Zur Lexikographie der romanischen Sprachen
Romanistisches Kolloquium XXVIII
0716
2014
978-3-8233-7912-6
978-3-8233-6912-7
Gunter Narr Verlag
Wolfgang Dahmen
Günter Holtus
Johannes Kramer
Michael Metzeltin
Wolfgang Schweickard
Otto Winkelmann
Die Beiträge des XXVIII. Romanistischen Kolloquiums befassen sich mit der lexikographischen Erforschung der romanischen Sprachen. Sie behandeln in einem ersten Teil Wörterbücher oder lexikographische Probleme des Rumänischen, Italienischen, Ligurischen, Dolomitenladinischen, des Französischen der Suisse Romande, des Frankoprovenzalischen und der iberoromanischen Sprachen. Den Abschluss des ersten Teils des Bandes bildet eine Untersuchung des europäischen Verfassungswortschatzes. Die vier Beiträge der zweiten Sektion beschäftigen sich mit Wörterbuchern der amerikanischen Romania. Dabei geht es um die kontrastiven Wörterbücher des Spanischen Lateinamerikas, die lexikographische Erfassung des dominikanischen Spanisch, ein in Arbeit befindliches etymologisches Wörterbuch der französichbasierten Kreolsprachen Amerikas und um die Wörterbücher des Papiamento.
<?page no="0"?> Wolfgang Dahmen / Günter Holtus / Johannes Kramer / Michael Metzeltin / Wolfgang Schweickard / Otto Winkelmann (Hrsg.) Zur Lexikographie der romanischen Sprachen Romanistisches Kolloquium XXVIII <?page no="1"?> Zur Lexikographie der romanischen Sprachen <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 548 <?page no="3"?> Zur Lexikographie der romanischen Sprachen Romanistisches Kolloquium XXVIII Wolfgang Dahmen / Günter Holtus / Johannes Kramer / Michael Metzeltin / Wolfgang Schweickard / Otto Winkelmann (Hrsg.) <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6912-7 <?page no="5"?> Inhalt Einleitung VII I. E UROPÄISCHE R OMANIA 1 Petrea Lindenbauer, Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie: Sprachregister in der Zeit .…….………................................ 3 Gualtiero Boaglio, Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert ………………………………………………………………. 25 Werner Forner, Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen ……………….. 41 Ruth Videsott, Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie …………. 87 Antje Zilg, Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande ………….. 113 Elisabeth Berchtold/ Laure Grüner, Historische Lexikographie und Etymologie des Frankoprovenzalischen: Welche redaktionellen Strukturen und Methoden? …………………………………………………………………….... 137 Jan Reinhardt, Das Projekt Deonomasticon iberoromanicum (DIR) ……… 151 Thomas Wallmann, Der europäische Verfassungswortschatz - zur lexikographischen Erfassung eines Begriffsfeldes im Wandel ……………................... 161 II. A MERIKANISCHE R OMANIA Reinhold Werner, Die Diccionarios Contrastivos del Español de América zwischen Wörterbuchfunktion und Identitätsdiskurs ………………………….. 185 Andre Klump, Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik …………………………………………………….. 209 Annegret Bollée/ Ulrike Scholz, Das Dictionnaire étymologique des créoles français d’Amérique (DECA) ………………………………………. 229 Johannes Kramer, Wörterbücher des Papiamento ………………………….... 251 <?page no="7"?> Einleitung Vom 30. Mai bis zum 1. Juni 2013 fand auf Schloss Rauischholzhausen, der Tagungsstätte der Justus-Liebig-Universität Gießen, das XXVIII. Romanistische Kolloquium statt, das sich mit der lexikographischen Erforschung der romanischen Sprachen befasste. Im Rahmen des Kolloquiums wurden 15 Vorträge gehalten, von denen zwölf in dem vorliegenden Sammelband abgedruckt sind. Die Beiträge sind in zwei Sektionen eingeteilt: Die ersten acht Beiträge behandeln Wörterbücher oder lexikographische Probleme des Rumänischen, Italienischen, Ligurischen, Dolomitenladinischen, des Französischen der Suisse Romande, des Frankoprovenzalischen und der iberoromanischen Sprachen. Den Abschluss der ersten Sektion bildet eine Untersuchung des europäischen Verfassungswortschatzes. Die vier Beiträge der zweiten Sektion beschäftigen sich mit Wörterbüchern der amerikanischen Romania. Dabei geht es um die kontrastiven Wörterbücher des Spanischen Lateinamerikas, die lexikographische Erfassung des dominikanischen Spanisch, ein in Arbeit befindliches etymologisches Wörterbuch der französischbasierten Kreolsprachen Amerikas und um die Wörterbücher des Papiamento. Petrea Lindenbauer geht in ihrem Beitrag zunächst auf die lexikalische Schichtung des heutigen Rumänisch ein, bei der Entlehnungen aus dem Englischen eine immer wichtigere Rolle spielen, und nimmt anschließend eine Bestandsaufnahme heutiger lexikographischer Arbeiten zum Rumänischen vor. Ferner beschäftigt sie sich ausführlich mit der Angabe von Sprachregistern in rumänischen Wörterbüchern und mit der Erfassung und Kennzeichnung stilistisch markierter Ausdrücke in historischen Te Im 19. Jahrhundert waren zahlreiche italienische Sprachlehrer und Lexikographen am Wiener Hof tätig, was der wachsenden Bedeutung des Italienischen als Verwaltungssprache in der Habsburgermonarchie entsprach. Gualtiero Boaglio stellt in seinem Beitrag die wichtigsten am Wiener Hof tätigen italienischen Lexikographen nebst ihren Werken vor und zeigt, dass sie nicht nur die italienische Verwaltungssprache in den italophonen Kronländern des Habsburgerreiches stark prägten, sondern auch auf vorsichtige Distanz zum puristischen Sprachmodell der Accademia della Crusca gingen. Im längsten Beitrag des Bandes stellt Werner Forner sehr ausführlich und anhand von Karten und Wörterbuchauszügen die Entwicklung und <?page no="8"?> VIII den gegenwärtigen Stand der lexikographischen Erfassung des Wortschatzes der ligurischen Dialekte dar. Im Anhang seines Artikels sind nicht weniger als 90 Wörterbücher und Glossare zum Ligurischen aufgeführt. Werner Forner zeigt, dass der landwirtschaftliche und maritime Wortschatz des Ligurischen sehr gut dokumentiert ist. Von besonderem Interesse sind seine Ausführungen zum „ligure coloniale“, d.h. der Existenz ligurischer Varietäten außerhalb des Kerngebietes. In den verschiedenen ligurischen Sprachinseln, wie z.B. auf Korsika, im nördlichen Sardinien, auf Sizilien und in der La Plata-Region, wurden zahlreiche ligurische Reliktwörter entdeckt. Ruth Videsott stellt in ihrem Beitrag moderne zwei- und dreisprachige Wörterbücher des Dolomitenladinischen vergleichend gegenüber. Alle fünf dolomitenladinischen Schriftidiome - Gadertalisch, Grödnerisch, Fassanisch, Ampezzanisch und Buchensteinisch - besitzen in der Zwischenzeit moderne Wörterbücher. Darüber hinaus gibt es ein Wörterbuch des Standardladinischen. Die modernen Wörterbücher zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Regel das Ladinische als Zielsprache aufweisen und auch neuere Entlehnungen und Neologismen verzeichnen. Am Beispiel ausgewählter Artikel analysiert Ruth Videsott die Mikrostruktur der Wörterbücher und überprüft die Darstellung von Phraseologismen. Antje Zilg gibt in ihrem Beitrag einen Überblick über Makro- und Mikrostruktur sowie Außentexte der beiden wichtigsten Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande. Es handelt sich um das Dictionnaire suisse romand und um das Glossaire des patois de la Suisse romande. Sie beschreibt u.a. die in den Wörterbüchern berücksichtigten Wortfelder, die Prinzipien der Lemmatisierung und die kantonale Verortung der Helvetismen und fasst am Ende ihres Artikels Desiderata für die weitere lexikographische Erforschung der diatopisch markierten Ausdrücke des Französischen der Suisse romande zusammen. Elisabeth Berchtold und Laure Grüner stellen in ihrem gemeinsamen Beitrag zwei eigene Wörterbuchprojekte vor. Geplant ist die Erstellung zweier Online-Wörterbücher zum Wortschatz des Frankoprovenzalischen. Es handelt sich dabei um ein altfrankoprovenzalisches Wörterbuch, das Belege zwischen 1200 und 1600 erfasst, und ein etymologisches Wörterbuch des frankoprovenzalischen Erbwortschatzes. Nach einer Darstellung des jeweiligen Forschungsstandes erläutern Elisabeth Berchtold und Laure Grüner die Konzeptionen ihrer beiden Wörterbücher und stellen jeweils einen Probeartikel zur Diskussion. <?page no="9"?> IX Jan Reinhardt stellt sein in Arbeit befindliches Deonomasticon iberoromanicum vor. Das geplante Wörterbuch wird Ableitungen von Eigennamen in den iberoromanischen Sprachen erfassen und erklären, wobei sowohl aktuelle als auch historische Belege berücksichtigt werden. Aufgenommen werden sollen Toponyme, Ethnika und Anthroponyme in den Sprachen Galegoportugiesisch, Portugiesisch, Galicisch, Asturianisch- Leonesisch, Spanisch, Navarresisch-Aragonesisch und Katalanisch-Valencianisch-Balearisch. Ein Beispielartikel zu dem Stichwort Aragón vermittelt einen Eindruck von der Mikrostruktur des geplanten Wörterbuchs. Der erste Teil des Bandes schließt mit einem thematisch übergreifenden Beitrag von Thomas Wallmann. Er zeichnet die Entstehung und Entwicklung des europäischen Verfassungswortschatzes nach und geht auf die Schwierigkeiten seiner lexikographischen Erfassung ein. Dabei behandelt Thomas Wallmann nicht nur die semantischen Aspekte der Verfassungsbegriffe, sondern erörtert auch die rechts-, politik- und geschichtswissenschaftlichen Schwierigkeiten, die bei der Aufarbeitung des europäischen Verfassungswortschatzes eine Rolle spielen, und er spricht sich nachdrücklich für eine interdisziplinäre Vorgehensweise aus. Die zweite Sektion der Tagungsakten beginnt mit einem Beitrag von Reinhold Werner zu den kontrastiven Wörterbüchern des amerikanischen Spanisch, die in Zusammenarbeit des Lehrstuhls für Angewandte Sprachwissenschaft (Romanistik) der Universität Augsburg mit Universitäten einzelner hispanophoner Länder Lateinamerikas erstellt wurden oder in Vorbereitung sind. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, differenzielle Wörterbücher des lateinamerikanischen Spanisch räumten dem europäischen Spanisch einen normativen Vorrang ein und betrachteten die darin erfassten Lemmata lediglich als Abweichungen vom peninsularen Spanisch. Demgegenüber betont Reinhold Werner, dass es sich bei den Augsburger Wörterbüchern des lateinamerikanischen Spanisch um explizit kontrastive Wörterbücher handelt. Gleichzeitig räumt er ein, dass integrale Wörterbücher des Spanischen der hispanophonen Länder Lateinamerikas nach wie vor ein großes Desiderat darstellen. Da die spezifisch dominikanische Lexikographie wenig bekannt ist, erläutert Andre Klump zu Beginn seines Beitrags zunächst den Begriff des dominicanismo und stellt anschließend in chronologischer Reihenfolge acht Wörterbücher des dominikanischen Spanisch vor, die zwischen 1930 und 2013 erschienen sind. Dabei geht er jeweils auf den Zweck der Wörterbücher, ihre Zielgruppe, ihre Makro- und Mikrostruktur, ihre Konzeption und auf den Grad ihrer Normorientierung ein. Andre Klump <?page no="10"?> X zeigt, dass das dominikanische Spanisch derzeit durch ein breites Spektrum ein- und zweisprachiger, allgemeiner und spezifischer Wörterbücher dokumentiert ist. In ihrem gemeinsamen Beitrag erläutern Annegret Bollée und Ulrike Scholz die Konzeption ihres in Arbeit befindlichen Dictionnaire étymologique des créoles français d’Amérique (DECA), welches das von 1993 bis 2007 in vier Bänden erschienene Dictionnaire étymologique des créoles français de l’Océan indien (DECOI) fortsetzt. Das DECA besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil enthält die kreolischen Nachfolger französischer Wörter, während im zweiten Teil kreolische Wörter nicht-französischer oder unklarer Herkunft zusammengestellt sind. Eine Reihe von Probeartikeln veranschaulicht die Mikrostruktur des Wörterbuchs und zeigt, wie mit frankokreolischen Lemmata verfahren wird, die von Namen oder Onomatopöen stammen, und wie alte Belege, Ableitungen und Zusammensetzungen notiert werden. Im letzten Beitrag des Bandes gibt Johannes Kramer einen ausführlichen Überblick über die lexikographische Erfassung des Papiamento, das auf den niederländischen Antillen Aruba, Bonaire und Curaçao gesprochen wird. Von den frühesten Wörterlisten und Glossaren bis hin zu den modernen zwei- und mehrsprachigen Papiamento-Wörterbüchern stellt er alle wichtigen Wörterbücher dieser iberoromanischen Kreolsprache vor. Zu den Desiderata der Papiamento-Lexikographie zählen nach Johannes Kramer ein einsprachiges Definitionswörterbuch, ein Belegwörterbuch, welches den Wortschatz des gedruckten Papiamento dokumentiert, und ein etymologisches Wörterbuch, in dem neben der Wortgeschichte auch die unterschiedlichen etymologischen Vorschläge erörtert werden. Wir hoffen, dass der vorliegende Sammelband zu weiteren Studien zur lexikographischen Erfassung des Wortschatzes der romanischen Sprachen und ihrer Varietäten anregt. Unser besonderer Dank gilt Frau Dr. Antje Zilg (Gießen) für die gründliche Korrektur der Manuskripte und Frau Maike Homberger (Gießen) für die sorgfältige Herstellung der Druckvorlage. Die Herausgeber <?page no="11"?> I. Europäische Romania <?page no="13"?> Petrea Lindenbauer Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie: Sprachregister in der Zeit 1 Lexikalische Schichten des heutigen Rumänisch Es ist offensichtlich: Rumänisch ist, verstärkt in den letzten Jahrzehnten, sehr offen für Entlehnungen vor allem aus dem Englischen, aber auch Französischen und Deutschen. Aktuelle rumänische Schriftsteller spielen in ihren Werken mitunter mit dieser neuen Sprachschicht. Im Jahre 2005 erschien bei der von rumänischen Literaturkritikern sehr gut bewertete Roman Cruciada copiilor ('Der Kinderkreuzzug') von Florina Ilis. Die Autorin lässt darin, in hochsensibler psychologischer Charakterisierung, Kinder, aber auch Erwachsene unterschiedlicher sozialer Lebenswelten des heutigen Rumänien, interagieren. In der Beschreibung dieser Protagonistinnen und Protagonisten und ihrer spezifischen Welt- und Wertvorstellungen - zugleich unverkennbare Referenzebenen ihrer Identitäten - greift die Autorin, um hier nur einige wenige Beispiele zu geben, auf Entlehnungen vor allem aus der Globalisierungssprache Englisch bzw. auf „westliche” Lehnübersetzungen zurück wie poster, show-ul de televiziune, chat-ul, private room-ul, hit-uri, vip-uri, cocktail-uri, yes-ul, path-uri, hackeri, super- -eroi 1 etc. Der Roman dokumentiert in deutlicher Weise die Anglizisierung bzw. die sogenannte „Internationalisierung” des rumänischen Sprachraums. Der rumänische Buchmarkt wird, zumindest für den allgemeinen Verwender, mit der Dokumentation und Einführung dieser Wörter in Form einer Reihe von kleineren Wörterbüchern gerecht. Die Anglizisierung des Rumänischen bedeutet aber nicht, dass das etymologisch buntscheckige Aussehen, das dem Rumänischen zugeschrieben wurde, Vergangenheit wäre. Die lexikalisch-etymologische Vielschichtigkeit des Rumänischen ist in altrumänischen juridischen, aber auch religiösen oder 1 Wir geben hier die Seitenzahlen unserer Beispiele adaptierter und nicht adaptierter Entlehnungen aus Cruciada copiilor (Ilis 2008) an: posterul [cu adi mutu] p.17, de plu p.25, show-ul de televiziune p.49, chat-ul p.71, private room-ul p.72, textele unor hituri p.83, vip-uri p.83, cocktail-uri p.89, wc-ul p.98, yes-ul p.152, path-uri p.152, Jäger hackeri p.189, super- i, super-eroi 'Superhelden' p.338 etc. <?page no="14"?> Petrea Lindenbauer 4 volksliterarischen Texten, eher dokumentiert als z.B. in der heutigen, stärker vom Rechtsraum der EU beeinflussten juridischen Fachsprache (cf. die Entlehnungen aus dem Kirchenslawischen oder Neugriechischen z.B. in Alexandru Ipsilantis Gesetzbuch Pravilniceasca Condic aus dem Jahre 1780 wie das noch heute verwendete Wort osârdie 'Eifer, Fleiß' oder die heute nicht mehr verwendete [judecata de] protímisis 'Urteil der ersten Instanz' (nicht im DLR verzeichnet) bzw. die slawischen Entlehnungen in der Volksballade (rai 'Paradis', vorbi 'sprechen', 'beraten', ermorden , mândru 'stolz' 'weiß[farbige Wolle]' etc.). Dass, in Anbetracht mehrerer Jahrhunderte eines zumindest in kulturtragenden Textsorten dokumentierten lateinisch-altslawisch-neugriechisch-osmanischen und/ oder neoromanischen Wortschatzes des Rumänischen die Feststellung (sprachlicher) „Globalisierung“ - hier auf die Lexik übertragen - viel adäquater passte als für die rezente, vor allem englischsprachige „Internationalisierung“, sei hier nur angemerkt. Es ist aber nicht unbedingt eine Frage des Alters eines Textes, ob der lexikalisch-etymologische Reichtum des Rumänischen zum Ausdruck kommt. Es ist auch eine Frage der Textsorte, des Inhalts und der Intention eines Senders. Während Florina Ilis in Cruciada copiilor vor allem auf Anleihen (gegenständlicher) Innovationen aus dem englischen Sprachraum und damit auf deren ins Rumänische übernommene Termini ! -Trilogie Orbitor (2007), Die Wissenden, eine Dichtung, in der er sich des Lexeminventars unterschiedlichster Etymologie des Rumänischen bedient. So greift der Autor im ersten Band, Aripa Stânga (Der linke Flügel), seiner postmodernen Erzählung, in der er spielerisch traumhaft eine surrealistisch-phantastische Vorstellung von Geschehnissen, Orten, Gegenständen, Krankheiten, psychischen Wahrnehmungen breit und minutiös beschreibt, auf Lexeme, um hier nur einige Beispiele zu geben, aus dem Türkischen zurück (sidef 'Perlmutt', geam 'Glas', briceag 'Messer', 'Elfenbein', ciob 'Teilstück', 'Regal'), dem Neugriechischen (stacoj/ stacojiu 'hummerrotfarben'), dem Kirchenslawischen ( 'Zufluchtsort, Hütte', pogribanie 'Begräbnis'; cf. für beide Tiktin, s.v. und s.v. pogrebanie), dem Ungarischen (puradei 'Kind einer Roma', 'Brocken'), dem Bulgarischen ( '(bot.) Pelargonie', 'Kopftuch', 'Matte', 'Ringeltaube', zbârcite 'gefaltet') etc 2 . 2 Wir geben auch hier die Seitenzahlen der Lexeme aus Orbitor " #$$%& * sidef p.19, geam p.24, briceag p.25 [das DLR verweist unter briceag auf eine türkische dialektale Form, die auch im Ungarischen existiert, eventuell durch kumanische <?page no="15"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 5 2 Kurze Bestandsaufnahme heutiger lexikographischer Arbeiten zum Rumänischen Schon 1989 stellte Otto Winkelmann für das Rumänische fest: „Der Wortschatz der rumänischen Sprache ist durch eine Vielzahl von Wörterbüchern unterschiedlichen Typs recht gut erschlossen.“ und erstellt dem Leser die Distribution dieses Bestandes in differenzierter Weise als Allgemeine einsprachige und historische, enzyklopädische Wörterbücher, Neologismenwörterbücher, Fachwörterbücher, Synonym-, Antonymwörterbücher, diverse Spezialwörterbücher, phraseologische und etymologische Wörterbücher (Winkelmann 1989: 492). Generell hat sich die rumänische Lexikographie seit 1989 weiter ausdifferenziert. Es entstanden und entstehen, nach 1989 und bis 2013, verschiedene rumänische, kleinere und mittelgroße Wörterbücher unterschiedlicher Ausrichtung, und große ältere wurden wieder aufgelegt. Letzteres ist der Fall des größten und wichtigsten Belegwörterbuchs des Rumänischen, des Dic ! (DLR bzw. DLR SN). Es wurde im Jahre 1884 auf Vorschlag König Carols und im Auftrag der Rumänischen Akademie von Bogdan Petriceicu Ha+deu begonnen, nach mehr als 100 Jahren in einer ersten Fassung von 37 Bänden publiziert und im Jahre 2011 - mit Unterstützung der rumänischen Nationalbank - in einem neuen Format, welches alle vorherigen Bände in gescannter Weise umfasst, in 18 Bänden wiederaufgelegt. Allein die Präposition de wird darin, um einen Eindruck zu geben, auf 80 Seiten behandelt. Das im Jahre 2001 ebenso von der Akademie bzw. dem Institutul de < => > - Al. Rosetti” herausgegebene academic umfasst allein im ersten Band (vol. I, Literele A-C) 175 000 Einträge, wovon 125 000, wie es Marius Sala am Buchrücken formuliert, als eigenständige Lexeme (cuvinte propriu-zise) und 50 000 als lexikalische Varianten (variante lexicale) zu zählen sind. Neben dem DEX ist im Jahre 2006 das in seiner Mikrostruktur insbesondere dem " limbii române von < ? @ "QYY\& # universal al limbii române als umfangreiches einsprachiges Definitionswörterbuch mit Zitaten aus der Hoch- und Volkssprache erschienen; es erfasst die Analysen von über 80 000 Wörtern und enthält neben Allgemeinwortschatz zahlreiche Neologismen, Archaismen, Regionalismen, aber Verwandtschaft, $% & 'cu^it'] p.38, ciob p.41, p.43, [auch im Bulgarischen und Ungarischen], p.33, p.41, zbârcite [cf. bg.] p.44, stacoj/ stacojiu p.28, p.28, puradei p.42, h p.45, pogribanie p.44; p.44. <?page no="16"?> Petrea Lindenbauer 6 auch Termini aller wissenschaftlichen Domänen wie der kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen etc. (Prefa und Titelumschlag). Das von der Akademie erstmals 1982 publizierte " wird 2005 in einer überarbeiteten und ergänzten Fassung wieder aufgelegt. Es gibt außer den morphologischen und phonetischen Regeln zu den einzelnen Lexemen auch Hinweise darüber, dass ein Wort neu in den Wortschatz aufgenommen bzw. als gültig betrachtet wird. In diesem Sinne werden Lemmata mit Asterisk gekennzeichnet (*song (angl.) s.n., pl. songuri; * - s.f., art. sora- , g.-d.art. sorei- , pl. surori- ; *talk-show (angl.) s.n., art. talk-show-ul, pl. -uri); ein Ausrufezeichen informiert darüber, dass das Wort im Vergleich zu DOOM 1 eine Veränderung der Norm erfahren hat. Ein Beispiel dafür ist die Kirsche: „! cirea s.f., art. cirea a, g.-d. art. cire ii/ cire ei [in DOOM 1 wurde nur die Form anerkannt]; pl. cire i/ cire e”. Nach der Neuauflage des Dic ionar etimologic român (edi^ia a doua a Diccionario etimológico rumano (7 fasciculos), La Laguna, 1958-1966, editat de Tudora @andru Mehedin^i, Magdalena Popescu Marin, cu o prefa^ { ! + ! #$$Q& > < „Iorgu Iordan - Al. Rosetti” der Rumänischen Akademie die Arbeit am " române (DELR) aufgenommen. Eine kritische Besprechung des ersten Bandes, der 2011 in Bukarest erschien, erfolgte durch Wolfgang Schweickard 3 . Ein erster Band, A-B, ist 2011 in Bukarest erschienen. Veraltete Wörter, wie beispielsweise arestant 'Inhaftierter' sind nicht verzeichnet. Regionalismen wie etwa der Eintrag bina 'großes Gebäude' (cf. Tiktin 1989 s.v.) sind mit Definition ( " & = | ^ | ^ - bâtiment en cours de construction ou de réparation“), ihrer Ersterfassung (1779) und phonetischer Variation („var. bena.”) erfasst. Das von der Akademie bzw. dem > < => Iordan - Al. Rosetti” herausgegebene deutsch-rumänische Wörterbuch " ' -Român ( 3 2007, reviz. + | } & ! ~ rücken lautet, mit über 200 000 cuvinte-titlu = ^ german-român”, also 'das vollständigste deutsch-rumänische Wörterbuch'. Es gibt, wie am Lemma „Ehrenaffäre ... chestiunea de onoare“ ersichtlich, der deutsch-deutschen Sprache vor der österreichisch-deutschen den Vorrang. Erfasst und übersetzt werden dabei auch Ausdrücke aus der deutschen Umgangssprache („Uzname ... porecl ”) und deutsch-deutsche 3 Zeitschrift für romanische Philologie, Volume 129, Issue 3, Pages 858-866, ISSN (Online) 1865-9063, ISSN (Print) 0049-8661, DOI: 10.1515/ zrp-2013-0086, August 2013. <?page no="17"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 7 Regionalismen wie der Eichhase, unter dessen Eintrag auf „(reg.) Eichhorn ... Eichhörnchen, Eichkätzchen, (reg.) Eichkatze, ... (reg.) (zool.) (Sciurus vulgaris)” verwiesen wird, oder der Käsekohl, worunter auf „(reg.) v. Blumenkohl” verwiesen wird. Das Wörterbuch gibt Begriffe aus allen Domänen an wie den „Kasuar ... (ornit.) cazuar (Casuarius)”, das „Krautfleckerl pl. (cul.) * ”, den „Rheinbund ... (ist.) + ! ”, den „Rhododendron ... (bot.) smirdar, bujor-de-munte, rododendron (Rhododendron)”, den „Rhotazismus ... (lingv.) rotacism” etc. Es werden auch Abkürzungen aufgenommen wie „L.B. presc. de la laut Bericht, conform celor relatate” oder „usf. presc. 0 0 0 ”; des Weiteren auch im Deutschen aufgenommene Anglizismen wie User oder Leader. In einem Anhang werden die # 'geographische Eigennamen und ihre Ableitungen' (pp. 1511-1515) und die # 'mythologische und biblische Eigennamen' (pp. 1516-1517, z.B. Trajan - Traian) aufgelistet. Die Fülle an erhobenem Sprachmaterial ist weit mehr zu schätzen als eine manchmal nicht ganz durchgängige Systematik der Wortaufnahmen. So verzeichnet das Wörterbuch z.B. den „Eidechsenkuckuck ... (ornit.) cucul- (Lacerta agilis)”, also eine Unterart des Kuckucks, aber nicht auch die Unterart Smaragdeidechse. Als Beispiel eines phraseologischen zweisprachigen Wörterbuchs sei das von Elena Gorunescu, " 2 *-Român, Român-Francez Frazeologic, genan " + ! #$$ #$$Y& } } beide Ausgangssprachen, Rumänisch und Französisch, die Sprachregister der erhobenen Ausdrücke an und unterscheidet Argot - und zwar studentischen, Schüler- und auch Theaterargot -, familiäres Register (adio -un praz verde 'es kümmert mich nicht'), figurative Sprache, literarische Sprache ((a) adormi întru Dumnezeu 'in Gott entschlafen'), volkssprachliches, regionales, vulgäres Register, Jugendsprache, aber auch historische, veraltete, juridische, militärische oder pejorativ verwendete Ausdrücke/ Syntagmen. Die reiche Sammlung von Ausdrücken und ihre Übersetzungen in die jeweils andere Sprache, wenn in dieser vorhanden (wie 3 4 „a.'un vaurien; un ahuri”'; „b. ”) ist viel höher zu bewerten, als manche nicht ganz vollständige Information. So ist z.B. der heute sehr selten verwendete Idiomatismus (a) cere stele fripte din ! , wortwörtlich 'gebratene Sterne vom Himmel und Feigen, gepflückt von den Bäumen Jerusalems zu verlangen' übersetzt mit ' , nicht als veraltet/ nicht mehr 4 Ein 3 ist 'einer, der sich ohne Ziel und Zweck herumtreibt'. <?page no="18"?> Petrea Lindenbauer 8 standardsprachlich ausgewiesen 5 . Mitunter fehlen auch Phraseologien wie z.B. (a) * 'Luftschlösser bauen'. Populärwissenschaftlicher Orientierung ist das Buch von Rodica Zafiu, das in der Serie der 'Das Leben der Wörter', welche in 101 Wörtern semantische Felder wie Krankheit, Schach, Geld, Musik etc. abhandelt, entstanden ist mit dem Titel 101 cuvinte argotice. Die Bukarester Autorin arbeitet die dem Argot entstammenden Wörter als kurze Monographien ab und zeigt, z.B. anhand des Wortes abur 'Dampf, Dunst' (Anu^ei 1990, s.v.) Grundbedeutungen und semantische Assoziationen des Lexems: ! ^ + } l sunt metafore cognitive ale * - ! | ^ + ^ ! + + | + voin^ | + are.” (Der Rauch, der Nebel, der Dunst sind kognitive Metaphern des Vagen: das Verwischen der Konturen kann mitunter dichterisch sein, aber in der Perspektive des praktischen Lebens und der zwischenmenschlichen Beziehungen ist er vor allem beunruhigend. Das, was nicht klar und direkt ist, ist trügerisch; es ist vielmehr geschaffen aus der Absicht zu betrügen). Rodica Zafiu stellt dann das Sprachregister fest: a aburi 'beschwindeln, betrügen' wäre zwischen Argot und familiärer Sprache angesiedelt. Es folgen Beispiele der rezenten Verwendung in der Presse, in der mit der Bedeutung 'Betrug, Schwindel' verwendet werden. Kommentiert werden dann auch morphologische Varianten und Synonyma des Wortes (die reflexive Form a se aburi mit der älteren Bedeutung ' ; a o aburi, gleichbedeutend mit ), um festzuhalten, dass a aburi eine neue Kreation der letzten Jahrzehnte sei, sinngemäß verwandt mit a fi/ 'betrogen werden'. Das Verb wie das Substantiv a aburi und hätten begonnen mit - ebenso aus der argotisch-familiären Sprache und oft mit erotischer Konnotation - zu konkurrieren. Nach der Feststellung der oft argotischen Bezeichnungen des semantischen Feldes der Manipulation (a aburi, ), ihrer weiteren Ausdrucksformen („anumite expresii cu texte ( 5 5 ), ^ a face din vorbe etc.”), dann auch der suffigalen Derivation ( ) und seiner möglichen Entlehnung aus dem Griechischen ( ), eventuell auch dem Türkischen (getirmek), schließt Rodica Zafiu mit der Feststellung, dass diese Lexem- 5 Auch wenn einige befragte Muttersprachler des Rumänischen das Sprichwort noch gehört haben, kennen sie dessen Bedeutung nicht mehr. <?page no="19"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 9 basis häufig in der Jugendsprache vorkommt, v.a. als , mit der Bedeutung „suspectat de autoritarism“, also 'dem man wegen autoritären Zwangs misstraut' (Zafiu 2010, s.v. , 87-89). Außer der wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Lexikographie sind eine Reihe von Wörterbüchern zum nicht-wissenschaftlichen Zweck bzw. für die Schulverwendung entstanden. Hierzu zählt z.B. das " > - "#$$Y& ! } Wörterbuch eine neue, vielleicht durch das Internet inspirierte Struktur angezielt wurde. So finden wir unter den Abschnitten der einzelnen Buchstaben, leider nicht systematisch, jeweils eine ganze Reihe von Hinweisen, die man hier nicht erwartet hätte. Das Buch gibt, wie im Titel angekündigt, mitunter phonetisch-phonologische Hinweise, morphologisch-grammatikalische Hinweise, praktische Beispiele etc. Der Verwender kann hier u.a. erfahren, dass der Großbuchstabe A auch als Abkürzung für das Papierformat A0 verwendet wird (a [ ] abreviere formate de hârtie A0), oder welchen Phonemwert das Graphem a in entlehnten Eigennamen haben kann („a | | + * cu alte valori (magh. [o]: Nagy, engl. [e]: player); cu alte semne, ca diacritice sau accente: à [a]: it. pietà, á [a]: magh. István” etc.). Das Wörterbuch gibt auch Beispiele für Acronime wie Benelux, Gestapo oder stellt die morphologischen Formen des Adjektivs auf („adjectiv + unea adjectivelor compuse”, pp.44-45). Unter wird angegeben, wie man diese auf Briefumschlägen und Briefkopf für Bukarest richtig, nämlich ! } "= ! | + } * 68; <=> @ ( 68; <=> @ Q@ 68; <=>”, p.47). In Form von konkreten bzw. literarischen Beispielen von Eminescu und Erklärungen werden aber auch linguistische Informationen z.B. für * , die z.B. au ? ! } "= ? lanceput { ? | ? ! ^ ? * - ^ -^ } > & alcoolic finden wir Beispiele einer Reihe von alkoholischen Getränken, Bezeichnungen für Weine und Weinmarken etc. („alcoolic } olice, soiuri de vinuri etc. (beaujolais, cabernet, cotnari, curaçao, murfatlar; pe Y @ )”, unter dem Eintrag Alfabetul erscheint ein Mikroabriss der Geschichte des { } "= alfabetului, din 1860, actual 31 de litere, diacritice, trigrafe; alfabetul limbii române...”) inklusive, wie heutige Phoneme ohne Diakritika <?page no="20"?> Petrea Lindenbauer 10 ? ~ "= * } ^ a } ^ " ! ? +! ^&* gaseshti [für: ]”, pp.55-57). Unter Anglicisme werden Beispiele für diese gegeben (p.65). Unter Articolul wird auf die vier existierenden Artikel im Rumänischen v ~ "={ " ! ! ! ! $-81), unter # werden spezifische Namen von Planeten und Sternbildern angegeben (Marte 'Mars', Pluto, Ursa-Mare 'Der große Bär'). Unter Numele de animale 'Tiernamen' finden wir eine Reihe von Tiergattungen und ihre Klassen, wie die der Vögel oder Fische (botgros 'Gimpel' 'Wendehals', [ 'Bachstelze', -paradisului 'Paradiesvogel'; -ochi 'Neunauge', -cu- 'Schwertfisch') oder volkssprachliche Namen für die Libelle (wie calul-dracului), aber auch spezifische Haustierrassen von Hühnern, Kühen und Schweinen (wie " und Marele Alb) oder auch Namensbeispiele für Haustiere (wie Bubico, Grivei, Zefir). Dass sich die Autorin als Instanz für das Rumänische versteht, liest man implizit in ihrem Verweis auf die von ihr im DEX als falsch bewertete Orthographie von "= + | &! anstelle von . Wie erwähnt, ist für den Benutzer leider nicht klar ersichtlich, welche Informationen er finden kann. Allerdings lässt die Struktur des Wörterbuchs an den Versuch denken, es an die rasche Nutzbarkeit des digitalen Mediums anzunähern. 3 Die Sprachregister der rumänischen Wörterbücher Aktuelle größere Definitionswörterbücher des Rumänischen geben zu ihren Einträgen häufig die Sprachregister an. So unterscheidet beispielsweise DEX ' 96 die Register arhaizant (abgekürzt Arh.), familiar (Fam.), figurat (Fig.), învechit (Înv.), livresc (Livr.), peiorativ (Peior.), popular (Pop.), regional (Reg.) und das NDU: argou/ argotic (arg.), depreciativ (depr.), dialectal (dial.), familiar (fam.), figurativ (fig.), învechit "| &! livresc (livr.), peiorativ (peior.), popular (pop.), regional (reg.). Wörterbücher verzeichnen die Sprachregister ihrer Einträge aus synchroner Sicht zum Zeitpunkt ihrer Erstellung, nur Belegwörterbücher verzeichnen auch die Zeitachse oder Periode, in denen ein Wort ein bestimmtes Register realisiert(e). Die lexikalisch-semantische Veränderung, Synonymkonkurrenz, Ablösung und Ersetzung von Wörtern verlief (und verläuft) kontinuierlich und immer über längere Perioden. Diese Prozesshaftigkeit ist sogar für Belegwörterbücher teilweise zu komplex, um die wechseln- <?page no="21"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 11 den sprachlichen Register in der Zeit sehr präzise anzugeben. Daher ist es, z.B. bei historischen Texten, nicht immer leicht festzustellen, welches Sprachregister einem bestimmten Lexem zuzuordnen ist. Viele Wörter, die zur Zeit des Eingangs in die rumänische Sprache Neologismen waren, sind heute Archaismen, Regionalismen oder Wörter, die eine volkssprachliche Konnotation haben. Die Frage des Sprachregisters ist zusätzlich aus der synonymischen Konkurrenz und in Relation zur Lexik der Hochsprache zu beantworten, welche, im Falle des Rumänischen, erst nach 1880 fixiert(er) wird und sich davor in der Hochphase der Genese der limb , der (entstehenden) normierten Sprache, in heftigem Um- und Ausbau befindet. Das in der „Proklamation” von Islaz im Jahre 1848 so innovativ und stolz verwendete pópol (DEX '96) 'Volk', kam, um ein Beispiel zu geben, wie auch und - man vergleiche italienisch popolo, conquista, selva - aufgrund der Spracherneuerungsvorschläge der italianistischen Schule von Ion Heliade " ? ? klamationstext) in den Umlauf (Oprea/ Nagy 2002: 130-132) und wurde später wieder abgebaut 6 . Viele lexikalische Elemente haben, wie es die Q#$ ! ? ~ Registern überlappende Geschichte. In diesem frühen Werk moderner rumänischer Literatur, in der Ion Budai-Deleanu bewusst auf cuvinte vechi 'alte und volkssprachliche Wörter' (wie oborî, rum. 'a dobori', 'umstürzen'), popular-regionale 'volkstümlich-regionale Wörter und Bedeutungen' (wie bucate für mîncare, also 'Nahrung'; für 'Schweinefett'), aber auch auf innovativ-moderne Lexik (wie ; Rosetti et al. 1971: 494-495) zugriff, sind, so Rosetti, volkssprachliche, regionale und archaische Elemente so eng miteinander verflochten, dass eine saubere Entwirrung gar nicht möglich sei: „Limba \iganiadei! } ! ? } ! + arhaice, ceea ce- ! ! | +i greoi. [...] } \iganiadei + + | | Budai- | | ! | | " } QY%Q* 483). 6 In dieser Reihe würde ich auch das Lexem drit sehen, welches Candrea & Adamescu (DEI s.v.) erklären als „† s.m. Mold. = drept [it. dritto]”, und auf das Mihail { ] von Heliade in seinen Texten immer wieder rekurriert (cf. z.B. drituri in M. , Scrisori. Note de / # ^ 1967: 222). <?page no="22"?> Petrea Lindenbauer 12 Was die Wörterbücher oft lapidar als Register angeben, wird teilweise in einschlägigen Fachwörterbüchern präzisiert. Im Rumänischen deckt der arhaism die Bandbreite zwischen gänzlich verschwundenen bis noch in Verwendung seienden sprachlichen Elementen - dann als învechit 'veraltet' konnotiert - ab. Während einerseits Inhalt und Textsorte nicht selten auch ein bestimmtes Sprachregister induzieren (religiöse Sprache ist, nicht nur lexikalisch, tradierend und archaisierend), kann andererseits jedes Sprachregister auch eine bewusst gesteuerte Wahl und damit rhetorische Markierung und Stilisierung des Autors sein. Ein lexikalischer Archaismus kann z.B. einen hohen Sprachstil ( anstelle von traducere 'Übersetzung') aber auch, in heutiger familiärer Sprache, ironische Konnotation zum Ausdruck bringen (a firitisi anstelle von a felicita 'beglückwünschen'). Bleibt ein Archaismus einer zuvor überregionalen Varietät in den nicht standardsprachlichen Varietäten (subdialecte und graiuri) in Gebrauch, dann gilt er zugleich als regionalism (ELR 2001 s.v. arhaism und regionalism). Der Regionalismus - eine ältere Terminologie ist provincialism - wird räumlich bestimmten Gebieten zugeordnet. So ist das Wort für 'Schnee' in Siebenbürgen nea, in der Moldau, Bukowina und dem Banat und überregional * (Tiktin 1989, 0 0 ) oder das Wort für 'Mais' in Siebenbürgen cucuruz, in der Moldau oi und standardsprachlich porumb. ELR weist auch auf die Existenz von Regionalismen in Form von bestimmten Latinismen, Maghiarismen, Germanismen westlicher nicht standardisierter Sprechvarianten (subdialecte) bzw. von modernen Russismen in den Mundarten der Republik Moldau und der Ukraine meist gebildeter älterer Sprecher hin 7 . Autoren der rumänischen klassisch-modernen Literatur (I.L. Caragiale, G. Co buc, I. ! ! ! ! > & auf Regionalismen, um bestimmte Protagonisten lokal zu charakterisieren (ibid. s.v. regionalism). Für die Definition des limbaj popular, sogenannter volkstümlicher Sprachverwendung, zieht ELR nach diastratischen und räumlichen Kriterien (überregional verwendete Varietät v.a. ländlicher Sprecher), nach phonetischen (Metathese, Prothese, Assimilierung, Dissimilierung etc.) und morphologischen Kriterien (starke Alternanz, präpositionale analytische Konstruktionen, Fehlen des viitorul anterior/ der Vorzukunft) und stilistischen Kriterien (Anakoluth, Elipse, Tautologie) und dem Hauptmerkmal der Mündlichkeit, auch semantisch-lexikalische Kriterien heran. Während in einer älteren Phase die Volkssprache v.a. Wörter des 7 Leider gibt hier ELR keine Beispiele an. <?page no="23"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 13 ländlichen Lebens, aber auch Interjektionen und onomatopoetische Ausdrücke umfasst habe, hätte sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Neologismen auch des städtischen Lebens aufgenommen (ELR s.v. popular, limbaj ~). Die für den „großen und heterogenen Bereich von Sprachvarietäten zwischen Standardsprache einerseits und kleinräumig gebundenen Dialekten andererseits“ verwendete Umgangssprache (Bußmann 2008, s.v.) wird erklärt aus der Annahme von Varietäten, die sich zugleich von der Standardsprache und ihren Dialekten abheben. Zu dieser Definition ergänzt und präzisiert Glück, dass „Umgangssprache (engl. colloquial language, frz. langue familière)“ sich beziehe auf „1. Bereich zwischen Dialekten und Gemeinsprache bzw. Hochsprache“ und auf „2. Stilschicht, z.B. umgangssprachl. neben familiär, salopp, derb, vulgär, zur Markierung stilist. Werte“. Umgangssprache wird synchron als eine Hauptvarietät der Alltagssprache erklärt und diachron als in stetem Wandel. Vieles, das zuvor dialektal gewesen sei, werde umgangssprachlich besetzt. Umgangssprache sei v.a. sitationsspezifisch und weniger diaphasisch motiviert (Metzler Lexikon Sprache 2005, s.v.). Der deutschen Umgangssprache ließen sich nach den vorangehenden Kriterien die Terminologien limbaj uzual/ familiar/ colocvial gegenüberstellen, wobei nur familiar auch als Register ausgewiesen ist (DEX '96, NDU) und als „vorbire obi+ ! ^ ~ " -Y\& Zur Klassifizierung livresc enthält ELR keinen Eintrag. NDU verbindet den Terminus mit den drei Grundbedeutungen 'das Wissen aus Büchern' oder 'zur Gelehrtensprache gehörig' und 'künstlich' und gibt Beispiele: „1. | ^ ^ | ^ ^ * 000 ['gestützt nur durch die Information aus Büchern; aus Büchern gelernt; auf Bücher verweisend; du brauchst einschlägige Buchreferenzen ... um wirklich zu verstehen-¡ # | ^ + | } ^ exprimare ['nur in Büchern und in der Sprache gebildeter Personen verwendet/ eine gelehrte Ausdrucksweise'; ein Ausdruck aus Büchern]; 3. artificial, arid; lipsit de naturale^e, de autenticitate; . | ^ ! ^ ! * 000 * 0 ['künstlich, trocken; dem Natürlichkeit, Authentizität fehlt; seine Literatur entspringt dem Wissen aus Büchern/ basiert auf Bücherweisheiten; das, was nur in Büchern existiert, rein theoretisch ist']”. Das " ! -German übersetzt die Bedeutungen mit „1. ( ) buchmäßig” und „2. (lingv.) bildungssprachlich“ (Klaster-Ungureanu 3 2007). Folgen wir <?page no="24"?> Petrea Lindenbauer 14 Rosetti et al. (1971: 443), wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bzw. den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zum Zwecke der Vereinheitlichung und Modernisierung der rumänischen Sprache neben Turzismen und Neogräzismen auch viele eliminiert. 4 Sprachregister in historischen Texten Wie erwähnt ist die Feststellung der Sprachregister in der diachronen Achse nicht immer leicht bzw. müssen im Idealfall verschiedene Wörterbücher herangezogen werden, um die Frage der Registerkonnotation einzugrenzen. Ich möchte das anhand einiger Beispiele aus dem Sprach- } ? { relanges Mitglied des rumänischen Parlaments 8, aber auch schon vor 1866, bediente sich der moldauische Intellektuelle und Politiker in seinen Diskursen verschiedenster Sprachregister bzw. geben uns heutige Wörterbücher für die Analyse seiner Sprache dieses Bild 9 . Die hier gestellte Frage aber ist, wie der } oder Diskurses zu verstehen ist. Sehen wir dazu das heute als Archaismus - - " -Y\! & ! ¢£¤¥¦ entlehnte Wort an. Wir stoßen mehrmals auf das Wort in den Notizen } ! § 1847 bereiste (Scrisori. # 1967: 206): „În Granada avea 10 o < ! } + ^ia, Aragon, Castilla cei pustii, la Ivrise”, 'In 8 Die Tätigkeit und wichtigsten Thematiken des frühesten rumänischen Parlaments beleuchtet in illustrativer Weise Silvia Marton in ihrer Analyse: La construction politique de la nation. La nation dans les débats du Parlement de la Roumanie (1866-1871), +ti: Institutul European, 2009. 9 { ¨ } Aussage, dass er in seiner Sprachkunst auf alle Sprachregister rekurriert, die sprachgeschichtlichen (von archaisch bis innovativ) sowie auf die rhetorischfunktionellen Register (ironisierend, pejorativ, humoristisch etc.). 10 Die Texte Kog über einen interessanten lexikologischen Status der/ seiner Sprache hinaus auffällige Phänomene eines vor-standardisierten Rumänisch, wie die hier fehlende Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat. Im Zuge des vorliegenden Beitrags gehen wir auf solche Phänomene nicht ein. Dennoch möchte ich auf die Konstruktion = © ! -> © existierte/ gab es eine bekannte Gaststätte', hinweisen, die entweder eine alte (intransitive) Verwendung des Verbs a avea, im Sinne von 'es existierte' oder eine Lehnkonstruktion aus dem Spanischen (había) sein kann. <?page no="25"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 15 Granada gab es/ existierte ein berühmtes Gästehaus, in der Nähe von Lasatin, wo die maurischen Könige, bei Ivrise 11 die christlichen Ritter von Frankreich, Aragon, des öden Kastiliens, zu bewirten pflegten'; in der Erwähnung des riga de Granada " ! _ 0 # 1967: 212) oder in seinen nur als Memo aufgeschriebenen Stichworten = | © ^ ^ Beznar”, wörtlich: 'Der Gesang oder die aranga 12 des Königs von Granada an seine Soldaten bei der Einnahme der Burg Béznar' (ib. pp. 223-224). Im DEI wird ! ebenso als nicht mehr verwendetes Wort mit der ebenso verschwundenen Bedetung („‡ rege.”) erklärt. Beide Wörterbücher verzeichnen als zweite Bedeutung die des 'Königs im Kartenspiel' („Carte de ! s.v.). DLR (SN, IX, Litera R, 1975) ergänzt diese Information durch Textpassagen, die den Gebrauch des Wortes zwischen 1829 und 1954 im Kontext der spanischen Kämpfe in Amerika, aber auch in Kollokation mit französischen, polnischen und } « } ! in seinen Note mitunter in denselben Textpassagen, auch auf rege (224; cf. auch 221) zurückgreift. In der 35. Nummer der ` (Anul, I, | Q$ Q--& in einem längeren Beitrag über die im Jahre 1448 stattfindende zweite Kosovoschlacht gegen Murad II. (Comentarii asupra Batalii [sic] + ! + ) 13 . Hauptredakteur der ` , die auf Zensurdruck in 2 ] umbenannt wurde, war } ! welcher Konnotation das Wort , dessen Beleg Tiktin (1989, s.v.) mit 1652 angibt, hier erscheint und einzustufen ist. In den Texte social-politice alese aus der Zeit von 1834-1891 verwendet {|}~ó entlehnte Lexem catortosi. Im DEX ist das Wort nicht enthalten, nach DEI sind Form und Bedeutung verschwunden (cf. s.v. catortosi), DLR verzeichnet catortosí als „vb. IV a” , also Verb der vierten Konjugationsklasse, aus {|}~ó() stammend, mit der veralteten Bedeutung „† Parvenir, réussir (Grecism)” und verweist auf Belege bei Alecsandri (DLR, Tomul I, Partea II, C, 1940, s.v.& ~ Q% } Q-% * = ! } } ! | | ! | | ! 11 Die hier genannten Toponyme sind mir unklar. 12 Vermutlich ist hier spanisch arenga 'Ansprache' gemeint. 13 Diese Bezeichnung soll, gemäß der Fußnote in der Ausgabe der ` , die = ! = ! ~ "QY$! %%& <?page no="26"?> Petrea Lindenbauer 16 + " ! ! } ? ! zurückkehren kann, allerdings zuvor soll/ will ich Paris sehen, denn diese ! Scrisori, 1967: 99). Wie ist das Wort cat hier zu bewerten, wenn seinerseits die Bedeutung von 'Vater', aber auch von dem, 'der spart', haben kann, als veraltet und/ oder stilistisch eingesetzt? Sollen wir es mit einer familiären Sprachverwendung in Verbindung bringen, während andere Gräzismen wie a fantaxa 14 vom selben Autor mit deutlich ironischem Ton verwendet werden. < ? ! über die aus seiner Sicht große Verschwendung eines Landsmannes von ihm ausdrückt (ibid.: 201). Etwas deutlicher zeigt sich die Geschichte des Turzismus bina. In ? ~ im ukrainischen Halytsch und dass, wenn es Aufführungen im polnischen Theater gab, dieses von Polizei umstellt war. Er bezeichnet das Theatergebäude mit dem nach DEX, NDU und Tiktin veralteten Turzismus bina! © } - ¯ © } -* = | + ! } + | ! - nisches Theater gibt, ist das Gebäude und die Theaterszene von Truppen umringt' ( ! Scrisori. # 1967: 195). Auch DLR (I, Partea I, A-B, 1913) kennt bina mit der Bedeutung „(Grande) bâtisse, bâtiment, construction (surtout en maçonnerie); dépendance.”, verweist auf seine Geläufigkeit in der phanariotischen Verwaltung („În epoca ° + } °- ± ²³¡ > turc. bina, idem.”, 'In der Phanariotenzeit gab es auch den Turzismus bina-eminì ... Gebäudeinspektor. Aus dem Türkischen') und stellt die Konnotation familiärer Sprache fest: „ ! | ? ! ! ! ~ hardughie 15 , 'In Rumänien, fast veraltet; heute eher familiär, über ein großes, aufgrund seiner Baufälligkeit unsicheres Gebäude'. Verwiesen wird auf Belege bei Uricariul, 1794. NDU verweist in Beispielen auf Vasile Alecsandri. Auch hier stellt sich die Frage: War das Wort schon bei Mihail { }? ~ ~ aus stilistischer Absicht verwendet? 14 A fantaxi ist z.B. auch bei Alecsandri belegt: = ´! µ ! "| ! & fuduli, a se fandosi: am fantaxit cu tualetele la baluri AL. [= Vasile Alecsandri]; ian ² ¡ + | {< ² ¶ " phantázome)]” (NDU, s.v.). 15 'Baufälligkeit' <?page no="27"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 17 > wieder Wörter, die die Konnotation livresc haben, so z.B. das in seinen Reiseaufzeichnungen erscheinende * = n-au | | ! -² ¡ ! Arroganz der Aristokraten bis jetzt die Rumänen noch nicht erreicht hat.' " ! Scrisori 1967: 197). Dieses Lexem wird von allen konsultierten Wörterbüchern gleichermaßen als livr., eine französische Entlehnung mit der Bedeutung 'hochmütiges Verhalten' erklärt (DLR, VI, Fascicula a 10-a +i Fascicula a 11- ! | - ! QY\ ! -Y\! s.v.). DLR und NDU verweisen desweiteren auf eine Reihe von Autoren wie Bolliac, Caragiale, V ^ ! & { [sic] 16 und anzusehen. Beide verwendet Mihail § Q\ * = ^ ! ! ² ¡ ! ^ 'Glauben Sie nicht, meine Herren, dass es hier um eine rhetorische Aussage geht, sondern um eine Überzeugung' (Opere IV, Oratorie II, 1980: 39, Monitorul! Q\! #\! @ ^ Y Q\& = | -le ^ | ! -> n Geduld empfehlend, bis der neue Präfekt kommt' (Opere IV, Oratorie II, 1980: 35; Monitorul, 1868, #%! @ ^a din 2 dec 1868). DLR vermerkt zu die - ! ! | ^ ! ! -! 'Verständnis, Bezeugung, Glaube, Beweis, Sicherheit', die Herkunft aus „lat. convictio, - ! ! = ^ · " ^ &! © } = | ! - -! und verweist auf Belegstellen bei Alecsandri, Sturdza, Maiorescu. Dasselbe Wörterbuch ( SN, VIII, P 1, Litera P, P- ? ! QY%#& pacien ="{ ? &* } ! | ^ ! -" &* © ! Gelassenheit; Zustimmung', gibt eine lateinische Herkunft an: „Din lat. patientia, fr. patience.” ¸ ! < ? ! ^ ! ! ^ ! ! { ! >} ! @ ! ! Barasch, Filimon. Erst die rezenteren Wörterbücher vermerken für beide Lexeme die Konnotation veraltet (NDU) und livr. (DEX '96). 5 Di } ? verstärkt mit der sogenannten Frage der jüdischen Bevölkerung (problema 16 > . <?page no="28"?> Petrea Lindenbauer 18 ) auseinander 17 . > entsdiskursen wird diese Thematik heftig diskutiert 18 . Es ist unbestritten, dass der große Intellektuelle der jüdischen Bevölkerung mindestens zeitweise sehr abwertend gegenüberstand. Seine Haltung ist beispielsweise dokumentiert im Rahmen einer Parlamentsrede des Jahres 1868 19 , in der er „die Juden” mit der Lepra [der Moldau] gleichsetzt: „Acuma, domni- ! - } ² ¡ - | numai evreii lepra satelor...”, 'Nun, meine Herren, soll mir der ehrenwerte ¸ ! ht nur die Juden die Lepra der Dörfer -! ~ = ! - < - " Opere IV, Oratorie II, 1980: 43 und 44). Es genügt aber, eine ? ~ ! ? ? ! bei den Lexemen für die jüdische Bevölkerung alterniert. In seinen Reiseaufzeichnungen über Spanien erklärt er einem imaginären späteren Leser seines Textes in Zusammenhang mit der Liebe des Spaniers nach Titeln den , wörtlich 'früheren/ ehemaligen Christen', als amestecare cu sînge de jidov sau de mor, 'ohne Vermischung mit dem Blut des Juden oder Mauren' ( ! Scrisori. # 1967: 215). < " >>>! < §! ! ¹! + #$Q$& ~ jidán, welches Grundlexem einer Reihe von Derivaten ist, in der ersten von drei angegebenen Bedeutungen auf das jüdische Volk, oft, wie vermerkt wird, in abschätziger Weise: „s.m. 1. Juif. [...] 1. Nume popular ( | ^ ^ ) dat Evreilor [1. Volksspra " } ? &¡*! ! ! ! "³& ! ! > ! ! ! ! ! ! ! In den Satzbeispielen und exemplarischen Sprichwörtern wird der Jude, wie hier hervorgeht, (mehrheitlich) negativ konnotiert. Hier ein paar Belege: § © ««> | + | ! } } @« § } ? º + «{ { º } | + ciuni.; 17 Cf. dazu den Artikel von Silvia Marton, Designing Citizenship. The „Jewish Question“ in the Debates of the Romanian Parliament (1866-1869), unter http: / / www.questcdecjournal.it/ focus.php? id=292 [16.12.2013]. 18 Cf. z.B. ! ! Opere IV, Oratorie II, 1864-1870, Partea a II-a, 1980, pp. 339-362. 19 Wiedergegeben in der Nummer 286 des Monitorul des Jahres 1868. <?page no="29"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 19 } | º } + + + + º { >< Das Wort jídov < " >>>! < §! ! ¹! + #$Q$& verzeichnet mit einer ersten Bedeutung von 'Jude', wie er vor allem, so das Wörterbuch, in der alten Literatur und in Siebenbürgen verwendet würde, und mit einer zweiten, mythologischen Bedeutung von 'Riese, Koloss; sehr Reicher' bzw. einer 'übernatürliche, große Stärke, Mut, Größe besitzenden Gestalt', aber auch 'hochgewachsene' oder 'dumme Person': = Q § # ©µ ! ² ¡ Q " } ^ | + | & § ! E jidoviloru (jidovii N. TESTAMENT 1648); [weitere Beispiele: ] COD. VOR.; CORESI; LET.; VARLAAM; [unter den Beispielen sind mehrheitlich solche, die den Juden negativ konnotieren mit <Strafe, Sünde, Zins, Teufel> aber auch mit den Attributen <Großer und Weiser> oder in der folgenden Bedeutung auch mit ½} ¾*¡ # " & ^ ! +! t ! ! ! ² ¡ ~ ¨ " - +-! ² - -¡& } } . DEI (1931) verzeichnet viele Ableitungen von jid, „s.m. Juif”, und verweist unter jídov auf zwei Grundbedeutungen: den/ die Juden/ Jüdin sowie den legendären umherirrenden Juden sowie auf eine mythologische Vorstellung einer durch Größe und Kraft übermächtigen Gestalt. Hier einige der Belege: Jid, Provincialism: [erklärt als =] Jidán. § ·^ * Q ! # § § ! s.f.col. Jidan. Neamul Evreilor. Jídov sm.! § ¿"¶& = 1. Jidán(c ): jidovii cei cu pricina de ieri o adus zece ^| ? "{ & §´ ! ! + Ahasverus, despre care se z | | ! > ! | | - ² ¨ *¡ + À } Á ! À - - - +' Jidovesc adj. Jidovi (ovesc) vb. tr. refl. A (se) face jidov. Jidovime sf. col. § ² ¡* | | ^ § " + &. Etc. <?page no="30"?> Petrea Lindenbauer 20 DEI dokumentiert unter jidán ebenso (s)eine negative Bedeutung: Jidán, s.m.! § ¶ ! Mold § ! Q ! " ^& Nach Tiktin (1988) ist jidóv im 16. Jahrhundert, jidan 1584 dokumentiert. Er gibt Ersteres nicht pejorativ konnotiert wieder, hingegen das zweite mit „verächtl. Jude”. Nach den Verweisen in DEI (1931) und DLR SN (2010) würden beide Lexeme, jidov und jidan, eine inhärent negative Bedeutung haben. Das mit 1910 datierte Langenscheidts Taschenwörterbuch der rumänischen und deutschen Sprache verzeichnet sogar ein Wort, das die negative Charakterisierung des Juden mit einem Verb zum Ausdruck bringt 20 . Vor allem die Bezeichnung jidan hat auch in der Aktualität des Jahres 2014 ihre Brisanz. Gegenwärtig wünscht das Centrul pentru Monitorizarea + ! , dass in der nächsten (überarbeiteten) Ausgabe des DEX 3 auf die negative Konnotation von jidan, welche in der zweiten (modifizierten) Ausgabe von 2009 umformuliert worden war, explizit hingewiesen werde 21 . Unseren gesichteten Wörterbüchern zufolge kann aber auch das Wort jidov an die negative Bedeutung von jidan herankommen. Erneut ist es nicht leicht, die Bedeutung der beiden Lexeme in älteren Texten festzustellen. Bezüglich ~ ceanus ( - amestecare cu sînge de jidov sau de mor) ließe sich argumentieren, dass der Verfasser in seinen Reiseaufzeichnungen über Spanien allgemein eine - wiederholt - von ihm zum Ausdruck gebrachte große Vorliebe für die arabisch-maurische Welt und ihre Menschen offenlegt. Es stellt sich also aus der textuellen Kohärenz die Frage, ob er mor und in Folge auch jidov hier negativ konnotiert meinte. Es scheint, dass man die Alternanzen des Politikers in Verwendung von jidov, jidan, israelit, evrei mitberücksichtigen muss, der Co-Text induziert die Konnotation der verwendeten Lexeme. " Opere IV, Oratorie II, 1980: 340-341) deutlich: 20 Zwischen den Einträgen Judäa, Judas und Judentum finden wir auch das verächtliche Verb jüdeln mit der Bedetung „a vorbi stricat fiind (bzw. ca un) evreu”, also 'falsch bzw. wie ein Jude reden' (Langenscheidts Taschenwörterbuch der rumänischen und deutschen Sprache, Zweiter Teil, Deutsch-Rumänisch, 1910). 21 http: / / www.agerpres.ro/ media/ index.php/ cultura/ item/ 83241-Academia- Romana-nu-a-convenit-inca-forma-in-care-va-modifica-in-DEX-sensul-cuvintelortigan-si-jidan.html? tmpl=component&print=1 [3.1.2014]. <?page no="31"?> Grenzen und Herausforderungen der (rumänischen) Lexikographie 21 Q& = ^ ! } > resat ministerului o ^  | ^ + jidovilor | + | ^ ^ ^ | + + { ^ . 'Meine Herren Abgeordnete …, der ehrenwerte I. Codrescu hat dem Ministerium eine Anfrage gestellt … hinsichtlich der Bewegung der Juden in Rumänien und der Aktion jener Gesellschaft, deren Zentrum in Paris ist und die sich Universelle Israelitische Allianz nennt.' 2) Jidanii | ^ ! | ^ ! 'Die Juden kommen nicht über die Pässe rein, sondern zwischen den Pässen.'. 3) { | ? ! | | { ^ din America s- + + -a | } | + ? ^ ? 2 000 familii de jidani din Basarabia ^ ! ! | Ó, 'Diese Vermittlungen geschehen alle Tage, sogar letzte Woche ist ein Abgeordneter der Israelitischen Gesellschaft von Amerika zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gegangen und hat ihn gebeten, beim russischen Zaren zu intervenieren, damit er weichere Maßnahmen ergreife und die Verfügung, 2 000 jüdische Familien aus dem russischen Bessarabien zu vertreiben, widerrufe. Sehen Sie, meine Herren, bis wohin sie gehen! ' > ~ ? nahme auf eine Parlamentsanfrage ( ) seitens eines Unterstützers der jüdischen Probleme (I. Codrescu) und auf die sie unterstützende Organisation der Universellen Israelitischen Allianz zuerst die (etwas neutralere) Bezeichnung jidov, wechselt aber für das von ihm problematisierte Eindringen der Juden in rumänisches Territorium (<sie schlagen sich ihren Weg durch die Pässe nach Rumänien>) und der im Diskurs „erzählten” Möglichkeit einer Ausweisung (<wie man in Bessarabien mit einer großen Zahl jüdischer Familien zu verfahren dachte>) und deren als impertinent empfundene Verteidigung („Sehen Sie, meine Herren, bis wohin sie gehen! “) zu dem negativ konnotierten jidan. 6 Schlussbemerkung Das sprachgeschichtliche und auch stilistisch markierte Register in historischen Texten bleibt schwierig. Die großen rumänischen Definitions- und Belegwörterbücher zeigen einige Pfade möglicher Interpretation an. Aber um zu einer möglichst authentischen Erklärung der Konnotationen zu kommen, müssen Interpretationen im Idealfall aus der Kenntnis der Autoren, ihrer Texte und aus dem Vergleich des Vorkommens des Wortes und seiner Synonymkonkurrenzen im jeweiligen Zeitschnitt geschehen. <?page no="32"?> Petrea Lindenbauer 22 Literaturverzeichnis Primärquellen ! "#$$%&* Orbitor! ^ ! + ! ¸ Ilis, Florina (2005): Cruciada copiilor! + ! ! "1980): Opere IV, Oratorie II, 1864-1870, Partea a II-a, Editura A } ! + ! "1939): _ ! ! ^ a II-a, Editura Scrisului Românesc, S.A.Craiova. ! "QY\%&* Scrisori. # ! + ! Editura pentru ! " | ! + ? & ! "1967): Texte social-politice alese [1834-QYQ¡! + ! ! " ! & ` . 2 (19$& " ! + ! ^ | + &! + ! Sekundärquellen { ! > < => > - Al. Rosetti” (2001): " rul etimologic al limbii române, vol. I, A- ! + ! { Române. { ! > < => > - Al. Rosetti” (2001): , vol. I (Literele A- &! + ! Enciclopedic, vol I. { ! > < => > - Al. Rosetti”, Marius Sala (Coord.) 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"QYY\&* " ionar universal al limbii române, vol. 1, A-D; vol. 2, E-M, " + { } &! > + ! ¨ Tiktin, Hariton ( 2 1989): Rumänisch-deutsches Wörterbuch, I, A-C (1986), II, D-O (1988), III, P-Z, Wiesbaden, Otto Harrassowitz. Ursu N.A./ Ursu Despina (2006): 5 * române literare (1760-1860), I-II, I (_ ), II (! &! > + ! - ! > "2009): " ionarul normativ al limbii române, ortografic, ortoepic, ! + ! <?page no="34"?> Petrea Lindenbauer 24 Winkelmann, Otto (1989): „Rumänisch: Lexikographie“, in: Holtus, Günter/ Metzeltin, Michael/ Schmitt, Christian (Hrsg.): Lexikon der Romanistischen Linguistik, Bd. III, Tübingen, Niemeyer, 492-507. Zafiu, Rodica (2010): 101 cuvinte argotice! + t i, Humanitas. Ramón Cerdà Massó (coord.) (1986): Diccionario de lingüística, Madrid, Editorial Anaya. <?page no="35"?> Gualtiero Boaglio Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert Das 19. Jahrhundert ist für Italien das Jahrhundert der Lexikographie schlechthin. Die Vorherrschaft der Accademia della Crusca neigt sich langsam ihrem Ende zu, das Verfassen von Wörterbüchern erfolgt nicht mehr ausschließlich in Florenz, sondern auch in anderen Städten Italiens, so wie auch die Druckorte der Wörterbücher immer öfter außerhalb der Toskana liegen. Dies ist auf die immer stärkere Verbreitung des Toskanischen und ab der Ausrufung des Königreichs Italiens 1861 auf die sehr effektive Sprachpolitik des neuen Staates zurückzuführen. Diese setzt sich die Verbreitung des Italienischen in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation zum Ziel, durch den Ausbau eines einheitlichen Schulsystems, durch die Förderung von Volksliteratur und vor allem durch die verstärkte Verfassung von zweisprachigen - Regionaldialekt und Nationalsprache - und einsprachigen Wörterbüchern. In den Wörterbüchern dieser Zeit spiegeln sich verstärkt die sprachpolitischen Fragen des neuen Staates wider, der die Zentralverwaltung, das Bildungssystem und die mediale Kommunikation aufzubauen und zu gestalten hat. Es geht darum, Wörter aus verschiedenen Varietäten zu unterscheiden, veraltete und neue Formen in Einklang zu bringen, ein Alltagsvokabular vorzuschlagen, Fachvokabeln zu suchen oder überhaupt zu bilden, Neologismen, Fremd- und Lehnwörter aufzunehmen. In diesem Prozess werden bestimmte Sprachmodelle zu Gunsten von anderen ausgemustert, und da in der Sprache auch die Ideologie wirkt, und durch sie Verhaltensmuster geschaffen und weitergegeben werden, die als Symbole in der Vorstellungswelt der Italiener dienen sollen, kann das Bewusstwerden der sich solidarisierenden italienischen Nation begründet werden. Die Lexikographen setzen sich mit der langen normativen Tradition der italienischen Philologen und insbesondere der italienischen Lexikologie auseinander und beginnen, die strengst normativen Grundsätze der Accademia della Crusca, deren zentrale Rolle mit der Aufklärung endgültig verloren gegangen war, zu überwinden. Wie komplex, vielfältig und manchmal auch provinziell die Positionen bezüglich der questione della lingua Anfang des 19. Jahrhunderts und bis zur Einheit Italiens waren, ist <?page no="36"?> Gualtiero Boaglio 26 allgemein bekannt: Cruscanti, Anticruscanti, Puristen, Neo-Puristen und Manzoniani zeigen ihre Standpunkte durch die Verfassung von Wörterbüchern oder stellen sich gegen die Positionen der Kontrahenten in unzähligen programmatischen Werken. Die Lexikographie des Ottocento wurde von Luca Serianni in einschlägigen Werken ausführlich erforscht. Nicht zu vergessen sind die Arbeiten von Paolo Zolli, Mirella Sessa, Patrizia Cordin/ Maria Giuseppa Lo Duca und Claudio Marazzini 1 . Alle Sprachwissenschaftler sind sich in diesem Zusammenhang einig und sprechen von einer unglaublichen Vitalität der italienischen Lexikographie ab den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang fällt sogar das Wort „lessicomania“ 2 . Was man leider immer wieder vergisst, nicht weiß oder verdrängt hat - und dies gilt gewiss für den von der Rhetorik des Risorgimento noch immer geprägten italienischen Raum - ist, dass Anfang des 19. Jahrhunderts und bis 1918 Sprachmodelle des Italienischen nicht nur aus Mailand, Florenz oder Rom, sondern auch aus Wien kamen. Im 19. Jahrhundert herrschte die Habsburgermonarchie über italienischsprachige Kronländer - Lombardo-Venetien, Trentino, Küstenland - und zeitweise über bis zu sechs Millionen zu scholarisierende italienischsprachige Staatsbürger. Dies führte dazu, dass die italienische Sprache durch die Herausgabe von Schulbüchern, theoretisch-methodologischen Sprachlehren des Italienischen, Übungsheften, Anthologien, Lesebüchern und Wörterbüchern verbreitet wurde. Insbesondere ab 1815, als Österreich durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses seine Präsenz in Italien verstärkte, förderte die Sprachpolitik das Erlernen des Italienischen an Ritterakademien und Universitäten, um die Anzahl der sprachkundigen jungen Menschen zu erhöhen, die später als Beamte in der Zentralverwaltung wie auch in den italienischen Kronländern tätig sein sollten. In diesem Zusammenhang gewährleistete die Monarchie den Italophonen 1 Luca Serianni, Norma dei puristi e lingua d’uso nell’Ottocento nella testimonianza del lessicografo romano Tommaso Azzocchi, Firenze, Accademia della Crusca, 1981; ders., Storia della lingua italiana. Il primo Ottocento, Bologna, Il Mulino, 1989; ders., Secondo Ottocento. Storia della lingua italiana. Il secondo Ottocento, Bologna, Il Mulino, 1990; Paolo Zolli, Saggi sulla lingua italiana dell’Ottocento, Udine, Pacini, 1974; Mirella Sessa, La Crusca e le Crusche. Il Vocabolario e la lessicografia italiana del Sette-Ottocento, Firenze, Accademia della Crusca, 1991; Patrizia Cordin/ Maria Giuseppa Lo Duca, La grammatica nelle voci verbali ttocento ("Studi Linguistici Italiani" XXVI (2000), 52-96); Claudio Marazzini, L’ordine delle parole. Storia di vocabolari italiani, Bologna, Il Mulino, 2009. 2 Vgl. Sessa, La Crusca e le Crusche, 1991, 169-193. <?page no="37"?> Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert 27 sprachliche und kulturelle Freiheit, forderte aber gleichzeitig von ihnen Konsens und Treue ein. Auf diese Weise fand ein für Diglossien typisches Phänomen statt, nämlich die graduelle Akkulturation der subordinierten Ethnien in die Kultur und Denkweise der dominanten. Die externe Sprachgeschichte des Italienischen in der Habsburgermonarchie ist reich an Ereignissen, die die besondere Stellung des Italienischen als Kultursprache erläutern. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zu den ersten Jahren nach der Einheit Italiens gewann das Italienische immer mehr an Bedeutung als Verwaltungs- und Gerichtssprache auch in jenen Gebieten - wie Triest und Istrien -, wo die Italiener zwar kulturell und politisch dominierend, zahlenmäßig aber in der Minderheit waren 3 . Darüber hinaus bezeugen zahlreiche "allerhöchste Entschließungen" des österreichischen Kaisers Franz II. (I.), dass der Unterricht der italienischen Sprache auf allen Bildungsanstalten forciert wurde. Als erster lebender Fremdsprache wurde Italienisch ein außerordentlicher Professor an der Universität Wien (1815) zugeteilt, ab 1825 konnte es vor allen anderen Fremdsprachen auf ein ausgebautes zweijähriges universitäres Curriculum zurückgreifen, und 1867 wurde Adolf(o) Mussafia zum „Professor der romanischen Sprachen und Literaturen, insbesondere des Italienischen“ ernannt. Darauf aufbauend entwickelte sich in Wien ab dem Wiener Kongress eine beachtliche Produktion von Unterrichtsmaterialien für den Italienischunterricht 4 . Selbstverständlich waren in Wien auch italienische Lexikographen am Werk, wie zum Beispiel Domenico Antonio Filippi (1777-1817) und Giovanni Battista Bolza (1801-1869). Beide beschäftigten sich mit Literaturgeschichte, Sprachlehre und Lexikographie. Vor allem Bolza hat in Wien tiefe Spuren als Lexikograph hinterlassen. Das Hauptziel des Spracherwerbs des Italienischen an den Universitäten bestand darin, die Sprache in erster Linie als Kommunikationsmittel für Alltagssituationen zu verwenden. In der Tat enthielten Grammatiken und Sprachlehren praktische Sprachmuster, die sich in Phraseologien und Gesprächsituationen manifestierten. Sie boten eigentlich die ersten Sprachmuster einer modernen Alltagssprache an, mit welcher sich das Königreich Italien erst ab dem Jahr 1868 mit der Zusammensetzung der Commissione Broglio ernsthaft befasste. 3 Andreas Gottsmann, La parità linguistica nell’amministrazione del Litorale austriaco (1848-1918). In: Antonio Trampus/ Ulrike Kindl, I linguaggi e la storia, Bologna, Il Mulino, 2003, S. 243-271, hier S. 244. 4 Gualtiero Boaglio, Geschichte der italienischen Literatur in Österreich. Teil 2: Von Campoformido bis Saint-Germain (1797-1918), Wien, Böhlau, 2012, Kap. II und IV. <?page no="38"?