nur einmalig erklärten Wörtern zu erinnern. • Hilfestellung durch visuelle Stützen: Der Tatsache, dass das HV in Alltagssituationen sehr häufig von Sehverstehen begleitet wird, ist auch im Klassenraum Rechnung zu tragen. Der Einsatz von anregenden visuellen Hilfestellungen (Bildern, Fotos, Diagrammen, Filmen, Videoaufnahmen) kann nicht nur den HV-Prozess beeinflussen (positiv oder negativ), sondern auch zur Steigerung der Motivation und Konzentration der Lernenden sowie zur Attraktivität des Kurses einen erheblichen Beitrag leisten. • Kombination des Hörverstehens mit dem Sprechen: Eine sinnvolle Kombination von Übungen rezeptiver und produktiver Art in möglichst allen Phasen der HV-Förderung (z.B. beim Hören im Gespräch, in dem Zuhören und verbale Reaktionen einander abwechseln, oder wenn Lernende mit eigenen Einfällen die gehörten Texte mündlich ergänzen oder ausschmücken) weckt nicht nur den Lernwillen bei den Kursteilnehmenden, sondern trägt zugleich zur sukzessiven Entwicklung ihres sprachlichen Ausdrucksvermögens bei. Bei den erwachsenen Lernenden ist es allerdings ratsam, dass sie durch gelegentlichen Einsatz des Mitlesens auf der Basis des in Lückenform vorliegenden Hörtex- <?page no="120"?> Sylwia Adamczak-Krysztofowicz 120 tes oder durch die Arbeit mit Notizen an das Sprechen herangeführt werden. Ein geeignetes Medium für eine Verknüpfung von HV und Sprechen stellen für das integrative HV-Training Podcasts dar, bei deren Planung und Produktion im Prinzip alle Fertigkeiten auf sinnvolle und authentische Weise gekoppelt werden können (z.B. dialogisches Sprechen, Aufschreiben von Ideen, Lesen und Zusammentragen von Informationen). • Einbeziehung des Lesens bei der HV-Förderung: Um die KursteilnehmerInnen bei der Arbeit an längeren oder schwierigeren Hörtexten nicht zu überfordern, könnte man beim HV-Training ein Manuskript des Hörtextes (z.B. eines Liedes oder eines Märchens) zur Analyse von sprachlichen Eigenschaften und Textstrukturmerkmalen vorlegen. Da das Verstehen durch das Mitlesen erleichtert wird, kann die Hilfestellung durch das Manuskript als eine Durchgangsstation betrachtet werden, in der man das Mitlesen mit der Vermittlung von bestimmten Verarbeitungsstrategien oder der Behandlung von konkreten Textsorten koppelt. Durch das Mitlesen wird der Schwierigkeitsgrad so reduziert, dass die erforderlichen Erfolgserlebnisse erzielt werden können, die dazu beitragen, dass das HV nicht negativ besetzt wird. Am Beispiel von Lesetexten können den Lernenden der Stellenwert und die Funktion relevanter Verstehensstrategien und -techniken bewusst gemacht werden. • Kombination von HV und Schreiben: Die Kombination von Hören und Schreiben kann im Kurs durch differenzierte Rasterübungen sowie die Erörterung bzw. Systematisierung von Notiztechniken (wie z.B. von Abkürzungen oder persönlichen Symbolen) gefördert werden. Die Aufgabe, eine kurze Präsentation vorzubereiten, erfordert auf den niedrigeren Niveaustufen zunächst auch schriftliche Textproduktionskompetenz. • Implementierung sensibilisierenden Strategientrainings: Die Kursteilnehmenden müssen sich eigener Stärken, Schwächen und Strategien beim HV bewusst werden sowie Anwendungsmöglichkeiten der ihnen nicht geläufigen Strategien und Techniken (wie z.B. die Konzentration auf das Bekannte als „Sicherheitsinsel“ etc.) kennenlernen, ausprobieren und evaluieren. Zu den Pflichten der KursleiterInnen sollte daher die Aufgabe gehören, den erwachsenen Lernenden geeignete Hörstrategien in Trainingssequenzen zu vermitteln. • integriertes Antizipations- und Gedächtnistraining: Die integrative HV-Förderung darf die systematische Ausbildung der prädiktiven <?page no="121"?> Adressatengerechte Förderung der Hörverstehenskompetenz 121 Fähigkeiten auf der kontextuellen und syntaktischen Ebene und Speicherübungen (wie Übungen zur Erweiterung der Hörmerkspanne oder zur Informationsreduktion) nicht ausschließen. Die Übungsaufgaben zum Antizipieren und Speichern, die den Dekodierungsprozess entlasten, müssen daher schrittweise von der Teilnehmergruppe erfahren und erprobt werden. • Bewusstmachung von relevanten Schwierigkeitsfaktoren und Teilprozessen des HV-Vorgangs: Beim Strategientraining sollen die Lernenden auch für die Problemfelder sensibilisiert werden, die in der Interaktion zwischen den Bereichen Hörer, Hörtext und Höraufgabe liegen. Darüber hinaus sollten die Kursteilnehmer/ innen dabei auf relevante Stufen des fremdsprachlichen HV-Prozesses sowie nützliche Verstehensstrategien und -techniken aufmerksam gemacht werden. Die hier genannten Prinzipien, die sich nur als Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation verstehen, könnten in allen DaF-Kursen für Erwachsene mit ausgebildeter Textkompetenz berücksichtigt werden. Andererseits sollten aber diese Empfehlungen auf eine Weiterentwicklung hin angelegt werden. So bedürfen die Begründung und die Explikation von Zielsetzungen bei der Förderung der HV-Kompetenz weiterer Anstrengungen im Hinblick auf eine verfeinerte Systematik der Art und Tiefe der geforderten kognitiven Verarbeitungsstufen und der mit ihnen verbundenen Textverarbeitungsstrategien und -techniken sowie der für die entsprechenden Niveaustufen angemessenen Themen und Textsorten. Es werden auch mehr andragogische, gerontologische und fremdsprachendidaktische Untersuchungen zur Sprachlernfähigkeit in unterschiedlichen Altersstufen von Erwachsenen - insbesondere aber zur integrativen Vermittlung von Fertigkeiten in Sprachkursen für heterogene Gruppen - benötigt. Die weitere Beschäftigung mit vielschichtigen lernerinternen und lernerexternen Faktoren der auditiven Textrezeption und der daraus abgeleiteten didaktischen Implikationen und Applikationen für die adressatengerechte Förderung der HV-Kompetenz in unterschiedlichen Erwachsenengruppen ist somit anzustreben. Literatur Adamczak-Krysztofowicz, Sylwia (2009): Fremdsprachliches Hörverstehen im Erwachsenenalter. Theoretische und empirische Grundlagen zur adressatengerechten und integrativen Förderung der Hörverstehenskompetenz am Beispiel Deutsch als Fremdsprache in Polen. Poznań: Wydawnictwo Naukowe UAM. Arend, Manfred (2000): „Hörverstehen - ein Kurs im Kurs“. In: Fremdsprachenunterricht 6, 412-421. <?page no="122"?> Sylwia Adamczak-Krysztofowicz 122 Berndt, Annette (2001): „Fremdsprachengeragogik: Ontogenetische Grundlagen des Sprachlernens im Alter“. In: Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis 2, 77-84. Berndt, Annette (2003): Sprachenlernen im Alter. Eine empirische Studie zur Fremdsprachengeragogik. München: Iudicium. Goh, Christine C. M. (2000): „A cognitive perspective on language learners’ listening comprehension problems“. In: System 1, 55-75. Hasselhorn, Marcus/ Gold, Andreas (2006): Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren. Stuttgart: Kohlhammer. Königs, Frank G. (1993): „Wie fertig sind wir mit den Fertigkeiten? Psycholinguistische und lernpsychologische Überlegungen zu den fremdsprachlichen Fertigkeiten und Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht“. In: Deutsch als Fremdsprache 4, 203-210. Königs, Frank G. (2007): „Von Bausteinchen und Mosaikteilen - Gedanken zur Rezeption und Produktion von Texten im Fremdsprachenunterricht“. In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.): Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 106- 112. Myczko, Kazimiera (1995): Die Entwicklung des Hörverstehens auf der Fortgeschrittenenstufe des Fremdsprachenunterrichts unter besonderer Berücksichtigung des Germanistikstudiums. Poznań: Wydawnictwo Naukowe UAM. Neveling, Christiane (2000): „Hörverstehen im Fremdsprachenunterricht. Psycholinguistische Grundsatzüberlegungen“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 1, 3-9. Schwarz, Monika (2008): Einführung in die Kognitive Linguistik. 3., erweiterte Auflage. Tübingen: Francke. Solmecke, Gert (1993): Texte hören, lesen und verstehen. Eine Einführung in die Schulung der rezeptiven Kompetenz mit Beispielen für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Berlin u.a.: Langenscheidt. Trojan, Katarzyna (2014): Einsatz von Podcasts bei der Förderung fremdsprachlichen Hörverstehens am Beispiel polnischer Studierender der Germanistik und der angewandten Linguistik. Poznań: Dissertation. Wolff, Dieter (2002): Fremdsprachenlernen als Konstruktion: Grundlagen für eine konstruktivistische Fremdsprachendidaktik. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang. Zawadzka, Elżbieta (1987): Percepcja audialna w kształceniu nauczycieli języków obcych. Warszawa: PWN. <?page no="123"?> Was beim Übersetzen passiert: Der Einfluss von Königs’ Modell (1987) des Übersetzungsprozesses auf die prozessorientierte Forschung im Rahmen der Übersetzungswissenschaft Fabio Alves 1 Einleitung Als Frank G. Königs im Jahr 1987 den Aufsatz „Was beim Übersetzen passiert. Theoretische Aspekte, empirische Befunde und praktische Konsequenzen“ veröffentlichte, war die empirisch basierte Übersetzungswissenschaft noch eine junge Disziplin. Und darüber hinaus war der prozessorientierte Ansatz im Rahmen der Übersetzungswissenschaft noch viel jünger. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts hatten sich Hans P. Krings und Frank G. Königs, damals zwei junge Forscher im Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum, zum Ziel gesetzt, der prozessorientierten Forschung im Rahmen der Übersetzungswissenschaft einen wichtigen Anstoß zu geben. Die Titel ihrer Arbeiten, wie z.B. „Was in den Köpfen von Übersetzern vorgeht“ (Krings 1986) und „Was beim Übersetzen passiert“ (Königs 1987), spiegelten ihre Neugier und ihr Interesse im Hinblick auf translatorische kognitive Verfahren wider. Diese Arbeiten haben einen neuen Weg für die Forschung im Bereich Übersetzen eröffnet. In dieser Hinsicht war Königs seiner Zeit voraus, indem er postulierte, dass die prozessorientierte Übersetzungsforschung auf drei Kernkonzepten aufbauen sollte, nämlich theoretischen Aspekten, empirischen Befunden und praktischen Konsequenzen. Seitdem hat sich die prozessorientierte Übersetzungsforschung mit diesen Kernkonzepten auseinandergesetzt und versucht zurzeit, mit Hilfe von Technologie und experimentellen Methoden, wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu schaffen, um diese empirisch zu bestätigen. Im Laufe der Zeit hat die Forschung neue Methoden wie keylogging und eyetracking entdeckt; die Kernkonzepte dagegen haben bis zur heutigen Zeit ihre Erklärungskraft beibehalten. Dieser Beitrag bezieht sich hauptsächlich auf die ersten Schritte der prozessorientierten Forschung in den achtziger Jahren und versucht zu zeigen, inwieweit Königs’ Modell (1987) des Übersetzungsprozesses die Forschung <?page no="124"?> Fabio Alves 124 und Lehre im Bereich Übersetzen von damals bis zur heutigen Zeit bestimmt bzw. beeinflusst hat. 2 Königs’ Modell (1987) des Übersetzungsprozesses: Ad-hoc- und Rest-Block als Auslöser von kognitiver Übersetzungsverarbeitung In diesem Aufsatz aus dem Jahr 1987 legt Königs dar, dass sich Übersetzen auf der Grundlage von Texten vollzieht, d.h., dass ein Text in der Ausgangssprache L1 in einen Text der Zielsprache L2 überführt werden muss. Diese als selbstverständlich anzusehende Grundannahme sei aber nur ein Teil der Geschichte. Vielmehr gehe es darum festzustellen, was eigentlich beim Übersetzer von dem Zeitpunkt der ausgangssprachlichen Textrezeption an bis zur Fertigstellung des Zieltextes mental ablaufe. Zu diesem Zweck seien verstärkt psycholinguistische Ansätze in der Forschung einzusetzen. Laut-Denk-Protokolle waren damals der einzige Zugang zur Blackbox von Übersetzern. Um diese kognitiven Prozesse zu modellieren, führt Königs (1981) den Unterschied zwischen Ad-hoc- und Rest-Block ein. Im Ad-hoc-Block ordnet der Übersetzer einer ausgangssprachlichen Einheit mehr oder weniger automatisch eine zielsprachliche Entsprechung zu und aktiviert eine individuelle, mentale 1: 1-Äquivalenz. Im Gegensatz dazu enthält der Rest-Block alles, was vom Übersetzer nicht ad hoc zugeordnet werden kann. Der Rest-Block stellt keine internalisierte oder spontane 1: 1-Entsprechung zwischen Ausgangs- und Zielsprache bereit, sondern es gehen hier Informationen des Textumfeldes (Autor, Adressaten, Intention) ein. Aber gerade hier haben die spezifischen translatorischen Kompetenzen und die gezielte Anwendung bestimmter Übersetzungstechniken ihren Platz (vgl. Königs 1987, 116). Daraus wird geschlossen, dass die Lösungen, die aus Ad-hoc- und Rest-Block stammen, gemeinsam zum vorläufigen Zieltext führen. Diese Lösungen können anschließend auch noch überarbeitet und verbessert werden. Verfeinerungen des Zieltextes können dabei deutlich häufiger dem Rest-Block entstammen. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass sprachliche Elemente, die dem Adhoc-Block zugeordnet werden, gegenüber Selbstkorrekturen und gegen andere vom Übersetzer initiierten Verfeinerungen widerstandsfähiger sind als Elemente des Rest-Blocks. Am Ende des Prozesses führt nochmals eine getrennte Verfeinerungsphase zum endgültigen Zieltext. Um sein Modell zu entwickeln, bezieht sich Königs auf frühere Überlegungen (vgl. Königs 1981) und speziell auf eine Untersuchung, die gezeigt hat, dass Übersetzungseinheiten wohl überwiegend individuell zu definieren seien. Mit Hilfe von Laut-Denk-Protokollen wurden Verarbeitungsprozesse von fünf Probanden analysiert (Königs 1987). Ziel dieser Analyse war es zu beschreiben, wie diese Probanden den Ausgangstext in Übersetzungseinhei- <?page no="125"?> Was beim Übersetzen passiert 125 ten im Ad-hoc- und Rest-Block unterteilen, um aus einer prozessualen Perspektive ihre Zieltexte zu gestalten. Während des Übersetzens sollten die Teilnehmer laut denken und alles verbalisieren, was ihnen beim Übersetzen durch den Kopf ging. Abbildung 1 zeigt, wie die Hauptmerkmale des Ad-hoc- und Rest-Block-Modells graphisch dargestellt werden können. Abb. 1: Königs’ Modell (1987) des Übersetzungsprozesses 3 Alves’ Modell (1995) des Übersetzungsprozesses: eine Erweiterung des Ad-hoc- und Rest-Block Modells Acht Jahre nach der Veröffentlichung von Königs’ Aufsatz im Jahr 1987 erweiterte Alves (1995) das Ad-hoc- und Rest-Block Modell durch die Ergebnisse einer prozessorientierten Forschung im Rahmen des Sprachpaares Deutsch/ Portugiesisch und beleuchtete den Übersetzungsvorgang aus einer psycholinguistichen Perspektive. Als Schwerpunkt für seine theoretischen Grundlagen bezieht er sich auf die Relevanz-Theorie von Sperber/ Wilson (1995), um den Übersetzungsprozess sowohl aus kognitiver Sicht als auch <?page no="126"?> Fabio Alves 126 unter einem pragmatischen Gesichtspunkt zu betrachten. Relevanz dient, laut Sperber/ Wilson, der Kontextualisierung einer bestimmten ausgangssprachlichen Übersetzungseinheit (ÜE) und ihrer Einbettung in einen bestimmten Zieltext. Dabei wird die Auffassung vertreten, dass Relevanz sich empirisch verifizieren lässt. Hierbei spielt die ÜE eine wesentliche Rolle, die wie folgt definiert wird: […] Eine ÜE kann [von Übersetzern] verkürzt oder erweitert werden. Sie kann sich nach dem Verlangen des Übersetzers ständig umwandeln und soll als ein ständig wechselndes Element betrachtet werden. (Alves1995, 28). Danach sind Übersetzungseinheiten von ihrer Relevanz gesteuert, egal ob sie sich im Ad-hoc- oder im Rest-Block befinden. In Übereinstimmung mit Königs wird bestätigt, dass sich die Vorgänge im Ad-hoc-Block sehr schnell abspielen und die meisten Entscheidungen unbewusst getroffen werden. Auf diese Art werden in der Regel ÜE verarbeitet, für die der Übersetzer eine automatisierte 1: 1 Entsprechung hat. Nach Königs (1987) ist diese Art der Verarbeitung eine entweder ausgangssprachlich determinierte oder eine lernzielbestimmte Entscheidung. Diese könne aber manchmal zu schnellen, sogar vorschnellen Übersetzungsentscheidungen führen, die nicht verfeinert werden. Wie Königs (1987, 169) ausführt, scheint ihre Resistenz gegenüber Veränderungen relativ stark zu sein. Für Alves (1995) dagegen spielt Relevanz eine wesentliche Rolle im Übersetzungsprozess sowohl bei unabhängig bewussten oder unbewussten, aber auch bei verfeinerten oder nicht verfeinerten Verfahren. Mit Hilfe dieses dynamischen Konzepts von ÜE wird eine Erweiterung von Königs’ Modell vorgeschlagen. Danach geht am Anfang des Prozesses eine gewisse ÜE in den Ad-hoc-Block ein. Wenn dort keine automatisierte Alternative vorhanden ist, wechselt der Übersetzer mental in den Rest-Block. Falls dort keine Lösung zu finden ist, wird der Vorgang kreisförmig, was zu einer Verarbeitungsblockade führen und den Übersetzungsprozess scheitern lassen kann. Um diese Verarbeitungsblockade zu vermeiden, stehen dem Übersetzer kognitive Strategien zur Verfügung, die durch interne bzw. externe Unterstützung gesteuert werden. Interne Unterstützung ermöglicht die Aktivierung von Gedächtnisstufen, die zu effektiven Inferenzen führen können. Externe Unterstützung bietet dagegen dem Übersetzer die Möglichkeit, Informationen zu erwerben, die ihm noch unbekannt waren, um damit entsprechende Strategien anzuwenden. Abbildung 2 zeigt, wie die Hauptmerkmale des Modells graphisch dargestellt werden können. <?page no="127"?> Was beim Übersetzen passiert 127 Abb. 2: Alves’ Modell (1995) des Übersetzungsprozesses Die Verknüpfung von kognitiven Strategien mit Hilfe interner und externer Unterstützungen führen dazu, dass Probleme effektiv gelöst und Entscheidungen wirkungsvoll getroffen werden können. Es kann aber auch sein, dass <?page no="128"?> Fabio Alves 128 einige ÜE des Zieltexts entfallen. Anhand empirischer Daten wird gezeigt, dass sich der Übersetzer in einigen Fällen bewusst ist, dass es eine Alternative - und sogar mehrere Alternativen - für eine bestimmte ÜE gibt. Diese potenziellen Alternativen bieten aber keine Kontextualisierung und lassen sich insofern nicht rechtfertigen. Deswegen entfallen sie i.d.R. im Zieltext. In diesen Fällen werden gezielt Strategien angewandt, die die Kontextualisierung der ÜE im Zieltext anstreben. Der Prozess schließt mit der durch die Relevanz gefilterten Verfeinerung des Zieltextes. Ein derart detailliertes Modell bietet einmal die Möglichkeit, den Übersetzungsprozess deutlicher zu beschreiben und präzise zu analysieren, zum anderen aber auch, dieses Modell als ein didaktisches Werkzeug zu verwenden, mit dessen Hilfe die Übersetzerausbildung bewusster gesteuert werden kann. 4 Der Einfluss von Königs’ Modell (1987) des Übersetzungsprozesses auf die Entwicklung des prozessorientierten Ansatzes in der Übersetzungswissenschaft Die Ergebnisse von Königs’ Studie (1987) hatten ohne Zweifel einen starken Einfluss auf die Entwicklung des prozessorientierten Ansatzes in der Übersetzungsforschung. Dieser Einfluss trug auch zur Entwicklung von Überlegungen im Rahmen der Übersetzungsdidaktik bei, wonach sich diese für die Erforschung mentaler Prozesse interessieren und darauf die Übersetzerausbildung stützen solle. An einer anderen Stelle verweist Königs (1990) auf die Rolle von Theoriebildung für eine gezielte Entwicklung der Übersetzungswissenschaft. Hier sei Königs (1990, 115) wörtlich zitiert: […] Eine Disziplin wie die Übersetzungswissenschaft, die sich auf eine praktische und konkrete Tätigkeit bezieht, muss ihre Theoriebildung auch genau auf diese praktische Tätigkeit konzentrieren und zum Ausgangspunkt ihrer Forschung machen. Die hervorgehobenen Merkmale lassen sich als Theorien erster Ordnung bezeichnen, die empirisch basiert und praxisbezogen sind und einen Bewusstmachungsprozess anstreben. Das heißt, für die prozessorientierte Übersetzungsforschung geht es hauptsächlich darum, eine bewusstere zieltextorientierte Kontextualisierung zu ermöglichen. Bewusstmachung ist hier ein Kernkonzept, das von Königs’ Modell abgeleitet wird, wobei davon auszugehen ist, dass hierfür empirisch induktiv angelegte Forschung notwendig ist, um neue Perspektiven zu eröffnen. In dieser Hinsicht beeinflusst Königs’ Modell bis heute die prozessorientierte Übersetzungsforschung. <?page no="129"?> Was beim Übersetzen passiert 129 5 Konsequenzen für die Übersetzungsforschung bzw. für die Übersetzungsdidaktik Wie oben dargelegt, leistete Königs’ Modell (1987) einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Übersetzungsforschung, indem es den Grundstein für weitere experimentelle Verfahren legte. Andere Modelle des Übersetzungsprozesses, die einige Jahre später erscheinen, weisen ähnliche Merkmale auf (vgl. u.a. Alves 1995; Bell 1991; Kiraly 1995). Auf ihre eigene Art und Weise betrachten sämtliche Modelle den Übersetzungsprozess als einen dynamischen Vorgang, der sich mit Problemlösungen und dem Treffen von Entscheidungen auseinandersetzt. Automatisierte Entsprechungen und die Anwendung bewusster Strategien scheinen hierbei die Verarbeitungsmechanismen zu steuern. An die Differenzierung zwischen Ad-hoc- und Rest-Block, d.h. zwischen Verarbeitungsmechanismen, die sich entweder automatisch oder bewusst abspielen, knüpfte Alves (1995) die verschiedenen Stufen kognitiver Verarbeitung (automatisch/ bewusst) mit internen und externen Unterstützungen. Die drei Hauptelemente von Königs’ Modell (Ad-hoc-, Rest-Block und Verfeinerung) können den drei Phasen des Übersetzungsprozesses zugeordnet werden, die von Jakobsen (2002) eingeführt wurden, nämlich Orientierung (orientation), Verfassen (drafting), und Verfeinerung (revision). Auch wenn die experimentelle Übersetzungsforschung neue Methoden, wie keylogging und eyetracking zur Verfügung stellt (siehe u.a. Alves 2003, Alves/ Vale 2009, Alves et al. 2010, Carl/ Dragsted 2012), bezieht sich die prozessorientierte Übersetzungsforschung immer noch auf Konzepte, die in den achtziger Jahren entwickelt wurden. In diesem Sinne ist in der Übersetzungsdidaktik das Ad-hoc- und Rest-Block Modell auch heute aktuell. Als junge Disziplin, deren Aufgabenbereich nicht einheitlich definiert ist, und in der noch recht vage Vorstellungen über den Gegenstandsbereich vorherrschen, hat nach Königs (1987, 169) das allgemeine Lernziel der Übersetzungsdidaktik die Heranbildung von Übersetzungskompetenz zu sein. Dazu benötigt man sowohl Sprachkompetenz in der Fremdsprache als auch gezielte Erfahrung in der übersetzungswissenschaftlichen Praxis, eben Übersetzungskompetenz. Dabei wird betont, dass der Übersetzungsunterricht auf eine realistische Weise den Aufbau beider Kompetenzen zu fördern habe, zumindest im Anfangsstadium. Diese Ansicht wurde in späteren Jahren durch die empirisch-experimentelle Forschung zur Übersetzungskompetenz (siehe u.a. PACTE 2003) mit Hilfe experimenteller Methoden bestätigt. Im Rahmen der Übersetzungsdidaktik werden künftige Übersetzer mit der bewussten Verarbeitung sprachlicher Daten konfrontiert. Die Fähigkeit, den Verlauf des Übersetzungsprozesses bewusst zu verfolgen, bietet ihnen die Möglichkeit, ihre <?page no="130"?> Fabio Alves 130 eigenen Übersetzungsvorgänge, die sich im Rest-Block abspielen, kennenzulernen, bewusst zu steuern und dementsprechend zu verfeinern. 6 Fazit Dieser Aufsatz hat sich zum Ziel gesetzt, das Modell des Übersetzungsprozesses von Königs (1987) zu beschreiben und zu zeigen, welch wichtigen Einfluss es auf die Übersetzungsforschung bzw. Übersetzungsdidaktik ausgeübt hat. Auch in jüngster Zeit spielt im Rahmen der prozessorientierten Übersetzungsforschung die von Königs eingeführte Definition von Ad-hoc- und Rest-Block immer noch eine wesentliche Rolle. Das Modell fungiert sowohl als Mittel für die Erklärung als auch für die Verstärkung von Bewusstmachungsprozessen im Bereich des Übersetzens. So leistet dieses Konzept fast 30 Jahre nach seiner Einführung immer noch einen wichtigen Beitrag zur Forschung und Lehre und stellt seine Wirkung unter Beweis. 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Bausch et al. 2006, Burwitz-Melzer/ Caspari 2014). Kern dieser didaktischen Neuorientierung in den 1970er Jahren war die Überzeugung, dass eine realistisch und kommunikativ sinnvolle Aufgabenstruktur nicht nur eine optimale Vorbereitung auf reale Kommunikation ist, sondern sich auch fördernd auf die Motivation der Lernenden auswirkt. Insbesondere Vertreter des Task-Based Language Learning (TBLL) (vgl. Ellis 2003; Nunan 1989; 2004; Skehan 1996; Willis 1996) vertraten die Ansicht, dass Aufgaben im Klassenzimmer sich möglichst wenig von Aufgaben in der realen Welt unterscheiden sollten. Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR, Europarat 2001) verstärkte das fachdidaktische Interesse am TBLL: Kommunikative Aufgaben sind ein Merkmal des alltäglichen Lebens im privaten, öffentlichen und beruflichen sowie im Bildungsbereich. Die Bewältigung einer kommunikativen Aufgabe beinhaltet die strategische Aktivierung spezieller Kompetenzen, um innerhalb eines bestimmten Lebensbereichs eine Gruppe zielgerichteter Handlungen mit einem klar definierten Ziel und einem speziellen Ergebnis auszuführen. [...] Kommunikative Aufgaben im Unterricht - ganz gleich, ob sie reale Sprachverwendung widerspiegeln oder im Wesentlichen didaktischer Art sind - sind in dem Maße kommunikativ, in dem sie von den Lernenden verlangen, Inhalte zu verstehen, auszuhandeln und auszudrücken, um ein kommunikatives Ziel zu erreichen. Der Schwerpunkt einer kommunikativen Aufgabe liegt auf ihrer erfolgreichen Bewältigung und im Mittelpunkt steht folglich die inhaltliche Ebene, während Lernende ihre kommunikativen Absichten realisieren. Im Falle von Aufgaben, die speziell für das Lernen und Lehren von Sprachen entwickelt wurden, geht es bei der Ausführung jedoch sowohl um Inhalte als auch um die Art und Weise, wie diese verstanden, ausgedrückt und ausgehandelt werden. (Europarat 2001, 153f) <?page no="134"?> Eva Burwitz-Melzer 134 Die Verabschiedung von verbindlichen Standards für den Fremdsprachenunterricht seit 2003 sorgt inzwischen für eine intensive Auseinandersetzung mit den Chancen und Herausforderungen, die sich im kommunikativen Unterricht durch Lernaufgaben ergeben. Insbesondere an den Aufgabenbeispielen, die die KMK 2003 und 2004 zu den Standards für die Jahrgangsstufen 9 und 10 publizierte, entzündete sich allerdings auch Kritik, die sich vor allem auf die Vernachlässigung inhaltlicher Aspekte bezog (vgl. Bausch et al. 2006). Das Institut für Qualitätsentwicklung (IQB) entwickelte zu den Standards zunächst Testaufgaben (Vera 8) für das Fach Englisch, dann für das Fach Französisch Test-, aber vor allem auch Lernaufgaben (vgl. hierzu Burwitz- Melzer/ Caspari 2014; Tesch et al. 2008). Von der Publikation dieser Aufgaben sollte ein entscheidender Impuls für neue und gut durchdachte Aufgabenkonzepte ausgehen. Die Verabschiedung der Standards für die gymnasiale Oberstufe durch die KMK (2012) wird den Implementierungsprozess für Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht weiter intensivieren, denn auch dieser Publikation wurden zahlreiche Beispiele für kompetenzorientierte Lern- und Testaufgaben beigegeben, die jetzt aber auch stärker inhaltlich ausgerichtet sind. Mit Texten und Medien unterschiedlichster Art wurden hier themengeleitet Lernaufgaben formuliert, die eine klare Kompetenzförderung beinhalten, gleichzeitig aber auch dem Charakter der zugrundeliegenden Texte, sei es nun ein Roman, eine Webseite, ein Kurzfilm oder ein Werbetext, inhaltlich gerecht werden. Inhalts- und sinnerschließende, ästhetische und wirkungsbezogene Fragen ergänzen einander und werden durch kommunikative Teilaufgaben zu den Kompetenzschwerpunkten Leseverstehen, Hör-/ Sehverstehen, Sprechen oder Schreiben ergänzt (vgl. dazu KMK 2012 und Burwitz- Melzer/ Caspari 2014). Inzwischen kann man wegen der anstehenden Änderungen des Abiturs durch die Einführung der neuen Standards in den fortgeführten Fremdsprachen Englisch und Französisch davon ausgehen, dass eine Kompetenzorientierung aus dem Fremdsprachenunterricht ebenso wenig wegzudenken ist wie eine Aufgabenorientierung, die sich an sinnvollen, lebensnahen und sorgfältig durchstrukturierten Beispielen orientieren muss. Gezielte Förderung von Kompetenzen - einzeln oder integriert Ein zentrales Anliegen des TBLL ist die Entwicklung fremdsprachlicher Diskursfähigkeit. Während man im traditionellen Fremdsprachenunterricht eher dazu neigte, Fertigkeiten getrennt zu fördern, ist in einem aufgabenorientierten Ansatz zu beobachten, dass sowohl einzelne Kompetenzen gefördert werden, aber auch ganze Bündel davon. Einige Kompetenzbereiche, insbesondere jene, die sich mit der Arbeit mit Texten unterschiedlicher Art beschäftigen, <?page no="135"?> Aufgaben zur Entwicklung und zum Überprüfen von Kompetenzen 135 umfassen mehr als eine Einzelkompetenz, denn sie greifen auf kommunikative Fertigkeiten ebenso zurück wie auf das interkulturelle Lernen und erfordern zudem noch eine solide Text- und Medienkompetenz. Aufgaben, die solche Kompetenzbereiche fördern wollen, müssen integriert angelegt sein, um der Komplexität des Anliegens zu entsprechen. Das macht einen aufgabenorientierten Ansatz gleichzeitig herausfordernd und motivierend, aber auch schwierig zu beurteilen, wie wir im zweiten Teil dieses Beitrags zeigen werden. Die Komplexität von Lernaufgaben zeigt sich besonders bei solchen Beispielen, in denen die Lernenden ihr domänenspezifisches Welt- und Erfahrungswissen aktivieren müssen. Gute Lernaufgaben zeichnen sich deshalb dadurch aus, dass sie einerseits die gezielte Entwicklung einzelner Kompetenzen nicht vernachlässigen, andererseits aber auch in motivierenden und realistischen Aufgaben den Lernenden Gelegenheit für deren Anwendung geben. Das Prinzip des learning by doing gehört zum Kern des aufgabenorientierten Ansatzes. Lebensweltbezug und Authentizität Der Lebensweltbezug einer Lernaufgabe zeigt sich darin, dass sie authentische oder semi-authentische Situationen vorgibt, die für die Lernergruppen plausibel und in ihrer Lebenswelt vorstellbar sind: „Tasks [ ... ] are activities which have meaning as their primary focus. Success in tasks is evaluated in terms of achievement of an outcome, and tasks generally bear some resemblance to real-life language use“ (Skehan 1996, 20). Die Kontexte und Aufgabenziele sollten deshalb die Lernenden mit Situationen konfrontieren, die sie zur Problemlösung anregen. Dabei spielt der gelungene Wechsel von Eigenleistung und Teamwork wie im richtigen Leben eine zentrale Rolle. Wichtig sind auch Arbeitsphasen der Reflexion, die die Lernenden dazu anhalten, ihre Arbeitsprozesse erstens zu planen oder, am Schluss einer Aufgabe, noch einmal auf ihren Erfolg und ihren Arbeitsweg hin zu überdenken. Die Texte und Medien, die dabei benutzt werden, sollten ebenfalls authentisch sein, da vor allem die Schülerinnen und Schüler in der gymnasialen Oberstufe in der Regel in ihrer Kompetenzentwicklung so weit fortgeschritten sind, dass sie mit ihnen gut umgehen und dabei auch ihr Vorwissen einbringen können. Lernaufgaben, die anhand dieser Grundregeln modelliert sind, werden Schülerinnen und Schüler motivieren, sich auf den Ernstfall vorzubereiten und sich einen Einblick in die fremdkulturelle Wirklichkeit, ihre Wertvorstellungen und Diskurse zu verschaffen. Je integrierter, authentischer und motivierender solche Aufgaben sind, desto problematischer ist natürlich auch die Beurteilung, wie gut die Schülerinnen und Schüler sie bewältigt haben. <?page no="136"?> Eva Burwitz-Melzer 136 Inhaltsorientierung Lebensweltbezug und Inhaltsbezug gehen bei der Aufgabenorientierung Hand in Hand. Komplexe Lernaufgaben orientieren sich an den Diskursen und Problemstellungen der realen Welt. Da die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe bereits ein gesichertes Lernniveau erreicht haben, das ihnen den Zugang zu authentischen Texten ermöglicht, erschließen sie sich mit der Bearbeitung der Aufgaben neue Inhaltsfelder, die in kulturelle Diskurse, Aktivitäten, Prozesse und Praktiken einmünden (vgl. Hallet 2012, 11). Die Kritik an den Standards für die Sekundarstufe I bezog sich immer wieder auf die drohende Vernachlässigung der zentralen Inhalte im Fremdsprachenunterricht (vgl. u.a. Burwitz-Melzer 2012); inzwischen zeichnet sich aber ab, auf welchem Wege sich Inhalts- und Kompetenzorientierung in Lernaufgaben so miteinander vereinbaren lassen, dass beide Komponenten im Unterricht zur Geltung kommen: nämlich mit Aufgaben, die an zentralen und interkulturell bedeutsamen Inhalten ausgerichtete authentische Texte und Medien nutzen, um Kompetenzen gezielt zu fördern (vgl. auch Burwitz-Melzer/ Caspari 2014). 2 Wege zur guten Lernaufgabe Beim Erstellen einer kompetenzorientierten Lernaufgabe geht man grundsätzlich von einem task-cycle, d.h. einem Dreischritt aus sprachlicher und thematischer Vorbereitung, unterschiedlichen Teilaufgaben zur Durchführung und einer Form der Präsentation von Ergebnissen aus (vgl. Müller-Hartmann/ Schocker von Ditfurth 2005, 4ff, auch Burwitz-Melzer/ Caspari 2014). Bei der Planung sind es meist drei zentrale Komponenten, die den task-cycle definieren: (1) ein für die Lerngruppe passender Text oder eine Gruppe von Texten; (2) die zu fördernden Kompetenzen und (3) natürlich die Lerngruppe selbst mit ihren spezifischen Anforderungen. Die Texte sollten bestimmte Kriterien erfüllen: Sie sollten den Themen der Qualifikationsphase entsprechen, angemessen und anregend sein, zudem authentisch und, falls es mehrere sind, eine gewisse Text- und Medienvielfalt spiegeln. Das Zusammenspiel von Text und Kompetenz stellt das Grundgerüst für jede Lernaufgabe dar. Dies alles gilt es, mit Blick auf bestimmte Lerngruppen und deren Kompetenzniveaus zu entwerfen. Da Lernende angeregt werden sollen, eine Aufgabe möglichst intensiv und erfolgreich auszuführen, sollte die Aufgabe neben der möglichst lebensnahen Situation auch noch andere motivierende Elemente, wie z.B. die Produktion von eigenen Texten, Filmen oder Szenarios enthalten. Wenn die Texte, die zu fördernden Kompetenzen und das Ziel der Aufgabe feststehen, wird der genaue Arbeitsweg der Lernenden von der Vorberei- <?page no="137"?> Aufgaben zur Entwicklung und zum Überprüfen von Kompetenzen 137 tung bis zur Präsentation geplant. Hier empfiehlt es sich für Lehrkräfte allerdings, rückwärts vorzugehen und von der Zielaufgabe und ihrem Endprodukt aus schrittweise zu überlegen, welches Wissen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten die Schülerinnen und Schüler benötigen, um das Endprodukt zu erstellen. In Einzelaufgaben bzw. in Übungsschleifen werden die einzelnen Kompetenzen gefördert oder auch sprachliche Mittel geübt, die notwendig sind, um die Aufgabe zu erfüllen. Die Lehrkraft sollte in Anlehnung an die Bedürfnisse der Lerngruppe kognitive, linguistische, textdidaktische, interaktionale und motivationale Überlegungen bei der Planung einbeziehen. Die Einzelschritte müssen aussagekräftig und eindeutig beschrieben werden, damit die Lernenden verstehen können, welche Teilleistung sie jeweils erbringen sollen. Das allmähliche Einüben in klar überschaubaren Schritten ist eine wichtige Voraussetzung für reibungslose Abläufe bei den Lernaufgaben und für später eventuell eingesetzte Testaufgaben. Dabei sollten auch sinnvolle Phasenwechsel eingeplant werden: Individuelle Denkprozesse werden z.B. in der Gruppe noch einmal diskutiert und danach überarbeitet, Schreibprodukte können im Tandem oder in Gruppen gemeinsam oder gegenseitig korrigiert und ediert werden. Ziel des Phasenwechsels ist eine sinnvolle Einbindung von Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit, die sich zu einem möglichst selbstständigen Arbeitsablauf ergänzen sollen. Hilfsmittel wie der Gebrauch von Lexika sind bei diesem Arbeitsschritt genauso zu bedenken wie binnendifferenzierende Maßnahmen: Lerngruppen mit starker Heterogenität sollten über unterschiedliche Lösungswege ans Ziel geführt werden. Für noch unerfahrene Lerngruppen ist eine kleinschrittige Vorgehensweise empfehlenswert, mit zunehmender Erfahrung der Lernenden können längere Arbeitswege eingeplant werden, die stärker auf autonomes Lernen abzielen. Möglich ist natürlich auch, Zusatzaufgaben für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler einzufügen. Zum Schluss empfiehlt es sich, die abgeschlossene Aufgabe noch einmal zu überprüfen und dabei auch zu kontrollieren, welche der Standards aus dem jeweiligen Kompetenzbereich berücksichtigt wurden (vgl. Burwitz-Melzer/ Caspari 2014). Für eine Evaluation der Schülerleistungen oder eine Selbstevaluation durch die Lerner ist die Rückbindung an die Standards unerlässlich. Man sieht aber auch, wie schwierig eine angemessene Evaluation angesichts des sehr komplexen Vorgehens sein wird. 3 Kompetenzen prüfen Wer Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht überprüfen möchte, tut gut daran, sich an Kriterien für gutes Testen zu orientieren, die von großen inter- <?page no="138"?> Eva Burwitz-Melzer 138 nationalen Testanbietern vertreten werden. Im Folgenden soll deshalb auf einige dieser Qualitätskriterien für Tests hingewiesen und gleichzeitig ein wichtiger deutscher high-stake test, das Abitur, in den Blick genommen werden. Da ab 2017 die neuen, 2012 von der KMK verabschiedeten Bildungsstandards auch im Abitur geprüft werden und die KMK neben Lernaufgaben auch bereits einige Testaufgaben zu diesen Standards (vgl. KMK 2012, 37- 243) sowie die Hinweise zur Prüfungsdurchführung zum Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife in der fortgeführten Fremdsprache veröffentlicht hat (vgl. KMK 2012, 27-36), scheint es geboten, schon jetzt darüber nachzudenken, was bei der bis 2017 neu zu regelnden Abiturprüfung bedacht werden sollte, damit sie die wichtigsten Qualitätskriterien des Testens berücksichtigt. Wenn man Kompetenzen testen möchte, muss man sich vor allem mit Fragen der Fairness befassen. Die von der ALTE (2001) zusammengestellten Principles of Good Practice für Sprachprüfungen sind in folgende Abschnitte untergliedert: validity, reliability, impact, practicality, quality of service. 1 Eine andere Organisation, die International Language Testing Association (ILTA), spricht unter dem Aspekt impact sogar von einem Code of Ethics, „ [ ... ] a set of principles which draws upon moral philosophy and serves to guide good professional conduct“ und fordert: „Language testers shall have respect for the humanity and dignity of each of their test takers. They [...] shall respect all persons’ needs, values and cultures in the provision of their language testing service“ (ILTA 2000). Mit solchen Ansprüchen wird die Messlatte sehr hoch gelegt, denn weder Lehrende noch professionelle Testkonstrukteure legen sich immer Rechenschaft darüber ab, ob sie ihnen bei der Konstruktion und der Auswertung ihrer Tests gerecht werden. Seit langem werden allerdings solche Fragen in der Testdidaktik thematisiert. 2 Dabei spielt der Aspekt der Nachhaltigkeit (accountability) eine wichtige Rolle. Wer Sprachen testet, muss sich überlegen, welche Verantwortung er gegenüber den Absolventen von Sprachtests, aber auch gegenüber Lehrenden, Schulbehörden und der Gesellschaft im Allgemeinen trägt. Wenn bei Abschlusstests zum Beispiel die Vergabe eines Studienplatzes vom Notendurchschnitt abhängt, müssen höchste professionelle Ansprüche erfüllt werden. 1 Diese Ausführungen liegen dem aktuellen Code of Practice vom 17.03.2013 zugrunde. http: / / www.alte.org/ attachments/ files/ code_practice_eng.pdf (20.10.2013). 2 Vor allem seit dem 19th Language Testing Research Colloquium 1997 zum Thema „Fairness in Language Testing“ (vgl. Language Testing 1997, vol. 14 (3), ed. Alan Davies). <?page no="139"?> Aufgaben zur Entwicklung und zum Überprüfen von Kompetenzen 139 Validität A test should test what the writer wants it to test. It should be valid. Test validity presupposes that the writer can be explicit about what is to be tested and take steps to ensure that the test reflects realistic use of the particular ability to be measured. (Weir 1998, 19) Diese nicht neue Standarddefinition ist die Basis aller Tests. An der Oberfläche scheint sie neutral und wenig kontrovers zu sein. Dennoch verbergen sich hinter dieser Anforderung recht komplexe Überlegungen. Testkonstrukteure müssen nicht nur darauf achten, dass Menschen, die einen Test ablegen wollen, ihn als sinnvoll betrachten (face validity). Sie müssen auch sicherstellen, dass das lerntheoretische Konstrukt in den Aufgaben eingelöst wird (construct validity): Sind z.B. für einen Test zum Hörverstehen diejenigen Prozesse und Strategien erforderlich, die bei der Bewältigung einer realistischen Höraufnahme eingesetzt werden? Daneben gibt es allerdings auch andere Faktoren wie zum Beispiel „insensitive language, stereotyping of test taker groups“ (Kunnan 2000, 3), die die Validität für bestimmte Gruppen beeinflussen können: The focus of this concern is on whether test-score interpretations have equal construct validity (and reliability) for different test-taker groups as defined by salient test-taker characteristics such as gender, race/ ethnicity, field of specialization and native language and culture. Construct-irrelevant factors in terms of content bias that might cause unfairness among groups include topical knowledge and technical terminology, specific cultural content and dialect variations. (Kunnan 2000, 3) Auch in deutschen Klassenzimmern kann man heute von einer starken Heterogenität der Lerngruppen in Bezug auf ethnische Hintergründe und kulturelle Diversität ausgehen. Während man im alltäglichen Unterrichtsgeschehen gerade kulturelle Diversität zum Gegenstand einer interessanten Unterrichtsplanung machen kann, indem mit Stereotypen gespielt oder spezielles landeskundliches Wissen von Lernenden aktiviert wird, kann ein solches Vorgehen bei Testaufgaben zu einer Verfälschung der Ergebnisse führen. Testaufgaben sollten berücksichtigen, dass die Prüflinge aus verschiedenen Kulturen stammen können und deshalb unterschiedliches Vorwissen zu diesen Kulturen mitbringen. Dies ist eine besondere Herausforderung gerade bei integrierten Testaufgaben, die gleichzeitig mehrere Kompetenzen, z.B. kommunikative und interkulturelle Leistungen überprüfen. <?page no="140"?> Eva Burwitz-Melzer 140 Reliabilität und Objektivität Schülerinnen und Schülern kommt es vor allem darauf an, dass sie fair beurteilt werden; alle anderen Aspekte sind für sie nachgeordnet. Ein objektives und faires Urteil bedeutet für sie aber nicht nur eines, das einem Vergleich mit anderen Lernenden in der Klasse oder in Abschlussprüfungen standhält. Es bedeutet für sie auch, dass eine Leistungsanforderung von vertretbarer Schwierigkeit ist. Tests, die zu schwer sind, werden als unfair empfunden. Testkonstrukteure vor allem für high-stake tests müssen also statistisch basierte Verfahren der Itemanalyse mit einbeziehen, um nicht nur zu sehen, wie viele Schüler eine Aufgabe lösen konnten, sondern auch weniger offensichtliche Schwächen in der Konstruktion oder in den Arbeitsanweisungen zu entdecken. High-stake tests wie die Abiturprüfung sollten also stets erprobt werden. Die Ausrichtung an den Referenzniveaus des GeR bedeutet nicht, dass damit alle Probleme gelöst sind (vgl. Quetz/ Vogt 2009). Gerade das Niveau einer Abiturprüfung, C1 bzw. B2, ist unscharf und mit Blick auf berufstätige Erwachsene definiert und kann sehr unterschiedlich interpretiert werden, wie ein vergleichender Blick auf Tests des gleichen Niveaus bei verschiedenen internationalen Testanbietern zeigt. Impact (Wirkung, Auswirkung) Tests als Basis für Qualifikationen und Berechtigungen unterliegen auch einer Anforderung, die in Bezug auf spezielle Prüfungen selten diskutiert wird. Die ALTE beschreibt sie in ihren Principles [...] so: It is recognized that [tests] have a major impact on educational processes and on society in general. This impact operates on at least two levels: a) a macro level in terms of general educational processes; b) a micro level in terms of the individuals (stakeholders) who are affected by examination results. [....] As a point of principle, examination developers must operate with the aim that their examinations will not have a negative impact and, as far as possible, strive to achieve positive impact. (ALTE 2001, 13) Die Varianz im Anforderungsniveau gerade von Abiturprüfungen muss offen diskutiert werden, da sich die am GeR orientierten Richtlinien an den Mahnungen der OECD reiben, dass in Deutschland zu wenige junge Leute einen akademischen Abschluss erreichen. <?page no="141"?> Aufgaben zur Entwicklung und zum Überprüfen von Kompetenzen 141 Überprüfung von Einzelkompetenzen und integrierten Kompetenzen Testaufgaben und Übungsaufgaben unterscheiden sich in einigen Details. Übungsaufgaben sind, wie oben beschrieben, manchmal auf einzelne Kompetenzen fokussiert, manchmal aber auch integriert angelegt: Sowohl die Förderung der Einzelkompetenz wie auch ein Wechsel von Recherchen (Hör- / Sehverstehen oder Leseverstehen) zur Diskussion der Befunde (Interaktion), zur Darstellung der Ergebnisse (Schreiben) und schließlich zur Präsentation (Sprachproduktion) sind im Unterricht durchaus erwünscht. Bei den üblichen Testaufgaben der großen Testanbieter werden Fertigkeiten zur Vermeidung von Unschärfen i.d.R. getrennt überprüft. Beim deutschen Abitur wird man in Zukunft wohl mit einer Doppelstrategie antreten, d.h. Einzelkompetenzen und integrierte Kompetenzen überprüfen: Zum einen enthalten die neuen Standards für das Abitur (KMK 2012) integrative Kompetenzbereiche wie Text- und Medienkompetenz, Sprachbewusstheit und interkulturelle kommunikative Kompetenz; diese sollen zusammen mit dem Schreiben in einer Aufgabe der Abiturprüfung getestet werden. Somit können eine möglichst breite Vielfalt von interkulturell bedeutsamen Texten und auch unterschiedliche Medien Grundlage der Prüfungsaufgaben sein. In den fachspezifischen Hinweisen für die schriftliche Abiturprüfung wird betont: „Insbesondere im verpflichtenden Prüfungsteil Schreiben sind die funktionale kommunikative Kompetenz, die interkulturelle kommunikative Kompetenz und die Text- und Medienkompetenz so miteinander verbunden, dass Schülerinnen und Schüler eine eigenständige komplexe Leistung erbringen“ (KMK 2012, 30). Es steht zu erwarten, dass diese komplexe integrierte Schreibleistung (erwartet wird ein längerer „Text in der Zielsprache, der auch aus inhaltlich und sprachlich aufeinander bezogenen Textteilen bestehen kann“, (KMK 2012, 30) nicht so trennscharf beurteilt werden kann, wie professionelle Testanbieter dies fordern. Allerdings erlaubt diese Unschärfe auch die Überprüfung einer Kombination von Kompetenzbereichen, die interessante und lebensnahe Aufgaben versprechen, also das Testkonstrukt authentischer gestalten. Zum anderen muss neben der verpflichtenden Schreibleistung allerdings jeweils auch eine andere Prüfungsleistung erbracht werden, die sich grundsätzlich aus zwei Aufgaben zusammensetzt, die sich auf die Einzelkompetenzen Hörverstehen, Hörsehverstehen, Sprechen, Leseverstehen oder schriftliche bzw. mündliche Sprachmittlung beziehen (vgl. KMK 2012, 32f). So wird versucht, neben die integrativen Kompetenzbereiche diejenigen zu stellen, die sich mit größerer Trennschärfe beurteilen lassen. Die beschriebene Überprüfung von integrierten Kompetenzen beim deutschen Abitur ist eine immense Herausforderung für die Testersteller. Beim <?page no="142"?> Eva Burwitz-Melzer 142 Testen produziert diese Integration vermutlich Unschärfen, denen man nur begegnen kann, indem man vorab einen möglichen Lösungsrahmen festlegt. Natürlich wird es über diesen Rahmen hinaus stets individuelle Lösungsmöglichkeiten geben, die ebenfalls als korrekte Antworten in Betracht kommen. Hier gilt es, durch Prüfertraining die inter-rater reliability zu erhöhen und dadurch der Ungenauigkeit der Beurteilung entgegenzuwirken, damit der Test möglichst reliable Ergebnisse zeitigt. Eine gewisse Unschärfe ist aber der Preis, den man für die Überprüfung komplexer und integrierter Kompetenzbereiche zahlen muss. Thematische Beschränkungen Neben dem Problem der Unschärfe gibt es weitere Kriterien, die von internationalen Testanbietern beachtet werden. Übungsaufgaben können durchaus provozierend sein, um ein breites Spektrum von Meinungen zu fördern; Testaufgaben hingegen sollten Themen vermeiden, die Schülerinnen und Schüler irritieren könnten, weil sie Tabus berühren, die im Unterricht durchaus angesprochen und ausdiskutiert werden können (Religion, Krieg, persönliche Probleme mit Eltern oder Freunden, Sex bzw. Gender usw.). Im Test könnten sie ablenken und damit zu Leistungsminderungen führen. Auch die Frage, inwieweit man interaktive Aufgaben stellt und dabei die Performanz der Gesprächspartner in Rechnung stellen muss, wird in standardisierten Tests eher zugunsten von Einzelprüfungen entschieden. Im Abitur wird es zumindest bei den mündlichen Prüfungsteilen in Zukunft die Möglichkeit geben, eine Gruppen- oder Partnerprüfung durchzuführen (vgl. KMK 2012, 29). Für diese Fälle wird es wichtig sein, eine individuelle Beurteilung sicherzustellen, die eine faire Testsituation garantieren, auch wenn einer der Gesprächspartner in der Prüfung keine solide Performanz zeigt. 4 Fazit In diesem Beitrag sollte gezeigt werden, wie die Orientierung des Fremdsprachenunterrichts am aufgabenorientierten Ansatz, in jüngster Zeit vor allen Dingen empfohlen vom GeR, ständig intensiviert wird. Bei der höchst begrüßenswerten Tendenz zu bundesweit einheitlichen Abiturprüfungen stellt sich allerdings eine Reihe von Fragen, die trotz plausibler Ansätze noch eine Reihe von Problemen aufwerfen. Insbesondere sollte Vorsorge getroffen werden, die einmal erstellten Abituraufgaben vor einem zweiten Abiturdurchgang empirisch zu überprüfen, um die Möglichkeit von Korrekturen und Verbesserungen offen zu halten. <?page no="143"?> Aufgaben zur Entwicklung und zum Überprüfen von Kompetenzen 143 Anm.: Die Verf. bedankt sich bei Jürgen Quetz für einige Anregungen zur Testtheorie. Literatur ALTE (Association of Language Testers in Europe): Principles of good practice for ALTE examinations (Revised Draft October 2001) http: / / www.alte.org/ attach ments/ files/ code_practice_de.pdf (20. 10. 2013) Alte Code of Practice 2010 bzw. Dt.: http: / / www.alte.org/ attachments/ files/ code_practice_eng.pdf (20. 10.2013). Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.) (2006): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr. 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Harlow: Longman. <?page no="145"?> Evaluation der DaF-/ DaZ-Kompetenzen bei Bewerbern für den Schuldienst in Nordrhein-Westfalen: Konzept und spezifische Merkmale Rüdiger Grotjahn/ Karin Kleppin 1 Einleitung Frank Königs hat in seiner langen wissenschaftlichen Karriere zu einer Vielzahl von wissenschaftlichen Themen publiziert und bedeutende Beiträge u.a. zur Konstitution des Faches Sprachlehrforschung, zum Übersetzen, zu Fragen des Lernens und Lehrens von Fremdsprachen sowie zur Lehrerausbildung geliefert. Sein Name wird allerdings eher weniger mit dem Bereich Prüfen und Testen in Verbindung gebracht, obwohl er als Hochschullehrer stets in einer Vielzahl von Kontexten als Prüfer tätig war. Entsprechend seinem professionellen Selbstverständnis spielte dabei immer die Vergleichbarkeit von Prüfungsleistungen und die Fairness gegenüber jedem einzelnen Prüfling eine wichtige Rolle. Wir möchten uns in unserem Beitrag auf einen Kontext beschränken, mit dem Frank Königs einen Teil seiner früheren Prüfungstätigkeit an der Ruhr- Universität Bochum fortführt und in dem wir und andere Kolleginnen und Kollegen an der Ruhr-Universität Bochum mit Frank Königs seit vielen Jahren intensiv kooperieren. Es handelt sich um das Verfahren zur Feststellung der deutschen Sprachkenntnisse im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. In der Prüfung soll der Nachweis erbracht werden, dass die für die Erteilung des Fachunterrichts und für alle Kommunikationsprozesse in der Schule erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse vorhanden sind (vgl. Informationsblatt zum Verfahren - Stand 2.9.2013 - unter http: / / www. lpa1.nrw.de/ Dienstbereiche/ Bochum/ Formulare/ Kolloquien/ index. html). 2 Konzeption und Funktionen der Feststellungsprüfung Das Verfahren zur Feststellung der deutschen Sprachkenntnisse, im Folgenden als Feststellungsprüfung bezeichnet, beruht u.a. auf einer Verwaltungsverordnung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes NRW vom 24.02.1994 und auf einer Verordnung zur Umsetzung der Richtli- <?page no="146"?> Rüdiger Grotjahn/ Karin Kleppin 146 nie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 31.12. 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome im Lehrerbereich. Die Prüfung war zunächst vor allem konzipiert für Aussiedler 1 aus osteuropäischen Ländern. Mittlerweile gehören zu den Adressaten auch zunehmend Personen mit einem Lehrerexamen aus anderen Staaten der Europäischen Union. Zur Prüfung melden sich Teilnehmer mit höchst unterschiedlichen Kompetenzen in der deutschen Sprache, und zwar von der Stufe A2 bis C2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR; Europarat 2001) und sogar Teilnehmer mit muttersprachlicher Kompetenz. Die Kompetenzen sind zudem sehr unausgewogen: Sowohl die mündliche als auch die schriftliche Kompetenz kann jeweils stärker ausgeprägt sein. Auch Flüssigkeit, Korrektheit, Breite des Wortschatzes usw. können stark differieren. Die Feststellung der erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse erfolgt an zwei Terminen in einem schriftlichen und einem mündlichen Prüfungsteil. Beide Teile beziehen sich in ihrer Themenstellung auf Aspekte, die mit einer möglichen Tätigkeit als Lehrende zu tun haben. Zur Vorbereitung erhalten die Kandidaten nach Anmeldung zur Prüfung, spätestens drei Monate vor dem Termin der schriftlichen Prüfung, Lektürehinweise zu relevanten allgemeinen pädagogischen Fragestellungen (z.B. zu den Themen Motivation, Lehr(er)kompetenzen, Disziplinprobleme). Sowohl der mündliche als auch der schriftliche Prüfungsteil können nur einmal wiederholt werden. Es handelt sich insgesamt gesehen um eine High-Stakes-Prüfung, da der Prüfungsausgang mit wichtigen Konsequenzen für die Kandidaten verbunden ist. Die sprachliche Feststellungsprüfung hat mehrere, sich zum Teil widersprechende Funktionen: • Sie hat eine Selektionsfunktion, und zwar in zweifacher Hinsicht. Einerseits soll vermieden werden, dass Personen mit unzureichenden Deutschkompetenzen an Schulen in NRW eine Anstellung erhalten. Andererseits wollte und will man vor allem für bestimmte Mangelfächer wie etwa Physik und Mathematik, aber auch z.B. Musik, bereits ausgebildete qualifizierte Lehrende rekrutieren. • Sie hat eine Integrations- und Förderungsfunktion, und zwar ebenfalls in zweifacher Hinsicht. Als Lehrer ausgebildeten Personen soll eine Integration in die deutsche Gesellschaft und eine angemessene berufliche Tätigkeit ermöglicht werden. Zugleich soll auf diese Weise eine verstärkte Förderung von 1 Um die Lesbarkeit zu erleichtern, werden im Folgenden Personenbezeichnungen wie Aussiedler, Schüler, Prüfer, Lehrer usw. zumeist im generischen Sinne verwendet. <?page no="147"?> Evaluation der DaF/ DaZ-Kompetenzen 147 Schülern mit Zuwanderungshintergrund erreicht werden. Letzteres ist der Erkenntnis geschuldet, dass Lehrende, die selbst einen Zuwanderungshintergrund haben, Lernschwierigkeiten ihrer Schüler/ innen besser nachvollziehen und berücksichtigen können und dass sie zudem als Integrationsvorbild oder auch als Mittler zum Elternhaus fungieren können (vgl. das seit 2006 vom Schulministerium und Integrationsministerium NRW getragene Projekt „Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte“ unter http: / / www.lmz-nrw.de/ ). Der High-Stakes-Charakter der Prüfung sowie die Widersprüchlichkeit der Funktionen hat erhebliche Auswirkungen auf Kandidaten, Prüfung, Prüferverhalten und Beurteilung. Wir werden hierauf noch genauer eingehen. 3 Das Testkonstrukt Die Feststellungsprüfung zielt auf die Messung von mündlichen und schriftlichen Kompetenzen, die für den schulischen Handlungskontext von besonderer Relevanz sind. Dazu zählen u.a. • im Fachunterricht sprachlich handeln können (z.B. den Unterricht sprachlich managen; Fachinhalte präsentieren; erklären und argumentieren; die Schüler inhaltlich und sprachlich korrigieren; schriftliche und mündliche Aufgaben stellen) • mit Kollegen sprachlich angemessen interagieren können (z.B. sich an Fachkonferenzen beteiligen; ein Anliegen an Kollegen formulieren; Absprachen treffen) • mit Eltern sprachlich angemessen kommunizieren können (z.B. einen Elternsprechtag durchführen; Mitteilungen an die Eltern schreiben) Die beschriebenen Handlungen verlangen eigentlich Kompetenzen, die dem GeR-Niveau C1/ C2 entsprechen. 2 Es reicht nicht, dass die Prüfungsteilnehmer lediglich kommunikativ erfolgreich sind. Da es sich um Teilnehmer han- 2 Die aktuelle Verfahrensordnung für die Feststellungsprüfung (Stand: 2.9.2013) fußt auf Verordnungen, die zeitlich weit vor dem Erscheinen des GeR stammen. In dem Informationsblatt des Prüfungsamtes wird allerdings folgender Hinweis gegeben: „Interessenten sollten beachten, dass die Anforderungen des Verfahrens denen des Großen Deutschen Sprachdiploms entsprechen bzw. zum Teil darüber liegen; von einer verfrühten Meldung muss deshalb dringend abgeraten werden“ (http: / / www.lpa1.nrw.de/ Dienstbereiche/ Bochum/ Formulare/ Kolloquien/ Kolloquium _onDaF.pdf). Das Niveau des Großen Deutschen Sprachdiploms wird üblicherweise auf C2 angesetzt und stellt damit aus der Sicht der Politik wahrscheinlich zu hohe Anforderungen. <?page no="148"?> Rüdiger Grotjahn/ Karin Kleppin 148 delt, die eine Lehrtätigkeit anstreben und deswegen eine potenzielle sprachliche Vorbildfunktion haben, haben auch (sprachliche) Kohärenz, Breite des Wortschatzes, Differenziertheit der Grammatik oder im mündlichen Teil die Aussprache einen hohen Stellenwert. Dies bedeutet u.a., dass bei der Beurteilung die sprachliche Korrektheit stärker zu berücksichtigen ist als in vielen eher allgemeinsprachlichen Deutsch-Prüfungen auf dem entsprechenden Niveau. Orientiert man sich allerdings rigide an diesen Anforderungen - also am C1/ C2-Niveau - dann kann dies dem Anspruch auf Integration und Förderung von Menschen mit Zuwanderungshintergrund widersprechen. In dem beschriebenen Dilemma befinden sich auch die Prüfer und Beurteiler. Diese gehen deshalb bisher von einem Mindeststandard im Bereich B2/ C1 aus; eine ministerielle Entscheidung über einen bestimmten GeR-Mindeststandard liegt (noch) nicht vor. Ein Spezifikum der Feststellungsprüfung ist die enge Verschränkung von sprachlichen und fachlichen Kompetenzen. Zu den fachlichen Kompetenzen z.B. eines Physiklehrers zählen Wissen und Können im Bereich der Physik, aber auch didaktisch-methodische Kompetenzen wie etwa ‚ein physikalisches Phänomen den Schüler/ innen adäquat erklären können‘. Die fachlichen Kompetenzen stehen zwar nicht im Fokus der Prüfung, sie können aber bei der Beurteilung der sprachlichen Leistungen nicht unberücksichtigt bleiben. Sie gehören u.E. letztendlich zum Testkonstrukt, da die sprachliche Handlungsfähigkeit in den genannten Interaktionssituations- und Kommunikationssituationen auch von fachlichen Kompetenzen abhängt (vgl. Grotjahn/ Kleppin 2013). 4 Struktur und Ablauf der Feststellungsprüfung Die Feststellung der erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse erfolgt in einer schriftlichen Prüfung (zurzeit 30-minütiger C-Test und 90-minütige vorgabengesteuerte Textproduktion) sowie in einer maximal einstündigen mündlichen Prüfung (Kolloquium). Die Dauer der mündlichen Prüfung kann in eindeutigen Fällen reduziert werden. C-Test und Aufgabenstellung für die Textproduktion werden von den Prüfern für jeden Prüfungsdurchgang neu erstellt. Damit potenzielle Teilnehmer bereits vor der Meldung zur Prüfung einen Eindruck darüber erhalten, ob sie über das notwendige Mindestmaß an sprachlichen Kompetenzen im Bereich von Lexiko-Semantik, Grammatik und Orthographie für eine erfolgreiche Prüfungsteilnahme verfügen, wird dringend empfohlen, am Online-Einstufungstest Deutsch als Fremdsprache (onDaF) als freiwilligen Screening-Test teilzunehmen. Eine Meldung sollte <?page no="149"?> Evaluation der DaF/ DaZ-Kompetenzen 149 erst dann erfolgen, wenn mindestens das Niveau B2 durch den onDaF attestiert wurde. 3 Bei der Textproduktion handelte es sich ursprünglich um einen themengebundenen Aufsatz ohne weitere Vorgaben. Dieses Aufgabenformat hat sich allerdings als problematisch erwiesen, weil u.a. bestimmte Prüfungsteilnehmer auf Grund ihrer Lerntraditionen und zum Teil auf Grund einer gezielten Vorbereitung im Rahmen von Sprachförderungsmaßnahmen einen vorgefertigten und auswendig gelernten Text in der Prüfung reproduziert haben. Mittlerweile wird die Textproduktion durch Leitfragen gesteuert - wie in vielen schriftlichen Prüfungen auf vergleichbarem Niveau (vgl. z.B. den Test- DaF - http: / / www.testdaf.de). Thema und Leitfragen orientieren sich einerseits an den vorher bekannt gegebenen Lektürehinweisen sowie an allgemeinpädagogischen Aspekten. Bei der Bewertung der schriftlichen Kompetenzen durch zwei Gutachter werden Kriterien angelegt wie Erfüllung der Aufgabenstellung, Angemessenheit der Textsorte, Textkohärenz und -kohäsion, Differenziertheit der lexikalischen und grammatikalischen Mittel. Um eine - auch in den Augen der Prüfungsteilnehmer - hinreichend intersubjektive Vergleichbarkeit herzustellen, wird trotz der damit verbundenen Problematik die sprachliche Korrektheit an Hand des Fehlerquotienten gemessen. Der zusammen mit der vorgabengesteuerten Textproduktion eingesetzte C-Test soll vor allem einen Hinweis darauf liefern, ob ein Prüfungsteilnehmer trotz der Steuerung durch Leitfragen lediglich vorher auswendig gelernte Textpassagen (weitgehend) korrekt reproduziert hat. Dies kann dann der Fall sein, wenn im C-Test eine Vielzahl von Fehlern im Bereich der Lexiko- Semantik, Morpho-Syntax und Orthographie vorkommen, die Textproduktion dagegen sprachlich hochgradig korrekt und kohärent ist, aber das Thema nicht hinreichend berücksichtigt wurde. 4 Falls in Zukunft über den onDaF oder einen anderen standardisierten Test das Erreichen der Niveaustufe B2 nachgewiesen werden muss, wird das beschriebene Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr auftreten. 3 Beim onDaF handelt es sich um einen für die Testteilnehmer sehr kostengünstigen standardisierten Einstufungstest auf der Basis des C-Test-Prinzips (vgl. http: / / www.ondaf.de sowie Eckes 2010). Zum C-Test vgl. Grotjahn (2011; 2014). 4 Wie bereits erwähnt, wurde der C-Test bisher für jeden Prüfungsdurchgang neu erstellt. Aufgrund praktischer Zwänge war es allerdings nicht möglich, diese C-Tests adäquat im Vorhinein zu erproben. Es ist deshalb geplant, anstelle der psychometrisch nicht erprobten C-Tests den onDaF oder eine andere anerkannte standardisierte Deutschprüfung verpflichtend zu machen und das Niveau B2 als notwendige untere Zugangsvoraussetzung für die Feststellungsprüfung festzusetzen. Über diese Maßnahme soll die Heterogenität der sprachlichen Leistungen der Prüfungsteilnehmer reduziert und dadurch ein stärker fokussiertes Prüfen ermöglicht werden. <?page no="150"?> Rüdiger Grotjahn/ Karin Kleppin 150 Die mündliche Prüfung wird durchgeführt durch zwei Prüfer sowie einen Vorsitzenden, der während der Prüfung in erster Linie als Beobachter fungiert und nach der Prüfung das Ergebnis mitteilt. Die Prüfer wechseln sich bei der Durchführung in der Funktion eines Interlokutors (Gesprächspartners) und eines Protokollanten und Bewerters ab. Im Protokoll wird neben Zeiten für Anfang und Schluss der Prüfung festgehalten, welche sprachlichen Kompetenzen der Prüfling gezeigt hat. Direkt im Anschluss an die mündliche Prüfung und an eine konsensuelle Ergebnisfindung zwischen den Prüfern und dem Vorsitzenden wird dem Prüfling das Ergebnis der schriftlichen und der mündlichen Prüfung jeweils in der Form bestanden bzw. nicht bestanden mitgeteilt. Dabei ist es nicht selten der Fall, dass Prüflinge sehr unterschiedliche schriftliche und mündliche Kompetenzen aufweisen. Insbesondere Prüfungsteilnehmer, die sich schon seit langem in Deutschland befinden, können zwar unzureichende schriftsprachliche Kompetenzen haben, in der mündlichen Prüfung aber dann durchaus zufriedenstellende Leistungen zeigen. Zum Teil agieren sie so flüssig, dass gehäuft auftretende Fehler z.B. in der deutschen Flexionsmorphologie, die in der schriftlichen Produktion deutlich stören, kaum wahrgenommen werden. Im Falle des Nicht-Bestehens der Prüfung werden u.a. anhand des Protokolls genauere Hinweise zu den Defiziten und zu Möglichkeiten gegeben, wie die Prüflinge diese Defizite am besten beheben können. Im Folgenden werden wir uns allein auf die mündliche Prüfung beziehen, da diese verglichen z.B. mit den mündlichen Prüfungen der Goethe- Zertifikate (siehe http: / / www.goethe.de/ lrn/ prj/ pba/ bes/ deindex.htm) oder auch des Deutschtests für Zuwanderer (dtz; siehe http: / / www.goethe.de/ lhr/ prj/ daz/ inf/ dfz/ deindex.htm) eine Reihe von Spezifika aufweist, die auch im Hinblick auf die Messung kommunikativer mündlicher Kompetenz in anderen Kontexten von Interesse sind. 5 Die mündliche Prüfung 5.1 Struktur, Ablauf und Bewertung Die mündliche Prüfung besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil werden eher personenbezogene offene Fragen gestellt. Die offenen Fragen sollen die Prüflinge veranlassen, über ihre schulisch-akademische und berufliche Ausbildung, ihre Sprachlernbiographien, eventuelle Erfahrungen mit dem deutschen Schulsystem, Lehrerfahrungen usw. zu berichten. Geschlossene Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können oder Alternativ-Fragen, bei <?page no="151"?> Evaluation der DaF/ DaZ-Kompetenzen 151 denen die Prüflinge bei der Antwort in erster Linie Formulierungen des Prüfers wiederverwenden können, werden dagegen vermieden. Häufig sind die Ausführungen der Prüfungsteilnehmer auf Grund ihrer spezifischen Biographien inhaltlich so interessant, dass die Prüfer Gefahr laufen, nicht mehr hinreichend auf die formalsprachliche Qualität der Äußerungen zu achten. Dies kann dazu führen, dass die Prüfer darauf verzichten, die Prüflinge durch Fragen zu unterbrechen, die vor allem dazu dienen sollen, das sprachliche Niveau und die Differenziertheit der sprachlichen Mittel auszuloten. Stellt der Prüfer also personengebundene Fragen, dann sollte dies immer im Hinblick auf das Ziel der Messung des Konstruktes „mündliche kommunikative Kompetenz“ erfolgen und den Prüfungsteilnehmern die Möglichkeit eröffnen, ihre tatsächlichen Kompetenzen zu zeigen. Dazu sind u.a. Fragen zu stellen, die sowohl momentane als auch vergangene oder hypothetische Erfahrungen und Ereignisse einbeziehen. So erlaubt die Thematisierung von hypothetischen Ereignissen, festzustellen, ob ein Prüfling hinreichend sicher irreale Konditionalsätze folgenden Typs bilden kann: „Wenn ich in Deutschland als Physiklehrer arbeiten dürfte, dann würde ich mit den Schülern in meinem Unterricht häufig Experimente durchführen“. Der zweite, weit stärker fachbezogene Teil bezieht sich - wie bereits oben angedeutet - im Wesentlichen auf die vorher mitgeteilte Lektüre. Dadurch soll den Prüfungsteilnehmern eine inhaltliche und sprachliche Vorbereitung auf die Prüfung ermöglicht werden, was zu einer kognitiven Entlastung während der Prüfung führen kann. Der Prüfer stellt Fragen zu den Inhalten, konfrontiert den Prüfling mit einem inhaltlichen Statement, lässt eine Textpassage oder auch Grafik kommentieren. Die Inhalte sind jedoch nicht eigentlicher Prüfungsgegenstand. Eine Fokussierung auf sprachliche Aspekte der gelesenen Texte während der Vorbereitungsphase soll den Prüflingen erlauben, eine adäquate deklarative Wissensbasis (z.B. hinsichtlich Textsortenspezifik, Fachtermini) sowie sprachliche Automatismen (z.B. flüssiger Gebrauch von Kollokationen) aufzubauen. Beides kann in einer mündlichen Prüfung, in der man spontan und flüssig reagieren muss, Sicherheit bieten und von entscheidender Bedeutung für den Ausgang der Prüfung sein. Die Prüfer müssen allerdings darauf achten, dass die Prüflinge weitgehend eigenständig formulieren und nicht etwa lediglich auswendig gelernte Passagen reproduzieren. Um möglichst eigenständige und spontane Äußerungen zu elizitieren, verwenden die Prüfer z.B. nachfragende oder auch konfrontative Äußerungen. Ein weiteres Verfahren, das im zweiten fachbezogenen Teil häufig eingesetzt wird, ist die Simulation einer antizipierten Berufssituation wie z.B.: ein Gespräch mit Eltern beim Elternsprechtag, ein berufsbezogenes Gespräch mit einem Kollegen oder das Erklären eines Unterrichtsgegenstandes aus dem <?page no="152"?> Rüdiger Grotjahn/ Karin Kleppin 152 Fachgebiet des Prüflings (z.B. Erklären der binomischen Formel, einer grammatikalischen Regel, der Fotosynthese). Bei der Simulation spielt einer der Prüfer die Rolle eines Elternteils, eines Kollegen oder eines Schülers. Mit dieser performanzbasierten Simulation soll eruiert werden, ob der Prüfling in der Lage ist, in künftigen berufsbezogenen Situationen adäquat zu interagieren. Ein weiteres zuweilen eingesetztes Verfahren ist das Vorlesen einer kurzen Passage aus einem pädagogisch orientierten Fachbuch. Dies mag befremdlich erscheinen, die Aufgabe hat jedoch zwei wichtige Funktionen: Man erhält Aufschlüsse darüber, ob die Prüflinge in der Lage sind, die grafische Repräsentationsform der deutschen Sprache adäquat in die phonetische Repräsentationsform umzusetzen. Darüber hinaus kann man so herausfinden, ob die Prüflinge spontan Sinn stiftend lesen können. Beide Kompetenzen sind etwa dann relevant, wenn der Lehrer eine vorbereitete Aufgabenstellung wörtlich vorliest oder aus einem Buch zitiert. Insbesondere kürzlich eingereiste Teilnehmer aus Osteuropa, die in ihrer Kindheit einen deutschen Dialekt (als Muttersprache) im alltagssprachlichen Kontext erworben haben, dann aber schulisch in der Sprache des Herkunftslandes sozialisiert wurden, haben mit dieser Aufgabe auf Grund mangelnder Vertrautheit mit deutschen bildungssprachlichen Texten unserer Erfahrung nach Schwierigkeiten. Wenn die Prüfer gegen Ende des zweiten Teils den Eindruck haben, dass der Prüfling vielleicht doch noch mehr bieten kann als er bisher gezeigt hat, weil er z.B. auf Grund von Prüfungsangst blockiert war, oder auch, weil die ihm gestellten Fragen für ihn nicht optimal waren, dann wird ihm folgendes Angebot gemacht: „Wenn Ihnen noch etwas zum Thema einfällt, das Sie bisher noch nicht einbringen konnten, aber gern noch mitteilen würden, dann haben Sie jetzt noch die Gelegenheit dazu“. Dies kann dazu führen, dass die Prüflinge noch einmal etwas einbringen, das sie inhaltlich gut vorbereitet haben und das sie dann mit einem gewissen Selbstvertrauen sprachlich bewältigen können. Die Prüfungsleistung wird ‚als bestanden/ nicht bestanden‘ ausgewiesen und an Hand der Deskriptoren des GeR (Europarat 2001; Figueras 2012) beurteilt. Vor allem beziehen sich die Prüfer dabei auf die Skalen ‚mündliche Produktion allgemein‘ (Europarat 2001, 64), ‚zusammenhängendes monologisches Sprechen‘ (ebd., 64f) sowie auf die Skala für die qualitativen Aspekte der mündlichen Produktion ‚Spektrum‘, ‚Korrektheit‘, ‚Flüssigkeit‘, ‚Interaktion‘ und ‚Kohärenz‘ (ebd., 37). Mit der in der Prüfung häufig eingesetzten berufsbezogenen Simulation wird beurteilt, inwieweit der Prüfling in der Lage ist, z.B. einen unterrichtlichen Sachverhalt adressatengerecht zu erklären oder ein berufsgebundenes Gespräch mit Eltern oder Kollegen zu führen. Bei der Bekanntgabe der Ergebnisse der schriftlichen und mündlichen Prüfung werden - wie bereits erwähnt - auch Hinweise zu speziellen Defizi- <?page no="153"?> Evaluation der DaF/ DaZ-Kompetenzen 153 ten gegeben. Außerdem werden Empfehlungen für die Vorbereitung auf eine eventuelle Wiederholung eines Prüfungsteils ausgesprochen. 5.2 Spezifika und Probleme Wie schon in Kapitel 2 angedeutet, unterscheiden sich die Prüfungsteilnehmer zum Teil massiv in ihren sprachlichen, fachlichen und beruflichen Voraussetzungen, ihren kognitiven und persönlichen Merkmalen sowie auch in ihren jeweiligen Interessen. Das Alter der Prüfungsteilnehmer liegt zwischen Anfang 20 und Ende 50. Die Prüflinge stammen aus unterschiedlichen Lern- und Ausbildungstraditionen und haben spezifische subjektive Theorien dazu, was „gutes“ Deutsch ausmacht. Außerdem wirken sich in dieser speziellen Prüfung neben Persönlichkeitsmerkmalen wie Intro- und Extrovertiertheit, affektive Belastbarkeit und Fremdsprachenverwendungsangst, die in jeder mündlichen Prüfung eine Rolle spielen (vgl. hierzu z.B. Berry 2007; Ockey 2011), auch spezielle persönliche Faktoren auf den Ablauf der Prüfung aus: Geht nämlich z.B. ein russlanddeutscher Prüfling davon aus, dass Deutsch seine Muttersprache ist, dann kann ein Scheitern bedeuten, dass das gesamte Selbstkonzept des Prüflings aus den Fugen gerät. Ähnlich stellt sich die Situation für eine Person dar, die schon Jahrzehnte in Deutschland lebt und im Alltagskontext hervorragend sprachlich zurechtkommt. Emotionale Zusammenbrüche während der Prüfung oder auch bei der Mitteilung des Ergebnisses kommen in solchen Fällen vor und müssen von den Prüfern behutsam aufgefangen werden. Angesichts der beschriebenen Heterogenität und der Bedeutung persönlicher und affektiver Faktoren bietet es sich an, die Prüfung in hohem Maße flexibel und adaptiv durchzuführen. Die Prüfer müssen sich auf unterschiedliche Kompetenzniveaus und Profile einstellen. Dies bedeutet, dass der Prüfer in seiner Funktion als Interlokutor versuchen muss, das Kompetenzniveau und -profil in flexibler Weise auszuloten. Dazu stellt er zunächst persönliche Fragen auf dem Niveau A2/ B1, die vor allem dem Abbau von Hemmungen dienen sollen (Aufwärmphase). Danach versucht er durch zunehmend schwierigere Fragen und Aufgaben die Obergrenze der sprachlichen Kompetenzen festzustellen, um sich dann auf dem Niveau einzupendeln, auf dem der Prüfling auch über einen längeren Zeitraum sprachlich sicher agieren kann. Dieses Vorgehen orientiert sich an dem teilstandardisierten Oral Proficiency Interview (OPI), das insbesondere in den USA sehr häufig eingesetzt wird - z.B. vom American Council on the Teaching of Foreign Languages - ACTFL. 5 5 Zum ACFL OPI vgl. Lindseth (2005) und Tschirner (2005) sowie http: / / www.actfl. org/ professional-development/ certified-proficiency-testing-program und http: / / www. languagetesting.com/ oral-proficiency-interview-opi. Einen Überblick über verschie- <?page no="154"?> Rüdiger Grotjahn/ Karin Kleppin 154 Die Flexibilität und Adaptivität der Prüfung erlaubt es auch, dass der Prüfer in der gleichzeitigen Funktion eines Mediators im Sinne des interaktionistischen dynamischen Evaluierens versucht, nicht nur den gegenwärtigen Stand der sprachlichen Kompetenzen, sondern auch das Potenzial zur Weiterentwicklung der Kompetenzen auszuloten. Dies erfolgt über kleine Hilfen, etwa wenn der Prüfling ins Stocken kommt, wenn ihm ein Wort fehlt oder auch, wenn er in seinen Äußerungen einen Fehler bemerkt hat und nach Korrekturmöglichkeiten sucht (vgl. u.a. Grotjahn/ Kleppin, im Druck; Lantolf/ Poehner 2011). Während der Prüfung ist darauf zu achten, dass die Prüflinge eine hinreichende Grundlage liefern für eine Bewertung an Hand der in Kapitel 5.1 genannten Kriterien. Denn vor allem, wenn Kandidaten sich besonders flüssig ausdrücken, kann dies einen Halo-Effekt nach sich ziehen. Dieser kann dazu führen, dass ein solcher Prüfling möglicherweise höher als ein anderer Prüfling bewertet wird, der seine Produktion stark überwacht und daher viel langsamer spricht, kurze Pausen macht und sich selbst häufig korrigiert. Außerdem können bei einem sehr flüssig sprechenden Prüfling Fehler leicht überhört werden. Eine besondere Herausforderung ist es für die Prüfer, sich auf persönliche Merkmale dieser spezifischen Adressatengruppe einzustellen. Ein Problem kann es z.B. sein, wenn zum Teil stark veraltete Lehrtraditionen eingebracht werden; der Prüfer muss in diesem Fall die Position des Prüflings akzeptieren und darf die inhaltliche Problematik nicht mitbewerten. Außerdem haben viele Prüflinge bereits viele Jahre als Lehrende gearbeitet und in dieser Rolle selbst Prüfungen abgenommen. Nun stehen sie gleichsam auf der für sie „falschen Seite“. Sie müssen sich selbst einer Prüfung unterziehen, die zudem einen High-Stakes-Charakter aufweist. Mehr als in anderen Prüfungssituationen verlangt diese Konstellation ein besonderes „Fingerspitzengefühl“ und Empathie auf Seiten der Prüfer - Eigenschaften, die Frank Königs in hohem Maße in Prüfungssituationen zeigt. 6 Fazit Es dürfte deutlich geworden sein, dass die an einem Landesprüfungsamt angesiedelte Feststellungsprüfung insgesamt nicht vergleichbar ist mit standardisierten Prüfungen wie etwa der TestDaF-Prüfung oder auch den Zertifidene Ansätze des Testens mündlicher fremdsprachlicher Kompetenzen (unter Einschluss des OPI) geben z.B. Pan/ Pan (2011). Weitere Hinweise zum Konstrukt mündlicher Kompetenz und zu möglichen Testformaten finden sich u.a. in O’Sullivan (2012), Taylor (2011) und Tesch/ Grotjahn (2010). <?page no="155"?> Evaluation der DaF/ DaZ-Kompetenzen 155 katsprüfungen des Goethe-Instituts. Merkmale wie Adaptivität und Flexibilität der mündlichen Prüfung stellen Besonderheiten dar und lassen sich sicherlich auch vor dem Hintergrund der Funktion der Prüfung und der Spezifik der Adressaten begründen. Allerdings führen Adaptivität und Flexibilität der mündlichen Prüfung sowie auch die unzureichende Standardisierung der Bewertung des schriftlichen Teils der Prüfung zu Problemen hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Da allerdings die Prüfung in wesentlichen Teilen durch ministerielle Vorgaben hinsichtlich Struktur und Prüfungsinhalte geregelt ist, lassen sich Änderungen am Verfahren nur in einem mühsamen und langwierigen Prozess durchsetzen. Will man die Prüfung vor dem Hintergrund der modernen Testforschung überdenken und neu konzipieren, dann sind Entscheidungen zu treffen, die die Funktion, das Testkonstrukt und den Grad der Standardisierung des Verfahrens unter Einschluss der Beurteilung betreffen. Vor allem, was die Funktion der Prüfung betrifft, handelt es sich jedoch letztendlich um eine politische Entscheidung. Literatur Berry, Vivien (2007): Personality Differences and Oral Test Performance. Frankfurt am Main: Peter Lang. Eckes, Thomas (2010): „Der Online-Einstufungstest Deutsch als Fremdsprache (onDaF): Theoretische Grundlagen, Konstruktion und Validierung“. In: Grotjahn, Rüdiger (Hrsg.): Der C-Test: Beiträge aus der aktuellen Forschung/ The C- Test: Contributions from Current Research. Frankfurt am Main: Peter Lang, 125-192. https: / / www.ondaf.de/ gast/ ondaf/ info/ dokumente/ Eckes_onDaF_ 2010.pdf (10.10.2014). Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt. http: / / student.unifr.ch/ pluriling / assets/ files/ Referenzrahmen2001.pdf (10.10.2014). Figueras, Neus C. (2012): „The assessment of speaking and the Common European Framework for Languages (CEFR), ten years later“. 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Einem derartigen Verständnis ist seine Kritik an radikalkonstruktivistischen Theorien verpflichtet, die den Bedeutungsaufbau seiner sozialen Dimension berauben (Königs 2005), sowie die von ihm hervorgehobene Notwendigkeit, Interaktionsforschung und Diskursanalyse zu koppeln (Königs 2000), und die Überzeugung, ethnografischen Methoden einen fundamentalen Stellenwert einzuräumen (Königs 2010). Die aktuelle Tendenz, Sprache als soziales Konstrukt zu begreifen und dementsprechend methodisch zu erforschen, hat ihm recht gegeben und seine Auffassung von fremdsprachlichem Lernen und Fremdsprachendidaktik bestätigt. Das Konzept von Sprache als Bestandteil interaktionaler Aushandlungsprozesse zur epistemologischen und gnoseologischen Grundlage für den wissenschaftlichen Zugriff zu machen, hat unmittelbare Auswirkungen auf das empirische Vorgehen. Dies möchte ich im Folgenden am „Interview“ verdeutlichen. Dazu soll zunächst eine Übersicht darüber gegeben werden, welche unterschiedlichen Formen von Verständnis seiner Anwendung zugrunde liegen. Vor diesem Hintergrund wird anschließend das Interview als ein „complex social and sociolinguistic event[s]“ (Block 2000, 762) beschrieben und am Beispiel von Sprachlernberatungsgesprächen dargelegt. <?page no="158"?> Sabine Hoffmann 158 2 Interviews als soziale Praxis in der Fremdsprachenerwerbsforschung Auch wenn die Vielfalt von Interviewvarianten in der Fremdsprachenerwerbsforschung sowie in der Angewandten Linguistik deutlich bescheidener ausfällt als in der Sozialforschung oder in den Erziehungswissenschaften, so ist ihr zunehmender und sich ausdifferenzierender Einsatz auch hier nicht zu übersehen (vgl. Talmy 2010). Gründe für diesen fach- und domänenübergreifenden Erfolg sind wohl die u.a. von Deppermann (2013, 2f) genannten Vorteile wie zielgerichtete Erfassbarkeit, Ökonomie der Erhebung, Stichprobenziehung, Vergleichbarkeit, Einsicht in sonst verschlossene Praxisbereiche, historisch-biografische Dimensionen, Zugang zu subjektiven Sinngebungen der Untersuchten und der direkte Zugriff auf Makrostrukturen. Diese überwiegen offensichtlich gegenüber den möglichen Schwierigkeiten wie z.B. dem Gewinnen der Gesprächspartner, dem Vereinbaren des Zeitpunkts und der Festlegung des Raumes über die Herstellung einer entspannten Gesprächsatmosphäre bis hin zum Timing des Gesprächsablaufs und dem Umgang mit der eigenen Unsicherheit (Friebertshäuser 1997, 371; Hermanns 2005, 361). Dennoch wird trotz ihrer zunehmenden Anwendung und vor allem der Ausdifferenzierung der Interviewformen in der Angewandten Linguistik ein unkritischer und unreflektierter Umgang mit diesem Forschungsinstrument beklagt (Block 2000, 757; Prior 2011, 60; Talmy 2010, 130, 143), denn die recht unterschiedlichen Auffassungen darüber, wo sich die erhobenen Daten erkenntnistheoretisch verorten, werden häufig nicht explizit gemacht. Während Block (2000, 758) u.a. Kvale (1996) anführt, der zwischen veridical (Interviews liefern Informationen zum Erfassen von Realität) und symptomatic (Interviews als ein in den Gesprächskontext situiertes Ereignis) unterscheidet, differenziert Talmy (2010, 132) zwischen Interviews als Forschungsinstrument einer- und als sozialer Praxis andererseits, bei denen Mittel und Gegenstand verschmelzen. Liebscher/ Dailey-O’Cain (2009, 197ff) nehmen eine weitere Unterteilung vor, und zwar in „a content-based approach“ (Interview als Forschungsinstrument) und „turn-internal semantic and pragmatic approaches“ sowie „interactional approaches“ (Interview als Interaktion), während Deppermann (2013, 3f) in Anlehnung an Silverman (2011) vier Varianten voneinander abgrenzt: 1.) Interviews informieren mehr oder weniger objektiv über Ereignisse und Sachverhalte, 2.) Interviews bieten Zugang zur subjektiven Sicht, 3.) Interviews bieten Zugang zu impliziten (d.h. latenten) Sinnstrukturen, die für den Befragten handlungsrelevant sind, 4.) Interviews sind Interaktionsereignisse. <?page no="159"?> Kooperieren, ko-konstruieren, koproduzieren 159 Grundsätzlich lässt sich also ein inhaltsorientierter Typus nennen, der die Erhebung des Informationsgehalts als Ziel des Interviews ansieht und damit jegliche Einflussnahme bei der Erhebung als Störfaktor auszublenden oder zumindest möglichst niedrig zu halten versucht. In diesem Sinne spricht Friebertshäuser (1997, 377) von „Kunstfehlern“ und Grenzen, die durch den „[…] Einfluss des Interviewenden durch nonverbale und verbale Reaktionen auf die Äußerungen des Befragten, Missverständnisse, die unter anderem auch durch die Frageformulierung auftreten können, […] (ebd., 371)“. Die Aufgabe des Forschenden liegt bei diesem Verständnis darin, explizites oder implizites Wissen möglicht geschickt ans Tageslicht zu fördern. Bei dem von Deppermann unter Punkt vier genannten Typus hingegen konstituiert sich Sinn in den Interviews als Interaktionsereignis und damit als Produkt pragmatischer und sozialer Strukturen. Aus soziologischer Perspektive und vor einem ethnografischen Forschungshintergrund werden interindividuelle Prozesse analysiert, wobei sich tendenziell die Künstlichkeit der Interviewsituation reduziert und Forscher sowie Interviewte gleichberechtigter ihre jeweiligen Interessen einbringen können (Mey/ Mruck 2010, 425, vgl. auch Holstein/ Gubrium 1995). Das Interview wird so Teil des Forschungsprozesses, womit die Frage, „was“ erhoben wird, mit dem „Wie“ zusammenfällt: The conceptualization of interviews as co-costructions means that interview data are seen not as reflections of underlying memory but as voices adopted by research partecipants in response to the researcher’s prompts and questions. These voices might or might not truly represent what the research participant thinks or would choose to say in another context and another occasion. (Block 2000, 759, Hervorhebung im Original) Dieses „Wie“ bestimmt sich durch die situierte Interviewsituation, in der sich ein Selbst in Abhängigkeit zu dem Zuhörer und seinen Reaktionen (Prior 2011; vgl. auch Mummendey 1995) innerhalb eines bestimmten, tendenziell asymetrischen Verhältnisses (Talmy 2010, 137f) präsentiert: What the respondent accesses in her stock of knowledge depends on the role she takes, on whether, say, she is speaking as a mother, as an adult daughter, or as a spouse. (Holstein/ Gubrium 1995, 30) So wie hierbei die Rollen durchaus schwanken, variiert auch das Gespräch, Bestimmtes wird aus dem Interview ausgeklammert, anderes eingeschlossen, hervorgehoben usw. (Block 2000, 760; Prior 2011, 66): Respondents are not so much repositories of knowledge - treasuries of information awaiting excavation - as they are constructors of knowledge in collaboration with the interviewers. (Holstein/ Gubrium 1995, 4) <?page no="160"?> Sabine Hoffmann 160 Die Analyse so erhobener Daten erfolgt einmal mit Rückgriff auf die Konversationsanalyse, die das Gespräch über seine sequenzielle Struktur beschreibt (vgl. Sidnell/ Stivers 2013). Daneben findet die Gesprächsanalyse Anwendung, die über die kommunikative Oberfläche hinaus auch Kontextwissen, z.B. Bezüge zwischen den Gesprächsteilnehmenden, mit einbezieht (vgl. Deppermann 2008, 9f). Des Weiteren ist die Diskursanalyse zu nennen. Auch wenn hierbei vielzählige Ansätze zu unterscheiden sind, liegt ihr Fokus verstärkt auf dem Zusammenhang von sprachlichen Handlungen und gesellschaftlichen Strukturen, wie sie sich u.a. in Rollen oder in der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen zeigen (vgl. Nikander 2012, 403ff). 3 Sprachlernberatungsgespräche 1 Die vorangegangenen Überlegungen möchte ich im Folgenden an Auszügen aus Sprachlernberatungsgesprächen verdeutlichen, die im Rahmen einer explorativ-interpretativen Studie mit mehrmethodischem Vorgehen eingesetzt wurden und der Frage nachgingen, inwieweit mündliche Kompetenz und Bewusstsein zusammenwirken. Die Studie wurde am Goethe-Institut Palermo im Kursjahr 2010/ 2011durchgeführt (Hoffmann 2014). Auf dem Grundsatz einer nichtdirektiven Gesprächsführung fußend, orientieren sich Beratungsgespräche an den Kriterien des personenzentrierten Interviews (Mey/ Mruck 2010, 426; vgl. auch Weinberger 2004), bei dem bestimmte Verhaltensweisen wie eine offene und positive Grundhaltung der Beraterin gegenüber dem Lerner, und Frageformen nahegelegt werden, die unter dem Begriff des aktiven Zuhörens diverse Techniken fassen (vgl. Mehlhorn 2006). Dazu gehören z.B. offene Fragen oder das „Spiegeln“, mit dem der Beratende mit eigenen Worten das von dem Lernenden Gesagte wiederholt oder zusammenfasst, um ihm damit einen anderen Zugang zu verschaffen, oder die Lenkung der Aufmerksamkeit auf bestimmte Zusammenhänge durch Nachfragen, Wiederholen oder Akzentuieren. Die Beratung kann auch direktive Momente enthalten, wie z.B. zu Beginn des Gesprächs oder beim Themawechsel (Mehlhorn 2006, 5). Zentral ist, dass das persönliche Feedback der Beraterin das Interesse am Gespräch wachhält (ebd., 7). Bei dieser Gesprächsführung liegen also gewisse Anweisungen vor, aber kein durch Fragen standartisierter Interviewablauf. Die folgende Analyse soll die angesprochenen Techniken im Rahmen des interaktiven Geschehens exemplifizieren und daran nachvollziehen, wie das sprachliche Handeln den Gesprächsfluss steuert und davon abhängig Sinn 1 Zum Konzept der Sprachlernberatung vgl. u.a. Mehlhorn/ Kleppin (2006), Kleppin/ Spänkuch (2014), Vogler/ Hoffmann (2011). <?page no="161"?> Kooperieren, ko-konstruieren, koproduzieren 161 und Inhalt aufbaut. Vor dem Hintergrund der Konversationsanalyse richtet sich die Perspektive dabei auf die Abfolge der sprachlichen Äußerungen. Der erste Auszug 2 entstammt aus dem Anfangsgespräch mit Chiara, einer fünfzigjährigen, freiberuflich arbeitenden Lernerin. Sämtliche Sprachlernberatungsgespräche (SLB) wurden auf ihren Wunsch in der eigenen Wohnung durchgeführt. Der Auszug konzentriert sich auf die Frage, wie sie Fremdsprachen lernt bzw. gelernt hat. 1. SLB Chiara 1.54-3.50 Min. 01 C ma io l’ho studiato solamente a scuola. 02 H e come= 03 C =e l’insegnante era molto brava per cui mi è rimasto impresso 04 e penso anche perché quando si è giovani 05 H ehe 06 C si apprende molto più facilmente 07 H e come 08 C un’altra lingua 09 H e come era insegnato in questa scuola, 10 l’inglese come era insegnato? 11 C (-) in questo mom non me lo ricordo 12 H avete fatto grammatica o è stato più come= 13 C =anche leggevamo dei libri. 14 H ehe 15 C ma l’insegnante era brava. 16 H ehe ehe, leggevate i libri e poi parlavate in inglese 17 o in italiano di questi libri? ((Chiara scuote la testa)) non si ricorda. 18 mm mm, ehm cioè, 19 secondo lei, il tedesco però si impara alla stessa maniera 20 come l’inglese, cioè per esempio leggendo testi 21 [o parlando? ] 22 C [sì], in primo luogo si impara intanto conoscendo la grammatica 23 che è fondamentale 24 H ehe 25 C e poi chiaramente parlandolo, andando in Germania sicuramente, 26 H ehe ehe 27 C immergendosi nel nell’ascolto, nella lingua, 28 nel dovere parlare per forza, 2 Abkürzungen und Konventionen: C=Chiara, G=Gianni, H=Hoffmann; = : schneller Redeeinsatz, (-): Mikropause, ((nonverbale Handlung)), [sprachliche Überlappungen], (unsichere Transkription), (…) Auslassungen. <?page no="162"?> Sabine Hoffmann 162 29 H ehe ehe 30 C e poi certamente leggendo 31 H mm, quindi, diciamo, l’input cioè a tutti i livelli, 32 sia sentirlo parlare, leggere, stare in= 33 C =perché io potrei dire che quando io vado in Germania 34 dalle mie amiche mettiamo sto una settimana, 35 H sì 36 C loro parlano solo il tedesco 37 H sì 38 C io sto una settimana in una famiglia 39 quindi vivo (sotto un certo aspetto) con i figli, 40 e dopo un giorno io parlo con loro tranquillamente e capisco tutto, 41 io non ho problemi. 42 H quindi lei dice dopo una settimana vedo la differenza 43 C dopo una settimana io ho fatto un salto in avanti enorme che però 44 non avrei potuto fare se non avessi studiato la grammatica 45 H ehe 46 C qui a Palermo al Goethe; sono delle cose tutte= 47 H =insieme= 48 C =complementari Der erste Teil des Gesprächs (turn 1-10) fokussiert darauf, zu eruieren, wie die Fremdsprache Englisch erworben wurde. Dieses Lernen erscheint positiv besetzt, da die Lehrerin sehr gut gewesen sei (3, it. l’insegnante era molto brava per cui mi è rimasto impresso, nochmals in 15), zum anderen lernt man Chiaras Meinung nach eine Fremdsprache schneller im jugendlichen Alter (4, 6). Nach meinen drei offenen Fragen (2, 7, 9, 10), wie (it. come) sich dieses Lernen konkret vollzogen hat, die unbeantwortet bleiben, weil Chiara sich nicht mehr daran erinnert (11, it. non me lo ricordo), frage ich direkt nach dem methodischen Vorgehen und bringe dabei Grammatikunterricht ins Gespräch (12). Chiara nennt unmittelbar das Lesen als prävalenten Zugang (13, nochmals in 30). Der Fokus verschiebt sich damit auf diese Fertigkeit. Auf meine diesbezügliche Nachfrage, in welcher Sprache über die gelesenen Texte im Unterricht geredet wurde, erhalte ich abermals die Antwort, dass sie sich nicht mehr daran erinnert (17). Daraufhin wechsle ich das Thema und gehe zum Deutschlernen und zum Lernwert des Sprechens im Unterricht über (19-21). Chiara reagiert unverzüglich darauf, indem sie den Stellenwert expliziten Grammatikwissens beim Spracherwerb betont (22). Wie schon zuvor (14, 16, 18) versuche ich durch neutrales Feedback, Zeit für weitere Überlegungen zu schaffen (24, 26, 29). Nachdem sie Sprechen (25, 28), Hören (27) und nochmals Lesen (30) anführt, schließe ich (it. quindi), dass alle For- <?page no="163"?> Kooperieren, ko-konstruieren, koproduzieren 163 men von input ihr Lernen anregen bzw. fördern (31, 32), was Chiara sofort aufgreift (33) und ihre Erfahrungen im Kreise der Freunde in Deutschland anführt (33, 34, 38-41). Durch zweimaliges „sì“ (35, 37) ermuntere ich sie zum Weitererzählen und folgere daraus, dass sie eine deutliche Veränderung in ihrem Lernprozess wahrnimmt (42, it. quindi lei dice dopo una settimana vedo la differenza). Dies greift die Lernende auf und präzisiert meine Schlussfolgerung durch den Ausdruck „einen riesigen Lernsprung“ (43, it. un salto in avanti enorme), gleichzeitig aber macht sie diesen von dem vorhergehenden expliziten Grammatikerwerb abhängig (44). Diesbezüglich korrigiert sie mich, indem sie mein Angebot zur Vollendung ihres Satzes, dass alle Formen von input beim Lernen zusammenwirken (47, it. insieme), implizit zurückweist, stattdessen ergänzende Zugänge (48, it. complimentari) meint und damit ein gewisses Nacheinander in ihrem Lernvorgang herausstellt. Das zweite Beispiel entstammt aus der 2. SLB mit Gianni. Er ist Akademiker, Mitte dreißig. Die Gespräche mit ihm fanden im Goethe-Institut im Anschluss an den Unterricht statt. In dem folgenden Auszug wird auf eine im Tagebuch vermerkte Episode Bezug genommen. 2. SLB 3.58-6.08 01 H (…) ehm, e poi, che cosa c’è? gli esercizi che hai fatto. ehm poi, 02 diciamo, il discorso con tuo amico che, più che altro, 03 mi sembra di capire ti ha scoraggiato 04 G [non mi ha scoraggiato, non mi ha scoraggiato] 05 H [ti sentivi eh un po’ a disagio] 06 G ee il fatto che non eh materialmente 07 diciamo, no, no, anzi lui, anzi mi ha sempre incoraggiato, 08 H ehe 09 G però finché era nella parte scritta 10 H ehe 11 G che avevo il tempo di ragionarci su, di controllare nel vocabolario 12 eccetera eccetera e comunque era diverso, quando si tratta di, 13 appunto, capire quello che sta dicendo e di dover dire io qualcosa 14 allora anche perché, appunto, io, diciamo, a parte il fatto che, ee 15 come dicevamo poco fa, forse magari lui ha anche una pronuncia 16 un po’ particolare, non lo so, lui è di di 17 [nome di città tedesca proprio] 18 H [ehe ehe] e certo 19 G non lo so se c’è un accento particolarmente accento particolare che 20 si discosta particolarmente dal tedesco insegnato nei corsi, 21 H ehe ehe 22 G questo non non non lo so dire. comunque forse anche questo ha <?page no="164"?> Sabine Hoffmann 164 23 influito, diciamo, ehmm, però per me la difficoltà che ho anche qua, 24 a dire il vero, ee io vorrei inconsciamente ogni volta prima di 25 parlare, avere la frase già pronta essere sicuro di avere scandagliato 26 tutti gli elementi per non sbagliare nulla, solamente 27 H ehe 28 G che chiaramente quando nei primi periodi non si ha una sufficiente 29 dimestichezza ci si blocca 30 H ehe 31 G perché ci si blocca a pensare alla regola, 32 alla parola che non si conosce 33 H sì 34 G e si finisce col non dire nulla. 35 H sì, e questo lei ha anche, diciamo, 36 ehm ripetuto una volta nel nel diario stesso, 37 G eh, forse sì 38 H che lei, che lei, diciamo, pensando a tutta la grammatica, 39 alle parole, alla sintassi, cioè lei veramente non parla più 40 G ehe 41 H perché, ehm, però le volevo dire a proposito: il eh la lingua parlata 42 ha due caratteristiche, una che è veloce 43 che non lascia tempo per riflettere 44 G esattamente 45 H ed a questo legato è anche una grande tolleranza 46 nei confronti degli degli errori 47 G ehe In der Sequenz spreche ich den Lernenden auf das negative Erlebnis eines versuchten Skype-Gesprächs mit einem deutschen Freund an. Auf meine vorsichtig eingeleitete Vermutung (3, it. mi sembra di capire ti ha scoraggiato), dass diese Erfahrung ihn entmutigt habe, reagiert er äußerst heftig, wie die Wiederholung und Negierung des Ausdrucks sowie das zeitgleiche Sprechen (4) deutlich machen. Auf die reformulierte, abgeschwächte Aussage (5, it. ti sentivi eh un po’ a disagio) und zweimaliges neutrales Feedback meinerseits (8, 10) folgt der erste eigene Erklärungsversuch für seine Schwierigkeiten (11- 17, 19, 20), die er auf den Dialekt des Freundes zurückführt. Die vorangegangene emotionale Reaktion, aber auch sein durch oft wiederholte Füllwörter (z. B. it. comunque, appunto, diciamo) und Verzögerungsfloskeln skandierter Sprechrhythmus deuten auf Unsicherheit und Nervosität hin. Seine hervorgebrachte Begründung bestätige ich zunächst (18, it. e certo), liefere anschließend aber neutrales Feedback (21), woraufhin Gianni zu seiner Angst überleitet, im Kurs Fehler zu machen (22-26). Auch hier fällt ein angespanntes <?page no="165"?> Kooperieren, ko-konstruieren, koproduzieren 165 Sprechen mit diversen Verzögerungen und Füllwörtern (it. ehm, ee, comunque, diciamo) auf. Das positive Feedback darauf (33, 35) soll Solidarität und Verständnis signalisieren. Es ermöglicht dem Lernenden, sein Problem als ein allen Anfängern gemeinsames zu sehen, was sich durch seinen Wechsel von der Ich-Form zum unpersönlichen „man“ (28, 29, 31, 32, 34, it. si ha, ci si blocca, ci si blocca, si conosce, si finisce) ausdrückt, und darin das Risiko zu erkennen, aus Angst vor Fehlern oder Unzulänglichkeiten nicht mehr zu sprechen (29, 31, Wiederholung von it. si blocca). Unter Hinweis darauf, dass er ein solches Verhalten auch schon im Tagebuch ausgesprochen hat (35, 36), beziehe ich diese Gefahr konkret auf ihn (38, 39, it. che lei, che lei) und wechsele im Folgenden das Gesprächsthema von den Sprechhemmungen hin zu den Merkmalen mündlicher Kommunikation (41-43, 45, schnell, unreflektiert, fehlertolerant). Hierbei erhalte ich auf meine Äußerungen von Gianni zunächst neutrales (40), dann positives Feedback (44, it. esattamente). In den beiden Auszügen lassen sich Konventionen der Gesprächsführung im Rahmen von Beratung aufzeigen: Art und Wechsel der Frageform (offene oder Entscheidungsfragen), veränderter Fokus auf den Gesprächsstoff, Themawechsel, Spiegelungen, vorsichtige Einführung von Interpretationen, Reformulierung in Folge von Dissens, neutrales Feedback oder volle Zustimmung. Durch ihren Einsatz kooperieren die Interviewpartner, sie kokonstruieren ihr Gespräch und koproduzieren kommunikative Prozesse. 4 Schlussfolgerungen Die Analyse des interaktiven Gesprächsgeschehens zeigt, wie bestimmte Konstruktionen, Formen, Partikel, Ausdrücke usw. den Ablauf der Konversation bestimmen und darüber bedeutsamer Inhalt aufgebaut wird. Dabei mischen sich einige typische Merkmale nichtdirektiver Gesprächsführung mit gesteuerten Momenten, aber vor allem wird offensichtlich, wie beide Partner das Gespräch auf diversen Verständnis- und Kommunikationsebenen steuern und damit dazu beitragen, was an Informationen ausgetauscht wird und wie es getan wird. Jeder turn bedeutet, gemeinsam Schritte auszuhandeln, Grenzen zu setzen und diese wieder zu verschieben. So entsteht ein in sich dynamisches Gebilde, zu dessen Beschreibung die hier analysierte Oberflächenstruktur des Gesprächs einen Zugang darstellt. Darunter werden aber auch tiefer liegende Interpretationszusammenhänge deutlich. So ist z.B. in beiden Sequenzen der Dissens ein wichtiger Bestandteil des Gesprächs, denn hierüber konstituiert sich zunächst einmal ein relativ symmetrisches Verhältnis zwischen den Interviewpartnern, das Widerspruch zulässt. Dieser erlaubt Chiara, das eigene Lernen besser zu fokussieren und sich darüber bewusst zu werden, und er initiiert bei Gianni einen Aushandlungsprozess, der sein Selbstbe- <?page no="166"?> Sabine Hoffmann 166 wusstsein stärkt. Des Weiteren schaffen subjektive Handlungsziele Begründungsmuster für das interaktive sprachliche Verhalten. Um der Komplexität von Kommunikationsprozessen gerecht zu werden, sind die ihnen innewohnenden zahlreichen unterschiedlichen Ebenen zu erfassen und aufeinander zu beziehen. Nicht nur die wissenschaftlichen Arbeiten von Frank G. Königs verbinden sich mit diesem Verständnis von Interaktion, sondern auch seine Lehrtätigkeit und sein persönlicher Umgang mit Kolleginnen und Kollegen. Kooperieren, ko-konstruieren, koproduzieren. Literatur Block, David (2000): „Interview research in TESOL. Problematiying interview data: Voices in the mind’s machine? “ In: TESOL Quarterly 34, (4), 757-763. Deppermann, Arnulf (2008): Gespräche analysieren. Eine Einführung. 4. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Deppermann, Arnulf (2013): „Interview als Text vs. Interview als Interaktion“. [61 Absätze]. In: Forum Qualitative Sozialforschung/ Forum: Qualitative Social Research 14(3), Art. 13, http: / / nbn-resolving.de/ urn: nbn: de: 0114-fqs1303131 (15.2.2014). Friebertshäuser, Barbara (1997): „Interviewtechniken - ein Überblick“. In: Friebertshäuser, Barbara/ Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim und München: Juventa, 371-395. 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Dies impliziert, das lernende Individuum und die Bedingungen und Prozesse seines Sprachenlernens in das Zentrum des Fremdsprachenunterrichts und auch von Forschungsbemühungen zu rücken. Der Lernerorientierung ist eine Lernprozessorientierung inhärent, wofür in der Gründungsphase insbesondere die Interlanguageforschung wichtige Impulse lieferte (vgl. exemplarisch Bausch/ Kasper 1979). Diese programmatische Hinwendung zum Lernenden ist damals seitens der Fremdsprachendidaktik nicht unwidersprochen geblieben, teils sogar vehement zurückgewiesen worden (vgl. exemplarisch Heuer 1982), was heute in Zeiten der Hochkonjunktur von Lernerautonomie, Aufgaben-, Projekt- und Kompetenzorientierung sowie der damit verbundenen Einsicht in die Notwendigkeit der Fokussierung der Lern(er)perspektive sicher so nicht mehr denkbar wäre. Die Gründungsphase der Sprachlehrforschung ist inzwischen (fast schon) Geschichte, die Präsenz der Sprachlehrforschung als eigenständiges akademisches Fach an den Universitäten ist derzeit im Schwinden begriffen. Parallel 1 Hier und im Folgenden werden im Sinne einer Hommage an den unnachahmlichen schriftlichen Stil des Jubilars Zitate aus den Titeln von Schriften von Frank G. Königs durch Kursivdruck markiert. Die jeweiligen Quellen weisen nicht notwendigerweise inhaltlichen Bezug zu meinen Ausführungen auf. Sie sind in dem in der Festschrift abgedruckten Schriftenverzeichnis unter den Aufsätzen von Frank G. Königs aufzufinden. <?page no="170"?> Claudia Riemer 170 haben wesentliche Auffassungen, Arbeitsweisen und insbesondere die empirische Orientierung der Sprachlehrforschung in sich als lehr-/ lernwissenschaftlich verstehende Fremdsprachendidaktiken Einzug gehalten. Und seit einiger Zeit häufen sich Vorwürfe, die Sprachlehrforschung habe die Lehrenden vernachlässigt. Nicht zuletzt der Hauptadressat dieses Beitrags, einer der Protagonisten der Sprachlehrforschung, hat seit einiger Zeit mündlich und schriftlich (vgl. Gnutzmann et al. 2011, 11; Königs 2010, 105; Königs 2013, 11f) sowie unlängst in ausführlicher Form seiner Beobachtung Ausdruck verliehen, „dass der anderen am fremdsprachenunterrichtlichen Lehr-Lernprozess beteiligten Personengruppe, den Fremdsprachenlehrerinnen und lehrern, deutlich weniger Aufmerksamkeit zuteil“ werde und Lehrende „konzeptuell […] keine prominente Rolle“ zu spielen scheinen (Königs 2014b, 67). Insbesondere der Bereich der eher vernachlässigten Professionsforschung wird hervorgehoben. Nun ist es sicherlich kein Ziel meines Beitrags, diesem Befund grundsätzlich zu widersprechen. Auch aktuelle Diskussionen um die zentrale Bedeutung von Lehrenden für erfolgreiche Lernprozesse in der Fremdsprachendidaktik (vgl. exemplarisch die Beiträge in Königs 2014a) und auch der Hype um die Metastudien von Hattie (2014a und 2014b) in den Bildungswissenschaften und den Medien verdeutlichen hinlänglich, dass es an der Zeit ist, auch und gerade in der Sprachlehrforschung/ Fremdsprachendidaktik das Lehren stärker in den Blick zu nehmen und in seinem Wechselspiel mit dem Lernen besser zu verstehen. Gleichwohl möchte ich - gerade im Sinne der Stärkung und Profilierung einer professionsbezogenen und lehr-/ lernwissenschaftlichen Erforschung des Fremdsprachenlehrenden, die ich auch als wesentliche Grundlage einer guten Lehrerbildung betrachte - davor warnen, die Lernerorientierung dabei sozusagen mit dem Bade auszuschütten oder ins Reich der Mythenbildung zu verweisen. Sie zu erforschen ist immer wieder und immer noch aktuell (Königs 2012). Doch zunächst ein Blick zurück. Der Anspruch der Sprachlehrforschung seit ihrer Begründung in den späten 1970er Jahren, Prozesse des Lehrens und Lernens empirisch zu erforschen und daraus begründete Empfehlungen für eine veränderte, bestenfalls optimierte Praxis des Fremdsprachenunterrichts abzuleiten, bedeutet(e) im Kern, zu verstehen, wie sich Fremdsprachenlernen im Unterricht vollzieht. Hierfür war eine gegenüber der damaligen Fremdsprachendidaktik markante Umorientierung notwendig, „den Hauptakzent nicht einseitig auf das Lehren oder auf die Vermittlung von Fremdsprachen“ zu legen mit der Maßgabe, dass „im Vermittlungsprozeß der Lernprozeß stets berücksichtigt und reflektiert“ werden muss (vgl. Koordinierungsgremium 1977, 22). Fremdsprachenlernen wird dabei als Ergebnis vielfältiger (personaler, kontextueller, gesellschaftlicher) Faktoren verstanden und nicht als bloßes <?page no="171"?> Da war doch mal was ̶ Lernerorientierung! 171 Resultat von Vermittlungsprozessen - die sogenannte Faktorenkomplexion. Es ging dabei um die Konturierung einer wissenschaftlichen Disziplin mit eigenem Gegenstandsbereich, wobei v.a. in den frühen Jahren deutliche Abgrenzungsdebatten zur damaligen Sprachwissenschaft und (deutschen) Zweitsprachenerwerbsforschung (vgl. resümierend Königs 1992) den Fremdsprachenunterricht nicht als bloßes Applikationsfeld für linguistische und psycholinguistische Erkenntnisse markierten, sondern als genuines empirisches Feld, aus dem spezifische Erkenntnisse selbst zu generieren sind. Die mit diesem Gegenstandsverständnis verbundene Lernerorientierung (in frühen Schriften noch stärker als „Lernerzentrierung“ bezeichnet) resultierte aus der Diagnose, dass die Merkmale und Bedingungen erfolgreichen Fremdsprachenlernens auf Seiten des Lernenden nicht ausreichend erforscht waren. Es wäre allerdings grundsätzlich unzutreffend, der Sprachlehrforschung eine programmatische Ausblendung der Lehrperspektive anzulasten. So führte z.B. Bausch (1982, 14; Hervorheb. im Original) aus, daß die übrigen, im Fremdsprachenunterricht zusammenwirkenden Faktoren nicht eliminiert werden können […], sondern daß sie vielmehr in ein auf den Fremdsprachenlerner gerichtetes Bezugsfeld eingeordnet werden müssen. Hinzu kommt, daß […] die intern im Individuum ablaufenden Lernvorgänge in einem komplexen Wechselverhältnis mit denjenigen Faktoren stehen, die extern - d.h. vorwiegend aus der unmittelbar gegebenen Lehrperspektive heraus - auf den Fremdsprachenlerner einwirken. Nach dieser Auffassung sind Lehren und das Bedingungsgefüge im Fremdsprachenunterricht als wesentliche Faktoren des Lernens konzeptualisiert. Auf der anderen Seite muss sicherlich eingestanden werden, dass diese im Vergleich zu den internen Faktoren nicht ähnlich intensiv erforscht wurden, was angesichts der Ausgangsdiagnose, die erhebliche Forschungslücken auf Seiten der internen Faktoren feststellte, zunächst auch folgerichtig war. Dass aber insbesondere das Wechselspiel zwischen Lernen und Lehren aus unterschiedlichen Gründen nicht die Lieblingsspielwiese der Sprachlehrforscher/ innen wurde, ist nicht wegzudiskutieren - die Schwierigkeiten, empirische Wirksamkeitsforschung voranzutreiben, seien hier exemplarisch erwähnt. 2 War die Lernerorientierung ein Irrtum? Diese Frage im Titel eines Beitrags von Frank G. Königs (2014b) wurde von ihm ein Stück weit offengelassen. Sein Beitrag endet mit der begründeten Empfehlung, dass wir uns in der Forschung mehr dem Fremdsprachenlehrenden als Forschungsgegenstand widmen mögen. Ich hoffe, im Folgenden zu verdeutlichen, dass die Lernerorientierung kein Irrtum, sondern von gestern <?page no="172"?> Claudia Riemer 172 und doch für heute und morgen relevant (Gnutzmann/ Königs 2010) ist - gerade mit Blick auf die Rolle, die Person und das Handeln des Lehrenden. Ich möchte seine Frage mit Nein beantworten, aber: Die Sprachlehrforschung sollte sich an ihre Wurzeln erinnern und das Wechselspiel von Lernen und Lehren konzeptuell, in ihren Forschungsbemühungen sowie theoretischen und didaktischen Ansätzen ernst(er) nehmen, wobei dem Faktor Lehrer und Lehrerhandeln deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Aber dies freilich - und hier verweise ich auf das oben angegebene Zitat von Bausch (1982, 14) - im Rahmen eines „auf den Fremdsprachenlerner gerichtete[n] Bezugsfeld[s]“. Anknüpfen möchte ich dabei exemplarisch an die frühe Stellungnahme von House-Edmondson (1982, 63), „den lernerzentrierten Ansatz als Voraussetzung […] für eine Verwirklichung effektiven Lehrens“ zu betrachten, denn „Lernerzentrierung (hier stets im Kontext des unterrichtsgesteuerten Lehrens und Lernens) dient letztendlich dem Lehrer, damit dieser mit Hilfe empirisch abgesicherter Erkenntnisse über Lerner und Lernen innerhalb geltender institutioneller Zwänge optimal lehren kann“. Der Zusammenhang mit dem Bereich Lehren wird von House-Edmondson (1982, 67) pointiert zusammengefasst: Lernerzentrierung ohne eine relevante Fremdsprachendidaktik ist in sich sinnlos, aber zu einer relevanten Fremdsprachendidaktik gelangt man erst durch eine lernerzentrierte Sprachlehrforschung. Um diesem Ziel gerecht zu werden, mussten also zunächst die „empirisch abgesicherte[n] Erkenntnisse über Lerner und Lernen“ (s.o.) gewonnen werden. Und in der Gründungsphase der deutschen Sprachlehrforschung stand die internationale Forschung zum L2-Erwerb noch eher am Anfang. 3 Wissen wir heute genug über die Lernenden? Was man weiß - was man wissen sollte (Königs 1999) Um diese Frage vorab zu beantworten: Wir wissen inzwischen einiges über den Lerner und den Lernprozess. Dies gilt auch für die Forschung zum Themenbereich „Individuelle Unterschiede zwischen Lernenden“, die breiten Erkenntnisgewinn zu den Lernerfaktoren geliefert hat - wenngleich der Forschungsbereich noch lange nicht ausgeschöpft ist (vgl. zusammenfassend Dörnyei/ Skehan 2003 ) . Wir wissen auch, dass viele dieser Faktoren in Wechselwirkung mit sowohl lernerinternen als auch lernerexternen Faktoren stehen (vgl. Riemer 1997), was eine frühe Annahme der Sprachlehrforschung bestätigte (s.o., zit. nach Bausch 1982). Dies möchte ich mit zwei exemplarischen Beispielen näher erläutern, die sich - worauf ich später zurückkommen <?page no="173"?> Da war doch mal was ̶ Lernerorientierung! 173 werde - m.E. auch besonders für eine Erweiterung der Forschungsperspektive in Bezug auf die Rolle der Lehrenden anbieten. Unter den kognitiven, als relativ stabil angesehenen Lernerfaktoren hat der Lernstil besondere Beachtung gefunden. Vor allem im Rahmen der nordamerikanischen Zweitsprachenerwerbsforschung wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Lernstildimensionen untersucht, wobei die jeweils zugrunde gelegten Konstrukte sehr unterschiedlich waren und forschungsmethodologische Schwierigkeiten bei der Operationalisierung nicht verschwiegen werden dürfen (vgl. Riemer 2009a). Daher kann nur mit Vorsicht zusammenfassend festgehalten werden, dass die Studien darauf hindeuten, dass es keinen per se überlegenen Lernstil gibt, der etwa im Unterricht intensiver Trainingsgegenstand werden sollte. Unterschiedliche Studien haben aber auch beleuchtet, dass eine fehlende Übereinstimmung zwischen dem Lehrstil bzw. den Annahmen der Lehrenden hinsichtlich der Lernstile ihrer Lernenden und den tatsächlich vorliegenden Lernstilen der Lernenden negative Auswirkungen auf die Lernprozesse haben und dass im Umkehrschluss Lernende besonders davon profitieren, wenn der Unterrichtsstil ihrem Lernstil entspricht (vgl. Ellis 1989; Oxford et al. 1991). Wenn man Hinweise auf den teils unbewussten Charakter von Lernstildispositionen ernst nimmt, so ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, dass sich auch Lehrende in ihrem Unterrichtshandeln und ihrer Einschätzung hinsichtlich der Effektivität von Lernaktivitäten durch ihren eigenen Lernstil leiten lassen, dass also Lehrende möglicherweise ihren eigenen Lernstil unbewusst in ihrem Lehrstil präferieren. Diesen Zusammenhang näher zu erhellen und auf seine Wirkung auf den Lernenden und Lernprozess näher zu beleuchten, wäre eine zukünftige Forschungsaufgabe. Ein anderer Faktor hat viel Aufmerksamkeit in Forschung und Didaktik gefunden: der interindividuell variable affektive Faktor Motivation, der unterschiedliche Konzeptualisierungen erfahren hat und sich empirisch hinsichtlich des Lernerfolgs als sehr einflussreich nachweisen lässt (vgl. zusammenfassend Riemer 2010). Inwieweit die Person und das Handeln des Lehrenden den Motivationsprozess des Lernenden beeinflussen, war allerdings weniger expliziter Forschungsgegenstand. Eher als Nebenprodukt konnte z.B. im Rahmen meiner internationalen Studien zur Motivation für das Lernen und Weiterlernen von Deutsch als Fremdsprache aufgezeigt werden, dass DaF- Lernende anspruchsvolle und engagierte Lehrende, die dem Lernenden viel abverlangen, die aber auch ihren Unterricht abwechslungsreich und interessant gestalten (z.B. auch durch regelmäßige landeskundliche Informationen über deutschsprachige Länder und alltägliche Landeskunde), positiv bewerten und als motivierend wahrnehmen. Allerdings wurde in den Daten v.a. aus schulischen und universitären Kontexten auch das Muster identifiziert, dass <?page no="174"?> Claudia Riemer 174 sich Lernende durch Angst vor der Lehrkraft und insbesondere deren Umgang mit Fehlern im Fremdsprachenunterricht beeinträchtigt fühlen (vgl. Nerlicki/ Riemer 2012; Riemer 2011). Was wir wissen sollten, aber nicht aus entsprechender Forschung wissen können, weil es sie nicht oder nicht ausreichend auf die Lern(er)perspektive gerichtet gibt, ist, welche Einflussfaktoren und Voraussetzungen Lehrende dazu bewegen, spezifische, möglicherweise Angst induzierende Korrekturformen zu bevorzugen, welche Unterrichtstätigkeiten und Materialien sie für motivierend halten und warum, was Lehrende bewegt, bestimmte Lehrerrollen zu verkörpern. Hier eröffnen sich für eine lernerorientierte, aber gleichzeitig den Lehr- und Lernprozess fokussierende Sprachlehrforschung vielversprechende, wenngleich forschungsmethodologisch anspruchsvolle Forschungsfelder. 4 Lernerorientierung: Bewährt oder auf ‚Bewährung‘? (Königs 1988) Unstrittig sollte sein, dass vorhandene empirische Erkenntnisse, wie die oben aus dem Bereich der Lernerfaktoren erwähnten, Teil der Lehrerausbildung sein sollten mit dem Ziel, dass diese später auch angewendet werden, wofür die meisten Arbeiten - zumindest auf einer allgemeineren Ebene - durchaus Umsetzungsvorschläge machen. Was wir aber nur ansatzweise wissen, ist, inwiefern solche Erkenntnisse tatsächlich das Lehrerhandeln in der Tiefe beeinflussen können - Skepsis ist mehr als angebracht. Es wäre naiv anzunehmen, dass allein durch die Hochschullehre, auch unter Berücksichtigung praxisrelevanter Aspekte und Praxisphasen, ein Transfer wissenschaftlicher Erkenntnis in das professionsbezogene Selbstbild und das Lehrerhandeln gelingen kann (vgl. exemplarisch Schocker-v. Ditfurth 2001). Analoges gilt für die Lehrerfort- und -weiterbildung. Im Rahmen vieler DaF-Lehrerfortbildungen ist mir z.B. berichtet worden, dass Lehrroutinen und (gerade für den DaF-Unterricht außerhalb deutschsprachiger Länder) externe Rahmenbedingungen, aber auch ein Festhalten an Überzeugungen und Habitus, den Unterricht auf eine Weise prägen, dass evtl. noch (zumindest kurzzeitig) verändertes Bewusstsein, aber nur unter großem persönlichen Einsatz des jeweiligen Lehrenden anhaltend verändertes Handeln aus solchen Fortbildungen resultieren. Unterschiedliche Arbeiten seit den 1990er Jahren weisen deutlich auf die große Bedeutung von Lehrerpersönlichkeit und Lehrerüberzeugungen bzw. Lehrerkognitionen für die Unterrichtsgestaltung hin (vgl. zusammenfassend Caspari 2014 und Schart 2014). Was also ist dafür nötig, dass Einsichten in das lernende Individuum so in die Unterrichtswirklichkeit umgesetzt werden, dass das starke Ziel „optimal lehren“ (s.o., zit. nach House-Edmonson 1982, 63) zumindest ansatzweise erreicht werden kann? Hierfür müssten nicht nur die Fragen, warum und wie <?page no="175"?> Da war doch mal was ̶ Lernerorientierung! 175 und wodurch Lernen gelingt, sondern auch immer gleichzeitig Fragen, wann und wie und wodurch Lehren gelingt, beantwortet werden. Eine Antwort aus der Forschung, die allein darauf zielt, dass Lehrende die individuellen Voraussetzungen der Lernenden besser berücksichtigen, ist aus didaktischer Perspektive mehr als unbefriedigend, da viel zu vage. Sie konkreter zu beantworten, fällt aus einer Forschungsperspektive heraus aber mehr als schwer. Wie oben ausgeführt fehlen Untersuchungen, die die affektiven, kognitiven und sozialen Voraussetzungen des Lehrerhandelns genauer betrachten. Als Beispiele für Forschungslücken möchte ich ausflaggen: Einstellungen und Motivationen von Lehrenden in Bezug auf didaktische Ansätze, Erwartungen in Bezug auf den Einsatz spezifischer Lehr-/ Lernmaterialien, Einstellungen zu Sprache und Lernersprache, Lehrerhabitus, Lehrerrolle und Lern-/ Lehrstil - die, um das Ganze noch zu verkomplizieren, möglicherweise im Kontrast zu den Motivationen, Einstellungen, Erwartungen und Lernstilen der Lernenden stehen können. Die Liste lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven beliebig erweitern. Wie aus meinen Ausführungen bereits deutlich geworden sein dürfte, möchte ich allerdings davor warnen, die Lehrendenseite vorrangig ohne Bezug zur Lernendenseite zu fokussieren. Gerade in Zeiten des Kompetenzgerangel[s] (Königs 2009), wo über die Festlegung von Lernzielen in Form standardisierter Kompetenzbeschreibungen sowie deren Überprüfung im Rahmen von Tests die Lernwege sowie deren individuelle Verläufe und soziokulturelle Rahmungen aus dem Blickfeld zu verschwinden drohen (vgl. Riemer 2009b), kann ein Festhalten an lernerorientierten Ansätzen ein Weg sein, Unterrichtsqualität als Prozessqualität zu verstehen. Für die Forschung, die Beiträge gerade in Bezug auf die Wechselwirkung zwischen Lehren und Lernen liefern will, möchte ich zwei Möglichkeiten vorschlagen: Zunächst möchte ich an Krumms frühes Plädoyer (1982, 78) anknüpfen: Eine lernerzentrierte Erforschung des Fremdsprachenunterrichts […] darf […] den Lehrer nicht aus dem Blick verlieren und muss zugleich soweit ‚lehrerzentriert‘ bleiben, dass introspektive Daten über den Lehrer gleichfalls bei der Interpretation von Lehr-Lern-Prozessen berücksichtigt werden. Dies würde z.B. bedeuten, dass empirische Studien neben Lernerdaten grundsätzlich auch Lehrerdaten einholen, wenn sie Beiträge zu einer empirisch begründeten Theorie des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen leisten wollen. Zum anderen sollte die Professionsentwicklung von Lehrkräften in Bezug auf das Wechselspiel von Lehren und Lernen selbst zum Forschungsgegenstand werden. Eine sich anbietende Möglichkeit wäre, sowohl im Rahmen von (in vielen Bundesländern bereits implementierten) Praxissemestern von <?page no="176"?> Claudia Riemer 176 Lehramtsstudierenden werdende Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer als auch im Rahmen empirischer Forschungsprojekte mit Bezug auf das oben umrissene Erkenntnisinteresse zu begleiten und sie bei der Erprobung und Reflexion von Unterrichtstätigkeiten zu beobachten und zu befragen. Oder man versucht, gerade in solchen Kontexten, in denen Studierende ihre (ersten) Lehrerfahrungen sammeln, Studierende zu eigenen, forschungsmethodologisch fundierten und analog thematisch fokussierten Aktionsforschungsprojekten zu ermuntern. Eine solche Entwicklung könnte der immer drohenden Gefahr der Trennung von Lehre und Forschung in der Fremdsprachendidaktik begegnen. Sie könnte Aktionsforschung als Forschungsansatz deutlich aufwerten, entsprechende Forschungsansätze zielgerichtet verbessern und gleichzeitig Formen forschenden Lernens und der Anbahnung reflexiven Unterrichtsverhaltens in der Lehrerausbildung befördern. Hierfür können vorliegende Ansätze (vgl. zusammenfassend Legutke/ Schocker-v. Ditfurth 2009) zielgerichtet weiterentwickelt werden. Die Frage, ob sich ein Festhalten am Postulat der Lernerorientierung in der Sprachlehrforschung durch solche lehrerorientierte Forschung für eine Weiterentwicklung der Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen bewährt, wird sich irgendwo zwischen Marburg, Eden und dem Nirwana (nach Königs 2012) beantworten lassen. Wie, das soll die weitere Forschung zeigen. Literatur Bausch, Karl-Richard (1982): [Beitrag ohne eigenen Titel]. In: Bausch/ Christ/ Hüllen/ Krumm (Hrsg.), 12-16. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Hüllen, Werner/ Krumm, Hans-Jürgen (1982) (Hrsg.): Das Postulat der Lernerzentriertheit. Rückwirkungen auf die Theorie des Fremdsprachenunterrichts. Arbeitspapiere der 2. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Universität Bochum: Seminar für Sprachlehrforschung. Bausch, Karl-Richard/ Kasper, Gabriele (1979): „Der Zweitsprachenerwerb. Möglichkeiten und Grenzen der ‚großen‘ Hypothesen“. In: Linguistische Berichte 64, 3-35. 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Auswirkungen zeigen sich in den verschiedensten Bereichen: Zu den wichtigsten gehören sicherlich die auf mehr Lernerautonomie abzielende Entwicklung von Portfolios für den Sprachunterricht und die länderübergreifende systematische Ausrichtung der fremdsprachlichen Lehrpläne auf Kompetenzstufen. Gerade die Orientierung an Kompetenzen, die auch in den folgenden Ausführungen eine Rolle spielen wird, hat inzwischen - weit über den Fremdsprachenunterricht hinausgehend - die Lehrplangestaltung anderer Schulfächer beeinflusst, vom muttersprachlichen Unterricht bis hin zum Unterricht in den Natur- und Sozialwissenschaften. Die Einbeziehung des GeR in die Formulierung der Bildungsstandards, die als Orientierungsmaßstab für die Lehrplanarbeit im Fremdsprachenunterricht dienen, ist vor allem in den Anfängen von viel - auch berechtigter - Kritik begleitet gewesen. Es wurde z.B. bemängelt, dass die für den GeR entwickelten Deskriptoren sich nicht für die Lehrplanentwicklung an den Schulen eignen, weil sie sprachliche Kompetenzen beschreiben, die eher erwachsenen als schulischen Lernenden zukommen. Die im Schulunterricht angestrebten Kompetenzen, so wurde argumentiert, unterschieden sich doch in vielem von den in den Deskriptoren des GeR beschriebenen. Dabei wurde übersehen, dass der GeR nicht eigentlich für die Schule konzipiert wurde, sondern grundlegend fremdsprachliche Kompetenzen auf verschiedenen sprachlichen Kompetenzstufen festhalten will. Das Klassifizierungsraster dieser Kompetenzstufen (A1, A2, B1, B2, C1, C2) hat sich inzwischen allgemein durchge- <?page no="180"?> Dieter Wolff 180 setzt, wenngleich die Deskriptoren für den schulischen Gebrauch in der Lehrplangestaltung modifiziert wurden. 1 Allerdings hat die seinerzeit mit großer Begeisterung, aber auch in großer Eile vollzogene Integration des GeR in die Lehrplanentwicklung für den Fremdsprachenunterricht u.a. auch dazu geführt, dass grundlegende Erkenntnisse zur Sprachentwicklung und zum rezeptiven und produktiven Sprachgebrauch, wie sie von der Sprachpsychologie erforscht wurden, nicht in die Reflexion über seine Implementierung eingeflossen sind. Dies führt, wie in diesem Beitrag zu zeigen sein wird, zu Problemen bei der konkreten Umsetzung. Durch den Vergleich der Forschungsergebnisse eines exemplarisch ausgewählten psycholinguistischen Forschungsbereichs mit den methodisch-didaktischen Lernzielsetzungen kompetenzorientierter Lehrpläne soll auf eine Divergenz aufmerksam gemacht werden, die meiner Meinung nach zwischen diesen Erkenntnissen und der Formulierung der Lehrpläne besteht, und für eine engere Kooperation zwischen Psycholinguistik und Fremdsprachendidaktik auch im Bereich der Lehrplanentwicklung plädiert werden. 2 Entwicklungspsychologische und psycholinguistische Kompetenzmodelle Die Kernlehrpläne Englisch für HS, GS und RS in Nordrhein-Westfalen zeigen deutlich, dass die Entwicklung auf dem GeR basierender kompetenzorientierter Lehrpläne durch die Fokussierung auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler („ich kann-Formulierung“) und durch die Abkehr von der Defizitorientierung früherer Lehrpläne große Fortschritte gemacht hat. Allerdings lassen sich die Kernlehrpläne noch verbessern, wenn man andere Erkenntnisse berücksichtigt, die bisher nur ansatzweise in den GeR und in die Überlegungen zur Standardsicherung eingebracht wurden, nämlich den Bezug zur Muttersprachen- und Zweitsprachenerwerbsforschung und insbesondere zur Psycholinguistik. Diese Disziplinen, die sich unter den Begriff Sprachpsychologie subsumieren lassen, haben Kompetenzentwicklungsmodelle geliefert, die zeigen, wie sich sprachliche Kompetenzen auf der Zeitschiene entwickeln. So wurden in der Muttersprachserwerbsforschung bestimmte Phasen der kindlichen Entwicklung herausgearbeitet, z.B. die Einwortbzw. die Mehrwortphase, die Phase, in der bestimmte Frage- oder Relativsätze aufzutreten beginnen oder bestimmte grammatische Morpheme regelmäßig verwendet werden und die Kompetenzen beschrieben, die sich in diesen Phasen herausbilden. Da dieser Modelltyp entwicklungspsychologisch 1 Allerdings verweisen die Lehrpläne weiterhin auf sie und benutzen auch das Klassifizierungsraster des GeR. <?page no="181"?> Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht 181 abgesichert ist, sind Vorhersagen zu bestimmten Kompetenzstufen möglich. Die Könnensformulierungen des GeR sind hingegen didaktisch gesetzt: Der Lernende soll zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Kompetenzstufe erwerben, und das unabhängig von irgendwelchen entwicklungspsychologischen Parametern. Die Erkenntnisse der Zweitsprachenerwerbsforschung verweisen in die gleiche Richtung. Viele der Untersuchungen aus der L1-Forschung wurden für L2-Lerner repliziert. Die Ergebnisse ähneln der der Mutterspracherwerbsforschung (Ellis 1994), d.h., es laufen ähnliche Prozesse ab und es werden ähnliche Strategien eingesetzt, die zu ähnlichen Entwicklungsstufen in der sprachlichen Kompetenz führen. Allerdings bereitet die für diesen Probandenkreis erforderliche Differenzierung in natürliche und schulische Zweitsprachenlerner auf der einen und in kindliche/ jugendliche und erwachsene Zweitsprachenlerner auf der anderen Seite eine Reihe von Problemen, die vor allem mit dem Alter der Lernenden und der Lernumgebung zusammenhängen. Sowohl die sprachpsychologischen Entwicklungsmodelle als auch die Kompetenzmodelle der Psycholinguistik, auf die wir bei der Behandlung von Schreibprozessen zu sprechen kommen, sind von der Mutter- und Fremdsprachendidaktik zur Kenntnis genommen, allerdings nicht so weit in ein modernes Unterrichtskonzept integriert worden, wie es wünschenswert gewesen wäre. Es wurden Einzelkonzepte, wie z.B. das Strategienkonzept, übernommen und didaktisch überformt, aber grundsätzlich im Hinblick auf ihre konkreten Einsatzmöglichkeiten im schulischen Sprachunterricht nur wenig überdacht (vgl. aber schon früh Rampillon 1985), und deshalb schlagen sich diese Modelle auch nicht in den Lehrplänen nieder. Im folgenden Abschnitt soll nun in Bezug auf das Schreiben auf diese Problematik näher eingegangen werden. 3 Schreiben aus Sicht der Sprachpsychologie Die Sprachpsychologie hat sich intensiv mit dem Schreiben beschäftigt, wobei es sich meist um Modelle handelt, die hauptsächlich auf die Entwicklung sprachlicher Mittel (Wortschatz) und einfacher grammatischer Regeln abheben und komplexere Kompetenzen nur bedingt im Blick haben sowie auch keine Aussagen dazu erlauben, wie sich diese Kompetenzen weiterentwickeln und in komplexe Sprech- und Hörverstehenskompetenzen, bzw. Schreib- und Lesekompetenzen verwandeln. Eines der wenigen Modelle, das diese weiterführende Entwicklung der Muttersprachler bzw. der Zweitsprachenlerner nachvollzieht, ist das Modell von Bereiter (1980) bzw. Bereiter und Scardamalia (1987). Anders als das synchrone Kompetenzmodell von Hayes/ Flower <?page no="182"?> Dieter Wolff 182 (1980), das die psycholinguistischen Prozesse eines kompetenten Schreibers bei seiner Tätigkeit illustriert, kann dieses Schreibmodell als ein diachrones Entwicklungsmodell des Schreibens bezeichnet werden und stammt aus dem Umkreis moderner schreibdidaktischer Theorien, baut jedoch weitgehend auf grundlegenden sprachpsychologischen Erkenntnissen auf. Wie das von Hayes/ Flower ist es ein muttersprachlich orientiertes Modell, setzt aber mit dem Beginn der Schreibentwicklung, also mit dem fünften Lebensjahr 2 , ein. Bereiter/ Scardamalia unterscheiden fünf Entwicklungsstufen des Schreibens: 3 (1) Associative writing . Das Kind hat zunächst große Schwierigkeiten mit der Motorik des Schreibens. Es beschränkt sich darauf, Gedachtes so in Geschriebenes umzusetzen, wie es auch Gedachtes in Gesprochenes umsetzt. Die kindlichen Schreibprodukte sind identisch mit den Sprechprodukten. Sie weisen häufig auch in der Verschriftung die phonetischen Merkmale der Sprechsprache auf. (2) Performative writing . Das Kind passt seine Schreibprodukte den stilistischen Konventionen der geschriebenen Sprache an. Es lernt, sich in der geschriebenen Sprache anders auszudrücken als in der gesprochenen; es gliedert seinen Text in Sätze und Abschnitte und beginnt die Konventionen der Zeichensetzung zu befolgen. Wie das associative ist auch das performative writing eine egozentrische Form des Schreibens, nicht, weil das Kind nur seinen eigenen Standpunkt vertritt, sondern auch, weil es sich noch nicht auf einen potenziellen Leser einstellen kann. (3) Communicative writing . In dieser Phase erwirbt der Lerner die Fähigkeit, seine Schreibprodukte so zu planen und auszuführen, dass sie den Leser mit einbeziehen. Communicative writing verbindet sich mit sozialer Bewusstheit und mit der Erkenntnis, dass auch Schreibprodukte mit einer Intention geschrieben werden und auf Leser wirken sollen. (4) Unified writing . Diese Stufe wird beim Muttersprachler meist erst in der Adoleszenz erreicht. Der Schreiber bezieht nicht nur mögliche Leser in seine Planungen ein, sondern ist nun auch fähig, seine eigenen Schreibprodukte kritisch und im Hinblick auf ihre ästhetische Qualität zu bewerten. (5) Epistemic writing . Diese Phase, die nur von wenigen Schreiblernern erreicht wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass das Nachdenken über 2 Normalerweise beginnen Kinder mit dem Schreiben, wenn sie eingeschult werden. Dies geschieht in einigen Ländern mit dem fünften, in anderen mit dem sechsten Lebensjahr. 3 Ich benutze hier die leicht verständlichen Bezeichnungen der Entwicklungsstufen des englischen Originaltextes, gebe die Erläuterungen allerdings in deutscher Sprache. <?page no="183"?> Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht 183 das zu Schreibende bzw. das bereits Geschriebene das Wissen des Schreibers erweitert bzw. modifiziert. Es entsteht eine Interaktion zwischen den Gedanken und dem, was der Schreiber ausdrücken möchte, die ohne den Prozess des Schreibens nicht möglich ist. 4 Solche Prozesse werden in der Schreibpsychologie auch als kreatives Schreiben bezeichnet. Schon Ende der achtziger Jahre, als das Modell von Bereiter/ Scardamalia in Deutschland bekannter wurde, wurde in der Literatur sein integrativer Charakter betont (z.B. Baurmann 1990, 11). Allerdings betonen Pohl und Steinhoff (2010, 20) auch zu Recht, dass das Modell nicht als ein einfaches Stufenmodell verstanden werden darf, in welchem eine Stufe erst erreicht werden kann, wenn die vorherige abgeschlossen bzw. überwunden wurde. Einzelne Schreibstufen können durchaus schon aufgebaut werden, wenn andere noch nicht abgeschlossen sind. Es ist kein einfaches lineares Modell, in welchem die einzelnen Entwicklungsstufen hierarchisch hintereinander stehen, sondern ein integratives Entwicklungsmodell, das insbesondere auf den unteren Stufen durchaus Parallelentwicklungen zulässt. Die beiden obersten Stufen, das unified und das epistemic writing sind aber nur auf den anderen Stufen aufbauend zu erreichen. Wie bei den anderen die Muttersprache modellierenden sprachpsychologischen Entwicklungs- und Kompetenzmodellen stellt sich auch hier die Frage, ob ihre Gültigkeit auch für den Erwerb und den Gebrauch einer zweiten Sprache gewährleistet ist. Sind muttersprachliche sprachliche Kompetenzen direkt auf die Fremdsprache übertragbar? Können fremdsprachliche Kompetenzen entwickelt werden, ohne dass diese Kompetenzen vorher in der Muttersprache vorhanden sind, d.h. können schulsprachliche Defizite beim Erwerb einer Fremdsprache zu Schwierigkeiten führen? Diese Fragen spielen bei der Diskussion um die Kompetenzentwicklung in der Muttersprache und in einer Fremdsprache eine immer größere Rolle (vgl. z.B. Wolff 2013), und haben auch zu z.T. recht unterschiedlichen Ergebnissen geführt. So konnte z.B. von der amerikanischen Schreibforschung herausgearbeitet werden, dass es nicht die defizitäre Sprachkompetenz ist, sondern eher die mangelnde Schreibkompetenz, auf deren Grundlage verschiedene L2-Schreiber zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Ein guter muttersprachlicher Schreiber schreibt auch gut in der zweiten Sprache. Nicht vorhandene Schreibstrategien kann man nicht in die zweite Sprache übertragen, deshalb macht sich ihr Fehlen beim Schreiben auch so stark bemerkbar. Dieser Befund wurde in einer Untersuchung von Wolff (1989) bestätigt, der eine hohe Übereinstim- 4 In diesem Zusammenhang sei auch an Heinrich von Kleists berühmten Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen“ erinnert. <?page no="184"?> Dieter Wolff 184 mung in der Qualität muttersprachlicher und zweitsprachlicher Schreibprodukte individueller Schreiber feststellen konnte. In anderen Untersuchungen (z.B. Krings 1994; Zimmermann 1997) konnte gezeigt werden, dass die Muttersprache eine große Rolle bei zweitsprachlichen Planungs- und Formulierungsprozessen spielt. Die zentrale zweitsprachliche Schreibstrategie scheint der Einsatz der Muttersprache zu sein. Des Weiteren belegen diese Untersuchungen auch, dass die kulturspezifischen muttersprachlichen Schreibstrategien in der Zweitsprache, die andere Strategien dieser Art kennt, nicht eingesetzt werden können. So sind z.B. bestimmte Textformate (Brief) in der Zweitkultur anders aufgebaut als in der muttersprachlichen; Erzählperspektiven werden anders gestaltet, Sachtexte mit anderer Schwerpunktsetzung gegliedert. All dies deutet darauf hin, dass das Schreiben in der Muttersprache und in einer Zweitsprache zwar grundsätzlich identische Fähigkeiten sind, die allerdings aufgrund des unterschiedlichen Welt-, Sprach-, Diskurs- und Adressatenwissens in beiden Kulturen zur Entwicklung unterschiedlicher Strategien führen können und damit auch zur Erstellung von Schreibprodukten unterschiedlicher Qualität. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass die Entwicklung der muttersprachlichen Schreibkompetenz, wie sie dem Modell von Bereiter/ Scardamalia vorgestellt wird, in gleichem Maße für die zweitsprachliche Schreibentwicklung Gültigkeit hat, was bedeutet, dass der L2-Lerner in seiner Schreibentwicklung nicht über die bereits in der Muttersprache vorhandenen Kompetenzen hinausgehen kann. 5 Wer zweitsprachliche Schreibkompetenzen in ihrer Entwicklung beschreiben will, kann deshalb das Modell von Bereiter/ Scardamalia als Blaupause dafür übernehmen. 4 Das Beispiel Schreiben: GeR, Anforderungen des Lehrplans und sprachpsychologische Entwicklungslinien Im Folgenden sollen nun die Kompetenzerwartungen im Hinblick auf das Schreiben in den Kernlehrplänen mit dem GeR und dem Schreibmodell von Bereiter/ Scardamalia verglichen werden. Die unten stehenden Tabellen geben einen Überblick über diese Kompetenzerwartungen: Die Tabelle 1 beschreibt beispielhaft die erwarteten Schreibkompetenzen für die Jahrgangsstufen 5/ 6, 7/ 8 und 9/ 10 in der Realschule; die Tabelle 2 beschreibt für alle drei Schul- 5 In diesem Zusammenhang sollen Formen des bilingualen Unterrichts (CLIL) ausgeklammert bleiben, in welchen spezifische Sachfachkompetenzen mit Schreibkompetenzen kombiniert werden, um Schreibprodukte hervorzubringen, die Inhalte eines bestimmten Sachfachs beschreiben. In Anlehnung an den GeR und die Lehrpläne geht es in dieser Argumentation um den herkömmlichen Fremdsprachenunterricht in Haupt-, Real- und Gesamtschulen. <?page no="185"?> Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht 185 formen die Kompetenzerwartungen am Ende der Jahrgangsstufe 10. Um Vergleiche zu ermöglichen, wurden in diese Tabelle auch die Kompetenzerwartungen des GeR aufgenommen. Kompetenzerwartung Beispiele 5/ 6 : Die Schülerinnen und Schüler können kurze zusammenhängende Texte schreiben, die sich auf Alltagskommunikation und vertraute thematische Zusammenhänge beziehen. Unterrichtsergebnisse festhalten, einfache Notizen machen, Texte umformen oder ergänzen, kurze Gedichte und Geschichten nach Vorlage schreiben, Alltagstexte schreiben, Sachverhalte zusammenfassen und erklären. 7/ 8 : Die Schülerinnen und Schüler können einfache zusammenhängende Texte schreiben und darin begründet Stellung nehmen, wenn ihnen die Textsorte und das Thema vertraut sind. Sachverhalte gemäß vorgegebener Textsorten darstellen, in persönlichen Stellungnahmen Meinungen etc. darlegen, nach vorgegebenen Mustern einfache Geschichten etc. schreiben sowie Texte fortschreiben und umgestalten. 9/ 10 : Die Schülerinnen und Schüler können weitgehend selbstständig zusammenhängende Texte zu Themen ihres Interessen- und Erfahrungsbereichs sowie zu Themen von gesellschaftlicher Bedeutung in beschreibender, berichtender, erzählender, zusammenfassender und argumentativer Form verfassen. Sachtexte (Lebenslauf, Bewerbungsschreiben, argumentative Texte) schreiben, einfache Formen des kreativen Schreibens einsetzen, Sachtexte und einfache literarische Texte bezogen auf Inhalt und Form persönlich wertend kommentieren. Tabelle 1: Kompetenzerwartungen für das Schreiben: Realschule 5/ 6, 7/ 8 und 9/ 10 in den Kernlehrplänen NRW Kompetenzerwartung Beispiele GeR A2: Kann eine Reihe einfacher Sätze und Wendungen schreiben und mit Konnektoren wie „und“, „aber“ oder „weil“ verbinden. GeR B1: Kann unkomplizierte, zusammenhängende Texte zu mehreren vertrauten Themen aus ihrem/ seinen Interessengebiet verfassen, wobei einzelne kürzere Texte in linearer Abfolge verbunden werden. A2: Ich kann kurze einfache Notizen und Mitteilungen schreiben. Ich kann einen ganz einfachen persönlichen Brief schreiben, z.B. um mich für etwas zu bedanken B1: Ich kann über Themen, die mir vertraut sind oder mich persönlich interessieren, klare und detaillierte Texte schreiben. Ich kann persönliche Briefe schreiben und darin von Erfahrungen und Eindrücken berichten. <?page no="186"?