> Gualtiero Boaglio 28 Bezug nehmend auf die Sprachpolitik der Habsburgermonarchie fügt Filippi am Beginn seiner Italienischen Sprachlehre - zwischen 1799 und 1860 zählen wir fünfzehn Auflagen - einen Satz Quintilians hinzu: Breve iter per exempla, longum per praecepta. Dieser programmatische Spruch kündigt den sprachpraktischen Aspekt der Grammatik an, der sich in allen Kapiteln als dominant erweist 5 . Tatsächlich bietet Filippi den Lernenden von der ersten Lektion einen nicht nur reichen Wortschatz, sondern ausgewählte Redensarten, „die im täglichen gesellschaftlichen Umgange am häufigsten vorkommen“ oder „mehrere kurze Phrasen über die unentbehrlichsten Gegenstände der Sprachlehre“ 6 an. Indem er die praktischen Übungen dem Theorieteil voranstellt, glaubt er, den natürlichen Spracherwerb nachzuahmen, denn: „Der Mensch lernt Wörter und einzelne Phrasen, bevor er es dahin bringt, richtig und zusammenhängend zu sprechen“ 7 . In die Sprachlehre Filippis fließen in erster Linie Vokabeln und Redewendungen der Alltagssprache - wie von einer praktischen Grammatik zu erwarten ist - und viele Ausdrücke aus dem Trentiner Dialekt ein 8 . So erstaunlich diese Erkenntnis auch erscheinen mag, lässt sie sich doch auch bei anderen, in Wien tätigen italienischen Philologen nachweisen. Der von der Crusca unbeeindruckte und unbekümmerte Umgang mit der Sprache kann als Zeichen einer toleranteren Anwendung der Sprachnormen interpretiert werden. Obwohl Filippi im Vorwort die Accademia della Crusca als die Sprachautorität par excellence hochstilisiert und auf die toskanische Herkunft des Wortschatzes seiner Sprachlehre hinweist, bleibt er seinen Äußerungen in weiterer Folge nicht treu. Er würde nur jene Normen verkünden, die „mir besonders in der heutigen gebildeten Umgangssprache und in der reinen und einfachen Schreibart des Geschäftsteils anwendbar schienen“. Die aus den berühmten Autoren der Vergangenheit stammenden Regeln wären „für den anwendbaren Bedarf des Ausländers nicht nur ganz überflüssig, sondern wohl auch, ich möchte 5 Domenico Antonio Filippi, Italienische Sprachlehre oder praktische und theoretische Anweisung zum gründlichen Unterrichte in der italienischen Sprache, Wien, Heubner und Volke, 1803, S. II. Diese Grammatik erschien zum ersten Mal 1799 in Nürnberg. Die vierzehn weiteren Auflagen wurden meistens in Wien gedruckt, wo Filippi an der Universität unterrichtete. 6 Filippi, Italienische Sprachlehre, 1803 S. IV. 7 Ebd., S. III. 8 Vg. Anna Chiara Raffaelli, “L’ITALIENISCHE SPRACHLEHRE di Domenico Antonio Filippi (1802): teoria e pratica linguistica di una grammatica”. In: Studi trentini di Scienze Storiche, LXXVII, 1998, S. 445-491. <?page no="39"?> Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert 29 fast behaupten, schädlich und verwirrend“ 9 . Filippi stellt die Autorität der Crusca nicht in Frage, ihre Normen seien aber für an Literatur interessierte Menschen, nicht jedoch für sein Publikum passend, das sich eine Alltagssprache für den Handel, Verhandlungen, Reisen und die Verwaltung aneignen soll. Im Jahr 1817 veröffentlichte Filippi das zweisprachige Wörterbuch Dizionario italiano-tedesco e tedesco-italiano, und im Vorwort nimmt er auf die puristischen Wörterbücher von Antonio Cesari und Francesco D’Alberti di Villanuova Bezug, von denen noch die Rede sein wird, die die wichtigsten seiner Zeit waren. Jedoch fügt er einige Präzisierungen hinzu 10 : „Er [der Verfasser] benutzte bei seiner Arbeit das große und neueste Dizionario della Crusca von Cesari, die letzte sehr vermehrte Remondini’sche Auflage des großen Wörterbuchs von Alberti, und in Rücksicht der deutschen Übersetzung jenes von Jagemann, welcher auch größtenteils das Alberti’sche buchstäblich ausschrieb. Er fügte jedem Worte, wo es nöthig schien, andere gleichbedeutende hinzu, wobei durch sichere Merkmale das Veraltete von dem Gangbaren, das Rednerisch-Erhabene und Dichterische von dem in der jetzigen Sprache des Umgangs Gewöhnlichen unterschieden sind“. Die italienischen Lexikographen auf italienischem Boden sind darum bemüht, ein unangefochtenes puristisches Sprachideal zu zelebrieren, während Filippi den Begriff von Sprachregistern einführt und auf deren Aufnahme in das Wörterbuch besteht. Hier wiederholt sich ein von Marazzini hervorgehobenes lexikalisches Phänomen, das in Italien bis Ende des 16. Jahrhunderts an der Tagesordnung ist, und zwar ein intensiver Austausch zwischen Regionalsprachen und literarischer Sprache der Toskana in den norditalienischen Lexika. Dieser Austausch, der auch die Peripherie im Mittelpunkt des Sprachgeschehens sah, endet 1583, als die Accademia della Crusca gegründet wird, bzw. 1612, als das erste Vocabolario degli Accademici della Crusca erscheint 11 . Ab diesem Zeitpunkt setzt sich mindestens bis zur Einheit Italiens ein starker Sprachzentralismus toskanischer Prägung durch, die die Erfahrungen der Peripherie völlig außer Acht lässt. Die Sprachmodelle der Crusca basieren auf der Literatur und nehmen auf die archaische Sprache Bezug, die von Bembo in den Prose della volgar lingua theorisiert wird. 9 Filippi, Italienische Sprachlehre, 1817, S. Vf. 10 Domenico Antonio Filippi, Dizionario Italiano-Tedesco e Tedesco-Italiano, Vienna Heubner e Volke, 1817, Band I-II, hier Band I, S. IV. 11 Marazzini, L’ordine delle parole, 2009 S. 124. <?page no="40"?> Gualtiero Boaglio 30 Am Anfang des 19. Jahrhunderts erscheinen in Italien zwei von der Crusca inspirierte Wörterbücher - und zwar das Dizionario universale critico enciclopedico della lingua italiana (1797-1805) von Francesco d’Alberti di Villanuova und das Vocabolario degli Accademici della Crusca (1806-1811) von Antonio Cesari, die für lange Zeit zwei Fixpunkte in der italienischen Lexikographie bis zur Ausrufung des Königreichs Italiens darstellen 12 . Diesen könnte man noch das Vocabolario della lingua italiana già compilato dagli Accademici della Crusca ed ora nuovamente corretto ed accresciuto dall’abate Giuseppe Manuzzi (1833) hinzufügen. Insbesondere Antonio Cesari macht sich in seinem Vorwort für eine Art Erneuerung des italienischen Wortschatzes nach altem Muster stark, tadelt die Sprache der Florentiner seiner Epoche und nimmt den Wortschatz des Trecento in sein Wörterbuch auf 13 . Anders als in Italien weisen die in Wien dienenden italienischen Lexikographen und Grammatikographen eine größere Selbständigkeit gegenüber den Sprachmodellen der Crusca auf. Diese Einstellung entsteht hier viel früher als auf italienischem Boden. Die Emanzipation von der Accademia della Crusca setzte in Italien erst mit der fortschreitenden Veröffentlichung des Novo vocabolario della lingua italiana von Giovan Battista Giorgini und Emilio Broglio - erschienen zwischen 1872 und 1897 - ein. Aus einem Vergleich zwischen der dritten Ausgabe des Vocabolario della Crusca (1691) und dem Giorgini/ Broglio geht hervor, dass das Wörterbuch Giorgini/ Broglio zu archaische und zu erhabene Wörter zugunsten der zeitgenössischen entfernt hat 14 . Tatsächlich lesen wir im Vorwort: „Ma i libri una volta fatti stan fermi e le lingue camminano. C’è dunque in ogni paese una lingua che s’adopra nel conversare, e che differisce più o meno da quella dei libri […]; in Italia […] un Vocabolario dove si trovi tutto l’uso, e niente altro che l’uso, manca; ed è appunto quello che noi vogliamo fare. [...] Questo vocabolario poi dovrebbe, parer nostro, rimanere separato dal primo [della Crusca]. Il Vocabolario degli scrittori, la storia, la biblioteca dirò così della lingua, da riservarsi ai filologi e agli eruditi: e quello dell’uso da andare per le mani di tutti. 12 Serianni, Storia della lingua italiana. Il primo Ottocento, 1989, S. 43; Sessa, La Crusca e le Crusche, 1991, S. 169. 13 Antonio Cesari, Vocabolario degli Accademici della Crusca. Oltre le giunte fatteci finora, cresciuto d’assai migliaia di voci e modi de‘ Classici, le più trovate da Veronesi, Verona, 1806-1811, S. 96-99. 14 Marazzini, L’ordine delle parole, 2009, S. 301-306. <?page no="41"?> Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert 31 Noi non abbiamo dunque la pretensione di far più o meglio degli altri. Faremo una cosa diversa” 15 . Die Absicht der Autoren, sich von den Wörterbüchern der Crusca abzugrenzen und sich auf die Alltagssprache zu konzentrieren, zeigt Ähnlichkeiten mit der schon erwähnten Auffassung von Domenico Antonio Filippi des Jahres 1817, nach welcher der Sprachunterricht und die Wörterbücher zwei Varianten - jene für die Literatur und jene für den Alltag - zu lehren hätten. Ähnlich auch Andrea Giuseppe Fornasari Verce - ein anderer Wiener Grammatiker und Lexikograph -, der zwischen der Sprache der Dichter, „die dazu dienen soll, die Schönheit der Kunst und die Melodie der Verse zu genießen“ 16 , jener „für den österreichischen Staatsbeamten, wie für den Handelsmann, so nötigen Sprache“ und derjenigen der Prosaisten unterscheidet 17 . Das Novo vocabolario eröffnet einen für Italien neuen Zeitraum der endgültigen Emanzipation von der Crusca und der Fokussierung der Lexikographie und der Linguistik auf die Alltagssprache. Dies war das Ergebnis des Bewusstwerdens, dass der neue Nationalstaat nach Lösungen für die Ausbreitung des gesprochenen Italienisch zu suchen hatte. Tatsächlich berief im Jänner 1868 der Unterrichtsminister des vor Kurzem vereinigten Königreichs Italien, Emilio Broglio, eine Regierungskommission unter dem Vorsitz von Alessandro Manzoni mit dem Auftrag ein, Vorschläge zu erarbeiten “utili a aiutare e rendere più universale in tutti gli ordini del popolo la notizia della buona lingua e della buona pronunzia”. Die Auseinandersetzung der Sprachwissenschaft mit dem Alltagsitalienischen begann in der Habsburgermonarchie - wie schon gesagt - spätestens mit dem Wiener Kongress. Aufgrund einer langen Erfahrung mit Sprachen und Nationalitäten und einer modernen Sprachpolitik, die die Hegemonie auch durch sprachpraktische Realisierungen legitimieren 15 # 2 * pubblica istruzione; compilato sotto la presidenza di Emilio Broglio dai signori Bianciardi Stanislao ... [et al.], Firenze, coi tipi di M. Cellini e c., alla Galileiana, 1877-1897, Band I-IV, hier Band I, S. LII-LIV. 16 Andrea Giuseppe Fornasari-Verce, Auswahl italienischer Prosa aus der neuen Literatur für Anfänger jedes Alters, als italienische Leseübung für Deutsche und als Übersetzungsübung ins Deutsche für Italiener, nebst Bezeichnung der Betonung, sehr vollständig mit deutschen Erklärungs-Noten, die das Wörterbuch ganz entbehrlich machen, Wien, Lechner, 1852, S. II-IV. 17 Ebd., S. V. <?page no="42"?> Gualtiero Boaglio 32 wollte, waren die Autoren gezwungen, sich auf die Suche nach Sprachmodellen zu begeben, die im Alltag geläufig waren. Der bemerkenswerteste italienische Lexikograph im Dienste der Habsburger ist der schon erwähnte Giovanni Battista Bolza, der sich durch seine sprachwissenschaftlich fundierte Arbeitsweise auszeichnet. Er schrieb, abgesehen von zahlreichen Grammatikbüchern, ein etymologisches Wörterbuch, ein einsprachiges und ein zweisprachiges Wörterbuch, ein fachsprachliches Wörterbuch und ein Orthographie- und Aussprachewörterbuch. Bolzas Bestrebungen zielen darauf ab, ein einheitliches, kohärentes und in der Praxis bewährtes Zeichensystem des Italienischen wiederzugeben: Italienisch-deutsches Wörterbuch und deutsch-italienisches Wörterbuch (1838), Manuale italiano tedesco ad uso degli impiegati, legali e commerciali della monarchia austriaca (1845), Vocabolario genetico, etimologico della lingua italiana (1852), Prontuario di vocaboli e modi errati e delle principali teorie, regole, proprietà e particelle della lingua italiana per parlare e scrivere correttamente (1858). Serianni betrachtet ihn als „lessicografo purista“ auf Grund des Werkes Prontuario di vocaboli e modi errati, dessen erste Ausgabe im Jahr 1853 erschien. Das Prontuario ist eine alphabetische Auflistung zu vermeidender Wörter und Redewendungen. Das Werk fügt sich in eine besonders rege italienische Tradition des 19. Jahrhunderts - und zwar jene der zu vermeidenden, weil nicht dem puristischen Kanon angehörenden Vokabeln - ein. Diese Tradition erstreckt sich vom Elenco di alcune parole oggidì frequentemente in uso, le quali non sono ne‘ vocabolari italiani (1799) Giuseppe Bernardonis bis hin zum Lessico della corrotta italianità (1877) von Pietro Fanfani und Costantino Arlìa 18 . Besonderen Anklang fanden diese puristischen Ideen beim Faschismus mit dem Werk von Paolo Monelli Barbaro dominio. Cinquecento esotismi esaminati, combattuti e banditi dalla lingua (1933). Die Werke von Giovanni Battista Bolza halten der italienischen Tradition des Purismus die Treue, denn das Vocabolario della Crusca in der Fassung von Antonio Cesari aus den Jahren 1804-1806 wird stets erwähnt. Jedoch wie schon Filippi weist auch Bolza Besonderheiten auf, die ihn 18 Weitere wichtige Werke sind: Giovanni Gherardini, Voci italiane ammissibili benché proscritte dall’Elenco del signor Bernardoni, Milano, Maspero, 1812; Basilio Puoti, Dizionario de‘ francesismi e degli altri vocaboli e modi nuovi e guasti introdotti nella nostra lingua italiana, con le voci e le frasi pure, Napoli, Diogene, 1845; Filippo Ugolini, Vocabolario di parole e modi errati, Urbino, Rondini, 1848; Prospero Viani, Dizionario di pretesi francesismi e di pretese voci e forme erronee della lingua italiana, Firenze, Le Monnier, 1858-1860, Band 1-2. <?page no="43"?> Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert 33 von seinen Landsleuten, die in Italien leben und arbeiten, unterscheiden. Denn einerseits kann man ihn als Purist definieren, andererseits erarbeitet er jedoch eigene, ganz persönliche Sprachmodelle, die den Bedürfnissen der Beamten eines Vielvölkerstaates, über sprachpraktische Modelle der Kommunikation zu verfügen, Rechnung trugen. Die Sprache des Prontuario di vocaboli e modi errati entspricht dem „italiano aulico” der Accademia della Crusca aus zwei Gründen: Einerseits sind archaische Sprachformen - wie „prostesi vocalica”, zusammengeschriebene Formen der Präpositionen, archaische Formen der Konjunktionen und der Adverbien, „enclisi pronominale“ - aufzufinden; andererseits sind typische puristische Zielscheiben - wie die Französismen oder die Gemeinplätze „buona lingua“, „buon gusto“ oder „buon uso“ - dokumentiert. Klar definierte Eigenschaften hat der Wortschatz Bolzas: Dieser basiert auf einer vom Autor selbst konstruierten Phraseologie, die das gesprochene Toskanische seiner Zeit wiedergibt. Erlaubt werden Formen, die der Sprechende selbst festlegen kann: „DEBUTTARE, DEBUTTANTE, DEBUTTO. Brutte parolaccie, alle quali i gazzettieri de’ teatri vengono sostituendo da qualche tempo Esordire, Esordiente, Prima comparsa. E chi sa checchè di meglio, lo metta“ 19 . Diese nur scheinbar leichtsinnige Äußerung, wobei der Sprechende selbst und nicht mehr die puristischen Empfehlungen der Accademia della Crusca im Mittelpunkt steht, zeigt eine moderne Einstellung Bolzas zur Sprache, denn für ihn sind der Gebrauch und die Frequenz der Wörter als die zwei normierenden Hauptkategorien des Sprechaktes zu verstehen. Das Prontuario lehnt auch antiquierte Sprachformen ab. Bezüglich des Pronomens Eglino vermerkt Bolza: „Plurale di Eli (ved.). Egli, Elli, ed Ei, in luogo di Eglino, sono da lasciarsi alla poesia“ 20 . Daraus ergibt sich, dass die Vorstellungen Bolzas bezüglich der zu erlaubenden Wörter zwischen morphologischen Formen aus dem goldenen Zeitalter des Trecento, die hohes Prestige besitzen und strikt normativ sind, und anderen, die im Gegenteil hohe Frequenz in der Toskana des 19. Jahrhunderts aufweisen, stark schwanken. Besonders am Herzen lag Bolza sein Vocabolario genetico, etimologico della lingua italiana. Aus einem Briefwechsel mit Cesare Cantù wissen wir, 19 Giovanni Battista Bolza, Prontuario di vocaboli e modi errati colle correzioni e delle principali teorie, regole, proprietà e particelle della lingua italiana per parlare e scrivere correttamente, Venezia, Antonelli, 1855, S. 60. 20 Bolza, Prontuario di vocaboli e modi errati, 1855, S. 75. <?page no="44"?> Gualtiero Boaglio 34 dass er mehrmals versuchte, Teile des Manuskriptes Alessandro Manzoni zu schicken. Unklar ist, ob sie angekommen sind 21 . In diesem etymologischen Wörterbuch finden wir auch am Anfang ein kurzes Kapitel mit dem Titel „Della lingua italiana“. Wäre er wirklich, wie behauptet, ein ausgesprochener Purist gewesen, hätte er sicher die Gelegenheit genutzt, die Überlegenheit des Italienischen gegenüber den anderen Sprachen festzuhalten. Man findet aber keine triumphalistischen Töne im Sinne des italienischen Purismus, im Gegenteil: Die Betrachtungen Bolzas sind sehr sachlich, distanziert und vor allem darum bemüht zu zeigen, wie die italienische Sprache in Kontakt mit anderen Sprachen entstanden ist 22 : „Molte essendo state le migrazioni, che successivamente popolarono l’Europa, e ogni colonia avendo un dialetto, se non forse già una lingua propria, questi idiomi si vennero più o meno mischiando e confondendo, per effetto delle conquiste, delle alleanze, delle relazioni sociali, anzi della sola vicinanza; poi, sortene così diverse lingue, queste pure si confusero, coll’andar del tempo, colle altre nuove, generando le moderne.“ Wir sind also sehr weit entfernt von den Äußerungen des römischen Puristen Tommaso Azzocchi: Die Sprache darf sich schon bereichern „trasportandovi ancora qualche voce straniera; ma, come abbiamo detto, dee tal vocabolo o modo accomodarsi perfettamente all’indole del volgare nostro: niente in esso ravvisar si dee dell’aria sua forestiera, niente dee più ritenere del natio sapore: ha ad essere non italianizzato, come disse colui, sì fatto italiano“ 23 . Bolza hat auch die Sprache der Verwaltung in den italienischen Kronländern stark beeinflusst und die italienische Fachterminologie der Habsburgermonarchie wesentlich geprägt. Im Jahr 1835 erschien das Dizionario italiano-tedesco e tedesco-italiano, eine neue Version des Wörterbuchs von Christian Joseph Jagemann aus dem Jahr 1790, und 1838 das Manuale italiano-tedesco ad uso degli impiegati, legali e commerciali della monarchia austriaca 24 . Beide Werke waren für die Staatsbeamten der 21 Vgl. Archivio Storico Lombardo, Anno LXXVII, Milano, Casa del Manzoni, 1950, S. 200- 227. 22 Bolza, Vocabolario genetico etimologico, 1852, S. 23. 23 Tommaso Azzocchi, Dissertazione sulla lingua italiana letta alla Tiberina il 1835. Zitiert nach Luca Serianni, Norma dei puristi e lingua d’uso nell’Ottocento, 1981, S. 18. 24 Dizionario italiano-tedesco e tedesco-italiano compilato sui migliori vocabolari di queste due lingue da C. G. Jagemann. Edizione nuovissima eseguita […] dal Dott. G. B. Bolza, Vienna, Sammer, 1838 ( 1 1835); Giovanni Battista Bolza, Manuale italiano tedesco ad uso degli <?page no="45"?> Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert 35 italienischsprachigen Provinzen gedacht. Im ersten Fall ging es darum, den Wortschatz des Wörterbuchs zu aktualisieren. Jagemanns Dizionario italiano-tedesco e tedesco-italiano erschien 1790, deshalb die Aussage: “Questa nuova edizione doveva però essere consentanea alle esigenze dei tempi e agli speciali rapporti delle provincie dell'impero” 25 . Im Fall des Manuale italiano-tedesco ad uso degli impiegati handelt es sich um ein Fachwörterbuch im Bereich der Verwaltungs- und Rechtssprache: „Poi v'ha in ogni ramo d'amministrazione buon dato di istituzioni, uffizii, ed impiegati, le di cui denominazioni, non incorporate nella lingua comune, formano quasi un linguaggio a parte, e che ripetute dal più de' cittadini senza annettervi idee esatte, generano in molti di loro, costretti a farne uso, confusione, imbarazzo, e disgusto” 26 . Die Absicht Bolzas ist es, eine Standardisierung der italienischen Verwaltungssprache der Habsburgermonarchie in die Wege zu leiten. In Italien ist die Lage der Fachsprachen wegen der Ablehnung der Crusca, ihren Wortschatz in die Wörterbücher aufzunehmen, sehr schwierig. 1812 veröffentlichte Giuseppe Bernardoni sein Elenco di alcune parole oggidì frequentemente in uso, das als der erste Versuch betrachtet werden kann, sich die Fachsprache der Verwaltung nach der napoleonischen Besetzung Norditaliens anzueignen. Abgesehen von diesem Versuch Bernardonis, hinter welchem jedoch keine sprachpolitischen Überlegungen stehen, sondern lediglich die Absicht, eine Auflistung von Neologismen und Barbarismen zu erstellen, sind zusätzliche Werke bis zur Einheit Italiens sehr spärlich 27 . Auch die Äußerungen des schon genannten Lexikographen d’Alberti di Villanuova, er würde sich für das Fachvokabular nach den Fachvokabeln der zeitgenössischen Florentiner richten 28 , sind nicht zeitgemäß. Die Fachterminologie der Verwaltung konnte sich nicht entfalten und ihren Niederschlag in einem eigenen Fachwörterbuch finden, weil sie in der Restaurationszeit seitens der puristischen Lexikographie stark impiegati, legali e commerciali della monarchia austriaca, Vienna, Stamperia di Corte, 1845. 25 Ebd., 1845, S. III. 26 Bolza, Manuale italiano tedesco, 1845, S. III. 27 Man könnte folgende Wörterbücher nennen: Marco Aurelio Marchi, Dizionario tecnico-etimologico-filologico, Napoli, Pirola, 1828; Giuseppe Grassi, Dizionario militare italiano, Torino, Pomba 1817. Vgl. dazu Serianni, Storia della lingua italiana. Il primo Ottocento, 1989, S. 67f. 28 Francesco d’Alberti di Villanuova, Dizionario universale critico enciclopedico, Band 1, Milano, Cairo, 1825, S. XII. <?page no="46"?> Gualtiero Boaglio 36 bekämpft wurde, wie Zolli darlegt 29 : Französismen und Latinismen standen im Feuer der Kritik zugunsten einer „lingua semplice, ingenua, istintiva, di propria popolare naturalezza“ 30 . Auch bezüglich der Fachsprache war Bolza ein Pionier, denn mit seinem Manuale italiano-tedesco ad uso degli impiegati übersetzte er die ganze Fachterminologie des österreichischen Kaisertums ins Italienische und erklärte dadurch den italienischen Provinzen die Organisation der Politik, der Verwaltung, des Finanzwesens, der Kammern und der Armee der Habsburgermonarchie. Die 270 dicht beschriebenen Seiten stellen ein noch zu erforschendes Werk dar, das die Verwaltungssprache des italienischen Staates beeinflusst haben könnte. Die Lemmata werden in ihrer Begrifflichkeit kontextualisiert und erklärt, wobei sehr oft der deutsche Sprechakt wiedergegeben wird. Als letztes erscheint das deutsche Wort. Dieses Wörterbuch war notwendig geworden, da ab dem Jahr 1815 Österreich über weite Teile Norditaliens regiert und sich auch dort als Nationalstaat mit einem perfekt funktionierenden Herrschaftssystem präsentieren will. Dazu gehören Rationalität, Organisation und bürokratische Effizienz, die nur durch eine gut ausgebaute Verwaltungssprache in allen fachspezifischen Domänen erreicht werden können. Diese Notwendigkeit ergibt sich in Italien erst 1861, als der Einheitsstaat vor den gleichen Herausforderungen steht. Das Interesse für die Fachterminologie erwacht erst mit dem in Turin gedruckten Dizionario della economia politica e del commercio (1857-1861) von Gerolamo Boccardo, der die Crusca völlig ignoriert und Fremdwörter wie docks und warrant aufnimmt 31 . Aus dem bisher Gesagten resultiert, dass die literarischen Muster des Trecento in Wien - anders als für die Lexikographen in Italien - keine entscheidende Rolle spielen. Bolza und die anderen italienischen Philologen sahen die Sprache ganz bewusst als Kommunikationsmittel und nicht bloß als Instrument zur Literaturvermittlung oder als zu beschreibendes Zeichensystem. Bolza war zwischen 1842 und 1847 Italienischlehrer der Erzherzöge Ferdinand Maximilian, des zukünftigen Kaisers von Mexiko, und Franz Joseph, des zukünftigen Kaisers von Österreich. Ihnen erteilte Bolza einen Unterricht, der ganz im Sinne der Habsburgermonarchie auf der Alltagssprache basierte. Bolza konnte auf keine Alltagssprache zurückgreifen, 29 Zolli, Saggi sulla lingua italiana, 1974, S. 67ff. 30 Maurizio Vitale, La questione della lingua, Palermo, Palumbo, 1974, S. 375. 31 Marazzini, L’ordine delle parole, 2009, S. 280. <?page no="47"?> Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert 37 für die es eine Unterrichtstradition gegeben hätte, und die Literatur konnte ausschließlich schriftliche, für den Alltag unbrauchbare Modelle anbieten. Ihm standen zwei Corpora als didaktische Materialien zur Verfügung: Die aus der Renaissancezeit stammenden und bis zum frühen 19. Jahrhundert praktisch unveränderten Gesprächsbücher und der selbst erschaffene Wortschatz, wie ihn sich Bolza in seinen Werken ausdachte. Er konnte aber noch auf ganz neue Sprachmuster zählen - jene von Alessandro Manzoni -, die sich als Vorbild für die Alltagssprache des jungen Franz Joseph anboten. In der Tat ist die Sprache des jungen Franz Joseph mit traditionsreichen und teilweise archaischen Wörtern durchsetzt, die in einen alltäglichen Ausdruck und in eine flüssige Syntax eingebettet sind. Sie richten sich nach dem „fiorentino colto” des 19. Jahrhunderts. Diese originelle Sprache, dieses „linguaggio dell’uso vivo”, resultierend aus traditionellen literarischen Mustern und nützlichem alltäglichem Gebrauch, ist uns in einem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien überliefert worden. Dieser bewahrt die Hausaufgaben und die schriftlichen Prüfungen des zukünftigen Kaisers auf 32 . Im April 1846, im Alter von sechzehn Jahren - er lernte damals seit vier Jahren Italienisch -, legt er eine schriftliche Prüfung ab und schreibt einen Aufsatz mit dem Titel „Cenni sull’origine della lingua italiana“. So lautet der Originaltext samt Fehlern und ohne die Korrekturen von Bolza: „La lingua italiana è nata principalmente di una corruzione della lingua latina; bisogna indi comminciare coll’enumerazione dei fatti che hanno avuto un influsso su questa corruzione. I romani, conquistatori di quasi tutta la terra conosciuta in questi tempi, dovevano comunicare molto coi popoli sudditi il loro impero. I schiavi forestieri che avevano in casa, gli impiegati dello stato chi avevano passati più anni nelle provincie, portarono naturalmente molti vocaboli barbari che comminciarono corrompere la lingua e principalmente quella del popolo, guastata dalla grande quantità di schiavi. Guardiamo adesso l’influenza dei tedeschi conquistatori dell’impero romano, sulla lingua latina. Dopo la caduta di Roma, Eruli, Goti, e finalmente Longobardi, che rimasero sempre nella parte settentrionale, erano padroni dell’Italia. Questi dovevano lasciare molte parole tedesche nel paese conquistato, che però non sono da confondersi colle parole, che tanto la lingua latina come la tedesca hanno dalla madre commune. 32 Es handelt sich um folgende Handschriften: Cod. Ser. n. 12525 Han; Cod. Ser. n. 12526 Han; Cod. Ser. n. 12528 Han; Cod. Ser. n. 12527 Han; Cod. Ser. n. 12529 Han; Cod. Ser. n. 12530 Han; Cod. Ser. n. 12531 Han; Cod. Ser. n. 12532 Han; Cod. Ser. n. 12533 Han; Cod. Ser. n. 12534 Han; Cod. Ser. n. 12535 Han. <?page no="48"?> Gualtiero Boaglio 38 Troviamo molte parole greche nella lingua italiana. Nasce la domanda d’onde siano venute? Dopo i Goti l’impero Bizantino era in possesso di una gran parte dell’Italia. Probabilmente vi lasciarono alcune parole, ma molte furono portate dai dotti, che all’invasione dei Turchi, erano fuggiti da Costantinopoli e introdussero in Italia lo studio dei classici greci. Altri vocaboli greci, principalmente nomi scientifici furono creati più tardi dai dotti. Alcune parole arabe che si trovano nell’Italiano, non pajono derivare, come credono alcuni, dagli Arabi possessori della Sicilia, ma esserci piuttosto portati dai crociati. Vediamo dunque che la lingua italiana è composta principalmente di latino e di tedesco. Vienna ai 25 d’Aprile 1846 Arciduca Francesco” 33 Claudio Marazzini schreibt in seiner letzten Monographie, die italienische Lexikographie sei „fondata quasi sempre sulla letterarietà, mediante spogli tratti da autori; in secondo luogo si caratterizza per l’orientamento arcaicizzante, in coerenza con l’indirizzo bembiano, perché guarda ai medesimi autori che servirono come riferimento anche per la stabilizzazione normativa“ (Marazzini 2009: 57). Ich glaube gezeigt zu haben, dass diese Äußerungen nicht für die in Wien lebenden italienischen Lexikographen gelten. Zumindest bis zur Entstehung des italienischen Nationalstaates haben sie sehr wohl nach Italien geschaut, aber gleichzeitig eine große Selbständigkeit gegenüber den Sprachmodellen Italiens entwickelt und schlussendlich möglicherweise eine Art habsburgische Varietät des Italienischen geschaffen, die noch zu beschreiben sein wird. Literaturverzeichnis Alberti di Villanuova, Francesco (1825): Dizionario universale critico enciclopedico, Milano, Cairo, Band 1-4 (1797-1805 1 ). Archivio Storico Lombardo (1950): Anno LXXVII, Milano, Casa del Manzoni. Bernardoni, Giuseppe (1799): Elenco di alcune parole oggidì frequentemente in uso, le quali non sono ne‘ vocabolari italiani, Milano, Bernardoni. Boaglio, Gualtiero (2012): Geschichte der italienischen Literatur in Österreich. Teil 2: Von Campoformido bis Saint-Germain (1797-1918), Wien, Böhlau. 33 Cod. Ser. n. 12532 Han. <?page no="49"?> Die italienischen Lexikographen am Wiener Hof im 19. Jahrhundert 39 Bolza, Giovanni Battista (1835): Handbuch der italienischen Sprache enthaltend eine nach einer einfachen und leichten Methode kurzgefasste Sprachlehre und praktische Übungsstücke, Wien, Volke. Bolza, Giovanni Battista (1838): Dizionario tedesco-italiano e italiano-tedesco compilato sui migliori vocabularii da C(ristiano) G(iuseppe) Jagemann, ed. novissima dal dott. G(iovanni) B(attista) Bolza, Vienna, Sammer, Band 1-2. Bolza, Giovanni Battista (1838): Italienisch-Deutsches Wörterbuch und Deutsch- Italienisches Wörterbuch, Wien, Sammer, Band 1-2. Bolza, Giovanni Battista (1845): Manuale italiano tedesco ad uso degli impiegati, legali e commerciali della monarchia austriaca, Vienna, Stamperia di Corte. Bolza, Battista Giovanni (1852): Vocabolario genetico, etimologico della lingua italiana, Vienna, J.K. Stamperia di Corte e di Stato. 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Zolli, Paolo (1974): Saggi sulla lingua italiana dell’Ottocento, Udine, Pacini. <?page no="51"?> Werner Forner Zum Stand der Lexikographie* im Ligurischen 1 Die Wende „La Liguria (...) è una delle zone finora meno esplorate dai dialettologi“, schrieb der belgische Dialektologe Hugo Plomteux (1975: 9) in der Einleitung zu seinem monumentalen Wörterbuch der ostligurischen Dialekte der Val Graveglia. Gerade er war einer der ersten, die diese Lücke schließen sollten. Das ligurische Forschungsdefizit zu Beginn der 70er Jahre ist insofern unerwartet, als die Sprache Genuas und Liguriens schon Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf vielfaches und qualifiziertes Interesse gestoßen war - u.a. mit Ascoli, Parodi, Flechia, Giusti, Bottiglioni, Bertoni -, die vor allem mittelalterliche, aber auch moderne Varianten des Ligurischen erforschten, mit sprachhistorischen Zielen, durchaus auch in lexikographischer Hinsicht. Erst seit Mitte der 70er Jahre ist ein neues Interesse an den Dialekten Liguriens deutlich, und zwar vor allem am Wortschatz. Diese Wende verdankt sich vermutlich der ethnographischen Ausrichtung, die seit den frühen 60er Jahren die dialektale Lexikologie animiert hatte. Plomteux brachte diesen Ansatz nach Ligurien: Die traditionellen ländlichen Lebensformen waren obsolet geworden und nur noch als Erinnerungsgut rekonstruierbar; umso dringender war es, dieses Leben mit seinen Handlungen und Dingen ethnographisch (Plomteux 1980) und lexikographisch (Plomteux 1975) zu dokumentieren. Plomteux’ Wörterbuch umfasst den gesamten Wortschatz (Allgemeinwortschatz und agrarische, technische etc. Fachwortschätze) der Gemeinden der Val Graveglia (eines Nebentals der Val Lavagna im Hinterland von Chiavari/ Lavagna im östlichen Ligurien), nämlich ca. 7.000 Lemmata, begleitet jeweils von Angaben zur Inhaltsseite (ethnographische oder biologische etc. Einordnung) und zur Ausdrucksseite: zur Variation im Untersuchungsgebiet und in den Nachbartälern und zur Verbreitung im gesamtligurischen Areal und darüber hinaus; schließlich zur Wortgeschichte und Etymologie. Es ist - und so wurde es von der linguistischen Kritik auch aufgenommen - die Summe dessen, was man von einem guten Wörterbuch erwarten darf. Nicht weniger wertvoll als das Ergebnis ist die Entstehung: eine unermüdliche Sammelarbeit, nicht im Sinne des Abfragens eines vorgefertigten Questionnaires, sondern im <?page no="52"?> Werner Forner 42 Sinne einer ausdauernden, aktiven Begleitung der zahlreichen Informanten bei ihrer täglichen Arbeit. Die Betroffenen waren die ersten, die mit Begeisterung mitmachten. Diese Arbeitsweise war auf andere Dialektgruppen übertragbar. Plomteux selbst weitete zunächst das alte Projekt von O. Parlangèli, die Carta dei dialetti italiani (CDI) 1 , auf zuvor nicht berücksichtigte Gebiete Liguriens aus. Hinzu kamen zwei umfangreiche Projekte zu zwei nicht explorierten nordligurischen Talschaften 2 . Darüber hinaus glaubte er, die Zusammenarbeit mit der interessierten Bevölkerung zu einem wissenschaftlich gelenkten Großprojekt nutzen zu können, sofern die Kulturträger der Gemeinden/ der Provinzen/ der Region mitspielen, nämlich einem panligurischen Wörterbuch. Kulturtragende Vereine gibt es in jeder Gemeinde. In Ligurien gibt es eine Dachorganisation, die Consulta Ligure. Die Consulta übernahm die organisatorische Federführung, die Inhaberin des Lehrstuhls für ethnolinguistische Studien (den es damals noch gab) - Giulia Petracco Sicardi in Zusammenarbeit mit Hugo Plomteux - garantierte die wissenschaftliche Betreuung. Die Consulta berief im Oktober 1976 einen wissenschaftlichen Kongress ein; dort wurde ein panligurisches Wörterbuch beschlossen und operationalisiert (Còveri 1979). Die Idee war, dass die jeweiligen lokalen lexikalischen Informationen durch die Ligurisch- Sprecher selbst zusammengetragen werden sollten, aus jeder Gemeinde mindestens ein ehrenamtlicher Mitarbeiter. Diese Mitarbeiter wurden mit einer gemeinsamen „phonetischen“ Graphie (mit diakritischen Zeichen) vertraut gemacht, pro Lemma war eine Karteikarte mit elf vorgegebenen * Onomastische Sammlungen sind nicht berücksichtigt. Ferner wird die Lexikographie der Entlehnungen (aus dem Ligurischen bzw. ins Ligurische) hier nicht behandelt, denn sie ist weitgehend in den Bibliographien zum Ligurischen (BDL I, II) dokumentiert. 1 Seit 1974 explorierte Plomteux mit dem von ihm erweiterten CDI-Questionnaire mehrere Gemeinden der Provinz Imperia und - mit seinen Studenten - 30 Gemeinden der Provinz Savona. Näheres s. Còveri/ Moreno (1983: 268, Karte p. 271). 2 Die umfangreichen Materialien blieben (fast) unveröffentlicht. Plomteux’ früher Tod (15.1.1981, im Alter von 42 Jahren) verhinderte die Drucklegung und die Fortführung seiner fruchtbaren Tätigkeit. Das eine Projekt betraf die Val Borbera AL; die Materialien sind in Novi Ligure AL, Società Storica, deponiert (cf. die Kurzbeschreibung in deren Zeitschrift Novinostra 23-4, 1983: 281 s.). Das zweite Projekt, nahezu abgeschlossen, betraf Osiglia SV und die Nachbardialekte, in der Mischzone nördlich von Savona. Von dem (u.a.) geplanten Wörterbuch wurden die Buchstaben A bis E von seiner Witwe ediert als Plomteux (1992). Eine detailliertere Biobibliographie bieten Còveri/ Moreno (1983: 267 ss.) und Mertens (1983). <?page no="53"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 43 Kategorien 3 einzureichen, es gab praktische Handreichungen 4 , natürlich redaktionelle Treffen. Das Projekt wurde von der Bevölkerung gut angenommen, das Netz wurde immer dichter. So entstand zwischen 1985 und 1993 das Vocabolario delle Parlate Liguri (VPL) in vier Bänden; diese beschränken sich auf gemeinsprachliche Bezeichnungen. Hinzu kamen drei Bände zu Spezialwortschätzen (Lessici speciali: VPL-LS) 5 . Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Laien - zumindest in der Lexikographie - verdient Beachtung, nicht nur als Mittel der Informationsbeschaffung, sondern auch und vor allem wegen der dadurch erzeugten Sensibilisierung der Sprecher: Die Sprecher lernen, dass ihre lokale Sprache einen überlokalen Wert darstellt, dass man sie schreiben kann; viele gewannen das Selbstvertrauen, ein Wörterbuch ihres Dialekts, oder auch ein Buch mit Texten in ihrem Dialekt, schreiben zu können. Insofern war die Ernte größer als die sieben Bände VPL/ VPL-LS: Viele der Informanten wurden als Autoren aktiv, viele der lokalen Wörterbücher, die nach 1980 erschienen sind, stammen aus der Feder der VPL- Mitarbeiter. Diesen Zuwachs an Dialektwörterbüchern, und das VPL selbst, müssen wir uns etwas detaillierter ansehen. 2 Die ligurische Lexikographie bis zum VPL Zunächst einmal soll die ligurische Dialektlandschaft kurz vorgestellt werden: Diese ist weitgehend von der Sprache des ökonomischen Zentrums, dem Genuesischen, geprägt und daher entlang den Handelswegen ziemlich homogen. Der prägende Einfluss begann im 12. Jahrhundert 6 , als Genua viele Jahrhunderte lang wirtschaftliche und politische Großmacht 3 Kategorien der scheda, u.a.: „termine dialettale/ italiano, località, indicazioni grammaticali, descrizione del significato, fraseologia, indicazioni sulla fonte/ sull’uso, sinonimi“. 4 Alle im Anhang der Akten von Sanremo, s. Còveri (1979: 110 ss.). 5 Die Lessici Speciali umfassen: VPL-LS 1 Gli uccelli (1982), 2-I I Pesci (1995), 2-II Mare, Pesca e marineria (1997). Ein phytonomischer Band, der geplant war, ist nicht erschienen. Näheres s.u. § 4. 6 Lange vorher, Ende des 10. Jhs. (unmittelbar nach dem Sieg 978 über die Sarazenen, deren Terror seit 150 Jahren die gesamte westliche Küste unbewohnbar gemacht hatte), hatte der Episkopat von Genua im Areal Sanremo-Taggia die Ansiedlung von 28 Familien organisiert, die vermutlich überwiegend aus dem eigenen Episkopat stammten und folglich dem ältesten Genuesisch verwandte Mundarten frühzeitig importierten. Der entsprechende Vertrag ist von N. Calvini (1979) mit Kommentar ediert. Zu den linguistischen Folgen s. Forner (2008b). <?page no="54"?> Werner Forner 44 war. Der genuesische Einfluss reichte im Westen bis zur Alpenkette, im Norden und Osten überschritt er den Apennin. Die Sprache, die sich als Modell auf Kosten der ursprünglichen Lokaldialekte ausbreitete, war das Altgenuesische. Der heutige Dialekt von Ventimiglia (mit der westlichen Küste) kann - mit Merlo (1938: 23) - als „specchio fedele“ des Altgenuesischen (13./ 14. Jh.) gelten. Das heutige Genuesisch bildete sich zwischen dem 16. und 18. Jh. Zunächst als Variante des einfachen Volkes heraus; es divergiert stark vom Altgenuesischen. Auch das Neugenuesische breitete sich aus, reichte aber im Westen nur bis Savona (bzw. Noli). Zwischen Savona und Albenga verläuft daher heute eine wichtige Grenze zwischen zwei ligurischen Hauptvarianten: zwischen Zentralligurisch („Genuesisch“) und Westligurisch. Relativ immun blieben marginale Varianten 7 ; das sind im Südosten die Cinqueterre, im Norden außerhalb der Handelsstraßen eine weitgehend südpiemontesisch geprägte Mischzone, im Westen eine sehr archaische Sprachgruppe, das Alpenligurische. Auch Menton partizipiert an den Merkmalen des Alpenligurischen. Diese zum Teil kontinuierliche, zum Teil diskontinuierliche Sprachlandschaft zeigt Karte (1) 8 . (1) Die ligurische Dialektlandschaft 7 Das ist der Befund aufgrund der heute beobachtbaren Daten. Ob die „genuesischen“ Merkmale dieser marginalen Idiome genuin sind, oder aber importbedingt, ist nicht eindeutig geklärt (außer für das Küsten-Intemelische, s. vorige Anm.). 8 Leicht veränderte Fassung nach Forner (1988: 455). <?page no="55"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 45 Hinzu kommen wenige bis heute intakte Sprachinseln: Bonifacio an der Südspitze Korsikas spricht ein vom Korsischen leicht modifiziertes Altgenuesisch; zwei genuesische Sprachinseln liegen in Südsardinien (Carloforte und Calasetta). Monaco ist eine westligurische Sprachinsel mit ein paar Übernahmen aus dem Nizzardischen und Französischen. Das Zentrum der Stadt Gavi (südliches Piemont) ist genuesisch; in Novi (südliches Piemont) spricht man ein vom genuesischen Superstrat stark modifiziertes Alexandrinisch. Die vielen weiteren ligurischen „Kolonien“ der Vergangenheit sind nur noch in fossilem Zustand oder gar nicht mehr als solche zu diagnostizieren. Was wissen wir über den Wortschatz der ligurischen Dialekte? Informationsquellen sind natürlich auch die verschiedenen Sprachatlanten 9 ; deren Punkte sind in der folgenden Karte (2) als Dreiecke vermerkt. Die bis 1970 veröffentlichten nicht-genuesischen Wörterbücher sind überschaubar (s. Karte 2, Kreise): Es sind nur 13 (incl. Teil-Wörterbücher/ Glossare). Hinzu kommt Genua, dessen Wortschatz seit 1841 10 bis 1955 mit sieben verschiedenen - auch umfassenden - Wörterbüchern bestens bedient ist 11 . Zwischen 1971 und 1987 sind 32 weitere Wörterbücher (zu Dialekten außerhalb Genuas) erschienen (s. Quadrate in Karte 2): ein enormer Zuwachs in kurzer Zeit 12 . Der Boom sollte anhalten (s.u. Karte 5): Darauf komme ich zurück. Die Schraffuren in Karte (2) zeigen die nicht-kontinuierlichen Areale an. 9 ALF, ALI, AIS, ALEIC, ALM, ALP, ALEPO. 10 Dieses Datum könnte noch um ca. 100 Jahre vorverlegt werden, wenn man eine genuesische Wortsammlung berücksichtigen möchte, die als Anhang zu einem Dizionario ristretto della toscana favella von einem unbekannten Autor verfasst wurde. Der erste Teil des Werkes wurde 1731 gedruckt, der Rest blieb Manuskript (Biblioteca Berio, Genua). F. Toso hat es entdeckt und den genuesischen Anhang ediert (Toso 1998: 104-117); dieser umfasst 515 „nomi genovesi che più si scostano dall’idioma toscano“. Für eine kritische Einordnung dieser Wortsammlung und der Lexikographie des nachfolgenden Jahrhunderts s. Toso (2009b). 11 Liste s. Internet unter Académia Ligústica do Brenno, unter: Vocabolâi do zenéize de Zêna; BDL I. 12 Die bibliographischen Daten sind auffindbar in den zwei Bänden der Bibliografia Dialettale Ligure BDL I, II, 1980, 1994. BDL III ist in Vorbereitung. <?page no="56"?> Werner Forner 46 (2) Lexikographische Informationen in zwei Zeitschnitten (1970/ 1987) 13 Dieser Informationsstand wurde durch das Netz der VPL-Punkte enorm erweitert. Die folgende Karte (3) zeigt das Netz aus 100 Punkten, das für die letzten zwei Bände zur Verfügung stand; bei den voraus gegangenen Bänden (bes. VPL I) war das Netz etwas weniger engmaschig. 13 Leicht modifizierte Übernahme der Karte in Forner (1989: 153 s.). <?page no="57"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 47 (3) Die VPL-Punkte 14 Das folgende Lemma (4) aus VPL IV zeigt die Infrastruktur, zugleich die Relevanz der Einträge für dialektologisch-vergleichende Studien. Geboten werden zunächst die Geo-Varianten in der VPL-Graphie (a), dann die [mechanische] Reproduktion in IPA-Schrift (b), es folgt (c) die italienische Übersetzung und (d) etwas Phraseologie, dann (e) der Hinweis auf ein (Geo-)Synonym, schließlich (f) ein Derivat. Die Transkription folgt oft der impressionistischen Angabe des lokalen Mitarbeiters 15 . Nicht selten vermisst man Hinweise auf nicht-vorhersehbare Flexions-Formen (außer Pluralbildung): ‚er fliegt‘ heißt z.B. nicht [*u · ! Ì a], sondern [u øa]: Das wäre kompliziert geworden und hätte den Rahmen gesprengt. Verzichtet wurde auch - aus finanziellen Gründen - auf die Übernahme der in den bestehenden Wörterbüchern bereits dokumentierten Lexik. Der Nutzer ist gezwungen, diese zusätzlich 14 Aus: VPL IV (1992: 170 s.): „I Punti del Vocabolario delle Parlate Liguri. Aggiornata al 1992 (tra parentesi i punti scarsamente documentati)“. 15 Delikat sind insbes. die Quantitätskennzeichnungen sowohl bei Vokalen als auch bei Konsonanten: Im zitierten Beispiel (4) sind die ersten beiden Varianten identisch (Inf.-á ist auch in GenC etc. lang); für ‚schön‘ z.B. tauchen bèlu und bèllu zu Unrecht als Geo-Varianten auf: Die konsonantische Quantität ist in allen ligurischen Dialekten nicht phonologisch relevant, wohl aber stilistisch, nämlich als Signal für Emphase (Forner 1975: 38, 50-53, 243-253; Cuneo 1995: 119). Die Vokallänge kann distinktiv sein. Eine komplementäre Quantitätsdistribution im Nexus / -´VK-/ (Petracco Sicardi 1982a: 14 s.) existiert in ligurischen Dialekten nicht. <?page no="58"?> Werner Forner 48 zum VPL zu konsultieren. Ein letztlich unlösbares Problem ist die Lemmatisierung: Im VPL ist die archaischste der gemeldeten Varianten als Basis-Lemma gewählt. Ganz abgesehen davon, dass die Archaizität nicht immer von allen Romanisten gleich beurteilt wird, bedeutet das für die Mehrzahl der Dialektsprecher, dass sie ihren eigenen Dialekt nur über den italienischen Index in Band IV finden können. (4) VPL: Ein Lemma <?page no="59"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 49 3 Die ligurische Lexikographie nach 1987 Der lexikographische „Boom“ setzte sich fort. Das zeigt Karte (5): (5) Ligurische Lexikographie seit 1987 Die lexikalische Dialektographie hat sich vervielfacht: Es handelt sich um 87 weitere lokale oder überlokale Wortsammlungen (ohne Nachdrucke, aber mit der Fachlexikographie, s.u. § 4), zusätzlich zu den 45 Wörterbüchern (13 plus 32 vor bzw. nach 1970, s. Karte 2), die bis 1987 erschienen waren. Wenn wir die Karten (2, 3, 5) übereinander legen, ergibt sich ein sehr dichtes Netz. Es zeigen sich deutlich areale Schwerpunkte: Das Alpenligurische - und dort vor allem das Brigaskische - ist besonders intensiv bedient worden, mit 20 lexikalischen Sammlungen (die bibliographischen Nachweise finden sich im Anhang 1). 22 weitere Wörterbücher (s. Anh. 1) hat das Westligurische aufzuweisen. Etwas weniger die übrigen Areale: Die Mischzone (von SV, GE) hat acht neue Publikationen (s. Anh. 1) hervorgebracht, das genuesisch-sprachige Areal ohne Genua nur sieben, aber <?page no="60"?> Werner Forner 50 zum Genuesischen von Genua (zum heutigen und zu älteren Sprachzuständen und zum Jargon) hat es 16 neue Initiativen gegeben (s. Anh. 1), zusätzlich zu zahlreichen Neuauflagen der Klassiker! Die Zahlen belegen die Wertschätzung, die das Genuesische weiterhin genießt. Hinzu kommen fünf Wörterbücher zu den abweichenden ligurischen Mundarten im Südosten, weitere drei zu Mundarten südlich von La Spezia (Arcola- Lerici-Tellaro), denen aber wesentliche Merkmale des Ligurischen (u.a. PL>t , O, U>u, y, u.a.) fehlen. Besonders intensive Beachtung haben die zwei sardischen Sprachinseln gefunden, nicht nur, aber auch in lexikologischer Hinsicht (s. Anh.I und s.u. § 5). Ein noch unveröffentlichter thematischer Sprachatlas (s.u. § 4.3) umfasst u.a. die ligurisch-sprachigen Küsten. Viele dieser lexikalischen Sammlungen sind das Werk von Laien, und das ist gut so. Sie sind die Basis für eigentlich linguistische Zielsetzungen wie vergleichende und/ oder historische Lexikologie, oder auch für strukturalistische (diachrone oder synchrone) Analysen, zur Ausdrucksseite, auch zur Inhaltsseite. Auch diese linguistischen Analysen - speziell zur Wortgeschichte - können in Wörterbücher münden; ich komme darauf ab § 5 zu sprechen. Zuvor möchte ich auf ein spezifisches Sammelgebiet zu sprechen kommen, den Fachwortschatz. 4 Ligurische Fachlexikographie 4.1 Ethnographie und Lexikographie Ich möchte auch dieses Kapitel an Plomteux anschließen. Denn sein Wörterbuch enthält eine Menge „Fachwortschatz“ aus diversen „Fachgebieten“, die in jeder ländlichen Gemeinde zu Hause sind: Ackerbau und Viehzucht, handwerkliche Berufe, Hausarbeiten, alles fachliche Bereiche mit einer Vielzahl von Fachwortschätzen. Die Gesamtheit solcher Tätigkeiten oder Dinge ist Thema der Ethnographie. Der jeweilige sachliche Zusammenhang ist wesentlicher Bestandteil der Definition des signifié des einzelnen Wortes; die alphabetische Abfolge hingegen ist bei der Definition nicht von Nutzen. Beispiel: Die technische Skizze einer Mühle ist für die Erklärung der vielen Einzelteile weitaus nützlicher als die Summe der Einzelerklärungen. Das gilt übrigens nicht nur für „Fachwortschatz“. Was liegt also näher, als den Wortschatz in seinen natürlichen Sinnzusammenhängen zu präsentieren? Das ist vielfach gemacht worden, auch von Plomteux: Auf sein Wörterbuch von 1975 folgte 1980 ein nach ethnographischen Gesichtspunkten <?page no="61"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 51 gegliederter Band. Wir finden also unter allevamento u.a. den gesamten am Ort üblichen veterinärmedizinischen Wortschatz, unter mestieri die Spezialwortschätze des Köhlers, des Böttchers, des Schreiners, des Korbmachers, der Schiefer-Bergwerke, des Hirten etc., versehen mit erklärenden Skizzen und Photos. Das ist die Arbeit des Ethnographen. Der Ethnograph tut gut daran, nicht nur die ortsüblichen Dinge und Handlungen zu beschreiben, sondern auch deren lokalen Namen mit aufzunehmen. Entsprechendes gilt auch umgekehrt: Der Lexikograph muss ethnographische Informationen verarbeiten, sofern ihm an einer korrekten Beschreibung des signifié gelegen ist. Beides ist in Plomteux’ Arbeiten realisiert. Eine ethnographische Gesamtstudie, die auch linguistisch relevant ist, wurde wenig später an der äußersten Westecke des ligurischen Gebietes durchgeführt. Autor: Pierleone Massaioli (1984). Es handelt sich um die Beschreibung einer fast ausschließlich weidewirtschaftlich orientierten Gesellschaft in den Seealpen, in zwei Dörfern (Verdeggia und Realdo) in der obersten Talschaft des Flusses Argentina. Man spricht dort eine Variante des Alpenligurischen, nämlich Brigaskisch. Brigaskisch ist auch die Sprache in den zwei nördlich angrenzenden italienischen Hochtälern. Alle diese Dörfer sind „Ableger“ des Ortes La Brigue, im Roya-Tal, der 1947 französisch wurde. Es ist ein klassisches Gebiet der Weidewirtschaft, der transhumierenden Weidewirtschaft: Die zahlreichen Almen in 1500 bis 2000 m Höhe ziehen im Sommer die Schafherden aus den fünf benachbarten Tälern an (Roya-Nervia-Argentina-Arroscia-Tanaro), ferner aus den umliegenden Regionen (Ligurien-Poebene-provenzalische und nizzardische Mittelgebirge). Der Band von Massaioli beschreibt folgerichtig vor allem diese Wirtschaftsform, aber auch das soziale Leben der Brigasken. Massaioli fügt den ethnographischen Beschreibungen immer den dialektalen Terminus bei; ein Index versammelt die Termini zusätzlich in alphabetischer Form. Es sind ca. 3.000 Wörter. 1991 folgte der Wortschatz in Wörterbuchform, bereichert um weitere 2.000 Lemmata und um die brigaskischen Varianten der beiden nördlich angrenzenden italienischen Täler (Massaioli/ Moriani 1991). Das Wörterbuch vereint Allgemeinwortschatz und Termini technici. Es ist ein gutes Wörterbuch in dem Sinn, dass es sich nicht auf signifiant und signifié beschränkt, sondern auch die Verwendung des jeweiligen Wortes dokumentiert (Kollokationen, Redeweisen, Sprichwörter, auch areale Varianten, auch Flexion und Wortbildung). <?page no="62"?> Werner Forner 52 Die ethno-linguistische Initiative von Massaioli war der „Nährboden“ für eine ethnische Bewegung, mit einer Associazione brigasca, mit zwei Zeitschriften (R Ni d’aigüra und A Vastera ‚Der Adlerhorst‘, ‚Der Pferch‘). Die Bevölkerung hat dabei gelernt, den eigenen Dialekt zu lieben und ihn gerne zu verwenden, auch schriftlich. Die pastorizia und die Sprache sind Gegenstand weiterer Publikationen geworden; so gibt es drei weitere brigaskische Wörterbücher, ferner eins zum Nachbardialekt Tenda, eine zweite Studie zur Schafzucht in La Brigue, ein vergleichendes Wörterbuch zum terminologischen Wortschatz im Alpenbereich (Massaioli 2008) - diese Wörterbücher sind auf der Karte (5) erfasst. Schließlich sei noch erwähnt, dass die Associazione brigasca den Ehrgeiz hatte, den lukrativen Minderheitenstatus - gemäß dem italienischen Minderheiten-Gesetz 16 von 1999 - zu erlangen. Das ist ihr gelungen, es reichte, die eigene Sprache als okzitanisch zu deklarieren! Solche Mutationen 17 sind im Land der Commedia dell’Arte nicht ausgeschlossen. (6) Ethnographische Wörterbücher zum Hinterland (s. Anh. 1) Plomteux, Hugo 1975/ 80 Ostligurien diverse Handwerke u.a. Massaioli, Pierleone Massaioli/ Moriani 1984 1991 Brigaskisch (AlpL) Weidewirtschaft u.a. Pagliana, Tullio 1995 Ormea Weidewirtschaft Azaretti, Emilio 1991 Pignaskisch (B.) Weidewirtschaft Pastor, Guido 1990 Pignaskisch (B.) Weidewirtschaft: Texte Massaioli, Pierleone 2008 alpine Idiome u.a. Weidewirtschaft Weitere ethno-linguistische Wortsammlungen zur transhumierenden Weidewirtschaft sind zu Ormea (Pagliana 1995) und zum obersten Nerviatal erschienen (Pastor 1990, Azaretti 1991). Eine Präsentationsform für ethnographische Zusammenhänge sind natürlich auch Ethnotexte. Ethnographisch relevante Texte im pignaskischen Dialekt von Buggio wurden von Pastor in drei Bänden veröffentlicht, u.a. der zitierte Band. Jeder seiner Texte wird von einem kleinen lexikalischen Anhang begleitet. 16 legge 482: Norme in materia per la tutela delle minoranze linguistiche storiche. Das Gesetz ist publiziert - zusammen mit analogen Gesetzen und den ital. Ausführungsbestimmungen - z.B. in Pla-Lang (2008: 194 ss.); kurze Andeutung der frühen Kritiken am Gesetz s. ib. p. 23. 17 Zur Okzitanifizierung des Brigaskischen s. z.B. Toso (2009), Forner (2010). <?page no="63"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 53 4.2 Die Lessici Speciali des VPL Der Fachwortschatz war von den vier Bänden des VPL ausgeschlossen, um ihn in separaten Bänden zu präsentieren, und zwar zu folgenden Bereichen: (7) VPL - Lessici speciali (s. Anh. 1) I Gli uccelli VPL-LS 1, 1982: 31-112 sine auctore II a I pesci e altri animali marini VPL-LS 2-I, 1995: 21-90 Cortelazzo -b I pesci d’acqua dolce VPL-LS 2-I, 1995: 91-98 Cuneo -c Il pesce (Text) VPL-LS 2-I, 1995: 117-140 Cuneo III a Mare, pesca e marineria (Text) VPL-LS 2-II, 1997: 1-229 Cuneo b Glossario VPL-LS 2-II, 1997: 231-245 Petracco Sicardi IV Le piante - - - - - - - - Die Lessici speciali sind genauso entstanden und (jedenfalls Bd. 1 und 2-I) ähnlich aufgebaut wie das VPL: Die Materialsammlung verdankt sich den ehrenamtlichen Mitarbeitern in den diversen Gemeinden, darüber hinaus wurde hier ein Großteil der umfangreichen vorausgegangenen Literatur 18 verwertet. Auf die Doppelung der Transkription (durch IPA) wurde hier - sinnvollerweise - verzichtet. Hauptziel ist auch hier die diatopische Dokumentation. Bei Band 2-I (pesci) ist das Etymon vermerkt. Der Band 2- II (mare) weicht von der alphabetischen (semasiologischen) Präsentation ab zugunsten einer diskursiven Präsentation in Sinnzusammenhängen (wie schon der Aufsatz il pesce: II-c); einen alphabetischen Zugang erlaubt der Anhang („Glossario“, III-b). Geplant war auch ein phytonymischer Band; die Materialien sind wohl von den Informanten geliefert worden 19 , aber der entsprechende Band wurde nicht zusammengestellt. Ein Katalog von Fisch-Namen (VPL-LS 1, 2-I) - oder von Vogelbzw. Pflanzennamen, oder andere Kataloge - ist nicht unbedingt ein „linguistisches“ Ergebnis. Es ist aber die Basis für weitergehende Analysen. Etwa zu den Nominationstechniken: zur Art und zur Motivation der Namensgebung oder zum Verhältnis zwischen volkstümlicher Nomenklatur und wissenschaftlicher Nomenklatur. Genau das ist das Thema einer präg- 18 Diese nenne ich hier nicht; sie ist in den Bänden jeweils genannt. Weitere Literatur ist aus den Bänden der BDL leicht zu entnehmen. 19 Die LS-Materialien für Albenga wurden von Gastaldi (2009 II: 1013-1083) publiziert. Auf den phytonymischen Band wird noch in VPL III (1990) verwiesen. Für die (relativ umfangreiche) Literatur vor 1993 s. BDL II: 210 s., BDL I: 171 s. <?page no="64"?> Werner Forner 54 nanten Analyse von Marco Cuneo (1997), der an den VPL-LS-2- Recherchen maßgeblich beteiligt war: Die Benennungen der Biologie sind bekanntlich nach genealogischen Kriterien in mehrere hierarchische Ebenen geordnet (in: Klasse/ Ordnung/ Familie/ Spezies/ etc.). Die volkstümliche Nomenklatur kennt die Ebene der Spezies, aber oberhalb dieser Ebene gibt es, wenn überhaupt, in der Regel nur ein „biologisches“ Hyperonym; ein weiteres Hyperonym sei, da wo es existiert, vage oder bloß deskriptiv und nicht immer auf nur eine Untergruppe limitiert (316 s.). Unterschiedliche Spezies können denselben Namen tragen. Das Unterscheidungskriterium ist hier nicht genealogisch (biologisch), sondern ist bestimmt vom Marktwert, von äußerlich sichtbaren Merkmalen wie Färbung (Weibchen und Männchen können daher unterschiedliche Namen haben), oder Größe (z.B. Altersphasen: bei den Sardinen werden sechs Entwicklungsstadien durch unterschiedliche Namen unterschieden! ), oder typisches Verhalten, oder Lebensraum. Also völlig andere Nominationskriterien als in der biologischen Nomenklatur! Trotz dieser fundamentalen Unterschiede seien die lexikalischen Distinktionen auf der Ebene der Spezies meist relativ analog, meint Cuneo (1997: 306, 316). Auf der Ausdrucksseite geschieht die Terminusbildung entweder durch lexikalische Mittel oder durch Suffigierung oder durch Attribuierung (Genitiv oder Adjektiv). Es sei angemerkt, dass in dialektalen (nicht nur biologischen) Nomenklaturen Affigierung/ Attribuierung nicht automatisch unterordnend sind: Das Diminutivsuffix z.B. signalisiert nicht unbedingt ein kleines Exemplar derselben Spezies, sondern oft eine andere Spezies; auch ein Attribut wie „weiß“ ist nicht ein weißes Exemplar derselben Spezies, sondern oft eine neue Spezies 20 . 4.3 Mehr vom Meer Das Thema „Meer, Fischfang“ ist für Ligurien natürlich zentral, die Bibliographie ist umfangreich (s. BDL I, II). Im Folgenden berichte ich von einigen neueren Projekten. 20 Es funktioniert so wie die germanische Wortzusammensetzung, Typ „Blauhelm“, „Gelbfieber“. <?page no="65"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 55 (8) Weitere Arbeiten zum lessico marinaresco (s. Anh. 1) Azaretti, Emilio 1992 Ventimiglia Fischnamen Alonzo, Luigi 1991 Finale Lig. Fische u. Fischfang Landini, Paola 1997 Camogli Soziolinguistische Variation Toso, Fiorenzo 2010 Voltri Fischereiwörterbuch Caperan, Louis 1981 Menton Glossar mit Enquête Miniconi, Roger 2003 Bonifacio Fische u. Fischfang Dalbera, Jean Philippe, ALD (Monaco) ----nördliches Mittelmeer ALCANOM: thematischer Sprachatlas Azarettis letztes Werk (postum 1992) sollte ein umfassender Katalog von Fischnamen aus Ventimiglia sein. Es gründet sich auf Umfragen aus den 60er und 70er Jahren und auf seine frühere nomenclatura (in: BALM 10-12, 1970), auch auf das Fachwörterbuch von Jules Soccal zum Monegassischen von 1971. Azaretti versammelt mehr als 300 ventimigliesische Fischnamen; diese werden in die Kategorien der biologischen Nomenklatur eingeordnet. Auf jeden Namen folgt die Etymologie (z.T. neue Vorschläge) und eine ausführliche Darstellung der ursprünglichen Motivation der Benennung; dann kommt die italienische und lateinische Benennung, oft das französische und das nizzardische, manchmal das monegassische Äquivalent, schließlich eine detaillierte Beschreibung (Gestalt/ Fangtechnik/ kulinarische oder sonstige Verwendung) und oft eine Illustration. Zwei alphabetische Indizes (dialektale und italienische/ wissenschaftliche Namen) ermöglichen die Auffindbarkeit. Der Spezialwortschatz der Fischer (auch der Jäger: pp. 65-75 21 ) von Finale Ligure (zwischen Savona und Albenga) wird in einer kurzen Sammlung von Alonso (1991: 15-64) gegeben, in vier Abschnitten: die Fische und deren kulinarische Verwendung, deren Fang, Hilfsmittel und Techniken. Ein interessantes Projekt wurde von Paola Landini (1994) realisiert, in Camogli (20 km östlich von Genua, mit Fischereihafen). Frau Landini fragte dort das Questionnaire des Atlante linguistico mediterraneo (ALM) noch einmal ab, das Manlio Cortelazzo schon 1967 am selben Ort verwendet hatte. Die Zielsetzung ist terminologisch und vor allem soziolinguistisch: Befragt wurden unterschiedliche Berufsgruppen (pescatori/ capitani) und unterschiedliche Altersgruppen, auch der ALM-Informant von 1967 stand noch zur Verfügung. Landini entdeckt Unterschiede zwischen diesen Gruppen (die nicht automatisch auf hochsprachliche Einflüsse 21 Weitere (ältere) Literatur zu Fauna/ Jagd s. BDL I: 171, BDL II: 210, 215. <?page no="66"?> Werner Forner 56 zurückgehen, sondern oft unterschiedliche Wissensbestände repräsentieren). Sie untersucht auch die taxonomische Struktur der Termini, die oft ausgesprochen feingliedrig ist (z.B. stehen für die Zustände des Meeres - zwischen ruhig und bewegt - sechs Termini zur Verfügung). Eine gute Zusammenfassung der Ergebnisse bietet Landini (1997). Ein klassisches Zentrum der Fischerei und des entsprechenden Handels war Voltri (zwischen Genua und Savona). Es ist dennoch nicht Teil des VPL-Netzes. Die professionelle Kommunikation verlief dort bis in die 70er Jahre überwiegend auf Genuesisch. Fiorenzo Toso konnte 1999 mit einem heimischen Experten dieser Wirtschaftsform die Grundlagen schaffen für ein erst jetzt veröffentlichtes, vorbildliches - auch historisches - Wörterbuch der dortigen dialektalen Fischfang-Terminologie (Toso 2010- 13). Die Lemmata sind nach dem System des LEI transkribiert 22 . Das Wörterbuch ist nicht etwa eine Neuauflage des Meereswörterbuchs VPL-LS 2- II: Drei Viertel der Lemmata sind im VPL nicht attestiert 23 ; und: es ist ein historisches Wörterbuch (nach den Kriterien, die in § 5 noch thematisiert werden). Ein weiteres Wörterbuch zu den Aktivitäten des Meeres ist in den bisher genannten Publikationen nicht berücksichtigt: Es ist das Wörterbuch Menton et le monde de la mer, das von der Société d’Art et d’Histoire du Mentonnais (SAHM) unter der Leitung von Louis Caperan (1981) erstellt wurde: Es enthält eine ethnographische Beschreibung der activités de la mer, ein alphabetisches Glossar der Fachtermini (Mentonaskisch-Französisch und umgekehrt), ferner Dokumente und Volkslieder zum Thema „Meer“. Nur erwähnen kann ich hier das Projekt eines Sprachatlasses, ALCANOM 24 , der die Termini der Meeresaktivitäten im nordwestlichen Mittelmeer erfasst (wissenschaftliche Leitung: Jean Philippe Dalbera, unter der Schirmherrschaft der Académie des Langues Dialectales von Monaco): Der Atlas erfasst das katalanische Areal mit den Balearen - Languedoc - Provence mit Nizza - Korsika - Ligurien - Toskana. Die Enquête und die Bearbeitung sind abgeschlossen; die Drucklegung scheiterte bislang an formalen Dissensen. 22 Toso notiert die VPL-typische Konsonantenlängung nach betontem Kurzvokal (s.o. § 2, Anm. 14). 23 Im Buchstaben A sind von 90 Lemmata nur 20 in VPL-LS belegt. 24 Atlas Linguistique des Côtes de l’Arc Nord-Occidental de la Méditerranée (ALCANOM). <?page no="67"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 57 4.4 Weitere Fachgebiete Die weiteren Fachgebiete sind zu zahlreich, als dass sie hier alle - wenn auch nur für die letzten 25 Jahre - dokumentiert werden könnten. Das ist auch nicht nötig, denn die jüngeren Publikationen bis 1993 sind in BDL II (1994: 207-218) aufgezählt: Es handelt sich um 171 Titel zu: agricoltura, attività pastorali e silvicole, architettura, artigianato, fauna (pesci; uccelli), flora, marineria, medicina, olivicoltura, viticoltura, vetreria und weitere. (9) Weitere Fachgebiete BDL II 1994 171 Titel Marco Cuneo 2001 Lavagnatal u.a. Schieferabbau, -verarbeitung Nur eine wichtige lexikologisch/ lexikographische Arbeit aus dem Jahr 2001 über ein seltenes Fachgebiet möchte ich besonders hervorheben: Es ist die überarbeitete Tesi über den Schieferabbau in der Valle Lavagna (Ostligurien), die Marco Cuneo im Jahre 1992 in Genua vorgelegt hatte. Das Werk beginnt mit der Wirtschaftsgeschichte des lokalen Schieferabbaus, es folgt eine ausführliche (20 Abschnitte) Präsentation der Schieferbearbeitung und des zugehörigen Fachwortschatzes. Erst im Anschluss an diese onomasiologische Darstellung werden die ca. 500 Fachwörter als „glossario etimologico“ präsentiert, mit - zusätzlich zur Etymologie - ausführlichen dialektübergreifenden und sprachhistorischen Kommentaren: „eine vorbildliche Leistung - schreibt Max Pfister (2005: 186, 188) - die den neuesten Forschungsstand reflektiert [...], ein Musterbeispiel, wie eine Fachterminologie in einem regional begrenzten Raum untersucht und dargestellt werden soll.“ 4.5 E paròle do gato Nein: „Fachwortschatz“ sind „Parole do gato“ natürlich nicht; so heißen im Genuesischen unflätige Ausdrücke oder Schimpfwörter: Diese sind in jedem Dialekt ein wichtiger Sonderwortschatz; denn die sprachlichen Tabus der Standardsprache mutieren im Dialekt zu Stimulantien der Kommunikation. Es handelt sich - wie auch im Italienischen - überwiegend um entweder abwertende oder auch einfach emphatische Ausdrücke mit meist sexuellen Assoziationen: Das Wort belin etwa ist in Genua mindestens genauso häufig wie das gleichbedeutende italienische cazzo, und es kennt mindestens so viele Ableitungen: belin, belinún, belináta, abelinów, und viele weitere. Belin! als Interjektion zeigt Verwunderung <?page no="68"?> Werner Forner 58 oder Bewunderung des Sprechers, [k Y ] heißt: ‚Was machst du? ‘ usw. Populäre Redewendungen oder Sprichwörter oder Trinklieder oder filastrocche wimmeln von paròle do gato. Diese Blüten der Gosse wurden in den 70er Jahren von Michelangelo Dolcino und dann von Aidano Schmuckher in drei Bänden gesammelt und mehrfach neu und erweitert herausgegeben. Die Blütenlese ist zwar schon beträchtlich, aber von Vollständigkeit ist sie weit entfernt. Das zeigt die Sammlung von Walter Fochesato: insgesamt 6 kleinformatige Bände mit fast 2000 Ausdrücken. Aber auch damit ist die „galleria di invenzioni tipiche della cultura popolare“ (Fochesato 1996: 9) längst nicht lückenlos dokumentiert. (10) E paròle do gáto Dolcino, Michelangelo (1975>)1989; 1978 parolle do gatto; p. de l’amô Schmuckher, Aidano 1981 parolle succide zeneixi De Carlo, Valentino 1994 parolacce genovesi Fochesato, Walter 1995-6, 4 Bde. Belin ! (! , ! ! , ! ! ! , ! ! ! ! ) 2000, 2004 Gundun ! Belinate Diese Jargon-Wörterbücher sind weniger für Linguisten als für die Sprachnutzer gemacht. Aber Linguisten und auch Ethnologen könnten diese als Korpus für weitergehende, z.B. semantische oder semiologische Analysen nutzen, auch kontrastiv zum Standard. Ein ausgesprochen akademisches Interessensgebiet ist hingegen die Sprachbzw. hier: Wortgeschichte. Dort sind spektakuläre Fortschritte erzielt worden. Die möchte ich im folgenden Absatz skizzieren. 5 Ligurische sprachhistorische Lexikographie 5.1 Etymologie versus Wortgeschichte Wir unterscheiden zwischen Wortgeschichte und Etymologie: Auf welches - lateinische oder auch sprachfremde - Wort („Etymon“) geht das zu untersuchende Wort zurück? Welche Wandlungen - Wandlungen der Aussprache/ der Bedeutung/ der Verwendung/ der Verbreitung - hat das Lemma im Lauf der Zeit erfahren? Die etymologische Fragestellung war durch die eingangs zitierten frühen Sprachwissenschaftler schon gut bedient. Viele neue Etyma wurden in den vergangenen 30 Jahren vorgeschlagen, vor allem in den Arbeiten <?page no="69"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 59 von Emilio Azaretti 25 zur historischen Phonetik mehrerer intemelischer Dialekte. Eine vergleichende und etymologische Studie des ligurischen Westens ist das Glossario etimologico comparato von Patrizia Scarsi (1993); es vergleicht alpenligurische Dialekte (Fontan im Royatal; Menton; manchmal Pigna) mit Ventimiglia in Bezug auf 135 Lemmata 26 . Ein gesamtligurischer Versuch ist das Prontuario Etimologico Ligure von Giulia Petracco Sicardi (2001). Ziel ist (laut premessa), „di appagare [...] la curiosità e l’interesse del pubblico ligure per conoscere l’etimologia, ossia il significato originnario [...]