> Dieter Wolff 186 RS B1: Die Schülerinnen und Schüler können weitgehend selbstständig zusammenhängende Texte zu Themen ihres Interessen- und Erfahrungsbereichs sowie zu Themen von gesellschaftlicher Bedeutung in beschreibender, berichtender, erzählender, zusammenfassender und argumentativer Form verfassen. Sachtexte (Lebenslauf, Bewerbungsschreiben, argumentative Texte) verfassen, einfache Formen des kreativen Schreibens einsetzen (eigene Erfahrungen und Erlebnisse in Form von Gedichten darstellen), Sachtexte und einfache literarische Texte bezogen auf Inhalt und Form persönlich wertend kommentieren. HS (G-Kurs): Die Schülerinnen und Schüler können nach bekannten Modellen zusammenhängende kürzere Texte zu Themen ihres Interessens- und Erfahrungsbereichs in beschreibender, berichtender und bewertender Form verfassen. HS (E-Kurs): Wie RS Sie können anwendungsbezogene Sachtexte (Lebenslauf, Bewerbungsschreiben) nach Vorgaben anfertigen und an Hand von Checklisten weitgehend selbstständig überarbeiten, sie können einfache Formen des eigenständigen Schreibens einsetzen, sie können kurze Sachtexte und einfache Auszüge aus literarischen Texten persönlich wertend kommentieren. Tabelle 2: Kompetenzerwartungen für das Schreiben auf der Jahrgangsstufe 10: GeR und Kernlehrpläne NRW Die Tabelle 1 weist schrittweise die Entwicklung der Schreibkompetenzen in der zweiten Sprache aus, wie sie für die Kernlehrpläne der Realschule vorgesehen ist. Bei der Formulierung der Kompetenzen wird die Schwierigkeit deutlich, zweitsprachliche Schreiblernziele in eine Progression zu bringen, die im Unterricht konkret umgesetzt werden kann. Dies zeigt sich besonders deutlich bei der Definition des Textes als auf der jeweiligen Jahrgangsstufe zu erreichendes Produkt. Für die Jahrgangsstufe 5/ 6 sind es „kurze zusammenhängende Texte“, die angezielt werden, für die Jahrgangsstufe 7/ 8 „einfache zusammenhängende Texte“ und für die Jahrgangsstufe 9/ 10 sind es „zusammenhängende Texte“, die allerdings „weitgehend selbstständig“ verfasst werden sollen. Es sind die qualifizierenden Adjektive, die für die jeweiligen Textdefinitionen eingebracht werden, die verwirrend sind. Es stellt sich z.B. die Frage, wo der Unterschied zwischen „kurz“ und „einfach“ liegt bzw. was kurze/ einfache/ zusammenhängende Texte von zusammenhängenden Texten unterscheidet. Wenn man Tabelle 1 und Tabelle 2 gemeinsam betrachtet und zunächst einmal das Augenmerk auf die Kompetenzerwartungen des GeR lenkt, die am Anfang der Tabelle 2 aufgeführt sind, zeigen sich für das Schreiben deutliche Unterschiede in den dort formulierten und den Kompetenzerwartungen der Lehrpläne. Das gilt sowohl für die Kompetenzstufe A2 als auch für die Stufe <?page no="187"?> Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht 187 B1. Das, was von den Schülern der G-Kurse (HS/ GS) gefordert wird, ist beträchtlich höher angesiedelt als das, was der GeR definiert. 6 Auch das Niveau B1 der Lehrpläne liegt beträchtlich über dem des GeR, der vor allem auf vertraute Themen und persönliche Texte (Briefe) abhebt. Die Kompetenzstufe B1, die für die Realschule sowie die E-Kurse der Hauptschule und der Gesamtschule der Klasse 10 erreicht werden soll, schließt hingegen Sachtexte, kreative Texte und einfache Formen des literarischen Schreibens ein. Trotzdem verstehen sich die Kernlehrpläne vom Kompetenzniveau her als auf einer Stufe mit dem GeR stehend. 7 Ein Vergleich der Kompetenzerwartungen für das Schreiben in den Kernlehrplänen mit dem Entwicklungsmodell von Bereiter/ Scardamalia (1987) zeigt noch deutlicher als der Vergleich mit dem GeR, dass diese zu hoch angesiedelt sind, wenn man aus entwicklungspsychologischer Perspektive argumentiert. Es sind vor allem die beiden letzten Stufen im Modell von Bereiter/ Scardamalia, also die Stufe des unified und des epistemic writing, die nicht mit den Kompetenzerwartungen der Kernlehrpläne übereinstimmen. Die Stufe des unified writing wird nach dem psycholinguistischen Schreibmodell erst in der Adoleszenz 8 erreicht; wenn man allerdings die in der 10. Klasse (G) zu erreichende Niveaustufe A2 in den Lehrplänen betrachtet, erkennt man, dass hier von den Lernenden bereits Schreibkompetenzen erwartet werden, die - psychologisch gesehen - erst auf einer höheren Altersstufe, d.h. nach dem 10. Schuljahr möglich sind. Die Lernenden sollen „kürzere Texte […] in beschreibender, berichtender und bewertender Form verfassen“, heißt es im Hinblick auf A2 in den Lehrplänen; nach Bereiter/ Scardamalias Modell sind sie dazu erst in der Lage, wenn sie die Stufe des unified writing erreicht haben, also nach Abschluss der Grundkurse in Haupt- und Gesamtschule. Insbesondere das Verfassen von bewertenden Texten, selbst wenn sie kürzer sind, ist erst auf dieser Stufe möglich. Die Lernenden befinden sich aber hier noch auf der Stufe des communicative writing. 6 Diese Tendenz verstärkt sich noch, wenn man die Lehrpläne für Gymnasium und Gesamtschule in der Oberstufe betrachtet, die Schere zwischen GeR und Lehrplan öffnet sich immer weiter. 7 Auch die spezifischen Kompetenzniveaus für das Schreiben sind sowohl für die Hauptschule (E-Kurse) als auch für die Realschule und die Gesamtschule (E-Kurse) identisch. Die Differenzierung in verschiedene Schulformen macht also aus der Perspektive der Kompetenzerwartungen nicht wirklich Sinn. 8 Als Adoleszenz wird in der Psychologie gemeinhin die Entwicklungsphase zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr angesehen. Selbst wenn man sie bereit im 14. Lebensjahr beginnen lässt, kann man nicht erwarten, dass die Stufe des unified writing hier bereits erreicht ist. <?page no="188"?> Dieter Wolff 188 Wenn man die Niveaustufe B1 betrachtet, so ist die Divergenz zu Bereiter/ Scardamalias Modell noch größer. B1 wird am Ende der Klasse 10 von Realschülern sowie von Haupt- und Gesamtschülern der E-Kurse für das Schreiben erwartet. Die Lehrplanformulierungen und insbesondere die Beispiele, die in den Lehrplänen für die einzelnen Formulierungen angegeben werden, verweisen eindeutig auf eine Entwicklungsstufe, die nach Bereiter/ Scardamalia nur von wenigen Schreibern in der Muttersprache erreicht wird, die Stufe des epistemic writing. In den Lehrplänen wird in den Beispielen verdeutlicht, dass hier argumentative Texte verfasst werden, dass „einfache Formen des kreativen Schreibens“ gebraucht werden und dass Texte - Sach- und literarische Texte - „im Hinblick auf Inhalt und Form persönlich wertend kommentiert“ werden sollten. Insbesondere die Fähigkeit des kreativen Schreibens, das auch beim epistemischen Schreiben als Merkmal genannt wird, geht schon in der Muttersprache weit über die auf dieser Stufe erwartbaren Schreibfähigkeiten hinaus. Das zeigt auch das nicht nur in der Kognitionspsychologie übliche Verständnis von Kreativität: Creativity in its higher manifestation is the unique ability of individuals and the undiscovered mystery of the brain. However, if we define creativity as the ability of the individual to generate novel unusual ideas, to avoid stereotypic schemes in thinking, and to rapidly resolve problem situations’ […] then it is reasonable to think that manifestations are encountered more frequently’. (Bekhtereva et al. 2001, 390) Das dem zweiten Teil dieser Definition unterliegende Verständnis von Kreativität deckt sich in weiten Teilen mit der Definition des epistemischen Schreibens wie sie von Bereiter/ Scardamalia formuliert wurde. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass kreatives Schreiben in diesem Sinne von den Schülerinnen und Schülern eines Englischkurses am Ende der Klasse 10 nicht geleistet werden kann. 9 5 Abschließende Überlegungen Die in diesem Beitrag behandelte Problemstellung soll abschließend auf die folgende Frage reduziert werden: Kann man von einem sechzehnjährigen Schüler / einer sechzehnjährigen Schülerin beim muttersprachlichen und 9 Die Begriffe Kreativität und kreatives Schreiben werden in der Fremdsprachendidaktik auch anders interpretiert, letzteres im Sinne von Chomsky als die Fähigkeit, Sätze hervorbringen zu können, die man selbst zuvor nicht hervorgebracht oder noch nie gehört hat. Ein solches Verständnis des kreativen Schreibens widerspricht aber dem, was Schülerinnen und Schüler können sollen, wenn sie eine hohe Schreibfähigkeit erlangt haben. <?page no="189"?> Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht 189 beim zweitsprachlichen Schreiben die Fähigkeiten erwarten, die in den Kernlehrplänen formuliert und auch in den zentralen Prüfungen angelegt sind? Die vergleichende Analyse der in den Kernlehrplänen formulierten Schreibkompetenzen mit den muttersprachlichen und zweitsprachlichen Schreibmodellen der Psycholinguistik macht deutlich, dass solche Erwartungshaltungen überzogen sind. Die Schreibfähigkeiten sind - entwicklungspsychologisch betrachtet - noch nicht ausreichend entwickelt, um mit Aufgabenstellungen zurecht zu kommen, wie sie in den zentralen Prüfungen formuliert werden. Man kann sogar davon ausgehen, dass solche Aufgabenstellungen selbst in der Schulsprache nicht bearbeitet werden können. Solche im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler problematische Anforderungen hätten vermieden werden können, wenn sich die Verfasser des GeR und in stärkerem Maße noch die Entwickler von kompetenzorientierten Lehrplänen, aber auch die Lehrpersonen und die Lehrwerkersteller umfassender mit der Psycholinguistik auseinandergesetzt und deren Erkenntnisse in ihre Formulierungen aufgenommen hätten. In die Zukunft gewendet ist dies ein Plädoyer dafür, GeR-basierte Kompetenzmodelle und psycholinguistische Kompetenz- und Erwerbsmodelle miteinander zu vernetzen, wenn es um die Entwicklung von Lehrplänen und auf ihnen basierenden Aufgabenstellungen geht. Literatur Baurmann, Jürgen (1990): „Aufsatzunterricht als Schreibunterricht. Für eine neue Grundlegung des Schreibens in der Schule“. In: Praxis Deutsch 101, 7-12. Bekhtereva, Natalia/ Dan’ko, Sergei/ Starchenko, Maria/ Pakhomov, Sergei/ Medvedev, Sergei (2001): „Study of the brain organization of creativity III“. 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Insofern hoffe ich, dass ihn ein Bericht über eine Methodenerprobung für die Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch interessieren könnte. 1 Das Problem Wer ohne Kenntnis des lateinischen Alphabets die deutsche Sprache als Fremd- oder Zweitsprache lernt, steht vor einem besonderen Problem. Normalerweise können erwachsene Lerner/ innen 1 einer Fremdsprache die Schrift zur Unterstützung benutzen, einerseits als Gedächtnisstütze für Vokabeln, Regeln und Erklärungen, andererseits auch zum Durchführen von Übungen auf Papier oder am Computer. Im Erwachsenenunterricht spielt deshalb die Benutzung der Schrift eine wesentliche Rolle. Das Lernen der lateinischen Schrift ist jedoch für DaZ-Lerner besonders schwer, denn normalerweise lernt man das Lesen und Schreiben einer Sprache, die man beherrscht, für die man also „nur“ noch die Schreibung lernen muss. Das Problem für diese Lerner ist also, dass sie zum Erlernen der Schrift nicht über genügende Sprachkenntnisse verfügen und dass sie zum Lernen der Sprache nicht auf die Schrift zurückgreifen können. Folglich müssen sie Sprache und Schrift gleichzeitig kennen lernen, was ungewöhnlich ist und wofür es noch kaum empirisch erprobte Verfahren gibt. 1 Um die Lesbarkeit des Textes zu erhöhen, werden im Folgenden, wenn es keine geschlechtsneutralen Bezeichnungen gibt, männliche Personenbezeichnungen benutzt, wobei männliche und weibliche Personen gemeint sind. <?page no="192"?> Ruth Albert 192 2 Die Kurse Diese Forschungslücke soll(t)en die Projekte „Alphamar“ und „ Alphamar 2“ zu schließen helfen, indem verschiedene Verfahren, die wir in einer Vorprüfung als relativ Erfolg versprechend ermittelt haben, in einem kontrollierten Untersuchungsdesign auf ihre Wirksamkeit hin getestet wurden und werden. 2 Leider ist eine solche Überprüfung keineswegs so einfach wie sonst bei Methodenerprobungen in der Sprachlehrforschung, denn es handelt sich um Kurse mit sehr geringen Teilnehmerzahlen, die ausgesprochen heterogen zusammengesetzt sind und bei denen oft eine so hohe Fluktuation herrscht, dass man unter Umständen am Ende eines Kurses nur noch 10-20% der ursprünglichen Teilnehmer antrifft, und von denen war dann noch ein Teil über längere Zeiten während des Kurses nicht anwesend. Eine Kursleiterin schildert die Situation in diesen Kursen wie folgt: Auch für den geübten Alpha-Kursleiter bedeutet jeder einzelne Kurstag eine kleine Herausforderung. Einfachste Abläufe oder einzelne Buchstaben werden von einzelnen Teilnehmern manchmal monatelang nicht verstanden und der Kurs klafft auseinander, der Kursleiter macht täglich eine schweißtreibende Grätsche, um jeden Teilnehmer noch zu fördern. Er kann nicht davon ausgehen, dass sich die anderen Teilnehmer selbst mit einer Aufgabe beschäftigen, wenn der Kursleiter gerade einem Teilnehmer hilft. Jeder einzelne Schriftzug muss individuell geprüft und korrigiert werden, denn eine selbstständige Korrektur gehört zu den Kompetenzen, die erst gefördert und lange geübt werden müssen. Selbst simpelste Aufgabenstellungen müssen oftmals jedem einzelnen Teilnehmer noch einmal individuell erklärt werden. Alles geht so langsam, dass auch der geduldigste Kursleiter immer mal wieder an seine Geduldsgrenze gerät. In den BAMF-Kursen 3 ist der Kursleiter mittlerweile leider auch zu einer Verwaltungskraft geworden, denn er muss verschiedene Formulare ausfüllen und ärztliche Atteste und andere Abläufe der Teilnehmer im Blick behalten und verwalten. Das ist ein erheblicher Nerven- und Zeitaufwand, der zudem nicht entlohnt wird. 2 Die Projekte werden bzw. wurden aus Mitteln des BMBF gefördert, „Alphamar“ (Laufzeit bis Dez. 2012) unter der Kennziffer 01AB073201 und „Alphamar 2“, das sich mit berufsbezogenen Alphabetisierungs-DaF-Kursen beschäftigt, unter der Kennziffer 01AB12026. Mitarbeiterinnen der beiden Projekte waren bzw. sind Anne Heyn, Christiane Rokitzki („Alphamar“), Frauke Teepker (beide Projekte), Inna Gushchina, Susanne Krauß und Judith Reisewitz („Alphamar 2“). Ich danke ihnen allen für ihre hervorragende Arbeit in den Projekten und für Tipps zur Überarbeitung einer früheren Version dieses Artikels. Da „Alphamar 2“ erst in zwei Jahren abgeschlossen wird, kann ich über die dort zusätzlich aufgenommenen Methoden noch nichts berichten. 3 Integrationskurse, deren Kosten (mindestens teilweise) vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übernommen werden. <?page no="193"?> Methoden der Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch 193 Der Kursleiter ist ein ganz besonderer Coach; er muss nicht nur Deutsch und Lesen und Schreiben vermitteln, sondern auch grundlegende Verhaltensregeln im Kurs. Zunächst einmal muss er überhaupt einen angstfreien Raum schaffen. Ein Szenario wie dieses ist Alltag: Ein Diktat wird geschrieben, der Kursleiter diktiert: „Bett“. Alle schreiben, Teilnehmer 3 nicht, er muss noch einmal individuell aufgefordert werden, seinen Stift zu nehmen und „Bett“ ins Heft zu schreiben. Nach einigen Minuten schaut der Kursleiter in jedes einzelne Heft, korrigiert i zu e, a zu e, d zu B, b zu B, t zu tt, d zu tt und falsche Reihenfolgen der Buchstaben. Teilnehmer 1 hat das Wort unten auf die Seite geschrieben statt oben, Teilnehmer 5 und 6 haben das neue Heft wahllos in der Mitte aufgeschlagen statt auf der 1. Seite. Niemand hat die Linie gehalten. Teilnehmer 1 springt auf und sagt, dass er nächste Woche einen Arzttermin hat und nicht kommen kann, und die Krankengeschichte wird gleich mitgeliefert. Teilnehmer 9 hat das Wort in irgendeine freie Lücke geschrieben, die am vorigen Kurstag bei einer anderen Aufgabe entstanden ist. All das wird über persönliche Ansprache mit minimalem Wortschatz und maximaler Gestik erklärt. 10 bis 20 Minuten später kann das nächste Wort geschrieben werden. Ein Handy klingelt. Das Handy wird gesucht. Der Kursleiter klärt über Nichtgebrauch von Handys im Unterricht auf und ja, natürlich in Notfällen kann es an bleiben, aber dann Vibration und draußen telefonieren. Minimaler Wortschatz, nicht zu streng sein, nicht den Teilnehmer verschrecken. Nächstes Wort. Der Teilnehmer, der draußen telefoniert hat, kommt wieder rein und hat nun das letzte Diktatwort verpasst. Aufruhr in seiner näheren Umgebung, da er versucht, das verpasste Wort vom Nachbarn abzuschreiben, was eine komplizierte Sache ist, denn zuerst mal muss das Anliegen erklärt werden, aber natürlich ist der Nachbar hilfsbereit, dabei allerdings verlieren beide vollständig den Anschluss. Der Kursleiter erklärt - mit minimalem Wortschatz -, dass man ein verpasstes Wort auslassen muss, wenn man abwesend war. Zwei Teilnehmer fangen an, miteinander in Sprache X zu diskutieren. Der Kursleiter bittet um Ruhe und erklärt, dass das alle Teilnehmer stört. Die beiden Störenfriede stören an jedem Tag mehrfach mit privaten Diskussionen den Unterricht. Ein Teilnehmer aus Thailand schreibt statt Ball Bann, was die Nicht-Asiaten mitbekommen und zwei Teilnehmer lachen ihn aus, l und n, das sei doch leicht. 4 Der Kursleiter muss darauf hinweisen, dass das Interferenzen aufgrund der Muttersprache sind, ähnlich der arabischen Probleme bei der Unterscheidung von o und u (womit die Asiaten meist keine Probleme haben) und dass es daher unsinnig ist, nicht über den eigenen phonetischen Tellerrand hinauszuschauen, und dass man sowieso im Kurs niemanden auslacht, um in einer entspannten Atmosphäre lernen zu können, nur verwendet der Kursleiter einfachere Wörter. Plötzlich 4 Im Thai gibt es den Laut / l/ nicht am Wortende. <?page no="194"?> Ruth Albert 194 erzählt Teilnehmer 4 fast weinend von seiner schwierigen Situation zu Hause und dass die Kinder noch in der Heimat sind und der Ehepartner hingerichtet wurde. 5 Es erfordert schon einen gewissen Optimismus, wenn man in einer solchen Situation Methoden erproben will, andererseits gibt es natürlich gerade für solche Kurse einen Beratungsbedarf für die Kursleiter, die wissen wollen, welche Vorgehensweisen mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden könnten. Und so haben wir trotz aller Schwierigkeiten versucht, wenigstens erste Hinweise für die Lehrpersonen zu entwickeln, in welchen Situationen sie welche Methoden einsetzen können. Normalerweise ist für Alphabetisierungs-DaF-Kurse ein Stundenumfang von 900 Unterrichtsstunden vorgesehen, und man hofft, dass damit ein weitgehend korrektes orthographisches Schreiben sowie ein A2-Niveau im Deutschen erreicht wird, wobei es in den erreichten Zielen recht große Unterschiede je nach Zusammensetzung der Gruppe der Kursteilnehmer gibt und meist eher A1 erreicht wird. Die Kursdauer lag bei den Kursen, die wir begleitet haben, bei etwas mehr als anderthalb Jahren. 3 Methodische Probleme Die Probleme, die wir hatten, sind teils durch die besondere Kursform bedingt, aber jedes Experimentieren „im Feld“, das heißt in unserem Fall im realen Unterricht, bringt es mit sich, dass man mit einer großen Anzahl von Störvariablen zu rechnen hat. Es lässt sich leider nicht bewerkstelligen, dass man einer großen, möglichst sogar repräsentativen, Gruppe aus jeweils denselben Personen von derselben Lehrperson, die auch von allen gewählten Methoden gleich überzeugt ist und immer dieselbe Tagesform hat, mit allen Methoden und den für diese Methode idealen Materialien denselben Stoff beibringen lässt. 6 5 Erfahrungsbericht von Anne Heyn aus dem Unterrichtsalltag an der VHS Frankfurt, der wir herzlich dafür danken, dass wir das Projekt „Alphamar“ in ihren Räumen und mit ihren Dozenten und Kursinteressenten durchführen konnten. 6 Davon abgesehen besteht die Schwierigkeit, dass die Grundgesamtheit, aus der eine repräsentative Stichprobe zu untersuchen wäre, noch gar nicht hinreichend beschrieben ist. Wir haben versucht, parallel zu erheben, welche Bildungsträger sogenannte „Alphabetisierungs-DaZ-Kurse“ („Alpha-Kurse“) anbieten und wie sich die Teilnehmer zusammensetzen, aber dabei waren wir darauf angewiesen, dass die angeschriebenen Institutionen auch unsere Fragen beantworteten. Einen relativ guten Überblick haben wir deshalb bisher nur über die Zusammensetzung der Kursteilnehmer der letzten Jahre an der VHS Frankfurt und über diejenigen, die sich über diese Kursan- <?page no="195"?> Methoden der Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch 195 Da man dasselbe nur einmal lernen kann, muss man notgedrungen mit mehreren Kursen arbeiten, und da die Versuchsreihe in einer absehbaren Zeit abgeschlossen werden sollte, muss man auch innerhalb der Kurse mit mehreren Methoden arbeiten.Damit entstehen Reihenfolgeeffekte, die durchaus ernst zu nehmende Störvariablen darstellen, denn als Sprachlehrforscher weiß man aus Erfahrung, dass die Lernenden keineswegs immer so lernen, wie die Lehrperson es ihnen gerade aufträgt. Wer mit einer Methode gute Erfahrungen gemacht hat, wird sie auch dann verwenden, wenn er angehalten wird, den neuen Lernstoff mit einer anderen Lehrmethode zu lernen. Zudem gibt es das Problem, dass jeweils bestimmte Teile des Lernstoffs sich besser mit bestimmten Methoden vermitteln lassen als andere, so dass selbst dann die Vorgehensweise methodisch angreifbar wäre, wenn es gelingen könnte, denselben Stoff mit allen ausgewählten Methoden zu unterrichten. 7 Ein ganz großes methodisches Problem sind natürlich auch die Gruppen. Auch wenn unsere Kurse speziell für das Experiment zusammengestellt wurden, wodurch einige Störfaktoren ausgeschlossen werden konnten, so sind in derartigen Kursen doch Gruppen von Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen entschlossen haben, Deutsch zu lernen, und die auch aus den unterschiedlichsten Gründen von diesem Entschluss wieder Abstand nehmen können oder müssen. Es kann auch nicht gelingen, aus den Kursinteressierten an einer Bildungsinstitution mehrere Gruppen mit gleichen Vorkenntnissen, gleicher Sprachlerneignung, Intelligenz und gleicher Lernmotivation zusammenzustellen - schließlich muss eine Auswahl unter den Anfragenden getroffen werden und deren Präferenzen in Bezug auf Kursbeginn, Tageszeit des Kursangebots usw. berücksichtigt werden. Außerdem bestand für die VHS Frankfurt die Verpflichtung, allen Interessenten die Teilnahme an einem Kurs zu ermöglichen, sei es ein „normaler“ oder ein Experimentkurs. Auch die Lehrpersonen sind ein für die Erfolgsmessungen der einzelnen Lehrmethoden nicht zu unterschätzender Faktor. Begreiflicherweise kommen Lehrpersonen mit bestimmten Methoden besser zurecht als mit anderen, zum Beispiel weil sie sie schon lange praktizieren oder weil sie von ihnen besonders überzeugt sind. Zudem müssen alle Lehrpersonen mit demselben Lehrmaterial arbeiten, um die Vergleichbarkeit des Vorgehens bei den einzelnen gebote informieren, aber dann letztlich doch nicht an einem solchen Kurs teilnehmen, zumindest nicht an der VHS Frankfurt. 7 Welche Lernschritte für den Einsatz der einzelnen Methoden bereits durchlaufen sein müssen, wird erklärt im Methodenhandbuch zu „Alphamar“ (Albert et al. 2012b). <?page no="196"?> Ruth Albert 196 untersuchten Lehrmethoden sicherzustellen, jedoch kann auch die Art des Materials einer Lehrperson liegen oder nicht. 8 Selbstverständlich wurde alles versucht, um die zeitlichen Faktoren gleich zu halten, d.h. nach jeder Methode sollte der zuvor im Versuchsplan festgelegte Stoff in genau demselben Zeitumfang unterrichtet werden. Auch das ist nicht gut mit einer „normalen“ Unterrichtssituation zu vereinbaren und geht auf Kosten der Möglichkeit von spontanem Eingehen auf eingehende Anregungen oder Probleme. Damit dieses Problem kein zu großes Ausmaß annehmen konnte, wurden die Experimentphasen pro Methode mit 10 Kurstagen so lang wie möglich gewählt. So war ein Rahmen gegeben, in dem durchaus gelegentlich spontane Unterrichtsaktivitäten möglich waren. 4 Vorgehensweise Insgesamt haben wir in vier Kursen Lehrmethoden erprobt, davon fanden jeweils zwei etwa gleichzeitig statt. Ein fünfter Kurs ohne methodische Vorgaben von uns, der vom zeitlichen Ablauf her gleich war, wurde nur zum Vergleich herangezogen. Sieben verschiedene Methoden wurden eingesetzt, jeweils in einer für den fremdsprachlichen Erwachsenenunterricht adaptierten Form: • Maria Montessoris „Methode des spontanen Schreibens“ (Rokitzki 2010a): Der methodische Ansatz nach Maria Montessori gilt als ganz besonders geeignet für Personen, die noch keine „Stifterfahrung“ besitzen, denn das Schreiben wird in ganz kleinen Schritten eingeübt, beginnend mit der Handmotorik, dann folgt die Laut- Buchstaben-Zuordnung und erst dann die Wortsynthese. • Silbenmethode (Boulanger 2001; Kuhn 2002; Reuter-Liehr 2001): Die Schriftvermittlung erfolgt hier über Silben, die am leichtesten wahrzunehmende Einheit einer unbekannten Sprache. • Phonetische Methoden (Heyn 2010; Küspert/ Schneider 2008; Martschinke et al. 2008): Die Basis dieser Methoden ist der Einzellaut, der auf unterschiedliche Weise erfahrbar gemacht wird. Sie eignen sich zum Lernen des phonetischen Schreibens. • „Lesen durch Schreiben“ nach Reichen (2001): Diese Methode hat das lautgerechte Schreiben als primäres Ziel. Für die erwachsenen Lerner wurde eine spezielle Buchstabentabelle erstellt, anhand derer sie mithilfe von Bildern, die ihnen bereits bekannte Wörter 8 In der in Arbeit befindlichen Dissertation von Christiane Rokitzki wird gerade die Frage der Auswirkungen der Akzeptanz der Lehrmethoden bei Lehrpersonen und Lernenden eine Rolle spielen. <?page no="197"?> Methoden der Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch 197 darstellen, und deren in der Zeichnung präsentierte Anlaute (nur falls ein Laut im Deutschen nicht in geläufigen Wörtern als Anlaut vorkommt, wurden andere Positionen im Wort berücksichtigt) benutzt werden, um Wörter zu schreiben. • Rückgriff auf die Muttersprache (Heyn 2013): Dieser kontrastivlinguistische Ansatz bezieht die muttersprachlichen Kenntnisse der Lerner ein, bei Lauten, Schriftsystem und Grammatik. • Morphemmethode (Heyn 2012; Pilz 1979): Voraussetzung bei dieser Methode ist, dass schon ein gewisses Sprachwissen vorhanden ist, nur dann kann sie im fortgeschrittenen Alphabetisierungsunterricht das orthographisch richtige Schreiben unterstützen. • Spielerisches Lernen (Teepker 2011): Bei der Erprobung dieses Ansatzes wurde, wo immer es möglich war, der Lernstoff über spielerische Übungen vermittelt. Die Reihenfolge der Methodenerprobungen ergab sich daraus, welche Vorkenntnisse für den Einsatz der Methoden erforderlich waren. Jeweils zwei für etwa dieselbe Stufe im Lernprozess geeignete Methoden wurden „über Kreuz“ in jeweils zwei Kursen eingesetzt, um Effekte der Methode von Effekten der Gruppen trennen zu können. Derselbe Lernstoff wurde also in der einen Gruppe mit der einen und in der anderen Gruppe mit der anderen Methode unterrichtet. <?page no="198"?> Ruth Albert 198 Methodenerprobung in den Kursen A und B Methodenerprobung in den Kursen C und D Abb. 1: Ablauf der Methodenerprobung in den Kursen A und B sowie C und D Der mit den einzelnen Methoden erreichte Fortschritt wurde zunächst pro Teilnehmer mit den Ergebnissen in Bezug auf verschiedene Teilfertigkeiten, die mit dem „Marburger Kompetenzrad 9 “ beschrieben wurden, ausgewertet. Anschließend wurde der Fortschritt in den 12 gemessenen Teilfertigkeiten insgesamt verglichen. 5 Ergebnisse Trotz aller erwähnten Einschränkungen meinen wir, dass es sinnvoll ist, einen Überblick über die Erfolge der einzelnen Methoden zu geben, auch wenn er nur als Tendenz zu lesen ist. Aber diese Tendenz legt doch nahe, dass die Methoden für einen durchschnittlichen „Alpha-Kurs“ unterschiedlich erfolgreich sein könnten, und zwar insgesamt auf die zu fördernden Fertigkeiten gesehen als auch in Bezug auf einzelne Fertigkeiten. Leider reicht der Platz nicht, um auf die Detailanalysen für die einzelnen Fertigkeiten einzugehen. Die folgende Graphik zeigt den durchschnittlichen Lernerfolg, ermittelt als 9 Vgl. zum „Marburger Kompetenzrad“ und zu den gemessenen Teilfertigkeiten Heyn et al. (2010). <?page no="199"?> Methoden der Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch 199 Mittelwert der Fortschritte in den 12 beobachteten Einzelkompetenzen ohne Gewichtung, und zwar jeweils nach der Erprobung der jeweiligen Methode (nicht etwa für die Gesamtkurslaufzeit). Abb. 2: durchschnittlicher Lernerfolg SM: Silbenmethode, MT: Montessori-Methode, RG: Rückgriff auf die Muttersprache, PH: Phonetische Methoden, MM: Morphem-Methode, LS: Lesen durch Schreiben, SP: Spielerisches Lernen, höchster theoretisch möglicher Lernzuwachs 10 Punkte. So ergibt sich für die auswertbaren Fälle insgesamt, dass die Silbenmethode die besten Ergebnisse erzielte mit einem durchschnittlichen Lernzuwachs von fast einem Punkt (0.93). Dem folgt mit nicht allzu großem Abstand die Montessori-Methode (0.72), mit größerem Abstand die Methode „Rückgriff auf die Muttersprache“ (0.37). Auch die phonetischen Methoden (0.13) und die Morphem-Methode (0.13) zeigen noch deutlich positive Auswirkungen. „Lesen durch Schreiben“ weist eine insgesamt positive Tendenz auf (0.05), nur das spielerische Lernen zeigt im Gesamtbild aller Fertigkeiten einen minima- <?page no="200"?> Ruth Albert 200 len Rückschritt (- 0.02). 10 Dies betrifft aber nur die gemeinsame Betrachtung von allen untersuchten Teilfertigkeiten, einzelne Fertigkeiten können in den einzeln betrachteten Methoden ganz erheblich vom Mittelwert aller Fertigkeiten abweichen, und auch in den vier beobachteten Kursen war die Reihenfolge des so gemessenen „Erfolgs“ der einzelnen Methoden nicht völlig gleich. Kurs D hatte in Bezug auf die Ergebnisse der Lernenden die Reihenfolge beim „Erfolg“ Montessori>Morphem-Methode>Phonetische Methoden> Rückgriff auf die Muttersprache>Spielerisches Lernen>Lesen durch Schreiben 11 , Kurs A aber die Reihenfolge im „Erfolg“ Lesen durch Schreiben>Silbenmethode> Rückgriff>Phonetische Methoden>Spielen>Morphem-Methode>Montessori, Kurs B Silbenmethode>Rückgriff>Spielerisches Lernen>Morphem-Methode >Lesen durch Schreiben>Phonetische Methoden>Montessori und Kurs C Montessori>Silbenmethode>Phonetische Methoden>Rückgriff>Morphem- Methode>Lesen durch Schreiben>Spielen. Man sieht also, dass es sogar vorkommt, dass in einem Kurs die Methode als die erfolgreichste abschneidet, die in einem anderen die insgesamt schlechtesten Ergebnisse erzielt. Dieser Effekt hängt anscheinend weniger mit den Vorlieben der einzelnen Lehrpersonen zusammen (die „Lieblingsmethoden“ der Lehrpersonen waren keineswegs immer die mit dem besten Ergebnis für die Gesamtbetrachtung aller Fertigkeiten) als mit der jeweiligen Zusammensetzung des Kurses und den Vorlieben und wohl auch Vorkenntnissen der Teilnehmer. Anzumerken ist auch, dass es keine einzige Methode gab, bei der nicht einige Teilnehmer Rückstatt Fortschritte im Gesamtdurchschnitt der Fertigkeiten zeigten. Es hat sich erwiesen, dass keineswegs jede Methode für die Förderung aller betrachteten Teilfertigkeiten geeignet ist, sondern dass einzelne Methoden sehr speziell für die Förderung bestimmter Teilfertigkeiten eingesetzt werden sollten. Insofern gibt dieses „Gesamtbild“ wirklich nur eine sehr grobe erste Orientierung und sollte auf keinen Fall so interpretiert werden, dass man mit der Silbenmethode allein den erfolgreichsten denkbaren Unterricht gestalten kann. Ganz im Gegenteil, unser Fazit ist, dass nur der Einsatz mehrerer verschiedener, unter Berücksichtigung des Standes im Lernprozess und der Zusammensetzung der Lernergruppe ausgewählter Methoden zielführend sein kann und dass eine Binnendifferenzierung, auch mit Blick auf die für die einzelnen Lerner passenden Methoden, erforderlich ist. 10 Wir haben aufgrund der geringen Zahl von auswertbaren Fällen auf prüfstatistische Verfahren verzichtet, jedoch kann man auch ohne eine solche Überprüfung feststellen, dass die Unterschiede teils so gering sind, dass der Zufall eine wahrscheinliche Ursache sein dürfte. 11 In diesem Kurs wurde die Silbenmethode von der Kursleiterin nicht wie vorgegeben eingesetzt, so dass keine Auswertung dazu möglich war. <?page no="201"?> Methoden der Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch 201 Literatur Albert, Ruth/ Heyn, Anne/ Rokitzki, Christiane/ Teepker, Frauke (2009a): „Alphabetisierung von erwachsenen Einwanderern. Methodisches Vorgehen bei der Evaluation von Lehrmethoden“. In: REPORT. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 4, 43-54. Albert, Ruth/ Heyn, Anne/ Rokitzki, Christiane/ Teepker, Frauke (2009b): „Alphabetisierung und Deutsch als Fremdsprache. Überlegungen zur Auswahl von Lehr- und Lernmethoden“. In: Alfa-Forum. Zeitschrift für Alphabetisierung und Grundbildung 72, 34-36. Albert, Ruth/ Heyn, Anne/ Rokitzki, Christiane/ Teepker, Frauke (2012a): Alphamar. Wege in die Alphabetisierung für erwachsene Deutschlernende. Kursbuch. München: Langenscheidt. Albert, Ruth/ Heyn, Anne/ Rokitzki, Christiane/ Teepker, Frauke (2012b): Alphamar. Wege in die Alphabetisierung für erwachsene Deutschlernende. Methodenhandbuch. München: Langenscheidt. Boulanger, Daniela (2001): „Alphabetisierung als notwendiger Bestandteil der Integration ausländischer Frauen“. In: Interkulturell - Forum für Interkulturelle Kommunikation, Erziehung und Beratung 3/ 4, 211-250. Heyn, Anne (2010): „[afel]: Apfel oder Affe? Vermittlung von Sprachwissen durch artikulatorische Sensibilisierung - Ein Erfahrungsbericht aus der Alphakurs-Praxis“. In: Roll, Heike/ Schramm, Karen (Hrsg.): Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch. Duisburg: Gilles und Francke Verlag, 49-59. Heyn, Anne (2012): „Vermittlung von orthographischen und grammatischen Phänomenen mit der Morphemmethode in der Alphabetisierung in DaF“. In: Deutsch als Zweitsprache 1, 26-34. Heyn, Anne (2013): Sprachen lernen mit Methode. Der Rückgriff auf die Muttersprache im Sprachunterricht. Marburg: Tectum. Heyn, Anne/ Rokitzki, Christiane/ Teepker, Frauke (2010): „Alphabetisierung von Migranten in der Fremdsprache Deutsch. Lernfortschrittsmessung mit dem Marburger Kompetenzrad“. In: Deutsch als Fremdsprache 47 (4), 210-221. Küspert, Petra/ Schneider, Wolfgang (2008): Hören, lauschen, lernen. Würzburger Trainingsprogramm. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kuhn, Klaus/ Handt, Rosemarie (2002): ABC der Tiere. Ein integrierter Lese- und Schreiblehrgang nach der Silbenmethode. Offenburg: Mildenberger Verlag. Martschinke, Sabine/ Kirschhock, Eva-Maria/ Frank, Angela (2008): Der Rundgang durch Hörhausen. Erhebungsverfahren zur phonologischen Bewusstheit. 5. Auflage. Donauwörth: Auer. Pilz, Dieter (1979): „Die Morphemmethode - ein psycholinguistischer Ansatz in der Legasthenietherapie“. In: Pilz, Dieter/ Schubenz, Siegfried (Hrsg.): Schulversagen und Kindergruppentherapie. Köln: Pahl-Rugenstein, 256-285. Reichen, Jürgen (2001): Hannah hat Kino im Kopf. Die Reichen-Methode Lesen durch Schreiben und ihre Hintergründe für LehrerInnen, Studierende und Eltern. Hamburg: Heinevetter-Verlag. <?page no="202"?> Ruth Albert 202 Reuter-Liehr, Carola (2001): Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung. Eine Einführung in das strategiegeleitete Lernen zum Training von Phonemstufen auf der Basis des rhythmischen Syllabierens. Bochum: Verlag Winkler. Rokitzki, Christiane (2010a): „,Hilf mir, es selbst zu tun‘: Handlungsorientierung im Alphabetisierungsunterricht für erwachsene Einwanderer“. In: Roll, Heike/ Schramm, Karen (Hrsg.): Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch. Duisburg: Gilles und Francke, 91-110. Rokitzki, Christiane (2010b): „Der methodische Ansatz nach Maria Montessori in DaF-Alphabetisierungskursen mit Erwachsenen. Anregungen für eine ‚Grammatik zum Anfassen‘“. In: Zielsprache Deutsch 2, 45-65. Teepker, Frauke (2011): „Spielen, um zu lernen. Spielerische Übungen zum Wortschatz in Alphabetisierungskursen mit erwachsenen Migranten“. In: Deutsch als Zweitsprache 4, 39-47. <?page no="203"?> Lernplattformen und Web 2.0-Dienste im handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht Stefan Baier 1 Einleitung Blended Learning hat sich als unterrichtsmethodisches Konzept mittlerweile einen festen Platz in der Fremdsprachendidaktik erobert. Meistens werden zu dessen Umsetzung sogenannte Lernplattformen eingesetzt. Es gibt aber auch - bedingt durch die fortschreitende technologische Entwicklung - viele neue interaktive Programme im Internet, die unter dem Schlagwort „Web 2.0“ zusammengefasst werden und die im Fremdsprachenunterricht bisher nur wenig Beachtung gefunden haben. Am Beispiel von drei Web-2.0-Anwendungen will der Beitrag zeigen, wie diese Dienste in die Arbeit mit Lernplattformen eingebunden werden können. Dazu sind zunächst einmal die zentralen Begrifflichkeiten zu klären; im Anschluss werden die wesentlichen Charakteristika einer Lernplattform dargestellt. In einem dritten Schritt werden die Web-2.0-Dienste beschrieben, und es wird anhand ausgewählter Beispiele exemplarisch skizziert, wie sie die Arbeit mit Lernplattformen bereichern können und worin deren Mehrwert für einen lernerzentrierten Fremdsprachenunterricht liegen kann. 2 Die Konzepte E-Learning und Blended Learning - ein Definitionsversuch Der Begriff des E-Learning besteht aus zwei Komponenten: „E“ ist die Abkürzung für electronic; der Anglizismus „Learning“ verweist auf das Lernen und geht somit weit über eine Kategorisierung von Medien hinaus. Er weist schon auf Lernprozesse hin, die im Zusammenhang mit den elektronischen Medien stehen. Dabei wird E-Learning abgegrenzt von traditionellem Unterricht oder von Präsenzunterricht. Reinmann-Rothmeier (2003, 31) stellt fest, dass man, wenn von E-Learning die Rede ist, „nachfragen sollte, was genau damit gemeint ist, denn der Begriff ist - wie die meisten ‚Buzzwords‘ - weder allgemein gültig definiert noch wird er einheitlich verwendet“. Kerres (2013, 6) versteht E-Learning als einen „Oberbegriff für alle Varianten der Nutzung digitaler Medien zu Lehr- und Lernzwecken“, sei es auf digi- <?page no="204"?> Stefan Baier 204 talen Datenträgern oder über das Internet. Schulmeister (2004, 477) weist darauf hin, dass sich „E-Learning-Angebote gravierend in Zielen, Szenarien, Lernumgebungen, Methoden und Lernobjekten unterscheiden“, sodass „keine allgemeinen Aussagen über E-Learning gemacht werden“ können. Andererseits besteht wegen der Offenheit des Begriffs auch die Gefahr eines inflationären Gebrauchs. Die möglichen Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht beschreibt Rösler (2004, 8): Da in nicht allzu ferner Zukunft auch der letzte Fremdsprachenkurs ein paar Begleitübungen auf CD haben wird, wäre dann jedes Fremdsprachenlernen auch E-Learning und der Begriff verlöre dann endgültig jede Trennschärfe, es würde ihm gehen wie „kommunikativ“, „interkulturell“, die in der Fremdsprachendidaktik [...] ihr Profil verloren haben. Der sehr allgemein gehaltene Begriff des E-Learning bezieht auch Lernszenarien mit ein, die vollständig medienvermittelt sind, also ohne die physische Präsenz der Teilnehmer auskommen und damit auch ohne Face-to-Face- Kommunikation, die aber gerade für das Fremdsprachenlernen zentrale Bedeutung hat. Aus dieser Kritik an rein virtuellen Lernprozessen heraus hat sich das Konzept des Blended Learning entwickelt. Das Blended Learning verbindet Phasen des Präsenzunterrichts mit Phasen des über digitale Medien vermittelten Lernens. Durch eine möglichst optimale Kombination verschiedener Methoden und Lernformen sowie ein ausgewogenes Verhältnis von Präsenzunterricht, Selbststudium und Lern- und Arbeitsphasen in virtuellen Arbeitsräumen soll so ein erhöhter und nachhaltiger Lerneffekt erzielt werden (vgl. Kranz/ Lücking 2005). 3 Lernplattformen als Medium im Fremdsprachenunterricht Weil Blended-Learning-Veranstaltungen zumeist auf einer webbasierten Lernplattform realisiert werden (vgl. Rösler 2010, 285), soll zunächst geklärt werden, was unter einer Lernplattform zu verstehen ist, und im Anschluss sollen wesentliche Charakteristika einer Lernplattform dargestellt werden. Was umgangssprachlich als Lernplattformen bezeichnet wird, sind eigentlich Learning Content Management Systeme (LCMS). Nach Baumgartner et al. (2002, 25) ist ein Learning Content Management System „eine Software, die die Erstellung, Speicherung und Verwaltung von wieder verwendbaren Lernobjekten (Reusable Learning Objects - RLOs) sowie die Organisation und Betreuung webunterstützten Lernens ermöglicht“. Bei der Arbeit mit Lernplattformen wird besonderer Wert auf die Modularisierung von Unterrichtsinhalten in eben diese Reusable Learning Objects gelegt. Ein Learning Object ist „die kleinste sinnvolle Einheit, in die ein Onlinekurs zerlegt werden kann“ <?page no="205"?> Lernplattformen und Web 2.0-Dienste 205 (Baumgartner et al. 2002, 24). Dementsprechend kann ein Learning Object ein Text, eine Grafik, eine Animation oder eine Aufgabe sein. Ein Reusable Learning Object (RLO) ist, mit Metadaten (z.B. Thema, Autor, Inhalt, Grad der Interaktivität) versehen, in einer Datenbank abgespeichert und kann bei Bedarf mithilfe der Metadaten nach bestimmten Kriterien gesucht werden. RLOs können entweder selbst produziert oder von kommerziellen Produzenten erworben werden. RLOs können zu größeren Einheiten (z.B. Onlinekursen und insbesondere auch MOOCs - Massive Open Online Courses) kombiniert werden. Der Vorteil der Modularisierung von Unterrichtsinhalten durch RLOs ist, dass es möglich wird, exakt auf die Lerner abgestimmte Kursangebote machen zu können. Durch die Kombination bzw. den Austausch von RLOs kann ein doppelter Entwicklungsaufwand vermieden werden, wie Baumgartner et al. (2002, 25) ausführen: Es leuchtet ein, dass dieses modulare, objektorientierte Schema im Vergleich zur Verwaltung monolithischer Kursgebilde ein effizienteres und kostengünstigeres Arbeiten zulässt. Die Wiederverwendung von Inhalten bei Learning Content Management Systemen ist auf der Ebene der RLOs problemlos möglich. RLOs können beliebig zu Onlinekursen kombiniert werden, wobei ein RLO in mehreren Kursen verwendet werden kann, die wiederum von mehreren Kursteilnehmern gebucht und bearbeitet werden können. In der Regel hat ein LCMS fünf unterschiedliche Funktionsbereiche. Neben der Präsentation von Lernmaterialien in Form von RLOs umfassen die Funktionsbereiche einer Lernplattform auch (vgl. Schulmeister 2003, 10) die Kommunikation (z.B. Chats, E-Mails), das Editieren von Aufgaben und Übungen, die Evaluation und Bewertung und die Administration (Kurse, Termine ...) 1 . Der Mehrwert von Lernplattformen für die Lernenden im Fremdsprachenunterricht ergibt sich durch: • Freie Zeiteinteilung: Die Lernenden können selbst bestimmen, wann sie lernen, da zahlreiche Inhalte asynchron bearbeitet werden können, d.h., dass die Lernenden nicht gleichzeitig mit den anderen Teilnehmer/ innen oder den Tutor/ innen im Kursraum sein müssen. • Freie Wahl des Lernortes: Die Teilnehmer/ innen können selbst bestimmen, von wo sie auf die Inhalte der Lernplattform zugreifen. • Individualisierung: Die Teilnehmer können im eigenen Tempo lernen und selbst die Auswahl hinsichtlich der Art und Reihenfol- 1 Ausführlicher dargestellt bei Baier (2009b, 169ff). <?page no="206"?> Stefan Baier 206 ge der Aufgaben treffen. Außerdem können die Aufgaben beliebig oft wiederholt werden. • Kollaboration: Auf einer Lernplattform können mehrere Personen - Lehrende wie auch Lernende - gemeinsam an einer Lernaufgabe arbeiten. Die Zusammenarbeit kann dabei sowohl synchron als auch asynchron erfolgen. • Modifikation: Die selbst erstellten Lernprodukte können jederzeit mit geringem Aufwand überarbeitet werden. • Kommunikation: Mithilfe von E-Mails oder Chats können die Lernenden intern mit den Lehrkräften oder den anderen Teilnehmern kommunizieren oder extern sogar Kontakt mit Sprechern der Zielsprache aufnehmen. Dabei ergibt sich ein breiteres Spektrum an Kommunikationsformen und damit auch ein höherer Grad an Authentizität, als üblicherweise im Klassenzimmer möglich ist. • Authentische und aktuelle Lernmaterialien: Hörtexte (z.B. Podcasts), Hör-Seh-Texte (Videos z.B. bei Youtube) und Lesetexte aller Art können auf die Plattform gestellt werden: Dadurch, dass die Lernenden auch selbst Texte hochladen, kommentieren oder bearbeiten können, können die Interessen der Teilnehmer/ innen stärker berücksichtigt werden, als dies bei der Arbeit mit Lehrwerktexten möglich wäre. Es liegt auch auf der Hand, dass Internettexte hinsichtlich der Aktualität den Lehrwerkstexten überlegen sind. • Filesharing: Über die Lernplattform können die Lernprodukte schnell und unkompliziert mit anderen Lernenden geteilt werden. Veröffentlicht man seine Arbeitsergebnisse gar in Sozialen Netzwerken wie z.B. Facebook, können auch andere Zielgruppen erreicht werden. • Gezieltes Feedback: Über die Kommunikationswege einer Lernplattform kann die Lehrkraft jedem einzelnen Lernenden ein individuelles Feedback geben. Je nach Wunsch kann dieses auch für die anderen Teilnehmer/ innen sichtbar gemacht werden. Damit eignen sich Lernplattformen nicht nur zur Entwicklung sprachlicher und interkultureller Kompetenzen, auch die Methodenkompetenz und die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen werden ausgebaut (vgl. Baier 2009a, 288f). Außerdem lassen sich in der Auseinandersetzung mit den Inhalten einer Lernplattform auch die Medienkompetenzen der Nutzer erweitern; vor allem ist hier der kritische Umgang mit digitalen Medien zu nennen. Kerres (2006, 7) kritisiert allerdings zu Recht, dass Lernplattformen nicht selten „erstaunlich monolithisch angelegt“ sind. Die Autor/ innen müssten <?page no="207"?> Lernplattformen und Web 2.0-Dienste 207 diese mühsam „mit Inhalten beliefern, um sie attraktiv zu machen und mit ‚Leben‘ zu füllen, - was übrigens oft genug nicht gelingt“. Die Lernplattform bleibe oft ein „Datengrab“ und ohne Leben (ebd.). Als Ausweg betrachtet Kerres die Lernplattform daher vor allem als Ausgangspunkt, als Portal, von dem aus man Zugriff hat auf interaktive Anwendungen des Web 2.0. 4 Das Web 2.0 Die Herkunft des Begriffs Web 2.0 wird u.a. auf den amerikanischen Verleger Tim O ’ Reilly zurückgeführt (Hannemann et al. 2006, 174; Kerres 2006, 2). Danach kreierte O’Reilly diesen Begriff, als er 2004 nach einem Titel für eine Entwicklerkonferenz suchte. Mit dem einprägsamen Etikett wollte er signalisieren, dass eine Ära der aktiven Internetnutzung beginne. Die Zeit des passiven Surfens von einer Homepage zur nächsten sei vorbei. Ähnlich wie bei Software (Word 1, 2 oder 3) sollte die Versionsnummer Fortschritt suggerieren (vgl. Hannemann et al. 2006, 174; O’Reilly 2005). Der Begriff stieß in der Öffentlichkeit auf eine überraschend hohe Resonanz und schmückte im März 2006 sogar das Titelblatt von Newsweek (vgl. Kerres 2006). Diese starke Aufnahme in der Öffentlichkeit verdeutliche, dass der Begriff eine Veränderung andeute, die die Nutzer des Internets tatsächlich spüren (ebd.). Nach Rüddigkeit (2006, 1) war diese bisherige digitale Welt des Internets - die nun rückblickend als Web 1.0 bezeichnet wird - im Wesentlichen geprägt durch die Distribution von multimedialen Inhalten, es herrschte Medienkonsum anstelle von Medienproduktion, Lesen statt Schreiben. Dieses „alte“ Internet als passives Verbreitungsmedium werde nun abgelöst durch einen Marktplatz von neuen Web-Technologien, die das bisherige klassische Rollenverständnis von Sender und Empfänger auflösten. Der künftige Internet- Nutzer werde vom anonymen Surfer und Konsumenten zum Publizisten und Produzenten, vom Käufer zum Anbieter, vom Schüler zum Lehrer, aber auch vom Einzelgänger zum begeisterten Team-Player, ganz im Sinne eines „Social Web“ (vgl. Rüddigkeit 2006, 2). Panke (2007) charakterisiert das Web 2.0 als einen Oberbegriff für verschiedene Tendenzen: „Ein verändertes Nutzerverhalten, eine neue Wahrnehmung altbekannter Techniken sowie bestimmte technologische Neuerungen“. O’Reilly (zit. nach Panke 2007, 3ff) betont, dass das Web 2.0 keine konkreten Merkmale aufweise, sondern sich vielmehr durch eine Reihe von Prinzipien auszeichne. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Prinzipien: • Digitale Identität und Netzwerkbildung • Kollaborative Intelligenz und individuelle Informationszuschnitte • Filesharing, Podcasting und Videoblogging <?page no="208"?> Stefan Baier 208 • Kooperation und Mobilität 2 Da das gemeinsame Tätigsein und Handeln als zentrale Aspekte der Web-2.0- Anwendungen mit einem wesentlichen Prinzip des Fremdsprachenunterrichts - nämlich der Handlungsorientierung - korrespondiert, wird von verschiedenen Seiten auf die Eignung des Web 2.0 für einen handlungs- und projektorientierten Fremdsprachenunterricht hingewiesen (Bach/ Timm 2003; Roche 2008; Wicke 2012). Allerdings muss man, um Inhalte mit anderen im Internet teilen zu können, zwangsläufig auch Informationen über sich selbst preisgeben. Insbesondere große Internetfirmen wie Google oder Facebook haben ein verstärktes Interesse daran, möglichst umfassende Daten der Benutzer zu sammeln und diese z.B. zu Werbezwecken zu verwenden. Schon ist von der Post-Privacy die Rede - der vollständigen Aufgabe von Privatsphäre und Datenschutz der Nutzer des Internets. Insofern ist vor dem Einsatz von den Fremdsprachenlehrenden genau zu prüfen, welche Daten der Lernenden von einer Web-2.0- Anwendung abgefragt werden und ob die Privatsphäre der Lernenden gewahrt bleibt. 5 Web 2.0-Anwendungen Facebook oder Twitter sind vielleicht die prominentesten Beispiele für das Web 2.0. Doch sollen an dieser Stelle nicht die sozialen Netzwerke thematisiert werden; vielmehr werden aus der nahezu unübersichtlichen Vielfalt der Web 2.0-Anwendungen einige Möglichkeiten vorgestellt, mit denen die Schüler/ innen im Fremdsprachenunterricht selbst handelnd aktiv werden, eigene digitale Produkte erstellen und den anderen Lernenden auf der Lernplattform zugänglich machen können. Conradie/ Sobota (2012, 62) stellen zutreffend fest, dass „visual literacy eine wichtige Rolle [spielt], da die heutigen Schüler als digital natives die Welt anders empfinden“. Deswegen werden im Folgenden zwei Programme vorgestellt, bei denen auch die visual literacy geschult wird. 5.1 Voki.com Die Web 2.0-Anwendung www.voki.com ermöglicht es auf einfache Art und Weise, einen Avatar, also eine künstliche Figur in einem virtuellen Raum, 2 Es ist zu beobachten, dass zunehmend methodisch-didaktische Konzepte entwickelt werden, bei denen die Mobilität der Lernenden eine zentrale Rolle einnimmt und die unter dem Schlagwort „Mobile Learning“ zusammengefasst werden (vgl. dazu auch den Beitrag von Falk in diesem Band). <?page no="209"?> Lernplattformen und Web 2.0-Dienste 209 nach eigenen Vorstellungen zu kreieren. Wenn der Avatar gestaltet ist, kann man ihn eigene kurze Texte sprechen lassen, indem man den Text entweder in ein Textfeld eingibt oder den Text selbst spricht und mit einem Mikrofon aufnimmt. Durch die Aufnahme eigener Texte kann im Fremdsprachenunterricht auf motivierende Weise die korrekte Aussprache trainiert werden, zumal das Programm auch die Möglichkeit bietet, sich den eingetippten Text von verschiedenen Sprechern und in verschiedenen Varietäten anzuhören (z.B. das in Spanien gesprochene Castillano im Vergleich zum argentinischen oder mexikanischen Spanischen). Zudem lassen sich mögliche Sprechhemmungen durch die Arbeit mit dem Programm überwinden, da die Lernenden zuhause ihre Aussprache selbstständig verbessern können und so auch an Sicherheit gewinnen, frei in der Klasse zu sprechen. Anders als bei den klassischen Ausspracheübungen der Lehrwerke kann der Lernende selbst bestimmen, welche Lexik, Texte oder Themen er zum Aussprachetraining benutzen will. Wenn die Lerner/ innen mit dem Resultat ihrer Aufnahme zufrieden sind, kann das Ergebnis auf der Lernplattform präsentiert werden. Dadurch besteht die Möglichkeit, sich die Texte der anderen Lernenden anzuhören und so das Hörverstehen zu üben. Die Konzeption und das Eintippen der eigenen Texte fördern zudem die Schreibfertigkeit. Zschäbitz/ Schöne (2012, 282) schlagen als Aufgabe für den Anfangsunterricht vor, dass die Teilnehmer/ innen ihren eigenen Avatar gestalten, sich mit diesem Avatar selbst vorstellen, ohne allerdings den eigenen Namen zu nennen, und diese Präsentation auf der Lernplattform ablegen. Im Präsenzunterricht können sich die anderen Lernenden die Präsentation anhören und herausfinden, welcher Schüler oder Schülerin sich hinter welchem Avatar verbirgt. 5.2 Glogster Glogster (www.glogster.com) ist eine Präsentationssoftware, mit der multimediale Poster, sogenannte glogs, erstellt werden können. Neben Texten können auch Grafiken, Bilder, Klänge, Animationen oder Videos mit eingebunden werden 3 . Die fertigen Produkte werden im eigenen Profil der Nutzer auf der Webseite von Glogster gespeichert und können dort auch von anderen kommentiert werden. Die Links zu den einzelnen glogs können auf der Lernplattform abgelegt werden. Damit bietet diese Anwendung zahlreiche Möglichkeiten der kreativen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand. Die multimodale Darstellung bewirkt im Sinne des mehrkanaligen Lernens eine tiefere neuronale Verarbeitung der Inhalte und verbessert so die Lernleistung. 3 Praktische Hinweise zur Arbeit mit glogster finden sich bei Tammen (2012). <?page no="210"?> Stefan Baier 210 Glogs können praktisch zu jedem Thema des Fremdsprachenunterrichts erstellt werden. Sie eignen sich zur Darstellung des Vorwissens zu einem Thema; sie können aber ebenso gut am Ende eines Lernprozesses oder einer Unterrichtseinheit zur plakativen Zusammenfassung dienen. Insbesondere lassen sich die Ergebnisse einer Internetrecherche oder eines Webquests darstellen. Im Präsenzunterricht können sie als Grundlage mündlicher Präsentationen eingesetzt werden. Damit erfüllt das Programm auch die Forderung der Bildungsstandards nach verstärkter Schulung der Präsentationsfähigkeit (vgl. Kultusministerkonferenz 2004, 10). 5.3 Wordle Word-clouds sind ein Weg, Begriffe visuell darzustellen. Mit Wordle (www.wordle.net), einer einfach zu bedienenden und kostenlosen Web 2.0- Anwendung, lassen sich Texte in Word-clouds umwandeln, d.h., die Worte werden grafisch aufbereitet und optisch ansprechend dargestellt. Dabei gilt das Prinzip, dass ein Wort umso größer dargestellt wird, je frequenter es in dem Text verwendet wird. Das Programm bietet dem Nutzer zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten: Texte lassen sich einerseits vollständig visualisieren, andererseits können aber auch Funktionswörter wie beispielsweise Artikel und Präpositionen entfernt werden. Darüber hinaus lassen sich beispielsweise verschiedene Schriftarten und Farben wählen oder die Wörter lassen sich wahlweise horizontal oder vertikal anzeigen und sogar alphabetisch ordnen. Die fertige cloud kann in der Galerie der Webseite abgelegt oder ausgedruckt sowie als PDF-Dokument auf der Lernplattform gespeichert werden. Eine von der Lehrkraft zu einem bestimmten Text erstellte Wordle-cloud kann im Fremdsprachenunterricht zur Aktivierung von Vorwissen, zur Entlastung des Wortschatzes oder zum Formulieren von Hypothesen zum Inhalt eines Textes eingesetzt werden. Die Lernenden können aber auch ihre eigenen clouds - beispielsweise zur Präsentation von erarbeiteter Lexik oder zur Wortschatzarbeit - anfertigen: Sie erarbeiten sich einen Text und sammeln den darin enthaltenen unbekannten Wortschatz. Mit Hilfe von Wordle können dann häufige Nennungen visuell hervorgehoben, aber auch kurze Texte, vor allem Gedichte, optisch ansprechend dargestellt werden. 6 Fazit Der Einsatz digitaler Medien im Sinne eines Blended Learning-Konzeptes kann eine Bereicherung für den Fremdsprachenunterricht darstellen. Durch die vielfältigen Handlungsmöglichkeiten steigern digitale Medien die Motiva- <?page no="211"?> Lernplattformen und Web 2.0-Dienste 211 tion und fordern die Schüler/ innen heraus, sich aktiv mit dem Lerngegenstand auseinander zu setzen und die eigene Kreativität einzubringen. Wesentliche Prinzipien eines schülerzentrierten Fremdsprachenunterrichts wie beispielsweise die Individualisierung und Binnendifferenzierung lassen sich problemlos umsetzen. Zudem wird dabei die Fähigkeit zum selbst gesteuerten Lernen gefördert. Gerade hierfür bieten sich Lernplattformen als Ergänzung des Präsenzunterrichts an, denn sie ermöglichen den Zugriff auf aktuelle und authentische Lese- und Hörtexte, überlassen dem Nutzer die Entscheidung darüber, wann, wo und wie lange er sich mit den abgelegten Texten, Aufgaben und Übungen beschäftigen möchte und bieten - gegenüber analogen Medien - neuartige Formen der authentischen Kommunikation zwischen Lernenden, Lehrenden und muttersprachlichen Kommunikationspartnern. Gleichwohl werden Lernplattformen aber auch nicht selten als zu statisch kritisiert, in dem Sinne, dass die Nutzer häufig in der alleinigen Rolle des Rezipienten verharren. Der Kritik Roches (2003,152), dass rein behaviouristische Konzepte „neuerdings mit den Neuen Medien vielerorts wiederbelebt“ werden, ist zuzustimmen. Abhilfe kann dadurch geschaffen werden, dass die Lernplattform als Ausgangspunkt für die Arbeit mit sogenannten Web-2.0-Anwendungen genutzt wird. Als Web 2.0 wird vor allem ein veränderter Umgang mit dem Medium Internet bezeichnet: Die in analogen Medien eher starren Rollen als Produzent und Rezipient lösen sich zunehmend auf, stärker noch können die sich dadurch ergebenden vielfältigen Potenziale für die Zusammenarbeit, die Erstellung eigener Lernprodukte und das Einbringen der eigenen Kreativität genutzt werden. Aus dem vielfältigen Angebot von Web 2.0-Anwendungen wurden exemplarisch die Dienste voki.com, wordle.net und glogster.com ausgewählt, um das besondere Potenzial dieser Programme für den Fremdsprachenunterricht aufzuzeigen. Für alle Kompetenzbereiche lassen sich entsprechende Web-2.0-Programme finden. Besondere Bedeutung sollte allerdings der Entwicklung der interkulturellen und kommunikativen Kompetenz zukommen. Das Angebot an Web-2.0-Anwendungen entwickelt sich - im Gleichschritt mit der technologischen Entwicklung der Computertechnik - rasant weiter. Für die Fremdsprachenlehrkräfte bedeutet dies, sich im Bereich des Web 2.0 ständig auf dem Laufenden zu halten, neue Programme auf ihre Eignung für das Fremdsprachenlernen zu überprüfen und ggf. in den eigenen Unterricht zu integrieren. Dies ist mit gewissen Mühen verbunden; schließlich erfordert dies von Seiten der Lehrkräfte eine gewisse Offenheit und Technikaffinität, vor allem aber den Mut, immer wieder neue Dinge auszuprobieren. Aber dafür kann man sich - mit fortschreitender technologischer <?page no="212"?> Stefan Baier 212 Entwicklung - auch auf weitere spannende Möglichkeiten für einen schülerzentrierten und handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht freuen. Literatur Bach, Gerhard/ Timm, Johannes-Peter (2003): „Handlungsorientierung als Ziel und als Methode“. In: Bach, Gerhard/ Timm, Johannes-Peter (Hrsg.): Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Tübingen und Basel: Francke, 1-21. 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Hannemann, Ulf/ Henke, Ruth/ Waldenmaier, Noelani (2006): „Web 2.0: Das Mitmachnetz“. In: Focus 41, 172-182. Kerres, Michael (2006): „Potenziale von Web 2.0 nutzen“. In: Hohenstein, Andreas/ Wilbers, Karl (Hrsg.): Handbuch E-Learning. München: DWD - vorläufige Fassung. http: / / mediendidaktik.uni-due.de/ sites/ default/ files/ web20-a_0.pdf (13.12.2013). Kerres, Michael (2013): Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote. 4., überarbeitete Auflage. München: Oldenbourg. Kranz, Dieter/ Lüking, Bernd (2005): „Blended Learning - von der Idee zur Tat, vom Konzept zur Realisierung: Zwei Berichte aus der Praxis der Lehrerbildung“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 10 (1). http: / / zif.spz.tu-darmstadt.de/ jg-10-1/ docs/ KranzundLueking2005.pdf (13.12.2013) Kultusministerkonferenz (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Bildungsabschluss. Luchterhand: München. 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(Spitzer 2012, 95) 1 Einleitung Diese Aussage Spitzers scheint jegliche Diskussion über den Einsatz moderner Infomationstechnik zu Lernzwecken radikal zu beenden bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen. Andererseits kann und sollte sie vielleicht auch als provokative Einladung hierzu verstanden werden. Schaut man sich nämlich heutzutage das Nutzungsverhalten verschiedener Medien bei Kindern und Jugendlichen an, so bekommt man schnell den Eindruck, dass Geräte wie iPods, iPads und Konsorten allgegenwärtig sind. 1 Wie genau nutzen aber Kinder bzw. Jugendliche diese und weitere Geräte? Wie ist ihr Umgang mit dem Internet? Wo und wann findet diese Nutzung statt? Diesen Fragen wird in der sogenannten JIMbzw. KIM-Studie nachgegangen, die seit 1998/ 99 jährlich durchgeführt wird. Als Langzeitstudien angelegt, sollen sie den Wandel in der Nutzung moderner Informationstechnik erheben und festhalten. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Studien liegt in den Alterstufen der zu untersuchenden Personengruppen. Die KIM- Studie betrachtet das Nutzungsverhalten von Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren, während die JIM-Studie 12bis 19-Jährige untersucht. Die Ergebnisse sowohl der JIM-Studie aus dem Jahr 2013 als auch der KIM-Studie 2012 belegen, dass fast 100 Prozent der Kinder bzw. Jugendlichen über ein Handy sowie einen Computer oder Laptop verfügen. Dabei liegen die Prozentzahlen über die Internetnutzung, gerade durch die 12bis 19-Jährigen, nicht weit darunter (Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest 2013a und b). Dieser Trend lässt die Schlussfolgerung zu, dass diese Medien ihren Einsatz auch in der Schule und somit auch im Fremdsprachenunterricht unter 1 Hierbei handelt es sich lediglich um Beispiele. Diese Marken stehen stellvertretend für zahlreiche andere Geräte. <?page no="216"?> Simon Falk 216 bestimmten Voraussetzungen finden können, da fremdsprachliches Lernen seit jeher nicht losgelöst ist von gesellschaftlichen und kulturellen (und damit auch medientechnologischen) Entwicklungen (Hallet/ Königs 2010, 14). Die zunehmend technologisch mobile Gesellschaft bietet also die Grundlage für die Diskussion einer „neuen“ Form des Lernens: Mobiles Lernen. Gegenstand des vorliegenden Beitrags soll die Frage nach dem Was und Wie des Mobilen Lernens sein. Was genau versteht man darunter? Ist es tatsächlich eine neue Form des Lernens und wie können Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht davon profitieren? Dazu soll zunächst ein Einblick gegeben werden, wie dieser Begriff in der Fachliteratur definiert und wie eine Abgrenzung zu bereits bestehenden Begriffen wie E-Learning vorgenommen wird, um dann zu schauen, wie Mobiles Lernen im Fremdsprachenunterricht umgesetzt werden kann. Des Weiteren wird der häufig anzutreffende Terminus der Kontextualisierung näher betrachtet, um im fünften Abschnitt einen Überblick über international angelegte Forschungsprojekte zu diesem Thema zu geben. Der letzte Abschnitt gibt einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen in diesem Themenfeld. 2 Mobiles Lernen - Was steckt dahinter? Der Begriff des Mobilen Lernens wird in der Fachliteratur auf unterschiedliche Weise behandelt. Man findet verschiedene Formulierungen wie mlearning, ubiquitous learning, mobile learning, pervasive learning oder auch learning with handheld devices (vgl. Hockley 2013, 80; Kukulska-Hulme 2009b). Nimmt man den Begriff auseinander, so umfasst er zwei Faktoren: Mobilität und Lernen. Was genau versteht man aber in diesem Zusammenhang unter Mobilität? Welche Faktoren müssen gegeben sein, damit Mobiles Lernen zustande kommen kann? Bezieht sich Mobilität auf die technischen Geräte, oder liegt der Fokus vielmehr auf der Seite des Lerners? Mit der zunehmenden Verbreitung mobiler Endgeräte wie PDAs, Tablet- PCs u.ä., schien das Augenmerk der Mobilität klar auf der technischen Seite zu liegen. Eigenschaften wie drahtlose Funkverbindungen, verbesserte Akkus sowie gleichwertige oder sogar schnellere Rechenleistung gegenüber stationären PCs ermöglichten den Zugriff auf Daten und Informationen unabhängig von einem bestimmten Ort (vgl. Kukulska-Hulme 2009b, 158ff). Mobilität ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich zu verstehen. Wissenserwerb kann zeitunabhängig stattfinden. Das Web 2.0 ermöglicht Menschen, zu jeder Zeit auf Informationen zuzugreifen, diese zu verarbeiten und untereinander auszutauschen. Auf diese Weise wird die Selbststeuerung der Lernenden hervorgehoben (vgl. dazu Hockly 2013, 80). <?page no="217"?> Mobiles Lernen im Fremdsprachenunterricht 217 Auf der anderen Seite steht der Begriff des Lernens. Lernen kann sowohl in formalen als auch informellen Lebensituationen stattfinden. Außerhalb des formalen Bildungswesens (Schulen, Hochschulen etc.) besteht die Möglichkeit, informelles Lernen mithilfe mobiler Geräte und geeignetem Lernmaterial zu fördern. Diese Lernmaterialien sind zwar in ihrer Anzahl nach oben offen, allerdings muss beispielsweise bei der Aufgabenkonzeption die Möglichkeit der Komplexität berücksichtigt werden (siehe Abschnitt 4). Was unterscheidet nun aber das Konzept des Mobilen Lernens von etablierteren Lernformen wie beispielsweise E-Learning oder Blended-Learning ? In der Fachliteratur wird Mobiles Lernen oder auch M-Learning häufig als Erweiterung oder Unterkategorie des E-Learning verstanden. Als Qualitätsmerkmal wird hierbei die Möglichkeit der Kontextualisierung angeführt, welche im folgenden Abschnitt genauer behandelt wird (vgl. de Witt 2013, 15). Aufgrund der unklaren Definitionslage und Begriffsverwendung gilt jedoch auch hier, in Anlehnung an Rösler (2010, 185), ganz klar: Wer von M-Learning spricht, muss zur Vermeidung von Missverständnissen immer genau die Lernszenarien benennen, auf die er sich bezieht. 3 Kontextualisierung Tablet-PCs oder auch Smartphones können aufgrund der oben genannten technischen Möglichkeiten einen neuen, mehrdimensionalen Lernzugang schaffen. Die bereits genannten zwei Dimensionen, nämlich zeitliche sowie räumliche Mobilität werden daher im Folgenden um den Aspekt der Kontexttualisierung erweitert. Diese drei Aspekte können jedoch keineswegs unabhängig voneinander betrachtet werden, da sie in wechselseitiger Beziehung stehen (vgl. Kukulska-Hulme 2010, 1). Dies soll am folgenden Beispiel deutlich werden. Lernräume können unterschiedlichster Art sein. Nehmen wir in diesem Fall das Klassenzimmer als tatsächlichen Raum. Bereits bei dessen Gestaltung fangen die Möglichkeiten an. Ob groß, klein, hell, dunkel, mit einzeln zur Tafel (oder zum Whiteboard) ausgerichteten Tischen oder Gruppentischen: Die Möglichkeiten sind mannigfaltig und können einen Einfluss auf das Lernen jedes Einzelnen haben. Ebenso spielt Zeit eine Rolle. Findet Lernen vormittags, nachmittags, innerhalb oder gar außerhalb des Klassenzimmers statt? Am heimischen Schreibtisch beispielsweise? Was deutlich werden soll ist, dass der Kontext, in dem sich ein/ e Schüler/ in befindet, stark variieren kann. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass Mobiles Lernen grenzenlos ist, zumindest was den inhaltlichen oder auch geographischen Umfang angeht (vgl. Tayebinik/ Puteh 2012, 58). So geht es aber beim Mobilen Lernen nicht nur um die Übertragung von Inhalt, sondern vielmehr um die Befähigung zur Aneignung von <?page no="218"?> Simon Falk 218 Wissen, das für erfolgreiches Handeln in eben jenen sich wandelnden Kontexten erforderlich ist (vgl. Hethey 2013, 105). Auf der einen Seite steht dabei der zentrale Begriff der Medienkompetenz, der im Rahmen der Kompetenzorientierung bereits seit Langem diskutiert wird (vgl. Kerres 2013, 56f). Auf der anderen Seite befinden sich die „Tools“, in diesem Fall die tatsächlichen Geräte, die sich kontextsensitiv und proaktiv auf die Nutzer (Lehrende wie Lernende) bzw. deren aktuelle Situation einstellen und somit mehr Komfort und Effizienz ermöglichen (vgl. Lucke/ Specht 2012, 27). So kann der Kontext, in dem mobile Geräte eingesetzt werden, darüber entscheiden, welche Informationen in einem bestimmten Moment dem Nutzer zur Verfügung gestellt werden bzw. auf welche Informationen er zugreift. Es entsteht demnach eine Lernumgebung, die in der Fachliteratur häufig als Personal Learning Environment (PLE) oder auch Virtual Learning Environment (VLE) bezeichnet wird (Tayebinik/ Puteh 2012, 58). Im Bereich der Sprachlehrforschung scheint das Phänomen der Kontextualisierung mit seinen zahlreichen Variablen bereits seit Längerem mit dem Modell der „Faktorenkomplexion“ vergleichbar zu sein. Königs (2010) definiert den Begriff der Faktorenkomplexion als Interagieren bzw. Summe all derjenigen Variablen, die unterrichtliches Lernen ausmachen. Das Erkennen all dieser Variablen und deren Beziehung zueinander ist das erklärte Ziel zur Erfassung fremdsprachlichen Lernens. Sämtliche Variablen kontrollieren zu können, ist jedoch laut Königs zwar erstrebenswert, aber utopisch. Das Konzept des Mobilen Lernens scheint hier jedoch durch den Begriff der Kontextualisierung eine Erweiterung des Modells der Faktorenkomplexion zu sein, da es nicht nur (wenn nicht sogar wenig) mit rein unterrichtlichem Lernen zu tun hat, sondern gerade durch die zeitlichen, örtlichen und kontextuellen Aspekte ein breiteres Feld abdeckt (bspw. formales vs. informelles Lernen). 4 Mobile Assisted Language Learning Ein spezielles, auf (Fremd-)Sprachenerwerb ausgerichtetes Gebiet Mobilen Lernens ist Mobile Assisted Language Learning oder kurz MALL . In Anlehnung an das Akronym CALL ( Computer Assisted Language Learning ), welches bereits in den frühen 1980er Jahren etabliert wurde und auf behaviouristischen Sprachlerntheorien basierte, entstand MALL vor dem Hintergrund des zunehmenden Gebrauchs personalisierter, mobiler Geräte, welche eine neue Art des Lernens ermöglichten und damit Kontinuität bzw. Spontaneität in Bezug auf den Zugang zu verschiedenen Kontexten hervorhoben (vgl. Kukulska-Hulme/ Shield 2008, 273). <?page no="219"?