“. Die klassischen Etymologien, auch die speziell zu ligurischen Lemmata, werden gut verständlich eingearbeitet 27 , das genannte Ziel ist erreicht. (11) Etymologische Arbeiten (s. Anh. 1) Azaretti, Emilio 1982/ 89/ 90 Ventimiglia, Alpenligurisch Scarsi, Patrizia 1993 ALF: Menton, Fontan, Intemelisch Petracco Sicardi, Giulia 2001 Gesamtligurisch Zusätzlich zum Etymon ist spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jhs. die Wortgeschichte ins Zentrum des lexikologischen Interesses gerückt. Im ligurischen Rahmen war es insbesondere das Wörterbuch von Plomteux (1975), das die sprachhistorische Dokumentation erheblich verbreitert hat, vor allem durch Berücksichtigung der erheblich angewachsenen sprachgeographischen Datenmenge. Diese diatopische Dimension hat sich - wie gezeigt - in den Jahren nach 1975 vervielfacht. Die sprachhistorische Lexikographie steht vor erweiterten Herausforderungen. 25 Vor allem Azarettis historische Phonetiken (zu Ventimiglia, Olivetta, Pigna-Buggio: Azaretti 1982, 1989, 1990) suggerieren neue Etymologien (neue Belege oder Etyma: 393 bzw. 378 in Azaretti 1982 bzw. 1989, diese sind jeweils im Index gekennzeichnet). 26 Korpus ist die Schnittmenge aus den Materialien der zwei klassischen Sprachatlanten (des ALF für Fontan und Menton und des AIS) und das etymolog. Wörterbuch des Pignaskischen von Merlo (1941 ss.); das Material zu Ventimiglia wurde von der Autorin selbst erhoben. Das Glossario ist die leicht überarbeitete Fassung der tesi von 1974. Dieses Datum erklärt, warum z.B. die Punkte des ALP oder des VPL nicht berücksichtigt wurden; es erklärt vielleicht auch die kuriose Klassifikation der jenseits der Staatsgrenze gelegenen alpenligurischen Dialekte als „provenzali“. 27 Das erste Lemma ist abaín ‚lastra di ardesia per il tetto‘. Natürlich figuriert das Lemma auch in der tesi von M. Cuneo von 1992 (cfr. Cuneo 2001: 117 s.), deren Gutachterin Frau Petracco war. Aber diese wichtige Quelle (oder Parallele) bleibt ungenannt. <?page no="70"?> Werner Forner 60 5.2 Sprachhistorische Grundlagenwerke Erheblich angewachsen ist auch die diachrone Dokumentation: Dazu gehören auch Arbeiten zur historischen Phonetik. Viele ligurische (vor allem genuesische) Texte aus vielen Jahrhunderten (seit dem 13. Jh.) wurden entdeckt oder herausgegeben. Das Genuesische gehört zu den Sprachen Italiens, die relativ früh - spätestens seit Beginn des 14. Jhs. - eine umfangreiche literarische Produktion aufzuweisen haben; ein erheblicher Teil davon ist mittlerweile zugänglich gemacht. Hinzu kommen zahlreiche mittellateinische Texte der Region: Jede Gemeinde hatte ihre Statuten, es gibt Vertragswerke zwischen den Gemeinden, notarielle Inventare, u.a.: Diese lateinischen Texte verwenden für viele Bereiche die lokale Lexik in latinisierter Form. Einige dieser mittellateinischen Texte waren schon im 19. Jh. ediert worden, viele wurden in den vergangenen 50 Jahren herausgegeben. Die darin enthaltene lokale Lexik behindert die Lektüre bzw. die historische Forschung; es lohnt sich daher, den lokalen Wortschatz in Form eines Wörterbuchs zugänglich zu machen. Das altehrwürdige Glossarium mediae et infimae latinitatis 28 berücksichtigt die lateinischen Texte aus Ligurien nicht. Ende des 19. Jhs. erschien eine umfangreiche Ligurien-spezifische Entsprechung, das Glossario medioevale ligure des Historikers Girolamo Rossi (1895); mit einem dialektalen Appendice, der 14 Jahre später folgte. Dieses wichtige Forschungsinstrument wurde durch den Historiker Nilo Calvini (1984) erheblich erweitert. Calvini übernimmt von Rossi alle lateinischen Lemmata (gekennzeichnet durch einen Asterisk *), aber ohne die Toponyme und ohne den dialektalen Wortschatz aus dem Appendice. Die erweiterte Quellenbasis (25 weitere Dokumente zusätzlich zu den 76 bei Rossi) ist die Grundlage für zahlreiche neue Lemmata, Bedeutungen und Phraseologien. Als Beispiel für die Infrastruktur gebe ich ein Facsimile des Eintrags für Artischocken, die in den ligurischen (und norditalienischen) Dialekten fast genauso heißen wie im Deutschen, nämlich articiocca: 28 Begonnen 1678, endgültige Fassung: Du Cange 1883-1887. <?page no="71"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 61 (12) Artischocken bei Calvini (1984): Das Lemma Artiplex ist von Rossi übernommen; das sieht man an dem Sternchen. Hinzugekommen ist eine weitere Variante mit einer zusätzlichen Bedeutung, nämlich torta ‚(Artischocken-)Torte‘; diese ist vielfach und in unterschiedlichen graphischen Varianten belegt (c). Beide Einträge nennen zunächst das Lemma mit der Übersetzung (a), dann (Teil b) den Beleg mit Quellenangabe. Der Beleg für artiplex entstammt den Statuta communitatis Levanti, editio I a : Payta 1529; dieser Eintrag verrät leider nur das Jahr der Publikation, die Statuten selbst können erheblich älter sein; für eine Datierung sind also zusätzliche Recherchen erforderlich. Die zitierten Lemmata - auch artiplex - haben vermutlich phonetisch identische Stämme, nämlich / artit k+/ . Wie ist das möglich? Für die palatalen Laute - z.B. hier für / t / bietet das lateinische Alphabet kein Graphem, man half sich u.a. mit Digrammata 29 : zB. Konsonant + Palatalisierungssignal <i> (<kio-> = [t o-]), oder <pl> oder <cl>; man nahm also 29 Im Ms. des Anonimo Genovese finden sich viel analoge Graphien, sie sind aufgelistet in Nicolas (1994: CXXX-CXXXV). <?page no="72"?> Werner Forner 62 denjenigen lateinischen Nexus, der im Ligurischen regelmäßig in palataler Gestalt auftritt (z.B. PLANU = t Ð! <{ º áve). Das graphische Lemma artiplex steht also für phonetisches [artit k+_] oder sogar [artit k+_] plus Nominalendung. Ein weiteres, extrem bedeutendes Instrument für historische Wortforschung erschien zur Jahrtausendwende: die vier Bände des Vocabolario Ligure Storico-@ 0 - (VLSB) von Sergio Aprosio (2001- 2003). Aprosio hat das ehrgeizige Ziel, den gesamten ligurischen Wortschatz (incl. Topo- und Anthroponyme), der in Publikationen aus zehn Jahrhunderten aufgetaucht ist, bibliographisch zu erfassen. Jedem Lemma sind die bibliographischen Referenzen und oft nur diese beigefügt; dort muss der Worthistoriker nachschlagen, um die nötigen Angaben (zu Semantik, Verwendung etc.) für seine Wortgeschichte zu finden. Der Katalog dieser Quellen umfasst ca. 800 Publikationen! Ein Drittel davon sind lateinische Texte aus dem 10. bis 16. Jh. sowie Arbeiten über lateinische Lemmata, auch die Glossari von Rossi und von Calvini. Die restlichen Quellen betreffen die dialektalen Lemmata; das sind einerseits metasprachliche Publikationen (linguistische Analysen, Dialektwörterbücher), andererseits Dialekttexte bis zum 18. Jh.; spätere Dialekttexte sind nicht berücksichtigt, außer solche aus der Provinz Savona. Das Vocabolario gliedert sich in zwei Teile: Parte prima - Latino und Parte seconda - Volgare e Dialetto; jeder der beiden Teile besteht aus zwei Bänden. Gesamtumfang: 2.284 Seiten. Lemmatisiert wird grundsätzlich die Form, die in den Quellen auftaucht, Wörter, die in zwei Formen auftauchen - z.B. als Akkusativ und als Nominativ - werden wie zwei Lemmata behandelt, mit einem Verweis auf die Parallelform. Auch die dialektalen vs. lateinischen Entsprechungen und die Varianten werden durch Verweise erschlossen. Auch dieses Mammut-Unternehmen möchte ich mit einem Parallelbeispiel aus den beiden Teilen (Latein/ Dialekt) illustrieren - bleiben wir bei den Artischocken! <?page no="73"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 63 (13) VLSB I - Latino a Lemma mit Übersetzung b Quelle mit Beleg c Verweise (auf D = im dialektalen Teil, bzw. auf Varianten im Teil L = Latein) Wie bei Calvini (1984) finden wir die beiden Bedeutungen (Pflanze und Torte). Der dialektale Teil II (s. dazu (14)) bietet etwas ausführlichere Verweise (c). Es fällt auf, dass die Bedeutung ‚Torte‘ hier nicht auftaucht. (14) VLSB II - Volgare e Dialetto a Lemma mit Übersetzung b Quelle mit Beleg c Verweise (auf D/ L), + Etymon (c1), + Parallelen (c2). Die Bände von Calvini (1984) und insbesondere Aprosio (VLSB I und II) sind enorm wertvolle Hilfsmittel für jemanden, der ein wortgeschichtliches Wörterbuch erstellen will. Was sich noch ausbauen lässt, ist die Belegsituation in den literarischen Texten, insbesondere in den vielen <?page no="74"?> Werner Forner 64 Texten, die bis zum Redaktionsschluss des VLSB - d.h. bis 1989 - noch nicht publiziert waren. Die Grundlage für eine erweiterte Textpräsenz - also die Edition unbekannter Texte und Neuedition bekannter Texte - wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten in bemerkenswertem Umfang geschaffen, in erster Linie durch Fiorenzo Toso 30 . 5.3 Ein umfassendes historisch-vergleichend-etymologisches Wörterbuch Ein anspruchsvolles historisches Wörterbuch zum Ligurischen wird versuchen, diese vielfachen Quellen zusammenzuführen: Die areale Verteilung (VPL), die historischen Dokumente (VLSB) und die literarischen Belege. Genau dies hat sich Fiorenzo Toso vorgenommen, mit seinem dreibändigen Dizionario Etimologico Storico Tabarchino (DEST), von dem bislang Band I erschienen ist (Toso 2004, s. Anh. 2). Das DEST ist vieles auf einmal: - Es ist ein Dizionario Tabarchino, d.h. es behandelt den - in etwa - genuesischen Dialekt, der auf zwei süd-sardischen Inseln (in Carloforte und in Calasetta) eifrig gesprochen und gepflegt wird; die Mundart heißt Tabarchino, weil die Sprecher die Nachfahren genuesischer Siedler (Händler und Korallenfischer) der kleinen Insel Tabarca (nördlich von Tunis) sind; Tabarca war seit dem 16. Jh. eine genuesische Handelsniederlassung, musste aber im späten 18. Jh. aufgegeben werden 31 . Das Dizionario Tabarchino erfasst zu jedem Lemma alle Bedeutungsvarianten (incl. die fachlichen Bedeutungen, s.u.), die jeweils detailliert und exakt definiert und mit einem Textbeispiel illustriert werden. Die häufige morphologische Variation (z.B. ~ Pl. ‚Hund‘) ist im Allgemeinen durch die Beispiele belegt. Die Lexik des Dialekts wird eingeordnet in das lokale ethnographisch-historische Bedingungsgefüge und in die kontaktbedingten Eigenheiten (Sprachkontakt zu Sardisch-Arabisch- Spanisch-Französisch-Sizilianisch-Italienisch, auch und bes. zu Genua). 30 Viele kleinere Texte sind (u.a.) in Tosos Reihe A parma. Colleçion de lettiatûa (Nr. 1-31, Verlag Le Mani, Recco) erschienen. Ferner ist Toso Autor von drei großen Anthologien der ligurischen Tradition, die auch weniger bekannte Autoren zu Wort kommen lässt (Toso 1989-91: 8 Bde.; bzw. 1999-2001: 3 großformatige Bde.; bzw. 2009a: 7 Bde.). 31 Ausführlich und systematisch zur Geschichte, zu Sprachkontakten und zur sozialen Situation des Tabarkinischen s. Toso (2003) und bes. (2004): Das Buch korrigiert viele Ansichten aus früheren Publikationen zum Tabarkinischen. Zu Einflüssen auf den lexikalischen Bestand s. in Toso (2008b: 143-217), die Kapitel 8,9,10 über „stratigrafie lessicali, i foresterismi, i sardismi in tabarchino“. <?page no="75"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 65 - Es ist zugleich ein Dizionario panligure in dem Sinn, dass es Hinweise gibt auf Parallelen in der gesamten ligurischen Dialektlandschaft, und darüber hinaus. Hauptquelle hierfür ist das VPL. Die areale Distribution ist oft ein Indikator für die Wortgeschichte. 90% der tabarkinischen Lexik ist genuesisch; das Dizionario ist also weitgehend auch ein „genuesisches“ historisches und etymologisches Wörterbuch. - Es ist ein Dizionario etimologico: Es nennt - soweit die Herleitung unzweifelhaft erscheint - das Etymon und die Quelle; in weniger sicheren Fällen werden mit großer Sachkenntnis alternative etymologische Zuweisungen diskutiert. - Es ist ein Dizionario storico: Es liefert die jeweilige Wortgeschichte. Zu dem Zweck verwendet Toso einerseits die in den genannten Forschungsinstrumenten bereitgestellten Informationen, darüber hinaus bietet er eine Vielzahl von Belegen aus der ligurischen Texttradition. Das ergibt ein für einen „Dialekt“ erstaunlich engmaschiges Zeitraster. - Tosos Dizionario ist schließlich auch ein historisches Fachwörterbuch des Tabarchino: Dokumentiert werden unter dem jeweiligen Lemma zahlreiche alte bzw. aktuelle Fachgebiete, wie Korallenfischerei, Salzgewinnung, Thunfischfang, Schiffsbau, Weinbau, Bienenzucht etc., jeweils mit einer genauen Beschreibung. Jeder Artikel besteht aus zwei Teilen: Teil I erfasst - beschreibend - die lokalen Informationen; bei polysemen Lemmata kann dieser Teil umfangreich werden. Teil II enthält die analytischen Informationen: Wortgeschichte - Etymon - Verbreitung. Das Lemma wird jeweils in zwei Gestalten präsentiert: in der grafia unificata von 2001 32 und in phonetischer Transkription nach dem System des LEI. Die Einträge sind in gut verständlicher Sprache geschrieben. Die Tabarchini können „ihr“ Wörterbuch mit Gewinn und Genuss lesen. Als Beispiel wähle ich wieder die Artischocke. Der erste Teil des Artikels - die lokale Dokumentation - ist bei diesem Lemma zwar untypisch kurz. Aber der kulturhistorische zweite Teil belegt einen Weg unseres Wortes, der vielleicht nicht jedem (auch übrigens nicht jedem etymologischen Wörterbuch) bekannt war. Grund: Herr Toso ist über die zitierten Hilfsmittel (von Rossi bis Aprosio) hinausgegangen und hat die Datierung der Statuta communitatis Levanti (des Erstbelegs) ermittelt. 32 Auf diese von Toso vorgeschlagene gemeinsame Graphie einigten sich die beiden Gemeinden im Oktober 2001. Beschreibung s. DEST pp. 19-22, ausführliche Begründung s. Toso (2003: 255-297 und 2005: 43-63). Die tabarkinische Grammatik (Toso 2005) verwendet diese Graphie. <?page no="76"?> Werner Forner 66 (15) DEST I - Articiocca <?page no="77"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 67 a Lemma + Ort (Calasetta) + gramm. Kategorie + Übersetzung incl. fachliche Definition b Phraseologie c Etymon d Wortgeschichte e Areologie 6 Lexikalische Rekonstruktion: „Il ligure coloniale“ Der Begriff ligure coloniale meint die Präsenz ligurischer Idiome (im Plural! ) außerhalb des Mutterlandes. Es handelt sich dabei entweder um ehemalige „Kolonien“ als Gegenstand politischer Planung oder auch um anders bedingte Emigrationen; jedenfalls um kompakte Bevölkerungsverschiebungen, bei denen das heimische Idiom mit exportiert wurde. Die „Kolonien“ bestehen meist nicht mehr. Was aber geschah mit der Sprache? Spurlos verschwunden, vermischt mit der Nachbarsprache oder erhalten? Über diese „kolonialen“ Varianten bzw. fossilen Reste ehemaliger ligurischer Varianten ist gerade in den letzten Jahren viel geforscht worden, auch in lexikographischer Hinsicht. Die Ergebnisse sollen hier kurz dokumentiert werden. Doch zuvor möchte ich das Panorama der - aktuellen oder ehemaligen - ligurischen Sprachinseln kurz vorstellen. 6.1 Ligurische Sprachinseln Das wirtschaftlich erstarkende Genua hatte im Hochmittelalter und danach ein umfassendes „Commonwealth“ aufgebaut: An strategisch wichtigen Stellen wurden spätestens seit Beginn des 13. Jhs. Handelskontore mit Ansiedlungen eingerichtet, die den Warenaustausch vor Ort und die Handelswege sicherstellen sollten. Der erheblichere Teil des Fernhandels ging zunächst Richtung Osten: Im Schwarzen Meer standen mehrere genuesische Handelskontore zur Verfügung; Hauptumschlagplatz war - für ca. drei Jahrhunderte - die genuesische Festung und Stadt Caffa auf der Krim (heute: Feodosija). Weitere Niederlassungen sicherten den Zugang: eine größere genuesische Kolonie (Pera) bestand im heutigen Istanbul, mehrere in der Ägäis, in Konkurrenz zu der zweiten Großmacht, Venedig. Besonders wichtig war hier der Standort Chios (der Hafen mit der Stadt und auch das fruchtbare Hinterland): Diese Insel blieb mehr als 200 Jahre in genuesischer Hand, bis zur osmanischen Eroberung im Jahre <?page no="78"?> Werner Forner 68 1566 (also mehr als ein Jahrhundert nach dem Fall von Konstantinopel, 1453), und selbst danach wurden der genuesischen Bevölkerung von Chios Bleiberechte und Handelsprivilegien eingeräumt 33 . Es stellt sich die Frage, ob diese mehrere Jahrhunderte währende Präsenz Genuas Spuren hinterlassen hat. Durch die Eroberungen der Osmanen wurde der sehr lebhafte und sehr lukrative Osthandel stark eingeschränkt. Genua richtete sich daraufhin stärker als zuvor nach Süden und Westen aus. Die Besiedlung der tunesischen Insel Tabarka im 16. Jh., die wir schon kennen gelernt haben, gehört in diesen zweiten Strang der genuesischen Wirtschaftspolitik. Wir haben schon gesehen, dass auf Tabarka die Sprache Genuas zwei Jahrhunderte lang intakt geblieben war, so dass sie im 18. Jh. nach Südsardinien hatte exportiert werden können. Deutliche sprachliche Spuren hat übrigens auch der nicht-überseeische Handel hinterlassen: - Die Via Aurelia entlang der Küste, die Handelsstraßen, die über die Apenninpässe führten, sie alle weisen in den Hauptorten bis heute Merkmale des Altgenuesischen/ Genuesischen auf, die sie von unmittelbaren Nachbardialekten unterscheiden 34 . Grund ist auch hier eine genuesische „Besiedlung“: die Stadtverwaltungen, das Militär wurden mit Bürgern der Hauptstadt ausgestattet, Vertreter des genuesischen Adels erhielten dort attraktive Feudalherrschaften (Petracco Sicardi 1992: 14) - kurz, es gab am Ort Prestigeträger, und die sprachen Genuesisch; und die Einheimischen hatten Interesse, sich auch sprachlich an diesen importierten Standard anzupassen. - Auf Besiedlung (durch Grimaldi mit seinen Getreuen) beruht auch die sprachliche Eigenständigkeit von Monaco. Die Siedler von Monaco stammten - entgegen dem Wortlaut der historischen Zeugnisse - nicht aus Genua, sondern aus Westligurien, wie Arveiller (1967: 145-211) auch 33 Zur Geschichte, Besiedlungsform, kommerziellen Relevanz von Chios s. Toso (2004a: 75-91). Einen Überblick über die genuesischen und vor allem die venezianischen Niederlassungen und lexikalischen Entlehnungen gibt Fanciullo (2008) (geschrieben offenbar vor 2004). 34 Im Arrosciatal: Pieve di Teco, ferner jenseits des Passes zum Piemont, im Tanarotal: Ormea; im Scriviatal: Busalla; Prov. Alessandria: Gavi, Novi Ligure, u.a.; Ottone, Groppallo u.a. in der Prov. Piacenza; Borgo Taro u.a. in der Prov. Parma. Der Stadtdialekt von Varese Ligure (oberes Varatal, Prov. La Spezia) weicht durch seine genuesischen Merkmale deutlich von den Dialekten derselben Talschaft und sogar seiner eigenen frazioni ab. Nachgewiesen sind für Varese nur strukturelle Abweichungen (Phonetik, Morphologie) (s. Forner 1988); lexikalische Abweichungen sind natürlich nicht ausgeschlossen. <?page no="79"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 69 lexikologisch - anhand der spärlichen Hilfsmittel seiner Zeit (AIS und wenige Dialekt-Wörterbücher) - nachweisen konnte; der Befund ließe sich heute präzisieren. - Portovenere (im Golf von La Spezia) ist eine altgenuesische Sprachinsel im cinqueterrinischen Umfeld 35 . Ob auch der Wortschatz diesen Sprachinsel-Charakter bestätigt, ist nicht erforscht. - Bei Sprachmischungen ist die Unterscheidung zwischen Substrat und Superstrat nicht immer möglich. Das gilt auch für die Mischzone nördlich von Savona 36 . Auch eine gute lexikalische Studie (Hohnerlein- Buchinger 2001) anhand von 94 typischen Lexemen (typisch für die potentiellen Einfluss-Areale) zeigt zwar deutlich die Vielfalt der kulturellen Einflüsse, aber natürlich nicht deren zeitliche Reihenfolge. - Zum genuesischen Areal gehörte auch Korsika (500 Jahre lang, bis es 1768 definitiv französisch wurde). Die Städte auf Korsika sind genuesische Gründungen (neben Bonifacio auch Ajaccio, Calvi, Bastia); die Städte waren von Genuesen bewohnt. Auch hier stellt sich die Frage nach sprachlichen Spuren in den jeweiligen korsischen Mundarten. Eine Sprachmischung Altgenuesisch ~ Südkorsisch hat es vor den Toren von Bonifacio gegeben, in Portovecchio war sie noch Mitte des 20. Jhs. präsent. Von Südkorsika aus wurden Gebiete in Nordsardinien besiedelt (Gallura, die Insel Maddalena), ferner - vom westlichen Zentrum Korsikas aus - Sassari. Wir finden daher auch in nordsardinischen Mundarten genuesisches Wortgut in bemerkenswertem Umfang. Auch der Dialekt der Insel Capraia - 31 km östlich vom Cap Corse - ist stark durch genuesische Lexik geprägt, die in Südkorsika verdrängt wurde. Andere Sprachinseln erklären sich nicht aus der Wirtschaftspolitik der Superba: Verschiedene galloitalische Sprachinseln bei Potenza (Basilicata) und in Sizilien wurden - wie es scheint - von Bewohnern aus dem sehr armen ligurisch-piemontesischen Übergangsgebiet besiedelt. Das lässt sich - neben strukturellen Merkmalen - auch aus dem Wortschatz schlie- 35 Die Bevölkerung von Portovenere war ab Mitte des 12. Jhs. zwei Jahrhunderte lang dualistisch (einheimisch vs. genuesisch) organisiert; die genuesische Herrenschicht besaß ein eigenes castrum (für eine genuesische Garnison von 40 wechselnden Soldaten) und einen eigenen burgus. Die strukturellen Merkmale, die Portovenere von den benachbarten Cinqueterre unterscheiden, gehören alle dem Altgenuesischen an. Näheres s. Forner (2008a: 295-302). 36 Die historischen Konstellationen und die areallinguistische Verteilung deuten vielleicht auf lombardische Einflüsse (Toso 2001a); umgekehrt belegen kontaktlinguistische Evidenzen ein süd-monferrinisch-longarolisches Substrat, das von genuesischen Lösungen verdrängt wurde (z.B. tét u TECTU wurde von téjtu verdrängt, nicht umgekehrt: Forner 2008c). <?page no="80"?> Werner Forner 70 ßen. Unmittelbar westlich von Nizza gab es vier westligurische Sprachinseln, deren Sprache genannt figun - seit ca. einem Jahrhundert ausgestorben ist, aber in wenigen Dokumenten überliefert ist 37 . Eine Mischung aus Armut bei den Betroffenen und Fachkräftemangel im Empfängerland führte dazu, dass an der Besiedlung der britischen Kronkolonie Gibraltar ab Anfang des 18. Jhs. (und schon vorher) ligurische Seeleute und Fischer erheblich beteiligt waren, die meisten hatten sich an der Catalan Bay (La Caleta) niedergelassen, und dort wurde Genuesisch mindestens bis 1920 gesprochen. Zahlreiche Spuren davon überlebten in der lokalen südspanischen Umgangssprache, dem llanito, oder speziell in La Caleta. Schließlich führte eine massive Auswanderungsbewegung aus allen italienischen Regionen, auch aus Ligurien, vor allem ab Mitte des 19. Jhs. in die Neue Welt, besonders an die Mündung des Plata (nach Buenos Aires und Montevideo). Die ligurischen Auswanderer brachten zu einem Großteil Berufserfahrungen mit (als Unternehmer - Handwerker - Kaufleute - Hafenarbeiter...); sie lebten und arbeiteten bevorzugt in einem südlichen Stadtteil von Buenos Aires, der Boca. Dort hatten die Genuesen seit Mitte des 19. Jhs. eine eigene florierende Schiffsindustrie und den entsprechenden Handel aufgebaut. An der Boca sprach man lange - bis 1930/ 1940 - überwiegend Genuesisch. Genuesisch - nicht Spanisch - war jedenfalls um 1900 in Buenos Aires die Sprache der Schiffsindustrie. Durch diese Erfolge und durch das höhere Ausbildungsprofil unterschieden sich die „Genuesen“ von den anderen Einwanderern: Diese besaßen oft keine beruflichen Kenntnisse, sie wohnten in Wohnblocks gemeinsam mit Einwanderern aus anderen italienischen Regionen und mit spanischsprachigen Wirtschaftsflüchtlingen aus Viehzucht-Gebieten (diese Wirtschaftsform war seit Mitte des 19. Jhs. in eine Existenzkrise geraten). Diese größere Gruppe von Immigranten war von daher in eine sprachliche Vielfalt gezwungen, der sie nicht gewachsen war. Ergebnis war dort eine Verständigungsform, die keinem der Idiome entsprach. Diese Mischsprache erhielt den Namen Cocoliche. Das Cocoliche wurde das Erkennungszeichen, der hörbare Fingerabdruck der Einwanderer, es wurde zu komischen Zwecken auf populäre Bühnen gestellt, sicherlich in übertriebener Form 38 . 37 Es handelt sich um: Biot und Vallauris (bei Antibes), Mons und Escragnolles (bei Grasse). Eine erschöpfende Analyse der wenigen verbliebenen Sprachzeugnisse bietet Toso (2008b: 241-281); deren Vokabular ist in Toso (2011) zusammengestellt (s. Anh. 2). 38 Die literarische Tradition in Argentinien behauptet zwar die Existenz eines genuesischen Cocoliche, und die linguistische Literatur hat diese Annahme weit- <?page no="81"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 71 Aus der Sprachenvielfalt erwuchs am Plata noch eine zweite Sprachform, die ebenfalls medial vervielfältigt wurde, nämlich durch die Tangotexte: das Lunfardo, eine lexikalisch markierte Sondersprache. Das Lunfardo gilt heute als die Argentinien-typische Umgangssprache. Viele Lunfardismen entstammen dem Ligurischen. 6.2 Lexikalische Relikte in ehemaligen Sprachinseln In all den genannten ehemaligen „Sprachinseln“ ist ligurischer Wortschatz in durchaus bemerkenswertem Umfang entdeckt worden. Im folgenden Schema verzichte ich auf qualitative Ergebnisse 39 , ich vermerke nur den Umfang (Anzahl der ligurischen Lexeme) und die bibliographischen Angaben; diese verweisen auf die Liste in Anhang 2. (16) „Lexikalische Archäologie“ (s. Anh. 2) Ort Autoren Lexik Komm. „Mischzone“ Hohnerlein-Buchinger (2001) 94 Korsisch Hohnerlein-Buchinger (2002) 180 (1) Chios (und Ägäis) Roveda (1993) Cortelazzo (1999= 2008) Toso (2004a: 61-65) 101 (2) Capraia Toso (2008b: 111-132) 147 (3) Maddalena (u. Nordsardinien) Toso (2009: 124-135) 364 (4) Basilicata (Potenza) Toso (2008b: 226-231) ( 25 ) (5) Gibraltar Kramer (1986: 76-80) (Stadt) Toso (2008c: 313-317)(Caleta) 36 126 (6) Lunfardo (Argentinisch) Toso (2005: 174-190) Veith (2010) 93 (7) gehend übernommen. Aber „genuesisch“ sind in den entsprechenden literarischen Texten nur die Figuren, das von ihnen verwendete Cocoliche enthält keine spezifischen Merkmale des Ligurischen. Andere - seltene - Texte mischen zwar Genuesisch und Spanisch, aber diese Mischung ist dann funktional; sie verrät gerade ein erhöhtes Sprachbewusstsein. Es gibt kein empirisches Argument für die Existenz eines spezifischen „genuesischen“ Cocoliche, wohl aber gibt es Zeitzeugen dafür, dass Genuesisch noch 1930 lebendig war, s. Forner (2012). Der genuesische Anteil des Lunfardo erklärt sich demnach nicht als Übernahme aus dem „genuesischen“ Cocoliche, sondern aus dem am Ort gesprochenen „echten“ Genuesisch. 39 Eine Einteilung des Wortschatzes in Wortfelder und in historische Strata erlaubt Rückschlüsse auf Besiedlungszeit, Besiedlungsart, Kontinuität der Kontakte mit dem Mutterland, Domänen des Genuesischen. Diese Analysen finden sich in den zitierten Arbeiten; sie können hier nicht ausgeführt werden. <?page no="82"?> Werner Forner 72 Kommentare: (1) Neben dem lexikalischen Einfluss sind auch strukturelle Einflüsse - genuesische und alpenligurische Einflüsse - auf die korsischen Dialekte von Ajaccio und Calvi u.a. nachgewiesen (Toso 2008a und 2008b: 65-101). Toso (2008a: 194 s.) nennt auch (zusätzlich zu den allgemein-korsischen Ligurismen) zwölf Ajaccio-spezifische Lemmata. Im Gegensatz zur traditionellen Lehrmeinung hat also das Genuesische in Korsika durchaus einen sprachlichen Einfluss ausgeübt. (2) Grundlagen sind Sammlungen zum „italienischen“ Wortschatz in griechischen Dialekten. Gezählt wurden hier nur die Lemmata, die durch vor allem phonetische Indizien als genuesisch ausgewiesen sind. Andere Lemmata sind mit demselben Kriterium als venezianisch bestimmbar. Der größte Teil der italienischen Entlehnungen verrät nichts über die regionale Herkunft; ein Teil dieser Gruppe dürfte ebenfalls aus Genua stammen, wurde hier aber nicht mitgezählt. Deutlich ist jedenfalls, dass die traditionelle philologische Meinung, der genuesische Einfluss auf den griechischen Wortschatz sei minimal, nicht zutrifft 40 . ( 3) Was Toso (2008b: 111-132) zur Lexik von Capraia bietet, ist ein ausführliches historisch-vergleichendes Wörterbuch der Ligurismen. Eine Skizze der sprachexternen Kontakte der Insel geht dem Wörterbuch-Teil voraus (pp. 104-110). Eine reduzierte lexikalische Liste mit 86 Lemmata war schon in Toso (2002: 68-71) erschienen. Auf den nicht nur sporadischen lexikalischen Einfluss des Ligurischen hatte zuvor Nesi (1986: 84- 87) anhand von 20 Lemmata hingewiesen. (4) Diese Zahl ist nicht erschöpfend, weder für die Maddalena noch für Nordsardinien. Auch die Gallura und das Sassarese haben aus der südkorsischen Immigration zahlreiche Ligurismen übernommen. Über die Besiedlungsgeschichte, über sprachexterne und sprachinterne Charakteristika dieser drei korsischen Dialekte im Norden Sardiniens informiert jetzt Toso (2012: 23-93). 40 Die italienischen Entlehnungen in regionalen Varianten des Neugriechischen sind laut Fanciullo (2008: 191) „un argomento ancora tutto da esplorare nelle sue non poche sfaccettature“. Er stellt ein dreiteiliges Forschungsprogramm auf (p. 198 s.): 1. Venetismen; 2. durch Venedig vermittelte Italianismen; 3. nicht durch Venedig vermittelte Italianismen (vor allem des 20. Jhs.). Der Katalog hat eine Lücke: Fanciullo hat die Genuesismen vergessen! <?page no="83"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 73 (5) Bei den 25 Wörtern handelt es sich nicht etwa um den Wortschatz, den die galloitalische Gruppe um Potenza mit ligurischen (oder piemontesischen) Dialekten gemeinsam hat - das ergäbe sicher eine größere Zahl; sondern es handelt sich um Lemmata, die geeignet sind, die Herkunft dieser Dialekte einzugrenzen. Als Ursprungsgebiet kann mit diesem lexikalischen Kriterium die „Mischzone“ um Sassello identifiziert werden, wie schon vorher (in demselben Aufsatz) anhand von phonologischen und morphologischen Kriterien. (6) Bei den in Toso (2008c) gesammelten Belegen handelt es sich um Lemmata speziell im Dialekt von La Caleta (am östlichen Ufer der Halbinsel), nicht in der südspanischen Variante von Gibraltar (Yanito). Eine umfassendere Enquête in La Caleta ist in Arbeit. La Caleta war intensiver als die Stadt (und schon vor der britischen Übernahme 1704 bzw. 1713) mit ligurischen Seeleuten besiedelt worden, die Wirtschaftsformen waren dort ausschließlich mit dem Meer verknüpft, Genuesisch war die „Sprache des Meeres“, es blieb daher länger als in der Stadt - bis etwa 1920 - die übliche interne Kommunikationsform, einige Genuesisch-Sprecher sind noch nach Mitte des 20. Jhs. bezeugt (Toso 2008c: 305-311, 2003a: 102- 111). Toso (2003a: 74-101) enthält ferner ein ausführliches Lexikon der ligurischen Anthroponomastik in La Caleta. Kramer (1986) entnimmt dem Yanito-Wörterbuch von M. Cavilla eine Sammlung von 41 Italianismen; nur fünf davon sind nicht genuesisch. (7) Das Lunfardo ist lexikalisch gut erfasst. Auf dieser Grundlage stellt Toso (2005) ein gut dokumentiertes Wörterbuch speziell zu Italianismen mit ligurischem Ursprung auf, mit ausführlichen diasystemischen Angaben zu jedem Lemma und zu den häufigen Bedeutungswandlungen gegenüber der ursprünglichen Bedeutung. Tosos Buch enthält zahlreiche wertvolle Textdokumente zur ligurischen Präsenz an der Mündung des Plata, auch zu weiteren genuesischen Sprachinseln in Südamerika. Nicht speziell Genua-zentriert - und anscheinend unabhängig von Tosos Buch entstanden - ist das Wörterbuch von Veith (2010 [ 1 2009]) zu den Italianismen im Lunfardo. 7 Ausblick Der Bericht über die Expansion der ligurischen Lexikographie in den vergangenen 40 Jahren liest sich wie eine Success-story: <?page no="84"?> Werner Forner 74 Da wurde zunächst in der gesamten Region eine Infrastruktur ausgebaut; dadurch wurden die intellektuellen Potentiale in der Bevölkerung mobilisiert, die Einzeldialekte aufgewertet, und zugleich wurden so die im Dialekt ausgedrückten Lebenswirklichkeiten in den Fokus gerückt. Dies war der Humus für ein exzellentes Forschungsinstrument, das VPL, ohne das die nachfolgende vergleichende Lexikographie - aber auch strukturelle Forschungsansätze - nicht möglich gewesen wären. Frucht ist indirekt auch die explosionsartige Zunahme von Einzelwörterbüchern. Ausgebaut wurde auch die Carta dei Dialetti Italiani CDI, die aber leider nur in Form von handschriftlichen Dateien und nur an wenigen Orten (u.a. Universität Padua) zugänglich ist. Neben diesem diatopischen Ausbau gab es auch historische Updates: Die Quellen wurden zugänglich gemacht; einerseits die dialektalen Elemente in spätlateinischen Texten, andererseits das lexikalische Material in den zahlreichen dialektalen Texten. Genauso wichtig wie die Erfassung in bibliographischen Wörterbüchern war die umfangreiche Edition von Texten, denn dadurch steht die Lexik in elektronischer Form, also abfragbar, zur Verfügung. Ohne diese zwei Typen von Hilfsmitteln wäre ein historisch-vergleichendes Wörterbuch wie das DEST oder auch die Arbeiten zur lexikologischen Archäologie nicht denkbar. Die Früchte, die auf diesen zwei Grundlagen sprießen, überzeugen nicht nur durch ihre Masse. Qualitative Fortschritte sind der erweiterte Wissensstand zu Geschichte und Verbreitung ligurischer Varianten und zu ethnographischen Domänen des Dialekts, damit verbunden auch der Wissenszuwachs über Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte. Es konnten durch lexikalische Analysen auch Fehleinschätzungen korrigiert werden, etwa der Mythos des fehlenden genuesischen Einflusses in der Levante oder auf Korsika, oder die „romantische“ Einschätzung der Inseldialekte (Südsardinien bzw. Bonifacio) als abgeschiedene Fischerdialekte. Wünschenswert sind natürlich analoge Arbeiten zu ligurischen Arealen außerhalb des genuesischen Einflussgebietes. Das Alpenligurische ist - wie gezeigt - mittlerweile relativ gut versorgt; eine kritische Auswertung der dort gesammelten Daten steht noch aus. Noch unterversorgt sind hingegen - trotz der genannten Einzelglossare - die „Mischzone“ und das Areal Cinque Terre - La Spezia; wünschenswert sind insbesondere Vergleiche mit der Lexik der angrenzenden Areale (u.a. mit dem Wortschatz des südpiemontesischen Streifens, bzw. dem der oberen Lunigiana); diese könnten Anhaltspunkte liefern zur Beantwortung der Frage: Welche Sprache war in diesen Arealen vor der genuesischen Durchdringung heimisch? Schließlich wäre auf der Basis des vorhan- <?page no="85"?> Zum Stand der Lexikographie im Ligurischen 75 denen Materials eine kartographische Erfassung der Präsenz/ Absenz lexikalischer Typen in Ligurien bzw. in ligurischen Arealen mit Hilfe von Isolexen (lexikalischen Isoglossen) 41 machbar; die Isolexe dürften sich an bestimmten Stellen bündeln und würden lexikalische Areale voneinander abgrenzen (die nicht unbedingt mit den phonetisch-morphologisch definierten Arealen der Karte 1 übereinstimmen müssen) und sie würden - mehr als die strukturalen Isoglossen - Denkanstöße liefern über frühere wirtschaftliche bzw. kulturelle Einflusszonen. Literaturverzeichnis AIS = Jaberg, K./ Jud, J. (1928-1940): Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz, 8 vols., Zofingen: Ringier. ALEIC = Bottiglioni, Gino (1935 ss.): Atlante linguistico etnografico della Corsica, Pisa. 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Ihre Erstellung und Publikation erfüllt nicht nur einen dokumentarischen, sondern vielfach auch einen normativen (Regelerstellung und -fixierung) und prestigefördernden Zweck (die Sprache wird von den eigenen Sprechern ernster genommen). Insofern kreuzen sich bei diesem Themenkomplex wissenschaftliche mit einer ganzen Reihe von außerwissenschaftlichen Herangehensweisen (vgl. Dazzi/ Gross 1989: 897). Grundsätzlich können wir festhalten, dass die bestehenden dolomitenladinischen Wörterbücher eine wichtige Informationsquelle und ein ebenso wichtiges Zeitdokument darstellen; ebenso, dass bei ihnen der Dokumentationszweck im Vergleich zum Konsultationszweck vielfach (anders als bei Wörterbüchern in Großsprachen) im Vordergrund steht und sie deswegen in der Regel Exhaustivität anstreben (so bereits deutlich Rossi 1914, vgl. Chiocchetti, F. 1999: 150; vgl. auch Videsott/ Plangg 1998 1 ). Die dolomitenladinischen Wörterbücher sind in der Regel kleinbis mittelräumige Wörterbücher (vgl. Spiess 1997: 451-455), die den Wortschatz einer spezifischen Ort- oder Talschaft zu sammeln versuchen und möglichst ausführlich in seiner phonetischen, morphologischen und semantischen Besonderheit dokumentieren wollen. Durch die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der dolomitenladinischen Mundarten ist auch der Bestand an Wörterbüchern - für eine Minderheitensprache in der Größenordnung von ca. 35.000 Sprechern - ziemlich relevant, umgekehrt sind bis heute gesamtladinisch ausgerichtete Wörterbücher eher die Ausnahme geblieben (Alton 1879, DLS 2001; auch das EWD berücksichtigt - wie bereits sein Vorgänger EWG -, ausgehend vom 1 In der Einleitung wird als Hauptzweck angegeben: „den traditionellen Wortschatz des Mareo (dt. Ennebergisch, it. Marebbano) möglichst vollständig anzuführen und für Einheimische und Wissenschaftler zu dokumentieren und zugänglich zu machen“ (Videsott/ Plangg 1998: 13). <?page no="98"?> Ruth Videsott 88 gadertalischen Lemma, die Parallelformen der anderen Täler). Dies führt zur Frage, inwieweit Wörterbücher insbesondere bei Minderheitensprachen auch ein Spiegelbild der Sprachidentität sind bzw. identitätsstiftend wirken können. Nicht zu übersehen ist schließlich die Tatsache, dass gerade bei Minderheitensprachen Wörterbücher (etwa im Bereich der Neologismen) eine Realität nicht nur abbilden, sondern auch erst schaffen können. Im Folgenden soll es nicht darum gehen, alle existierenden dolomitenladinischen Wörterbücher chronologisch aufzuzählen (diese sind über die Rätoromanische Bibliographie 1729-2010 leicht eruierbar, vgl. Videsott 2011: 182-188), sondern es wird vielmehr der Versuch gemacht, diese zu klassifizieren und insbesondere die Mikrostruktur der modernen Wörterbücher untereinander zu vergleichen. 2 Traditionelle Wörterbücher des Dolomitenladinischen Unter dem Begriff „traditionell“ sind hier primär nicht chronologisch die ältesten ladinischen Wörterbücher gemeint, sondern inhaltlich jene, die sich auf den traditionellen lexikalischen Bestand (d.h. in der Regel: Erbwörter und ältere Entlehnungen) der betreffenden Idiome beschränken. Sie sind dadurch charakterisiert, dass das Ladinische als Ausgangssprache dient. Im Rahmen des Gadertals gehören zu diesem Typus z.B. Alton 1879, Martini 1950, Pizzinini/ Plangg 1966 (vgl. Kramer 1973: 162), Pizzinini 1967, bis herauf zu Videsott/ Plangg 1998, dem letzten traditionellen Wörterbuch, das zu einem dolomitenladinischen Idiom erschienen ist. Dieses enthält aber bereits einen Deutsch-Ennebergischen Index und - als Unikat - ein rückläufiges Wörterbuch zu einem ladinischen Idiom. Das älteste ladinische Wörterbuch, Bartolomei 1763, das ebenfalls dem (oberen) Gadertal gewidmet ist, stellt insofern eine Ausnahme dar, als es vom Lateinischen ausgeht und das Ladinische neben vier anderen, deutschen Idiomen dokumentiert wird. 2 Die Bedeutung dieser Wörterbücher ist bis heute gegeben, denn sie halten einen Wortschatz fest, der durch die sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen vielfach obsolet geworden ist und der wegen der Spärlichkeit anderer schriftlicher Dokumente ansonsten wohl endgültig verloren gegangen wäre. 2 Zum „Catalogus“ des Bartolomei vgl. Kramer 1975 und 1976. <?page no="99"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 89 3 Moderne Wörterbücher des Dolomitenladinischen Die „modernen“ ladinischen Wörterbücher haben im Gegensatz zu den traditionellen in der Regel das Ladinische als Zielsprache und enthalten zusätzlich zum erbwörtlichen und älteren Lehnwortschatz (der von allen Wörterbüchern weiterhin als „besonders wertvoll“, „charakteristisch“ u.ä. ausgewiesen wird) auch eine Vielzahl von rezenten Entlehnungen und Neologismen. Ihr Fokus hat sich von der Dokumentation hin zur Anleitung zu einem „guten“ Sprachgebrauch verschoben. Die Herausgabe dieser Wörterbücher repräsentiert daher auch den Willen der Ladiner, ihr Idiom zu bewahren, indem es in möglichst vielen Bereichen des täglichen Lebens korrekt eingesetzt werden kann. Anders als bei den traditionellen Wörterbüchern wird die gesprochene Sprache nur mehr teilweise abgebildet und der Hiatus „gesprochene Sprache“ vs. „geschriebene Sprache“ kommt deutlich zum Ausdruck (vgl. Haensch 1991: 2920-2922). Im Ladinischen (wie in anderen Minderheitensprachen) hat diese Zäsur eine große metalinguistische Diskussion ausgelöst, der die Wörterbuchautoren mit unterschiedlichen Strategien begegnet sind. Jedes der fünf dolomitenladinischen Schriftidiome ist mittlerweile im Besitz eines modernen Wörterbuches, die im Folgenden vorgestellt und analysiert werden: Comitato 1997 zum Ampezzanischen, Mischì 2000 zum Gadertalischen, DILF 2001 zum Fassanischen, Forni 2002 zum Grödnerischen sowie Masarei 2005 zum Buchensteinischen. 3.1 Wörterbücher im Vergleich: Mischì 2000 3 vs. Forni 2002 4 Das Kulturinstitut „Micurà de Rü“ hat im Jahre 2000 das deutschgadertalische Wörterbuch von G. Mischì herausgegeben mit dem Ziel, den Wortschatz des heutigen Gadertalischen festzuhalten und durch die Bildung von Neologismen und Fachtermini in seinem Bestand zu erweitern (vgl. Mischì 2000: 9-12). Behutsam weist der Autor darauf hin, sein Werk sei im Wesentlichen lediglich ein Versuch, das gadertalische Vokabular zu vereinheitlichen und neue Wortbildungen vorzuschlagen, um den schriftlichen Gebrauch des Ladinischen für alle (Ladiner, aber auch Nicht-Ladiner, vgl. Thiele 2003: 791) zu vereinfachen. Die normierende Kraft des Wörterbuchs mit seinen 78.000 ladinischen Ent- 3 Vgl. dazu folgende Besprechungen: Bortolotti 2000: 209; Grzega 2002: 417; Thiele 2003: 791-792; Lipp 2004: 49; Gabriel 2005: 337. 4 Vgl. dazu folgende Besprechungen: Rasom 2001: 200; Belardi 2003: 312-314. <?page no="100"?> Ruth Videsott 90 sprechungen für die 36.000 deutschen Lemmata wird eher als Folge denn als Intention seines Erscheinens angegeben. Das gleiche Ziel hat sich das Kulturinstitut 2002 durch die Veröffentlichung eines deutsch-grödnerischen Wörterbuches gesetzt. Da beide Werke innerhalb kurzer Zeit von der gleichen Institution herausgegeben worden sind, kann man viele Parallelen feststellen; ebenso aber eine Reihe von Unterschieden, angefangen von der Größe: Das grödnerische Wörterbuch enthält „nur“ 18.250 deutsche Lemmata mit 58.000 ladinischen Entsprechungen; wesentliche Unterschiede bestehen auch in der Mikrostruktur der Lemmata, wie z.B. bei den grammatikalischen Hinweisen und in der Angabe der Phraseologie. Beide Wörterbücher verstehen sich als Äquivalenzwörterbuch, d.h. theoretisch sollte jeder Wortschatzeinheit der Ausgangssprache eine äquivalente Einheit in der Zielsprache entsprechen (vgl. Hausmann/ Werner 1991: 2732). „Equivalence is the axis about which the activity of translation turns“ (Kromann/ Riiber/ Rosbach 1991: 2717). Doch die folgenden Beispiele zeigen, dass die Autoren diese angestrebte Äquivalenz nicht immer im gleichen Register realisiert haben: MISCHÌ 2000 FORNI 2002 Entwicklungsland n. | ilupé m. Entwicklungsland n. 1 paesc sun l troi dl svilup m. 2 paesc tl lëur de se svilupé m. 3 paesc de svilup m. Mondlandung f. arsida söla löna f. Mondlandung f. 1 dé sëura sun la luna m, sg tant. 2 arsida sun la luna f. Das Wörterbuch von Mischì 2000 bevorzugt als ersten (und vielfach einzigen) Übersetzungsvorschlag ein Wort, das dem Register des deutschen Ausgangswortes eher entspricht als die von Forni 2002 als Erstübersetzungen vorgeschlagenen umschreibenden Ausdrücke. Forni 2002 bevorzugt im Gegensatz zum nominalen Stil von Mischì 2000 verbale Formen, die mitunter zu recht komplexen Ausdrücken führen. In diesem Unterschied spiegelt sich letztlich eine vollkommen unterschiedliche Herangehensweise an die Bildung von Neologismen in beiden Idiomen wider. <?page no="101"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 91 a) Mikrostruktur: Grammatikalische Hinweise und Strukturierung der Lemmata Während die Makrostruktur beider Wörterbücher relativ ähnlich ist, weist ihre Mikrostruktur einige interessante Unterschiede auf, die hier anhand der Wörterbuchartikel ab, machen und Haus untersucht werden. Hinsichtlich der Präpositionen unterstreicht der Autor des gadertalischen Wörterbuches in der Einleitung (vgl. Mischì 2000: 19), dass das Äquivalenzspektrum sehr breit ist, d.h. dass das Gadertalische ein viel komplexeres Präpositionalsystem als das Deutsche hat und somit nur die häufigsten Anwendungen angegeben werden. Im grödnerischen Wörterbuch wird zusätzlich unterstrichen, dass gerade aus diesem Grund viele Phraseologismen angeführt wurden (vgl. Forni 2002: 53). Die Gegenüberstellung des Eintrages ab zeigt, dass in Mischì 2000 mehrere, mit arabischen Zahlen markierte ladinische Äquivalente angegeben werden, hingegen in Forni 2002 eine einzige Äquivalenzangabe, der eine Reihe von Phraseologismen folgt. Auffallend ist außerdem, dass Mischì 2000 die präpositionale von der adverbialen Eigenschaft von ab unterscheidet, Forni 2002 sich hingegen auf die Präposition beschränkt und nur deren temporale Funktion angibt, während in Mischì 2000 zusätzlich die lokative erwähnt wird (vgl. Anhang 1). Die verbalen Eintragungen weisen ebenfalls markante Unterschiede auf. Werden in Mischì 2000 nur die Infinitivform, die dritte Person Singular Indikativ Präsens und (mit Ausnahme der Verben der I. Konjugation) das Partizip angegeben, so führt Forni 2002 zusätzlich die erste Person Plural Indikativ Präsens an und die nach Numerus und Genus differenzierten Formen des Partizip Perfekt (vgl. Anhang 2). Die Mikrostruktur des Lemmas machen offenbart weitere Unterschiede. Während Forni 2002 das Verb fé als unregelmäßig definiert, bleibt dies in Mischì 2000 implizit. In Anbetracht der Unterteilung der Wörterbücher in aktive und passive, 5 ist dies ein bedeutender Unterschied. Mischì 2000 ist demnach eher ein aktives, Forni 2002 eher ein passives Wörterbuch: ein indirekter Hinweis auf den unterschiedlichen generellen Kenntnisstand des Ladinischen in beiden Talschaften. 5 Aktive Wörterbücher gehen von der Muttersprache des Benutzers aus, während in den passiven die Zielsprache die Muttersprache des Benutzers repräsentiert (vgl. Engelberg/ Lemnitzer 2008: 106). <?page no="102"?> Ruth Videsott 92 b) Phraseologie und Äquivalenz Bezüglich der Phraseologie stellen wir fest, dass beide Werke - anders als bei den grammatikalischen Angaben - bifunktional ausgerichtet sind (vgl. Kromann/ Riiber/ Rosbach 1991: 2713), d.h. dass die entsprechenden Informationen gleichermaßen für Muttersprachler der Ausgangsals auch der Zielsprache gedacht sind. Eine der Schwierigkeiten bei zweisprachigen Wörterbüchern stellen kulturspezifische Lemmata dar, für die es gilt, ein kulturgerechtes Äquivalent in der Zielsprache zu finden (Kromann/ Riiber/ Rosbach 1991: 2718). Nun ist bekanntlich die ladinische mit der deutsch(-tirolerischen) Kultur historisch eng verwoben, so dass es für viele ladinische Lexeme ein exaktes deutsches Äquivalent gibt, obwohl die betreffenden Sprachen unterschiedlichen Sprachfamilien angehören. Umgekehrt scheint es schwieriger zu sein, für deutsche Lexeme eindeutige ladinische Entsprechungen zu finden, wie das Beispiel des Artikels Haus zeigt. Obwohl die außersprachliche Realität in allen beteiligten Sprachen mehr oder weniger identisch ist, fallen ganze zwölf grödnerische Äquivalente im Gegensatz zu drei gadertalischen auf (vgl. Anhang 3). Während das Äquivalent gad. ¢ gr. cësa in beiden (wie auch in den anderen dolomitenladinischen) Wörterbüchern als Erstes angeführt wird, sind gad./ gr. dinastia und familia unterschiedlich angeordnet, wobei familia für ‚Haus‘ (angesichts der vorhandenen erbwörtlichen Fortsetzer von lat. FAMILIA in den Dolomiten) eher Trentinisch und Bündnerromanisch ist (vgl. EWD 1990/ III: 203). Nicht alle der zahlreichen von Forni 2002 vorgeschlagenen Äquivalente sind exakt: so ist ciasona Augmentativ und gehört eher in die Phraseologie (so Mischì 2002), und die Ableitung ncësa bedeutet in den Texten, wo das Wort verwendet wird, eher ‚Heimat‘ denn ‚Haus‘ (vgl. http: / / vll.ladintal.it/ ). Umgekehrt proportional zur Anzahl der Äquivalente verhalten sich beide Wörterbücher hinsichtlich der Anzahl der angeführten Phraseologismen. Laut Mischì (2000: 17) ist die Wahl der angeführten Phraseme rein zufällig und deren Anordnung lediglich additiv, Forni (2002: 33) unterstreicht hingegen: „Der phraseologische Teil der einzelnen Einträge wurde schließlich besonders aufmerksam bearbeitet, um dem Benutzer ein möglichst breites Spektrum an festen Wortverbindungen bewusst zu machen und ihm so zur Bewältigung seiner Alltagskommunikation praktische Hilfe anzubieten.“ Es bleibt aber offen, inwieweit die angeführten Wortverbindungen wirklich alle als „fest“ anzusehen sind und so überhaupt einen Platz in einem Wörterbuch verdienen. <?page no="103"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 93 Den phraseologischen Teil des Artikels Haus in Forni 2002 kann man in zwei Kategorien unterteilen: Zuerst werden mögliche Bezeichnungen bezüglich der Eigenschaft des Hauses angegeben. Für <schlechtes, kleines Haus> werden sieben Äquivalente angeführt, in Mischì 2000 erscheint hingegen nur eine Bezeichnung dieser Kategorie: gad. ¢ , gr. bercia. Des Weiteren gibt Forni mehrere Beispiele für die Konstruktion <Präposition + Haus + Verb im Infinitiv> oder <Präposition + Haus> an, Mischì hingegen beschränkt sich auf die präpositionale Konstruktion jì ¢ <aus dem Haus gehen > . Was die restlichen idiomatischen Angaben in der Zielsprache anbelangt, ist die Äquivalenz nicht immer gegeben. Oft trifft man auch auf Substitutionsäquivalenzen oder gar auf Nulläquivalenzen (vgl. Koller 2007: 600), wie die folgenden Beispiele zeigen: <von ~ zu ~ gehen> £ ¢i ¢ ¤ £ und <vor leerem ~ spielen> jobelnè dan n salf öt, wo das Substantiv Haus mit Substantiven wiedergegeben wird, die im Äquivalenzteil nicht vorkommen. Anders ist es bei den Beispielen <von ~ zu ~ in Kost gehen> jì a rôde oder <im ~ alte Arbeiten verrichten (von älteren Leuten)> fà scüfs; scufiné, wo die Zielsprache weder auf der semantischen noch auf der syntaktischen Ebene mit der Ausgangssprache übereinstimmt. Betrachten wir weiters die phraseologischen Besonderheiten des Verbs machen (vgl. Anhang 2), besteht ein erster Unterschied wiederum in der Anzahl der angeführten Äquivalente. Neben den zwei grödnerischen fé; realisé hat Mischì 2000 zusätzlich eseguì. Die angeführten Phraseologismen beruhen ausschließlich auf der Bedeutung gad. fà, gr. fé und bringen keine Beispiele für die übrigen Äquivalente. Auffällig ist auch die Tatsache, dass unter den vielen Beispielen nur eines in beiden Wörterbüchern vorkommt. Unter den grd. Phrasemen überrascht bei <sich ein Kleid machen lassen> se fé fé n guant die Verwendung von FACERE für den Ausdruck der Faktitivität. Wie bereits Iliescu (1997: 286) ausgeführt hat, besteht in den rätoromanischen Varietäten eine Konkurrenz zwischen der Wahl von FACERE und LAXARE. Im vorliegenden Beispiel würde man das Verb LAXARE erwarten, zumal es sich um eine permissive Bedeutung handelt und das deutsche Modell <sich ein Kleid machen lassen> für das Grödnerische und Gadertalische ausschlaggebend wird (vgl. ALD-II/ I 2012: 146). Ebenso überraschend ist die Wiedergabe von <das Bett ~> in Forni 2002 mit fé (su) l liet; cuncé su l liet, da die genaue ladinische Entsprechung nur jene mit gad. cuncè gr. cuncé ist (vgl. conce l lett in Alton (1879: 244), cuncé l liet in Lardschneider-Ciampac (1992: 90), cuncè le let in <?page no="104"?> Ruth Videsott 94 Mischì 2000 s.v. Bett). Die Konstruktion mit fé/ fà bedeutet genau genommen <die Betten machen (in einem Hotel)>. Im Bereich der Präpositionen greifen wir die Darstellung von ab heraus. Wie bereits erwähnt, wird in Forni (2002: 3) nur die zeitliche Funktion der Präposition angeführt, dennoch wird im phraseologischen Teil ein Beispiel gebracht, das eine örtliche Bedeutung hat: <ab Bozen> da Bulsan (demez). Das gleiche Beispiel steht auch bei Mischì 2000, hier aber unter der lokativen Funktion der Präposition. Weil bei Forni 2002 die Differenzierung zwischen Adjektiv und Adverb nicht vorgenommen wird, fällt das Phrasem <ab und zu> unter die Kategorie Präposition, bei Mischì 2000 unter adverbialen Gebrauch. Bei den Äquivalenten unterscheiden sich wiederum beide Wörterbücher, obwohl jede der angeführten Übersetzungen in beiden Idiomen und mit dieser Bedeutung vorhanden sind (vgl. Anhang 1). Im temporalen Gebrauch der Präposition ab erkennt man schließlich einen weiteren Unterschied. Forni 2002 gibt lediglich vier Beispiele mit der gleichen temporalen Bedeutung an, während bei Mischì 2000 nur zwei vorkommen (vgl. Anhang 1). An sich wären die Beispiele <ab morgen; ab nun> überflüssig, da im Beispiel <ab heute> die gleiche Funktion enthalten ist. 3.2 Wörterbücher im Vergleich: Dizionario Italiano - Ladino Fassano (DILF) 6 (2001) vs. Vocabolario Italiano - Ampezzano (VIA) 7 (1997) Bezüglich der modernen lexikographischen Werke der südlichen dolomitenladinischen Idiome stechen das DILF 2001 für das Fassanische und Comitato 1997 für das Ampezzanische hervor. Interessanterweise handelt es sich beide Male um das Resultat einer breit angelegten, jahrelangen Team-Arbeit (vgl. DILF 2001: 5-6; Comitato 1997: 12-13). Beide weisen deswegen keinen „Autor“ auf. Herausgegeben wurde das DILF vom Kulturinstitut „Majon di Fascegn“ und vom SPELL in Hinblick auf eine standardorientierte Erarbeitung des Fassanischen (d.h.: in Anlehnung an die übrigen dolomitenladinischen Idiome) und mit dem Ziel, das heutige Fassanische sowohl Muttersprachlern wie Nichtmuttersprachlern benutzerfreundlich zugänglich zu machen. Comitato 1997 ist sogar das erste moderne Wörterbuch eines dolomitenladinischen Idioms überhaupt: „A differenza di altri lavori linguistici, in cui l’attenzione viene focalizzata 6 Vgl. dazu folgende Besprechung: Gsell 2001: 420. 7 Vgl. dazu folgende Besprechungen: Skubic 1997: 140-141; Dell’Antonio 1999: 209- 210; Videsott 2001: 421-422. <?page no="105"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 95 soprattutto sulle antiche espressioni, nel lavoro che qui presentiamo si offre una lingua viva, ricca della tradizione antica, ma adeguata al parlare moderno, in cui la gente discute più di televisioni e automobili che non di recinti per il bestiame o di stagioni agricole“ (Comitato 1997: 8). Grundlage der Lemmata-Auswahl waren die italienischen Einträge des Zingarelli und des Devoto-Oli. Richtet man den Blick auf die Makrostruktur, so ist zu bemerken, dass DILF 2001 als einziges der bisher besprochenen Wörterbücher (Mischì 2000, Forni 2002, DILF 2001 und Comitato 1997) auch einen umgekehrten Index aufweist, der vom Ladinischen ausgeht; in den anderen Wörterbüchern fungiert das Ladinische nur als Zielsprache. Die „nördlichen“ Wörterbücher Mischì 2000 und Forni 2002 enthalten nach dem Vorwort eine ausgearbeitete Einleitung über die Verwendung des Wörterbuches und die Strukturierung der einzelnen Wörterbuchartikel, die „südlichen“ Comitato 1997 und DILF 2001 bieten lediglich ein kurzes Vorwort mit den Zielsetzungen des Wörterbuches und ein Verzeichnis der Abkürzungen. DILF 2001 weist zusätzlich eine Übersicht über die morphologischen, phonetischen und orthographischen Regeln des Fassanischen auf. a) Grammatikalische Hinweise und Strukturierung der Lemmata Generell kann man sagen, dass Comitato 1997 den grammatikalischen Hinweisen mehr Bedeutung als DILF 2001 beimisst. So gibt Letzteres hinsichtlich der Präposition da nur die Angabe prep. an, während Ersteres noch die Funktion als adverbiale Wendung und zudem eine Reihe von Adverbialen anführt, jeweils mit Beispielen (vgl. Anhang 1). Große Unterschiede liegen bei der Strukturierung von verbalen Artikeln vor. Sehr ausführlich präsentiert sich wiederum Comitato 1997 (vgl. das Beispiel fare im Anhang 2), das neben der grammatikalischen Kategorie die gesamte Konjugation für die einfachen Zeiten im Indikativ und Konjunktiv, die Form des Partizips und den Imperativ angibt. Es fällt allerdings auf, dass bei den regelmäßigen Verben lediglich die Zugehörigkeit der grammatikalischen Kategorie angeführt wird, ohne Hinweis auf die Konjugation. Anders ist die Mikrostruktur beim selben Verb im DILF 2001: Neben der grammatikalischen Klasse sind hier nur der Infinitiv, die dritte Person Singular und das Partizip zu finden. Die Regelmäßigkeit bzw. Unregelmäßigkeit der Verben wird außerdem nicht präzisiert, während das Ampezzanische in diesem Fall genauer ist. Auch bei der Mikrostruktur der Substantive, veranschaulicht am Beispiel von it. casa, fallen einige Unterschiede auf, insbesondere bezüglich <?page no="106"?> Ruth Videsott 96 der grammatikalischen Kategorie, die vom DILF 2001 angegeben, im Comitato 1997 hingegen vorausgesetzt wird (vgl. Anhang 3). b) Phraseologie Insgesamt weist das ampezzanische Wörterbuch mehr Phraseologismen und idiomatische Wendungen auf. Was die Präposition da anbelangt, so kann dies an der Anzahl der Beispiele, die es anführt, um alle Funktionen der Präposition da wiederzugeben, bestätigt werden. Im Gegensatz dazu werden im DILF 2001 ausschließlich die am meisten gebrauchten Phraseme aufgelistet. Durch die große Anzahl an Beispielen fällt beim Ampezzanischen auf, dass nicht selten Fälle auftauchen, in denen die Präposition it. da amp. da mit con oder par ersetzt wird: amp. <una ragazza con gli occhi celesti> ‘na tó a co ‘i òce zelèštes; fass. <una ragazza dagli occhi neri> ‘na tousa dai eies neigres (vgl. Anhang 1). Nachdem der Wechsel zwischen it. con und it. da bereits in der Ausgangssprache erfolgt, stellt sich die Frage, wieso Comitato 1997 überhaupt ein solches Beispiel unter dem Artikel da anführt. Bezüglich der Phraseme des Substantivs it. casa, amp. cià a, fass. cesa, ist vor allem der Vergleich mit den „nördlichen“ Wörterbüchern aufschlussreich. Während diese viele Äquivalente in der Zielsprache mit entsprechend vielen Beispielen anführen, sind im Comitato 1997 und DILF 2001 kaum Phraseme vorhanden. Das DILF 2001 gibt lediglich vier Beispiele an, die aber eher im Zusammenhang mit dem lokativen Gebrauch der jeweiligen Präposition stehen: te cèsa; a cèsa‚ daìte via; te mia cèsa. Comitato 1997 gibt nur ein Beispiel an (vgl. Anhang 3), führt jedoch zudem das Äquiavent palazìna an im Sinne von <casa padronale> (senza fienile e stalla). Im Gegensatz zum Substantiv it. casa bietet das Lemma it. fare in beiden Wörterbüchern eine große Anzahl an Phraseologismen. Auffallend ist aber die Tatsache, dass das DILF 2001 sehr viele faktitive Konstruktionen angibt (fèr vegnir l dotor; se fèr fèr; se lascèr fèr; se fèr fèr n guant; se lascèr fèr n guant; se fèr taèr jù i ciavei), während in Comitato 1997 keine angeführt werden, obwohl diese Konstruktion auch im Ampezzanischen üblich ist (vgl. ALD-II/ I 2012: 146). Im Gegensatz dazu mangelt es an der Angabe anderer Äquivalente, die von den „nördlichen“ Wörterbüchern angeführt werden und die bedeutungsgleich auch in den südlichen Idiomen vorhanden wären (vgl. Anhang 2). Herauszuheben ist insbesondere, dass vor allem Comitato 1997 sehr reich an Neologismen ist. Leider wurden diese, trotz ihrer Qualität, von <?page no="107"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 97 den nachfolgenden Wörterbüchern der anderen ladinischen Idiome kaum rezipiert. 3.3 Das Dizionar Fodom-Talián-Todësch (Masarei 2005) 8 Das Buchensteinische ist das kleinste ladinische Talidiom. Seine Lexikographie (vgl. Pellegrini 1973; Pellegrini/ Masarei 1985) berücksichtigt traditionell im gleichen Werk beide großen Nachbarsprachen, Deutsch und Italienisch. Masarei 2005 wurde vom Kulturinstitut „Cesa de Jan“ und vom SPELL herausgegeben. Es besteht aus drei Teilen: Der erste und umfangreichste geht vom Ladinischen aus mit den Zielsprachen Italienisch und Deutsch; der zweite und dritte Teil hingegen sind Indizes, die jeweils vom Italienischen und Deutschen ausgehen. Die Tatsache, dass hier drei Sprachen berücksichtigt werden bzw. zu berücksichtigen sind, erschwert die genaue lexikographische Aufarbeitung des Wortschatzes. Bezüglich der Mikrostruktur mangelt es hier vor allem bei den verbalen Artikeln an wichtigen morphologischen Hinweisen (vgl. Anhang 2). So wird lediglich die dritte Person Singular Präsens bei den regelmäßigen Verben angeführt, bei den unregelmäßigen Verben zusätzlich das Partizip. Bei den Substantiven fehlt die grammatikalische Kategorie. Diese und andere Informationsdefizite sind wohl dem mehrsprachigen Organisationsprinzip des Wörterbuchs geschuldet, sind aber gerade in einem Idiom, wo die Schriftsprache auch und vor allem durch das Wörterbuch selbst durchgesetzt werden soll, auffällig. 3.4 Das Wörterbuch des Standardladinischen - Dizionar dl ladin standard 9 Dieses Wörterbuch besteht aus einem ladinisch-italienisch/ deutschen Hauptteil sowie aus zwei Indizes Italienisch-Ladinisch und Deutsch- Ladinisch. Von der Funktion her erfüllt SPELL 2002 die Rolle eines Standard-creating dictionary (vgl. Zgusta 1989: 70-71): Es legt z.B. fest, dass das Lexem LD majon, das im Grödnerischen ‚Zimmer‘ bedeutet, im Gadertalischen ‚Scheune ‚Futterhaus’ und im Fassanischen ‚Haus’ im LD ‚Futterhaus, Stadel‘ bedeutet. 10 8 Vgl. dazu folgende Besprechungen: Plangg 2006: 201-204; Goebl 2007: 338-339; Tóth 2007: 240-243. 9 Vgl. dazu folgende Besprechungen: Pallabazzer 2003: 593-595; Chiocchetti 2003: 311- 312. 10 Zur Problematik der Ausarbeitung eines gemeinsamen LD-Wortschatzes vgl. Grzega (2000: 577-590); Videsott (1996: 163-173); Videsott (1997: 149-163), zu dem von der Wörterbuchredaktion gewählten Procedere vgl. SPELL (2002: 9-10). <?page no="108"?> Ruth Videsott 98 Die Mikrostruktur des Wörterbuchs kann mit Wiegand (1989b: 469-482) als erweitert definiert werden. Jeder Wörterbuchartikel beinhaltet einen morphologischen Formkommentar und selten einen semantischen Kommentar (Wiegand 1989: 470), denn jedem Lemma folgt die Übersetzung ins Deutsche und ins Italienische. Anschließend wird dokumentiert, welches Lexem die Idiome für den gewählten LD-Typ bereitstellen (vgl. SPELL 2002: 6). 11 Das Wörterbuch wird ausdrücklich als work in progress deklariert (vgl. SPELL 2002: 6). Einige Inkonsequenzen des Wörterbuchs in der Präsentation des Materials sind den Umständen geschuldet, unter denen es erschienen ist. Dennoch repräsentiert das Wörterbuch auch zehn Jahre nach seinem Erscheinen das Referenzwerk für alle Ladiner, die die Standardsprache gebrauchen. Und es ist auch ein wichtiger Beitrag zum Ausbau des Ladinischen, weil sehr viele Neologismen gebildet wurden, um die fehlende Terminologie in bestimmten Bereichen zu ergänzen. Dabei wurden nicht nur italienische und deutsche lexikalische Vorbilder ins Ladinische assimiliert, sondern es wurde - im Rahmen einer mittlerweile revitalisierten Wortbildung 12 - durchaus auch eigenständig vorgegangen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt: enjignapistes sm. sg. y pl. Schneekatze, Schneeraupe, Pistenwalze battipista, gatto delle nevi Ô Bu ‡ iat dala nëi Gr ‡ giat dala nëif Fa ‡ batiportoi Fo ‡ batipista. Dieser Neologismus wurde aus dem Verb enjingé dt. ‚erstellen, vorbereiten’, it. ‚predisporre, preparare’ und dem Substantiv pista dt. ‚Piste, Start- und Landebahn’, it. ‚pista’ zusammengesetzt. Das gadertalische und grödnerische Lexem distanzieren sich semantisch und syntaktisch vom Standard, während das Fassanische und das Buchensteinische das Verb fas. bàter, buch. bate anstelle von enjigné verwenden. Die Repräsentation der Phraseologie ist in einem solchen mehrsprachigen Wörterbuch kein einfaches Unterfangen. Daher ist das Wörterbuch nicht sehr reich an idiomatischen Wendungen und Phraseologismen, ein Bereich, der in Hinblick auf die Durchsetzung der Standard- 11 Nicht für jede Form des Standardladinischen gibt es ein Äquivalent in allen fünf Idiomen, so zum Beispiel das Verb descore, dt. ‚besprechen‘, das lediglich die fassanische Form descorer und die buchensteinische Form descore kennt. Das Substantiv pulover, dt. ‚Pullover‘, kennt beispielsweise nur die gadertalische Form polober und die grödnerische Form pulover; sbeter und wird im Fassanischen als fianel; maion und im Buchensteinischen als maia; maion wiedergegeben. 12 Die Wortbildung im Ladinischen wurde im Wesentlichen im Rahmen des Ausbauprozesses zur Verwaltungssprache revitalisiert. Vgl. dazu Siller-Runggaldier (1989; 1994: 137-146), Videsott (1996: 163-173), (1997: 79-84). <?page no="109"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 99 sprache tiefgründiger erforscht werden muss, wie anhand des folgenden Beispiels für SPELL 2002 im Vergleich mit den anderen bereits besprochenen Wörterbüchern (Comitato 1997, Mischì 2000, Forni 2002, DILF 2001, Masarei 2005) veranschaulicht wird: SPELL 2002 neif, -ves sf. Schnee neve Ô Bu nëi Gr nëif Fa neif Fo nei Am gnée; neif artifiziala Kunstschnee Ô Bu nëi artifiziala Gr nëif artifiziela Fo nei artifizièla Am gnée artifizial. COMITATO 1997 neve m. gnée, invar.; (neve brutta) gneàto; (neve farinosa) gnée da šfarìa; (neve crostosa e dura) tòdo; (neve primaverile crostosa e dura) fìrn; (neve bagnata e molle) gnée da širòco; (neve ammucchiata dal vento) gnée jonfedà; camminare sulla neve crostosa e dura ì a tòdo; camminare affondando nelle neve, vb. intr. šfondorà; camminare sulla neve fresca ì a viére; palla di neve bàla de gnée; luogo soggetto a particolare innevamento buš del gnée. MISCHÌ 2000 Schnee m. 1 nëi (nëis) f. 2 " ~ ¯! = Õ & × } Ô ~ schaufeln desparè; im ~ waten sfolè tla nëi; wässeriger ~ cialtines fpl; ciata f; im ~ zugrunde gehen restè tla nëi; im ~ einsinken jì sot tla nëi; sfondrè; pulvriger ~ nëi sflaussia f; den ~ mit Erde bestreuen intarè; auf dem harten ~ schifahren jì a nëi atora. DILF 2001 neve sf. n if, n ives; bufera di ~ gónfet, gónfes sm.; ‹mitol.› Jan da mont; cumulo di ~ nevèra sf.; bianco come la ~ bianch desche la neif; camminare sulla ~ crostosa e dura jir a tolech; palla di ~ bala de neif; pupazzo di ~ pop de neif. FORNI 2002 Schnee m. nëif (nëives) f. ~ ist verharscht (sodass man darüber gehen kann, ohne einzubrechen) la nëif tën a tola; la nëif ie/ tën n spina; auf dem verhaschten ~ gehen jì a tola; den ~ mit Erde, Asche, Sand bestreuen (damit es früher aper wird) ntarené (ntarenea, ntarenon; ntarenà, -ei, -eda, -edes) vb; der ~ gibt nach la nëif sfondra; la nëif crëpa ite; Haufen zusammengewehten ~s gonf (-s) m; frisch gefallener ~ nëif frëscia; eisiger ~ nëif dlaceda; harter ~ nëif dura; nasser ~ nëif mola; nasser, schwerer ~ nëif plomia; ~ schaufeln palé (la nëif); (die Schuhe) vom ~ freimachen desbalé (desbala, desbalon; desbalà, -ei, -eda, edes) vb; sbalé (sbala, sbalon, sbalà, -ei, -eda, -edes) vb; es war viel ~, er hat zugrunde gehen müssen (im Schnee zurückbleiben müssen) l fova scialdi nëif, ël à messù resté; voller ~ werden (Klumpen aus feuchtem Schnee an den Schuhen oder Hufen des Pferdes) se mbalé vb refl. <?page no="110"?