> Mobiles Lernen im Fremdsprachenunterricht 219 Kollaboratives und gleichzeitig selbstgesteuertes Lernen können in einer mobilen Lernumgebung gefördert werden. So können interaktive Aufgaben, die für Gruppenarbeiten geeignet sind und auf der Basis synchroner wie auch asynchroner Kommunikation untereinander bearbeitet werden, motivationssteigernd für Schüler/ innen sein. Selbstgesteuertes Lernen kann zudem durch personalisierte Lernumgebungen, in denen die Schüler/ innen ihre Lerngeschwindigkeit selbst festlegen, verstärkt werden (vgl. Nah et al. 2008, 334). Jarvis und Achilleos (2013, 9) gehen in diesem Zusammenhang sogar soweit, von Mobile Assisted Language Use (MALU) zu sprechen und heben dabei den Aspekt der Förderung des tatsächlichen Sprachgebrauchs durch Mobiles Lernen hervor. Diese stark lernerzentrierte Ausrichtung mit der Möglichkeit zur individuellen Gestaltung von Lernräumen scheint konstruktivistischen Lerntheorien entgegenzukommen. Die Grundidee, dass sich jedes Individuum seine eigene Welt konstruiert, indem es Wissen wahrnimmt und unter bestimmten Vorgaben interpretiert, kann so durch das Konzept des Mobilen Lernens aufgegriffen werden (vgl. Königs 2005, 448ff). In der Praxis wirft der Einsatz mobiler Geräte dennoch vielfach die Frage nach dem didaktischen Mehrwert auf. Dieser sollte sich vor allem in einer besseren Unterrichtsorganisation sowie der Förderung vielfältiger Formen individuellen wie auch kooperativen und kollaborativen Lernens spiegeln. Verschiedene asynchrone und synchrone Kommunikationsformen (siehe auch den Beitrag zu Lernplattformen von Baier, in diesem Band) können genutzt und der Grad der Authentizität durch die Einbindung von Originalquellen und -materialien verstärkt werden (vgl. Mayrberger 2013, 5). Zweifel hinsichtlich der Effektivität können hingegen auftreten, wenn die Geräte und deren Anwendungen für rechtlich problematische, wenn nicht sogar strafbare Aktionen verwendet werden (bspw. Gewalt- oder Pornovideos) (vgl. Thaler 2013, 4). Durch den Aufbau einer kritischen Medienkompetenz sowohl auf Seiten der Lehrer/ innen als auch auf Seiten der Schüler/ innen können mithilfe von Tablet-PCs jedoch viele methodisch-didaktischen Perspektiven eröffnet werden (vgl. Heinz/ Thaler 2013, 6). Hethey (2013, 105) führt in diesem Zusammenhang an, dass es bislang zu wenige pädagogische Projekte und Unterrichtsbeispiele für den Fremdsprachenunterricht gibt. Im folgenden Abschnitt liegt der Fokus daher auf empirischen Projekten, welche international zu MALL durchgeführt wurden. 5 Forschungsüberblick Mobiles Lernen wird in immer mehr Bildungseinrichtungen diskutiert und teilweise durch die Anschaffung technischer Geräte vorangebtrieben. Sowohl diese Diskussion als auch die konkrete Implementierung rufen wiederum <?page no="220"?> Simon Falk 220 Forscher/ innen auf den Plan, die sich mit diesem Gebiet auseinandersetzen. Eine umfassende Aufführung bzw. Analyse der zahlreichen Forschungsprojekte auf nationaler und internationaler Ebene übersteigt den Rahmen dieses Beitrags, weshalb sich dieser Abschnitt lediglich dem Teilgebiet des Mobile Assisted Language Learning (MALL) widmet. Als Grundlage dient ein Literaturüberblick von Viberg/ Grönlund (2013). Dort werden in weitreichendem Umfang empirische Forschungen präsentiert, welche in englischer Sprache in dem Zeitraum 2007 bis 2012 veröffentlicht wurden. Diese Forschungen befassten sich mit dem Gebrauch und der Effektivität von MALL im Zweit- und Fremdsprachenunterricht und legten den Fokus auf methodologische und theoretische Trends sowie Entwicklungen in Bezug auf linguistisches Wissen. Es wurde untersucht, welche Theorien, Forschungsvorgehen und Methoden angewandt wurden, um MALL zu analysieren, ebenso welche Aspekte von MALL untersucht wurden und zu welchen Ergebnissen bzw. Forschungsdesiderata man gelangte. Hinsichtlich des Forschungsvorgehens sind die Mehrzahl (44%) der untersuchten Forschungsprojekte als deskripitiv einzuordnen, was bedeutet, dass ein Phänomen ohne jeglichen Theoriebezug beschrieben wurde. Zwar wurde in 46% der Fälle ein Theoriebezug hergestellt, dieser diente jedoch oftmals nur zur Illustration und Interpretation der Ergebnisse. Lediglich zwei Prozent waren theoriebildend, kein einziges Forschungsprojekt hingegen theorietestend (vgl. Viberg/ Grönlund 2013, 2). Schaut man sich die angewandten Auswertungsmethoden an, so fällt auf, dass experimentelle Studien mit 47% das Gros ausmachen, gefolgt von interpretativen 2 Studien mit 28%. Die inhaltliche Ausrichtung der einzelnen Forschungsprojekte lässt sich in drei Hauptkategorien einteilen: „technologische Lernkonzepte“, „technologiezentrierte Konzepte“ sowie „Lernumgebung“, wobei letztere nochmals in die beiden Unterkategorien „theoretische Entwicklung“ und „praktische Aspekte“ gegliedert ist. Technologische Lernkonzepte umfassen unter anderem Game-Based Learning (GBL) oder Situated Learning , wohingegen technologiezentrierte Konzepte Podcasting oder auch SMS-Based Learning beinhalten. Unter die Kategorie „theoretische Entwicklung“ von Lernumgebung fallen laut Viberg und Grönlund contextual familiarity sowie contextualized meaning-making . Die praktischen Aspekte behan- 2 „Any kind of more strictly performed data collection than a ‚case story‘ but not necessarily strictly explained or spelled-out method for interpretation. Case study belongs here but also more limited studies where qualitative and quantitative data is used“ (Viberg/ Grönlund 2013, 3). <?page no="221"?> Mobiles Lernen im Fremdsprachenunterricht 221 deln usefulness, playfulness oder auch personalization (Viberg/ Grönlund 2013, 4f). Ein Großteil der Forschungsprojekte befasst sich mit der Einstellung der Lernenden und deren Intention in Bezug auf den Gebrauch mobiler Technologie im Zweit- oder Fremdsprachenerwerbsprozess. Studien zum Grammatikerwerb, zur Schreibfertigkeit oder auch zur Aussprache sind dabei jedoch unterrepräsentiert. Viberg und Grönlund verweisen in dem Überblick auch auf Forschungslücken bzw. Desiderata im Bereich der Förderung individueller Sprachlernergebnisse durch den Einsatz mobiler Technologie. Um diesbezüglich eine höhere Reliabilität zu gewährleisten, bedarf es Langzeitstudien sowie größerer Testgruppen. Darüber hinaus fehlen noch weitere Untersuchungen zu einem möglichen Strategienwechsel beim Einsatz mobiler Geräte zum (Fremd-)Sprachenerwerb sowie vermehrt theoriegenerierende Projekte (Viberg/ Grönlund 2013, 6f). 6 Ausblick Die moderne Informationstechnik, gegenüber welcher sich Spitzer zu Beginn kritisch äußert, ist in stetem Wandel begriffen. Insbesondere die Möglichkeiten, die sich durch die Weiterentwicklung von Hard- und Software ergeben, sind meines Erachtens noch lange nicht ausgeschöpft. Wie überall im Leben gilt es auch hier, abzuwarten und somit den Dingen die nötige Zeit zu geben, einen festen Platz einzunehmen. Es ist jedoch nicht nur die Technologie allein, die diesbezüglich Entwicklungszeit braucht, sondern auch deren Nutzer sowie die Forschung auf diesem Gebiet. Kukulska-Hulme (2009a) fordert vor allem von letzterer, dass sie sich mehr im Einklang mit neuen Ideen über das Lernen befinden und der Rolle des Kontexts mehr Beachtung schenken solle. Dabei ist es wichtig, verschiedene Arten von Daten sowie deren Analyse zu berücksichtigen und insbesondere die Lerner nicht nur als potenziellen Untersuchungsgegenstand zu behandeln, sondern sie vielmehr als Co-Designer und Co-Forscher miteinzubinden. Diesen Punkten kann ich mich nur anschließen. Literatur Baier, Stefan (in diesem Band): „Lernplattformen und Web 2.0-Dienste im handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht“. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (2010): „Fremdsprachendidaktik als Theorie und Disziplin“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik . Seelze-Velber: Kallmeyer, 11-17. Heinz, Susanne/ Thaler, Engelbert (2013): „English-pad: Tablet-PCs im Unterricht“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht Englisch 10 (1), 8-10. <?page no="222"?> Simon Falk 222 Hethey, Meike (2013): „Vom E-Learning zum M-Learning : Mobiles Lernen im Fremdsprachenunterricht“. In: französisch heute 44 (3), 105-108. Hockly, Nicky (2013): „Mobile learning“. 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Wiesbaden: Springer VS, 13-26. <?page no="225"?> „Der kleine Nazi“ - ein Kurzfilm als Königsweg zur Kultur- und Sprachvermittlung? Uwe Koreik 1 Zum Filmeinsatz im Sprachunterricht „Der Film ist das Leitmedium unserer Zeit“ - so einfach und plakativ zugleich wird bereits 2005 das Vorwort zu einem (politisch orientierten) Themenheft zu „Film und Gesellschaft“ eröffnet (Kötzing 2005, 2). Entsprechend weist Lay (2009a, 1) in einer DaF-Zeitschrift auf eine vorherrschende Dominanz der (auch bewegten) Bilder hin: „In privaten und öffentlichen Räumen treffen wir immer öfter auf TV-Apparate, Computerbildschirme, Infoscreens, iPods oder Handys mit multimedialen Funktionen“. Er kommt angesichts dieses Befunds an anderer Stelle zu der in den letzten Jahren in ähnlicher Weise häufig formulierten Feststellung, dass im Gegensatz dazu die Arbeit mit Filmen […] im Fremdsprachenunterricht insgesamt nur eine sehr marginale Rolle [spiele]. Dabei eigne […] sich der Einsatz von Filmmaterial insbesondere für die Vermittlung authentisch zielsprachlicher, landeskundlicher und fremdkultureller Informationen. (Lay 2009b, 33) Präziser wird hier Köster (2013, 242), der darauf verweist, dass bereits 2009 auf der Internationalen Deutschlehrertagung zwei Dutzend Erfahrungsberichte zum Einsatz verschiedener Filmarten präsentiert worden seien, zugleich in der Sekundärliteratur weiterhin das in Lehre und Forschung zurückgebliebene Feld des Filmeinsatzes beklagt werde, sich andererseits in der fremdsprachendidaktischen Literatur zur Methodik des Filmeinsatzes sehr gute Argumente für die Arbeit mit Filmen in einem fertigkeits- und handlungsorientierten, auf Kognition und Emotion zielenden Fremdsprachenunterricht, der auch kulturspezifische Wahrnehmungen fokussiert [finden ließen]. (Köster, ebd.) In Wirklichkeit - so ist zu vermuten - spielt der Filmeinsatz im Sprachunterricht schon längst eine viel größere Rolle, als die legitimierenden Eingangsformulierungen in der zunehmenden Zahl von Publikationen zum Filmeinsatz im Sprachunterricht annehmen lassen. Mit Welke/ Faistauer (2010) liegt seitdem immerhin ein umfassender Sammelband vor, und in der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht (ZiF) ist im Oktober 2012 der <?page no="226"?> Uwe Koreik 226 Themenschwerpunkt 1 dem „Film im Fremd- und Zweitsprachenunterricht“ gewidmet. Die gewachsene Anzahl an unterstützenden Begleitmaterialien zu Lehrwerken auch mit Videosequenzen, mehrere teilweise didaktisierte Kurzfilmsammlungen auf DVD oder im Internet 1 sowie ein unbefangenerer Umgang der jüngeren Generation von Lehrenden mit Filmen auf Youtube legen den Verdacht nahe, dass schon seit Jahren gehäuft auch bewegte Bilder im Sprachunterricht eingesetzt werden. Eine seriöse quantitative Untersuchung, mit der dies belegt werden könnte, gibt es jedoch nicht. Ob die Mehrheit der Lehrenden, die Filmmaterial im Sprachunterricht einsetzen, sich der seit Schwerdtfeger (1989) immens angewachsenen Literatur zum Einsatz von Filmen im DaF-Unterricht bewusst ist, darf bezweifelt werden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass ähnlich wie das methodischdidaktische Schlagwort „Vorentlastung“ Eingang in das Bewusstsein von Lehrenden gefunden hat, auch der für die Unterrichtsarbeit mit Filmmaterial bewährte Dreischritt „VOR - WÄHREND - NACH“ dem Sehen (vgl. Köster 2013, 248) als potenzielle Herangehens- und Erarbeitungsweise bei einer großen Zahl von Lehrenden angekommen ist, auch wenn unter Zeitdruck in der Praxis der Filmeinsatz nicht immer entsprechend vorbereitet werden dürfte. 2 Zur Auswahl des eingesetzten Filmmaterials Die Vielfalt der im Sprachunterricht je nach Adressatengruppe und zu behandelnder Thematik einsetzbaren Filmmaterialien ist sehr groß und reicht von Spielfilmen, darunter auch solchen mit historischen Bezügen (s. Weber 2010), über Dokumentarfilme, Werbespots, Animations- und Stummfilme, Zeichentrickfilme, Musikvideoclips, Nachrichtenbeiträge, verfilmte Theaterstücke und meist anspruchsvolle Literaturverfilmungen bis zu den häufig gewählten Kurzfilmen, zu denen in einem überzeugenden Plädoyer für ihren Einsatz im DaF-Unterricht Welke (2007, 21) Folgendes formuliert: „Kurzfilme sind grundsätzlich auf allen Niveaustufen einsetzbar“. Damit wird Welke zwar vielleicht mehrheitlich recht haben, aber zumindest auf die anspruchsvollen Kurzfilme, die nicht nur auf visualisierte Handlung, ästhetische Aspekte oder relativ einfach zu erschließende gesellschaftlich/ persönliche Problemsituationen setzen, sondern auch einen sprachlich differenzierten Hintergrund haben, trifft das sicherlich nicht zu. Allein der Klassiker in der „DaF-Kurzfilm-Szene“ - „Der Schwarzfahrer“ - verdeutlicht dieses sehr gut. Ohne eine tiefer gehende (auch sprachliche) Analyse der rassistisch monolo- 1 Siehe die umfangreiche Auflistung bei Köster (2013, 244f) und die hilfreiche Zusammenstellung von Informationsmaterial im Internet bei Toth (2010). <?page no="227"?> „Der kleine Nazi“ 227 gisierenden älteren Dame kann man dem Film nicht wirklich gerecht werden. Deutlich wird dies, wenn man sich einen der frühen Didaktisierungsvorschläge von Grünewald (1996, 184ff) mit transkribierten Auszügen vor Augen führt. Eine oberflächliche Behandlung, die nur auf Stereotypen abhebt sowie auf den abschließenden Verblüffungseffekt setzt und allein daraus inhaltliches Kapital schlagen möchte, ist dennoch möglich, auch wenn sie dem Potenzial des Films dann nicht wirklich gerecht wird. Trotz der sprachlich zumindest teilweise nicht einfachen Gestaltung des Films ist „Der Schwarzfahrer“ (1992) zu einem DaF-Klassiker geworden, weil er 1994 den Oskar für den besten Kurzfilm erhielt und mit dem Thema „Ausländerfeindlichkeit“ in Deutschland ein landeskundlich interessantes und für viele Lehrkräfte mit emanzipatorischen Impetus sicherlich auch ein willkommenes Thema darstellte. Hinzu kommt sicherlich aber auch in einem nicht unerheblichen Maße, dass dieser Film sehr bald medial relativ einfach zur Verfügung stand. Dieses gilt auch fast vier Jahre nach seinem Debüt noch nicht für den mehrfach preisgekrönten und mit der Auszeichnung „besonders wertvoll“ versehenen Film „Der kleine Nazi“ 2 , auch wenn er angesichts der Thematik durchaus auch ein Klassiker für einige Jahre im DaF-Bereich hätte werden können, vielleicht sogar immer noch werden könnte. Die Auswahl des im DaF-/ DaZ-Unterrichts eingesetzten Filmmaterials ist abhängig von der Verfügbarkeit, den (auch weltweit immer selbstverständlicher werdenden) technischen Voraussetzungen, dem Sprachniveau der Lernergruppe, eventuellen curricularen Vorgaben und Beschränkungen, den thematischen Schwerpunktsetzungen und nicht zuletzt den Vorlieben und der Ausbildung der Lehrkraft. 3 Der Kurzfilm „Der kleine Nazi“ Der von Petra Lüchow als Drehbuchschreiberin und Regisseurin geschaffene Kurzfilm „Der kleine Nazi“, bisher im Fernsehen ausgestrahlt am 21. Dezember 2012 im Bayerischen Rundfunk, eignet sich für den DaF-/ DaZ-Unterricht erst ab dem Sprachniveau B2 (nur mit viel Vorarbeit und Mühe auch etwas früher), kann dann aber inhaltlich sehr weitführend und bei entsprechendem Interesse mit einem landeskundlich äußerst hohen Erkenntnisgewinn behandelt werden. Das Problem ist, dass er noch nicht einfach - und erst recht nicht 2 Laut Kurzfilmverleih (http: / / www.kurzfilmverleih.com/ product_info.php? products_ id= 2123) erhielt er folgende Preise: ZDFneo Preis, Interfilm Festival, Berlin 2010; Publikumspreis, Exground Filmfest, Wiesbaden 2010; Friedrich-Wilhelm Murnau Kurzfilmpreis 2011. Eine jeweils aktualisierte Auflistung findet sich auf der entsprechenden Seite der Homepage der Produktionsfirma: http: / / www.kordesfilm. de/ de/ film/ 24/ 88/ . <?page no="228"?> Uwe Koreik 228 juristisch unproblematisch - verfügbar ist, wenn man beispielsweise von dem Verleih durch die Evangelische Medienzentrale in Kassel absieht. Ein Kauf der Rechte durch etwa das Goethe-Institut würde den Kurzfilm vermutlich für einige Jahre zu einem Renner an vielen Orten der Welt, vor allem in der Vorweihnachtszeit machen. Abgesehen von den sprachlichen Mindestvoraussetzungen müssen mit Blick auf den Einsatz des Films im Sprachunterricht jedoch auch andere Bedingungen erfüllt sein: Man muss sich schon auf das Thema „Nazi-Vergangenheit“ der Deutschen einlassen wollen, und es muss in die Unterrichtssituation passen. Als Pausenfüller - und das vielleicht angesichts der Weihnachtsthematik in einer Stunde kurz vor Weihnachten - ist der Film jedenfalls nicht geeignet. Zum Inhalt: Die Kurzzusammenfassung von Kordes-Film führt, der Textsorte „Filmankündigung“ geschuldet, nur bedingt in den knapp vierzehnminütigen Kurzfilm ein: Als Familie Wölkel wie jedes Jahr bei der Oma Weihnachten feiern will, erwartet sie eine unliebsame Überraschung: Oma Wölkel hat das Naziweihnachten ihrer Kindheit wiederauferstehen lassen. Das wäre vielleicht noch kein Problem, käme nicht ausgerechnet heute ein Gast aus Israel zu Besuch. Denn eins wollen die Wölkels ganz sicher nicht - für Nazis gehalten werden. Doch nur ein ungeheuerlicher Umstand hilft der Familie, die Wahrheit zu leugnen. (http: / / www.kordesfilm. de/ de/ film/ 24) 3.1 Der Einstieg Wenn man einen Spielfilm in Analogie zum Roman sieht und dabei nicht nur an Romanverfilmungen denkt, sondern die größere Form im Blick hat, dann ist es naheliegend, bei einem Kurzfilm den Vergleich zur Novelle zu ziehen. Wenn man die unten stehende klassische Definition hinzuzieht Die Novelle erzählt eine ,unerhörte Begebenheit‘ (Goethe, Gespräche mit Ekkermann, 29. Januar 1827) aus der wirklichen Welt in konflikthafter Zuspitzung und meist mit einer überraschenden Wendung. (Thomé/ Wehle 2000, 726), dann drängt sich der Vergleich zum Kurzfilm „Der kleine Nazi“ geradezu auf. „Unerhörte Begebenheiten“ oder, anders ausgedrückt, teilweise grotesk anmutende, überraschende Wendepunkte treiben die Zuschauer von einem erstaunten oder auch befreienden Lachen zum nächsten beklemmenden und angespannten Gefühl, wobei die Konflikte in einer sehr zugespitzten Form präsentiert werden und der kompakte Film mit einer überraschenden Wendung endet. <?page no="229"?> „Der kleine Nazi“ 229 Es dreht sich in den knapp vierzehn Minuten um die Weihnachtsvorbereitungen der Familie Wölkel, deren Nachname man allerdings nur aus dem Nachspann oder der Filmankündigung erfährt. Während die Großmutter mit dem Enkel Leo den Weihnachtsbaum in einer Wohnung in einem Mietshochhaus schmückt, fahren Mutter Dorothea und Vater Hannes mit Tüten voller Geschenken vor dem Haus vor. Beim Auspacken kündigt die ältere Tochter Jana per Handy nicht nur ihr Kommen an, sondern teilt zudem mit, dass sie einen weiteren Gast mitbringen möchte. Die Zuschauer erfahren, dass es sich um den Freund eines Freundes aus Israel handelt, den sie in einem „Peace-Camp“ kennengelernt hat und dessen Großvater vor den Nazis aus Berlin fliehen musste. Eingeleitet wird der Film musikalisch mit dem aus dem 16. Jahrhundert stammenden kirchlichen Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“, dessen erste Strophe „Es ist ein Ros entsprungen, Aus einer Wurzel zart. Wie uns die Alten sungen, aus Jesse kam die Art“ im Film nicht nur die Weihnachtszeit einleitet, sondern leitmotivisch die Übermittlungsrolle vorangegangener Generationen andeutet. Mit einem schnellen Bildwechsel auf ein weißes Hochhaus und die in einem offensichtlich darin befindlichen Zimmer einen Weihnachtsbaum schmückende ältere Dame wird in die Handlungsorte des Films eingeleitet. „Oma, was ist das? “ ist der erste im Film gesprochene Satz, den der Zuschauer hört, bevor man den Enkel und seinen Blick auf eine alte Pappkiste sehen kann. Die Großmutter erklärt nach einem überraschten Blick in die Kiste, dass sich darin Weihnachtsschmuck aus ihrer Kindheit befinde. Welcher Art dieser Weihnachtsschmuck ist, bleibt zunächst offen. Nach der in warmen, gelblichen und bräunlichen, Farbtönen gehaltenenen Innenraumszene wechselt die Einstellung zu einem weißen Mietshochhaus, wo in kalter graublauer Farbgebung die Eltern Geschenktüten aus dem schwarzen PKW entladen, als der Anruf der Tochter Jana kommt, um den zusätzlichen Besucher anzukündigen. Der Vater reagiert zunächst deutlich ablehnend und verweist darauf, dass man doch im trauten Kreise der Familie Weihnachten feiern möchte, gesteigert durch die Frage: „Wer weiß, wie lange Oma noch lebt? “. Der sich direkt im Szenenwechsel anschließenden Entscheidung der Großmutter: „Damit schmücken wir jetzt den Baum. Wo doch heute meine Eltern kommen“ hält der Enkel entgegen, dass ihre Eltern doch schon lange tot seien, was die Großmutter als „Unsinn“ kommentiert, jedoch dann mit den Worten „Is ja auch egal“ einlenkt. Auf die Frage des Enkels, ob er „jetzt“ ein Stück Schokolade haben dürfe, reagiert die Großmutter mit der Rückfrage „Hattest du nicht schon welche? “, was der Enkel mit einem längeren Kopfschütteln verneint. Noch in das Kopfschütteln des Enkels hinein ist des Vaters Stimme zu vernehmen: „Wie, sein Großvater musste als Kind aus Berlin fliehen? “ Damit ist plötzlich für den Vater der zusätzliche Besucher <?page no="230"?> Uwe Koreik 230 „überhaupt kein Problem“ mehr und er teilt nach dem Ende des Telefonats beim Zuklappen des Kofferraums seiner Frau mit: „Sie bringt noch Chaim aus Israel mit, der will mal deutsche Weihnachten feiern“. Damit sind nach 1,52 Minuten Filmspielzeit im raschen Szenenwechsel gleich mehrere Problemfelder eröffnet: Angesichts der zum Teil merkwürdigen Bemerkungen der Großmutter und der vom Enkel mit einem auffälligen Kopfschütteln begleiteten Antwort auf die Frage nach der Schokolade stellt sich die Frage nach einer potenziellen Demenz der Großmutter, der rasche Meinungswechsel des Vaters angesichts der Herkunft und Vorgeschichte des zu erwartenden Gastes wirft die Frage nach Schuldgefühlen auf, und der in der Kiste befindliche Weihnachtsschmuck von „früher“ ist noch nicht sichtbar geworden. Auf dem Weg zum Fahrstuhl und im Fahrstuhl steigt die Spannung zwischen den Eltern, deren Namen - Hannes und Dorothea - man erst später erfährt, spürbar an. Auf seinen plötzlichen Sinneswandel angesprochen: „Hast du nicht eben gesagt, wir wollten mal wieder ganz unter uns sein. Nur die Familie? “ entgegnet Hannes barsch: „Und? Dann ist es eben anders“. Vor dem Fahrstuhl sagt er: „Außerdem ist er auch noch behindert oder so. Es ist doch gut, dass die hier einen Fahrstuhl haben“. Und im Fahrstuhl eskaliert dann der bis dahin sehr einsilbige Dialog zwischen Hannes und Dorothea, ausgelöst durch Dorotheas Bemerkung: „Was heißt hier auch [Hervorhebung UK] noch? “. Das Verhalten von Hannes wird immer widersprüchlicher: Angesprochen auf seine abrupte Meinungsänderung, bestreitet er diese und fragt zurück, ob man nicht mal gastfreundlich sein dürfe. Da diese Entgegnung auch ihm als Verteidigung nicht ausreichend zu sein scheint, startet er einen Gegenangriff: „Was willst du mir eigentlich unterstellen? Dass ich ein Problem mit Juden habe? Ich meine, wer kommt denn hier aus einer Nazi- Familie? “. Sehr plötzlich wird der Film um eine weitere Problemebene erweitert. Auf Dorotheas Widerspruch entgegnet Hannes: „Ach, und wessen Großvater war Kassenwart bei der NSDAP in Hildesheim? “. Ihren Einwurf, dass sie deswegen noch lange keine Nazis gewesen seien, kontert er triumphierend mit dem Hinweis, dass sein Großvater noch bei Juden eingekauft habe, als man dafür schon lange ins KZ kommen konnte. Die Bildanalyse der Gesichtsausdrücke in dieser kurzen Phase wäre eine eigene kurze Arbeitsaufgabe wert, die beim Einsatz im DaF-Unterricht auch anhand von Standbildern vorgenommen werden sollte. Was sich in knapp drei Minuten an Problemebenen eröffnet, verdeutlicht bereits jetzt die inhaltliche Dichte des Films. Gesteigert wird dies, als nach einem kurzen Gespräch auf dem Flur zur Wohnung Hannes die Demenz seiner Mutter abstreitet, später aber genau diese zur eigenen Entlastung vorbringen wird. Und nach Eintritt in die Wohnung und kurzer Begrüßung, <?page no="231"?> „Der kleine Nazi“ 231 zeigt der Enkel Leo stolz den Weihnachtsbaum, an dem mit Hakenkreuzemblemen verzierte Christbaumkugeln 3 hängen. Es ist eine - wie in einer Novelle - „unerhörte Begebenheit“, der auch die entsetzte Reaktion des Vaters folgt. Und von nun an spitzen sich die Ereignisse zu, und die Zuschauer werden hin- und hergerissen zwischen erheiternden und schockierenden Entwicklungen. 3.2 Hauptteil und Schluss „Um Filme unter kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten, müssen sie als kulturelle Produkte angesehen werden, nicht als Wirklichkeit“ (Horstmann 2010, 62). Es ist gut, sich dieses Diktum zu vergegenwärtigen, wenn der Rest des Films analysiert und der Film im DaF-Unterricht für die Landeskundevermittlung eingesetzt wird. Die (zumindest partiell demente) Großmutter versteht die Aufregung um den alten Christbaumschmuck nicht, die „Kindergeneration“, verkörpert durch Hannes und Dorothea, ist entsetzt und möchte - gerade auch angesichts des kurz bevorstehenden Besuchs der Tochter Jana mit dem israelischen Gast -, alles nach Möglichkeit ungeschehen machen und vertuschen, und der Enkel Leo versteht aus Unkenntnis seinerseits die ganze Aufregung nicht, da es für ihn eine neue interessante Erkenntnis war, dass sein Urgroßvater einem „Verein“, der NSDAP, angehört hat und seine Urgroßmutter dem BDM („Die haben da ganz viel Sport gemacht“). Die unter Zeitdruck vorgenommenen Erklärungs- und Aufklärungsversuche der Eltern scheitern, Beschwichtigungsversuche müssen die Situation glätten, und unter Waffengewalt - eine „unerhörte Begebenheit“ unter vielen - muss Hannes den Versuch aufgeben, in letzter Minute den diskriminierenden Weihnachtsschmuck zu entfernen und hat sich dem nun drohenden Besuch der Tochter Jana mit dem israelischen Freund zu stellen. Und dann kommt alles wieder ganz anders… Der israelische Besucher kann - wie sich unerwarteterweise herausstellt - das ganze Dilemma gar nicht sehen, möchte aber als Dokumentation ein Foto für den Großvater und damit für die Nachwelt. Im Hauptteil des Kurzfilmes und mit dem überraschenden Schluss (inklusive des bebilderten Nachspanns) wird ein Themenspektrum entfaltet, welches den Zuschauer nicht nur von einer Anspannung in die nächste katapultiert, sondern immer wieder auch 3 In einem Zeitungsbericht über eine Ausstellung im Museumsdorf in Cloppenburg wurde 2007 über die Ausstellung „Von wegen heilige Nacht! “ berichtet. Angefügt sind Fotos, auf denen die Christbaumkugeln u.a. den im Film gezeigten sehr ähnlich sind. http: / / www.welt.de/ kultur/ article1370827/ Hakenkreuze-und-Granaten-fuer-Weihnachten.html (26.9.2014). <?page no="232"?> Uwe Koreik 232 ein befreiendes Lachen erlaubt. Damit ist der Film unter gewissen Bedingungen höchst geeignet für den Einsatz im landeskundlich ausgerichteten DaF-/ DaZ-Unterrricht. 4 Zum Einsatzpotenzial des Films Eine gute zeitliche und inhaltliche Strukturierung des Films auch für unsere Zwecke hat Karsch (2011, 2) vorgegeben: Kapitel Zeit Titel 1 00.00 - 03.15 Die Vergangenheit wieder hervorholen 2 03.16 - 04.42 Die Vergangenheit verdrängen 3 04.43 - 06.18 Die Vergangenheit vertuschen 4 06.19 - 08.19 Über die Vergangenheit reden 5 08.20 - 11.01 Für die Vergangenheit blind sein 6 11.02 - 13.23 Der Vergangenheit ins Auge schauen Allein an dieser Kapitel- und Zeiteinteilung lässt sich ablesen, welches inhaltliche Potenzial der Film zu entfalten vermag. Und die von Karsch entwickelten Einsatzvorschläge für die Arbeit mit diesem Film in der Erwachsenenbildung lassen sich mit entsprechenden Adaptionen gut für den DaF-/ DaZ-Unterricht verwenden (Karsch 2011). Die deutsche Nazi-Vergangenheit ist nach wie vor ein heikles, aber nicht unwichtiges Thema im Rahmen des Landeskundeunterrichts. „Die Zeit der NS-Herrschaft prägt die deutsche Gegenwart mehr als jede andere Periode der deutschen und der europäischen Geschichte“ (Ghobeyshi 2002, 41). Diese Vergangenheit gehört zu Deutschland, und wir hatten bislang nicht viele Möglichkeiten, diese Vergangenheit auch mit einem humoristischen Mehrwert angehen zu können. Der Kurzfim „Der kleine Nazi“ bietet diese Chance und eröffnet zugleich die Option, Interesse zu wecken und mit Zusatzmaterialien einen wirklich gehaltvollen und zugleich nachhaltigen Unterricht zu gestalten. Bei bisher wenigen Einsätzen im Ausland (Lehrerfortbildung und exemplarischem landeskundlich ausgerichtetem Unterricht auf höherem Sprachniveau) hat sich gezeigt, dass gerade die dem Film inhärente Situationskomik und der schwarze Humor einen geradezu befreienden Einstieg in eine zunächst vordergründige und dann potenziell umso tiefer gehende Diskussion erlauben. Dabei ist eines der ersten Themen, welches sich anbietet, der Umgang der verschiedenen Generationen mit der Nazi-Vergangenheit, wobei sich zur Vertiefung Textpassagen aus Welzer et al. (2002) anbieten. Bei einer Lehrerfortbildung in Minsk kam kurz vor der Seminarpause, in der die Diskussion ohne den Seminarleiter fortgesetzt wurde, die Frage nach dem <?page no="233"?> „Der kleine Nazi“ 233 Umgang mit der eigenen Geschichte in Belarus und Verbindungslinien zur deutschen Geschichte und der deutschen Auseinandersetzung mit der belasteten Vergangenheit auf. Dabei wird deutlich, dass die Behandlung des Kurzfilms „Der kleine Nazi“ im DaF-Unterricht nur mit Blick auf die jeweilige Lernergruppe erfolgen kann, u.a. „da Lerner nicht selten aus Lernkulturen kommen, in denen Geschichtskenntnisse weitgehend unhinterfragt als positivistisch gesichertes Wissen vermittelt werden“ (Koreik 2012, 3). „Welche Rolle spielen eigentlich unterschiedliche Lernkulturen? Gibt es sie überhaupt? Teile der Psychologie und der Lernforschung sprechen hier von populären Irrtümern […]“ (Königs 2014, 403). Genau diese Überlegungen aus der Lern- und Spracherwerbsforschung müssen für die Vermittlung gesellschaftlich-historischer Sachverhalte neu und intensiver angestellt werden. Die herausragende Arbeit von Fornoff (2014, 265ff) - „Erinnerungsorte des Nationalsozialismus“, ein qualitativ-empirisches Projekt - deutet jedenfalls darauf hin, dass sowohl ein jeweils gesellschaftlich-kultureller als auch ein individueller Hintergrund für die Auseinandersetzung mit dieser Thematik von jeweils unterschiedlich stark ausgeprägter Bedeutung sein kann. Wenn man im DaF-Unterricht auf entsprechendem Sprachniveau das Thema Nationalsozialismus und die individuell-familiäre Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit (sowie potenziell weit reichende thematische Ausweitungen) behandeln möchte, könnte der Einstieg mit dem Kurzfilm „Der kleine Nazi“ so etwas wie einen Königsweg darstellen. Literatur Fornoff, Roger (2014): Landeskunde und Gedächtnisforschung. Erinnerungsorte des Nationalsozialismus im DaF-Unterricht. Eine theoretisch-empirische Studie. Bielefeld: Habilitationsschrift. 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Frankfurt am Main: Fischer. <?page no="235"?> Zur Sprachlosigkeit des Sprachunterrichts und seiner Didaktik - Das Prinzip der Handlungs- und Aufgabenorientierung als Alternative im Erwerb und der Vermittlung von Sprache Jörg Roche 1 Vorbemerkung Zu einem der wichtigsten Arbeitsbereiche der Fremdsprachendidaktik sind in jüngster Zeit die Aufgaben- und Handlungsorientierung avanciert (siehe die vielen Beiträge in Bausch et al. 2006). In seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Kompetenzbegriff und anderen Modeerscheinungen in der Fremdsprachendidaktik hält Königs (2012) dazu jedoch Folgendes fest: Das eigentliche Änderungs- und in diesem Fall auch Fortschrittspotenzial scheint mir tatsächlich im Bereich der Aufgabenentwicklung zu liegen. (Königs 2012, 41) Darunter versteht er weniger die unterrichtsmethodische Mechanik der Aufgabenproduktion, sondern will damit vielmehr die Bedeutung des „Prinzips der Aufgabenorientierung“ (Königs 2012, 41) besonders hervorgehoben wissen. Eine Schulart, in der dieses essenzielle Prinzip der modernen Sprachdidaktik bisher wenig beachtet worden ist, ist die Berufsschule. Obwohl das Prinzip der Aufgabenorientierung gerade ein Kernelement des dualen Systems der Berufsausbildung darstellt, scheint seine Umsetzung in den Deutschlehrplänen der Berufsschulen genauso außergewöhnlich anzumuten, wie eine Berücksichtigung dieser Schulart in der Didaktik des Fremdsprachenunterrichts. Vielleicht liegt es daran, dass Berufsschulen in der öffentlichen Wahrnehmung eher zu den Schularten gehören, die nicht zu den sprachaffinen gezählt werden und bei denen man sich den Sprachunterricht in jeder Sprache, also auch der deutschen, eher als lästige, unnötige Pflichtübung ausmalt. Zu beachten ist weiterhin, dass diese Schulart bislang sowohl von der empirischen Forschung als auch bei der Entwicklung von Instrumenten zur Sprachstandsdiagnose kaum berücksichtigt worden ist. Dabei bietet diese Schulart wie kaum eine andere die besten Möglichkeiten, den Forderungen der modernen Sprachdidaktik nach inhalts- und aufgabenbezogenem Lernen und nach Immersionsverfahren gerecht zu werden. Dieser Beitrag möchte also im Sinne von Königs’ Plädoyer erstens die Möglichkeiten der Lernoptimierung <?page no="236"?> 236 Jörg Roche durch die Umsetzung des Prinzips der Aufgabenorientierung illustrieren, zweitens dabei den Blick auf einen bislang vernachlässigten Schultyp lenken und drittens zeigen, dass mittels einer konsequenten Anwendung des Prinzips die segregationsbedingten Probleme traditioneller Sprachförderkonzepte und so manche unterrichtsmethodische Komplexität gelöst werden können. Auch wenn die Thematik primär als zum Arbeitsbereich Deutsch als Zweitsprache gehörig erscheinen mag, so sollte mit dem skizzierten Ansatz doch deutlich werden, dass es sich hier auch um ein exemplarisches Verfahren für den (Fremd)Sprachenunterricht schlechthin handelt. Mit den wenigen Illustrationen am Schluss des Beitrages soll zudem skizziert werden, wie leicht sich eigentlich abstrakte und gelegentlich abstruse Bildungsdebatten in der Praxis umsetzen lassen: ohne instruktionistische Übersteuerung, sondern mit Kreativität, Konsequenz und Mut. 1 2 Ausgangssituation An beruflichen Schulen zeigt sich im Vergleich zu anderen Schularten in besonders deutlicher Weise eine hohe Heterogenität (zum Beispiel in Bezug auf Alter, Bildungshintergrund, Interessen, Motivation), ethnische Diversität und sprachliche Vielfalt der Schülerinnen und Schüler. Für das Bundesland Bayern weist die Schulstatistik in den verschiedenen Einrichtungen der beruflichen Bildung im Schuljahr 2010/ 11 etwa zwischen 25% und 30% an Schülerinnen und Schülern mit sogenanntem Migrationshintergrund aus. Dieser Anteil berücksichtigt allerdings noch nicht die rasant steigende Zahl der Teilnehmer an Beschulungsmaßnahmen, die insbesondere seit dem Inkrafttreten der Berufsschulpflicht für Asylbewerber und Flüchtlinge 2012 und ihrer flächendeckenden Aufnahme in den Bundesländern zu verzeichnen ist. Viele der davon betroffenen Schülerinnen und Schüler durchlaufen dabei ein Be- 1 Dieser Beitrag skizziert Ausgangspunkt und Grundlagen eines erwerbslinguistischen, didaktischen und curricularen Forschungs- und Entwicklungsprojektes, das von der Mercator Stiftung 2014 bis 2016 gefördert wird. Es soll zudem die Grundlagen für neue Lehramtsausbildungskonzepte liefern. In den vielen kritischen Vorträgen und Beiträgen von Frank Königs zu den modischen Erscheinungen der Didaktik und aus zahlreichen Gesprächen mit ihm habe ich den Eindruck gewonnen, dass ihm die hier vertretene pragmatische Orientierung auf Unterricht und Ausbildung - auf der Grundlage solider wissenschaftlicher Forschung und empirischer Validierung - stets ein vordringliches Anliegen geblieben ist in seiner Suche nach der Essenz des Fremdsprachenlernens und -lehrens. So zum Beispiel auch nachlesbar in Königs (2012). Gerade aus Gründen dieser fachpolitischen Affinität sollte dieser Beitrag daher in eine Festschrift für Frank Königs passen. <?page no="237"?> Zur Sprachlosigkeit des Sprachunterrichts und seiner Didaktik 237 rufsvorbereitungsjahr (BVJ) und/ oder ein Berufsintegrationsjahr (BIJ in Bayern), in denen unter anderem Deutschkenntnisse und die Grundlagen des lateinischen Schriftsystems (Alphabetisierung) vermittelt werden. Erschwerend kommt gerade bei dieser Gruppe hinzu, dass sie an psycho-sozialen Problemen durch Fluchterfahrungen, traumatische Erlebnisse, Perspektivlosigkeit, Diskriminierung leidet und meistens in Gruppengrößen unterrichtet wird, die eine Binnendifferenzierung erschweren. Die zuweilen ungleichmäßige Verteilung der schulpflichtigen Asylbewerber auf die Regionen und eine zum Teil schwierige Kooperation zwischen Schule und Ausbildungsstätte stellen weitere neuralgische Punkte dar. Dieser heterogenen, sozial, pädagogisch und didaktisch überwältigenden Situation nimmt sich seit 2012 ein vom Bayerischen Kultusministerium begleitetes Pilotprojekt zur beruflichen Vorbereitung und Ausbildung von unbegleiteten Flüchtlingen an Berufsschulen an, das wegen seiner Komplexität, Aktualität und steigenden Relevanz für das deutsche Schulsystem bereits eine besondere Würdigung durch die KMK erfahren hat (vgl. Arbeitskreis Berufsschulpflichtige Asylbewerber und Flüchtlinge 2012). Neben diesem herausfordernden, bisher schwer zu systematisierenden Komplex der Lern- und Rahmenbedingungen stellen vor allem die qualitativen Zielsetzungen der sprachlichen Ausbildung - nicht zuletzt wegen der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler - eine oft schier unüberwindbare Herausforderung für die Schulen und ihre Lehrkräfte dar. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung der Lehrkräfte, Schulen und Kultusministerien, dass auch in der autochthonen deutschsprachigen Schülerschaft ein steigender sprachlicher Förderbedarf festzustellen ist, der dem der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in vielem ähnelt. Das betrifft besonders die Entwicklung schriftlicher und bildungssprachlicher Kompetenzen sowie die Vermittlung fachsprachlicher Kenntnisse. Verschärft wird die geschilderte Situation dadurch, dass die klassischen Verfahren von Sprachförderkonzepten, vor allem für Deutsch als Zweitsprache, die gelegentlich als Kompensation für die festgestellten Defizite angeboten werden, unterschiedlich greifen. Das liegt zum einen an der oft mangelnden Ausrichtung auf zielgruppenrelevante Inhalte und Aufgaben und auf eine wenig ausgeprägte berufsrelevante Handlungskompetenz zugunsten der Vermittlung sprachstruktureller Fertigkeiten und - zumindest im Bereich von Berufs- und Fachoberschule (BOS, FOS) - literarischer Kenntnisse. Die bisher im Wesentlichen unproduktiv verlaufene Debatte des vermeintlichen Spektrums unterschiedlicher Lehransätze zwischen Focus on Form und Focus on Content lässt außer Acht, dass es sich auch bei den inhaltsbasierten Verfahren meist nur um scheinbar alternative Unterrichtsansätze handelt, die in Wirklichkeit nur wenig von den traditionellen instruktionistischen und auf Form orientierten Verfahren abweichen. Roche et al. (2012) analysieren die <?page no="238"?> 238 Jörg Roche Scheinorientierung auf Inhalte in den verbreiteten Modellen des Focus on Content und stellen diesen reduktionistischen Ansätzen im Konzept des Focus on Handlung eine Alternative entgegen, die allerdings seit Comenius und über die lange Zeit der Reformbewegung, den frühen Immersionsansätzen und den Verfahren der Content-Based Instruction bis hin zur Kommunikativen Didaktik, dem Content and Language Integrated Learning (CLIL) und dem projektbasierten Lernen viele Vorläufer hat. Zahlreiche Studien (vgl. Schakib-Ekbatan et al. 2007) weisen zudem darauf hin, dass lehrerzentrierte, formorientierte Verfahren unter solchen Bedingungen keine nennenswerten Auswirkungen auf die Entwicklung der Sprachkompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund haben und daneben zu Langeweile und Demotivierung, wenn nicht sogar zu Disziplinproblemen, Lernverweigerung und Abbrüchen der Schullaufbahn, führen (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V./ Aktionsrat Bildung, Jahresgutachten 2007). 2.1 Grundlagen der Aufgaben- und Handlungsorientierung Durch interessante und lebensrelevante Aufgaben und Themen kann dem ebenso begegnet werden wie mit einer handlungsorientierten, auf authentisches Handeln ausgerichteten Didaktik, die Bezüge zum außerschulischen Leben und zu reichen Sprachumgebungen schafft (Lernfelder, Szenariendidaktik). Die traditionelle unterrichtsmethodische Charakterisierung des aufgabenorientierten Unterrichts als dreiphasige Struktur wird der Bedeutung der Aufgabenorientierung jedoch nicht völlig gerecht. Die linearisierte Aufteilung in eine Vorbereitungsphase (pre-task), einen task cycle mit Aufgabenbearbeitung und Präsentation der Ergebnisse sowie eine sprachorientierte Phase (language focus), in der formal-strukturelle Aspekte der Sprache behandelt werden (vgl. Willis 1996, 38), stellt einen von vielen Operationalisierungsversuchen für den Unterricht dar, separiert dabei jedoch handlungs- und sprachbezogene Aspekte so, als handele es sich nicht um eine zusammengehörige Einheit. Forderungen danach, dass eine Aufgabe mit einem klar definierten Ergebnis (outcome) zu enden habe, das nicht nur sprachbezogen, sondern auch inhaltsbezogen ist (vgl. Ellis 2003, 10), lassen sich bei einer solchen Separierung oft wenig realisieren. Lerner erkennen die versteckte Intention solcher Verfahren durchaus und reagieren darauf in ähnlicher Weise, wie sie auch sonst auf unterrichtliche Übersteuerung reagieren. Es besteht die große Gefahr, dass die aufgabendidaktische Intention durch Übersteuerungsverfahren in ihr Gegenteil verkehrt wird. Zudem gehen diese methodischen Reduktionen nicht selten mit einem reduzierten Konzept von Sprache, Kommunikation und sprachlicher Handlungstheorie einher, das nur begrenzt in <?page no="239"?> Zur Sprachlosigkeit des Sprachunterrichts und seiner Didaktik 239 der Lage ist, das metasprachliche Wissen der Schülerinnen und Schüler in sprachliches Können und Handeln zu überführen. Handlungsorientierte Unterrichtsverfahren stellen dagegen die Aktivitäten der Lernenden in den Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens, indem sie für Schülerinnen und Schüler relevantes Handeln und Probehandeln in authentischen Situationen mit realen Zielsetzungen umfassen (Hölscher et al. 2009). Dieses Handeln muss im Sinne der linguistischen Pragmatik immer auch sprachliches Handeln sein. Der Einsatz verschiedener Sozialformen bietet dabei natürliche Möglichkeiten der Förderung von sprachlichen Stärken und der Kompensation von Schwächen. Besonders eignen sich handlungs- und aufgabenbasierte Verfahren bei der Vermittlung berufsfachlicher und berufssprachlicher Kompetenzen, mit denen sprachliches und handwerkliches Handeln untrennbar verwoben sind. Durch den pragmatisch-funktionalen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Sprache beginnt sich daher auch in der beruflichen Bildung - wenn auch wie dargestellt langsam - das Bewusstsein darüber auszubilden, dass sprachliches Handeln die Grundlage für das berufliche Handeln selbst und untrennbar damit verwoben ist. Aus diesem Wandel ergibt sich zudem eine pragmalinguistische - statt einer formfokussierten - Perspektive von Sprachbewusstheit, ein Übergang, den auch Königs als kritisch identifiziert. Dabei scheint es mir ein Desiderat zu sein, zu ermitteln, wie man den Übergang zwischen formaler Sprachbeherrschung und kompetenter Sprachanwendung optimal gestaltet. (Königs 2012, 41) So kann Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen im Gegensatz zu der oben skizzierten Auffassung kaum noch als überflüssiger Luxus angesehen werden (vgl. Grundmann 2000, 2f), sondern vielmehr als eines der wichtigsten Fächer zur Ausbildung grundlegender Reflexions-Fähigkeiten. Selbstgesteuertes und handlungsorientiertes Lernen in der beruflichen Bildung erfordert die kontinuierliche und bedarfsgerechte Unterstützung der Lernenden. Dabei ist zu beachten, dass die Mechanismen und Vorteile handlungsbasierten Lernens in der Pädagogik, Psychologie und Mediendidaktik (Bausch et al. 2006; Gerstenmaier/ Mandl 1994; Müller-Hartmann/ Schocker-von Ditfurth 2005; Riedl 2011; Siebert 2005; Timm 1996) schon lange bekannt sind und die entsprechenden Unterrichtsprinzipien auch in Bezug auf die Sprachenvermittlung bereits in den Berufsschulrahmenlehrplänen der KMK von 1996 vorgegeben, aber bisher nur bedingt umgesetzt wurden, und dass also ein deutlicher Nachholbedarf besteht. <?page no="240"?> 240 Jörg Roche 2.2 Heterogenität als Herausforderung und Chance Der eingangs beschriebenen Heterogenität der Klassen, die sich nicht nur auf Leistung bezieht, sondern durch stark individuell ausgeprägte Persönlichkeiten mit je eigenem Welt- und Kulturwissen, durch unterschiedliche sprachliche Niveaus und Fähigkeiten und durch individuelle Lernvoraussetzungen und Interessen, also Lernerfahrungen, Lerngewohnheiten und Lernmotivationen, definiert ist, können die gängigen, stark steuernden Unterrichtsverfahren nicht gerecht werden, weil sie ohne Blick auf eine konkrete Zielgruppe eine bestimmte Vorauswahl treffen müssen. Boland (2005, 6ff) identifiziert daher im Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen wegen der hohen Heterogenität der Schülerschaft in Bezug auf Altersstruktur, Vorbildung, Sprachkenntnisse und Mehrsprachigkeit sowohl auf institutioneller als auch auf pädagogischer Ebene spezifische Schwierigkeiten in der personellen Ausstattung, in der Knappheit der zeitlichen Ressourcen, in dysfunktionalen Unterrichtsorganisationen und in Bezug auf einen hohen Legitimationsdruck gegenüber dualen Partnern (vgl. Chlosta/ Ostermann 2010). Dabei ergibt sich gerade in Berufsschulen die Möglichkeit, die segregierenden Nebenwirkungen eines getrennten Förderunterrichts in Deutsch als Zweitsprache zugunsten einer curricularen Verbindung der traditionellen Dichotomie von mutter- und zweit-/ fremdsprachigem Unterricht im Handlungskonzept von Sprache und Beruf aufzugeben. Denn ein auf authentisches Handeln ausgerichteter Unterricht ist für alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen relevant. Ergebnisse laufender Untersuchungen zu Lehr- und Lernverfahren im Fachunterricht weisen darauf hin, welches ungeheure Potenzial für die Wissenskonstruktion in der Verbindung von Sprechen, Handeln und Denken steckt (Becker-Mrotzek et al. 2013). Die Szenariendidaktik nach Hölscher et al. (2006) erfüllt diese vielfältigen Anforderungen, denn sie hat ihren Schwerpunkt in der selbstständigen Erarbeitung fachlicher Inhalte durch die Schülerinnen und Schüler einerseits und in der expliziten Förderung ihrer sprachlichen Ausdrucksfähigkeit durch die Präsentation und Überarbeitung sprachlicher Produkte andererseits. 3 Vom Wissen zum Können: Sprachmodule für Berufsschulen Sprachliche Kompetenzen sind unabdingbar, um einerseits die enorme Informationsvielfalt in Beruf und Alltag recherchieren, erfassen, vergleichen, bewerten und schließlich nutzen zu können, und andererseits Techniken und Strategien zur Bewältigung von Handlungssituationen in Beruf und Alltag zu erwerben und erfolgreich anzuwenden. <?page no="241"?> Zur Sprachlosigkeit des Sprachunterrichts und seiner Didaktik 241 In der Lehre (im Sinne eines ,Ausbildungsverhältnisses‘) von gestern genügte es, sich einschlägiges Wissen in begrenztem Umfang anzueignen und es dann anzuwenden; ‚Wissen und Können‘ wurden vom Lehrling verlangt. In der Ausbildung von heute spielen zwar noch immer theoretische Kenntnisse und praktisches, unmittelbares Tun eine wichtige Rolle, aber die enorme Flut an Informationen und das der jeweiligen Situation adäquate Verhalten gegenüber Kunden, Mitarbeitern und Mitmenschen werden immer bedeutender. Ausbilder, Meister und spätere Arbeitgeber verlangen daher von ihren Auszubildenden und künftigen Mitarbeitern schon sehr früh, Situationen schnell zu erfassen, darin Probleme zu erkennen, diese zu hinterfragen und selbstständig nach Lösungen zu suchen. Hinzu kommen mehr und mehr das Arbeiten im Team, das Einholen von Rückmeldungen (‚Feedback‘) und das Ableiten von Erkenntnissen daraus (Dirschedl 2012, 5). Damit konkretisiert dieses dem Lehrwerk „Berufsdeutsch“ zugrundeliegende Konzept die Forderung von Königs (2012) nach stärkerer Aufmerksamkeit auf den Übergang vom Wissen zum Können in der Bildung im Allgemeinen und in der Sprachdidaktik im Besonderen. Unstrittig ist dabei, dass die Beherrschung der deutschen Sprache in der Schul- und Berufsausbildung der Schlüssel zum Erfolg ist (Bildungsgerechtigkeit. Jahresgutachten 2007 der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft; DESI 2008; PISA 2009; 2006; Politik- Check Schule 2008 des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft). Um den diagnostizierten Missstand zu beheben, sind inzwischen eine Reihe von Vorschlägen für den ergänzenden bildungssprachlichen Deutschunterricht entwickelt worden, die auch im Rahmen der Berufsausbildung genutzt werden können (BAMF 2013; vgl. auch die programmatischen Arbeiten von Leisen 2009 und Ohm et al. 2007 in Bezug auf die fachsprachliche Förderung von Berufsschülerinnen und -schülern, siehe auch Rösch 2004). Die Vorreiterrolle der bereits genannten Lehrmaterialien „Berufsdeutsch“ (Dirschedl 2012) ergibt sich dabei vor allem aus deren konsequenter Orientierung an pragmatischen Konzepten von Sprache sowie an authentischen Anforderungen und szenariendidaktischen Umsetzungen des Berufsalltags. Darüber hinaus wird auch für interkulturelle Kompetenzen sensibilisiert. Das Konzept von „Berufsdeutsch“ versteht sich in erster Linie als ein Ansatz zur Berufsausbildung, bei dem sprachliche Instrumente konstitutiv für die berufliche Ausbildung sind. Die Reihe besteht aus berufsbezogenen Arbeitsheften mit praxisnahen Handlungssituationen in den drei Ausbildungsjahren (10., 11. und 12. Jahrgangsstufe), und zwar zu den Berufsfeldern Metallbau, Hotel- und Gaststättengewerbe und Einzelhandel. Die Materialpakete umfassen zudem den Basisband zum Vertiefen sprachlicher, sozialer und methodischer Kenntnisse. Bei dieser Vertiefung handelt es sich um einen in <?page no="242"?> 242 Jörg Roche die Handlungen integrierten Ansatz, nicht um einen additiven im Sinne von Ellis (s.o.). Aus den Arbeitsheften ergeben sich zahlreiche Schnittstellen zu Lern- und Arbeitswerkzeugen im Internet. Die Auszubildenden, die hier also auch Lerner von Sprache sind, werden mit Hilfe konkreter Handlungssituationen motiviert, in ihrem jeweiligen Ausbildungsberuf Lösungen zu suchen, diese auszuarbeiten, anzuwenden und zu hinterfragen. Internetrecherche, Informationsauswertung und Rollenspiel gehören hier ebenso dazu wie das Lernen in Gruppen oder im Team, die Präsentation der Ergebnisse im Plenum oder in der Öffentlichkeit und das kollegiale Feedback der Arbeitskolleginnen und -kollegen. Für die Schülerinnen und Schüler stehen nicht mehr das Fach Deutsch mit seiner Orientierung auf sprachliche Formen oder die Aufnahme fachlicher Lerninhalte im Mittelpunkt, sondern die unmittelbar erfahrene Berufswelt und authentische Situationen des Arbeits- und Ausbildungsplatzes. Sie werden daher auch nur selten als Schülerinnen und Schüler behandelt, sondern als Auszubildende, die bei steigenden Kenntnissen und Fertigkeiten in erster Linie einen Beruf erlernen und in dieser Rolle im Betrieb verschiedene Aufgaben zunehmender Komplexität zu übernehmen haben. Dass dazu auch der Besuch der Schule gehört, wird nicht als Zäsur, sondern als Beitrag zu einem auf Langfristigkeit ausgelegten Konzept von Lernen vermittelt. Fast alle Aufgaben sind dementsprechend an betriebliche Abläufe angelehnt, die grundsätzlich auch über die Ausbildungszeit hinaus relevant bleiben. Die Betriebsleitung, die Ausbilderinnen und Ausbilder, die anderen Angestellten ihres Betriebes, potenzielle Kunden und die Öffentlichkeit werden in die Aufgaben weitestgehend so einbezogen, wie das auch in einem Betrieb, der Aus- und Weiterbildung ernst nimmt, in der Regel passiert, passieren könnte und passieren sollte. Die Aufgaben umfassen zum Beispiel Beratungsgespräche mit Kunden, Informationsbeschaffung über die besten Abläufe und Materialien, rechtliche Recherchen, das Anfertigen von Skizzen für bestimmte Produkte oder die Erarbeitung von Einkaufslisten oder Bankettmappen, die Präsentation von Ergebnissen bei der Ausbildungs- und Betriebsleitung und bei Kunden, das Führen verschiedener Arbeitsportfolios, bis hin zu Überlegungen und Planungen einer Firmengründung. Es wird dabei - wie bei authentischen Betriebsabläufen - in unterschiedlichen Textsorten viel gehört, gelesen, gesprochen und geschrieben. Es sind nur einzelne Ausnahmen verblieben, die an traditionelle Sprachförderung oder schulische Sprachausbildung erinnern. So gibt es keine Diktate und kaum mehr Einsetzübungen oder andere typisch schulische Übungsaktivitäten ohne kontextuelle Anbindung. Vielmehr fertigen die Azubis Listen an, korrigieren in Eile geschriebene Briefe ihrer Chefs oder machen aus schlampigen Notizen ihrer Kolleginnen, Kollegen oder Vor- <?page no="243"?> Zur Sprachlosigkeit des Sprachunterrichts und seiner Didaktik 243 gesetzten vorzeigbare Angebote, Briefe und Präsentationen. Die essenziellen Ergebnisse ihrer Arbeiten, also ihres Lernens, präsentieren sie im Arbeitsteam und gegenüber Kunden und Gästen (in Rollenspielen) oder gelegentlich auch im Internet. Alle Handlungssituationen in den Arbeitsheften sind so aufgebaut, dass ausgehend von einer stets berufsbezogenen Situation das aktive Tun der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt steht. Der Handlungsstrang der Situation ist durch einen Blick in die Tabellenübersicht zu Beginn eines jeden Kapitels schnell zu erfassen. Hier finden sich - vor allem als Orientierung für die Lehrkräfte - auch sämtliche aus der Handlungssituation abgeleitete Einzelschritte mit dem Verweis auf die entsprechenden Arbeitsblätter und Seiten im Basisband. Die Arbeitsblätter können zumeist sowohl in der vorgeschlagenen Reihenfolge erarbeitet werden, als auch - abhängig von der Stundensequenz und Flexibilität der Lehrkraft - in individuell zusammengestellter Reihenfolge behandelt werden. Jede Teilhandlung (als Element der komplexen Handlungssituation) ist in sich geschlossen konzipiert. Häufig ist auch im Sprachunterricht der Weg das Ziel, denn nicht alle Schülerinnen und Schüler müssen stets gleiche Ansätze und Lösungswege entwickeln. Daraus abgeleitet ergeben sich für die Lehrkräfte auch neue Wege der Unterrichtsgestaltung und somit auch neue Lehrrollen. Die strikte Trennung zwischen Sprach- und Fachunterricht kann aufgehoben werden. Dies hat unter anderem folgende didaktische und logistische Vorteile: • erstens wird Sprachausbildung damit auch zur Aufgabe des Fachunterrichts und stärkt die Verantwortung der Fachlehrkräfte für Sprache, • zweitens bekommt der oft als abgehoben geltende Deutschunterricht Relevanz und Transparenz für alle Beteiligten • und drittens lässt sich damit das oft an Berufsschulen bestehende Defizit an Deutschlehrkräften ausgleichen. Abhängig vom gewählten Weg durch eine Handlungssituation (und abhängig von ihrer eigenen Motivation und ihrem professionellen Selbstverständnis) wird die Lehrkraft zum Motivator, Begleiter und Moderator. Dafür sind gerade Fachlehrerinnen und Fachlehrer hervorragend qualifiziert, weil sie mit den Handlungsabläufen am Arbeitsplatz und den entsprechenden sprachlichen Anforderungen im Betrieb gut vertraut sind und die Fachbegriffe gut kennen. 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(Königs 2004, 179f) Eine Praxis des Übersetzungsunterrichts wie diese hier von Frank Königs beschriebene erklärt, warum das Übersetzen im Fremdsprachenunterricht mancherorts einen so schlechten Ruf hat. Mit diesem, mit den lernerzentiertkooperativen Alternativen zu dieser Praxis und der Frage, wie weit Übersetzungen und Sprachmittlungen im Fremdsprachenunterricht kommunikativ-funktional sein können, beschäftigt sich das erste Kapitel dieses Artikels. Die beiden folgenden sprechen Fragen an, die in der Sprachlehrforschung weniger intensiv diskutiert werden, mit der Zulässigkeit und der Rolle von Übersetzungen literarischer Texte in einem fremdsprachenphilogischen Studium und mit dem landes-/ kulturkundlichen Potenzial der Beschäftigung mit Übersetzungen. 1 Übersetzungen im Unterricht: Funktional und kooperativ statt isoliert und lehrerzentriert Das Übersetzen hat im Fremdsprachenunterricht Höhen und Tiefen erlebt. Als zentraler Bestandteil der sogenannten Grammatik-Übersetzungsmethode wurde es als eine Art Königsweg des Fremdsprachenlernens, vor allem auch Übersetzen und Übersetzungen als sprachdidaktische und kulturkundliche Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht <?page no="248"?> Dietmar Rösler 248 der Überprüfung des Erfolgs von Fremdsprachenlernen, gesehen und wird es überall dort, wo diese methodische Grundannahme weiterhin Bestand hat, auch immer noch gesehen. Als Gegenreaktion auf diese exponierte Position ist dem Übersetzen als Teil des gesteuerten Fremdsprachenlernens großes Misstrauen entgegengebracht worden. In dogmatisch einsprachigen Ansätzen wie der direkten Methode war es ohnehin verpönt, aber auch im Anschluss an diese sind Übersetzungen zum Teil aus den Curricula verdrängt worden (vgl. Rösler 2012, 68ff). Neben dem Ausschluss von Übersetzungen aus einer Position der dogmatischen Einsprachigkeit hat die eingangs skizzierte Unterrichtspraxis sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass das Übersetzen seinen exponierten Status verlor und teilweise gänzlich aus dem Fremdsprachenunterricht verschwand. Aber bereits 1987 hatte Königs darauf hingewiesen, dass eine schlechte Übersetzungspraxis nicht automatisch mit einer generellen Kritik und Vernachlässigung des Übersetzens verwechselt werden sollte: Aber die Tatsache, dass die Übersetzungskurse in Schule und Hochschule bislang eher handgestrickt und nicht selten mit kaum übersehbaren Webfehlern verlaufen sind, spricht ja nicht gegen Übersetzungsübungen per se, sondern allenfalls gegen die dahinterstehenden didaktischen Konzeptionen - so diese überhaupt vorhanden sind/ waren. (Königs 1987, 61) Die harte Kritik an einer lehrerzentrierten Übersetzungspraxis war überall dort dringend erforderlich, wo das Übersetzen isolierter Texte, die weder einen Bezug zu anderen im Unterricht behandelten Texten noch zu anderen Aktivitäten im Unterricht hatten, auf der Stundentafel einen großen Anteil erhielt und einen nicht unbeträchtlichen Teil der geforderten Prüfungsleistungen ausmachte, wie das z.T. in universitären Fremdsprachencurricula der Fall war oder auch noch ist. Mit dieser Kritik wurde aber auch häufig das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Übersetzungen als solche waren negativ. Mit der terminologischen Wende hin zum Sprachmitteln 1 und dem damit 1 Frank Königs sieht Sprachmittlung stärker auf die Inhalte fokussiert im Gegensatz zu einem klassischen formorientierten Übersetzen. Mit Sprachmittlung „wird nämlich die Übertragung von Inhalten von einer Ausgangsin die Zielsprache bezeichnet, wobei die Form keine konstitutive Rolle mehr innehat. Die Formbezogenheit, die in der Übersetzungswissenschaft mit guten Gründen ein wesentliches Kriterien für die Angemessenheit einer Übersetzung darstellt, entfällt im Sprachmitteln zugunsten der Inhaltskonstanz weitgehend. Man kann mit Fug und Recht bedauern, dass damit ein in der Übersetzungswissenschaft durchaus akzeptierter Begriff mit einer bestimmten allseits konnotierten Bedeutung mit neuem Inhalt gefüllt wird. Wo immer man also im fremdsprachendidaktischen Kontext auf den Begriff der Sprachmittlung stößt, ist grundsätzlich die Frage zu klären, was denn genau damit gemeint ist“ (Königs 2010, 1041). <?page no="249"?> Übersetzung und Übersetzungen 249 einhergehenden Versuch, das Übersetzen in einen kommunikativfunktionalen Kontext einzubinden, ist die Diskussion um das Übersetzen als Teil des Sprachunterrichts wieder in ruhigeres Fahrwasser gelangt; abwägende Texte, die die Vor- und Nachteile der Integration von Übersetzungen in den Unterricht gegenüberstellen 2 , zeigen, dass die Diskussion sich nicht auf das Ob, sondern auf das Was und das Wie konzentrieren sollte. Alternativen zum traditionell lehrerzentrierten Übersetzungsunterricht konzentrieren sich auf • die Einbettung der Übersetzungsaktivitäten in kommunikative Kontexte, die das Übersetzen funktional erscheinen lassen, • eine Änderung der Arbeitsformen hin zu mehr kooperativem Arbeiten, • den Beitrag zum Fremdsprachenlernen, den durch Übersetzungen beförderte Sprachreflexionen leisten, und • eine stärkere Fokussierung auf den Übersetzungsprozess als Teil des Sprachlernprozesses. Allgemein gesagt finden Übersetzungen statt, weil ein Text, der in einer bestimmten Sprache produziert wurde, von Personen verstanden werden soll, die dieser Sprache nicht mächtig sind. Eine Mittlerperson, ein Übersetzer, der in beiden Sprachen kompetent ist, springt dann ein und bringt durch seine Übersetzung eine Verständigung zustande. (House 2003, 107) Diese Situation findet man gemeinhin nicht im Klassenzimmer. 3 Sie wird also in den meisten Kontexten zu inszenieren oder zu organisieren 4 sein, zum Beispiel dadurch, dass das Übersetzen im Rahmen eines Projektes kommunikativ funktional wird. So berichtet Zucchi 2008 von Master-Studierenden an der Universität Venedig, die im Rahmen eines Theaterprojektes deutsche Texte ins Italienische übersetzten. Beim Lernen im Tandem, bei dem die Ler- 2 Zusammengefasst finden sich die Pro- und Kontra-Argumente in Königs (2000, 8) und Königs (2010, 1042). 3 Abgesehen von dogmatisch einsprachigem Unterricht, wo es vorkommen kann, dass die in den Institutionen meist vorherrschende Ideologie, die Lehrenden müssten Muttersprachler der Zielsprache sein, dazu führen kann, dass eher die Ausgangssprache nicht beherrschende Muttersprachler unterrichten als didaktisch kompetente mehrsprachige Lehrer, deren Erstsprache aber die der Lernenden ist. 4 „Es geht […] darum, authentische kommunikative Situationen mit Sprachmittlungsanteilen nicht länger zu ignorieren. Nach allem, was wir wissen, wird dies dann erfolgreich sein, wenn wir Sprachmittlungsaufgaben nicht als analytische Kopfgeburten missbrauchen, sondern sie als bodenständigen Teil einer Kommunikation zwischen Angehörigen unterschiedlicher Sprach- und Kulturgemeinschaften begreifen“ (Königs 2008, 309). <?page no="250"?> Dietmar Rösler 250 nenden gemeinsam beschließen, wie sie zusammenarbeiten und womit sie sich beschäftigen wollen, ist das Übersetzen in den folgenden Situationen zu beobachten und als Hilfe zum Verstehen eine sinnvolle Tätigkeit: 1.Wenn einer der Partner etwas in der Fremdsprache nicht adäquat ausdrücken kann oder dabei unsicher ist. 2. Wenn einer der Partner eine Äußerung nicht sicher versteht. 3. Wenn einer der Partner Übersetzen als eigene Kompetenz üben will. (Brammerts/ Kleppin 2000, 40) Nun wird es in den meisten gesteuerten Lernkontexten nicht ohne Weiteres möglich sein, in ausreichendem Umfang Situationen herbeizuführen, die ‚echte‘ Übersetzungen möglich machen, auch wenn die durch die mit dem Aufkommen der digitalen Medien verbundenen Chancen für ‚echte‘ Kommunikation auch beim gesteuerten Lernen außerhalb des zielsprachlichen Raums steigen (vgl. Kap. 5 in Rösler 2013). Daraus lässt sich entweder schließen, dass das Übersetzen im Fremdsprachenunterricht nur eine eher periphere Rolle spielen kann, oder es muss unter Anerkennung der unhintergehbaren Künstlichkeit des gesteuerten Fremdsprachenlernens überlegt werden, inwieweit die anderen drei oben angeführten alternativen Herangehensweisen, vor allem, wenn sie sinnvoll miteinander kombiniert werden, eine Integration von Übersetzungsaktivitäten in das Fremdsprachcurriculum sinnvoll erscheinen lassen. Königs (2009) weist darauf hin, dass durch die Erstellung einer Interlinearübersetzung in eine bis zu einem gewissen Grad beherrschte verwandte Sprache beide beteiligten Sprachen tiefer durchdrungen werden können. Relevant für diesen Reflexionsprozess ist die Wahl der Arbeitsform: Dabei ist wichtig, dass möglichst viele der reflektierenden Arbeitsschritte in Formen kooperativen Lernens durchgeführt werden. Die Lernenden informieren sich dabei gegenseitig über ihre Lernwege und gewinnen damit Einblicke in das Lernen anderer, die auch für das eigene Lernen durchaus hilfreich sein können. (Königs 2009, 34) Wichtig für die Lernenden ist dabei auch eine Diskussion vorhandener Hilfsmittel. 5 Von besonderem Interesse für Lehrende können linguistisch- 5 Diese haben sich traditionell auf den Einsatz der für den Unterricht angeschafften Wörterbücher beschränkt. Seither wird der Umgang mit digitalen Hilfsmitteln immer wichtiger. Auch dieser ist einem Reflexionsprozess zu unterziehen, z.B. bezogen auf den Unterschied zwischen dem Übersetzen als Teil des Fremdsprachenlernens und dem Übersetzen als bestimmendem Tätigkeitsmerkmal einer Profession und den daraus resultierenden unterschiedlichen Umgangsweisen mit Nachschlagewerken. Einen Überblick über Internetquellen als Nachschlagewerke für Übersetzer im Bereich Deutsch-Italienisch liefert Riediger (2008), ein Überblick über gedruckte und elektronische Hilfsmittel für Übersetzer und Dolmetscher findet sich in Albrecht (2005, 60ff). <?page no="251"?> Übersetzung und Übersetzungen 251 kontrastive Arbeiten sein, die lexikalisches Material wie z.B. falsche Freunde 6 sammeln oder Primärtexte im Hinblick auf bestimmte Phänomene analysieren. So wertet z.B. Kirschnick (2003) deutschsprachige literarische Texte und ihre Übersetzungen ins Chinesische im Hinblick auf die Übersetzung von Phraseologismen aus und präsentiert Auszüge aus Kinder- und Jugendliteratur, Trivial- und Unterhaltungsliteratur und Nachkriegsliteratur unter bestimmten Fokussierungen wie Phraseologismen als Stilelemente oder deren Beitrag zur Charakterisierung von Situationen und Personen. Auch bei Übersetzungsaktivitäten, die sich auf einzelne Phänomene beziehen, sind Landeskunde und Spracharbeit oft untrennbar miteinander verbunden. Das beginnt auf dem Sprachniveau A1, wenn eine Anredeform übersetzt wird und eine Herausforderung darstellt, egal, ob es sich dabei um ähnlich klingende Pronomen handelt, deren scheinbar mögliche Parallelsetzung gesellschaftlich unterschiedliche Verteilungen der jeweiligen Anredeform überdeckt, oder ob sehr unterschiedliche und unterschiedlich weitgehend differenzierte Anredeformen im Spiel sind. 7 Und das endet nie, denn auch bei lebenslangem Spracherwerb bis zu sehr hohen Niveaustufen und dem Übergang in einen bilingualen Alltag wird man ab und an auf sprachliche Phänomene stoßen, die man als zwischen den vorhandenen Sprachen parallel gesehen und dementsprechend übersetzt hat - und nach jahrelanger Praxis muss man dann erkennen, dass man Nuancierungen übersehen hat. Sich auf Übersetzungen stützende Sprachreflexionen müssen eingebettet sein in einen Übersetzungsunterricht, der sich vom von Königs (1987) beschriebenen Alltag eines lehrer- und fehlerzentrierten Unterrichts entfernt und sich zu einem lernerbezogenen und kooperativen Vorgehen hinwendet. Da es keine empirische Bestandsaufnahme der Verbreitung der verschiedenen Vorgehensweisen gibt, kann man keine gesicherten Aussagen zur heutigen Praxis des Übersetzungsunterrichts machen, man kann höchstens auf der Basis der die Übersetzungspraxis diskutierenden Fachliteratur Spekulationen über den Wandel anstellen. Bereits in Rösler (1980) wurden kleinere lernerbezogene Aktivitäten, die sich auf den Übersetzungsprozess beziehen, wie z.B. das Spiel „Stille Post“ als Vehikel zur Sensibilisierung für Unterschiede 8 beschrieben. Dieser zu Beginn 6 Die Übersetzung der sog. falschen Freunde lenkt Aufmerksamkeit auf vermeintliche sprachliche Ähnlichkeiten (einen Überblick über mögliche falsche Freunde des Deutschen im Vergleich zum Englischen, Französischen, Italienischen und Spanischen liefert Albrecht 2005, 133ff). 7 Albrecht (2005, 192ff) liefert eine Reihe von Beispielen aus Übersetzungsvergleichen von literarischen Texten, an denen man diese Problematik behandeln kann. 8 So etwas lässt sich natürlich auch als große ästhetische Unternehmung betreiben, wie Thirlwell (2013) mit Multiples eindrucksvoll bewiesen hat. Der Kritiker Michael <?page no="252"?> Dietmar Rösler 252 des Jahres 1980 verfasste Beitrag und solche wie die Königs ’ (1987) sind typisch für erste Versuche, lehrer- und fehlerzentrierten Übersetzungsunterricht durch eine Vorgehensweise zu ersetzen, bei der der Lernprozess, die Aktivitäten der Lernenden und Kooperationen im Mittelpunkt stehen. Im Jahr 2000 bringt die Zeitschrift Fremdsprache Deutsch ein Themenheft zum Übersetzen heraus, das unter der programmatischen Überschrift Übersetzen im Deutschunterricht? Ja, aber anders! (Königs 2000) steht. Dort liefert u.a. Rodrigues (2000) an Beispielen aus dem brasilianischen Deutschunterricht Vorschläge zum Bewusstmachen der Strategien und zur Fokussierung auf den Übersetzungsprozess. In Rösler (1998, 149ff) 9 wird Schritt für Schritt kooperativer Übersetzungsunterricht beschrieben, in dem anhand von von Kleingruppen erstellten unterschiedlichen Varianten eines zu übersetzenden Textes Übersetzungsstrategien, die Funktion unterschiedlicher Hilfsmittel während des Übersetzungsprozesses und die Frage behandelt werden, was eine sprachstandsangemessene Übersetzung ausmacht. Auch Lindemann (2001) plädiert dafür, den Lernprozess in den Vordergrund zu stellen: Statt im Unterricht und in den unterrichtbegleitenden Übungen ausschließlich das Endprodukt in den Vordergrund zu stellen, biete es sich z.B. an, den individuellen Übersetzungsprozess zum Unterrichtsmittelpunkt zu ernennen. Aufgabenstellungen, die den Weg des einzelnen Lerners zu der - zumindest von ihm so empfundenen - korrekten Übersetzungsalternative in den Vordergrund rücken, problematisieren den Übersetzungsvorgang per se und ermöglichen es dem Lerner, im Laufe des Übersetzungskurses einige der wichtigsten eigenen Übersetzungsprozesse konkret zu beobachten und sich der eigenen Sprachverwendung bewusst zu werden. (Lindemann 2001, 157) 2 Übersetzungen in fremdsprachenphilologischen Studiengängen? Verglichen mit dieser intensiven und sehr engagiert geführten Diskussion um die Rolle des Übersetzens als Teil des Sprachlernprozesses hat die Beschäftigung mit Übersetzungen außerhalb von Studiengängen, die das Übersetzen zum Gegenstand haben, relativ wenig Beachtung gefunden. Dabei kann eine derartige Thematisierung auf zwei Ebenen von Interesse sein: a) als Frage danach, inwieweit in literaturwissenschaftlichen Studiengängen mit Überset- Wood beschrieb die dort vorkommenden Übersetzungen wie folgt: „The translations veer from subtle fidelity of the kind Borges asks us not to believe in to forms of deviance that are goofy or inspired, and in one or two cases, goofy and inspired“ (Wood 2013, 29). 