> Ruth Videsott 100 MASAREI 2005 nei, -f. neve Ô ~ farineta, plomia, tumia neve farinosa, plumbea, bagnata Ô ! ! nasser Schnee; da ~ nevoso Ô Schnee…; jì a folé (~) camminare nella neve vergine Ô durch den Frischschnee gehen; jì a ~ ntiera camminare fuori strada sulla neve non calpestata Ô (außerhalb der Straße) im Frischschnee gehen; jì fora per chële ~ andare nelle nevi (a lavorare o a divertirsi) Ô in den Schnee hinausgehen (um zu arbeiten oder zu spielen); l à fat ju la ~ è nevicato fino a bassa quota Ô es hat tief heruntergeschneit; n sticon de ~ una grande quantità di neve Ô eine große Schneemasse; se trè nte chële ~ rotolare nella neve Ô sich im Schnee wälzen. 4 Ausblick Vergleicht man das Dolomitenladinische mit den rätoromanischen Idiomen Graubündens und Friauls, so muss man feststellen, dass es im Bereich der Lexikographie noch hinterherhinkt. Ein Werk, das den Wortschatz des Dolomitenladinischen in der gleichen Ausführlichkeit und Tiefe des DRG behandelt, ist derzeit nicht absehbar, ebenso nicht ein Wörterbuch mit der Zielsprache Ladinisch mit einem ähnlichen Umfang wie das Grant Dizionari Bilengâl Talian-Furlan. Die derzeit in Ausarbeitung befindlichen Wörterbücher Gadertalisch-Deutsch und Italienisch-Grödnerisch werden die bestehende ladinische Lexikographie zwar inhaltlich bereichern, nicht aber methodisch, nachdem hier weiterhin an der nach Talschaften getrennten Ausarbeitung von Neologismen festgehalten wird. Methodisch innovativ ist hingegen das derzeit an der Ladinischen Abteilung der Freien Universität Bozen in Ausarbeitung befindliche Vocabolar dl Ladin Leterar, da es erstmals von einem Korpus ausgeht. Die bisherigen ladinischen Wörterbücher spiegelten hingegen weitgehend die Sprachkompetenzen und Normvorstellungen der jeweiligen Bearbeiter wider. Dies ermöglichte es bisher z.B. nicht, Neologismen in allen Idiomen auf der gleichen Basis zu bilden. Trotzdem kann man zusammenfassend sagen, dass in den beiden letzten Jahrzehnten eine deutlich positive Entwicklung in der ladinischen Lexikographie feststellbar ist. Mittlerweile besitzt jedes Idiom mindestens ein modernes Wörterbuch, dessen Ziel die Bewältigung der unterschiedlichen Einsatzbereiche des Ladinischen mit dem entsprechenden Vokabular ist. Die Herausforderung für die Zukunft besteht vor allem darin, einen gesamtladinisch einheitlichen Neologismenbestand zu erarbeiten, damit sich die entsprechenden Fachterminologien stabilisieren können und den Charakter von ad hoc-Bildungen ablegen. <?page no="111"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 101 Literaturverzeichnis ALD-II = Goebl, Hans (2012): Atlant linguistich dl ladin dolomitich y di dialec vejins, 2ª pert / Atlante linguistico del ladino dolomitico e dei dialetti limitrofi, 2ª parte / Sprachatlas des Dolomitenladinischen und angrenzender Dialekte, 2. Teil / Linguistic Atlas of Dolomitic Ladinian and neighbouring dialects, 2nd Part, Strasbourg, Editions de Linguistique et de Philologie. Alinei, Mario (1999): „Prime annotazioni al Ladinisches Wörterbuch di Hugo de Rossi”, in: Mondo Ladino 23, 157-177. Alton, Johann B. (1879): Die ladinischen Idiome in Ladinien, Gröden, Fassa, Buchenstein, Ampezzo, Innsbruck, Wagner. 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Berlin/ New York, 70-79. <?page no="116"?> Ruth Videsott 106 Anhang 1) Wörterbuchartikel ab; da COMITATO 1997 da prep. da; loc. avv. da; (compl. d’agente o di causa) da; l’albero abbattuto dal vento el brašón roesà dal vènto; saltare dalla gioia soutà dal acàro; (compl. stato in luogo) da; con; abita dalla nonna el šta co ra nòna; ti aspetto dal barbiere te špiéto dal barbiér; (compl. di moto per luogo) par; siamo passati da Brunico són pasàde par Brùnech; sono uscito dalla finestra són vienù fòra par funèštra; (compl. moto a luogo) da; verrà qui da noi el vienarà cà da nós; lo condurrò dal medico el menaréi dal dotór; (compl. di tempo) da; piove da dieci giorni el pioé da diéš dì; fin da bambino fin da pìzo; (compl. di valore) da; una cosa da poco ‘na ròba da póco; un paio di scarpe duecentomila lire un péi de šcàrpe de dojèntomile lìres; (compl. di qualità) con; una ragazza con gli occhi celesti ‘na tó a co’i òce zelèštes; (compl. fine o scopo) da; carta da lettere càrta da létra; cane da caccia ciàn da càza; (compl. di mezzo) da; ìnze; l’ho capito dal comportamento éi capì dal mòto; l’ho riconosciuto dalla voce ‘l éi conošù ìnze ra óš; (compl. di modo) da; l’ho trattato da amico ‘l éi tratà da amìgo; un fare da galantuomo un féi da galantòn; (compl. predicativo) da; da giovane da óen; (col vb. all’infin.) da; legna da ardere légnes da brujà; niente da fare nùia da féi; un libro da leggere un lìbro da lié e; (da…a) da; da capo a piedi da ra tèšta fin ò dai pès; da su insón fin ò dal pè; dalle otto alle nove da re òto fin re nóe; loc. avv. da; da lontano da indalòn e; da parte a parte fòra par fòra; da per tutto dapardùto; (in luogo di…) fare da padre féi da pàre; fungere da padrone féi da parón. MISCHÌ 2000 ab I praep. 1 (örtlich) da…inant/ demez: ~ Bruneck - da Bornech inant/ demez; 2 (zeitlich) da…inant: ~ nächster Woche - dala proscima edema inant; II adv. 1 (fort, weg) dalunc: weit ~ von der Straße - dalunc da strada. 2 (herunter, hinunter) jö. 3 dainciarà. 4 ? Ô ~ heute da incö inant; ~ und zu vignitant; na ota o l’atra; val‘iade; n iade o l’ater; bindicé; der Knopf ist ~ le botun s’é destachè; Hut ~! (auch fig.) - à cun döt le respet! DILF 2001 da prep. da; ~ Bolzano a Bressanone da Busan a Perseonon; ~ un anno da n an en ca; dalla sua bocca fora de sia bocia; esce dal cinema l vegn fora dal chino; macchina ~ da scrivere màchina da scriver; non vado ~ nessuna parte no vae nió; riconoscere dalla voce cognoscer te la ousc; tor fora da la ousc; sono ~ mio cugino son da mi jorman; sono qui ~ ieri son chiò da angern; tazzà ~ tè chìchera dal tè; una ragazza dagli occhi neri na tousa dai eies neigres; va dall’amico l vae da so amich; vado dal medico vae da dotor; viene dalla città l vegn da la zità. FORNI 2002 ab praep. (zeitlich) da…inant. dala ot inant; ~ Bozen da Bulsan (demez); ~ heute da ncuei inant; ~ morgen da duman inant; ~ nun da moinla; åÕ ~ und zu (gelegentlich) uni tant; datrai; a strufs; vel’iede; auf und ~ su y ju. <?page no="117"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 107 SPELL 2002 da prep. von Ô Bu Gr Fa Fo Am da; da…incà seit Ô Bu Gr da… incà Fa da… encà Fo da… nca Am da… in ca; da neuf von neuem, noch einmal ! Ô Bu danü Gr da nuef Fa da nef Fo danuof Am danóo; da spes oft, häufig spesso gonot, sovenz Ô Bu ‡ gonot Gr ‡ suvënz Fa da spes Fo daspës Am pes . MASAREI 2005 da prep. ! ! ! Ô !  ! ? ! ! ~ d’aisciuda avv. Ô Frühling; ~ dalonc avv. ! Ô ! ~ ! ! ~ ~ mpez avv. Ô ~ mpezon avv. da molt Ô ~ damprò avv. dac ! ! Ô } ! ~ nsom avv. dalla °! Ô ¸ ! ? } ~ nsomcà avv. æ Ô ganz oben her; ~ nsomfòra avv. Ô ? } raus (hinaus); ~ nsomite avv. Ô ? } " & ~ nsomjù avv. dalla cima î Ô ? } } " }& ~ nsomsù avv. Ô ? } ~ nsomvia avv. ° Ô ? } ~ dasëra avv. di ! Ô } ! am Abend; ~ ulà? avv. ï Ô ~ ï ~ cánche son ju demez dacché sono andato Ô ~ } ~ chësta sajon æ Ô ? Jahreszeit; ~ mëssa grana a mes Ô ? ¸ ~ orata l epa ence bel temp ð } Ô ¯ ~ (podei) beibe, lieje, ciarié… } } ! } ! } Ô } ! ! ? { aden; ~ sua pòsta µ Ô } da zacan da nzacan; ié jì ~ damprò avvicinarsi, andargli Ô jent ~ da Fodom < Ô < Buchenstein, Buchensteiner; l é ~ fièrn, da giara, da neole… è di ferro (ferroso), è di ghiaia (ghiaioso), è di nuvole (nuvoloso)… Ô es ist aus Eisen, es ist kiesig, es ist bewölkt… Anhang 2) Wörterbuchartikel machen; fare COMITATO 1997 fare vv. tr. Irr. féi; coniug.: fejo, feš, feš, fejón (o fajón) fajé (o fejé) feš; impf. fajée, fajées, fajéa, fajaón, fajaà, fajéa; fut. faréi, faràs, farà, farón, faré, farà (o fajaréi, fajaràs, fajarà, fajarón, fajaré, fajarà); cond. faràe, faràes, faràe, fajasón, fajasà, faràe (o fajaràe, fajaràes, fajaràe, fajason, fajasà, fajaràe); congt. fèje, fèjes, fèje, fajóne, fajéde, féje; imp. congt. fajése, fajéses, fajése, fajasóne, fajasàde, fajése; imperat. feš; fajé; p.p. fàto; (fare un’azione, operare) fare un sogno féi un insònio; ho molto da fare éi tànto da féi; ho avuto a che fare con lui éi abù a che féi con el; darsi da fare se dà da féi; se béte ra mas intórno; far fuori qcd. féi fòra calchedùn; fare fame padì fame; fare strada féi štràda; (creare, produrre, fabbricare) fare una buona legge féi ‘na bòna lèje; fare una casa féi su ‘na cià a; fare luce féi lùštro; (dire, parlare) mi fece “vieni con me” el m’à dìto “ ón con mé”; (raccogliere, mettere insieme) fare legna féi légnes; fare quattrini féi sòde; il paese fa ottomila abitanti el paés ‘l à otomìle ànemes; (esercitare un’arte, un mestiere) fare il pittore féi el pitór; fare il padre féi el pàre. õ " & cucolo féi drìo al cùco; fare il papagallo féi el papagàl; (far diventare, render, trasformare) fare bella la propria casa féi fòra bèl in cià a; (nominare, eleggere) lo hanno fatto sindaco i ‘l à betù capocomùn; (dare un risultato) due più due fa quattro dói <?page no="118"?> Ruth Videsott 108 e dói feš cuàtro; (del tempo) fa caldo ‘l é ciòudo; ha fatte delle belle giornate ‘l à fato bèla ornàdes; vb. intr. (convenire, adattarsi, essere utile) questo lavoro non fa per me chéšto laóro ‘l nó n’é par mé; il mare non ti fa bene el mar nó te feš bén; el nó te conferìše; (riferito al tempo ed alle condizioni meteor.) fa freddo ‘l é fiédo; in inverno fa notte presto d’invèrno vién alòlo nóte / vién nóte par tènpo; (compiersi del tempo) due mesi fa a dói méš; fa giusto un anno che ci siamo conosciuti ‘l é iùšto un àn che s’ón conošù; esser in procinto di fare qc. èse jià de féi; una ne fa e l’altra la pensa una vìa e cher’òutra jiàda; (avere a che fare) aé a che far / a che féi; farsi (divenire, diventare) vb. rifl. se féi; vb. tr. deventà. MISCHÌ 2000 machen vb. 1 fà (fej, fat). 2 realisé (-sëia). 3 eseguì (-uësc). Ô das macht nichts chësc ne fej nia; canta chël; den Anfang mit etw. ~ mëte man valch; Durst/ Hunger ~ fà gnì sëi/ fan; Feiertag ~ fà santù; gesund ~ varì; sauber ~ netijé; sich an eine Arbeit ~ ti saltè ite a n laûr; pié a man n laûr; sich etw. zu eigen ~ fà valch sò; s’impossessè de valch; sich fein ~ se puzenè sö; sich wichtig ~ se dè importanza; was soll man ~ ? - µ °ï DILF 2001 fare v.t. e v.i. fèr, fèsc, fat; farsi v.r. se fèr; fa il medico l fèsc l dotor; fa un tempo meraviglioso l’é n temp spetacolous; far sapere fèr a saer; lascèr saer; far vedere moscèr; far venire il medico fèr vegnir l dotor; chiamèr l dotor; farcela (riuscire) esser bon; la stichèr; ge dèr la venta; (sfondare) la sbujèr; ce l’ha fatta le ge é jita fata; l’é stat bon; non ce l’ho fatta ad arrivare in tempo no son stat bon de ruèr a ora; ~ colazione disnèr; ~ compagnia fèr compagnìa; ~ finta fèr mena; fèr menes; ~ gli auguri fèr i augures; ~ fare i conti fèr jù i conts; ~ i conti addosso a qn. ge fèr fora i conts a zachèi; ~ il bagno se fèr l bagn; ~ il numero telefonico fèr l numer de telefon; ~ il sarto fèr l sartor; ~ la fila fèr couda; ~ lo stupido fèr l pauper; ~ male a qc. fèr del mèl a zachèi; ~ ordine rencurèr; rencurèr via; rencurèr sù; derturèr; sturtèr via; sturtèr su; meter via; ~ pace fèr pèsc; ~ presto fèr prest; (sbrigarsi) se studièr; ~ pulizia neteèr; neteèr sù; rencurèr; rencurèr sù; ~ tardi se entardivèr; ruèr tèrt; fargliela ge la fèr; ge la ficèr; questa volta gliel’ha proprio fatta grossa! enstouta l ge l’à fata dassen grana! ; farsi ~ se fèr fèr; se lascèr fèr; farsi ~ un vestito se fèr fèr n guant; se lascèr fèr n guant; farsi tagliare i capelli se fèr taèr jì i ciavei; il tempo si fa bello vegn bon temp; oggi fa caldo anché l’é ciaut; si fa buio vegn scur; si fa tardi vegn tèrt. FORNI 2002 machen vb. 1 (tun; anfertigen) fé (fej, fajon; fat, fac, fata, -es) vb irr. 2 realisé (realiseia, realison; realisà, -ei, -eda, -edes). fé (su) l liet; cuncé su l liet; das macht nichts canta chël; chësc ne fej nia; gerade ~ nderzé (ndërza, nderzon; nderzà, -ei, -eda, edes) vb; derzé (dërza, derzon; derzà, -ei, -eda, -edes) vb; das macht viel aus (das ist ein großer Unterschied) chël vën pa a dì; chël vën a dì de scialdi; ~, was einer will ti/ i fé l mat a un; sich ein Kleid ~ lassen se fé fé n guant; da lässt sich nichts ~ l ne n’ie nia da nfé; schwer zu ~ rie da fé; mach schnell! dai slune! ich mache mir nichts daraus ne me feje nia dainora. <?page no="119"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 109 SPELL 2002 fé, fej, fajon, fat vb. ir. machen, tun, handeln, ausführen, durchführen fare, agire, ! Ô Bu fà Gr fé Fa fèr Fo fè Am féi; da en fé famit zu tun haben avere a Ô Bu da nen fà Gr da nfé Fo da nfè; se fé werden, sich machen farsi, diven Ô Bu se fà Gr se fé Fa se fèr Fo se fè Am se féi; MASAREI 2005 fè, fèsc, fat vb ! Ô ! ! } ! } ~ a mettere ! Ô ~ ! ~ ~ a savei avvisare, avvertire, comunica Ô ! ? ! } ! ~ Nachricht verbreiten; ~ ac ? ? Ô ! ischen (Kinder); jmdm schmeicheln; ~ al mat ! } Ô ! lten, belustigen; ~ da ! Ô ! ~ da tëne, da mouje, da balé, da podei fè, … fare in modo (allestire in modo) da poter stendere (biancheria), mun ! } ! ! ÂÔ } ! aufzuhängen, um zu melken, sich auf den Tanz vorbereiten, alles bereit stellen, um etwas tun zu können…; ~ danouf Ô ! ~ davò ! ! Ô na ! imité; ~ del ben aiutare, } ! } Ô © ! ~ fòra accordarsi, concordare, ! Ô ! ! restauré; ~ fòra i conc fare i conti Ô } ! ! } chnen; ~ fòra ram Ô ÷ entlauben; ~ gola invogliare, ingolosi Ô { ! < ~ ! ? ~ ite ! ? ! ! " & Ô einwickeln; einpacken; schwären, eitern (Finger); ~ ite fen far fieno (in modo di averne come deposito); attendere alla fienagione; rastrel Ô ¸ ! ¸ sämtliches Heu einfahren; ~ ju la salata × Ô achen; ~ ju na fazada imbiancare u Ô { ¯ ~ ~ mèl dolere, far Ô ~ ~ ndavò Ô ~ ~ nnavánt " & Ô (eine Arbeit) fortsetzen; ~ poura spa ! Ô { ¯ ! ~ su addobbare, ador ! Ô ücken, schmücken; ~ su fabbricare, costruire, Ô } ! } ! costruì; ~ su raggomitolare, avvolgere, Ô ~ ! ~ ! ? mmenlegen; ~ su l let rifare Ô t machen, aufbetten; ~ su legna Ô ¸ ? ~ su n limiscel Ô ~ ~ tapa Ô ~ vedel partorire ! Ô } ! } } ~ via i scufs fare i lavori di casa Ô ¸ } ichten; l l à fat fòra l’hanno ammazzato; l’hanno Ô } } } i se l’à fata fòra si sono Ô } ! } ié la ~ a un superare uno i ? Ô } ! } rtölpen; ié la ~ ju fargliela pagare, vincere, Ô ~ ? ! ? ! durchsetzen; l’è fata ð } Ô ! erichtet; l me l’à fata me l’h } ð Ô " & ~ er ist vor mir angekommen; la vacia l’à da ~ ð Ô steht kurz vor dem Kalben; le ~ dute combi Ô anrichten; le pite le no fèsc " î& Ô ¸ Eier (mehr); mel è fat fora dut cánt l’ho divora Ô } ? ! habe alles aufgegessen; no savei co ~ non sapere come fare, non raccapez? Ô t <?page no="120"?> Ruth Videsott 110 wissen, wie tun, sich nicht zurechtfinden; se ~ avanti Ô eten; se ~ fòra × ° ? Ô } "} Aufteilung) einigen; se ~ ite trovarsi di compagnia, inserirsi, armonizzare, ? ? ! ? ? Ô ! ! ! sozialisieren; se la ~ adòs Ô " { & ¸ achen; se ~ su biei ! Ô ? se ~ su (da mangé) cucinarsi Ô " & kochen; se ~ su na cèsa }} Ô ¸ } se ~ vèlch farsi fare una Ô ~ Anhang 3) Wörterbuchartikel Haus; casa COMITATO 1997 casa f. cià a, pl. cià es; dim. cia éta, pl. cia étes; accr. cia óna, pl. cia ónes; pegg. cia àta, pl. cia àtes; casa padronale (senza fienile e stalla) palazìna, pl. palazìnes; casa vuota cià a vóita. MISCHÌ 2000 Haus n. 1 - "-ses) f. 2 (Familie) familia (-ies) f. 3 (Dynastie, Geschlecht) dinastia (-ies) f. Ô altes baufälliges ~ } - aus dem ~ gehen ± - aus gutem ~(e) de buna familia; das ~ ist fünf Stock hoch - ð ? das ~ ist mein eigen - µ mia; das ~ sauber halten ± - Õ ein ~ abreißen ° - ein ~ aufbauen ° - frei ~ liefern - frei (ins) ~ " & - ! großes ~ § ¨¢ ©- hinter dem ~ " & - im ~ ist Feuer ausgebrochen - µ im ~ alte Arbeiten verrichten (von älteren Leuten) fà scüfs; scufiné; von ~ zu ~ gehen ± - - ± von ~ zu ~ in Kost gehen jì a rôde; vor leerem ~ spielen jobelnè dan n salf öt; wo sind Sie zu ~e? olâ abi Õ Å ï Õ Å - ï zu ~e sein - sa. DILF 2001 casa sf. cèsa, -es; maj n, -s; (grande) ciasona, -es; (piccola) ciaseta, -es; a ~ te cèsa; a cèsa; in ~ te cèsa; daìte via; in ~ mia te mia cèsa. FORNI 2002 Haus n. 1 cësa (-es) f. 2 § 0 * - ® ciasona (-es) f. 3 (Gebäude) frabica (-ches) f. 4 frabicat (-cac) m. 5 (Wohnung) cuatier (-es) m. 6 (Zuhause) ncësa m, sg tant. 7 (Geschlecht, Dynastie) dinastia (-ies) f. 8 slata (-es) f. 9 (Familie) familia (-es) f. 10 jënt f, koll. 11 (Volksstamm) tribù f, unv. 12 nazion (-s) f. , schlechtes ~ bicoca (-ches) f; kleines ~ zufa (-es) f; zufia (-ies) f; gruzena (-es) f; schlechtes, baufälliges ~ (verächtlich) tana (-es) f; aus dem ~e gehen jì ora de cësa; jì a bercia; außer ~ sein vester ora de cësa; auf das ~ zu de vier(e)s de cësa ; im ganzen ~ sëura duta cësa; im ~ bleiben sté te cësa ; sté dedite; er hat das hanze Jahr Wein im ~ ël à dut l ann vin n cësa. SPELL 2002 ciasa, -es sf. ¸ õ Ô Bu - Gr cësa Fa Fo cèsa Am ciasa; a ciasa heim, da õ Ô Bu - Gr a cësa Fa Fo a cèsa Am a ciasa; ciasa de vacanzes Ferien õ ? Ô Bu - ? Gr cësa de vacanzes ~ cësa de feries Fa cèsa da <?page no="121"?> Zum Stand der dolomitenladinischen Lexikographie 111 vacanzes Fo ‡ ð Õ - Am ciasa par ra vacanzes; ciasa de comun Gemeindehaus, õ i Ô Bu - Gr cësa de chemun Fa Fo cèsa de comun Am ciasa de comun; ciasa de cura ¸ ! õ Ô Bu - Gr cësa de cura Fa Fo cèsa de cura Am ciasa de cura; ciasa de paussa Altersheim, Erho õ Ô Bu - Gr cësa de paussa Fa cèsa de paussa Am ‡ ospedal; da ciasa õ Ô Bu - Gr da cësa Fa Fo de cèsa Am de ciasa; ester a ciasa ? ¸ ! õ Ô Bu - Gr vester a cësa Fa esser a cèsa Fo ester a cèsa Am èsse a ciasa; ester da ciasa wohnen; } õ } "# " Ô Bu - Gr vester da cësa Fa ‡ stèr de cèsa Fo ester de cèsa ~ sté de cèsa Am stà de ciasa; jì a ciasa nach Hause g õ Ô Bu ± - Gr jì a cësa Fa jir a cèsa Fo jì a cèsa Am å± MASAREI 2005 cèsa, -e f. Ô ¸ ! © } chi de ~ Ô ~ dten; éster de ~ Ô ? fòra de ~ fuori di casa; non più in Ô ¯ ¸ fòra per le ~ nelle case (di villag &! Ô ¸ ! von Haus zu Haus; i scufs de ~ le faccende domestiche Ô ¸ } paré fora de ~ Ô ! ! æ setzen, hinausjagen; rué a ~, ð µ Ô ! ¸ kommen (gehen); sen sté a ~ starsene a casa, non andare (ad u & Ô ? Hause bleiben; tourné a ~ Ô <?page no="123"?> Antje Zilg Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 1 Einleitung Das französischsprachige Gebiet der Schweiz (la Suisse romande, la Romandie) umfasst die einsprachigen Kantone Genf (Genève), Jura (Jura), Neuenburg (Neuchâtel), Waadt (Vaud) sowie die frankophonen Teile der zweisprachigen Kantone Freiburg (Fribourg), Bern (Berne) und Wallis (Valais). Das Französische ist mit einem Sprecheranteil von 20,4% der Schweizer Bevölkerung eine Minderheitensprache. In historischer Perspektive führte die lexikographische Auseinandersetzung mit diatopisch markierten Elementen zunächst zu Zusammenstellungen mit normativem Charakter, so genannte glossaires (Thibault/ Knecht 2004: 11). Diese didaktisch perspektivierte Lexikographie diente der Erfassung zu vermeidender Ausdrücke, denen der korrekte Sprachgebrauch gegenübergestellt wurde. Das älteste Zeugnis stammt von Poulain de la Barre aus dem Jahre 1691 und bezieht sich auf das in Genf gesprochene Französisch (Essai des remarques particulières sur la Langue Françoise, pour la ville de Genève). Auch in den anderen Kantonen wurden derartige korrektive Bemühungen unternommen, im Kanton Waadt ab 1808, in Neuenburg ab 1825 und im Kanton Jura ab 1828. Als einziger katholischer Kanton verfügt Freiburg über das Glossaire fribourgeois, ou recueil des locutions vicieuses usitées dans le canton de Fribourg (1864) (Thibault/ Knecht 2004: 11). Die Veröffentlichung einer Reihe von Helvetismen im Supplément des Dictionnaire de la langue française von Littré im Jahr 1877 markiert den Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung 1 mit dem français régional der Suisse romande (Thibault/ Knecht 2004: 11). Im Vorwort des Supplément begründet Littré die Aufnahme wie folgt: J’ai d’abord voulu pourvoir au nécessaire. […] Les noms locaux d’engins, de plantes, d’animaux sont bons à enregistrer; ils tiennent leur place dans la langue et en méritent une dans le dictionnaire. (Littré 1877: III) 1 Zur Abgrenzung der lexicographie scientifique von der lexicographie grand public s. Thibault (2008: 90 ff.). <?page no="124"?> Antje Zilg 114 Littré nimmt zu einzelnen Lemmata positive Bewertungen vor, so für das aus dem patois des Waadtlandes stammende Lemma abeiller ‚Bienenhaus‘: „abeiller est un joli mot“ (Littré 1877: 1). Über die in Genf gebräuchliche Wendung à l’ouïe de formuliert er: „Cette locution est bonne et mérite d’être employée.“ (Littré 1877: 250). Um 1900 beginnt William Pierrehumbert (1882-1940) mit einer systematischen Sammlung von Ausdrücken aus dem Kanton Neuchâtel und wertet auch schriftsprachliche Quellen der gesamten Suisse romande aus. Er begründet damit den Beginn der so genannten lexicographique différentielle des Französischen in der Suisse romande. Das Dictionnaire historique du parler neuchâtelois et suisse romand wird 1926 veröffentlicht (Thibault/ Knecht 2004: 11). Die geforderte Achtung der provincialismes romands begründet er wie folgt: Nous affirmons […] que le provincialisme romand proprement dit est digne de toute estime: soit qu’il représente une chose qui nous est propre, une idée intraduisible en « bon français » sans d’ennuyeuses périphrases, soit qu’il offre à l’expression classique un synonyme familier et savoureux. (Pierrehumbert 1926: 1) In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, die als „une époque où les mots du terroir […] retrouvent une saveur, une légitimité nouvelles“ (Pidoux 1984: 8) charakterisiert werden, sind die Werke Le langage des Romands von Pidoux (1984) und Le suisse romand tel qu’on le parle. Lexique romandfrançais von Hadacek (1983) entstanden. Die Zusammenstellung von Pidoux basiert auf der Sprache der gens de plume der verschiedenen Kantone und stellt eine Liste der „mots les plus communément en usage dans la Suisse francophone“ (Pidoux 1984: 13) dar. Bei Hadacek (1983) können die Lemmata in folgende Kategorien eingeteilt werden: 1. les mots propres à des particularités ou à des institutions helvétiques. 2. Les germanismes. 3. Les locutions et les tournures vraiment de provenance locale. Auch bei Nicollier (1990; Dictionnaire des mots suisses de la langue française. Mille mots inconnus en France usités couramment par les Suisses) stellt der Grad der Verbreitung das Hauptaufnahmekriterium für die Lemmata dar: […] j’ai cherché à ne mentionner que les mots d’usage courant, intelligibles à la majorité des Romands. J’ai mis de côté tous les mots rares, anciens, régionaux, tous les mots que l’homme moyen, en Suisse romande, ne comprendrait pas. (Nicollier 1990: 5) Eine literarisch basierte lexikographische Arbeit stellt das Werk von Lengert (1998) ¯ ° _ e siècle, d’après le Journal intime d’Henri-Fr. Amiel dar. Auf der Grundlage des zwischen 1839 <?page no="125"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 115 und 1881 entstandenen, mehrere Bände umfassenden Journal intime des Genfer Schriftstellers und Philosophen Henri-Frédéric Amiel liefert der Autor eine 979 Lemmata enthaltende Zusammenstellung der Regionalismen der Suisse romande. 2 Über die Problematik der Einordnung eines Regionalismus als stilistisches oder zur Alltagssprache gehörendes Element formuliert Lengert (1998: 11 f.): Plus que d’autres sources écrites, le texte littéraire prête […] à la confusion entre variété linguistique et emploi idiolectal, de sorte qu’il reste toujours une certaine marge de doute entre l’usage littéraire du régionalisme et son emploi dans la langue quotidienne. Lengert ermittelt in Abgrenzung zum français standard fünf Kategorien von Regionalismen, die im Journal intime folgender Verteilung entsprechen: Kategorie Wert (absolut) Wert (relativ) Régionalismes phonétiques 7 0,7% Régionalismes grammaticaux 34 3,5% Régionalismes sémantiques 293 29,9% Régionalismes lexicaux 461 47,1% Régionalismes phraséologiques 184 18,8% Tab 1: Die Regionalismen nach linguistischer Beschreibungsebene bei Amiel (Lengert 1998: 17) In onomasiologischer Perspektive lassen sich die im Werk Amiels aufgedeckten Regionalismen folgenden semantischen Feldern zuordnen: 3 2 Amiel setzt sich auch mit sprachlichen Fragestellungen auseinander, wie es Lengert (1998: 13) beschreibt: „Partout dans le Journal, notamment dans les premiers volumes, l’auteur s’occupe de phénomènes linguistiques, consulte et critique les dictionnaires de l’époque, fait des analyses de synonymes, dresse l’inventaire des petits mots du français. […] Il a donc une conscience bien développée des faits linguistiques. […] D’autre part on peut supposer que ses connaissances du patois étaient faibles, pour ne pas dire inexistantes. […] Il est hors de doute que l’attitude d’Amiel face aux régionalismes est foncièrement négative.“ 3 Die fünf am stärksten vertretenen Kategorien werden kursiv gesetzt. Comportement humain, relations sociales (100); Etat, politique (73); Relations sociales (69); Actions diverses (67); Ecole, université (56). <?page no="126"?> Antje Zilg 116 Catégorie générale Catégorie spécifique Univers 1. Géographie, 2. Météorologie, 3. Flore, 4. Faune Homme 1. Homme, corps, âge, naissance, mort, 2. Nourriture, boissons, 3. Travail, professions, 4. Maison, 5. Vêtements, 6. Pensée, 7. Sentiments, 8. Comportement humain, relations sociales, 9. Actions diverses Société 1. Relations sociales, 2. Langue, 3. Fêtes, manifestations folkloriques, 4. Jeux, sports, 5. Culture Etat 1. Etat, politique, 2. Administration, 3. Organisation juridique, 4. Ecole, université, 5. Militaire, 6. Religion Catégories abstraites 1. Quantité, 2. Qualité, 3. Lieu, temps Tab 2: Die Regionalismen nach semantischen Feldern bei Amiel (Lengert 1998: 20 f.) Im Zentrum der vorliegenden Darstellung stehen folgende Wörterbücher: 1. Thibault, André/ Knecht, Pierre (1997, 2004), Dictionnaire suisse romand. Particularités lexicales du français contemporain. 4 2. Gauchat, Louis/ Jeanjaquet, Jean/ Tappolet, Ernst (1924 heute), Glossaire des patois de la Suisse romande. Beide zählen nach Hausmann (1989: 973f.) zu den merkmalhaltigen Spezialwörterbüchern, die es sowohl bei einals auch bei zweisprachigen Wörterbüchern gibt, und die z.B. Wörterbücher des landschaftlich markierten Wortschatzes oder Dialektwörterbücher umfassen. Casanova (1982: 178) rückt den Glossaire in die Nähe der zweisprachigen Wörterbücher: „Dans la partie sémantique […] il définit en français des mots patois, à la manière d’un dictionnaire bilingue.“ 4 An dieser Stelle möchte ich Eva Buchi herzlich danken für die Vermittlung des Kontakts zu André Thibault, der mir, ebenfalls dankenswerterweise, wertvolle Informationen zu einzelnen Lemmata, zur Makrostruktur sowie zum Stand der Informatisierung gegeben hat. <?page no="127"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 117 2 Zum Dictionnaire suisse romand 2.1 Die Makrostruktur Haßler (2001: 927) unterscheidet nach dem Umfang der Makrostruktur und ihrem Verhältnis zum ausgewerteten Korpus extensive, restriktive und selektive Wörterbücher. Während extensive Wörterbücher auf eine möglichst umfassende Beschreibung des Wortschatzes gerichtet sind, erfassen restriktive Wörterbücher die Lexik eines bestimmten Sprachgebrauchs. Sie können in deskriptive und normative Wörterbücher eingeteilt werden. Bei selektiven Wörterbüchern schließlich wird die Zuordnung zu einem bestimmten Wörterbuchtyp durch den Gesichtspunkt der Auswahl bestimmt (z.B. Autorenwörterbücher). Das Dictionnaire suisse romand stellt ein deskriptiv ausgerichtetes restriktives Wörterbuch dar, in dem die Abweichungen im lexique régional der Suisse romande gegenüber dem Standardfranzösischen erfasst werden. Diese können nach Thibault/ Knecht (2004: 10) in folgende Kategorien eingeteilt werden: Archaismen (z.B. heurter anstelle von frapper), Innovationen (z.B. gentiment anstelle von lentement), Übernahmen aus Dialekten (patois) (z.B. chotte anstelle von abri) und Entlehnungen aus einer Nachbarsprache (z.B. tabelle anstelle von tableau). 5 Grundlage für den Aufbau des Lemmaverzeichnisses ist eine einige hundert Wörter umfassende Liste, die auf der Basis des folgenden Kriteriums zusammengestellt worden ist: […] l’un des critères ayant présidé au choix des mots de la liste de base était la représentativité du terme à l’échelle de toute la Suisse romande. (Thibault/ Knecht 2004: 18) Diese Liste wurde zunächst in semasiologischer Perspektive erweitert, indem Wortfamilien berücksichtigt wurden. Dies begründet beispielsweise die Aufnahme von arboriser und arborisation ergänzend zu arborisé (‚bewaldet‘) oder die Aufnahme der Komposita armailli-chanteur und maître-armailli in Ergänzung zu armailli (‚Senner‘). In onomasiologischer Perspektive galt es, alle Elemente eines gegebenen semantischen Feldes zu berücksichtigen. So ist die Aufnahme des Lemmas la Saint-Martin (= fête traditionnelle jurassienne) begründet durch die Substantive abbaye (= fête de village vaudoise), vogue (= foire genevoise) und bénichon (= fête traditionnelle fribourgeoise). Analog lässt sich die Aufnahme der Lemmata 5 Näheres zur Behandlung der Entlehnungen im DSR findet sich bei Thibault (2000). <?page no="128"?> Antje Zilg 118 train régional und train direct begründen, die in Opposition zu den sog. trains accélérés des Schweizer Schienenverkehrssystems stehen. In einem weiteren Schritt wurden Elemente berücksichtigt, deren Reichweite sich nicht über das gesamte Gebiet der Suisse romande erstreckt. Über den Nutzen dieser Zusammenstellung formulieren Thibault/ Knecht (2004: 18): Le DSR se montre donc accueillant envers les jurassismes, les valaisanismes et autres vaudoisismes. Ainsi, non content d’expliquer la Suisse aux étrangers, il aidera en outre les Ro ° | Das Vorhaben der Erstellung eines Differenzwörterbuches führte zu Überlegungen der Inklusion bzw. Exklusion bestimmter Kategorien von Lemmata. So fanden die Einheiten, die bereits in den allgemeinen französischen Wörterbüchern erscheinen und dort mit der Angabe régional oder régional (Suisse) versehen sind, Eingang in das Lemmaverzeichnis, da in den französischen Referenzwörterbüchern die genaue Angabe der betreffenden Region oftmals fehlt oder fehlerhafte Zuordnungen vorgenommen wurden (TLF und Grand Robert). Zudem galt es, die Struktur der semantischen Mikrosysteme in semasiologischer und onomasiologischer Sicht zu erhalten, die ohne das Vorkommen zentraler Feldelemente nicht gewahrt wäre (Thibault/ Knecht 2004: 18). Eine zweite Kategorie stellen in diesem Zusammenhang Elemente mit regional begrenzter Reichweite dar, die der Bezeichnung schweizerischer oder alpiner Gegebenheiten dienen, in den allgemeinen französischen Wörterbüchern jedoch nicht als regional gekennzeichnet sind. Zahlreiche dieser Elemente sind in den alltäglichen Sprachgebrauch der Frankophonen übergegangen. So wurde beispielsweise alpage (‚Alp‘ (Schweiz); ‚Alm‘) aufgenommen, da es im Zentrum eines ausgedehnten Netzes steht (alpe, alper, alpé, alpée, alpant, alpéateur, alpateur, désalpe, inalpe etc.) und zudem in der Schweiz eine deutlich höhere Frequenz aufweist als in der übrigen Frankophonie (außer in Savoie). Außerdem bildet es Syntagmen, die dem Französischen der französischen Schweiz eigen sind: lait, crème, beurre, fromage d’alpage; comité, consortage d’alpage; bâtiment, chalet d’alpage (Thibault/ Knecht 2004: 18f.). An dritter Stelle führen Thibault/ Knecht (2004: 19) Helvetismen auf, die sich nur graphisch von der standardsprachlichen Form unterscheiden. Diese Elemente, z.B. das Substantiv la beuse, Variante von la bouse (‚Kuhfladen‘), sind nicht in das Lemmaverzeichnis aufgenommen worden. Ebenfalls ausgeklammert wurden die veralteten Wörter, ist das lexikographische Vorhaben doch auf die Erfassung des Sprachgebrauchs <?page no="129"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 119 der Gegenwart gerichtet. Ausnahmen wurden für einige mots-souvenirs gemacht, die über zusätzliche Konnotationen verfügen: […] nous avons fait une exception pour certains «mots-souvenirs» qui ne sont plus guère employés au premier degré avec une valeur neutre mais que | et utilise encore, d’une manière plaisante ou pour créer une connivence avec ses interlocuteurs. D’autres mots survivent à la disparition de leur référent et acquièrent une connotation folklorique. (Thibault/ Knecht 2004: 19) Die Autoren führen als Beispiel das Substantiv brante (‚Bütte’) an. Es wird zwar eingeräumt, dass das Referenzobjekt durch moderne Werkzeuge ersetzt worden ist, allerdings werden die traditionellen Bütten auch heute noch im Rahmen der Festlichkeiten anlässlich der Weinlese eingesetzt. Die Aufnahme dieses Lexems lässt sich auch sprachsystematisch begründen, da auf dessen Basis die Ableitungen brantée (‚bestimmte Menge an Most’) und brantard (‚Tagelöhner bei der Weinlese‘) gebildet wurden (Thibault/ Knecht 2004: 19). Die Erfassung der Elemente des ländlichen Wortschatzes findet ihre Legitimation in der Aufnahme universitärer Termini: […] comme nous avons inclus dans la nomenclature des mots de la langue universitaire, tels que dies academicus, auditoire ou aula, nous avons jugé que les termes ruraux étaient bien tout aussi dignes de mention. (Thibault/ Knecht 2004: 19) Von den unzähligen Wörtern und Syntagmen des politischen, administrativen und juristischen Wortschatzes der französischen Schweiz haben diejenigen Eingang in das Lemmaverzeichnis gefunden, die über eine besonders hohe Frequenz verfügen. Zuweilen haben diese Elemente eine Bedeutungserweiterung erfahren oder sie fungieren als Ableitungsbasis für weitere Formen. Das Initialwort AVS (assurance-vieillesse et survivants) bezeichnet z.B. auch eine Person, die das Alter erreicht hat, in dem sie diese Rente empfängt: un, une AVS (Thibault/ Knecht 2004: 20). Einwohnerbezeichnungen stellen eine weitere Kategorie dar, in deren Zusammenhang Überlegungen bezüglich der Inklusion in das Lemmaverzeichnis angestellt wurden. Nicht nur, dass die Erfassung sämtlicher dieser Bezeichnungen sehr zeitaufwändig ist, in diesem Bereich ist zudem die Grenze zwischen mots du français régional und mots patois besonders unscharf. Thibault/ Knecht (2004: 20) beschränken sich in ihrem Wörterbuch darauf, diejenigen Einwohnerbezeichnungen, die in den Zitaten vorkommen, im Anhang ihres Werkes aufzuführen (z.B. Anniviard: Val d’Anniviers [VS] (s.v. reine 1), Yverdonnois: Yverdon [VD] (s.v. bar à café) <?page no="130"?> Antje Zilg 120 (Thibault/ Knecht 2004: 786f.)). Das lexikographische Vorhaben eines Wörterbuchs des Französischen der Suisse romande erfordert auch eine Festlegung bezüglich des Umgangs mit Eigennamen. So wurden Wein- und Käsebezeichnungen nur aufgenommen, insofern sie Appellativa darstellen (z.B. vin du glacier [VS]), eingetragene Markennamen hingegen wurden nicht in das Lemmaverzeichnis aufgenommen (z.B. OVOMALTINE , CENOVIS ). Wird ein Markenname nicht mehr als Eigenname eines Produkts (oder einer Produktgruppe) von einem ganz bestimmten Hersteller oder Händler verstanden, verselbständigt er sich und wird zum Gattungsbegriff. Dieser Vorgang wird als „Deonymisierung“ bezeichnet. Als Beispiel führen die Autoren das Substantiv bancomat (n.m. distributeur automatique de billets de banque) an: Il s’agit d’une création de la langue des banques suisses, que les Romands sont susceptibles d’employer pour désigner n’importe quel distributeur de billets de banque dans n’importe quel pays. À partir du moment où le nom propre cesse d’en être un pour fonctionner comme un simple appellatif, il peut avoir droit à une place dans la nomenclature. (Thibault/ Knecht 2004: 20) Eingang in das Lemmaverzeichnis haben auch solche Eigennamen gefunden, die im Zentrum eines Netzes syntagmatischer Verbindungen stehen. Das Initialwort CFF (Chemins de fer fédéraux) beispielsweise fungiert als Determinans in folgenden Verbindungen: lignes CFF, gare CFF, buffet CFF, employé CFF, clientèle CFF. Diese Formen liegen an der Grenze zu den Appellativa. Als letzte Kategorie, mit der sich Überlegungen zur Aufnahme in das Lemmaverzeichnis verbinden, führen Thibault/ Knecht (2004: 20) die sog. régionalismes négatifs et de fréquence an. So kann im Nichtvorhandensein eines lexikalischen Elements oder aber in dessen hoher Frequenz das spezifisch Regionale liegen. Das Adjektiv marron (‚(kastanien)braun‘) findet beispielsweise in der Suisse romande kaum Verwendung. Das Substantiv ‚Joghurt‘ hingegen findet sich in der französischen Schweiz häufiger in der Form yog(h)urt als in der Schreibung yaourt, in Frankreich verhält es sich umgekehrt. Die Behandlung derartiger Fälle befindet sich allerdings noch in der Entwicklung: Nous signalerons toutefois que l’exploitation des banques textuelles Suistext, Frantext, Beltext et Québétext commence à rendre possible l’élaboration de riches bases documentaires nécessaires à la réalisation de ce type d’article. (Thibault/ Knecht 2004: 21) <?page no="131"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 121 2.2 Die Wörterbuchaußentexte Die Wörterbuchtexte im Vorspann des DSR umfassen folgende Verzeichnisse: a. Abréviations usuelles; symboles; sémiologie de la typographie b. Abréviations des sources du corpus des citations Das Quellenverzeichnis b) enthält in einem ersten Teil „l’ensemble des journaux, hebdomadaires et autres publications périodiques dépouillés, en spécifiant leur périodicité et la ville où siège la rédaction“ (Thibault/ Knecht 2004: 21), ein zweiter Teil erfasst „tous les romans, récits, essais et ouvrages didactiques qui ont fourni des citations au DSR, classés par ordre alphabétique d’auteur (ou de titre pour les ouvrages anonymes)“ (Thibault/ Knecht 2004: 21). Zu den Wörterbuchaußentexten im Nachspann des DSR zählen folgende Verzeichnisse: 1. Mots glosés entre crochets carrés dans les citations 6 2. Gentilés (ou „ethniques”) attestés dans les citations [Beispiel: Zougois: Zoug [canton alémanique de la Suisse centrale] (s.v. arborisé)] 3. Mots du français général (ainsi que de Belgique et du Canada) cités dans les remarques et les commentaires (renvois synonymiques) [Beispiel: couette s.v. duvet] 4. Mots et emplois suisses romands attestés ailleurs dans la francophonie 5. Mots attestés dans les autres régions linguistiques de la Suisse cités dans les remarques et les commentaires 6. Liste des étymons du FEW cités dans les commentaires [Beispiel: COL- LUM s.v. cou] 7. Phénomènes morphologiques et syntaxiques 8. Index par champs conceptuels 9. Liste alphabétique inverse des formes traitées dans le dictionnaire 10. Bibliographie [Beispiel: AcC 1836: Supplément au Dictionnaire de l’Académie Française, Paris, 1836.] Über die Zielgruppe und den Nutzen des Verzeichnisses 3) formulieren Thibault/ Knecht (2004: 22): 6 Dieses Verzeichnis enthält Helvetismen, selten verwendete Wörter oder Siglen, denen kein eigener Eintrag entspricht. In den Zitaten zur Erläuterung der Lemmata erscheinen sie in eckigen Klammern, z.B. salade rouge n. f. ‚salade de betteraves‘ s.v. porreau; UNIL n. f. ‚Université de Lausanne‘ s.v. professeure. <?page no="132"?> Antje Zilg 122 Une telle liste est surtout destinée aux usagers des autres pays francophones qui souhaiteraient savoir si l’emploi d’un terme donné est approprié pour s’adresser à un public suisse romand […]. […] Cette liste constitue en même temps une sorte d’index onomasiologique d’un type particulier […] qui permet d’avoir accès aux helvétismes par un canal différent. Im Verzeichnis 4) werden folgende frankophone Gebiete unterschieden: a. Mots attestés en France (dans l’usage régional contemporain) [Beispiel: brasser (la neige) loc. verb. (Franche-Comté)] b. Mots attestés dans la Vallée d’Aoste [Beispiel: consort n. m.] c. Mots attestés en Belgique (Wallonie et Bruxelles) ou au Luxembourg [Beispiel: académique adj.] d. Mots attestés en Amérique du Nord (Québec, Acadie, Saint- Pierre et Miquelon, Louisiane) [Beispiel: pousse-pousse n. m.] e. Mots attestés en Afrique du Nord [Beispiel: trempe adj.] f. Mots attestés en Afrique noire [Beispiel: camisole n. f.] g. Mots attestés dans les créoles [Beispiel: trâlée n. f. (Réunion, Seychelles)] Im Verzeichnis 5) sind deutsche, italienische und rätoromanische Ausdrücke aufgeführt, die über eine lexikalische Entsprechung im Französischen der Romandie verfügen und auf die in den Kommentaren verwiesen wird [Beispiele: Suisse alémanique: Benzinsäule n. m. s.v. colonne (d’essence); Suisse italienne: buon tedesco n. m. s.v. bon allemand; mots romanches (rumantsch grischun standardisé): brenta n. f. s.v. brante]. Folgende Typen werden in diesem Zusammenhang unterschieden: Il peut s’agir de mots romands empruntés par les Alémaniques, de mots alémaniques empruntés par les Romands, ou plus simplement de statalismes pan-helvétiques pour lesquels il existe toujours un équivalent dans les quatre langues nationales. (Thibault/ Knecht 2004: 22 f.) Thibault/ Knecht (2004: 23) verbinden mit dieser Zusammenstellung folgende Aussicht: Nous exprimons l’espoir que cet index soit utile à nos collègues lexicographes et lexicologues « confédérés », qui trouveront parfois dans le DSR la première attestation lexicographique d’un Helvetismus allemand ou d’un elvetismo italien. Dem Wörterbuchbenutzer begegnen in den Belegstellen der Lemmata morphologische und syntaktische Phänomene, die im Grenzbereich zwischen Lexikon und Morphosyntax liegen, und die im Verzeichnis 7) erläutert werden. Exemplarisch seien aufgeführt: <?page no="133"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 123 a. Die Feminisierung von Berufsbezeichnungen [Beispiel: la pasteure] b. Die Voranstellung der Abkürzung der Währungseinheit [Beispiel: « Repas de midi compris/ Fr. 49.- » s.v. bouchoyade] c. Die Voranstellung der Abkürzung der Maßeinheit [Beispiel: « Choux-fleurs étrangers/ kg 2.50 » s.v. action (Rem.)] d. Das Passé surcomposé [Beispiel: « J’ai eu travaillé à la compagnie, il y a trente ans en arrière. » s.v. arrière (en -)] e. Der Gebrauch des bestimmten Artikels vor Vornamen und Verwandschaftsbezeichnungen [Beispiel: « le Peter faisait la gueule » s.v. Neinsager] f. Verkürzte Partizipien (deverbale Adjektive) [Beispiel: enfle] g. Gebrauch der Präposition en vor Valais [Beispiel: « En Valais, on l’appelle le fendant. Vous le sulfatez combien de fois ? » s.v. fendant 1] Das Verzeichnis 8) enthält eine Zusammenstellung von 23 Wortfeldern und zugehöriger Feldelemente. Diese onomasiologische Perspektive ermöglicht es, semantische Felder in ihrer Gesamtheit zu betrachten und so einem der Nachteile der initialalphabetischen Anordnung zu begegnen, die dies nicht zulässt (Thibault/ Knecht 2004: 23). Eine derartige Perspektive forderte bereits Wiegand (1977: 102): Die totale Herrschaft des Alphabets, die die Wortschatzstrukturen zertrümmert, muss durch Kodifikationsverfahren überwunden werden, die die onomasiologische Blindheit der Wörterbücher beseitigt. Folgende Felder werden unterschieden: 1. Quantité, mesures 2. Défauts, qualités; termes péjoratifs ou mélioratifs; sobriquets 3. Termes de politesse 4. Folklore, traditions populaires, coutumes 5. Vêtements 6. Sports; jeux de société; loisirs 7. Terminologie agricole et vinicole 8. Vins, boissons 9. Mets; fromages; spécialités culinaires; termes de cuisine <?page no="134"?> Antje Zilg 124 10. Hôtellerie, restauration 11. Construction, habitation 12. Termes domestiques 13. École, université 14. Administration, État, politique 15. Voyage, train, route; poste, télécommunications 16. Armée 17. Institutions financières; argent 18. Horlogerie 19. Religion 20. Flore 21. Faune 22. Climat, météorologie 23. Géographie, topographie Zu den Wörterbuchaußentexten im Nachspann des DSR zählt schließlich die Bibliographie, die sämtliche metalinguistischen Werke, alphabetisch nach ihrem Kürzel geordnet, enthält. 2.3 Die Mikrostruktur Die Autoren lassen sich bei der Lemmatisierung bezüglich der Graphie von folgenden Prinzipien leiten: Oberstes Kriterium ist die Graphie eines Lemmas in der Gegenwartssprache. Dort, wo dieses Kriterium aufgrund mangelnder Belege nicht angewendet werden kann, greifen sie auf die lexikographische Tradition zurück. In unklaren Fällen ziehen sie ergänzend das Kriterium der Etymologie heran (Thibault/ Knecht 2004: 28 f.). Seltenere Varianten folgen derjenigen, die die höchste Frequenz aufweist, in Klammern, z.B. YOUTZE [juts] n. f. (var. YOUTSE ) ‚long cri modulé’ (Thibault/ Knecht 2004: 774). Die Angabe der phonetischen Transkription nach API erfolgt nur in den Fällen, in denen die Aussprache eines Lemmas in der Suisse romande von der standardfranzösischen Aussprache abweicht (z.B. DISTRICT [dist R i]) oder aber, wenn sie sich nicht eindeutig aus der graphischen Form erschließt (z.B. ZWIEBACK ). Einige Lemmata stellen lediglich Verweis-Lemmata dar. Dies betrifft zum Beispiel Ausdrücke, die als Bestandteil komplexer Verbindungen an unterschiedlicher Stelle des alphabetisch angeordneten Lemmaverzeichnisses erscheinen könnten, z.B. ACHEMINEMENT NUMÉRO POSTAL ( D ’ ACHEMINEMENT ). Zumeist handelt es sich jedoch um Verweise, die kenntlich machen, dass das betreffende Element als Sublemma in einer <?page no="135"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 125 Anmerkung oder in einem Kommentar erscheint. Größtenteils sind dies selten verwendete Ableitungen einer weit verbreiteten Basis, die von Thibault/ Knecht (2004: 25) als mots-satellites bezeichnet werden, z.B. das von arvine, einer Rebsorte aus dem Wallis, abgeleitete Adjektiv arvineux ( ARVINEUX ARVINE Rem.). Auch syntagmatische Verbindungen, die innerhalb eines Artikels aufgeführt werden, erhalten ein Verweis-Lemma (z.B. ANNÉE ACADÉMIQUE , LIBERTÉ ACADÉMIQUE , SOCIÉTÉ ACADÉMIQUE ACADÉMIQUE ). Seltener verwendete orthographische Varianten von Lemmata, die diesen in Klammern gesetzt folgen, werden, falls die alphabetische Reihenfolge davon berührt wird, ebenfalls durch ein Verweis- Lemma an entsprechender Stelle im Wörterbuch aufgenommen (z.B. die regionale Spezialität ADRIAUX ATRIAUX Rem.). Ein Verweis-Lemma erhalten schließlich alle Einwohnerbezeichnungen, die sich in den Belegstellen finden. Nach Engelberg/ Lemnitzer (2009: 155) folgen die lexikographischen Artikel „bestimmten einheitlichen Strukturmustern, die durch verschiedene symbolische, sprachliche und typographische Elemente durchschaubar gemacht werden.“ Im Bereich der funktionalen Textsegmente von Wörterbuchartikeln können nach Wiegand (1989: 438) die Strukturanzeiger und die Angaben unterschieden werden. Das Strukturmuster der relevanten Angaben im DSR ist das folgende: Lemmazeichengestaltangabe (Transkription) Morphologische Angabe 7 Bedeutungsangabe Syntagmatik Verweise Belegstellen Lokalisation Remarques 7 Über die Erweiterung des traditionellen Kategorienapparates und die hierzu herangezogenen Disziplinen äußern Thibault/ Knecht (2004: 24): „[…] nous n’avons pas hésité à tirer parti des avancées de la linguistique moderne pour proposer une catégorisation plus adéquate de certaines unités linguistiques. C’est ainsi que la particule bon dans des contextes tels que il fait bon frais, c’est bon sec, la soupe est bonne chaude, n’est que très imparfaitement étiquetée par la mention « adverbe ». La linguistique de l’énonciation et la Partikelforschung nous fournissent les instruments conceptuels nécessaires à la catégorisation d’un tel élément, que nous préférons appeler modalisateur d’énoncé.“ <?page no="136"?> Antje Zilg 126 Commentaire historico-comparatif Bibliographie. Im Rahmen der Bedeutungserklärung gilt es, die bloße Angabe eines standardfranzösischen Äquivalents zu vermeiden, da hiermit folgende Gefahr verbunden ist: L’emploi d’équivalents français (de France) en lieu et place de périphrases définitionnelles aurait risqué d’être mal reçu par le public suisse romand, qui aurait pu retirer l’impression que le texte dictionnairique ne s’adresse pas vraiment à lui mais plutôt aux Français. (Thibault/ Knecht 2004: 28) Zur besseren Veranschaulichung der Beziehungen, die das Lexikon strukturieren, werden semasiologische und onomasiologische Verweise () vorgenommen. Die korpusbasierten Zitate sind chronologisch angeordnet, wobei jede Belegstelle mit einer möglichst genauen Zeitangabe versehen wird. 8 Die Auswahl der Belegstellen erfolgte auf der Grundlage folgender Kriterien (Thibault/ Knecht 2004: 26): Idéalement, le bloc des citations devrait: 1° illustrer la syntagmatique et les différents sens et emplois ; 2° refléter l’extension du mot dans le temps et l’espace […] ; 3° récupérer les énoncés métalinguistiques du fichier lexical ; 4° mettre en relief des connotations que la simple définition, par essence purement dénotative, ne peut exprimer. Die kantonale Verortung eines bestimmten Ausdrucks wird mittels folgender Kürzel vorgenommen: VD, VS, GE, FR, NE, BE, JU. Im Bereich der Anmerkungen (Remarques) werden Informationen zur Vitalität und Reichweite der Verwendung der Lemmata aufgeführt (z.B. mot-souvenir, restreint à l’usage oral, emploi critiqué). Auch werden in diesem Textsegment die Beziehungen zwischen Sprachformen der Suisse romande und ihren standardfranzösischen Äquivalenten erläutert. So wird die standardfranzösische Variante des Nomens assermentation (‚Vereidigung‘) prestation auch in der Romandie verwendet. Ziel derartiger Anmerkungen ist es: „de compenser le caractère différentiel du dictionnaire, en faisant le pont avec les unités lexicales qui appartiennent à la langue générale.“ (Thibault/ Knecht 2004: 27). Schließlich wird an dieser Stelle Kritik geübt an fehlerhaften Zuordnungen in den französischen Referenzwörterbüchern. So wird die Form bringuer in der Bedeutung porter un toast, die 8 Elemente der Makrostruktur, die in den Zitaten verwendet werden, werden dort mit einem Asterisken versehen. Falls ein mot suisse romand aus einem Zitat nicht im Lemmaverzeichnis erscheint, wird es im Zitat in eckige Klammern gesetzt und in einem Verzeichnis im Anhang erläutert (Thibault/ Knecht 2004: 26). <?page no="137"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 127 bereits bei Pierrehumbert 1926 als „ancien“ gekennzeichnet worden war, im TLF mit der Zuordnung „région. (Suisse romande, etc.)“ versehen (Thibault/ Knecht 2004: 27). Im commentaire historico-comparatif werden der Typus (Archaismus, Dialektalismus, Germanismus, Innovation) und der Erstbeleg der regionalsprachlichen Lemmata aufgeführt. Mit dem Ziel „de donner une image plus juste de l’intégration des particularités romandes dans le grand ensemble francophone“ (Thibault/ Knecht 2004: 27) wird an dieser Stelle nach Möglichkeit auch die Verbreitung in der restlichen Frankophonie genannt. Auch die Entlehnungen der anderen Sprachgemeinschaften aus dem Französischen der Suisse romande werden aufgeführt, ebenso wie die deutschen, italienischen und rätoromanischen Äquivalente im Falle panhelvetischer Statalismen (z.B. fr. appointé n. m. ‚soldat de première classe‘, dt. Gefreiter, ital. appuntato, rätoroman. apuntà) (Thibault/ Knecht 2004: 27). Auf den Kommentar folgt eine bibliographische Rubrik, die in chronologischer Reihenfolge alle metalinguistischen Quellen aufführt. 3 Zum Glossaire des Patois de la Suisse romande Nach dem Schweizerisches Idiotikon (1881) stellt der Glossaire des patois de la Suisse romande 9 das zweite der vier schweizerischen Wörterbücher dar. 10 Nach weitgehend übereinstimmender Meinung der Forschung ist im Unterschied zu den drei anderen Sprachregionen die lokale Sprachtradition in der französischsprachigen Schweiz größtenteils verlorengegangen (Lüdi/ Quiroga-Blaser 1997: 192; Knecht 2000: 139). 11 Laut Knecht (2000: 139) ist jede Darstellung der Mundarten der französischen Schweiz somit weitgehend Vergangenheitsbeschreibung. 12 Er formuliert: 9 Über die Ursprünge der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den patois romands schreibt Knecht: „La première étude à ambition scientifique qui mentionne les patois romands s’intitule Recherches sur les langues anciennes et modernes de la Suisse. Elle a paru à Genève en 1758 et est due au pasteur et naturaliste vaudois Elie Bertrand (Orbe 1713 - Yverdon 1797).“ (Knecht 1982: 222 f.) 10 Dicziunari Rumantsch Grischun (1939), Vocabolario dei dialetti della Svizzera italiana (1952). 11 Eine Darstellung der phonetischen, morphologischen und syntaktischen Charakteristika der patois romands findet sich bei Burger (1979). 12 Im Zusammenhang mit dem Rückgang des patois beobachtet Knecht (1982: 225) „un obscurcissement de la notion de patois“. Die Generationen, die niemals mit dem patois in Berührung gekommen sind, verwechseln oftmals patois und français régional. Hausmann (1990: 1500) lehnt den Begriff des français régional für die Schweiz ab, wie <?page no="138"?> Antje Zilg 128 Pour la survivance dialectale, la Suisse romande représente […] un cas particulier. Le patois n’est plus parlé que dans quelques zones résiduelles. […] Tout porte à croire que le nombre des patoisants - autrement dit les personnes capables de parler le patois couramment - ne doit pas excéder le 1%-2% de la population romande. (Knecht 1985: 143) Für die lexikographische Forschung bedeutet dies: Comme celle-ci [la Suisse romande] est la seule partie du pays où le patois s’est réduit à une curiosité folklorique […], le rédacteur du GPSR est aussi le seul des quatre Vocabulaires à faire un travail qui s’apparente presque exclusivement à celui d’un classificateur de fossiles. (Knecht 1982: 219) 3.1 Die Makrostruktur Als „recueil général de tous les mots employés aujourd’hui ou autrefois dans les multiples variétés de l’idiome roman des cantons de Vaud, Valais, Genève, Fribourg, Neuchâtel et Berne“ (Gauchat et al. 1924: 7) enthält der Glossaire in erster Linie den Wortschatz des patois, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in diesen Kantonen aufgezeichnet wurde. 13 In den großen Städten wurde es zu dieser Zeit bereits nicht mehr gesprochen, in den kleineren Städten und in ländlichen Gebieten war es in unterschiedlichster Weise erhalten. Die Autoren haben sich einer systematischen Erhebung 14 mittels Fragebogen bedient, mit der sie unter anderem das folgende Ziel verfolgt haben: „Notre désir était aussi de faire participer directement, dans la in folgendem Zitat deutlich wird: „La souveraineté nationale des pays francophones autres que la France interdit […] d’attribuer le qualificatif de régional à des variétés de français qui, tout autant que le français standard de France, méritent l’appellation de variété nationale.“ 13 Begleitet wird der Glossaire von folgenden Publikationen: Bereits im Jahr 1902 war das Bulletin du Glossaire des patois de la Suisse romande veröffentlicht worden, das bis 1915 regelmäßig erschien. 1912 erschien der erste Band der Bibliographie linguistique de la Suisse romande, gefolgt von Band II im Jahr 1920. Diese Bibliographie enthält eine detaillierte und systematische Bestandsaufnahme aller Quellen des Glossaire. Zeitgleich mit dem ersten Band des Glossaire erschien der Band Tableaux phonétiques des patois suisses romands, der eine vergleichend ausgerichtete Sammlung von etwa 500 Wörtern aus 62 unterschiedlichen patois romands darstellt (Gauchat et al. 1924: 7). Der Rapport du GPSR mit ursprünglich jährlicher Erscheinungsweise kommt seit 1998 alle zwei Jahre heraus und enthält als Fortsetzung der Bibliographie linguistique de la Suisse romande umfangreiche bibliographische Angaben zur Sprachsituation in der Suisse romande. 14 Die Vorgehensweise sowie die Ergebnisse werden im Band II der Bibliographie linguistique de la Suisse romande (S. 197-224) vorgestellt. <?page no="139"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 129 plus large mesure possible, la population romande elle-même a l’élaboration du Glossaire“ (Gauchat et al. 1924: 8). Insgesamt sind die Formen des patois an 222 Standorten abgefragt worden. Ergänzend zu dieser Erhebung ist die littérature patoise ausgewertet worden, die insbesondere für die Phraseologie wertvolle Erkenntnisse geliefert hat. 15 Das Grundprinzip der Anordnung des Lemmaverzeichnisses lautet: L‘idée fondamentale qui a présidé au classement […] des diverses catégories de matériaux […], c’est que les formes multiples sous lesquelles un même mot peut se présenter sont toujours réunies dans un article, quelles que soient leurs différences d’aspect, d’époque ou de provenance. (Gauchat et al. 1924: 10) Die Makrostruktur ist alphabetisch 16 ausgerichtet, wobei drei Kategorien von Lemmata aufgeführt werden, die auch typographisch unterschieden werden. Grundsätzlich wird die Makrostruktur von der phonetisch transkribierten Form der patois-Lemmata bestimmt. Falls ein französisches Äquivalent mit derselben etymologischen Basis und derselben Grundbedeutung vorhanden ist, wird dieses aufgeführt. 17 Eine dritte Kategorie bilden schließlich diejenigen Lemmata, die keine patois-Entsprechung haben (les provincialismes romands sans forme patoise correspondante, les mots attestés seulement sous forme française ou latine dans d’anciens documents, les noms de lieux ou de famille qui n’existent plus comme appellatifs dans le patois courant) (Gauchat et al. 1924: 10). 15 Band I, Kapitel II (S. 71-243) der Bibliographie linguistique de la Suisse romande enthält die Zusammenstellung dieser Quellen. 16 Die Autoren präzisieren die alphabetische Anordnung wie folgt: „Pour établir la succession alphabétique des mots, il n’est tenu compte que de la lettre fondamentale, en négligeant les signes qui peuvent l’accompagner. […] Les autres conditions étant identiques, la voyelle ouverte précède la fermée, la longue la brève, l’accentuée l’atone. […] Une lettre sans signe précède celle qui en est pourvue […]. Toutes les combinaisons de signes […] ont leur place alphabétique naturelle. En tout cela nous nous laissons guider par les habitudes du dictionnaire français.“ (Gauchat et al. 1924: 17) 17 Die Autoren geben allerdings zu bedenken: „Il n’est pas toujours facile de dire si un mot doit être envisagé comme appartenant ou non au français. […] L’identité formelle entre le patois et le français peut s’allier à une disparité sémantique telle, qu’il s’agit pratiquement de deux mots différents.“ (Gauchat et al. 1924: 10f.) Für das mit dieser Anordnung verbundene Problem der „Zerschlagung“ von Wortfamilien, zu denen patois-Elemente mit und solche ohne französisches Äquivalent zählen, stellen die Autoren Lösungswege vor, auf die an dieser Stelle nur verwiesen werden kann (Gauchat et al. 1924: 11). <?page no="140"?> Antje Zilg 130 3.2 Die Mikrostruktur Die Wörterbuchartikel umfassen folgende Bestandteile: 1. Angaben zu Form und Ursprung des Lemmas. 2. Morphologische Angabe, Bedeutungsangabe und Beispiele. 3. Anmerkungen zur Wortgeschichte und enzyklopädische Hinweise. Zu 1) Jeder Artikel beginnt mit einer Aufzählung sämtlicher Aussprachevarianten, die mittels eines spezifischen Transkriptionssystems erfasst werden. 18 Leitgedanke bei der Erstellung dieses Systems war der folgende: La lecture et la consultation du Glossaire doivent rester faciles sans préparation spéciale, mais il faut en même temps que les exigences scientifiques des linguistes soient sauvegardées. (Gauchat et al. 1924: 14) Falls sie vorhanden ist, beginnt jede Serie mit der im Zentrum des canton de Vaud belegten Form. 19 Neben der zentralen Position liefern die Autoren hierfür folgende Begründung: […] ce patois est un de ceux dont la phonétique est relativement simple et aisée à saisir dans ses rapports avec le français. Il possède la littérature la plus abondante et est plus connu que beaucoup d’autres variétés. (Gauchat et al. 1924: 12) In der Folge werden die Varianten primär nach dem Kriterium ihrer phonetischen Nähe bzw. Verwandtschaft und zusätzlich nach den Kantonen in folgender Reihenfolge angeordnet: Vaud, Valais, Genève, Fribourg, Neuchâtel, Berne. Herkunft und Verbreitung jeder Variante werden durch die Angabe des Ortes ihrer Erfassung und der textuellen Belege genau dokumentiert. Zur Kennzeichnung wird auf die o.g. Serie zurückgegriffen. Eine Variante, die in den Kantonen Vaud, Valais, Genève, Fribourg geläufig ist, erhält die Angabe (Vd-F), eine Form, die in Genève 18 Die Autoren führen im Einzelnen aus: „Notre transcription est fondée sur le principe phonétique: la prononciation seule détermine l’orthographe, à l’exclusion de toute considération grammaticale ou étymologique. Chaque lettre ou combinaison de lettres représente un son réel et chaque nuance de son doit toujours être représentée de la même manière. D’autre part, on a conservé des habitudes orthographiques françaises tout ce qui était compatible avec le principe phonétique.“ (Gauchat et al. 1924: 14f.). 19 Dort, wo diese Form fehlt, wird die Form derjenigen Region gewählt, die am häufigsten auftritt. Bei gleicher Vitalität wird der Form der Vorzug gegeben, die am geringsten von der Phonetik des Französischen abweicht (Gauchat et al. 1924: 12). <?page no="141"?> Wörterbücher des Französischen der Suisse Romande 131 und Fribourg belegt ist, den Zusatz (G-F). Zur exakten Lokalisierung der Varianten werden die Siglen der Kantone mit Zahlen kombiniert. 20 V (canton) Valais V3 (district) District de Martigny V32 (localité) Charrat (Charr.) G (canton) Genève G1 (district) District de la Rive gauche G11 (localité) Choulex (Choul.) Den Varianten des patois folgt, falls belegt, die durch die Abkürzung Fr. gekennzeichnete Form des français régional. Zu 2) Auf die morphologische Angabe folgt die Bedeutungsangabe. Liegen mehrere Bedeutungen vor, erfolgt deren Anordnung auf der Grundlage der filiation historique (Gauchat et al. 1924: 13). 21 Besondere Bedeutung wird der reichhaltigen Illustration der Lemmata durch korpusbasierte Beispiele beigemessen (insbes. Phraseologie), wobei die Belegstellen in patois übersetzt werden. Dort, wo mündlich realisierte Beispiele herangezogen werden oder Quellen verwendet werden, in denen genaue Angaben zur Aussprache vorliegen, findet das dem Glossaire eigene Transkriptionssystem Anwendung. Sämtliche Beispiele werden in Klammern mit der exakten Quellenangabe versehen. Zu 3) Im Bereich Historique et encyclopédie erscheinen Kommentare, die Besonderheiten einzelner Lemmata erfassen. Beispielsweise wird auf dialektale Wörterbücher verwiesen, wenn diese einen Beitrag zur Dokumentation von Alter oder Verbreitung einer bestimmten sprachlichen Form leisten. Im Fall von Ableitungen und Komposita wird auf die Wortbildungsbasis verwiesen, oder aber es wird ein kurzer Verweis auf die etymologischen Wörterbücher von Meyer-Lübke und Wartburg vorgenommen. Von besonderer Bedeutung sind die enzyklopädischen Angaben, wie Gauchat et al. (1924: 14) ausführen: 20 Ausgangspunkt und Prinzipien der Nummerierung erläutern die Autoren wie folgt: „Nous avons choisi comme point de départ de la numérotation des cantons de Fribourg, Vaud et Valais la région à l’est du Léman où ces cantons se rencontrent, et nous progressons de là au nord, à l’ouest et à l’est. Plus le chiffre est élevé, plus on est éloigné de ce point de jonction. […] Dans les autres cantons, la direction va en général du sud au nord.“ (Gauchat et al. 1924: 17) 21 Dort, wo keine ausreichenden historischen Informationen vorliegen, wird auf andere Kriterien zurückgegriffen, z.B. auf die Vitalität einzelner Bedeutungen (Gauchat et al. 1924: 13). <?page no="142"?> Antje Zilg 132 Le Glossaire se propose de n’être pas seulement un recueil de mots, mais de conserver aussi le souvenir des choses. […] Tout ce qui a trait aux mœurs, au folklore, aux institutions caractéristiques, tous les objets, les occupations et les méthodes de travail qui donnent au pays romand sa physionomie originale font, si possible, l’objet d’aperçus ou d’exposés très condensés, qui sont rattachés au vocabulaire. In einem Wörterbuch, das als „témoin d’une civilisation en voie de dis- | “ (Gauchat et al. 1924: 14) angelegt ist, finden sich auch zahlreiche Illustrationen. Außer Acht gelassen bleibt die Synonymik, die in einem gesonderten Werk festgehalten werden soll. 4 Schlusswort Der Wert der Zusammenstellung der diatopisch markierten Elemente der Suisse romande ist zweifelsfrei erkannt worden. So werden die mots et tournures suisses von Nicollier (1990: 5) als „des richesses de patrimoine“ bezeichnet. Der Schweizer Romanist und Historiker Arthur Piaget charakterisiert den Glossaire als „la meilleure révélation de l’âme du pays romand“, ja als „la voix même de la patrie“ (Vorwort des GPSR: 1f.). Bezüglich der Regionalismen bestehen jedoch in zwei Richtungen Desiderata. Zum einen sollte die Makrostruktur auch mit Blick auf die mots anciens erweitert werden. Zum anderen wird gefordert, dass die diatopisch markierten Formen verstärkt ihren Platz in der allgemeinen französischen Lexikographie finden. Auch sollen die Elemente mit mehr Sorgfalt regional verortet werden (Thibault 2009: 81). Abschließend sei erwähnt, dass das lexikographische Projekt des DSR sich positiv auf die Akzeptanz der diatopisch markierten Formen ausgewirkt hat. Dans l’ensemble, le statut un peu magique de l’objet dictionnairique semble avoir influencé les jugements dans le sens d’une plus grande reconnaissance de la variété locale; le grand nombre de citations littéraires a certainement joué un rôle important dans ce processus de légitimation. (Thibault 1998: 39) Literaturverzeichnis Bavoux, Claudine (ed.) (2008): Le français des dictionnaires. L’autre versant de la lexicographie française, Bruxelles, De Boeck. 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Im Gegensatz zu den meisten romanischen Sprachen wurde das Frankoprovenzalische nie standardisiert: eine relativ bescheidene literarische Produktion, eine starke diatopische Variation und das Fehlen eines gemeinsamen Sprachbewusstseins der Frankoprovenzalisch-Sprechenden erklären die Herausbildung regionaler oder sogar individueller Gebrauchsnormen. In der Terminologie von Kloss kann gesagt werden, dass es sich um eine Abstandsprache handelt, nicht aber um eine Ausbausprache (Kloss 1987; - 1986). Dass es sich beim Frankoprovenzalischen tatsächlich um eine eigenständige Sprache handelt und nicht etwa um den Dialekt einer seiner Nachbarsprachen, wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts erkannt (Ascoli 1878) 1 . Auch in der Folge war seine Anerkennung nicht unumstritten (cf. Tuaillon 1972). Dennoch handelt es sich um eine klar identifizierbare Sprache, deren Eigenständigkeit bereits auf das 6.-7. Jahrhundert datiert werden kann (Chambon/ Greub 2000). Das Frankoprovenzalische ist eine Sprache ohne metalinguistische Tradition, mit äußerst heterogenen älteren Quellen und einer Sprachpraxis, welche gegenwärtig am Erlöschen ist. Das Projekt Étymologie et lexicographie historique du francoprovençal wird vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für eine Dauer von drei Jahren finanziert und im Centre de dialectologie et d’étude du français régional in Neuchâtel und am Laboratoire Analyse et traitement informatique de la langue française (ATILF- CNRS & Université de Lorraine) unter der Leitung von Andres Kristol und Yan Greub durchgeführt. Jede von uns erarbeitet im Rahmen ihrer Doktorarbeit ein Wörterbuchkonzept und redigiert einen Teil des 1 Der auf 1878 datierte Band 3 des Archivio glottologico italiano erschien bereits 1874. <?page no="148"?> Elisabeth Berchtold/ Laure Grüner 138 jeweiligen Wörterbuchs, um die Machbarkeit, den Nutzen und die Angemessenheit der getroffenen lexikographischen Entscheidungen nachzuweisen. Der gemeinsame Teil unserer Arbeit besteht vor allem im Auflisten, Zusammentragen und Auswerten der verschiedenen Quellen bis 1800. Die Datenlage ist je nach Region sehr unterschiedlich. Für die Schweiz werden die älteren Quellen bereits von der Redaktion des Glossaire des patois de la Suisse romande (GPSR) zusammengetragen und ausgewertet. Aus dem Aostatal gibt es vor dem 19. Jahrhundert nur vereinzelte Sprachspuren in lateinischen Texten, aber keine ausschließlich frankoprovenzalischen Dokumente. Aus Frankreich sind ziemlich viele Quellen erhalten und größtenteils publiziert, doch auch hier sind die regionalen Unterschiede groß. So sind die Textzeugnisse aus der Gegend von Lyon sehr zahlreich, während die Situation in Savoyen oder im nördlichen Teil des Sprachgebietes sehr viel prekärer ist. Da die französischsprachige Schweiz bereits durch das GPSR bestens bearbeitet wird, konzentrieren wir unsere Bemühungen auf die bisher nicht oder ungenügend erschlossenen Quellen aus dem französischen Teil des Sprachgebiets und ergänzen die Ergebnisse für die Schweiz durch die Materialien des GPSR. Wir haben bisher etwa 350 Texte identifiziert, von denen ungefähr die Hälfte ein Glossar enthält. 26 dieser Texte (ca. 7,5 %) wurden von Anfang an im FEW berücksichtigt, wobei ihr Anteil im Laufe der Redaktion zugenommen hat. Dieser Anteil beschränkt sich aber auf jene Texte, die durch ein Glossar erschlossen sind. Die Hälfte der älteren frankoprovenzalischen Textzeugen bleibt also immer noch unerschlossen. Das Ziel des Projektes ist die Publikation zweier Online-Wörterbücher, welche im Folgenden näher vorgestellt werden: ein altfrankoprovenzalisches Wörterbuch ein etymologisches Wörterbuch des frankoprovenzalischen Erbwortschatzes. Die beiden Wörterbücher werden auf dem Webserver des Laboratoire ATILF beherbergt und auf dessen Webseite publiziert. Was die Informatisierung betrifft, werden sie von Gilles Souvay betreut, der bereits den Online-Auftritt des DMF und des DÉRom entwickelt hat. Es handelt sich um zwei voneinander unabhängige Wörterbücher, welche jedoch miteinander verknüpft werden, einerseits über gegenseitige Verweise, wo dies sinnvoll ist, aber auch über die Bibliographie, die gerade im Hinblick auf die historischen Texte für beide Wörterbücher identisch ist. <?page no="149"?> Historische Lexikographie und Etymologie des Frankoprovenzalischen 139 2 Lexikographische Beschreibung des Altfrankoprovenzalischen Das Ziel dieses Wörterbuchs ist die lexikographische Beschreibung eines älteren Sprachzustands aus synchronischer Perspektive. Es geht darum, aus den unterschiedlichen Textzeugnissen, über die wir verfügen, eine Sprachbeschreibung zu erarbeiten, welche so gut wie möglich der Komplexität der historischen Sprache Rechnung trägt, ohne jedoch einzelne Textstellen zu erläutern. Das geplante historische Wörterbuch richtet sich einerseits an Romanisten, Linguisten und Lexikographen, aber auch allgemein an all jene, welche mit frankoprovenzalischen oder stark frankoprovenzalisch geprägten französischen oder mittellateinischen Dokumenten aus dem frankoprovenzalischen Sprachraum konfrontiert sind. Aus diesem Grund sollte die Darstellung allgemein verständlich und leserlich sein, aber gleichzeitig eine größtmögliche Zuverlässigkeit und Präzision garantieren. Die chronologischen Eckdaten sind zum einen ca. das Jahr 1200, Datum des ersten frankoprovenzalischen Textzeugnisses: La Somme du Code (Ende 12./ Anfang 13. Jahrhundert) (Royer/ Thomas 1929), zum andern das Jahr 1600. Während der terminus post quem relativ unproblematisch ist, haben wir den terminus ad quem aus folgenden extralinguistischen Gründen gewählt: - In Anlehnung an andere Konventionen: Ungefähr dasselbe Datum findet sich bei Aebischer (1950), Vurpas (1995) und im FEW, wo es auch der Grenze zwischen Mittel- und Neufranzösisch entspricht. - Aufgrund der Dokumentation: Für gewisse Regionen, insbesondere Savoyen, wird die Datenlage im 16. Jahrhundert deutlich besser. Dasselbe gilt auch für literarische Texte, welche vor dem 16. Jahrhundert sehr selten sind. Ausnahmsweise werden auch Daten aus dem 17. Jahrhundert hinzugezogen, wenn dies inhaltlich Sinn macht. Dabei werden jedoch nur Quellen berücksichtigt, welche bereits über ein Glossar oder ein anderes Wörterbuch erschlossen sind. 2.1 Forschungsstand Bisher gibt es keine umfassende lexikographische Beschreibung des Altfrankoprovenzalischen, was aber nicht heißt, dass wir uns auf völliges Neuland begeben. Zu erwähnen sind vor allem zwei vorhergehende <?page no="150"?> Elisabeth Berchtold/ Laure Grüner 140 Projekte eines altfrankoprovenzalischen Wörterbuchs, welche leider beide nie umgesetzt wurden: - Antonin Duraffour plante einen Dictionnaire du franco-provençal ancien de la région française, publizierte aber nie mehr als drei Wörterbuchartikel (Duraffour 1940). - Pierre Gardette hat am Kolloquium Les anciens textes romans non littéraires in Strasbourg (1961) sein Projekt eines Glossaire du vieux francoprovençal vorgestellt, wobei er auf die vorhandenen Quellen dreier Regionen sowie die geplante Vorgehensweise einging. Er formulierte Desiderata bezüglich der Editionen, welchen seither zumindest teilweise nachgekommen worden ist (Duraffour et al. 1965; Durdilly 1975; Gonon 1974). Geplant waren mehrere regionale Wörterbücher oder Glossare, welche aneinandergereiht ein Wörterbuch des ganzen Sprachgebietes ergeben hätten. Was Strukturen und Arbeitsmethode angeht, orientieren wir uns vor allem an laufenden Wörterbuchprojekten im Bereich der elektronischen Lexikographie, also an DEAF, AND, TLIO und DMF. Des Weiteren ist als Modell auch der DAOA zu nennen. 2.2 Struktur Die Auswahl der Lemmata für die Nomenklatur ist nicht einfach, da auf kein bereits existierendes Werk zurückgegriffen werden kann. Die Nomenklatur basiert deshalb auf Editionsglossaren und Indices von Studien, welche dem Altfrankoprovenzalischen gewidmet sind (insbesondere Hafner 1955; Stimm 1952). Diese provisorische Nomenklatur wird durch unsere Exzerpte laufend ergänzt. Aufgrund der synchronischen Perspektive werden nicht nur der Erbwortschatz, sondern auch Neubildungen und Lehnwörter bearbeitet. Es ist jedoch im Einzelfall nicht immer möglich, zwischen einem tatsächlichen Lehnwort und einem punktuellen Kodewechsel zu unterscheiden. Grundsätzlich werden nur Lehnwörter berücksichtigt, welche ganz oder teilweise an die frankoprovenzalische Phonetik angepasst wurden. Dieses Kriterium übernehmen wir aus dem DAOA (Olivier 2009: xiii). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (September 2013) besteht die Nomenklatur aus ca. 2.600 provisorischen Einträgen. Die Mikrostruktur befindet sich ebenfalls noch in Ausarbeitung und ist noch nicht definitiv festgelegt. Im Folgenden stellen wir einige Elemente vor. Zur konkreten Umsetzung sei auf den untenstehenden Beispielartikel cheina verwiesen. <?page no="151"?> Historische Lexikographie und Etymologie des Frankoprovenzalischen 141 In einem elektronischen Wörterbuch hat das Lemmazeichen nicht den gleichen Stellenwert wie in einem gedruckten Wörterbuch, wo es häufig den einzigen Zugang zum gesuchten Artikel bildet. Dennoch ist seine Wahl nicht unproblematisch. Wie bereits erwähnt, hat das Frankoprovenzalische nie eine Standardsprache entwickelt, welche als Anhaltspunkt herangezogen werden könnte. Das Wörterbuch umfasst den gesamten Sprachraum und eine zeitliche Spanne von vier Jahrhunderten, was häufig zu einer Vielzahl an Varianten führt. Das Lemmazeichen basiert auf der ältesten nicht franzisierten lyonesischen Form, deren Schreibung nach bestimmten Regeln vereinfacht wird (z.B. i, y = i). Gibt es keinen Beleg aus Lyon, wird die älteste belegte Form aus einer anderen Region verwendet. Ist das Lemmazeichen graphisch vereinfacht oder rekonstruiert und in dieser Form nicht belegt, wird es mit viereckigen Klammern gekennzeichnet. Basierend auf dem Modell des GPSR, des DEAF und den Empfehlungen für Glossare von Jean-Pierre Chambon (2006) werden die graphischen Varianten von der semantischen Analyse getrennt. Die graphischen Varianten werden chronologisch geordnet und jeweils von einer Abkürzung gefolgt, welche über einen Hyperlink zu den bibliographischen Angaben führt. Diese beinhalten in jedem Fall die Angabe der verwendeten Ausgabe und, wenn vorhanden, Hinweise zu anderen Ausgaben oder Studien. Außerdem werden Datierung, Lokalisierung, Sprache und Textsorte vermerkt, sowie in manchen Fällen eine Einschätzung der Zuverlässigkeit der Quelle oder der Ausgabe. Jede Einzelbedeutung wird mit einer analytischen Definition und einer Glosse versehen. Wie bei den graphischen Varianten folgen darauf die Abkürzungen der jeweiligen Quellen mit einem Hyperlink, der auf die bibliographischen Angaben verweist. Besitzt eine Vokabel mehrere Einzelbedeutungen, werden diese im semantischen Teil nicht nach Datum des Erstbelegs oder nach Frequenz angeordnet, sondern nach syntaktischen Kriterien und inhaltlicher Nähe. Als Beispiele folgen darauf der Erstbeleg der jeweiligen Bedeutung, allenfalls ein weiterer Beleg in einem besonders expliziten Zusammenhang und/ oder ein problematischer Beleg (z.B. aus einem lateinischen Dokument). Das Wörterbuch beinhaltet keinen historischen und etymologischen Kommentar, sondern Verweise auf das FEW, das GPSR, das geplante etymologische Wörterbuch des frankoprovenzalischen Erbwortschatzes und die wichtigsten Wörterbücher der älteren galloromanischen Sprachstufen. <?page no="152"?> Elisabeth Berchtold/ Laure Grüner 142 Der vorgestellte Beispielartikel ist der erste seiner Art und in seiner Struktur relativ einfach. Für kompliziertere Fälle ist vorgesehen, dass Bemerkungen oder Annotationen integriert werden können, aber das genaue Vorgehen muss noch ausgearbeitet werden. Afrpr. cheina s.f. Variantes graphiques : cheina (DevauxEssai 3), cheyna (Durdilly 31, 224, 225, 226, etc.; F 1372-1424 [GPSR]), cheynes (pl.) (Durdilly 31, 228, 229), chena (F 1414-1415, 1440 [GPSR]), cheinaz (Vd 1454, 1467 [GPSR]), chynne (Vd 1514 [GPSR]), chiennes (pl.) (F 1564 [GPSR]), channa (VurpasMoqToan). 1. « Succession d’anneaux métalliques engagés les uns dans les autres, chaine » (dp. 1276, DevauxEssai 3 ; Durdilly 31 ; VurpasMoqToan ; GPSR) Li Girinenc tinont del feu al contos deis la meison Peron Rainout, […] de vers la premeri maladeri de Pupet duchi a la tueri d’amont e la cheina de l’Espital, duchi a l’aigua d’aval […]. (DevauxEssai 3, 34) Item, p. la cheyna de fer sur la Sauna qui est l’encontra de la porta de la Rochi, qui ha de long . LI . teises et peyset environ . LXXV . quintaux de fer, vaut li quintauz, compta decheuti et ovrage . III . fr., monte . CC . XXV . fr. (Durdilly 31, 224) 2. « Série des fils entre lesquels passe la trame du tissu, chaine (d’un tissu) » (dp. 1372, GPSR) En apres avons ordoney que nulle persone quele que cilly soyt ne tense ne ne fayst tendre cheyna blanchi urdia […]. (F 1372, Aebischer 1950, 117 > GPSR 3, 260b) Renvois internes : chinnarre, enchannar Renvois externes : FEW 2, 498a CATENA ; DÉRom : */ ka'ten-a/ (1.). - Frpr. : DÉFrpr : CATENA , */ ka'ten-a/ ; GPSR 3, 258b : chaîne. - Afr./ mfr. : T.-L. : chäeine ; Gdf.C. : chaeine ; DMF : chaîne. - Apr. : Rn : cadena (cana) (1.) ; Levy : cadenat (1.), DAOA : chadena (1.). Bibliographie : Hafner 1955, 77 ; Aebischer 1950, 117. 3 Etymologie des frankoprovenzalischen Erbwortschatzes 3.1 Forschungsstand Ein Großteil der romanischen Sprachen besitzt mindestens ein etymologisches Wörterbuch, das ihnen speziell gewidmet ist. In der Geschichte der Erforschung des Frankoprovenzalischen hat, wie bereits erwähnt, nur Antonin Duraffour 1940 einen Versuch unternommen, das Altfrankoprovenzalische zu beschreiben, und davon drei Probeartikel mitsamt <?page no="153"?> Historische Lexikographie und Etymologie des Frankoprovenzalischen 143 etymologischem Kommentar veröffentlicht (Duraffour 1940). Das eigentliche Wörterbuch ist jedoch nie realisiert worden. Obgleich also kein etymologisches Wörterbuch des Frankoprovenzalischen existiert, müssen zwei lexikographische Werke genannt werden, die das Frankoprovenzalische neben anderen Varietäten des Galloromanischen berücksichtigen: das Französische Etymologische Wörterbuch (FEW) sowie das Glossaire des patois de la Suisse romande (GPSR), dessen Nomenklatur weitestgehend dem Frankoprovenzalischen der Schweiz, aber auch dem Franc-Comtois im Schweizer Jura und dem Schweizer Regionalfranzösisch gewidmet ist und das etymologische Angaben enthält. Neben diesen lexikographischen Werken beschäftigen sich auch andere Publikationen punktuell mit der Etymologie des Frankoprovenzalischen. Besonders drei Forscher haben gewissen Lexemen Monographien gewidmet: Pierre Gardette, dessen Studien mit einem etymologischen Index veröffentlicht worden sind (Gardette 1983), Antonin Duraffour, zu dessen Werk Gaston Tuaillon (1960) einen etymologischen Index veröffentlicht hat, sowie Simone Escoffier (1990), deren Publikationen leider ohne Index herausgegeben worden sind. In der Tradition der Atlas linguistiques de la France par régions ist der Atlas linguistique et ethnographique du lyonnais (ALLy) der einzige, der eine systematische Überprüfung (manchmal mit etymologischen Präzisierungen) für alle Karten beinhaltet (Gardette et al. 1950). 3.2 Konzeptueller Rahmen Im Rahmen der Arbeit am Erbwortschatz wird grundsätzlich von einer Kontinuität zwischen dem mündlich realisierten Etymon und dem mündlich realisierten frankoprovenzalischen Lexem ausgegangen. Schriftliche Belege sind zufällige Zeugen der Existenz eines Lexems. Sie sind jedoch nicht zwingend notwendig, um seine etymologische Herkunft zu ermitteln. Zum Beispiel konnten im FEW 2, 191b die mündlichen Belege von ² ¡ ¸ aufgrund phonetischer und semantischer Kriterien problemlos mit anderen erbsprachlichen Materialen eingestuft werden. 2 Dies ist für die frankoprovenzalische Etymologie wichtig, da schriftliche historische Quellen für diese Sprache relativ selten sind, vor allem im Vergleich zum Französischen. Aber selbst wenn die etymologische 2 Allerdings hat die neu durchgeführte manuelle Auswertung der alten Quellen den altlyonesischen Erstbeleg chin pl. ‚Hunde‘ (2. Hälfte 13. Jh., Rhône, ProsalegMussafia A11) hervorgebracht. <?page no="154"?> Elisabeth Berchtold/ Laure Grüner 144 Beziehung klar zu sein scheint, bleibt eine genaue Datierung die Grundlage der Etymologie: En réalité, la datation nous semble constituer un pilier de l’étymologie même du lexique transmis par voie populaire, car faire remonter de plus en plus haut la première attestation d’un lexème réputé héréditaire contribue à exclure, a contrario, l’hypothèse d’un emprunt (notamment intraroman). (Buchi 2010: 48) Die fortschreitende Veröffentlichung des GPSR und die Auswertung der altfrankoprovenzalischen Quellen aus Frankreich bieten eine Möglichkeit, Datierungen und Bedeutungen des FEW zu präzisieren. Bei der Entwicklung der Mikrostruktur eines Artikels folgen wir dem Prinzip des DEAF, nach dem jede Bedeutung obligatorisch mit einem Erstbeleg versehen ist. 3.3 Methode Die ursprüngliche Idee war, unser etymologisches Wörterbuch auf Materialien aus der Auswertung der Textquellen und vor allem auf die Materialien und die etymologische Analyse des FEW aufzubauen. Dieser Ansatz würde sich jenem von Oscar Bloch und seinem Nachfolger Walter von Wartburg für die Ausarbeitung des Dictionnaire étymologique de la langue française (BW) annähern. Es ergeben sich allerdings bei der Bearbeitung des frankoprovenzalischen Wortschatzes zwei Probleme, die sich bei der Behandlung des Französischen im BW nicht gestellt haben: - Die frankoprovenzalische Sprache ist dem Leser nicht a priori bekannt. Daher müssen semantische Definitionen systematisch und erschöpfend gegeben werden (was im BW meist fehlt); - Die charakteristische innersprachliche Variation des Frankoprovenzalischen, die im vom BW beschriebenen Standard-Französischen nicht existiert, erfordert eine spezielle Anpassung der Makro- und Mikrostruktur. Die Lemmata sind lateinisch und nicht, wie im BW, in der modernen Sprache. In der Mikrostruktur wird zum Beispiel jeder Erstbeleg einer Bedeutung in der jeweiligen schriftlichen oder mündlichen Form (in IPA) zitiert. Lt. catena protorom. */ ka'ten-a/ > Afrpr. cheina s.f. Frpr. ['ts ina] s.f. « chaine » 1. cheina s.f. « succession d’anneaux métalliques engagés les uns dans les autres, chaine » (dp. 1276, Isère [Vienne], DevauxEssai 3, 34) <?page no="155"?> Historische Lexikographie und Etymologie des Frankoprovenzalischen 145 2. ['t ¡ succession d’éléments ou de personnes » (dp. déb. 20 e s. Neuchâtel, GPSR 3, 260) 3. cheyna s.f. « série de fils entre lesquels passe la trame du tissu » (dp. 1372, Fribourg [Fribourg], GPSR 3, 258 [GPSRMs]) Commentaire. - 1. Continuateur de protorom. */ ka'ten-a/ s.f. “succession d’anneaux métalliques engagés les uns dans les autres, chaine” (Gross 2010- 2012 in DÉRom), attesté en latin écrit sous la forme catena, -ae s.f. « id. » (TLL 3, 605). Ce lexème est selon Marzys d’une introduction récente dans certains villages des cantons de Neuchâtel (frpr.) et de Berne (oïl), ce qui implique qu’antérieurement l’issue ait été évincée par frpr. SR [r ts ] s.f. « rangée, lignée » (déb. 20 e s., Neuchâtel, Pierrehumbert s.v. ranche ; FEW 16, 241b) et oïl. liure « lien » (FEW 5, 321a), puis réintroduite par emprunt. Nous privilégions l'hypothèse que l'issue héréditaire s'est maintenue après une période de concurrence avec les deux lexèmes cités. 2. Les attestations anciennes de ce sens données par le GPSR sont en français, la plus ancienne étant cependant indistinguable entre fr. ou frpr. chennes s.f. pl. « id. » (dp. 1564, [chennes d’ognyon], Fribourg, GPSR 3, 260 [GPSRMs]). 3. est un sens également présent en français, occitan et romanche, mais pas en italien. Nous suivons Gardette et Durdilly en considérant frpr. ['tsaina] s.f. “cha| } µ æ " µ} #$ e s., Vaud [Flendruz], GPSR 3, 260) comme un emprunt récent au français (ALLy 5, 531). Renvois. - * CATENIO Formations nominales. - ALIA : [ts - ¡ µ × } µ } | (dp. déb. 20 e s., Valais [Lens], GPSR 3, 260) - ALIA + - ONE : [ - ] s.m. “ | ” (hapax, déb. 20 e s., Ain [Versailleux], FEW 2, 499a) [ts - ¡ µ × } µ } | (hapax, déb. 20 e s., Vaud [Pailly], GPSR 3, 260) 1 - ATA : [ 'n ] s.f. “glane d’oignon” (déb. 20 e s., Genève [Jussy], GPSR 3, 260) [tse'no] « kyrielle » (déb. 20 e s., Valais [Praz-de-Fort], GPSR 3, 261) - ATOR : chinarre s.m. « personne qui fabrique des chaines » (hapax, 1564, Fribourg, GPSR 3, 260) <?page no="156"?> Elisabeth Berchtold/ Laure Grüner 146 - ELLU : [ts - ¡ | × " ! µ} #$ e s., Fribourg, FEW 2, 500b) - ETTA : cheynettes s.f. pl. « petites chaines » (dp. 1428, Fribourg, GPSR 3, 261 [GPSRMs]) [tsi'n ta] s.f. « succession d ’ éléments ou de personnes » (dp. déb. 20 e s., Fribourg [Vuadens], GPSR 3, 261) [t n'ta] s.f. « série de fils entre lesquels passe la trame du tissu » (dp. déb. 20 e s., Neuchâtel [La Brévine], GPSR 3, 262) [tzen' ta] s.f. “clavicule” (hapax, déb. 20 e s., Valais [Châble], GPSR 3, 262 [GPSRMs]) - ONE 2 : cheynon s.m. « élément dont l’engagement successif forme la chaine, chainon » (dp. 1419, Vaud, GPSR 3, 262 [GPSRMs]) cheynon s.m.« grosse chaine » (dp. 1569, Valais [Orsières], GPSR 3, 262) chennon s.m. « pêne de la serrure » (dp. 1514,Vaud [Grandson], GPSR 3, 262) Formations verbales. - ARE : [ 'n : ] v.tr. “attacher” (dp. déb. 20 e s., Haute-Savoie [Faucigny], FEW 2, 499a) IN - + - ARE : encheynar v.tr. « attacher avec des chaines, enchainer » (dp. 1459, Fribourg, GPSR 6, 365b [GPSRMs]) 3 Bibliographie. - REW 3 s.v. cate na ; Ernout/ Meillet 4 s.v. cate na ; Levi 80 ; DuraffourMatériaux 31 ; DuraffourPhénomènes 50 ; von Wartburg 1938 in FEW 2, 498a-502b, CATENA ; HafnerGrundzüge 77 ; Marzys 1958 in GPSR 3, 258-262 ; Decurtins/ Schorta 1958 in DRG 3, 144 ; DuraffourGlossaire n°8777 ; Merlo,ItDial 43, 287 ; ALLyComm, 531 ; Gassmann 1977 in GPSR 6, 365-366 ; Moretti in VSI 3, 80-88 ; DELI 2 ; Gross 2010-2012 in DÉRom s.v. */ ka'ten-a/ ; ALF 221. 1. Également attesté en fr. chaînaillon « succession d ’ éléments » (déb. 20e s., Vaud [Pailly], GPSR 3, 260) 2. Formation entrée en concurrence avec les issues de * CATENIO selon von Wartburg. 3. Considéré par Gassmann comme “composé [des issues francoprovençales correspondant au français] chaîne ou emprunt”. <?page no="157"?> Historische Lexikographie und Etymologie des Frankoprovenzalischen 147 4 Schlussbemerkungen Unsere beiden Wörterbücher stehen zurzeit am Anfang der Redaktionsphase. Die Strukturen und Arbeitsmethoden sind noch nicht definitiv festgelegt, aber sie sind dabei, sich zu stabilisieren. Im Rahmen des dreijährigen Projekts ist an eine vollständige Ausführung der beiden Wörterbücher selbstverständlich nicht zu denken. Dank der Online-Publikation können aber die redigierten Teile der beiden Wörterbücher schrittweise veröffentlicht werden, ohne dass dabei die alphabetische Reihenfolge zwingend berücksichtigt werden muss. Der frankoprovenzalische Wortschatz ist weniger gut erforscht als beispielsweise die Phonetik oder die Morphologie. Unsere beiden Wörterbücher leisten, so hoffen wir, durch die Synthese bisheriger Erkenntnisse und das Erschließen noch unberücksichtigter Materialien einen Beitrag zur besseren Kenntnis des frankoprovenzalischen Wortschatzes an sich und zu seiner Stellung innerhalb der galloromanischen und romanischen Sprachen. Literaturverzeichnis Aebischer, P. (1950): Chrestomathie franco-provençale: recueil de textes franco-provençaux antérieurs à 1630, Berne, A. Francke. AND = Trotter, D. (dir.) (2001-): Anglo-Norman Dictionary, Aberystwyth, Aberystwyth University: http: / / www.anglo-norman.net. Ascoli, G. I. (1878): „Schizzi franco-provenzali”, in: Archivio glottologico italiano 3, 61-120. Buchi, É. (2010): „Pourquoi la linguistique romane n’est pas soluble en linguistiques idioromanes. Le témoignage du Dictionnaire Étymologique Roman (DÉRom)”, in: Garabato, C. A. 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(eds.): Lexikon der Romanistischen Linguistik, Tübingen, Niemeyer, 389-405. <?page no="161"?> Jan Reinhardt Das Projekt Deonomasticon iberoromanicum (DIR) 1 Das Deonomasticon iberoromanicum (DIR) Das Deonomasticon iberoromanicum (DIR) soll Ableitungen von Eigennamen in den iberoromanischen Sprachen dokumentieren und linguistisch kommentieren und dabei ebenso wie die Gegenwartssprache konsequent auch die Diachronie berücksichtigen 1 . Sein Modell ist das Deonomasticon italicum (DI) von Wolfgang Schweickard zum Italienischen. Anders als dort sind allerdings mehrere Idiome zu behandeln und dies sind mit den zugehörigen Sprachmarkern und in der Reihenfolge die im Wörterbuch immer eingehalten wird: GP galegoportugiesisch - P portugiesisch - G galicisch - AL asturianischleonesisch - E spanisch (castellano) - NA navarresisch-aragonesisch - CVB katalanisch-valencianisch-balearisch. Diese Unterteilung orientiert sich an der Praxis des LRL (Metzeltin/ Winkelmann 1992a und 1992b). Auf die Frage, warum denn überhaupt mehrere Sprachen gleichzeitig behandelt werden sollen, gibt es zwei Antworten. Die erste betrifft den Forschungsstand: Selbst wenn man sich „nur” zum Beispiel dem Spanischen widmen wollte, wären unbedingt vertiefende Forschungen zu den anderen Idiomen nötig; die zweite, und das ist die weitaus wichtigere, weil der direkte Vergleich unter den einzelnen iberoromanischen Sprachen nicht nur einen Reiz, sondern eins der Ziele des Projekts darstellt. Iberoromanisch verwenden wir dabei nicht um einen genetischen oder typologischen Block zu postulieren - dies war Gegenstand der Diskussion in Rauischholzhausen -, iberorrománico heißt lediglich: in mehr als einem dieser Idiome vorkommend. Von hier ausgehend kann die Sprachmarkierung weiter verfeinert werden: 1 Zum bisherigen Stand der iberoromanischen Deonomastik cf. Casanova,RIOn 17 (2011); DeonHispG (1997); Monjour 2002; Reinhardt 2013. - Das DIR ist bereits vorgestellt worden in der Zeitschrift für romanische Philologie 126 (2010), 593-601 und zur 6. ICHLL in Jena (Juli 2012; die Akten erscheinen). <?page no="162"?> Jan Reinhardt 152 P BRA = brasilianisches Portugiesisch , P BRA CE id. , im Bundesstaat Ceará; E ARG = argentinisches Spanisch, E PRI = Spanisch von Puerto Rico; CVB MAL , MEN = CVB, Varietäten von Mallorca und Menorca, (usw.). Ob das Projekt komplett in Buchform oder im Internet publiziert wird, ist noch nicht entschieden; Probeartikel werden voraussichtlich ab Frühjahr 2014 im WWW konsultierbar sein. Redaktionssprache ist Spanisch 2 . 2 Gestaltung der Artikel Die Lemmata bilden spanische Formen eines Toponyms, Ethnikons oder, in einem zweiten Teil, eines Anthroponyms. Der Artikel besteht aus einem enzyklopädischen Teil, der den Namen identifiziert, wo möglich seine Herkunft erklärt und die Namensformen in den einzelnen Sprachen dokumentiert. Es folgen die verschiedenen Ableitungen oder Zusammensetzungen, nach den Idiomen und darauf folgend chronologisch geordnet. Den Abschluss bildet ein Kommentar, der die Wortbildungsverfahren erläutert und, wiederum wo möglich, Bezüge zwischen den einzelnen Idiomen oder auch anderen Sprachen (Latein, Griechisch, Arabisch, Englisch o.a.) herstellt. 3 Beispielartikel Der Beispielartikel stellt noch einen Entwurf dar: So sind CORDE und CREA nicht komplett eingearbeitet, so finden sich auch noch zahlreiche Definitionen in der Sprache der Quellen; sie werden während der Endredaktion übersetzt und zusammengefasst. 2 Auch dies war Gegenstand lebhafter Diskussion während des Kolloquiums (und danach): Spanisch wird gewählt, weil es eine international anerkannte Wissenschaftssprache ist, nicht um eine etwaige postimperiale Vorherrschaft über die anderen Idiome zu unterstützen. - Für ihre Diskussionsbeiträge sei allen Beteiligten an dieser Stelle herzlich gedankt. <?page no="163"?> Das Projekt Deonomasticon iberoromanicum (DIR) 153 Aragón Comunidad autónoma en el NE de España, resultante del reino histórico del mismo nombre y que comprende el tramo central del valle del Ebro, los Pirineos centrales y las Sierras Ibéricas; capital Zaragoza, cf. EncEspasa 5,1183-1187; LexMA 1,855-866; CorpusWeb 134. - Lat.mediev. (de) Aragone (958, Doc, CORDE), lat.mediev. ( NA ARA ) (jn) Aragone (971, Doc, CORDE; 1062-63, MenéndezPidalOríg 41), Aragona (1016, TextHispDialA 1,339), Araguone (1124, MenéndezPidal- Oríg 46). - Para it. Aragona y sus derivados v. DI 1,113-114. - GP Aragon (1195-1216, Johan Soarez de Pávia, LíricaProfB 1,549; 1264-84, AlfXCantM1 44,7; s.m. s. , Caldeiron, LíricaProfB 1,174; a. 1320, Fernan Rodriguez Redondo, ib. 1,328), Aragom (1201, CantEscárnioL 14,2; s.m. s. , Caldeiron, CancBibNac, DELP 2,94 s.v. catal-o), Arangon (1284-89, Airas Nunez, Lírica- ProfB 1,122), P (d)arragom (1446, DescPortM 1,447), (d)aragom (1446, ib. 1,448), Aragam (1449- 50, ZuraraCeutaP 13; 1712, Bluteau 1,464), Arag-o (1452, AlmeidaCartL 6; 1572! < 71v o ; 1660, FMeloEpan 180; 1941, 134 <http: / / es.wikipedia.org/ wiki/ Aragón>. Xavier Fernandes 1,213; 1984, DOELP 1,151), Aragom (a. 1460- 70, FLopesFernM 11), G Arangõ (1295-1312, CrónGallegaL 1,176; 0 -, MiragresSantP 128), Arangom (1295-1312, CrónGallegaL 1,108), Arangon ( 0 -, ib. 168), Ar-gom ( 0 -, ib. 169), Aragón (1997, DRAG s.v. aragonés), E Aragonia (1143, DocAlf- VIIS 588) 135 , Aragón ( 0 0 - 0 0 , CidMe [C] 740; c. 1230, BerceoSDomD 538a; c. 1348, PoemaAlfOncenoV 82; 1379, CancBaenaD 304,82; 1429- 40, SantillanaPoesK 89; 1438, MtzToledoCorbG 103; 1444, JMenaLabC 127; 1450-55, Prz- GuzmánGenerB 68; c. 1457, TafurAndR 8; 1486, FPulgarClar- VarP 77; 1513, InformJerónW 81; 1528, BarutellMonerC 230; 1565, AbencerrajeL 141; 1605, CervantesQuijA 1,513; 1909, EncEspasa 5,1183), Aragon (c. 1250, PoemaF- GonzálezV 55; c. 1289-c. 1345[? ], AlfXPCrónGen2, MartínezMeléndezTej 10; 1324, ActAragF 3,454; 1488, BaezaCuentT 1,211), MUR Aragon (1244, Carta,Text- HispDialA 2,467), NA Aragon (1194-1211, LibRegumS 202; 1247, FuerAragN 1r°; a. 1253, FuerNoveneraN 12r°; 1266, Doc- AltAragN 12; 1377-93, FdzHerediaMoreaN 209r°; 1390, LibCo- 135 Cf. lat.mediev. ( CVB ) (regis) Aragonie (1349, ComandBarcM 243). <?page no="164"?> Jan Reinhardt 154 nosçL 2v° a), Aragón (c. 1250, VidalMayorT 2,7), Araguón (c. 1250, VidalMayorT 2,349), NAV Aragon (1253, TextHispDialA 1,325), Aragón (1253, TextHisp- DialA 1,325), CVB Arago (1211, Doc, Russell-Gebbett 92; c. 1323, Doc, Russell-Gebbett 152; 1640- 41, TextFrühNeuzeitS 231), Aragó (1244, JaumeILlibreB 2,7; 0 0 , CommemorAlbR 183; 1283-88, DesclotCrònC 2,5; 1305, AVilanovaReligB 101; 1325-28, MuntanerCrònS 668; 0 0 -, Novel·letesA 59; 1370, ParlamCortsA 46; 1375-83, PereIIICrònS 1003; 1429, Dant- InfernG 1,título; 0 0 0 -, CavalcaMirG 1,23; 1459, Teatre- ProfàR 2,127; 1476, TurellRecortB 50; 1930, DCVB 1,775), (D)arago (1290, ActAragF 3,7) (D)aragon (1295, ActAragF 3,34), (D)arraguo (1298, ActAragF 3,65), Araguon (1305-10, AVilanovaMèdicB 99), Araguó (1305- 10, AVilanovaMèdicB 100), Aragon (1306-09, Doc, Russell- Gebbett 142; 1310, AVilanova- ReligB 167; 1325-28, Muntaner- CrònS 668; 1345, PereIIIEpistG 1,82), Arego (a. 1373, Tresbéns, Russell-Gebbett 164), VAL Aragó (1416-19, CanalsArraR 121; 1455- 61, JRoigSpillA 60; 0 0 0 -, LibAntiquM 1,51) 136. 136 Para el reino medieval cf. P rregno dAragam (1449-50, ZuraraCeutaP 17), rregno dAragom (1449-50, Zura- 1.a. P aragoês adj. ‘perteneciente o relativo a Aragón’ ( 0 -, DPedroNobil, DELP 1,291), aragoes (a. 1460-70, FLopesPedro, VPM), G aragonés (1997, DRAG), E aragoneses adj.pl. ( 0 -, Lib- Caballerías, DME; 1615, CervantesQuijA 2,56), aragonés adj. (c. 1424, CancBaenaD 156,27; 1550, RomancViejD 271; 1909, EncEspasa 5,1188; 1958, Enc- Idioma 1,449; 2001, Moliner), aragonesa adj.f. (1490, Baeza- CuentT 1,321), aragonessas adj. f.pl. (1528, DelicadoLozA 17v o ), CVB aragoneses adj.pl. (1244, JaumeILlibreB 2,20; 1283-88, DesclotCrònC 3,96; 1325-28, MuntanerCrònS 842), aragonès (1375-83, PereIIICrònS 1054; 1476, TurellRecortB 128; 1483, EpistolariM 84; 1930, DCVB raCeutaP 45), GP reyno d’Aragon (1264-84, AlfXCantM 1 A,4), reino d’Aragom ( 0 , CantEscárnioL 333,19), regno [...] d’Aragom (a. 1340, Johan, LíricaProfB 1,371), E Reino de Aragón (c. 1446-49, SantillanaPoesK 651), reino de Aragón (1450-55, PrzGuzmánGenerB 139), NA regno de Aragon (1337, DocAltAragN 155), reyno de Aragon (1351, DocAlt- AragN 169); CVB regisme d’Aragó (1283-88, DesclotCrònC 2,7); (los) regnes Darago (et de Castella) (1291- 92, ActAragF 1,12), regne de Aragó (1355, ParlamCortsA 21; 1357, PereIIIEpistG 1,156; 1466-79, Fi- ComteUrgellS 85), regne d’Aragó (1383! ·} #- 1519, ParlamCortsA 244); realme d’Aragó (1466-79, FiComteUrgellS 88). <?page no="165"?> Das Projekt Deonomasticon iberoromanicum (DIR) 155 1,775; 1992, Ferreres/ Llorens 3), ~ ‘natural d’Aragó’ (2007, DIEC), ~ ‘relatiu o pertanyent a Aragó o als seus habitants’ (2007, DIEC) 137 . P aragoeses m.pl. ‘naturales o habitantes de Aragón’ (a. 1460, FLopesFernM 170; 0 -, DGóis, DELP 1,291), G ar-goeses (1295-1312, CrónGallegaL 1,118), E aragoneses (c. 1289-c. 1345[? ], AlfXPCrónGen2, Kasten/ Nitti 1,200; c. 1348, PoemaAlfOncenoV 138; 1429, SantillanaPoesK 359; 1432, CancBaenaD 586,1727; 1444, JMenaLabC 91; 1486, FPulgarClarVarP 105), NA aragoneses (c. 1250, VidalMayorT 2,453), CVB aragoneses (1244, JaumeI- LlibreB 2,15; 1308, ActAragF 2,523; 1325-28, MuntanerCrònS 679; 1347, PereIIIEpistG 1,90; 1375-83, PereIIICrònS 1010; med. 0 -, CurialA 2,104), aragonesos (1244, JaumeICrònS 80; 1283-88, DesclotCrònC 2,42; 1325-28, MuntanerCrònS 775; 1410, ParlamCortsA 96; 1476, Turell- RecortB 62) 138 . - P aragonês m. 137 Cf. lat.mediev. ( E , S. Millán de la Cogolla) aragonensis (1020, Doc, C), lat.mediev. ( NA ARA ) ~ (1016, Text- HispDialA 1,340), lat.mediev.it. ~ (1074, GregorioVII, ReinhardtMitt 80). 138 Cf. lat.mediev. ( NA NAV ) aragonensium (1102, TextHispDialA 1,305), lat.mediev. ( ARA ) ~ (1087, TextHispDialA 1,354). - No resulta claro si CVB (ab los) aragones (princ. 0 , DocUrgellP 16) represente ‘id.’ (1999, Aurélio), G aragonés (1997, DRAG), E aragones (c. 1270, AlfXPCrónGen1, Kasten/ Cody; 1292-d. 1351, SanchoIVCastigos, ib.), aragonés (1909, EncEspasa 5,1188; 1958, EncIdioma 1,449; 2001, Moliner), CVB aragonès (1968, DCVB 1,813) ~ ‘natural d’Aragó’ (2007, DIEC), VAL ~ (1455-61, JRoig- SpillA 106). E (lenguaje) aragonés adj. ‘ling., idioma románico hablado en Aragón’ (1615, CervantesQuijA 2,473), CVB (proverbi) aragonès ( 0 0 -, EiximenisDoctrB 77), ~ ‘relatiu o pertanyent a l’aragonès’ (2007, DIEC). E aragonesa adj.f. ‘se aplica a una variedad de uva de granos muy gruesos y apretados, de color rojizo’ ( 0 -, EncIdioma 1,449; 1909, EncEspasa 5,1188; 2001, Moliner). - E ~ f. ‘la vid de esta especie’ (1909, EncEspasa 5,1188). E aragones m. ‘ling., idioma románico hablado en Aragón’ (c. 1289-c. 1345[? ], AlfXPCrónGen2, Kasten/ Nitti 1,200), aragonés (1892, Mugica título; 1926, MenéndezPidalOríg 86), NA ARA ~ ‘habla de Campo y de Binéfar’ (1954-57, EBA 1,196), CVB aragonès ‘dialecte romànic parlat a la part pirinenca d’Aragó’ (2007, un tipo aragones m.pl. (< lat.mediev. aragones) o una forma abreviada de aragoneses. <?page no="166"?> Jan Reinhardt 156 DIEC), ~ ‘dialecte espanyol parlat a Aragó’ (2007, DIEC). CVB aragonès adj. ‘relatiu o pertanyent a l’antiga Corona catalano-aragonesa, als seus reis, a les seves institucions, o als seus habitants’ (2007, DIEC). CVB (Sanet) aragonès m. ‘vent del nord-oest’ (1968, DCVB 1,813). Sint.: E florin aragonés m. ‘moneda acuñada en Aragón’ (1351- 1405, Cortes, DME). E romance aragonés m. ‘el idioma aragonés medieval’ (1926, MenéndezPidalOríg 91). Deriv.: E aragonesismo m. ‘palabra, locución o frase propias de los aragoneses’ (1926, MenéndezPidalOríg 86; 1958, EncIdioma 1,449), ~ ‘giro o modo peculiar de hablar la lengua castellana en el reino de Aragón’ (1909, EncEspasa 5,1188; ), CVB aragonesisme ‘manera de parlar o d’obrar, presa d’Aragó’ (1968, DCVB 1,813), ~ ‘mot o gir de procedència aragonesa’ (2007, DIEC). CVB aragonesada f. ‘multitud d'aragonesos’ (1968, DCVB 1,813). CVB aragonesada f. ‘feta pròpia d’aragonesos’ (1968, DCVB 1,813). Comp.: P navarro-aragonês, E navarro-aragonés Navarra b. P aragoneses adj.pl. ‘perteneciente o relativo a Aragón’ (s. -, LSousaDomingos, DELP 1,291), aragones adj. (1712, Bluteau 1,465), aragonês (1941, Xavier Fernandes 1,213; 1949, Morais 1,1065; 1999, Aurélio; 2001, Houaiss). P aragonezes m.pl. ‘naturales o habitantes de Aragón’ (1660, FMeloEpan 168), aragoneses (1939, ARibeiroGraça, Morais 1,1065). - P aragonês m. ‘id.’ (1949, Morais 1,1065; 2001, Houaiss). P aragonês m. ‘ling., falar próprio da atual regi-o de Arag-o’ (1949, Morais 1,1065; 2001, Houaiss). - P aragonês adj. ‘ling., diz-se do falar próprio da atual regi-o de Arag-o’ (2001, Houaiss). P aragonesa f. ‘dança e canto característicos de Arag-o’ (1949, Morais 1,1065). P aragonesa f. ‘casta de uva preta’ (1949, Morais 1,1065). 2. P aragonite f. ‘mineral, carbonato de calcio, de fórmula Ca- CO 3 y que cristaliza en el sistema rómbico’ (1871, Houaiss 2001; 1949, Morais 1,1066). - P aragonito m. ‘id.’ (1949, Morais 1,1066; 1958, Houaiss 2001), E ~ (1853, DCECH 1,307; 1909, Enc- Espasa 5,1189; 1958, EncIdioma 1,449; 1997, DeonHispG 139; 2001, Moliner). - P aragonita f. ‘mineral muito comum, carbonato de cálcio ortorrômbico, polimorfo da calcita, mais duro e mais denso que esta, encontrado tb. nas conchas, pérolas e <?page no="167"?> Das Projekt Deonomasticon iberoromanicum (DIR) 157 corais’ (1949, Morais 1,1065; 1999, Aurélio; 2001, Houaiss), E ~ (1958, EncIdioma 1,449), CVB ~ ‘mineral polimorf del carbonat de calci, de fórmula CaCO 3 , que cristal·litza en el sistema ròmbic’ (2007, DIEC). 3. P aragonense adj. ‘perteneciente o relativo a Aragón’ (1949, Morais 1,1065; 2001, Houaiss), NA ARA ~ (1938, Pardo Asso; 1958, EncIdioma 1,449). P aragonense m. ‘natural o habitante de Aragón’ (1949, Morais 1,1065; 2001, Houaiss). 4.a. P arag-o m. ‘casta de uva preta cultivada em Nisa’ (1949, Morais 1,1065). b. G caualo d’Arangóm m. ‘caballo criado en Aragón’ (1373, CrónTroianaL 508). E açafran de Aragon m. ‘azafrán procedente de Aragón’ (1565, LapeyreRuiz 623). E canchalagua de Aragón f. ‘lino purgante’ (2001, Moliner). E florin de Aragón m. ‘moneda acuñada en Aragón’ (1391-93, CancBaenaD 57,107-108), florin de Aragon (c. 1495, Nebrija, DME, s.v. florin), CVB florins d’or d’Aragó m.pl. (1375-83, PereIII- CrònS 1153) 139 . E justicia mayor de Aragón m. ‘magistrado supremo del antiguo reino de Aragón, que, en 139 Cf. lat.mediev. ( CVB ) florenos auri de Aragonia (1422, ComandBarcM 332). nombre del rey, hacía justicia con el consejo de cinco lugartenientes togados, y dictaba y hacía cumplir las provisiones de gobierno: además, cuidaba el mantenimiento de los fueros’ (2001, Moliner). E moneda de Aragon f. ‘moneda acuñada en Aragón’ (1488, BaezaCuentT 1,239). NA lengoage de Aragón m. ‘idioma románico hablado en Aragón’ (c. 1250, VidalMayorT 2,522). NA vaca de Aragon f. ‘vaca criada en Aragón’ (1291, ArancAduanS 76). CVB anyines de Aragó f.pl. ‘piel o lana de corderos de un año o menos, procedente de Aragón’ (1385, LibMercadG 105). CVB (Artesa, Oliana) vent d’Aragó m. ‘vent del nord-oest’ (1968, DCVB 1,813). - Elipt. CVB Aragó m. ‘id.’ (ib.). Derivados iberorrománicos, sufijo -és (1.a.) - Formas portuguesas del tipo aragonés : ¿relatinizaciónes o préstamos del castellano? (b.) - Términos mineralógicos, sufijos -ite/ -ito/ -ita (2.). - Adaptaciones del latín medieval aragonensis, cf. nota 6 (3.). - Usos metonímico (4.a.) y sintagmático (b.) del topónimo. <?page no="168"?> Jan Reinhardt 158 Literaturverzeichnis (in Auswahl) Bei den Primärquellen folgt auf das schwarze Kästchen die (vermutete) Redaktionszeit; auf das weiße die Datierung der Handschrift(en) oder alten Drucke; auf das graue die sprachliche Einordnung: ArancAduanS = + ´ § -: Sendra Cendra, M. a Dolores (ed.) (1966), Valencia, Anubar. 1222 ... 1294 s.d. 1222 … 1294, ArancAduanS lat.mediev., CVB, NA BaezaCuentT = Cuentas de Gonzalo de Baeza, tesorero de Isabel la Católica, tomo I: 1477-1491: De la Torre, Antonio/ De la Torre, E. A., (eds.) (1955), Madrid, CSIC. = 1477 ... 1491 1477 ... 1491, BaezaCuentT E. Casanova,RIOn 17 = Casanova, Emili (2011): „La deonomástica catalanovalenciana estado de la cuestión, con especial atención a la aportación de Joan Coromines“, in: Rivista italiana di onomastica 17, 565-590. ComandBarcM = Comandas comerciales barcelonesas de la baja edad media: Madurell Marimón, José María/ García Sanz, Arcadio (eds.) (1973), Barcelona, Colegio Notarial de Barcelona/ Departamento de Estudios Medievales (CSIC). 1236 … 1501 s.d. 1236 … 1501, ComandBarcM CVB , lat.mediev. ( CVB ). CORDE = Real Academia Española, Corpus Diacrónico del Español (CORDE) (2002-): http: / / corpus.rae.es/ cordenet. html. CrónGallegaL = La traducción gallega de la Crónica General y de la Crónica de Castilla: Lorenzo, Ramón (ed.) (1975-77), 2 vol., Ourense, Instituto de Estudios Orensanos Padre Feijoo, [DDGM Cr. Gal.; VPM GALE]. 1295-1312 = ms. A 1295-1312, CrónGallegaL G . DeonHispG = García Gallarín, Consuelo/ García Gallarín, Celeste (1997): Deonomástica hispánica: Vocabulario científico, humanístico y jergal, Madrid, Complutense. DI = Schweickard, Wolfgang (2003): Deonomasticon Italicum. Dizionario storico dei derivati da nomi geografici e da nomi di persona, vol. 1: Derivati da nomi geografici: A-E, 2: F-L (2006), 3: M-P (2010), 4: R-Z (2013), Supplemento bibliografico (1997, 2 2013), Tübingen, Niemeyer 1997-. EBA = Nagore Laín, Francho (dir.) (1999): Endize de bocables de l’aragonés: seguntes os repertorios lesicos de lugars y redoladas de l’Alto Aragón, 4 vol., Huesca, Instituto de Estudios Altoaragoneses. ETNAM = The electronic texts and concordances of Medieval Navarro-Aragonese manuscripts (CD-ROM): Nitti, John/ Kasten, Lloyd, (eds.) (1997), Madison, Wis., Hispanic Seminary of Medieval Studies. LibMercadG = Gual Camarena, Miguel (1981): El primer manual hispánico de § --, Barcelona, CSIC. 1385 ms. 1455 1385, LibMercadG CVB. <?page no="169"?> Das Projekt Deonomasticon iberoromanicum (DIR) 159 LíricaProfB = Lírica profana galego-portuguesa. Corpus completo das cantigas medievais, con estudio biográfico, análise retórica e bibliografía específica: Brea, Mercedes, (coord.) (1996), 2 vols., Santiago de Compostela, Centro de Investigacións Lingüísticas e Literarias «Ramón Piñeiro». 1195 ... 1364 ... 1195 ... 1364, LíricaProfB GP. LRL = Holtus, Günter/ Metzeltin, Michael/ Schmitt, Christian (eds.) (1988-2005): Lexikon der Romanistischen Linguistik, 8 vols., Tübingen, Niemeyer. Metzeltin, Michael/ Winkelmann, Otto (1992a): „Die Sprachgebiete auf der Iberischen Halbinsel“, in: LRL 6/ 1, XXXIX-XLI. Metzeltin, Michael/ Winkelmann, Otto (1992b): „Die Sprachen auf der Iberischen Halbinsel und ihre Verbreitung“, in: LRL 6/ 1, 1-36. Monjour, Alf (2002): „Die Behandlung der Deonomastika in der spanischen und portugiesischen Lexikographie“, in: Kremer, Dieter (ed.) unter Mitarbeit von Chambon, Jean-Pierre/ Schweickard, Wolfgang: Onomastik. Akten des 18. Internationalen Kongresses für Namenforschung Trier, 12.-17. April 1993, vol. 5: Onomastik und Lexikographie. Deonomastik, Tübingen, Niemeyer, 277-285. Reinhardt, Jan (2010): „El proyecto de un ‚Deonomasticon iberoromanicum‘ (DIR)“, in: Zeitschrift für romanische Philologie 126, 593-601. Reinhardt, Jan (2013): „Iberoromance I: Historical and etymological lexicography“, in: Gouws, Rufus H., et al. (eds.): Dictionaries. An International Encyclopedia of Lexicography. Supplementary volume: Recent developments with special focus on computational lexicography (= HSK 5.4), Berlin, De Gruyter, 636-645. Russell-Gebbett = Medieval Catalan Linguistic Texts: Russell-Gebbett, Paul, (ed.) (1965), Oxford, Dolphin Book. 839 ... fin. s. XV (orig.? ) ... fin. s. XV 839 ... fin. s. -, Russell-Gebbett CVB , lat.mediev. TextHispDialA = Alvar, Manuel (ed.) (1960): Textos hispánicos dialectales. Antología histórica, 2 vols., Madrid, CSIC [etc.]. 994 ... 1954 994 ... 1954, TextHispDialA AL ( AST , LEO ), E ( RIO ), NA ( ARA ) , lat.mediev. VidalMayorT = Vidal Mayor: Traducción aragonesa de la obra «In Excelsis Dei Thesauris» de Vidal de Canellas: Tilander, Gunnar (ed.) (1956), 3 vols., Lund, Håkan Ohlssons Boktrykeri. c. 1250 ms. de base: s.m. s. XIII c. 1250, VidalMayorT NA NAV . <?page no="171"?> Thomas Wallmann Der europäische Verfassungswortschatz - zur lexikographischen Erfassung eines Begriffsfeldes im Wandel 1 Einleitung: Der Weg zur Europäischen Verfassung als Problem für Romanisten Romanistische Textlinguistik hat längst die traditionellen Grenzen ihres Faches überschritten und betrachtet Texte von einer gesamt-anthropologischen Sichtweise aus (cf. Metzeltin/ Thir 2012), welche durch ihren explizit interdisziplinären Fokus (cf. van Dijk 1980) gesellschaftliche, diskursive Probleme und ihre textuelle Bewältigung zum Thema hat. Ausgehend von diesem Standpunkt wurden in mehreren Arbeiten unterschiedliche Spannungsfelder europäischer Textualität aufgegriffen und behandelt (cf. Wallmann 2008, Metzeltin/ Wallmann 2010). Unser gegenwärtiges Forschungsprojekt (2011-2014; unter der Leitung von Prof. M. Metzeltin), welches vom Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziert wird, lautet „A text-linguistic approach to the EU constitutional problem”. Dieser Problemstellung liegt als Ausgangspunkt die fortdauernde „Verfassungskrise“ der EU zu Grunde, welche aus unserer Sicht durch das Scheitern des Vertrages über eine Verfassung für Europa (2004) in der Ratifizierungsphase ausgelöst wurde und zu einer mittelfristigen (wenn auch nicht notwendigerweise endgültigen) Abwendung von der Idee einer Europäischen Verfassung geführt hat. Zwar übernimmt der aktuell bestimmende Vertrag von Lissabon (2007), ein Reformvertrag der bisherigen Unionsverträge, zahlreiche Inhalte des Verfassungsvertrages, präsentiert sie jedoch als völkerrechtliche Übereinkunft. Auf dem Wege zu einer gemeinsamen unionseuropäischen Verfassungsurkunde stellt er also - unter diesem Aspekt betrachtet - einen Rückschritt dar. Es lassen sich jedoch einige gewichtige Argumente nennen, welche ein Fortführen der Verfassungsbestrebungen für Europa weiterhin als würdiges Ziel untermauern: <?page no="172"?> Thomas Wallmann 162 (1) Die Europäische Union ist längst zu einem mächtigen Staatsgebilde herangewachsen, welches verfassungsmäßige Legitimierung und Kontrolle benötigt. Die Europäische Union, welche durch den Vertrag von Maastricht 1992 rechtlich begründet wurde, fußt auf dem 1951 zwischen Frankreich, Deutschland, Italien und den Benelux-Staaten geschlossenen Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), sowie sodann den Römischen Verträgen (EWG und EURATOM) aus dem Jahre 1957. Vergleichen wir die Europäischen Gemeinschaften von damals mit der Union des 21. Jahrhunderts, so hat sich deren Aktionsrahmen in mehrfacher Weise drastisch vergrößert (cf. „staatsrechtliches Monstrum“, Griller 2005): Die ursprünglichen Organe Hohe Behörde, Versammlung und Gerichtshof wurden umbenannt, umgestaltet und in ihrem Wirkungsfeld wesentlich erweitert. Zuzüglich kamen mit den der Union neu übertragenen Kompetenzen auch neue Institutionen und Behörden hinzu. Beispielhaft seien die derzeit 45 Agenturen (cf. http: / / europa.eu/ about-eu/ agencies/ ) hervorgehoben, denen durch sekundäres EU-Recht bestimmte Aufgabenbereiche übertragen worden sind, die den Handlungsrahmen der traditionellen EU-Organe bei Weitem sprengen würden. Ebenfalls entscheidend ist die zunehmende Komplexität durch die beständigen territorialen Erweiterungen der EU, die das Ausgangsgebiet seit damals auf 4.324.782 km² mit 503,7 Millionen Menschen vergrößert haben. Wenngleich einzelne maßgebende Juristen und Politikwissenschaftler die Staatsnatur der Europäischen Union als nicht voll ausgeprägt ansehen (cf. Grimm 2005: 198), so spricht etwa das relativ rezente Auftreten der Union als ein Teil des G-20-Gipfels sehr wohl für den Staatscharakter der EU, der ja wesentlich auch von der internationalen bzw. völkerrechtlichen Anerkennung abhängt. Der Hauptartikel zur „Europäischen Union“ in Wikipedia spricht analog zu Beschreibungen von Staaten auch hier von „Staatsform“ und „Regierungschef“ der EU. Dieser so genannte europäische „Suprastaat“ verfügt derzeit über ein aktuelles Bruttoinlandsprodukt von 15.247 Mrd. $. (cf. Wikipedia). Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Angespanntheit erfordert die gerechte Verteilung dieser Ressourcen den gegenseitigen Beistand der Staaten sowie ein hohes Maß an Solidarität seitens der Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten. Diese Solidarität lässt sich am ehesten durch eine gemeinsame Verfassung operationalisieren. (2) Die Europäische Union ist seit jeher ein Eliteprojekt gewesen, muss aber zu ihrer zukünftigen inneren Stabilität und politischen Legitimierung stärker bürgerfokussiert aufgebaut werden. <?page no="173"?> Der europäische Verfassungswortschatz 163 Es ist heute eine Hauptquelle politischer Unzufriedenheit in Europa, dass die europäische Bevölkerung sich zu wenig in Entscheidungen eingebunden fühlt, ja die politische Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene als undurchsichtig und nicht nachvollziehbar empfindet. Die rezenten Umfragen von Eurobarometer ergeben zudem ein Wissensdefizit über den Aufbau und das Funktionieren der europäischen Organe seitens der Bevölkerung. (cf. Eurobarometer 2012) Die gesellschaftliche Integration der Europäer und ihre Identifikation mit dem europäischen Projekt ist schwach ausgebildet, und droht die fortschreitende ökonomische und politische Integration zu behindern. (Grimm 2005: 192) Dies alles mag eine Folge dessen sein, dass die Europäischen Gemeinschaften seit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung ein Projekt der politischen Elite waren, welches intergouvernemental verwaltet anstatt demokratisch regiert wurde und wird. Der Einfluss der Bürger ist vergleichsweise gering. Es besteht ein Defizit an Mitentscheidungsrechten und an Verantwortlichkeit der Funktionäre. (Griller 2005: 256) Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas kritisiert dies deutlich: Der europäische Einigungsprozess, der immer schon über die Köpfe der Bevölkerung hinweg betrieben worden ist, steckt heute in der Sackgasse, weil er nicht weitergehen kann, ohne vom bisher üblichen administrativen Modus auf eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung umgestellt zu werden. (Habermas 2011: 124) Ein Jahr vor den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 bemüht sich die Europäische Union, die Wählerschaft mit Aktionen wie dem “Europäischen Jahr der Bürgerinnen und Bürger” (2013) (cf. http: / / europa.eu/ citizens-2013/ ) zu informieren und zur aktiven Partizipation zu motivieren. Diese Reorientierung in Richtung Bürger sollte sich auch in einem neuen Verfassungstext der Europäischen Union manifestieren, welcher nicht nur Destinatär des europäischen Gemeinwesens, sondern ein Stückweit auch dessen demokratisch-aktiver Mitgestalter sein sollte. (3) Die Union greift immer stärker unmittelbar in das Leben des einzelnen Bürgers ein und ist daher auch angehalten, seine Grundrechte zu garantieren und festzuschreiben. Während Bestimmungen internationaler Organisationen erst durch einen nationalen Gesetzgebungsakt in einzelstaatliches Recht umgewandelt werden müssen, um Rechtskraft für den einzelnen Bürger zu erlangen, haben zahlreiche Bestimmungen des Rates der Europäischen Union <?page no="174"?> Thomas Wallmann 164 direkte Auswirkung auf die Bürger der Mitgliedstaaten. „Gemeinschaftsrechtliche Regelungen haben kontinuierlich auf Kosten des nationalen Rechts zugenommen.” (Grimm 2005: 180) Diese Durchgriffswirkung macht auch vor den höchstrangigen nationalstaatlichen Gesetzen, den Verfassungsbestimmungen, nicht Halt. Dies war lange Zeit insofern bedenklich, als gerade der Grundrechteschutz ein in den einzelstaatlichen Verfassungen - und nur dort - verankertes Gut war. In den 1960er Jahren hat der EuGH zumindest zugestanden, dass grundlegende Menschenrechte auch Prinzipien des Gemeinschaftsrechts sind (cf. Grimm 2005: 183). Erst durch die Grundrechtecharta 2000 wurde ein umfassender Katalog eines unionseuropäischen Menschenrechtsstandards geschaffen. Dieser sollte als Teil II integraler Bestandteil des nie in Kraft getretenen Verfassungsvertrages sein. Der Vertrag von Lissabon gesteht dem Grundrechtekatalog sehr wohl verbindliche Rechtskraft zu (cf. Art. 6 EUV), lagert ihn textuell jedoch aus, indem er nicht den Grundverträgen der EU einverleibt wird, sondern als vertragsfremder Text isoliert wird. Es wäre daher vorteilhaft, wenn die Grundrechte der europäischen Bürger nicht nur rechtlich verankert, sondern auch im Rahmen einer Verfassungsurkunde diskursiviert und damit zu Leitmotiven des gemeinsamen Handelns werden könnten. Im Rahmen des Projektes „A text-linguistic approach to the EU constitutional problem“ verfolgen wir daher die Zielsetzung, einen neuen Entwurf zu einer bürgerverständlichen Europäischen Verfassung nach textlinguistisch begründeten Kriterien zu erstellen und vorzuschlagen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf einer bewusst von Nicht-Juristen durchgeführten Analyse des bestehenden unionseuropäischen Primärrechts (insbesondere auf Französisch, Spanisch und auch Englisch). Wir bewegen uns in diesem Unterfangen an einer Schnittstelle von Textlinguistik, Politikwissenschaft, Europarecht aber auch von Semantik. Die Basis für ein geeintes Europa und der diesem zu Grunde zu legenden Texte muss ein gemeinsames Verständnis von Werten und Zielen, eine ideologische und operationale Basis, kurz, eine Grundsemantik sein. Dieses semantische Feld können wir auf lexikalischer Ebene auch „europäischen Verfassungswortschatz“ nennen. Es geht also nicht bloß um eine Analyse und Bearbeitung der textuellen Gestalt der bestehenden Europarechtsdokumente, sondern vielmehr auch um ein Explizieren von begrifflichen und konzeptionellen Schwierigkeiten, letzthin um ein Neu- Denken überkommener Schemata (cf. Vortrag: „Reescribir Europa - La Constitución Europea concebida por filólogos“, Wallmann, 24.10.13, Barcelona). Gerade an dieser Stelle ergibt sich ein Berührungspunkt mit <?page no="175"?> Der europäische Verfassungswortschatz 165 dem Thema des XXVIII. Romanistischen Kolloquiums, Zur Lexikographie der romanischen Sprachen. Die definitorische Erfassung des europäischen Verfassungswortschatzes ist eine wesentliche Vorausbedingung weiterführender konzeptioneller und textredaktioneller Arbeit, so dass der Miteinbezug zentraler Lexika und Enzyklopädien zu europäischen politischen und juristischen Begriffen ein wichtiger methodischer Schritt unseres Arbeitsvorgehens war. Die Lexikographie des europäischen Verfassungswortschatzes zeigt sich jedoch als äußerst problembehaftetes Unterfangen, da die europäische Verfassungslexik in einem Prozess ständiger Veränderung begriffen ist. Durch die fortlaufende Novellierung des europäischen Primärrechts durch Reformverträge oder Beitritte neuer Unionsmitglieder und entsprechende Beitrittsverträge (cf. Vertrag über den Beitritt Kroatiens, 2012) mit novellierender Wirkung auf das bisherige Rechtsgebäude der Union, durch die fortlaufende Interpretation des EU-Rechts durch den Europäischen Gerichtshof und nicht zuletzt durch den europapolitischen Diskurs werden beständig neue Wörter in den Kanon des Verfassungswortschatzes aufgenommen oder bestehende Termini mit neuen Bedeutungsinhalten versehen. Eine zufriedenstellende, abschließend-gültige Bestandsaufnahme und Definition der europäischen Grundbegriffe ist daher bislang ein Desideratum geblieben. Unser Beitrag zur Erfassung eines europäischen Verfassungswortschatzes soll sich anhand der Antworten auf die folgenden Fragestellungen entfalten: - Gibt es einen europäischen Verfassungswortschatz? - Worin liegen Schwierigkeiten und Heterogenitäten in der Erfassung des europäischen Verfassungswortschatzes? - Welche Wege zu einem interdisziplinär erfassten Verfassungswortschatz sind zu beschreiten? Lexikographische Bezüge werden sich durch eine synchrone Betrachtung ausgewählter, einschlägiger teils französischer, teils deutscher Spezialwörterbücher (cf. Haßler 2001), d.h. Lexika, Enzyklopädien und Handbücher ergeben. 2 Gibt es einen europäischen Verfassungswortschatz? Der Frage nach einem europäischen Verfassungswortschatz ist zunächst die Problemstellung vorzulagern, was überhaupt unter ‚Verfassungswort- <?page no="176"?> Thomas Wallmann 166 schatz‘ zu verstehen ist, da dieser keinesfalls einen gesicherten und etablierten Terminus, weder der juristischen noch der linguistischen Forschung darstellt. Die lange und unzweifelhaft prägnante Geschichte des Begriffes und Wortes constitutio seit der Antike für die folgenden Überlegungen implizierend, wollen wir den Beginn des modernen Verfassungsbegriffes klar mit den Ereignissen der Französischen Revolution von 1789 in Verbindung setzen. Die damaligen politischen Paradigmenwechsel, welche nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa ihre nachhaltigen Folgen hinterlassen haben, brachten im Kern eine Neuordnung des Verständnisses von Staatlichkeit und vom Staatsbürger mit sich. Letzterer rückt in den Fokus des pragmatischen Interesses der neu entstehenden Verfassungstexte und präsentiert sich gleichermaßen als Legitimator politischer Macht als auch als Destinatär staatlichen Handelns: Dabei gewannen zwei neuartige Maximen besondere Bedeutung: zum einen die Überzeugung, dass sich politische Herrschaft weder traditional noch transzendental, sondern nur konsensual, also durch Zustimmung der Beherrschten legitimieren lasse, zum anderen die Überzeugung, dass legitime Herrschaft die natürliche Freiheit der Beherrschten zu achten und schützen habe. (Grimm 2005: 184f.) In diesem neuartigen Spannungsfeld des Bürgers entstehen - unter wesentlichem Einfluss der aufklärerischen Denker (cf. Rousseau, Du Contrat Social) - Grundrechtstexte, welche das Verhältnis zwischen dem Gemeinwohl aller Bürger und dem Individualinteresse des einzelnen Bürgers zu vermitteln haben. Insbesondere die Déclaration des droits de µ von 1789 lässt bereits in Artikel 1 die Begriffe liberté und égalité („libres et égaux en droits“) und in Artikel 2 die Begriffe liberté, propriété, sûreté sowie ° ³ als Zentralbegriffe des neuen Verfassungsverständnisses auftreten und präsentiert sie gleichsam problemhaft-antagonistisch: „La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui“ (Art. 4). Die Freiheit des Einzelnen geht also lediglich soweit, als es die Sicherheit des Anderen nicht gefährdet. Gleichheit gilt nicht absolut, sondern nur vor dem Gesetzgeber, darf aber nicht das Recht auf Eigentum in Frage stellen. Die Verfassungstexte wurden zu Garanten bürgerlicher und allgemeiner Rechte und repräsentieren zudem die Grundwerte gegebener Gesellschaften. Als traditionsstiftende Texte gelten etwa die französischen Menschenrechtserklärungen von 1789/ 1791, 1793 und 1795, die französischen Verfassungen von 1789, 1793 und 1795, die spanische Verfassung von Cádiz 1812, die belgische Verfassung von 1831 und die französische Verfassung von 1848 (cf. Metzeltin 2007: <?page no="177"?> Der europäische Verfassungswortschatz 167 284). Mit diesen und weiteren (davon abgeleiteten) Texten hat sich in Europa ein Kanon an verfassungswürdigen Inhalten herausgebildet: - Staatsgrundsätze - Rechte und Pflichten der Staatsbürger - Staatsoberhaupt (Monarch, Präsident) - Legislative - Exekutive - Judikative - Staatshaushalt - Territorium - Revisions- und Schlussbestimmungen (cf. Metzeltin 2007, Kap. XIV, Work in Progress: Verfassungen; cf. auch den Aufbau der Constitución española 1978). Wir können diesen inhaltlichen Grundbestand als Kern einer europäischen Verfassungssemantik ansehen, welche eine Verbindung von politischen, staatsphilosophischen und juristischen Termini darstellt. Üblicherweise zerfällt eine Verfassung in einen ideellen Teil (Grundrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat) und einen operationalen Teil (Grundorgane des Staates, Gewaltenteilung). Eine umfassende Herausarbeitung des Grundwortschatzes europäischer Verfassungen findet sich etwa in Metzeltin, Die Entwicklung des Zivilisationswortschatzes im südosteuropäischen Raum im 19. Jahrhundert (2005). Dieser Grundbestand an Inhalten, der sich sodann in den meisten Verfassungen westlichen Gepräges finden lässt, wird auch - vor allem von den Rechtswissenschaftlern - als „Verfassung im materiellen Sinn“ bezeichnet: Unter Verfassung im materiellen Sinn sind alle jene Rechtsregeln zu verstehen, welche Aufbau und Tätigkeit des Gemeinwesens, insbesondere das Handeln seiner Organe sowie sein Verhältnis zu den seiner Gewalt unterworfenen Menschen und Gemeinschaften im Grundsätzlichen regeln, und zwar ohne Rücksicht ob es sich um geschriebenes oder ungeschriebenes, gewohnheitsmäßig oder durch Hoheitsakte zu Stande gekommenes Recht handelt. (Brauneder 2005: 17) Die Grundpfeiler der politischen Staatsordnung sollen über die Jahre und auch über den Wechsel aktueller politischer Entscheidungsträger hinaus konstant bleiben und das Fortbestehen des Staates als solchen garantieren. So verbindet etwa Abbé de Sieyès in seiner Rede Qu’est-ce que le Tiers État? die Konzepte lois constitutionnelles und lois fondamentales in entscheidender Weise miteinander: <?page no="178"?> Thomas Wallmann 168 Ces lois sont dites fondamentales, non pas en ce sens qu’elles puissent devenir indépendantes de la volonté nationale, mais parce que les corps qui existent et agissent par elles ne peuvent point y toucher. Dans chaque partie, la constitution n’est pas l’ouvrage du pouvoir constitué, mais du pouvoir constituant. Aucune sorte de pouvoir délégué ne peut rien changer aux conditions de sa délégation. C’est en ce sens que les lois constitutionnelles sont fondamentales.“ (Sieyès 1789) Aus diesem Vorrang der Fundamentalgesetze gegenüber einfachen, davon abgeleiteten Gesetzen der gesetzgebenden Körperschaft entwickelte die Rechtswissenschaft, und dabei insbesondere der österreichische Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph Hans Kelsen, den Begriff des „Stufenbaus der Rechtsordnung“ (cf. Kelsen 1925: 248ff.), demgemäß sich alle staatlichen Rechtsakte von der Verfassung ableiten bzw. widerspruchsfrei mit dieser in Einklang stehen müssen. Da jedoch auch Verfassungsbestimmungen den Notwendigkeiten sich verändernder Zeiten unterworfen sind, muss auch deren Abänderung ein geregeltes Verfahren erhalten. Üblicherweise sehen nationalstaatliche Verfassungen dafür Abstimmungen der gesetzgebenden Körperschaften unter erschwerten Bedingungen (z.B. Zweidrittelmehrheiten der Abgeordneten) vor. Dadurch kommt es - rechtstheoretisch gesehen - zu einem Paradigmenwechsel weg von der Idee eines großen Wurfes, einer Charta oder „Ewigen Verfassung“ hin zum Begriff der „Verfassung im positivrechtlichen Sinn“ (cf. Kelsen 1925: 249) oder - modern gesprochen - zur „formellen Verfassung“. Eine Verfassung wird somit - in der juristischen Konzeption des Rechtspositivismus - zu einer reinen Formalität. Die formelle Eigenheit des Verfassungsrechts besteht darin, dass es in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren, d.h. in einem im Vergleich zur „einfachen“ Gesetzgebung erschwerten Verfahren erlassen und abgeändert wird. [...] Eine Änderung des österreichischen Bundesverfassungsrechts bedarf (a) einer Mehrheit von mindestens zwei Drittel der Stimmen im Nationalrat (Konsensquorum), wobei (b) mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend sein muss (Präsenzquorum), sowie (c) der ausdrücklichen Bezeichnung „Verfassungsgesetz“ bzw. „Verfassungsbestimmung. (Öhlinger 2005: 25) Diese Fortentwicklung des Verfassungsbegriffes, seine Einengung auf einen reinen Funktionalismus ist folgenreich für Textualität und Semantik: Verfassungen, wie etwa die österreichische Bundesverfassung (cf. http: / / www.parlament.gv.at), sind auf eine Vielzahl an Texten (darunter das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1867, das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 in der Fassung von 1929, der Staatsvertrag von 1955 oder die Europäische Menschenrechtskonvention seit 1958) aufge- <?page no="179"?> Der europäische Verfassungswortschatz 169 splittert. Zuzüglich finden sich in zahlreichen einfachen Gesetzen Verfassungsbestimmungen eingestreut. Dieses selbst für Experten nicht mehr als kohärentes Ganzes erfassbare Korpus wurde seitens des österreichischen Verfassungskonventes (http: / / www.konvent.gv.at) von 2003 bis 2005 andauernden (allerdings vergeblichen) Bemühungen um einen einheitlichen Verfassungstext unterzogen. Auf semantischer Ebene bedeutet der formale Verfassungsbegriff, dass jeglicher Gesetzesinhalt, welcher nach den entsprechenden Formvorschriften der verfassungsgesetzlichen Beschlussfassung erlassen worden ist, Teil der Verfassung werden kann. Neben textlichen Problemen stellt sich somit auch ein semantisch-lexikographisches Problem, nämlich verfassungstragende bzw. verfassungstypische Begriffe überhaupt festmachen und sodann definieren zu können. Die Möglichkeiten der Verfassungssemantik und ihrer Lexikographie fallen nunmehr - in letzter Konsequenz - mit denen des allgemeinen Wortschatzes einer Sprache zusammen. Die soeben dargelegte Problematik zeigt sich insbesondere auf der Ebene des europäischen Primärrechts. So waren seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften interstaatliche Verträge deren rechtliche Basis. Es stellte sich somit bald die Frage, wie eine Europäische Union funktionieren könnte, welche bloß auf Verträgen, nicht aber auf einem Verfassungstext fußt. Bereits relativ früh in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaften wurden die Gründungsverträge von Rechtswissenschaftlern und insbesondere vom Europäischen Gerichtshof zumindest teilweise als eine Art Verfassung angesehen. Da die Verträge den Begriff einer Verfassung in formaler Hinsicht (legitimiertes Primärrecht) erfüllen, konnten sie lange Zeit als Surrogat einer echten Verfassung wirken: Diese Konstitutionalisierung - d.h. die Transformation der EU [...] von rein völkerrechtlichen internationalen Organisationen mit staatsähnlichen Strukturen - begann bereits mit der vertraglichen Gründung der Montanunion, weil schon dieser Vertrag einzelne jener supranationalen Elemente enthielt, mit denen sich das geltende Gemeinschaftsrecht vom klassischen Völkerrecht abgrenzt.“ (Öhlinger 2006: 109) Diese Verträge enthalten zahlreiche Bestimmungen, die man im Staat in der Verfassung finden würde, und erfüllen Funktionen, die im Staat der Verfassung zufallen.“ (Grimm 2005: 188) Als „Verfassungsurkunde der Gemeinschaft“ hat denn auch der EuGH den EG-Vertrag schon vor langer Zeit bezeichnet. Diese ist freilich gemessen an dem (west-) europäischen Standard staatlicher Verfassungen in mehrfacher Hinsicht [...] defizitär. (Öhlinger 2006: 111) <?page no="180"?