9 Kurz wiedergegeben in Rösler (2000). <?page no="253"?> Übersetzung und Übersetzungen 253 zungen gearbeitet werden kann/ darf/ muss und b) als Frage danach, welches Potenzial eine Beschäftigung mit Übersetzungen für den Landeskundeerwerb haben kann. b) wird in Kap. 3 zumindest etwas ausführlicher behandelt, a) kann aufgrund des knappen zur Verfügung stehenden Platzes hier nur kurz angesprochen werden. Alle Fremdsprachenphilologien müssen sich der Frage stellen, wie ihre Studierenden mit den sprachlichen Herausforderungen der literarischen Texte ihres Curriculums umgehen. Eine manchmal verwendete Lebenslüge, man behandle die Texte in der Originalsprache, während stillschweigend akzeptiert wird, dass die Studierenden die Texte in einer Übersetzung lesen, ist ja nur eine der Möglichkeiten, auf die kuriose Situation zu reagieren, dass Lernende einer Fremdsprache, wenn man sie als Studierende dieser Fremdsprache ansieht, in den sogenannten Fachseminaren plötzlich keine Sprachprobleme mehr zu haben scheinen. Eine Alternative zu dieser auf die sprachlichen Kompetenzen der Studierenden nicht eingehenden Position müsste das ggf. vorhandene Gefälle zwischen erreichter Sprachkompetenz und dem Sprachniveau der literarischen Texte zum Ausgangspunkt hochschuldidaktischer Überlegungen machen und versuchen, die Fachseminare mit leseverstehensfördernden Sprachunterrichtsseminaren so zu verbinden, dass beide nicht nur von der Existenz des jeweils anderen wissen, sondern sogar aufeinander bezogen sind. In Rösler (1998, 88ff) wird eine derartige Kooperation von sprach- und literaturwissenschaftlichen Fachseminaren beschrieben. Als Reaktion auf den Unterschied zwischen Sprachstand der Lernenden und sprachlichem Niveau des Textes lässt sich in den Fachseminaren durch spracharbeitsähnliche Maßnahmen unter Anerkennung der potenziellen Zweisprachigkeit des Seminars 10 das Verstehen unterstützen. Umgekehrt kann man innerhalb des universitären Sprachunterrichts für Studienanfänger in einem speziellen Lesekurses für literarische Texte Lesestrategien behandeln, Erfolgserlebnisse bei der Lektüre schwieriger Texte schaffen und die Literaturkurse vorentlasten. Dabei wird ein Übergabepunkt an das Seminar gefunden werden müssen, der theoretisch gar nicht so einfach zu bestimmen, aber praktisch möglich ist . Erst wenn derartige Konstruktionen erschöpft sind oder sich als nicht ausreichend erweisen, ist es sinnvoll, mit Übersetzungen zu arbeiten - dann aber nicht ‚heimlich‘ und unreflektiert, sondern so, dass das Spezifische an Übersetzungen ebenfalls thematisiert und produktiv gemacht wird. 10 Zur Interaktion von Sprach- und Fachseminaren generell und zur (fehlenden) Nutzbarmachung der Zweisprachigkeit in fremdsprachenphilologischen Seminaren vgl. Rösler (2006). <?page no="254"?> Dietmar Rösler 254 3 Das Potenzial von Übersetzungen für den Landeskundeerwerb Eher wenig diskutiert werden die Möglichkeiten, die sich aus dem Vergleich von Übersetzungen für die landeskundliche Diskussion ergeben. Für die Fremdsprachendidaktik produktiv machen kann man hier die prinzipielle Herausforderung, vor der jeder Übersetzer steht und die Friedrich Schleiermacher bereits im Jahre 1813 in einem Vortrag vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften Berlin beschrieben hatte: Aber nun der eigentliche Uebersetzer, der die beiden ganz getrennten Personen, seinen Schriftsteller und seinen Leser wirklich einander zuführen und dem letzten ohne ihn jedoch aus dem Kreise seiner Muttersprache heraus zu nöthigen, zu einem möglichst richtigen und vollständigen Verständniß und Genuß des ersten verhelfen will, was für Wege kann er hiezu einschlagen? Meines Erachtens giebt es deren nur zwei. Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen. Beide sind so gänzlich von einander verschieden, daß durchaus einer von beiden so streng als möglich muß verfolgt werden, aus jeder Vermischung aber ein höchst unzuverlässiges Resultat nothwendig hervorgeht, und zu besorgen ist, daß Schriftsteller und Leser sich gänzlich verfehlen. (Schleiermacher 2002, 74) Diese Gegenüberstellung Schleiermachers, die man heutzutage manchmal mit den Gegensatzpaaren ‚wörtlich vs. frei‘ oder ‚verfremden vs. einbürgern‘ bezeichnet findet, ist etwas, was in der Übersetzungsdidaktik im Alltag des Sprachunterrichts kaum Beachtung findet, zu sehr ist häufig das Übersetzen auf den Kampf mit den richtigen Formen und der Suche nach den angemessenen Wörtern beschränkt, als dass die kulturell herausfordernden Fragen eine Rolle spielen können. Diese Diskussion um das Verfremden und das Einbürgern ist in dem Moment fremdsprachendidaktisch von Relevanz, in dem man sich mit Übersetzungen in der kulturkundlichen/ landeskundlichen Diskussion befasst. Hier sind die Übersetzer, die den Schriftsteller dem Leser entgegenbewegen, eine interessante Quelle für kulturkundliche Unternehmungen, machen sie doch implizit deutlich, was sie an der Ausgangskultur für (zu) fremd für den zielkulturellen Leser halten und mit was für Mitteln sie versuchen, dieses Fremde genießbar zu machen. Umgekehrt liefern die Übersetzer, die den Schriftsteller unbewegt lassen, eine Sperrigkeit, die es dem zielkulturellen Leser erlaubt, schneller auf das Andere aufmerksam zu werden. Plötzlich sind die Eingriffe der Übersetzer - die sowohl Zeugnisse für die Annahmen über die Leser sind als auch Ausdruck der gesellschaftlichen Normen der Kultur , <?page no="255"?> Übersetzung und Übersetzungen 255 in die übersetzt wird - herausfordernde Gegenstände für kulturkundliches Vergleichen. Diese kulturellen Adaptionen sind besonders bei der Übersetzung von Kinderliteratur häufig. So konstatierte House (2003, 119): Anhand eines Korpus englischer und amerikanischer Kinderbücher und ihrer Übersetzungen ins Deutsche wurde gezeigt, wie in den Übersetzungen ein kultureller Filter angelegt wurde, der dazu führte, dass die Originale missverstanden und ideologisch bedingten Veränderungen unterworfen wurden. Es lässt sich vermuten, dass die Originale oft absichtlich missverstanden wurden, was dazu führt, dass die Übersetzung als nicht äquivalent zum Original angesehen werden muss. Inwieweit es sich bei Abweichungen vom Original um Missverständnisse handelt und nicht um die Herstellung von Gleichwertigkeit 11 , kann an dieser Stelle 12 nicht diskutiert werden. Hier geht es darum festzuhalten, dass in kinderliterarischen Texten als Texten, die sowohl dem pädagogischen als auch dem literarischen System zuzuordnen sind, ‚Zensurmaßnahmen‘, die als Anpassungen an den Horizont der kindlichen Leser intendiert sind, besonders häufig auftreten. Die Vergleichende Kinderliteraturforschung liefert eine Vielfalt von Beispielen für diese Anpassungen. Pippi Langstrumpf, die mit ihren Freunden auf dem Dachboden mit Pistolen spielt, muss in einer 1965er Übersetzung ins Deutsche ihren Freundinnen sagen, Pistolen seien nichts für Kinder, man solle sie lieber wieder in die Kiste legen - eine Figurenrede im groben Widerspruch zur Charakterisierung der Figur. In vielen Übersetzungen von Gullivers Reisen wird dessen Methode des Feuerlöschens mittels Urinieren ersetzt, z.B. durch einen Hut voll Meerwasser. In der hebräischen Übersetzung des Vorworts zu Emil und die drei Zwillinge aus dem Jahre 1937 darf Onkel Karl keinen Teller gegen die Wand schmeißen, weil damit eine männliche Respektsperson der Lächerlichkeit preisgegeben wäre usw. usf. Diese und viele andere Beispiele finden sich in O’Sullivan (2000, 192ff). Ein Vergleich von Übersetzungen literarischer Texte kann im Fremdsprachenunterricht also die Basis sein für eine kulturwissenschaftlich angelegte Erkundung sprachlicher 13 und gesellschaftlicher Normen der Zielkultur zu 11 Äquivalenz, so Albrecht (2005, 33), bedeutet nicht ‚Gleichheit‘ sondern ‚Gleichwertigkeit‘. 12 Eine ausführliche Diskussion der Spezifika des Übersetzens von Kinderliteratur findet sich in O’Sullivan (2000, 172ff). 13 Auch der Spracherwerb von Fortgeschrittenen kann von derartigen Vergleichen profitieren. Ein so komplexes Phänomen wie die Mündlichkeit, 2014 gerade Gegenstand der Frühjahrestagung der Fremdsprachendidaktiker (vgl. Burwitz-Melzer/ Königs/ Riemer 2014), lässt sich durch Vergleiche von Übersetzungen literarischer Texte <?page no="256"?> Dietmar Rösler 256 einem bestimmten Zeitpunkt im Vergleich zu den in der Ausgangskultur vorherrschenden Normen. Je mehr ein derartiges Vorgehen kombiniert werden kann mit von den Lernenden selbst durchgeführten Übersetzungen, bei denen die gewählten Schritte im Übersetzungsprozess reflektiert werden, und/ oder mit einer Befassung mit Original und Übersetzungen von Texten des Literaturkanons, desto eher wird es möglich sein, Übersetzungen als integrierten Teil des Sprach- und Kulturerwerbs zu betrachten und die Frage nach dem Ob von Übersetzungen durch eine differenzierte Erörterung des Was und Wie zu ersetzen. Literatur Albrecht, Jörn (2005): Übersetzung und Linguistik. Tübingen: Gunter Narr. 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Schwitalla/ Tiittula (2005) analysieren eine Reihe deutscher und finnischer Romane im Hinblick auf ihre Übersetzungen in die jeweils andere Sprache bezogen auf die Übersetzung von Mündlichkeit. <?page no="257"?> Übersetzung und Übersetzungen 257 metschwissenschaft. Wege in eine neue Disziplin. Wien: Edition Praesens, 179- 187. Königs, Frank G. (2008): „Vom Kopf auf die Füße stellen? Vom Sinn und Unsinn des Sprachmittels im Fremdsprachenunterricht“. In: Myczko, Kazimiera/ Skowronek, Barbara/ Zabrocki, Wladislaw (Hrsg.): Perspektywy glottodydaktyki i jezykoznawstwa. Posen: Wydaw. Naukow UAM, 287-312. Königs, Frank G. (2009): „Der Faktor ‚Kontrastivität’ beim Fremdsprachenlernen: Einige Überlegungen vor dem Hintergrund der Mehrsprachigkeitsdidaktik“. In: Albl-Mikasa, Michaela/ Braun, Sabine/ Kalina, Sylvia (Hrsg.): Dimensionen der Zweitsprachenforschung. Dimensions of Second Language Research. Festschrift für Kurt Kohn. Tübingen: Gunter Narr, 29-37. Königs, Frank G. 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Königs stets dafür ausgesprochen, der Individualität der Lernenden und des Lernens Rechnung zu tragen, Mythen und Dogmen der Fremdsprachenforschung zu hinterfragen und nicht einseitig auf Lehrformen zu beharren, die einer bestimmten Tradition verpflichtet sind. 1 Von diesen Überzeugungen ausgehend plädiere ich in meinem Beitrag dafür, bei der Vermittlung von Modalpartikeln (im Folgenden MPn) Prinzipien aus verschiedenen Ansätzen aufzugreifen, um auf diese Weise den Bedürfnissen verschiedener Lerntypen besser gerecht werden zu können. Ausgehend von den Funktionen und der Relevanz der MPn skizziere ich zunächst Schwierigkeiten, die mit der Vermittlung der MPn verbunden sind. Anschließend stelle ich dar, welche Anknüpfungspunkte sich aus bisherigen Vorschlägen zur MP-Didaktik ergeben und weise auf Probleme und noch bestehende Lücken hin. Auf dieser Basis schlage ich ein integratives Vorgehen vor, bei dem die Vermittlung der MPn mit dem Einsatz der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ verbunden wird. Der Beitrag schließt mit Beobachtungen zur Umsetzung des Verfahrens in der Praxis. 2 Funktionen der Modalpartikeln und Problematik im Vermittlungskontext Modalpartikeln sind erst mit der kommunikativ-pragmatischen Wende und der damit einhergehenden Hinwendung zur gesprochenen Sprache in den Blick sprachdidaktischer Überlegungen gerückt. Als typisches Phänomen der deutschen Alltagssprache, besonders der gesprochenen Sprache, sind sie für eine idiomatische Ausdrucksweise unerlässlich. Beispiele (1) bis (4) illustrieren zentrale Funktionen, die die MPn übernehmen können 2 : 1 Vgl. z.B. Königs (2010; 2011). 2 Für ausführliche Beschreibungen der MP-Funktionen vgl. Diewald (2007), Helbig (1994, 55ff) und Möllering (2004, 31ff). <?page no="260"?> Dagmar Silberstein 260 (1) Machen Sie ruhig das Fenster auf. (2) Komm doch mit! (3) Du kannst aber gut tanzen! (4) Wollt ihr etwa schon gehen? In (1) und (2) bewirken die MPn eine Veränderung der mit den Äußerungen verbundenen Illokutionen: Ohne ruhig wäre (1) eine Aufforderung, so ist es eine Erlaubnis, in (2) wird durch die Verwendung der MP doch aus einer Aufforderung ein Vorschlag. In (3) enthält die MP Informationen zur Sprechereinstellung: aber verweist auf einen Kontrast zwischen den Annahmen des Sprechers 3 und der Realität: Er hätte nicht erwartet, dass der Gesprächspartner so gut tanzen kann. In (4) schließlich weist die MP auf die Erwartungen an den Hörer hin und bringt eine Antwortpräferenz zum Ausdruck: Der Einsatz von etwa signalisiert, dass der Sprecher eine Antwort im Sinne von „Nein, wir bleiben noch.“ bevorzugen würde, von den Gesprächspartnern also erwartet, dass sie noch nicht gehen. Der Erwerb dieser Nuancen - vom Verständnis der Funktionen bis zur eigenen Verwendung der MPn - bereitet im Kontext Deutsch als Fremdsprache selbst fortgeschrittenen Lernern Probleme. Castell (2008) bezeichnet in seiner an spanischsprachige Deutschlerner gerichteten Grammatik die MPn sogar als das schwierigste Phänomen, mit dem die deutsche Sprache die Lernenden konfrontiert. 4 Aber auch für die Lehrenden erweisen sich die MPn als Herausforderung: So hatte schon in den 1970er Jahren das Projekt „Lehrschwierigkeiten“ vom Goethe-Institut München die Vermittlung der MPn als eines der meistgenannten Probleme für DaF-Lehrende ermittelt 5 , und obwohl die MPn inzwischen besser erforscht, ausführlicher beschrieben und in aktuelle DaF- Lehrwerke aufgenommen worden sind, nehmen viele Lehrende sie bis heute als Lehrproblem wahr. Die mit der Vermittlung der MPn verbundenen Schwierigkeiten haben verschiedene Ursachen: Zum einen ist das Phänomen der MPn vielen Lernenden aus ihrer Muttersprache nicht bekannt, da die von den MPn übernommenen Funktionen in vielen Sprachen teils mit anderen Mitteln, wie z.B. der Intonation, teils auch gar nicht ausgedrückt werden. 6 Schwierig für die Lernenden ist auch, dass Modalpartikeln Gegenstücke in anderen Wortarten haben, z.B. aber und denn bei den Konjunktionen, ja und etwa in anderen 3 Aus Gründen der Lesbarkeit verwende ich die maskulinen Formen generisch. 4 Castell (2008, 406): „Las partículas modales constituyen para el extranjero el fenómeno más difícil de la lengua alemana“. 5 Siehe den Projektbericht von Götze et al. (1979). 6 Vgl. die Analyse von Beerbom (1992) zum Spanischen. <?page no="261"?> Der Einsatz der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ für die Vermittlung von Modalpartikeln 261 Partikelklassen, doch bei den Konjunktionen und in anderen Partikelklassen, ruhig und einfach bei den Adjektiven. Zum anderen sind die MPn ein Gegenstand, der auch innerhalb der Linguistik bis heute für Kontroversen sorgt, so dass die didaktische Aufbereitung der MPn auf keinen gemeinsamen Konsens zurückgreifen kann, was dazu führt, dass die Darstellung der MPn in Grammatiken und Lehrmaterialien oft widersprüchlich ist. 3 Vorschläge zur Vermittlung der Modalpartikeln: Anknüpfungspunkte, Probleme und Lücken Mit der Erforschung der MPn gingen relativ früh Überlegungen zur Vermittlung der MPn einher. Besonders die 1980er Jahre waren durch eine intensive Diskussion der Frage, wie man Partikeln lehrbar machen kann, geprägt: So wurden schon 1979 auf einem zum Thema „Partikeln und Deutschunterricht“ ausgerichteten Kongress didaktische Vorschläge und Unterrichtsstudien zu den MPn präsentiert 7 , es entstanden spezielle Partikellehrbücher (u.a. Helbig/ Helbig 1995, Kemme 1979, Weydt et al. 1983), die allgemeinen DaF-Lehrwerke nahmen die MPn im Zuge einer authentischeren Sprachgestaltung in die Dialoge auf, einige Lehrwerke boten Einheiten zur gezielten Vermittlung der MPn an (z.B. Lernziel Deutsch 1983 und Stufen international 1995). Als Ergebnis dieser Auseinandersetzung liegen heute vielfältige Übungsangebote zur Bewusstmachung der MP-Funktionen und zur Abgrenzung von ihren Gegenstücken sowie detaillierte Darstellungen der Funktionsvarianten der einzelnen MPn vor. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf Kognitivierung, explizites Vorgehen und umfassende Bedeutungsangaben setzen, wobei die Beispiele meist konstruiert sind und fast ausschließlich schriftlich präsentiert werden. 8 In der Folge wurden die frühen Arbeiten oft auch kritisch bewertet: Jiang (1994) kritisiert, dass sie die Funktionen der MPn zwar explizit erklären, ihr Verstehen jedoch nicht ausreichend üben, und dass es sich bei den vorgeschlagenen Produktionsübungen vorwiegend um Ergänzungsübungen, Satzumformungen und pattern drills, also um stark gesteuerte Übungsformate, handelt, so dass sowohl Aktivitäten, die das Verständnis der MP-Funktionen aufbauen, als auch Übungsformen, die schrittweise zur freien Anwendung der MPn führen, fehlen (vgl. ebd., 131f). Thurmair (2010) hingegen hinterfragt vor allem den Nutzen der bisher erfolgten didaktischen Aufbereitungen der MP-Bedeutung. Da sie diese teils als zu komplex und abstrakt, teils als ungenau bis trivial, manchmal sogar als unzutreffend einschätzt, stellt sie die Fra- 7 Die Beiträge sind in Weydt (1981) publiziert. 8 Eine Ausnahme stellt die von Rösler (1982) vorgeschlagene Tonbandübung dar, die auch die auditive Dimension einbezieht. <?page no="262"?> Dagmar Silberstein 262 ge, ob sich die MP-Bedeutung überhaupt kognitiv vermitteln lässt und plädiert dafür, MPn nicht über „hochkomplexe kognitive Verfahren“, sondern über „Chunk-Lernen, Imitation und ein gewisses Maß an Automatisierung“ zu vermitteln (Thurmair 2010, 5). Neue Impulse für die MP-Vermittlung finden sich in den Arbeiten von Möllering (2004) und Vyatkina (2007). Beide Vorschläge richten sich an fortgeschrittene Deutschlerner mit englischer Muttersprache. Im deutschsprachigen Diskurs um die MP-Didaktik sind sie erst wenig aufgegriffen worden. Möllering (2004) hat mittels korpuslinguistischer Analyse Strukturen, Muster und Chunks identifiziert, in denen MPn und ihre Gegenstücke häufig vorkommen. 9 Auf der Grundlage dieser Ergebnisse hat sie Arbeitsblätter entwickelt, die den Lernenden helfen sollen, die entsprechenden Muster und Strukturen anhand authentischer Sprachdaten selbst zu erschließen. Durch das Ausgehen von authentischen Daten 10 und das Prinzip des selbstentdeckenden Lernens hebt sich Möllerings Verfahren von den bisherigen Vorschlägen ab. Ihr Vorgehen ist aber auch mit Problemen verbunden: So beruhen die Daten zwar auf der gesprochenen Sprache, präsentiert werden sie jedoch rein schriftlich. Dadurch geht zum einen die auditive Ebene verloren, zum anderen sind die Daten für Nichtlinguisten schwer zu lesen und für Lernende schwer verständlich. 11 Problematisch erscheint mir auch - gerade im Hinblick auf die MPn - die Darbietung der Beispiele in Form von Konkordanzen 12 , da der für das Verständnis der MPn zentrale Gesprächszusammenhang in diesem Format verloren geht und sich die Funktionen, die die MPn im Diskurs übernehmen, so nur schwer nachvollziehen lassen. Insofern können die Materialien zwar dazu beitragen, die für die Lernenden schwierige Unterscheidung der MPn von ihren Gegenstücken zu erleichtern und die Muster, in denen diese auftreten können, bewusst zu machen, die von Jiang (1994) angesprochene Lücke - das Fehlen von Aktivitäten, die zum Verständnis der MP- 9 Diese Ergebnisse sind auch mit Blick auf den Vorschlag von Thurmair (2010) interessant, da sie eine empirische Basis für die Auswahl der zu vermittelnden Chunks bieten. 10 Möllering hat zunächst vier Korpora der gesprochenen Sprache quantitativ analysiert und dann für die Partikeln mit der höchsten Gesamtfrequenz anhand des Telefongesprächskorpus von Brons-Albert (1984) eine qualitative Analyse durchgeführt (vgl. Möllering 2004, 101ff). 11 Für eine weitere Diskussion von Grenzen des Einsatzes authentischer Daten siehe Belz/ Vyatkina (2008, 35). 12 Zur Illustration zwei Beispiele vom Arbeitsblatt zu eben (Möllering 2004, 126): „1 besichtigt, und so, ne. Bloß, es ist eben / du kanns schlecht en Fenster aufm“ „2 A: An un für sich, ja, bloß, es is eben , daß ich doch son bißchen / also“. <?page no="263"?> Der Einsatz der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ für die Vermittlung von Modalpartikeln 263 Funktionen und zur freien Anwendung der MPn führen - schließen sie jedoch nicht. 13 Vyatkina (2007) entwickelt einen Zugang, bei dem die Vermittlung der MPn in einer interaktiv gestalteten Lernumgebung erfolgt: Den inhaltlichen Rahmen bietet ein computervermitteltes Projekt zwischen US-amerikanischen und deutschen Studenten, die sich zur Bearbeitung der Projektaufgaben über E-Mails und im Chat austauschen. Aus den dabei produzierten E- Mails und Chats wurde ein Korpus erstellt, das der Identifizierung spezifischer sprachlicher Probleme der Lernenden und der Materialerstellung für die Vermittlungssequenzen zu den jeweiligen Lernproblemen diente. Die Regularitäten zu den MPn wurden in den Phasen der Spracharbeit teils explizit vermittelt, teils datenbasiert selbst von den Lernenden erschlossen. Parallel dazu lief die Projektarbeit weiter, wodurch die amerikanischen Studenten die Verwendung der MPn bei ihren deutschsprachigen Kommunikationspartnern beobachten und die eigene Verwendung erproben konnten. Anschließend erhielten sie in weiteren Vermittlungssequenzen Feedback zu ihren eigenen Produktionen. Die oben angespochenen Probleme werden in diesem Lernarrangement überzeugend gelöst: Formbezogene Aktivitäten sind in inhaltliche eingebettet, die Lernenden erhalten authentischen input, können die eigene Verwendung in echten Gesprächsanlässen erproben, durch den Bezug zu ihren eigenen Daten sind diese für die Lernenden stets relevant und interpretierbar. Allerdings bleiben auch hier - durch die Ausrichtung auf die Verwendung der MPn in E-Mails und im Chat - auditiver input und mündliche Produktion ausgeblendet. Bezüglich der Zielgruppe ist das Konzept auf den Einsatz mit fortgeschrittenen Deutschlernenden beschränkt, und das Vorgehen ist organisatorisch und zeitlich sehr aufwändig. 14 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die bisherigen Vorschläge trotz vielfältiger Anknüpfungspunkte folgende Aspekte noch zu wenig beachten: Seitens des input fehlt ein Einbezug der für die MPn - als Merkmal der gesprochenen Sprache - wichtigen auditiven Ebene, beim output kommt die Verwendung der MP in der mündlichen Produktion zu kurz und bezüglich der Zielgruppe sind die Vorschläge überwiegend für fortgeschrittene Lernende konzipiert. Im Folgenden möchte ich deshalb für ein Vorgehen plädieren, das Ansatzpunkte aus den bisherigen Vorschlägen - insbesondere die Einbettung der MP-Vermittlung in einen kommunikativen Handlungsrahmen, das 13 Möllering (2004, 244) weist selbst darauf hin, dass ihre Materialien nicht darauf abzielen, die eigenständige produktive Verwendung der MPn zu fördern. 14 So müssen Projektpartner gefunden, die Projektarbeit geplant und koordiniert, das Korpus erstellt und analysiert sowie entsprechende Unterrichtsmaterialien entwickelt werden. <?page no="264"?> Dagmar Silberstein 264 Einbeziehen von Chunks, das Bereitstellen expliziter Erklärungen und das Erteilen von Feedback zu den eigenen Produktionen - aufgreift, aber auch weniger fortgeschrittene Lernende im Blick hat und sowohl die schriftliche als auch die mündliche Verwendung der MPn fördert. Den Rahmen dafür bietet der Einsatz der Fernsehserie „Berlin, Berlin“, wodurch sich auch die bisher vernachlässigte auditive bzw. audiovisuelle Dimension einbeziehen lässt. 4 „Berlin, Berlin“ als Rahmen für eine integrative MP-Vermittlung Lange Zeit als flache Unterhaltung abgetan, ist in den letzten Jahren vermehrt auf das Potenzial von Fernsehserien (auch Soaps bzw. Telenovelas) zur Unterstützung fremdsprachlicher Lernprozesse hingewiesen worden. Für den Einsatz im DaF-Unterricht hat sich dabei „Berlin, Berlin“ - eine erfolgreiche Vorabendserie, die erstmals zwischen 2002 und 2005 ausgestrahlt wurde - als besonders geeignet erwiesen. 15 „Berlin, Berlin“ war nicht nur beim Publikum beliebt, sondern wurde auch von der Kritik positiv aufgenommen und mit mehreren Auszeichnungen gewürdigt. 16 Die Serie erzählt die Geschichte von Lolle, die nach dem Abitur aus ihrem Heimatort in der Provinz in die Großstadt Berlin zieht, von den Abenteuern, die sie dort erlebt, von ihren Problemen und Träumen. Witzig und anspruchsvoll zugleich, zeichnet sich „Berlin, Berlin“ durch sympathische Hauptfiguren aus, die eine hohe emotionale Beteiligung, ein „Mitfiebern“ mit ihren Erlebnissen, ermöglichen. Zugängliche Dialoge und Comic-Sequenzen, die Lolles Gefühle anschaulich visualisieren, unterstützen das Verständnis. Generell liegen verschiedene Gründe vor, warum sich Fernsehserien - und so auch „Berlin, Berlin“ - als Format gut für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht eignen. 17 Ein Grund betrifft die thematische Ebene: Fernsehserien thematisieren wichtige Aspekte des alltäglichen Lebens, wie Familie, Freundschaft, Liebe, Ausbildung, Arbeitsleben, Freizeit - Themen, die für viele Lernende relevant sein dürften und die sich auch mit den curricularen Vorgaben vereinbaren lassen. Ein weiterer Grund liegt auf der sprachlichen Ebene: Weitgehend dialogisch geprägt bieten sie vielfältige Muster für einen interaktiven Sprachgebrauch, der auf der aktuellen Alltagssprache beruht und idiomatische Wendungen sowie Slangausdrücke enthält. Hier leisten Serien nicht 15 Viele Goethe-Institute setzen „Berlin, Berlin“ ein, und es liegen Lehrerhandreichungen (Böhm 2010) mit Kopiervorlagen zur Arbeit mit der Serie vor. 16 Siehe Böhm (2010, 6). 17 Vergleiche die Argumente in Sherman (2003), Thaler (2005) und Böhm (2010). Da sich Fernsehserien in ihrer Thematik und Qualität voneinander unterscheiden, treffen nicht alle Argumente auf alle Serien gleichermaßen zu, so dass jeweils zu prüfen ist, welche Serie sich sprachlich und thematisch für den Unterricht eignet. <?page no="265"?> Der Einsatz der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ für die Vermittlung von Modalpartikeln 265 nur mehr als Lehrwerke, sondern sie sind auch Spielfilmen - die ebenfalls vielfältige Muster enthalten - überlegen, da sie sprachlich meist leichter zugänglich und auf niedrigeren Niveaustufen einsetzbar sind. 18 Darüber hinaus wird oft ein motivationaler Aspekt betont: So gehen Thaler (2005, 36) und Böhm (2010, 5) davon aus, dass Fernsehserien als populäres Format ein Anknüpfen an die Fernsehgewohnheiten vieler Lernender ermöglichen. Schließlich sprechen auch unterrichtspraktische Überlegungen für den Einsatz von Serien: Die einzelnen Folgen umfassen etwa 20 bis 30 Minuten und lassen sich von der Länge her gut in den Unterricht integrieren. Verglichen mit Spielfilmen sind sie für die Lehrkräfte leichter zu bearbeiten, da Sequenzauswahl und Materialerstellung mit weniger Arbeitsaufwand verbunden sind. Im Hinblick auf die MP-Vermittlung stellt „Berlin, Berlin“ eine vielversprechende Grundlage dar: Der Einsatz dieser Serie ermöglicht das mehrkanalige Darbieten von input, der reich an MPn ist, da die Dialoge in „Berlin, Berlin“ durch typische Merkmale der gesprochenen Sprache geprägt sind und viele Wendungen mit MPn enthalten. 19 Durch die für audiovisuelle Medien charakteristische Kopplung von Bild-, Ton- und Textebene lassen sich auch die Intonation sowie Gestik und Mimik einbeziehen - Informationen, die über die verbale Ebene hinausgehen und, wie schon erwähnt, in der MP- Vermittlung bisher wenig beachtet wurden, für das Verständnis der MP- Funktionen und die Wirkung der Äußerung aber ausgesprochen wichtig sind. So lässt sich z.B. bei Äußerungen wie „Wo warst du denn? “, „Komm doch mal! “ ohne die intonatorische Ebene nicht sagen, ob sie freundlich oder ärgerlich wirken. Neben einem geeigneten input bietet „Berlin, Berlin“ aber auch vielfältige Möglichkeiten für die Produktion von output und den Rahmen für einen Unterricht, der das Umsetzen von spracherwerbsförderlichen Prinzipien 20 erlaubt, d.h., der übergreifend aufgaben- und inhaltsbasiert gestaltet ist, bei dem die Bewusstmachung von Funktion, Bedeutung und Eigenschaften der MPn in die inhaltliche Arbeit mit der Serie eingebettet werden kann und der sowohl Chunks mit MPn als auch Erklärungen und Regularitäten bereitstellt. 18 Man denke beispielsweise an die sprachlich (und thematisch) anspruchsvollen Filme „Sophie Scholl - Die letzten Tage“ und „Das Leben der Anderen“, die im DaF- Unterricht häufig auf höheren Niveaustufen eingesetzt werden. Fernsehserien lassen sich dagegen bei entsprechender Aufgabengestaltung schon in den Unterricht mit niedrigeren Niveaustufen sinnvoll einbeziehen. 19 In Silberstein (in Vorb.) beschreibe ich, welche und wie viele MPn in ausgewählten Folgen der Serie verwendet werden, und vergleiche die Ergebnisse mit den MP- Vorkommen in Korpora authentischer Sprache. 20 Vgl. die Zusammenstellung der Prinzipien in Dörnyei (2009, 302). <?page no="266"?> Dagmar Silberstein 266 5 Der Einsatz der Serie in der Praxis: Vorgehen und Erfahrungen Der Einsatz von „Berlin, Berlin“ für die Vermittlung der MPn wurde mit Gruppen auf dem Niveau A2/ 3, B1/ 1 und B1/ 2 am Sprachenzentrum von Volkswagen in Puebla (Mexiko) erprobt. 21 Da sich für die Gestaltung der Aktivitäten verschiedene Möglichkeiten ergeben, skizziere ich zunächst das Vorgehen und gehe dann auf Erfahrungen bei der Umsetzung ein. Als Einstieg wurden die Fernsehgewohnheiten der Lernenden und typische Merkmale von Serien thematisiert, um das Wissen über das Serienformat zu aktivieren, z.B. ob und welche Serien sie schauen, was typisch für dieses Format ist, was sie an Serien mögen bzw. was sie nicht gut finden. Um die Lernenden mit der Handlung und den Charakteren vertraut zu machen und zu ermöglichen, dass sie einen Bezug zu den Figuren aufbauen können, wurde die erste Folge anhand von Fragen zum inhaltlichen Ablauf und zu den Figuren zunächst inhaltlich erschlossen. Ausgehend von Dialogen der ersten Folge wurde dann auf das Phänomen der MPn und die Häufigkeit, mit der sie verwendet werden, aufmerksam gemacht. Anschließend folgte eine Phase, in der explizit vermittelt wurde, worin die Funktionen der MPn bestehen, was einzelne MPn 22 bedeuten und wie man sie von ihren Gegenstücken unterscheidet. Die Verwendungen wurden anhand von konstruierten Beispielen, von Chunks und von Sequenzen aus der Serie illustriert. In stark gelenkten Aktivitäten wurden dann zunächst das Unterscheiden der MPn von ihren Gegenstücken und das Ergänzen von MPn in Lückentexten geübt. Danach wurden weitere Folgen von „Berlin, Berlin“ inhaltlich und sprachlich erschlossen und mit Aktivitäten verbunden, die auf das imitative Lernen abzielten - u.a. wurden das Übungsformat read-and-look-up, Laufdiktate und Aktivitäten im Rahmen des Drei-Phasen-Modells 23 eingesetzt. Im Anschluss wurden Gesprächs- und Schreibimpulse, die sich aus der Handlung der Serie ergaben, 21 Die erste Erprobung fand vom 29.08. bis zum 27.10.2011 mit zwei Gruppen (A2/ 3: Schritte international, Band 3 und 4, Lektionen 7-9, 4 Teilnehmer; B1/ 1: Schritte international, Band 5, Lektionen 1-3, 7 Teilnehmer) statt. Die zweite Erprobung wurde vom 16.08. bis zum 04.11.2012 mit einer Gruppe (B1/ 2, Schritte international, Band 5, Lektionen 4-6, 15 Teilnehmer) durchgeführt. 22 Vermittelt wurden die MPn aber, denn, doch, eigentlich, etwa, ja und mal. 23 Das Drei-Phasen-Modell von Tschirner (1999) zielt auf das Speichern des sprachlichen input ab. Dafür werden kurze Filmsequenzen wiederholt gesehen und anhand unterschiedlicher Aufgaben inhaltlich und sprachlich bearbeitet: In der 1. Phase werden Aufgaben gestellt, die allein auf Basis der visuellen Informationen zu beantworten sind, in der 2. Phase muss für die Beantwortung der Fragen die sprachliche Information verstanden werden, und die Aufgaben der 3. Phase beziehen sich thematisch auf die Filmsequenz und dienen der Anwendung und Festigung neuer sprachlicher Elemente. <?page no="267"?> Der Einsatz der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ für die Vermittlung von Modalpartikeln 267 genutzt, um die eigene Verwendung der MPn durch die Lernenden aufzubauen, wobei auf ein schrittweises Vorgehen und eine Verknüpfung mit den Themen der jeweiligen Lektionen geachtet wurde. Die dabei produzierten Dialoge und E-Mails bildeten die Grundlage, um den Lernenden Feedback zu ihren eigenen Verwendungen und weitere Informationen zum Gebrauch und zur Bedeutung der MPn zu geben. Abschließend möchte ich einige Erfahrungen präsentieren, die sich auf das Feedback durch die Lernenden und auf meine eigenen Beobachtungen während der Erprobung stützen. 24 Unter (1) und (2) stelle ich dar, wie die Lernenden die entwickelten Materialien und das didaktische Vorgehen einschätzten und welchen Nutzen sie daraus ziehen konnten. Danach greife ich unter (3) bis (5) einige problematische Aspekte heraus, die sich bei der praktischen Umsetzung des Konzepts - insbesondere beim Einsatz der Serie - ergeben haben. (1) Insgesamt reagierten die Lernenden positiv auf den Einsatz von „Berlin, Berlin“. Die Gesprächs- und Schreibimpulse griffen sie motiviert auf und beteiligten sich aktiv an ihrer Umsetzung. Für den A2/ 3-Kurs haben sich die Aktivitäten, die speziell für die Vermittlung der MPn entwickelt wurden, jedoch als noch zu schwierig erwiesen. Die Lernenden schätzten zwar die Serie als hilfreich ein, um zu sehen, wie die MPn „wirklich“ verwendet werden 25 , aber da das Sprechtempo für sie ungewohnt hoch und ein großer Teil des Wortschatzes noch unbekannt war, fiel es ihnen schwer, den Dialogen der Serie zu folgen und die Aufgaben zu bearbeiten. Im Feedbackgespräch hoben sie hervor, dass die Lückentexte ihnen geholfen haben, Bedeutung und Verwendung der MPn besser zu verstehen. Auf dem Niveau B1 hatten die Lernenden weniger Probleme mit dem Verstehen der Serie. In den Feedbackgesprächen wiesen auch sie auf das alltägliche, idiomatische Deutsch hin, mit dem sie sich durch den Einsatz der Serie vertraut machen konnten. Im Hinblick auf die MPn schätzten sie unterschiedliche Materialien als hilfreich ein: Während einige Lernende angaben, dass die Serie das Verständnis der MPn für sie erleichtert hat, hoben andere die Übersicht zu den MPn und die Erklärungen zu den einzelnen MPn als für sie nützlich hervor. Während einige Lernende eher den input 24 Die Erfahrungen und Beobachtungen können hier nur grob skizziert werden. Ausführlich werden Erhebung und Auswertung der Daten in Silberstein (in Vorb.) beschrieben. 25 Eine Lernerin drückt es wie folgt aus: „Sí ayudó, pero sí está difícil. Sí me ayudó como que a ver cómo se usan, a ver cómo hablan en la realidad, pero a mí sí se me hizo un poco difícil entenderle“ (Feedbackgespräch: Ari_A2/ 3_07: 58). <?page no="268"?> Dagmar Silberstein 268 aus der Serie nutzen konnten, waren für andere die gesteuerten Übungen und die expliziten Erklärungen hilfreicher. (2) In der zweiten Erprobung, in der der Lernstil der Kursteilnehmer ermittelt wurde 26 , zeichnete sich ab, dass visuell-analytisch orientierte Lerner die Erklärungen zu den MPn sofort aufgreifen und in ihren eigenen Produktionen umsetzen konnten - sie profitierten somit von der expliziten Vermittlung der Regeln, während auditiv-global orientierte Lerntypen eher die vermittelten Chunks nutzten und bei ihren eigenen Produktionen auf diese zurückgriffen. Das integrative Vorgehen ermöglichte es hier, den Bedürfnissen der unterschiedlichen Lerntypen gerecht zu werden. (3) Anders als in der Literatur angenommen, hat sich bei der Erprobung - in der Phase, in der das Vorwissen zu Telenovelas aktiviert und die Fernsehgewohnheiten der Lernenden thematisiert wurden - gezeigt, dass der Einsatz einer Fernsehserie nicht von vornherein positiv aufgenommen wird: So begegneten die Lernenden dem Einsatz der Serie zunächst mit Vorbehalten, die sich dadurch erklären lassen, dass Telenovelas in Mexiko zwar bei einem großen Teil der Bevölkerung sehr populär sind, dass ihnen aber, stärker als in Deutschland, der (nicht immer unbegründete) Ruf anhängt, seichte Unterhaltung mit stereotyp gezeichneten Figuren und auf Intrigen beruhender Handlung zu sein. Diese Vorbehalte haben sich zwar schnell gegeben 27 , festzuhalten bleibt aber, dass der Einsatz von Fernsehserien nicht automatisch motivierend wirkt und dass man nicht generell davon ausgehen kann, dass die Lernenden Serien schauen. Die Annahme, dass mit ihrem Einsatz an die Fernsehgewohnheiten der Lernenden angeknüpft werden kann, ist somit in Abhängigkeit zur Zielkultur und zum Ruf, den Telenovelas bei den Lernenden haben, zu relativieren. (4) Eine weitere Beobachtung betrifft die Erwartungen, die die Lernenden mit dem Einsatz von Filmen verbinden: Sobald die DVD lief, lehnten sich die Schüler zurück, bearbeiteten die vorher besprochenen Aufgaben nicht und reagierten auf das Stoppen des Films verwundert. Trotz vorheriger Klärung der Aufgaben und des Ablaufs waren sie mit Beginn des Films in eine Art „Unterhaltungsmodus“ verfallen. Da die Lernenden nicht gewohnt waren, sich anhand von Filmmaterial aktiv mit sprachlichen Inhalten und Strukturen auseinanderzusetzen, hatten sie automatisch eine passive Fern- 26 Der Lernstil wurde mit dem Style Analysis Survey von Oxford (1993), Nachdruck in Reid (1995), erhoben. 27 Schon nach der 1. Folge waren die Lernenden von „Berlin, Berlin“ begeistert und begannen, sich mit den Hauptfiguren zu identifizieren, was sich u.a. daran zeigte, dass sie auch bei Aktivitäten, die nichts mit der Serie zu tun hatten, die Namen der Hauptpersonen übernahmen und plötzlich alle Lolle, Sven oder Rosalie hießen. <?page no="269"?> Der Einsatz der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ für die Vermittlung von Modalpartikeln 269 sehhaltung eingenommen, die sich nur schrittweise überwinden ließ. Dies entspricht der häufig in der Literatur beklagten Situation, dass Filmmaterial oft nur als „Belohnung“ oder „Anhängsel“ eingesetzt und noch zu selten aktiv zur Förderung der kommunikativen Kompetenz genutzt wird. 28 (5) Damit verbunden ist die Beobachtung, dass ein zu kleinschrittiges Vorgehen auch demotivierend wirken kann: Während Aktivitäten wie Laufdiktat und read-and-look-up von den Lernenden positiv aufgenommen wurden, ließ das Interesse der Lernenden nach, wenn eine Sequenz im Rahmen der Spracharbeit mehrmals wiederholt und unter verschiedenen Aufgabenstellungen - wie beim Drei-Phasen-Modell - bearbeitet wurde. Um das Potenzial der Serie hier besser nutzen zu können, ergibt sich die Herausforderung, geeignete Übungsformate zu entwickeln, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem sprachlichen input und das Speichern von Strukturen befördern, dabei aber die Serie nicht überstrapazieren und Spracharbeit und Unterhaltung angemessen ausbalancieren. 29 6 Fazit Da Lernende von unterschiedlichen Maßnahmen profitieren, kommt es bei der Suche nach lernerorientierten Vermittlungsformen auch darauf an, Verfahren zu entwickeln, die stärker als bisher unterschiedliche Lerntypen ansprechen und Raum für verschiedene Zugänge und Lernstile lassen - die Erklärungen und Chunks bereitstellen, die kreative Sprachverwendung und imitatives Lernen fördern, die inhaltsbezogene und formfokussierende Aktivitäten ausbalancieren und so der Individualität der Lernenden besser gerecht werden. Die Serie „Berlin, Berlin“ bietet einen Rahmen für die Umsetzung eines in diesem Sinne integrativen Verfahrens. Darüber hinaus stellt „Berlin, Berlin“ eine authentische und thematisch ansprechende Materialgrundlage für die Vermittlung der MPn dar, die für Lernende ab dem Niveau B1 sinnvoll eingesetzt werden kann. 30 Die Serie enthält vielfältige Modelle für die MP-Verwendung und bietet zahlreiche Impulse für die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien, die für die Lernenden thematisch relevant und sprachlich zugänglich sind. Durch die kontextuelle Einbindung lassen sich Wirkung und Funktionen der MPn verständlich präsentieren. Die kritischen 28 Vgl. z.B. Thaler (2014, 17): „[…], films and other audio-visual media still lead a sort of Cinderella existence in classrooms“. 29 Vgl. Lütge (2012, 10), die sich beim Einsatz von Filmmaterial für ein „angemessenes Gleichgewicht zwischen Spracharbeit und Unterhaltung“ ausspricht. 30 Auf A2-Niveau ist die Serie als Rahmen für die MP-Vermittlung noch nicht geeignet, auch wenn eine inhaltliche Beschäftigung mit „Berlin, Berlin“ auf diesem Niveau natürlich schon möglich ist. <?page no="270"?> Dagmar Silberstein 270 Anmerkungen haben aber auch gezeigt, dass es notwendig ist, Übungsformate zur Förderung des imitativ-memorisierenden Lernens und zum Aufbau der kreativen Sprachverwendung zu entwickeln, die abwechslungsreich und anregend sind, um das Potenzial der Serie für die Vermittlung der MPn und die mit ihrem Einsatz verbundene Motivation noch besser nutzen zu können. Literatur Beerbom, Christiane (1992): Modalpartikeln als Übersetzungsproblem. Eine kontrastive Studie zum Sprachenpaar Deutsch - Spanisch. Frankfurt am Main: Peter Lang. 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Das größte Ballungsgebiet Deutschlands, ein Schmelztiegel europäischer Kulturen, Heimat einiger erstklassiger und ungezählter ehemals erstklassiger Fußballvereine, sympathischer Ab- und Aufsteiger sowie Bühne Fernsehgeschichte schreibender Kriminalkommissare wie Horst Schimanski oder Heinz Haferkamp. Da der Jubilar aus Bochum kommt, möchte ich eine Bochumer Variante der Heimatverbundenheit - eine Art trotzigen Pragmatismus ’ - als Mentalitätseigenschaft hervorheben. So äußerte Frank Goosen - ebenfalls Bochumer, Kabarettist und Romanautor, Fan und mittlerweile auch Aufsichtsratsmitglied des ortsansässigen, ehemals unabsteigbaren VfL - im Interview mit dem Magazin 11 Freunde im November 2006 in folgender Weise: „[...] Trotzdem ist seit dem ersten Abstieg das wichtigste Wort der VfL-Fans“. Auch die Entscheidung, trotz des Rufs nach Marburg an die Philipps-Universität dem Ruhrgebiet treu zu bleiben und nicht ins beschauliche Mittelhessen zu ziehen, verdeutlicht die persönliche Affinität. Selbst die lieb gewonnene jährliche Tradition des Geburtstagsgeschenks - natürlich ein Krimi aus dem Ruhrgebiet - verkörpert die innere Verbundenheit. So lernte ich mein Ruhrgebiet kennen: Durch die Kriminalliteratur. Und trotz aller Morde und Grausamkeiten, die im fiktiven Ruhrgebiet passieren, erscheint mir das Ruhrgebiet unbekannterweise lebens- und liebenswert. Auf das Ruhrgebiet und seinen Sohn Frank G. Königs - natürlich mit einem Maria Grappa! 1 Faszination Krimi Das Verbrechen und die Suche nach seinen Motiven begleitet die menschliche Geschichte seit ihren Anfängen. Dafür finden sich schon in den biblischen Erzählungen zahlreiche Beispiele, von denen der Brudermord von Kain an Abel zu den bekanntesten zählen dürfte. Oder folgt man dem Menschenbild von Thomas Hobbes - „homo homini lupus“ -, so gehören Verbrechen und Gewalt gar zur Natur des Menschen, die es zivilisatorisch zu zähmen gelte. Vor diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, dass dieses Thema bis <?page no="274"?> Victoria Storozenko 274 heute eine große Anziehungkraft ausübt, die ihre Wirkung u.a. in ungezählten Filmen und in der Literatur zeigt. Den Reiz der Lektüre eines Kriminalromans - und m.E. auch von Kriminalfilmen - sieht Brecht (2009) vor allem in der prominenten Rolle der Logik: „Der Kriminalroman handelt vom logischen Denken und verlangt vom Leser logisches Denken. Er steht dem Kreuzworträtsel nahe, was das betrifft“ (ebd., 104). Im Weiteren führt er aus: „Die Kausalität menschlicher Handlungen zu fixieren ist die hauptsächlichste intellektuelle Vergnügung, die uns der Kriminalroman bietet“ (ebd., 108). Brecht zeichnet diesbezüglich eine Parallele zwischen der Arbeitsweise eines Naturwissenschaftlers, der seine Schlüsse aus Fakten und Experimenten induktiv ableitet, und der klassischen Struktur eines Kriminalromans: Es ist erstaunlich, wie sehr das Grundschema des guten Kriminalromans an die Arbeitsweise unserer Physiker erinnert. Zuerst werden gewisse Fakten notiert. […] Dann werden die Arbeitshypothesen aufgestellt, welche die Fakten decken können. Durch den Hinzutritt neuer Fakten oder die Entwertung bereits notierter Fakten entsteht der Zwang, eine neue Arbeitshypothese zu suchen. Am Ende kommt der Text der Arbeitshypothese: das Experiment. Wenn die These richtig ist, dann muß der Mörder auf Grund einer bestimmter Maßnahme dann und dann da und da erscheinen. (ebd., 105) Brecht geht dabei vom Idealtypus der classic detective novel - auch Rätselkrimi genannt - aus, bei dem die Frage „whodunnit? “, also die Frage nach dem Täter, im Mittelpunkt steht. Die klassische Struktur solcher Kriminalromane, die auf einer gewissen scholastischen Dreisatz-Logik basiert (These-Antithese-Synthese) und die Brecht als Spannungselement hervorhebt (s.o.), wurde mit der Zeit durch Kriminalautoren immer weiter variiert, verfeinert, und ihre Komplexität wurde gesteigert. Mittlerweile unterscheidet man in der Systematik der Kriminalromane drei Idealtypen, die selbstverständlich in weitere Subtypen differenziert werden können und selten in Reinform, sondern zumeist in hybriden Formen erscheinen (vgl. Nünning 2008b, 5ff). Die Spannung wird in den verschiedenen Krimi-Arten auf sehr unterschiedliche Art und Weise erzeugt und gehalten und ist dabei nicht mehr unbedingt auf die oben angesprochene Kreuzworträtsellogik angewiesen. Neben dem bereits erwähnten Rätselkrimi und seiner zentralen Frage „whodunnit? “ lassen sich noch die hard-boiled fiction, bei dem die oftmals ambivalente Figur des Detektivs und ihre Facetten die Erzählung dominieren, und das Subgenre des thrillers, in dem wiederum nicht selten der Täter und seine Logiken und Motive, seine Planung des Verbrechens sowie seine Tricks zur Irreführung der Ermittler im Fokus stehen, als Idealtypen ausmachen (vgl. ebd.). <?page no="275"?> Tatort Fremdsprachenunterricht: Fremdsprachenlernen mit Krimis 275 Insbesondere die ersten zwei Idealtypen eignen sich m.E. für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht (FSU) in der Schule oder auch für den Unterricht von Deutsch als Fremdsprache (DaF). Wegen seiner komplexen Inhalte, die häufig stark von psychologischen und emotionalen Motiven geprägt sind, und wegen seiner Struktur, die oftmals durch die Vermischung der Wirklichkeiten, die Verzerrung der Wahrnehmung des Geschehens und die Dezentrierung der Hauptcharaktere gekennzeichnet ist, erscheint mir die Unterrichtsarbeit mit einem thriller als weniger praktikabel, wenn auch nicht unmöglich. Sie bedarf jedoch seitens der Lernenden nicht nur eines fortgeschrittenen Sprachniveaus, sondern auch eines gewissen Alters. Ich werde mich daher im Folgenden bei den Überlegungen zu möglichen Unterrichtsmethoden mit Kriminalgeschichten auf die ersten zwei Idealtypen konzentrieren - den Rätselkrimi und die hard-boiled fiction -, wenngleich die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten von Krimis im FSU gerade der Weiterentwicklung dieses Genres über ihre ursprünglichen Inhalte und Strukturen hinaus zu verdanken ist. Denn erst dadurch hat es dieses Genre geschafft, „salon- […] , schul- und forschungsfähig“ zu werden (Nünning 2008a, vii) und konnte somit auch zum Bestandteil des Schulunterrichts inklusive des FSU werden. 2 Fremdsprachenlernen mit Krimis Vor allem zwei Eigenschaften prädestinieren Kriminalgeschichten für ihre Verwendung im FSU. Da ist zum einen das prägende Element der Spannung, das sie durchzieht und die Schüler/ innen motiviert, sich weiter mit der Geschichte und dadurch auch mit der Sprache zu beschäftigen. Auch wenn es sich nicht um klassische Rätselkrimis handelt, so ist die Spannung doch konstitutiv für das Krimigenre und wird auf unterschiedliche Weisen in jeder Kriminalgeschichte erzeugt. Zum anderen erleichtert den Lernenden einer Sprache die Vertrautheit mit diesem Genre die Arbeit am Text. Sie kennen die Basisstruktur und erwarten, die üblichen Elemente wie Täter, Opfer, Tatort, Motiv und Detektiv vorfinden zu können. Den Lehrer/ innen bietet sich durch diese Erwartungssicherheit seitens der Lernenden eine Vielfalt von Möglichkeiten, diese Basiselemente und -strukturen von Kriminalgeschichten in die Fremdsprachendidaktik einzubinden. Auch ein niedriges Sprachniveau ist in der Regel kein Hindernis: Materialien und Literatur zum Sprachlernen mit einfachen Kriminalgeschichten, ausgestattet mit Worthilfen und Inhaltstests, werden von Schulbuchverlagen für verschiedene Sprachniveaus angeboten. Dabei werden vor allem die spielerischen Elemente von Rätselkrimis benutzt, um die Motivation der Lernenden zum Sprachenlernen zu steigern. Je nach Typ und Fokus eines Krimis können <?page no="276"?> Victoria Storozenko 276 auch die Unterrichtsmethoden variiert und dem Sprachniveau der Lernenden angepasst werden. Ob das Lösen eines Rätsels oder die Beschäftigung mit der Figur des Detektives - ausgerichtet am Unterrichtsziel kann ein Fremdsprachenunterricht so oder so durch den Einsatz von Kriminalgeschichten profitieren. Die Unterrichtsmethoden, die in der didaktischen Fachliteratur im Zusammenhang mit der Anwendung von Krimis im FSU erörtert werden, können anhand von sprachlichen Grundfertigkeiten sortiert werden, deren Entwicklung bei Sprachlernenden als zentrale Aufgabe des FSU betrachtet wird. Dazu gehören das Hörverstehen, das Sprechen, das Leseverstehen und das Schreiben (vgl. Stork 2010). So können selbstverständlich auch Kriminalgeschichten als Literatur gelesen, besprochen, diskutiert und als Hörbuch oder -spiel gehört oder als Film oder Theaterstück gesehen werden. Kurz: Alle erprobten Unterrichtsmethoden der Literaturdidaktik lassen sich prinzipiell auch mit Kriminalliteratur anwenden. Im Folgenden sollen daher exemplarisch lediglich einige Methoden kurz vorgestellt werden, die sich die skizzierten Spezifika der Kriminalliteratur und ihrer Idealtypen zu Nutze machen. 2.1 Fälle sind nicht nur zum Deklinieren da - Rätselhafte Unterrichtsmethoden Die Spannung und der Rätselcharakter eines unaufgeklärten Kriminalfalls einer classic detective novel lassen sich sehr gut für verschiedene Unterrichtsformen nutzen, bei denen das gemeinsame, dialogische Raten, Kombinieren und Lösen von Fällen durch die Schüler/ innen im Mittelpunkt steht. Charakteristisch für diesen Krimitypus ist neben der Tätersuche durch einen souveränen und fast schon omnikompetenten armchair detective à la Sherlock Holmes auch die oftmalige Begrenzung der Geschehnisse auf einen eng umrissenen Raum, einen so genannten locked room, in dem sich alle Beteiligten aufhalten, bewegen und nicht entkommen können und wie er etwa in Geschichten von Agatha Christie häufig vorkommt. Diese letzte Eigenschaft kann man nutzen, will man den Unterricht durch einfache schauspielerische Elemente anreichern. Black stories sind sehr knappe und rätselhafte Beschreibungen von Kriminalfällen. Sie können im Fremdsprachenunterricht gut zur Schulung der Sprechfertigkeiten und zur Wiederholung von Wortschatz und Grammatik eingesetzt werden. Eine Fallbeschreibung passt auf eine Karteikarte, auf deren <?page no="277"?> Tatort Fremdsprachenunterricht: Fremdsprachenlernen mit Krimis 277 Rückseite die Lösung steht, die jedoch nur der Spielleitung bekannt ist. 1 Diese liest die kurze Beschreibung vor und die Schüler/ innen dürfen Fragen dazu stellen, die die Spielleitung nur mit „ja“ oder „nein“ beantworten darf, bis der Fall gelöst ist. Die Fragenden nehmen hier gewissermaßen als Gruppe die Rolle des armchair detective ein, der durch gezieltes Fragen und logisches Kombinieren das Geheimnis enthüllt. Ein Vorteil dieses Spiels liegt darin, dass mehrere Gruppen gleichzeitig verschiedene Fälle lösen können und so die gesamte Klasse involviert wird. Durch den Spiel-Charakter können zudem Sprechhemmungen leichter überwunden werden. Damit das Spiel fließender erfolgt, sollte die Wortschatzarbeit vor dem Spiel geleistet werden. Durch den minimalen Materialbedarf dieser Unterrichtsmethode ist es je nach Sprachniveau auch möglich, dass die Schüler/ innen eigene black stories kreieren und im Unterricht versuchen, diese gegenseitig zu lösen. Eine aufwändigere und hinsichtlich der sprachlichen Anforderungen anspruchsvollere Form eines Rätselspiels ist das so genannte „Krimidinner“. Bei diesem Rollenspiel, das sich als Unterhaltungsveranstaltung auch in Deutschland zunehmender kommerzieller Beliebtheit erfreut, geschieht während eines Abendessens ein Mordfall, den die Teilnehmenden lösen müssen. Variationen dieses Spiels können jedoch auch im Fremdsprachenunterricht angewendet werden. Um dabei den Aufwand zu reduzieren, kann wie bei den black stories zunächst allen eine Beschreibung der Tatsituation bekanntgegeben werden. Als nächstes ziehen die Teilnehmenden ihre Rollenkarten, auf denen etwa Informationen zum Charakter und Alibi zur Tatzeit stehen. Die Lösung des Falls ist auch hier nur der Spielleitung bekannt. Der Ermittler, im Gegensatz zu den black stories üblicherweise eine Einzelperson, muss mithilfe von Befragungen der Verdächtigen den Fall lösen. Zur Erleichterung des Spiels können die Rollen bei Bedarf doppelt oder dreifach besetzt werden, und das Einstudieren der Rollen kann als Hausaufgabe gestellt werden. Ein solches „Krimidinner“ im Fremdsprachenunterricht durchzuführen, erfordert fortgeschrittenere Sprachkenntnisse als das Lösen von black stories und muss sorgfältig von der Lehrperson vorbereitet werden. Je nach Unterrichtsziel können ein gerade erlernter Wortschatz und grammatikalische Strukturen in die Beschreibung des Falls und der Rollen eingebettet und durch begleitende schriftliche Aufgaben geübt werden. Im Vergleich zum Einsatz von black stories sind die Kommunikationsmuster weniger regelhaft und vorhersagbar. Die Schüler/ innen werden deutlich stärker gefordert, da sie 1 Siehe etwa Philipp (2011), der einige Beispiele von black stories für den Französischunterricht auf dem Sprachniveau B1-B2 vorstellt. <?page no="278"?> Victoria Storozenko 278 spontan und situativ fragen, antworten und interagieren müssen und somit einer alltäglichen, außerschulischen Kommunikation wesentlich näher kommen. 2.2 Der Mörder kam aus dem Intertext - Kreative (Um-) Schreibetechniken für den Unterrichtseinsatz Folgt man dem literaturwissenschaftlichen Begriff der Intertextualität, der einen literarischen Text als eine Verflechtung von Zitaten und Referenzen zu anderen Texten zu definieren versucht (vgl. Barthes 2000; Kristeva 1972), so verweist auch ein Kriminalroman auf zahllose Bezugspunkte innerhalb und außerhalb des Textes. In ihm sind kulturelle Muster eingeschrieben, kommen gesellschaftliche Zusammenhänge zum Ausdruck und werden literarische Traditionen verwoben. Diese Eigenschaften literarischer Texte lassen sich im FSU erkunden und für verschiedene Umschreibetechniken nutzen. Die wiederkehrende Struktur von Kriminalgeschichten mit den typischen, oben genannten Basiselementen ist dabei von großer Hilfe, da sich so fast wie mit einem Baukasten-System experimentieren lässt und die Geschichten modulartig transformiert werden können. Eine sehr gute Übersicht über verschiedene Unterrichtsmethoden unter Einsatz von Umschreibetechniken samt Beispielen für den Französischunterricht bietet etwa Brandl (1998). Der Austausch der Ermittlerfigur bietet sich dabei als Umschreibübung im FSU an, da sie in vielen Kriminalromanen im Mittelpunkt steht und daher auch stilbildend ist: Handelt es sich eher um einen armchair detective in einer classic detective novel, oder ist er ein Vertreter der tough-guy school, die den Idealtypus der hard-boiled fiction prägt? Dieser zweite Idealtypus von Kriminalliteratur bringt eine andere Art Detektiv zum Vorschein. Dieser Ermittlertypus repräsentiert den Jedermann, ohne geniehafte Züge, dafür mit menschlichen Schwächen und Problemen. Oder wie es Chandler beschreibt: „He is no hero, he is everything“ (1988, 533). Er gerät selbst zwischen die verschiedenen Fronten, wendet nicht selten dubiose Praktiken zur Lösung des Falls an, ist „oft alternd, physisch nicht in Hochform, dem Alkohol zugetan, allein und ohne Halt in menschlichen Beziehungen“ (Nünning 2008b, 8). Die Spannung wird häufig nicht in erster Linie durch das Lösen eines Rätsels erzeugt, sondern vielmehr durch das Handeln des Ermittlers, der oftmals in bedrohliche Situationen oder moralische Dilemmata verwickelt wird. Zudem gehen mit den unterschiedlichen Ermittlertypen verschiedene gesellschaftliche Milieus einher, in denen sie sich täglich bewegen und wo sie kommunizieren, so dass bei einem Ermittlertausch auch das setting des Kriminalromans transformiert wird. Der Austausch der Ermittlerfiguren (vgl. Brandl 1998, 17ff) kann den Boden für verschiedene Übungen im Anschluss <?page no="279"?> Tatort Fremdsprachenunterricht: Fremdsprachenlernen mit Krimis 279 bereiten: Die Schüler/ innen können etwa neue Kriminalhandlungen entwerfen, die verschiedenen Ermittlungstechniken, Ermittlertypen und Textgattungen analysieren und vergleichen oder Hypothesen zum weiteren Verlauf der Geschichte entwickeln. Außerdem bieten sich weitere Möglichkeiten der Transformation an, die eine Umwandlung in eine nicht-belletristische Textgattung vorsehen. Die fiktionale Handlung kann in Form eines polizeilichen Berichts für eine Zeitung dargestellt oder zu einer Dokumentation umgearbeitet werden. Desweiteren kann der Krimi von den Schüler/ innen auch in Form einer kurzen Buchankündigung oder eines Klappentextes präsentiert werden (vgl. ebd., 11ff). Die Aufgabe, das setting eines der Klassiker der Kriminalliteratur in die modernen Zeiten zu verlegen - oder vice versa - und dabei die Kernelemente, -figuren und -dramaturgien möglichst beizubehalten, ist eine gute Methode, die Phantasie und Kreativität der Schüler/ innen anzuregen. Sie können den Figuren ein neues Image verleihen, die Handlung unter Einbeziehung ihrer Interessen umschreiben und sie dem technologischen Entwicklungen oder dem aktuellen politischen Geschehen anpassen. Zahlreiche Anknüpfungspunkte bieten sich dabei für fächerübergreifende Unterrichtsformen, etwa Geschichte oder Sozialkunde, die im Bereich der Sekundarstufe II auch zur Einführung in selbstständige Zeitungs- und Archivrecherchen genutzt werden können. Alternativ oder komplementär kann auch die Neuinterpretation eines Klassikers analysiert, diskutiert und unter Bewusstmachung des eigenen Erwartungs- und Vorstellungshorizonts mit dem Original verglichen werden, wobei sich insbesondere der Film als modernes Medium anbietet. Man denke etwa an die brillante BBC-Neuinterpretation von Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“ durch die Autoren Steven Moffat und Mark Gatiss, die die zentralen Figuren, Elemente und Orte des Originals aufnimmt und unter Verwendung zahlreicher Verweise in das 21. Jahrhundert überführt. Als zeitgemäße Alternative zur klassischen Kurzgeschichte oder dem Fortsetzungsroman, die technische Entwicklungen und ihren kompetenten Umgang damit in den Fremdsprachenunterricht einbezieht, stellt Scholler (2008) ein Beispiel für den Französischunterricht vor. Anhand des Blog- Krimis 2 „Lettre-Néant“ von Jean Pierre Balpes (2005) diskutiert er didaktische Anregungen, die im Französischunterricht angewendet werden können. Dabei erscheint ihm die Eigenschaft als écrit dynamique als Vorteil eines Blog-Krimis. Dies bedeute, dass ein Blog-Krimi den Leser/ innen im Vergleich 2 Dieser Krimiblog ist leider online nicht mehr verfügbar. Zu Informationen bezüglich der Inhalte des Blogs siehe Scholler (2008). <?page no="280"?> Victoria Storozenko 280 zu einer klassischen Druckausgabe die Möglichkeit biete, mit dem Autor zu interagieren und das Geschehen online zu kommentieren (vgl. ebd., 60). So könnten die Schüler/ innen im Fremdsprachenuntericht in die kriminalistische Recherche miteinbezogen werden und ihre Reaktionen auf das Geschehen ausdrücken. Zur Lösung des Kriminalfalls benötigt man dabei „im Unterschied zur Buchlektüre nicht den unbewegten Leser, sondern den (auch motorisch) aktiven User“ (ebd., 63), der elektronische Suchtechniken benutzt. Des Weiteren kann die Beschäftigung mit einem Blog-Krimi die Schüler/ innen dazu anregen, die Geschichte fortzusetzten, ein alternatives Ende zu kreieren oder sogar einen eigenen fremdsprachigen Krimi-Weblog zu initiieren. 3 Fazit Der Einsatz von Kriminalliteratur bietet reichhaltige Möglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht. Das wiederkehrende Basisinventar dieses Genres erleichtert den Lernenden die Arbeit mit dem Text, spannende Fälle und Figuren erhöhen die Motivation, sich damit weiter zu beschäftigen. Zugleich machen die angesprochenen Basiselemente - Täter, Opfer, Tatort, Ermittler, Motiv etc. - das Kriminalgenre für Lehrende zu einem sehr flexibel einsetzbaren Instrument. Fast als bestünde es aus Legosteinen, kann es auseinandergenommen und wieder zu einem neuen Muster zusammengebaut werden. Diese Flexibilität ermöglicht eine Vielzahl von kreativen Unterrichtsmethoden: Seien es verschiedene Transformations- und Umschreibetechniken, gemeinsames Rätseln und Lösen von black stories, Rollenspiele oder das Nutzen eines Blogs - die sprachlichen Grundfertigkeiten können mit Hilfe von Kriminalgeschichten auf vielfältige und an verschiedene Sprachniveaus anpassbare Weise entwickelt und geschult werden. Die Fülle von kulturellen Referenzen in Kriminalromanen kann zudem dazu beitragen, Einblicke in und Verständnis für Kultur, Alltag und Historie der Menschen zu gewinnen, deren Sprache die Schüler/ innen erlernen. Literatur Barthes, Roland (2000): „Der Tod des Autors“. In: Jannidis, Fotis/ Lauer, Gerhard/ Martinez, Matias/ Winko, Simone (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, 185-197. Brandl, Manfred (1998): „Kriminalliteratur und Kriminalfilme im Französischunterricht (II)“. In: Mitteilungsblatt des Fachverbandes Moderne Fremdsprachen (MFMF). Landesverband Niedersachsen 1, 10-26. <?page no="281"?> Tatort Fremdsprachenunterricht: Fremdsprachenlernen mit Krimis 281 Brecht, Bertold (2009): „Über die Popularität des Kriminalromans“. In: Brecht, Bertold: Verbrechen. Ausgewählt von Thea Dorn. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 104-109. Chandler, Raymond (1988): The Simple Art of Murder. New York: Vintage Books. Kristeva, Julia (1972): „Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman“. In: Ihwe, Jens (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Bd. 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft II. Frankfurt am Main: Athenäum, 345-375. Nünning, Vera (2008a): „Vorwort“. In: Nünning, Vera (Hrsg.): Der amerikanische und britische Kriminalroman. Genres - Entwicklungen - Modellinterpretationen. Trier: WVT, vii-viii. Nünning, Vera (2008b): „Britische und amerikanische Kiminalromane: Genrekonventionen und neuere Entwicklungstendenzen“. In: Nünning, Vera (Hrsg.): Der amerikanische und britische Kriminalroman. Genres - Entwicklungen - Modellinterpretationen. Trier: WVT, 1-26. Philipp, Dirk (2011): „Stoff für Hobbykommissare. Mit ‚Black Stories‘ mitteilungsbezogenes Sprechen üben“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 114, 41-45. Scholler, Dietrich (2008): „Ansätze zu einer posttypographischen Literaturdidaktik am Beispiel eines Weblog-Krimis“. In: Schumann, Adelheid/ Steinbrügge, Lieselotte (Hrsg.): Didaktische Transformation und Konstruktion. Zum Verhältnis von Fachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik. Frankfurt am Main: Peter Lang, 53-66. Stork, Antje (2010): „Fähigkeiten und Fertigkeiten“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Kallmeyer, 64-66. <?page no="283"?> Sprachlernen im fremdsprachigen Fachunterricht - oder: Der noch ‚lange Marsch‘ zu einer domänenorientierten Diskursfähigkeit in bilingualen Bildungsgängen Wolfgang Zydatiß 1 Problemaufriss zum fachintegrierten sprachlichen Lernen Wenn im Folgenden von „bilingualen“ 1 Bildungsgängen die Rede ist, meine ich in erster Linie das curriculare Konzept des „bilingualen Sachfachunterrichts“ an weiterführenden Schulen. Wie der Blick in die sog. „Bildungsstandards“ (KMK 2005) und die regionalen Kernlehrpläne für die Sachfächer zeigt, gehört der Primat den fachlichen Inhalten; selbst wenn in den „Standards“ inzwischen (zumindest in den Naturwissenschaften) ein Kompetenzbereich „Kommunikation“ ausgewiesen ist. Ein analoges Selbstverständnis gilt für die bilingualen Zweige, sodass die unauflösliche Interdependenz des fachlichen und des sprachlichen Lernens eine untergeordnete Rolle spielt: in den Ausführungsvorschriften, in den meisten Schulbüchern, bei der Bewertung textproduktiver Leistungen und im konkreten Unterrichtsablauf (vgl. exemplarisch Dalton-Puffer 2007; Vollmer 2006; Zydatiß 2007, was Defizite in der Sachfachliteralität angeht). Extensive Bildungsgänge werden in ihren Zielsetzungen und Unterrichtsarrangements von den übergeordneten Leitvorstellungen bestimmt, die an deren Ende umgesetzt bzw. erreicht sein sollten: im Falle des Abiturs also „Wissenschaftspropädeutik“ und „Studierfähigkeit“. Dazu gehört eine ‚fortge- 1 Es ist Frank Königs zu verdanken, dass ‚unser Kind‘ zweisprachig erzogen wurde; und zwar nach dem Konzept der sog. „künstlichen“ (m.E. besser: ‚intentionalen‘) Zweisprachigkeit (beide Eltern sind Muttersprachler des Deutschen). Im Februar 1990 verwies Frank mich im Schloss Rauischholzhausen bei Marburg auf die Schriften des australischen Germanisten George Saunders, in denen er sein geglücktes Erziehungsprojekt mit dem Sprachenpaar Deutsch (= L1)-Englisch in Down Under dargestellt hat. ‚Unser Kind‘ hat inzwischen eine mehrsprachige Sozialisation mit vier Fremdsprachen durchlaufen und bewältigt; inkl. eines 13-jährigen Bildungsgangs an der nach dem Prinzip der reziproken Immersion arbeitenden Europa-Schule in Berlin und eines Vollstudiums in Großbritannien. Dafür, Frank, herzlichen Dank - schließlich hat der damalige ‚Tipp‘ auch meine professionellen Interessen und Aktivitäten nachhaltig beeinflusst. <?page no="284"?> Wolfgang Zydatiß 284 schrittene‘ Literalität (= advanced literacy oder academic proficiency), die in der deutschsprachigen Fachliteratur oft als „Bildungssprache“ bezeichnet wird (vgl. Gogolin 2006). Nachstehend soll schwerpunktmäßig auf einen spezifischen Aspekt der fachkommunikativen Diskursivität eingegangen werden, der in der anglophonen funktionalen Sprachbeschreibung als „grammatische Metapher“ bekannt ist (vgl. Halliday 1985, 321ff; Halliday/ Matthiessen 1999, 227; Schleppegrell 2010, 71). Diese sind inzwischen ein (in funktionalstilistischer Hinsicht) distinktives Merkmal fachkommunikativer Texte und Diskurse, repräsentieren jedoch ein fachliches wie sprachliches Lernproblem für Schüler/ innen der ausgehenden Sekundarstufe I und II. Als zentrale bedeutungsgenerierende und textbildende Ressource der Fachprosa müssen „grammatische Metaphern“ im Fachunterricht thematisiert werden, damit fachkommunikative Diskurse und Genres sach-. und kontextgerecht debzw. enkodiert werden können. Der vorhandene Platz erfordert die Konzentration auf eine schulische Domäne, hier den naturwissenschaftlichen Unterricht (mit Beispielen aus der Physical Geography, die in den PISA-Studien den earth sciences zugeordnet wird). 2 „Kongruenter Sprachgebrauch“ und „grammatische Metaphern“ in Fachtexten Ohne Nominalisierungen lässt sich keine Fachprosa mehr realisieren, wie bereits der flüchtige Blick in ein englischsprachiges Lehrbuch für die ausgehende Sekundarstufe I zeigt: Physical Geography : igneous intrusions, coastal erosion, desertification, deforestation, power generation in the UK, water management on the River Rhine etc. In den Fachtexten finden sich dann Konstruktionen der folgenden Art (in englischen wie in deutschen Schulbüchern): 1. Geography : On account of dramatic food shortages the Chinese system of land ownership underwent a major transformation. Halliday zufolge (der mit seiner „Systemic Functional Linguistics“ eine umfassende funktional-linguistische Sprachtheorie vorgelegt hat) ist dieses Merkmal mit dem Aufkommen der empirisch-experimentellen Methode in den Naturwissenschaften in der frühen Neuzeit im westeuropäischen Kulturkreis zu beobachten. Für Halliday ist jede Variante im Sprachgebrauch eine Variante im Ausdruck von Bedeutungen (1985, 320); wobei er den Begriff der „grammatischen Metapher“ in bewusster Anlehnung an die lexikalische Metapher aufgreift, die sowohl die Umgangssprache als auch die fiktionale Sprachverwendung über weite Strecken durchzieht (= figurative use of language): <?page no="285"?> Sprachlernen im fremdsprachigen Fachunterricht 285 2. ein dickes Gehalt / a fat salary, eine scharfe Zunge / a sharp tongue, a complete write-off (= ‚a badly damaged car‘) 3. „Eye, gazelle, delicate wanderer …“ (St. Spender) 4. „Life’s but a walking shadow, it is a tale told by…“ (W. Shakespeare) 5. Eine Blechlawine verstopft alljährlich die Autobahnen gen Adria. Jugendliche können damit Verständnisprobleme haben (Unterrichtsprotokoll); schließlich indiziert die lexikalische Metapher für ein Referenzobjekt andere (wenngleich ähnliche) Qualitäten als die wortwörtlich ausgedrückten, wobei in der Regel ein Transfer von einer konkreten zu einer stärker abstrakten Bedeutung gegeben ist: Was ist eine Blechlawine? - alljährlich = ‚das ganze Jahr? ‘ - verstopfen + Autobahn = ‚wegen des Essens in den Raststätten? ‘ - gen = ? - Adria = ‚was ist das / wo liegt das? ‘ - Beide Arten der Metapher sind ähnliche, aber unterschiedliche Ausdrucksformen, eine bestimmte Bedeutung zu realisieren; und zwar dergestalt, dass die metaphorische Realisierung semantisch weniger ‚transparent‘ ist als der nichtfiktionale, wortwörtliche Sprachgebrauch. Halliday spricht deshalb von einer Inkongruenz der semantischen und der objektsprachlichen Repräsentationsebene (= non-congruent expressions). Die symbolisch-sprachliche Transformation der „grammatischen Metapher“ findet sich zunehmend in anderen Registern der „konzeptionellen Schriftlichkeit“ (Koch/ Oesterreicher 1985); z.B. in themenzentrierten Artikeln der Zeitungsprosa, aber auch in der Alltagssprache (sowie gehäuft in Verlautbarungen von Verwaltungen, Verträgen und Politikern): 6. China’s megacities’ fast growth has created severe sufferance from air pollution among the urban population. Der Einsatz einer „grammatischen Metapher“ zieht vor allem Veränderungen in den grammatischen Untersystemen und in den lexikalischen Redemitteln nach sich; nicht zuletzt bei den semantischen Verbklassen. Wie den Beispielen 1+6 zu entnehmen ist, werden zwei satzwertige Vorgänge bzw. Prozesse zusammengeführt, wobei für die Verknüpfung der Nominalisierungen (in einem Satz! ) ein bestimmtes Verb erforderlich ist (häufig mit einer ‚eingeschriebenen‘ kausativen Komponente: conflated meanings). 