> Thomas Wallmann 170 Auf Grund einer solchen, rein formalrechtlich konzipierten Verfassung der Europäischen Union ergeben sich auf semantisch-lexikaler aber auch lexikographischer Ebene einige weit reichende Konsequenzen: - Der Europäischen Union liegt eine multitextuelle Basis zu Grunde: im Wesentlichen sind dies der Vertrag über die Europäische Union (frz. 3 ° ¶ ° , zurückgehend auf den Vertrag von Maastricht 1992), der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (frz. 3 ° ¶ ° , zurückgehend auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957) sowie die Europäische Charta der Grundrechte (frz. Charte des droits 5 ¶ ° , Neuschöpfung 2000). Alle diese Texte sind in historischen Kontexten entstanden, die ganz unterschiedlichen Phasen der europäischen Integration entsprechen. Dementsprechend haben sie unterschiedliche politische und rechtliche Problemstellungen zu lösen und stellen auf eine ihnen je eigene Terminologie und semantische Basis ab. Als illustratives Beispiel sei der Begriff liberté herausgegriffen. Während der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union stark die wirtschaftlichen Aspekte von Freiheit fokussiert („Le marché intérieur comporte un espace sans frontières intérieures dans lequel la libre circulation des marchandises, des personnes, des services et des capitaux est assurée selon les dispositions des traités.“ Art. 26), listet etwa die Charta 2000 folgende Aspekte der Freiheit auf: Respect de la vie privée et familiale, Protection des données à caractère personnel, Droit de se marier et droit de fonder une famille, Liberté de pensée, de conscience et de re- ° 5 ° ° ¸ tion, Liberté des arts et des sciences, Liberté professionnelle et droit de travail- ° " ` ° x 5 .“ Die unterschiedliche Gestaltung des Freiheitsbegriffes impliziert eine Divergenz in den zu Grunde liegenden Menschenbildern: Während im EWG-Vertrag der Mensch vor allem als wirtschaftlicher Produktionsfaktor gehandelt wird (cf. Art. 39 AEUV), welcher möglichst an die flexiblen Strukturen eines gemeinsamen Marktes anzupassen ist, versucht die Charta der Grundrechte den Menschen als Vollbürger mit einer entfalteten Palette an individuellen Freiheitsrechten wahrzunehmen. - Die Europäischen Grundverträge sind als Vertragstexte grundsätzlich offen für jeglichen Inhalt, welchen die vertragschließenden Parteien, in diesem Fall die demokratischen Repräsentanten der europäischen Staaten, miteinander vereinbaren wollen. Dies betraf zu Anfang die gemeinsame Verwaltung der Kohle- und Stahlvorkommen, eine ge- <?page no="181"?> Der europäische Verfassungswortschatz 171 meinsame Atom(energie)politik und in weiterer Folge das Ziel eines gemeinsamen Marktes. Insbesondere der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft wurde und wird sukzessive um neue Bereiche der mitgliedsstaatlichen Zusammenarbeit erweitert (cf. politique sociale, protection des consommateurs, jeunesse et sport, environnement, etc.). Gegenüber dem seit 1992 relativ stabil gebliebenen Vertrag von Maastricht zeigt er thematisch gesehen eine wesentlich größere Vielfalt an Inhalten. Betrachtet man die verschiedenen konsolidierten Fassungen des EWG-Vertrages, so kann vor allem der dritte Teil (Die internen Politiken und Maßnahmen der Union) als Spiegel der historischen und gegenwärtigen europäischen Integrationsdichte angesehen werden. Während der Bereich „Binnenmarkt“ oft als „Kern“ der Gemeinschaften gilt, wurden im Lauf der Zeit immer mehr Politikbereiche der gemeinschaftlichen Verwaltung unterworfen. Das Lehrbuch Materielles Europarecht (Eilmannsberger et al., 2009) etwa gibt einen Überblick über die Zuständigkeitsbereiche der Union. „Materielle Verfassung“ ist hier jedoch alles, was der EU an Agenden von den Mitgliedstaaten überantwortet worden ist, mit einer „materiellen Verfassung“ im traditionellen Sinn (siehe oben) hat dies freilich wenig zu tun. Gemäß dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (cf. Art. 5 EUV) kann auch in Hinkunft jeglicher Politikbereich vergemeinschaftet werden. Dies hat zur Konsequenz, dass die lexikalische Erfassung des europäischen Verfassungswortschatzes nicht bei staatsrechtlichen Termini Halt machen darf, sondern u.U. Wörter sämtlicher vergemeinschafteter Politikbereiche miteinzubeziehen hat. Ein multidisziplinärer Zugang zu „Verfassung“ scheint hierbei geboten. - Während der Verfassungsvertrag 2004 alle bisherigen Unionsverträge aufgehoben und ersetzt hätte (cf. Art. IV-437), wodurch eine nachhaltige Reduktion von Rechtsbestimmungen und damit auch von Textmaterial einhergegangen wäre, umfasst das europäische Primärrecht aktuell (konsolidierte Fassung 2012) 412 Seiten. Während Verfassungen gewissermaßen die Essenz des politischen Zusammenlebens im Staate darstellen sollen, sind im europäischen Primärrecht eine Vielzahl an Detailbestimmungen, Arbeitsweisen und prozeduralen Abläufen sekundären Ranges sowie zahlreiche Redundanzen eingearbeitet. Anstelle eines „durchkomponierten“ Textes findet sich ein Korpus an Textsedimenten aus den unterschiedlichen Phasen der Unionswerdung mit einer hohen Diversität semantischer Inhalte. Eine Definition dessen, was davon echt zu einem europäischen Verfassungswortschatz zu rechnen sei, fällt derzeit methodisch schwer. <?page no="182"?> Thomas Wallmann 172 - Neben der soeben skizzierten Beliebigkeit der Vertragsinhalte kommt zudem die hochfrequente Abänderung der Vertragsinhalte als Charakteristikum hinzu: Die Gründungsverträge der Gemeinschaften wurden durch die großen nachfolgenden Vertragstexte (1965, 1986, 1992, 1997, 2001, 2007) sowie durch die Beitrittsverträge der neuen Mitgliedstaaten novelliert. Dass die „Europäischen Gemeinschaften“, welche seit 1992 die Bezeichnung „Europäische Union“ tragen, selbst eher als ein offenes Konzept - als work-in-progress - anzusehen sind, zeigt etwa der Lexique des termes juridiques (2005), der folgende Definition gibt: Objectif défini dans le cadre des Communautés européennes en 1972 visant à l’établissement d’une forme d’union politique entre les États membres. Longtemps restée lettre morte, elle est officiellement instituée par le traité de Maastricht, “traité sur l’Union européenne”. Le concept rassemble aussi bien les objectifs d’union économique et monétaire que, sur le plan politique, la coopération en matière de politique étrangère et de défense, ou maintenant de sécurité intérieure et de justice. Die Union wird hierbei einerseits als ein vereinbartes Vertragsziel von Staaten (object défini), andererseits als ein mehrere Zielsetzungen vereinendes Konzept (concept) und als eine vielschichtige Kooperation (cooperation en matière de …) skizziert. Solcherart definiert ist die Europäische Union leicht in jegliche mögliche Richtung veränderbar, erweiterbar. Ihre Fortentwicklung gestaltet sich als open-end- Prozess. Beispielhaft sei Artikel 17 EUV zitiert, welcher Bestimmungen über die Zusammensetzung der Europäischen Kommission enthält: 4. La Commission nommée entre la date d'entrée en vigueur du traité de Lisbonne et le 31 octobre 2014, est composée d'un ressortissant de chaque État membre, y compris son président et le haut représentant de l'Union pour les affaires étrangères et la politique de sécurité, qui en est l'un des viceprésidents. 5. À partir du 1er novembre 2014, la Commission est composée d'un nombre de membres, y compris son président et le haut représentant de l'Union pour les affaires étrangères et la politique de sécurité, correspondant aux deux tiers du nombre d'États membres, à moins que le Conseil européen, statuant à l'unanimité, ne décide de modifier ce nombre.“ (Art. 17 EUV) Es wird deutlich, dass selbst innerhalb eines Dokuments Begriffe im Wandel dargestellt werden. Den raschen Veränderungen der realpolitischen Konstellationen (hier: Veränderungen der Anzahl der Mitgliedsstaaten) kann nur durch beständige Modifikation der <?page no="183"?> Der europäische Verfassungswortschatz 173 Unionsstrukturen Rechnung getragen werden. Auf semantischer Ebene bedeutet dies einen ständigen Umbau der Begriffsinhalte. Auch der Dictionnaire du droit de l’Union européenne (2007) spricht von einem „caractère réellement complexe et fortement évolutif“ der Europäischen Union. 3 Schwierigkeiten und Heterogenitäten in der Erfassung des europäischen Verfassungswortschatzes Die einzelnen bestehenden Nachschlagewerke zum europäischen Wortschatz haben zunächst unterschiedliche Korpora als Ausgangspunkt. Während einige sich auf die Begrifflichkeiten der Europäischen Union beschränken, inkludieren wieder andere auch jene des Europarates, eines außerhalb der unionseuropäischen Säulen stehenden Gremiums. Je nachdem wird etwa auch der Begriff ‚Europa‘ anders definiert sein. Während das Europa der Union aus 28 Mitgliedern besteht, umfasst der Europarat 47 Staaten, welche teilweise außerhalb des geographischen Europas liegen, wie z.B. die Türkei. Je nach Erscheinen des Nachschlagewerkes wird außerdem entweder (noch) auf den Wortschatz des Verfassungsvertrages (2004) oder (bereits) auf jenen des Lissabon-Vertrages (2007) rekurriert. Gerade zwischen diesen beiden, zeitlich relativ eng beieinander liegenden Texten, besteht - weniger dem Sachinhalt nach, als vielmehr in der Terminologie - eine entscheidende Diskontinuität. Während der Verfassungsvertrag, etwa durch die Einführung von europäischen Symbolen (Hymne, Flagge, europäischer Feiertag etc.) und staatsähnlichen Ämtern und Rechtsakten (Gesetz, Rahmengesetz), einer konservativ-staatstragenden Terminologie nachhängt, finden sich im Verfassungvertrag eher nüchtern-technische, bewusst vom Staatsvokabular Abstand nehmende Termini: Im Verfassungsentwurf [Vertrag über eine Verfassung, 2004] sehen wir einen Außenminister vor. Aber ein Außenminister ist angeblich jemand, den nur ein Staat hat. Daher heißt dieser Posten nun „Hoher Vertreter für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“. Er verfügt de facto über die gleichen Rechte und Kompetenzen wie ein Außenminister. Eine sprachliche Variante, die an der Substanz nichts ändert. (Leiße 2010: 61) Während die mit der Europäischen Union befassten Wissenschaften neuerdings dazu tendieren, sich zu einer interdisziplinären „Europawissenschaft” zusammenzuschließen (cf. Schuppert 2005), verbleiben die <?page no="184"?> Thomas Wallmann 174 vorherrschenden Lexika und Enzyklopädien im Schoße der Einzelwissenschaften, insbesondere im Kontext von Rechts-, Politik- und Geschichtswissenschaften. 3.1 Rechtswissenschaften Im rechtswissenschaftlichen Bereich ist festzuhalten, dass das Europarecht - auf Grund seiner bereits erläuterten inhaltlichen Offenheit - alle Bereiche des Rechtslebens nachhaltig beeinflusst und daher auch in den Handbüchern fast aller Rechtsbereiche (cf. Strafrecht, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Familienrecht, Finanzrecht) Einzug gehalten hat. So erklärt etwa der Dictionnaire du droit de L’Union européenne (2007) in seiner Einleitung: „Toutes les branches du droit interne sont affectées par la construction juridique de l’Union européenne.” Viele europarechtliche Termini hätten als „source exotique” in den Rechtshandbüchern Eingang gefunden. Daneben gibt es allgemeine Rechtswörterbücher, Handbücher zum Europarecht, Wörterbücher des europäischen Rechts aber eigentlich keine, die sich explizit mit dem Problem eines spezifischen Verfassungswortschatzes auseinandersetzen. Beispielhaft seien aufgelistet: Cornu, Gérard ( 7 2005): Vocabulaire juridique, Paris, Presses Universitaires de France. Guillien, Raymond/ Vincent, Jean ( 15 2005): Lexique des termes juridiques, Paris, Dalloz. Debard, Thierry (2 2007): Dictionnaire du droit de l’Union européenne, Paris, Ellipses. Betrachten wir das letztgenannte Beispiel etwas näher, so erkennt man, wie sehr die in dieser Enzyklopädie aus dem Verfassungsvertrag herausgearbeiteten Termini bereits teilweise obsolet geworden sind. Der eigens als Lemma ausgewiesene Terminus abrogation meint im Verfassungsvertrag etwa die Aufhebung der bisherigen Unionsverträge: „Abrogation des traités antérieurs: Le présent traité établissant une Constitution pour ^ ope abroge le traité instituant la Communauté européenne et le traité sur ¶ ° .“ Im Lissabontext ist abrogation bzw. abroger lediglich auf Aufhebungen von Einzelentscheidungen durch den Rat der Europäischen Union (cf. 126 AEUV) bezogen, also eine rein verfahrenstechnische Bezeichnung. Das Dictionnaire umfasst ferner auch Termini, die eindeutig dem europäischen Sekundärrecht zuzuordnen sind, so etwa der Eintrag agence européenne, welcher die vom Rat der Europäischen Union per Beschluss eingerichteten Europäischen Agenturen erläutert, denen bestimmte <?page no="185"?> Der europäische Verfassungswortschatz 175 Aufgabenbereiche der gemeinschaftlichen Politik zuzuordnen sind. Es wird deutlich, dass der europäische Verfassungswortschatz sich nicht im europäischen Primärrecht - den sogenannten „Verträgen“ - erschöpft, sondern sich - wie es die Enzyklopädie umsetzt - auch auf weiterführende Dokumente beziehen muss. Entscheidend für die Aufnahme eines Lemmas scheint weniger der rechtliche Rang der Begriffe, sondern der Einfluss in der realen Unionspolitik, der sogenannten „Verfassungsrealität“. Da das Werk für den universitären Lehrbetrieb verfasst wurde, verfügt es zudem über ein durchdringendes Verweissystem, welches eine Erfassung des europäischen Institutionengefüges erleichtert. Gerade in der Darstellung eines so hochkomplexen politischen Gebäudes wie der EU, scheinen ausgefeilte meta-textuelle Strukturen, wie Verweise, essenzielle textpragmatische Mittel. 3.2 Politikwissenschaft Die Enzyklopädie Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration (2006), herausgegeben von W. Weidenfeld und W. Wessels, versteht sich als europapolitisches Nachschlagewerk. Nach einem historischen Abriss der europäischen Einigung folgt der enzyklopädische Teil vor allem politischer und institutioneller Begriffe, welchem u.a. ein als „Europa-ABC“ bezeichneter Teil mit kürzeren Definitionen sowie eine Chronologie der europäischen Integration nachgeschaltet sind. Ein umfassendes Sachregister verweist auf die längeren Artikel oder auf die Kurzdefinitionen. In der Einleitung des Werkes findet sich zuzüglich eine thematische Übersicht, welche die Themen nach Sachverwandtschaft zusammengruppiert: - Konzepte und Wege der europäischen Einigung - Organe und Einrichtungen der Europäischen Union - Verfahren und Organisation der Europäischen Union - Politikbereiche der Europäischen Union - Wirtschaft und Währung - Sektorpolitiken - Soziales und Kultur - Justiz und Inneres - Äußeres und Sicherheit - Erweiterung und Stabilisierung - Weitere Organisationen <?page no="186"?> Thomas Wallmann 176 Das Werk steht damit texttypologisch zwischen einer Enzyklopädie und einem Handbuch der Europapolitik. Zur besseren Orientierung im Rahmen der europäischen Vielfalt an Begriffen und Termini scheint eine Überschreitung auch der Texttraditionen durchaus geboten und nützlich. Die Mikrostruktur zeigt am Beginn jedes Artikels ein Kästchen mit Verweisen zur Vertrags- und Rechtsgrundlage und gibt Literaturhinweise und Links an. Dies indiziert deutlich, dass - in dieser Konzeption - lediglich die Rechtsdokumente zu einer verbindlich gültigen Definition der europäischen Verfassungsbegriffe berufen sind. Der nachfolgende Artikel gestaltet sich als Explizierung der zuvor zitierten Gesetzesstellen. Bereits im Vorwort zur dritten Auflage des Handlexikons der Europäischen Union (2005), herausgegeben von Wolfgang Mickel und Jan Bergmann, wird betont, dass es im „system in progress“ der EU eine Notwendigkeit zur beständigen Aktualisierung mit immer neuen Schlüsselbegriffen gibt. Zusätzlich wurde der bisherige politologische Ansatz gegenüber den früheren Auflagen um juristische Aspekte erweitert. Auch im Rahmen dieses Werkes wurde also der Vorteil fachverschränkenden Arbeitens erkannt. Erneut wurde jedoch der Fokus auf den Wortschatz der EU, nicht anderer europäischer Gremien gelegt. Ein über 20 Seiten langes Sachregister ermöglicht ein präzises Auffinden der Begriffe in den Artikeln. Die Mikrostruktur zeigt in den einzelnen Artikeln zu Beginn den Versuch echter Definitionen, wie folgende der „Kommission der Europäischen Gemeinschaften“ zeigt: Die Kommission ist ein Kollegium der von den Regierungen der Mitgliedstaaten der EU einvernehmlich ernannten, vom Europäischen Parlament zu bestätigenden, ihr Amt jedoch unabhängig ausübenden Mitgliedern einschl. der dazugehörigen Verwaltungsbehörde. (Mickel/ Bergmann 3 2005: 373) Danach folgen Absätze über die geschichtliche Entwicklung, die Aufgaben und organisatorische Details. Das Werk verbindet einen lexikalen mit einem enzyklopädischen Ansatz. Auch in diesem Falle bedient man sich eines „Gattungshybrids“ bei der Abhandlung der Lemmata. Ein Problem in der Erfassung der Verfassungslexik ist jedoch die in den vorgestellten Werken vorliegende Limitierung auf rechtspolitische Termini technici, welche eine große Palette an ebenfalls erklärungs- und interpretationsbedürftigen Begriffen unbeachtet lässt. Betrachten wir etwa Artikel 10 des Vertrags über die Arbeitsweise, so fällt auf, dass eine Vielzahl an Ausdrücken keine rechtlich vordefinierten Termini sind, sondern dem Bereich der (politischen) Alltagssprache zuzuordnen sind. Die einzelnen <?page no="187"?> Der europäische Verfassungswortschatz 177 Parameter, welche nicht zu Diskriminierung führen sollen, sind nicht näher erläutert. Dans la définition et la mise en œuvre de ses politiques et actions, l'Union cherche à combattre toute discrimination fondée sur le sexe, la race ou l'origine ethnique, la religion ou les convictions, un handicap, l'âge ou l'orientation sexuelle. Durch die rechtliche Wirkung, welche eine solche verfassungswerte Bestimmung für die weitere unionseuropäische Gesetzgebung entfaltet, sind die Ausdrücke jedoch zu juristisch zu interpretierenden Fachtermini geworden. Eine entsprechende Definition dessen, was unter den besagten Parametern zu verstehen ist, bleibt aus. Lediglich Kommentare zum Europarecht oder allenfalls Erläuterungen zu Präzedenzurteilen des EuGHs geben darüber Auskunft. Trotz geringerer lexikographischer Würdigung solcher scheinbar selbstverständlicher Begriffe sind sie integraler Bestandteil des europäischen Verfassungsdiskurses und als solche definitionsbedürftig. Das Werk Schlüsselbegriffe der Demokratie (2008), herausgegeben von Ch. Moser, erläutert etwa Begriffe wie Ästhetik, Bildung, Eigentum, Familie, Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Mittelstand, Nachhaltigkeit, Marktwirtschaft, Partizipation, Patriotismus, Säkularität, Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, Soziallehre, Terrorismus, Unternehmertum. Obschon diese eher willkürlich anmutende lexikalische Auswahl nur ein kleiner Ausschnitt des Spektrums an zu klärenden Grundbegriffen darstellt, ist es jedenfalls ein ausbaufähiger Ansatz. Ein damit verwandtes Problem ist die Kontextgebundenheit der Begriffsinhalte der europäischen Verfassungstermini. Betrachten wir etwa die in der Charta der Grundrechte unter dem Titel égalité aufgeführten Stichwörter, so erhalten wir folgende, recht spezifische Liste: Égalité en droit; Non-discrimination; Diversité culturelle, religieuse et linguistique; Égalité ¤ " ¤ " ° ¤ Intégration des personnes handicapées. In anderen Unionstexten mag unter „égalité“ etwas anderes zu verstehen sein. Jeweils bestimmt der Ko-text die Wortbedeutung und ist somit auch lexikographisch mitzuerfassen. Die von Linguisten stets betonte Dialektik zwischen dem Wort als „virtuellem Zeichen“ des Wortschatzes und als „aktuellem Zeichen“ des Sprachgebrauches (cf. Haßler 2001, 920) sollte daher gerade in der Lexikographie europäischer Grundbegriffe starke Berücksichtigung finden. <?page no="188"?> Thomas Wallmann 178 3.3 Geschichtswissenschaft Als Beispiel schließlich für eine historische Enzyklopädie sei der Dictionnaire historique de l’Europe unie (2009), herausgegeben von P. Gerbet, besprochen. In der préface wird der komplexe Aufbau des europäischen Unionsgefüges als schwierig darzustellendes Sujet präsentiert, als „stratification institutionnelle difficile à déchiffrer si l’on ne se place pas dans les perspectives historiques qui l’expliquent.” (Gerbet 2009: 15) Die Kategorien der Enzyklopädie sind folgende (Gerbet 2009, 16): les institutions européennes multiples les États européens, avec leurs particularités les politiques européennes mises en œuvre dans les divers domaines les hommes dont les idées et l’action ont poussé à l’organisation de l’Europe les idéologies politiques qui ont fait une place plus ou moins grande à l’Europe les mouvements européens, comme les groupes d’interêts. Die obige Übersicht zeigt deutlich, dass der Herausgeber aus einem historischen Fokus heraus durchaus verschiedene Themenfelder behandelt, welche sich als entscheidende Faktoren in der Genese des aktuellen Unionseuropas präsentieren. Damit weist das Werk schon sehr stark Züge einer Gesamt-Europäistik (siehe unten) auf. In seiner Mikrostruktur zeigt der Dictionnaire umfassende in betitelte Unterabschnitte gegliederte Artikel. Der Eintrag über „Identité européenne“ etwa umfasst eine Abhandlung über 14 Seiten. Das Werk eignet sich weniger zum punktuellen Nachschlagen, als vielmehr als Quelle für die vertiefende Einarbeitung in ausgewählte Problemfelder mit historischem Tiefgang. Umfassende bibliographische Angaben am Ende der Artikel erleichtern die weitere Recherche. 4 Auf dem Weg zu einem interdisziplinär erfassten Verfassungswortschatz Für sich alleine genommen geben die besagten Einzelwissenschaften keine befriedigenden Antworten auf die Fragen, die sich hinsichtlich einer immer weiter wachsenden und sich verdichtenden Europäischen Union ergeben. Insbesondere die Problematik der Finalität der EU in geogra- <?page no="189"?> Der europäische Verfassungswortschatz 179 phischer, politischer und sozialer Hinsicht lässt sich nur in interdisziplinären Ansätzen bewältigen. Zudem wächst immer stärker das Bewusstsein, dass die Union nicht nur ein politisches, sondern auch ein kulturelles Gebilde sui generis ist, welches sich nur multidisziplinär erfassen lässt. So wurde etwa versucht, durch die Etablierung von European Studies an den Universitäten (cf. http: / / www.postgraduatecenter. at/ europeanstudies) oder durch den Aufbau einer Disziplinen verbindenden „Europawissenschaft“ (cf. Schuppert 2005) neuartige Ansätze zu entwickeln. Als Beispiel für ein lexikographisches Bemühen nach multidisziplinärem Gepräge sei der Dictionnaire critique de l’Union européenne (2012) von Bertoncini et.al. näher besprochen. Es stellt die Zusammenarbeit von 166 Autoren unterschiedlicher nationaler Herkunft aus den verschiedensten Bereichen der Europaforschung und europäischen Handlungsrealität dar. Einige Artikel sind eher deskriptiv aufgebaut, andere eher kritisch-analysierend, auch im Sinne des Werktitels. Ein explizit unionskritischer Standpunkt wird jedoch nicht eingenommen. Die im Anhang befindlichen geographischen und demographischen Karten sowie die Chronologien und Übersichten ermöglichen das Erkennen von Strukturen Zusammenhängen. Die Enzyklopädie folgt im Wesentlichen unserer Idee, dass ein europäischer Verfassungswortschatz als Mischung einzelwissenschaftlicher Begrifflichkeiten zu konzipieren sei. Nur so kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Verfassung - weit über die Textgrenze eines bloß juristischen Dokumentes hinaus - Teil eines gesellschaftlichen Diskurses ist, welcher rechtliche, politische, gesellschaftliche, historische und identitätspsychologische Aspekte beinhaltet. Die Lemmata des Dictionnaire lassen sich in Kategorien klassifizieren und zeigen solcherart die Mannigfaltigkeit an Inhalten: - Institutionen außerhalb der EU: OTAN, Conseil de l’Europe … - EU-Institutionen: Commission, Conseil européen, Cour des comptes européenne … historische Etappen: CECA, élargissement successif, … historische Persönlichkeiten der Europapolitik: Briand, Aristide; Adenauer, Konrad; Spaak, Paul-Henri … vergemeinschaftete Politikbereiche: politique commerciale commune (PCC), énergie, environnement, politique culturelle … - Mitgliedsstaaten: Allemagne, Estonie, France, Pays-Bas … - Beitrittskandidaten oder assoziierte Staaten: Ukraine, Biélorussie, Turquie … <?page no="190"?> Thomas Wallmann 180 - Kontinente: Afrique, Amérique latine, Asie … nationalstaatliche Institutionen: juge national, parlements nationaux … - Territorialbegriffe: Benelux, frontières, Méditerranée … - Grundwerte: démocratie, droits de l’homme, paix … politische Handlungen: vote, influence, référendums, lobbying, terrorisme … politische Meinungen: eurobaromètre, europhobie, euroscepticisme … ideologische Anschauungen: Europe des communistes, Europe des gaullistes, Europe des socialistes … sonstige Gruppierungen: intellectuels, femmes, Roms … Jenseits dieser Kategorien fällt der Fokus auf kulturstiftende Faktoren auf: capitales européennes de la culture, cohésion, collaboration, droits de l’homme, football, européanisation, identité, intégration, intellectuels, médias, minorités, multilinguisme, opinion publique, pacifisme, religion, think tank, universités etc. Durch Einbezug dieser Lemmata wird versucht einen echten europäischen Kulturwortschatz aufzubauen - wahrscheinlich ein echtes Novum dieses Ansatzes. Pragmatische Vorteile dieses pluridisziplinären Zugangs liegen klar auf der Hand. Zum einen ermöglicht er Politikern, Europarechtlern, Soziologen und anderen Spezialisten, jeweils andere, komplementäre Zugänge in ihr eigenes Spezialwissen zu implementieren und so das Phänomen Europa auch in fachfremden Aspekten mit zu erfassen. Zum anderen ermöglicht es interessierten Laien, Europa vielseitig - nicht bloß als Rechtsapparat - kennen und verstehen zu lernen und erhöht somit die Diskursfähigkeit der europäischen Bürger - eine wesentliche Vorausbedingung für stärkere Partizipation und mehr Demokratie. Mit Blick auf zukünftige Projekte zum europäischen Verfassungswortschatz lässt sich der Wunsch äußern, dass die Termini in weniger stark deskriptiven als vielmehr kurzen, präzisen Definitionen im traditionellen Sinne erfasst werden, um so zu einer echten Lexikalisierung des europäischen Kernwortschatzes zu kommen, welcher über die Grenzen der Fachkennerschaft hinaus in den Allgemeinwortschatz Einzug hält. Umgekehrt sollte auch die Textgebundenheit der Begriffe stärkere Berücksichtigung finden, da die Termini erst im Ko-text der einzelnen Unionsdokumente bzw. im Spannungsfeld von Verfassungstext und Verfassungsrealität ihre semantische Extension voll entfalten. So kann dahingehend sensibilisiert werden, dass der europäische Verfassungs- <?page no="191"?> Der europäische Verfassungswortschatz 181 wortschatz grundsätzlich durchaus polysem angelegt ist und je nach politischer Opportunität unterschiedlich operationalisiert wird. Literaturverzeichnis Bertoncini, Yves et al. (eds.) 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Nuevo diccionario de uruguayismos (NDUr 1993), Santafé de Bogotá: Instituto Caro y Cuervo, LVI + 466 S. Diccionario del español de Cuba. Español de Cuba - Español de España (DECu 2000), Madrid: Gredos, LVIII + 606 S. Diccionario del español de Argentina (DEArg 2000), Madrid: Gredos, LI + 729 S. Bereits abgeschlossen ist die Redaktion des in Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Angewandte Sprachwissenschaft (Romanistik) der Universität Augsburg, dem Instituto de Estudios Bolivianos der Universidad Mayor de San Andrés (La Paz) und dem Instituto Boliviano de Lexicografía (La Paz) erarbeiteten Diccionario del español de Bolivia. Español de Bolivia - español de España (DEBol), 15.500 Artikel mit Angaben zu ca. 50.000 Einzelbedeutungen (die der in den Artikeln mitbehandelten Phraseologismen inbegriffen). In der Revisionsphase befindet sich zurzeit das in Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Angewandte Sprachwissenschaft (Romanistik) der Universität Augsburg und der Pontificia Universidad Católica del Ecuador (Quito) erarbeitete Wörterbuch <?page no="196"?> Reinhold Werner 186 Diccionario del español del Ecuador. Español del Ecuador - Español de España (DEEc), ca.12 000 Artikel. Revidiert ist bislang die Artikelstrecke a - horrendo dieses Wörterbuchs, was 56 % des Gesamts aller Artikel entspricht, wobei zu bemerken ist, dass zusätzlich zu den Artikeln dieser Wörterbuchstrecke Teile zahlreicher weiterer Artikel revidiert sind, in denen Synonyme der innerhalb der revidierten Artikelstrecke erfassten lexikalischen Einheiten behandelt werden. Noch in der Redaktionsphase befindet sich das in Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Angewandte Sprachwissenschaft (Romanistik) der Universität Augsburg und der Pontificia Universidad Católica · "< & Diccionario del español del Perú. Español del Perú - español de España (DEPe). Zwei mit dem in Augsburg angesiedelten Projekt verbundene Kooperationspartner haben auf der Basis ihrer für dieses erstellten Dokumentation Wörterbücher in eigener Regie veröffentlicht, dabei allerdings die für das Projekt geltenden Redaktionsrichtlinien nur sehr partiell eingehalten. Es handelt sich um folgende Werke: Diccionario del habla actual de Venezuela. Venezolanismos, voces indígenas, nuevas acepciones "· ? µ ? QYY-&! * Universidad Católica Andrés Bello, XXXVII + 509 S. Diccionario de salvadoreñismos (Romero 2005), Santa Tecla: Ed. Delgado, 412 S. Im Folgenden soll nicht erneut überblicksartig das Gesamtkonzept des Augsburger Projektes erläutert werden, sondern hier soll es nur um ein einziges seiner Charakteristika gehen, das seit Jahrzehnten immer wieder Gegenstand heftiger Kritik ist, wenn sich auch diese relativ selten auf das Projekt selbst bezieht, sondern meist generell auf einen Typ von Wörterbüchern des Spanischen amerikanischer Länder, diejenigen mit differenzieller Abgrenzung des Lemmabestandes. Das Konzept des Projektes hat im Laufe seiner in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beginnenden Geschichte diverse Modifikationen (meist Präzisierungen und Verbesserungen der Wörterbuchmikrostrukturen) erlebt, so dass von den ca. sechs Dutzend metalexikographischen Veröffentlichungen, die daraus hervorgegangen sind oder in Verbindung mit diesem stehen, einige in Details veraltet sind. Der differenziell-kontrastive Ansatz des <?page no="197"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 187 Projektes (siehe dazu zum Beispiel Werner 1991, Werner 1994a und Werner 1994c) hat sich jedoch im Wesentlichen nicht geändert. 2 Wörterbücher des amerikanischen Spanisch und nationale Identität In einem Rezensionsaufsatz zum von der Academia Mexicana de la Lengua herausgegebenen differenziellen Diccionario de mexicanismos (DM 2010) stellt Klaus Zimmermann, der dieses Wörterbuch mit dem integralen Diccionario del español de México (DEM 2010) vergleicht, fest (Zimmermann 2012: 167): […] los diccionarios diferenciales no son expresión de la identidad lingüística de un país mientras que los diccionarios integrales si [sic] lo son. Der zweite Teil dieser Behauptung ist, so allgemein formuliert, natürlich von vornherein nicht haltbar. Nicht jedes integrale Wörterbuch einer Sprache ist, nur weil es ein integrales ist, Ausdruck der sprachlichen Identität eines Landes. Es handelt sich um eine etwas schlampige Formulierung. Mit „diccionarios integrales“ meint Zimmermann hier integrale Wörterbücher des Spanischen einzelner hispanoamerikanischer Länder mit Charakteristika des Diccionario del español de México. 1 In der Feststellung, differenzielle Wörterbücher seien nicht „expresión de la identidad lingüística de un país“, schwingt die Präsupposition mit, dies sei grundsätzlich die Aufgabe von Wörterbüchern. Allerdings muss man Zimmermanns Kritik vor dem Hintergrund der im Wörterbuch der mexikanischen Akademie geäußerten Auffassung verstehen (DM 2010: XXVI): 1 Eine fachlich schlampige Ausdrucksweise kennzeichnet den gesamten Artikel Zimmermanns. So wird der Textverbund Wörterbuch als Texttyp bezeichnet, der als Subtyp eines „género textual“ anzusehen sei: „Al decir que el diccionario es un tipo de texto, me refiero a su estructura (su macroestructura), que presenta el léxico en forma de “lista”; es decir, un subtipo del género textual de la descripción” (Zimmermann 2012: 169). Zimmermann spricht von der Mikrostruktur von Lexemen und bezeichnet auch die Lexeme als Texttyp: „La microestructura de cada lexema también es un tipo de texto descriptivo […]“ (Zimmermann 2012: 169). Natürlich bezieht er sich auf die Mikrostruktur von Wörterbuchartikeln. Wörterbuchartikel weisen textuelle Strukturen auf, die Struktur von Texten ist jedoch weder ein Text noch ein Texttyp. <?page no="198"?> Reinhold Werner 188 Un diccionario de una variante dialectal, como es esta obra, Diccionario de Mexicanismos, refleja necesariamente la identidad de un pueblo, su personalidad lingüística, entendiendo por identidad el conjunto de rasgos propios de una colectividad que los [sic] caracteriza frente a los demás ( DRAE : s. v. identidad). Sowohl das Diccionario de mexicanismos als auch Zimmermann betrachten Wörterbücher aus der Sicht des in ihnen stattfindenden ideologischen Diskurses. Zimmermann formuliert so (Zimmermann 2012: 168): El diccionario es un tipo de texto y un discurso basado en una concepción de la lengua y un mensaje ideológico sobre ella, tanto en su macroestructura como en su microestructura. Die Auffassung, die Zimmermann bezüglich der grundsätzlichen Bewertung differenzieller und integraler Wörterbücher des amerikanischen Spanisch in dem erwähnten Rezensionsaufsatz und zuvor schon in einem anderem mit dem Titel „El fin de los diccionarios de americanismos. La situación de la lexicografía del español de América después de la publicación de los diccionarios contrastivos del español de América” (Zimmermann 2003) vertritt, geht auf Gedanken des Leiters des Projektes Diccionario del Español de México, Luis Fernando Lara, zurück, der sich seit mehr als vier Jahrzehnten, häufig in polemischen Formulierungen wie folgender, zum ideologischen Hintergrund der differenziellen Wörterbücher des amerikanischen Spanisch äußert (Lara 1990: 233-234): La lexicografía española es una lexicografía imperialista. Se impone, bajo la unicidad del adjetivo, como actividad propia de lo que se hace en la Península >}µ ¨ · como desviaci ¨ · ¶ lexicografía, en parte simple tradición -pero no hay neutralidad en su simpleza -en parte simple hecho histórico de desarrollo, de imprenta, de educación, las otras variedades del español solamente pueden ser más o menos pintorescas, más o menos arcaicas, más o menos vulgares, pero siempre, constitutivamente, variedades coloniales españolas de un allá, que sólo parece haberse asimilado a la comprensión que tiene la cultura española de si misma en el caso de la literatura -desde Rubén Darío hasta García Márquez y Octavio Paz (pero…¿Juan Rulfo? )-. Correlativamente, la lexicografía de los hispanohablantes de allá, de América y, en menor medida -geográficamente hablando-, de África, se ha visto siempre vocación por el desvío, incesante y repetido ciclo de documentación de las variedades coloniales de la lengua madre, seducido por la especifidad de sus aportes (sobre todo los provenientes de las lenguas amerindias) y por el pecado contra el casticismo que significa amar esos desvíos. En esa forma, la lexicografía española se escinde en dos concepciones, <?page no="199"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 189 en dos tipos de diccionarios: la lexicografía de la metrópoli imperial y la lexicografía complementaria de la periferia colonial. Al lado de los diccionarios ce ! · ! ¨ ·} æ > Diccionarios de la lengua y diccionarios de -ismos: cubanismos, argentinismos, mexicanismos, etc. El eje imperial no consiste solamente en la distinción entre una lengua española y sus -ismos; con él se aglutinan otros valores: en el orden temporal, el español peninsular como verdadera hora de la lengua, real contemporaneidad, frente a los españoles americanos detenidos en el pasado por sus arcaismos (otros -ismos), en el orden social, el español de Madrid, ombligo de la cultura, frente a los españoles de los antiguos virreinatos y audiencias, en donde solamente pudieron anidar criollos desestimados como indianos, campesinos, artesanos y hampones. Lara geht es zuerst einmal um die Begründung der Notwendigkeit seines integralen Wörterbuchs des mexikanischen Spanisch, dessen Konzept er den bis seinerzeit existierenden differenziellen Wörterbüchern des amerikanischen Spanisch gegenüberstellt. Er kritisiert die real existierenden differenziellen Wörterbücher mit ihrem ideologischen Hintergrund, nicht eigentlich den Typus des differenziellen Wörterbuchs an sich. Bei Zimmermann und anderen Autoren, die sich an den Ideen Laras orien- ! ~ · "? #$$-&! ? grundsätzlichen Ablehnung jeglicher Art von Wörterbuch, das Wortschatz des amerikanischen Spanisch differenziell zum peninsularen Spanisch erfasst. Es kommt zu diversen Vergröberungen in der Argumentation wie den im Folgenden kommentierten. Es wird unterstellt, dass alle differenziellen Wörterbücher des amerikanischen Spanisch, von den Anfängen bis heute, auf einer einheitlichen ideologischen Grundlage basieren. Wie Analysen mehrerer einzelner Wörterbücher, wie etwa des Wörterbuchs von Esteban Pichardo (Pichardo 1836, ²1849, ³1862, 4 1875; dazu Werner 1994b), der Peruanismenglossare von Ricardo Palma (Palma 1896, Palma 1903; dazu Werner 2002) oder des Peruanismenwörterbuchs von Juan de Arona (1883; dazu Huisa Téllez 2011) zeigen, ist der ideologische Diskurs, der in solchen lexikographischen Werken stattfindet, sehr komplex und keineswegs homogen. Ein Großteil der frühen Wörterbücher des Spanischen Amerikas hat, wenn man von rein normativen Werken (wie etwa Ceballos 1873 oder Riofrío 1874; siehe dazu Lozano Andrés 2002) absieht - wie könnte es anders sein? - mit dem politischen Unabhängigkeitsdiskurs der hispanoamerikanischen Nationen zu tun. Unabhängigkeits- und Emanzipationsdiskurse sind oft stark gerade durch Elemente der Ideologie geprägt, <?page no="200"?> Reinhold Werner 190 gegen die sie sich richten. So erklärt es sich auch, dass viele der ersten Wörterbücher des amerikanischen Spanisch sich, wenn auch mit negativen Vorzeichen, an bis dahin allgemein akzeptierten normativen Vorstellungen orientieren, wie sie die Real Academia vertrat, und in diese Elemente emergierender nationaler Identität einzubringen trachten. Wie José Carlos Huisa Téllez in seiner Dissertation Estudio preliminar de Diccionario de Peruanismos (Huisa Téllez 2011) darlegt, entstanden die hispanoamerikanischen Staaten nicht einfach als direkte Konsequenz der Vorstellung von bestimmten nationalen Identitäten, sondern die Suche nach einer kulturellen nationalen Identität war eher die Folge der Entstehung von unabhängigen Staaten, für die nun nationale Identitäten konstruiert werden mussten. In diese Suche nach nationaler Identität, die stark von der Differenz zur ehemaligen Kolonialmacht Spanien geprägt war, reihen sich Wörterbücher wie das Aronas ein, wobei sich zu den Elementen der nationalen Identität je verschiedene weitere ideologische Elemente gesellen. Wie in einer Analyse der verschiedenen Auflagen des Diccionario provincial de voces cubanas (Pichardo 1836) festgestellt werden konnte, ist gerade die erste Auflage dieses Wörterbuchs kaum von Ideen nationaler Identität geprägt, sondern eher von Ideen eines bis auf die Zeit der Aufklärung zurückzuverfolgenden enzyklopädischen Gedankens. Dieses Wörterbuch, das in seinem Titel vom Autor ab der zweiten Auflage als „casirazonado“ bzw. „casi razonado“ deklariert wird, führt eine Entwicklungsrichtung fort, der als Vorläufer auch die Wörterbücher von Terreros y Pando (Terreros y Pando 1786-1793) und das Diccionario geográficohistórico (Alcedo 1786-1789) zuzurechnen sind. Erst in den späteren Auflagen, also deutlich nach der politischen Unabhängigkeit, zwar noch nicht Kubas, jedoch anderer hispanoamerikanischer Staaten, gewinnt das Element einer gewissen sprachlichen Identität Kubas nach und nach schärfere Konturen und überlagert mehr und mehr das ursprüngliche Konzept (Werner 1994b). Autoren, die differenzielle Wörterbücher national definierter Varietäten des amerikanischen Spanisch ablehnen, unterstellen gerne, dass solche Wörterbücher differenziell zum peninsularen Spanisch vorgingen, weil sie diesem einen normativen Vorrang einräumen möchten und die differenziell erfassten Wortschatzelemente des amerikanischen Spanisch, zumindest implizit, nur als Abweichungen von einem peninsularen Spanisch begriffen, das sie als Spanisch panhispanischer Geltung ansähen. Dieser Vorwurf wird auch gegen das Augsburger Projekt erhoben. In besonders polemischem Ton, aber auch mit auffallend unlogischer <?page no="201"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 191 © ! ? ·l Ávilas Aufsatz „¿El fin de los diccionarios diferenciales? ¿El principio de los diccionarios integrales? “ (Ávila 2004), dessen Titel sich an Zimmermanns Rezensionsaufsatz „El fin de los diccionarios de americanismos” (Zimmermann 1995) anlehnt. In diesem Zusammenhang sei schon einmal festgestellt, dass das Augsburger Projekt keine Antwort auf Fragen nach irgendeiner nationalen oder irgendwie amerikanischen sprachlichen Identität zu geben bestrebt ist. Natürlich ist Lara darin zuzustimmen, dass integrale Wörterbücher nationaler Varietäten des amerikanischen Spanisch zu den bedeutendsten Desiderata der Lexikographie des Spanischen gehören. Eigene, nicht differenziell am europäischen Spanisch orientierte Wörterbücher für die einzelnen hispanoamerikanischen Länder entsprechen wichtigen gesellschaftlichen Funktionen, die Wörterbüchern in einem nationalen Rahmen zukommen, vor allem, solange keine nationen- und regionenübergreifenden integralen Wörterbücher existieren, in denen das Spanische aller hispanophonen Länder erfasst wäre, mit Kennzeichnung aller Wortschatzelemente, deren Verwendung areal begrenzt ist. Nationale Wörterbücher sollten natürlich am besten im jeweiligen amerikanischen Land erarbeitet werden. Einem panhispanischen, varietätenübergreifenden Wörterbuch, in das die im Rahmen von nationalen und regionalen Projekten gewonnenen Erkenntnisse eingehen, müsste zum Beispiel zu entnehmen sein, dass das Wort für ‚Kartoffel‘ für die meisten Sprecher des Spanischen papa ist, dass aber ein Großteil der spanischen Spanischsprecher patata verwendet. Ähnlich müsste ihm zu entnehmen sein, dass coche in wenigen spanischsprachigen Ländern, vor allem in Spanien, mit der Bedeutung ‚Auto‘ verwendet wird, während das insgesamt am weitesten verbreitete Wort mit dieser Bedeutung carro lautet, neben dem in Hispanoamerika auch noch Wörter mit begrenzterer Verbreitung und diversen Markierungen vorkommen, wie etwa auto oder máquina. In gewisser Hinsicht ist die Forderung, im Wörterbuch eine nationale sprachliche Identität darzustellen, bis zu einem gewissen Grad noch dem Geist verpflichtet, der viele differenzielle Wörterbücher kennzeichnet. Natürlich spiegeln sich in Wörterbüchern immer Elemente aus ideologischen Strömungen der Zeit und dem Milieu, aus dem sie stammen, wider. Dies ist unvermeidlich. Auch die vehemente Bezugnahme auf nationale Identität ist ein solches ideologisches Element, und zwar eines, das einen Diskurs des neunzehnten Jahrhunderts weiterführt („weiterführt“ im doppelten Sinne: im Sinne von Kontinuität und im Sinne von Fortschritt). <?page no="202"?> Reinhold Werner 192 3 Die Diccionarios Contrastivos del Español de América, ihre Adressaten und ihre kontrastiven Strukturen Zum expliziten ideologischen Hintergrund des Augsburger Projektes gehört die Auffassung, dass Wörterbücher als Unterklasse der Klasse der Gebrauchsgegenstände (siehe dazu zum Beispiel Wiegand 1998) zugeordnet werden können. Selbstverständlich ist es für jeden ideologischen Hintergrund bezeichnend, dass er implizite, den jeweiligen Akteuren sogar unbewusste, Elemente umfassen kann. Wie angedeutet gilt das auch für einen Teil der Argumentation, die sich grundsätzlich gegen differenzielle Wörterbücher richtet. Sprachwörterbücher können dazu dienen, bestimmte Arten von Information über eine oder mehrere Sprachen zu bestimmten Zwecken zu vermitteln: Sie können zum Beispiel je nach Typ als Hilfsmittel beim Erwerb einer Erst-, Zweit- oder Fremdsprache dienen. Sie können einen Überblick über bestimmte begrenzte Ausschnitte aus dem Wortschatz einer Sprache unter einem bestimmten Aspekt bieten. Am häufigsten dienen sie dazu, dem Benutzer Information zu bieten, die er in bestimmten Sprachverwendungssituationen benötigt, die ihm aber fehlt, weshalb er punktuell ein Wörterbuch konsultiert. Der Verwendungszweck eines Wörterbuchs des Spanischen eines bestimmten amerikanischen Landes, einer bestimmten Nation oder Region kann natürlich unter anderem der eines Inventars der wichtigsten innerhalb nationaler bzw. regionaler Grenzen gebräuchlichen Wortschatzelemente mit den entsprechenden innerhalb dieser Grenzen gebräuchlichen Verwendungsweisen sein, sei es für Menschen aus dem betreffenden Gebiet, sei es für Menschen von außerhalb. Die Wörterbuchfunktion wird zu einem Teil bestimmt durch den Adressatenkreis, für den das Wörterbuch bestimmt ist. Ein Wörterbuch des bolivianischen Spanisch kann sich natürlich primär an bolivianische Adressaten richten. Ein integrales Wörterbuch des bolivianischen Spanisch für Bolivianer wäre ein Desiderat ersten Ranges von enormer sozialer und kultureller Bedeutung für ein Land wie Bolivien. Man denke nur an seine Bedeutung für das Erziehungswesen, für die Behördenkommunikation oder für offizielle Dokumente aus dem Bereich der nationalen und internationalen Kommunikation. Ein Wörterbuch einer national definierten Varietät des amerikanischen Spanisch kann jedoch auch primär für Adressaten bestimmt sein, die Muttersprachler einer anderen Varietät des Spanischen sind oder eine andere Varietät des Spanischen als Fremdsprache erlernt haben. In der Einleitung zum Diccionario del Español de Argentina werden als erste von drei Adressaten- <?page no="203"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 193 gruppen andere als argentinische Benutzer angesprochen, die eine nicht argentinische Varietät des Spanischen als Muttersprache sprechen oder als Fremdsprache erlernt haben und die sich in spanischsprachigen Texten argentinischer Provenienz oder in der Kommunikation mit argentinischen Kommunikationspartnern mit ihnen unbekannten Wortschatzeinheiten oder Verwendungsweisen solcher konfrontiert sehen, die sie in Wörterbüchern aus Spanien nicht verzeichnet finden (DEArg: XIV). In diesem Zusammenhang spielt es übrigens auch keine Rolle, ob es überhaupt ein argentinisches Spanisch im Sinne eines diatopisch zu definierenden Subsystems des Diasystems der spanischen Sprache gibt, das durch Isoglossenbündel begründbar wäre, die mit den Landesgrenzen Argentiniens zusammenfallen, und wie dieses argentinische Spanisch nach rein sprachwissenschaftlichen Kriterien abzugrenzen wäre. Dem nicht argentinischen, zum Beispiel spanischen oder deutschen, Benutzer kann ein differenzielles Wörterbuch des argentinischen Spanisch gezielt Information zu folgenden Typen von Wortschatzelementen liefern: erstens Elementen, deren Verbreitung sich ungefähr mit den geographischen Grenzen Argentiniens deckt, zweitens Elementen, die außer im Spanischen Argentiniens auch im Spanischen anderer amerikanischer Länder, zum Beispiel Uruguay, oder in ganz Süd- oder ganz Hispanoamerika, gebräuchlich sind, drittens Elementen, die nur in einer Region oder mehreren Regionen Argentiniens, nicht in ganz Argentinien, gebräuchlich sind, etwa nur im Litoral, und viertens schließlich Elementen, die in Teilgebieten Argentiniens und darüber hinaus in weiteren Ländern oder Landesteilen Hispanoamerikas gebräuchlich sind, etwa im Nordwesten Argentiniens und den andinen Zonen Boliviens, Perus und Ekuadors. Entscheidend für die Aufnahme in das jeweilige kontrastive Wörterbuch ist neben dem hinreichend belegten Vorkommen im jeweiligen amerikanischen Land das Nicht-Vorkommen im überregionalen Sprachgebrauch des peninsularen Spanisch. Hier setzt natürlich die Kritik ein. Warum eine differenzielle Beschreibung, und die auch nur kontrastierend zum peninsularen Spanisch? Selbstverständlich könnten theoretisch alle nicht mit dem peninsularen Spanisch überreinstimmenden Wortschatzelemente des argentinischen bzw. bolivianischen Spanisch auch in einem integralen Wörterbuch des <?page no="204"?> Reinhold Werner 194 argentinischen bzw. bolivianischen Spanisch erfasst werden. Zweifellos wäre dies möglich, aber im Hinblick auf die angepeilten Adressaten und Benutzungssituationen wäre es etwas unökonomisch. Ein entsprechendes Unternehmen würde extrem viel Zeit und Mittel beanspruchen. Die Erarbeitung des Diccionario del español de México dauerte vier Jahrzehnte und beanspruchte wesentlich mehr Personal und Ressourcen als die bisher im Rahmen des Augsburger Projektes erarbeiteten Wörterbücher für fünf Länder, von denen eines, das Diccionario del español de Bolivia, vom Umfang her dem Diccionario del español de México gleichkommt. Im Hinblick auf seine Ziele muss das Diccionario del español de México so konzipiert sein, wie es ist. Im Hinblick auf die Ziele der Augsburger Wörterbücher müssen diese nicht so konzipiert sein. Der Benutzer, der an lexikalischen „Spezifika“ einer nationalen amerikanischen Varietät des amerikanischen Spanisch interessiert ist, würde darin neben einem relativ geringen Prozentsatz solcher „Spezifika“ überwiegend Information finden, über die er schon verfügt oder die er in vielen anderen Wörterbüchern des Spanischen auch finden kann. Die empirische Absicherung dieser Information und die Redaktion der entsprechenden Texte würde unverhältnismäßig viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen. Das Wort „Spezifika“ steht hier zwischen Anführungsstrichen, weil es sich natürlich um eine verkürzte Ausdruckweise handelt. Es geht nicht um Spezifika des beispielsweise argentinischen, bolivianischen oder kolumbianischen etc. Spanisch in dem Sinne von exklusiv im Spanischen des jeweiligen Landes gebräuchlichen Elementen, sondern um anderweitig schwer zugängliche lexikalische Information zum Spanischen der betreffenden Länder. Deshalb spielt es ja auch keine Rolle, ob ein im Wörterbuch des bolivianischen Spanisch erfasstes Wortschatzelement auch im Spanischen eines anderen hispanoamerikanischen Landes gebräuchlich ist. Es geht ja nicht um absolute Spezifika der jeweiligen nationalen Sprachvarietät, und sicher auch nicht um die sprachliche Identität einer Nation, sondern tatsächlich um Unterschiede gegenüber dem peninsularen Spanisch. Dies geschieht jedoch nicht aus einer eurozentristischen Ideologie heraus, sondern aus Gründen der Praktikabilität der Wörterbucherarbeitung und der Interessen zahlreicher Benutzer, die das Wörterbuch komplementär zu einem der üblichen spanischen Wörterbücher benutzen können. Im Übrigen ist die Vergleichsbasis für die Wörterbücher des Augsburger Projektes nicht das Wörterbuch der Real Academia Española, sondern der reale überregionale Sprachgebrauch in Spanien, so wie er sich auf der Basis von Textkorpora und Befragungen <?page no="205"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 195 spanischer Informanten darstellt. Natürlich spielt für die Feststellung von Unterschieden zwischen amerikanischem und peninsularem Spanisch auch das Textkorpus der Real Academia Española, CREA, eine wichtige Rolle, seit dieses vorliegt. Im Gegensatz zu den meisten differenziellen Wörterbüchern des amerikanischen Spanisch bestimmt in den Augsburger Wörterbüchern der Vergleich mit dem peninsularen Spanisch nicht nur die Stichwortauswahl, sondern auch die Informationsauswahl auf der mikrostrukturellen Ebene. Es handelt sich nicht nur um differenzielle Wörterbücher, sondern um explizit kontrastive. Wichtigste kontrastive Strukturelemente sind: Angaben zu der Art des Unterschiedes zwischen den verglichenen Varietäten. Es wird festgestellt, ob eine lexikalische Einheit zum Beispiel des bolivianischen Spanisch im peninsularen Spanisch überhaupt nicht gebräuchlich ist oder ob sie im bolivianischen Spanisch mit anderen Einzelbedeutungen, anderer Syntagmatik oder anderer Pragmatik gebräuchlich ist als im peninsularen Spanisch. Dazu kommen detailliertere Bemerkungen zu Unterschieden, die kompliziertere Sachverhalte betreffen, etwa in den Bereichen lexikalische Syntagmatik, Flexion, Rektion und Pragmatik, sowie zum regionalen Gebrauch in Spanien, außerdem zur Kombination diverser Unterschiede. Ein weiteres kontrastives Element ist eine neutrale lexikographische Beschreibungssprache, welche die Bedeutungserklärung für amerikanische Wortschatzelemente mittels peninsularer Heteronyme ebenso wie die mittels in Spanien nicht gebräuchlicher amerikanischer Synonyme vermeidet. Die Verwendung von peninsularen Wortschatzelementen, die dem Spanischen des jeweiligen amerikanischen Landes fremd sind, wird grundsätzlich umgangen. Im peninsularen Spanisch unübliche Wortschatzelemente der jeweiligen amerikanischen Varietät werden nur dann herangezogen, wenn damit semantische Zusammenhänge oder Wortbildungszusammenhänge innerhalb der betreffenden amerikanischen Varietät aufgedeckt werden oder eine Bedeutung ohne Rückgriff auf Elemente der amerikanischen Varietät nicht erklärt werden kann. In diesem Fall sind die Elemente, auf die zurückgegriffen wird, selbst Gegenstand der Erklärung im Wörterbuch. Der Rückgriff erfolgt ferner <?page no="206"?> Reinhold Werner 196 immer mit Verweis auf die Artikel zu den zu Hilfe genommenen Wortschatzeinheiten. 2 Synonyme und Heteronyme zum Lemmazeichen werden jeweils, sofern vorhanden, in einem eigenen Paradigmatikteil der Einträge aufgeführt, und zwar geordnet nach den Kategorien Heteronyme des peninsularen Spanisch, synonyme lexikalische Einheiten des peninsularen Spanisch, die auch in der jeweiligen amerikanischen Varietät gebräuchlich sind, sowie rein nationale Synonyme. Durch die Vermeidung heteronymischer und synonymischer Erklärungen wird auch die Ambiguität umgangen, die beim Einsatz polysemer lexikalischer Einheiten entsteht, wenn die Bedeutung von Lemmazeichen mittels anderer Lemmazeichen identifiziert wird. Außerdem wird damit dem Interesse eines Typs von Wörterbuchbenutzern entsprochen, der in der Einleitung zum Diccionario del español de Argentina wie folgt abgegrenzt wird (DEArg 2000: XV): 2 Folgende auf das Diccionario del español de Cuba bezogene Behauptung ist zumindest ungenau: „Las definiciones, además, se hacen en el español de España, para lectores españoles” (Ávila 2004: 13). Die Bedeutungserklärungen in diesem Wörterbuch erfolgen nur dann mit Hilfe von Wortschatzeinheiten des peninsularen Spanisch, wenn diese gleichzeitig solche des kubanischen Spanisch sind (zum Thema der in Bezug auf die verglichenen Varietäten neutralen Sprache der Bedeutungserklärungen siehe 1991: 265-269, Werner 1994c: 25-26 und insbesondere Werner 1994a). Ávila stützt sein Urteil auf eine Rezension (Valadez 2002, bei Ávila im Text als „Valadez 2003“, in der Bibliographie jedoch mit der Jahreszahl 2002), in der es heißt: „la constante comparación con el español de España me estorba un poco, especialmente cuando las definiciones corresponden al uso de España y no al de México, e incluso a veces tampoco al de Cuba” (Valadez 2002: 242). Dass ein Wörterbuch, das kubanischen mit peninsularem Wortschatz vergleicht, zur Bedeutungserklärung nicht Wortschatzelemente des mexikanischen heranzieht, die im peninsularen Spanisch nicht gebräuchlich sind, ist nicht unbedingt zu erwarten. Dass die mexikanische Rezensentin die kubanischen Redakteurinnen und Revisoren des Diccionario del español de Cuba dabei ertappt hätte, wie sie entgegen den Redaktionsinstruktionen zu ihrem Wörterbuch in dessen Bedeutungserklärungen dem kubanischen Spanisch fremde Wortschatzelemente heranziehen, ist zwar theoretisch denkbar, aber unwahrscheinlich. Der Vorwurf müsste zumindest durch eine signifikante Zahl von Belegen gestützt sein. <?page no="207"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 197 Un segundo grupo de destinatarios lo constituyen personas que, con un interés filológico, lingüístico o profesional de otra índole, busquen información detallada sobre el léxico del español argentino o sobre diferencias entre el vocabulario del español argentino y el del español peninsular, o indirectamente del español de otros países. Este tipo de usuario hallará una rica oferta de datos semánticos, enciclopédicos, gramaticales y contrastivos, entre los que podrá escoger los que le interesen en su tarea concreta. También puede extraer del texto lexicográfico información pertinente para todo un determinado tipo de unidades léxicas como, por ejemplo, unidades fraseológicas, unidades léxicas de una determinada categoría gramatical, unidades léxicas relacionadas con determinados temas o actividades, unidades léxicas pertenecientes a un determinado nivel estilístico, fitónimos, zoónimos, etc. Auch dem interessierten, nicht primär angesprochenen, argentinischen Benutzer wird also die Bedeutung einer lexikalischen Einheit des argentinischen Spanisch oder einer regionalen argentinischen Varietät, die er eventuell selbst nicht kennt, nicht mittels eines ihm nicht vertrauten peninsularen Äquivalents erklärt oder mittels einer Paraphrase, die im argentinischen Spanisch nicht gebräuchliche Elemente enthält. Daneben findet der spanische Benutzer oder derjenige nicht spanischer Muttersprache, der peninsulares Spanisch erlernt hat, einen zusätzlichen Zugang zur Bedeutung des Lemmazeichens über die Angabe der peninsularen Synonyme. Im Einzelfall ist dem argentinischen Benutzer auch ein Zugriff über ein argentinisches Synonym des Lemmazeichens möglich, was im Falle von Wortschatzelementen mit nur regionaler Verbreitung in Argentinien von Interesse sein kann. Für den argentinischen Benutzer stellt das Wörterbuch ferner Information zum peninsularen Spanisch bereit. Damit wird das Wörterbuch indirekt zu einer Art differenziellen onomasiologischen Wörterbuchs des peninsularen Spanisch für Sprecher des argentinischen Spanisch. Die in den Artikeln erfassten peninsularen Heteronyme bilden des Weiteren in einem Anhang eine eigene Makrostruktur. Die rudimentären Artikel dieser zusätzlichen Zugriffsstruktur sind als Verweise auf die Artikel des Hauptteils angelegt. Dem spanischen Benutzer ermöglichen sie die Suche nach argentinischen Äquivalenten für die ihm bekannten lexikalischen Einheiten des peninsularen Spanisch. Findet er eine lexikalische Einheit des peninsularen Spanisch nicht im Anhangsregister, so muss und darf er davon ausgehen, dass im argentinischen Spanisch dieselbe lexikalische Einheit verwendet wird wie im peninsularen. Ein und dasselbe Wörterbuch eröffnet also im Hauptteil primär dem peninsularen Benutzer einen semasiologischen Zugang zum argentinischen und sekundär dem argentinischen einen onomasiologi- <?page no="208"?> Reinhold Werner 198 schen Zugang zum peninsularen Spanisch, sowie außerdem sekundär im Anhang dem peninsularen Benutzer einen onomasiologischen Zugang zum argentinischen und dem argentinischen Benutzer einen semasiologischen Zugang zum peninsularen Spanisch. Trotz sekundärer Zugriffsmöglichkeiten sowohl für Sprecher des peninsularen wie des argentinischen Spanisch bleibt das Wörterbuch jedoch primär ein Rezeptionswörterbuch des argentinischen Spanisch für Benutzer mit peninsular-spanischer Kompetenz. Die sekundären Zugriffswege sind vor allem für wissenschaftliche Zwecke von Interesse sowie für Autoren anderer lexikographischer Werke, etwa zweisprachiger Wörterbücher, die Information zum argentinischen Spanisch in ihr Wörterbuch aufnehmen wollen, sei es auf der ausgangssei es auf der zielsprachlichen Seite. Das Prinzip sei hier kurz anhand eines Beispiels aus dem Diccionario del español de Bolivia vorgeführt. Zuerst ein Artikel aus dem Wörterbuchhauptteil: sancochar v 1 {una persona sancocha un alimento} Llanos coloq Cocer un alimento, por ejemplo el arroz, la yuca <2> hasta que se deshaga completamente. 2 {una persona sancocha un alimento} Llanos coloq Cocer un alimento sin más aderezo que sal. 3 {una persona o algo sancocha algo} StaCr coloq Golpear o aplastar algo con fuerza [E: despachurrar, espachurrar; E, Bol: apachurrar; Bol: achicharrar, apuchurrar]. | 4 ~se {un alimento se sancocha} Llanos coloq Deshacerse un alimento, por ejemplo el arroz por haber cocido demasiado. 5 ~se {algo se sancocha} StaCr coloq Golpearse o aplastarse algo [E: despachurrarse, espachurrarse; E, Bol: apachurrarse; Bol: achicharrarse, apuchurrarse]. Dazu eine Artikelstrecke aus dem Anhang, in dem die im zitierten Artikel des Hauptteils als peninsulare Äquivalente angeführten lexikalischen Einheiten apachurrar und apachurrarse als Lemmata fungieren, von denen aus auf die Lemmata des Wörterbuchauptteils (unter anderem sancochar und sancocharse) verwiesen wird: apachurrar - achicharrar, apuchurrar, sancochar apachurrar: ~se achicharrarse, apuchurrarse, sancocharse apagar: ~se - achatarse, aflojarse, aplastarse, chorrearse apalancar: ~se - anclarse, aplastarse, cainar, chantarse, ensilletarse, estarse, parquearse apaleamiento apaleada, estaqueada apaleo apaleada, estaqueada apañar: ~se apechugarse apañar: ~selas - barajarse, barajearse apaño amancia, amigo, -a, deshora, negro, -a, socio, -a <?page no="209"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 199 aparcamiento - parqueo aparcar - parar, parquear aparejar acaronar aparejo: sobar el ~ dar un trompazo, partir el alma, romper la cresta, sacar el polvo, sacar la chochoca, sacar la crema, sacar la entretela, sacar la guata, sacar la huata, sacar la infundia, sacar la injundia, sacar la mostaza, sacar la mugre, sacar la quinta maña, sacar lo que no tiene, sentar el juicio, sentar la mano Bei apachurrar und apachurrarse handelt es sich um Synonyme von sancochar bzw. sancocharse, die sowohl im peninsularen als auch im bolivianischen Spanisch gebräuchlich sind. Neben lexikalischen Einheiten dieses Typs umfasst das Register im Anhang als Lemmata auch Heteronyme des peninsularen Spanisch, die im bolivianischen Spanisch nicht nachgewiesen sind. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist das differenziell-kontrastive Prinzip noch aus einem weiteren Grund von Interesse. Viele lexikalische Einheiten, die sowohl im europäischen Spanisch als auch in einer bestimmten amerikanischen Varietät des Spanischen gebräuchlich sind, würden ohne differenziell-kontrastive Kriterien mit identischen Erklärungen beschrieben. Nur die differenziell-kontrastive Methode deckt viele interessante Details ihrer Verwendung auf. Auf diesen Umstand wird im „Prólogo“ des Diccionario del español de Cuba hingewiesen (DECu 2000: XII): ! · ! ¶ æ µ diferencial-contrastivo. El hispanohablante español que oye en boca de un cubano una voz que forma parte de su propio vocabulario, generalmente, la entiende lo mismo que un cubano entiende, generalmente, las voces empleadas por un español; y, porque ambos las entienden, no se dan cuenta de que cada uno las usa de un modo algo diferente. La definición de estas voces en diccionarios no contrastivos del español peninsular y del español cubano no presentaría diferencias sustanciales. El autor de un diccionario general probablemente expresaría el significado de las palabras piso y bañarse de igual manera para el español peninsular y para el cubano. Pero las diferencias en el uso de estas palabras resultan patentes cuando a un español le llama la atención que un cubano o un uruguayo habla del piso en contextos en los que él mismo se referiría, más bien, al suelo y que el cubano se bañe en la ducha o el colombiano se bañe los dientes, mientras que en España uno se ducha, se limpia los dientes o se lava los dientes. Der differenziell-kontrastiven Methode kommt also auch eine heuristische Bedeutung zu, die ungeachtet der Beschränkung des Untersuchungsfokus‘ auf das Spanische einzelner Länder und Regionen von Interesse sein kann. <?page no="210"?> Reinhold Werner 200 Natürlich sind Wörterbücher wie das Diccionario del español de Cuba und das Diccionario del español de Bolivia als Spezialwörterbücher konzipiert. Sie eignen sich nicht als das einzige Wörterbuch des Spanischen in der Hand eines kubanischen bzw. eines bolivianischen Schülers. Schon gar nicht verfolgen sie normative Absichten und eben auch nicht die Widerspiegelung irgendwelcher nationaler Identitäten. Sie weisen auch bestimmte Schwächen auf, sogar auch im Hinblick auf die intendierten Wörterbuchfunktionen. Daneben weisen sie jedoch auf der strukturellen Ebene, insbesondere der mikrostrukturellen, diverse Merkmale auf, in denen sie sich nicht nur von anderen Wörterbüchern des amerikanischen Spanisch unterscheiden, sondern die es auch verdienen würden, von Rezensenten wahrgenommen zu werden. Hier besteht nicht die Gelegenheit, alle strukturellen „Alleinstellungsmerkmale“ der Diccionarios Contrastivos del Español de América aufzuzählen und zu kommentieren. Manche wurden auch erst in späteren Wörterbüchern der Serie auf Grund der Erfahrungen bei der Redaktion früherer Wörterbücher realisiert. Dazu gehört die Form der Angaben zur Verbvalenz und zu dem, was Manuel Seco den contorno von Wörtern nennt, deren Bedeutung nur unter Rückgriff auf ihre Syntagmatik erklärt werden kann (Seco 2 2003a, Seco 2 2003b). Hier je ein Beispiel für die Information zum contorno von Substantiven, Adjektiven und Adverbien (DEBol): eldo sust(m)/ adj coloq hum En una relación de pareja entre un hombre y una mujer, por ejemplo un matrimonio, hombre débil de carácter, que se somete siempre a la voluntad de su mujer [Bol: autito, carrito, dominó, mandarín, mandarina, supermán; agarrado, -a; asutita; azotado, -a; azote; calzonazo, -a; dominado, -a; domingo (cadenas); fresco, -a]. Obs: Forma truncada de el dominado. abatido, -a adj LP coloq Ref. a un drogadicto: en estado depresivo al cesar los efectos de la droga. toca-toca: al ~ adv coloq En rel. con el modo de hacer algo, por ejemplo jugar los niños a algo: por turnos, invirtiendo los roles. En E, no es usual toca-toca. Zum Schluss noch ein Beispiel für die Angaben zur Valenz von Verben. In den neueren Wörterbüchern der Serie (noch nicht in NDCol 1993, NDArg 1993 und NDUr 1993) gehen diese Angaben der Bedeutungserklärung voraus (im DECu 2000 folgen sie dieser noch, während ihr die dann eigentlich überflüssigen Angaben tr bzw. intr vorausgehen, was die Benutzung durch linguistische Laien erleichtern sollte). Die Bedeutungs- <?page no="211"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 201 erklärungen sind jeweils aszendent nach der syntaktischen Wertigkeit geordnet. Beispiel (DEBol): abanderizar v 1 {una persona abanderiza} Encabezar una persona una agrupación política o social determinada [E, Bol: liderar; Bol: abanderar, liderizar]. | 2 {alguien abanderiza} Ser alguien, por ejemplo una agrupación política, la que más votos tiene o la que gobierna o la que encabeza la oposición [E, Bol: liderar; Bol: abanderar, liderizar]. | 3 {alguien abanderiza [a] una persona} Tratar de convencer a una persona de que adopte una determinada doctrina o ideología [Bol: abanderar, ideologizar]. 4 ~se {una persona se abanderiza EN algo} Hacerse miembro de una agrupación política o social determinada [Bol: abanderarse, embanderarse; E, Bol afiliarse]. Die Systematik dieser Art von Valenzangaben wird im Diccionario del español de Argentina wie folgt erläutert (DEArg 2000: XXX): Para todos los verbos y para todas las unidades léxicas pluriverbales con función verbal que están consignados en el DEArg se indica el régimen que corresponde a cada una de sus acepciones registradas. La indicación del régimen verbal precede, en cursiva y entre llaves (éstas en redonda: {…}), la definición, separada de ésta por la indicación de la difusión geográfica del respectivo elemento léxico (véase 6.4.) y las marcas de uso (véase 6.3.) cuando haya indicaciones de estos tipos. Ejemplo: El verbo caldear, con la acepción registrada en el diccionario, requiere, en voz activa, un sujeto y un complemento directo. Esto se deduce de la presencia de las dos partes de la oración en “una persona caldea un caballo”. Del sujeto “una persona” se deduce, además, que caldear requiere como sujeto una expresión que se refiera a una persona o a varias: el hombre, los dos campesinos, este idiota, uno de ellos, ¿quién? , etc. Del complemento directo ”un caballo” se deduce que el complemento directo que requiere el verbo en voz activa tiene que referirse a un caballo o varios: el caballo, sus caballos, la yegua que acababa de comprar, el pobre animal, etc. Las partes de la oración “una persona” y “un caballo” pueden ! ¿ ¨ · verbo caldear, por cualquier sintagma que se refiera a una subclase de las clases abarcadas hiperonímicamente por “una persona” y “un caballo”. Con frecuencia, son expresiones como alguien, algo, una persona, una cosa, un objeto, etc. las que delimitan semánticamente los argumentos sintácticos posibles. Pero también se encuentran delimitaciones más estrechas, como, por ejemplo, un hombre, una mujer, un alumno, una puerta o una información. <?page no="212"?> Reinhold Werner 202 Para distinguir entre complementos directos e indirectos en los casos de expresiones que se refieren a seres animados, la a que marca el complemento directo en expresiones que se refieren a seres animados se halla encerrada por corchetes (en cursiva). Ejemplo: La preposición que, como parte de un complemento preposicional, es requerida por un verbo o por una unidad léxica pluriverbal con función de verbo se destaca por estar impresa en versalitas. Ejemplo: En las indicaciones del régimen, el verbo o la expresión verbal que se explica aparece generalmente en la tercera persona del presente del indicativo singular. Sin embargo, se observan excepciones a esta regla en el caso de verbos o locuciones verbales cuyo uso está restringido a determinados tiempos, modos, personas, etc. En este caso, las restricciones pertinentes se especifican en una observación (véase 6.10.). Hier ist es nicht möglich, weitere Belege für die angestrebte handwerkliche Qualität der Diccionarios del Español de América zu kommentieren. Wer sich dafür interessiert, erhält reichliche Information dazu in den Einführungen zu den einzelnen Wörterbüchern und in den noch umfangreicheren exemplarischen „Instrucciones de uso” für das Diccionario del español de Cuba, die noch online zugänglich sind (Werner/ Omeñaca ([2000]). 4 Eine Bemerkung zur Wörterbuchkritik Manche Verfechter integraler Wörterbücher des amerikanischen Spanisch greifen gelegentlich zu eigenartig formulierten Argumenten, um differenziell konzipierte Wörterbücher in Bausch und Bogen zu verdammen. Eine <?page no="213"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 203 Reihe auffällig wenig wissenschaftssprachlich formulierter polemischer Einwände findet man zum Beispiel bei R · } der mexikanische Autor folgenden Vorwurf: „Los diccionarios diferenciales - insisto - } ²Â¡ " #$$-* Q-& = · diccionario sirve para hablar”, kann man darauf nur antworten. Hier handelt es sich um eine sprach- und wörterbuchwissenschaftlich unsinnige Ausdrucksweise. Wörterbücher können mit Herbert Ernst Wiegand als Gebrauchsgegenstände aufgefasst werden (Wiegand 1998), als Nachschlagewerke, die bei der Bewältigung von Schwierigkeiten bei der Rezeption oder Produktion von Texten in der Muttersprache, in einer Zweitsprache oder in einer Fremdsprache oder bei der Übersetzung von einer Sprache in eine andere oder beim systematischen Erwerb einer Sprache konsultiert werden können. Sie können auch wissenschaftlichen Zwecken dienen, Spezialwörterbücher können einen Verwendungszweck haben, der sich nicht mit „para hablar” charakterisieren lässt, nicht einmal mit einer sprachlich präziseren und adäquateren Formulierung für das, ~ · " komplette Satz lautet: „Los diccionarios diferenciales - insisto - no sirven para hablar, pues no incluyen el léxico fundamental de la lengua“). Luis Fernando Lara sowie den seine Argumentation teilweise ver- } · « zuzustimmen, wenn sie integrale Wörterbücher des Spanischen einzelner amerikanischer Länder als großes Desiderat in der Lexikographie begründen. Klaus Zimmermann hat selbstverständlich Recht, wenn er in Wörterbüchern Zeugnisse ideologischer Diskurse sieht. Ideologische Diskurse finden auch in Reflexionen über Wörterbücher statt. Ávilas und Zimmermanns Stellungnahmen sind gute Beispiele für die Fortsetzung eines im neunzehnten Jahrhundert begonnenen ideologischen Diskurses, der stark auf Fragen nationaler Identität fixiert ist. Wörterbücher, in denen sich kein Niederschlag von Ideologien findet, gibt es nicht und kann es nicht geben. Hier ging es darum, darzulegen, dass die Diccionarios del español de América nicht anstreben, an der Konstruktion irgendwelcher nationaler Identitäten mitzuwirken, sondern nur halbwegs zweckadäquate lexikographische Gebrauchsgegenstände zu sein beanspruchen und dieses Ziel sicher nicht ganz verfehlen. <?page no="214"?> Reinhold Werner 204 Literaturverzeichnis a) Wörterbücher: Alcedo, Antonio de (1786-[1789]): Diccionario geográfico-histórico de las Indias occidentales o América. Es à saber: de los Reynos de Perú, Nueva España, Tierra Firme, Chile, y el Nuevo Reyno de Granada. Con la descripción de sus Provincias, Naciones, Ciudades, Villas, Pueblos, Rios, Montes, Costas, Puertos, Islas, Arzobispados, Obispados, Audiencias, Vireynatos, Gobiernos, Corregimientos, y Fortalezas, frutos y producciones; con expresión de sus Descubridores, conquistadores y Fundadores: Conventos y Religiones: erección de sus catedrales y Obispos que ha habido en ellas, y noticias de los sucesos más notables de varios lugares: incendios, terremotos, sitios, e invasiones que han experimentado: y hombres ilustres que han producido, Madrid, Imprenta de Manuel Gonzalez. Arona, Juan de [Pedro Paz Soldán y Unánue] (1883): Diccionario de peruanismos Ensayo filológico, Lima, Imprenta de J. Francisco Solis. Ceballos, Pedro Fermin (1873): Breve catálogo de los errores que se cometen no sólo en el lenguaje familiar sino en el culto y hasta en el escrito, seguido de otro breve catálogo de galicismos, Quito, Bermeo [spätere Auflagen unter den Autorennamen Pedro Fermín Cevallos und P. F. Cevallos]. DEArg (2000) = Diccionario del español de Argentina. Español de Argentina - español de España (2000), coordinación Claudio Chuchuy, Madrid, Gredos. DEBol = Diccionario del español de Bolivia. Español de Bolivia - español de España, coordinación Carlos Vila Coello/ Reinhold Werner, noch unveröffentlicht. DECu (2000) = Diccionario del español de Cuba. Español del Cuba - español de España (2000), coordinación Gisela Cárdenas Molina/ Antonia María Tristá Pérez/ Reinhold Werner, Madrid, Gredos. DEEc = Diccionario del español del Ecuador. Español del Ecuador - español de España, coordinación Fernando Miño-Garcés/ Reinhold Werner (in Bearbeitung). DEM (2010) = Diccionario del español de México (2010), dirigido por Luis Fernando Lara, México, El Colegio de México. DEPe (2010) = Diccionario del español del Perú. Español del Perú - español de España, coordinación José Carlos Huisa Téllez/ Reinhold Werner (in Bearbeitung). DM (2010) = Diccionario de mexicanismos (2010), directora del proyecto Concepción Company Company, México, Siglo XXI. NDArg (1993) = Nuevo diccionario de americanismos, dirigido por Günther Haensch/ Reinhold Werner, Tomo II: Nuevo diccionario de argentinismos, Coordinadores: Claudio Chuchuy/ Laura Hlavacka de Bouzo, Santafé de Bogotá, Instituto Caro y Cuervo. NDCol (1993) = Nuevo diccionario de americanismos, dirigido por Günther Haensch/ Reinhold Werner, Tomo I: Nuevo diccionario de colombianismos, Santafé de Bogotá, Instituto Caro y Cuervo. NDUr (1993) = Kühl de Mones, Ursula (1993): Nuevo diccionario de americanismos, dirigido por Günther Haensch/ Reinhold Werner, Tomo III: Nuevo diccionario de uruguayismos, Santafé de Bogotá; Instituto Caro Cuervo. <?page no="215"?> Die Diccionarios Contrastivos del Español de América 205 · ? ! ´ / Pérez, Francisco Javier (1994): Diccionario del habla actual de Venezuela. 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Ausgewählte „Dominikanismen“ nehmen heute einen festen Bestandteil in den großen einsprachigen Referenzwerken, wie dem Diccionario de la lengua española ( 22 2001) oder dem Diccionario de americanismos (2010), ein. Weitgehend unbekannt im gesamthispanischen Kontext ist hingegen die spezifisch dominikanische Lexikographie, deren Tradition mit dem regional ausgerichteten Diccionario de criollismos im Jahre 1930 von Rafael Brito begründet und deren vorläufiger Höhepunkt im Jahre 2013 mit dem Diccionario del Español Dominicano (DED) der Academia Dominicana de la Lengua erreicht wurde. Ob Publikationsziel, Adressatenkreis, Makro- und Mikrostruktur, Methodik, Konzeption oder Grad der Normorientierung - trotz erkennbarer Analogien zeichnen sich die verschiedenen Werke durch ihren unterschiedlichen Charakter bzw. ihre jeweils spezifische Gestaltung aus. Ziel dieses Beitrags ist es daher, das facettenreiche Spektrum der dominikanischen Lexikographie chronologisch zu beleuchten und Entwicklungstendenzen in der nationalen Wörterbuchschreibung nachzuzeichnen. 2 Zum Konzept des „dominicanismo“ ¶ ·} ! algunos amigos, a permanecer por un par de meses, a erradicarse, a hacer negocio, etc. me gustaría sugerirle que tan pronto como termine la transacción de renta del vehículo, sepa que debe dirigirse a una bomba a echar gasolina, la cual le costará, casi seguro, más cuartos de lo que usted está acostumbrado a pagar, y, si se le antoja dar una probadita de nuestra bebida tradicional o típica, basta con que se detenga en cualquier negocio que encuentre a su paso, y le pida una fría. Le traerán una cerveza Presidente. Si la quiere extremadamente fría, entonces ordene una novia o una ceniza. (Gómez Marín 2009, Introducción, 8) <?page no="220"?> Andre Klump 210 Der Wortschatz einer jeden Varietät in Hispanoamerika gilt als Ausdruck einer eigenen (Sprach-)Geschichte. In ihm spiegelt sich der jeweilige Grad an sprachlicher Dynamik, Kreativität und externer Beeinflussung wider. Wie auch in anderen Ländern verfolgen die in der Dominikanischen Republik oder ihrer Diaspora lebenden Verfasser von Wörterbüchern das Ziel, mit ihren Werken einen landestypischen oder regionalen Querschnitt der dominikanischen Lexik abzubilden. Jedoch richtet sich die konzeptuelle Ausrichtung je nach den zu Grunde gelegten Kriterien immer auch nach der Frage, wann bzw. ob es sich im Einzelfall um ein typisch dominikanisches Lexem handelt. Sind Form und/ oder Inhalt in den übrigen Ländern Hispanoamerikas inexistent bzw. nur in einem kleinen Areal - etwa in der Karibik - gebräuchlich? Soll das Wörterbuch tatsächlich nur das lexikalische Inventar abbilden, das sich von demjenigen anderer spanischsprachiger Länder unterscheidet? Entscheidet die normative Richtschnur darüber, ob ein Wort als Dominikanismus zu werten ist? Mehrere dominikanische Wörterbücher operierten in der Vergangenheit mit dem Konzept des „dominicanismo“, jedoch in ganz unterschiedlichen, zumeist individuellen Auslegungen. Die Bezeichnung dominicanismo tritt dabei zum ersten Mal in dem frühen Diccionario de criollismos [1930] auf, dessen Autor Rafael Brito weder einen „divulgador del folklorismo dominicano, ni [...] un vocabulario de dominicanismo“ (Brito 1930, Epílogo) zu erstellen beabsichtigt. Eine erste explizite Definition des Begriffs findet sich erst einige Jahrzehnte später in der ersten Ausgabe des Diccionario de Dominicanismos von Carlos Esteban Deive: En rigor, habría que entender por dominicanismo toda entidad elocutiva que por su morfología y génesis constituye una variación semántica, lexicográfica e ideológica del castellano hablado en España y que es peculiar de Santo Domingo, pero un criterio tan restringido me hubiera obligado a descartar del diccionario vocablos de procedencia africana, haitiana, francesa, etc., lo que no he querido hacer. (Deive 1 1977, Prólogo, VI) In der später überarbeiteten Fassung fällt die Begriffsklärung von Deive zwar kürzer aus, doch erfolgt zugleich eine konzeptuelle Generalisierung. Als Dominikanismen werden nunmehr nicht nur lexikalische und phraseologische, sondern auch phonetische, grammatische und semantische Partikularismen des español dominicano betrachtet: <?page no="221"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 211 Entiendo por dominicanismo el vocablo, giro, rasgo fonético, gramatical o se ¶ } ·} " 2 2006, Introducción, 11) Aus Sicht der Academia Dominicana de la Lengua existieren demgegenüber drei verschiedene Ausprägungen von Dominikanismen, die im Diccionario del español dominicano (2013) dokumentiert sind: […] En primer lugar, [...] dominicanismos léxicos, es decir, las formaciones léxicas del ingenio creativo que implican, en la morfología de las palabras, las voces originales y distintivas del español dominicano (por ejemplo: mangú, chin o pariguayo); en segundo lugar, dominicanismos semánticos, o sea, las creaciones semánticas del habla criolla que implican, en la sustancia de las palabras, los significados peculiares del español dominicano; voces de la lengua española que en el lenguaje local tienen una peculiar connotación (cuero, guapo, pájaro), y que el español dominicano registra y usa con un valor conceptual diferente al descrito en el Diccionario de la Real Academia Española (DRAE); y en tercer lugar, [...] dominicanismos fraseológicos, lo que equivale a decir a las connotaciones expresivas, plasmadas en frases, locuciones o giros idiomáticos, que implican sentidos metafóricos distintivos del español dominicano (bajar línea, saber cómo se bate el cobre, tirar páginas para la izquierda). Por dominicanismos ha de entenderse el conjunto de voces, frases y ·} æ del español estándar que registra el DRAE, sin tomar en cuenta que también se usen en otros países hispanohablantes. Muchos dominicanismos forman parte del español antillano o del español americano. (Rosario Candelier 2013, in: DED, XVI) Im Gegensatz zu Patín Maceo (1940), Deive ( 1 1977, 2 2002), Gómez Marín (2009) und Inoa (2010) entschied sich die dominikanische Sprachakademie vor einigen Jahren bewusst dagegen, den Ausdruck „domini im Titel ihres künftigen Wörterbuchs zu verwenden. Die Präferenz des Titels „ Bruno Rosario Candelier im Vorfeld der Veröffentlichung wie folgt: En el nuestro [diccionario] vamos a incluir dominicanismos léxicos y dominicanismos semánticos, aunque podríamos mantener o no el vocablo “dominicanismo”, conforme el trabajo que realicemos. De hecho, vamos a laborar en un Diccionario del español dominicano, puesto que incluiremos los términos y las expresiones de nuestro lenguaje. (Rosario Candelier 2010) <?page no="222"?> Andre Klump 212 3 Aktuelle Wörterbücher in der Dominikanischen Republik Das Spektrum aktueller einwie zweisprachiger, allgemeiner wie spezifischer Wörterbücher in der Dominikanischen Republik ist vielfältig: Monolinguale Werke wie der Diccionario Cumbre dominicano de la lengua española oder der Diccionario Vértice dominicano de la lengua española - beide herausgegeben vom Verlag Everest im spanischen León - weisen zwar das Adjektiv „dominicano“ in der Titelei aus, doch bilden sie weniger das dominikanische Spanisch als vielmehr das Vokabular des Standardkastilischen ab. Ebenso wenig ausgerichtet auf den dominikanischen Wortschatz erscheint der vom Verlag Susaeta in Santo Domingo herausgegebene Diccionario estudiantil del español. Ein fachsprachliches Glossar dominikanischer Prägung findet sich beispielsweise mit dem Diccionario culinario dominicano von Arturo Feliz-Camilo aus dem Jahre 2013 (Createspace Publishing). Dominant kulturell und volkskundlich ausgerichtet ist der Diccionario de cultura y folklore dominicano von Alejandro Paulino und Aquiles Castro aus dem Jahre 2005 (ABC Editorial). Als ein um (wenige) Dominikanismen ergänztes Schulwörterbuch präsentiert sich der vom Verlag Actualidad Escolar in Santo Domingo herausgegebene Diccionario escolar Zumbador in seiner dritten Ausgabe aus dem Jahre 2012, in der die landestypischen Lexeme, wie z.B. abasto im Sinne von ‚tienda de comestibles y de algunos artículos para el hogar‘, mit grauem Hintergrund gekennzeichnet werden. Über weitaus mehr Dominikanismen verfügt die zweite Ausgabe des weiterführenden Schulwörterbuchs Diccionario didáctico Avanzado aus dem Jahre 2009 (Santo Domingo: Impresora Soto Castillo), das im Gegensatz zu seiner ersten Ausgabe auf das dominikanische Spanisch abgestimmt und mit dem Siegel der Academia Dominicana de la Lengua versehen wird: La nomenclatura de la nueva edición del Diccionario Didáctico 2 Avanzado incluye numerosos dominicanismos. Entre estos se registran palabras de uso exclu ·} ! léxico del español general y locuciones en uso en el español dominicano. La inclusión del léxico dominicano es un primer paso en el proceso de dominicanización de esta obra lexicográfica y, desde el punto de vista de los usuarios, el más evidente. (Rincón González 2009 in: Boletín de la Academia Dominicana de la Lengua 21, 8-9) Hinter dem vielversprechenden Titel Diccionario de dominicanismos y americanismos. Palabras y sus orígenes von Max Uribe (Santo Domingo: Editora de Colores, 2 2008) verbirgt sich hingegen vielmehr ein Glossar ausgewählter Lexeme, die vom Autor Max Uribe lexikologisch und <?page no="223"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 213 lexikographisch kommentiert werden. Die erste Ausgabe erscheint im Jahr 1996 noch unter dem Titel Notas y apuntes lexicográficos: Americanismos y dominicanismos (Santo Domingo: Editora de Colores). Im Folgenden werden in chronologischer Reihenfolge die Wörterbücher eingehender vorgestellt, die die Tradition der dominikanischen Lexikographie begründet bzw. in entscheidender Weise geprägt haben. 4 Wörterbücher zum dominikanischen Spanisch - gestern und heute 4.1 Brito, Rafael P. (1930): Diccionario de criollismos, S.F. de Macorís, Impresora ABC Vielfach gerühmt und doch gänzlich unbekannt - auf kaum ein anderes Werk der dominikanischen Sprachbetrachtung trifft diese Feststellung derart zu wie auf das regionale Wortverzeichnis Britos. Das Werk war schon damals und blieb bis heute für die dominikanische Sprachforschung schwer zugänglich. So schrieb etwa Carlos Esteban Deive in seiner Einleitung seines Diccionario de Dominicanismos im Jahre 1977: „En cuanto al Diccionario de criollismos, de Rafael Brito, debo confesar que todos los esfuerzos por conseguir un ejemplar del mismo han sido · " Q977, Introducción, VI). Auch die immer wieder dokumentierte fälschliche Datierung des Werks auf das Jahr 1931 (vgl. etwa Rodríguez Demorizi 1983, 293; Alba 1993, 318 und Inoa 2010 mehrfach) ist höchstwahrscheinlich diesem Umstand geschuldet. Trotz alledem gilt Rafael Brito unbestritten als Vorreiter der dominikanischen Lexikographie, seine Wortliste zur Varietät im Cibao-Tal als das erste Wörterbuch zum dominikanischen Spanisch. Dabei verfolgte Brito keineswegs die Absicht, ein Dominikanismen- Wörterbuch im heutigen Sinne mit landesweitem, überregionalem Skopus zu schreiben: En nuestro país no existe, propiamente dicho ni de manera característica, el dominicanismo; por eso no se puede escribir un libro al respecto. [...] Este libro, no es un divulgador del folklore dominicano, ni es un vocabulario de ? ¿ } · } usadas corrientemente en el Cibao, con especialidad por los campesinos, y entre las cuales se advierten algunas de origen castizo, pero con acepciones muy distintas a las que en realidad debieran tener; otras son adulteradas en su pronunciación, ya sea del francés o del castellano, y las más, vocablos de <?page no="224"?> Andre Klump 214 ocasión o modismos a que suelen apelar vuestros campesinos para hacerse entender de una manera especial. Al decir Diccionario de Criollismo, entiéndase Criollismo Cibaeño, que como se dijo al principio es el tipo más definido de lo que será la Rasa Dominicana, por tanto este libro, producto de la observación y la constancia, presenta al Cibaeño en su fase más característica: su lenguaje, español adulterado. (Brito 1930, Epílogo) Trotz des Titels handelt es sich bei dem Diccionario Britos ebenso wenig um ein ausschließliches Wörterbuch, sondern vielmehr um ein Gesamtwerk zur Sprache und Kultur im Cibao-Tal, in dem neben dem „vocabulario completo de todas las voces genuinamente criollas“ (Titelzusatz) zudem zwei Theaterstücke, „Criolla“ und „Un proceso celebre“, abgedruckt werden. Der Diccionario de Criollismos wurde in der Dominikanischen Republik vorwiegend positiv rezipiert. So schrieb die Academia Dominicana de la Lengua auf ihrer Homepage zum Werk Britos: Es un libro valioso por su contenido y aparentemente es el primer libro de dominicanismos escrito en el país. Algunos plantean que se trata de un diccionario de cibaeñismos y en verdad contiene una gran cantidad de voces propias del Cibao. (Academia Dominicana de la Lengua 2008) Eine gänzlich andere Meinung vertritt hingegen Orlando Alba 1993, der in seinem Aufsatz „Estado de los estudios lingüísticos en el Caribe hispánico insular“ die frühesten Werke der dominikanischen Wörterbuchschreibung aufgrund ihrer aus seiner Sicht fehlenden Systematik und unwissenschaftlichen Methodik kritisiert: = su aparición durante la · ¨ µ materiales, casi siempre recogidos librescamente, sin reparar en su vigencia y mezclando criterios descriptivos unas veces, prescriptivos otras. El primero de estos trabajos es el Diccionario de criollismos, de Rafael Brito (1931)[sic], en el que se manifiesta la ausencia de la más elemental técnica lexicográfica y el caos metodológico, propio de un aficionado. (Alba 1993, 318) Dennoch besteht die Pionierleistung Britos unzweifelhaft in der ersten lexikographischen Auseinandersetzung mit dem dominikanischen Spanisch. In makrostruktureller Hinsicht zählt der lexikographische Abschnitt insgesamt 1.527 Einträge, von denen einige primär die phonetischphonologischen Besonderheiten des Spanischen im Cibao-Tal, etwa die Vokalisierung des implosiven -r, die Elision des intervokalischen -d- <?page no="225"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 215 sowie die Metathese widerspiegeln, man vergleiche hierzu einzelne Lemmata mit initialem p-: Pioi. Peor. Poitao. Portado. Elegantemente vestido. Poique. Porque. Probe. Pobre. Um einen Eindruck von der Mikrostruktur des Werks zu geben, werden die ersten fünf Einträge abgebildet: Abaida. Abandonado. Abaidonado. Abandonado. Abacorao. Acorralado. Abambán. Sin garbo. Abarandao. Arrinconado. Da die Erläuterungen nur auf Einzelwortentsprechungen bzw. kurzen Definitionen beruhen, es gänzlich an Markierungen und Angaben sowie syntagmatischer wie paradigmatischer Vertiefung fehlt, zeigt sich auch hier nochmal deutlich, dass es sich bei dem frühen Diccionario Britos um ein Wortverzeichnis handelt, das in intralingualer Äquivalenzform - dialecto cibaeño vs. español dominicano estándar - konzipiert wurde. 4.2 Patín Maceo, Manuel Antonio (1940): Dominicanismos, Ciudad Trujillo, Editora Montalvo Zehn Jahre nach Britos Diccionario de Criollismos erschien das erste umfangreiche einsprachige Wörterbuch zum dominikanischen Spanisch, das in der Folgezeit nahezu allen dominikanischen Lexikographen (explizit bei Deive 1977, Inoa 2010 und ADL 2013) als wichtige Referenzquelle diente. Otro libro de un valor singular es el de Dominicanismos de Manuel Antonio Patín Maceo, una obra escrita con rigor y de consulta obligada por especialistas e investigadores. (Academia Dominicana de la Lengua 2008) Als Vorwort diente das Empfehlungsschreiben („Informe“) von Ramón Emilio Jiménez und Federico Llaverías an die Academia Dominicana de la Lengua, in dem die beiden Akademiemitglieder das Wörterbuch vorab als „libro valioso en extremo” rühmen, „[que] vendrá a aumentar de manera apreciable la bibliografía nacional.“ Die zahlreichen positiven Merkmale <?page no="226"?> Andre Klump 216 des Werks, v.a. „la abundancia de palabras y frases del léxico vernáculo“, „la autenticidad de ellas“, „el método empleado“, „la correcta y sencilla forma adoptada“, „el delicado gracejo“ und „la fácil comprensión“ machten es somit „harto recomendable a la protección más decidida.“ (Patín Maceo 1940: 3). Patín Maceo würde mit seinem Werk, so die Autoren, in besonderem Maße zur Kenntnis der dominikanischen Lexik bzw. der Dominikanismen in der spanischsprachigen Welt beitragen: Muy raros son los dominicanismos que se hallen en los diccionarios más conocidos. [...] Podemos decir que estamos en esa materia enteramente desconocidos; [...] el libro […] viene a satisfacer una necesidad harto sentida, ya que su libro servirá, sin duda, de orientación a todos, y dará a nuestra nación la parte que merece en el enriquecimiento del idioma, que ya ha dejado de ser primeramente castellano y después español, para ser, ahora y más tarde, hispanoamericano.“ (Patín Maceo 1940, 4.) Die Academia Dominicana de la Lengua beschloss daraufhin, die Publikation des Wörterbuchs von Patín Maceo in einer Auflagenhöhe von 500 Exemplaren zu fördern. Auch dieses Schreiben findet sich im Vorwort dokumentiert (Patín Maceo 1940, 4). Der Umfang des Werks Patín Maceos ist für ein Wörterbuch der damaligen Zeit mit 2.731 Einträgen beachtlich, so dass es sowohl als fruchtbare historische Quelle zum dominikanischen Lexembestand der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie ferner als Grundlage späterer lexikographischer Arbeiten dienen sollte. Kritisiert wurden später vorwiegend die in diversen Einträgen dokumentierte puristische Haltung des Autors - häufig wurden hier Lexeme und Wendungen als Barbarismen und Vulgarismen (vgl. unten die Einträge abaco und abandija) getadelt - sowie die starke Hervorhebung normabweichender Aussprachegewohnheiten: Por su parte, M. Patín Maceo publica, en 1947, sus Dominicanismos. Este diccionario marcado por la militante vocación purista de su autor mezcla frases hechas con palabras y elementos puramente léxicos con fenómenos µ · ! ? mientos acentuales (abaco por ábaco, cardiaco por cardíaco), asimilaciones (velocípido, ruciar), disimilaciones (basudero, aliniar), mantenimiento de la aspiración de la h procedente de f inicial latina (juir), etc. (Alba 1993, 317-318) An den ersten fünf Einträgen lässt sich dennoch bereits ersehen, dass es sich hierbei - im Gegensatz zu Britos Diccionario - um ein frühes einsprachiges Wörterbuch nach lexikographischen Maßstäben handelt: <?page no="227"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 217 Abaco. m. Incurren de ordinario en barbarismo maestros y discípulos dominicanos al hacer llana o paroxítona esta palabra que siempre ha sido ·ula. Digase, pues, ábaco. Abajismo. m. Condición harto lamentable, por cierto, del que en política está abajo, esto es, fuera del poder, donde se solazan a sus anchas, sus adversarios o enemigos … Triste condición del que, sujeto al despotismo de la miseria, padece el destierro del presupuesto y se halla privado de los goces y halagos que da el mando, peligroso como suele decirse; pero siempre deseado. Abandija. f. vulg. Sabandija. Abarandar. v.a. Mantener a raya a una o más personas, hacerlas permanecer por temor, pasivas: llegó revólver en mano y abarandó a los que allí estaban. U.t.c.r. Abarracarse. v.r. Ponerse a beber: se abarracó en el cafetín de los chinos. Algunos conozco que por las noches se abarracan en su casa. Den Lemmata, die aus Einzelwörtern oder Phraseologismen (z.B. el gusto es el que rastrilla) bestehen, folgen einzelne grammatische Angaben zum Genus der Substantive oder zur Valenz des Verbs sowie Synonyme und/ oder definitorische Erläuterungen, die zuweilen mit Beispielsätzen gepaart werden. Es finden sich zudem vermehrt diaphasische und diastratische Markierungen, wie etwa fam. (bojote) oder vulg. (berrán), auch Archaismen (ajuntar), dialektale Elemente (calceta), Onomatopoetika (taqui) und Entlehnungen aus dem haitianischen Kreol (baché), dem Französischen (breteles), dem Englischen (blofe) oder aus afrikanischen Sprachen (mongó). Zuweilen weisen die Einträge noch einen enzyklopädischen Charakter auf (cantearse). 4.3 Olivier Ariza, Consuelo (1967): De nuestro lenguaje y costumbres, Santo Domingo, Editorial Arte y Cine Wie einige Jahrzehnte zuvor Rafael Brito widmet sich Consuelo Olivier Ariza ausschließlich den kulturellen und sprachlichen Besonderheiten im Cibao-Tal und dokumentiert in dem mehrere Kapitel umfassenden Werk ihre vor Ort gemachten Beobachtungen: „Este breve estudio tiene como base y fuente de información lo que hemos oído y verificado personalmente en pueblos y campos del Cibao.“ So besteht der zweite von drei Abschnitten aus einem 986 Einträge zählenden „vocabulario usado con más frecuencia, en el Cibao, muchas de estas voces, con distinto significado. Este vocabulario lo completa una colección de refranes y expresiones típicas [...].“ (Olivier Ariza 1967, Introducción: 23) <?page no="228"?> Andre Klump 218 Die Stichwörter werden dabei gewöhnlich mit Hilfe ihrer standardsprachlichen Entsprechungen erklärt und diese dann zuweilen noch um Synonyme oder Kurzerläuterungen ergänzt, vgl. wiederum die ersten fünf Einträge: Abui. - Abur. Adios. Abusione. - Abusiones. Supersticiones. Aburai. - Aburar. Cuando se sufren las picaduras de un enjambre de abejas o de un hormiguero. Acorai. - Acorar. - Poner una cuña o un soporte para sujetar alguna cosa, un mueble, para que no se caiga o nó cojée. Acotejo. - Comodidad. 4.4 Deive, Carlos Esteban (1977): Diccionario de Dominicanismos. Santo Domingo: Politécnica Ediciones Etwa vier Jahrzehnte nach der Veröffentlichung von Patín Maceo legt der Schriftsteller und Dramaturg Carlos Esteban Deive ein Wörterbuch vor, das sich sehr eng am vorgenannten Werk anlehne, es jedoch in seiner Makrostruktur deutlich übertreffe: „El presente diccionario de dominicanismos tiene por objeto suplir, sin pretensiones de ninguna clase, el de Patín Maceo. Contiene unos dos mil quinientos vocablos y frases más que los registrados por dicho autor […].“ (Deive 1997, Prólogo: V). Insgesamt verzeichnet Deives Diccionario mit 2.258 Stichwörtern keineswegs mehr Einträge als das Werk Patín Maceos (2.731). Eine Vorort-Recherche auf dem Land und in den Städten „recogiendo así de viva voz el léxico vernáculo“ sei, so Deive im Vorwort, neben seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nicht zu realisieren gewesen. Daher basiere das vorliegende Wörterbuch vorrangig auf bibliographischen Quellen, neben Patín Maceo v.a. auf den Werken von Ramón Emilio Jiménez, Emilio Rodríguez Demorizi, Pedro Henríquez Ureña und Consuelo Olivier (Deive 1997, Prólogo: VI). Wie bereits in Kap. 2 ausgeführt, entwickelt Deive ein eigenes Konzept zum dominicanismo und legitimiert darüber hinaus die Zusammenstellung des Wörterbuchinventars unter Anführung seiner Auswahl- und Ausschlusskriterien: „En mi diccionario no se incluyen las voces relativas a la flora y fauna del país, a excepción de aquellas que son empleadas por el pueblo en sentido figurado, como derivadas, o en entidades elocutivas. Lo mismo vale decir de los indigenismos. [...] He excluído de él numerosos vulgarismos y barbarismos que nada hubieran aportado al mismo. También se han eliminado los derivados comunes [...] como los terminados en los sufijos „ada“, „eo“, „era“, <?page no="229"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 219 „ería“, etc. y los verbos en „ear“ [...]. Se hizo igualmente omisión de las peculiaridades fonéticas propias del Cibao, que algunos autores, como Consuelo Olivier, recogen en su léxico. (Deive 1977, Prólogo: VI-VII) Auch wenn bereits an den ersten fünf Einträgen erkennbar ist, dass Patín Maceos frühes Wörterbuch die grundlegende Referenzquelle für Deive darstellt, zeigen sich im Vergleich hierzu - nicht zuletzt aufgrund der erwähnten selektiven Maßnahmen - offensichtliche Abweichungen im Lexembestand und in den definitorischen Erläuterungen: Abajismo.- m. Condición propia del que, en política, se encuentra fuera del disfrute del poder o de los privilegios y beneficios que éste proporciona (PM: 1940: 7). Aballado.- adj. Dícese del caballo de poca resistencia y pelaje, cansado por la jornada (RD: 1960: 7). En Cub. indica paraje boscoso con ramaje y matorrales quebrados por el paso de los animales o por haberse arrojado allí (SANT: 1942: 19,I). Abambán.- adj. Abandonado (REJ: 1970: 169). Abarandar.- Mantener a raya una o más personas. Hacerlas permanencer en actitud pasiva (PM: 1940: 7.) Abarracarse.- Dedicarse a beber. 2.- Guarecerse en barracas (PM: 1940: 7). Trotz erkennbarer Divergenzen wird die Loslösung vom Basiswerk nicht konsequent genug umgesetzt. Die sich hieraus ergebenden methodologischen Mängel werden insbesondere von Orlando Alba schonungslos aufgedeckt: Separado por treinta y siete años del de Patín Maceo, resulta realmente anacrónico el Diccionario de Dominicanismos, de Carlos E. Deive (1977), ya que exhibe las mismas deficiencias metodológicas del primero. Muchas de sus entradas están constituidas por verdaderos fósiles léxicos ausentes, incluso, del vocabulario pasivo de la mayoría de los hablantes: alcolear, algoria, galacha. Son también abundantes los casos de mezcla de fenómenos lingüísticos de diferente naturaleza. (Alba 1993, 318) Im Jahre 2002 veröffentlicht Carlos Esteban Deive die zweite überarbeitete und korrigierte Auflage seines Wörterbuchs im Verlag Ediciones Librería La Trinitaria y Editora Manatí in Santo Domingo „[que] contiene alrededor de dos mil voces, frases, giros, etc., más que las existentes en la primera“ (Deive 2 2002, Buchrücken und Seite 12). Bereits der Neudruck der Erstauflage aus dem Jahre 1986 wurde in einer Auflagenhöhe von 1.000 Exemplaren veröffentlicht, eine Tatsache, die trotz kritischer Stimmen dokumentiert, wie erfolgreich Deives Diccionario von den dominikanischen Lesern rezipiert wurde und welchen Stellenwert er in <?page no="230"?> Andre Klump 220 der dominikanischen Lexikographie einnimmt, man vergleiche hierzu auch María José Rincón: Estas dos obras [Olivier 1967; Deive 1977] junto con los Dominicanismos de Manuel Patín Maceo, publicados en 1940, conforman nuestro panorama lexicográfico durante la segunda mitad del siglo XX. (Rincón González 2011: 90) 4.5 Rodríguez Demorizi, Emilio (1983): Del vocabulario dominicano. Santo Domingo: Editora Taller Der berühmte Historiker, Essayist und Rechtsanwalt Emilio Rodríguez Demorizi, Autor zahlreicher Werke zur dominikanischen Geschichte, Literatur, Kultur und Sprache, veröffentlichte im Jahre 1983 „un rimero de voces“, die für ihn „las · que acrecientan la amenidad y sustancia de la conversación y la escritura“ (Rodríguez Demorizi 1983, Liminar: 9) darstellen. Basierend auf 31 Werken aus den Bereichen Lexikologie, Lexikographie und Folklore werden hier zahlreiche Einzelwörter, v.a. aber Redewendungen und Sprichwörter, aufgeführt, in der sich nach Meinung des Autors die dominikanische Kultur und Lebensart widerspiegeln. Wenngleich alphabetisch angeordnet und den dominikanischen Wortschatz in der Breite abbildend, handelt es sich hierbei weniger um ein Wörterbuch nach lexikographischen Maßstäben als um eine umfangreiche Sammlung von landestypischen Wörtern und Phraseologismen. Im Vorwort erläutert der Autor die jahr(zehnt)elange Anhäufung des Wortmaterials: He amontonado día tras día, año tras año, estas dispersas voces del vocabulario dominicano, sin técnica alguna, que otros con mayor tiempo y maestría desbrozarán y sujetarán a los debidos cánones de la filología […]. Aquí está, ! æ ´ æ µ æ · en mis recuerdos en la declinante madurez. Aquí, mi oficio ha sido sólo el de recordar, no más, sin reglas, ni ciencia, ni aderezo. Un libro, en fin, en su estado de naturaleza. (Rodríguez Demorizi 1983, Liminar: 9-10) Die Struktur der Einträge ist von geringer Tiefe und ebenso geringem lexikographischem Anspruch: Als Lemmata erscheinen in unsystematischer Weise Einzelwörter, Basiswörter der Phraseologismen oder ganze Wendungen, so dass die Bezifferung aller Wörterbucheinträge an dieser Stelle irrelevant ist. Die Lemmata werden in aller Kürze erläutert und ggf. durch konstruierte Beispiele untermauert. Gelegentlich finden sich Hinweise auf Entlehnungen (vgl. maíz. Indigenismo, fricasé. Haitianismo, <?page no="231"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 221 ful. Anglicismo), unterstützende Zitate, Gedichte, Geschichten und Sacherklärungen. Die ersten Einträge mögen den Listencharakter des vorliegenden Werks illustrieren: Abacorado. Perseguido, acorralado, molestado. Abacorar o abacararse es, en la ¿ ¸ ¨! · { ¶ ! ! Abajismo. Estar abajo. Fuera del Gobierno, sin empleo. Aballado. Caballo cansado en la jornada. Abambán. Abandonado. Poco elegante. Persona desgarbada. Abarandar. Poner a raya a una persona. Die Rezeption des Vocabulario von Emilio Rodríguez Demorizi konnte nicht unterschiedlicher ausfallen. So wurde das Werk von Sprachwissenschaftlern kritisiert, von Kulturliebhabern hingegen gelobt: La más reciente publicación de este género, Del vocabulario dominicano, de ´ ? ? "QY-&! } · ¶ ¿ æ anterior. Se trata de un simple inventario indiscriminado de palabras, refranes y ! · ¶ "{ } QYY-* 318) Un libro por excelencia es el de Emilio Rodríguez Demorizi, Del vocabulario dominicano, contiene revelaciones sorprendentes y es una obra poco conocida, a pesar de su gran importancia. (Academia Dominicana de la Lengua 2008) 4.6 Gómez Marín, Lucy (2009): Dominicanismos. Diccionario para entender al dominicano, Santo Domingo, Impresora Soto Castillo Neue Impulse erfährt die dominikanische Lexikographie erst seit Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts durch die Psychologin Lucy Gómez Marín. Dabei beschränkt sie sich ähnlich wie Emilio Rodríguez Demorizi ein Vierteljahrhundert zuvor auf eine minimale Wörterbuchstruktur und möchte lediglich einen Eindruck von der lexikalischen Spezifik des gegenwärtigen, gebräuchlichen und allgemeinsprachlichen Spanisch in der Dominikanischen Republik geben: Mi país posee su propia idiosincrasia, gracias a la cual se diferencia de los demás. La forma de hablar no es la excepción. Existen palabras, frases, expresiones, refranes, leyendas, historias, mitos, fábulas, que son propias de nosotros. (Gómez Marín 2009, Introducción: 7) Hablo de } ¨ · ¨ que nos caracterizan, y que están presentes en el vocabulario ¿ } · ! sino, además, en el de los más reconocidos comunicadores hasta en los mismos libros. (Gómez Marín 2009, Prefacio: 5) <?page no="232"?> Andre Klump 222 Decido incluir aquí algunas palabras de significado vulgar, pero de uso cotidiano entre mi gente. (Gómez Marín 2009, Prefacio: 6) Einzelwörter und/ oder Phraseologismen werden dabei lediglich kurz erläutert und durch Beispielsätze exemplifiziert: Abanico. Abano, ventilador. Ese abanico no refresca nada. Me gustan los abanicos españoles y los orientales. Abalear. Balear. Abejón. Abejorro. Considerado de mal agüero o portador de malas noticias. ¡Fuera, abejón, llévate tu mala noticia a otro lado! Abofado. Persona que tiene un aspecto de inflamación generalizada, probablemente producida por acumulación de líquidos. Luces abofado, debes ir al médico. Me siento abofada, no voy a comer más. Abombado. Se dice de una comida o un líquido que están descompuestos. Noch in der ersten Ausgabe des Wörterbuchs von Gómez Marín (2009) wird der folkloristische Charakter des Werks u.a. dadurch unterstrichen, dass mehreren Buchstabenkapiteln kleine Geschichten, Eindrücke, Erfahrungen vorangestellt werden: a - Actitud, la llave mágica c - Carta a mi hijo e - ¿Estoy enamorado o te amo? ñ - Eñe tiene identidad propia In der zweiten, korrigierten und erweiterten Auflage aus dem Jahre 2012 werden diese getilgt. Und doch finden sich auch hier weiterhin Anekdoten, Gedichte, Gesprächsausschnitte etc. in bestimmten Wörterbucheinträgen wieder (vgl. die typische dominikanische Alltagskonversation im Eintrag muletilla). 4.7 Inoa, Orlando (2010): Diccionario de Dominicanismos. Santo Domingo, Editorial Letra Gráfica Im Jahre 2010 veröffentlichte der Historiker und Verleger Orlando Inoa ein Wörterbuch, das in puncto Umfang (4.708 Einträge), Referenzquellen (insgesamt 206 aus den Bereichen Lexikographie, Literatur, Kultur und Politik), Anzahl etymologischer, diatopischer, diastratischer, diaphasischer und grammatischer Markierungen, Aktualität der Beispielsätze (vgl. mula mit Belegen aus Listín Diario 2007 und El Día 2010), Illustration polysemer Inhaltsstrukturen und nicht zuletzt Benutzerfreundlichkeit (durch typographische Klarheit) alle bisherigen lexikographischen Werke übertrifft. Da der Autor gänzlich auf ein Vorwort verzichtet, erfährt der <?page no="233"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 223 Leser ausschließlich aus dem Buchrückentext, dass der Diccionario de Dominicanismos durch editorische Zusammenführung früherer dominikanischer Studien das gegenwärtige, im Alltag gebräuchliche dominikanische Spanisch in seinem gesamtkaribischen Kontext aus philologischer, anthropologischer und kultureller Perspektive abzubilden beabsichtigt: El diccionario de dominicanismos de Orlando Inoa (Letra Gráfica, 2010) es la más completa compilación de vocablos que los dominicanos usan cotidianamente para comunicarse. Por su contenido este diccionario viene a ser como un ¿ ¨ ´ ·} Dominicana, además de rescatar muchos que ya están en desuso. Sumado a los aportes que hace este diccionario, se compendian las palabras que han sido recopiladas por sus antecesores. Su visión no solo se circunscribe al área dominicana, sino que rastrea en el Caribe hispano la presencia de estos vocablos, confirmando si mantienen la misma acepción o han adquirido otras nuevas. Es importante el respaldo bibliográfico que acompaña esta obra, así como la dilucidación de muchos términos tanto en su aspecto filológico como en su concepción antropológica y cultural. Este diccionario es imprescindible para saber cómo habla el dominicano. (Inoa 2010, Buchrücken) Aus der Vielzahl der von seinen Vorgängern übernommenen lexikalischen Informationen ergibt sich in weiten Teilen des Diccionario eine mikrostrukturelle Vielschichtigkeit, die zu Beginn bereits im Eintrag abacorao illustriert wird: Abacharse pnrl. Avergonzarse, abochornarse (Deive, 2002). Abacorao { " ! QY-Q& · ´ "QYY& americanismo. «Mientras los salones donde se celebraban fiestas familiares reinaba la danza cadenciosa y romántica; el merengue, que también es danza, se mantenía “abacorado en el barrio”» (Rivera, 1966: 38). En Cuba abacorar es apretar: “Me abacoró y no me pude mover” (Sánchez-Boudy, 1999) 2. Rendirse: “Soy hecha de mil colores/ por una pintura real,/ por mí se levantan guerras/ y se abacora un general [Las barajas]” (Rueda, 1970: 67) 3. Entristecerse, echarse a morir. Emilio Rodríguez Demorizi citando a Vetilio Alfau Durán dice que abacorar o abacorarse se usa en la regíon de Higüey con este significado (Rodríguez Demorizi! QY-& - {} * ¸ ! "{ · DRAE). Abadejo m. Pez del mar de las Antillas, de color oscuro y escamas pequeñas y "{ · {& Abafil m. Haitiano ilegal que trabaja en el país. Proviene del creole: en bas fil: por debajo de los alambres. (Ducoudray, 2006: 2: 222). Abaida f. Abandonado (Brito, 1931). <?page no="234"?> Andre Klump 224 Während Inoas Werk formal als Ergebnis einer strukturierten Zusammenführung der landestypischen Wörterbucheinträge seit Brito (hier: 1931) betrachtet werden kann, fungiert es ideell als Spiegel der gesamtdominikanischen Lexikographie und damit als Ausdruck „[de la] Patria [que] se sustenta en sus propias palabras“ (Soto Jiménez 2010). 4.8 Academia Dominicana de la Lengua (2013): Diccionario del español dominicano, Santo Domingo, Editora Corripio Mit der Veröffentlichung des Akademiewörterbuchs zum dominikanischen Spanisch im Jahre 2013 wird die bisherige Wörterbuchschreibung in den Schatten gestellt. Hierbei werden neue lexikographische Maßstäbe angesetzt, die in den vorherigen und aktuell parallel existierenden Werken keine oder nur eine unbedeutende Rolle spielen: 1. die Fokussierung auf das dominikanische Spanisch in Abgrenzung zum Standardkastilischen, 2. die korpusbasierte Erfassung des sprech- und schriftsprachlichen Wortschatzes aus deskriptiver Sicht und 3. die Betonung des aktuellen dominikanischen Gebrauchswortschatzes bei gleichzeitiger Berücksichtigung weniger gebräuchlicher und archaischer Formen (DED, XXVII-XXVIII). Damit erweise sich der DED laut Bruno Rosario Candelier als „un diccionario dialectal, usual y actual: no un diccionario normativo, como el DRAE“ (Rosario Candelier 2013, in: DED, XVII). Auch die gebürtig aus Spanien stammende Lexikographin María José Rincón, die die vier Jahre andauernden Arbeiten am Diccionario del español dominicano im Auftrag der ADL koordiniert, beaufsichtigt und durchgeführt hat, hebt im Rahmen der öffentlichen Vorstellung des Werks am 21. November 2013 dessen innovativen Charakter im Vergleich zu den früheren Dominikanismen-Wörterbüchern hervor: En la senda de estos antecesores nos vimos ante una necesidad prioritaria para la lexicografía dominicana: el diseño y la construcción de un diccionario que respondiera a técnicas y criterios actuales y que pudiera ofrecerse al hablante dominicano y al usuario que se acerque a esta variedad dialectal con las suficientes garantías de rigor científico y metodológico. Un diccionario de uso, que registra lo que decimos y cómo lo decimos, casi sin tomar partido académico sobre cómo deberíamos decirlo. (Rincón 2013) Die Makro- und Mikrostruktur des ersten dominikanischen Akademiewörterbuchs lässt sich quantitativ und qualitativ wie folgt kennzeichnen: El DED es un diccionario extenso: recoge un total de 10903 lemas y 14054 acepciones. Las expresiones y frases proverbiales suman 4250, mientras que las lematizaciones secundarias de estas locuciones y frases proverbiales, incluidas <?page no="235"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 225 para facilitar su localización, ascienden a 3887. (Rosario Candelier 2013, in: DED, XVII) Unos 400 extranjerismos sin adaptar dan cuenta de una tendencia preocupante en nuestra variedad del español; pero también hay muchos de ellos que registran una forma castellanizada que también aparece en el DED. Las palabras referidas a la flora y la fauna dominicanas, hasta ahora escasamente representadas en nuestros diccionarios, tiñen de verde las páginas del diccionario: más de 1300 voces relacionadas con nuestra naturaleza, con una definición detallada que incluye su nombre científico. El vocabulario propio de las peleas de gallos aporta unos 200 términos, mientras que el beisbol, nuestra pelota, batea casi para 400 palabras y expresiones. Los ejemplos en el diccionario ayudan al lector a ver las palabras en funcionamiento. En el DED hemos incluido más de 8000 ejemplos. La mayoría, unos 6000, procede de obras literarias de autores dominicanos; los restantes se han extraído de páginas electrónicas, revistas o periódicos, o han sido redactados por el equipo de redacción. (Rincón 2013, Discurso presentación DED) Bereits die ersten Einträge verdeutlichen, dass - wenngleich in der Semantisierung noch weiterhin vereinzelt auf frühere lexikographische Werke wie etwa von Patín Maceo verwiesen wird - mit dem DED eine von den Vorgängern weitgehend losgelöste, ungleich umfassendere und weitaus ausdifferenziertere Darstellung des dominikanischen Wortschatzes im Sinne der modernen Lexikographie erzielt wurde. Insbesondere am Eintrag abacorar(se) lässt sich aufzeigen, dass etwa ein Verb mit seiner komplexen polysemen Struktur systematisch dargestellt, in seiner grammatischen Wertigkeit bestimmt, mit Hilfe von synonymischen Äquivalenten und/ oder Kurzdefinitionen erläutert und dessen Gebrauch durch Beispielsätze illustriert wird: A f. Calificación académica que corresponde a sobresaliente (90-100 puntos de 100). ababachar(se) 1. tr. Avergonzar, abochornar alguien o algo a una persona. pop. col. 2. intr. prnl. Avergonzarse, abochornarse, ruborizarse alguien. pop. col. ababuy m. Arbusto espinoso de hojas alternas, de inflorescencia en racimos, flores pequeñas de color verde, blanco y amarillo y fruto en drupas con varias semillas. ( ¤ ). abacorar(se) 1. tr. Acorralar, hostigar, intimidar alguien o algo a una persona. Cuando se siente ABOCORADO reacciona como gato boca arriba. 2. Avergonzar, apabullar alguien o algo a una persona. Patín 217 Cada vez que habla de matemáticas contigo te ABACORA. 3. tr. Mantener alguien a raya a una o más personas. 4. tr. Acaparar una persona a alguien o algo. <?page no="236"?> Andre Klump 226 5. tr. Arrinconar a alguien contra una pared. El policía lo golpeó cuando lo tenía ABACORADO. 6. tr. Acobardar a alguien. Patín 217 Al ver su cólera no fueron pocos los que SE ABACORARON. 7. intr. prnl. Apocarse, apabullarse. Veloz Uña y carne 61 En otras ocasiones me invento memorias, porque el problema desde que estoy aquí, ABACORADO, es que ya no sé si la memoria es ajena. abafil ¸ æ ·} ¿ pop. col. p.u. abajarse tr. prnl. Agacharse alguien, inclinar el cuerpo hacia abajo. pop. col. 5 Die dominikanische Lexikographie in der Zukunft Die Geschichte der Lexikographie in der Dominikanischen Republik war in der Anfangszeit bestimmt von der Kombination zweier Ausrichtungen: So zielten einerseits kontrastiv ausgelegte Wörterbücher wie von Brito (1930) oder Olivier Ariza (1967) darauf ab, die diatopisch markierte Varietät im Cibao-Tal in den Vordergrund zu rücken und dem dominikanischen Gemeinspanisch gegenüberzustellen. Patín Maceo (1940) begründete hingegen die Wörterbuchschreibung des überregionalen dominikanischen Spanisch, die zunächst starke puristische und normative Züge aufwies (vgl. hierzu auch Rincón 2013). Auf die frühen Quellen beriefen sich auch die späteren Lexikographen von Deive (1977) bis Inoa (2010), die vielfach verfügbare, aus lexikographischen oder lexikologischen Materialsammlungen resultierende Lexeminformationen neu aufbereiteten und zusammenstellten. Mit dem Akademiewörterbuch aus dem Jahre 2013 erfährt die dominikanische Lexikographie nunmehr eine konzeptuelle Neuausrichtung, indem der Wortschatz des dominikanischen Spanisch erstmals in deskriptiver Darstellung, gemäß den Kriterien der Gebräuchlichkeit und Aktualität und in umfangreichen mikro- und makrostrukturellen Dimensionen nebst metasprachlichen Ergänzungen präsentiert wird. Ein hierzu parallel laufendes Wörterbuchprojekt, die von Irene Pérez Guerra im Auftrag der Academia Dominicana de la Lengua geleitete Herausgeberschaft des Diccionario fraseológico dominicano (vgl. Pérez Guerra 2012), strebt gegenwärtig an, diese lexikographische Lücke im Bereich der dominikanischen Phraseologie zu schließen. Über den nationalen Rahmen hinaus ist des Weiteren geplant, gemeinsam mit den beiden benachbarten spanischsprachigen Inseln ein antillenspanisches Wörterbuch zu konzipieren: <?page no="237"?> Zur historischen und aktuellen Lexikographie in der Dominikanischen Republik 227 Finalmente, está en agenda la confección de un Diccionario antillano (Cuba, ·} ¨ & æ · países, en atención a la similitud del lenguaje de estas tres naciones del Caribe insular hispánico. (Rosario Candelier 2009: 27) Literaturverzeichnis Academia Dominicana de la Lengua (2013): Diccionario del español dominicano, Santo Domingo, Editora Corripio. Alba, Orlando (1993): „Estado de los estudios lingüísticos en el Caribe hispánico insular“, in: Arizpe, Lourdes/ Serrano, Carlos. (eds.) Balance de la antropología en América latina y el Caribe, México, UNAM, 311-337. Asociación de Academias de la Lengua Española (2010): Diccionario de americanismos, Madrid, Santillana. Brito, Rafael P. (1930): Diccionario de criollismos. 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Jahrhundert in französischen Kolonien aus dem Kontakt zwischen weißen Siedlern und schwarzen Sklaven, die in großer Zahl aus Afrika importiert wurden, um eine arbeitsintensive Plantagenwirtschaft wie den Zuckerrohranbau aufrechtzuerhalten bzw. überhaupt erst zu ermöglichen 1 . Sie verteilen sich auf zwei verschiedene Zonen: Amerika bzw. die Karibik, von den Franzosen ab 1625 kolonisiert, und den Indischen Ozean, wo die Kolonisierung etwas später, 1665, einsetzte. Die spezifischen Entstehungsbedingungen der Frankokreolsprachen, zu denen auch das weitgehende Fehlen einer autochthonen Bevölkerung und die isolierte geographische Lage (Inseln oder küstennahe Gebiete mit schwer zugänglichem Hinterland) zählen, haben nicht nur das Interesse der Allgemeinen Sprachwissenschaft geweckt, die in der Kreolistik Antworten auf Fragen der Sprachentstehung, des Sprachwandels und des Zweitsprachenerwerbs sucht(e), die Frankokreolsprachen werfen auch aus romanistischer Sicht viele Fragen auf. Die Frage nach dem jeweiligen Anteil der europäischen und der afrikanischen Sprachen hat dabei von Anfang an besonders große Aufmerksamkeit gefunden, und während afrikanischer Einfluss im Bereich der grammatischen Strukturen Gegenstand heftiger Kontroversen war, ist er für den Wortschatz nie in Frage gestellt worden. Für das DECA stellen sich in etymologischer Hinsicht einige Probleme. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass in den kolonialen Gesellschaften zwar das gesamte Spektrum des Mutterlandes vertreten war, die Mehrheit der Bevölkerung gehörte jedoch den unteren sozialen Schichten an. In vielen Fällen ist daher der in den französischen Wörterbüchern registrierte bon usage eine etymologische Sackgasse; für zahlreiche Wörter finden sich Etyma nur in der Dokumentation diatopischer und diastratischer Varietäten des FEW. Sollte man aufgrund von Form und Bedeutung eines kreolischen Wortes einen französischen Ursprung aus- 1 Vgl. Bollée, Annegret (1998): „Romanische Kreolsprachen V. Französische Kreolsprachen“, in: Holtus, Günter/ Metzeltin, Michael/ Schmitt, Christian (eds.) Lexikon der Romanistischen Linguistik VII, Tübingen, Niemeyer, 662-679. <?page no="240"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 230 schließen, so ergeben sich weitere Probleme, denn auch wenn eine afrikanische Herkunft plausibel erscheinen mag, ist doch die Herleitung aus einer konkreten afrikanischen Sprache im Einzelfall überaus schwierig. Besser erforscht sind die Wörter amerindischen Ursprungs, bei denen jedoch oft der Entlehnungsweg zu klären ist: häufig sind sie über das Spanische oder Portugiesische ins Kolonialfranzösische und dann ins Kreolische gelangt. Die lexikographische Aufarbeitung der etymologischen Recherchen trägt dieser Zusammensetzung des frankokreolischen Wortschatzes aus Wörtern französischen und nicht-französischen Ursprungs durch eine Zweiteilung des Wörterbuchs Rechnung. Bevor das DECA selbst, sein Aufbau und seine Methode, aber auch offene Fragen in den Mittelpunkt rücken, sollen im Folgenden die Quellen, aus denen das kreolische Wortmaterial stammt, vorgestellt werden. 1 Die Quellen für das DECA Für die etymologische Bearbeitung des frankokreolischen Wortschatzes ist zunächst seine Erfassung Voraussetzung, auf diese Weise entsteht jedoch auch als willkommener Nebeneffekt ein synchrones und leicht zugängliches Wörterbuch der amerikanischen Frankokreols. Diese entstanden in der Mündlichkeit und litten lange Zeit unter dem Stigma der „Sklavensprachen“, aber mittlerweile liegen für alle Frankokreols, die wir behandeln, zwei- oder dreisprachige Wörterbücher vor, die jedoch von höchst unterschiedlicher Qualität sind. 1.1 Wörterbücher Am besten dokumentiert ist sicherlich das Haitianische (KrHai), das seit 1987 offiziellen Status hat, dementsprechend über eine offizielle Orthographie verfügt und dessen Wortschatz folglich am weitesten ausgebaut ist, wie an etlichen Fachtermini, z.B. biyodivèsite, plitonyòm, teknoloji, im mit Abstand besten kreolischen Wörterbuch, dem Haitian Creole-English Bilingual Dictionary (HCED) abzulesen ist. Das HCED, 2007 unter der Leitung von Albert Valdman vorgelegt, enthält 30.000 Lemmata, dazu noch 26.000 Einheiten in der Mikrostruktur wie Komposita, aber auch Kollokationen und Phraseologismen, und ist damit das sowohl makroals auch mikrostrukturell umfangreichste kreolische Wörterbuch. Es basiert auf einer sorgfältigen Auswertung aller vorhergehenden Wörterbücher seit dem Ti Diksyonnè kreyòl-franse von Alain Bentolila (ed.) 1976, dem <?page no="241"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 231 etwa 60 Stunden Sprachaufnahmen zugrunde lagen, reflektiert aber auch den Wortschatzausbau der jüngsten Vergangenheit im wissenschaftlichen, technischen und administrativen Bereich, der überwiegend über Entlehnungen aus dem Französischen erfolgte: „tout mot français peut devenir à tout instant créole“ (RCo, S. 14). Derartige Wörter stellen im einzelnen etymologisch keine besondere Herausforderung dar, sie dokumentieren in der Summe aber die Quellen der Wortschatzerweiterung der jüngeren Zeit und erlauben somit eine differenzierte Antwort etwa auf die Frage nach dem Einfluss des Englischen. Hinsichtlich der Lemmatisierung bemüht sich das HCED um eine sorgfältige Unterscheidung zwischen Polysemie und Homonymie und bucht nur unterschiedliche Lemmata, wenn zwischen den Bedeutungen keine semantische Verbindung (mehr) besteht oder wenn Homonyme verschiedenen Wortarten zugeschlagen werden. Aus etymologischer Sicht ist das natürlich problematisch, auch die Wortartzugehörigkeit ist für Kreolsprachen grundsätzlich ein schwieriges Kriterium. Die Mikrostruktur enthält noch weitere Angaben zur Grammatik, folgt einer reflektierten Anordnung der Bedeutungen und liefert Beispielsätze. Diasystematische Markierungen beziehen sich in der Regel auf den Fachbereich, dem ein Wort zugeordnet wird, seltener sind Angaben zur Registerzugehörigkeit oder zur Diatopik ([N] = Northern Creole), die in die DECA-Artikel übernommen werden. Ebenfalls unter Leitung von Albert Valdman ist 1998 das dreisprachige Dictionary of Louisiana Creole (DLC) erschienen, für das ein Team um Kevin Rottet sämtliche Texte und Glossare des KrLou exzerpiert und die so gewonnenen Daten durch intensive Feldforschung ergänzt hat. Angesichts stark sinkender Sprecherzahlen (nur noch 20.000 bis 30.000, kaum monolinguale Sprecher) verfolgen die Autoren durchaus auch eine historische Zielsetzung: „to document LC as it still exists today and to trace these forms to earlier attested forms noted in scholarly works and written texts“ (S. 1). Entsprechend sorgfältig werden sämtliche Varianten eines Lemmas mit der entsprechenden geographischen Zuordnung aufgeführt und innerhalb der Mikrostruktur auf eine Vereinfachung zugunsten der häufigsten Variante, wie es im HCED der Fall ist, verzichtet. Die Bedeutungen werden auf Englisch und Französisch angegeben, Beispiele stammen aus der Literatur, alte Belege werden systematisch registriert. Für die Antillen insgesamt steht das Werk von Germain (RGe) zur Verfügung, das aber nicht sehr umfangreich ist und noch dazu durch eine sehr eigentümliche Umschrift aus dem Rahmen fällt. <?page no="242"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 232 Für das Kreol von Guadeloupe und das Kreol von Marie-Galante - administrativ ein Teil von Guadeloupe - ist die Quellenlage recht kompliziert. Für das KrGua liegt mit dem Dictionnaire créole-français (LMPT) von Ralph Ludwig u.a. seit 1990 ein zuverlässiges Wörterbuch vor, das vor dem Hintergrund der zunehmenden Verschriftlichung der Kreolsprachen seit den späten 1980er Jahren bemüht ist, „de favoriser le passage à l’écrit“ (LMPT, S. 12). Entsprechend will es nicht nur den Basilekt reflektieren, sondern auch den Wortschatzausbau der jüngeren Zeit, und es enthält auch, anders als die anderen Wörterbücher, Wortbildungselemente. Auf die Angabe der Wortart, die im Kreolischen bekanntlich problematisch ist, wird verzichtet, die Beispielsätze reichen aus, um die Verwendung zu illustrieren. Da Marie-Galante ab der Mitte des 17. Jahrhunderts von Guadeloupe aus kolonisiert wurde, gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten, identisch sind die beiden Kreols aber nicht. Bis in die 1960er Jahre gab es nur ganz wenige Kontakte zwischen den beiden Inseln, das Kreol von Marie- Galante hat daher etliche alte Wörter bewahrt, die aus dem KrGua verschwunden sind, und erweist sich auch in phonetischer Hinsicht als konservativer, dem Französischen näher als das KrGua. Den Wortschatz des Kreol von Marie-Galante hat Pater Maurice Barbotin, lange Jahre Pfarrer von Saint-Louis auf Marie-Galante und der einzige Franzose in seiner Gemeinde, über die Jahre gesammelt und dabei nicht nur sprachliche Fakten, sondern auch enzyklopädische Informationen aller Art zusammengetragen. Seine Wortschatzsammlung erschien 1995 als Dictionnaire du créole de Marie-Galante (MBa). Kompliziert wird es dadurch, dass das Material von Pater Barbotin von Henry Tourneux in das Dictionnaire pratique du créole de Guadeloupe (Marie-Galante) (T/ B), das unter beider Namen 1990 erschien, aufgenommen wurde, ohne dass der Wortschatz von Marie-Galante als solcher gekennzeichnet würde. Tatsächlich ist dieses Wörterbuch weder das eine noch das andere: das Material ist zum größten Teil von Barbotin beigetragen worden, beschreibt also das Kreol von Marie-Galante, gleichzeitig wurden jedoch die Besonderheiten des KrM-G eingeebnet, wie Annegret Bollée und Robert Chaudenson in ihrem Vorwort zum Dictionnaire de Marie-Galante feststellen: } µ µ | µ µ -galantaise au sein d’une entité guadeloupéenne mal définie. Sur ce dernier aspect, la visée est […] tout simplement commerciale comme le montrent le titre choisi (Dictionnaire "pratique") et la quatrième de couverture qui recommande l’achat de ce livre à ceux qui voudraient "apprendre le créole guadeloupéen"! (MBa, S. 3). <?page no="243"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 233 Da T/ B aber auch Wörter, Varianten und Bedeutungen enthält, die im Wörterbuch des KrGua fehlen, kann es für das DECA nicht völlig außer Acht gelassen werden, vielmehr muss von Fall zu Fall durch Vergleich mit MBa und unter Berücksichtigung der Chronologie entschieden werden, ob ein Beleg als guadeloupéen oder marie-galantais zu buchen ist. Das Kreol von Martinique verfügt seit 2007 über ein Wörterbuch, das Dictionnaire créole martiniquais-français (RCo) des bekannten Schriftstellers Raphaël Confiant. Als prominentes Mitglied des mittlerweile aufgelösten GEREC (Groupe d’Etudes et de Recherches en Espace Créolophone) hatte Confiant sich sehr für den Ausbau der Frankokreolsprachen eingesetzt und dabei einen grundsätzlich anderen Weg beschritten als die Autoren des LMPT. Auf der Grundlage des Basilekts, gekennzeichnet durch maximale phonologische und morphologische Distanz zum Französischen, hat Confiant selbst Neologismen geschaffen und diese 2001 im Dictionnaire des néologismes créoles veröffentlicht. Seine Wortschöpfungen, etwa koutasyon ‚écoute attentive‘, andidannizé ‚intérioriser’, toutwonlatè (< tout (au) rond (de) la terre) ‚international’, stießen teilweise auf heftige Kritik; in das Dictionnaire créole martiniquais-français hat Confiant dann auch nur einen sehr geringen Anteil dieser Bildungen aufgenommen. Seine Makrostruktur speist sich aus kreolischen literarischen Werken, die seit 1846 erschienen sind, sowie aus der mündlichen kreolischen Literatur (Erzählungen, Sprichwörter, Rätsel) und mündlichen Quellen zur Welt der Plantagengesellschaft und zum magisch-religiösen Bereich. Die Mikrostruktur verzichtet wie auch die des LMPT auf die Angabe der Wortart; phonetische und morphologische Varianten, etwa Formen mit agglutiniertem Artikel, z. B. lakanpay, kanpay, kanpann unter dem Stichwort lakanpany, werden ebenso sorgfältig verzeichnet. Eine Besonderheit des Wörterbuchs von Confiant sind diasystematische Markierungen wie rare, archaïque, néologisme, argotique, ironique, péjoratif etc. Interessant sind die Hinweise auf das français régional antillais (F.R.A.) in den betreffenden Artikeln. Die Beispiele stammen zu zwei Dritteln aus der Literatur (moderne und zeitgenössische Autoren), Confiant folgt damit dem Beispiel der großen französischen Wörterbücher (Littré, Robert, TLF). Dieses Vorgehen ist vor dem Hintergrund der Verschriftlichungsdebatte zwar verständlich, allerdings insofern nicht unproblematisch, als individuelle literarische Kreativität und kreolischer usage nicht unbedingt deckungsgleich sind. Gelegentlich macht Confiant Angaben zur Herkunft der Wörter (africain, caraïbe), allerdings ohne weitere Quellenangabe, so dass sie für die etymologische Recherche im Rahmen des DECA nur sehr begrenzt von Nutzen sind. <?page no="244"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 234 Für das Kreolische von Saint Lucia stehen zwei Wörterbücher zur Verfügung, das Dictionary of St. Lucian Creole von Jones E. Mondesir (JMo) und das Kwéyòl Dictionary von Paul Crosbie et al. (KD). Ähnlich wie das Wörterbuch von Pater Barbotin geht auch dasjenige von Jones Mondesir, der als Englischlehrer im Bildungswesen von Saint Lucia bis zum Chief Education Officer aufgestiegen ist, auf fast 30 Jahre teilnehmende Beobachtung zurück: In seiner Freizeit hat J. Mondesir kreolisches Wortmaterial gesammelt und mit der Hilfe von Lawrence Carrington, einem ausgewiesenen Spezialisten für das Kreol von Saint Lucia, ist daraus ein kreolisch-englisches und englisch-kreolisches Wörterbuch entstanden. Das Ziel des Kwéyòl Dictionary ist hingegen „to meet the need for an authoritative, affordable reference guide on Creole“ (S. iii). Bei aller Wertschätzung für Jones Mondesir und seine Lebensleistung (S. iii) haben die Autoren dennoch bewusst auf das Material des Dictionary of St. Lucian Creole verzichtet und stattdessen ausschließlich ihre eigenen Sprachaufnahmen zugrunde gelegt bzw. auf ihre eigene muttersprachliche Kompetenz zurückgegriffen. Sie selbst bezeichnen ihr Wörterbuch als „work in progress“ und stellen in Aussicht, in zukünftigen Auflagen weitere Quellen einarbeiten zu können. Der vergleichsweise bescheidenen Makrostruktur steht eine überaus durchdachte und reichhaltige Mikrostruktur gegenüber, die die Angabe der Wortart nutzt, um die Anordnung weiterer Bedeutungen zu strukturieren, Synonyme und Antonyme angibt, auf bedeutungsähnliche Wörter verweist und sehr häufig die Etymologie nennt. Varianten werden sorgfältig registriert, ohne damit eine Wertung hinsichtlich ihrer - vermeintlichen - Korrektheit zu verbinden, und nach Frequenz angeordnet. Die Autoren bemühen sich um diasystematische Markierungen, diese fallen allerdings nicht sehr differenziert aus (archaic, religious, crude, S. viii). Hinter allen bisher vorgestellten Wörterbüchern bleibt das Wörterbuch für das Kreol von Französisch Guayana bedauerlicherweise weit zurück. Georges Barthèlemis Dictionnaire pratique créole guyanais - français (1998) (GBa) hat etwa 5.000 Stichwörter und keine nennenswerte Mikrostruktur. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Einträgen um schlichte Gegenüberstellungen (Typ Fil Fil; Fil-a-plon Fil à plomb; Fil-fè Fil de fer etc.). In Fällen wie filé ‚filet; affuter’, pa ‚pas, par, part’, wo zwei oder drei Homonyme in einem „Artikel“ zusammengefasst wurden, sind die lexikographischen Defizite besonders deutlich. Die teilweise beträchtlichen Unterschiede in der Makrostruktur (für den Buchstaben B erfasst KD 238, GBa 373, HCED dagegen 1352 kreolische Lemmata) erklären sich vielfach durch einen größeren Anteil von <?page no="245"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 235 Entlehnungen aus dem Französischen, deren Aufnahme in die Wörterbücher den Ausbau der Kreolsprachen reflektiert, sie sind mitunter aber auch einer extensiven Lemmatisierung geschuldet (vgl. RCo baré 1 ‚barrer, bloquer‘, baré 2 ‚arrêter’, baré 3 ‚surprendre’). Als Ergänzung der vergleichsweise bescheidenen Datenbasis für das KrGuy dient uns das Buch von Grenand/ Moretti/ Jacquemin/ Prévost, Pharmacopées traditionnelles en Guyane (2004) (GMJP), das insgesamt 391 Heilpflanzen erfasst, und zwar nicht nur auf Kreol, sondern auch auf Way-pi (Tupí-Guaraní) und Palikur (Arawak). Es ist mit großer botanischer Sorgfalt kompiliert worden und bietet auch ausführliche chemische und pharmakologische Informationen, zudem enthält es wie alle guten Pflanzenbücher Abbildungen. Trotz seiner inhaltlichen Spezialisierung liefert GMJP das eine oder andere semantische Mosaiksteinchen, so etwa im Fall von guy. golèt ‚gaule’ und dem davon augenscheinlich abgeleiteten golete ‚garnir de treillis de baguettes un mur de torchis’ (GBa). GMJP registrieren bois-gaulette [bwa-golèt] ‚arbre peu commun de la forêt primaire, Licania cyathodes’ und führen aus, dass gerade dieser Baum die gaulettes liefert, dünne, lange Holzlamellen, die geflochten werden, um in den typisch kreolischen Häusern auf dem Land die Wände zwischen den Pfosten des Hauses zu bilden. 1.2 Sprachatlanten Die Daten aus den Wörterbüchern werden aus zwei Sprachatlanten ergänzt: dem Atlas linguistique d’Haïti, cartes et commentaires (ALH), 1998 von Dominique Fattier vorgelegt, und dem Atlas linguistique des Petites Antilles (ALPA) von Jean le Dû und Guylaine Brun-Trigaud (2 Bde. 2011- 2013). Das Questionnaire des ALPA umfasst 466 Fragen hauptsächlich zu Naturgegebenheiten (Wetter, Pflanzen, Tiere), aber auch zum sozialen Leben. Mitunter wurden offene Fragen gestellt, um möglichst alle Arten von Krabben, Phänotypen oder Haarfarben zu erhalten. Aus etymologischer Sicht besonders interessant sind die Verweise auf Karten des ALF oder eines der französischen Regionalatlanten. So nimmt der Kommentar zur Karte 18 „nager” des ALPA hinsichtlich der Verteilung der Form mit [h] Bezug auf den ALF: Le mot na e est utilisé partout. Il alterne avec nahe en Guadeloupe (04, 07). La correspondance / h se rencontre aussi dans les parlers saintongeais comme le montre la c[arte] 894 “nager” de l’ALF […], témoignage probable de l’origine de certains émigrants. <?page no="246"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 236 Der ALH hat 2.227 Fragen abgearbeitet und umfasst vier Kartenbände, hinzu kommen noch einmal zwei Kommentarbände von insgesamt knapp 1.000 Seiten. Er hilft, eine besonders bedauernswerte Lücke des HCED zu schließen, denn er enthält alle botanischen und zoologischen Namen und ermöglicht so eine sichere Identifizierung von Pflanzen und Tieren. Die Kommentarbände enthalten zusätzlich noch wertvolle Informationen zur Herkunft der Wörter sowie auch solche mehr enzyklopädischen Charakters, etwa zum Vodou. Mit der Umschrift des ALF wird ein enormes Maß an Variation dokumentiert, das deutlich über das im HCED erfasste hinausgeht, aus technischer und methodischer Sicht aber durchaus Probleme bereitet. Wie der ALH trägt auch der ALPA zu einem differenzierteren Bild von der aktuellen diatopischen Variation bei. Im Fall der Bezeichnungen für die Banane lässt sich den Karten 67 und 68 entnehmen, dass fig eben nicht nur, wie in den Wörterbüchern angegeben, die süße Obstbanane bezeichnet, sondern auch ‚banane à cuire’ bedeuten kann, wofür die Wörterbücher bannann nennen. Bedauerlicherweise kann auch der ALPA die Datenlage zum Guyanais nicht wirklich verbessern, da eine Datenerhebung in Guayana nicht durchgeführt werden konnte. Der Punkt 48, Oiapoque im Território de Amapá im Norden Brasiliens, erlaubt jedoch einen Blick auf das Karipuna, kreolische Muttersprache der Karipuna (etwa 1.300) am Rio Curipi und der Galibi-Marworno (etwa 2.000) in Koumarouman am Rio Uaçá. Herkunft und Geschichte dieser Sprachgemeinschaft sind noch nicht vollkommen geklärt, aufgrund der Forschungen von Karl-Heinz Röntgen (1998) ist jedoch die Annahme plausibel, dass die Karipuna ursprünglich aus der Gegend von Ouanary in Französisch Guayana stammen und in der Folge der Ausweisung der Jesuiten und der Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Portugal um das Gebiet zwischen Oiapoque und Amazonas im 19. Jahrhundert nach Süden abwanderten. Verglichen mit dem KrGuy erscheint ihre Sprache, für die seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Grammatik und ein Wörterbuch 2 vorliegen, konservativer, sie ist daher für ein etymologisches Wörterbuch von besonderem Interesse. 2 Tobler, Alfred W. (1987): Dicionário Crioulo Karipúna/ Português Português/ Crioulo Karipúna, Brasilia und Tobler, S. Joy (1983): The grammar of Karipuna Creole, Brasilia. <?page no="247"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 237 2 Die Zweiteilung des DECA Das DECA setzt das Dictionnaire étymologique des créoles français de l’Océan Indien (DECOI) fort, das in insgesamt vier Bänden von 1993 bis 2007 erschienen ist. Das ursprüngliche Ziel war ein etymologisches Wörterbuch aller Frankokreolsprachen, ein Dictionnaire étymologique des créoles français (DEC). Da jedoch zu Beginn der 1980er Jahre die Kreolsprachen der amerikanisch-karibischen Zone nicht annähernd so gut dokumentiert waren wie die des Indischen Ozeans, entstand „nur” das DECOI. Mit dem aktuellen Projekt rückt das anfängliche Ziel nun wieder näher, daher orientiert sich das DECA im Aufbau, aber auch in der Struktur der Artikel am DECOI. Nach dem Vorbild des Französischen etymologischen Wörterbuchs (FEW), das anhand des Etymons lemmatisiert, dem lateinischen Etymon also die französischen bzw. dialektalen Fortsetzer folgen lässt, ordnet auch das DECOI die kreolischen Nachfolger französischer Wörter dem französischen Lemma zu. Im kreolischen Wortschatz sind nun auf Grund der spezifischen Entstehungsbedingungen kreolischer Sprachen nicht nur etliche Wörter zu finden, die nicht aus dem Französischen, sondern aus den Kontaktsprachen stammen (z.B. amerindische oder afrikanische Sprachen, Spanisch, Englisch); in sehr vielen Fällen ist die Herkunft eines Wortes noch völlig ungeklärt, ein Etymon, das als Lemma fungieren könnte, mithin nicht erkennbar. Aus diesem Grund gliedert sich das DECOI - und ebenso das DECA - in zwei Teile. In der Première Partie: Mots d’origine française erscheinen die kreolischen Nachfolger unter ihrem französischen Etymon, wofür wir uns zunächst am Nouveau Petit Robert orientieren. Wenn auch die Recherche im TLFi und im FEW für ein kreolisches Wort kein plausibles Etymon ergibt, so wird dieses Wort in die Deuxième Partie: Mots d’origine non-française ou inconnue aufgenommen. In diesem Teil dient eine kreolische Form als Lemma, was dem relativ hohen Anteil von Wörtern unbekannten Ursprungs geschuldet ist, etwa foundoudou n. ‘avorton’ gua. foundoudou ‘avorton ; enfant ratatiné dont l’aspect provoque le sourire ; minus’ (ABa 107 ; LMPT). ? In diesem Teil erscheinen auch die Wörter aus den Kontaktsprachen, beispielsweise: <?page no="248"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 238 tchòlòlò n. ‘café très faible’ lou. tchororo ‘weak coffee’ (Klingler 2003, 146), tchololo ‘id.’ (Klingler/ Neumann-Holzschuh 2013, 231) ; gua. tchòlòlò ‘café trop clair‘ (T/ B); mart. kyòlòlò (péj.) ‘café très faible, très étendu d’eau’ (EJo 99) ; tjòlòlò (arch.) ‘café coupé d’eau que l’on servait autrefois aux enfants en guise de petit-déjeuner’ (RCo). Probablement du fon cololò [tchololo] ‘être trop liquide’ (Segurola/ Rassinoux) ; cf. EJo 99, note 4 : c’est un mot dahoméen qui s’écrirait tchròlòlò et qui en fon signifie ‘très dilué’. 2.1 Namen In einigen Fällen gehen kreolische Wörter auf geographische Namen, Markennamen oder auch Personennamen zurück und auch diese werden in den zweiten Teil aufgenommen: chaynola n. ‘cirage’ lou. chaynola ‘cirage [angl. ‘shoe shine]’ (DLC). Shinola, marque de cirage noir (1929), vendue aux Etats-Unis jusqu’au milieu du 20 e siècle (Wikipedia). fabnak n. ‘sandale en plastique’ haï. fabnak ‘plastic sandal, plastic shoe’ (HCED). Fabnac, abréviation de Fabrique Nationale de Chaussures (Black Enterprise, février 1979). Dawome nom géogr. haï. Dawome(n), Dwonmen ‘Dahomey, Benin’ (HCED) ; haï. dawome zepòl ‘type of yanvalou but with more shoulder action and more upright body’ (HCED). Nom géogr. Dahomey. Diese Verfahrensweise erklärt sich weniger durch den Umstand, dass die Namen in den zitierten Beispielen auf nicht französische Gegebenheiten referieren, als vielmehr dadurch, dass Namen keine lexikalische Bedeutung haben, sie also, obwohl sie unzweifelhaft zur sprachlichen Tradition einer Sprachgemeinschaft gehören, keine Lexeme sind. Die kreolischen Beispiele zeigen nun allerdings, dass sich eine solche lexikalische Bedeutung sehr wohl entwickeln kann, die Frage nach ihrem Ursprung also in einem etymologischen Wörterbuch nicht nur legitim, sondern im Hinblick auf die Zusammensetzung des kreolischen Wortschatzes auch durchaus von Interesse ist. Entsprechend erscheinen auch kreolische Fortsetzer französischer Vornamen in der Deuxième Partie: <?page no="249"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 239 Jean-Paul nom propre haï. Janpòl ‘rhum’ (ALH 992/ 1). ALH 1, 443 : Ellipse (nom de marque). Joseph nom propre haï. fèy Jozèf ‘kind of med. plant’ ; manto sen Jozèf ‘coleus [mint herb]’ ; ti jozèf ‘kind of mango’ ; ‘penis’ (HCED). 2.2 Onomatopöien Etwas komplexer sind die Verhältnisse bei Onomatopöien. Sofern sie im Französischen lexikalisiert sind und als Stichwörter im NPR erscheinen, werden sie unter ihrem französischen Etymon im ersten Teil erfasst, etwa glouglou n. m. lou. goulou ‘glouglou’ (DLC) ; haï. glouglou ‘gobble [cry of turkey] ; glub glub [sound of water gurgling]’ ; goulou ! goulou ! ‘gobble ! gobble ! [cry of turkey]’ (HCED) ; gua. glouglou ‘oiseau aquatique non identifié’ ; ‘grelot fixé sur le tambour boula ou au bras du musicien’ (T/ B) ; M-G gouglou, glouglou, djoudjou ‘fruit du palmier Acrocomia karukerana’ (T/ B ; MBa) ; mart. glouglou ‘variété de chou-palmiste portant des piquants, Aiphanes minima’ (RCo) ; StLuc. id. ‘a small nut’ (JMo) ; mart. glouglou rouj ‘esp. de palmier, Marinezia corallina’ (EJo 277) ; M-G pye gouglou/ glouglou ‘esp. de palmier, Acrocomia aculeata’ (T/ B ; MBa). Enckell / Rézeau (261a) offrent une variante goulou-goulou ‘(bruit du cri du dindon, parfois du pigeon)’. In den Fällen, in denen weder der NPR noch das FEW ein Etymon liefern, erscheinen entsprechende Bildungen im zweiten Teil: floup onom. haï. floup ‘slurp [noise made when drinking] ; zing, whiz, zoom, quick as a flash’ (HCED) ; gua. id. ‘onomatopée pour dire : d’un seul coup, en une bouchée’ (LMPT) ; M-G id. ‘sonorisation d’un mouvement plongeant’ ; vale floup ‘avaler floup (d’un trait)’ (MBa ; T/ B) ; mart. floup ‘(on.) exprime la rapidité ; d’un seul coup’ (RCo) ; guy. id. ‘onomatopée rappelant une entrée rapide et soudaine par une porte ou dans l’eau’ (GBa) ; gua. floup ‘glace qu’on vend dans un sachet en plastique long et étroit et qui occupe tout le sachet’ (LMPT ; T/ B) ; mart. id. (floup en F.R.A.) (RCo) ; guy. id. ‘sucette glacée de diverses couleurs’ (GBa) ; haï. floup flap ‘snippety-snap, zip [to express rapid action]’ ; floup floup ‘flip-flop, flip-flap [flapping sound made by object not firmly attached]’ (HCED) ; mart. fyoup-fyoup (on.) ‘onomatopée indiquant un contact rapide, généralement des lèvres ou des mains’ (RCo). <?page no="250"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 240 Onomatopée. Cf. Enckell / Rézeau vloup ‘(bruit produit par un avalement glouton). Le nom de marque Floup µ µ µµ ° æ ! www.floup.com/ historique-floup. Die Aufnahme von Onomatopöien begründet sich zum einen durch den exhaustiven Charakter des DECA, das keine Auswahl aus den in den einzelnen Wörterbüchern registrierten kreolischen Wörtern vornimmt - auch wenn im Einzelfall Zweifel an der Usualität onomatopoetischer Wörter bestehen mögen, so lässt sich der gegenteilige Beweis im Rahmen eines etymologisch-lexikographischen Projektes nicht führen. Aus synchron semantischer Sicht stellen Onomatopöien insofern ein Problem dar, als nicht in jedem Fall, wie auch das Beispiel floup zeigt, überzeugend eine lexikalische Bedeutung postuliert werden kann. Vor dem Hintergrund des einzelsprachlichen Charakters von Onomatopöien - französische Hähne krähen bekanntlich anders als deutsche oder englische - sind kreolische Onomatopöien durchaus von Interesse: setzen sie überwiegend französische Bildungen, wie sie etwa im Wörterbuch von Enckell/ Rézeau zusammengetragen sind, fort oder lassen sich auch nicht französische Onomatopöien finden und wenn ja, in welchem Umfang? 2.3 Vocabulaire des îles Das Ziel des DECA ist weniger die étymologie-origine als vielmehr die étymologie-histoire du mot, mit Baldingers Worten die Biographie der Wörter 3 . Im Einzelfall führt diese Zielsetzung zu Problemen bei der Einordnung der Wörter, die mit den Entstehungsbedingungen der amerikanisch-karibischen Kreolsprachen zusammenhängen. Eine besondere Gruppe innerhalb des kreolischen Lexikons stellen Entlehnungen aus dem Spanischen, Portugiesischen oder amerindischen Sprachen dar, die im Französischen entweder durch Reiseberichte oder Wörterbücher belegt sind, bevor sich um die Wende zum 18. Jahrhundert das Kreolische herausgebildet hat, und die heute teilweise Bestandteil des Standardfranzösischen sind wie etwa ananas: anana, zannanna n. ‘ananas’ Brésil : « Oultre il y a deux sortes de fruicts merueilleusement bons : l’un qu’ils appellent Nana… » (Barré 1555 dans Arveiller 51) ; « Premierement la plante qui produit le fruict nommé par les sauvages Ananas, est de figure semblable aux glaieuls… » (Léry 1580/ 1994, 325) { Mais il faut aduoüer 3 „L’étymologie au sens moderne, c’est donc la biographie du mot”, zitiert nach Pfister 1980, 73. <?page no="251"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 241 que ces isles ont le roy des fruits, & ¨ æ × æ × point en Fr-ce d’égal en bonté, qu’on l’appelle anana » (Bouton 1640, 60-61) ; haï. z’anana (SDu 289), zannanna, (z)anana, zalanna, a(n)nanna ‘pineapple’ (HCED) ; a(n)nana, zanna (16) ‘id., Ananas comosus’ (ALH 1619) ; ant. zannana ‘id.’ (RGe) ; gua. zannanna ‘id.’ (LMPT) ; mart. zannanna ‘id., Bromelia ananas’ (EJo 289) ; ‘id., Ananas comosus’ (RCo) ; StLuc. id. (JMo) ; guy. id., zannana ‘id.’ (GBa) ; gua. pye zannanna ‘ananas (plante)’ (LMPT) ; haï. zannana kochon ‘kind of pineapple’ ; zannanna penn sik ‘especially sweet and juicy kind of pineapple’ (HCED) ; mart. zannanna bwa/ rouj ‘esp. d’ananas’ ; zannanna sovaj ‘Pitcairnia penduliflora’ (EJo 289). GFr 51 : tupi ananá, naná, guarani naná, galibi nana (1664) ‘ananas’. × © Q { "$-54), qui la résume en ces termes : « En conclusion, la forme définitive du mot, en français, se lit d’abord ? <µ ¨! æ | voir pris le terme directement à un parler brésilien. Le µ ¨ } µ ° | ×ananas à un public cultivé. Mais il faut faire leur place à d’autres facteurs : le vocable, bien assimilé, utilisé dans le récit d’un voyageur français [Laudonnière] dès 1586, semble appartenir au vocabulaire international des marins croisant dans la mer des Antilles ; Espagnols et Portugais ont dû tous deux contribuer à l’y répandre » (54). - FEW 20, 56a. Zannanna als ein Wort französischen Ursprungs zu buchen, erscheint vor diesem Hintergrund als wenig überzeugend, es scheint vor allem in den karibischen Kolonialgesellschaften verbreitet gewesen zu sein, und auf diesem Wege, ohne den Umweg über Europa, könnte es in den kreolischen Wortschatz sowohl in der Karibik als auch im Indischen Ozean gelangt sein. In diesem Fall fand also ein direkter Transfer eines amerindischen Wortes ins Französische 4 und von dort ins Kreolische statt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass jedes Wort aus dem Französischen des 17. Jahrhunderts, aber auch jedes Lehnwort aus dem Spanischen oder aus amerindischen Sprachen, das in französischen Texten des 17. Jahrhunderts nachgewiesen ist (Bouton 1640, Du Tertre 1654 usw.) in der Sprache der ersten Sklaven existiert haben kann und von Generation zu Generation weitergegeben wurde, ehe sich ein stabiles Kreol herausbildete. Da die Annahme, alle Wörter aus den amerikanischen Kontaktsprachen der Kolonialzeit wären Rückwanderwörter, vor diesem Hintergrund wenig plausibel ist, erscheinen derartige Wörter im zweiten Teil, 4 Die Möglichkeit dazu bot sich durch den Kontakt mit den Indianern in der französischen Kolonie der France Antarctique (1555-58), beschrieben bei Jean de Léry, Histoire d’un voyage faict en la terre du Brésil. <?page no="252"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 242 auch wenn sie im Französischen deutlich vor der Entstehung eines Kreols belegt sind. In der Kreolistik hat sich seit der Arbeit von Robert Chaudenson zum Wortschatz des Kreolischen von Réunion für diese Gruppe von Wörtern der Terminus vocabulaire des îles eingebürgert, dieser ist jedoch vor dem Hintergrund der Kreols des Indischen Ozeans zu verstehen: « Rocou », « maringouin », « ajoupa » sont issus de dialectes brésiliens, « goyave » ou « latanier » sont d’origine caraïbe, l’espagnol a fourni « morne », « maron », « négritte »… La présence de ces termes aux Mascareignes dès la fin du XVII e et le début du XVIII e siècle prouve qu’en dépit de la diversité de leurs origines, on doit les regrouper, puisque, manifestement, ils n’appartenaient plus alors à ces divers parlers, mais à la langue des marins, des négriers et des colons, à ce que nous pourrions appeler « le parler des Iles » (Chaudenson 1974, 592). Für die amerikanischen Kreols ist dieser Terminus schwerer zu fassen, und er wird von Dominique Fattier in den Kommentarbänden des ALH sehr uneinheitlich verwendet. Sie bezeichnet damit nicht nur Wörter, die sowohl in den amerikanischen Kreols wie auch in denen des Indischen Ozeans vorkommen, sondern auch solche, die nur in Haiti und auf den kleinen Antillen nachgewiesen sind 5 , scheint ihn also - vermutlich aufgrund semantischer Kriterien - eher im allgemeineren Sinne eines kolonialen Regionalfranzösisch der Antillen zu verstehen. Eine solche weite Auslegung des Begriffs ist - bei aller Berechtigung im Kontext der Erforschung der français expatriés - für das DECA jedoch nicht praktikabel und würde wiederum zur Verzerrung der Sprachgeschichte führen. 3 Die Artikel Die Artikel der Première Partie enthalten in der Lemmazeile nach dem französischen Etymon die Angabe der Wortart und gegebenenfalls des Genus, sowie bei Wörtern, die auch in den Kreolsprachen des Indischen Ozeans belegt sind, die Angabe OI ‘Océan Indien’. In der Deuxième Partie ist das Lemma eine kreolische Form, es folgen die Angabe der Wortart und der Bedeutung. Sofern das Etymon bekannt ist, erscheint als Lemma die kreolische Form, die ihm am ähnlichsten ist. Die Anordnung der Belege folgt der Geographie: beginnend mit Louisiana im Norden über Haiti, die Kleinen Antillen bis Französisch-Guayana im Süden. Nach dem 5 Vgl. etwa „Le même emploi étant attesté en guad. (MB), nous pouvons faire l’hypothèse que ce mot composé a appartenu au vocabulaire des Isles” (ALH 2, 797). <?page no="253"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 243 « {} « ? ! etymologische Kommentar: chasse n. f. - OI lou. chas ‘chasse’ ; lachas, lachach ‘chasse ; prise’ (DLC) ; haï. chasse ‘rut (se dit surtout des chiens) ; verte réprimande’ (Faine) ; (la)chas ‘hunt, hunting’ (HCED) ; ant. chas ‘chasse’ (RGe) ; lachas ‘id.’ ; ale lachas ‘aller à la chasse’ (ALPA 131) ; gua. lachas ‘chasse’ (LMPT) ; chas ‘id. ; chasse d’eau’ (T/ B) ; mart. id. ‘engueulade ; (néol.) chasse (de W.C.)’ ; lachas ‘chasse’ (EJo 131 ; RCo) ; guy. chas ‘id.’ (GBa) ; ant. an chas ‘se dit des bêtes en chaleur’ (RGe) ; guy. id. (GBa) ; gua. id. (T/ B ; MBa : se dit seulement d’une femelle) ; haï. an chas (11)/ rechas (4) ‘en rut’ (ALH 1742) ; lou. lachas, lachach ‘chasser (qch), aller à la chasse’ (DLC). Le terme an chas × ! #! -#%} : Nfr. en chasse ‘en rut’ (seit Lar 1929), norm. chasse ‘rut (surtout de la vache)’ DT […] Alençon en chasse (des vaches, des chattes), nant. Blain, bmanc. hmanc. ang. id. (des vaches), Perche id. Chap 1, 271, Niort, loch. id. Anders als im DECOI werden die Belege nicht in phonetischer Umschrift erfasst, sondern in der offiziellen haitianischen Orthographie, die auch in den beiden von Albert Valdman verfassten Wörterbüchern (DLC, HCED) verwendet wurde. Die Belege aus anderen Quellen, die entweder der GEREC(-2)-Orthographie oder einem eigenen System folgen, werden entsprechend umgesetzt; sind die Abweichungen jedoch zu groß, wird die ursprüngliche Graphie mit notiert, um die Auffindbarkeit des Belegs zu gewährleisten. Grammatische Informationen aus den Quellen werden, sofern sie sich auf die Angabe der Wortart beschränken, die in den Frankokreolsprachen durchaus sehr umstritten ist, nicht in die Artikel aufgenommen, Anmerkungen zur Syntax werden dagegen ebenso wie diasystematische Markierungen berücksichtigt. Phraseologismen und Kollokationen, an denen vor allem HCED sehr reich ist, werden soweit möglich 6 übernommen, bevorzugt diejenigen, die nicht einfach nur der kreolischen Übersetzung einer französischen Wendung entsprechen. 6 Das DECA soll sowohl in einer Onlineals auch in einer Printversion erscheinen, Überlegungen zum Umfang sind daher unerlässlich. Inwieweit die gedruckte Ausgabe die Phraseologismen und Kollokationen ebenso vollständig enthalten wird wie die Online-Version, ist zurzeit noch nicht entschieden, wahrscheinlich ist jedoch, dass nur eine Auswahl daraus übernommen wird. Vorabversionen - fichiers provisoires - bereits bearbeiteter Buchstaben können über www.uni-bamberg.de/ romling/ deca eingesehen und heruntergeladen werden. <?page no="254"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 244 3.1 Alte Belege ! ~ { « französischen Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts voran; die geographischen Angaben werden dann mit Majuskeln notiert, um deutlich zu machen, dass es sich nicht um kreolische, sondern um französische Belege handelt. Viele dieser Reiseberichte sind mittlerweile online über gallica.bnf.fr zugänglich; durch das Internet stehen aber noch weitere Recherchemöglichkeiten zur Verfügung, die im Einzelfall ein anderes Licht auf die Wortgeschichten werfen, so dass sich die Frage der Einordnung in die Première Partie oder die Deuxième Partie erneut stellt. So wurde fig ‚Obstbanane’ im DECOI als mot des îles indo-portugiesischen Ursprungs gebucht, denn das indoportugiesische syntagmatische Kompositum figo da India (1502, Dalgado), auf das auch die französische Lehnübersetzung figue d’Inde (1713) zurückgeht, kam als einzige mögliche Basis in Frage - figue alleine hat im Französischen Chaudenson (1974, 560) zufolge niemals die Banane bezeichnet. Andreas Blank (1998) hat in diesen im Indischen Ozean belegten Verwendungen auch die Basis für die Formen aus den amerikanischen Frankokreols gesehen, denn natürlich fuhren die Schiffe nicht nur in eine Richtung, Reisende aus dem Indischen Ozean in die Karibik konnten fig durchaus mitbringen. Aus frantext, aber auch aus online zugänglichen Reiseberichten lassen sich heute allerdings Daten gewinnen, die fig eher in einen europäischen Rahmen stellen: Zum einen findet sich schon bei Léry 1578 ein Beleg für figue ‚Obstbanane’, zum anderen wirft frantext auch einen Beleg für figue d’Adam (1637) aus, der anders als der Léry-Beleg nicht in einem amerikanischen Zusammenhang steht, sondern wie die deutsche Entsprechung Adamsfeige in eine ganz andere Richtung weist, nämlich Richtung Genesis. Schon Du Tertre (1654) hatte darauf hingewiesen, dass man, wenn man eine Banane durchschneidet, ein Kreuz auf der Schnittfläche entdecken würde, weswegen sie von einigen für die verbotene Frucht gehalten wurde. Labat (1724) sieht diese Auffassung vor allem unter Spaniern verbreitet, zeigt sich aber, was das Kreuz angeht nicht überzeugt: Ant. Quand on le [le fruit] coupe, on voit vne belle Croix imprimée sur chaque tronçon: c’est ce qui a fait croire à plusieurs, que ce fruict est le mesme qu’Adam mangea dans le Paradis terrestre, & qu’au mesme instant il vit dans la cause de son malheur & du nostre, le signe de nostre redemption (du Tertre Q\-* #$-& { < ! ° æ × µ! µ æ c’est là le fruit deffendu, & et que le premier homme vit en le mangeant le mystere de sa reparation par la croix. Il n’y a rien d’impossible là dedans; Adam pouvait avoir meilleure vûë que nous, ou la croix de ces bananes étoit <?page no="255"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 245 mieux formée: quoiqu’il en soit il est certain que ce fruit ne se trouve pas seulement dans l’Amérique mais encore dans l’Afrique, dans l’Asie & sur tout aux environs de l’Eufrate où on dit qu’étoit le Paradis terrestre (Labat 1724, I, 219). Die Frage, welche Holzgewächse im Garten Eden wuchsen und vor allem, welches denn die verbotene Frucht war, beschäftigte die Gelehrten nun freilich schon seit Jahrhunderten und die Banane kommt hier schon sehr früh ins Spiel - zuerst wohl bei Brunetto Latini im Livre du Trésor (beendet 1248) (Genaust 2005 ( 3 1996), 456-457). Fig ‚Obstbanane’ steht somit vor allem in einer europäischen Tradition, weniger in einer kolonialen, daher haben wir es im DECA in die Première Partie aufgenommen. 3.2 Ableitungen und Zusammensetzungen Nach dem Zeichen folgen wie im DECOI auch im DECA kreolische Neubildungen, der besseren Übersichtlichkeit wegen jedoch getrennt: zuerst die Ableitungen, dann die Komposita, in denen die kreolische Form als Erstelement auftritt, zum Schluss diejenigen Komposita, in denen die kreolische Form als zweites Element erscheint. Insgesamt spielt die Derivation für den Ausbau des kreolischen Wortschatzes keine sehr große Rolle; ungleich wichtiger ist die Komposition, die zu Hunderten von Neubildungen geführt hat, vor allem im Bereich von Flora und Fauna. Es liegt auf der Hand, dass in den tropischen Kolonien zahlreiche Pflanzen und Tiere zu benennen waren, die weder den Europäern noch vielfach auch den Afrikanern bekannt waren. Aus der Perspektive des Lexikographen stellt sich vorrangig das Problem, wie die Daten in unserem Wörterbuch zu präsentieren sind. Im DECOI haben wir nach langem Überlegen und Beratungen mit Kollegen eine streng alphabetische Reihenfolge gewählt, die aber nicht wirklich befriedigen kann. Einen Eindruck vom Umfang des Problems mag das folgende Beispiel liefern: cheval, aux n. m. - OI lou. chval, chwal, chfal, chvo, chwòl, swal, chvo (pl.), chwo (pl.) ‘cheval’ (DLC) ; haï. choual ‘id.’ (SDu 304 ; Faine) ; chwal, cheval, chival, chouval (3) ‘id.’ (HCED ; ALH 1811) ; ‘[voodoo] initiate who is possessed by a divinity, voodooist in trance, voodoo priest ; victim, scapegoat’ (HCED ; ALH 1341) ; (ti) chwal, chwal malen/ san batize ‘enfant qui n’est pas baptisé, qui est baptisé longtemps après sa naissance, qui meurt non baptisé’ (ALH 1136) ; ant. chuval, chouval, chival ‘cheval’ (RGe chuval) ; chouval ‘id.’ (ALPA 96) ; gua. chèval, chival, chouval ‘id.’ (LMPT ; MBa ; ALPA 96)) ; ‘cale (que l’on met de part et d’autre du canot pour l’empêcher de basculer quand on l’a tiré à terre)’ (T/ B) ; <?page no="256"?> Annegret Bollée/ Ulrike Scholz 246 mart. chouval, chival, chwal (arch.) ‘cheval’ (RCo) ; StLuc. chouval ‘id., nag, steed’ (JMo ; KD) ; guy. chouval ‘cheval’ (GBa) ; haï. chwal alman/ angle ‘tall woman [pej.] ; beast [person]’ (HCED) ; mart. chouval antye ‘étalon’ (EJo 26) ; haï. chwal batay ‘bruiser, muscle man’ ; chwal be (< bai) ‘reddish-brown or bay horse’ (HCED) ; chwal Bondye ‘grasshopper’ (HCED ; ALH 1899 et 2, 812) ; M-G chouval a bon dye ‘phasme brindille’ (MBa) ; mart. chouval-bondye ‘phasme, Bacteria bellangari/ bicornis/ maxiwelli’ (RCo ; ALPA 121) ; StLuc. Chouval Bondye ‘praying mantis’ (KD) ; guy. chouvalbondje ‘grosse sauterelle verte (phasme ou mante religieuse)’ (GBa) ; haï. chwal bwa ‘hobbyhorse ; straw man, front’ (HCED) ; ‘grasshopper’ (HCED ; ALH 1899 et 2, 812) ; gua. chouval bwa ‘phasme (nom générique)’ (T/ B ; ALPA 121) ; M-G id. ‘manège de chevaux de bois’ (MBa) ; mart. chouval-bwa ‘manège ; cheval en bois (de manège)’ ; asou dènye won chouval bwa’w ‘n’en avoir plus pour très longtemps’ (RCo) ; StLuc. chouval bwa ‘merry-go-round’ ; ‘praying mantis’ (JMo) ; guy. chouvalbwa ‘manège de chevaux de bois’ (GBa) ; lou. chval-djab, chwal djab ‘mante religieuse, Stagmomantis carolina ; criquet, acridien’ (DLC) ; haï. cheval-diable ‘insecte, grosse libellule’ (Faine) ; chwal dyab ‘grasshopper’ (HCED) ; ant. chouval a dyab ‘insecte étrange de 10 cm environ, ressemblant à une bûchette montée sur des échasses’ (RGe ¾ ) ; gua. id. ‘phasme (insecte grêle et long imitant la forme et la couleur des tiges sur lesquelles il est posé’ (LMPT ; MBa ; ALPA 121/ 12) ; haï. chwal gri ‘glouton’ (ALH 881/ 6) ; StLuc. chouval kous ‘racehorse’ (JMo) ; haï. chwal lanmè ‘seahorse’ (HCED) ; mart. chouval-lanmè ‘id.’ (RCo) ; StLuc. id. ‘id., walrus’ (JMo) ; lou. chwal lasel ‘cheval de selle’ (DLC) ; haï. chwal papa ‘automatic privilege, inherent right’ ; chwal ponpadò ‘bucking horse’ ; chwal ren long ‘long-suffering person’ (HCED) ; mart. chouval-twapat ‘cheval à trois pattes (figure diabolique de la mythologie créole)’ (RCo) ; chouval vapè ‘horsepower’ (JMo) ; haï. chwal voltij ‘vaulting horse [gymnastics]’ ; chwal zonbi ‘praying mantis’ (HCED) ; StLuc. ale a chouval ‘to ride’ (JMo) ; haï. achwal ‘on horseback ; astride’ ; ‘rough’ ; manman chwal ‘mare’ (HCED) ; StLuc. ti chouval ‘pony ; merry-goround’ (JMo) ; lou. ti chwal ‘poney, petit cheval’ (DLC) ; haï. id. (HCED). Les désignations d’insectes sont peut-être des survivances avec changement µ µ ! #! Q$ : Poit. ChefB. chevau-au-diable ‘libellule’ […] Saint. chevau dau diable ‘mante’, louis. cheval diable. - Neufch. cheval de bon Dieu ‘cétoine (insecte)’ […] Bress. chevau di bon-Dieu ‘araignée d’eau’. À propos du composé haï. chwal gri ‘glouton’ < cheval gris DFa remarque : Nous comprenons mal la logique de la comparaison. Eine geographische Reihung der Komposita scheint nicht sinnvoll, weil dadurch semantisch zusammengehörige Bildungen (z.B. chouval-bondye, chwal Bondye, usw.) an verschiedenen Stellen erscheinen. Angesichts der lautlichen und graphischen Variation des lexikalischen Typs cheval wäre eine alphabetische Anordnung ebenfalls sehr problematisch. Wir haben <?page no="257"?> Das Dictionnaire étymologique des Créoles français d’Amérique (DECA) 247 uns - jedenfalls vorläufig - dafür entschieden, die Reihung nach der zweiten Konstituente vorzunehmen, also angle - batay - bondye - bwa - dyab, und innerhalb der dadurch entstehenden Gruppen wiederum nach geographischer Verteilung. Beim gegenwärtigen Stand unserer Arbeit haben alle Lösungen der auftretenden Probleme vorläufigen Charakter. Dieser Beitrag zu der Tagung über romanistische Wörterbuchprojekte versteht sich als ein Werkstattbericht, für kritische Anmerkungen und Vorschläge danken wir den Teilnehmern an der Diskussion in Rauischholzhausen und allen Lesern, die sich mit uns in Verbindung setzen wollen: deca.romling1@uni-bamberg.de. Literaturverzeichnis ABa = Bazerque, Auguste, (1969): Le langage créole, Basse-Terre, Guadeloupe, Imprimerie Artra. ALF = Gilliéron, Jules/ Edmont, Edmond (1902-1912): Atlas linguistique de la France, Paris, Champion. 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Jahrhunderts datieren können (Kramer 2012b, 247), weil der Sprachname (in der anglisierten Form Poppemento) schon 1747 bezeugt ist (Kramer 2008, 100-102), weil das erste längere Sprachzeugnis auf das Jahr 1775 zu datieren ist (Kramer 2004, 217-222) und weil gedruckte Texte von 1833 an eine nicht mehr abreißende Traditionskette einleiten (Kramer 2008, 105- 106). Wie fast überall in den kreolischen Gebieten beginnt die gedruckte Literatur mit religiösen Texten, also mit biblischen Geschichten, Katechismen, Gebetbüchern und Andachtsschriften (Bollée 2007, 154-157). Auf den ABC-Inseln hatten die protestantischen Niederländer die Christianisierung der Bevölkerung katholischen Missionaren überlassen, die zunächst aus dem benachbarten Venezuela kamen, aber seit 1704 waren Jesuiten aus den Niederlanden zuständig, denen von 1776 bis 1820 niederländische Franziskaner folgten; nach einem Zwischenspiel mit Weltgeistlichen waren von 1870 bis 2009 Dominikaner in der Seelsorge tätig (Marcha 2009, 28). Priester aus den Niederlanden spielten auch die entscheidende Rolle bei der Alphabetisierung der Bevölkerung, bei der Abfassung und beim Druck der ersten Schriften, wobei Martinus Joannes Niewindt (1796- 1860), 1824-1842 apostolischer Präfekt, 1843-1860 Bischof von Willemstad, zu einem wirklichen Pionier der Alphabetisierung der einheimischen Bevölkerung wurde (Marcha 2009, 46-71). Für Niewindt war es klar, dass die Mission sich auf Papiamento abspielen musste, um die Bevölkerung (damals 15.000 Katholiken auf Curaçao, 1.500 auf Aruba und 1.400 auf Bonaire) zu erreichen, und er lernte die Sprache auch schnell <?page no="262"?> Johannes Kramer 252 und hielt in ihr seine Predigten ab (Marcha 2009, 49). Die Idee, Schriften auf Papiamento zu drucken, scheint auf ihn zurückzugehen, wobei er wohl zwei Absichten verfolgte, nämlich einmal die christliche Lehre einfach und verständlich zusammenzufassen und zum anderen, den verbreiteten Analphabetismus zunächst in der Muttersprache zu bekämpfen, um dann den Weg zum Niederländischen leichter zu machen. Von einem ersten Katechismus aus dem Jahre 1826 haben wir Kenntnis, aber es ist bislang noch kein Exemplar aufgetaucht; eine zweite Auflage aus dem Jahre 1837 liegt heute als Nachdruck vor, die dritte Auflage von 1852 diente als Basis für den ersten wissenschaftlichen Aufsatz zum Papiamento (Teza 1863). Die älteste erhaltene Papiamento-Druckschrift ist Niewindts vierseitige Sendschrift Prefecto Apostolico di Curaçao na Cristian di su mision von 1833, die in einem kommentierten Faksimile von 2002 vorliegt. Die Alphabetisierung diente, wie gesagt, dazu, den Weg zur eigentlichen Landessprache Niederländisch zu ebnen, und so erschienen schnell Werke sprachlichen Inhalts. Jacobus Josephus Putman (1812-1883), der von 1836 bis 1853 in der Pfarrei Santa Rosa in Otrobanda tätig war und seit 1848 die erste Druckerei betreute, veröffentlichte 1849 die erste niederländische Grammatik, der 1853 zweispaltige Alltagsdialoge folgten, links der niederländische, rechts der Papiamento-Text, und längere Wortlisten können als erste Vorläufer eines Wörterbuchs angesehen werden (Kramer 2008, 107). Ein Nachdruck der Gemeenzame zamenspraken von J. J. Putman (ohne Nennung des Autors) bildete dann den zweiten Teil eines 1859 anonym erschienenen Buches mit 142 Seiten, dessen erster, 94 Seiten umfassender Teil das erste Wörterbuch des Papiamento darstellt. Von diesem Werk hat sich nur ein einziges Exemplar erhalten, das seit 2004 durch einen Faksimile-Nachdruck zugänglich ist. Henny Coomans und Maritza Coomans-Eustatia haben in mühsamer Kleinarbeit herausgearbeitet, dass Bernardus Frederiks (1826-1902), der von 1849 bis 1860 Sekretär von Bischof Niewindt war und von 1863 bis 1893 Pfarrer der St. Anna-Kirche in Otrobanda war, der Verfasser dieser Woordenlijst der in de landstaal van Curaçao meest gebruikelijke woorden war (Kramer 2008, 108-109). Die Form dieser Woordenlijst ist eine nach Sachgebieten geordnete Liste, die links das Papiamento-Wort und rechts die jeweilige niederländische Entsprechung bietet; ab S. 47, wo die Liste der bijwoorden ‚Adverbien‘ und voegwoorden ‚Konjunktionen’ beginnt, ist die Reihenfolge umgedreht, und das gilt auch für die Liste der werkwoorden ‚Verben’ (S. 51-93), die nach dem niederländischen Lemma alphabetisch geordnet ist. <?page no="263"?> Wörterbücher des Papiamento 253 Dieses prinzipiell - modern ausgedrückt - onomasiologische Wörterbuch begründete für das Papiamento eine bis heute lebendige Tradition, wie gleich noch zu sehen sein wird. Eine moderne Umstellung dieses Wörterbuchs nach semasiologischen Kriterien, bei der das Papiamento-Wort in der Graphie von 1859 das Lemma bildet, ergänzt durch die heutige Wortform in der Curaçao-Schreibung, durch die deutsche Bedeutung, durch eine kurze etymologische Angabe und durch das genaue Zitat nach der Originalausgabe von 1859, macht die Woordenlijst für heutige wissenschaftliche Benutzer zugänglich (Frederiks/ Kramer 2009). Die behandelten Themenbereiche sind (in deutscher Kurzform; die genauen Formulierungen bietet Kramer 2008, 109-110): christliche Termini [1-5], menschlicher Körper [5-7], Haus [7-10], Früchte [10-12], Lebensmittel [12-13], Tiere [14-16], Verwandtschaft [16-18], Welt [18-20], Zeit [20-21], Festtage [22], Maße und Gewichte [23], Schule [23-24], Spiele [25-26], Stadt [26- 27], Land [27-28], Kleidung [29-30], Stoffe [30], Krieg [30-31], Handwerk [31-32], Leben [32-34], Farben [34], Gerätschaften [34-35], Tierarten [35- 36], Nachträge [36-42], Adjektive [42-46], Adverbien und Konjunktionen [47-50], Verben [51-93]. Die Angaben des Wörterbuchs sind normalerweise Eins-zu-eins-Entsprechungen, das heißt, einem Papiamento-Wort entspricht ein niederländisches Wort. In wenigen Fällen sind zwei Entsprechungen angeführt. Phraseologische Angaben findet man nicht. Den niederländischen Angaben geht häufig, aber nicht immer, der bestimmte oder unbestimmte Artikel voran, den Papiamento-Substantiven geht ab und zu der unbestimmte Artikel oen voran, der bestimmte Artikel e(s) findet sich nie. Die Papiamento-Wörter sind konsequent nach den Regeln der niederländischen Orthographie geschrieben, nur gelegentlich schimmern Anklänge an die spanische Orthographie (cielo, cena, circa) durch (Kramer 2012b, 250-253). Die Woordenlijst ist wohl in erster Linie für Papiamento-Sprecher bestimmt gewesen, die ihren niederländischen Wortschatz zu vervollkommnen trachteten, und für Leute in der ersten Phase der Sprachaneignung ist natürlich eine onomasiologische Reihung praktischer als die Ordnung nach dem Alphabet, das man ja gerade erlernt hat. Es ist aber auch daran zu denken, dass Neuankömmlinge aus den Niederlanden, zum Beispiel die auf die Inseln entsandten Kleriker und Nonnen (1842 trafen die ersten Schwestern ein, die Mädchen zu unterrichten hatten, Marcha 2009, 168-184), beim Erlernen des Papiamento auf die Woordenlijst zurückgriffen, die sie auf die sprachliche Situation vorbereiten konnte, der sie entgegenzutreten hatten. <?page no="264"?> Johannes Kramer 254 Die Nützlichkeit der Woordenlijst kann man daran erkennen, dass 1869 ein unveränderter Neudruck erschien; aus den Zamenspraken zitiert Jacobus van Ginneken (1913, 283-285) einige Abschnitte. Die Tradition der onomasiologischen Wörterlisten fand auf Curaçao durchaus Fortsetzung. Das erfolgreichste Buch in dieser Kette stammt von Willem Manuel Hoyer (1862-1953), dessen Woordenlijst en samenspraken 1908 anonym auf 80 Seiten erschien und die Basis bildete für Woordenlijst en samenspraak, das 1918 zum ersten Male erschien und inzwischen in der neunten Auflage von 2011 zu benutzen ist. Bis einschließlich der sechsten Auflage von 1950 war diese Woordenlijst in einer Orthographie geschrieben, die sich leicht ans Spanische anlehnte, ohne ihr sklavisch zu folgen (Kramer 2012b, 254-255), aber für die siebte Auflage von 1980 hat Antoine J. Maduro das Buch an die „phonologische“ Schreibung von Curaçao und Aruba angepasst, um es dort weiter verwenden zu können. Es gibt auch eine Fassung der dreißiger Jahre, wo die dritte Spalte englisch statt spanisch ist, aber sie hatte weniger Erfolg. Diese Woordenlijst hat die übliche onomasiologische Ordnung, in deutscher Übersetzung: Körper [5-7], Gebrechen und Krankheiten [7-9], Verwandtschaft [9-11], Stadt [11-12], Haus [12-13], Möbel [13-15], Küche [15-16], Speisen [16-17], Getreide und Gemüse [17-18], Bäume und Früchte [18-20], Fische [20-21], Vögel [21-22], Tiere [22-24], Getränke [24- 25], Farben [25-26], Land, Landbau, Stall [26-28], Kleider [28-31], Handel [31-33], Maße und Gewichte [33-34], Stoffe [34-35], Metalle und Mineralien [35-36], Zahlen [36-38], Zeitangaben [38-39], Wochentage [39- 40], Monate [40], Festtage [40-41], christliche Termini [41-44], politische Ämter [44], Beamte [44-45], Berufe [46-47], Seefahrt [47-49], Krieg [49- 51], Länder- und Bewohnernamen [51-52], Schule [52-54], Werkzeuge [54-55], Baumaterialien [55-56], Musikinstrumente [56-57], Spiele und Unterhaltung [57], Weltall [57-58], Kunst und Wissenschaft [59-60], Tugenden und Schwächen [60-62], Eigenschaften [62-63], Adverbien [63- 66], Präpositionen und Konjunktionen [66-67], Verben, nach dem niederländischen Lemma alphabetisch geordnet [67-76]. Man sieht auf den ersten Blick, dass W. M. Hoyer eine Revision der Woordenlijst von Bernardus Frederiks vorgenommen hat: Die Unterteilung nach Sachgebieten ist etwas detaillierter und konsequenter, dem niederländischen und dem spanischen Wort ist immer der unbestimmte und in wenigen Fällen der bestimmte Artikel beigegeben worden, die Papiamento-Wörter weisen den unbestimmten, aber nie den bestimmten Artikel auf (also: een markt - un marshe - un mercado, aber het raadhuis - stathùis, stateis - el ayuntamiento, la alcaldía [11]). Die Anordnung der Verben nach dem <?page no="265"?> Wörterbücher des Papiamento 255 niederländischen Alphabet verweist ebenfalls deutlich auf die Vorlage. Die Struktur der Wortkorrespondenzen ist von den Eins-zu-eins-Entsprechungen geprägt, das heißt, einem niederländischen Wort entspricht ein Papiamento-Wort und ein spanisches Wort, und nur selten wird ein zweites Quasi-Synonym angeführt. Dass das Spanische als dritte Sprache verwendet wird, hat damit zu tun, dass zur Zeit der ersten Abfassung der Woordenlijst das Spanische zu einer Art Prestigesprache aufgestiegen war, das man gerne in der höheren Gesellschaft Curaçaos zur Schau stellte (Kramer 2012b, 253-254). Die englischen Fassungen der dreißiger Jahre hängen damit zusammen, dass die Ölindustrie dem Englischen einen ungeahnten Aufschwung verschaffte. Die Woordenlijst von W. M. Hoyer stellt übrigens nicht die letzte Blüte von onomasiologischen Wörterbüchern des Papiamento dar, nur hat sich inzwischen der Schwerpunkt des Interessentenkreises klar in die touristische Sphäre verlagert: Die Sprachführer für Touristen sind ebenfalls nach Sachgebieten gegliedert, wobei sich die eigentlichen Wortlisten an kurze Dialoge aus dem entsprechenden Umfeld anschließen. So ist der Führer Papiaments op Reis von Sidney und Debbie Joubert (2003), der angeblich hohe Umsatzzahlen hat, nach onomasiologischen Feldern gegliedert, in denen jeweils kurze Dialoge den Anfang bilden und dann eine Liste von einschlägigen Wörtern folgt. Die Bischofswürde für die niederländischen Antillen wurde von 1870 bis 1973 dem Orden der Dominikaner anvertraut, und Petrus Alexius Henricus Josephus van Ewijk (1827-1886) trat am 11. Juli 1870 sein Bischofsamt in Willemstad an (Marcha 2009, 77-84). Er war sich der Tatsache völlig bewusst, dass der Gottesdienst in der Sprache der Gläubigen stattfinden musste, und er verfasste persönlich die erste Papiamento- Grammatik (1874), eine Kurzfassung der Woordenlijst, zunächst ohne die niederländischen Entsprechungen (1876), die in der zweiten Auflage allerdings hinzugefügt wurden (1885), und vor allem das erste alphabetisch geordnete Wörterbuch (1875), das vom Niederländischen ausgeht und die Entsprechungen im Papiamento und im Spanischen bietet. Die spanische Spalte verfolgte den Zweck, die Beziehung zwischen Papiamento und Spanisch deutlich zu machen (und vielleicht den Lernenden, die Spanisch konnten, den Weg zu erleichtern). Das Wörterbuch hat 135 Seiten und umfasst etwa 8.000 Wörter. Diese Werke waren in erster Linie für die Neuankömmlinge aus den Niederlanden gedacht, die sich mit der Sprache ihres neuen Arbeitsgebiets vertraut machen wollten, und sie waren wohl auch für Bischof van Ewijk eine Übung in der Sprache seines Bistums. Zudem machte er in diesen Werken Vorschläge, die Ortho- <?page no="266"?> Johannes Kramer 256 graphie (nach niederländischem Vorbild) zu vereinfachen, um für die Sprecher selbst die schriftliche Handhabung der Sprache zugänglicher zu machen. Auch in einigen Einführungen ins Papiamento aus der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gibt es alphabetische Wortlisten. So findet man auf den Seiten 37 bis 82 ein Papiamento-Spanisches Vokabular in der Papiamento-Grammatik von N. J. Evertsz (1898), die dafür gedacht war, spanischsprachigen Besuchern oder Einwanderern in Curaçao schnell Sprachfertigkeiten zu vermitteln. Ein größeres zweisprachiges Wörterbuch erschien aber erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. 1945 publizierte Gerrit P. Jansen ein Wörterbuch Papiamento-Niederländisch von 166 Seiten, dem 1947 sein Niederländisch-Papiamento Parallelstück mit 229 Seiten zur Seite trat. Die Lago-Ölgesellschaft, die auf Aruba Arbeitskräfte aus den USA beschäftigte, ließ 1953 von diesem Wörterbuch durch E. A. L. Hassel eine etwas verkürzte englische Fassung von 144 Seiten anfertigen. Diese Wörterbücher enthalten simple Eins-zu-eins-Entsprechungen, wobei die Fassung von E. A. L. Hassel „a rather literal Dutch-English translation“ darstellt, denn „the English word list includes awkward Dutch-based noun compounds, etc.; Dutch-based spellings for many Pap. words are likely to mislead the English-speaking user“(Reinecke 1975, 169). Die Arbeit an besseren zweisprachigen Wörterbüchern wurde dadurch behindert, dass man sich nicht auf eine einheitliche Orthographie einigen konnte. Die am Niederländischen orientierte Schreibweise, mit der die Tradition in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen hatte, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielfach durch eine hispanisierende Orthographie abgelöst worden (Kramer 2012b, 251-255), aber wirkliche Konsequenz wurde kaum je erzielt, so dass im Grunde jeder so schrieb, wie es ihm richtig erschien. Erst der Kontakt, den antillianische Studierende in den Niederlanden mit neueren Strömungen der Sprachwissenschaft aufnahmen, führte dazu, dass in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts · © "QY#--1985) eine ortografia fonétiko vorgeschlagen wurde, in der prinzipiell jeder Laut durch einen Buchstaben (bzw. eine Buchstabenkombination) wiedergegeben wurde. Diese Schreibung, nach ihren Promotoren Römer-Maduro-Jonis-Orthographie genannt, wurde 1976 für Curaçao und Bonaire (unter dem Namen ortografia fonológiko) offizialisiert - aber da war es schon zu spät für eine einheitliche Regelung der Schreibweise, denn Aruba, das auf Trennung besonders vom verhassten Curaçao hinarbeitete, war jede von dort kommende Regelung inakzeptabel, und so beschloss das Insel- <?page no="267"?> Wörterbücher des Papiamento 257 parlament am 30. Oktober 1976, die alte hispanisierende Orthographie (unter dem Namen ortografia etimologico) beizubehalten, und dabei blieb es natürlich, nachdem Aruba am 1. Januar 1986 den ersehnten status aparte erhalten hatte. Bis heute hat sich die Situation nicht geändert, und es ist angesichts der Animositäten zwischen den Inseln auch unwahrscheinlich, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Die de-facto-Festlegung einer Zweiteilung der Schreibung des eigentlich ja relativ einheitlichen Papiamento in eine arubanische und eine für Curaçao und Bonaire geltende Variante machte aber den Weg frei für die Abfassung anspruchsvollerer Wörterbücher, deren Verfasser jetzt nicht mehr emigrierte Niederländer, sondern meistens geborene Antillianer waren. Den Anfang machte Mario Dijkhoff (*1950), der 1976 als Student ein bescheidenes Bokabulario Papiamentu-Ulandes/ Nederlands-Papiaments von 37 Seiten Umfang herausgab; die zweite Auflage von 1978, die beim auf Publikationen zu den Antillen spezialisierten Walburg-Verlag in Zutphen erschien, hatte schon 52 Seiten! Der Verlag und Mario Dijkhoff planten sehr bald die Herausgabe eines echten größeren Wörterbuchs, und ma } ? § · ! ¯ der Abhaltung von Papiamento-Kursen für Niederländer hatte, ein. 1980 erschien dann das Dikshonario/ Woordenboek bei Walburg, das Mario Dijkhoff, der übrigens 1984 in Münster mit einer Arbeit über die neue Orthographie des Papiamento promovierte, „unter Mitwirkung von Ma § · ~ { Angabe: Papiamentu-Ulandes, Ulandes-Papiamentu (Curaçao und Bonaire), Papiamento-Hulandes, Hulandes-Papiamento (Aruba), Papiaments-Nederlands, Nederlands-Papiaments. Die verwendete Schreibung ist die „Ortografia Fonológiko Römer/ Maduro/ Jonis“ [12], auch bei den für Aruba typischen Ausdruckweisen, die durchaus in großem Umfang berücksichtigt sind. Der Papiamento-Niederländische Teil umfasst 133 Seiten, der umgekehrte Teil hat 157 Seiten. Bei diesem Wörterbuch, das immer wieder nachgedruckt wird und sich auch heute noch gut verkauft, sind in den Fällen, in denen das nötig ist, zwei oder drei Bedeutungsvarianten angegeben, und auch die Phraseologie ist in dem Umfang, der für ein kleines Wörterbuch angemessen ist, berücksichtigt. Als Charakteristikum kann man sagen, dass es sich um ein Taschenwörterbuch handelt, das zuverlässige Angaben liefert. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts begannen die Arbeiten am ersten Handwörterbuch des Papiamento, das von Sidney M. Joubert bearbeitet wurde. Hier gibt es Angaben über die Prinzipien der Arbeit am Wörterbuch, über Vorarbeiten und Aufnahmekriterien <?page no="268"?> Johannes Kramer 258 (Joubert 1989). Antoine J. Maduro (1909-1997), der eifrigste einheimische Erforscher des Papiamento im 20. Jahrhundert, hatte ein Wörterbuch Papiamento-Niederländisch von A bis mazurka bearbeitet und das Manuskript an die Regierung von Curaçao übergeben, die Sidney M. Joubert mit der Überarbeitung und Vollendung beauftragte. Dieser Auftrag wurde in größerem Rahmen angegangen: Das neue Wörterbuch sollte die niederländischen Bedeutungen in größerem Rahmen angeben und Verwendungsweisen im Papiamento durch Beispiele verdeutlichen, auch uneigentliche und figurative Anwendungen herausstellen. S. M. Joubert schrieb (1989, 148): Den e dikshonario ku mi ta preparando, lo tin, banda di e entrada papiamentu, indikashon di kategoria di palabra, splikashon di e diferente nifikashonnan ku e respektivo entrada tin na ulandes, ehèmpel di uso di diferente entrada, etc. Motibu principal pa indiká kategoria di palabra i pa amplia base di e trabou ku Maduro a kuminsá, tabata karensia di tal tipo di dikshonario pa papiamentu i necesidat urgente di un dikshonario di tal índole. Zum ersten Male nahm dieses Wörterbuch sich andere Werke zum Vorbild, nämlich den großen van Dale für das Niederländische und das Handwoordenboek Spaans von van Dam, und zum ersten Male wurde ein vernünftiger Kurs bei der Einbeziehung eingebürgerter niederländischer und spanischer Elemente bei gleichzeitigem Ausschluss von unadaptierten Fremdwörtern gefahren, zum ersten Male wurden die Beratungen der 1984 eingerichteten Komishon di Standarisashon di Papiamentu berücksichtigt, die freilich in den neunziger Jahren ihre Aktivitäten eingestellt hat. 1991 erschien dann in Willemstad die erste Auflage des Dikshonario Papiamentu-Hulandes/ Handwoordenboek Papiaments-Nederlands; inzwischen benutzt man die fünfte Auflage mit etwa 25.500 Einträgen von 2007, die stark erweitert ist, u. a. durch die Einarbeitung des letzten Werkes von A. J. Maduro, eines Supplements zur ersten Auflage (1997). Der Parallelband Handwoordenboek Nederlands-Papiaments/ Dikshonario Hulandes-Papiamentu erschien 1999; die zweite Auflage mit etwa 32.500 Einträgen kam 2007 heraus. Man sieht an der Abfolge der Auflagen, wie sehr dieses Wörterbuch einem vorhandenen Bedürfnis nachkam, besonders was den Teil Papiamentu-Niederländisch betrifft, der wohl in jedem Haushalt der etwa hunderttausend Antillianer (Vedder/ Kook 2001, 176) zu finden ist, die vorübergehend oder ständig in den Niederlanden leben. Die Schreibweise ist jeweils den neuesten Regelungen angepasst worden: In der Auflage von 2007 sind die niederländischen Wörter nach den Spellingsregels van de Nederlandse Taalunie von 2005 geschrieben, für das Papia- <?page no="269"?> Wörterbücher des Papiamento 259 mento gilt die Lista di palabra papiamentu, die 2007 von der Fundashon Planifikashon di Idioma in Willemstad herausgegeben wurde. Auch bei diesem Werk sind die Sonderformen und -bedeutungen aus Aruba berücksichtigt, allerdings in die ortografia fonológiko umgesetzt worden. Im Anhang des Teils Papiamento-Niederländisch [389-398] findet sich eine Liste von 270 Minimalpaaren, die sich nur durch die Tonstruktur unterscheiden: Wenn - bei gleichbleibender Akzentuierung auf der ersten Silbe - die erste Silbe den Tiefton und die zweite den Hochton trägt, hat man meist verbale Bedeutung, wenn die erste Silbe den Hochton und die zweite den Tiefton hat, hat man es mit einem Nomen zu tun. Ein noch ambitiöseres Handwörterbuch, verfasst vom niederländischen Hispanisten Florimon van Putte (*1934) und von der von Curaçao stammenden Sprachlehrerin Igma van Putte-de Windt (*1938), die auch Autoren des besten und verbreitetsten Einführungswerkes ins Papiamento sind (1992), erschien 2005 (Dikshonario Papiamentu-Hulandes/ Groot Woordenboek Papiaments-Nederlands) und 2006 (Groot woordenboek Nederlands-Papiamentu/ Dikshonario Hulandes-Papiamentu). Dieses Wörterbuch vermeldet alle Abweichungen, die die Varianten von Aruba (immer umgesetzt in die ortografia fonológico) und Bonaire gegenüber der Lemma- Variante von Curaçao aufweisen, es gibt bei jedem Lemma die Wortart an (sus = sustantivo, ath = athetivo, atv = atverbio, ger = gerundio, num = numeral, kon = konhunshon, par = partíkula, pro = pronòmber, ver = verbo), es unterscheidet verschiedene Verwendungsarten durch römische Zahlen, es ist ausführlich in seinen Bedeutungsangaben und es liefert kurze Umschreibungen bei Angaben, die lokale Besonderheiten darstellen (für Pflanzen und Tiere sind die wissenschaftlichen Bezeichnungen in Klammern zugefügt). Dieses Wörterbuch gibt auch zum ersten Male die Papiamento-Quellen an, auf denen es beruht, denn die Verfasser haben sich nicht nur auf ihre Sprachkompetenz verlassen und Gewährspersonen befragt, sondern sie haben eine große Menge Texte zu unterschiedlichsten Gebieten herangezogen, um daraus Wörter und Wendungen zu beziehen, die dann ins Wörterbuch aufgenommen wurden. Bei den niederländischen Nomina ist immer die Pluralform sowie der Artikel angegeben, bei den Verben ist das Präteritum und die Partizip Perfekt Form genannt. Ich wüsste nicht, welches andere zweisprachige Wörterbuch einer Kreolsprache man diesem Groot Woordenboek zur Seite stellen könnte! Eine Ergänzung in der Richtung Niederländisch-Papiamento wird vom Banko di palabra Hulandes-Papiamentu von Thelma Anthonia (2008) dargestellt, worin schwierige Übersetzungen behandelt werden, die beim <?page no="270"?> Johannes Kramer 260 Übersetzen niederländischer Alltags- und Fachtexte ins Papiamento auftreten. Mit den drei Wörterbüchern von Dijkhoff, Joubert und van Putte ist zunächst der Bereich der Werke abgedeckt, die von der Variante von Curaçao ausgehen und die Abweichungen der beiden anderen Inseln davon nur angeben, wenn sie ins Auge fallen. Wörterbücher für Bonaire und Aruba gibt es nur in kleiner Zahl. Ein Spezialwörterbuch für Bonaire ist einer privaten Initiative zu verdanken. Die Kanadierin Betty Ratzlaff (*1927) kam 1949 nach Aruba und war dort in der Jugendarbeit tätig; 1983 wurde sie vom Missionssender Trans World Radio, der von Aruba aus sendet, mit der Abhaltung von Papiamento-Kursen beauftragt, woraus dann 1991 die erste Auflage des Wörterbuchs Papiamento-Englisch/ Englisch-Papiamento erwuchs. Nach ihrer Pensionierung kehrte Frau Ratzlaff 1997 nach Kanada zurück, aber schon 1998 heiratete sie ihren alten arubanischen Freund Bicento Henriquez (*1923), und seitdem teilen sie ihr Leben auf zwischen Kanada und Aruba. Die zweite Auflage ihres Wörterbuchs, die 2008 von der Stichting Jeugdwerk Jong Bonaire möglich gemacht wurde, hat den Anspruch, überall auf den ABC-Inseln verwendet werden zu können, aber die Basis ist die Variante von Bonaire. Das Wörterbuch enthält im Wesentlichen Eins-zu-eins-Entsprechungen, aber bei jedem Lemma ist die Wortart angegeben (sus, ath, ver etc.). Eine Besonderheit sind die kleinen Abbildungen, die typische Besonderheiten (Tiere, Pflanzen, geographische Gegebenheiten, wiedergeben. Das Wörterbuch ist auf Dünndruck-Papier erschienen und umfangreicher, als der erste Blick vermuten lässt: Die beiden Teile sind einzeln paginiert (Pap.-Engl. 284 Seiten; Engl.-Pap. 423 Seiten, dazu XXXVI Seiten Einleitung), und es werden jeweils etwa 20.000 Wörter behandelt. Das Wörterbuch von Betty Ratzlaff-Henriquez ist das umfangreichste und zuverlässigste Wörterbuch, das das Sprachenpaar Papiamento und Englisch behandelt. Man würde erwarten, dass es für Aruba mit seiner besonderen „etymologischen“ Orthographie mehrere Wörterbücher gäbe, aber das ist leider nicht der Fall. Das könnte damit zusammenhängen, dass Jossy Mehsen Mansur (*1934), der Autor der einzigen vorhandenen Werke, seine beträchtliche Macht als Mitglied der wirtschaftlich und politisch einflussreichen, aus dem Libanon stammenden Mansur-Familie dafür genutzt hat, dass keine „Konkurrenzunternehmungen“ auf den Markt kommen, aber das ist natürlich nur eine Vermutung. Jedenfalls ist J. M. <?page no="271"?> Wörterbücher des Papiamento 261 Mansur der Besitzer der arubanischen Zeitung Diario, in deren Buchreihe Edicionnan Clasico Diario die Wörterbücher erschienen sind. Die Wörterbücher von Jossy M. Mansur liegen in vier Versionen vor: 1991 erschien die Fassung Papiamento-Englisch/ Englisch-Papiamento, 1992 kamen Papiamento-Spanisch/ Spanisch-Papiamento und Papiamento-Niederländisch/ Niederländisch-Papiamento (1997 erweitert zum Diccionario avanza) heraus, und 1996 erschien sozusagen als Krönung das Diccionario di 5 idioma: Papiamento-Hulandes-Ingles-Spaño-Frances. Dieses letzte Wörterbuch, das 930 Seiten umfasst und eine alphabetische Liste der Wörter in fünf Sprachen (Papiamento [1-185], Niederländisch [188- 372], Englisch [375-558], Spanisch [561-744], Französisch [747-930]) umfasst, ist eine ganz typische Eins-zu-eins-Wortliste: Jedem Wort in der Sprache A entspricht e i n und nur ein Wort in der Sprache B, C, D, E, es gibt keine Angaben zur Wortverwendung oder zu grammatischen Kategorien, und von Quellen oder von Synonymik ist keine Rede. In den einzelsprachlichen Wörterbüchern sieht es etwas besser aus: Es gibt ab und an zwei Übersetzungsmöglichkeiten, es wird gelegentlich einiges an Phraseologie geboten, und an wenigen Stellen werden Synonyme ausgeschlossen. Grammatische Angaben fehlen jedoch auch hier, und die Wortauswahl erfolgte wohl nach persönlichen Vorlieben ohne Sprecherbefragungen, Literaturrecherchen oder sonstigen Kontrollen. Mit einem Wort: Die Wörterbücher von Jossy M. Mansur sind keineswegs auf dem lexikographischen Stand der neunziger Jahre, aber sie ermöglichen den Zugang zum Niederländischen, Englischen, Spanischen und sogar Französischen, und sie sind vor allem bisher die einzigen Wörterbücher, die in der Orthographie von Aruba abgefasst sind. Das neue kleine etymologische Wörterbuch Papiamento-Deutsch/ Deutsch-Papiamento (Kramer 2013), das erste Lexikon mit Deutsch als Erklärungssprache, hat ebenfalls die Aruba-Form als Ausgangslemma gewählt, weil das anvisierte romanistische Publikum mit der ortografia etimologico wohl besser zurechtkommt als mit der ortografia fonológiko. Als eigentliches Papiamento-Nachschlagewerk eröffnet das Wörterbuch seinen Benutzerinnen und Benutzern mit seinen Eins-zu-eins-Entsprechungen einen ersten Zugang zum Papiamento, aber der eigentliche Akzent liegt auf den Etymologien, die sich an die Angaben in der neugeordneten Woordenlijst von Frederiks (2009) anschließen. Etymologische Hinweise finden sich auch bei den Papiamento- Lemmata in der neu geordneten Ausgabe der Woordenlijst von 1859 von Bernardus Th. J. Frederiks (2009). <?page no="272"?> Johannes Kramer 262 Der Nestor der Papiamento-Wortforschung, Antoine J. Maduro, hat 1966 zwei Hefte Vorarbeiten zur Wortherkunft publiziert: Procedencia di palabranan papiamentu. Diese alphabetisch geordnete Wortliste bringt interessante etymologische Verknüpfungen, aber man muss immer bedenken, dass A. J. Maduro viele Wörter aus Dialekten Spaniens, z. B. aus dem Galizischen, herleiten möchte, weil er gegenüber den portugiesischen Elementen des Papiamento sehr kritisch eingestellt war. So leitet er die Papiamento-Form morto, ‘tot; Tod’ nicht von port. morto her, sondern sucht die Wurzel im Altspanischen, im Galizischen oder im asturianischen bable und schließt die grundsätzliche Bemerkung an (1966, I 47): Tá insensato atribuí tal sorto di palabranan incondicionalmente na idioma portugués, sin tene cuenta cu spañó di algun siglo pasá i principalmente cu dialectonan di Spaña. Die Tendenz, bei allen Wörtern, die im Spanischen einen Diphthong aufweisen, im Papiamento aber nicht, die Quelle in spanischen Dialekten zu suchen, ist unübersehbar, so dass man die Procedenca di palabranan papiamentu mit Vorsicht benutzen muss. Andererseits sind gerade bei schwierig zu erklärenden Wörtern gute Deutungen gelungen (besonders bei den älteren niederländischen Elementen). Etymologische Arbeit zum Papiamento ist ohne Heranziehung dieses Werkes von Antoine J. Maduro nicht möglich. Etymologien mit Diskussion der Vorschläge für insgesamt 270 Wörter bieten zwei Beiträge von Johannes Kramer (2011/ 2012a), die vielleicht als Ausgangspunkt für ein zukünftiges etymologisches Wörterbuch des Papiamento dienen könnten. Die lautgeschichtlichen Grundlagen, die jeder etymologischen Untersuchung zu Grunde liegen müssen, findet man in der klassischen Arbeit von Rodolfo Lenz (1928, 77-93), wo man auch ein nach Sachgebieten geordnetes „Estudio etimolójico i semántico del Diccionario Curazoleño“ (1928, 207-258) findet. Die Angaben sind zuverlässig, aber leider weist das Werk kein Register auf, so dass es nicht ganz einfach ist, bestimmte Wörter schnell zu finden. Zuverlässig sind auch die Angaben in der Dissertation von John Calhoun Birmingham (1970), wo ebenfalls ein Register fehlt und die Papiamento-Wörter in Lautschrift wiedergegeben sind. Welche Werke fehlen in der Papiamento-Lexikographie? Die zweisprachigen Werke weisen mit Dijkhoff 1980, Joubert 2007 und van Putte 2005/ 2006 ein beachtliches Niveau auf, von einer Qualität, die man bei Kreolsprachen selten findet. Man vermisst allerdings schmerzlich ein <?page no="273"?> Wörterbücher des Papiamento 263 einsprachiges erklärendes Wörterbuch, wie sie für das Französische mit dem Larousse oder dem Robert vorliegen. Sidney M. Joubert hat dieses Problem schon länger bemerkt (2007, X): „Ainda falta un dikshonario splikativo manera Grote Van Dale òf kualke otro dikshonario splikativo mas simpel, pero na papiamento.” Ein solches Wörterbuch könnte auch ausführlicher in der Berücksichtigung von Kollokationen und festen Redensarten sein, als es die vorhandenen Wörterbücher sind. Die schriftliche Überlieferung des gedruckten Papiamento beginnt in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, und die echte literarische Tradition ist gerade einmal einhundert Jahre alt, wenn man sie mit den Poesias von J. S. Corsen (1914) einsetzen lässt. Dennoch wäre ein Beleg- Wörterbuch durchaus nützlich und könnte die Entwicklung einer jungen Sprache schön belegen, denn die Materialien sind vorhanden und müssten nur elektronisch erschlossen werden. Schließlich fehlt ein echtes etymologisches Wörterbuch mit Diskussionen der Vorschläge. Dieses Wörterbuch könnte ein erster Bestandteil der Etymologien der Kreolsprachen mit starker Verbindung zum Spanischen (Palenquero, Chabacano) sein. Literaturverzeichnis Anthonia, Thelma (2008): Banko di palabra Hulandes-Papiamentu, Curaçao: Fundashon pa Planifikashon di Idioma. Birmingham, John Calhoun (1970): The Papiamentu Language of Curaçao, Virginia, Diss. Bollée, Annegret (2007): Beiträge zur Kreolistik (ed. Ursula Reutner), Hamburg, Buske. Corsen, Joseph Sickman (1914): Recopiladas y publicadas por unos amigos del finado autor, Poesias, Nijmegen, Kloosterman. Dijkhoff, Mario A. 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