3 Ein Textbeispiel aus der naturwissenschaftlichen Domäne Nachstehend soll zunächst ein Textbeispiel aus dem Geographieunterricht präsentiert und analysiert werden, das einem englischen Lehrbuch für die ausgehende Sekundarstufe I entnommen ist (GCSE-Lehrplan in England). <?page no="286"?> Wolfgang Zydatiß 286 3.1 Funktional-stilistische Analyse eines Fachtextes Die Textpassage der Abb. 1 lässt in exemplarischer Weise einige der sprachlichen Merkmale erkennen, die für das Genre der „scientific explanation“ in funktionaler Hinsicht distinktiv sind. Das Thema des Textes ist offenkundig eine bestimmte Bodenformation (dem Russischen entnommen = ‚aschefarben‘; im Deutschen ebenfalls Podsol), deren Bildung im vorliegenden Abschnitt erklärt wird. Als zentraler Strang dieses Prozesses wird der vertikale Wasserdurchfluss in Böden identifiziert, die sich (bei guter Drainage) in Klimazonen befinden, die keine extremen Wetterbedingungen kennen: also in Regionen mit eher niedrigen Temperaturen, aber saisonal etwas erhöhten Niederschlägen (die Vegetation ist somit von Heidelandschaft oder Nadelwäldern geprägt). Die außersprachlichen Sachverhalte und Zusammenhänge spiegeln sich in den kognitiven Operationen, die sprachlich transportiert werden: • ineinander greifende Definitionen (= interlocking definitions): so für podsolisation und leaching; • Klassifikationen: Rückgriff auf Ober- und Unterbegriffe wie z.B. soil types vs. podsol, conifers vs. pine oder precipitation vs. rain; wobei interessanterweise die übrigen Klassen z.T. an anderer Stelle des Kapitels erläutert werden (etwa chernozem, sand dunes, volcanic) oder aber die Kenntnis der anderen Hyponyme vorausgesetzt wird (also fir, larch bzw. snow, hail, sleet u.dgl.); • Begründungen (= reasons & consequences): eingeführt über eine Konjunktion wie because bzw. ein Satzadverb wie due to oder implizit (in Verbindung mit „grammatischen Metaphern“) über kausativ verstandene Verben wie require, encourage und increase. Case study: Podsols Podsols are the common soil type in colder and wetter parts of the UK. Podsols are often associated with coniferous evergreen trees, particularly pines. - The formation of podsols, a process known as podsolisation, requires a general move of water down through the soil. This can occur because precipitation (which is not particularly high) exceeds evapotranspiration due to the generally low temperatures throughout the year. - Water flowing down through the soil encourages intense leaching (the washing down of soil minerals that are soluble, from the profile). This increases the acidity of the soil. High acidity and increased wetness of the soil encourage the build-up of a thick peat layer at the surface. - Podsols are not good agricultural soils because they are acidic and generally infertile. In: Chapman, Simon/ Amor, Philip/ Drew, Chris/ Hector, Rosemary/ Simonds, Peter/ Yeabsley, Michael (1998): Complete Geography. Oxford: Oxford University Press, S. 53 [abridged]. Abb. 1: Textprobe zur scientific literacy im Fach Geographie <?page no="287"?> Sprachlernen im fremdsprachigen Fachunterricht 287 Auf der objektsprachlichen Ebene sind zu beobachten: • Fachbegriffe (= technical terms) wie podsol, podsolisation, soil (profile), precipitation, evapotranspiration, leaching; • Wortfamilien mit Prozessen der Wortbildung: acid / acidic / acidity, wet / wetness, increase / increased, the build-up, N + isation, infertile, coniferous, soluble; • Ausdrücke für die hohe Frequenz eines Vorgangs bzw. das häufige Vorkommen eines Sachverhalts (often, generally, particularly, intense, common, increased) in Ko-Okkurrenz mit dem timeless present (was den Stil der Passage auch stärker objektiviert); • Agensunterdrückung durch agentless passives: are associated with, is known as (hier zur Bezeichnung einer externen Relation bzw. einer intern-semantischen Beziehung); • Präpositionalverben: move / flow / wash down; • Antonyme und Synonyme: high vs. low, not good, infertile bzw. common, generally, often; • abstrakte, fächerübergreifende common words der Fachkommunikation (= academic words: Coxhead 2000): formation, process; • ein elaborierter Satzbau: mit Relativ- und adverbialen Nebensätzen (des Grundes: because) sowie mit Parenthesen und satzwertigen (infiniten) Partizipialkonstruktionen; • rückverweisende Pronominalisierungen: mit this, wobei das Pronomen eine satzwertige Struktur wieder aufnimmt und so zur Kohäsion des Texters beiträgt. 3.2 Die textuelle Funktion „grammatischer Metaphern“ Das funktional herausragende Merkmal des hier vorliegenden Sprachgebrauchs (= salience) ist jedoch der häufige Rückgriff auf „grammatische Metaphern“; so etwa: 7a The formation of podsols requires a general move of water down through the soil. 7b. Precipitation exceeds evapotranspiration due to … . 7c. Water flowing down through the soil encourages intense leaching. 7d. High acidity and increased wetness of the soil encourages the build-up of a thick peat layer at the surface. Satzwertige Prozesse werden in quasi-‚dinghafte‘ Nominalisierungen überführt, die innerhalb eines Satzes durch ein abstraktes, kausatives Verb verbunden werden. Eine stärker ‚kongruente‘ Formulierung des hier ausgesagten Sachverhalts wäre die folgende Paraphrase (betreffs 7d): <?page no="288"?> Wolfgang Zydatiß 288 7d’. The soil profile of the podsol type (ie. the different layers of material which make up this particular ash-coloured soil) is characterized by being both rather acid and wet such that / with the effect that (as time goes by) a lot of peat is being built up at the surface (which results in a soil that is not fertile). Die metaphorische Realisierung greift auf mehrere Nominalisierungen (also einen verdichteten, kompakten Nominalstil) zusammen mit einer geringeren objektsprachlichen Explizitheit der logisch-chronologischen Relationen sowie auf ein implizit kausatives Verb zurück. Die Ausdrucksweise wird abstrakter. Demgegenüber werden beim semantisch-lexikogrammatisch ‚kongruenten‘ Sprachgebrauch stärker transparente Verben, Adverbien und Modalverben sowie Konjunktionen und spezifische Tempora verwendet. Im Text der Abb. 1 sind zur Vereinfachung ‚kongruente‘ und ‚weniger kongruente‘ sprachliche Realisierungen miteinander verwoben; was jedoch nicht verhindert, dass die Passage für Schüler/ innen schwer verstehbar ist, da sie die mehrfach vorkommenden „grammatischen Metaphern“ erst einmal ‚dekomponieren‘ müssen (siehe 7d’). Für die Fachkommunikation hat diese ‚elementare‘ semiotisch-sprachliche Transformation allerdings den Vorteil, dass die inhaltliche Progression des fachlichen Gegenstands in einem Genre (hier: einer erklärenden Textpassage komplexer Zusammenhänge) kompakt und logisch angemessen aufgebaut werden kann. Da sich - funktional gesehen - Sprachgebrauch immer diskursiv vollzieht, ist die „textuelle Funktion“ für Halliday eine der drei Metafunktionen von Sprache überhaupt: neben der kognitivreferenziellen Funktion und der des zwischenmenschlichen interaktiven Handelns (= „ideational“ bzw. „interpersonal meaning“). Diese drei Bedeutungspotenziale konstituieren in der „Systemic Functional Linguistics“ (= SFL) ein soziokulturell wie situativ eingebettetes „Register“ mit den Dimensionen mode, field und tenor; wofür im Sprachgebrauch spezifische lexikogrammatische Wahlmöglichkeiten in den sprachlichen Untersystemen (deshalb systemic) zur Verfügung stehen. In ihrer diskursiven Gesamtheit realisieren die lexikogrammatischen Entscheidungen (texttypologisch gesehen) ein Genre, sodass die dabei gewählten Bedeutungen als ‚aktiv konstruiert‘ gelten können (= „meaning-making“ bzw. „construed meanings“ bei Halliday). Ein Sprecher bzw. Autor muss sich bei seinen Entscheidungen betreffs der gewählten objektsprachlichen Realisierung an die für ein Genre konstitutiven sozialen Konventionen und Erwartungen halten, wenn ein sach-, adressaten- und kontextgerechtes Textprodukt erstellt werden soll. „Textual meaning“ wird Halliday zufolge nicht nur über die textpragmatische Struktur des Genres aufgebaut (inkl. der Kokärenz und Kohäsion der Textorganisation), sondern darüber hinaus zum einen über die Thema / Rhema-Gliederung eines Textes. Hierbei wird theme (oft auch topic genannt) <?page no="289"?> Sprachlernen im fremdsprachigen Fachunterricht 289 als ‚psychologisches Subjekt‘ verstanden: what is being talked about oder the point of departure of the message; während rheme bzw. comment als Rest der satzbezogenen inhaltlichen Aussage konzeptualisiert wird. Zum anderen wird in einem fortlaufenden Text eine bestimmte Informationsstruktur realisiert, für die Halliday das Begriffspaar „given v. new information“ ansetzt. In der (diskursiv-textpragmatisch) ‚unmarkierten‘ Verteilung geht in aller Regel (parallel zur Thema / Rhema-Organisation eines Textes) die ‚gegebene‘ (im Interaktionskontext vorausgesetzte) Information der ‚neuen‘ voran; also was der Sprecher bzw. Autor für seinen Adressaten als ‚neue‘ Information ansieht. In der gesprochenen Sprache wird diese Information üblicherweise über den Hauptakzent markiert: tonic bzw. primary stress. Water flowing down encourages intense through the soil │ leaching → → ↓ │ │ │ ↓ Participant Material Process Participant ↓ [subject, [happening, [extended NP: ↓ extended NP: + causative] adjectival pre- ↓ participle constr. + modification] ↓ prepos. phrase] ↓ [given information] [new information] ↓ ← ← ← ← ← ← ← ← ← ← ← ← ←← ↓ This increases the acidity │ │ of the soil │ │ │ Participant Material Process Participant [subject [happening, [extended NP: as pronoun] + causative] + prepos. phrase] [given information] [new information] Abb. 2: Informationsstruktur im podsol-Text (Auswahl) Exemplarisch soll diese Verteilung in der Informationsstruktur eines Fachtextes (Abb. 2), die mit der Thematisierung / Topikalisierung und Subjektivierung der als ‚bekannt‘ vorausgesetzten Bedeutungselemente in einem engen Zusammenhang steht, an den Sätzen veranschaulicht werden, die einen der beiden Hauptfaktoren des hier (in Abb. 1) erläuterten Prozesses fokussieren: nämlich die Versäuerung des Bodens (ausgelöst über das Auswaschen löslicher Mineralien: leaching). Für den anderen Faktor (den relativen Überschuss an Niederschlag im Vergleich zur Verdunstung) wird eine analoge Konstruktion verwendet (siehe den Anfang des Textes der Abb. 1). Alle vier Sätze be- <?page no="290"?> Wolfgang Zydatiß 290 inhalten eine „grammatische Metapher“ (siehe 7a-d), wobei in jedem einzelnen Satz mindestens zwei satzwertige Vorgänge miteinander in eine logische Beziehung gebracht werden. Wie die Satzstrukturen der Abb. 1 + 2 zeigen, haben die Nominalisierungen in den „grammatischen Metaphern“ für die Fachkommunikation den weiteren Vorteil, dass sie objektsprachlich ‚expandiert‘ werden können; z.B. über Attribute (= pre-modification), Präpositionalgruppen (= prepositional phrases) oder die infiniten Infinitiv-, Gerundialbzw. Partizipialkonstruktionen (Erweiterungen, die Lernenden erfahrungsgemäß erhebliche Schwierigkeiten bereiten): • coniferous evergreen trees, high acidity and increased wetness etc., • in colder and wetter parts of the UK, the build-up of a thick peat layer at the surface etc., • water flowing down through the soil. Der Satzbau wird dabei ‚kompakter‘, und diese syntaktische Dichte (die mit einer Verdichtung der ausgesagten Informationen einher geht) macht den Text für Lernende schwerer verständlich. 4 Förderung des domänenbezogenen fachsprachlichen Lernens Aufbauend auf einigen generell-didaktischen und entwicklungsorientierten Aspekten des fachsprachlichen Lernens soll eine Auswahl konkreter Beispiele sprachfördernder Aktivitäten vorgestellt werden, die sich gezielt auf den Basistext der Abb. 1 und dessen Zielgruppe beziehen (hier: Schüler/ innen in bilingualen Zweigen an deutschen Schulen). 4.1 Fächer-, schulform- und stufenübergreifende Überlegungen Die Lernenden in den beiden Sekundarstufen des allgemeinwie des berufsbildenden Schulwesens sollten m.E. die Chance bekommen, die in Abschnitt 3 vorgestellten Charakteristika fortgeschrittener „bildungssprachlicher Kompetenzen“ (Gogolin 2006) in ihr aktives, textproduktives Sprachkönnen zu integrieren. Pädagogische Schlagworte wie ‚durchgängige sprachliche Bildung‘ haben wenig Sinn, wenn sie nicht in domänenbezogene, didaktisch strukturierte Lernarrangements überführt werden, die ein verschränktes fachliches und sprachliches Lernen in systematischer und kumulativer Weise realisieren. Es muss eine zentrale Aufgabe des Bildungswesens werden, die für die Fachkommunikation zentralen literalen Kompetenzen einer academic proficiency planvoll zu entwickeln. Prinzipiell bleibt festzuhalten: Alles fachliche Wissen und jede fachbezogene Erkenntnis sind sprachlich-symbolisch geformt (= mediation); wobei intentionales menschliches Handeln weitge- <?page no="291"?> Sprachlernen im fremdsprachigen Fachunterricht 291 hend über „kulturell-kognitive Werkzeuge“ („cultural tools“) ‚vermittelt‘ wird (Vygotsky 1978). Zugleich nimmt in einer Wissensgesellschaft (und -ökonomie) der Stellenwert literat-generischer (insbesondere schriftsprachlicher) Darstellungen ständig zu (auch in berufsbildenden Programmen). Genres (als Basiseinheiten des diskursiven Sprachgebrauchs in soziokulturellen Kontexten) sind solche ‚Werkzeuge‘ und müssen deshalb in unterrichtlich gesteuerten Lehr-/ Lern-Zusammenhängen den Schüler/ innen gezielt verfügbar gemacht werden. Da Genres einerseits bestimmte Konventionen aufnehmen und andererseits sozialen Erwartungen zu genügen haben, müssen sie textpragmatisch sowie semantisch und objektsprachlich ‚durchkomponiert‘ werden (= scripted discourse). Das spricht für das didaktisch planvolle Einüben von Genres im Fachunterricht; besonders im bilingualen Unterricht (da hier eine Fremdsprache als Arbeitssprache zum Einsatz kommt), aber auch in der deutschsprachigen Fachkommunikation, nicht zuletzt wenn die Schüler/ innen aus bildungsfernen Familien kommen und ihnen die entsprechenden bildungssprachlichen Kompetenzen nicht über die primäre Sozialisation ‚vermittelt‘ wurden. Der Vorteil ist (wie Vygotsky 1962 und 1978 in seinen grundlegenden lernpsychologischen Untersuchungen und Theorieentwürfen gezeigt hat), dass das letztendlich eigenständige Verfassen prototypischer fachkommunikativer Genres (als Abschluss eines didaktisch abgestuften Zyklus vorbereitender Aktivitäten vgl. Hallet 2013) die intellektuelle Entwicklung von Lernenden voranbringt (= amplifying cognitive abilities). Es hat gerade bei Risikoschüler/ innen keinen Sinn, hinsichtlich der „konzeptionellen Schriftlichkeit“ auf ‚Reifung‘ zu setzen bzw. auf Entwicklungsschübe zu warten. Die Ausbildung derartiger Kompetenzen ist die genuine Aufgabe der Institution Schule; denn wie Vygotsky wiederholt beobachtet hat (passim in seinen Werken): development follows instruction bzw. instruction leads development. 4.2 Sprachbewusstheit und Einüben von Textbzw. Ausdrucksroutinen In Übereinstimmung mit den lernpsychologischen Prinzipien der „soziokulturellen Theorie“ Vygotskys sollte der Unterricht sprachlich-visuelle Unterstützungsmaßnahmen (= ‚Lerngerüste‘ oder scaffolding vgl. Zydatiß 2010) bereitstellen, die den Lernenden erlauben, die vorgenannten fortgeschrittenen literaten Techniken einzuüben, zu festigen und auszudifferenzieren. Dabei handelt es sich um eigenständige (sprachbetonte) Lernaufgaben des Fachunterrichts, die unverzichtbar sind; denn das bisherige fachkommunikative Sprachkönnen der Schüler/ innen dürfte weitgehend auf semantisch-lexikogrammatisch kongruente Formulierungen beschränkt gewesen sein. Spätestens jetzt ist für die Schüler/ innen der Zeitpunkt gekommen, die für die Fach- <?page no="292"?> Wolfgang Zydatiß 292 kommunikation zentralen symbolischen Transformationen der erweiterten Nominalisierungen und der „grammatischen Metaphern“ als aktive bildungssprachliche Kompetenzen zu verankern, und zwar zusammen mit weiteren sprachfunktionalen und objektsprachlichen Kategorien (siehe Abb. 3-7), z.B.: • der textpragmatische Aufbau des Genres: Darstellung eines relativ komplexen Prozessablaufs über die Erklärung verschiedener Ursachen und Wirkungen, • die Ausschärfung eines Satzbegriffs, der auf die Versprachlichung eines Sachverhalts im Rahmen eines syntaktisch vollständigen Satzes ausgerichtet ist (statt elliptische Äußerungen zu produzieren), • Erkennen und Ausnutzen von Möglichkeiten der Wortbildung und lexikalischer Sinnbeziehungen (Synonyme, Antonyme, Hyponyme): Diese sog. ‚gebundenen Formen‘ einer Sprache (oder Synsemantika) beinhalten vielfältige Chancen, Bedeutungsalternativen für einen registergerechten sprachlichen Ausdruck zu realisieren, • eine kohärenzfördernde Textorganisation: vor allem über den Gebrauch von Konjunktionen und Satzadverbien als semantische Konnektoren zwischen Teilsätzen, • das Anbahnen von Strategien der satzbzw. satzgliedbezogenen Informationsverdichtung in diskursiven Zusammenhängen: über eine Erweiterung von Nominalgruppen und eine Veränderung der semantischen Verbklassen, was zusammen die Bildung „grammatischer Metaphern“ erlaubt sowie • die kontrollierte Handhabe einer kohäsionsstiftenden Informationsstruktur und thematischen Gliederung des Textes (siehe Abb. 2). Turning Processes or Properties into ‚Things‘ WORD FAMILY Verb Adjective Noun a) soluble substance = a substance which can be [dissolved] in a liquid b) Some minerals in the soil are [water]-[soluble]. c) Water [dissolves] some soil minerals; thus it is a [solvent]. to form to move to flow - to wet - - - acid/ acidic wet formation move/ motion/ movement flow acidity wetness SYNONYMS: build-up = accumulation Abb. 3: Wortbildung, Synonymie und Wortfamilie <?page no="293"?> Sprachlernen im fremdsprachigen Fachunterricht 293 Abb. 4: Ursache und Wirkung bei der Entstehung von Torfböden Building up extended nominal groups • a membrane → a cell membrane → a permeable cell membrane → a partially permeable cell membrane • a forest → a pine forest → an evergreen pine forest / a coniferous evergreen forest • the soil is wet and acid → the soil contains / shows a lot of wetness and acidity → increased wetness and high acidity of the soil • a layer of peat → a thick layer of peat → a thick peat layer → a thick peat layer at the surface → over the years / gradually a thick peat layer builds up at the surface → a thick peat layer accumulates at the surface → the accumulation of a thick peat layer at the surface Abb. 5: Ausbau von Nominalgruppen (Informationsverdichtung in einem Satzglied) WELL-PHRASED (SPOKEN) LANGUAGE WRITTEN SCHOOL LANGUAGE a) When a cell has a membrane which lets smaller water molecules pass, water can spread into the surroundings of the cell. b) After the internet had been invented, people could communicate more easily. c) The economic recession in the mid- 1970s was very long and deep, and so many people were out of work. a) A partially permeable cell membrane will allow the diffusion of water molecules. b) The invention of the internet eased / facilitated human communication. c) The length and depth of the economic recession in the mid-70s caused / resulted in mass unemployment. Abb. 6: Zuordnung zu Registervarianten (matching sentences) → [ wetness] → ↓ ►► & = peaty soil [acidity] → ↑ ↑ ▼ ↑ ▼ ►►►► CAUSE: precipitation is higher than evaporation EFFECT: water moves down through the (wet) soil CAUSE: soluble minerals in the soil get dissolved (= leaching) EFFECT: soil gets more acid (= acidic) <?page no="294"?> Wolfgang Zydatiß 294 Podsolisation: Podsol is a frequent [soil type] in the UK, found mainly in the cold and wet areas of Britain. The formation of this soil depends on [the move of water down through the soil]. This can happen because [precipitation is higher than / exceeds evapo-ration]. One of the reasons fort his excess is that - in the regions where podsols are found - temperatures [are fairly low throughout the whole year]. Consequently, water [flows / runs down] through the different layers of the soil. This results in a process called [leaching]. This means that [soluble soil minerals are washed down] to the lower layers of the soil profile; with the effect that the soil [gets / be-comes more acidic]. Over time, these two conditions, [high acidity] and [increased wetness] lead to [the accumulation] of a thick layer of peat. [Because] this type of soil, named podsol, is [infertile] it cannot be used for [agriculture]. Abb. 7: Hinführung zum genrebezogenen Schreiben (cloze technique) 5 Ausblick Wenngleich der Fokus dieses Beitrags eindeutig auf dem bilingualen Unterricht liegt, so tangiert er m.E. ein generelles Problem der deutschen Schule: die planvolle und durchgängige Verzahnung des fachlichen und des sprachlichen Lernens - also auch im deutschsprachigen Fachunterricht. Unser Bildungswesen verlässt sich immer noch zu sehr auf das „kulturelle Kapital“ (Bourdieu 1974), das die Schüler/ innen ‚von Hause aus mitbringen‘ sollen (sprich bildungssprachliche Kompetenzen, die ihnen erlauben, am Unterricht mit Erfolg teilzunehmen). Davon kann man jedoch in zunehmendem Maße in unseren Schulen nicht mehr ausgehen; und zwar nicht nur für die sog. ‚Minderheiten‘ (wie Schüler/ innen mit Deutsch als Zweitsprache / DaZ, Migrationshintergrund, Lese-Rechtschreibschwäche u.a.). Das Ausblenden des ‚Normalfalls‘ ist das eigentliche Problem: Fachbzw. bildungssprachliche Kompetenzen im Gewand der „konzeptionellen Schriftlichkeit“ (= advanced literacy, academic proficiency, the language of schooling oder CALP) müssen bei allen Schüler/ innen, in allen Schulformen und auf allen Stufen des Bildungswesens systematisch und kumulativ entwickelt werden (bis hin zum tertiären Sektor). Indem bildungssprachliche Defizite nicht gezielt überwunden werden (und zwar über angemessene Fördermaßnahmen im Hinblick auf literal-diskursive, nicht zuletzt schriftsprachliche Kompetenzen), bleiben die soziale Durchlässigkeit des Bildungswesens, die Verringerung des Anteils an Risikoschüler/ innen und durchgreifend bessere Ergebnisse in den internationalen Schulleistungsstudien ‚hehre‘ Träume. Hier müssen Mentalitäten im pädagogisch-gesellschaftlichen Denken aufgebrochen und verändert werden; vor allem in den Fächern, was die Notwendigkeit fachsprachlichen Lernens angeht. Nicht selten sind die intellektuellen Dispositionen vorhanden, aber die sprachlichen Defizite stehen dem Schulerfolg entgegen - also muss in den Institutionen bildungssprachlich gefördert werden. Funktionieren wird das sicher nur, wenn die Problematik einer durchgängigen sprachlichen Bildung <?page no="295"?> Sprachlernen im fremdsprachigen Fachunterricht 295 ein disziplinenübergreifender Gegenstand der universitären Forschung und Lehrerbildung wird. Die Theorieentwürfe von Halliday (= „Systemic Functional Linguistics“) und Vygotsky (= „Sociocultural Theory“) liefern dazu die entsprechenden Einsichten, was die entwicklungs- und lernpsychologische sowie die funktional-linguistische Fundierung betrifft. Literatur Bourdieu, Pierre (1974): Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Coxhead, Averil (2000): „A new academic word list“. In: TESOL Quarterly 34 (2), 213-238. Dalton-Puffer, Christiane (2007): „Die Fremdsprache Englisch als Medium des Wissenserwerbs: Definieren und Hypothesenbilden“. In: Caspari, Daniela/ Hallet, Wolfgang/ Wegner, Anke/ Zydatiß, Wolfgang (Hrsg.): Bilingualer Unterricht macht Schule. Beiträge aus der Praxisforschung. Frankfurt am Main: Peter Lang, 67-79. Gogolin, Ingrid (2006): „Bilingualität und die Bildungssprache der Schule“. In: Mecheril, Paul/ Quehl, Thomas (Hrsg.): Die Macht der Sprachen. Englische Perspektiven auf die mehrsprachige Schule. Münster: Waxmann, 79-85. Hallet, Wolfgang (2013): „Generisches Lernen im Fachunterricht“. In: Becker- Mrotzek, Michael/ Schramm, Karen/ Thürmann, Eike/ Vollmer, Helmut Johannes (Hrsg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster: Waxmann, 59-75. Halliday, Michael A. K. (1985): An Introduction to Functional Grammar. London: Arnold. Halliday, Michael A. K./ Matthiessen, Christian M. I. M. (1999): Construing Experience through Meaning. A Language-Based Approach to Cognition. London und New York: Continuum. KMK (2005): Bildungsstandards im Fach Biologie für den Mittleren Schulabschluss. München und Neuwied: Luchterhand. Koch, Peter/ Oesterreicher, Wulf (1985): „Sprache der Nähe - Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgebrauch“. In: Romanistisches Jahrbuch 36, 15-43. Schleppegrell, Mary J. (2010): The Language of Schooling. A Functional Linguistics Perspective. New York: Routledge [2004: Lawrence Erlbaum]. Vollmer, Helmut Johannes (2006): „Fachlichkeit und Sprachlichkeit. Zwischenbilanz eines DFG-Projekts“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 17 (2), 201-244. Vygotsky, Lev S. (1962): Thought and Language. Cambridge, Mass.: MIT Press. Vygotsky, Lev S. (1978): Mind in Society. Cambridge, Mass.: Harvard University Press. <?page no="296"?> Wolfgang Zydatiß 296 Zydatiß, Wolfgang (2007): Deutsch-Englische Züge in Berlin (DEZIBEL). Eine Evaluation des bilingualen Sachfachunterrichts an Gymnasien. Frankfurt am Main: Peter Lang. Zydatiß, Wolfgang (2010): „Scaffolding im Bilingualen Unterricht“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 44 (106), 2-11. <?page no="297"?> Forschendes Lernen und Lehren als Strategien zur Professionalisierung von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern Karin Aguado 1 Zur aktuellen Befindlichkeit der empirischen Fremdsprachenforschung 1 Es ist ein großes Verdienst der empirischen Fremdsprachenforschung, dass das Bewusstsein für forschungsmethodologische und forschungsmethodische Fragen in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland äußerst beachtliche Fortschritte gemacht hat - die gerade in jüngster Zeit wie Pilze aus dem Boden schießenden methodisch-methodologischen Einführungen, Hand- und Arbeitsbücher sind ebenso klare Belege dafür wie die seit geraumer Zeit regelmäßig durchgeführten Nachwuchstagungen (z.B. der DGFF und des FaDaF), darunter insbesondere Methodentagungen (wie die seit 2011 jährlich veranstaltete EmMeth) sowie Workshops und Sommerschulen (z.B. der DGFF seit 2010). Es besteht inzwischen ein Minimalkonsens über die Merkmale, die ‚gute‘ empirische Forschung im Kontext des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen aufzuweisen hat, nämlich die Formulierung eines klaren Erkenntnisinteresses und einer empirisch untersuchbaren Fragestellung sowie die nachvollziehbar begründete Auswahl gegenstandsangemessener Methoden in Bezug auf die Erhebung, Aufbereitung, Analyse und Auswertung der Daten (vgl. dazu auch Aguado 2013), und schließlich die Einhaltung ethischer Prinzipien. Die auf der Basis dieser Kriterien in jüngster Zeit entstandenen zahlreichen empirischen Arbeiten 2 haben zu einer Reihe von wichtigen Einsichten über Spezifika des fremdsprachlichen Lehrens und Lernens geführt, 1 Gemeint ist hier jegliche empirische Forschung, die im Kontext des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen durchgeführt wird. Um das Wortungetüm ‚Sprachlehr- und -lernforschung‘ zu vermeiden, wird hier auf den seit geraumer Zeit etablierten Ausdruck ‚Fremdsprachenforschung‘ zurückgegriffen, wenngleich er eine etwas missverständliche Verkürzung ist und nur von Insidern richtig interpretiert werden kann. 2 Vgl. z.B. die ursprünglich von Helmut Sauer begonnene und inzwischen von Friederike Klippel fortgeführte Dokumentation zu einschlägigen Qualifikationsarbeiten unter der URL: http: / / www.dgff.de/ fileadmin/ user_upload/ dokumente/ Veroeffentlichungen/ Chronologie_der_Diss._u._Habil._bis_2012.pdf (1.10.2014). <?page no="298"?> Karin Aguado 298 die - wenn sie angemessen rezipiert werden, und dafür kann und sollte die scientific community im Rahmen ihrer eigenen Lehre und Forschung sorgen - tatsächlich zu Veränderungen in den Köpfen und im Lehrhandeln von angehenden und praktizierenden Lehrer/ innen führen können. Dennoch scheint sich nach über 30 Jahren deutscher Fremdsprachenforschung bei ihren Vertreter/ innen eine gewisse Frustriertheit über ihren marginalen Einfluss auf die Bildungs- und Sprachpolitik breit gemacht zu haben (vgl. z.B. die Mehrheit der Beiträge in den von Bausch et al. im Jahr 2011 herausgegebenen Arbeitspapieren der 31. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts): Die großen Bildungsstudien werden weitgehend ohne die deutsche Fremdsprachenforschung bzw. Fremdsprachendidaktik geplant und durchgeführt, und es werden bildungspolitische Entscheidungen von großer Tragweite getroffen, ohne die Beteiligten - also Lehrer/ innen, Ausbilder/ innen, Forscher/ innen - einzubeziehen. Dies ist in der Tat schwer nachvollziehbar, aus meiner Sicht jedoch kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern stattdessen offensiv auf die eigenen Stärken zu setzen und künftig stärker „von unten“ zu agieren als dies bisher der Fall war. Zu Beginn der empirischen Fremdsprachenforschung in Deutschland wurde in erster Linie qualitativ und mit Einmethoden-Ansätzen bzw. bevorzugt innerhalb eines Ansatzes gearbeitet. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass die Multifaktorialität von fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen Mehrmethoden-Ansätze bzw. Mixed Method-Designs erforderlich macht, in denen verschiedene qualitative, aber auch qualitative und quantitative Verfahren - z.B. im Rahmen von Triangulationsstrategien - miteinander verknüpft werden, um möglichst dichte Beschreibungen und Erklärungen des Gegenstands zu erhalten. Aufgrund der oben bereits erwähnten, öffentliches Aufsehen erregenden Bildungsstudien kommt aktuell einer vorzugsweise quantitativ angelegten Forschungsmethodik große Aufmerksamkeit zu. Einige Kolleg/ innen ziehen nun den Schluss, dass die fremdsprachendidaktische Forschung - will sie von einer breiten Öffentlichkeit rezipiert und anerkannt werden - ähnliche Fragestellungen mit ähnlichen Methoden untersuchen solle. Dies halte ich jedoch weder für realistisch noch mit den Postulaten der empirischen Fremdsprachenforschung sinnvoll vereinbar. Mir scheint es an der Zeit, sich kritisch mit diesen seinerzeit als programmatisch formulierten und immer wieder zitierten Ansprüchen auseinanderzusetzen, was ich im folgenden Abschnitt in Ansätzen versuchen werde. <?page no="299"?> Forschendes Lernen und Lehren als Strategien zur Professionalisierung 299 2 Aus der Praxis für die Praxis - Anmerkungen zu einem zentralen Postulat der empirischen Fremdsprachenforschung Als zentrales Merkmal der empirischen Fremdsprachenforschung wird immer wieder ihr Praxisbezug bzw. ihre Praxisrelevanz - nach dem Motto „Aus der Praxis für die Praxis“ - genannt. Diese wird jedoch gerade von Praktikern häufig vermisst, die sie daher wiederholt einfordern. Andererseits stellt sich die grundsätzliche Frage: Kann empirische Forschung überhaupt die Probleme der Praxis lösen, bzw. „Ist es überhaupt angemessen, dass ‚Theoretiker‘ die Unterrichtspraxis erforschen? “ (Caspari 2011, 43). In diesem Zusammenhang kritisieren beispielsweise Schart/ Schocker (2013, 43f) die in der wissenschaftlichen Forschung herrschende Prämisse, der zufolge Lehrende Defizite haben, die von der Forschung kompensiert werden sollen, indem sie ihnen Handlungsempfehlungen für die Unterrichtsgestaltung bereitstellt. Resümierend stellen die beiden Autoren daher fest: […] Wissenschaft kann letztlich die Probleme der Unterrichtspraxis nicht lösen und auch nicht den Erfolg einer Veränderung garantieren. Als Experten in ihrem Handlungsfeld müssen Lehrende deshalb selbst - was auch bedeutet gemeinsam mit den Lernenden oder Kolleginnen und Kollegen […] - die Aufgabe in die Hand nehmen, den Unterricht weiterzuentwickeln. Genauer betrachtet werden Lehrer/ innen letztlich also nicht nur von der Bildungspolitik vernachlässigt und unterschätzt, sondern auch von der empirischen Fremdsprachenforschung: Es fehlt an partnerschaftlicher Kooperation, im Rahmen derer Praktiker eingeladen werden, als (Mit-)Forschende zu agieren. Daher fordert z.B. Legutke, Lehrer/ innen als Forschungspartner/ innen zu betrachten, „deren Theorien und Sichtweisen denen der wissenschaftlichen Theorien über Lehren und Lernen gleichwertig gegenüber stehen“ (Legutke 2011, 161). Und im Hinblick auf die Rezeption von Ergebnissen empirischer Forschung schlussfolgert Königs (2011, 23): Die Praxis wird Impulse oder auch sprachenbzw. bildungspolitische Vorgaben nur aufnehmen oder sich an ihrer Weiterentwicklung beteiligen, wenn ihre Protagonisten als gleichberechtigte Partner angesehen werden. Neben dem immer wieder festgestellten Mangel an kooperativer fremdsprachendidaktischer Forschung 3 fehlt es außerdem an empirischen Studien, im 3 Was die Ursachen dafür im Einzelnen sind, kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht erörtert werden. Möglicherweise liegt dieser Mangel darin begründet, dass Fremdsprachendidaktiker/ innen mehrheitlich in den Geisteswissenschaften sozialisiert sind, in denen - im Unterschied zu den Natur- oder Humanwissenschaften - traditionell viel Einzelforschung betrieben wird. <?page no="300"?> Karin Aguado 300 Rahmen derer gezielt die Wirkung von Unterricht (also spezifischen Verfahren, Maßnahmen, Techniken) oder Materialien (also Lehrwerke sowie traditionelle und elektronische Lehr- und Lernmedien) untersucht wird. Diese Art von Forschung findet kaum statt, weil sie aufwendig und somit teuer ist. Auch verfolgt die Wirkungsforschung ein Prinzip, das in der Bildungspolitik (aber leider nicht nur dort! ) derzeit keinen hohen Stellenwert hat, nämlich Nachhaltigkeit. Für eine angemessene Unterrichtsplanung und -durchführung sowie für die Erreichung von Lehr- und Lernzielen ist es jedoch unverzichtbar zu wissen, ob und wie eine Methode, ein Verfahren, ein Material, ein Medium, ein Curriculum etc. wirkt, um es beizubehalten, zu modifizieren oder ggf. zu verwerfen. Laut Hattie (2009) ist für den Lernerfolg die Passung von Inhalt und Form auf der Basis empirisch überprüfter Wirksamkeit erforderlich. Eine aus meiner Sicht ideale Möglichkeit besteht darin, dass Lehrende selbst diese empirische Überprüfung vornehmen, denn um Aussagen über Unterricht oder Empfehlungen für Unterricht formulieren zu können, bedarf es der Forschung im Unterricht selbst, und wer ist näher am Unterricht als die Lehrenden selbst? Was könnte nun kurzbis mittelfristig getan werden, um die skizzierte Situation langfristig zu verbessern? Eine mögliche Lösung, die ich im Folgenden ausführen werde, besteht darin, Unterrichtspraxis und Forschung deutlich enger als bisher miteinander zu verknüpfen. 3 Forschendes Lernen in der universitären Ausbildung Seit geraumer Zeit wird immer wieder gefordert, dass die universitäre Ausbildung im Bereich der Forschungsmethodik verbessert und intensiviert werden müsse (vgl. z.B. Grotjahn 2000): Ziel aller Studiengänge, in denen Studierende ausgebildet werden, die professionell mit dem Lehren und Lernen von Sprachen befasst sind - sei es als Lehrkräfte, sei es als Forscher/ innen - solle ein Mindestmaß an Forschungskompetenz sein. Angehende Lehrende sollten also in die Lage versetzt werden, Erkenntnisziele, Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse empirischer Forschung nachvollziehen zu können, „um individuelle Reflexionsprozesse, einen persönlichen Erkenntniszuwachs und subjektive, aber stärker evidenzbasierte Theoriebildungen einzuleiten, die ihrerseits zu einem höheren Selbstwirksamkeitskonzept und damit zu einem differenzierteren prozeduralen Handlungskönnen der einzelnen Lehrperson führen“ (Zydatiß 2012, 135). Sie sollen jedoch nicht nur kritisch-reflexiv mit vorhandener Forschungsliteratur umgehen können, sondern auch selbst kleine Studien planen und durchführen lernen, d.h. geeignete Fragestellungen formulieren und dem Gegenstand angemessene methodische Verfahren der Erhebung, Aufbereitung und Auswertung von Daten auswählen. Die zuvor formulierten <?page no="301"?> Forschendes Lernen und Lehren als Strategien zur Professionalisierung 301 Überlegungen sind nicht neu: Bereits vor über zehn Jahren schrieben Caspari et al. (2003, 504): Eine frühe Einübung und regelmäßige Einbindung in die Forschungspraxis könnte mit dazu beitragen, dass das Ideal des reflektierenden Praktikers als Mittel der Professionalisierung von Lehrenden in Schule und Hochschule stärkere Verbreitung findet und damit zur Qualitätssicherung des Fremdsprachenunterrichts, der universitären Lehre sowie der Aus-, Fort-, und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern beiträgt. Und was lernt man nun beim Forschen für die Unterrichtspraxis? Man lernt grundlegende Prinzipien und Vorgehensweisen kennen, die später bei der Berufsausübung von großem Nutzen sind wie z.B. genaues Beobachten, Explorieren und Diagnostizieren, Umgang mit kritischen Situationen etc. Da unser größter Einfluss als Hochschullehrer/ innen im Bereich der Ausbildung unserer Studierenden liegt und es zu einem erheblichen Teil in unserer Hand liegt, was wir ihnen vermitteln und welche Kompetenzen sie erwerben, müssen wir genau hier ansetzen. Zunächst einmal sollten wir die Studierenden dafür sensibilisieren, dass eine qualifizierte Praxis mehr ist als die Anwendung theoretischen Wissens, zumal Theorien und Modelle - auch wenn sie eine empirische Basis haben - immer beschränkt und vorläufig sind und ihre Anwendbarkeit bzw. Passung jedes Mal kritisch zu prüfen ist. Angehende Lehrer/ innen sollten ferner darüber aufgeklärt werden, dass von ihnen aufgrund der Einzigartigkeit, Instabilität und Unvorhersehbarkeit von Unterrichtsrealität (vgl. Schön 1983) eine Professionalität gefordert wird, die sie nur durch kontinuierliche Weiterentwicklung im Sinne des lebenslangen Lernens erwerben können. Künftige Lehrende müssen in der Ausbildung also dafür sensibilisiert werden, ihr Vorwissen sowie ihre ‚mitgebrachten‘ subjektiven Theorien über das Lernen und Lehren von Fremdsprachen kritisch zu reflektieren. Sie sollen erkennen, dass Wissen immer nur vorläufig ist und es ebenso wie für selbstverständlich gehaltene Theorien systematisch in Zweifel zu ziehen ist. Kurz: Sie sollen darin unterstützt werden, einen „wissenschaftlichreflexiven Habitus“ (Kremer/ Zoyke 2007, 14) auszubilden, und verstehen, dass „das handlungsleitende Wissen […] aus der reflexiven Verarbeitung vorgängiger Erfahrungen“ (Fichten 2010, 139) entsteht. Für Kremer/ Zoyke (2007, 5) zeichnet sich professionelles Lehrerhandeln dadurch aus, dass die individuellen Theorien auf dem Fundament abgesicherter, systematisch erworbener Erkenntnisse stehen und zu einer situativen Differenzierung und Anpassung beitragen. Die im Rahmen der universitären Ausbildung erworbenen Kompetenzen reichen zwar nicht aus, können aber eine gute Grundlage und Ausgangsbasis bilden: <?page no="302"?> Karin Aguado 302 Da berufliches Handeln in nicht-standardisierbaren Situationen stattfindet […], die nicht durch die bloße Applikation technologischen Wissens gemeistert werden können, besteht die Professionalität der Lehrkräfte in der Fähigkeit, die im Berufsfeld gegebenen strukturellen Antinomien […] zu durchschauen und die daraus für das Handeln erwachsenden Paradoxien reflexiv zu bearbeiten. (Fichten 2010, 136) Neben der Persönlichkeit - an der man selbst zwar nicht viel ändern kann, aber der bei der Berufswahl eine größere Beachtung geschenkt werden sollte als dies bisher der Fall war - sollte ferner die Einstellung zum Lehrberuf und zu den damit verbundenen Faktoren im Fokus stehen - Hattie (2009) spricht hier von mindset: Zentrale Voraussetzungen für einen erfolgreichen Unterricht sind seinen Analysen nach zum einen die Identifikation mit den fachlichen Inhalten und der eigenen Lehrtätigkeit und zum anderen ein offener, zugewandter Umgang mit Lernenden. Es muss von angehenden Lehrer/ innen ferner erkannt werden, dass sie es sind, die die Verantwortung für eine anspruchsvolle und herausfordernde Planung und Gestaltung ihres Unterrichts tragen. Zusammenfassend betrachtet geht es hier um die Übernahme von Verantwortung und die kontinuierliche aufmerksame Weiterentwicklung der eigenen beruflichen Handlungskompetenz, denn Schwierigkeiten, Diskrepanzen, Defizite sollen nicht nur erlebt bzw. erlitten, sondern erkannt und bearbeitet werden, was sich nicht zuletzt auch positiv auf die eigene Arbeitszufriedenheit auswirkt. 4 Es sind somit drei zentrale, aufeinander aufbauende Leitsätze, für die Studierende im Hinblick auf ihre künftige Lehrtätigkeit sensibilisiert werden müssen: 1) „Notice the gap! “ 5 : Hierbei geht es um die aufmerksame und bewusste Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen dem, was in einer Lehr-Lern- Situation geschieht und dem, was im Optimalfall geschehen sollte. 2) „Handle the gap! “: Damit ist gemeint, dass die akute Situation spontan und vorläufig bewältigt werden muss. 3) „Fill the gap! “: Hier geht es um die gezielte und systematische Analyse der zuvor erlebten Lehr-Lern-Situation mit der Absicht, sie zu verbessern. Diese selbstgesteuerten Handlungen haben nicht nur eine höhere Unterrichtsqualität zur Folge, sondern stärken auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. 4 In Bezug auf bereits praktizierende Lehrer/ innen ist festzustellen, dass sie vieles von dem, was zuvor skizziert wurde, bereits realisieren. Dennoch erscheint es wichtig, bei ihnen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie selbst für ihre Professionalisierung verantwortlich sind und diese systematisch betreiben können und sollen. 5 Diese Formulierung ist dem von Schmidt und Frota (1986) eingeführten L2- Erwerbsprinzip entlehnt, dem zufolge subjektives „Bemerken“ eine zentrale Voraussetzung für erfolgreiches Lernen darstellt. <?page no="303"?> Forschendes Lernen und Lehren als Strategien zur Professionalisierung 303 4 Forschendes Lehren in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern und -lehrerinnen Damit zukünftige Lehrer/ innen das für die zuvor genannten Handlungen vorausgesetzte Selbstvertrauen und schließlich die erforderliche Professionalität entwickeln können, müssen diese Kompetenzen zunächst einmal ausgebildet und trainiert werden. Idealerweise bietet sich dafür das Microteaching an, im Rahmen dessen in Kleingruppen Unterrichtssequenzen vorbereitet, durchgeführt, videographiert und anschließend in kritisch-kollegialer Weise miteinander analysiert und besprochen werden. Zentrales Lernziel ist hier abermals die Selbstreflexion: Angehende Lehrende sollen lernen, das eigene Lehrhandeln grundsätzlich als überprüfenswert zu betrachten und es kontinuierlich zu hinterfragen. Diese forschende Haltung muss bereits in der Ausbildung entwickelt werden, da dies in der späteren Berufspraxis nur bedingt möglich ist. Stenhouse (1977, 144) fasst die Merkmale einer professionellen Lehrperson wie folgt zusammen: In short, the outstanding characteristic of the extended professional teacher is a capacity for autonomous professional self-development through systematic self study, through the study of the work of other teachers and through the testing of ideas by classroom research procedures. Die Bereitschaft zur Reflexion und zur Entwicklung eigenen Handelns ist also der Kern einer jeden professionellen Lehr(er)arbeit: Forschendes Lehren und Professionalisierung gehen Hand in Hand! Zusätzlich zur zentralen Rolle der Selbstreflexion betont Wallace (1987, 105) den kollaborativen Aspekt der Aktionsforschung mit dem Ziel der Bildung einer professional community: Action research is the process through which teachers collaborate in evaluating their practice jointly, raising awareness of their personal theory; articulate a shared conception of values; try out new strategies to render the values expressed in their practice more consistent with the educational values they espouse; record their work in a form which is readily available to and understandable by other teachers; and thus develop a shared theory of teaching by researching practice. Im Kasseler Masterstudiengang Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wird seit über fünfzehn Jahren im obligatorischen Unterrichtspraktikum gewinnbringend mit dem Ansatz der Aktionsforschung gearbeitet, im Rahmen dessen das Microteaching und die damit verbundene kooperative Planung sowie das gegenseitige Peer-Feedback eingeübt werden. Es ist nicht zuletzt die auf diese Weise erzeugte Mehrperspektivität, die allen Beteiligten wertvolle Lernprozesse über sich, das eigene Handeln und dessen Wirkung ermöglicht. <?page no="304"?> Karin Aguado 304 Aus meiner Sicht stellt die von Lehrenden durchgeführte Aktionsforschung einen idealen Ansatz der Verbindung von Lehren, Forschen und Lernen dar, und zwar aus den folgenden Gründen: • Sie weist eine unmittelbare Praxisrelevanz auf, indem sie sich an den Bedürfnissen im jeweiligen Lehr-Lern-Kontext orientiert und nicht vornehmlich auf eine wissenschaftliche Erkenntnis abzielt. Das Erkenntnisinteresse ist in der Regel mit einem Veränderungsinteresse verbunden, d.h. man bleibt als Aktionsforscher/ in nicht bei der Erkenntnis stehen, sondern will diese praktisch wirksam werden lassen. • Es geht darum, Singuläres zu verstehen, kontextgebundenes Wissen zu generieren und daraus geeignete Handlungsoptionen für konkrete Situationen zu entwickeln und die eigene Praxis zu verbessern (vgl. dazu auch Schart/ Schocker 2013). • Die kritisch-freundliche Kooperation und kollegial erfolgende Planungs- und Reflexionsprozesse mit anderen Kolleg/ innen tragen zur Qualitätsentwicklung von Unterricht bei. Im Idealfall führt sie zur identitätsstiftenden Bildung einer professional community (analog zur scientific community). Das, was Fandrych et al. (2010, 11f) für den DaF/ DaZ-Bereich formuliert haben, gilt - leider! - nahezu genauso für die anderen sprachlichen Fächer: Noch nicht ausreichend entwickelt ist im Fach DaF/ DaZ auch als Folge unzureichender Methodenausbildung in den DaF-/ DaZ-Studiengängen die Handlungsforschung, die von Lehrkräften selbst initiiert und durchgeführt wird […], die über regelmäßige kritische Unterrichtsreflexion hinausgehend mit Hilfe datengeleiteter Erkenntnisgewinnung Einsichten für eine zu optimierende Unterrichtspraxis entwickelt und diese Erkenntnisse unmittelbar in der Praxis erprobt. Eine solche Handlungsforschung wäre insbesondere für den Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet der Wirkungsforschung anzustreben. Wirkungsforschung als Forschung, die die Wirksamkeit von Lehrerhandlungen, Unterrichtsprozessen, Medien etc. überprüft, ist etwas, das die gesellschaftliche Öffentlichkeit (Lehrende, Lernende, Vertreter der Politik) leicht einfordert, aber nicht leicht mit belastbaren Ergebnissen herstellbar ist, was u.a. im Wissen um die Multidimensionalität von Lehr- und Lernprozessen begründet ist. Ein wichtiger Grund, warum sich die Aktionsforschung noch immer nicht in einem wünschenswerten Maß durchgesetzt hat, besteht in der - natürlich nicht ganz zu Unrecht - vorhandenen Befürchtung von Lehrer/ innen, dass sie Mehrarbeit mit sich bringe, die zusätzlich zu den ohnehin schon hohen Anforderungen des Lehrerberufs nicht ohne Weiteres zu bewältigen sei. Was also fehlt, sind Anreizsysteme wie insbesondere Stundenentlastung. Hier be- <?page no="305"?> Forschendes Lernen und Lehren als Strategien zur Professionalisierung 305 steht also ein dringender Handlungsbedarf, im Rahmen dessen zuständige Stellen wie Schulleitungen, Schulämter und Ministerien von der nachhaltigen Nützlichkeit der Lehrerhandlungsforschung überzeugt werden müssen. Nicht zu unterschätzen ist ferner die Tatsache, dass der Bereich Forschung nicht von allen angehenden oder praktizierenden Lehrer/ innen als interessant und reizvoll wahrgenommen wird, sondern zu einem nicht unerheblichen Teil von Ängsten und Unsicherheiten geprägt ist. So besteht häufig eine gewisse Furcht vor der eigenen methodisch-methodologischen Unzulänglichkeit. Des Weiteren fürchten viele Lehrende auch die Ergebnisse, die dazu führen könnten, das eigene Handeln oder sogar das eigene Selbstkonzept hinterfragen und ggf. modifizieren zu müssen. All diesen Ängsten kann und sollte zum einen durch entsprechende Aufklärung und zum anderen durch gezielte Trainings entgegengewirkt werden. 5 Fazit Es gehört zur Professionalisierung von angehenden und praktizierenden Lehrer/ innen, dass sie nicht nur über fachliche und methodisch-didaktische Kenntnisse verfügen - mindestens ebenso wichtig ist ein gewisses Maß an Forschungs- und Reflexionskompetenz. Selbst in sprachbezogenen Studiengängen, die - bisher noch - keine Module im Bereich der empirischen Forschung vorsehen (und das ist meines Wissens nach noch immer die Mehrheit) - ist es möglich, die entsprechenden methodisch-methodologischen Grundlagen zu vermitteln und Studierende dazu anzuleiten, eigene lehrlernbezogene Projekte zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Künftige Lehrerinnen sollten in die Lage versetzt werden, ihren Unterricht kritisch zu reflektieren und selbst zu optimieren und sich - wann immer aus ihrer Sicht erforderlich, aber stichhaltig begründet - über Lehrwerke, Curricula, Vorgaben hinwegzusetzen und in einer Weise zu unterrichten, die ihnen zielführend erscheint. Fichten (2010, 139) fasst dies folgendermaßen zusammen: [Die] Qualität und Wirksamkeit der Lehrerbildung hängen u.a. davon ab, wie gut es gelingt, eine Balance zwischen Wissenschaftsorientierung und Orientierung an der Berufspraxis zu finden (Fried 1998: 50). In der Lehrerbildung sind demnach Vermittlungsprozesse anzulegen, durch die angehende Lehrkräfte dazu befähigt werden, Theorie und Praxis bzw. wissenschaftliches Wissen und berufspraktisches Handlungswissen aufeinander zu beziehen und aneinander anzuschließen […]. Die Lehrerbildung muss auf die Befähigung abzielen, Wissen und Handeln zu integrieren […]. <?page no="306"?> Karin Aguado 306 Wenn es also gelingt, in der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Sprachlehrkräften a) bei ihnen ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des forschenden Lernens und Lehrens zu schaffen, wir b) bereits praktizierende und künftige Lehrende mit dem notwendigen methodischen Rüstzeug dafür ausstatten und wir sie c) bei ihren Forschungen unterstützen und begleiten, bin ich davon überzeugt, dass wir damit einen weitaus sinnvolleren Beitrag leisten als wenn wir uns dem neuen Hype unterwerfen und mit quantitativen Methoden Fragestellungen untersuchen, die nicht genuin zu unseren Erkenntnisinteressen und -zielen gehören bzw. hinter ihnen zurückbleiben. Literatur Aguado, Karin (2013): „Wie wirkt Unterricht? Potentiale und Grenzen der empirischen Untersuchung des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen“. In: Hoshii, Makiko/ Reinelt, Marco/ Schart, Michael (Hrsg.): Lernprozesse verstehen - empirische Forschungen zum Deutschunterricht an japanischen Universitäten. München: Iudicium, 11-39. Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2011): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsethik, Forschungsmethodik und Politik. Arbeitspapiere der 31. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr. Caspari, Daniela (2011): „Zum Verhältnis von ‚Theorie‘ und ‚Praxis‘ im Forschungsfeld ‚Lehren und Lernen von Fremdsprachen‘“. In: Bausch et al. (Hrsg), 42-51. Caspari, Daniela/ Helbig, Beate/ Schmelter, Lars (2003): „Forschungsmethoden: Explorativ-interpretatives Forschen“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Auflage. Tübingen: Francke, 499-505. 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Stork 2011) sowie language und cultural awareness aufzubauen (Samulat, im Druck). Verstärkt sollten in den letzten zwei Jahrzehnten nun allerdings auch Lehrende 1 möglichst über ihren Fremdsprachenunterricht reflektieren, im Prozess lernen zu hinterfragen, wie sie besser unterrichten können. Dadurch, dass die Lehrkraft nun auch durch Publikationen wie die von Hattie (2014) und die Stärkung schulpädagogischer Professionalisierungsforschung zunehmend in den Fokus rückt, geht Königs (2014) sogar so weit zu fragen, ob die Lernerorientierung nicht möglicherweise die falsche Richtung war („ein Irrtum? “) bzw. - zurückhaltender ausgedrückt - ob zumindest die Lehrperson dadurch zu lange zu stark aus dem Fokus geraten sei. Sollte man nicht stärker über die Rolle der Lehrkraft diskutieren? Wurde das reflexive Denken und Handeln der Lehrkraft vernachlässigt zugunsten des Herstellens von reflexiven Prozessen in den Lernenden? Müsste man nun nicht vielleicht eher (oder zusätzlich? ) auch eine Lehrerorientierung anstreben, um eine weitere Qualitätsentwicklung (oder -absicherung) im Fremdsprachenunterricht erreichen zu können? 2 Fragen an Reflexion in der Fremdsprachenlehrer(aus)bildung Nicht nur das Nachdenken über die verschiedenen Rollen im Klassenraum ist also von besonderer Bedeutung: Reflexion an sich spielt eine wichtige Rolle in der Sprachlehrforschung - auch (und zunehmend) im Professionalisierungsprozess von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern. Sie wird entsprechend häufig in zahlreichen Fachdidaktiken sowie Modul- und Ausbil- 1 Soweit möglich werden geschlechtsneutrale bzw. beide Formen genannt. An Stellen, wo die Lesbarkeit eingeschränkt werden würde, wird die männliche Form verwendet, die weibliche bezieht dies natürlich immer mit ein. <?page no="310"?> David Gerlach 310 dungsbeschreibungen hervorgehoben. Der Titel dieses Beitrags, „Reflexion über Reflexion“, mag daher zum einen gelesen werden als eine Mengenbeschreibung (dass tatsächlich über und über in der Fremdsprachenforschung die Forderung nach Reflexion gestellt wird - wenn auch meist überproportional aus der Lernerperspektive), sie kann aber auch im wortwörtlichen Sinne gelesen werden: dass auch über Reflexion nachgedacht, reflektiert werden sollte. Dann könn(t)en sich nämlich die folgenden Fragen stellen: Wird Reflexion tatsächlich reflektiert in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften eingesetzt? Welche Formen und Kontexte von Reflexion sind überhaupt effektiv nutzbar und nötig? Und wie lassen sie sich in den verschiedenen Phasen der Lehrerbildung verknüpfend integrieren? Dieser Beitrag möchte versuchen, diese Fragen in der vorgegebenen Kürze zumindest in ihren Grundzügen zu beantworten und Ideen zu liefern, indem zunächst die ursprüngliche Herkunft reflektiven Denkens aufgegriffen und seine Bedeutung sowie dessen Wirksamkeit anhand von Studien der Fremdsprachenforschung umrissen wird, bevor dann Anregungen für die Lehrerbildung dargestellt werden. 3 Zur Konzeption und Wirkung reflexiven Denkens Mit reflexivem Denken in seiner Ursprungsform hat sich maßgeblich John Dewey beschäftigt, der dieses wie folgt beschrieben hat: […] reflective thinking, in distinction from other operations to which we apply the name of thought, involves (1) a state of doubt, hesitation, perplexity, mental difficulty, in which thinking originates, and (2) an act of searching, hunting, inquiring, to find material that will resolve the doubt, settle and dispose of the perplexity. (Dewey 1933, 12) Reflexion wird von Dewey damit als ein sehr aktiver Prozess gesehen, der aus einer gewissen Problemsituation erwächst, deren Lösung aktiv angestrebt wird. Donald Schön (1983) hat diesen Denkansatz mit seinem Werk The Reflective Practitioner in eine enge Beziehung zum Handeln gesetzt und die Unterscheidung zwischen reflection-in-action und reflection-on-action getroffen, um zu zeigen, dass Lehrkräfte ständig mehr oder weniger bewusste Entscheidungen treffen (müssen): Geschehen diese im Kontext des Unterrichtens (in action) werden handlungsleitende Theorien (Routinen im Unterrichtsalltag sowie nach und nach erlernte Handlungen und Reaktionen) eingesetzt; wird über das Handeln an sich reflektiert (on action), so wird primär Lehrerfahrung und eine vertretene Handlungstheorie kommuniziert, die eher an theoretische (didaktische) Modelle anknüpft (Schön 1983; 1987). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass das Wissen um Modelle und mögliche Hand- <?page no="311"?> Reflexion über Reflexion in der Fremdsprachenlehrerbildung 311 lungsweisen bekannt sein muss, um überhaupt reflection-on-action durchführen zu können, während in der Hektik des Fremdsprachenunterrichts dann mutmaßlich Erfahrungswissen eine bedeutendere Rolle spielt. Schöns Konzeption ging daher von einer doppelten Feedbackschleife aus, bei der reflection-in-action direkten Einfluss auf die unmittelbaren Handlungen im Unterrichtsprozess haben kann, während reflection-on-action außerhalb des Klassenraums (also z.B. in der Unterrichtsnachbereitung daheim) geschieht und dabei einen Schritt weiter geht, Prozesse im größeren Umfang bewusst macht und somit später in ähnlichen Unterrichtsprozessen in-action dann ein anderes Handeln bewirken kann (bzw. sollte). Wie Roters (2012) zeigen konnte, spielt die Entwicklung zum reflective practitioner in den USA - möglicherweise aufgrund der dort bereits früher eingeführten Standards und dem Einfluss von Dewey und Schön - eine größere und umfassendere Rolle in den Ausbildungscurricula als im deutschen Lehrerbildungssystem. Ohne den US-amerikanischen Lehrkräften eine höhere Reflexionskompetenz bescheinigen zu können, empfiehlt Roters aus hochschuldidaktischer Perspektive im Allgemeinen und bezogen auf Sprachlehrkräfte im Besonderen dennoch eine stärkere Implementierung von Reflexionsaufgaben in der Ausbildung und eine entsprechend klarere Rollenpositionierung und Qualifizierung der Lehrerausbilder, um reflexives Denken und Handeln initiieren und anleiten zu können. 4 Reflexives Denken in der Sprachlehrforschung In der Sprachlehrforschung werden im Zusammenhang mit den Lehrkräften häufig Deutungsmuster, subjektive Theorien (Scheele/ Groeben 1998), zuletzt Faktoren der Identitätsbildung (Müller-Hartmann 2013) diskutiert. Dabei geht es sowohl um die persönliche Abgrenzung zur „alten“ Rolle als Schüler und der neu aufzunehmenden Lehrerrolle, als auch um das professionelle Selbstbild an sich. Auch verschiedene Einstellungen und Perspektiven bezogen auf Aspekte fremdsprachlichen Unterrichtens wie Grammatikvermittlung oder die Rolle von Mehrsprachigkeit werden dabei in den Fokus gerückt. 2 Ein wesentlicher Bestandteil von Forschung in diesen Bereichen ist es ebenfalls, herauszufinden, auf welche Wissensformate die Lehrkräfte zurückgreifen, um bestimmte didaktische oder methodische Entscheidungen zu treffen. Wie Müller-Hartmann (2013) anmerkt, gibt es zwar schulpädagogische Studien aus der Phase des Berufseinstiegs zur Identitätsbildung, aber nur wenige Langzeit-, geschweige denn fremdsprachenlehrerspezifische Studien (z.B. Farrell 2011), welche ein Hauptaugenmerk auf die Identitätsbildung 2 Einen Überblick über die jüngsten Forschungsarbeiten dazu liefert Caspari (2014). <?page no="312"?> David Gerlach 312 legten. Da identitätsbildende Prozesse, auch in ihrer Erforschung durch einen berufsbiographischen Anteil, oft stark rückblickend sind, spielen sie in einer langfristig angelegten Praxis der Reflexion eine wichtige Rolle, die weiter verfolgt werden muss. Forschung, die sich mit der Reflexion von Fremdsprachenlehrkräften beschäftigt, zeigt dabei häufig sehr positive Ergebnisse, aber auch Aspekte, die bei der Implementierung von Reflexion bedacht werden sollten: • Der Enthusiasmus für das Unterrichten wird neu belebt und führt zu einem subjektiv empfundenen, besseren Lernerfolg der Schüler (Curtis/ Szestay 2005). • Der Grad an reflexivem Denken schwankt zwischen Lehrkräften sehr stark (Farrell 1999). • Das Üben kritischen Denkens muss über einen längerfristigen Zeitraum angeleitet werden (Liou 2001). • Die videographische Analyse und Diskussion eigener Unterrichtsversuche scheint für die Reflexion on action sehr hilfreich zu sein (Harford/ MacRuairc 2008). Dass Reflexion positive Auswirkungen auf das professionelle Handeln der Fremdsprachenlehrkräfte haben kann, scheint damit, auch durch Studien aus anderen Disziplinen wie der allgemeinen Erziehungswissenschaft und Psychologie, die hier nicht alle aufgeführt werden können, zumindest impliziert. An vielen Stellen wird allerdings zu Recht angeführt, dass es weiterer dezidierter Studien bedarf, um die Lehrerreflexion und deren direkte Auswirkungen auf Unterrichtsqualität und Lernen zu untersuchen (vgl. Akbari 2007). Mit den vorliegenden Ergebnissen ergibt sich die ausbildungsdidaktischmethodische Frage: Wie wird Reflexion in der Fremdsprachenlehrerbildung umgesetzt? Einige Ansätze bedienen sich hier der Aktionsforschung (action research) und lassen im Rahmen kleinerer Forschungsprojekte Fragestellungen mit reflexiven Anteilen und deren Auswirkungen auf die Lernenden entwickeln und im Unterricht evaluieren. Jedoch: Wenn reflexives Denken und Handeln ein fester Bestandteil der Lehrtätigkeit werden soll, müssten diese losgelöst werden von vereinzelten und noch dazu meist von Dritten angeleiteten Aktionsforschungsvorhaben oder Projekten an Hochschulen. Reflexives Denken in seinen verschiedenen Formen müsste strukturiert im Rahmen der Ausbildung unter Anleitung methodisch aufgebaut und dann zunehmend den tatsächlich Reflektierenden überlassen werden. 5 Formen und methodische Herangehensweisen Reflexives Denken kann auf verschiedene Arten und Weisen initiiert und gefördert werden: <?page no="313"?> Reflexion über Reflexion in der Fremdsprachenlehrerbildung 313 • Partner- oder Gruppendiskussionen (z.B. zu einer Unterrichtsstunde, zur Unterrichtsvorbereitung; Farrell 1999) • Fallorientiertes Analysieren (Kasuistik) und Diskutieren (z.B. per Unterrichtsvideographien oder -transkriptionen eigener oder fremder Unterrichtsbeispiele; Harford/ MacRuairc 2008) • (individuelles) reflexives Schreiben (z.B. mit anleitenden Fragen oder im Rahmen von Portfolioarbeit oder teaching journals; Beispiele in Burton et al. 2009, Empfehlungen zur Umsetzung auch in Roters 2012, 280-282) Anlass zur Reflexion sollte immer eine lohnenswerte Problem- oder Fragestellung sein; sie muss bedeutsam sein und damit gleichzeitig dazu motivieren, sich mit ihr zu beschäftigen. Falls die Fragestellung zu banal ist, läuft man Gefahr, nur um der Reflexion willen zu reflektieren, die immanente Chance der Methode geht dadurch verloren. Gleichzeitig sollte bei Diskussionen in gerade neu zusammengesetzten Gruppen darauf geachtet werden, dass der gewählte Ansatzpunkt der Gruppenreflexion nicht zu sehr auf der persönlichen Ebene Angriffsfläche bietet, da einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherlich eine gewisse Eingewöhnungsphase im Gruppenprozess benötigen (selbst wenn manche möglicherweise direkt sehr persönlich aus ihrer Erfahrung berichten könnten). Für alle Teilnehmenden neutralere Situationen wie z.B. Videomitschnitte dritter Lehrkräfte, in deren Situation sich die Zuschauenden hineinversetzen und die sie „fremd“ reflektieren könnten, sind für Diskussion in neuen Gruppen zunächst geeigneter. In jeder Phase der Ausbildung sollten angehende Lehrkräfte Gelegenheit bekommen, sich selbst zu fragen „Was kann ich schon? “, um dann kompetenzorientiert durch Beratung mit ihren Ausbilderinnen und Ausbildern gemeinsam zu evaluieren, welche Felder und Kompetenzen noch ausbaufähig sind. Die Portfolioarbeit kann hier - mittelfristig eingesetzt z.B. im Vorbereitungsdienst - von Vorteil sein, vor allem, da man schriftlich festgehaltene Reflexionen auch zu einem späteren Zeitpunkt immer wieder konsultieren und überprüfen kann, welche Kompetenzen sich tatsächlich entwickelt haben oder möglicherweise doch stagnieren, woraufhin man dann über alternative Wege und neue Möglichkeiten reflektieren könnte (vgl. Bräuer 2006). 3 3 Anregungen zur reflexiven Portfolioarbeit liefert Stork (2011); diese lassen sich auch in anderen Phasen der Ausbildung z.B. im Rahmen von Reflexionsaufgaben (s.u.) umsetzen. Burwitz-Melzer (2004) hat eine ausbildungsübergreifende Portfolioarbeit ausgehend von der Forderung nach dem reflective practitioner konzeptioniert und angeregt (Lehramtsportfolio für Fremdsprachenlehrkräfte, LAPF), welche (für die zweite Phase zunehmend) neben formalen Inhalten wie Leistungsnachweisen auch reflexive Schreibprodukte integriert. Müller-Hartmann (2005) beschreibt die Umsetzung eines Lehramtsportfolios auch als ein Element der Reflexion und fordert aus <?page no="314"?> David Gerlach 314 Es bleibt die Frage, wie sich reflexives Denken und Handeln in seinen verschiedenen methodischen Umsetzungsformen zusammenhängend und zielführend in die ohnehin bereits vielfältige Ausbildungsarbeit integrieren lässt. 6 Integration von Reflexionsaufgaben in der Ausbildung Aufgrund der Bedeutung für die Entwicklung angehender Fremdsprachenlehrkräfte müsste Reflexion zu Beginn jedes neuen Ausbildungsprozesses stehen und diesen Prozess langfristig begleiten, um positive Auswirkungen auf die individuelle Entwicklung haben zu können. Angehende Lehrkräfte müssten für reflexives Denken zunächst sensibilisiert, das Denken müsste in gewissem Maße unter Anleitung mit Hilfestellungen (vgl. Caspari 2004, 73) „trainiert“ werden, damit z.B. im Rahmen von langfristigen Reflexionsportfolios tatsächlich auch reflektiert wird und nicht nur Ausbildungsinhalte wiedergegeben werden (vgl. Burwitz-Melzer 2004, 146ff). 4 Um eine Kontinuität in der Lehrerbildung zur gewährleisten, wurde an anderer Stelle bereits exemplarisch dargestellt, wie Kompetenzentwicklung anhand des fachdidaktischen Konzepts der Lernaufgabenorientierung auch im Rahmen einer Ausbildungsdidaktik greif- und umsetzbar gemacht werden kann (Gerlach et al. 2012). Diese Praxisaufgaben haben zum Ziel, Erfahrungen aus dem Unterricht der angehenden Lehrkräfte kompetenzorientiert in ihre Veranstaltungen an den Studienseminaren (oder auch in schulpraxisbegleitenden Seminaren an Hochschulen) zu integrieren. Der Lernaufgabensystematik wohnt schließlich der Aufbau bestimmter höherer Fertigkeiten durch kleinere, vorgeschaltete (und im unterrichtlichen Kontext oft differenzierender) Übungen inne. Beispielhaft sei im Folgenden dargestellt, wie an einem hier gedachten Unterrichtsbeispiel „mündliche Fehlerkorrektur“ ein reflexiver Prozess, die „Reflexionsaufgabe“, in einem Begleitseminar z.B. zum Praxissemester oder schulpraktischer Studien umgesetzt werden könnte (vgl. Abb. 1). Den Ausgangspunkt der Reflexionsaufgabe bildet die persönliche Erfahrung als Problemstellung („state of doubt“ bei Dewey) der angehenden Lehrkräfte mit mündlicher Fehlerkorrektur. Um im Umgang damit kompetent zu werden und in action reflexiv damit umgehen zu können („Reflexionsaufgabe“ rechts), werden einige Seminarinhalte in situativen Aufgaben (on action) aufgegriffen (z.B. fachdidaktische Inhalte, aber auch konkrete Gruppendismotivationalen Gründen eine Anknüpfung dieses Portfolios an Inhalte der Prüfungsordnung. Ballweg (2012) stellt vor, wie ePortfolios mit reflexiven Elementen die DaF/ DaZ-Lehrerausbildung begleiten können. 4 Ideen und Übungen zur Selbstreflexion mit verschiedenen Schwerpunkten speziell zum Fremdsprachenunterricht(en) bietet das Werk von Richards/ Lockhart (2012). <?page no="315"?> Reflexion über Reflexion in der Fremdsprachenlehrerbildung 315 kussionen über Unterrichtsmitschnitte anderer Lehrkräfte), welche wiederum durch einen beratenden Input der Seminarleitung oder selbstgesteuertes Lernen der Studierenden vorbereitet werden müssen. Eine solche thematische Strukturierung erlaubt eine höchst transparente, zielgerichtete Koordination verschiedener Bedürfnisse der Auszubildenden. Jedoch sollten auch hier Reflexion und bestimmte Themen nicht um ihrer selbst willen im Rahmen einer solchen Struktur behandelt werden, sondern auf unmittelbaren Praxiserfahrungen basieren, die die Studierenden in die Seminare mitbringen. Auch müssen die Aspekte „Unterstützung/ Beratung“ nicht bei jeder situativen Aufgabe vollumfänglich durchgearbeitet werden; sie sind vielmehr als Angebote der Lehrerausbilderinnen und -ausbilder zu verstehen, die möglicherweise zu Beginn der Seminararbeit ausführlich eingeführt werden und später höchstens bei Bedarf wiederholt bzw. deren Kernelemente noch einmal aufgegriffen werden. In der zweiten Phase der Lehrerbildung lassen sich solche Reflexionsaufgaben (auch eingebettet in Praxisaufgaben) recht einfach zielführend einsetzen, da eine fast durchgängige Betreuung durch meist langfristig festgelegte Ausbilderinnen und Ausbilder gewährleistet ist. Doch wer übernimmt die Rolle der Integration, der Anleitung und des ständigen Beratens der angehenden Lehrkräfte im Rahmen des Studiums? <?page no="316"?> David Gerlach 316 Abb. 1: Reflexionsaufgabe zum Schwerpunkt „mündliche Fehlerkorrektur“ (eigene Darstellung in Anlehnung an Gerlach et al. 2012, 14) <?page no="317"?> Reflexion über Reflexion in der Fremdsprachenlehrerbildung 317 Gerade wenn der Reflexionsprozess ein langfristiger sein und dokumentiert werden soll, darf Reflexion (oder ein Lehramtsportfolio wie von Burwitz- Melzer und Müller-Hartmann dargestellt) nicht nur Gegenstand eines einzelnen Seminars sein, sondern muss ständig koordiniert wieder aufgegriffen werden. Organisatorisch dürfte das eine Herausforderung sein, die nur durch kooperativen Austausch der Lehrenden an den Hochschulen oder die Koordination von übergreifenden Stellen wie Zentren für Lehrerbildung vor Ort gewährleistet werden könnte. 7 Professionalisierung durch Reflexion Obwohl an vielen Stellen Gruppendiskussionen oder Formen kollegialer Beratung das Reflektieren über Unterricht fördern, fasst Burton (2009, 303) das damit auftretende Dilemma gut und sehr knapp zusammen: „[A] lot of teacher knowledge is being lost to the wider professional community due to the fact that teachers rarely write down their insights“. Sie spricht sich daher für ein verstärktes schriftliches Reflektieren und den Austausch und die Weiterentwicklung solcher schriftlichen Formen aus, wie es z.B. die Portfolioarbeit leisten könnte, wenn sie gemeinschaftlich angeleitet, z.B. innerhalb von Reflexionsaufgaben in Seminaren oder Fachgruppen an Studienseminaren, umgesetzt und vorbehaltlos geteilt und innerhalb der Gruppe der Ausbildenden diskutiert und weiterentwickelt werden. Unter Anleitung der Ausbilderinnen und Ausbilder, im kooperativen Beratungsprozess über die nötigen und möglichen Fortschritte der angehenden Fremdsprachenlehrkräfte, könnte reflexives Denken und Handeln in Form von Reflexionsaufgaben als strukturierendem Element integrativ und vor allem nachhaltig positiv eingesetzt werden, um fremdsprachliches Unterrichten zu entwickeln, Reflexion stärker in der deutschen Fremdsprachenlehrerbildung zu thematisieren und die Lehrkräfte zu professionalisieren. Dazu sollte auch prospektiv reflektiert werden, um mögliche Handlungsalternativen durchzuspielen und so einen flexiblen Umgang mit verschiedensten Unterrichtssituation zu ermöglichen. Im reflektierten Umgang mit diesem Ausbildungsschwerpunkt könnte die Förderung einer gewissen Lehrerorientierung, der individuellen Lehreridentität und der Bewusstmachung des professionellen Handelns (sowie dessen Entwicklung), wie auch Königs (2014) sie einfordert, vorangetrieben werden. Literatur Akbari, Ramin (2007): „Reflections on reflection: A critical appraisal of reflective practices in L2 teacher education“. In: System 35, 192-207. <?page no="318"?> David Gerlach 318 Ballweg, Sandra (2012): „ePortfolios - Mediale Unterstützung in der DaF-/ DaZ- Lehrerausbildung“. In: Adamczak-Krysztofowicz, Sylwia/ Stork, Antje (Hrsg.): Multikompetent - multimedial - multikulturell? Aktuelle Tendenzen in der DaF-Lehrerausbildung. Frankfurt am Main: Peter Lang, 147-158. 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An erster Stelle steht die fremdsprachliche, fachdidaktische und pädagogische Kompetenz der Lehrkraft, die sie befähigt, unter den konkreten Kontextbedingungen zusammen mit den Lernenden einen lebendigen Fremdsprachenunterricht zu gestalten, der letzteren mehr denn je die Chance eröffnet, in mehrsprachigen und mehrkulturellen Kontexten eigenverantwortlich sprachlich zu handeln. Die systematische Entwicklung von Lehrkompetenz kann deshalb zu Recht als vordringliche Aufgabe von Bildungsinstitutionen gelten, der sich auch das Goethe-Institut mit der neuen Fortbildungsreihe Deutsch Lehren Lernen (DLL) weltweit stellt. Die Fortbildungsmaterialien und mögliche Durchführungsszenarien werden wir im zweiten Abschnitt vorstellen, nachdem wir zunächst in aller Kürze den Stand der Diskussion um Fortbildung skizziert haben. Im Mittelpunkt steht dann die Erörterung der Praxiserkundungsprojekte, eine zentrale Aktivität von Fortbildungsmaßnahmen mit DLL. Orientierung für die Konzeption und Realisierung von DLL liefern die Professions- und Lehrerbildungsforschung der letzten 20 Jahre (Burns/ Richards 2009; Ehlers/ Legutke 1998; Schocker-v. Ditfurth/ Legutke 2006; Wright 2010) und das von den Ergebnissen dieser Forschung geprägte European Profile for Language Teacher Education (Kelly/ Grenfel 2004). Damit Lehrkräfte ihren Berufsalltag, der von komplexen, ambivalenten und durch Wertkonflikte bestimmten Anforderungen geprägt ist, bewältigen können, müssen sie auf ein Bündel von Wissensbeständen und durch die Berufsbiographie geprägten Erfahrungen zurückgreifen, die in ihrem Zusammenspiel handlungsleitend wirken. Fortbildung kann sich deshalb auch nicht damit begnügen, neue fachdidaktische Erkenntnisse und/ oder Methoden per Exper- <?page no="322"?> Michael Legutke/ Imke Mohr 322 ten zu vermitteln in der Hoffnung, damit innovativ zu wirken. Vielmehr muss sie durch die Auswahl erwachsenengerechter Lehr- und Lernformen, durch die Wahl der Inhalte und Aufgaben dem Gesamtkomplex handlungsleitender Faktoren Rechnung tragen. Dies kann dann gelingen, wenn die Unterrichtenden, ihr lokales Wissen, d.h. ihre Sichtweisen und Interpretationen der täglichen Praxis sowie ihre Wertvorstellungen den Diskurs entscheidend mitbestimmen. Fortbildung muss demnach einen gleichberechtigten Dialog über den jeweils konkreten Unterricht ermöglichen, der einerseits den unterschiedlichen Perspektiven Rechnung trägt (der Lehrerinnen und Lehrer, der Fortbildenden, der fachdidaktischen Forschung) und der anderseits über die einzelne Fortbildung hinausreicht, indem er die Lehrenden zum Weiterdenken und Erkunden der eigenen Praxis motiviert sowie zum Erproben von Neuem ermutigt und befähigt (vgl. Legutke 2011a). Erst die konkreten Angebote und Maßnahmen können den Beweis liefern, wie und mit welchen Ergebnissen es Lehrerfortbildung unter Berücksichtigung der lokalen Bedingungen möglich macht, dass Lehrkräfte ihre eigene Praxis diskursiv und erkundend weiterentwickeln, dass sie gemeinsam forschend lernen (Altrichter/ Posch 2007). Wir werden auf diesen Aspekt unter Punkt 3 zurückkommen. Eine Fortbildungspraxis, die solchen Prinzipien verpflichtet ist, muss dabei eine Reihe von Brennpunkten bewältigen. Vier von ihnen wollen wir uns im Folgenden widmen 1 : 1.) Lehrerfortbildung muss sich einer doppelten Schwellensituation stellen, wenn sie beansprucht, zur Validierung und Weiterentwicklung von Praxis beizutragen. Es stellt sich nämlich die Frage, wie die Praxis der Teilnehmenden Gegenstand ernsthaften Diskurses in der Fortbildung selbst werden kann und wie die in der Fortbildung angestoßenen Prozesse Eingang in die Alltagspraxis der Teilnehmenden finden können. 2.) Lehrerfortbildung kann sich nicht mit punktuellen oder einmaligen Angeboten zufrieden geben. Vielmehr bedarf sie der Kontinuität. Die Realisierung von Kontinuität setzt u.a. die Kohärenz der Angebote untereinander und ein transparentes Konzept didaktischer Kompetenzen (Hallet 2006) voraus. 3.) Die Forderung nach konsequenter Einbeziehung lokaler Praxis und damit individueller Perspektiven in die Fortbildung schließt eine theoretische Durchdringung solcher Erfahrungen im Lichte neuerer Forschungen nicht nur nicht aus, sondern verlangt nach ihr. 4.) Von besonderer Brisanz für eine nationale Mittlerorganisation wie das Goethe-Institut ist die Gefahr des „didaktischen Imperialismus durch Methoden- und Materialexport“ (Legutke 2011a, 1355), die Fortbildung ver- 1 Details vgl. Legutke (2011a). <?page no="323"?> Brücken zwischen Theorie und Praxis 323 meiden muss, um nicht kontraproduktiv zu wirken, indem sie lokales Wissen und Können entwertet. Alle vier Brennpunkte berühren Aspekte der Nachhaltigkeit von Lehrerfortbildung. Wir werden zu diesem Schlüsselkonzept am Ende des Beitrags zurückkehren. 2 Deutsch Lehren Lernen : Eine Antwort auf die Herausforderungen Die Fort- und Weiterbildungsreihe Deutsch Lehren Lernen (DLL) dient der Fort- und Weiterbildung von (zukünftigen) Deutschlehrkräften weltweit, die im Primarbereich, in der Sekundarstufe und in der Erwachsenenbildung tätig sind. 2 Die Entwicklung des Konzepts (Rahmenkonzept Legutke/ Rösler 2009) und die Erstellung der Fortbildungseinheiten wurden wissenschaftlich begleitet durch den Beirat Sprache des Goethe-Instituts und andere Expertinnen und Experten des Fachs Deutsch als Fremdsprache. Den Einheiten 1 bis 6 der Reihe liegt ein Curriculum für eine Basisqualifizierung zugrunde. Dieses geht vom Unterricht im Sinne eines komplexen Geschehens aus. Dieser Ausgangspunkt wurde in der Annahme gewählt, dass Lehrkräfte vom Unterricht als Gesamtgeschehen aus denken und im Hinblick darauf ihre unterrichtsrelevanten Entscheidungen treffen. Die Einheiten 1 bis 6 lenken den Blick dementsprechend von den Lehrenden und den Lernenden als Hauptakteuren des Unterrichts auf die zentralen Elemente von Unterricht: auf die fremde deutsche Sprache, die Interaktion im Klassenzimmer, die sprachliches Handeln ermöglicht, die Lernmaterialien und Medien sowie die Unterrichtsplanung und die externen Vorgaben für Unterricht wie Standards und Curricula. Fortbildungsdidaktisch folgt die Reihe dem Konzept des „erkundenden“ und reflektierenden Erfahrungslernens. Die Materialien aktualisieren das fachdidaktische Wissen der Teilnehmenden, setzen dabei mit Erfahrungsaustausch und Simulation bei deren Unterrichtsrealität an und leiten sie über die Beobachtung von authentischem gefilmtem Unterricht zur Reflexion ihres unterrichtlichen Handelns an. Dabei entstehen Fragen an den eigenen Unterricht, denen sie in Praxiserkundungsprojekten (PEPs) nachgehen. Medial stehen die DLL-Einheiten nach wie vor in Buchform, aber auch als Moodle-Buch integriert in eine Lernplattform zur Verfügung. Die Online- Fortbildung über die Lernplattform ermöglicht den interaktiven Austausch der Teilnehmenden mit den Tutorierenden des Kurses wie auch unter den Teilnehmenden selbst. 2 Siehe auch: www.goethe.de/ dll. <?page no="324"?> Michael Legutke/ Imke Mohr 324 Inzwischen werden alle DLL-Einheiten in verschiedenen regionalen Kontexten eingesetzt. 3 Fort- oder Weiterbildungsmaßnahmen wurden dafür sowohl als reine Präsenzveranstaltungen (z.B. als Intensivkurse), als reine Online-Fernkurse als auch im Blended Learning-Format erprobt. Letzteres ist besonders gut für die Durchführung von DLL-Fortbildungsmaßnahmen geeignet: Die Mischung aus kollegialem Diskurs auf der Grundlage von im Selbststudium erarbeiteten Fachinhalten (in Präsenz) und der aufgabengesteuerte Austausch mit tutorieller Unterstützung (Online auf der Lernplattform) ermöglicht den Teilnehmenden flexibles Arbeiten und das Voneinander-Lernen. Auch die Einübung in die PEPs, ihre gemeinschaftliche Planung, Durchführung und Präsentation gelingt im Blended-Szenario besonders gut . 3 Praxiserkundungsprojekte: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Professionalisierung 3.1 Praxiserkundung und Aktionsforschung Die Modellierung von Fortbildung mit Hilfe von Praxiserkundungsprojekten als zentralem Professionalisierungsinstrument ist nicht neu, sondern eng verbunden mit Traditionen der Handlungsforschung und deren besonderen Ausprägungen als Aktions- und Lehrerforschung (Altrichter/ Posch 2007; Schart 2011). Letztere gehen davon aus, dass das besondere Merkmal von Professionalität in der Fähigkeit von Lehrkräften besteht, sich autonom beruflich weiterentwickeln zu können. Solche Weiterentwicklung geschieht zunächst nicht durch Aufnahme und Anwendung von Theorien, die von außen (etwa durch Wissenschaftler) an den Unterricht herangetragen werden, sondern durch eine systematische Erforschung der eigenen Praxis und durch das Bemühen, die Praxis anderer Lehrkräfte zu verstehen. Posch (2001, 29f) benennt drei Hauptziele der Aktionsforschung: Die Untersuchung berufspraktischer Situationen durch die in der Praxis Handlenden selbst will die aktuelle Situation verbessern (Entwicklungsinteresse) die eigene Kompetenz zur Bewältigung derartiger Situationen weiterentwickeln (‚praktische Theorie‘) einen Beitrag zur Erweiterung des Wissenstandes leisten (Produktion und Verbreitung ‚lokalen Wissens‘). 3 Erprobungen fanden in Ägypten, Australien, Brasilien, China, Griechenland, Korea, Thailand, Indonesien, den Niederlanden, Russland, Schweden und in der Türkei in ca. 75 Maßnahmen statt. Es wurden 180 DLL-TrainerInnen ausgebildet. <?page no="325"?> Brücken zwischen Theorie und Praxis 325 Handlungsort der Aktionsforschung ist das Klassenzimmer und/ oder die Schule, wo sie in der Regel in einem siebenschrittigen Zyklus Gestalt findet: (1) die Identifikation einer Frage/ eines Problems (2), die Auseinandersetzung mit dem Lehr- und Lernkontext, (3) das Formulieren von Vermutungen beim Versuch, Antworten auf die Frage zu finden oder Lösungen des Problems anzugehen (Wenn ich x mache, wird vermutlich y passieren); (4) das Planen von Unterricht; (5) seine Durchführung und Dokumentation/ Beobachtung. (6) die Auswertung der Durchführung und schließlich (7) das kollegiale Gespräch über die gewonnenen Antworten auf die Frage und Einsichten in mögliche Lösungen des Problems. Im Idealfall könnten dann ein weiterer Zyklus zur Vertiefung und Differenzierung der Ergebnisse erfolgen. Evaluationen zur Realisierung dieses Ansatzes bestätigen einerseits den Gewinn für die Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften (Burns 2009 mit Überblick). Ziele, wie sie Posch (s.o.) formuliert, können durchaus erreicht werden, wenn die Forschungstätigkeiten in die Gesprächskultur einer „professionellen Gemeinschaft“ integriert sind, wenn die Beteiligten die Prozesse selbst steuern und bestimmen, wenn sie sich auf ein kleinschrittiges und systematisches Vorgehen einigen, sich gegenseitig stützen und beraten sowie die Interpretation von Ergebnissen gemeinsam verantworten. Aktionsforschung stärkt das Selbstbewusstsein und die Kompetenz der Lehrkräfte (vgl. auch Schart/ Schocker 2013). Andererseits ist nicht zu übersehen, dass Aktionsforschung in der Lehrerfortbildung Herausforderungen mit sich bringt, denn sie ist anspruchsvoll und zeitaufwändig. Auch wenn sie vom Unterricht her denkt und handelt und damit das Verhältnis zwischen Experten, die von außen auf Unterricht blicken (Wissenschaftler/ innen und Fortbildenden), und den Lehrkräften, die ihren Unterricht von innen her bestens kennen, neu bestimmt, kann Aktionsforschung auf Betreuung und Beratung von außen, auf kritische Freunde, nicht verzichten. Sie ist leicht in Gefahr, wegen ihres expliziten Bezugs zum Klassenzimmeralltag in der Bestätigung des Status Quo zu verharren und nicht mehr offen für neue Entwicklungen in der Fremdsprachendidaktik zu sein, die die Alltagspraxis herausfordern. Schließlich dürfen Erfahrungen mit Aktionsforschung als integraler Bestandteil universitärer Lehrerbildung (Bachelor- und Masterprogramme) nicht ohne erhebliche Modifikationen auf die Fortbildung übertragen werden (Benitt/ Legutke 2012; Legutke 2011b). Ausbildung und Fortbildung repräsentieren sehr unterschiedliche Formen der Lehrerbildung. Wie die Fortbildungsreihe DLL das Potenzial der Aktionsforschung nutzen und den besonderen Bedingungen der Fortbildung Rechnung tragen will, soll nun erörtert werden. <?page no="326"?> Michael Legutke/ Imke Mohr 326 3.2 Das Konzept der Praxiserkundung in DLL Die Wahl der Bezeichnung „Praxiserkundung“ in DLL signalisiert, dass es sich bei dieser Tätigkeit gerade nicht um eine groß angelegte Erforschung unterrichtlicher Phänomene und Zusammenhänge handelt, wenn die Erkundung des eigenen Unterrichts für Lehrkräfte zu einem im Berufsalltag brauchbaren Instrument der individuellen Weiterentwicklung werden soll. Fortzubildende werden durch PEPs in DLL dazu ermutigt, dass sie Fragen oder Herausforderungen, die sich ihnen im Unterricht stellen, selbst oder mit Hilfe von Kolleginnen und Kollegen beantworten können, indem sie ihren Kontext systematisch beobachten, Lernende befragen, sich fachdidaktisches Wissen erarbeiten und neu Erarbeitetes im eigenen Unterricht überprüfen. Die Impulse, diese Erkundungen zu unternehmen, kommen in der Phase der Einübung in dieses Konzept aus dem Fortbildungsmaterial und aus dem tutoriell begleiteten, kollegialen Gespräch über Unterricht: Über Beobachtung von Unterrichtsmitschnitten lernen die Teilnehmenden Unterricht aus verschiedenen Regionen der Welt und aus je anderen Lehr-/ Lernkontexten kennen. Dies schult die Fähigkeit, unterrichtliche Phänomene zu erkennen und über sie zu sprechen. Die Entwicklung einer interessierten und konstruktiven Haltung gegenüber dem Unterricht von Kolleginnen und Kollegen ist die Voraussetzung dafür, dass Lehrkräfte offen und reflektiert auch Fragen an den eigenen Unterricht stellen. Über reflexive Aufgaben zum Abschluss jeder thematischen Einheit machen sich die Teilnehmenden die Bedeutung der Fachinhalte für ihre Praxis bewusst und halten neue Ideen und Impulse fest. Die Dokumentation solcher Reflexionen ermöglicht es, Impulse für Praxiserkundungen zu bündeln. Geleitet durch Anwendungsaufgaben setzen die Teilnehmenden Neues in unterrichtliches Handeln um und entwickeln Szenarien für ihren Kontext. Über diesen Aufgabentyp wird auch zu Reflexion und Bewertung dessen angeregt, was im Unterricht abgelaufen ist. Jede Fortbildungsmaßnahme endet für die Teilnehmenden mit der Planung, Durchführung und Präsentation eines Praxiserkundungsprojektes, jeweils in Kleingruppen. Idee und Prozess einer Praxiserkundung lernen sie bereits in einer Simulation während einer ersten Präsenzphase kennen. Dadurch, dass die Teilnehmenden die Erkundungen gemeinschaftlich durchführen, werden das Gespräch und die Reflexion über Unterricht untereinander vertieft und die Gruppenmitglieder können sich gegenseitig bei der Durchführung der Praxiserkundung unterstützen. Es gibt drei Typen von Praxiserkundungen, mit denen die Verzahnung von Fachinhalten der DLL-Einheiten und der Unterrichtspraxis der Fortzubildenden gelingt: <?page no="327"?> Brücken zwischen Theorie und Praxis 327 1.) Erkundungen mit dem Ziel der Bestandserhebung nach dem Muster „Wie ist mein Unterricht in Bezug auf X? Wie bewerte ich dies aus meiner täglichen Praxis heraus? Was sagen meine Lernerinnen und Lerner dazu? “ Ein konkretes Beispiel dafür aus Einheit 1 „Lehrkompetenz und Unterrichtsgestaltung“ (Schart/ Legutke 2012) wäre: „Ich habe gelernt, dass sich Lernende durch Rituale gut im Unterricht orientieren können. Welche Rituale habe ich in meinem Unterricht mit welchen Funktionen etabliert? Kennen meine Lernenden diese Rituale und, wenn ja, wie schätzen sie sie ein? 2.) Erkundungen mit dem Ziel von Veränderung nach dem Muster „Wenn ich einmal X ausprobiere, was verändert sich dann in meinem Unterricht? “ Hier ein Beispiel für eine Frage dieses Musters zu DLL-Einheit 6 „Curriculare Vorgaben und Unterrichtsplanung“ (Ende 2013 u.a.): „Ich plane meine Deutschstunden immer nach einem bestimmten Schema. Wie verändern sich die Lernaktivitäten und die Arbeitsweise meiner Schülerinnen und Schüler, wenn ich nach dem Prinzip der Rückwärtsplanung vorgehe? “. 3.) Erkundungen mit dem Ziel, eine Lehraktivität/ ein Instrument o.ä., die/ das in der DLL-Einheit vorgestellt wurde und die/ das bisher unbekannt war, auszuprobieren und dafür ggf. auch zu modifizieren. Ein Beispiel dafür mit einem Impuls aus DLL-Einheit 2 „Wie lernt man die Fremdsprache Deutsch? “ (Ballweg et al. 2013) wäre: „Ich bin skeptisch geworden, ob meine Lerngruppe sprachlich so homogen ist, wie ich immer glaubte. Ich möchte mithilfe von ‚Sprachenporträts‘ erkunden, wie es um die sprachliche Vielfalt bestellt ist, in der meine Lernenden leben.“ Die Pilotierung hat ergeben, dass die Praxiserkundungsprojekte in der weltweiten Fortbildung einerseits besonders gewinnbringend sind, andererseits aber auch besondere Herausforderungen hinsichtlich ihrer Einübung und Betreuung mit sich bringen; die Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt. 3.3. Praxiserkundungsprojekte in Aktion Für die Einübung in die Erarbeitung von Praxiserkundungsprojekten hat sich folgendes Vorgehen bewährt: 1.) Information über PEPs und Simulation eines ersten PEPs in der Einführungsphase der Fortbildung (am besten in Präsenz) 2.) Gemeinsame Planung des PEPs in der Kleingruppe am Ende der Selbstlernphase 3.) Individuelle Durchführung der PEPs im jeweiligen Kontext der Fortzubildenden <?page no="328"?> Michael Legutke/ Imke Mohr 328 4.) Präsentation und Diskussion der Praxiserkundungsprojekte in einer abschließenden Präsenzphase PEPs werden von den Lehrkräften mit großem persönlichem Einsatz (Arbeitszeit, Kreativität, Kooperation usw.) durchgeführt. Perspektivisch ist es wichtig, dass die Fortzubildenden PEPs jedoch mit realistischem Aufwand durchführen und dokumentieren können. So werden PEPs zu einem in Fortbildung und Unterrichtsalltag praktikablen und damit nutzbringenden Instrument. Die Fähigkeit, Fragen für eine Praxiserkundung zu formulieren, die zu Projekten führen, die wirklich durchführbar sind, müssen die Lehrkräfte mit jeder Fortbildungsmaßnahme mit DLL weiter entwickeln. Dabei spielt die Betreuung und Beratung durch die Tutoren eine entscheidende Rolle. Die Fortzubildenden tendieren zunächst dazu, breit angelegte Fragestellungen oder auch solche zu wählen, die auf der Grundlage der in den Fortbildungseinheiten präsentierten Inhalte kaum bearbeitbar sind. Die TrainerInnen müssen neben fundierten Tutorierungskompetenzen also auch über hoch entwickelte fachdidaktische Fähigkeiten und über Wissen zur inhaltlichen und fortbildungsdidaktischen Konzeption von DLL verfügen. Eine weitere Herausforderung ergibt sich durch die Empfehlung, Praxiserkundungsprojekte gemeinsam mit Kolleginnen oder Kollegen durchzuführen (vgl. Punkt 3.2). Die Empfehlung, sich in der Kleingruppe auf eine gemeinsame Fragestellung zu einigen, die gleichzeitig in den sich oft sehr voneinander unterscheidenden Lehrkontexten erkundet wird, erfordert Kompromissbereitschaft, Empathie und Interesse für den Lehrkontext der anderen Gruppenmitglieder. Studien belegen, dass es sich lohnt, die Herausforderung zum kooperativen Lernen anzunehmen, da letzteres einen mehrperspektivischen Zugang zu dem vertrauten Unterricht eröffnet (Benitt/ Legutke 2012; Zibelius 2012). Gute Voraussetzungen dafür sind gegeben, wenn sich die Teilnehmenden der Fortbildung gut kennen lernen können, wenn Zeit für die Bildung von Kleingruppen zur Verfügung steht und wenn gerade die gemeinsame Planung der ersten PEPs im Rahmen einer Präsenzveranstaltung stattfinden kann. Herausfordernd ist für die Fortzubildenden auch, die PEP-Frage so anzulegen, dass sie einerseits ihrem spezifischen Erkenntnisinteresse in der Unterrichtspraxis nachgehen, sie diese Frage andererseits aber auch umfassend durch Beobachtung, Datenerhebung und Auswertung beantworten können. Dafür bringen Lehrkräfte weltweit sehr unterschiedliche Voraussetzungen mit. Hilfestellung im Prozess der Praxiserkundung bieten dabei gute Beispiele in Form von schriftlich dokumentierten Praxiserkundungsprojekten, Anleitungen zur Erstellung von Beobachtungs-, Reflexions- oder Fragebögen, die kontinuierliche Schulung von medientechnischer und methodischer Kompe- <?page no="329"?> Brücken zwischen Theorie und Praxis 329 tenz durch die Aufgaben in den DLL-Einheiten (z.B. eine Unterrichtssequenz auf Video aufnehmen und auswerten) und wiederum die Unterstützung durch den/ die Trainer/ in. Die Phase der Präsentation der Praxiserkundungsprojekte und die Diskussion ihrer Ergebnisse mit anderen Fortzubildenden stellen sich als zentral heraus. Wenn die Mitglieder der Kleingruppen die Ergebnisse ihrer individuellen Erkundungen miteinander geteilt haben, entscheiden sie gemeinsam, welche Ergebnisse auch für die anderen Kollegen von Interesse sind. Die richtige Auswahl der Inhalte für die Präsentation setzt auch voraus, dass die Teilnehmenden mit Unterstützung der Trainer entscheiden können, welche Ergebnisse zu einem zusätzlichen inhaltlichen input für die gesamte Gruppe werden können. Dieser Schritt dient auch dazu, die Inhalte der jeweiligen DLL-Einheit mit Bedarf und Interesse der Teilnehmenden und ihren lokalen Kontexten zu verknüpfen. Im Rahmen der Erprobung wurde deutlich, dass die Nachbesprechung der Praxiserkundungsprojekte in der Gruppe leicht mit einer Prüfungssituation verwechselt wird. Das sollte nicht passieren. Sie ist ganz im Gegenteil eine Gelegenheit für ein Gespräch über Unterricht, in dem es darum gehen sollte, Lehr- und Lernsituationen nachzuvollziehen, Gründe für ein konkretes didaktisches Vorgehen zu verstehen und Alternativen zu diskutieren. In Kontexten der Fortbildung, in denen es notwendig ist, dass Praxiserkundungsprojekte bewertet werden, ist darauf zu achten, dass Konzeption, Durchführung und Ergebnisdarstellung als gemeinschaftlich erbrachte Leistung bewertet werden; die Einschätzung und Diskussion der Ergebnisse im Kontext des eigenen Unterrichts und ihre Rückbindung an die fachlichen Inhalte der Fortbildung sind dagegen als Einzelleistungen zu verstehen. 4 Nachhaltige Lehrerfortbildung als Herausforderung: Eine vorläufige Bilanz Mit der Entscheidung für Praxiserkundungsprojekte als zentrales Professionalisierungsinstrument wollen Entwickelnde, Autorinnen und Autoren und Fortbildende einem zentralen Desiderat von Lehrerfortbildung begegnen, nämlich ihrer mangelnden Nachhaltigkeit. Aus den Erprobungen von DLL in unterschiedlichen Kontexten und in unterschiedlichen Durchführungsszenarien lässt sich eine erste, vorsichtige Bilanz ziehen, aus der sich Merkmale von Nachhaltigkeit gewinnen lassen. Fortbildung hat dann eine Chance, nachhaltig zu sein, wenn sie von dem ausgeht und zu dem zurückkehrt, was Lehrende mitbringen, nämlich ihr lokales Wissen und ihre Erfahrungen mit ihrem Unterricht, ihr Potenzial. PEPs können dazu beitragen, dass dieses sichtbar und verhandelbar wird. Eine <?page no="330"?> Michael Legutke/ Imke Mohr 330 solche Orientierung am Potenzial stärkt das Selbstbewusstsein der Lehrkräfte und schafft eine wesentliche Voraussetzung dafür, Neues zu erproben, d.h. Bestehendes weiter zu entwickeln - ebenfalls ein Merkmal von Nachhaltigkeit. Zu solcher Weiterentwicklung trägt Fortbildung dann bei, wenn es ihr gelingt, den Lehrkräften eine neue Perspektive auf das Vertraute, d.h. den eigenen Unterricht, zu eröffnen. Genau das ist ein zentrales Anliegen der PEPs, die besonders dann einen mehrperspektivischen Zugriff auf das Vertraute ermöglichen, wenn sie in Lernpartnerschaften geplant, durchgeführt und ausgewertet werden. Da die PEPs zudem in einen Prozesszusammenhang eingebunden sind, der immer auch ein kollegiales Gespräch über Einsichten, Lösungsvorschläge und neue Ideen in Präsenzphasen oder über Foren einschließt, bieten sie eine weitere Voraussetzung für Nachhaltigkeit, sie ermöglichen nämlich die Kontinuität der Professionalisierung. Da die PEPs in die Erörterungen der Themen, Konzepte und Fragestellungen der DLL-Einheiten eingebunden sind, die fachdidaktisches Wissen auf aktuellem Stand bündeln, besteht für die Lehrkräfte die Möglichkeit, ihre eigenen Vorstellungen über Unterricht und ihre Erklärungen für ihr konkretes Handeln zu überdenken, neu auszurichten und möglicherweise selbstbewusster zu vertreten. PEPs bieten ohne Frage Voraussetzungen zur theoretischen Fundierung professionellen Handelns. Wenn es gelingt, unter den schwierigen und vielfach belastenden Bedingungen des Alltags angemessene und machbare PEPs durchzuführen und kollegial zu verhandeln, dann besteht eine Chance, dass Lehrkräfte auch ohne institutionelle Fortbildung fortfahren, ihre Praxis weiter zu entwickeln. Diese Kontinuität ist vielleicht das wichtigste Merkmal von Nachhaltigkeit. Nachhaltige Lehrerfortbildung zu initiieren und aufrecht zu erhalten, bleibt eine Herausforderung. Zum einen ist eine ganze Reihe von Brennpunkten zu nennen, die hier nicht erörtert wurden. Dazu zählen neben dem Zeitaufwand und den Kosten die Fortbildung der Tutorierenden und Fortbildenden, die den PEP-Prozess begleiten, bereichern, steuern. Zu nennen ist ferner die sprachliche Kompetenzentwicklung als Herausforderung und Forschungsfeld. Fortbildungsangebote stellen für viele Lehrkräfte die einzige Möglichkeit dar, ihre Sprachkompetenz zu festigen und weiter zu entwickeln. Wie im jeweils konkreten Fall didaktisch-methodische und fremdsprachliche Aspekte verschränkt werden können und müssen, damit der angestrebte Diskurs über Unterricht auch in der Zielsprache erfolgen kann, ist für die Durchführung von PEPs von entscheidender Bedeutung und „nach wie vor einer der am wenigsten beachteten Brennpunkte. Allerdings garantiert die Tatsache allein, dass die Zielsprache in der Fortbildung benutzt wird, keine Verbesse- <?page no="331"?> Brücken zwischen Theorie und Praxis 331 rung oder Erhaltung der fremdsprachlichen Kompetenz der Teilnehmenden“ (Legutke 2011b, 260). Zum anderen bedürfen auch die oben genannten ersten Einsichten weiterer Differenzierung, etwa durch Begleitforschung und regionale Evaluationen. Die Annahme, dass die Realisierung reflektierten Erfahrungslernens, ein Kernstück von DLL, in vielen Kontexten nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll ist, wird z.Z. in einer Dissertation am Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften (GCSC) untersucht. Erste Ergebnisse sind noch 2014 zu erwarten (Dejanovič, im Druck). Wir sind gespannt. Literatur Altrichter, Herbert/ Posch, Peter (2007): Lehrer erforschen ihren Unterricht. 4. Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Ballweg, Sandra/ Drumm, Sandra/ Hufeisen, Britta/ Klippel, Johanna/ Pilypaitytè, Lina (2013): Wie lernt man die Fremdsprache Deutsch? Deutsch Lehren Lernen, Einheit 2. München u.a.: Langenscheidt. Benitt, Nora/ Legutke Michael (2012): „Task in action (Research): Insights into a blended learning teacher education program“. In: Biebighäuser et al. (Hrsg.), 191-212. Biebighäuser, Katrin/ Zibelius, Marja/ Schmidt, Torben (Hrsg.) (2012): Aufgaben 2.0. 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Demzufolge ist es nicht überraschend, wenn die Etablierung einer Professionsforschung, welche „sich mit der Deskription, Analyse und Entwicklung des Wissens und Könnens von Lehrpersonen im weiteren Sinne [ befasst ] “ (Trautmann 2010, 346), in der Fremdsprachenforschung gefordert wird. Angesichts der großen Bedeutung, die den Kompetenzstandards bei der Professionalisierung von Lehrern zugesprochen wird (Terhart 2007), sollen im Rahmen dieses Beitrags die Kompetenzstandards für die Lehrerbildung im Mittelpunkt der Reflexion stehen. Dabei soll vor dem Hintergrund eines Rückgriffs auf den Kompetenzbegriff reflektiert werden, wie Kompetenzstandards zur Professionalisierung und somit zum lebenslangen Lernen von (angehenden) Lehrern beitragen können. 2 Qualifikationsprofile und Kompetenzstandards für die Lehrer(aus)bildung Wenn auch in den letzten Jahrzehnten die empirische Lernerforschung im Bereich der Fremdsprachendidaktik zu Ungunsten der Lehrerforschung überwog, so wird doch die Forderung nach Professionalisierung der Lehrer- 1 Der vorliegende Beitrag benutzt die maskuline Form im generischen Sinne. <?page no="334"?> Hélène Martinez 334 ausbildung und deren Erforschung bereits seit Anfang der 1970er Jahre erhoben und ist seitdem in regelmäßigen Abständen Gegenstand fremdsprachendidaktischer Diskurse gewesen (für eine ausführliche Analyse der fachdidaktischen Diskussion um die Lehrerausbildung s. Pilypaitytė 2013) 2 . Impulse für diese Auseinandersetzung verbinden sich mit den fachdidaktischen und politischen Entwicklungen im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts und der Sprachlehrforschung sowie den damit stets wachsenden Herausforderungen an die Lehrkräfte. Allen Publikationen ist gemein, dass sie der Rolle der Fremdsprachendidaktik und der Frage nach den Qualifikationen bzw. dem „relevante[n] Können und Wissen“ (Bleyhl 1990, 31), das angehende Lehrer im Rahmen der universitären Ausbildung erwerben sollen, nachgehen. 3 In einem von ihm herausgegebenen Band zur Frage der Weiterentwicklung der Fremdsprachenlehrerausbildung fordert Königs (2001a, 19) einen verbindlichen, an den Bedürfnissen angehender (Fremdsprachen-)Lehrer ausgerichteten „Kanon“, an dem alle wissenschaftlichen Disziplinen beteiligt sein sollten. Die Kompetenzstandards für die Bildungswissenschaften (KMK 2004) 4 und ihre Ergänzungen durch die ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und -didaktiken (KMK 2008) 5 für die erste Phase der Lehrerausbildung umfassen inhaltliche und kompetenzbezogene Standards und bilden die Grundlage für einen solchen Kanon. 6 Sie zielen auf die Vergleichbarkeit der Lehramtsstudien in Deutschland und die entsprechende Mobilität der Studierenden, die Grundlage für die Überprüfung der Wirksamkeit der Lehrerbildung und die Professionalisierung von Lehrern ab. Ausgehend von den „Anforderungen im Berufsfeld von Lehrkräften und von den Kompetenzen und somit auch Kenntnisse[n], Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, über die eine Lehrkraft zur Bewältigung ihrer Aufgaben im Hinblick auf das jeweilige Lehramt verfügen muss“ (KMK 2008, 3), wurde eine Reihe von Standards aufgestellt, die seit dem Ausbildungsjahr 2005/ 2006 als Basis für die Lehrerausbildung in Deutschland und zur Entwicklung von Curricula dient (vgl. z.B. Blell 2008). Wenn damit ansatzweise 2 An dieser Stelle sei exemplarisch auf Publikationen verwiesen, an denen der Jubilar, Frank G. Königs, mitgewirkt hat: Bausch/ Königs/ Krumm (2003); Königs (2001; 2008; 2014b); Königs/ Zöfgen (2002). 3 Vgl. exemplarisch die Ergebnisse einer Reflexionstagung zur Ausbildung von Lehrenden moderner Sprachen in Meißner et al. (2001) sowie Melde (2003). 4 Siehe http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2004/ 2004_ 12_16-Standards-Lehrerbildung.pdf (1.10.2014). 5 Siehe http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2008/ 2008_ 10_16_Fachprofile-Lehrerbildung.pdf (1.10.2014). 6 Für eine ausfürliche Analyse des Stellenwerts der Fachdidaktik s. Wippenfürth (2009). <?page no="335"?> Standards in der Lehrer(aus)bildung 335 „eine organische Vernetzung fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und erziehungswissenschaftlicher Ausbildungskomponenten“ (Königs 2001a, 19) zu erkennen ist, so greift ein solches Unterfangen allerdings in mindestens zwei Aspekten zu kurz. Zum einen wird die Spezifizität der Fremdsprachendidaktik und der jeweiligen Fremdsprachen nicht genügend berücksichtigt. Wie fremdsprachendidaktische Kompetenzstandards aussehen könnten, hat Wippenfürth (2009) am Beispiel der Lehrersprache, der Mehrsprachigkeit und der interkulturellen Kompetenz überzeugend gezeigt. Zum anderen ist leider festzustellen, dass es sich bei diesen Anforderungen überwiegend um deklarative Wissensbestände, d.h. um vertieftes Sprach- und Fachwissen handelt, das im Rahmen der Lehrerausbildung erworben und weiterentwickelt werden muss. Standards haben im Allgemeinen den Vorteil, dass sie die Kompetenzprofile der Lehrer konkretisieren und somit konsensfähige Lernziele der Lehrerausbildung definieren. „Verbindliche Standards in der Lehrerbildung sind sinnvoll, kann doch auf diese Weise ein klares Berufsleitbild entstehen“ (Müller-Hartmann 2005, 199). Andererseits sind sie - wie bereits angedeutet - nicht unproblematisch. Über die o.g. Probleme hinaus „kann schnell eine schwer handhabbare Fülle entstehen“ (Lütge 2012, 200), die dem eigentlichen Konzept von Kompetenz nicht gerecht wird. Réduite en miettes, fractionnée en unités microscopiques, la compétence perd son sens, devient difficilement gérable et perd de sa valeur sur le marché du travail. La logique de la décomposition souvent poussée à l’extrême tue la compétence. (Le Boterf 2014, 58) Die Entwicklung von Kompetenzstandards gründet in der Annahme, dass Standards „das Wissen sowie die Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen, welche für die Bewältigung der Handlungsanforderungen notwendig sind, beschreiben“ (Wippenfürth 2009, 9). Sie suggerieren, dass Kompetenzen sich aus der Summe von savoirs, - im besten Falle - von savoir-faire und savoirêtre zusammensetzen und dass Kompetenzbeherrschung sich durch die Anwendung theoretischen, praktischen Wissens und/ oder einer Reihe von persönlichen Merkmalen auszeichnet (vgl. Le Boterf 2014, 57). Sie fassen tendenziell Kompetenz „en terme d’état“ (ebd., 58) d.h. als statische Größe, obschon Kompetenz immer auch ein Prozess ist. <?page no="336"?> Hélène Martinez 336 3 Rückbesinnung auf den Kompetenzbegriff: die Dimension ‚ savoirapprendre’ Der Kompetenzbegriff ist vor allem in Bezug auf die Kompetenzen der Lernenden konzeptualisiert worden (zuletzt KMK 2012) 7 . Als in Deutschland geltende Referenz gilt die Definition von Weinert (2001, 27f), wonach Kompetenzen die „bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen volitionalen, motivationalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen nutzen zu können“, sind. 8 Wie Klieme zu Recht bemerkt (vgl. Klieme et al. 2003, 78f), stellen Kompetenzen die Verbindung zwischen Wissen und Können her. Damit gilt die „Verknüpfung von Wissen und Können“ bzw. von „Wissen und Meta-Wissen“ als Voraussetzung für den Kompetenzaufbau (ebd., 79). Auch nach dem französischen Arbeitspsychologen Le Boterf (2009 2014) ist Kompetenz weit mehr als lediglich die Summe von Wissen und Fertigkeiten, die sich irgendwann und irgendwo abrufen lässt. Als kompetent gilt eine Person, wenn es ihr gelingt, die für eine Problemlösung jeweils notwendigen Ressourcen (Wissen, Einstellungen, Fertigkeiten) zu identifizieren, zu mobilisieren und miteinander zu kombinieren (Le Boterf 2009; 2014). Kompetenz ist demnach „la faculté de mobiliser des savoirs, savoir-faire et savoir-être dans une situation professionnelle donnée“ (Saunier 1997, zit. nach Leupold 2000, 180), ein „savoir-mobiliser“ (Le Boterf 2009) bzw. eine Mobilisierungs fähigkeit. Das Konzept von ‚Ressourcen‘ liegt im Kern des Konzepts von Kompetenz (vgl. auch Gérard/ Braibant 2004, 25). Ressourcen bestehen dabei nicht nur aus deklarativen Wissensbeständen - im Sinne von Professionswissen, das getestet werden kann (vgl. Röters et al. 2011) -, sondern sind prozeduraler und personenbezogener Art. Darüber hinaus impliziert der Begriff „faculté (de mobiliser...)“, dass die Person über savoir-apprendre verfügt, welches eine handlungsleitende und zielführende Identifizierung, Bündelung und Mobilisierung der zur Lösung einer Aufgabe notwendigen Ressourcen ermöglicht. Damit wird eine Dimension von Kompetenz herausgestrichen, die einer kompetenten Handlung zugrunde liegt und für deren Entfaltung wesentlich ist. Dieses savoir-apprendre bzw. diese Lernkompetenz ermöglicht, dass Lernende wie Lehrende über das eigene Handeln reflektieren und es entsprechend regulieren (können), also sich ihrer Ressour- 7 Siehe http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012_10_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf (1.10.2014). 8 Für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Kompetenzbegriff in pädagogischen Handlungsfeldern vgl. Jude et al. (2008). - <?page no="337"?> Standards in der Lehrer(aus)bildung 337 cen und Strategien bewusst sind, ggf. weitere suchen oder transferieren und je nach Anforderung aktivieren (vgl. Martinez 2013). Dies soll an einem konkreten Beispiel veranschaulicht werden: Im Zuge der Forderung nach Mehrsprachigkeit und der stets wachsenden Migrationsprozesse stehen Fremdsprachenlehrer vor neuen und komplexen Herausforderungen. Von ihnen wird z.B. erwartet, dass sie „die Sprachlernerfahrungen und -bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler erkennen und reflektieren [können]“ (Wippenfürth 2009, 16). Eine solche Kompetenz setzt voraus, dass sie folgende Ressourcen abrufen und miteinander kombinieren 9 : Savoirs: Fachwissen bezüglich der Förderung individueller und migrationsbedingter Mehrsprachigkeit; Fachwissen über Sprachenpolitik; Fachwissen über sprachübergreifendes Lernen; Fachwissen über Strategien und language (learning) awareness; Kenntnisse von Forschungsergebnissen zu individueller und migrationsbedingter Mehrsprachigkeit etc. Savoir-faire: Spracherfahrungen, schulisches und außerschulisches Wissen, vorhandene Mehrsprachigkeit, zwischensprachlichen Transfer etc. beobachten, identifizieren, erkennen, analysieren, vergleichen können; über (Mehr-)Sprachenerwerb sprechen und reflektieren können etc. Savoir-être: bereit sein, über seine Rolle und sein Rollenverständnis als Fremdsprachenlehrer nachzudenken; bereit sein, im Rahmen des jeweiligen Unterrichts in der Klasse vorhandene Sprachen einzubeziehen; bereit sein, Reflexionen über Sprachen im Unterricht zuzulassen; bereit sein, eventuelle nicht angemessene subjektive Theorien in Frage zu stellen etc. 10 Savoir-apprendre: Steuerung und Regulierung der eigenen (Lehrer-) Handlung durch monitoring bzw. Überwachungs- und Evaluationsprozesse im Hinblick auf die mobiliserten Ressourcen und deren Angemessenheit. Der Rückbezug auf dieses Kompetenzmodell veranschaulicht, dass kompetente (Lehrer-)Handlung savoir-apprendre voraussetzt. Bereits 2000 hat Leupold mit Rückgriff auf dieses Verständnis von Kompetenz die „Lernkompetenz“ als eine wesentliche Kompetenz von Lehrkräften bezeichnet, die ihnen ermöglicht, lebenslang weiterzulernen: Unter den Begriff Lernkompetenz fällt die Fähigkeit und Bereitschaft, neue Erkenntnisse aus unterrichtsrelevanten Forschungsbereichen aufzunehmen und mit vorhandenem Wissen bezüglich unterrichtlichen Handelns zu verknüpfen. (Leupold 2000, 180) 9 Die vorliegende Auflistung zielt nicht auf Vollständigkeit, sondern dient lediglich der Konkretisierung des Sachverhalts. 10 Die Deskriptoren für savoirs, savoir-faire und savoir-être sind an die Ressourcen- Deskriptoren des ‚Referenzrahmens für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen‘ (REPA) angelehnt (vgl. Candelier et al. 2009). <?page no="338"?> Hélène Martinez 338 Folgt man diesem Ansatz, so erscheint es notwendig, die Lernkompetenz als Gegenstand der Lehrerausbildung zu implementieren. 4 Reflexive Lehr- und Lernszenarien oder Opportunity-to-learn- Standards Kompetenzen als Fähigkeit zu verstehen, adäquate Ressourcen zu mobilisieren, impliziert, dass Kompetenzen nicht gelehrt werden können. Vielmehr müssen Lerngelegenheiten und Szenarien in der Lehrerausbildung geschaffen werden, in denen systematisch Ressourcen bezogen auf savoir, savoir-faire und savoir-être und nicht zuletzt savoir-apprendre aufgebaut werden. Zum Aufbau dieser Ressourcen und zum Training ihrer Mobilisierung werden Lehr- und Lerngelegenheiten benötigt, die den Prinzipien der Lernerautonomisierung (Jímenez Raya et al. 2007, 58) und des experiential learning (Kolb 1984) folgen sowie auf die Entwicklung der Reflexivität und der Metakognition von angehenden Lehrern abzielen. Dass Reflexionsprozesse mit Hilfe von Portfolios angeregt werden können, ist unbestritten (vgl. zuletzt Mehlmauer-Lacher 2010). In Anlehnung an Vandergrift/ Go (2012, 92) reicht es aber nicht aus, dass Lerner - hier angehende Lehrer - über ihre Kognition nachdenken: „For learning to be effective, however, learners must do more than just think about cognition and learning. They must also act on the thoughts they have“ (ebd.). Den Autoren zufolge wird „metacognition in action“ umgesetzt, „when learners show awareness of gaps in comprehension [for example: HM] and take immediate action, such as orchestrating the use of selected strategies“ (ebd.). Dementsprechend sind Lerngelegenheiten zu entwickeln, in denen Studierende sowohl aus der Lernerals auch der Lehrerperspektive lernen: • bewusst auf eigenes Wissen bzw. Ressourcen, inklusive subjektives Wissen zu fokussieren; • Kognitionen und Lehr- und Lernverhalten (mit Hilfe von Videographie) kritisch zu reflektieren; • neue Lernziele auf der Grundlage von Reflexion zu planen (vgl. ebd.); • ... Spätestens an dieser Stelle dürfte deutlich geworden sein, dass sich ein solches Training nicht wesentlich vom ‚Lernertraining‘ (u.a. Wenden 2002) unterscheidet und dasselbe Ziel verfolgt: die Fähigkeit, die Verantwortung für die eigene professionelle Entwicklung zu übernehmen. In Anlehnung an die Weiterentwicklung des Modells des experiential learning (Kohonen 1992) wird davon ausgegangen, dass Professionalisierung von (angehenden) Lehrern „requires a continous recycling of experience, reflec- <?page no="339"?> Standards in der Lehrer(aus)bildung 339 tion, conceptualisation and active experimentation“ (ebd., 29). Die Reflexion über eigene Lern- und Lehrerlebnisse erlaubt darüber hinaus einen Einblick in die eigenen Lernprozesse, ein Verständnis der jeweiligen Aufgaben und trägt zur Stärkung der Selbstwirksamkeit und zur Anbahnung einer professionellen Identität bei. Reflexives metakognitives Lernen als strukturierendes Element der Lehrerausbildung sollte nicht nur vorwiegend aus der Lehrerperspektive im Rahmen von Schulpraktika gefördert 11 , sondern auch verstärkt im Rahmen von fremdsprachendidaktischen Seminaren im Sinne von „learner development“ (Wenden 2002) entfaltet werden. Dabei könnte auch das Erforschen des eigenen Fremdsprachenlernens in den sprachpraktischen Lehrveranstaltungen eine wichtige Rolle spielen. Denn um noch einmal mit Königs (2008, 13) zu argumentieren: Es ist nicht ausreichend, „in einführenden und überblicksartigen Veranstaltungen die Studierenden an [unverzichtbare] Felder des Fremdsprachenunterrichts heranzuführen. [Diese müssen] theoretisch [durchdrungen] und handelnd erfahrbar [gemacht werden]“. Am Institut für Romanistik der JLU-Gießen ist in diesem Sinne eine ‚Selbst-Lern-Werkstatt‘ implementiert worden, deren Ziel es ist, die metakognitiven und (selbst-) reflexiven Kompetenzen von (Lehramts-)Studierenden romanischer Sprachen und den Erwerb von Sprachlern- und -lehrkompetenz zu fördern. 5 Fazit und Ausblick Kompetenzstandards tragen ohne Zweifel zur Professionalisierung von (angehenden) Lehrern bei. Sie bilden die Grundlage für die Überprüfung der Wirksamkeit von Lehrerbildung und somit auch deren Qualitätsentwicklung und -sicherung. Strebt man eine tatsächliche Verbesserung der Lehrerausbildung an, so müssen diese Standards mit der Schaffung von Rahmenbedingungen, von sogenannten Opportunity-to-learn-Standards, welche ihre Entfaltung begünstigen, ergänzt werden. Anhand der vorhergehenden Überlegungen lassen sich mögliche Wege aufzeigen. Einerseits wurde argumentiert, dass Ressourcen den Kern von Kompetenzen bilden und dass sie sich bis zu einem gewissen Grad isoliert darstellen lassen - im Gegensatz zu (Lehrer-)Kompetenzen, die komplex und situationsabhängig sind. Inwieweit diese Überlegungen zur Erstellung von Ressourcen-Deskriptorenlisten als Grundlage für Opportunity-to-learn- Standards und für die Entwicklung von Kerncurricula und Modulbeschrei- 11 In diesem Rahmen existieren sowohl in der Praxis als auch in der Forschung (u.a. Abendroth-Timmer 2011; Schocker-v. Ditfurth 2001) überzeugende Ansätze, die dem Konzept der Handlungsforschung folgen. <?page no="340"?> Hélène Martinez 340 bungen im universitären Kontext verstanden werden können, muss sich noch zeigen. Andererseits wurde mit Rückgriff auf den Kompetenzbegriff hervorgehoben, dass Kompetenzen immer auch savoir-apprendre voraussetzen, was Gegenstand der Lehrerausbildung sein sollte und Professionalisierung im Sinne lebenslangen Lernens gewährleisten könnte. Denn: [ê]tre compétent, c’est également agir avec autonomie, c’est-à-dire être capable d’autoréguler ses actions, de savoir non seulement compter sur ses propres ressources mais rechercher des ressources complémentaires, d’être en mesure de transférer, c’est-à-dire de réinvestir ses compétences dans un autre contexte. (Le Boterf 2014, 107) Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar (2011): „Reflexive Lehrerbildung: Konzepte und Perspektiven für den Einsatz von Unterrichtssimulation und Videographie in der fremdsprachendidaktischen Ausbildung“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 22 (1), 3-41. Bausch, Karl-Richard/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2003): Fremdsprachenlehrerausbildung: Konzepte, Modelle, Perspektiven. Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr. Blell, Gabriele (2008): „Integrative Kompetenzentwicklung in der Lehrerausbildung für das Fach Englisch: ein Praxisbericht“. 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In unserem Beitrag legen wir den Fokus auf die Entwicklung einer interkulturellen Kompetenz in der universitären Ausbildung der angehenden Fremdsprachenlehrenden. „A long and winding road“ (Gnutzmann/ Königs 2006): So bezeichneten Königs und Gnutzmann in Anlehnung an das Lied der legendären Beatles die Entwicklung von der Landeskunde zur interkulturellen Sprachdidaktik. Lang und steinig ist dieser Weg geblieben. Interkulturelles Lernen wird nach Leiprecht (2002, 26) unterschieden in einen Blick nach außen und einen Blick nach innen. Auch Fremdsprachenlehrkräfte benötigen interkulturelle Kompetenz in dieser doppelten Hinsicht: zum einen in Bezug auf einen Blick nach außen. Es liegt - laut den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss - in ihrem Auftrag, ihren Schülerinnen und Schülern interkulturelle Kompetenz zu vermitteln, die auf ausgewählte Zielsprachenländer (vgl. KMK 2004, 16f) ausgerichtet ist. Darüber hinaus bahnen (Fremdsprachen-)Lehrkräfte im schulischen Alltag Begegnungen zwischen ihren Schulklassen und Schulklassen in anderen Ländern an, und zwar sowohl medial vermittelt als auch in direkter Form (vgl. Grau 2010). Zum anderen kann interkulturelles Lernen nach innen gerichtet werden, und zwar „auf die eigene vielgestaltige Gesellschaft oder auf die eigene Gruppe von Lernerinnen und Lernern“ (Leiprecht 2002, 26). Lanfranchi (2010, 233f) nennt drei Relevanzbereiche, die ihrer Ansicht nach in diesem Sinne eine Qualifizierungsoffensive im Bereich interkultureller Kompetenz notwendig machen, und zwar • Schulerfolg unter Einwanderungsbedingungen bzw. erhöhte Selektion „fremdsprachiger“ Kinder, • Lebensweltbezogenheit im Unterricht, • soziale Erziehung. <?page no="346"?> Angela Schmidt-Bernhardt/ Antje Stork 346 Wir verstehen interkulturelles Lernen - ebenso wie sprachliches Lernen, mit dem es verknüpft ist - als ein lebenslanges Lernen, das niemals ganz abgeschlossen sein wird, sondern immer wieder neue Möglichkeiten der Weiterentwicklung bietet und erfordert. Angehende Fremdsprachenlehrpersonen sind deshalb nicht per se mit interkultureller Kompetenz ausgestattet, auch dann nicht - wie oftmals stillschweigend unterstellt wird -, wenn sie selbst über eine Migrationsgeschichte verfügen, durch die sie tiefgreifende Erfahrungen mit verschiedenen Kulturen gemacht haben. Aus diesem Grund führen wir seit dem Jahr 2009 mit Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Angewandte Linguistik der Adam Mickiwicz- Universität Pozna ń in Polen regelmäßig Kooperationsseminare durch 1 , die die interkulturelle Kompetenz der angehenden Fremdsprachenlehrenden fördern sollen (vgl. z.B. Adamczak-Krysztofowicz et al. 2012a und b; Adamczak-Krysztofowicz et al. 2014; Schmidt-Bernhardt 2012; Schmidt- Bernhardt et al. 2011). Sie werden von uns unter der übergreifenden Bezeichnung „POLDI - Polnische und deutsche Studierende lernen interkulturell“ zusammengefasst. Dabei legen wir sehr viel Wert darauf, dass es nicht in einem verkürzten Verständnis um Studierende mit deutscher und polnischer Nationaliät geht, sondern um Studierende aus Pozna ń und aus Marburg. In Pozna ń nehmen Deutsch als Fremdsprache-Studierende teil, die entweder Deutschlehrer/ -innen oder Übersetzer/ -innen werden möchten. Die Teilnehmer/ -innen aus Marburg studieren entweder unterschiedliche Fächer in Lehramtsstudiengängen (mit dem Berufsziel Lehrer bzw. Lehrerin an Gymnasien) oder Deutsch als Fremdsprache. Die Bezeichnung „POLDI“ behalten wir deshalb bei, weil sie weitere Assoziationen (zum Beispiel zum Fußballspieler Lukas Podolski, der eigentlich Łukasz Józef Podolski heißt) ermöglicht, die wir mit Spiel, Spaß und Entdeckerfreude verbinden, wie wir sie auch beim interkulturellen Lernen für hilfreich halten. Im Mittelpunkt unserer Seminare steht erfahrungsbasiertes und reflektierendes Lernen mittels eigenständiger Arbeit an anspruchsvollen Produkten in international zusammengesetzten Kleingruppen. Gearbeitet wurde bspw. an einer Ausstellung zu Erinnerungsorten, der Erstellung von Podcasts zu Themen wie „Literatur“, „Geschichte“, „Familie“ oder „Werte“ oder der Didaktisierung der erstellten Podcasts für den Unterricht. Bis zum Jahr 2012 fanden die Kooperationsseminare abwechselnd in Pozna ń und in Marburg statt. 2014 haben wir in Zusammenarbeit mit dem Museum für den Warschauer Aufstand ein gemeinsames Seminar in Warschau durchgeführt, bei dem die Stu- 1 Das Team umfasst (in wechselnden Konstellationen) neben den Autorinnen Victoria Storozenko (Marburg), Prof. Dr. Sylwia Adamczak-Krysztofowicz (Pozna ń ), Dr. Pawe ł Rybszleger (Pozna ń ) und Dr. Marta Janachowska-Budych (Pozna ń ). <?page no="347"?> Interkultuelles Lernen und Fremdsprachenlehrerausbildung 347 dierenden zum Thema „Warschauer Aufstand“ im Internet Materialien für den Unterricht in Deutschland und in Polen bereitstellen sollten. Kommunikationssprache ist stets - bedingt dadurch, dass es sich in Pozna ń um Deutschstudierende handelt - Deutsch. Auf den folgenden Seiten erörtern wir, welche Reflexionsebenen im interkulturellen Lernen zu berücksichtigen sind. Dabei beziehen wir uns auf unsere Erfahrungen in dem Begegnungsprojekt „POLDI“. Wir legen zunächst dar, von welchem Kulturbegriff wir ausgehen; anschließend skizzieren wir Grundlagen der Gestaltung und Reflexion interkultureller Begegnungen. An Beispielen aus unseren polnisch-deutschen Begegnungsprojekten weisen wir auf unterschiedliche Wahrnehmungen, auf unterschiedliche Perspektiven, auf Differenzlinien und Machtasymmetrien hin. Daran möchten wir verdeutlichen, in welche Fallen man in interkulturellen Begegnungen tappen kann. Daraus leiten wir unser Fazit für die Anforderungen an die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung ab. 2 Kultur als Konstrukt Eine Aufgabe der interkulturellen Bildungsarbeit ist es, mit dem Kulturbegriff spielerisch umzugehen. Begreift man Kultur nicht als etwas Statisches, geografisch oder sozial Lokalisiertes, erfährt man, wie viele Möglichkeiten es gibt, Kulturen einzuteilen, zuzuordnen, zu kombinieren. Kultur als Konstrukt begreifen, das heißt, sich mit den Kategorien zu befassen, in die Kulturen eingeteilt werden, das heißt, diese Kategorien zu durchschauen, zu hinterfragen, zu dekonstruieren. Interkulturelle Bildungsarbeit sollte „die Einteilung in Kategorien als solche zum Gegenstand der Auseinandersetzung machen und versuchen, der Annahme entgegenzuwirken, dass es sich hierbei um einen ‚natürlichen‘ Vorgang handele“ (Elverich/ Reindlmeier 2009, 35). Die eine Herausforderung liegt darin, das Statische des Kulturbegriffs aufzulösen - zu dekonstruieren, eine weitere ist es, die Wertungen von Kulturen als gesellschaftlich konstruiert zu erkennen (vgl. Elverich/ Reindlmeier 2009, 46f). Es fällt oft schwer, in der interkulturellen Bildungsarbeit eine kulturalismuskritische Haltung einzunehmen, denn das Verständnis von Kultur als Differenzschema, das Kultur als festgefügte natürliche, nationale und ethnisch gebundene Schicksalsgemeinschaften versteht (vgl. Elverich/ Reindlmeier 2009, 32), ist ein fest verankertes Konstrukt, dessen gesellschaftliche Bedingtheit nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Zu einer Änderung der Blickrichtung trägt sicherlich bei, andere als die gewohnten Einteilungen kennen zu lernen. Um ein Beispiel zu nennen: In der Soziologie wird ‚Whiteness‘ als soziopolitische Position untersucht in ihren Auswirkungen auf gesellschaftliche und politische Dominanz, auf sozialpsychologisch feststellbare Überle- <?page no="348"?> Angela Schmidt-Bernhardt/ Antje Stork 348 genheitsgefühle und auf individuelle und kollektive Handlungen. Dass die Einordnung in die Kategorie ‚Whiteness‘ abhängig vom gesellschaftlichen Kontext ist, zeigt sich konkret daran, dass in den USA Ende des 19. Jahrhunderts Polen und Iren als nichtweiß galten (vgl. Pech 2009, 67). Für die interkulturelle Begegnung beinhaltet die Abkehr von dem statischen Kulturbegriff und die Erfahrung von Kultur als dynamischem Prozess die Möglichkeit vielfältiger neuer Erfahrungen. Interkulturalität beinhaltet einen Bewusstseins- und Erkenntnisprozess, der aus der selbstreflexiven Wahrnehmung und Erfahrung kultureller Pluralität erwächst. In der Begegnung mit anderen kulturellen Identitäten oder kulturellen Kontexten wird wechselseitig die jeweilige Kulturgebundenheit der eigenen Identität, der eigenen Wahrnehmungs-und Handlungsweisen erfahrbar. Interkulturalität bedeutet in diesem Sinne eine Überwindung von Ethnozentrismus, die es zugleich ermöglicht, in der jeweiligen Wirklichkeitskonstruktion und im jeweiligen Handeln die Perspektive des anderen mitzudenken und zu antizipieren. (Albrecht 1997a, 119) Auch wenn bei internationalen Begegnungen ein dynamischer Kulturbegriff zugrunde gelegt wird, ist es in der Praxis oft der Fall, dass die „anderen“, d.h. diejenigen, die in der Begegnung kennengelernt werden, vor allem durch eine kulturelle Brille wahrgenommen werden. Reindlmeier (2009, 236) warnt im Zusammenhang mit der internationalen Jugendarbeit ausdrücklich davor und geht anhand von Simulationsübungen („Karo meet Delta“, „Bei den Derdianen“) folgenden Fragen nach: Was passiert, wenn ‚Kultur‘ das Wahrnehmungs- und Interpretationsschema ist, mit dem die Welt, Beziehungen zu anderen, die Gruppe, Dinge, die ich nicht verstehe etc. betrachtet und analysiert werden? Welche Bilder und Erklärungsmuster werden auf diese Weise reproduziert? Was wird nahe gelegt und was gerät dabei nicht in den Blick? Sie sieht die Gefahr, dass Kulturalisierungen produziert bzw. reproduziert werden, indem Verhaltensweisen von einzelnen Personen „aus deren (vermeintlicher) ‚Kultur‘ abgeleitet“ (Reindlmeier 2009, 236) werden, während „andere Differenzen sowie die dahinter stehenden Machtverhältnisse ausgeblendet werden“ (Reindlmeier 2009, 236f). <?page no="349"?> Interkultuelles Lernen und Fremdsprachenlehrerausbildung 349 3 Gestaltung interkultureller Begegnungen 3.1. Wir und die Anderen In der interkulturellen Begegnung laufen wir immer wieder Gefahr in eine Falle zu tappen: Ist es unser Ziel als Lehrende, Studierende aus zwei unterschiedlichen Kontexten miteinander in Kontakt zu bringen, die Marburger Studierenden das Poznaner Umfeld kennen lernen zu lassen und umgekehrt, so liegt die Gefahr darin, dieses Ziel zu konterkarieren, wenn vom ersten Moment der Kontaktaufnahme an die Gruppen in das Schema des ‚Wir und die Anderen‘ (vgl. Elverich/ Kalpaka/ Reindlmeier 2009, 13) fallen, sich also „gegenseitig als Mitglied einer Out-Group wahrnehmen“ (Auernheimer 2010, 43). Dieses Schema, das aus der Rassismusforschung bekannt ist, kann zu Abgrenzungen statt zu Verbindungen führen. Die Begegnung zwischen den Marburger Studierenden (‚wir‘) und den Poznaner Studierenden (‚die Anderen‘) kann unterschwellig nach einem Abgrenzungsschema, das Missverstehen und Abwertung beinhaltet, ablaufen. Zweifellos gibt es eine große Zahl an Unterschieden, die die Marburger und die Poznaner Studierenden im Kontakt miteinander feststellen. Es gibt Unterschiede im Wahrnehmen der geschichtlichen Ereignisse, im Ausüben von Religion, im Gestalten des Alltagslebens, ganz zu schweigen von dem größten Unterschied, den beiden unterschiedlichen Sprachen. Diese Unterschiede können und sollen nicht verleugnet werden. Die Gratwanderung in der interkulturellen Begegnung besteht darin, wie die Unterschiede gedeutet werden. Dienen die Unterschiede der Stabilisierung des ‚Wir‘ in Abgrenzung von ‚den Anderen‘? Oder lösen die Unterschiede Interesse und Neugier aus im Sinne eines sich Annäherns durch das Schaffen von Verbindungen? Dienen die Unterschiede vorschnell dazu, als kulturelle Merkmale charakterisiert zu werden, so ist die Gefahr der Abgrenzung größer, als wenn die Unterschiede zwar wahrgenommen, jedoch nicht kategorisiert werden. 3.2. Fremdheit „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ (Karl Valentin, zit. nach Albrecht 1997b, 85) ist zwar eine Binsenweisheit, jedoch hat sie für die interkulturelle Begegnung große Relevanz und wird leider allzuoft vergessen. Fremdheit als Begriff drückt vielerlei aus; in unserem Kontext ist der relationale Aspekt von Bedeutung. Fremdheit ist keine Eigenschaft an sich, sondern drückt das Verhältnis eines Subjekts zu einem anderen Subjekt oder zu einem Sachverhalt aus. Fremdheit existiert als Fremdheit nicht als Charakteristikum dieser so <?page no="350"?> Angela Schmidt-Bernhardt/ Antje Stork 350 bezeichneten Person oder dieser so bezeichneten Sache, sondern Fremdheit existiert nur aus und mit den Augen des Betrachters. Das Subjekt, das einem anderen Subjekt oder einem Sachverhalt Fremdheit zuschreibt, sagt damit etwas aus über das ihm als Subjekt Eigene, Zugehörige und das ihm als Subjekt nicht Eigene, nicht Zugehörige, also Fremde. Mit dieser Zuschreibung wird eine Differenz zum Ausdruck gebracht. Diese Differenz sagt in erster Linie etwas aus über die Person, die sie zum Ausdruck bringt und über die Beziehung dieser Person zur umgebenden Welt. Was ein Subjekt als fremd empfindet und bezeichnet, hat sowohl mit dem Subjekt als auch mit den in seinem Umfeld geltenden Deutungsmustern zu tun. „Die Erfahrungen des eigenen Selbst sind eingebunden in die Einstellungen, Überzeugungen, Weltbilder und Wertsysteme der eigenen Kultur und Gesellschaft“ (Albrecht 1997b, 88). Innerhalb einer Kultur und einer Gesellschaft, ebenso innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe gelten kollektive Deutungsmuster dessen, was als fremd oder als eigen angesehen wird. Diese Deutungsmuster unterliegen einem ständigen Wandel und unterscheiden sich auch innerhalb einer Gruppe. So empfinden beispielsweise die Marburger Studierenden, die zum ersten Mal in Poznan sind, die Dönerbuden als vertraut, die häufig im Restaurant auf der Speisekarte stehenden Pirogi hingegen als fremd. Einigen Marburger Studierenden, die bereits zuvor Polen besucht haben, sind die Pirogi hingegen ebenso vertraut wie das Ritual des sonntäglichen Kirchgangs der gesamten Familie. Insofern sagt Fremdheit als Deutungsmuster in der interkulturellen Begegnung viel über die sich begegnenden Subjekte aus. Vorsicht ist geboten, wenn Fremdheit als Maßstab für kulturelle Unterschiede verwendet wird. Dieser Maßstab kann schnell schief oder krumm sein, in jedem Fall fehlt ihm die Aussagekraft. 4 Beispiele „Zurückhaltung“ und „Fleiß“ An zwei Beispielen aus unseren „POLDI“-Seminaren möchten wir zeigen, wie leicht sich alle Beteiligten in den Fallstricken einer interkulturellen Brille verfangen können. Beispiel 1: „Zurückhaltung“ Jennifer 2 , Michael und Julia, Studierende aus Marburg, freuen sich schon auf die gemeinsame Seminarwoche mit den polnischen Studierenden, die diesmal in Marburg stattfinden wird. Sie haben sich nicht nur sehr für die allgemeine Organisation wie Unterkunft und kulturelles Rahmenprogramm engagiert, 2 In den Beispielen wurden alle Namen der Studierenden geändert und durch Aliasnamen ersetzt. <?page no="351"?> Interkultuelles Lernen und Fremdsprachenlehrerausbildung 351 sondern zu dritt bereits eine Reihe von Ideen für das Thema ihrer Arbeitsgruppe entwickelt. Als Joanna und Agniezka, zwei Studentinnen aus Pozna ń , endlich da sind und die komplette Kleingruppe mit der Arbeit beginnen kann, schildern Jennifer, Michael und Julia begeistert ihre Ideen. Sie sind dann sehr erstaunt, dass Joanna und Agnieszka sehr zurückhaltend sind, ja sogar fast desinteressiert erscheinen. Die beiden machen keine eigenen Vorschläge, sondern schließen sich den Vorschlägen der Marburger Kommilitonen an und sprechen nur sehr wenig. Jennifer, Michael und Julia sind sehr enttäuscht. Sie kommen zu dem Schluss, dass polnische Studierende generell von zurückhaltendem Wesen sind. Zudem gibt es in Polen wohl keine Debattierkultur wie in Deutschland. Es fällt ihnen schwer, mit Joanna und Agnieszka weiterzuarbeiteten. Für die Studentinnen aus Poznań könnte die Situation folgermaßen ausgesehen haben: Sie studieren Deutsch als Fremdsprache und freuen sich auf die Fahrt nach Marburg. Sie möchten ihre deutschen Sprachkenntnisse erweitern und vielleicht sogar neue Freundschaften schließen. Nach einer anstrengenden und langen Reise kommen sie endlich in Marburg an. Es geht sofort los mit der Begrüßung, dem Kennenlernen und der Arbeit in Kleingruppen. Natürlich läuft alles auf Deutsch. Puh, hier wird an einem Tag mehr Deutsch gesprochen als sonst an der Uni in einem Monat! Jennifer, Michael und Julia haben sich schon einige Gedanken zu ihrem Projekt gemacht. Sie sprechen sehr schnell. Die beiden verstehen nicht alles, nicken aber, weil es ihnen unangenehm wäre, wenn die Marburger Studierenden ihre Verständnislücken bemerken würden, und weil ihnen die Ideen einleuchtend erscheinen. Zum Entwickeln eigener Ideen bleibt ihnen keine Zeit, weil sie zur Genüge damit beschäftigt sind, der in der Fremdsprache Deutsch geführten Diskussion zu folgen. Je weniger sie selbst sagen, desto mehr und schneller scheinen Jennifer, Michael und Julia zu sprechen. Sie kommen zu dem Schluss, dass es in dieser Situation am besten ist, allen Vorschlägen von Marburger Seite zuzustimmen, auch wenn ihnen die Kleingruppenarbeit so nicht sehr viel Spaß macht. Aber vielleicht hören die deutschen Studierenden sich selbst gern reden und entscheiden sowieso lieber alles alleine? Beispiel 2: „Fleiß“ Helena und Sebastian haben sich im Projekt „Podcast“ für das Thema „Geschichte“ entschieden. Sie freuen sich auf die Zusammenarbeit mit den polnischen Studierenden Weronika und Magda. Sie erarbeiten emsig Vorschläge und schicken sie per Mail an die beiden Kommilitoninnen in Pozna ń . Möglichst viel wollen sie im Vorfeld der Begegnungswoche vorbereiten, damit sie dann einen sehr guten Podcast erstellen können. Die Projektnote wird ihre Seminarnote sein, und sie möchten gerne mindestens 13 Punkte erreichen. <?page no="352"?> Angela Schmidt-Bernhardt/ Antje Stork 352 Denn die Seminarnote zählt bereits in ihre Examensnote hinein. Eine sehr gute Examensnote kann entscheidend dafür sein, ob sie direkt nach ihrem Studienabschluss einen Referendariatsplatz bekommen. Wenn das nicht gelingen sollte, wie sollen sie die Wartezeit finanzieren, da doch das Studium schon teuer genug war? Umso entsetzter sind sie, dass Weronika und Magda nur selten auf ihre Mails antworten und auch keine eigenen Vorschläge einbringen. Helena und Sebastian sind enttäuscht und kommen zu dem Schluss, dass sie selbst fleißig sind, Joanna und Magda dagegen eher faul und unzuverlässig. Dies deckt sich zudem mit dem ihnen vertrauten Autostereotyp des sog. „fleißigen Deutschen“. In Pozna ń wird das Seminar nicht benotet, sondern Weronika und Magda bekommen nur die erfolgreiche Teilnahme bestätigt. Daneben haben sie viele weitere schwierige Seminare, die mit Klausuren abgeschlossen werden. Sie müssen viel arbeiten und lernen, um sie zu bestehen. Mit einem Durchfallen kann der Abbruch des Studiums verbunden sein. Noch dazu fehlen sie während der Projektwoche im Unterricht in Pozna ń und müssen den versäumten Stoff nachholen. Für das Kooperationsseminar in Marburg, das nur mit einer Teilnahmebestätigung abgeschlossen wird, arbeiten sie also so viel, wie gerade notwendig ist, um zu bestehen. Denn sie brauchen ihre Kraft und Zeit schließlich für die anderen benoteten Seminare. Weronika und Magda verstehen gar nicht, warum ihnen die Marburger Studierenden so häufig mailen und so angestrengt sind. Warum teilen sie sich ihre Kräfte nicht auch sinnvoll ein? Nach Auernheimer (2010, 47) sind interkulturelle Beziehungen fast durchweg durch Machtasymmetrien gekennzeichnet, weshalb wir sie auch hier zur Interpretation der beiden Beispiele heranziehen werden. Im Beispiel „Zurückhaltung“ spielte insbesondere die „unterschiedliche Sprachmächtigkeit der Interaktanten“ (Auernheimer 2010, 46) eine wichtige Rolle. Deutsch ist die Erstsprache von Jennifer, Michael und Julia, die sie dementsprechend beherrschen. Für Joanna und Agnieszka ist Deutsch eine Fremdsprache. Obwohl sie fortgeschrittene Lernerinnen (GeR-Niveau B2) sind, können sie sich doch nicht in ihr so schnell und differenziert ausdrücken wie in einer Erstsprache. Dies wird von Jennifer, Michael und Julia völlig unterschätzt bzw. gerät gar nicht erst in ihren Blick. Verstärkt wird die sprachliche Machtasymmetrie dadurch, dass sich Joanna und Agnieszka in Marburg nicht an einem ihnen vertrauten Ort befinden. Sie sind dort Ausländerinnen, so wie sich Jennifer, Michael und Julia in der Position der Inländerinnen befinden. Gerade in der dominanten Position kommt es nach Auernheimer (2010, 51) sehr leicht dazu, dass Störungen der Kommunikation einseitig der anderen Seite angelastet werden. <?page no="353"?> Interkultuelles Lernen und Fremdsprachenlehrerausbildung 353 In Beispiel 2 „Fleiß“ haben strukturelle Differenzen im Studiensysstem einen wesentlichen Einfluss. Die Leistungen der Studierenden in Marburg werden benotet und zählen bereits zur Examensnote, in Poznan hingegen wird lediglich die erfolgreiche Teilnahme bestätigt. Die Studierenden in Marburg gehen unreflektiert davon aus, dass es an der Universität in Pozna ń ähnliche Regelungen wie bei ihnen gibt. In deutsch-polnischen Begegnungen sind darüber hinaus weitere Machtasymmetrien von Bedeutung, wie bspw. ökonomische und historische Asymmetrien sowie Asymmetrien im öffentlichen Interesse. Wenn vorhandene Differenzen und Machtdifferenzen nicht bewusst gemacht und reflektiert werden, besteht die Gefahr, dass vorhandene (Auto- und Fremd-) Stereotypen nicht nur nicht abgebaut, sondern sogar verstärkt werden, so wie in Beispiel 1 die angeblich nicht vorhandene Debattierkultur der Polen oder in Beispiel 2 der angebliche Fleiß der Deutschen. 5 Fazit Die interkulturelle Brille passt also nicht immer. Unsere Erfahrung zeigt, wie bedeutsam in der Fremdsprachenlehrerausbildung zum einen die interkulturelle Erfahrung ist, zum anderen aber auch die Reflexion eben dieser Erfahrung. Internationale Studierendenbegegnungen können dazu beitragen, interkulturelles Lernen nicht nur in der Theorie, sondern auch im praktischen Handeln zu erproben und vor allen Dingen zu reflektieren. Die Reflexion kann methodisch unterschiedliche Gestalt annehmen. Sie kann im angeleiteten Gespräch in der Gruppe der Studierenden erfolgen, in dem die Studierenden Gelegenheit haben, ihre Praxiserfahrungen zu erzählen, zu hinterfragen, gegenseitig zu kommentieren. Hier können sich Kleingruppen und Großgruppen abwechseln. Sie kann in der Arbeit mit Lerntagebüchern und Portfolios erfolgen, die die Grundlage für einen Vergleich der Erfahrungen bilden. Methoden des kreativen Schreibens und des Vorlesens von Geschriebenem können ebenso eine Brücke zwischen individuellen Erfahrungen und kollektiver Verarbeitung bauen. Wenn Studierende ebenso wie Lehrende Selbstreflexion als bereicherndes Erfahrungsinstrument begreifen, werden sie in ihrer späteren beruflichen Praxis mit Freude und Überzeugung selbstreflexive Elemente in die interkulturellen Lernprozesse mit ihren Schülerinnen und Schülern integrieren. So können sie bspw. die Fähigkeit weiterentwickeln, die auch von den Schülerinnen und Schülern in den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die allgemeine Hochschulreife erwartet wird, und zwar „die Fähigkeit und Bereitschaft, ihr persönliches Verstehen und Handeln zu hinterfragen und mit den eigenen Standpunkten Un- <?page no="354"?> Angela Schmidt-Bernhardt/ Antje Stork 354 vereinbares auszuhalten und in der interkulturellen Auseinandersetzung zu reflektieren“ (KMK 2012, 21). Auernheimer (2010, 60) drückt dies folgendermaßen aus: „Es gilt die Maxime: Immer offen dafür sein, dass der oder die Andere anders sein könnte, als man dachte! “. Literatur Adamczak-Krysztofowicz, Sylwia/ Rybszleger, Paweł/ Schmidt-Bernhardt, Angela/ Stork, Antje (2012a): „,Es war anstrengend und kräfteraubend, den anderen zu verstehen und auf ihn einzugehen‘ - interkulturelles Lernen anhand urbaner Raumkonzepte“. 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Dazu wird zunächst im Anschluss an die Bildungstheorie Wolfgang Klafkis dessen Vorschlag aufgegriffen, „epochaltypische Schlüsselprobleme“, also Problembereiche, die die Lebensbedingungen der Menschen gegenwärtig und auch zukünftig bestimmen, in das Zentrum des Unterrichts zu stellen. Dieser Ansatz wird von uns dahingehend erweitert, dass wir dafür plädieren, „interkulturelles Verstehen“ als ein weiteres Schlüsselproblem zum Gegenstand des (Sprach)Unterrichts zu machen. Dieses Schlüsselproblem greift die in den vergangenen Jahren erfolgten Veränderungen in der Didaktik des Fremdsprachenunterrichts, die durch einen Wandel von der Kommunikativen Kompetenz zur Interkulturellen Kommunikativen Kompetenz gekennzeichnet sind, explizit auf. Dabei geht es im Wesentlichen um den Erwerb von Verstehensfähigkeit, und zwar sowohl im Hinblick auf das Eigene als auch hinsichtlich des Fremden. Die damit einhergehende Betonung des kulturellen Aspekts beim Lehren und Lernen von Sprachen eröffnet einen umfassenden Zugang zu den jeweils inhärenten Traditionen, wodurch unter anderem kulturelle Differenz erfahren und der Umgang damit eingeübt werden kann. Dabei ist die Bewusstheit der eigenen Kultur eine entscheidende Voraussetzung für die Offenheit bzw. die Öffnung gegenüber dem Fremden. An einem Unterrichtsbeispiel aus einem Leistungskurs Französisch der Jahrgangsstufe 12 wird abschließend der Frage nachgegangen, wie diese Forderung im Schulalltag umgesetzt und eingelöst werden kann. Dabei handelt es sich um das aus dem Regelunterricht erwachsene Projekt „Auf den Spuren der Internierungslager Gurs und Les Milles“, das nach intensiven schulischen Vorarbeiten in eine Fahrt zu einer französischen Partnerarbeitsgruppe nach Pau in den französischen Pyrenäen mündete. Gemeinsam mit dieser Gruppe <?page no="358"?> Frauke Stübig/ Heinz Stübig 358 fanden die Besichtigung des Lagers Gurs und eine Diskussion mit Zeitzeugen statt. 2 Wolfgang Klafkis Konzept der „epochaltypischen Schlüsselprobleme“ Mit seiner Bildungstheorie hat Wolfgang Klafki nach den Worten von Meinert A. Meyer und Hilbert Meyer „das Fundament für eine Allgemeine Didaktik […] für das 21. Jahrhundert gelegt“ (Meyer/ Meyer 2007, 7). Dabei versteht Klafki Bildung als Zusammenhang dreier Grundfähigkeiten, und zwar 1. der Selbstbestimmungsfähigkeit, 2. der Mitbestimmungsfähigkeit und 3. der Solidaritätsfähigkeit. Mit Selbstbestimmungsfähigkeit bezeichnet er die Fähigkeit „jedes einzelnen über seine individuellen Lebensbeziehungen und Sinndeutungen zwischenmenschlicher, beruflicher, ethischer, religiöser Art“ selbst zu entscheiden (Klafki 2007, 52). Mitbestimmungsfähigkeit als Zielsetzung ist notwendig, weil „jeder Anspruch, Möglichkeit und Verantwortung für die Gestaltung unserer gemeinsamen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse hat“ (ebd.). Solidaritätsfähigkeit ist für Klafki insofern entscheidend, als es nicht nur um das Individuum geht, sondern in gleicher Weise auch darum, dass es bereit sein muss, sich für diejenigen einzusetzen und sich mit denjenigen zusammenzuschließen, „denen Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse, Unterprivilegierung, politischer Einschränkungen oder Unterdrückungen vorenthalten oder begrenzt werden“ (ebd.). Was die Dimensionen der Bildung angeht, so können sie nach Klafki folgendermaßen bestimmt werden: als Bildung für alle, als Bildung im Medium des Allgemeinen und schließlich als Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten. Was ist mit „Bildung im Medium des Allgemeinen“ gemeint? Es ist die zentrale Gelenkstelle der Klafkischen Bildungskonzeption und enthält zugleich seine Antwort auf das sogenannte „Kanonproblem“, also auf die Frage, welche Inhalte - bezogen auf die jeweilige individuelle und gesellschaftliche Situation - in der Schule gelehrt und gelernt werden sollen. Im Kern geht es dabei um die „Aneignung der die Menschen gemeinsam angehenden Frage- und Problemstellungen ihrer geschichtlich gewordenen Gegenwart und der sich abzeichnenden Zukunft“ sowie um die „Auseinandersetzung mit diesen gemeinsamen Aufgaben, Problemen, Gefahren“ (ebd., 53), einschließlich der in der Vergangenheit bereits erzielten Problemlösungen bzw. der früher vollzogenen Klärungs- und Gestaltungsversuche. Das Rad muss nicht jedes Mal neu erfunden werden. Gleichwohl sollen die Lernenden nicht auf die bisherige Geschichte festgelegt werden, vielmehr sollen sie in Auseinandersetzung mit den vorgelegten Lö- <?page no="359"?> Interkulturelles Verstehen oder: Sprache ist der Bildung Anfang 359 sungen die Spielräume für Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit für sich selbst neu erkennen und begreifen. Mit Bezug auf seinen Begriff von Allgemeinbildung formuliert Klafki folgendes Postulat: Allgemeinbildung bedeutet [...] ein geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Problemen der Gegenwart und - soweit voraussehbar - der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher Probleme und Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken. Abkürzend kann man von der Konzentration auf epochaltypische Schlüsselprobleme unserer Gegenwart und der vermutlichen Zukunft sprechen. (ebd., 56) Bei der Bearbeitung dieser Schlüsselprobleme geht es nicht nur um den Gewinn struktureller Erkenntnisse und Einsichten über zentrale Fragen der Menschheit, sondern auch um die Aneignung von Einstellungen und Haltungen. Dazu gehören nach Klafki insbesondere: • „Kritikbereitschaft und -fähigkeit einschließlich der Bereitschaft zur Selbstkritik“, • „Argumentationsbereitschaft und -fähigkeit, d.h. das Bemühen, eigene Positionen und eigene Kritik so in den Zusammenhang eines Gesprächs bzw. eines Diskurses mit anderen einbringen zu wollen und zu können, daß den Gesprächspartnern Verstehen und kritische Prüfung ermöglicht wird […]“, • „Empathie im Sinne der Fähigkeit, eine Situation, ein Problem, eine Handlung aus der Lage des jeweils anderen, von der Sache Betroffenen aus sehen zu können“, und schließlich • die Bereitschaft und Fähigkeit zum „vernetzenden Denken“, also zum Denken in Zusammenhängen (ebd., 63f). Einen an Schlüsselproblemen orientierten Unterricht nennt Klafki „Problemunterricht“. Dabei handelt es sich um einen fächerübergreifenden Epochenunterricht, in dem Lehrerinnen und Lehrer in kleinen Teams zusammenarbeiten. Die sogenannten Profiloberstufen greifen das Konzept des Problemunterrichts auf, indem sie bestimmte Grund- und Leistungskurse für die Dauer der Qualifikationsphase aneinander koppeln und so stundenplantechnisch die entsprechenden Zeitrahmen schaffen, mit denen ein auf die Bearbeitung von Schlüsselproblemen hin orientierter Unterricht möglich wird. Was die Definition und Auswahl der epochaltypischen Schlüsselprobleme angeht, so sind sie für Klafki einerseits veränderbar, müssen also immer wieder auf ihre Relevanz hin überprüft werden, andererseits aber im Hinblick auf ihren gegenwartsaufschließenden Charakter nicht beliebig erweiterbar. Er selbst nennt folgende Themenkomplexe, die in den vergangenen Jahren von ihm teilweise überarbeitet worden sind (ebd., 56ff): <?page no="360"?> Frauke Stübig/ Heinz Stübig 360 1. die Friedensfrage, 2. die Umweltfrage, 3. die gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, 4. die Gefahren und Möglichkeiten der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und Kommunikationsmedien, 5. die Ich-Du-Beziehung. Betrachtet man diese Übersicht, dann fällt an den von Klafki herausgestellten Schlüsselproblemen auf, dass sie eine bestimmte zeitgeschichtliche Situation widerspiegeln und von daher Problembereiche nicht benennen bzw. ausklammern, die noch keine Rolle spielten oder deren zukunftsweisende Brisanz Mitte der 1980er Jahre, als dieses Konzept erstmals veröffentlicht wurde, noch nicht erkannt wurde. Dazu gehört zentral die Forderung nach Interkulturellem Verstehen, bei dem es im Prinzip darum geht, das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen wahrzunehmen und zu erkennen. Die Bereitschaft dazu stellt angesichts des gesellschaftlichen Wandels, der maßgeblich durch Globalisierungs- und Migrationsprozesse bestimmt ist, eine grundlegende Voraussetzung für erfolgreiche Partizipation an den gegenüber den 1980er Jahren deutlich veränderten Lebensbedingungen dar. Insofern erscheint es sinnvoll und notwendig, Interkulturelles Verstehen in den gegenwärtig gültigen Katalog von epochaltypischen Schlüsselproblemen aufzunehmen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf den in der pädagogischen Diskussion inzwischen vollzogenen Paradigmenwechsel von der „Ausländerpädagogik“ zur „Interkulturellen Erziehung“ - eine Entwicklung, die wesentlich damit zusammenhing, dass die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer nicht länger als rückkehrwillige „Gastarbeiter“ betrachtet wurden, sondern vielmehr als dauerhafte Einwanderer, die mehr und mehr zum integralen Bestandteil der (west)deutschen Gesellschaft wurden. 1 3 Von der Kommunikativen Kompetenz zur Interkulturellen Kommunikativen Kompetenz Diesem Vorgang entsprach in der Fremdsprachendidaktik die Hinwendung von der Kommunikativen Kompetenz zur Interkulturellen Kommunikativen Kompetenz in den 1990er Jahren, wobei auch in diesem Fall die oben aufgeführten politisch-sozialen Veränderungen entscheidenden Einfluss hatten. Dadurch erfolgte insofern eine Neuausrichtung des Fremdsprachenunterrichts, als interkulturelle Verstehensprozesse zunehmend mehr in den Fokus 1 Die daraus resultierende Debatte sowie ihre bildungspolitischen Auswirkungen beschreibt Auernheimer (2003, 34ff). <?page no="361"?> Interkulturelles Verstehen oder: Sprache ist der Bildung Anfang 361 der Fremdsprachendidaktik rückten. Über den erfolgreichen Austausch von fremdsprachigen Informationen hinaus ging es nun gezielt auch um „den Aufbau und Erhalt interkultureller Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft“ (Freitag-Hild 2010, 121). Damit veränderten sich die Inhalte des Fremdsprachenunterrichts; kulturelle Aspekte traten nunmehr deutlicher in den Vordergrund. Dazu schreibt Adelheid Hu: Der Bewusstmachung eigenkultureller Wissensbestände bei gleichzeitigem Verstehen der Fremdkultur wurde mehr Raum gegeben; aber auch emotionale Aspekte von Fremdwahrnehmung wie etwa die Rolle der Vorurteile rückten mehr in den Mittelpunkt der fremdsprachendidaktischen Forschung. Sprachenlernen wurde in dieser Zeit viel stärker als bisher aus kulturwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet. (Hu 2010, 76) Dieser Prozess schlug sich auch bei der Ausformulierung der Ziele fremdsprachlichen Lernens nieder. Mit der stärkeren Betonung der Interkulturellen Kommunikativen Kompetenz wurde der funktional-kommunikative Aspekt um Fähigkeiten erweitert, die darauf abzielen, über einen Perspektivwechsel Empathie und Relativierung ethnozentrischer Perspektiven zu ermöglichen. Der Fremdsprachenunterricht erhielt dadurch vermehrt die Aufgabe, fremde Kulturen verstehen und dekodieren zu lernen. Die Schülerinnen und Schüler sollten befähigt werden, sich selbstständig mit fremden Kulturen auseinanderzusetzen, und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie in einer Gesellschaft Werte, Überzeugungen und Verhaltensweisen entstehen und wie sie durchgesetzt oder verändert werden. Unterstützt wurden diese Bestrebungen durch die Empfehlungen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens, die darauf abzielen, den Spracherwerb, die Sprachanwendung und die Sprachkompetenz von Lernenden transparent und vergleichbar zu machen, und die in diesem Kontext einen deutlich handlungsorientierten Ansatz favorisieren. Interkulturelle Kompetenz wird dabei als Schlüsselqualifikation und wichtiges Lernziel hervorgehoben, was ebenfalls darauf hinweist, dass Interkulturelles Verstehen ein Schlüsselproblem der gegenwärtigen pädagogischen Bestrebungen darstellt. Kompetenz wird dabei allgemein als Oberbegriff für Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen verstanden. Genauer bestimmt Franz E. Weinert Kompetenz als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, 27f). <?page no="362"?> Frauke Stübig/ Heinz Stübig 362 4 Interkulturelles Verstehen als Schlüsselproblem Der Begriff „Interkulturelles Verstehen“, der hier zur Bezeichnung eines Schlüsselproblems verwandt wird, wurde zunächst im Gießener Graduiertenkolleg „Didaktik des Fremdverstehens“ (1991-2001) entwickelt (Bredella 2010, 120). Bredella kommentiert diesen Begriff, indem er darauf aufmerksam macht, dass alles Verstehen zunächst Fremdverstehen sei, weil es sich beim Verstehen immer um das Verstehen von etwas handele, was wir noch nicht kennen und das uns daher fremd ist. Im Rahmen der Didaktik des Fremdverstehens komme jedoch ein doppeltes Fremdes ins Spiel, das daraus resultiere, dass die Äußerungen und Verhaltensweisen von Personen einer fremden Kultur in deren Bezugsrahmen gesehen werden müssen. Um diesen Bezugsrahmen zu verstehen, müssen wir eine Innenperspektive einnehmen, wodurch wir aus dem Bezugsrahmen unserer eigenen Kultur heraustreten. Für das Verstehen von Äußerungen von Mitgliedern einer fremden Kultur ist also das Einlassen auf den Bezugsrahmen dieser Kultur unerlässlich; ein Verstehen, das sich auf das eigene kulturelle Vorwissen beschränkt, führt unausweichlich zu Missverständnissen. Zugleich ist es notwendig, diese Innenperspektive durch eine Außenperspektive und damit durch eine kritische Betrachtung der fremden Kultur zu ergänzen. Ein derartiger Perspektivwechsel kann dazu führen, dass das, was aus der Außenperspektive als „unvernünftig“ und „falsch“ erscheint, aus der Innenperspektive als „vernünftig“ und „richtig“ gerechtfertigt wird. Die Außenperspektive schafft kritische Distanz, während das Einnehmen der Innenperspektive uns dazu zwingt, Rechenschaft über unser Vorverständnis zu geben. Innerhalb der Sprachphilosophie ist die Beschäftigung mit diesem Problem nicht neu. So äußert sich beispielsweise schon Wilhelm von Humboldt über die Problematik des Fremdverstehens und die dadurch verursachten Kommunikationsprobleme folgendermaßen: Keiner denkt bei dem Wort gerade und genau das, was der andre, und die noch so kleinste Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort. Alles Verstehen ist daher immerzugleich ein Nicht- Verstehen, alle Übereinstimmung in Gedanken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen. (Humboldt 1979, 99f) Insgesamt - so Bredella - beruht „Fremdverstehen […] auf Empathie und führt zu einer Distanzierung von eigenen Sichtweisen und Wertvorstellungen“ (Bredella 2010, 120). Er schließt seine Ausführungen mit dem Hinweis: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fremdverstehen/ interkulturelles Verstehen verlangt, dass wir eine Innen- und Außenperspektive einnehmen und dass wir andere als kreative und reflexive Wesen in einer heterogenen Kultur <?page no="363"?> Interkulturelles Verstehen oder: Sprache ist der Bildung Anfang 363 in dem Spannungsverhältnis zwischen kollektiven und individuellen Identitäten verstehen. (ebd., 121) Allerdings ist die Forderung nach Interkulturellem Verstehen nicht unumstritten. Vor allem drei Einwände werden gegen dieses Konzept erhoben (ebd., 121f): Den Vertretern dieses Konzepts wird vorgeworfen, dass es ihnen nicht um Anerkennung des Fremden, sondern vielmehr um dessen Beherrschung und Ausbeutung gehe. Weiter wird als Motivation für das Interkulturelle Verstehen das Bedürfnis unterstellt, die eigene Kultur zu erhöhen und die fremde herabzusetzen. Und schließlich wird die Vermutung artikuliert, dass das Interkulturelle Verstehen nicht dazu diene, Grenzen zu überwinden, sondern vielmehr im Gegenteil, Grenzen zu errichten. Diese Kritikpunkte ähneln sehr stark der Argumentation, die von Vertretern einer dezidiert Antirassistischen Erziehung (vor allem in der angelsächsischen Debatte) gegenüber Vertretern der Interkulturellen Erziehung vorgebracht wird (Auernheimer 2003, 150ff). Für Bredella ist der Ausgangspunkt für Interkulturelles Verstehen die Differenz zwischen Eigenem und Fremdem - anders formuliert: Nur wenn wir zwischen eigener und fremder Auffassung unterscheiden können, ist Verstehen möglich. Dabei sind Eigenes und Fremdes jeweils aufeinander bezogene Begriffe, die sich im Verstehensprozess verändern. Das bedeutet zugleich, dass Fremdes zu Eigenem und Eigenes zu Fremdem werden kann. Dazu Bredella in Anlehnung an Heinz Kimmerle: „Wir bedürfen des Fremden, um zu erfahren, was das Eigene ist: ‚Der Kern des Problems, das hier entsteht, das am wenigsten Bekannte überhaupt, ist das Eigenste des Eigenen‘“ (Bredella 2011, 134). Im Versuch, andere zu verstehen, stellt das Fremde jeweils eine Herausforderung für das Eigene dar. In dieser Herausforderung liegt aber auch eine Chance, denn „[n]ur indem wir uns auf das Fremde einlassen, kann das Eigene verändert werden“ (ebd., 135). Interkulturelles Verstehen muss als Begriff von Interkultureller Verständigung abgegrenzt werden. Interkulturelles Verstehen beschäftigt sich damit, wie andere die Welt sehen und an welchen Werten und Motiven sie ihr Handeln ausrichten. Da wir jedoch keinen direkten Zugriff auf die fremde Kultur haben, müssen wir sie uns durch das Einnehmen von Innen- und Außenperspektive, also durch Interpretation, erschließen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Verstehen nicht Einverständnis bedeutet und dass Verstehen nicht mit Verständigung identisch ist (Bredella 2010, 124). Für die Interkulturelle Verständigung ist konstitutiv, ob zwischen denen, die sich darum bemühen, gemeinsame Auffassungen und Ziele entwickelt werden können. Verständigung setzt immer die Mitwirkung des anderen voraus. Während Verstehen sich auf die Veränderung der eigenen Sicht- und Verhaltensweisen bezieht, erfordert Verständigung, dass auch der andere <?page no="364"?> Frauke Stübig/ Heinz Stübig 364 bereit ist, seine Sicht- und Verhaltensweisen zu verändern. Dies ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Konflikte gleich welcher Art nicht mit Gewalt gelöst werden - allerdings kann Verständigung nicht von einer Seite erzwungen werden. 5 Ein fächerübergreifendes Projekt als Unterrichtsbeispiel Das oben bereits angesprochene Unterrichtsprojekt „Auf den Spuren der Internierungslager Gurs und Les Milles“ entstand aufgrund des großen Schülerinteresses an einer Unterrichtseinheit zum Thema „La France sous l’occupation allemande“. Aufhänger war ein Zeitungsartikel aus „Le Monde“ zum 50. Jahrestag der Juden-Razzia im Pariser Wintersportpalast von 1942. Eine Frau berichtete 1992 darüber, wie sie als Kind mit ihrer Familie verhaftet und ins Vélodrome d’Hiver verschleppt wurde, beim Transport in das berüchtigte Sammellager Drancy, der Drehscheibe für Auschwitz, entkommen konnte und dann Jahrzehnte lang mit sich ringen musste, bevor sie die Geschichte ihrer zerstörten Kindheit erzählen konnte. Dieser Bericht provozierte zahlreiche Fragen: Warum unterstützte die Vichy-Regierung aktiv die Judenpolitik der nationalsozialistischen Besatzungsmacht? Nicht die Gestapo spürte die französischen Juden auf, sondern französische Polizisten. Warum? Wussten sie, was es hieß, nach Drancy verbracht zu werden? Die damit angesprochenen Probleme waren der Ausgangspunkt dafür, dass Peter Laßmann, der in dieser Klasse Gemeinschaftskunde unterrichtete, und die Verfasserin als Französischlehrerin zusammen im Rahmen einer Projektwoche das genannte fächerübergreifende Projekt anboten (Stübig 1998). Am Ende der Projektwoche blieben viele Problembereiche ungeklärt, neue Fragen kamen hinzu, sodass ein Nachfolgeprojekt zur Bedeutung der Lager heute entstand. Die Schülerinnen und Schüler schrieben Briefe an den Bürgermeister der Gemeinde Gurs 2 und an die Académie von Toulouse, die zuständige Schulaufsichtsbehörde, berichteten von ihrer Arbeit und baten um Auskunft und Unterstützung. Die Académie leitete die Anfrage an Claude Laharie, einen französischen Geschichtslehrer in Pau, weiter, der das Lager Gurs gründlich erforscht hatte (Lahari 1993) und bereit war, mit den Schülerinnen und Schülern eines seiner Geschichtskurse und uns zusammenzuarbeiten. Nach einer Zwischenphase mit intensiver inhaltlicher und sprachlicher Vorbereitung fand die vom deutsch-französischen Jugendwerk geförderte Reise der deutschen Gruppe nach Pau statt. Die französische und 2 Das Gelände des ehemaligen Internierungslagers Les Milles befindet sich heute in Privatbesitz und ist daher nicht zugänglich. Aus diesem Grund wurde Les Milles als Gegenstand von der weiteren Projektarbeit ausgeschlossen. <?page no="365"?> Interkulturelles Verstehen oder: Sprache ist der Bildung Anfang 365 die deutsche Lerngruppe besichtigten gemeinsam unter der Führung des französischen Kollegen die Überreste des Lagers Gurs sowie den am Ende des Lagergeländes gelegenen Friedhof, auf dem über tausend dort verstorbene Juden aus Baden und der Pfalz begraben liegen. Den Abschluss dieses Ganges bildete die Auseinandersetzung mit dem von Dani Karavan geschaffenen Mémorial national, der Nationalen Gedenkstätte, oberhalb des Lagergeländes. Am Nachmittag empfing der Bürgermeister der Gemeinde Gurs die Gruppe im Dorfgemeinschaftshaus. Dort tauschten die Jugendlichen zunächst untereinander ihre Eindrücke und Empfindungen aus. Danach diskutierten sie mit drei Zeitzeugen der Lagerzeit, einem damals internierten Mannheimer Juden, einem ehemaligen Aufseher des Lagers, der sich später der Résistance angeschlossen hatte, und einem Mann, der als Kind in der unmittelbaren Nachbarschaft des Lagers gewohnt hatte. Noch in Pau fand ein erstes Auswertungsgespräch statt. Später, zurück in Deutschland, bereiteten die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen eine Ausstellung vor, die über das Lager Gurs informierte, die Orte des Gedenkens beschrieb und als Modell darstellte sowie die Diskussionen mit den verschiedenen Gesprächspartnern zusammenfasste. Die Ausstellung war über einen längeren Zeitraum in zentralen Fluren der Schule zu besichtigen. An drei Stellen während des Aufenthaltes in Pau bzw. Gurs war der Austausch zwischen den französischen und deutschen Jugendlichen besonders intensiv, zum einen, als sie auf dem Friedhof in Gurs den Grabstein des in Gladenbach geborenen und 1942 in Gurs verstorbenen Juden Wilhelm Schiff entdeckten - Gladenbach ist der Herkunftsort der deutschen Schülergruppe. Diese Entdeckung war für die Deutschen sehr bewegend. Zum anderen las eine deutsche Schülerin die Inschrift der zentralen Gedenktafel auf dem Friedhof vor. Sie gilt den Opfern der „barbarie nazie“ - eine französische Schülerin ergänzte laut: „et de la barbarie française“. Schließlich folgte die Gruppe bei dem Gang durch ein neu geschaffenes Denkmal dem Weg potenzieller Flüchtlinge auf eine Anhöhe. Der tiefer zwischen Bäumen liegende Weg gibt nur den Blick in den Himmel frei. Sein Ende, bevor man Licht und Offenheit erreicht hat, ist versperrt. Der Weg in die erhoffte Freiheit endet im Stacheldraht. Diese drei Erfahrungen bilden den Ausgangspunkt für die weitere Aufschlüsselung der Frage, was interkulturelles Verstehen in historischer und gegenwärtiger Beziehung heißen kann. Die Entdeckung des Grabsteins von Wilhelm Schiff erzeugte zunächst bei den deutschen Jugendlichen Betroffenheit. Sie konnten das Thema Judenverfolgung und Judenvernichtung konkret an sich heranlassen. Verstehen lag hier in der Erfahrung von Schuld, von historisch vermittelter eigener Beteiligung, aber auch in der Erfahrung der Opferrolle. An dem zentralen Gedenkstein auf dem Friedhof entzündete sich über das Vorlesen des Textes zwi- <?page no="366"?> Frauke Stübig/ Heinz Stübig 366 schen den französischen und deutschen Jugendlichen eine ernsthafte Debatte, die die am Rand stehenden Lehrkräfte stark beeindruckte, weil sie deutlich machte, in welchem Ausmaß das gegenseitige Sich-Einlassen auf die Situation Verständigung erzeugte. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Gräueltaten des Nationalsozialismus, aber auch mit der Verantwortung des Vichy-Régimes hatte hier aufklärerische Funktion. Ihre Bedeutung für die Gegenwart liegt in der gemeinsamen Verantwortung. Sie mündet in die von beiden Gruppen artikulierte Forderung: „Nie wieder Barbarei! “, - eine Haltung, die auch nach dem Besuch in Gurs deutliche Spuren hinterlassen hat. Die individuelle Betroffenheit der deutschen Jugendlichen schließlich verschiebt sich zu einer Betroffenheit der Gesamtgruppe, als diese den Weg der Flüchtlinge nachgeht und erfahren muss, dass er in der Gefangenschaft endet. Die kollektive Erfahrung bewirkt, dass die Schülerinnen und Schüler darüber miteinander sprechen können und dass sie sich später für die Zeitzeugen öffnen und mit diesen diskutieren können. Kollektives Verstehen führte auf diese Weise zu einer spezifischen kollektiven Identität (Königs 2013, 117), wobei die Reflexion dieser Erfahrungen wesentlich zur Entwicklung einer Offenheit gegenüber kultureller Fremdheit beitrug. Literatur Auernheimer, Georg (2003): Einführung in die Interkulturelle Pädagogik. 3., neu bearb. u. erw. Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Bredella, Lothar (2010): „Fremdverstehen und interkulturelles Verstehen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Kallmeyer, 120-125. Bredella, Lothar (2011): „Verstehen Anderer als Bildungsziel des Fremdsprachenlehrens und -lernens“. In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick. Arbeitspapiere der 30. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 127-137. 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Königs Von den Anfängen in Bochum März 1955 geboren in Bochum 1973 Abitur am Staatlichen Gymnasium Bochum 1973-1979 Studium der Sprachlehrforschung, Romanischen Philologie und Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Abschluss: Magister 1979-1984 wissenschaftliche Hilfskraft, dann wissenschaftlicher Mitarbeiter 1983 Promotion zum Dr. phil. im Fach Sprachlehrforschung 1984-1995 Hochschulassistent am Lehrstuhl für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum 1990 Habilitation im Fach Sprachlehrforschung über die Zeit in Leipzig 1995 Ernennung zum Professor für „Methodik und Didaktik der Fremdsprachenvermittlung, insbesondere Deutsch als Fremdsprache“ an der Universität Leipzig 1996-1998 Mitglied im Beirat des Selbstlernzentrums der Universität Leipzig 1996-1998 Geschäftsführender Direktor des Herder-Instituts der Universität Leipzig nach Marburg 1998 Annahme des Rufes nach Marburg auf die Professur für „Allgemeine Didaktik und Sprachlehrforschung“, Übernahme der Leitung des Informationszentrums für Fremdsprachenforschung (IFS) seit 1998 Leiter des Informationszentrums für Fremdsprachenforschung (IFS) an der Philipps-Universität Marburg seit 2000 Geschäftsführender Direktor des Sprachenzentrums der Philipps-Universität Marburg 2001-2007 Dekan des Fachbereichs 21: Erziehungswissenschaften der Philipps-Universität Marburg seit 2005 Mitglied im Zentrum für Lehrerbildung der Philipps-Universität Marburg 2009-2010 Stellvertretender Geschäftsführender Direktor des Instituts für Schulpädagogik an der Philipps-Universität Marburg seit 2010 Mitglied des Senats der Philipps-Universität Marburg seit 2013 Geschäftsführender Direktor am Institut für Schulpädagogik <?page no="370"?> Lebenslauf Frank G. Königs 370 Auswärtige Lehrtätigkeiten Leitung von zahlreichen Fortbildungskursen des Goethe-Instituts in verschiedenen Ländern sowie weltweit Vorträge und Vortragsreihen zu Übersetzungsdidaktik, Fremdsprachenmethodik, Spracherwerb, Lernpsychologie, Fehlerkorrektur, unterrichtlicher Interaktion, Unterrichtsbeobachtung, alternativen Unterrichtsmethoden, Psycholinguistik und Schreibforschung; Lehraufträge und Kurzzeitdozenturen u.a. an der Universiteit Utrecht (Niederlande), an der Universidade Federal de Santa Catarina in Florianópolis (Brasilien), an der Al Azhar-Universität Kairo (Ägypten) und an der Universität Stellenbosch (Südafrika); Organisation zahlreicher wissenschaftlicher Kolloquien, z.B. 2001 für die Jahrestagung des FaDaF in Kiel, 2005 für die IDT in Graz und 2009 im Rahmen des Studienganges Master of Advanced Studies - Fremdsprachendidaktik an der Universität Bern, und Forschungsprojekte. Herausgeber- und Mitgliedschaften 1984-1990 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) 1995-1997 Mitglied im Beirat der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) seit 1988 Verantwortlicher Mitherausgeber der Manuskripte zur Sprachlehrforschung seit 1990 Mitglied im Beirat der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung (ZFF) 1995-2001 Mitglied im Vorstand des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache (FaDaF) seit 1995 Mitorganisator der Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts (bis 2003 zusammen mit K.-R. Bausch, H. Christ, H.-J. Krumm, derzeit mit E. Burwitz- Melzer, C. Riemer) seit 2001 Mitglied im Beirat des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache (FaDaF) seit 1996 Gutachter bei der „Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht“ (ZIF) seit 2001 Mitherausgeber der Zeitschrift „Fremdsprachen lehren und lernen“ (FLuL) seit 2008 Mitglied der Redaktionsgruppe der Zeitschrift „Informationen Deutsch als Fremdsprache“ (Info DaF) 2009 Mitglied der externen Evaluationskommission am Department for Modern European Languages der University of Pretoria <?page no="371"?> Publikationen Frank G. Königs 1979 Übersetzen in Theorie und Praxis: Ansatzpunkte für die Konzeption einer Didaktik der Übersetzung. Heidelberg: Groos. 1980 „Der Einfluß interimsprachlicher Systeme auf die Norm im Fremdsprachenunterricht“. In: Linguistik und Didaktik 41, 37-55. 1981 „Übersetzung und Fremdsprachenunterricht - vereinbar oder unvereinbar? “. In: Bausch, Karl-Richard/ Weller, Franz-Rudolf (Hrsg.): Übersetzen und Fremdsprachenunterricht. Frankfurt am Main: Diesterweg, 203-216. „Übersetzungswissenschaftliche Terminologie“. In: Bausch, Karl-Richard/ Weller, Franz-Rudolf (Hrsg.): Übersetzen und Fremdsprachenunterricht. Frankfurt am Main: Diesterweg, 314-338. „Übersetzung und Fremdsprachenunterricht - eine Auswahlbibliographie“. In: Bausch, Karl-Richard/ Weller, Franz-Rudolf (Hrsg.): Übersetzen und Fremdsprachenunterricht. Frankfurt am Main: Diesterweg, 339-348. 1982 „,Erwerben‘ - ‚Lernen‘ - ‚Lehren‘ - ‚Planen‘. Ansatzpunkte für mögliche (schul-) sprachenpolitische Konsequenzen aus Arbeiten zum Fremd- und Zweitsprachenerwerb“. In: Bielefelder Beiträge zur Sprachlehrforschung 2, 115-139. „Fremdsprachliche Aus- und Fortbildungscurricula in Bochum - Bestandsaufnahme und Perspektiven“. In: Quetz, Jürgen/ Raasch, Albert (Hrsg.): Fremdsprachenlehrer für die Erwachsenenbildung. Aus- und Fortbildung von neben- und hauptberuflichen Mitarbeitern . Braunschweig: Westermann, 102- 115 (mit Karl-Richard Bausch). „Zur Frage der Übersetzungseinheit und ihre Relevanz für den Fremdsprachenunterricht“. In: Linguistische Berichte 74, 82-103. 1983 Normenaspekte im Fremdsprachenunterricht. Ein konzeptorientierter Beitrag zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr. „,Lernt‘ oder ‚erwirbt‘ man Fremdsprachen im Unterricht? Zum Verhältnis von Sprachlehrforschung und Fremdsprachenunterricht“. In : Die Neueren Sprachen 4, 308-336 (mit Karl-Richard Bausch). „Norm im Fremdsprachenunterricht - was ist das? “. In: Callebaut, Bruno/ De Meersman, Alfons A. (eds.): Linguistische en socio-culturele aspecten van het taalonderwjs. Handelingen van het 2e Fakulteitscolloquium. Gent, 24-26 november 1982. Gent: Universitätsdruck, 221-232. „Zentrale Begriffe aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Übersetzen“. In: Lebende Sprachen 4 (1982), 145-150 (Teil 1); Lebende Sprachen 1 (1983), 6-8, <?page no="372"?> Publikationen Frank G. Königs 372 48 (Teil 2); Lebende Sprachen 4 (1983), 154-156 (Teil 3); Lebende Sprachen 2 (1984), 57-59 (Teil 4); Lebende Sprachen 4 (1984), 153-156 (Teil 5). 1984 „Perspektiven der Übersetzungsdidaktik“. In: Kühlwein, Wolfgang (Hrsg.): Sprache - Kultur - Gesellschaft. Kongreßberichte der 14. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. Tübingen: Gunter Narr, 85-86. 1985 „Translation inside and outside the teaching context: The text as a starting point“. In: Titford, Christopher/ Hieke, Adolf E. (eds.): Translation in Foreign Language Teaching and Testing. Tübingen: Gunter Narr, 29-48. „(Er-)Werben und (Er-)Lernen. Eine Antwort auf zwei Antworten“. In: Die Neueren Sprachen 2, 218-233 (mit Karl-Richard Bausch). „Normen im gesteuerten Fremdsprachenerwerb: Möglichkeiten der Analyse“. In: Donnerstag, Jürgen/ Knapp-Potthoff, Annelie (Hrsg.): Kongreßdokumentation der 10. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker. Tübingen: Gunter Narr, 237-248. 1986 (Herausgebertätigkeit im Auftrag des Seminars für Sprachlehrforschung) Probleme und Perspektiven der Sprachlehrforschung. Bochumer Beiträge zum Fremdsprachenunterricht in Forschung und Lehre. Frankfurt am Main: Scriptor (mit Karl-Richard Bausch und Rainer Kogelheide). (Hrsg.) Sprachlehrforschung in der Diskussion. Methodologische Überlegungen zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl- Richard Bausch). „Übersetzungswissenschaftliche Forschung in Deutschland: Tendenzen und Perspektiven“. In: Kwartalnik Neofilologiczny XXXIII (1), 3-23. „Recherches en traductologie en République Fédérale d’Allemagne: Tendances et perspectives“. In: Meta 2, 119-136. „Und sie bewegt sich doch! Forschungsmethodische Antworten auf kritische Fragen an die Sprachlehrforschung“. In: Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum (Hrsg.): Probleme und Perspektiven der Sprachlehrforschung. Bochumer Beiträge zum Fremdsprachenunterricht in Forschung und Lehre . Frankfurt am Main: Scriptor, 35-50. „Sprachlehrforschung - Entwicklung einer Institution und konzeptuelle Skizze der Disziplin“. In: Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum (Hrsg.): Probleme und Perspektiven der Sprachlehrforschung. Bochumer Beiträge zum Fremdsprachenunterricht in Forschung und Lehre . Frankfurt am Main: Scriptor 1986, 1-22 (mit Karl-Richard Bausch und Rainer Kogelheide). „Observations on observing learner language: A contribution to the discussion about the relationship between second language acquisition research and <?page no="373"?> Publikationen Frank G. Königs 373 foreign language teaching and learning“. In: International Review of Applied Linguistics 2, 89-121 (mit Edwin A. Hopkins). „Methoden: Einige Anmerkungen zu ihrer Erforschung“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Hüllen, Werner/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Lehrperspektive, Methodik und Methoden. Arbeitspapiere der 6. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 100- 106. „Fremdsprachenlernen innerhalb des Klassenzimmers: Überlegungen zu seiner Spezifik“. In: Bausch, Karl-Richard/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Sprachlehrforschung in der Diskussion. Methodologische Überlegungen zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 89-115. „Einleitung: Das Thema ‚Lernen oder erwerben‘ im augenblicklichen Forschungskontext“. In: Bausch, Karl-Richard/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Sprachlehrforschung in der Diskussion. Methodologische Überlegungen zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 1-10 (mit Karl-Richard Bausch). „Das Bochumer Tertiärsprachenprojekt“. In: Italienisch 15, 91-94 (mit Karl- Richard Bausch, Karin Kleppin und Hans Peter Krings). „Bestimmungsfaktoren fremdsprachenunterrichtlicher Interaktion: Begriffliche Bestimmungen mit Blick auf die Praxis“. In: Glottodidactica XVIII, 13-36. „Anlehnung - Ablehnung - Entlehnung oder: Muß die Übersetzungsdidaktik den gleichen Weg wie die Fremdsprachendidaktik gehen? “. In: Fremdsprachen und Hochschule 18, 54-76. „Agieren - Reagieren - Integrieren. Theoretische Überlegungen zur Konstituierung und Aussagekraft von Unterrichtssprache“. In: Voss, Bernd (Hrsg.): Unterrichtssprache im Fremdsprachenunterricht. Beiträge zur Theorie und Praxis einer berufsbezogenen Fachsprache des Fremdsprachenlehrers. Bochum: AKS-Verlag, 15-36. „,Adhoc‘ vs. ‚Rest-Block‘: textuelle Elemente als Auslöser des Übersetzungsprozesses und didaktische Entscheidungshilfen“. In: Kühlwein, Wolfgang (Hrsg.): Neue Entwicklungen der Angewandten Linguistik. Tübingen: Gunter Narr, 47- 51. „Der Vorgang des Übersetzens: Theoretische Modelle und praktischer Vollzug. Zum Verhältnis von Theorie und Praxis in der Übersetzungswissenschaft“. In: Lebende Sprachen 1, 5-12. 1987 (Hrsg.) Übersetzen lehren und lernen mit Büchern. Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Übersetzungslehrbüchern. Heidelberg: Groos. „Übersetzungsdidaktik: Forschungsstand, Forschungsperspektiven und Konsequenzen für die Praxis“. In: Ehnert, Rolf/ Schleyer, Walter (Hrsg.): Übersetzen im Fremdsprachenunterricht. Beiträge zur Übersetzungswissenschaft - Annäherung an eine Übersetzungsdidaktik. Regensburg: AkDaF, 91-107. <?page no="374"?> Publikationen Frank G. Königs 374 „Überlegungen zum Verhältnis von Übersetzen und Spracherwerb“. In: Addison, Anthony/ Vogel, Klaus (Hrsg.): Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Studium. Bochum: AKS-Verlag, 39-70. „Psycholinguistische Aspekte des Übersetzens“. In: Assessorato all’Istruzione e Cultura in Lingua Italiana (ed.): Tradurre. Teoria ed esperienze. Convegno Internazionale Bolzano 27/ 2, 28/ 2, 1/ 3 1986 . Bozen: Provincia Autonoma di Bolzano, 235-245. „Welche Sprachkonzeption für den Fremdsprachenunterricht? Punktuelle Antworten auf eine ebenso komplexe wie komplizierte Frage“. In: Bausch, Karl- Richard/ Christ, Herbert/ Hüllen, Werner/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Sprachbegriffe im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 7. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts . Tübingen: Gunter Narr, 117-124. „,Was willst du, daß ich tun soll? ‘. Überlegungen und Beobachtungen zur Rolle der Erwartungen im Fremdsprachenunterricht“. In: Zielsprache Deutsch 1, 10- 22 (mit Karin Kleppin). „Was beim Übersetzen passiert. Theoretische Aspekte, empirische Befunde und praktische Konsequenzen“. In: Die Neueren Sprachen 2, 162-185. „Übersetzungsdidaktik: konzeptuelle Standortbestimmung und praktische Perspektiven“. In: Spillner, Bernd (Hrsg.): Perspektiven der Angewandten Linguistik. Arbeitsfelder. Tübingen: Gunter Narr, 81-82. „,Der ganze Lerner soll es sein‘. Didaktische Überlegungen zu Aufbau und Einsatz von Übersetzungslehrbüchern“. In: Königs, Frank G. (Hrsg.): Übersetzen lehren und lernen mit Büchern. Möglichkeiten und Grenzen der Erstellung und des Einsatzes von Übersetzungslehrbüchern. Heidelberg: Groos, 43-63. 1988 „Aufbruch zu neuen Ufern oder kontinuierliche Weiterentwicklung? Gedanken zu einigen aktuellen Entwicklungen in der (deutschen) Übersetzungswissenschaft“. In: GAL-Bulletin 9, 63-71. „Auf der Suche nach dem richtigen Wort. Analysen zum lexikalischen Suchverhalten beim Schreiben in der Fremdsprache und beim Hinübersetzen“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 17, 99-117. „,Fortschritt‘ und ‚Fremdsprachenunterricht‘ - Gedanken zur Entwicklung von Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Helen/ Hüllen, Werner/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Fortschritt und Fortschritte im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 8. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 70-78. 1989 Beim Übersetzen schreibt man - übersetzt man auch beim Schreiben? Ein psycholinguistisch orientierter Vergleich zweier fremdsprachlicher Produktionsprozesse bei fortgeschrittenen deutschen Spanischlernern. Bochum: Habilitationsschrift. <?page no="375"?> Publikationen Frank G. Königs 375 (Hrsg.) Übersetzungswissenschaft und Fremdsprachenunterricht. Neue Beiträge zu einem alten Thema. München: Goethe-Institut. (Hrsg.) Linguistisch und psycholinguistisch orientierte Forschungen zum Fremdsprachenunterricht. Dokumentation eines deutsch-polnischen Kolloquiums. Bochum: Brockmeyer (mit Alexander Szulc). „Übersetzungsdidaktik und Psycholinguistik. Gedanken und Befunde zu einer ebenso zwangsläufigen wie notwendigen Verbindung“. In: Königs, Frank G. (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft und Fremdsprachenunterricht. Neue Beiträge zu einem alten Thema. München: Goethe-Institut, 147-178. „Übersetzen und Fremdsprachenunterricht. Einführende Gedanken zu einem alten Thema und zu einem neuen Sammelband“. In: Königs, Frank G. (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft und Fremdsprachenunterricht. Neue Beiträge zu einem alten Thema. München: Goethe-Institut, 7-14. „Aspekte der Fehlerkorrektur im spät einsetzenden Fremdsprachenunterricht. Bericht aus dem Bochumer Tertiärsprachenprojekt“. In: Raasch, Albert/ Krüger, Herbert/ Preuss, Harald (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht zwischen Bildungsanspruch und praktischem Tun. Beiträge zum Bundeskongreß in Berlin des Fachverbandes Moderne Fremdsprachen (FMF). Saarbrücken: Universität, 169-184 (mit Karin Kleppin). „,Wenn ich schreibe, übersetze ich doch sowieso! ‘. Untersuchungsmethodische Anmerkungen und empirische Befunde zur Vergleichenden Prozeßanalyse deutscher Spanischlerner“. In: Königs, Frank G./ Szulc, Alexander (Hrsg.): Linguistische und psycholinguistisch orientierte Forschungen zum Fremd sprachenunterricht. Dokumentation eines deutsch-polnischen Kolloquiums. Bochum: Brockmeyer, 243-266. „Der Umgang mit Fehlern im Fremdsprachenunterricht. Prolegomena zu einer umfassenden Theorie der Fehlerbehandlung“ in: Königs, Frank G./ Szulc, Alexander (Hrsg.): Linguistische und psycholinguistisch orientierte Forschungen zum Fremdsprachenunterricht. Dokumentation eines deutschpolnischen Kolloquiums. Bochum: Brockmeyer, 87-105 (mit Karin Kleppin). „Die Dichotomie Lernen/ Erwerben“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Hüllen, Werner/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke, 356-359. „Vom Kopf in den Mund? Anmerkungen zum Übersetzungsprozeß und dessen Erforschung“. In: Studien zum polnisch-deutschen Sprachvergleich 3. Zeszyty Naukowe UJ, Prace Jezykoznawcze, 111-122. 1990 „Wie theoretisch muß die Übersetzungswissenschaft sein? Gedanken zum Theorie-Praxis-Problem“. In: Taller de Letras 18, 103-120. „Übersetzung in Forschung und Lehre am Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum“. In: pv aktuell 2, 10-12. „Übersetzen und Schreiben in der Fremdsprache: psycholinguistische Beziehungen und didaktische Konsequenzen“. In: Arntz, Reiner/ Thome, Gisela (Hrsg.): - <?page no="376"?> Publikationen Frank G. Königs 376 Übersetzungswissenschaft. Ergebnisse und Perspektiven. Festschrift zum 65. Geburtstag von Wolfram Wilss. Tübingen: Gunter Narr, 278-288. „,Die Seefahrt an den Nagel hängen? ‘. Metaphern beim Übersetzen und in der Übersetzungswissenschaft“. In: Target 2 (1), 97-113. „Quo vadis oder quousque tandem? Perspektiven zur Erforschung des Spracherwerbs aus angewandt-linguistischer Sicht“. In: Kühlwein, Wolfgang/ Raasch, Albert (Hrsg.): Angewandte Linguistik heute. Zu einem Jubiläum der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 73-86. 1991 Der Korrektur auf der Spur. Beobachtungen und Analysen zum mündlichen Korrekturverhalten von Fremdsprachenlehrern. Bochum: Brockmeyer (mit Karin Kleppin). „Auf dem Weg zu einer neuen Aera des Fremdsprachenunterrichts? Gedanken zur ‚postkommunikativen‘ Phase in der Fremdsprachendidaktik“. In: Taller de Letras 19, 21-42. „Dem Übersetzen den Prozeß machen? Psycholinguistische Überlegungen zum Übersetzen und ihre didaktischen Konsequenzen“. In: Iwasaki, Eijiro/ Shichiji, Yoshinori (Hrsg.): Begegnung mit dem ‚Fremden‘. Grenzen - Traditionen - Vergleiche. Akten des Internationalen Germanisten-Kongresses Tokyo 1990. Band 5: Deutsch als Fremdsprache, Linguistische und literarische Übersetzung, Kontrastive Rhetorik, Poetik, Stilistik, Textlinguistik. München: Iudicium, 132- 142. „,Ein Text über Texte‘: Zur Mehrdimensionalität von Texten im und für den Fremdsprachenunterricht“. In: Bausch, Karl-Richard / Christ, Herbert / Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Texte im Fremdsprachenunterricht als Forschungsgegenstand. Arbeitspapiere der 11. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer, 79-89. „Wie sagen wir’s unseren Kindern? Möglichkeiten und Grenzen für die Weiterentwicklung der Französischdidaktik“. In: französisch heute 3, 211-223. „Sprachlehrforschung: Konturen und Perspektiven“. In: Neusprachliche Mitteilungen 2, 75-83. 1992 (Hrsg.) Fremdsprachenunterricht im internationalen Vergleich: Perspektive 2000. Frankfurt am Main: Diesterweg (mit Claus Gnutzmann und Waldemar Pfeiffer). „,Lernen‘ oder ‚Erwerben‘ Revisited. Zur Relevanz der Zweitsprachenerwerbsforschung für die Sprachlehrforschung“. In: Die Neueren Sprachen 91 (2),166- 179. „Übersetzen im Fremdsprachenunterricht: Theoretische Erwägungen und praktische Anregungen“. In: Jung, Udo O. H. (Hrsg.): Praktische Handreichung für den Fremdsprachenlehrer. Frankfurt am Main: Peter Lang, 103-111. <?page no="377"?> Publikationen Frank G. Königs 377 „,Nicht von oben und nicht nur von unten‘. Überlegungen zum Verhältnis von Fremdsprachenpolitik und Sprachlehrforschung“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht und Sprachenpolitik als Gegenstand der Forschung. Arbeitspapiere der 12. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer, 87-95. „Ein Schritt zurück ins nächste Jahrtausend? Oder: Warum Übersetzen und Fremdsprachenerwerb nicht voneinander loskommen können“. In: Gnutzmann, Claus/ Königs, Frank G./ Pfeiffer, Waldemar (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im internationalen Vergleich - Perspektive 2000. Frankfurt am Main: Diesterweg, 215-228. „Methodische und politische Dimensionen des Fremdsprachenunterrichts zu Beginn eines neuen Jahrzehnts“. In: Gnutzmann, Claus/ Königs, Frank G./ Pfeiffer, Waldemar (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im internationalen Vergleich - Perspektive 2000. Frankfurt am Main.: Diesterweg, 9-47 (mit Claus Gnutzmann). „Fremdsprachenunterricht in der Perspektive 2000: Einführende Bemerkungen zu einem Sammelband“. In: Gnutzmann, Claus/ Königs, Frank G./ Pfeiffer, Waldemar (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im internationalen Vergleich - Perspektive 2000. Frankfurt am Main: Diesterweg, 5-8 (mit Claus Gnutzmann und Waldemar Pfeiffer). 1993 „,Nicht für die Schule, für das Leben ...‘. Die Universidade Federal de Santa Catarina richtet eine Postgraduierung für Deutsch ein“. In: Projekt - Revista dos professores de alem-o no Brasil 12, 19-24 (mit Ingeburg Dekker und Meta Elisabeth Zipser). „Einbahnstraße oder Gegenverkehr? Gedanken zum Verhältnis von Erforschung und Praxis des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache“. In: Deutschunterricht für Ungarn II, 1-11. „Wie fertig sind wir mit den Fertigkeiten? Psycholinguistische und lernpsychologische Überlegungen zu den fremdsprachlichen Fertigkeiten und Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht“. In: Deutsch als Fremdsprache 4, 203-210. „Von der Schwierigkeit des Steuerns in offenen Meeren oder: was heißt eigentlich Steuern im Fremdsprachenunterricht? “. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Fremdsprachenlehr- und -lernprozesse im Spannungsfeld von Steuerung und Offenheit. Arbeitspapiere der 13. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer, 89-98. „Grundelemente der mündlichen Fehlerkorrektur: Lernerurteile im (interkulturellen) Vergleich“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 22, 76-90 (mit Karin Kleppin). „Text und Übersetzer: Wer macht was mit wem? Überlegungen zur Textrezeption durch den Übersetzer“. In: Holz-Mänttäri, Justa/ Nord, Christiane (Hrsg.): <?page no="378"?> Publikationen Frank G. Königs 378 Traducere Navem. Festschrift für Katharina Reiß zum 70. Geburtstag. Tampere: Universitätsverlag, 229-248. 1994 „Psycholinguistische und didaktische Aspekte der Übersetzerausbildung: Neun Thesen zur Reflexion (und zur Provokation)“. In: Breitung, Horst/ Goethe- Institut/ Sprachen- und Dolmetscher-Institut München (Hrsg.): Dolmetscher- und Übersetzerausbildung. Materialien eines Internationalen Produktionsseminars 17.-21.12.1993. München: Goethe-Institut, 116-136. „,Chacun à son goût? ‘. Zur Rolle der Muttersprache im Fremdsprachenunterricht aus der Sicht der Sprachlehrforschung“. In: Landesspracheninstitut NRW - Arabicum Bochum (Hrsg.): Arabischunterricht in Deutschland. Bewährte Ziele, neue Perspektiven. Vorträge der 4. Arabischlehrerkonferenz in Bochum, 18.-20. Juni 1993. Bochum: Landesspracheninstitut, 31-61. „Schillernd, aber spannend: Überlegungen zum Begriff des Interkulturellen Lernens“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 101-108. 1995 Studienbrief ‚Übersetzen ‛ (brasilianische Fassung) (im Rahmen des Studienbrief projekts des Goethe-Instituts). S-o Paulo: Goethe-Institut (mit Jo-o Azenha). (Hrsg.) Erwerb und Vermittlung von Wortschatz im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 15. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm). (Hrsg.) Perspektiven des Grammatikunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Claus Gnutzmann). „,Worte, nichts als Worte? ‘. Überlegungen zur Bedeutung des Wortschatzes aus übersetzungsdidaktischer Perspektive“. In: Iluk, Jan (Hrsg.): Aspekte der Wortschatzbeschreibung für Zwecke des Fremdsprachenunterrichts. Katowice: Wydawniclwo Uniwersytetu Slaskiego, 41-59. „Mehr als nur Worte? Überlegungen zur Vermittlung und zum Erwerb von Wortschatz sowie deren Erforschung“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Erwerb und Vermittlung von Wortschatz im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 15. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 108-118. „Lernen im Kontrast - Was heißt das eigentlich? “. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 24,11-24. „Fehlerkorrektur“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen und Basel: Francke, 268-272. - <?page no="379"?> Publikationen Frank G. Königs 379 „Die Rolle der Grammatik in alternativen Vermittlungskonzepten“. In: Gnutzmann, Claus/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Perspektiven des Grammatikunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 69-84. „Grammatikunterricht im Spiegel der Entwicklungen“. In: Gnutzmann, Claus/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Perspektiven des Grammatikunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 11-26 (mit Claus Gnutzmann). 1996 Forschungsgegenstand Tertiärsprachenunterricht. Ergebnisse eines empirischen Projekts. Bochum: Brockmeyer (mit Andreas Bahr, Karl-Richard Bausch, Beate Helbig, Karin Kleppin und Wolfgang Tönshoff). (Hrsg.) Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Zwischenbilanz und Perspektiven. Arbeitspapiere der 16. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm). (Hrsg.) Le(s) processus de la traduction/ Translation processes. Numéro spécial de Meta 41 (1). „Habet, Debet oder obsolet? Gedanken zur Wirkung fremdsprachendidaktischer Forschung auf die Praxis des Fremdsprachenunterrichts“. In: Bausch, Karl- Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Zwischenbilanz und Perspektiven. Arbeitspapiere der 16. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 89-95. „Übersetzen lehren auf Distanz? Lernpsychologische Überlegungen zu einem Fernstudienbrief zum Übersetzen Deutsch-Portugiesisch“. 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Tübingen: Gunter Narr (mit Karl- Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm). <?page no="380"?> Publikationen Frank G. Königs 380 Gastredaktion der Nummer 3 des 1. Jahrgangs der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht. Didaktik und Methodik im Bereich Deutsch als Fremdsprache (E-Journal) (mit Karl-Richard Bausch). „Übersetzen und Fremdsprachenunterricht - gibt es neue Antworten auf eine alte Frage? “. In: ELTE/ Idegennyelvi Továbbképzö Központ (eds.): Kétnyelvüség a nyelvvizsgáztatásban 1967-1997. Budapest: Verlag ITK, 102-107. „Zwischen oder als: die Beziehung der Angewandten Linguistik zu Forschung und Lehre“. In: Gather, Andreas/ Werner, Heinz (Hrsg.): Semiotische Prozesse und natürliche Sprache. Festschrift für Udo L. Figge zum 60. Geburtstag. Stuttgart: Steiner, 337-346. „Kritische Analyse: ja - Defaitismus: nein! Überlegungen zur Rolle von Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik für die Lehreraus- und -fortbildung“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen. Arbeitspapiere der 17. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 101-108. „Hat die Fremdsprachendidaktik noch eine Zukunft? Überlegungen zur Struktur eines Faches in schwieriger Zeit“. In: Deutsch als Fremdsprache 34 (2), 72-79. 1998 (Hrsg.) Kognition als Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrns und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 18. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl- Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm). „Wie? Was? Mit wem? Unter Bezug worauf? Konzeptuelle Überlegungen zum Stand der Übersetzungsdidaktik“. In: Revista de Humanidades y Traducción 1 (1), 17-23. „Perspektiven des Faches Deutsch als Fremdsprache“. In: Bäcker, Iris (Hrsg.): Das Wort. 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Tübingen: Gunter Narr (mit Karl- Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm). <?page no="381"?> Publikationen Frank G. Königs 381 „Vom Grundsatz zum Einzelfall - und zurück. Überlegungen zur Diskussion um didaktische Grammatiken am Ende des Jahrhunderts“. In: Freudenberg-Findeisen, Renate (Hrsg.): Angewandte Linguistik: Ausdrucksgrammatik vs. Inhaltsgrammatik. Linguistische und didaktische Aspekte der Grammatik. Festschrift für Joachim Buscha zum 70. Geburtstag. München: Iudicium, 305- 320. „Artenschutz durch Artenvielfalt. Plädoyer für eine breit gefächerte Lehrmaterialforschung“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 105-112. „Was man weiss - was man wissen sollte. Grundsätzliche Überlegungen zur (neueren) Lehrwerkforschung Deutsch als Fremdsprache“. In: Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hrsg.): Germanistentreffen Deutschland - Spanien - Portugal 1998 in Leipzig. Tagungsbeiträge . Bonn: DAAD, 307-322. 2000 (Hrsg.) Die Rolle der Praktika in der DaF-Lehrerausbildung (mit Rolf Ehnert). (Hrsg.) Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm). (Hrsg.) Positionen (in) der Fremdsprachendidaktik. Themenheft der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen 29. (Hrsg.) Übersetzen im Deutschunterricht. Themenheft der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch 23. (Hrsg.) Dimensionen der Didaktischen Grammatik. Festschrift für Günther Zimmermann zum 60. Geburtstag. Bochum: AKS (mit Henning Düwell und Claus Gnutzmann). (Hrsg.) Sprachlehrforschung im Wandel. Beiträge zur Erforschung des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Karl-Richard Bausch. Tübingen: Stauffenburg (mit Beate Helbig und Karin Kleppin). „Aus der Praxis für die Praxis? Ja - aber nicht nur! Überlegungen zur Rolle der Praktika in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern, insbesondere für Deutsch als Fremdsprache“. In: Ehnert, Rolf/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Die Rolle der Praktika in der Ausbildung von DaF-Lehrern. Regensburg: FaDaF, 1- 13. „Sichtweisen und Standpunkte: Überlegungen zu einigen Entwicklungen in der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen“. In: Helbig, Beate/ Kleppin, Karin/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Sprachlehrforschung im Wandel. Beiträge zur Erforschung des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen. Festschrift für Karl-Richard Bausch zum 60. Geburtstag. Tübingen: Stauffenburg, 151-172. <?page no="382"?> Publikationen Frank G. Königs 382 „Reaktionen auf ‚Interaktion‘: Gedanken zur Erforschung eines (inzwischen) zentralen fremdsprachenunterrichtlichen Begriffs“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 126-131. „Perspektive 2000 und darüber hinaus. Überlegungen zur Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 29, 8-22. „Zur Einführung in den Themenschwerpunkt oder: Vom Positionspoker zur Positionsbestimmung“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 29, 3-7. „Übersetzen im Deutschunterricht? Ja, aber anders! “. In: Fremdsprache Deutsch 23, 6-13. „Grammatik: Begriff und Konzept aus der Lernerperspektive“. In: Düwell, Henning/ Gnutzman, Claus/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Dimensionen der Didaktischen Grammatik. Festschrift für Günther Zimmermann zum 65. 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Themenheft der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen 31 (mit Ekkehard Zöfgen). „Sackgasse oder Verkehrsplanung? Perspektiven für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 31, 22-41. „Curriculare Innovationen in fremdsprachlichen Studiengängen“. In: Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hrsg.): Germanistentreffen Deutschland - Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Venezuela; 8.- 12.10.2001; Dokumentation der Tagungsbeiträge. Bonn: DAAD, 393-406. „Mehrsprachigkeit? Ja, aber... Lernpsychologische, curriculare und fremdsprachenpolitische Gedanken zu einem aktuellen Thema der Fremdsprachendidaktik“. In: französisch heute 33 (1), 22-33. „Das Theorie-Praxis-Problem oder: Warum tun sich Neuansätze für den Fremdsprachenunterricht so schwer? “. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Neue curriculare und unterrichtsmethodische Ansätze und Prinzipien für das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 21. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 96-103. „Wohin geht die Reise? Beobachtungen und Überlegungen zu Trends und Entwicklungen im Fach Deutsch als Fremdsprache“. In: Acta Germanica 28 - 2000. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 147-158. 2003 (Hrsg.) Fremdsprachenlehrerausbildung. Konzepte, Modelle, Perspektiven. Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl-Richard Bausch und Hans- Jürgen Krumm). (Hrsg.) Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm). „Teaching and learning foreign languages in Germany: A personal overview of developments in research“. In: Language Teaching 36, 235-251. „Reform der Fremdsprachenlehrerausbildung: Jetzt oder nie! “. In: Bausch, Karl- Richard/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Fremdsprachenlehrerausbildung. Konzepte, Modelle, Perspektiven. Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 124-136. „Übungen zur Sprachmittlung“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Auflage. Tübingen: Francke, 315-317. „(K)Eine Referenz für den Referenzrahmen? Überlegungen zum ‚Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen‘“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Der <?page no="385"?> Publikationen Frank G. Königs 385 Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 113-119. 2004 (Hrsg.) Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl- Richard Bausch und Hans-Jürgen Krumm). „Quel che fa la mente non può impedirlo la lezione: Il ruolo della traduzione nell’insegnamento delle lingue straniere“. In: Kroker, Paul/ Osimo, Bruno (eds.): Tradurre non è interpretare. Firenze und Milano: Alinea, 134-143. „,Am Anfang war der Frust... und am Ende die Neugier‘. Ein persönlicher Essay über den Zugang zur übersetzungsdidaktischen Forschung“. In: Pöckl, Wolfgang (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft. Dolmetschwissenschaft. Wege in eine neue Disziplin. Wien: Edition Praesens 2004, 179-187. „Sprachlehrforschung: gestern, heute - und morgen? “. 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Festschrift für Inge Christine Schwerdtfeger zum 60. Geburtstag. Tübingen: Gunter Narr, 13- 26. „Aufgabenorientiertes Fremdsprachenlernen und Mehrsprachigkeit - eine lohnende Aufgabe? “. In: Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg.): Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Task-Based Language Learning and Teaching. Festschrift für Michael K. Legutke. Tübingen: Gunter Narr, 67-80. 2006 (Hrsg.) Ach! texte - Didak-Tick der (modernen, unmodernen und außerirdischen) Sprachen. Eine etwas andere Festschrift für Claus Gnutzmann zum 60. <?page no="387"?> Publikationen Frank G. Königs 387 Geburtstag (und zu allen weiteren). Bochum: AKS-Verlag (mit Frauke Intemann). (Hrsg.) Sprachdidaktik - interkulturell. Themenheft der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen 35 (mit Claus Gnutzmann). (Hrsg.) Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl-Richard Bausch, Eva Burwitz-Melzer und Hans-Jürgen Krumm). „Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit als Problem und Chance der Lehrwerkkonstruktion (DaF)“. In: Neuland, Eva (Hrsg.): Variation im heutigen Deutsch: Perspektiven für den Sprachunterricht. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 525-539. „Gelebte Studienreform: Das Kreativitätspotenzial deutscher Hochschulen - oder geht die Studienreform baden? “. In: Intemann, Frauke/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Ach! texte - Didak-Tick der (modernen, unmodernen und außerirdischen) Sprachen. Eine etwas andere Festschrift für Claus Gnutzmann zum 60. Geburtstag (und zu allen weiteren). Bochum: AKS-Verlag, 69-95. „,A long and winding road...‘ - Von der ‚Landeskunde‘ zur interkulturellen Sprachdidaktik. Überlegungen zur Einführung in die Thematik und eine Einleitung zu einem Themenheft“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 35, 3-27 (mit Claus Gnutzmann). „Ein ‚altes‘ Thema bleibt aktuell: Theoretische Erwägungen und praktische Anregungen zum Übersetzen im Fremdsprachenunterricht“. In: Jung, Udo O. H. (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. 4., völlig neu bearbeitete Auflage. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 167-174. „Aufgabenorientierung als Aufgabe. Überlegungen zur aktuellen Diskussion um ein ‚neues‘ Konzept für den Fremdsprachenunterricht“. In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 115- 122. „Holzweg - Umweg - Lösungsweg? Überlegungen (und Träumereien) zur Neustrukturierung von Studiengängen Deutsch als Fremdsprache“. In: Casper-Hehne, Hiltraud/ Koreik, Uwe/ Middeke, Annegret (Hrsg.): Die Neustrukturierung von Studiengängen „Deutsch als Fremdsprache“. Probleme und Perspektiven. Fachtagung 17.-19. November 2005 an der Universität Hannover. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, 1-16. „Mehrsprachigkeit und Lehrerbildung: Zum Spannungsfeld zwischen inhaltlicher Notwendigkeit und struktureller Machbarkeit“. In: Martinez, Hélène/ Reinfried, Marcus (Hrsg.) unter Mitarbeit von Markus Bär: Mehrsprachigkeitsdidaktik gestern, heute und morgen. Festschrift für Franz-Joseph Meißner zum 60. Geburtstag. Tübingen: Gunter Narr, 215-225. <?page no="388"?> Publikationen Frank G. Königs 388 2007 (Hrsg.) Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Karl- Richard Bausch, Eva Burwitz-Melzer und Hans-Jürgen Krumm). „Sachfachunterricht in der Fremdsprache: Einige (un)realistische Anmerkungen aus der Perspektive der (neuen) Lehrerbildung“. 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Grundsätzliche Anmerkungen zur Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen“. In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsethik, Forschungsmethodik und Politik. Arbeitspapiere der 31. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 113-124. „Blickbewegungen. Ein subjektiver Blick auf 30 Jahre Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen und auf Desiderate für die Forschung“. In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick. Arbeitspapiere der 30. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 64-74. 2012 (Hrsg.) Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 32. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr (mit Eva Burwitz-Melzer/ Hans-Jürgen Krumm). „Zwischen Echternach, Eden und dem Nirwana: Zum Fortschrittspotential der Kompetenzorientierung in der Fremdsprachendidaktik“. In: Adamczak- Krysztofowicz, Sylwia/ Stork, Antje (Hrsg.): Multikompetent - multimedial - multikulturell? Aktuelle Tendenzen in der DaF-Lehrerausbildung. Frankfurt am Main: Peter Lang, 33-43. „Was wissen wir eigentlich über das sprachliche Wissen und seine Bedeutung für fremdsprachliches Lernen? “. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 32. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 76-83. „Immer wieder und immer noch aktuell: Das Verhältnis von Theorie und Praxis bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen und in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern“. 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Themenheft der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1) (mit Jenny Jakisch und Lutz Küster). „Auf der Suche nach dem (verlorenen? ) Zusammenhang zwischen Identität und (Fremd-) Sprache(n) - eine unendliche Geschichte? “. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Riemer, Claudia (Hrsg.): Identität und Fremdsprachenlernen. Anmerkungen zu einer komplexen Beziehung. Arbeitspapiere der 33. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 110-118. „Was hat die Sprachlehrforschung eigentlich gebracht? Plus- und Minuspunkte aus subjektiver Sicht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 7-21. „Zur Einführung in den Themenschwerpunkt“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 3-6 (mit Jenny Jakisch und Lutz Küster). „Einsprachigkeit, Zweisprachigkeit und Code-Switching“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Bilingualer Unterricht. Content and Language Integrated Learning. 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In: Fäcke, Christiane (ed.): Manual of Language Acquisition. Berlin und Boston: De Gruyter, 17-30. „Zur Einführung in den Themenschwerpunkt“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 43 (1), 3-6. „War die Lernerorientierung ein Irrtum? Der Fremdsprachenlehrer im Kontext der Sprachlehrforschung“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 43 (1), 66- 80. „Ein schriftliches Plädoyer für die Mündlichkeit! Überlegungen zur Rolle der Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht“. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Riemer, Claudia (Hrsg.): Perspektiven der Mündlichkeit. Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr, 108-116. <?page no="396"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! VERSATZ 190 MM/ 30 MM Eva Burwitz-Melzer / Frank G. Königs / Claudia Riemer (Hrsg.) Perspektiven der Mündlichkeit Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik 272 Seiten €[D] 48,00 / SFR 61,80 ISBN 978-3-8233-6924-0 Mündlichkeit scheint - verfolgt man die methodischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte - für den Fremdsprachenunterricht selbstverständlich zu sein. Bisweilen ist vom Primat des Mündlichen die Rede, und man könnte den Eindruck gewinnen, als seien damit zahlreiche Probleme gelöst, die man dem traditionellen Fremdsprachenunterricht mit seiner Fokussierung der Schriftlichkeit vorgehalten hatte. Dass dem nicht so ist, zeigen die 26 Beiträge des vorliegenden Bandes, in dem sich Vertreter der deutschen Fremdsprachendidaktik aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Rolle der Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht auseinandersetzen. Dabei entsteht ein Kaleidoskop unterschiedlicher Sichtweisen auf Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht, das Anregungen sowohl für die weitere Forschung auf diesem Gebiet als auch für die unterrichtliche Praxis enthält. <?page no="397"?> Die Festschrift spiegelt in ihren zahlreichen Beiträgen die verschiedenen Forschungsfelder und vielseitigen Tätigkeitsgebiete von Frank G. Königs wider und würdigt dessen Schaffen anlässlich seines 60. Geburtstags. Seit ihrer Entstehung hat Frank G. Königs die Fremdsprachenforschung geprägt und entscheidend an ihrer Entwicklung als wissenschaftlicher Disziplin mitgewirkt. Ihm verdankt sie sowohl wesentliche Impulse in der Forschung als auch Tendenzen, die er als einer ihrer wichtigsten Vertreter bei der Etablierung als fundiert akademischer Lehre gezeitigt hat. Ausgewiesene Expertinnen und Experten des Fachgebiets setzen sich mit vier Themenbereichen der Fremdsprachenforschung und -didaktik auseinander: Mehrsprachigkeit, Kompetenzen ausbilden, prüfen und erforschen, Methoden in der Fremdsprachenvermittlung, (Aus-)Bildung von Fremdsprachenlehrenden. Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik