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Zugezogene im Fokus

Sprachkontakterscheinungen im Regiolekt

1210
2014
978-3-8233-7918-8
978-3-8233-6918-9
Gunter Narr Verlag 
Cornelia Lorenz

Einheimische gelten als Bewahrer von Dialekten und regionalen Umgangssprachen, Zugezogene dagegen nicht. Bisher wurde jedoch kaum untersucht, welchen Einfluss Zugezogene tatsächlich auf den Erhalt regional verbreiteter phonetisch-phonologischer und lexikalischer Sprachmerkmale haben. Dieser Fragestellung geht die Autorin empirisch anhand von standardisierten Interviews mit 145 Personen in Ostwestfalen nach, die entweder dort aufgewachsen oder zugezogen sind. In umfangreichen prachwissenschaftlichen Tests (Vorlesetest, Erzählen einer Bildergeschichte, Salienztest, Wortschatztest) untersucht sie, inwiefern die Teilnehmer ostwestfälische Regionalismen einordnen konnten und realisierten. Die Ergebnisse erlauben wichtige Rückschlüsse, inwiefern regional verbreitete sprachliche Merkmale langfristig tradiert werden.

<?page no="0"?> Cornelia Lorenz Zugezogene im Fokus Sprachkontakterscheinungen im Regiolekt <?page no="1"?> Zugezogene im Fokus <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 550 <?page no="3"?> Zugezogene im Fokus Sprachkontakterscheinungen im Regiolekt Cornelia Lorenz <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Dissertation (Dr. phil.), Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld, 2013. © 2014 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6918-9 <?page no="5"?> 5 Kurzfassung Die vorliegende Dissertation untersucht, inwiefern sich Zugezogene regiolektal in einen Dialektraum integrieren, in dem sie selbst nicht sozialisiert wurden. 1 Studien zur dialektalen und regiolektalen Angleichung von Zugezogenen wurden im deutschen Sprachraum bisher selten durchgeführt: Wenn Zugezogene in der Dialektologie des Deutschen betrachtet wurden, dann vor allem unter dem Aspekt des Dialektabbaus (Harnisch 2010: 275): Häufig wurde das sprachliche Verhalten von Pendlern untersucht, deren Herkunftsregion und Arbeitsort in der gleichen großlandschaftlichen Dialektregion angesiedelt waren (vgl. z.B. Besch 1983). Im Gegensatz dazu untersuchten Barden und Großkopf solche Zugezogene, die in zwei unterschiedlichen großlandschaftlichen Dialektregionen sozialisiert und wohnhaft waren, nämlich sächsische Übersiedler im rhein-/ moselfränkischen Raum. Allerdings stand auch bei dieser Studie eher der Abbau von sächsischen Regionalismen als die Übernahme rhein-/ moselfränkischer Regionalismen im Fokus (Barden/ Großkopf 1998). In der vorliegenden Dissertation wurde untersucht, inwiefern Zugezogene sprachliche Merkmale kennen und verwenden, die regiolektal am neuen Wohnort vorkommen. Um sicherzustellen, dass die untersuchte sprachliche Angleichung tatsächlich mittels Regiolekt und nicht mittels Dialekt erfolgte, wurden die empirischen Daten für die Studie in einer ausgesprochen dialektschwachen Region erhoben, nämlich in Ostwestfalen. In Ostwestfalen ist der Abbau der Basisdialekte so weit fortgeschritten, dass die meisten jungen Erwachsenen über keine Niederdeutschkenntnisse verfügen. Der Regiolekt in dieser Region weist wenige Substratspuren des Niederdeutschen auf, die zudem großräumig verbreitet sind. Die sprachliche Angleichung von Zugezogenen wurde in der vorliegenden Querschnittsstudie anhand von solchen phonetisch-phonologischen und lexikalischen Merkmalen untersucht, die regiolektal in Ostwestfalen vorkommen. Einheimische und Zugezogene wurden daraufhin getestet, inwiefern sie diese ostwestfälischen Regionalismen realisierten und einordnen konnten. Zur besseren Vergleichbarkeit der Untersuchungsgruppen wurden im Rahmen der Studie ausschließlich Studierende an derselben Universität befragt. Um ausreichende Kontaktmöglichkeiten zwischen einheimischen und zugezogenen 1 Das Forschungsdesign der vorliegenden Studie sowie einige vorläufige Ergebnisse wurden bereits in mehreren Aufsätzen vorgestellt, nämlich in Nemeth 2011, Lorenz 2013a, Lorenz 2013b, Lorenz 2014. Die vorliegende Dissertation präsentiert alle Forschungsergebnisse erstmals detailliert und im Gesamtzusammenhang. <?page no="6"?> 6 Studierenden gewährleisten zu können, wurde dazu eine Universität mit einem hohen Anteil von Heimatstudierenden als Untersuchungsort ausgewählt, nämlich die Universität Bielefeld. Insgesamt 145 Studierende wurden standardisiert interviewt und nahmen an mehreren Tests teil. Die Teilnehmer lasen zunächst einen Text vor und erzählten dann eine Bildergeschichte. Die Sprachaufnahmen wurden anschließend quantitativ analysiert. Nach den Sprachaufnahmen wurden die Teilnehmer gebeten, sich 20, jeweils aus einem Satz bestehende, Tonaufnahmen anzuhören und sprachliche Auffälligkeiten anzugeben (Salienztest). Die in diesem Salienztest untersuchten sprachlichen Auffälligkeiten waren ausschließlich regional motiviert. Die Einstellungen der Teilnehmer zum in Ostwestfalen verbreiteten Regiolekt sowie zur Region wurden mittels skalierter Statements erfragt. Onomasiologisch und semasiologisch wurde mittels Multiple-Choice-Verfahren getestet, ob Zugezogene solche Lexeme mit ihrer Bedeutung verknüpfen konnten, deren Gebrauch im Wesentlichen auf Westfalen begrenzt ist. Abschließend wurde standardisiert eine Sprecherbiographie erhoben, die detaillierte Angaben zum Kontakt mit Einheimischen erfragte. Auf Grundlage dieser Daten zeigt die vorliegende Dissertation Akkommodationsprozesse anhand von Einzelfallanalysen sowie durch den empirischen Vergleich der Sprachdaten von Einheimischen und Zugezogenen. Die Akkommodationsprozesse wurden aus den empirischen Daten erschlossen: Die Sprachdaten der Zugezogenen weisen in Ostwestfalen verbreitete Regionalismen auf, die in den Herkunftsregionen der Zugezogenen nicht verbreitet sind. Einige Konkreta mit Bezug zum Alltag der Studierenden waren vielen Zugezogenen schon nach relativ kurzer Aufenthaltsdauer bekannt. Um die klaffende Forschungslücke zu Akkommodationsprozessen zwischen Einheimischen und Zugezogenen zu schließen, sind zahlreiche weitere Studien notwendig. In diese Lücke stößt die vorliegende Arbeit als erste Querschnittsuntersuchung im deutschen Sprachraum. <?page no="7"?> 7 Vorbemerkung Ich bedanke mich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes für die ideelle und finanzielle Förderung meines Promotionsprojektes. Für die persönliche Betreuung und Unterstützung meiner Promotion vom Vorhaben bis zum erfolgreichen Abschluss bedanke ich mich sehr herzlich bei Prof. Dr. Jan Wirrer. Herrn Prof. Dr. Elmentaler danke ich für die Übernahme des Koreferats. Ganz besonders danke ich allen Teilnehmern an der empirischen Untersuchung. Bei Alexander Lorenz bedanke ich mich für wertvolle Hinweise bei der numerischen Darstellung der Testergebnisse. Außerdem danke ich zahlreichen Helfern für ihre vielseitige Unterstützung, die mir die Erstellung dieser Dissertationsschrift sehr erleichtert hat, wie z.B. die Erstellung von Karten, die Bereitstellung von Bildern und Hilfe beim Korrekturlesen des Manuskripts. An einigen Stellen finden sich dazu entsprechende Fußnoten - an dieser Stelle sei allen nochmals herzlich gedankt. <?page no="8"?> 8 Inhalt Kurzfassung ............................................................................................................5 Vorbemerkung........................................................................................................7 Inhalt ........................................................................................................................8 Abbildungsverzeichnis........................................................................................12 Tabellenverzeichnis..............................................................................................15 0 Einleitung .......................................................................................................19 1 Forschungsstand ............................................................................................23 1.1 Dialekte und Standardvarietät in Kontakt ........................................23 1.1.1 Entstehung und Verbreitung der Standardvarietät ..............24 1.1.2 Die Ausbreitung der Standardvarietät im niederdeutschen Raum .......................................................................27 1.2 Substandardtheorien und Sprachkontakttheorien ...........................29 1.2.1 Zur Entwicklung der Regiolekte .............................................29 1.2.2 Zu regiolektalen Merkmalen und ihrer Salienz.....................33 1.2.3 Sprachkontakttheorien..............................................................34 1.3 Zugezogene als Forschungslücke .......................................................38 1.4 Akkommodation im Rückblick ...........................................................39 2 Planung und Durchführung der Untersuchung ......................................41 2.1 Vorannahmen ........................................................................................43 2.2 Das Untersuchungsgebiet ....................................................................45 2.3 Die Stichprobe .......................................................................................47 2.3.1 Auswahl der Probanden ...........................................................50 2.3.1.1 Rekrutierung der Probanden .........................................50 2.3.1.2 Ausschluss von Probanden ............................................50 2.3.2 Soziodemographische Zusammensetzung der Stichprobe ............................................................................51 2.3.2.1 Einheimische Kontrollgruppe ........................................52 2.3.2.2 Hochdeutsche und niederdeutsche Zugezogene ........52 2.4 Auswahl der phonetisch-phonologischen Variablen.......................54 2.4.1 Plosiv / g/ im Auslaut: Variablen (1) und (9) ........................60 2.4.2 Affrikate / pf/ : Variablen (2) und (3) ......................................63 2.4.3 Nasal / ŋ/ im Auslaut: Variable (4).........................................65 2.4.4 Realisierung von / r/ nach Vokal: Variablen (5) und (6)......65 2.4.5 Realisierung von Langmonophthong / ɛ : / : Variable (7) ......68 2.4.6 Langvokal [a: ] in geschlossener Silbe: Variable (8) ...............69 2.4.7 Regiolektale Verbreitung der Varianten im Überblick .........70 <?page no="9"?> 9 2.5 Auswahl der lexikalischen Regionalismen........................................71 2.5.1 Vortest .........................................................................................73 2.5.2 Verbreitung der lexikalischen Regionalismen in Westfalen ................................................................................77 2.5.2.1 Wortgeographische Gliederung Westfalens ................78 2.5.2.2 Belege in westfälischen Dialektwörterbüchern ...........81 2.5.3 Dialektale Verbreitung der Lexeme ........................................84 2.5.4 Regiolektale Verbreitung der Lexeme ....................................88 2.5.4.1 Regiolektale Atlanten......................................................89 2.5.4.2 Kleinräumige Atlanten ...................................................94 2.5.4.3 Variantenwörterbücher...................................................95 2.5.4.4 Standardsprachliche Wörterbücher ..............................97 2.5.4.5 Regiolektale Befunde im Überblick...............................98 2.5.5 Areale Reichweite der Lexeme im Überblick.......................101 2.6 Die Untersuchungssituationen..........................................................103 2.6.1 Sprachaufnahmen: Vorlesen und Erzählen..........................105 2.6.2 Salienztest: Regionalismen im Vergleich..............................107 2.6.3 Multiple-Choice-Test: Passiver Wortschatz .........................109 2.7 Nichtsprachliche Daten ......................................................................114 2.7.1 Sprecherbiographische Daten ................................................114 2.7.2 Ortsloyalität und Spracheinstellung .....................................114 3 Auswertung der neun phonetisch-phonologischen Variablen...........119 3.1 Vorgehensweise bei der Analyse der Daten....................................119 3.1.1 Analyse der Vorlesetexte ........................................................119 3.1.2 Analyse der Erzählungen (Bildergeschichten) ....................125 3.1.3 Analyse der Salienztests .........................................................131 3.2 Auswertung der phonetisch-phonologischen Variablen...............136 3.2.1 Variable (1) ...............................................................................138 3.2.2 Variable (2) ...............................................................................139 3.2.3 Variable (3) ...............................................................................141 3.2.4 Variable (4) ...............................................................................142 3.2.5 Variable (5) ...............................................................................143 3.2.6 Variable (6) ...............................................................................148 3.2.7 Variable (7) ...............................................................................154 3.2.8 Variable (8) ...............................................................................158 3.2.9 Variable (9) ...............................................................................160 3.3 Phonetisch-phonologische Variablen: Zusammenfassung ...........162 <?page no="10"?> 10 4 Auswertung der lexikalischen Regionalismen im Wortschatztest.....169 4.1 Bekanntheitsgrade der Lexeme unter den Zugezogenen..............174 4.1.1. Lexeme mit niedrigen Bekanntheitsgraden unter den Zugezogenen ............................................................................174 4.1.2 Lexeme mit hohen Bekanntheitsgraden unter den Zugezogenen ............................................................................176 4.2 Vergleich der Bekanntheitsgrade unter Zugezogenen und Einheimischen .....................................................................................179 4.2.1 Lexeme mit relativ hohen Bekanntheitsgraden unter Zugezogenen und Einheimischen: Kategorie (A) ...............180 4.2.2 Lexeme mit relativ niedrigen Bekanntheitsgraden unter Einheimischen und Zugezogenen: Kategorie (B)......181 4.2.3 Lexeme mit hohen Differenzen der Bekanntheitsgrade zwischen Zugezogenen und Einheimischen: Kategorie (C) ............................................................................182 4.2.4 Lexeme mit Differenzen der Bekanntheitsgrade zwischen Zugezogenen und Einheimischen im Bereich des Mittelwerts: Kategorie (D) ...............................................184 4.2.5 Lexeme mit stark differierenden Bekanntheitsgraden zwischen niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen: Kategorie (E) ...................................................185 4.3 Analyse der Lexeme: Zusammenfassung ........................................187 5 Einzelfallanalysen .......................................................................................191 5.1 Kontakt und Einstellung zu Ostwestfalen.......................................191 5.1.1 Soziodemographische und sprecherbiographische Daten 191 5.1.1.1 Alemannin ......................................................................192 5.1.1.2 Ludwigsburger Schwäbin ............................................192 5.1.1.3 Ostälbische Schwäbin....................................................192 5.1.1.4 Thüringerin.....................................................................192 5.1.2 Kontakt zu Ostwestfalen ........................................................193 5.1.2.1 Alemannin ......................................................................193 5.1.2.2 Ludwigsburger Schwäbin ............................................193 5.1.2.3 Ostälbische Schwäbin....................................................194 5.1.2.4 Thüringerin.....................................................................194 5.1.3 Ortsloyalität und Spracheinstellung .....................................194 5.1.3.1 Alemannin ......................................................................194 5.1.3.2 Ludwigsburger Schwäbin ............................................195 5.1.3.3 Ostälbische Schwäbin....................................................195 5.1.3.4 Thüringerin.....................................................................195 5.1.4 Zusammenfassung ..................................................................195 <?page no="11"?> 11 5.2 Bezug zum ostwestfälischen Regiolekt ............................................196 5.2.1 Salienz von Regionalismen.....................................................197 5.2.1.1 Alemannin ......................................................................197 5.2.1.2 Ludwigsburger Schwäbin ............................................197 5.2.1.3 Ostälbische Schwäbin....................................................198 5.2.1.4 Thüringerin.....................................................................198 5.2.2 Salienz und aktive Verwendung ostwestfälischer Regionalismen..........................................................................198 5.2.2.1 Die drei oberdeutschen Probandinnen .......................199 5.2.2.2 Thüringerin.....................................................................199 5.2.3 Einordnung der lexikalischen Regionalismen im Wortschatztest..........................................................................200 5.2.3.1 Alemannin ......................................................................201 5.2.3.2 Ludwigsburger Schwäbin ............................................202 5.2.3.3 Ostälbische Schwäbin....................................................203 5.2.3.4 Thüringerin.....................................................................204 5.2.4 Einzelfallanalysen: Zusammenfassung ................................204 6 Schluss...........................................................................................................207 6.1 Zusammenfassung..............................................................................207 6.2 Ausblick ...............................................................................................214 Literatur...............................................................................................................216 Anhang ................................................................................................................231 A.1 Probanden ............................................................................................231 A.2 Fragebogen ..........................................................................................237 A.2.1 Stimuli für Sprachaufnahmen................................................237 A.2.1.1 Vorlesetext .....................................................................237 A.2.1.2 Bildergeschichte ............................................................237 A.2.2 Salienztest .................................................................................237 A.2.3 Attitüdentest.............................................................................238 A.2.4 Wortschatztest..........................................................................240 A.2.5 Sprecherbiographie .................................................................247 A.3 Phonetisch-phonologische Variablen...............................................252 A.4 Lexikalische Regionalismen ..............................................................256 A.4.1 Fundstellen in Dialektwörterbüchern...................................256 A.4.2 Ergebnisse des Vortests ..........................................................269 A.5 Zusatzmaterial.....................................................................................275 A 5.1 Spieleabend ..............................................................................275 A.5.2 Phraseologische und syntaktische Regionalismen..............276 <?page no="12"?> 12 Abbildungsverzeichnis Abb. 2.1. Einfluss der unabhängigen Faktoren, die einen Bezug zu Ostwestfalen operationalisieren (Pfeil), auf die Übernahme von regiolektalen Ostwestfalismen. 44 Abb. 2.2. Dialektale Gliederung des Westfälischen (Karte: Taubken 1996: Doppelblatt 1. Ausschnitt.). 46 Abb. 2.3. Kartographische Übersicht der Herkunftsorte der Probanden unterteilt nach den drei Herkunftsregionen: niederdeutscher, nicht-westfälischer Raum, hochdeutscher Raum, Ostwestfalen. 49 Abb. 2.4. Einteilung der 101 Probanden nach Studienfächern. 51 Abb. 2.5. Einteilung der 101 Probanden in die drei Untersuchungsgruppen nach ihrer regionalen Herkunft. 53 Abb. 2.6. Detaillierte Einteilung der 101 Probanden nach regionaler Herkunft. 54 Abb. 2.7. Areale Reichweite der Varianten von Variable (9): Aussprache des Derivationssuffixes <ig> am Beispiel des Wortes zwanzig im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). 61 Abb. 2.8. Areale Reichweite der Varianten von Variable (1): Aussprache von auslautendem / g/ am Beispiel des Wortes weg im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). 63 Abb. 2.9. Areale Reichweite der Varianten von Variable (1): Aussprache von auslautendem / g/ am Beispiel des Wortes Tag im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). 63 Abb. 2.10. Areale Reichweite der Varianten von Variable (5): Aussprache von <ar> am Beispiel des Wortes Karte im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). 67 Abb. 2.11. Regiolektale Übereinstimmung mit dem Untersuchungsort Bielefeld auf der Grundlage einer dialektometrischen Auswertung des Wortatlas der deutschen Umgangssprachen, erstellt durch Möller. 81 Abb. 2.12. Areale Reichweite verschiedener lexikalischer Varianten von naschen im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). 93 <?page no="13"?> 13 Abb. 2.13. Zustimmungsgrade im Vergleich (Zugezogene: hellgrau Einheimische: dunkelgrau). 118 Abb. 3.1. Merkmalsausprägung der Variable (5) beim Erzählen unter den Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum (■), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. 145 Abb. 3.2. Merkmalsausprägung der Variable (5) beim Vorlesen unter den Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum (■), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. 146 Abb. 3.3. Salienz der in Ostwestfalen verwendeten Variante (5) unter Zugezogenen aus dem niederdeutschen (■) und hochdeutschen ( ♦ ) Raum. 147 Abb. 3.4. Anteil der hochdeutschen Zugezogenen ( ♦ ), der als Merkmal die in Ostwestfalen verbreitete Variante (5) beim Erzählen verwendet, aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. 148 Abb. 3.5. Vorkommen der Sekundärdiphthongierung (6) beim Lesen unter niederdeutschen (■) und hochdeutschen Zugezogenen ( ♦ ). 150 Abb. 3.6. Vorkommen der Sekundärdiphthongierung (6) beim Erzählen unter niederdeutschen (■) und hochdeutschen Zugezogenen ( ♦ ). 151 Abb. 3.7. Vorkommen der Sekundärdiphthongierung (6) beim Erzählen unter niederdeutschen Zugezogenen (■) unter Weglassen des Punktes bei 4 Jahren. 152 Abb. 3.8. Vermeidung der Sekundärdiphthongierung (6) unter den hochdeutschen Zugezogenen ( ♦ ): Mit steigender Aufenthaltsdauer sinkt der Anteil der Probanden, der das Merkmal beim Erzählen realisiert. 153 Abb. 3.9. Salienz der Sekundärdiphthongierung (6) über der Aufenthaltsdauer für niederdeutsche (■) und hochdeutsche Zugezogene ( ♦ ). 154 Abb. 3.10. Merkmalsausprägung der Variable (7) beim Vorlesen unter den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum ( ♦ ), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. 156 Abb. 3.11. Salienz der in Ostwestfalen verwendeten Variante (7) unter den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum ( ♦ ). 157 <?page no="14"?> 14 Abb. 3.12. Merkmalsausprägung der Variable (8) beim Vorlesen unter Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum ( ♦ ), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. 159 Abb. 3.13. Merkmalsausprägung der Variable (8) beim Erzählen unter Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum ( ♦ ), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. 160 Abb. 3.14. Verwendung der neun phonetisch-phonologischen Variablen von Einheimischen (x-Achse) und Zugezogenen (y-Achse) beim Vorlesen. 163 Abb. 4.1. Lexeme mit unter den Zugezogenen (■) unterdurchschnittlich hohem Bekanntheitsgrad im Vergleich zu den ostwestfälischen Heimatstudierenden ( ♦ ). 175 Abb. 4.2. Lexeme mit unter den Zugezogenen (■) überdurchschnittlich hohem Bekanntheitsgrad im Vergleich zu den ostwestfälischen Heimatstudierenden ( ♦ ). 176 Abb. 4.3. Einfluss semantischer und morphosyntaktischer Merkmale auf lexikalische Übernahmen anhand von Beispielen. 179 Abb. 4.4. Lexeme mit überdurchschnittlich niedrigen Differenzwerten zwischen den Bekanntheitsgraden unter den Ostwestfalen ( ♦ ) und den Zugezogenen (■), angeordnet nach zunehmender Differenz. 180 Abb. 4.5. Lexeme mit überdurchschnittlich hohen Differenzwerten zwischen den Bekanntheitsgraden unter den Ostwestfalen ( ♦ ) und den Zugezogenen (■), angeordnet nach zunehmender Differenz. 182 Abb. 4.6. Lexeme mit stark differierendem Bekanntheitsgrad zwischen hochdeutschen (▲) und niederdeutschen (■) Zugezogenen, zum Vergleich: einheimische Ostwestfalen ( ♦ ). 186 Abb. 4.7. Mittlere Bekanntheitsgrade der Lexeme aus den Kategorien (A) bis (E) unter hochdeutschen (▲) und niederdeutschen (■) Zugezogenen, zum Vergleich: einheimische Ostwestfalen ( ♦ ). 190 <?page no="15"?> 15 Tabellenverzeichnis Tab. 2.1. Phonetisch-phonologische Variablen im Überblick. 59 Tab. 2.2. Areale Reichweite der phonetisch-phonologischen Varianten und Belege. 70 Tab. 2.3. Vorgetestete Lexeme und Quellen. 75 Tab. 2.4. Vorgetestete Lexeme in absteigender Reihenfolge der Bekanntheitsgrade unter den einheimischen Studierenden (Bekanntheitsgrad BI). 76 Tab. 2.5. Belegstellen für die dialektale Verbreitung der untersuchten Lexeme in Westfalen und Niedersachsen. 83 Tab. 2.6. Areale Reichweite der Lexeme in Dialekten außerhalb Ostwestfalens. 87 Tab. 2.7. Areale Reichweite der Lexeme in Regiolekten und Belege. 99 Tab. 2.8. Areale Reichweite der Lexeme in Dialekten und Regiolekten (ausgenommen westfälischer und niederfränkischer Raum). 102 Tab. 2.9. Vorgegebene Antwortmöglichkeiten am Beispiel der semasiologischen Abfrage von schmöttkern. 110 Tab. 2.10. Vorgegebene Antwortmöglichkeiten am Beispiel der onomasiologischen Abfrage von ,Teigfigur mit Tonpfeife‘. 111 Tab. 2.11. Auflistung der bei der onomasiologischen Abfrage verwendeten Wortformen unter Angabe der Quellen. 112 Tab. 2.12. Abgefragte Statements zu den Parametern (P.). 116 Tab. 3.1. Vorkommen der phonetisch-phonologischen Variablen im Vorlesetext. 120 Tab. 3.2. Berücksichtigung der Zugezogenen (VP) nach ihren Herkunftsorten bei der Auswertung der phonetischphonologischen Variablen (dunkelgrau: berücksichtigt, hellgrau: unberücksichtigt). 123 Tab. 3.3. Relative Häufigkeiten der ostwestfälischen Regionalismen in den drei Untersuchungsgruppen - einheimische Ostwestfalen (OWL), niederdeutsche Zugezogene (ND) und hochdeutsche Zugezogene (HD) - beim Vorlesen (N: Umfang der berücksichtigten Stichprobe). 125 <?page no="16"?> 16 Tab. 3.4. Die 50 häufigsten Token in allen 101 erzählten Bildergeschichten (bis zu einer Frequenz von 133). 126 Tab. 3.5. Das Vorkommen aller lexikalischen Varianten zu den neun phonetisch-phonologischen Variablen (Types und Token) in allen 101 Bildergeschichten. 128 Tab. 3.6. Übersicht über das maximale und gemittelte Vorkommen der phonetisch-phonologischen Variablen beim Erzählen der Bildergeschichte. 129 Tab. 3.7. Übersicht über den Ausschluss von Probanden beim Erzählen der Bildergeschichte. 130 Tab. 3.8. Relative Häufigkeiten der ostwestfälischen Regionalismen in den drei Untersuchungsgruppen - einheimische Ostwestfalen (OWL), niederdeutsche Zugezogene (ND) und hochdeutsche Zugezogene (HD) - beim Erzählen der Bildergeschichte (N: Umfang der berücksichtigten Stichprobe). 131 Tab. 3.9. Auflistung der im Salienztest abgefragten Variablen: Ostwestfälische Varianten. 132 Tab. 3.10. Auflistung der im Salienztest abgefragten Variablen: Varianten, die autochthon nicht in Ostwestfalen vorkommen. 134 Tab. 3.11. Auflistung der Salienzsätze unter Zuweisung der regiolektalen Merkmale zu den phonetisch-phonologischen Variablen (1) bis (9). 134 Tab. 3.12. Relative Häufigkeiten der angegebenen regiolektalen Merkmale in den drei Untersuchungsgruppen - einheimische Ostwestfalen (OWL), niederdeutsche Zugezogene (ND) und hochdeutsche Zugezogene (HD) - im Salienztest. 136 Tab. 3.13. Areale Reichweite der in Ostwestfalen verbreiteten phonetisch-phonologischen Varianten. 137 Tab. 3.14. Angabe der Allophone [f] und [pf] des Phonems / pf/ im Salienztest in den verschiedenen Probandengruppen (absolute Häufigkeiten). 141 Tab. 3.15. Angabe der Varianten [ıç] und [ık] des Suffixes <ig> im Salienztest in den verschiedenen Probandengruppen (absolute Häufigkeiten). 162 Tab. 4.1. Berücksichtigung der Zugezogenen (VP) nach ihren Herkunftsorten bei der Auswertung der lexikalischen Regionalismen (1: richtig, 0: nicht richtig, grau und kein Eintrag: unberücksichtigt). 170 <?page no="17"?> 17 Tab. 4.2. Überblick über die getesteten Lexeme, die Abfrageart und die Anzahl der jeweils berücksichtigten Zugezogenen aus dem niederdeutschen (ND) und hochdeutschen (HD) Raum. 172 Tab. 4.3. Kategorisierung der Lexeme nach Bekanntheitsgraden unter Einheimischen (OWL) und Zugezogenen (ZUG) aus dem niederdeutschen (ND) und hochdeutschen Raum (HD). 187 Tab. 4.4. Einordnung der Lexeme in fünf Kategorien (A) bis (E). 188 Tab. 4.5. Mittlerer Bekanntheitsgrad der kategorisierten Lexeme in den drei Untersuchungsgruppen: einheimische Ostwestfalen (OWL), niederdeutsche Zugezogene (ND) und hochdeutsche Zugezogene (HD). 189 Tab. 5.1. Zuordnung der Lexeme durch die vier Probandinnen. 201 Tab. A.1. Auflistung der 101 Probanden unter Angabe von Sigle (VP), Herkunftsort, Dauer des Aufenthalts in Ostwestfalen (OWL) in Jahren (J) (nur bei Zugezogenen), Studienfach, Geschlecht, Alter und Herkunftsregion. 231 Tab. A.2. Statements zur Ermittlung der Spracheinstellung, die den Zugezogenen zum Ankreuzen vorgelegt wurden. Die Sieben-Punkte-Skala wird durch trifft nicht zu (tnz), neutral (n) und trifft zu (tz) strukturiert. 239 Tab. A.3. Statements zur Ermittlung der Spracheinstellung, die den Einheimischen zum Ankreuzen vorgelegt wurden. Die Sieben-Punkte-Skala wird durch trifft nicht zu (tnz), neutral (n) und trifft zu (tz) strukturiert. 240 Tab. A.4. Fragebogen zur semasiologischen und onomasiologischen Zuordnung der 23 in Ostwestfalen verbreiteten Lexeme per Multiple-Choice-Verfahren. Sämtliche Regionalismen wurden den Probanden als Audio-Aufnahmen vorgespielt. 241 Tab. A.5. Fragebogen zur Angabe von soziodemographischen und sprecherbiographischen Daten. 247 Tab. A.6. Auflistung aller in den 101 Bildergeschichten verwendeten lexikalischen Varianten der Variablen (1), (2), (3), (4) und (5) unter Angabe der Frequenz. 252 Tab. A.7. Auflistung aller in den 101 Bildergeschichten verwendeten lexikalischen Varianten der Variablen (6), (7), (8) und (9) unter Angabe der Frequenz. 253 <?page no="18"?> 18 Tab. A.8. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen in den Westfälischen Wörtersammlungen von Peters/ Djatlowa, Möller und Platenau. 256 Tab. A.9. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen in den Westfälischen Wörtersammlungen von Woeste und Rosemann (genannt: Klöntrup). 258 Tab. A.10. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen in der Westfälischen Wörtersammlung von Gehle. 259 Tab. A.11. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen im Westfälischen Wörterbuch bzw. im Zettelarchiv in der Wörterbuchstelle in Münster. 260 Tab. A.12. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen im Niedersächsischen Wörterbuch bzw. im Zettelarchiv in der Wörterbuchstelle in Göttingen. 264 Tab. A.13. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen in den großlandschaftlichen Dialektwörterbüchern, die nicht Westfalen abdecken. 266 Tab. A.14. Auflistung der 159 Lexeme, nach denen 15 Personen im Vorfeld des Vortests der Untersuchung befragt wurden. Die Wörter wurden aus Gromann (G), Borner (B) und Niebaum (N) und auf der Grundlage von Befragungen im einheimischen Bekanntenkreis (K) ausgewählt (Gromann 1979, Borner 2005 und 2006, Niebaum 1977). 269 Tab. A.15. Auflistung der im Vortest abgefragten 68 Lexeme unter Angabe der Bekanntheitsgrade in den Gruppen ostwestfälische Bielefelder (BI), nordniederdeutsche Neumünsteraner (NMS) und südhessische Darmstädter (DA). Die Bekanntheitsgrade der Neumünsteraner (NMS) und Darmstädter (DA) werden den Bekanntheitsgraden der Bielefelder (BI) gegenübergestellt, indem jeweils die Differenz zwischen Ostwestfalen und Nicht-Ostwestfalen ermittelt wird (Differenz BI-NMS und Differenz BI-DA). 273 Tab. A.16. Abfrage von phraseologischen und syntaktischen Regionalismen im Rahmen des Multiple-Choice-Tests. 277 Tab. A.17. Abfrage von phraseologischen und syntaktischen Regionalismen im Rahmen des Salienztests. 277 <?page no="19"?> 19 0 Einleitung Die vorliegende Arbeit untersucht, inwiefern sich Zugezogene regiolektal in einen Dialektraum integrieren, in dem sie selbst nicht sprachlich sozialisiert wurden. Um sicherzustellen, dass die zu untersuchende Angleichung der Zugezogenen nicht an einen autochthonen Dialekt, sondern ausschließlich an den Regiolekt erfolgt, wurden die empirischen Daten in der dialektschwachen Region Ostwestfalen erhoben. In dieser Region ist der Dialektabbau so weit fortgeschritten, dass die meisten jungen Erwachsenen keine Niederdeutschkenntnisse haben (Wirrer 1998: 310f., Stellmacher 1987: 12, 27; Möller 2008: 16, 65f.): Die Standardvarietät drängte die Dialekte im niederdeutschen Raum weitaus stärker zurück als im hochdeutschen Raum. Die Durchsetzung der ostmitteldeutsch geprägten Leitvarietät gegen andere Schreibsprachen und Dialekte sowie deren Auswirkungen auf den Status der autochthonen Dialekte im gesamten deutschen Sprachraum werden in Kapitel 1.1 skizziert. Durch Sprachkontakt zwischen Dialekten und Standardvarietät entstanden allmählich Regiolekte, also Sprechlagen zwischen Dialekt und Standardvarietät. Ihre Entstehung und Charakterisierung ist Gegenstand der Kapitel 1.2.1 und 1.2.2. In Kapitel 1.2.3 werden Sprachkontakttheorien skizziert. Diese sind dazu geeignet, sprachliche Angleichung von Zugezogenen an Einheimische zu analysieren. Außerdem lassen sie Prognosen über mögliche Übernahmen von regiolektalen Merkmalen durch Zugezogene zu. Kapitel 1.3 fasst den Forschungsstand zur sprachlichen Angleichung von Zugezogenen an andere Dialekte zusammen. Die in den Kapiteln 1.1, 1.2 und 1.3 erläuterten Theorien werden in Kapitel 1.4 zusammengefasst und in Bezug zur vorliegenden Studie gesetzt. Im Rahmen der Auswertung wird insbesondere auf die Akkommodations-Theorie zurückgegriffen: Konvergenz und Divergenz werden allerdings nicht im Rahmen einer Longitudinalstudie beobachtet, sondern durch eine Querschnittsstudie rückwirkend erschlossen. Die vorliegende empirische Querschnittsstudie wird in Kapitel 2 vorgestellt: Im Hinblick auf die soziokulturelle Vergleichbarkeit wurde die Studie unter Studierenden im ostwestfälischen Bielefeld durchgeführt. Einheimische und zugezogene Studierende wurden daraufhin miteinander verglichen, inwiefern sie ausgewählte ostwestfälische Regionalismen realisieren und einordnen konnten. Die Zugezogenen aus dem niederdeutschen und aus dem hochdeutschen Raum wurden dabei getrennt voneinander betrachtet und mit ostwestfälischen Heimatstudierenden verglichen. Insgesamt nahmen 145 Studierende an der Studie teil. Ausschlusskriterien waren z.B. <?page no="20"?> 20 Überschreitung des Höchstalters von 30 Jahren, andere Muttersprachen als ausschließlich Deutsch, keine eindeutige Zuordnung aufgrund regionaler Herkunft zu einer der drei Untersuchungsgruppen. Traf mindestens eines dieser Ausschlusskriterien zu, wurden die Daten bei der Auswertung nicht berücksichtigt. Die Auswahlkriterien werden in Kapitel 2.3.1 erläutert. Die erhobenen Sprachdaten von 101 Personen wurden bei der Auswertung berücksichtigt, nämlich von 32 Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum, 32 Zugezogenen aus dem niederdeutschen, nicht-westfälischen Raum und 37 einheimischen Ostwestfalen (Kontrollgruppe). Die Zusammensetzung der Stichprobe wird in Kapitel 2.3 dargestellt. Die Sprachdaten der Zugezogenen wurden daraufhin überprüft, ob sie solche Regionalismen enthielten, die in Ostwestfalen verbreitet und in der Herkunftsregion der Zugezogenen nicht verbreitet sind. Der Regiolekt in Ostwestfalen weist wenige Substratspuren des Niederdeutschen auf, die häufig eine große areale Reichweite aufweisen. Für die Untersuchung wurden solche phonetisch-phonologischen und lexikalischen Varianten ausgewählt, deren areale Reichweite so eng wie möglich auf Westfalen begrenzt ist. Die Auswahl der neun phonetisch-phonologischen Variablen wird in Kapitel 2.4 und die Auswahl der 23 vorgetesteten lexikalischen Regionalismen in Kapitel 2.5 erläutert. Die Eingrenzung der arealen Verbreitung der Regionalismen erfolgte mithilfe von regiolektaler und dialektaler Literatur. War nach der Literatur ein abgefragter Regionalismus in der Herkunftsregion eines Zugezogenen als verbreitet belegt, blieben die Daten des Zugezogenen in Bezug auf diesen Regionalismus unberücksichtigt. Die Verwendung der ausgewählten phonetisch-phonologischen Varianten, die Einordnung der vorgetesteten lexikalischen Varianten sowie die Auffälligkeit von phonetisch-phonologischen Varianten wurden in standardisierten Testsituationen geprüft, die in Kapitel 2.6 erläutert werden: Als Grundlage für die Analyse von Sprachdaten lasen alle Probanden einen Text vor und erzählten anschließend eine Bildergeschichte. Danach überprüften die Studierenden 20 als Tonaufnahme vorliegende Sätze auf Auffälligkeiten (Salienztest). Diese Auffälligkeiten waren ausschließlich regional motiviert. Ein Multiple-Choice-Test untersuchte das passive Verständnis von solchen Lexemen onomasiologisch und semasiologisch, deren Gebrauch im Wesentlichen auf Westfalen begrenzt ist. Außerdem wurden sprecherbiographische Daten sowie Attitüden zur Spracheinstellung erhoben, wie in Kapitel 2.7 zusammengefasst. Detaillierte Vorannahmen zu den Untersuchungsergebnissen werden in Kapitel 2.1 formuliert. Im Rahmen der Auswertung wurde geprüft, inwiefern unabhängige Faktoren (z.B. lange Aufenthaltsdauer, positive Attitüden, sowie soziale Kontakte vor Ort) eine sprachliche Angleichung der Zugezogenen an die Einheimischen begünstigen. Dazu wurde der Gebrauch der phonetisch-phonologischen, regiolektalen Ostwestfalismen beim Vorlesen und Erzählen, das <?page no="21"?> 21 Einordnen der regiolektal in Ostwestfalen bekannten Lexeme und die Salienz der phonetisch-phonologischen Merkmale jeweils in Beziehung zu den außersprachlichen Faktoren gesetzt, und zwar mithilfe von quantitativen und qualitativen Methoden. Die Auswertung der Daten ist Gegenstand der Kapitel 3, 4 und 5: Kapitel 3 legt die Auswertung der phonetisch-phonologischen Variablen dar. Anhand der phonetisch-phonologischen Varianten (5) und (6) ließen sich anhand von statistisch aussagekräftigen Gruppengrößen Konvergenz- und Divergenzprozesse unter den Zugezogenen erschließen. Die Auswertung der lexikalischen Varianten wird in Kapitel 4 beschrieben. In Abhängigkeit der Einordnung der Lexeme durch Zugezogene und Einheimische werden die Lexeme fünf Kategorien zugeordnet. Aus der Betrachtung der Lexeme, die besonders häufig durch die Zugezogenen eingeordnet werden konnten, lassen sich semantische und morphosyntaktische Präferenzen bei lexikalischen Übernahmetendenzen ableiten. Bei Auswertung der phonetisch-phonologischen und der lexikalischen Variablen werden jeweils die Daten aller Einheimischen sowie solcher Zugezogener berücksichtigt, in deren Herkunftsregion die entsprechende Variante nicht als regional verbreitet belegt ist (siehe 2.4 und 2.5). Die Auswertung in Kapitel 5 bezieht sich auf vier Zugezogene, die im Rahmen von Einzelfallanalysen betrachtet werden: Drei der Zugezogenen stammen aus Regionen, die außerhalb der arealen Reichweite von fast allen abgefragten Regionalismen liegen, nämlich aus dem oberdeutschen Raum. Die vierte Zugezogene unterschied sich in ihren in den Kapiteln 3 und 4 ausgewerteten Testergebnissen charakteristisch von den anderen Zugezogenen. Anhand der vier Einzelfälle werden Zusammenhänge zwischen Verwendung und Salienz phonetischphonologischer Regionalismen, Einordnung der lexikalischen Regionalismen im Wortschatztest, Attitüden zu Ostwestfalen und sprecherbiographischen Daten festgestellt. Aus diesen Zusammenhängen werden Konvergenz- und Divergenzprozesse erschlossen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse in Kapitel 6. <?page no="23"?> 23 1 Forschungsstand Bis in die 1990er Jahre standen die Sprachformen im Fokus der dialektologischen Forschung, die von der angestammten Landbevölkerung gesprochen wurden (Löffler 2003: 12,13, Herrgen 2006: 128, Berthele 2005: 721, Lameli 2005: 495). Obwohl der Anteil der Sprecher des Basisdialekts in der Gesellschaft stetig sank, blieb das Interesse an ihrer Sprechweise ungebrochen. Erst seit etwa zwanzig Jahren wurden verstärkt die Sprachformen untersucht, in denen der Großteil der Menschen im deutschen Sprachraum schon seit mindestens 60 Jahren kommuniziert: Es handelt sich dabei um überregional relativ gut verständliche Sprechlagen, die zwischen Basisdialekten und Standardvarietät anzusiedeln sind. Die historische Entwicklung dieser Sprechlagen wird im Folgenden kurz umrissen. 1.1 Dialekte und Standardvarietät in Kontakt In diesem Teilkapitel wird die Entstehung und Ausbreitung der Standardvarietät nachvollzogen: Die zunehmende Ausbreitung der Standardvarietät bedingte einen Dialektabbau, der bis heute fortschreitet - ganz besonders im niederdeutschen Raum. Die vorliegende Studie wurde deswegen im niederdeutschen Raum durchgeführt, nämlich im ostwestfälischen Bielefeld. Im 13. Jahrhundert hatte sich der überregionale Kontakt innerhalb des deutschen Sprachraums intensiviert, und zwar durch Einbindung verschiedener Sprachgemeinschaften in größere Territorien, durch Handel und durch Zunahme des Reiseverkehrs. Das führte dazu, dass sich durch sprachliche Angleichungsprozesse überregionale Schreibsprachen herausbildeten. Diese Schreibsprachen waren bis ins 15. Jahrhundert als weitgehend gleichwertig anerkannt (Mattheier 1999: 143, Herrgen 2006: 125). Erst mit der Erfindung des Buchdrucks setzte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts eine einzelne Schreibsprache gegen die anderen Schreibsprachen durch (Mattheier 1999: 143f.). Diese wird von Reichmann beschrieben als „sich aus den Ansätzen mittelbis hochschichtiger Varietäten gegen Ende der Epoche entwickelnde, zunehmend vereinheitlichte Schriftsprache als hochschichtig bestimmte, geschriebene Varietät mit Leitbildfunktion tendenziell in allen Kommunikationsbereichen“ (Reichmann 2000: 1621). <?page no="24"?> 24 1.1.1 Entstehung und Verbreitung der Standardvarietät Die Standardvarietät gründet sich maßgeblich auf der Meißner Kanzleisprache, die im 16. Jahrhundert mit besonders hohem Prestige 2 besetzt war. Diese Varietät hatte sich aus einer im Wesentlichen mitteldeutsch geprägten Ausgleichssprache entwickelt, die im ostmitteldeutschen, ursprünglich slawischen Raum unter mittel- und oberdeutschen Siedlern entstanden war (Polenz 1978: 74-77, Solms 2000: 1517). Diese Varietät stand im gesamten deutschen Sprachraum in Opposition zur gesprochenen Sprache (Löffler 2003: 12). Als Gründe für die Verbreitung der Meißner Kanzleisprache, weit über den ostmitteldeutschen Raum hinaus, führt Mattheier die Autorität der Autoren an, deren Ansehen sich auf die von ihnen verwendete Varietät übertrug (Mattheier 1999: 143f.). Besch stellt dabei besonders den Einfluss der Lutherbibel auf die Entstehung einer einheitlichen Schriftsprache heraus: „Sie hat hohes Prestige. Sie erreicht zum ersten Mal die Massen in Deutschland, den gemeinen man, Mann wie Frau“ (Besch 1999: 83-85, 90). Barden und Großkopf fassen die Wechselwirkungen zwischen Vorbildfunktion, Verbreitung und zunehmender Standardisierung dieser Schriftsprache folgendermaßen zusammen: „Das gesamte kulturelle Leben Deutschlands hat bis in das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts die überwiegende Autorität dieser Norm bestimmt“ (Barden/ Großkopf 1998: 45). Elmentaler zeigt am Beispiel des südniederrheinischen Regiolekts, dass das Frühneuhochdeutsche nicht grundsätzlich die prestigereichste geschriebene Varietät darstellte: Am Südniederrhein wurden die autochthonen Schreibvarietäten zunächst durch eine ripuarische Varietät und erst knapp hundert Jahre später durch Frühneuhochdeutsch ersetzt (Elmentaler 2005: 411). In vielen Regionen setzte sich das Frühneuhochdeutsche in Folge seiner hohen öffentlichen Wertschätzung allmählich auch im mündlichen Gebrauch gegen autochthone Dialekte und Regiolekte durch. Wenn diese Varietät von den sozialen Oberschichten intendiert verwendet wurde, konnte das Sprechen in Anlehnung an die Schriftsprache als Abgrenzungsmittel gegen sozial niedere Schichten dienen, die weiterhin Dialekt sprachen (Löffler 2003: 12,13). Galt jedoch eine andere Varietät als prestigereicher als das Frühneuhochdeutsche, wurde diese bevorzugt, wie z.B. am Südniederrhein das Ripuarische (Elmentaler 2005: 405). Elmentaler schließt daraus: „Ein Sprechen nach den Normen der Druckersprache galt damals offenbar nicht als erstrebenswert. Vielmehr zeigen sich Tendenzen zu einem aufwärts- 2 Prestige wird hier mit öffentlicher Wertschätzung gleichgesetzt (Overt Prestige). Erst in Teilkapitel 1.2.3 wird Covert Prestige als Gegenbegriff eingeführt (Trudgill 1972: 188), so dass dann zwischen Overt und Covert Prestige unterschieden wird (siehe 1.2.3). <?page no="25"?> 25 divergenten Sprechverhalten, das die Verwendung regionaler Varianten einschließt“ (Elmentaler 2005: 408). Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht führte dazu, dass die überregional verbreitete, weitgehend standardisierte Schriftsprache zunehmend in allen Bevölkerungsschichten sowohl schriftlich als auch zunehmend mündlich verwendet wurde, und zwar seit dem 18. Jahrhundert in den Städten (Wiesinger 1997: 17) und seit dem 19. Jahrhundert auf dem Land (Bellmann 1983: 106, Besch 1983: 1404, 1405). Sowohl für den mündlichen als auch für den schriftlichen Gebrauch der Standardvarietät gibt Bellmann zu bedenken, dass eine weit verbreitete Diskrepanz zwischen intendierter und realisierter Standardvarietät bestanden haben dürfte, die in den sozial niederen Schichten vermutlich am stärksten ausgeprägt war (Bellmann 1983: 107). Schmidt und Herrgen weisen darauf hin, dass sich die Realisierung der Standardvarietät von Dialektregion zu Dialektregion charakteristisch unterschieden haben muss. Diese unterschiedliche Realisierung galt nicht als fehlerhafte Aussprache der Schriftsprache, sondern als korrekt. Schmidt und Herrgen sprechen deswegen von regional unterschiedlichen Oralisierungsnormen. Es ist davon auszugehen, dass diese von der Schriftsprache abweichenden Normen in den Schulen vermittelt wurden. Schmidt und Herrgen fassen die Situation folgendermaßen zusammen: „Entstanden war eine komplexe Gesamtsprache, deren zweite Varietät neben den Dialekten eine (relativ) einheitliche literale Norm umfasste und so viele Oralisierungsnormen wie es großräumige Dialektverbände mit städtischen Zentren gab“ (Schmidt/ Herrgen 2011: 65). Die Bevölkerung verwendete in institutionellen Domänen die intendierte, prestigereiche Standardvarietät, im Alltag dagegen Dialekt. Eine vergleichbare Diglossie 3 von Stadtdialekt und Ortsdialekt hatte in der Umgebung von Städten oft schon vor der Ausbreitung der Standardvarietät bestanden, so dass dort durch Hinzutreten der intendierten Standardvarietät Polyglossien entstanden (Bellmann 1983: 106ff.). Durch verstärkte Migrations- und Urbanisierungsprozesse im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung kam es vermehrt zu Kontakt zwischen Menschen unterschiedlicher regionaler Herkunft: Um eine überregionale Verständigung zu sichern, orientierten sich Sprecher nun auch in informellen Domänen verstärkt an der Standardvarietät (Wiesinger 1997: 17). Als Reaktion auf die zunehmende Verdrängung der Dialekte entstanden im 19. Jahrhundert die ersten Dialekt-Wörterbücher (Wiesinger 2000: 1944f.), die Löffler dementsprechend auf ein „antiquarisches Interesse“ zurückführt 3 Ferguson prägte diesen Begriff für die komplementäre Verteilung von zwei Varietäten bei dem Gebrauch in formellen Situationen vs. informellen Situationen (Ferguson 1959: 325). <?page no="26"?> 26 (Löffler 2003: 15). In von der Industrialisierung kaum betroffenen Dorfgemeinschaften in ländlichen Regionen blieb die Diglossie von intendierter Standardvarietät in institutionellen Domänen und Dialekten als Alltagssprache in großen Teilen Deutschlands bis zum Zweiten Weltkrieg weitgehend stabil (Wiesinger 1997: 19f.). Mit dem Rundfunk ging eine überregionale Verbreitung einer äußerst schriftnahen Oralisierungsnorm einher, die von allen regional verbreiteten Oralisierungsnormen abwich. Die Entstehung dieser Oralisierungsnorm aus der Schriftsprache skizziert Löffler folgendermaßen: „Mit der Bühnenaussprache hatte sich aus der neuhochdeutschen Schriftsprache eine der Literatursprache vergleichbare Hochvariante (Hochlautung) entwickelt. Vorbild für diese überregionale Norm war die norddeutsche bzw. niederdeutsche Artikulation. Damit war nicht das Plattdeutsche gemeint, sondern die Art, wie man im plattdeutschen Norden die neue Sprache nach der Schrift buchstabengetreu artikulierte“ (Löffler 2000: 1976). Schmidt und Herrgen weisen darauf hin, dass erst die Verbreitung dieser schriftnahen Oralisierungsnorm die geographische Begrenzung der regionalen Oralisierungsnormen offensichtlich werden ließ (Schmidt/ Herrgen 2011: 65). Infolgedessen kam es zu einem allmählichen Prestigeverlust der regionalen Oralisierungsnormen, der durch den Kontakt mit Menschen aus anderen Regionen noch verstärkt wurde: Nach Kriegsende fand auch in den Dörfern verstärkt Migration statt, vor allem durch Zuzug von Flüchtlingen aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze. Die Verlagerung der Arbeitsplätze vom Land in die Stadt (Urbanisierung), erhöhte Mobilität sowie die Entwicklung und Verbreitung von Telekommunikationsmedien begünstigten eine regiolektale Durchmischung zusätzlich. Zudem wuchs der Einfluss der Massenmedien, die die Verbreitung eines überregional verständlichen Sprachgebrauchs unterstützten (Wiesinger 1997: 19f.). In der Schweiz ist die Diglossie-Situation bis heute weitgehend stabil (Haas 2006: 1778f.). In den meisten Regionen im deutschen Sprachraum führten die regiolektalen Durchmischungsprozesse aber dazu, dass sich die Diglossie zwischen Dialekt und intendierter Standardvarietät allmählich lockerte und teilweise auflöste. Im Zuge dieses von Bellmann als „Entdiglossierung“ bezeichneten Prozesses (Bellmann 1983: 123) verbreitete sich die Aussprache entsprechend den regionalen Oralisierungsnormen als die jeweils standardnaheste, prestigereichste Sprechlage in der breiten Bevölkerung. Nach Schmidt/ Herrgen wird diese Sprechlage als Regionalakzent bezeichnet (Schmidt/ Herrgen 2011: 66). <?page no="27"?> 27 1.1.2 Die Ausbreitung der Standardvarietät im niederdeutschen Raum Die niederdeutschen Dialekte unterscheiden sich auf allen sprachlichen Ebenen viel stärker und umfassender von der ostmitteldeutsch geprägten Standardvarietät als ober- und mitteldeutsche Dialekte (Wirrer 2000: 133f., Niebaum/ Macha 2006: 220, 221, Lindow u.a. 1998). Die Ausbreitung der im hochdeutschen Raum überregional gut verständlichen Meißner Kanzleisprache stellte die Bevölkerung im niederdeutschen Raum also vor andere Herausforderungen als die hochdeutsche Bevölkerung. Unter Klerus und Adel waren hochdeutsche Varietäten als Verständigungsmittel schon lange vor Ausbreitung des Frühneuhochdeutschen verbreitet: Im hochdeutschen Sprachraum konzentrierte sich bereits im 10. Jahrhundert sowohl weltliche als auch kirchliche Macht: Fünf der sechs Stammesherzogtümer als Sitz der weltlichen Kurfürsten lagen dort, dazu die Sitze der geistlichen Kurfürsten und Bischöfe. Nachdem die Sachsen zunächst ein Jahrhundert lang den Kaiser gestellt hatten, stammte von 1024 bis ins 19. Jahrhundert kein Alleinherrscher mehr aus dem niederdeutschen Sprachgebiet (Kinder und Hilgemann 1999: 125). Zumindest die schriftliche Kommunikation mit König oder Kaiser wurde daher auf Hochdeutsch geführt (Schnath 1979: 279). Von Polenz geht zudem davon aus, dass an den Fürstenhöfen im niederdeutschen Raum bereits im 12. Jahrhundert größtenteils hochdeutsche Varietäten „gesprochen oder verstanden“ wurden (Polenz 1978: 56). Im 12. und 13. Jahrhundert besiedelten niederdeutsche, niederrheinische und niederländische Bauern slawisches Sprachgebiet; dort setzten sich niederdeutsche Dialekte bis ins 14. Jahrhundert weitgehend gegen die konkurrierenden Sprachen durch (Sanders 1997: 232, 235). Im selben Zeitraum breitete sich Niederdeutsch als Lingua Franca der Hanse von Lübeck als Handelszentrum im Ost- und Nordseeraum aus und löste dort im 14. Jahrhundert Latein als Schriftsprache allmählich ab. Vergleichbar mit der Situation im hochdeutschen Sprachgebiet wird dabei nicht von einer Lübischen Form als dominanter Varietät, sondern von einer Verbreitung regional unterschiedlicher Schreibsprachen ausgegangen (Peters 1999: 161). Während Niederdeutsch als Handelssprache stark expandierte, wurde es als Amtssprache allmählich von der ostmitteldeutsch geprägten Leitvarietät (Reichmann 1990: 143) zurückgedrängt: Nach dem Niedergang der Hanse wurden Niederdeutsche Schreibsprachen allmählich durch Frühneuhochdeutsch ersetzt (Peters 1999: 165). Nach den fürstlichen Kanzleien, die ohnehin an die hochdeutsche Kommunikation der Höfe gewöhnt waren (Schnath 1979: 279), stellten sich die städtischen Kanzleien auf die neue Schriftsprache ein. Ihnen folgten die Druckereien und schließlich Kirchen und Schulen (Sanders 1979: 246). <?page no="28"?> 28 Die Fürstenhöfe bauten den mündlichen Gebrauch des Frühneuhochdeutschen weiter aus, während niederdeutsche Dialekte als mündliches Kommunikationsmittel unter der norddeutschen Bevölkerung erhalten blieben. Peters beschreibt diese Situation folgendermaßen: „Der Schreibsprachenwechsel führte zur Herausbildung einer medialen Diglossie: Das Hochdeutsche wurde geschrieben und in stark formellen Situationen in Schule und Kirche gesprochen. Das Übergreifen des Wechsels auf die Sprechsprache führte zur Zweisprachigkeit der Ober- und Bildungsschichten. […] Das Niederdeutsche blieb die gesprochene Sprache der breiten Bevölkerungsschichten. Diese Sprachlage blieb rund 200 Jahre […] stabil“ (Peters 1999: 166). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Verdrängung der Dialekte im niederdeutschen Raum mehr als einhundert Jahre früher und umfassender einsetzte als im hochdeutschen Sprachgebiet (Wiesinger 1997: 29). Sanders hält das geringe Prestige des Niederdeutschen als Sprache der bildungsfernen Gesellschaftsschichten über die Dauer mehrerer Jahrhunderte für einen Faktor, der die Verdrängung des Niederdeutschen massiv förderte (Sanders 1979: 247). Die Wertschätzung, die die gesellschaftlichen Oberschichten im niederdeutschen Raum im 16. und 17. Jahrhundert den autochthonen Dialekten entgegenbrachten, bestand nach Sodmann in einer „Verachtung des Niederdeutschen“ (Sodmann 2000: 1510). Laut Wiesinger zählten die niederdeutschen Dialekte noch bis in die 1990er Jahre zu den prestigeärmsten regionalen Sprachsystemen im deutschen Sprachraum (Wiesinger 1997: 24). Möller stellt dagegen vor dem Hintergrund einer im Jahr 2007 im Auftrag des Instituts für niederdeutsche Sprache (INS) durchgeführten Umfrage fest (Möller 2008: 22f.), dass das Niederdeutsche im niederdeutschen Raum hohe Wertschätzung genießt (Möller 2008: 25). Das Niederdeutsche hat nach Inkrafttreten der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen 1999 den Status einer Regionalsprache (Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen: Liste). Die Charta selbst definiert die beiden Begriffe Regionalsprache und Minderheitensprache nicht (Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen: European Charta). Der verwendete Terminus Regionalsprache ist nach Wirrer definiert als “language with a particular territory which typologically differs from the respective official ”national“ language to a minimum degree. Its speakers ethnically define themselves as part of the majority population of the country in question“(Wirrer 2007: 9). Wirrer deutet an, dass es sich bei dem Status des Niederdeutschen als Regionalsprache um eine temporäre Klassifizierung handelt, indem er auf den ehemaligen Status des Niederdeutschen - vor Aufgabe der niederdeutschen Schriftlichkeit - verweist (Wirrer 2007: 15). <?page no="29"?> 29 1.2 Substandardtheorien und Sprachkontakttheorien In diesem Teilkapitel werden Sprechlagen charakterisiert, die sich durch Sprachkontaktprozesse zwischen Dialekten und Standardvarietät entwickelten. Diese Sprechlagen weisen zahlreiche Merkmale auf, die als Sprachkontaktphänomene einzuordnen sind. Es werden solche Sprachkontakttheorien skizziert, die Rückschlüsse auf das Übernahmeverhalten von Zugezogenen erlauben. 1.2.1 Zur Entwicklung der Regiolekte Nach allmählicher Auflösung der Diglossie-Situation zwischen Dialekt und intendierter Standardvarietät sowie - bei Polyglossie - Stadtsprache (Bellmann 1983: 106ff.) setzte sich langfristig keine der zwei bzw. drei Varietäten vollständig gegen die anderen durch (Lenz/ Radtke u.a. 2004: 9). Stattdessen kam es zur Angleichung von regional gebundenen Varietäten und gesprochener intendierter Standardvarietät, so dass sich neue Sprachformen herausbildeten. Diese neuen Sprachformen wurden sowohl in den Domänen der Standardvarietät als auch zunehmend in den Domänen des lokalen Sprachsystems verwendet. Die Angleichung fiel regional unterschiedlich stark aus: Im mitteldeutschen Raum fanden stärkere Interferenzprozesse zwischen Dialekt und intendierter Standardvarietät statt als im niederdeutschen Raum, im oberdeutschen Raum waren diese wiederum stärker als im mitteldeutschen Raum (Löffler 2000: 1967). Bezogen auf das Mitteldeutsche beschreibt Bellmann die nach der Entdiglossierung entstandene sprachliche Situation folgendermaßen: „So stellt sich das Diasystem heute realiter nicht mehr als ein diglossisches Verhältnis distinkter Varietäten dar sondern als ein Dialekt/ Standard- Kontinuum, und zwar mit deutlichem Schwerpunkt in dem mittleren Bereich“ (Bellmann 1983: 123). Für diesen Bereich hat sich vor hundert Jahren der Begriff Umgangssprache durchgesetzt (Mihm 2000: 2107, Henn 1978: 13f.), seit zwanzig Jahren wird verstärkt der von Bellmann eingeführte Begriff Neuer Substandard verwendet (Bellmann 1983: 124, für weitere Bezeichnungen vgl. Mihm 2000: 2110 und Lameli 2006: 71). Der Begriff Regionalsprache umfasst je nach Definition unterschiedlich viele Sprechlagen, die unterhalb der Standardvarietät einzuordnen sind: Nach Schmidt und Herrgen schließt Regionalsprache grundsätzlich Regionalakzent und Dialekt ein (Schmidt/ Herrgen 2011: 638). Mattheier dagegen grenzt Regionalsprache von Regionalstandard und Dialekt ab (Mattheier 2003: 239). Für Teile des niederdeutschen Raums schließen Schmidt und Herrgen eine Anwendung des Regionalsprachbegriffs weitgehend aus. Sie begründen diese Entscheidung damit, dass ein Großteil der Einheimischen <?page no="30"?> 30 keine Dialektkompetenz aufweist (Schmidt/ Herrgen 2011: 75). In Bezug auf diese Regionen wenden sie den von Steger (Steger 1984: 251) eingeführten Begriff Regiolekt an, „der als standardabweichende Vollvarietät 4 mit großregionaler Verbreitung zu definieren ist“ (Schmidt/ Herrgen 2011: 68). Im Folgenden werden die Sprechlagen zwischen Standardvarietät und Dialekten dementsprechend als Regiolekt bezeichnet. Über die (ursprüngliche) soziokommunikative Funktion der Regiolekte konkurrieren verschiedene Thesen: Munske sieht die Entstehung der Regiolekte historisch in dem vergeblichen Bemühen der dialektal sozialisierten Bevölkerung begründet, die Standardvarietät zu sprechen, die hauptsächlich im Schulunterricht gelehrt und verwendet wurde (Munske 1983: 1005). Dementsprechend umschreibt Wiesinger die Regiolekte als „Ausgleichsprodukt zwischen Schrift- und Standardsprache und Dialekt, indem die Schriftsprache das erstrebte Vorbild bildet und der Dialekt die sprechkonstitutiven Eigenschaften der Lautbildung und Intonation, aber auch eine Reihe von Einzelerscheinungen liefert“ (Wiesinger 1997: 28). Auch Mattheier unterstützt die sogenannte Lernersprachenhypothese (Weisgerber 1996: 262), die den Regiolekten allenfalls den Status eines Etappenziels einräumt (Mattheier 2004: 240). Bellmann hebt zwar einerseits die Standardvarietät als prestigereichste und dadurch angestrebte Varietät hervor, die wegen Nichterreichens durch die Regiolekte substituiert wurde (Bellmann 1983: 113, 117). Andererseits weist er auf sprachliche Entwicklungen im Einzugsgebiet historisch gewachsener Städte hin, die sich weder durch den Einfluss der Basisdialekte noch durch eine Annäherung an die Schriftsprache erklären ließen (Bellmann 1983: 108). Für diese Räume gibt er zu bedenken, dass auch Stadtdialekte als Zielvarietät fungiert haben könnten (Bellmann 1983: 113). Auch Elmentaler wendet sich gegen die Lernersprachenhypothese als allgemein gültiges Modell für die Entwicklung der Regiolekte (Elmentaler 2005: 404): Anhand des Verweises auf regiolektale Belege, die vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht datiert sind (Elmentaler 2005: 407), stellt er die These auf, dass in bestimmten Regionen nicht die ostmitteldeutsch geprägte Leitvarietät, sondern regionale Druckersprachen als sprachliches Vorbild fungierten (Elmentaler 2005: 408). Diese These belegt er anhand der Regiolekte am Südniederrhein und am Nordniederrhein, die sich trotz gleicher dialektaler Basis und Überdachung durch die Standardvarietät bis heute erheblich voneinander unterscheiden (Elmentaler 4 Vollvarietäten definieren Schmidt und Herrgen als “durch je eigenständige prosodischphonologische und morpho-syntaktische Strukturen bestimmte Ausschnitte sprachlichen Wissens, auf deren Grundlage Individuen oder Sprechergruppen in bestimmten Situationen interagieren“ (Schmidt/ Herrgen 2011: 68). <?page no="31"?> 31 2005: 400). Diese Unterscheidung führt Elmentaler auf unterschiedliche Schreibsprachen zurück, die bis ins 16. Jahrhundert in Anlehnung an verschiedene sprachliche Vorbilder verwendet und vermutlich im mündlichen Gebrauch beibehalten wurden (Elmentaler 2005: 411). Herrgen geht davon aus, dass die Standardvarietät bis in die Gegenwart nur im Ausnahmefall das Produkt des Dialektabbaus darstellt: „Die Zielvarietät des Substitutionsprozesses ist meist der großareal verbreitete Regionaldialekt, nicht die Standardsprache. Nur wo Regionaldialekt und Standardsprache übereinstimmen, bedeutet der regionale Ausgleich auch Standardkonvergenz. Wo beide differieren, vollzieht sich der Substitutionsprozeß aber in Richtung auf den Regionaldialekt und damit in diesen Fällen standarddivergent“ (Herrgen 1994: 144). Um zu entscheiden, ob jeweils eine sprachliche Angleichung an die Standardvarietät oder an eine regional verbreitete Varietät vorliegt, empfiehlt Lenz eine Prüfung von Fall zu Fall als Desiderat für zukünftige Studien (Lenz 2003: 33). Beim Vergleich der Regiolekte mit der Standardvarietät fällt auf, dass die Regiolekte im hochdeutschen Raum wesentlich stärker dialektal geprägt sind als im niederdeutschen Raum: Eichhoffs Stufenmodell zeigt einen fließenden Übergang zwischen Standardvarietät und Regiolekten im norddeutschen Raum, während die Standardnähe der Regiolekte nach Süden hin kontinuierlich abnimmt. Die Dialekte im Norden und Süden stehen dagegen in relativ großem Abstand zur Standardvarietät (Eichhoff 1997: 186), werden aber im Süden weitaus häufiger verwendet als im Norden (Löffler 1994: 144, Eichhoff 1997: 184). Auch Königs Modell sieht einen deutlichen Abstand der niederdeutschen Dialekte zur Standardvarietät sowie zu den Regiolekten vor: Auch in seinem Modell klafft im norddeutschen Raum eine große Lücke zwischen Basisdialekten und Regiolekten, während im mittel- und oberdeutschen Raum ein fließender Übergang visualisiert wird (König 2004: 134). Die schwachen Interferenzprozesse im niederdeutschen Raum kann man mit Bellmann mit dem großen sprachlichen Kontrast zwischen Niederdeutsch und hochdeutscher Standardvarietät (Wirrer 2000: 133f., Lindow u.a. 1998) erklären: „Es ist offenbar eine universelle Eigenschaft koexistierender, und vor allem di- und polyglossisch verwendeter Sprachsysteme, daß sie sich gegenseitig zu interferieren vermögen. Dabei scheint zu gelten, daß die Interferierbarkeit proportional zur Intensität des außersprachlichen Kontaktes und zugleich umgekehrt proportional zum bestehenden sprachlichen Kontrast wächst“ (Bellmann 1983: 110). Der große sprachliche Kontrast zwischen Niederdeutsch und hochdeutscher Standardvarietät führte demnach dazu, dass die niederdeutsche Bevölke- <?page no="32"?> 32 rung die hochdeutsche Standardvarietät sehr lautnah artikulierte, nämlich „künstlich nach der Schrift zusammenbuchstabiert“, wie Löffler ausführt: „Diese Buchstabiermethode bekam im Norden sehr bald eine Volksvariante. Die Platt sprechenden Norddeutschen hatten mit der neuen Schriftsprache am wenigsten gemein. Sie mußten sie wie eine Fremdsprache lernen und taten dieses in Schrift und Aussprache“ (Löffler 2000: 1977). Die massive und nachhaltige Verdrängung der Dialekte im niederdeutschen Sprachraum (siehe 1.1.2) spricht allerdings gegen die Lernersprachenhypothese als Erklärungsmodell für solche dialektalen Substratspuren, die die Regiolekte im gesamten niederdeutschen Raum bis heute aufweisen (Lindow u.a. 1998, Lauf 1996: 198f, 205-209, Kremer 2000: 325): In dialektschwachen Regionen im niederdeutschen Raum sind die meisten jungen Erwachsenen ohne Dialektkenntnisse aufgewachsen (Löffler 1994: 144, Eichhoff 1997: 184, Wirrer 1998: 310f., Stellmacher 1987: 12, 27; Möller 2008: 16, 65f.), so dass diese Regionalismen nicht auf einen unvollständigen Erwerb der Standardvarietät zurückgeführt werden können. Eine Verwendung dialektaler Substratspuren unter jungen Erwachsenen muss also weitgehend unabhängig von Dialektkenntnissen erfolgen. Regionalismen fungieren dabei als regionale Identitätsmarker (Salewski 1998: 28). Reershemius bezeichnet eine solche Verwendung als post-vernacular. Sie erläutert diese am Beispiel junger Dorfbewohner in Ostfriesland folgendermaßen: “When they want to use language as a marker of regional identity, they have to fall back on post-vernacular linguistic practices. They choose to integrate certain Low German elements into their Standard German, although, as a code among peers, this choice may have reached a level of subconscious use” (Reershemius 2009: 145). Schmidt zeigt eine ähnliche Verwendung am Beispiel des Ruhrgebiets auf: Aufgrund nicht vorhandener Dialektkenntnisse bestehe eine „standardsprechsprachliche „Monoglossie“ mit wenigen großräumigen remanenten Substandardmerkmalen, bei der die ehemalige regionalsprachliche Variation durch symbolisches „Zitieren“ eines eng begrenzten Sets zusätzlicher Merkmale ersetzt ist“ (Schmidt 1998: 171f.). Schmidt und Herrgen erklären einen Teil der Regiolekte im niederdeutschen Raum, wie z.B. im Ruhrgebiet (Schmidt/ Herrgen 2011: 75), zu „aus den ehemaligen regionalsprachlichen Verbänden herausgelösten Regionalakzenten, die für sich allein den linguistischen Kriterien für die Zuerkennung des Status als Regionalsprache nicht genügen“ (Schmidt/ Herrgen 2011: 67). <?page no="33"?> 33 Schmidt und Herrgen weisen allerdings darauf hin, dass dieser Status durch ausstehende Untersuchungen geklärt werden muss (Schmidt/ Herrgen 2011: 75). 1.2.2 Zu regiolektalen Merkmalen und ihrer Salienz Da sich die Regiolekte durch eine hohe Variabilität auszeichnen, gestaltet sich sowohl eine allgemein gültige Differenzierung als auch eine Abgrenzung von anderen Varietäten als außerordentlich schwierig (Bellmann 1983: 118, Gilles 2003: 198). Klepsch und Munske skizzieren diese Herausforderung folgendermaßen: „Das Charakteristische am Varietätenspektrum deutscher Sprache von den Basisdialekten bis zu den Regionalakzenten der Standardsprache ist die Vielzahl von Übergangsstufen zwischen den beiden Polen, die aus systematischer Sicht den Eindruck eines Kontinuums erwecken, die Existenz sehr verschiedener Kompetenzprofile, von der Monolingualität in gesprochener Sprache (z.B. nur Basis-/ Regionaldialekt oder nur Hochsprache) bis zur Polylingualität sämtlicher Register einer Region, die regionale Vielfalt und Verschiedenheit insbesondere zwischen Nord-, Mittel- und Süddeutschland“ (Klepsch/ Munske 2005: 190). In verschiedenen Regionen wurden Regiolekte inzwischen näher beschrieben und in unterschiedlich viele Zwischenstufen gegliedert (Mihm 2000: 2108, Lenz/ Radtke 2004: 9), im Großteil des deutschen Sprachraums sind solche Untersuchungen bislang Desiderate geblieben (Schmidt 1998: 175, Herrgen 2006: 129). Als ein Charakteristikum zur Abgrenzung der Regiolekte von den Dialekten wird oft darauf verwiesen, dass vor allem unauffälligere, großräumiger verbreitete Merkmale - nach Schirmunski sogenannte sekundäre Merkmale - im Gegensatz zu den auffälligen, kleinräumig verbreiteten Merkmalen - primäre Merkmale (Schirmunski 1928/ 1929: 166) - aus den Dialekten in die Regiolekte übernommen werden (Mihm 2000: 2109, Wiesinger 1997: 17, Bellmann 1983: 119, Lenz 2003: 22-25). Die Berücksichtigung sprachlicher Attitüden ist für eine linguistische Einteilung der Merkmale in primär und sekundär essentiell (Mihm 2000: 2109). Obwohl also ein Einfluss von Attitüden vielfach als Erklärungsmodell herangezogen wird (Siebenhaar 2000: 100), sind wissenschaftliche Studien dazu bislang aber rar (Anders 2005: 201). Eine Anwendung von Schirmunskis Modell mit Bezug auf Sprachattitüden wurde bisher nur in wenigen Fällen (vgl. z.B. Barden/ Großkopf 1998) vorgenommen. Damit ein sprachliches Merkmal mit Attitüden verknüpft werden kann, muss das Merkmal zunächst wahrgenommen werden. Ob und wie stark ein <?page no="34"?> 34 sprachliches Merkmal wahrnehmbar ist, lässt sich allein durch phonetischphonologische Messungen jedoch nicht erklären (Hundt 2010: 181). Eine solche Wahrnehmung fällt von Person zu Person unterschiedlich aus, wie von Lenz hervorgehoben wird (Lenz 2010: 94). Dazu greift Lenz auf den Begriff Salienz zurück, der in der Tradition von Schirmunski (Schirmunski 1928/ 1929: 166) und Trudgill (Trudgill 1986: 11) einzuordnen ist (Elmentaler/ Gessinger/ Wirrer 2010: 111ff.); Trudgill lehnt sich dabei an Labov (Labov 1972: 237) an (Hinskens/ Auer/ Kerswill 2004: 44). Lenz definiert den Salienzbegriff folgendermaßen: „Unter Salienz wird hier die kognitive Auffälligkeit eines sprachlichen Merkmals verstanden, in dem Sinne, dass ein sprachliches Element aus seinem Kontext hervorgehoben wird und dadurch dem Sprachbewusstsein leichter und schneller zugänglich ist als nicht-saliente Varianten“ (Lenz 2010: 94). Hinskens, Auer und Kerswill werfen die Frage auf, ob die Salienz sprachlicher Merkmale anhand von einheimischen oder auswärtigen Sprechern getestet werden sollte (Hinskens/ Auer/ Kerswill 2004: 45). Auch Elmentaler, Gessinger und Wirrer erwähnen als möglichen Einflussfaktor auf Salienz die regionale Herkunft (Elmentaler/ Gessinger/ Wirrer 2010: 117). Bislang sind weder die Faktoren erforscht, die Salienz determinieren (Elmentaler/ Gessinger/ Wirrer 2010: 114), noch der Einfluss von Salienz auf sprachliches Verhalten (Hinskens/ Auer/ Kerswill 2004: 45). In Bezug auf den deutschen Sprachraum nimmt sich derzeit besonders das Projekt Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien dieser Forschungslücke an (Anders/ Hundt: Wahrnehmungsdialektologie). 1.2.3 Sprachkontakttheorien Während bestimmte Dialektismen ihren soziokommunikativen Verwendungsbereich erweitert haben, geht die Verwendung anderer Dialektismen mit fortschreitendem Dialektabbau zwangläufig zurück. Welche dialektalen Merkmale im Einzelnen in die Regiolekte entlehnt werden, hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die beim Sprachkontakt wirksam werden. Giles’ ursprünglich sozialpsychologische Akkommodationstheorie (Niedzielski/ Giles 1996) wird vielfach herangezogen, um sprachliche Angleichungstendenzen zwischen Kommunikationspartnern zu erklären. Als zentrale Kommunikationsstrategien stellt Giles Konvergenz (Convergence) - sprachliche Angleichungstendenz - und Divergenz (Divergence) - sprachliche Distanzierung - einander gegenüber (Niedzielski/ Giles 1996: 335f.): Vollzieht sich die sprachliche Angleichung an eine prestigereichere 5 Varietät, spricht er von Aufwärts-Konvergenz (Upward Convergence), bei Angleichung 5 “prestigious variety, more socially-valued variety” (Giles/ Niedzielski 1996: 336). <?page no="35"?> 35 an eine prestigeärmere Varietät von Abwärts-Konvergenz (Downward Convergence), bei entsprechender Distanzierung von Aufwärtsbzw. Abwärts-Divergenz (Upward bzw. Downward Divergence) (Niedzielski/ Giles 1996: 336). Hinskens, Auer und Kerswill weisen darauf hin, dass Giles dabei von einem weitgehenden gesellschaftlichen Konsens über die Wertschätzung der unterschiedlichen Varietäten ausgeht (Hinskens/ Auer/ Kerswill 2004: 7). Trudgill unterscheidet auf der Grundlage seiner Studien in Norwich zwei Arten von Wertschätzung: Bezieht sich die Wertschätzung auf Varietäten, die mit einem hohen sozialen Status assoziiert werden, schreibt er ihnen Offenes Prestige (Overt Prestige) zu. Wird sie stattdessen Varietäten zugeschrieben, die mit einem niedrigeren sozialen Status verknüpft werden, weisen sie Verdecktes Prestige (Covert Prestige) auf (Trudgill 1972: 188). Giles’ Modell wurde nach seiner Entstehung 1973 mehrfach modifiziert: Trudgill wendete das Modell auf Sprachkontaktsituationen an: Er differenzierte zwischen langfristiger Akkommodation (Long-Term-Accommodation) als Ausgangsbasis für Sprachwandelprozesse und kurzfristiger Akkommodation (Short-Term-Accommodation) für individuelle Angleichungsprozesse innerhalb einzelner Gespräche (Trudgill 1986: 1-8). Trudgill geht davon aus, dass sich eine sprachliche Angleichung auf solche sprachlichen Merkmale beschränkt, die den Sprechern als abweichend von anderen Sprachvarietäten bewusst sind (Trudgill 1986: 11): Die salienten Merkmale der Ausgangssprache werden abgebaut, die salienten Merkmale der Zielvarietät übernommen. Die schwach salienten Merkmale der Ausgangssprache bleiben dagegen erhalten, die schwach salienten Merkmale der Zielvarietät werden nicht übernommen (Trudgill 1986: 10f.). Hinskens, Auer und Kerswill kritisieren die von Trudgill vorgenommene Gleichsetzung von Akkommodation und Konvergenz und plädieren stattdessen - auch bei dem Verweis auf Zeiträume - für eine genaue, durchgängige Unterscheidung zwischen Konvergenz und Divergenz (Hinskens/ Auer/ Kerswill 2004: 5). Mattheier fügt dem Begriffspaar Konvergenz und Divergenz als dritten Begriff Advergenz hinzu. Unter Advergenz versteht Mattheier „eine aktive Annäherung einer Varietät an eine andere, die sich ihrerseits jedoch nicht verändert, sondern nur quasi passiv formal erweitert“ (Mattheier 1996: 34). Zur Bezeichnung eines abgeschlossenen Akkommodationsprozesses führt Trudgill den Begriff Diffusion (Diffusion) ein: “Diffusion can be said to have taken place, in the absence of speakers of the variety originally containing this feature - when, in other words, it is no longer accommodation” (Trudgill 1986: 40). <?page no="36"?> 36 Mattheier gibt dabei zu bedenken, dass sich eine solche Diffusion - im Unterschied zur Akkommodation - nicht an einer tatsächlich gesprochenen Varietät orientiert, „sondern in Richtung der jeweiligen Vorstellungen des Sprechers von der sozio-situativ angemessenen Varietät“ (Mattheier 1996: 45). Inwiefern bei einer Diffusion die Vorstellung einer Varietät mit deren authentischer Entsprechung übereinstimmt, müsste demnach von Fall zu Fall geprüft werden. Ausgehend von der Akkommodationstheorie als Ausgangspunkt für Sprachkontaktprozesse entwickelt Trudgill eine Sprachtheorie, in der er den Angleichungsprozess von koexistierenden Varietäten als eine Abfolge von vier charakteristischen Phasen beschreibt: Nach der gegenseitigen Angleichung der Varietäten unter verstärkter Bildung neuer Varietäten werden verstärkt strukturell einfach aufgebaute Varianten gebraucht, während der Großteil der anderen Varianten langfristig nicht mehr verwendet wird. Einfach aufgebaute Varianten aus verschiedenen Varietäten und Varianten, die durch den Sprachkontakt neu entstanden sind, bilden allmählich eine Ausgleichssprache, die sich von allen Ausgangsvarietäten unterscheidet. Ein kleiner Teil der nicht in die Ausgleichssprache integrierten Varianten wird zusätzlich als schichtspezifische, stilistische oder regionale Variante in die neue Ausgleichssprache aufgenommen (Trudgill 1986: 126). Trudgills Modell bezieht sich auf Sprachkontaktsituationen, in denen mehrere nicht standardisierte, als weitgehend homogen angesehene Varietäten verbreitet sind; als Beispiel führt er Sprachkontaktphänomene anhand von Kolonialem Englisch 6 auf den Falklandinseln, in Neufundland, in Australien, in Kanada und in den USA an (Trudgill 1986: 128-146). Im Hinblick auf die Situation im deutschen Sprachraum haben Schmidt und Herrgen eine eigene Sprachwandeltheorie entwickelt, die die Heterogenität und das Veränderungspotential natürlicher Sprachen berücksichtigt (Schmidt 2005a: 17, Herrgen 2006: 120): Die Sprachdynamiktheorie geht davon aus, dass Sprecher ihre Kommunikationsstrategien infolge von Rückkopplung durch Kommunikationspartner stetig modifizieren bzw. stabilisieren (Schmidt 2005a: 19). Werden infolge eines solchen als Synchronisierung bezeichneten Prozesses in einer Reihe von Einzelinteraktionen die Kommunikationsstrategien stabilisiert und modifiziert, findet Mikrosynchronisierung statt (Schmidt 2005a: 20, Schmidt/ Herrgen 2011: 29). Handelt es sich bei den Einzelinteraktionen um längerfristige, frequente und wertgeschätzte Kontakte, kommt es zur Ausbildung ähnlicher Kommunikationsstrategien. Durch eine 6 Trudgill (Colonial English), colonial: “technical term covering in principle all types of English other than those spoken in England and the lowlands of Scotland“ (Trudgill 1986: 127). <?page no="37"?> 37 solche Mesosynchronisierung (Schmidt/ Herrgen 2011: 31) lässt sich z.B. die Herausbildung von nicht-standardisierten Varietäten, wie Soziolekten, erklären (Schmidt/ Herrgen 2011: 31). Orientieren sich größere Gruppen von Sprechern, die in der Regel nicht in einem persönlichen Kontakt zueinander stehen, an einer gemeinsamen Norm, kommt es zur Makrosynchronisierung, die in der Regel die ganze Sprachgemeinschaft umfasst. (Schmidt 2005a: 22, Schmidt/ Herrgen 2011: 32). Makrosynchronisierungsprozesse werden von der Öffentlichkeit als Sprachwandel wahrgenommen. Auf die Frage, welche sprachlichen Elemente bei Sprachkontaktprozessen bevorzugt übernommen werden, gibt bisher kaum eine Theorie eine so umfassende und allgemein gültige Antwort, dass sie sich auf regiolektale Kontaktsituationen übertragen ließe. Van Coetsem geht davon aus, dass sich sprachliche Merkmale beim Sprachkontakt unterschiedlich leicht entlehnen lassen: “As a general principle one can say that a language in contact with another language will tend to maintain its stable components“ (Coetsem 2000: 58). Als stabilste Komponente sieht er die Artikulation an, gefolgt von Phonologie, Morphologie, Syntax und - als instabilste Komponente - den Wortschatz (Coetsem 1988: 26). Smits sieht vor dem Hintergrund einer eigenen Studie unter 40 Dialektsprechern (Smits 2009: 319) ebenfalls den Wortschatz als am leichtesten entlehnbar an. Im Gegensatz zu van Coetsem ordnet er die Morphologie als stabilste Komponente ein, gefolgt von Phonetik-Phonologie und Syntax (Smits 2009: 332f.). Smits schränkt die Ergebnisse allerdings ein: Aus den Daten ließe sich „Unmöglichkeit erschließen, die verschiedenen sprachlichen Teilbereiche hinsichtlich der Resistenzfolge als einheitliche und untrennbare Größen zu betrachten“ (Smits 2009: 332). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine sprachliche Angleichung vor dem oben skizzierten theoretischen Hintergrund vor allem bei langfristigen und häufigen Kontakten mit wertgeschätzten Kommunikationspartnern vollzogen wird. Siebenhaar weist darauf hin, dass vermutlich eine Vielzahl von Faktoren Konvergenz begünstigen, der genaue Einfluss der einzelnen Faktoren ist bisher allerdings ungeklärt: “However, external aspects are generally believed to be the main factors: socio-geographic or mental structures, migration, overt and covert prestige, attitudes and salience have been considered to have an impact on convergence. Most of these explanations can be directly or indirectly related to an accommodation model of speech“ (Siebenhaar 2010: 253f.). <?page no="38"?> 38 1.3 Zugezogene als Forschungslücke Die vorliegende Untersuchung stößt in eine Forschungslücke vor, denn es wurde bisher selten untersucht, inwiefern regiolektale Merkmale an Zugezogene aus anderen Dialektgebieten weitergegeben werden (Nemeth 2011: 99f.). Wenn Zugezogene in der deutschen Dialektologie betrachtet wurden, dann vor allem unter dem Aspekt des Dialektabbaus (Harnisch 2010: 275). Anhand von Pendlern innerhalb des gleichen Dialektraums wurde bevorzugt untersucht, inwiefern sich zunehmende Mobilität auf den Erhalt der Basisdialektale auswirkt (vgl. z.B. Besch 1983). In mehreren Longitudinalstudien im englischen Sprachraum wurde die sprachliche Angleichung von Zugezogenen an eine Standardvarietät untersucht (z.B. Britisches vs. Amerikanisches Englisch). Die Angleichung von Zugezogenen an einen anderen Dialekt wurde dagegen auch im englischen Sprachraum nur in wenigen Studien untersucht. Einen Überblick über diese Studien im englischen Sprachraum geben Barden und Großkopf (Barden/ Großkopf 1998: 10- 14). Im deutschen Sprachraum gibt es bisher nur eine einzige publizierte Studie, bei der die Akkommodation von Zugezogenen nach dem Umzug von einem Dialektraum in einen anderen Dialektraum betrachtet wurde: Barden/ Großkopf befragten von 1990 bis 1992 insgesamt 54 Sachsen, die kurz vor oder nach der Wende die DDR verlassen hatten, um ins alemannische Konstanz bzw. ins rhein-/ moselfränkische Saarbrücken zu ziehen. Mit jeder Gewährsperson führten standardnah sprechende Linguisten insgesamt acht offene Leitfadeninterviews im Abstand von jeweils drei Monaten (Barden/ Großkopf 1998: 16). Im Anschluss an jedes zweite Interview wurde ein Text möglichst standardnah vorgelesen (Barden/ Großkopf 1998: 116). Das entstandene Korpus untersuchten Barden und Großkopf sowohl auf den Abbau von sächsischen Regionalismen als auch auf Übernahmen von Regionalismen der Aufnahmeregion (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 139f.): Das jeweils erste, fünfte und achte Gespräch wurde in zehnminütigen Auszügen anhand von 13 phonetisch-phonologischen Variablen des Obersächsischen im Hinblick auf eine Konvergenz an die Standardvarietät analysiert (Barden/ Großkopf 1998: 46, 47). Die Angleichung an die Aufnahmeregion wurde auf Grundlage der Interviews anhand von 12 bzw. 15 besonders auffälligen Merkmalen untersucht (Barden/ Großkopf 1998: 118-122). Barden und Großkopf kamen dabei zu dem Ergebnis, dass die Probanden saliente, autochthon sächsische Merkmale mit längerer Aufenthaltsdauer seltener verwendeten, während unauffälligere Merkmale weiterhin vorkamen. Im Gegensatz dazu wurden die untersuchten, salienten dialektalen Merkmale der Aufnahmeregion vereinzelt übernommen (Barden/ Großkopf 1998: 126), und zwar bereits innerhalb der ersten beiden Jahre am neuen Wohnort. Generell wurden vor allem solche sprachlichen Merkmale übernommen, die die Einheimischen frequent verwendeten. Dadurch wurde die <?page no="39"?> 39 grundlegende Voraussetzung zum Kennenlernen des Merkmals sichergestellt (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 155). Die auffälligen dialektalen Merkmale wurden besonders dann bewahrt bzw. übernommen, wenn sie mit positiven Attitüden besetzt waren und vice versa (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 163f.). Auer, Barden und Großkopf stellten außerdem fest, dass bestimmte sprachliche Strukturen bevorzugt übernommen wurden: Vor allem solche Merkmale wurden übernommen, die ausschließlich oder besonders häufig in bestimmten Lexemen vorkamen, also lexikalisch gebunden auftraten. Die Übernahme phonologischer Regeln erfolgte seltener (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 154f). 1.4 Akkommodation im Rückblick Das Untersuchungsgebiet im niederdeutschen Raum wurde für die vorliegende Studie ausgewählt, weil hier der Abbau der Basisdialekte viel stärker fortgeschritten ist als im mittel- und oberdeutschen Raum: Wegen des großen sprachlichen Abstands zwischen Niederdeutsch und ostmitteldeutsch geprägter Standardvarietät (Wirrer 2000: 133f., Lindow u.a. 1998) weisen die Regiolekte im niederdeutschen Raum weitaus weniger dialektale Interferenzen auf als im mittel- und oberdeutschen Raum (Bellmann 1983: 110, König 2004: 134). Sie weisen einen relativ geringen sprachlichen Abstand zur Standardvarietät auf (Eichhoff 1997: 186, König 2004: 134) und werden - wie Regionalsprachen im mittel- und oberdeutschen Raum - soziokommunikativ eher im Nahbereich verwendet (Mihm 2000: 2107, Schmidt/ Herrgen 2011: 66f.). 7 Im niederdeutschen Raum lässt sich regionalsprachlicher Wandel also in einem besonders weit fortgeschrittenen Stadium untersuchen: In dialektschwachen Regionen, wie z.B. Ostwestfalen-Lippe, wird Dialekt bereits seit Jahrzehnten vielfach nicht mehr an die jeweils nächste Generation weitergegeben (siehe 2.2). Trotzdem sind in den Regiolekten durchaus Spuren des dialektalen Substrats 8 erhalten (Lauf 1996: 198f, 205-209, Kremer 2000: 325). Dialektismen, die unabhängig von aktiver und passiver Dialektkompetenz tradiert und verwendet werden, sind als besonders resistent einzuordnen. Vermutlich handelt es sich dabei entweder um sekundäre Merkmale des Basisdialekts (Mihm 2000: 2109, Lenz 2003: 22-25, Barden/ 7 Wegen der Verwendung im Nahbereich werden die Sprechlagen zwischen Standardvarietät und Dialekten auch in Bezug auf dialektschwache Regionen im niederdeutschen Raum als Regiolekt bezeichnet (siehe 1.2.1). 8 Welche Substratspuren im Einzelnen in Regionalsprachen verbreitet sind, wird derzeit im Rahmen des Projekts Sprachvariation in Norddeutschland (SiN) erforscht, das die Sprechlagen zwischen Dialekt und Standardvarietät in Kleinstädten im gesamten niederdeutschen Raum empirisch untersucht (Elmentaler u.a. 2006, Schröder/ Elmentaler 2009 und Elmentaler u.a.: SiN). <?page no="40"?> 40 Großkopf 1998: 126) oder um frequent verwendete, saliente Regionalismen, die mit positiven Attitüden assoziiert werden (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 155, 163f.). Da diese sekundären und salienten Merkmale unabhängig von der im niederdeutschen Raum stark rückläufigen Dialektkompetenz verwendet und tradiert werden (Kremer 2000: 332), werden diese vermutlich langfristig an jüngere Generationen weitergegeben. Saliente Regionalismen, die ein hinreichendes Covert Prestige aufweisen, werden vermutlich auch an Zugezogene weitergegeben (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 163f.). Bei ausreichenden Kontaktmöglichkeiten zwischen Einheimischen und Zugezogenen sind entsprechende Akkommodationsprozesse zu erwarten. Diese werden im Folgenden nach Konvergenz und Divergenz unterschieden: Sprachliche Angleichung wird als Konvergenz betrachtet, Vermeidung von sprachlichen Übernahmen dagegen als Divergenz. Im Rahmen von Konvergenzprozessen dürften bereits nach einer relativ kurzen Aufenthaltsdauer von mehreren Monaten vor allem lexikalische oder lexikalisch gebundene Übernahmen auftreten (Coetsem 1988: 26, Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 154). Konvergenz und Divergenz sollten sich rückwirkend erschließen lassen, wenn für eine darauf ausgerichtete, empirische Studie solche Regionalismen ausgewählt werden, die Zugezogenen autochthon nicht bekannt sind. Einen solchen Versuch unternimmt die vorliegende Studie: In einer Querschnittsuntersuchung wird die Verwendung von Regionalismen unter Einheimischen und Zugezogenen verglichen. Aus den erhobenen Sprachdaten lassen sich Rückschlüsse auf regiolektale Übernahmen ziehen. Regionalsprachliche Studien zu Akkommodation sind demnach nicht nur als Longitudinalstudie, sondern auch als Querschnittsuntersuchung möglich. <?page no="41"?> 41 2 Planung und Durchführung der Untersuchung Die vorliegende Studie untersucht, inwiefern zugezogene Studierende Regionalismen wahrnehmen, kennen und verwenden, die an ihrem Studien- und Wohnort in Ostwestfalen verbreitet sind. Da Ostwestfalen zu den dialektschwächsten Regionen im gesamten deutschen Sprachraum gehört (König 2004: 134), kommen Zugezogene in dieser Region im Regelfall nicht mit Dialekt in Kontakt: Junge, einheimische Erwachsene in Ostwestfalen verfügen kaum über aktive und passive Dialektkenntnisse (Kremer 2000: 332, Stellmacher 1987: 27, Möller 2008: 34, 65ff.), die sie an Kommilitonen weitergeben könnten. Unabhängig von der geringen bzw. vielfach nicht vorhandenen Dialektkenntnis werden im Regiolekt dennoch Substratspuren des Westfälischen verwendet (Lindow u.a. 1998, Lauf 1996: 198f, 205-209, Kremer 2000: 325). Welche Substratspuren im Einzelnen regiolektal verbreitet sind, ist allerdings bisher nicht abschließend erforscht. Die Sprechlagen zwischen den niederdeutschen Dialekten und der Standardvarietät werden derzeit vom Projekt Sprachvariation in Norddeutschland (SiN) empirisch im deutschen Sprachraum untersucht (Elmentaler u.a. 2006, Schröder/ Elmentaler 2009, Elmentaler u.a.: SiN). Die Angleichung von zugezogenen an einheimische Studierende in Ostwestfalen wird in der vorliegenden Studie anhand von ausgewählten phonetisch-phonologischen und lexikalischen Merkmalen untersucht, die regiolektal in Ostwestfalen vorkommen. Die Probanden wurden dazu in drei Gruppen eingeteilt, die im Rahmen der Auswertung miteinander verglichen wurden, nämlich einheimische Ostwestfalen, Zugezogene aus dem niederdeutschen, nicht-westfälischen Raum und Zugezogene aus dem mittel- und oberdeutschen Raum (siehe 2.3). Insgesamt wurden 145 Probanden in einem mehrstufigen Testverfahren einzeln eine knappe Stunde lang standardisiert befragt (Lorenz 2013a: 362f., Nemeth 2011: 101f.): Zuerst lasen die Probanden einen kurzen Text vor und erzählten anschließend eine Bildergeschichte (Mayer 1969: 1-4, 8f., 17-23, 25- 28). Der Vorlesetext enthielt Wörter, die bei einer für Ostwestfalen regionaltypischen Realisierung bestimmte phonetisch-phonologische Varianten aufweisen 9 : Das Wort Wurst beispielsweise wird in Ostwestfalen regiolektal als [vu: ɛ st] oder [vu: ast] artikuliert. In der Bildergeschichte (Mayer 1969: 18-22) waren Akteure abgebildet, auf die in einer regiolektalen Variante referiert werden kann, z.B. ein Hirsch, auf den in Ostwestfalen regiolektal in der 9 Weil es sich bei diesen Merkmalen nicht zwangsläufig um überregional bekannte und als regionaltypisch klassifizierte Varianten handelt, wird der Begriff Schibboleth hier bewusst vermieden. <?page no="42"?> 42 Regel durch [hi: ɛʃ ] oder [hi: a ʃ ] referiert wird. Dieselben Personen realisieren beim Erzählen der Bildergeschichte eine andere Sprechlage als beim Vorlesen. Unterschiedliche Sprechlagen sollten sich anhand von neun phonetischphonologischen Variablen unterscheiden lassen. Eine dieser neun unter 2.4.4 dargestellten Variablen ist die anhand der Wörter Wurst und Hirsch beispielhaft angeführte Sekundärdiphthongierung, die in einer auffällig gespannten, gedehnten und gehobenen Artikulation von Monophthongen verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ besteht (siehe 2.4.4). Nach Abschluss der Sprachaufnahmen hörten sich die Probanden über Kopfhörer 20 als Tonaufnahme vorliegende Sätze an und nannten jeweils die Wörter, bei denen sie sprachliche Auffälligkeiten wahrnahmen (Salienztest). Der Salienztest dient dazu, die individuelle, von den Probanden mitgeteilte Wahrnehmung der autochthon regiolektalen Merkmale in Ostwestfalen zu ermitteln. Dazu wurden den Probanden 20 Sätze als Tonaufnahme vorgespielt, die regional bedingte Abweichungen von der Standardvarietät aufweisen. Beim Test wurde vermieden, Probanden durch das Vorkommen von einer regionaltypischen Variante für das Vorkommen weiterer regionaltypischer Varianten zu sensitivieren, denn durch zusätzliche Sensitivierung können mehr und andere Merkmale wahrgenommen werden als ohne diese. Eine solche, in Experimenten nicht erwünschte, Beeinflussung der Wahrnehmung durch bestimmte Reize wird im Folgenden mit dem psychologischen Terminus Priming bezeichnet (Wenninger 2002: Priming-Effekt). Um Priming zu vermeiden, wurden regiolektale Merkmale ausgewählt, die autochthon in jeweils unterschiedlichen großlandschaftlichen Dialektregionen verbreitet sind. Für acht der neun phonetisch-phonologischen Variablen, die der Auswertung der Sprachaufnahmen zugrunde liegen, wurde mindestens eine in Ostwestfalen verbreitete regiolektale Variante im Rahmen des Salienztests abgefragt. Als Repräsentant für die oben erwähnte Sekundärdiphthongierung diente [vo: at]. Im Rahmen der Auswertung wird die mitgeteilte Wahrnehmung der neun Variablen jeweils deren aktiver Realisierung gegenübergestellt: Es wurde geprüft, ob Personen, die in Ostwestfalen autochthon verbreitete regiolektale Varianten beim Vorlesen und Erzählen verwendeten, diese Varianten im Salienztest als auffällig angaben. Nach dem Salienztest füllten die Probanden einen Fragebogen aus, der in Ostwestfalen verbreitete regiolektale Lexeme abfragte. Dass diese Lexeme regional möglichst exklusiv in Ostwestfalen bekannt sind, wurde zuvor durch einen Vortest unter 134 Studierenden in drei verschiedenen großlandschaftlichen Dialektregionen überprüft, nämlich im nordniederdeutschen Neumünster, im südhessischen Darmstadt und im ostwestfälischen Bielefeld (siehe 2.5.1). Bei den meisten abgefragten Lexemen handelte es sich um lexikalische Interferenzen aus dem Niederdeutschen. Diese können aufgrund der Ergebnisse des Vortests aber als unabhängig von Niederdeutschkennt- <?page no="43"?> 43 nissen in Ostwestfalen gut bekannt vorausgesetzt werden. Im Haupttest wurden die aufgrund des Vortests ausgewählten Lexeme teils onomasiologisch und teils semasiologisch abgefragt. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, inwiefern Zugezogene regionale Lexeme in ihren passiven Wortschatz übernehmen. Um den Einfluss nichtsprachlicher Merkmale auf eine sprachliche Angleichung überprüfen zu können, wurden standardisiert Angaben zu Spracheinstellung und Ortsloyalität erhoben: Die Einstellung der Probanden zu Regiolekt und Region wurde mithilfe von positiv und negativ formulierten skalierten Statements abgefragt. Abschließend wurden standardisiert soziodemographische und sprecherbiographische 10 Daten erfragt. Zudem wurde nach Zufriedenheit mit Region und Unterkunft sowie nach Aufenthalt außerhalb der Heimatregion und Kontakten zu Einheimischen gefragt, um einen verzerrenden Effekt dieser Faktoren auf die Spracheinstellung auszuschließen. 2.1 Vorannahmen Sehr wahrscheinlich wirken sich die voneinander unabhängigen Einflussgrößen - hohe Aufenthaltsdauer, positive Attitüden, viele soziale Kontakte, große westfälische Verwandtschaft - verstärkend auf die sprachliche Angleichung der Zugezogenen aus. Eine erhöhte Frequenz der phonetischphonologischen regiolektalen Ostwestfalismen beim Vorlesen und Erzählen sowie ein größerer passiver Wortschatz sollten also in Abhängigkeit dieser verstärkenden Faktoren feststellbar sein. Allerdings dürfte diese Erhöhung von Variable zu Variable und von Lexem zu Lexem unterschiedlich ausfallen. Die Salienz der phonetisch-phonologischen Merkmale dürfte dagegen in Abhängigkeit von Aufenthaltsdauer und sozialen Kontakten zurückgehen; ein Zusammenhang zwischen Salienz und positiven Attitüden ist zu klären (Nemeth 2011: 106). Den Einfluss dieser unabhängigen Faktoren auf die Verwendung von regiolektalen Ostwestfalismen stellt Abbildung 2.1. dar. 10 Der Begriff sprecherbiographisch wird in Anlehnung an Wirrer verwendet: „Sprecherbiographien sind die Teile einer Biographie, die sich auf die sprachliche Seite eines Lebenslaufes beziehen und auf diese beschränken. Sie reichen von Beginn der sprachlichen Sozialisation bis zum Zeitpunkt ihrer Erhebung und durchlaufen - wie andere Teile einer Biographie auch - kulturspezifische Stadien“ (Wirrer 1999: 174). <?page no="44"?> 44 • hohe Aufenthaltsdauer • positive Attitüden • viele soziale Kontakte • große westfälische Verwandtschaft Salienz • phonetischphonologisch Phonetik Phonologie Lexik Vorlesen Erzählen passiver Wortschatz Bezug zu Ostwestfalen Verwendung von Ostwestfalismen hoch niedrig Abb. 2.1. Einfluss der unabhängigen Faktoren, die einen Bezug zu Ostwestfalen operationalisieren (Pfeil), auf die Übernahme von regiolektalen Ostwestfalismen. Für die vorliegende Untersuchung lassen sich folgende Vorannahmen formulieren: Die drei Untersuchungsgruppen Ostwestfalen, niederdeutsche und hochdeutsche Zugezogene verwenden die in Ostwestfalen verbreiteten regiolektalen Varianten der neun untersuchten phonetisch-phonologischen Variablen in unterschiedlicher relativer Häufigkeit. Die Einheimischen verwenden die Regionalismen jeder Variable am häufigsten, die Zugezogenen seltener oder gar nicht beim Vorlesen und Erzählen. Alle drei Untersuchungsgruppen verwenden die regiolektalen Varianten der neun Variablen beim Erzählen häufiger als beim Vorlesen. Die neun Variablen lassen sich danach unterscheiden, wie frequent die regiolektalen Varianten von den Einheimischen beim Vorlesen und Erzählen verwendet werden. Vermutlich werden regiolektale Varianten einiger Variablen nach kürzerer Aufenthaltsdauer von Zugezogenen verwendet als die anderer Variablen. Es ist zu erwarten, dass Zugezogene vor allem solche regiolektalen Ostwestfalismen übernehmen, die von einheimischen Ostwestfalen frequent verwendet werden (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 155, Schmidt/ Herrgen 2011: 29). Auch hinsichtlich der Salienz unterscheiden sich die regiolektalen Varianten der neun Variablen wahrscheinlich voneinander: Regiolektale Varianten einiger Variablen dürften vor allem Zugezogenen auffallen, Varianten anderer Variablen fallen vermutlich sowohl Zugezogenen als auch Einheimischen auf. Hochsaliente Merkmale werden vermutlich sowohl von Einheimischen als auch von Zugezogenen vermieden (Elmentaler/ Gessinger/ Wirrer 2010: 120) oder gezielt zur Betonung der regionalen Zugehörigkeit eingesetzt (Salewski 1998: 28, Schmidt 1998: 171f.). <?page no="45"?> 45 Saliente Merkmale, die übernommen werden, assoziieren die Zugezogenen vermutlich positiv (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 163f.). Verwenden Zugezogene also Regionalismen, die sie selbst als salient einordnen, lässt dies auf eine bewusste Übernahme schließen. Nichtverwendung salienter Merkmale deutet dagegen auf eine gezielte Vermeidung hin. Gerade Lexeme und lexikalisch gebunden auftretende Merkmale werden besonders leicht übernommen (Coetsem 1988: 26, Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 154). Deswegen dürften gerade in Bezug auf die regiolektalen Wörter besonders viele Übernahmetendenzen erschließbar sein. Da alle regiolektalen Wörter unter einheimischen Studierenden auf ihre Bekanntheit vorgetestet wurden, sind diese in der einheimischen Kontrollgruppe vergleichbar gut bekannt. Es wird untersucht, inwiefern die Wörter den Zugezogenen in unterschiedlichem Maße bekannt sind. Bestimmte Wörter mit hohem Alltagsbezug werden von Zugezogenen vermutlich eher kennengelernt als andere Wörter, die für die Studierenden weniger alltagsrelevant sind. Alltagsrelevante Wörter werden vermutlich von mehr Zugezogenen und nach kürzerer Zeit kennengelernt als weniger alltagsrelevante Wörter; positiv konnotierte Lexeme dürften eher kennengelernt werden als negativ konnotierte (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 163f.). 2.2 Das Untersuchungsgebiet Die vorliegende Untersuchung wurde unter Studierenden im ostwestfälischen Bielefeld durchgeführt. Die Zugezogenen stammen aus dem niederdeutschen, nicht-westfälischen Raum und aus dem hochdeutschen Raum, die einheimische Kontrollgruppe ist in Ostwestfalen aufgewachsen. Abb. 2.2. zeigt die geographische Lage von Ostwestfalen in Abgrenzung zu den anderen westfälischen und den benachbarten Dialekten. 11 11 Da die vorliegende Untersuchung nicht den ostwestfälischen Dialekt, sondern die Regionalsprache behandelt, wird auf eine Charakterisierung des Ostwestfälischen verzichtet. Eine Skizzierung der wichtigsten Merkmale nimmt Stellmacher vor (Stellmacher 2000: 122). <?page no="46"?> 46 Abb. 2.2. Dialektale Gliederung des Westfälischen (Karte: Taubken 1996: Doppelblatt 1. Ausschnitt.). <?page no="47"?> 47 Wie bereits im Einführungsteil zu Kapitel 2 erwähnt, gehört das Untersuchungsgebiet Ostwestfalen zu den dialektschwächsten Regionen im gesamten deutschen Sprachraum (König 2004: 134). Der Rückgang aktiver und passiver Niederdeutschkenntnisse ist dort noch stärker fortgeschritten als in den meisten anderen Regionen im niederdeutschen Raum (Kremer 2000: 332): Bereits Stellmacher legt dar, dass gerade jungen Erwachsenen in Westfalen über äußerst geringe Niederdeutschkenntnisse verfügen: Bei der 1984 durchgeführten repräsentativen Erhebung über den Gebrauch des Niederdeutschen in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und dem nördlichen Nordrhein-Westfalen (Stellmacher 1987: 94) schätzte nur 1 Prozent der 18bis 34-Jährigen in Nordrhein-Westfalen die eigenen Niederdeutschkenntnisse als „gut“ oder „sehr gut“ ein. 63 Prozent der Altersgruppe im nördlichen Nordrhein-Westfalen gaben an, Niederdeutsch zumindest „ein wenig“ zu verstehen (Stellmacher 1987: 12, 27). Möller zeigt, dass sich diese Entwicklung bis heute kontinuierlich fortgesetzt hat: Das Institut für niederdeutsche Sprache (INS) führte im Sommer 2007 eine Telefonumfrage unter 800 Personen durch. Die geschichtete Zufallsstichprobe ist repräsentativ für deutschsprachige Personen ab einem Alter von 14 Jahren im niederdeutschen Raum (Möller 2008: 22f.). Alle Personen wurden indirekt zu Kenntnissen und Einstellungen zum Niederdeutschen befragt (Möller 2008: 22f.). Die Ergebnisse sind nach verschiedenen Faktoren wie z.B. Alter, Geschlecht und Herkunftsregion sortiert; Aussagen über Gruppen, die sich durch eine Merkmalskombination auszeichnen - z.B. junge Erwachsene in Nordrhein-Westfalen - können aufgrund der Stichprobengröße nicht getroffen werden. Die befragten Personen im Alter von 14 bis 34 Jahren gaben zu 26 Prozent an, Niederdeutsch „sehr gut/ gut“ zu verstehen und zu 5 Prozent auch „sehr gut/ gut“ zu sprechen. 13 Prozent der Gruppe gab dagegen an, Niederdeutsch „gar nicht“ zu verstehen und 52 Prozent, es „gar nicht“ zu sprechen (Möller 2008: 65f.). Von den Personen aller Altersgruppen, die ihre Niederdeutschkenntnisse als „sehr gut/ gut“ einschätzten, kamen nur 27 Prozent aus Nordrhein-Westfalen (Möller 2008: 16). Die Ergebnisse legen nahe, dass die Dialektkompetenz unter jungen Erwachsenen in Nordrhein-Westfalen weiterhin rückläufig ist (Lorenz 2013b: 135., Nemeth 2011: 101ff.). Aufgrund ihres Alters und ihres studienbedingten Kontakts zur Großstadt stellen dabei gerade Bielefelder Heimatstudierende eine Gruppe dar, die mehrheitlich über besonders geringe bzw. keine Dialektkenntnis verfügt (Wirrer 2000: 136). 2.3 Die Stichprobe Für die vorliegende empirische Studie wurden insgesamt 145 Studierende befragt (Lorenz 2014: 2f., Lorenz 2013b: 138, Lorenz 2013a: 361f., Nemeth <?page no="48"?> 48 2011: 100f.). Um Vergleichbarkeit des soziokulturellen Umfelds sowie ausreichende Kontaktmöglichkeiten zwischen Einheimischen und Zugezogenen voraussetzen zu können, wurde die Untersuchung unter Studierenden derselben Universität durchgeführt, und zwar an der Universität Bielefeld. An dieser Universität betrug der Anteil von Studierenden aus Regionen, die sprachlich Westfalen zuzuordnen sind, zum Zeitpunkt der Untersuchung über 80 Prozent (Universität Bielefeld 2008: 30). Die befragten Heimatstudierenden waren in Ostwestfalen aufgewachsen und zum Zeitpunkt der Aufnahme dort wohnhaft. Die Zugezogenen stammen aus Regionen, die sprachlich nicht Westfalen zuzuordnen sind; die Einordnung erfolgte auf der Grundlage von Taubken (Taubken 1996: Doppelblatt 1). Weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich eine regiolektale Sozialisation im niederdeutschen Raum verstärkend auf die Übernahme der untersuchten Regionalismen auswirkt, werden die niederdeutschen Zugezogenen getrennt von den hochdeutschen Zugezogenen betrachtet. Beide Zugezogenengruppen werden jeweils mit ostwestfälischen Heimatstudierenden verglichen. Die Probanden werden auf Grundlage der dialektalen Einordnung nach Wiesinger also jeweils einer von drei Gruppen zugeordnet (Wiesinger 1983: Karte 47.4): Die erste Untersuchungsgruppe besteht aus Studierenden, die aus niederdeutschen Dialektgebieten - mit Ausnahme von Westfalen und dem niederfränkischen Raum - stammen. Die zweite Untersuchungsgruppe stammt aus dem hochdeutschen Raum, und die Kontrollgruppe setzt sich aus Personen zusammen, die in Ostwestfalen aufgewachsen sind und bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung dort lebten. Mit 30 Personen pro Gruppe wurden Gruppengrößen angestrebt, die als relativ stabil gegenüber Störeffekten durch so genannte Ausreißer anzusehen sind (Bortz 1993: 99). Eine kartographische Übersicht über die Herkunftsorte der Probanden vor dem Hintergrund der dialektalen Gliederung nach Wiesinger (Wiesinger 1983: Karte 47.4) zeigt Abbildung 2.3. Insgesamt 32 Zugezogene stammen aus dem niederdeutschen Raum und 32 Zugezogene stammen aus dem hochdeutschen Raum. Die einheimische Kontrollgruppe bilden 37 Ostwestfalen. <?page no="49"?> 49 Abb. 2.3. Kartographische Übersicht der Herkunftsorte der Probanden unterteilt nach den drei Herkunftsregionen: niederdeutscher, nicht-westfälischer Raum ( ● ), hochdeutscher Raum ( ● ), Ostwestfalen ( ● ). 12 12 Ich bedanke mich bei Brigitte Ganswindt für die Unterstützung beim Erstellen der Karte mittels Regionalsprache.de (REDE) SprachGIS (REDE 2008ff.). <?page no="50"?> 50 2.3.1 Auswahl der Probanden 2.3.1.1 Rekrutierung der Probanden Durch zahlreiche Aushänge und Flyer sowie durch persönliche Ansprache warb die Autorin im Zeitraum Mai bis Juli 2008 in der gesamten Campusuniversität Bielefeld um Aufmerksamkeit für die vorliegende Studie. Zudem wies sie in über 100 Vorlesungen an verschiedenen Fachbereichen auf das Projekt hin. Es wurde angegeben, es gehe in der Untersuchung darum, wie gut sich Zugezogene „in Bielefeld und Umgebung eingelebt“ hätten. Dadurch konnten Priming-Effekte vermieden werden. 145 Personen aus allen Fachbereichen entschlossen sich, an der Untersuchung teilzunehmen. Da den Probanden keine finanzielle Aufwandsentschädigung, sondern Kaffee und Muffins als Dankeschön für ihre Teilnahme an dem je einstündigen, mehrstufigen Test in Aussicht gestellt wurden, kann eine hohe intrinsische Motivation bei allen Beteiligten vorausgesetzt werden. Alle Teilnehmer zeigten sich äußerst kooperativ und geduldig: Kontrollfragen wurden zwar gestellt. Die Auswertung der Kontrollfragen ergab jedoch, dass alle Teilnehmer die Fragen gewissenhaft beantwortet hatten. Kein einziger Proband beendete die Befragung vorzeitig. Alle Befragungen wurden vollständig von der Autorin persönlich durchgeführt. Dadurch ist der Kontext bei allen Befragungen weitgehend vergleichbar. Stellmachers Resümee zu Ein-Personen-Projekten vor dem Hintergrund seiner Dissertation trifft auch auf die vorliegende Untersuchung zu: „Diese Öffentlichkeitsarbeit erfordert vom Forscher einen nicht unerheblichen persönlichen Einsatz, der aber meist durch eine gesteigerte Kooperationsbereitschaft auf Seiten der Bevölkerung belohnt wird. Ein-Mann-Arbeit ist in diesem Zusammenhang nicht unbedingt ein Nachteil“ (Stellmacher 1977: 182). 2.3.1.2 Ausschluss von Probanden Nach Abschluss der Datenerhebung wurden soziodemographische und sprecherbiographische Daten der 145 Personen auf ihre Vergleichbarkeit geprüft: Alle Personen sollten im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sein. Alle Probanden sowie mindestens ein Elternteil sollten mit Deutsch als einziger Muttersprache aufgewachsen sein. Traf eines der Kriterien nicht zu, blieben die gesamten Daten des Probanden bei der Auswertung unberücksichtigt. Zudem sollte jede Person aufgrund ihrer regionalen Herkunft eindeutig einer der drei Untersuchungsgruppen (einheimische Ostwestfalen, niederdeutsche Zugezogene, hochdeutsche Zugezogene) zugeordnet werden können. Zugezogene, die aus anderen Regionen in Westfalen oder aus dem <?page no="51"?> 51 niederfränkischen Raum stammten, wurden wegen der Ähnlichkeit der Regiolekte in diesen Regionen zu Ostwestfalen nicht berücksichtigt. Die einheimischen Probanden sollten in Ostwestfalen aufgewachsen sein und den Großteil ihres Lebens dort verbracht haben; kein Proband hatte Ostwestfalen länger als vier Jahre lang verlassen. Die zugezogenen Probanden sollten seit mindestens einem und maximal acht Jahren in Ostwestfalen leben. Die Testergebnisse von zugezogenen Personen, die bereits vor dem 16. Lebensjahr mehr als ein halbes Jahr im westfälischen oder niederfränkischen Raum verbracht hatten, blieben bei der Auswertung unberücksichtigt. Zugezogene aus dem hochdeutschen Raum wurden außerdem dann ausgeschlossen, wenn sie länger als sechs Monate in einer anderen niederdeutschen Region als Ostwestfalen gelebt hatten. Alle Personen, auf die eines der Ausschlusskriterien zutraf, wurden ausgeschlossen. Von den 145 befragten Probanden wurden die Daten von 101 Personen berücksichtigt. Die Probanden verteilen sich so auf die Gruppen, dass jede Gruppe gegenüber Ausreißern weitgehend stabil ist (Bortz 1993: 99): Die einheimische Kontrollgruppe setzt sich aus 37 Personen zusammen, die Gruppe der niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen bestehen aus jeweils 32 Personen. 2.3.2 Soziodemographische Zusammensetzung der Stichprobe Die Stichprobe setzte sich aus 101 Personen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren zusammen; das Durchschnittsalter betrug 24 Jahre. 62 Personen waren weiblich, 39 Personen männlich. In Bezug auf die Studienfächer setzte sich die Stichprobe interdisziplinär zusammen, wie Abbildung 2.4. zeigt. Eine Übersicht der Probanden unter Angabe von Studienfach, Geschlecht und regionaler Herkunft befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.1.). Abb. 2.4. Einteilung der 101 Probanden nach Studienfächern. <?page no="52"?> 52 2.3.2.1 Einheimische Kontrollgruppe Die ostwestfälische Kontrollgruppe zeichnet sich durch eine ausgeprägte Ortsfestigkeit aus: Mehr als die Hälfte der Probanden gab an, dass bereits ihre beiden Elternteile ihr ganzes Leben in Ostwestfalen verbrachten. Von diesen 19 Probanden verfügen neun zusätzlich über vier Großelternteile, die ihr Leben lang in Ostwestfalen wohnten. 16 Personen gaben an, dass sich niemand mit Niederdeutschkenntnissen in der Familie befand. 13 Personen gaben an, selbst Niederdeutsch zu verstehen, eine Person gab aktive Kenntnisse an. Die Herkunftsorte der Einheimischen verteilen sich über die gesamte Region, die sprachlich Ostwestfalen zuzuordnen ist; eine entsprechende Einteilung erfolgte nach Taubken (Taubken 1996: Doppelblatt 1). Eine Übersicht der Probanden unter Angabe ihrer genauen regionalen Herkunft findet sich im Anhang (siehe Tab. A.1.). 2.3.2.2 Hochdeutsche und niederdeutsche Zugezogene Ein Großteil der befragten Zugezogenen kam zum Studienbeginn im Alter von 19 oder 20 Jahren nach Bielefeld, einige auch zum Besuch der Oberstufe im Alter von 16 Jahren. Im Durchschnitt lebten die Zugezogenen zum Zeitpunkt der Aufnahme seit drei Jahren und zwei Monaten in Ostwestfalen. Im Rahmen der Auswertung wurden Einheimische und Zugezogene anhand solcher ausgewählter phonetisch-phonologischer und lexikalischer Regionalismen miteinander verglichen, die in Ostwestfalen vorkommen. Dazu wurden solche Regionalismen ausgewählt, die möglichst exklusiv in Ostwestfalen verbreitet sind. Die meisten der lexikalischen und - ganz besonders - der phonetisch-phonologischen Regionalismen sind jedoch über den westfälischen und den niederfränkischen Raum hinaus verbreitet. Es sollte ausgeschlossen werden, dass Zugezogenen einzelne abgefragte Regionalismen bereits aus ihren Herkunftsorten bekannt waren. Um dies nach Möglichkeit sicherzustellen, wurden alle Zugezogenen, in deren Heimatregion die ostwestfälische Variante einer Variable als autochthon verbreitet nachgewiesen werden konnte, in Bezug auf diese Variable von der Auswertung ausgeschlossen. Die Zugezogenen werden nach ihrem Herkunftsorte dem entsprechenden Dialektraum zugeordnet. Ein kleiner Teil der Zugezogenen - fünf von 64 Zugezogenen - hat bereits vor dem Umzug nach Ostwestfalen in mehreren verschiedenen Dialekträumen gelebt. Zur besseren Übersicht werden auch diese Zugezogenen nach Möglichkeit einem Dialektraum zugeordnet, und zwar dem, in dem abgefragte ostwestfälische Regionalismen als verbreitet nachgewiesen wurden: Keine der abgefragten lexikalischen und phonetisch-phonologischen Varianten ist z.B. im schwäbischen Raum verbreitet. Deswegen wurde eine Probandin, die den Großteil ihres Lebens im schwäbi- <?page no="53"?> 53 schen Ludwigsburg und ihre ersten vier Lebensjahre im sächsischen Dresden verbracht hat, nicht den schwäbischen, sondern den ostmitteldeutschen Zugezogenen zugeordnet. Zusammen mit den ostmitteldeutschen Studierenden wurde diese Studentin von der Auswertung aller Regionalismen ausgeschlossen, die sowohl in Ostwestfalen als auch in Sachsen verbreitet sind, wie z.B. die Spirantisierung von / g/ im Auslaut. Da für schwäbische Probanden keinerlei Ausschlüsse erfolgten, konnte eine zusätzliche Kategorisierung als Schwäbin unterlassen werden. Nur eine einzige Probandin konnte keiner Kategorie eindeutig zugeordnet werden: Diese Probandin hat ihre ersten zwölf Lebensjahre in den bairischen Städten Regensburg und München und weitere zwölf Lebensjahre in Euskirchen und Bonn im ripuarischen Raum verbracht. Weil mehrere der in Ostwestfalen vorkommenden regiolektalen Varianten auch im Ripuarischen verbreitet sind, wurde die Probandin zusammen mit den ripuarischen Zugezogenen von der Auswertung der entsprechenden Variablen ausgeschlossen. Weil eine einzige im Ripuarischen nicht verbreitete Variante - oben erwähnte Sekundärdiphthongierung - punktuell in Regensburg verbreitet ist, wurde die Probandin zusammen mit anderen Regensburger Zugezogenen zusätzlich auch von der Auswertung dieser Variablen ausgeschlossen. Diese Probandin wurde vor diesem Hintergrund als einzige nicht einer einzigen Kategorie, sondern einer eigenen Kategorie gemischt zugeordnet. Bezogen auf ihre regionale Herkunft im Sinne der oben stehenden Ausführungen setzen sich die beiden Zugezogenengruppen heterogen zusammen; das gilt besonders für die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum, wie die beiden Abbildungen 2.5. und 2.6. zeigen. Abb. 2.5. Einteilung der 101 Probanden in die drei Untersuchungsgruppen nach ihrer regionalen Herkunft. <?page no="54"?> 54 Abb. 2.6. Detaillierte Einteilung der 101 Probanden nach regionaler Herkunft. Die Gruppe der niederdeutschen Zugezogenen stammt aus dem Brandenburgischen, Ostfälischen und Nordniederdeutschen. Die Herkunftsregionen der Zugezogenen aus dem mitteldeutschen Raum lassen sich dem Ripuarischen, Nordhessischen, Obersächsischen, Thüringischen, Rheinfränkischen und Moselfränkischen zuordnen. Obersächsisch und Thüringisch werden im Diagramm unter der Kategorie Ostmitteldeutsch, Rheinfränkisch und Moselfränkisch werden unter Rhein-/ Moselfränkisch zusammengefasst. Da das Ripuarische und das Nordhessische direkt an das Westfälische angrenzen, ist eine Verbreitung von Westfalismen unter den Zugezogenen aus diesen Regionen sehr wahrscheinlich. Folglich werden diese Regionen in Abb. 2.6. keiner umfassenderen Kategorie zugeordnet, sondern einzeln aufgeführt. Die Probanden aus dem oberdeutschen Raum stammen aus dem Bairischen (darunter ein Proband aus Ostfranken) und dem Alemannischen. Weil die Einteilung nach Wiesinger (Wiesinger 1983: Karte 47.4) getroffen wurde, wurden die berlinischen Probanden zur Gruppe der hochdeutschen Zugezogenen gerechnet. Eine Übersicht der Probanden unter Angabe und Kategorisierung ihrer Herkunftsorte befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.1.). 2.4 Auswahl der phonetisch-phonologischen Variablen Phonetisch-phonologische Merkmale von Regiolekten im deutschen Sprachraum sind bereits ansatzweise (Lauf 1996, Mihm 2000), aber nicht abschlie- <?page no="55"?> 55 ßend erforscht. Welche Regionalismen im niederdeutschen Raum verbreitet sind, wird derzeit vom Projekt Sprachvariation in Norddeutschland (SiN) empirisch untersucht (Elmentaler u.a. 2006, Schröder/ Elmentaler 2009 und Elmentaler u.a.: SiN). Die für die vorliegende Untersuchung verwendeten phonetisch-phonologischen Variablen stellen eine kleine Auswahl des vorläufigen Variablenkatalogs aus dem SiN-Projekt dar. Dieser vorläufige Variablenkatalog für die Analyse hochdeutsch-basierter Sprechlagen wurde im Dezember 2007 erstellt, also noch vor Beginn der Datenaufnahme im Rahmen des Projekts (Elmentaler u.a. 2006, Schröder/ Elmentaler 2009 und Elmentaler u.a.: SiN). Die für die vorliegende Arbeit angefertigte Liste beruht dabei vor allem auf einem Dokument, das inzwischen im Rahmen des Forschungsprojekts Hamburgisch - Sprachkontakt und Sprachvariation im städtischen Raum publiziert wurde (Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011). Auf die in dieser Publikation aufgeführten Variablen wird zum Vergleich jeweils verwiesen. Während der Entwicklung des Untersuchungsdesigns wurden immer wieder kleine Bielefelder Studierendengruppen beobachtet und befragt. Dadurch ließen sich Rückschlüsse darauf ziehen, welche regionalen Ausprägungen aus dem Variablenkatalog von der Zielgruppe tatsächlich verwendet wurden. Die im Anschluss an diese Beobachtungen und Befragungen erhobenen Sprecherbiographien stellten sicher, dass diese Ausprägungen unabhängig von aktiven und passiven Niederdeutschkenntnissen erfolgten. Gerade in dialektschwachen Regionen wie Ostwestfalen- Lippe verfügen junge Erwachsene über äußerst geringe, stetig abnehmende aktive und passive Kenntnisse des Niederdeutschen (Wirrer 1998: 310f., Kremer 2000: 332; Stellmacher 1987: 12, 27; Möller 2008: 16, 65f.). Nur wenige Variablen werden unabhängig von Niederdeutschkenntnissen von Studierenden im ostwestfälischen Bielefeld verwendet: Vor dem Hintergrund der eigenen Beobachtungen und Befragungen wurden insgesamt neun Variablen aus dem Variablenkatalog ausgewählt. Die jeweils in Ostwestfalen verwendeten Varianten unterschieden sich in Bezug auf ihre areale Reichweite stark voneinander; zum Teil handelt es sich dabei um Varianten, die regiolektal im gesamten niederdeutschen Raum verbreitet sind. Keine Variable konnte ausgewählt werden, für die eine räumlich ausschließlich auf Ostwestfalen verbreitete Variante existiert, die von der einheimischen Zielgruppe verwendet wird. Es kann aber erwartet werden, dass die ostwestfälischen Studierenden die regionalen Varianten frequent verwenden, während Zugezogene, in deren Herkunftsregion die Verwendung einer Variante nicht nachgewiesen ist, diese Variante seltener oder gar nicht verwenden: Der Gebrauch von phonetisch-phonologischen Regionalismen erhöht sich vermutlich in Abhängigkeit positiv beeinflussender, nichtsprachlicher Faktoren wie z.B. hoher Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen, hoher Zahl freundschaftlicher Bindungen zu Personen aus Ostwestfalen und positiver Attitüden zur <?page no="56"?> 56 Region. Merkmale, die die Einheimischen frequent verwenden, dürften eher übernommen werden als Merkmale, die die Einheimischen selten verwenden (siehe 2.1). Zugezogene, in deren Heimatregion die ostwestfälische Variante einer Variable autochthon verbreitet ist, werden in Bezug auf diese Variable von der Auswertung ausgeschlossen. Um die areale Reichweite der in Ostwestfalen gebräuchlichen Varianten zu ermitteln, wird als Hauptquelle Königs Ausspracheatlas (König 1989a und König 1989b) hinzugezogen. Wie in der vorliegenden Untersuchung bezieht sich auch Königs Interesse auf die Vorleseaussprache Studierender. Königs Stichprobe besteht aus 44 Personen (König 1989a: 16, 17), die aus verschiedenen Orten in der Bundesrepublik (in den Grenzen vor der Wiedervereinigung) zum Studium nach Freiburg und Augsburg gezogen waren. Jede Person repräsentierte dabei den Ort, in dem sie - und in 80 Prozent der Fälle auch ihre Eltern - aufgewachsen war (König 1989a: 20). Untersucht wurde die „hochdeutsch, schriftdeutsch“ orientierte Vorleseaussprache (König 1989a: 18) anhand von Wortlisten, Minimalpaaren und Einzellauten (König 1989a: 148-159). Kritisch anzumerken ist, dass nicht geklärt wurde, ob und inwiefern sich der Studienort auf die den Heimatort repräsentierende Vorleseaussprache auswirkte. König erläutert diesen Sachverhalt folgendermaßen: "Die Sprecher lebten - von wenigen Ausnahmen abgesehen - zum Zeitpunkt der Aufnahme schon jeweils ein oder mehrere Jahre von ihrem Heimatort entfernt an ihrem Studienort (in der Regel Freiburg i. Br.). Änderungen der Vorlesesprache, die dadurch bedingt sind, wären ohne größeren Aufwand nicht auszuschalten gewesen. Der Verfasser hält sie für sehr gering" (König 1989a: 17). Zudem ist zu bedenken, dass angesichts der geringen Fallzahl von genau einer Person pro Ort nur äußerst vorsichtig Rückschlüsse auf die Repräsentation der ortsüblichen Vorleseaussprache möglich sind. Mihms knapper Forschungsüberblick bietet eine Zusammenstellung exemplarischer regional gebundener phonetisch-phonologischer Merkmale der regionalen Umgangssprachen im gesamten deutschen Sprachraum. Im Gegensatz zu den anderen hier verwendeten Quellen legt Mihm keine eigene vergleichende empirische Studie zugrunde (Mihm 2000: 2113, 2115). Stattdessen verwendet Mihm in Bezug auf den niederdeutschen Raum eine Quelle, die hier bereits einzeln berücksichtigt ist, nämlich Lauf (Lauf 1996: 196). Zudem führt Mihm die regiolektalen Merkmale nicht abschließend auf, d.h. aus der Erwähnung einer regiolektalen Variante kann positiv auf seine Verbreitung geschlossen werden - aber nicht umgekehrt. Mihms nicht abschließende Auflistung wird deswegen ergänzend berücksichtigt, um die areale Reichweite der in Ostwestfalen verwendeten regiolektalen Varianten außerhalb des norddeutschen Raums einzugrenzen. <?page no="57"?> 57 Für die Einordnung der Regionalismen im norddeutschen Raum wurde Lauf hinzugezogen (Lauf 1996: 196). Lauf untersuchte 35 freie Erzählungen in Bezug auf Regionalismen in der standardnahen Aussprache. Sie gibt an, dass Teile der Aufnahmen zu dem bereits 1961 erhobenen Pfeffer-Korpus (Deutsches Spracharchiv 1999ff.) gehören (Lauf 1996: 196), andere Teile stammen aus dem Schallarchiv des Deutschen Sprachatlas, das insgesamt ca. 3500 Aufnahmen umfasst (Datenbank Universitätsmuseen und -sammlungen in Deutschland 2002ff.). Genauer beschreibt Lauf ihre Quellen nicht. Trotzdem wird bereits hier deutlich, dass die Vergleichbarkeit der von Lauf genutzten Quellen mit den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erhobenen Daten gering ausfällt: Die freien Erzählungen dürften weitaus stärker dialektal interferiert sein als standardisiert erhobene Vorlesetexte und Bildergeschichten. Das gilt insbesondere für die mehr als fünfzig Jahre alten Aufnahmen aus dem Pfeffer-Korpus. Die Daten, auf deren Grundlage König den Ausspracheatlas erstellt hat, sind dagegen in Bezug auf Textsorte, Erhebungszeitraum und Alter der Probanden weitaus besser mit den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erhobenen Daten vergleichbar. Vier der zehn phonetisch-phonologischen Variablen wurden von Elspaß und Möller im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) berücksichtigt 13 , so dass die entsprechenden Karten für die Variablen (1), (5), (8) und (9) verwendet werden konnten. Im Gegensatz zu den beiden oben angeführten Untersuchungen erheben Elspaß und Möller die phonetisch-phonologischen Varianten indirekt und schriftlich: Seit 2003 erfragen Elspaß und Möller standardisiert die auf Selbstauskunft beruhende Verwendung von lexikalischen und einigen wenigen phonetisch-phonologischen Regionalismen. 14 Mit einem Online-Fragebogen werden Internet-Nutzer zunächst anhand geschlossener Fragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten gebeten, den „normalen ortsüblichen Sprachgebrauch“ für einen Ort ihrer Wahl anzugeben. Trifft nach Meinung der teilnehmenden Person keine der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten zu, kann eine andere Variante im Freitextfeld eingetragen werden. Die Probanden werden außerdem um einige Angaben zur eigenen Person gebeten: Alter, Wohnort, Wohndauer am ausgewählten Ort, Herkunftsort der Eltern. Die Fragebögen wurden von 2000 bis 10 000 Personen unter Angabe von ca. 400 Orten ausgefüllt (AdA 2003ff.). Elspaß und Möller weisen vor dem Hintergrund der ersten vier Befragungsrunden (Elspaß/ Möller 2008: 116) selbst darauf hin, dass junge Erwachsene unter den Probanden überproportional vertreten waren: 13 Es wurden die ersten acht Befragungsrunden berücksichtigt (Ada 2003ff.). 14 Auf den Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) wird in Zusammenhang mit den abgefragten Lexemen unter 2.5.4.1 genauer eingegangen. <?page no="58"?> 58 „Recht konstant war in den verschiedenen bisherigen Befragungsrunden etwa die Hälfte der Informanten zwischen 20 und 29, weitere ca. 20% waren zwischen 30 und 39 Jahre alt“ (Elspaß/ Möller 2008: 117). Die Online-Fragebögen der berücksichtigten acht Fragerunden waren im Zeitraum der Erhebung ausschließlich über die Homepage der Universität Augsburg zugänglich. Es kann also angenommen werden, dass sich in hohem Maße Studierende an der Umfrage beteiligen. Bei der anonymen und indirekten Erhebung lässt sich im Gegensatz zu den beiden anderen skizzierten Untersuchungen nicht feststellen, ob die demographischen Daten wahrheitsgemäß angegeben wurden. Dadurch könnten auch Aussagen über einen Ort getroffen werden, zu dem tatsächlich kein nennenswerter sprecherbiographischer Bezug vorhanden ist. Der große Umfang der Stichprobe spricht allerdings dafür, dass einzelne abweichende Aussagen für das Gesamtergebnis vernachlässigbar sind (Elspaß/ Möller 2008: 120). Bei der Abfrage phonetisch-phonologischer Varianten ist davon auszugehen, dass die Selbstauskunft der teilnehmenden Personen nur bedingt valide ist. Diese Ergebnisse werden folglich nur vergleichend herangezogen. Ferner wird angemerkt, ob die Variablen einen Bezug zum Basisdialekt aufweisen. Dazu werden in Anlehnung an Elmentaler zwei Typen von Lernerinterferenzen 15 voneinander abgegrenzt: Wird ein Merkmal direkt aus dem Dialekt in den Regiolekt entlehnt, wird diese unmittelbare Übertragung als direkte Lernerinterferenz bezeichnet (Elmentaler 2005: 402f.). Dies ist der Fall, wenn z.B. ein Wort aus dem Niederdeutschen vollständig in die Standardvarietät entlehnt wird, das von der Zweiten Lautverschiebung unberücksichtigt geblieben ist, z.B. Pepper anstatt Pfeffer. Wird dagegen anstatt eines dialektalen Merkmals ein anderes Merkmal entlehnt, das weder der Standardvarietät noch dem Dialekt zuzuordnen ist, bezeichnet man dies als indirekte Lernerinterferenz. Bei indirekten Lernerinterferenzen ist der Kontrast zwischen Dialekt und Zielvarietät oftmals geringer als bei direkten Lernerinterferenzen. So klingt z.B. die indirekte Lernerinterferenz Feffer der standardsprachlichen Form Pfeffer ähnlicher als die direkte Entlehnung aus dem Niederdeutschen Peffer. Die phonetisch-phonologischen Variablen werden gemäß dieser Unterscheidung von direkter und indirekter Lernerinterferenz zu ihrem basisdialektalen Vorkommen in Bezug gesetzt. Wegen seiner aktuellen empirischen Basis wurde das deutsche Aussprachewörterbuch als Referenz für die Standardlautung herangezogen (Krech 2009). Beruhend auf Umfragen aus den 1990er Jahren ist dieses Nachschla- 15 Elmentaler verweist dabei auf Henn 1978, diese unterscheidet jedoch drei Interferenztypen, nämlich Kontrastnivellierung, Kontrastverschiebung und Kontrastübertreibung (Henn 1978: 307). <?page no="59"?> 59 gewerk als Nachfolge des Großen Wörterbuchs der deutschen Aussprache (GWDA) angelegt. 16 Bei allen ausgewählten Variablen wurde darauf geachtet, dass sich die ostwestfälische regiolektale Variante jeweils nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von der überregional verbreiteten Variante unterscheidet. Vor diesem Hintergrund wurde z.B. der Ausfall von [t] im Auslaut nicht untersucht. Diese Variante kommt im niederdeutschen Raum frequenter vor als in hochdeutschen Regionen (vgl. Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 5, Martens 1981: 262). Verbreitet ist die Variante allerdings überregional, was Spiekermann 2005 anhand des Pfeffer-Korpus exemplarisch für den oberdeutschen Raum nachweist (Spiekermann 2005: 528). Demzufolge zählt Spiekermann sie auch nicht zu regiolektalen Merkmalen, sondern zu den Allegroformen, also zu „Schnellsprechvarianten, bei denen es zu Tilgungen oder Klitisierungen standardsprachlicher oder dialektaler Grundformen kommt“ (Spiekermann 2005: 518). Insgesamt wurden neun phonetisch-phonologische Variablen für die vorliegende Untersuchung ausgewählt (Tab. 2.1.). Die Variablen werden in den folgenden Teilkapiteln unter besonderer Berücksichtigung der in Ostwestfalen verbreiteten regiolektalen Variante einzeln erläutert. Tab. 2.1. Phonetisch-phonologische Variablen im Überblick. Variable betroffene Phoneme Beispiel für ostwestfälische Variante Erläuterung der ostwestfälischen Variante (1) Plosiv / g/ bzw. [k] im Auslaut und vor Konsonanten Zeu[ç] statt Zeu[k], Ta[x] statt Ta[k] Spirantisierung zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] (2) Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend [f]laume statt [pf]laume, dam[f]end statt dam[pf]end Realisierung als Frikativ [f] (3) Affrikate / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen A[f]el statt A[pf]el bzw. A[bf]el statt A[pf]el, getro[f]t statt getro[pf]t bzw. getro[bf]t statt getro[pf]t Realisierung als Frikativ [f] oder Affrikate [bf] 16 Eine kritische Auseinandersetzung der renommierten älteren Aussprachewörterbücher von Siebs 1969, dem Wörterbuch der deutschen Aussprache 1969 und dem großen Wörterbuch der deutschen Aussprache 1982 leisten sowohl König als auch Ehrlich am Beispiel der Realisierung von / r/ nach Langmonophthong [a: ] (König 2000: 93f, Ehrlich 2008: 109). <?page no="60"?> 60 Variable betroffene Phoneme Beispiel für ostwestfälische Variante Erläuterung der ostwestfälischen Variante (4) / ŋ/ im Auslaut la[ŋk]statt la[ŋ]bzw. la[ŋ ʔ ] statt la[ŋ] Realisierung von [ŋ] im Auslaut mit stimmlosem Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ ʔ ] (5) / r/ nach Kurzmonophthong / a/ P[a: ]k statt P[a ɐ ]k bzw. P[a ʁ ]k Ausfall mit Ersatzdehnung des Kurzmonophthongs [ ɐ ] als [a: ] (6) / r/ nach Monophthong (mit Ausnahme von / a/ ) w[i: a]d statt w[ ɪɐ ]d bzw. w[ ɪʁ ]d gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong (7) Langmonophthong / ɛ : / K[e: ] se statt K[ ɛ : ]se Hebung zu [e: ] (8) Langmonophthong / a: / in geschlossener Silbe (lexemgebunden) n[a]ch statt n[a: ]ch Realisierung des Kurzmonophthongs [a] (9) Plosiv / g/ bzw. [k] im Auslaut des Derivationssuffixes <ig> wen[ıç] standardnahe Spirantisierung als [ıç] 2.4.1 Plosiv / g/ im Auslaut: Variablen (1) und (9) Variable (1) und Variable (9) betreffen den Plosiv / g/ im Auslaut (vgl. Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 6f.). In beiden Fällen zeichnet sich die ostwestfälisch geprägte, regiolektale Variante durch eine Spirantisierung von / g/ aus. Die in Ostwestfalen verwendete Variante ist in beiden Fällen weit über Ostwestfalen hinaus gebräuchlich (Stellmacher 1977: 96, Scheel 1963, 383); die Variante der Variable (9) - Aussprache des Derivationssuffixes <ig> - entspricht zudem der Standardlautung (Krech 2009: 84). Die spirantisierte Aussprache entspricht dem niederdeutschen Substrat (Stellmacher 1977: 96, Stellmacher 2000: 175), es handelt sich bei den regiolektalen Varianten beider Variablen im niederdeutschen Raum also um direkte Lernerinterferenzen (Elmentaler 2005: 402). König untersuchte die Aussprache des Suffixes <ig> anhand der Lexeme Pfennig und winzig auf der Grundlage von 31 Belegen pro Ort (König 1989b: 319). Elspaß und Möller fragten nach der ortsüblichen Aussprache <?page no="61"?> 61 der Lexeme König, zwanzig und wenig (Abb. 2.7., AdA 2003ff.). Das Suffix <ig> wird nach König, Lauf, Elspaß und Möller in weiten Teiles des deutschen Sprachraums spirantisiert ausgesprochen, nämlich im niederdeutschen Raum (Lauf 1996: 199, König 1989b: 319), im Berlinischen (AdA 2003ff.), im nord- und osthessischen Raum sowie im Ripuarischen (König 1989b: 319, AdA 2003ff.). Im Westmitteldeutschen und im Sächsischen weisen Elspaß und Möller die spirantisierte Variante [ıç] als zu [ı ʃ ] koronalisiert aus. Im schwäbischen und im bairischen Raum wird <ig> dagegen nach beiden Atlanten nicht spirantisiert, sondern auslautverhärtet als [ık] gesprochen. Für den ostfränkischen Raum finden sich bei König sowie Elspaß und Möller wiederum Belege für die spirantisierte Aussprache [ıç]. In Freiburg wird nach König die nicht-koronalisierte spirantisierte Variante [ıç] verwendet (König 1989b: 319), Elspaß und Möller dagegen belegen die Verbreitung der auslautverhärteten Variante (AdA 2003ff.). Es bestätigt sich weitgehend die in Abbildung 2.7. gezeigte, aus Elspaß und Möller entnommene, Verbreitung. Abb. 2.7. Areale Reichweite der Varianten von Variable (9): Aussprache des Derivationssuffixes <ig> am Beispiel des Wortes zwanzig im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). Nur in Bezug auf das Suffix <ig> - Variable (9) - entspricht die nichtkoronalisierte g-Spirantisierung der Standardlautung. In anderen Stellungen dagegen gilt die Spirantisierung von <g> als regional markiert: Nach Velarvokalen erfolgt die Spirantisierung als [x]-Laut, nach Palatalvokalen und nach Liquiden erfolgt die Spirantisierung als [ç]- oder koronalisiert als [ ʃ ]- Laut (Krech 2009: 83, 85). König untersuchte die regional markierte g- Spirantisierung in der Vorleseaussprache anhand der Lexeme Tag, täglich, <?page no="62"?> 62 Äuglein, Säugling, Vogt und biegt auf der Grundlage von 27 Belegen pro Ort (König 1989b: 303ff.). Elspaß und Möller fragten nach der ortsüblichen Aussprache von (du) kriegst, Tag, Zeug und weg (Abb. 2.8., Abb. 2.9., AdA 2003ff.). Die Varianten der Variable (1) verteilen sich räumlich so wie die entsprechenden Varianten der Variable (9): Die nicht-koronalisierte spirantisierte Variante der Variable (1) ist regiolektal über Ostwestfalen hinaus im gesamten niederdeutschen Raum (Lauf 1996: 199) und in Berlin (Mihm 2000: 2113) verbreitet. Elspaß und Möller sowie König belegen zudem die großräumliche Verbreitung im mitteldeutschen Raum, Mihm führt exemplarische Belege für das Südhessische und das Obersächsische an; die Spirantisierung erfolgt im Westmitteldeutschen und Sächsischen koronalisiert als [ ʃ ]-Laut (Mihm 2000: 2117f.). Im Ostfränkischen ist die nicht-koronalisierte spirantisierte Variante [ç] ebenfalls verbreitet, im Schwäbischen und im Bairischen wird die nicht-spirantisierte, auslautverhärtete Variante [k] verwendet (AdA 2003ff.: Tag, Zeug, weg, König 1989b: 303-305). Die im Schwäbischen und im Bairischen gebräuchliche Variante [k] entspricht der Standardlautung (Krech 2009: 93). Die Belegdichte der nicht-koronalisierten g-Spirantisierung von Varianten der Variable (1) fällt sowohl bei König als auch beim AdA wesentlich geringer aus als bei Variable (9). Beide Atlanten weisen eher vereinzelte Belege nach, die sich großflächig verteilen (AdA 2003ff., König 1989b: 303ff.). König erläutert das geringe Vorkommen dieser Variante folgendermaßen: „Im Mittel- und Norddeutschen (teilweise auch im nördlichen Süden) wird in weniger formalen Sprachstufen das auslautende G sehr häufig spirantisiert, das heißt als Frikativlaut [ç, x] gesprochen. Diese Spirantisierung zeigt sich in unserem Korpus nur relativ selten (in 22 von 528 Fällen, d.h. in 4,2%. […] Dieser „Aussprachefehler“ ist den Sprechern jener sozialen Schicht, die für die vorliegende Arbeit das Material lieferte, bewußt und wird in einer Stilschicht, in der auf die Aussprache in gewisser Weise geachtet werden kann, vermieden“ (König 1989a: 109). Beim AdA fällt zudem auf, dass die Belegdichte der in Ostwestfalen gebräuchlichen Variante von Lexem zu Lexem erheblich variiert: Nach Selbstauskunft der an der Erhebung für den Atlas zur deutschen Alltagssprache teilnehmenden Personen werden Tag, Zeug und (du) kriegst wesentlich häufiger spirantisiert als weg (AdA 2003ff.). Dies lässt auf eine lexemgebundene Verbreitung der Variante schließen. <?page no="63"?> 63 Abb. 2.8. Areale Reichweite der Varianten von Variable (1): Aussprache von auslautendem / g/ am Beispiel des Wortes weg im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). Abb. 2.9. Areale Reichweite der Varianten von Variable (1): Aussprache von auslautendem / g/ am Beispiel des Wortes Tag im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). 2.4.2 Affrikate / pf/ : Variablen (2) und (3) Variable (2) und Variable (3) betreffen die Realisierung der Affrikate / pf/ (vgl. Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 7f.). Die Affrikate / pf/ ist nördlich der Appel/ Apfel-Isoglosse aufgrund der nicht bzw. nicht vollständig durch- <?page no="64"?> 64 geführten Zweiten Lautverschiebung dialektal unbekannt (König 2004: 63, Scheel 1963: 384). Im Ostmitteldeutschen wird die Affrikate östlich der Pfund/ Fund-Isoglosse dialektal als Frikativ realisiert (König 2004: 230). Südlich der Appel/ Apfel-Isoglosse sowie in der Standardvarietät wird die Affrikate verwendet (Krech 2009: 80). Bis heute wird die Affrikate im niederdeutschen Raum und in Teilen des westmitteldeutschen Raums vielfach nicht gesprochen: Während sie dialektal als unverschobener Plosiv [p] realisiert wird, wird sie regiolektal im Anlaut durch den Frikativ [f] ersetzt (König 1989a: 101, König 1989b: 259, Lauf 1996: 199, Scheel 1963: 384, Mihm 2000: 2113). Bei der Ersetzung der Affrikate durch den ähnlich klingenden, im Phoneminventar des Basisdialekts vorhandenen, Frikativ handelt es sich um eine indirekte Lernerinterferenz (Elmentaler 2005: 403, Martens 1988: 124). Diese Lernerinterferenz ersetzt das gemäß der Zweiten Lautverschiebung zur Affrikate verschobene [p] regiolektal im gesamten deutschsprachigen Raum nördlich der Appel/ Apfel-Isoglosse: Die Belege für die Aussprache der Affrikate im Anlaut als Frikativ verteilen sich nach Königs Ausspracheatlas flächendeckend über den mittel- und niederdeutschen Raum (König 1989b: 259) in der Bundesrepublik (in den Grenzen vor der Wiedervereinigung). Königs Ausspracheatlas liegt die Untersuchung der Affrikate im Anlaut anhand von Pferd und Pflanze auf der Grundlage von 19 Belegen pro Ort zugrunde (König 1989b: 259). Lauf schließt auf eine Verbreitung der als Frikativ realisierten Affrikate in Anlautstellung im gesamten niederdeutschen Raum (Lauf 1996: 199). Bei Königs Erhebung realisierten die Studierenden beim Vorlesen der Wortlisten in 22 Prozent aller Fälle diese Variante (König 1989a: 101). Lauf nennt keine Zahlenwerte, gibt aber an, die Affrikate sei im Anlaut in ihrem Korpus „praktisch stets“ in dieser Variante realisiert worden (Lauf 1996: 199). Zur regiolektalen Realisierung der Affrikate im In- und Auslaut äußern sich weder König noch Lauf. Es ist davon auszugehen, dass sich die regiolektale Artikulation der Affrikate in Abhängigkeit ihrer Stellung im Wort unterscheidet. Deswegen wurde die Realisierung der Affrikate getrennt in zwei Variablen ausgewertet: Variable (2) bezieht sich auf die Bildung der Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend. Variable (3) betrifft die Artikulation der Affrikate im In- und Auslaut nach Vokalen. Es wurde beobachtet, dass die Affrikate im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend - Variable (2) - von der einheimischen Kontrollgruppe sowie von den Zugezogenen im niederdeutschen Raum häufig als Frikativ [f] ausgesprochen wird. Die Affrikate im In- und Auslaut nach Vokalen - Variable (3) - wird dagegen eher standardlautend als [pf] realisiert. Bei der Transkription der Sprachaufnahmen der einheimischen Studierenden fiel auf, dass die regiolektale Realisierung der Affrikate / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen durch zwei Varianten erfolgt: Neben der Variante [f] wurde auch die Variante [bf] realisiert. Als regiolektale Ausprägung für <?page no="65"?> 65 Variable (3) werden demnach sowohl die Varianten [f] als auch [bf] gezählt (siehe 3.2.3). 2.4.3 Nasal / ŋ/ im Auslaut: Variable (4) Die Variable (4) betrifft die Aussprache von / ŋ/ im Auslaut (vgl. Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 11). Die in Ostwestfalen gebräuchliche Variante dieser Variable ist nach Lauf und König im gesamten niederdeutschen Raum verbreitet (König 1989b: 233, Lauf 1996: 199): Im Gegensatz zur Aussprachenorm (Krech 2009: 98) folgt auf den velaren Nasal [ŋ] der Plosiv [k] (Stellmacher 1977: 100, Martens 1981: 262, Scheel 1963: 383, Mihm 2000: 2113). Diese Variante entspricht dem niederdeutschen Substrat (Stellmacher 2000: 175), es handelt sich also um eine direkte Lernerinterferenz (Scheel 1963: 383). König weist eine Verbreitung im niederdeutschen Raum der Bundesrepublik in den Grenzen vor der Wiedervereinigung anhand der Varianten Ding, Täuschung sowie Angst auf der Grundlage von fünf Belegen pro Ort nach (König 1989b: 233). Lauf und Mihm gehen von einer Verbreitung im gesamten niederdeutschen Raum aus (Lauf 1996: 199, Mihm 2000: 2113), König zeigt zudem weitere Belege in Gießen und Bayreuth auf. Er weist darauf hin, dass die Variante bei der Artikulation des Suffixes <ung> von den meisten Studierenden häufiger verwendet wurde als in betonter Silbe (König 1989b: 233). Lauf merkt im Gegensatz zu den bisher diskutierten Varianten an, dass die Variante „häufig, jedoch nicht immer“ verwendet wird (Lauf 1996: 199). Es handelt sich bei Variable (4) demnach um ein Merkmal, bei dem die regionale Ausprägung seltener als die der anderen untersuchten phonetisch-phonologischen Variablen realisiert wird. 2.4.4 Realisierung von / r/ nach Vokal: Variablen (5) und (6) Folgt / r/ unmittelbar auf einen Vokal, wird / r/ regiolektal häufig vokalisiert (vgl. Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 11, 14-18). Dementsprechend gelten in der gemäßigten Hochlautung nicht nur die Allophone [r], [ ʀ ] und [ ʁ ] als normgerechte Aussprache, sondern auch die Vokalisierung von / r/ nach Vokal als [ ɐ ], z.B. in [fa ɐ b ə ] ‚Farbe‘ oder [vı ɐ t] ‚wird‘(Krech 2009: 87). Im ostwestfälischen Raum ist die regiolektale Vokalisierung von / r/ so ausgeprägt, dass die vokalisierte Variante häufig in einem volltonigen [a] besteht; der Vokal vor dem vokalisierten / r/ wird gleichzeitig gedehnt. Die volltonige Vokalisierung von / r/ unterscheidet sich in Abhängigkeit von dem Vokal, auf den / r/ folgt, und zwar in Realisierungsart und regionaler Verbreitung. Deswegen wird die Aussprache von / r/ nach Vokal getrennt voneinander in zwei Variablen untersucht: Handelt es sich bei dem voranstehenden Vokal um Kurzmonophthong [a], wird diese Variante unter Variable (5) subsumiert (vgl. Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 14). Handelt <?page no="66"?> 66 es sich dabei um einen anderen Monophthong als [a], wird dies Variable (6) zugeordnet (vgl. Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 15-18). Für beide Variablen gilt, dass alle Varianten im absoluten Auslaut - z.B. in wir oder in war - von der Betrachtung ausgeschlossen wurden, denn in dieser Stellung können die Varianten durch eine ohrenphonetische Analyse nicht eindeutig zugeordnet werden. Folgt / r/ auf den Kurzvokal / a/ - Variable (5) -, fällt / r/ unter Ersatzdehnung des volltonigen Phonems / a/ aus: <ar> wird also in Ostwestfalen als Langmonophthong [a: ] realisiert, z.B. [fa: b ə ]. König untersucht die Artikulation von / r/ nach Kurzvokal [a] anhand der Wörter Garten und Sarg auf der Grundlage von 17 Belegen pro Ort (König 1989b: 194). Seine Ergebnisse zeigen eine großflächige Verbreitung von nicht gesprochenem / r/ nach Kurzmonophthong [a] im nordniederdeutschen Raum südlich der Aller und im westfälischen Raum sowie eine punktuelle Verbreitung in den westmitteldeutschen Städten Wittlich und Mainz auf. Ob bei Ausfall von / r/ eine Ersatzdehnung des voranstehenden Kurzmonophthongs / a/ vorgenommen wird, gibt König nicht an. Betrachtet man die Regionen, in denen der Anteil des nichtgesprochenen / r/ bei mindestens 60 Prozent aller Nennungen liegt (das entspricht ungefähr zehn von 17 Belegen pro Ort), konzentriert sich die Verbreitung der Variante auf Westfalen, den nordniederdeutschen Raum südlich der Aller, Flensburg sowie punktuell die westmitteldeutschen Städte Wittlich und Mainz. Demnach handelt es sich also um eine Variante, die regiolektal überwiegend im westfälischen Raum vorkommt (König 1989b: 194). Elspaß und Möller bestätigen im Wesentlichen die von König festgestellte Verbreitung anhand des Wortes Karte: Varianten, in denen / r/ unter Ersatzdehnung des voranstehenden volltonigen Phonems / a/ ausfällt, wurden vor allem für den westfälischen Raum gemeldet, die zweithöchste Belegdichte findet sich im westlichen Teil des westmitteldeutschen Raums. Weitere Belege verteilen sich großflächig im nordniederdeutschen Raum südlich der Aller sowie im Hamburger Raum, punktuelle Belege kommen im gesamten niederdeutschen, mitteldeutschen und östlichen oberdeutschen Raum vor (Abb. 2.10., AdA 2003ff.). Mihm führt das Merkmal als spezifisch für das Ruhrgebiet sowie - unter Berufung auf Lauf (Lauf 1996) - für den westfälischen Raum an (Mihm 2000: 2114f.). Lauf selbst äußert sich nicht dezidiert zur Realisierung von / r/ nach Kurzmonophthong [a]. Eine Dehnung von Vokalen, die unmittelbar vor / r/ im Auslaut stehen, führt sie anhand von Beispielen als Merkmal der Regiolekte im nordniedersächsischen und mecklenburg-vorpommerschen Raum auf. Sie sieht diese aber nicht als regionalspezifisch an: „Dieses Phänomen wird häufig als spezifisches Kennzeichen der nordniedersächsischen bzw. hamburgischen Umgangssprache bezeichnet, ist jedoch auch in derjenigen nicht-regionalen Sprachform, die im ungezwungenen privaten Gespräch verwendet wird, und in anderen Bereichen als dem nord- <?page no="67"?> 67 deutschen-niederdeutschen Raum durchgängig verbreitet. Übereinstimmend werden also in der gesprochenen regionalen wie nicht-regionalen Sprachform häufig Formen wie [kla: ] ‚klar‘, [fo: ɐ ], ‚vor‘, [va: tn] ‚warten‘, [fa: t ] ‚Fahrt‘ verwendet“ (Lauf 1996: 201). Auch König sieht eine volltonige Vokalisierung von / r/ nach langem Monophthong [a: ] - im Gegensatz zu einer volltonigen Vokalisierung von / r/ nach Kurzmonophthong [a] - als überregional gebräuchliche Variante an (König 2000: 90). Abb. 2.10. Areale Reichweite der Varianten von Variable (5): Aussprache von <ar> am Beispiel des Wortes Karte im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). Steht / r/ ein anderer Kurzmonophthong als / a/ voran, wird dieser im ostwestfälischen Raum regiolektal gedehnt und geschlossen artikuliert, während / r/ wiederum durch volltoniges [a] oder auch [ ɛ ] ersetzt wird, z.B. [vi: at], [vu: ɛ st] oder [vu: ast] ‚Wurst‘. Bei dieser Variante der Variable (6) entsteht also - im Gegensatz zur regiolektalen Variante der Variable (5) - ein Diphthong. In Anlehnung an Scheel und Lauf wird dieser im Folgenden als Sekundärdiphthong bezeichnet (Scheel 1963: 382f, Lauf 1996: 202); analog dazu wird die regiolektale Variante als Sekundärdiphthongierung bezeichnet. König untersucht die Aussprache von / r/ in der Stellung nach Monophthongen auf kompletten Ausfall und die vorangehenden Monophthonge auf Sekundärdiphthongierung, Zentralisierung, Öffnung, Dehnung und Rhotazierung (König 1989a: 75). Die regionale Verbreitung der Sekundärdiphthonge stellt König anhand der vier Varianten gern (27 Belege pro Ort), Korb (16 Belege pro Ort) Birke (14 Belege pro Ort) und Turm (11 Belege pro Ort) <?page no="68"?> 68 (König 1989b: 202-209) dar. König stellt fest, dass die verschiedenen Vokale unterschiedlich stark diphthongiert werden: „Je höher, je geschlossener ein Vokal ist, desto größer ist seine Neigung zur Diphthongierung; je tiefer ein Vokal ist, desto geringer seine diesbezügliche Neigung“ (König 1989a: 78). Die Karten stellen das Auftreten der Sekundärdiphthonge als relative Häufigkeiten dar. Dabei stellt König zum einen das Auftreten der Sekundärdiphthonge im Zusammenhang mit Rhotazierung dar (König 1989b: 202-205), zum anderen stuft er die Intensität der Diphthongierung binär (stark vs. schwach) ein (König 1989b: 206-209). Betrachtet man die Orte, für die eine ausgeprägte Sekundärdiphthongierung in einem hohen Anteil der Fälle angegeben ist, fällt eine Konzentration der Belege im westfälischen sowie im nordniederdeutschen Raum südlich der Aller auf (König 1989b: 206-209). Weitere punktuelle Belege verzeichnet König in den mittelbairischen Städten Regensburg und Deggendorf (König 1989b: 206-209); im Gegensatz zu den Diphthongen im westfälischen Raum werden die Diphthonge im Bairischen allerdings kurz gesprochen (König 1989a: 79, König 1989b: 2010-215). Lauf bestätigt die Verbreitung der Sekundärdiphthonge im westfälischen und niederfränkischen Raum (Lauf 1996: 206, 209). Mihm führt das Merkmal als spezifisch für das Ruhrgebiet sowie, unter Berufung auf Lauf, für den westfälischen Raum auf (Mihm 2000: 2114f.). Die Quellen stimmen also darin überein, dass die beschriebene Variante der Variable (6) autochthon fast ausschließlich in Westfalen sowie im nordniederdeutschen Raum südlich der Aller verwendet wird. Königs Daten weisen darauf hin, dass die bloße volltonige Vokalisierung von / r/ eine größere areale Reichweite aufweist als die Kombination aus volltoniger / r/ -Vokalisierung und Dehnung des voranstehenden Vokals. Ohrenphonetisch ließ sich die Vokaldehnung im Gegensatz zum Sekundärdiphthong bei hohem Sprechtempo nicht immer eindeutig feststellen. Deswegen wurden auch solche Sekundärdiphthonge als regiolektale, in Ostwestfalen verbreitete Varianten gezählt, die unabhängig von einer Vokaldehnung vorkamen, z.B. [viat]. Die Zugezogenen aus den mittelbairischen Städten Regensburg und Deggendorf, wo Sekundärdiphthonge ohne Vokaldehnung punktuell vorkommen (König 1989b: 206-209), wurden dementsprechend von der Auswertung von Variable (6) ausgeschlossen. Standardnahe Vokalisierungen von / r/ als [ ɐ ] oder [ ə ], die auf einen gedehnten Vokal folgen, wurden dagegen nicht als regiolektale Ostwestfalismen gewertet. 2.4.5 Realisierung von Langmonophthong / ɛ : / : Variable (7) Variable (7) betrifft die Realisierung des langen Monophthongs / ɛ : / (Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 20). Im gesamten niederdeutschen Raum wird <?page no="69"?> 69 der Langmonophthong / ɛ : / regiolektal geschlossen und gehoben als [e: ] realisiert (Lauf 1996: 198, Mihm 2000: 2113, König 1989a: 46). Sowohl Lauf als auch König weisen darauf hin, dass der Phonemstatus von / ɛ : / nicht unumstritten ist: Das Phonem habe erst über die Schriftsprache Eingang in die gesprochene Sprache gefunden, weise also somit keine dialektale Basis auf (König 1989a: 45, Lauf 1996: 198). 17 In der reinen und gemäßigten Hochlautung wird / ɛ : / als [ ɛ : ] realisiert (Krech 2009: 59), alle anderen Varianten weichen folglich von der Norm ab. Das Aussprachewörterbuch aus dem Duden-Verlag dagegen führt die Aussprachevariante [e: ] als Alternative zu [ ɛ : ] auf (Aussprachewörterbuch 2006: 21). König untersucht die Artikulation von / ɛ : / anhand der vier Wortformen Bärte (12 Belege pro Ort), Fährte (12 Belege pro Ort), Schnäbel (47 Belege) und Mähne (47 Belege pro Ort) (König 1989b: 111f.), weitere zehn Wortformen fragt er als Minimalpaar ab (König 1989b: 111ff.). Er weist selbst darauf hin, „dass sich die Sprecher bemühen, im direkten Vergleich (Mer/ Mär, Ehre/ Ähre) die beiden E-Laute auseinanderzuhalten, und zwar im gesamten Untersuchungsgebiet, was nicht immer gelingt“ (König 1989a: 44). Diese durch Priming beeinflussten Aussprachevarianten werden im Folgenden nicht berücksichtigt, es werden nur die vier per Wortliste abgefragten Varianten einbezogen. Bei diesen vier Wortformen verzeichnet König Belege der geschlossenen Aussprache von / ɛ : / im gesamten niederdeutschen Raum, in Nord- und Osthessen, im nördlichen westmitteldeutschen Raum sowie punktuell im mittelbairischen Regensburg. Die Belege konzentrieren sich besonders im Nordniederdeutschen sowie im Osten des westniederdeutschen und des nördlichen westmitteldeutschen Raums (König 19-89b: 110, 112). 2.4.6 Langvokal [a: ] in geschlossener Silbe: Variable (8) In Abweichung von der Standardvarietät werden einige einsilbige Lexeme regiolektal mit verkürztem Vokal [a] anstatt [a: ] ausgesprochen (Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011: 19), z.B. [nax] anstatt [na: x]. Auch diese Variante ist weit über Ostwestfalen hinaus verbreitet. Lauf weist auf eine regiolektale Verbreitung im nordniederdeutschen, im mecklenburgvorpommerschen und im westfälischen Raum hin (Lauf 1996: 202, 206), Mihm führt diese Varianten als im gesamten niederdeutschen und berlinischen Raum verbreitetes Merkmal auf (Mihm 2000: 2113). König untersucht dieses Merkmal anhand von Bad, Rad, Gras und Glas (jeweils sieben Belege pro Ort) und Minimalpaaren. Da davon ausgegangen wird, dass die Aussprache bei Abfrage durch Minimalpaar durch Priming 17 Weitere Literatur zu diesem Problem nennt König (König 1989a: 45). <?page no="70"?> 70 beeinflusst sein kann (siehe 2.4.5), werden im Folgenden nur die vier per Wortliste abgefragten Lexeme in die Ermittlung der regionalen Reichweite einbezogen. Belege für die Kürzungen verzeichnet König im niederdeutschen Raum sowie im Ripuarischen und punktuell im zentralhessischen Gießen (König 1989b: 152). König weist im Zusammenhang mit der Analyse der sechs Minimalpaare jedoch daraufhin, dass die Vokalkürzung in den lexikalisch gebundenen Varianten unterschiedlich oft realisiert wurde: „Beim Paar Rat/ Rad waren es aber 12 Kürzen, das ist das Dreifache des Durchschnittswertes und das Doppelte des höchsten sonst vorkommenden Einzelwertes pro Wortpaar“ (König 1989ab: 63). Elspaß und Möller fragten die Variante zwar anhand des Lexems Tag ab, sie unterschieden allerdings nur bei der spirantisierten Aussprache zwischen langem und kurzem Vokal. Aus diesem Grund werden diese Ergebnisse hier nicht verwendet (AdA 2003ff.). 2.4.7 Regiolektale Verbreitung der Varianten im Überblick Tabelle 2.2. fasst die areale Reichweite der in Ostwestfalen verbreiteten Varianten vor dem Hintergrund der verwendeten Quellen zusammen. 18 Tab. 2.2. Areale Reichweite der phonetisch-phonologischen Varianten und Belege. Variante Areale Reichweite Belege (1) Spirantisierung von / g/ im Auslaut zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] Spirantisierung im niederdeutschen, berlinischen und mitteldeutschen Raum, koronalisierte Spirantisierung im westmitteldeutschen und sächsischen Raum AdA 2003ff. (du kriegst, Tag, Zeug, weg), König 1989b: 303ff. (Tag, täglich, Äuglein, Säugling, Vogt, biegt), Lauf 1996: 199, Mihm 2000: 2113 (2) Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend als Frikativ [f] niederdeutscher, mitteldeutscher und berlinischer Raum König 1989a: 101, König 1989b: 259 (Pferd, Pflanze), Lauf 1996: 199, Mihm 2000: 2113 (3) Realisierung von / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen als Frikativ [f] oder Affrikate [bf] niederdeutscher, mitteldeutscher und berlinischer Raum - 18 Die regionale Verbreitung der phonetisch-phonologischen Varianten (1), (2), (5) und (6) wurde in Lorenz 2014 (Lorenz 2014: 5.ff.) dargelegt. <?page no="71"?> 71 Variante Areale Reichweite Belege (4) Realisierung von / ŋ/ im Auslaut mit stimmlosem Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ] niederdeutscher und berlinischer Raum, punktuell Gießen (zentralhessisch) und Bayreuth (ostfränkisch) König 1989b: 233 (Ding, Täuschung), Lauf 1996: 199, Mihm 2000: 2113 (5) Ausfall von / r/ nach / a/ mit Ersatzdehnung von [ ɐ ] als [a: ] Westfalen, nordniederdeutscher Raum südlich der Aller, punktuell Wittlich und Mainz (Westmitteldeutsch) AdA 2003ff. (Karte) König 1989b: 194 (Garten, Sarg) (6) gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong Westfalen, nordniederdeutscher Raum südlich der Aller und punktuell Regensburg (mittelbairisch) König 1989b: 206-209 (gern, Korb, Birke, Turm), Lauf 1996: 206, 209, Mihm 2000: 2114f. (7) Hebung von / ɛ : / zu [e: ] niederdeutscher und berlinischer Raum, Nord- und Osthessen, ripuarischer und moselfränkischer Raum, punktuell Regensburg (mittelbairisch) König 1989b: 111f. (Bärte, Fährte, Schnäbel, Mähne), Lauf 1996: 198, Mihm 2000: 213 (8) Kurze Realisierung von Langmonophthong [a: ] in geschlossener Silbe (lexemgebunden) niederdeutscher und berlinischer Raum, Ripuarisch sowie punktuell Gießen (zentralhessisch) AdA 2003ff. (Tag), König 1989b: 152 (Bad, Rad, Gras, Glas), Lauf 1996: 202, 206, Mihm 2000: 2113 (9) standardnahe Spirantisierung des Derivationssuffixes <ig> als [ıç] Spirantisierung im niederdeutschen, berlinischen und mitteldeutschen Raum, koronalisierte Spirantisierung im westmitteldeutschen und sächsischen Raum AdA 2003ff. (König, zwanzig, wenig), König 1989b: 319 (Pfennig, winzig), Lauf 1996: 199 2.5 Auswahl der lexikalischen Regionalismen Im Rahmen der Studie wurde ermittelt, inwiefern in den drei Untersuchungsgruppen solche Lexeme bekannt sind, die in Ostwestfalen regiolektal verbreitetet sind. Dazu wurden Lexeme ausgewählt, die möglichst aus- <?page no="72"?> 72 schließlich unter jungen Ostwestfalen bekannt sind (Lorenz 2013b: 236f., Nemeth 2011: 104f.). Zum regiolektalen Wortschatz in Ostwestfalen gibt es bisher keine andere veröffentlichte sprachwissenschaftlich fundierte Studie als die vorliegende. 19 Die regiolektalen Atlanten Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (WDU 1977ff.) und Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.) sowie verschiedene Variantenwörterbücher (Ammon u.a. 2004, Seibicke 1972, Kretschmer 1969, Küpper 2000) berücksichtigen zwar auch den ostwestfälischen Raum. Sie weisen aber nur in wenigen Fällen Varianten auf, deren Verbreitung weitgehend auf Westfalen begrenzt ist. Deswegen wurde für die Eruierung der regiolektalen Ostwestfalismen auf laienlinguistische Zusammenstellungen zurückgegriffen: Die dort aufgeführten Begriffe wurden eigenständig im Rahmen eines Vortests (siehe 2.5.1) und literaturbasiert (siehe 2.5.3 und 2.5.4) auf ihre areale Reichweite geprüft. Es wurden größtenteils Lexeme abgefragt, die aus zwei laienlinguistischen Zusammenstellungen des regiolektalen Wortschatzes in ostwestfälischen Städten sorgfältig ausgewählt wurden: Die in der vorliegenden Untersuchung abgefragten Lexeme stellen im Wesentlichen eine Auswahl aus zwei laienlinguistischen Zusammenstellungen des regiolektalen Wortschatzes in ostwestfälischen Städten dar: Die Zusammenstellung regiolektaler Wörter aus Bielefeld Da fällt man ssich ja über! von Gromann wurde bereits 1979 veröffentlicht, die Sammlung regiolektaler Wörter aus dem Kreis Gütersloh von Borner Pölter, Plörre und Pinöckel ist 25 Jahre später erschienen (Borner 2005 und 2006). Laut Angabe der Autoren beruhen diese Sammlungen auf Introspektion (Telefonat mit Matthias E. Borner im Januar 2007), die Gromann durch nicht näher erläuterte Befragungen im familiären Umfeld ergänzte (Gromann 1979: 5). Weder Borner noch Gromann machen Angaben darüber, inwiefern die Lexeme regional und überregional bekannt sind. Die Sammlungen erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch und richten sich an linguistische Laien. Die beiden ostwestfälischen Sammlungen wurden von einer Liste westfälischer Regionalismen ergänzt, die Niebaum als „Mundartwörter“ aufführt (Niebaum 1977: 95). Zudem wurden einige Lexeme hinzugefügt, die aufgrund von Befragungen im einheimischen Bekanntenkreis als Regionalismen eingestuft wurden. So entstand eine Auflistung von 159 Lexemen (siehe Tab. A.14. im Anhang). Es wird davon ausgegangen, dass gerade frequent verwendete und positiv assoziierte Lexeme (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 155, 163f.) bereits nach kurzer Zeit von Zugezogenen übernommen werden. Für die vorliegende Untersuchung wurden deshalb Lexeme ausgewählt, die in Ostwestfalen möglichst frequent, aber außerhalb von Ostwestfalen möglichst nicht 19 Einige wenige Teilergebnisse der vorliegenden Studie wurden in Lorenz 2013b und Nemeth 2011 diskutiert. <?page no="73"?> 73 verwendet werden. Dadurch konnte sichergestellt werden, dass Zugezogene die abgefragten, ihnen bekannten regiolektalen Ostwestfalismen in Ostwestfalen kennengelernt haben. Dabei musste also ausgeschlossen werden, dass es sich bei den 159 ausgewählten Lexemen um überregional bekannte Schibboleths oder um regiolektal kaum bekannte Lexeme handelt. Um Lexeme zu ermitteln, die möglichst exklusiv in Westfalen bekannt sind, wurde ein Vortest unter 134 Personen durchgeführt (siehe 2.5.1). Die auf dieser Grundlage ausgewählten 23 Lexeme wurden in der Hauptuntersuchung semasiologisch und onomasiologisch abgefragt (siehe 2.6.3). In dialektalen und regiolektalen Wörterbüchern wurden umfangreiche Recherchen durchgeführt (siehe 2.5.3 und 2.5.4), um die untersuchten Lexeme regional einzuordnen. Vor dem Hintergrund der dadurch festgestellten arealen Reichweiten wurden gezielt solche Probanden von der Auswertung ausgeschlossen, in deren Heimatregion das Lexem bekannt war. Da nur sehr wenige Lexeme regiolektal exklusiv in Westfalen und im niederfränkischen Raum verbreitet sind, mussten für die Auswertung der meisten Lexeme Probandengruppen ausgeschlossen werden. Besonders häufig wurden Zugezogene aus dem ripuarischen, ostfälischen und nordniederdeutschen Raum ausgeschlossen. 2.5.1 Vortest Um Lexeme zu ermitteln, die unter Ostwestfalen regiolektal gut bekannt und außerhalb des westfälischen und niederfränkischen Raums weitgehend unbekannt sind, wurde ein semasiologischer Vortest durchgeführt. Zunächst wurde 15 Personen aus Südhessen und Ostwestfalen eine Liste von insgesamt 159 Wörtern aus Gromann, Borner und Niebaum und auf der Grundlage von Befragungen im einheimischen Bekanntenkreis vorgelegt (Gromann 1979, Borner 2005 und 2006, Niebaum 1977). Eine Auflistung der 159 Lexeme befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.14.). Die Regionalismen, deren Bedeutung den Südhessen bekannt waren, wie z.B. Bollerwagen ‚Handwagen‘ (Gromann 1979: 17, Borner 2006 63f.) und Plörre ‚dünne Flüssigkeit‘ (Gromann 1979: 25), ‚zu dünnes Getränk‘ (Borner 2006: 22) wurden als überregional verbreitet aussortiert. Auch die Lexeme, die den Ostwestfalen nicht bekannt waren, wie z.B. das Adverb tengern für ‚rasch‘ (Gromann 1979: 29, Borner 2006: 53f.) oder Pillepoppen ‚Kaulquappen‘ (Gromann 1979: 24, Borner 2006: 85f.) wurden ausgeschlossen. Die verbliebenen 68 Lexeme wurden im November 2007 systematisch vorgetestet (Lorenz 2013b: 137, Nemeth 2011: 104f.), indem sie insgesamt 134 Personen als Fragebogen vorgelegt wurden. 20 Semasiologisch befragt wurden 32 Germanistik-Studierende an der Technischen Universität Darmstadt 20 Ich bedanke mich bei Manfred Timm und Peter Wengel für ihre Unterstützung bei derBefragung in Neumünster und Darmstadt. <?page no="74"?> 74 (Südhessen), 35 Gymnasiasten der Jahrgangsstufe 11 im nordniederdeutschen Neumünster (Schleswig-Holstein) und 67 Germanistik-Studierende an der Universität Bielefeld. Die Probanden vermerkten auf den Fragebögen ihnen bekannte oder auch von ihnen vermutete Bedeutungsangaben zu den abgefragten Wörtern. Antwortmöglichkeiten wurden nicht vorgegeben, es bestand lediglich die Möglichkeit sich einer Bedeutungsangabe durch das Ankreuzen von „keine Ahnung“ explizit zu enthalten. Im Anschluss an die Abfrage der Wörter erhob der Fragebogen sprecherbiographische Angaben. Dadurch konnte ausgeschlossen werden, dass Neumünsteranern und Darmstädtern ostwestfälische Regionalismen durch familiäre oder freundschaftliche Bindungen zu Westfalen oder zum niederfränkischen Raum bekannt waren. Infolgedessen wurden die Fragebögen von fünf Darmstädtern und vier Neumünsteranern wegen Angabe westfälischer Verwandte im Vortest nicht berücksichtigt. Weiterhin sollte ausgeschlossen werden, dass die ostwestfälischen Studierenden die Lexeme aufgrund des eigenen Zuzugs oder auch aufgrund des Zuzugs der Eltern nicht kennengelernt hatten. Vor diesem Hintergrund wurden von den 67 Studierenden neun Zugezogene und 26 Ostwestfalen mit mindestens einem zugezogenen Elternteil ausgeschlossen (15 der 26 ausgeschlossenen Ostwestfalen wiesen einen Migrationshintergrund auf). Alle Probanden wurden außerdem nach Niederdeutschkenntnissen gefragt; diese wurden jedoch in allen Fällen verneint. Aufgrund der Ergebnisse der semasiologischen Abfrage wurden die Lexeme ausgewählt, die den verbliebenen 32 Bielefelder Studierenden bekannt und den 27 Darmstädter Studierenden und 31 Neumünsteraner Gymnasiasten unbekannt waren. Dazu mussten zunächst die in der Region üblichen Bedeutungen von den nicht zutreffenden Bedeutungen unterschieden werden: Viele Studierende und insbesondere die Schüler hatten im Fragebogen Vermutungen über die ihnen offensichtlich nicht bekannten Regionalismen angestellt: So gaben z.B. mehrere Probanden als Bedeutung des Kompositums Stutenkerl nicht die Bedeutung ‚Hefeteigmännchen mit Tonpfeife‘ an, sondern ‚Hengst‘ oder - vermutlich in metaphorischer Übertragung von ‚Hengst‘ - ‚Macho, Frauenheld‘. Es ist davon auszugehen, dass diese Bedeutungsangaben auf der irrtümlichen Interpretation des niederdeutschen lexikalischen Morphems Stuten ‚Weißbrot‘ (siehe Tab. A.11. und Tab. A.12. im Anhang) als Stute ‚weibliches Pferd‘ beruht. Vor dem Hintergrund solcher Bedeutungsableitungen musste jeweils festgelegt werden, unter welcher Bedeutung ein Lexem noch als bekannt einzuordnen war. Dazu wurden die in Borner und Gromann genannten Wortbedeutungen mit den Bedeutungsangaben der Bielefelder Studierenden abgeglichen und gegebenenfalls ergänzt. Dabei ergaben sich die in Tabelle 2.3. aufgeführten Bedeutungsangaben. <?page no="75"?> 75 Tab. 2.3. Vorgetestete Lexeme und Quellen. Westfalismus Wortbedeutung Quellen (an-)bucken anlehnen, kuscheln Bekanntenkreis Bömsken Bonbon Gromann 1979, Borner 2005, 2006 Bütterken Butterbrot, belegtes Brot Gromann 1979, Borner 2005, 2006 dölmern rumalbern, rumtoben Gromann 1979, Borner 2005, 2006 Dönekes Unsinn, lustige Geschichten Gromann 1979, Borner 2005, 2006 döppen jmd. tunken Gromann 1979, Borner 2005, 2006 gallern in Strömen regnen Bekanntenkreis i-Dötze Erstklässler Borner 2005, 2006 Killefitt Unsinn, Kleinigkeit Bekanntenkreis össelig, üsselig, usselig durcheinander, heruntergekommen, ungemütlich Borner 2005, 2006 Pingeljagd an vielen fremden Türen klingeln und wegrennen Gromann 1979, Borner 2005, 2006 Pinneken Schnapsglas Bekanntenkreis plästern stark regnen Borner 2005, 2006, Niebaum 1977: 95 Pläte Glatze Borner 2005, 2006, Niebaum 1977: 95 Pölter Schlafanzug Gromann, Borner Pömpel Pfahl, Pfeiler Gromann, Borner Pöter Hintern Gromann, Borner schlickern naschen Niebaum 1977: 95, Borner schlüren schlendern, etwas mitschleppen Borner 2005, 2006 Schlürschluck Abschiedstrunk Borner 2005, 2006 (sch)möttkern matschen, kleckern Bekanntenkreis schrebbelig gellend, krächzend Gromann 1979, Borner 2005, 2006 Stutenkerl Hefeteigmännchen mit Tonpfeife Bekanntenkreis Für die Einordnung der Ergebnisse des Vortests wurden diese Bedeutungsangaben als prototypisch angenommen: Für das Wort Pölter ‚Schlafanzug‘ beispielsweise waren vor dem Hintergrund des Prototypenkonzepts Angaben wie ‚Nachthemd‘ und ‚altmodischer Schlafanzug‘ leicht als Bedeutungsvarianten einzuordnen; das Lexem war also offensichtlich bekannt. Problematischer dagegen ist die Zuordnung von Pölter zu ‚Unterhose‘, die von <?page no="76"?> 76 einer Zugezogenen in Ostwestfalen vorgenommen wurde: Mit einem Pölter bekleidet kann kontextbezogen auch dann als ‚noch nicht angezogen‘ verstanden werden, wenn Pölter der Bedeutung ‚Unterhose‘ anstatt der tatsächlichen Bedeutung ‚Schlafanzug‘ zugeordnet wird. Um solche Grenzfälle im Haupttest ausschließen zu können, wurden die Lexeme semasiologisch unter Vorgabe der prototypischen Bedeutung per Multiple-Choice abgefragt (siehe 2.6.3). Bei der onomasiologischen Abfrage im Haupttest wurde die prototypische Bedeutung als Bild dargestellt, dem die in Ostwestfalen verbreitete, regiolektale Wortform zugeordnet werden sollte. Um für die Abfrage im Haupttest ausgewählt zu werden, sollte jeder Regionalismus mindestens der Hälfte der Bielefelder Studierenden im Vortest bekannt sein. Der Anteil der Gruppe in Prozent, dem ein Lexem bekannt ist, wird im Folgenden als Bekanntheitsgrad eines Lexems bezeichnet. Unter den Neumünsteranern und Darmstädtern betrug der Bekanntheitsgrad der Lexeme max. 30 Prozent, damit diese im Haupttest abgefragt wurden. Um zu gewährleisten, dass sich der Bekanntheitsgrad jedes Wortes zwischen den Gruppen deutlich unterschied, musste dieser unter Ostwestfalen und Nicht- Ostwestfalen um mindestens 50 Prozent differieren. Das Wort anbucken ‚sich anlehnen, (Gromann 1979: 15) beispielsweise ist immerhin mehr als jedem zweiten Ostwestfalen bekannt: Ein Bekanntheitsgrad von 59 Prozent wurde im Vortest ermittelt. Es konnte aber nur berücksichtigt werden, weil im Vortest ein Bekanntheitsgrad von nicht mehr als 9 Prozent in der nordniederdeutschen und der südhessischen Gruppe ermittelt wurde. Das Wort i-Dötze dagegen wurde aufgenommen, obwohl es 14 Prozent der Darmstädter bekannt war, denn dieser Bekanntheitsgrad lag noch weit unter dem hohen Bekanntheitsgrad unter den Ostwestfalen (91 Prozent). Die genannten Kriterien erfüllten 23 Lexeme: Tabelle 2.4. zeigt die Bekanntheitsgrade unter den Probanden in Bielefeld (BI), Neumünster (NMS) und Darmstadt (DA) (Spalten 2-4) sowie die Differenz der Bekanntheitsgrade in den Gruppen Bielefelder und Neumünsteraner (Spalte 5) und Bielefelder und Darmstädter (Spalte 6). 21 Tab. 2.4. Vorgetestete Lexeme in absteigender Reihenfolge der Bekanntheitsgrade unter den einheimischen Studierenden (Bekanntheitsgrad BI). Lexeme Bekanntheitsgrad BI Bekanntheitsgrad NMS Bekanntheitsgrad DA Differenz BI - NMS Differenz BI - DA döppen 94% 0% 0% 94% 94% Bütterken 94% 0% 0% 94% 94% 21 Die Bekanntheitsgrade in den drei Gruppen und deren Differenzen für alle 68 abgefragten Lexeme sind im Anhang aufgelistet (siehe Tab. A.15.). <?page no="77"?> 77 Lexeme Bekanntheitsgrad BI Bekanntheitsgrad NMS Bekanntheitsgrad DA Differenz BI - NMS Differenz BI - DA i-Dötze 91% 0% 14% 91% 77% Dön(e)kes 91% 6% 0% 84% 91% schlickern 87% 0% 0% 88% 88% Pöter 87% 0% 4% 88% 84% Pläte 87% 6% 0% 81% 88% Pömpel 86% 0% 0% 86% 86% Stutenkerl 84% 3% 0% 81% 84% Killefitt 84% 0% 0% 84% 84% gallern 84% 0% 0% 84% 84% Pölter 81% 3% 0% 78% 81% Pinneken 75% 0% 4% 75% 71% schlüren 72% 0% 0% 72% 72% dölmern 72% 0% 0% 72% 72% Bömsken 66% 0% 4% 66% 62% schrebbelig 62% 0% 0% 63% 63% Pingeljagd 62% 0% 0% 63% 63% (an)bucken 59% 0% 0% 59% 59% plästern 56% 0% 0% 56% 56% (sch)möttkern 56% 0% 0% 56% 56% Schlürschluck 54% 3% 0% 51% 54% össelig 66% 0% 4% 66% 62% 2.5.2 Verbreitung der lexikalischen Regionalismen in Westfalen Mithilfe des unter 2.5.1 beschriebenen Vortests ist eine regiolektale Verbreitung der ausgewählten Lexeme in Ostwestfalen nachgewiesen. Es ist davon auszugehen, dass die einheimischen Bielefelder Studierenden diese Regionalismen vor allem in informellen Domänen verwenden. Denkbar wäre, dass sie diese Regionalismen Zugezogenen gegenüber vermeiden, weil sie um ihre regional begrenzte Verständlichkeit wissen. Seibicke führt an, dass dieses Wissen jedoch einen Kontakt mit Sprechern aus anderen Regionen voraussetzt: <?page no="78"?> 78 „Den Sprechern ist dabei oft kaum bewußt, daß sie einen Ausdruck von räumlich begrenzter Geltung gebrauchen: Erst wenn Sprecher aus verschiedenen Landschaften einander begegnen, zeigen sich die Unterschiede, bei denen jeder die Redeweise des anderen als landschaftlich markiert empfindet“ (Seibicke 1990: 1166f.). Für die Bielefelder Studierenden kann ein reger Kontakt mit Nicht- Westfalen nur bedingt vorausgesetzt werden: Unter den Probanden im Vortest und im Haupttest finden sich relativ wenige Personen, deren Eltern nicht aus Westfalen stammen. Für viele gilt das sogar einschließlich der Großeltern (siehe 2.3.1). An der Universität Bielefeld studieren überwiegend Heimatstudierende (Universität Bielefeld 2008: 30), so dass selbst dort der Kontakt von Einheimischen zu Zugezogenen wahrscheinlich eher vereinzelt stattfindet. Mangels eigener Niederdeutschkenntnisse können einheimische Studierende die regionale Gebundenheit der Wörter nicht aus dem Dialekt erschließen. All das spricht nicht dafür, dass Bielefelder Studierende zu einer Vermeidung von Regionalismen gegenüber Zugezogenen tendieren. Trotzdem ist davon auszugehen, dass die 23 Lexeme nicht in gleichem Maße gegenüber zugezogenen Studierenden verwendet werden: Wörter, die vor allem in Gesprächen zwischen oder mit Kindern oder in Gesprächen über Kinder verwendet werden, kommen sicherlich eher selten im Gespräch unter Studierenden vor. Lexeme, die einen engeren Bezug zum Alltag der untersuchten Altersgruppe aufweisen, werden vermutlich eher von Zugezogenen kennengelernt. Entsprechende Zusammenhänge werden der Auswertung als Vorannahmen zugrunde gelegt (siehe 2.1). 2.5.2.1 Wortgeographische Gliederung Westfalens Da die dialektale Gliederung des deutschen Sprachraums eher auf phonetisch-phonologischen als auf lexikalischen Unterschieden beruht, kann man nur bedingt davon ausgehen, dass sich Westfalen basisdialektal von den angrenzenden Regionen unterscheidet. Müller weist darauf hin, dass sich Westfalen weder durch großräumig noch durch kleinräumig verbreitete Lexeme auszeichnet, die ausschließlich in Westfalen vorkommen (Müller 1989: 53). Er konstatiert: „Die insgesamt schwach akzentuierte Gesamtabgrenzung des westfälischen Lexikons bei gleichzeitig […] stark ausgeprägter wortgeographischer Binnenstrukturierung hat Zweifel darüber ausgelöst, ob man überhaupt von einem westfälischen Wortraum, dessen Mundarten sich durch gemeinsame lexikalische Eigenschaften ausreichend von den umgebenden Sprachlandschaften abheben, sprechen könne“ (Müller 1980: 38). In Bezug auf die Binnengliederung des in Westfalen verbreiteten Wortschatzes nennen sowohl Müller als auch Schönfeld eine lexikalische Grenze zwi- <?page no="79"?> 79 schen Rothaargebirge und Harz (Müller 1989: 36, Schönfeld 2002: 1174). Schophaus weist auf ein durch mehrere lexikalische Grenzen gestaffeltes Übergangsgebiet zwischen westfälischem und niederrheinischem Gebiet hin (Schophaus 1971: 78). Müller stellt die lexikalische Isoglosse zwischen Westfälisch und Ostfälisch an der Weser als markant heraus (Müller 1989: 38). Trotz dieser Binnengliederung wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass Westfalen Teil eines größeren lexikalischen Gebiets ist, das neben dem Westfälischen auch das Rheinische und das Niederländische umfasst (Schönfeld 2002: 1175, Niebaum 2004: 151); Schophaus bezeichnet dieses Gebiet als „istwäonisch“ (Schophaus 1983: 185). Nörrenberg fasst die areale Reichweite dialektaler Lexik in Westfalen folgendermaßen zusammen: „Meist ist die Lage so, daß das Kerngebiet Westfalens mit einer Nachbarlandschaft - gewöhnlich mit einer nordwestniederdeutschen, häufig auch mit Ostfalen, am seltensten mit dem mitteldeutschen Süden und Südwesten - zusammengeht, während einzelne Randgebiete sich nichtwestfälischen Nachbarn anschließen“ (Nörrenberg 1948: 321). Den Zusammenhang zwischen dialektaler und regiolektaler Lexik untersuchte Goossens bereits 1979 anhand von 108 Wortkarten aus dem Wortatlas der deutschen Umgangssprachen 22 (Goossens 1979: 42). Seine Ergebnisse zeigen, dass insbesondere großflächig verbreitete niederdeutsche Lexeme in die Regiolekte übernommen werden: „Wenn (fast) der ganze niederdeutsche Mundartraum über einen einzigen Ausdruck verfügt, so ist dieser in verhochdeutschter Gestalt auch Bestandteil der norddeutschen Umgangssprache geworden. Die wenigen Ausnahmen sind vermutlich gutteils ostmitteldeutschen Ursprungs“ (Goossens 1979: 46). Müller und Niebaum gehen davon aus, dass großräumig verbreitete niederdeutsche Lexeme weniger über die gesprochene, als vielmehr über die geschriebene Sprache in die Regiolekte entlehnt wurden (Niebaum 2004: 171, Müller 1989: 54ff.): Standardnahe Regionalismen wie Tischler wurden nach Müller über die Schriftsprache entlehnt (Müller 1989: 56), während regional stärker markierte Regionalismen wie Hippe ‚Ziege‘ direkt aus dem Dialekt in den Regiolekt übernommen wurden (Müller 1989: 54). Wie Goossens stützt sich auch Müller dabei auf eigene Untersuchungen an den 108 Wortkarten aus dem Wortatlas der deutschen Umgangssprachen. Müller kommt zu dem Schluss, dass sich die regiolektale Lexik in Westfalen nicht nennenswert von der Lexik in anderen Regionen unterscheidet. Je nach Lexem ordnet er Westfalen insgesamt fünf verschiedenen Regionen zu, die größte umfasst den 22 Auf den Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (WDU 1977ff.) wird unter 2.4.4.1 genauer eingegangen. <?page no="80"?> 80 gesamten niederdeutschen sowie den nördlichen mitteldeutschen Raum (Müller 1989: 56). Möller führt anhand von 198 Karten aus dem Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (Möller 2001: 3) eine dialektometrische Auswertung durch, um systematische lexikalische Unterschiede in regionalen Umgangssprachen zu eruieren (Möller 2001: 6). Bei diesem statistischen Verfahren prüft Möller die Übereinstimmung des lexikalischen Regionalismus an einem Ort mit den lexikalischen Varianten an allen anderen Erhebungsorten: Ausgehend von 402 Ortspunkten erstellte Möller 402 Karten, die die jeweilige prozentuale Übereinstimmung der Varianten zeigen (Möller 2001: 8). Mithilfe einer Clusteranalyse fertigte Möller eine Zusammenschau dieser 402 Karten an, die als Isoglossenkarte die regionalen Unterschiede durch die Stärke der Linien aufzeigt. Im niederdeutschen Raum fällt dabei eine Dreiteilung auf. In Westfalen zeigt sich ein „westfälisch-niederfränkischer Raum (mit Meppen als Exklave), von dem sich, schwächer abgetrennt, das ripuarische Rheinland und das Nordhessische unterscheiden“ (Möller 2001: 10). Wie Müller ordnet auch Möller den westfälischen Raum je nach Auswahl der Lexeme verschiedenen Regionen zu (Möller 2001: 11). Er kommt zu dem Schluss, dass diese regiolektale Übereinstimmung häufig auf dialektaler Übereinstimmung beruht, allerdings kommt es dabei zur Verschiebung oder auch zur Auflösung dialektaler Unterschiede in den Regiolekten (Möller 2001: 16). Speziell für die Untersuchungsregion Bielefeld ergeben sich vor dem Hintergrund von Möllers Untersuchung die in der folgenden dialektometrischen Karte gezeigten Übereinstimmungen (Abb. 2.11.): Hier fällt besonders die dialektal bekannte Zuordnung zum westfälisch-niederfränkischen Raum auf (Schönfeld 2002: 1175, Niebaum 2004: 151, Schophaus 1983: 185). <?page no="81"?> 81 Abb. 2.11. Regiolektale Übereinstimmung mit dem Untersuchungsort Bielefeld auf der Grundlage einer dialektometrischen Auswertung des Wortatlas der deutschen Umgangssprachen, erstellt durch Möller. 23 2.5.2.2 Belege in westfälischen Dialektwörterbüchern Inwiefern die ausgewählten regiolektalen Lexeme basisdialektal in Ostwestfalen vorkommen, wurde durch Literaturrecherche geprüft. Da sich in Ostwestfalen die Bearbeitungsgebiete von zwei großlandschaftlichen Dialektwörterbüchern überschneiden, wurde sowohl im Westfälischen Wörterbuch (Westfälisches Wörterbuch 1969ff.) 24 als auch im Niedersächsischen Wörterbuch (Niedersächsisches Wörterbuch 1953ff.) 25 nach den 23 Regionalismen recherchiert. Die Lexeme anbucken, Bömsken, Bütterken, dölmern, Dönekes, döppen, i- Dötze und gallern wurden in den veröffentlichten Bänden des Westfälischen Wörterbuchs und - zuzüglich Killefitt - im Niedersächsischen Wörterbuch nachgeschlagen. Nach den übrigen 14 bzw. 15 Lexemen wurden die Zettelarchive der Wörterbuchstellen in Münster und Göttingen sowie die in der Datenbank in Göttingen zugänglichen Fragebögen des Niedersächsischen Wörterbuchs durchsucht. Außerdem wurden Wörtersammlungen für die ostwestfälischen Regionen Ravensberg (Möller 2005), Verl (Peters/ Djatlowa 2005) und Istrup im Lipperland (Platenau 2003) hinzugezogen. Bei diesen Wörterbüchern han- 23 Ich danke Herrn Prof. Dr. Robert Möller für das Erstellen dieser Karte zur Verwendung in der vorliegenden Arbeit. 24 Zu Materialsammlung und Aufbau des Westfälischen Wörterbuchs vgl. Taubken 1976: 179-193, Damme 1997: 13-20, Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Kommission für Mundart- und Namenforschung Westfalens. 25 Zu Materialsammlung und Aufbau des Niedersächsischen Wörterbuchs vgl. Arbeitsstelle des Niedersächsischen Wörterbuchs. <?page no="82"?> 82 delt es sich um kleinere Sammlungen im Umfang von ca. 5000 Stichwörtern, die entweder introspektiv (Möller 2005, Platenau 2003) oder durch Befragung weniger niederdeutsch sozialisierter Gewährsleute (Peters/ Djatlowa 2005) sowie durch Hinzuziehen von niederdeutschen Schriften (Platenau 2003, Peters/ Djatlowa 2005) erstellt wurden. Als weitere Ergänzung wurden drei Wörterbücher hinzugezogen, deren Geltungsbereich für das gesamte Westfalen ausgewiesen ist, nämlich die Wörterbücher von Rosemann, Woeste und Gehle (Woeste 1966, Rosemann 1982, 1984, Gehle 1977). Den gesamten westfälischen Raum bilden diese drei Nachschlagewerke allerdings nur bedingt ab: Woestes Wörterbuch zeichnet sich durch einen starken Bezug zu der südwestfälischen Stadt Iserlohn auf, in der Woeste aufgewachsen ist (Woeste 1966); Rosemann konzentriert sich auf Süd-Osnabrück (Rosemann 1982: 7-14). Gehle nimmt eine regionale Gliederung des Westfälischen in verschiedene Regionen vor (Gehle 1977). Diese drei Wörterbücher sind weniger als wissenschaftliche Wortschatzsammlungen, sondern eher als Nachschlagewerke für den mündlichen und schriftlichen Gebrauch des Westfälischen konzipiert. Kühn ordnet sie dementsprechend als “praxisorientierte Mundartwörterbücher“ ein (Kühn 1982: 1713). Im Rahmen der Literaturrecherche wurden alle Lexeme in den genannten Wörterbüchern nachgeschlagen. Gleich oder ähnlich lautende Lemmata wurden als Varianten eines Lexems angesehen, wenn ihre Bedeutung mit der in Tabelle 2.3. genannten, prototypischen Bedeutung übereinstimmt. Die Lemmata slikkeren, slickern ‚heimlich naschen‘ (Westfälisches Wörterbuch 1969ff.) und sluckern ‚naschen‘ (Woeste 1966) beispielsweise wurden als synonyme, phonologische Varianten von schlickern ‚naschen‘ eingeordnet. Dementsprechend wurden die Fundstellen als Nachweis für eine dialektale Verbreitung des Lexems in den angegebenen Regionen angesehen. Ähnlich lautende Lemmata, die keine Synonymie zu dem entsprechenden Lexem aufweisen, wurden dagegen nicht berücksichtigt. Einen Überblick über die Fundstellen gibt Tabelle 2.5. Die Lemmata für das Westfälische Wörterbuch und das Niedersächsische Wörterbuch bzw. die Belege in den Zettelarchiven in den beiden Wörterbuchstellen werden gesondert aufgeführt (Spalten 2 und 3). Die Funde in den Wörtersammlungen sind ohne Nennung der Lemmata aufgelistet (Spalte 4); eine Liste der Lemmata und ihrer Bedeutungsangaben befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.8., Tab. A.9. und Tab. A.10.). Wenn die gesuchten Derivate und Komposita in den genannten Quellen nicht aufgeführt waren, wurde stattdessen nach dem entsprechenden lexikalischen Morphem bzw. nach entsprechenden Derivaten gesucht. Beispielsweise wird anstatt des Derivats schräbbelig das konvertierte Verb schrabbeln für ‚unangenehm tönend‘ aufgelistet. <?page no="83"?> 83 Tab. 2.5. Belegstellen für die dialektale Verbreitung der untersuchten Lexeme in Westfalen und Niedersachsen Lexem Lemma im Westf. Wb. Lemma im Nds. Wb. Weitere Belege des Lexems in Westfälischen Wörtersammlungen (an-) bucken bukken II anbucken Peters/ Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003, Woeste 1966, Rosemann 1982, 1984, Gehle 1977 Bömsken Bombom Bömsken Gehle 1977 Bütterken Butter, Botter - Bu e tere - Butter Peters/ Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003 dölmern dölmeren dölmern Peters/ Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003 Dön(e)kes Dönken Dönken, Döneken, Döntje Peters/ Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003, Woeste 1966, Rosemann 1982, 1984, Gehle 1977 döppen döppen döpen döpen, däupen: Möller 2005, Rosemann 1982, 1984, Gehle 1977 i-Dötze i-Dot Döttken gallern 2 galleren gallern 3 Möller 2005, Platenau 2003, Gehle 1977 Killefitt - - össelig, üsselig, usselig u e selig usselig - Pingeljagd pingeln pingeln, pingelen I Pingeltje maken pingeln, Pingele Peters/ Djatlowa 2003 Möller 2005, Platenau 2003, Woeste 1966, Gehle 1977 Pinneken Pinneken - Möller 2005, Woeste 1966, Gehle 1977 plästern plästern, plaistern plastern, plästern Peters/ Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003, Woeste 1966, Gehle 1977 Pläte Plate, Pläte Plätte, Pleite, Platte Peters / Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003, Rosemann 1982, 1984, Gehle 1977 Pölter Polter - Peters/ Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003, Gehle 1977 Pömpel Pümpel - Möller 2005 Pöter Pöter Pöter Platenau 2003 schlickern slikkeren, slickern, schlickern slickern, schlickern Peters/ Djatlowa 2003, Platenau 2003, Woeste 1966, Gehle 1977 schlüren slu e deren, schlürn slüren, sluren Peters/ Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003 <?page no="84"?> 84 Lexem Lemma im Westf. Wb. Lemma im Nds. Wb. Weitere Belege des Lexems in Westfälischen Wörtersammlungen Schlürschluck, Schlür - - Peters/ Djatlowa 2003 Möller 2005 (sch)möttkern smuttken, schmuttken - Möller 2005 schrebbelig schrabbeln schräbbelig schräbbelen schrabbeln, schrabbel Woeste 1966 Peters/ Djatlowa 2003, Möller 2005, Platenau 2003 Stutenkerl Stuten Stutenkärl Stute I - Stuten - Möller 2005, Platenau 2003, Woeste 1966, Gehle 1977 Die Literaturrecherche zeigt, dass alle 23 untersuchten, regiolektal in Westfalen verbreiteten Lexeme auf basisdialektalen Varianten beruhen (Lorenz 2013b: 137, Nemeth 2011: 105): 22 Lexeme sind in den großlandschaftlichen Dialektwörterbüchern verzeichnet, die den westfälischen Raum behandeln (Westfälisches Wörterbuch, Niedersächsisches Wörterbuch). Im Gegensatz zu diesen Lexemen ist Killefitt nicht in diesen Dialektwörterbüchern, sondern im Rheinischen Wörterbuch aufgeführt (Rheinisches Wörterbuch 1928ff.: Killefitt), denn es ist dialektal im Niederfränkischen verbreitet. Bei fast allen abgefragten Lexemen handelt es sich also um Interferenzen aus dem autochthonen, westfälischen Dialekt. Die Datenlage deutet aber darauf hin, dass Killefitt aus einem anderen Dialekt in den ostwestfälischen Regiolekt übernommen wurde. 2.5.3 Dialektale Verbreitung der Lexeme Um sicherzustellen, dass Zugezogenen keine Lexeme aus ihrem Heimatort oder aus anderen, ehemaligen Wohnorten bekannt waren, wurde jedes der abgefragten Lexeme auf seine areale Reichweite untersucht. Die Eingrenzung der Verbreitungsgebiete wurde literaturbasiert vorgenommen. Da der regiolektale Wortschatz bisher nicht hinreichend erforscht ist, sind die abgefragten Lexeme nur zu einem kleinen Teil in regionalsprachlichen Atlanten, Variantenwörterbüchern und standardsprachlichen allgemeinen Bedeutungswörterbüchern erfasst. 26 Die dialektale Verbreitung der Lexeme ist durch die großlandschaftlichen Dialektwörterbücher dagegen sehr umfassend dokumentiert. Allerdings kann von der dialektalen Verbreitung eines 26 Eine detaillierte Kritik an der Erfassung von Regionalismen in Wörterbüchern äußert Hartmann (Hartmann 2005: 1221f.). <?page no="85"?> 85 Lexems allenfalls vage auf seine regiolektale Verbreitung geschlossen werden (siehe 2.5.2.1). Müller weist vor dem Hintergrund seiner oben skizzierten Untersuchungen zum regiolektalen Wortschatz in Westfalen auf der Grundlage des Wortatlas der deutschen Umgangssprachen auf den Zusammenhang von regiolektaler und dialektaler Lexik hin: „Die beschriebenen Verteilungen haben, soweit erkennbar, ihre Grundlagen in den Mundarten, auch wenn […] sich die umgangssprachliche Wortgeographie von der der Mundarten durch Reduzierung der Heteronymik, stärkere Bevorzugung von Wörtern, die auch standardsprachlich akzeptiert sind, Verschiebung von Isoglossen bzw. Ersetzung dialektaler Isoglossen durch Misch- und Übergangszonen unterscheidet“ (Müller 1989: 56). Vor dem Hintergrund der hier aufgezeigten Überschneidung von dialektalem und regiolektalem Verbreitungsgebiet wurden die 23 abgefragten Lexeme literaturbasiert sowohl auf ihre regiolektale als auch auf ihre dialektale Verbreitung untersucht. Im Folgenden wird zunächst die dialektale Verbreitung der Regionalismen skizziert. Auf der Grundlage der unter 2.5.2.2 genannten Quellen wird die Verbreitung in den politischen Räumen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen tabellarisch skizziert. Als Hauptquellen dienen dabei das Niedersächsische Wörterbuch und das Westfälische Wörterbuch bzw. die Zettelarchive in den Wörterbuchstellen in Münster und Göttingen sowie die in der Datenbank in Göttingen zugänglichen Fragebögen des Niedersächsischen Wörterbuchs (Westfälisches Wörterbuch 1969ff., Niedersächsisches Wörterbuch 1953ff.). 27 Die genauen Befunde in den beiden Hauptquellen werden unter Nennung der dort aufgeführten Bedeutung, der Belegdichte und der regionalen Verbreitung der Belege im Anhang gesondert aufgeführt (siehe Tab. A.11. und Tab. A.12.). Um zu klären, ob die Lexeme über die Bearbeitungsgebiete des Westfälischen Wörterbuchs und des Niedersächsischen Wörterbuchs hinaus verbreitet sind, wurden alle Lexeme in den großlandschaftlichen Dialektwörterbüchern Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch 1940ff., Schleswig-Holsteinisches Wörterbuch 1927ff., Rheinisches Wörterbuch 1928ff., Pfälzisches Wörterbuch 1968ff., Thüringisches Wörterbuch 1966ff, Wörterbuch der obersächsischen Mundarten 1994ff., Hessen-Nassauisches Wörterbuch 1943ff., Südhessisches Wörterbuch 1968ff., Badisches Wörterbuch 1940ff., Schwäbisches Wörterbuch 1904ff. und Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich 1970ff. nachgeschlagen. 28 Ergänzend wurden das Kleine plattdeutsche Wörterbuch für den mecklenburgisch-vorpommerschen Sprachraum (Kleines plattdeutsches Wörterbuch 1986) und das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache (Kluge 2011) hinzu- 27 Für die Unterstützung meiner Recherchen vor Ort danke ich Herrn Dr. Martin Schröder (Göttingen) und Herrn Prof. Dr. Hans Taubken (Münster). 28 Für einen Überblick über die großlandschaftlichen Dialektwörterbücher vgl. Friebertshäuser 1983: 1283-1295 und Kühn 1982: 702-723. <?page no="86"?> 86 gezogen. Ein detaillierter Überblick über die Befunde dieser Wörterbuchrecherche befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.13.). Im Rheinischen Wörterbuch sind die Lemmata Killefitt, uselig, Pinneken, Plätte, Polter und schlüren aufgeführt (Rheinisches Wörterbuch 1928ff.). Ussel in der Bedeutung ‚Schwächling, Feigling‘ ist außerdem im Schleswig-Holsteinischen Wörterbuch belegt (Schleswig-Holsteinisches Wörterbuch 1927ff.). Die Möglichkeit vor dem Hintergrund dieser Bedeutung auf die regiolektale Bedeutung des Adjektivs ‚durcheinander, heruntergekommen, ungemütlich’ zu schließen, wird allerdings als gering eingestuft. Bei den Lexemen össelig, Pinneken, Pläte, Pölter und schlüren handelt es sich also um Lexeme mit einem großen dialektalen Verbreitungsgebiet, das weit über Ostwestfalen hinausgeht. Die beiden Lexeme Killefitt und Pöter dagegen nehmen in Bezug auf ihre regionale Verbreitung eine Sonderstellung ein. Als einziges von allen für die vorliegende Untersuchung abgefragten Lexemen ist Killefitt nicht im Westfälischen basisdialektal verankert, sondern im Niederfränkischen (Rheinisches Wörterbuch 1928ff.: Killefitt). Im Brandenburg-Berlinischen Wörterbuch ist das Lexem Pöter belegt. Auch dieses Lexem nimmt in Bezug auf seine dialektale Verbreitung eine Sonderrolle ein: Es ist nicht großräumig zwischen Westfalen und Berlin verbreitet, sondern die Belege konzentrieren sich fast ausschließlich auf Ostwestfalen und Berlin: Das Niedersächsische Wörterbuch verzeichnet genau zwei Belege außerhalb Ostwestfalens, nämlich in Peine und Vechta (Niedersächsisches Wörterbuch, Zettelarchiv). Das Brandenburg- Berlinische Wörterbuch nennt für Pöter die Belegorte Potsdam-Bornim, Templin-Groß Kölpin und für Poter Jüterbog-Treuenbrietzen und Rathenow- Prietzen (Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch 1994ff.: Pöter). Die konzentrierte Verbreitung des Lexems in Ostwestfalen und Berlin-Brandenburg lässt auf eine Verbreitung des Wortes durch westfälische Siedler in Berlin und Brandenburg schließen (Schönfeld 2002: 1177, Wiesinger 1983: 880). Tabelle 2.6. skizziert die areale Verbreitung der Lexeme außerhalb Ostwestfalens, wie sie aufgrund der Befunde in den großlandschaftlichen Dialektwörterbüchern und den unter 2.5.2.2 genannten Wörtersammlungen festgestellt wurde: Die areale Reichweite ist getrennt nach Belegen im westfälischen Raum (Spalte 2), Belegen im niederdeutschen Raum außerhalb Westfalens (Spalte 3) und Belegen im hochdeutschen Raum aufgeführt. <?page no="87"?> 87 Tab. 2.6. Areale Reichweite der Lexeme in Dialekten außerhalb Ostwestfalens. Lexem Westfalen niederdeutscher Raum hochdeutscher Raum (an-) bucken - Nordniederdeutsch: Oldenburger Land - Bömsken östliches Münsterland, östliches Südwestfalen, Westmünsterland, Emsland punktuell: Papenburg - Bütterken - - dölmern punktuell: Braunschweig, Bersenbrück - Dön(e)kes Münsterland, Südwestfalen Ostfälisch (südlich der Aller), verstreut Nordniederdeutsch Ripuarisch döppen Südwestfalen weit verbreitet als döpen - taufen, unter Wasser tauchen gallern verbreitet Ostfälisch, Oberharz (südlich der Aller) i-Dötze Münsterland, Südwestfalen (verstreut), Westmünsterland Döttken ‚kleines Kind‘: punktuell: Aschendorf- Hümmling - Killefitt - Niederfränkisch össelig, üsselig, usselig, Münsterland, Südwestfalen Westmünsterland, Emsland Niederfränkisch, Ostfälisch (südlich von Oldenburg, Vechta, Cloppenburg, Aschendorf- Hümmling) Ripuarisch Pingeljagd (pingeln) südliches Münsterland pingeln: Ostfälisch, Nordniederdeutsch: Oldenburger Land - Pinneken (Pin) Münsterland, Westmünsterland, Südwestfalen Niederfränkisch, Vechta Ripuarisch, Moselfränkisch <?page no="88"?> 88 Lexem Westfalen niederdeutscher Raum hochdeutscher Raum plästern Emsland (vereinzelt), Münsterland, Südwestfalen vereinzelt Nordniederdeutsch Ostfälisch (Bremervörde, Lüneburger Heide, Verden, Nienburg, Helmstedt), Vechta - Pläte Südwestfalen, Siegerland, Emsland Niederfränkisch punktuell Nordniederdeutsch: Oldenburger Land, Wesermünde, Vechta Ripuarisch, Moselfränkisch Pölter Münsterland, Südwestfalen, Siegerland - Moselfränkisch Pömpel - - - Pöter punktuell: Peine Berlin, Potsdam, Rathenow, Templin schlickern Emsland, Münsterland, Südwestfalen Nordniederdeutsch: verbreitet westlich der Weser schlüren Südwestfalen, südliches Münsterland Niederfränkisch, verbreitet Ostfälisch (südlich von Hannover, Braunschweig). Diepholz Ripuarisch Schlürschluck - - - (sch)möttkern smuttken: Emsland - schrebbelig Südwestfalen Niederfränkisch, punktuell als Verb: Northeim, Duderstadt. - Stutenkerl Münsterland, Südwestfalen Niederfränkisch - 2.5.4 Regiolektale Verbreitung der Lexeme Um die regiolektale Verbreitung der 23 abgefragten Lexeme zu ermitteln, wurden diese in regiolektalen, umgangssprachlichen und standardsprachlichen Wörterbüchern und Atlanten nachgeschlagen. Regiolektale Wörterbücher im Umfang der großlandschaftlichen Dialektwörterbücher wurden bis- <?page no="89"?> 89 her nicht erhoben, die regiolektale Quellenlage fällt im Vergleich geradezu verschwindend schmal aus. Die meisten der hier abgefragten Varianten sind in vielen Fällen nicht aufgeführt, weil der entsprechende Begriff in onomasiologischen Befragungen nicht berücksichtigt wurde: Begriffe wie ‚Schnapsglas‘ und ‚Hintern’ zum Beispiel wurden bisher in keinem Atlas systematisch abgefragt, so dass die Verbreitung der entsprechenden lexikalischen Varianten - in Ostwestfalen Pinneken und Pöter - nicht literaturbasiert zu ermitteln ist. Auch Variantenwörterbücher und standardsprachliche Wörterbücher führen kleinräumige Regionalismen nur in relativ wenigen Fällen auf - und selbst wenn eine Variante in einem Wörterbuch oder Atlas erwähnt wird, wird die Variante oft nicht Ostwestfalen zugeordnet. Um diese Befunde einzuordnen, werden die hinzugezogenen Quellen in Bezug auf Aufbau und Materialgrundlage in den folgenden Teilkapiteln kurz dargestellt. Als Quellen wurden die regiolektalen Atlanten Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (WDU 1977ff.) und Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.), die kleinräumigen Atlanten Wortatlas der städtischen Umgangssprachen (Protze 1997), Hessische Sprachatlanten (Hessische Sprachatlanten 1988ff.) und Rheinischer Wortatlas (Lausberg/ Möller 2000), die Variantenwörterbücher von Ammon u.a., Seibicke und Kretschmer (Ammon u.a. 2004, Seibicke 1972, Kretschmer 1969), das Wörterbuch der Umgangssprachen (Küpper 2000) und die Standardwörterbücher aus dem Duden-Verlag: das große Wörterbuch der deutschen Sprache (GWDS 1999), das deutsche Universalwörterbuch (DUW 2003) und das Synonymwörterbuch (Duden 2006) herangezogen. 2.5.4.1 Regiolektale Atlanten Der Wortatlas der deutschen Umgangssprachen beruht auf Material, das zu einem kleinen Teil direkt durch Interviews, zum größeren Teil indirekt durch Fragebögen erhoben wurde (WDU: 1977: 15). Insgesamt wurden die regiolektalen Varianten für insgesamt 227 Begriffe abgefragt und in Wortkarten dargestellt. Nach Eichhoff sind die Gewährsleute „nach jenem Wortgebrauch gefragt worden, der nach ihrem Urteil in dem jeweiligen Untersuchungsort „gewöhnlich“ oder „üblich“ ist. […] Mit „üblich“ ist der vorherrschende Wortgebrauch in der ungezwungenen Unterhaltung im Kreise der Familie, unter Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen, also in der Sprache des täglichen Umgangs gemeint“ (WDU 1977: 9f.). Die erste Befragung fand zwischen 1971 und 1976 in 402 Städten statt (WDU 1977: 9), eine zweite Befragung folgte zwischen 1977 und 1987 in 404 Städten (Eichhoff 1997: 187). Der Großteil der Aufnahmeorte wird durch zwei Gewährspersonen repräsentiert, die dort aufgewachsen und weiterhin wohnhaft waren; die Eltern der meisten Gewährspersonen stammten ebenfalls aus <?page no="90"?> 90 dem Aufnahmeort (WDU 1977: 14). Die Gewährspersonen sollten ursprünglich maximal 30 Jahre alt sein, Eichhoff selbst räumt jedoch ein, dass abweichend davon auch Personen im mittleren Lebensalter (45 Jahre) an der Erhebung teilnahmen (WDU 1977: 17). Alle Gewährspersonen wurden nach ortsüblichen Bezeichnungen gefragt, mitunter wurden Beispiele für solche vorgegeben: „Wie nennt man bei Ihnen ein kleines, nicht immer ganz sauberes, aber gemütliches Lokal? Z.B. Pinte, Kneipe, Beiz(e), Boazen, Piesel usw.“ (WDU 1977: 28). Bei der ersten Erhebung für den Wortatlas der deutschen Umgangssprachen wurde Bielefeld durch zwei Gewährsmänner repräsentiert: Es handelte sich dabei um einen 1947 geborenen Studenten mit französischen Eltern und um einen 1932 geborenen Konrektor mit einem thüringischen Vater und einer Bielefelder Mutter (WDU 1977: 39). Nach Eichhoffs Kriterien (WDU 1977: 14, 17) ist Bielefeld bei der ersten Umfrage also weder in Bezug auf das Alter der einen Gewährsperson noch in Bezug auf die regionale Herkunft der Eltern gut repräsentiert. Bei der zweiten Umfrage wurde Bielefeld durch zwei einheimische, 1956 geborene Studentinnen repräsentiert, deren Eltern aus dem Aufnahmeort stammten (WDU 1993: 38). Von den abgefragten Varianten sind im WDU Bömsken (WDU 1978: Karte 63), Bütterken (WDU 2000: Karte 4-20), i-Dötze (WDU 1993, Karte 3-22), Stutenkerl (WDU 2000: Karte 4- 22) sowie Pingel und es pingelt (WDU, 1977, Karte 26, Karte 27), als Simplizia von Pingeljagd, aufgeführt. Von diesen Varianten verortet der WDU nur Stutenkerl aufgrund der Nennung durch die beiden einheimischen Studentinnen in Bielefeld. Die anderen Varianten sind im WDU als Streubelege punktuell für andere Orte, aber nicht für Ostwestfalen aufgeführt. Es ist davon auszugehen, dass die hier abgefragten Varianten regional zu stark markiert sind, als dass Einheimische sie als „übliche Bezeichnung“ (WDU 1977: 9) einordneten: Nur punktuell gaben Personen an, dass die Regionalismen Bömsken ‚Bonbon‘, Bütterken ‚belegtes Brot‘ und Pingel ‚Klingel‘ bzw. pingeln ‚klingeln‘ als vorherrschende Bezeichnung am Ort verwendet würden. Stattdessen wurde in diesen Fällen die überregionale, standardsprachliche Bezeichnung bevorzugt angegeben. Der Begriff „Brotscheibe (bestrichen)“ wurde als einziger der 23 Begriffe im Deutschen Wortatlas abgefragt, ein Beleg für Bütterken ist dort aber nicht verzeichnet (Deutscher Wortatlas 1960: Karte 3,4). Dies spricht dafür, dass Bütterken bereits vor Eichhoffs Untersuchung keine gebräuchliche Bezeichnung war. Es fällt auf, dass von den fünf abgefragten Varianten ausschließlich solche Varianten als verbreitet aufgeführt sind, die entweder eine Bezeichnungslücke schließen oder geschrieben verwendet werden: Für die Teigfigur mit Tonpfeife, die traditionell je nach Region am Martinstag (11. November) oder am Nikolaustag (6. Dezember) verkauft und gegessen wird, gibt es <?page no="91"?> 91 keine standardsprachliche Bezeichnung. Je nach Region sind unterschiedliche Varianten verbreitet, in Ostwestfalen Stutenkerl. Für Schulanfänger gibt es zwar standardsprachliche Bezeichnungen wie Erstklässler oder Schulanfänger, trotzdem werden einige der regiolektalen Bezeichnungen schriftlich bevorzugt: Die in Ostwestfalen gebräuchliche Variante i-Dötze wird in regionalen Tageszeitungen in der Berichterstattung verwendet. Im Zeitungskorpus des Projekts Deutscher Wortschatz an der Universität Leipzig ist dieses Lexem unter insgesamt 13 Millionen Wörtern immerhin zweimal vertreten (Deutscher Wortschatz 1998ff.: Wörterbuch i-Dötze). Von den anderen genannten Bezeichnungen taucht Bütterken zwar ebenfalls zweimal im Deutschen Wortschatz auf, allerdings in beiden Fällen in anekdotischem Kontext unter Verweis auf die regionale Markiertheit dieses Lexems (Deutscher Wortschatz 1998ff.: Wörterbuch Bütterken). Elspaß und Möller erheben für den Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) seit 2003 die Verbreitung regiolektaler Varianten. Die Autoren sehen ihr Projekt als Nachfolger des Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (WDU): Beide Atlanten beruhen auf indirekten schriftlichen Fragebotenerhebungen, in denen die Gewährsleute onomasiologisch nach dem „normalen ortsüblichen Sprachgebrauch“ gefragt wurden (AdA 2003ff., Elspaß/ Möller 2008: 116). Während im WDU Gewährsleute im Vorfeld ausgewählt wurden, denen der Fragebogen vorgelegt oder per Post zugestellt wurde (Eichhoff 1977: 15), sind die Fragebögen für den AdA im Internet kostenlos und ohne Anmeldung verfügbar. Elspaß weist daraufhin, dass in Ergänzung dazu eine Reihe von Probanden in über 400 Orten persönlich per Mail auf den Fragebogen hingewiesen wird (Elspaß 2007: 205): Nachdem zu Beginn der Erhebungen für den AdA gezielt Kontakt zu Probanden aus den Erhebungsorten hergestellt worden war, haben inzwischen zahlreiche Teilnehmer ihre Mailadressen für Einladungen zu folgenden Erhebungen zur Verfügung gestellt. Dadurch konnte das den Wortkarten zugrundeliegende Ortsnetz von ursprünglich 402 auf 484 Ortspunkte verdichtet werden (Elspaß/ Möller 2008: 116). Im Fragebogen werden den Teilnehmern Begriffe mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten und einem Freitextfeld präsentiert (AdA 2003ff.: Startseite). Die Probanden sind durch den Fragebogen aufgefordert, anzugeben, „welchen Ausdruck man in ihrer Stadt normalerweise hören würde - egal, ob es mehr Mundart oder Hochdeutsch ist“ (AdA 2003ff.: 10. Runde). Im Anschluss an die onomasiologische Abfrage werden folgende Daten abgefragt: Alter, Geschlecht, Beruf sowie Bezug zum repräsentierten Ort (Wohndauer am Ort, regionale Herkunft der Eltern) (AdA 2003ff.: 10. Runde). Eine Übersicht über die demographische Zusammensetzung der Gewährsleute ist im Atlas zur deutschen Alltagssprache nicht veröffentlicht. Elspaß gibt an, dass in den ersten drei abgeschlossenen Befragungsrunden <?page no="92"?> 92 knapp 60 Prozent der Probanden jünger als 30 und knapp 80 Prozent jünger als 40 Jahre alt waren (Elspaß 2007: 204). Die Gewährsleute des AdA sind also wesentlich jünger als die Gewährsleute des WDU (Elspaß 2005: 5). Elspaß und Möller führen diese Altersstruktur auf das Medium zurück (Elspaß/ Möller 2008: 117). Elspaß weist darauf hin, dass in der 2001/ 02 durchgeführten Pilotuntersuchung 41,6 Prozent aller Fragebögen von Studierenden und weitere 12 Prozent von Schülern ausgefüllt wurden (Elspaß 2005: 5). Eine Verzerrung der Daten befürchtet Elspaß jedoch nicht: „Angesichts der demographischen Zusammensetzung unseres Panels darf behauptet werden, dass damit - wie den Erhebungen zum WDU - überwiegend der „Wortgebrauch städtischer Bevölkerungen jüngeren Alters“ (Eichhoff 1997: 189), und zwar im Wesentlichen der „Mittelschicht“ (WDU 1977: 14) erfasst wurde“ (Elspaß 2005: 5). Auch dass Informanten nach Selbstauskunft nicht ausschließlich am repräsentierten Ort gelebt haben, sieht Elspaß nicht als Nachteil an. Er geht davon aus, dass sich etwaige Wohnortwechsel aufgrund der hohen Belegzahl nicht nennenswert auswirken (Elspaß 2005: 6). Während bei den Befragungen des WDU jeweils weniger als 1000 Belege für die 400 Orte angegeben wurden, nahmen an jeder der acht berücksichtigten AdA-Fragerunden 1700 bis 9800 Personen teil; die durchschnittliche Teilnehmerzahl betrug 4700 Personen. Die Ergebnisse der AdA-Umfragen werden als Karten veröffentlicht, in denen die Belege für 500 Orte in Deutschland, Österreich, der deutschsprachigen Schweiz, Südtirol, Ostbelgien und Luxemburg verzeichnet sind (AdA 2003ff.: Startseite). Die Rückmeldungen der Probanden können als ähnlich normorientiert eingeordnet werden wie die oben diskutierten Befunde im WDU: Oft wird die standardsprachliche Bezeichnung als die „ortsübliche“ empfunden. Regionalismen dagegen werden häufig als regional markiert empfunden und nicht angegeben, wie Elspaß am Beispiel der regiolektalen Varianten für ‚Bonbon‘ ausführt: Im Ruhrgebiet zeigt der AdA „eine fast durchgehende Bevorzugung von Bonbon; die genannten Varianten sind unseren Informanten zwar oft bekannt, werden aber als weniger gebräuchlich gemeldet“ (Elspaß 2005: 9). Cornelissen weist vor dem Hintergrund eigener Fragebogenerhebungen darauf hin, dass die regiolektale Variante Bömsken unter älteren Gewährsleuten im Ruhrgebiet gut bekannt ist (Cornelissen 2002: 280ff.). Bei einer Folgeuntersuchung in der Altersgruppe zwischen 16 und 24 Jahren stellt Cornelissen allerdings fest, dass dieselbe Variante nur etwa jedem dritten Einheimischen bekannt ist (Cornelissen 2011: 102). Auch für die Variante Pingel für ‚Klingel‘ findet sich im AdA - im Gegensatz zum WDU - kein Beleg (AdA 2003ff.: Klingel). Elspaß sieht dies als Hinweis darauf, dass kleinräumige Varianten von überregional verwendeten Varianten verdrängt <?page no="93"?> 93 werden (Elspaß 2005: 7f). Dabei stellt die überregional verwendete Variante häufig die standardsprachliche dar, wie z.B. bei ‚Klingel‘ und ‚Bonbon‘ (AdA 2003ff.: Klingel, Bonbon). Im Gegensatz zu ‚Klingel‘ und ‚Bonbon‘ führt der AdA für ‚naschen‘ neben der am stärksten verbreiteten standardsprachlichen Variante insgesamt zwölf Varianten als die jeweils regional gebräuchliche auf. Die in Ostwestfalen verwendete regiolektale Variante schlickern ist demnach weiträumig im nordniederdeutschen Raum, im westfälischen Münsterland und im nördlichen Teil Ostwestfalens verbreitet (Abb. 2.12., AdA 2003ff.: naschen). Abb. 2.12. Areale Reichweite verschiedener lexikalischer Varianten von naschen im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.). Als vierten und letzten der in der vorliegenden Untersuchung abgefragten Begriffe führt der AdA Bezeichnungen für die Hefeteigfigur auf, die traditionell am Martinstag oder Nikolaustag verkauft und gegessen wird. Da der WDU in der zweiten Befragung zwischen 1977 und 1987 (Eichhoff 1997: 187) diese Bezeichnungen ebenfalls erhob (WDU 2000: Karte 4-22), kann hier ein diachroner Vergleich über einen Zeitraum von 20 Jahren vorgenommen werden. Die Bezeichnungslücke für die Teigfigur wird in Ostwestfalen durch Stutenkerl geschlossen. Sowohl der WDU als auch der AdA verzeichnen eine Verbreitung dieser Variante im westfälischen, niederfränkischen und nordniederdeutschen Raum, südlich davon - im ripuarischen Raum - wird Weckmann verwendet. Das Verbreitungsgebiet von Stutenkerl im westfälischen Raum grenzt unmittelbar an das Verbreitungsgebiet von Weckmann im ripuarischen Raum an. Deswegen ist davon auszugehen, dass im ripuarischen Raum beide Bezeichnungen bekannt sind (AdA 2003ff.: Hefegebäckmann). Die Bezeichnung Stutenkerl breitet sich aber vor allem nach Osten <?page no="94"?> 94 aus: Während Stutenkerl im WDU allerdings nur westlich der Weser belegt ist, zeigt der AdA eine starke Ausbreitung dieser Variante bis an die Elbe, Streubelege sogar in ganz Schleswig-Holstein und Berlin (WDU 2000: Karte 4-22, AdA 2003ff.: Hefegebäckmann). Es fällt auf, dass sich in diesen Regionen östlich der Weser Streubelege für Stutenkerl, Weck(en)mann, Weck(en)männchen sowie der Kommentar „unbekannt“ mischen. Elspaß und Möller leiten aus ihren Befunden ab, „dass die Bekanntheit der Sache offenbar stark zugenommen hat“ (AdA 2003ff.: Hefegebäckmann). Offensichtlich konnte sich aber bisher keine Variante gegen die anderen durchsetzen. Gerade die durch WDU und AdA belegte starke Ausbreitung der Variante Stutenkerl verdeutlicht, wie kurzfristig sich die Verbreitung regiolektaler Lexeme ändern kann. Dementsprechend schwierig gestaltet sich eine Eingrenzung der regiolektalen Verbreitung auf Literaturbasis: Als aktuellste regiolektale Quelle fragt der AdA immerhin vier der 23 Begriffe ab, die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen, nämlich ‚Klingel‘ ‚Bonbon‘, ‚naschen‘ und ‚Hefeteigfigur mit Tonpfeife‘. Von den in Ostwestfalen bekannten regiolektalen Varianten verzeichnet der AdA allerdings lediglich zwei als gebräuchlich, und zwar schlickern und Stutenkerl. Während für den AdA verarbeitete Daten nicht älter als 20 Jahre sind, beruht der WDU auf wesentlich älteren Belegen: Die jüngsten Belege sind knapp zwanzig, die ältesten Belege knapp vierzig Jahre alt. Von der dort festgestellten regionalen Verbreitung der für die vorliegende Untersuchung relevanten vier Regionalismen kann also nur bedingt auf die aktuelle Verbreitung geschlossen werden, wie der Vergleich der Verbreitung von Stutenkerl im WDU und AdA zeigt. 2.5.4.2 Kleinräumige Atlanten Die Begriffe, die den 23 in der vorliegenden Untersuchung abgefragten regiolektalen Lexemen zugrunde liegen, wurden in kleinräumigen regiolektalen Atlanten nachgeschlagen, nämlich in den Hessischen Sprachatlanten (Hessische Sprachatlanten 1988ff.), im Wortatlas der städtischen Umgangssprachen (Protze 1997) und im Rheinischen Wortatlas (Lausberg/ Möller 2000). Durch diese Berücksichtigung wird geprüft, ob die in Ostwestfalen verbreiteten regiolektalen Varianten in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und in der Region der ehemaligen preußischen Rheinprovinz verbreitet sind. Von den vorliegenden 23 Begriffen wurden in den Hessischen Sprachatlanten in den 1980er Jahren die Begriffe ‚Bonbon‘, ‚Brotscheibe‘, ‚Klingel‘ und ‚klingeln‘ abgefragt. An der Befragung nahmen in 61 hessischen Städten je drei bis sieben <?page no="95"?> 95 jüngere Ortsansässige teil, die zwischen 1940 und 1960 geboren waren (Hessische Sprachatlanten 1988). Belege für die in Ostwestfalen regiolektal verwendeten Varianten Bömsken, Bütterken sowie pingeln bzw. Pingel sind nicht als Varianten verzeichnet. (Hessische Sprachatlanten 1988: ‚Bonbon‘, ‚Brotscheibe‘, ‚Klingel‘, ‚klingeln‘). Auch Protze fragte die Begriffe ‚Bonbon‘ und ‚Brotscheibe‘ ab (Protze 1997: 246, 225). Dazu befragte er zwischen 1976 und 1980 etwa 550 ortsansässige Personen im Alter von 30 bis 60 Jahren in 296 Städten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen (Protze 1997: 16ff). Belege für Bütterken und Bömsken führt Protze nicht auf (Protze 1997: 246, 225). Lausberg und Möller fragen von den 23 für die vorliegende Untersuchung ausgewählten Begriffe ‚Bonbon‘ und ‚Klingel‘ im Rheinischen Wortatlas ab. Dem Atlas liegt eine Fragebogenerhebung unter 900 Personen aus 491 Orten in der alten preußischen Rheinprovinz zwischen Kleve und Bingen am Rhein zugrunde; über die Hälfte der Gewährspersonen ist zum Zeitpunkt der Erhebung in den Jahren 1996 und 1997 über 60 Jahre alt. Auch in diesem Material finden sich keine Belege für Bömsken und Pingel (Lausberg/ Möller 2000: Bonbon, Klingel). 2.5.4.3 Variantenwörterbücher In den Variantenwörterbüchern von Ammon u.a., Seibicke und Kretschmer und Küpper werden ausgewählte Begriffe und deren regiolektale Varianten aufgeführt (Ammon u.a. 2004, Seibicke 1972, Kretschmer 1969, Küpper 2000). Die Auswahl der Varianten unterscheidet sich dabei jeweils nach Zielsetzung des Wörterbuchs bzw. nach Abgrenzung der regionalen Lexik als Untersuchungsgegenstand: Ammon u.a. listen nur die Lexeme „des im öffentlichen Sprachgebrauch als angemessen und korrekt geltenden Deutschs“ (Ammon u.a. 2004: XI) auf. Als Quellen wurden Zeitungen und Zeitschriften, Sachbücher, Romane, Anzeigen, Formulare und Gesetzestexte, Mitschnitte aus Rundfunk- und Fernsehsendungen bzw. entsprechende Protokolle sowie Archive von staatlichen und regionalen Institutionen im Internet berücksichtigt. Die ältesten Quellen stammen aus den 1950er Jahren, der Großteil der Quellen aus den 1990er Jahren (Ammon u.a. 2004: 911). Ammon u.a. führen also vor allem Regionalismen auf, die regional so schwach markiert sind, dass sie schriftlich verwendet werden. Seibicke führt neben solchen standardsprachlichen regionalen Varianten auch stärker markierte, mündlich verwendete regiolektale Varianten sowie dialektnahe und dialektale Varianten auf (Seibicke 1972: 10f.); der Schwerpunkt liegt dabei auf den mündlich verwendeten regiolektalen Varianten (Seibicke 1972: 13). Seibickes Wörterbuch beruht nicht auf eigens erhobenen Daten; stattdessen werden Angaben aus dialektologischen und standardsprachlichen Wörterbüchern zusammengestellt und erläutert (Seibicke 1972: 16ff.). Kretschmers Wörterbuch stellt eine die- <?page no="96"?> 96 ser Quellen dar, auf die Seibicke zurückgreift: Bereits 1918 stellte Kretschmer für rund 350 Begriffe (Kretschmer 1969: 28) Bezeichnungen in der „im täglichen Leben gesprochenen Sprache der gebildeten Kreise“ zusammen (Kretschmer 1969: 27) und veröffentlichte diese als erstes regiolektales, deutschsprachiges Wörterbuch. Die Angaben beruhen auf einer Fragebogenerhebung unter ausgewählten Gewährsleuten - vielfach Bekannte und Freunde Kretschmers (Kretschmer 1969: 28) - in der Zeit zwischen 1909 und 1912 (Kretschmer 1969: 43). Küppers Wörterbuch mit 65 000 Stichwörtern besteht in einer Sammlung von regiolektalen und soziolektalen Varianten, die Küpper in der Zeit von 1955 bis 1975 per Fragebogenerhebung und Berücksichtigung von „gedruckten Belegen und lexikographischen Buchungen“ (Küpper 2000: 36) zusammengetragen hat. Die von Ammon u.a., Seibicke, Kretschmer und Küpper aufgeführten Lexeme unterscheiden sich also vor allem in Bezug auf Register und Aktualität: Ammon u.a. führen die standardnahesten, schriftsprachlich belegten Bezeichnungen in der aktuellsten Erhebung auf. Kretschmer listet die ältesten und relativ formellen, Seibicke und Küpper listen die informellsten regionalsprachlichen Bezeichnungen auf. Die regionale Eingrenzung wird von Ammon u.a., Seibicke und Kretschmer eher unter politischen und geographischen als unter dialektologischen Aspekten vorgenommen: Ammon u.a. unterteilen Deutschland in die sechs Regionen „Nordwestdeutschland“, „Nordostdeutschland“, „Mittelwestdeutschland“, „Ostmitteldeutschland“, „Südwestdeutschland“ und „Südostdeutschland“. Da die Mehrzahl der Bundesländer laut einer die Untergliederung zusammenfassenden Legende vollständig einer der sechs Regionen zugeordnet werden, erscheint die Einteilung politisch motiviert (Ammon u.a. 2004: XVIII). Die kartographische Einteilung dagegen berücksichtigt zwar einzelne Isoglossen (Ammon u.a. 2004: XLIII), steht aber teilweise in Widerspruch zu der Einteilung nach Legende: Nach Legende wird Nordrhein-Westfalen komplett zu „Mitteldeutschland“ gezählt (Ammon u.a. 2004: XVIII), kartographisch wird das Bundesland dagegen - in offensichtlicher Anlehnung an die Ürdinger und die Benrather Linie - zum Teil „Norddeutschland“ und zum Teil „Mitteldeutschland“ zugerechnet (Ammon u.a. 2004: XLIII). Ostwestfalen ist nach dem von Ammon u.a. verwendeten Begriff zwischen „Nordwestdeutschland“ und „Mittelwestdeutschland“ einzuordnen. Seibicke gibt die areale Reichweite der Lexeme sowohl mithilfe der dialektologischen Terminologie als auch unter Verweis auf politische und geographische Bezeichnungen an. Kretschmer gibt die Verbreitung dezidiert an: Häufig nennt er Städtenamen, einer bestimmten dialektologischen, geographischen oder politischen Einordnung folgt er nicht (Kretschmer 1969: 43). Küpper dagegen weist die Verbreitung der Varianten mithilfe dialektologischer Terminologie aus. <?page no="97"?> 97 Die vier Wörterbücher führen die Varianten Döhnekes (Ammon u.a. 2004: Dähnkes, Döhnekes), i-Dotz (Ammon u.a. 2004: I-Dotz), plästern (Ammon u.a. 2004: plästern, Küpper 2000: plästern), pingeln (Kretschmer 1969: 285), Stutenkerl (Ammon u.a. 2004: Stutenkerl) und Stuten (Seibicke 1972: Gebäck, Kretschmer 1969: 156), uselig (Küpper 2000: uselig), Pinnchen und Pinneken (Küpper 2000: Pinnchen), Platte (Küpper 2000: Platte), Nachtpolter und Nachtpölter (Küpper 2000: Nachtpolter) und Pöter (Küpper 2000: Pöter) auf. Die meisten der genannten Varianten weisen eine große areale Reichweite auf (siehe Tab. 2.7.). 2.5.4.4 Standardsprachliche Wörterbücher Die abgefragten 23 Lexeme wurden zusätzlich in standardsprachlichen Wörterbüchern nachgeschlagen. Als standardsprachliche Wörterbücher wurden das große Wörterbuch der deutschen Sprache (GWDS) mit 200 000 Stichwörtern (GWDS 1999), das deutsche Universalwörterbuch mit 150 000 Stichwörtern (DUW 2003) und das Synonymwörterbuch, das 300 000 Synonyme zu 20 000 Stichwörtern auflistet (Duden 2006). Die verwendeten Wörterbücher unterscheiden sich von den unter 2.5.4.1 und 2.5.4.2 aufgeführten Quellen darin, dass die areale Reichweite der Lexeme nicht im Fokus der Darstellung steht. Nichtsdestotrotz werden Angaben darüber gemacht: Nerius stellt vor dem Hintergrund eigener Analysen fest, dass nicht nur Bedeutungswörterbücher, sondern auch orthographische Wörterbücher über die regiolektale Verbreitung der aufgeführten Lexeme informieren. Allerdings kritisiert er die Angaben über die Auswahl der als regiolektal ausgewiesenen Lexeme (Nerius 2002: 125) sowie über deren areale Reichweite (Nerius 2002: 128) als unzureichend. Wermke kommt in seinen Analysen umfassender standardsprachlicher Wörterbücher zu vergleichbaren Ergebnissen: „Regionale Gebundenheit umgangssprachlicher lexikalischer Einheiten wird in den Standardwörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache angezeigt, gemessen am dokumentierten Ausschnitt aus dem Gesamtwortschatz allerdings nur in einem bescheidenen Maße“ (Wermke 1997: 337). Lässt sich die areale Reichweite eines Lexems nicht eingrenzen, wird es als „landschaftlich“ bezeichnet (Wermke 1997: 242). Bei besserer Eingrenzbarkeit werden Regionen bezeichnet, die nicht definiert werden, z.B. „norddeutsch“. Aus solchen knappen und oftmals vagen Angaben (Nerius 2002: 128) lässt sich die areale Reichweite einzelner Lexeme nicht direkt ableiten. Sie erleichtern allerdings indirekt die Einschätzung der regionalen Verbreitung: Gerade die verwendeten standardsprachlichen Wörterbücher basieren vorwiegend auf schriftsprachlichen Korpora. Aus den Wörterbucheinträgen lässt sich also erschließen, dass die Lexeme in Publikationen - in Bezug auf die in der vorliegenden Untersuchung abgefragten Lexeme ver- <?page no="98"?> 98 mutlich vor allem Zeitungen - verwendet werden. Aufgrund der schriftlichen Verwendung in der Presse dürften sie von den Lesern zum einen als regional eher schwach markiert wahrgenommen werden. Zum anderen sollten solche Lexeme überregional so weit verbreitet sein, dass die Verständlichkeit eines Zeitungsartikels nicht beeinträchtigt wird. Zum dritten werden die Lexeme durch die Publikationen weitergegeben, so dass Zugezogene sie ohne direkten Kontakt zu Einheimischen kennenlernen könnten. Aus diesen Gründen ist aus einem Wörterbucheintrag darauf zu schließen, dass ein Lexem über Westfalen hinaus bekannt sein dürfte. Von den in der vorliegenden Untersuchung abgefragten Lexemen sind Dönekes, i-Dötze, plästern, Pläte und schlickern in den standardsprachlichen Wörterbüchern aus dem Duden-Verlag aufgeführt. Die Angaben zur regionalen Verbreitung lauten - aufgeführt nach zunehmender regionaler Eingrenzung - „landschaftlich“, „norddeutsch“ und „rheinisch“ (GWDS 1999, DUW 2003, Duden 2006). 2.5.4.5 Regiolektale Befunde im Überblick Die regiolektale Verbreitung der für die vorliegende Untersuchung ausgewählten 23 Lexeme ist wissenschaftlich bisher nur ansatzweise dokumentiert: Der Großteil der 23 ausgewählten Begriffe wurde in den regiolektalen Atlanten nicht abgefragt, dementsprechend sind auch die meisten regiolektalen, in Ostwestfalen verbreiteten lexikalischen Varianten nicht in WDU und AdA aufgeführt: Die sechs für die vorliegende Untersuchung relevanten Lexeme, die in mindestens einem der beiden Atlanten verzeichnet sind, lassen sich recht gut in Bezug auf ihrer areale Reichweite eingrenzen (WDU 1977ff., AdA 2003ff.). Allerdings zeigt der Vergleich der regionalen Verbreitung von Stutenkerl im WDU und AdA beispielhaft auf, wie schnell sich die regiolektale Verbreitung verändern kann: Die Aktualität aller in 2.5.4 dargestellten Quellen und der daraus abgeleiteten regionalen Verbreitung der für die vorliegenden Untersuchung relevanten Lexeme ist vor diesem Hintergrund als fraglich einzuordnen. Nur eine aktuelle Abfrage der Lexeme unter Studierenden im gesamten deutschen Sprachraum könnte deren areale Reichweite für die vorliegende Untersuchung eindeutig klären. Eine solche Erhebung ist aber im Rahmen des hier vorgestellten Projekts nicht möglich, von dem die regiolektalen Lexeme nur einen Teilaspekt darstellen. Neben den regiolektalen Atlanten wurden Variantenwörterbücher und gemeinsprachliche Wörterbücher berücksichtigt. Ein Teil der im WDU und AdA nicht aufgeführten Lexeme wird dort aufgeführt, in Bezug auf die areale Reichweite allerdings unzureichend beschrieben: Anstatt dialektologischer Terminologie werden nicht definierte, vage Bezeichnungen wie „südostdeutsch“ (Ammon u.a. 2004: XVIII) und „norddeutsch“ (GWDS 1999, DUW 2003: Döhnkes) bevorzugt, so dass die regiolektale Verbreitung eines <?page no="99"?> 99 Lexems daraus nur ungefähr abgeleitet werden kann. Knapp die Hälfte der abgefragten Lexeme ist weder in den regiolektalen Atlanten noch in den Variantenwörterbüchern und gemeinsprachlichen Wörterbüchern aufgeführt. Das kann auf eine besonders kleinräumige Verwendung des unerwähnten Lexems schließen lassen. Es kann aber ebenso darauf zurückzuführen sein, dass der regiolektale Wortschatz - im Gegensatz zum dialektologischen Wortschatz - bisher nur ansatzweise erhoben und regiolektal erforscht ist. Tabelle 2.7. bietet einen Überblick über die Belegstellen in den regiolektalen Atlanten Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (WDU 1977ff.) und Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA 2003ff.), die Variantenwörterbücher von Ammon u.a., Seibicke, Kretschmer und Küpper (Ammon u.a. 2004, Seibicke 1972, Kretschmer 1969, Küpper 2000), das Wörterbuch der deutschen Umgangssprache (Küpper 2000) und die Standardwörterbücher aus dem Duden-Verlag: das große Wörterbuch der deutschen Sprache (GWDS 1999), das deutsche Universalwörterbuch (DUW 2003) und das Synonymwörterbuch (Duden 2006). Tab. 2.7. Areale Reichweite der Lexeme in Regiolekten und Belege. Lexem Regiolektale Atlanten Variantenwörterbücher Gemeinsprachliche Wörterbücher (an-) bucken - - - Bömsken punktuell Iserlohn (WDU 1978, Karte 63) - - Bütterken punktuell Wuppertal (WDU 2000: Karte 4-20) - - Butter, Botter vereinzelt Ruhrgebiet (WDU 2000: Karte 4-20) dölmern - - - Dön(e)kes niederdeutscher Raum, Westmitteldeutsch (Ammon u.a. 2004: Dänkes, Döhnekes) als Dönkes, Döhnkes im Norddeutschen verbreitet (GWDS 1999: Dönkes, DUW 2003: Döhnkes) döppen - Ripuarisch (Cornelissen 2005: 112) gallern - - - <?page no="100"?> 100 Lexem Regiolektale Atlanten Variantenwörterbücher Gemeinsprachliche Wörterbücher i-Dötze verbreitet zwischen Ruhr und Mosel, also im Niederfränkischen, Ripuarischen, Moselfränkischen (WDU 1993, Karte 3-22,) Westmitteldeutsch, südliches Westfalen: Rheinisch (Ammon u.a. 2004: I-Dotz) Rheinisch (GWDS 1999: i-Dotz DUW 2003: i-Dotz Duden 2006: ABC-Schütze) Killefitt - - össelig üsselig, usselig, als uselig im Westdeutschen, Mittelfränkischen und Schlesischen, 1700ff.(Küpper 2000: uselig) - Pingeljagd Pingel punktuell Minden (WDU 1977, Karte 26) - es pingelt punktuell Minden (WDU 1977, Karte 27) Pinneken als Pinnchen (Pinneken) im Rheinischen und Westfälischen 1900ff.(Küpper 2000: Pinnchen) plästern - Westmitteldeutsch, südliches Westfalen (Ammon u.a. 2004: plästern) lautmalender Ursprung, Niederdeutsch 1700ff. niederdeutsch. (Küpper 2000: plästern) landschaftlich (Duden 2006: regnen) Pläte als Platte verbreitet seit 17. Jh. (Küpper 2000: Platte) als Platte verbreitet (GWDS 1999: Platte, DUW 2003: Platte, Duden 2006: Platte) <?page no="101"?> 101 Lexem Regiolektale Atlanten Variantenwörterbücher Gemeinsprachliche Wörterbücher Pölter als Nachtpolter (Nachtpölter) im Niederdeutschen verbreitet seit dem 19. Jh. (Küpper 2000: Nachtpolter) - Pömpel - - - Pöter - Niederdeutsch 1920ff. (Küpper 2000: Pöter) landschaftlich Pöter (Duden 2006: Gesäß) schlickern im Nordniederdeutschen, im Münsterland und Ostwestfalen verbreitet (AdA 2003ff.) norddeutsch naschen (GWDS 1999 schlickern, Duden 2006: naschen) schlüren - - - Schlürschluck Schlür - - - (sch)möttkern - - schrebbelig schrabbeln - - - Stutenkerl verbreitet von Ostfriesland bis nördlich der Ruhr, also nordniederdeutsch, westfälisch, punktuell Salzgitter, Uelzen (WDU 2000: Karte 4-22) nordniederdeutsch, westfälisch, ostfälisch, Streubelege in Berlin (AdA 2003ff.) nordniederdeutsch, ostfälisch, westfälisch, westmitteldeutsch (Ammon u.a. 2004: Stutenkerl) niederdeutscher Raum (Seibicke 1972: Gebäck) niederdeutscher Raum (Kretschmer 1969: 156) - 2.5.5 Areale Reichweite der Lexeme im Überblick Die literaturbasiert ermittelte dialektale und regiolektale Verbreitung der 23 Lexeme ist in Tabelle 2.8. zusammengefasst: Es wird jeweils die dialektale Verbreitung (Spalte 2) und die regiolektale Verbreitung (Spalte 3) skizziert. <?page no="102"?> 102 Auf Grundlage von Tabelle 2.8. werden die Zugezogenen, in deren Heimatregion eines der 23 Lexeme als verbreitet angegeben ist, jeweils von der Auswertung in Bezug auf das entsprechende Lexem ausgeschlossen. Nach Blick in die Daten wurden zusätzlich die Zugezogenen aus dem Umkreis von Belegorten ausgeschlossen, weil sich in diesen Regionen die positiven Zuordnungen der Lexeme auffällig häuften. Folgende Probandengruppen wurden demnach ausgeschlossen, obwohl ein Lexem der verwendeten Literatur entsprechend nicht in ihrer Herkunftsregion verbreitet ist: Für die Lexeme Stutenkerl und Killefitt wurden die Zugezogenen aus dem ripuarischen Raum ausgeschlossen. Für Pöter wurden Zugezogene aus dem weiteren Umkreis des punktuellen Belegortes Peine ausgeschlossen, nämlich aus dem Gebiet zwischen Gifhorn, Braunschweig und Hannover. Da keine Zugezogenen aus dem westfälischen oder niederfränkischen Raum stammen, sind diese Regionen nicht in der Tabelle angegeben. Tab. 2.8. Areale Reichweite der Lexeme in Dialekten und Regiolekten (ausgenommen westfälischer und niederfränkischer Raum). Lexem Dialektale Verbreitung Regiolektale Verbreitung (an-) bucken Nordniederdeutsch: Oldenburger Land - Bömsken punktuell: Papenburg - Bütterken - dölmern punktuell: Braunschweig, Bersenbrück - Dön(e)kes Ostfälisch (südlich der Aller), verstreut Nordniederdeutsch, Ripuarisch Niederdeutsch, Westmitteldeutsch döppen weit verbreitet im Niederdeutsch als döpen - ‚taufen, unter Wasser tauchen‘ Ripuarisch gallern verbreitet Ostfälisch (südlich der Aller) i-Dötze Döttken ‚kleines Kind‘: (punktuell: Aschendorf-Hümmling) Ripuarisch, Moselfränkisch Killefitt zusätzlich: Ripuarisch össelig, üsselig, usselig, Ostfälisch (südlich von Oldenburg, Vechta Cloppenburg, Aschendorf- Hümmling), Ripuarisch Westmitteldeutsch Pingeljagd - - Pinneken Vechta, Ripuarisch, Moselfränkisch Rheinisch <?page no="103"?> 103 Lexem Dialektale Verbreitung Regiolektale Verbreitung plästern vereinzelt: Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Bremervörde, Lüneburger Heide, Verden, Nienburg, Helmstedt), Vechta Niederdeutsch Pläte punktuell: Nordniederdeutsch (Oldenburger Land, Wesermünde, Vechta), Ripuarisch, Moselfränkisch verbreitet Pölter Moselfränkisch Niederdeutsch Pömpel - - Pöter punktuell: Peine (zusätzlich: Umkreis von Peine), punktuell: Potsdam-Bornim, Templin-Groß Kölpin, Jüterbog-Treuenbrietzen, Rathenow-Prietzen Niederdeutsch schlickern Nordniederdeutsch: verbreitet westlich der Weser Niederdeutsch schlüren verbreitet: Ostfälisch (südlich von Hannover, Braunschweig), Diepholz, Ripuarisch - Schlürschluck - - (sch)möttkern - schrebbelig schrabbeln punktuell als Verb: Northeim, Duderstadt - Stutenkerl - Nordniederdeutsch, Ostfälisch, Streubelege in Berlin, zusätzlich: Ripuarisch 2.6 Die Untersuchungssituationen Die 145 Probanden nahmen an einer knapp einstündigen Befragung teil (Lorenz 2013a: 362f., Nemeth 2011: 101f.). Die Einzelbefragungen fanden in einem Büroraum auf dem Campus der Universität Bielefeld statt. Alle Probanden hatten sich bereit erklärt, freiwillig und unentgeltlich teilzunehmen, die hohe intrinsische Motivation der Probanden dürfte daher außer Frage stehen. Die 145 Befragungen wurden persönlich von der Autorin durchgeführt. Dadurch ist gewährleistet, dass etwaige Veränderungen der Untersuchungssituation durch unterschiedliche Interviewer ausgeschlossen sind. <?page no="104"?> 104 Um eine zu formelle Situation zu vermeiden, wurde die Befragung durch gemeinsames Kaffeetrinken aufgelockert (siehe 2.3.1.1). Zunächst lasen alle Probanden einen Text von knapp 100 Token vor, der digital aufgezeichnet wurde. Der Text enthält Varianten, die sich den neun phonetisch-phonologischen Variablen zuordnen lassen, die unter 2.4 erläutert sind. Nach dem Vorlesen wurden die Probanden gebeten, sich in folgende fiktive Situation hineinzuversetzen: Der Proband hat sich bereit erklärt, auf das sechsjährige Kind einer Bekannten aufzupassen. Unmittelbar vor dem geplanten Zubettgehen besteht das zu betreuende Kind auf einer Gute-Nacht-Geschichte. Da der Proband einen in wenigen Minuten beginnenden Film ansehen will, lässt er sich nicht auf Diskussionen mit dem Kind ein, das ihm bereitwillig sein Bilderbuch zur Verfügung stellt: Daraufhin erzählt die Versuchsperson ohne Vorbereitung anhand der gekürzten Fassung der Bildergeschichte Frog where are you? (Mayer 1969: 1-4, 8f., 17- 23, 25- 28) eine Gute-Nacht-Geschichte. Unmittelbar nach Skizzierung dieser fiktiven Situation startete die Audio-Aufnahme. Die Auswertung der Audio-Aufnahmen gibt Aufschluss über den aktiven Gebrauch regiolektaler Varianten der neun beschriebenen Variablen. In einem weiteren Test wurde die Realisierung der regiolektalen Varianten beim Vorlesen und beim Erzählen der Bildergeschichte der individuellen, von den Probanden mitgeteilten Wahrnehmung der regiolektalen Varianten gegenüberstellt: Die Probanden wurden gebeten, 20 als Tonaufnahme vorliegende Sätze auf Auffälligkeiten zu überprüfen (Salienztest). Die salienten Merkmale waren ausschließlich regional motiviert. Um Priming für regiolektale Ostwestfalismen zu vermeiden, wiesen die abgespielten Sätze regiolektale Merkmale auf, die in unterschiedlichen großlandschaftlichen Dialekträumen autochthon verbreitet sind. Die salienten regiolektalen Ostwestfalismen bestanden in Varianten, die sich jeweils einer der unter 2.4 erläuterten phonetisch-phonologischen Variablen zuordnen lassen. Anhand dieser neun Variablen wurden die Vorlesetexte und erzählten Bildergeschichten ausgewertet und mit den Ergebnissen des Salienztests verglichen (siehe 3.2). Nach dem Salienztest wurden den Probanden Einstellungsäußerungen über Bielefeld vorgelegt, denen sie mithilfe einer in sieben Stufen eingeteilten Skala zustimmen konnten. Die Hälfte der wählbaren, vorgegebenen Aussagen war negativ, die andere Hälfte positiv formuliert. Als Skalierungsverfahren wurde eine Likert-Skala gewählt. Die dazu notwendigen Items wurden im Vorfeld der Untersuchung unter zehn Personen auf ihre Trennschärfe geprüft (siehe 2.7.2) und vorgetestet. Nach dem Attitüdentest füllten die Probanden einen Fragebogen aus, in dem die unter 2.5. beschriebenen regiolektalen Lexeme zum Teil onomasiologisch und zum Teil semasiologisch abgefragt wurden. Aufgrund des Vortests war davon auszugehen, dass gerade die zugezogenen Probanden vor allem die prototypische Bedeutung der in Ostwestfalen verbreiteten regio- <?page no="105"?> 105 lektalen Lexeme kennenlernen (siehe 2.5.1). Aus diesem Grund wurde bei der semasiologischen Abfrage die prototypische Bedeutung per Multiple- Choice abgefragt. Bei der onomasiologischen Abfrage wurde die prototypische Bedeutung der Lexeme als Bild dargestellt. Zu diesen Bildern sollte die regiolektale Wortform angegeben werden. In einem weiteren Teil des Fragebogens war die zutreffende Wortform aus anderen, weniger bekannten ostwestfälischen Regionalismen mit abweichender Bedeutung sowie Kunstwörtern auszuwählen. Bei je fünf Antwortmöglichkeiten pro Multiple-Choice-Frage liegt die Wahrscheinlichkeit, die zutreffende Antwort durch Raten anzugeben, bei 20 Prozent. Trotzdem wurde sowohl bei der semasiologischen als auch bei der onomasiologischen Abfrage dem Multiple-Choice-Test der Vorzug vor einer geschlossenen Frage ohne vorgegebene Antwortmöglichkeiten gegeben, und zwar aus Rücksicht auf die Zielgruppe: Die Zugezogenen zeigten starke Vorbehalte gegenüber der Abfrage von regiolektalen Ostwestfalismen. Immer wieder wurden pauschal Bedenken geäußert, die Aufgabe wegen der kurzen Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen komplett nicht lösen zu können. Die Multiple-Choice-Abfrage senkte die Hemmschwelle der Zugezogenen erheblich, sich mit den regiolektalen Lexemen auseinanderzusetzen. Das zeigt sich darin, dass die Verlegenheitsantwort „keine Ahnung“ - jeweils die sechste Antwortmöglichkeit - relativ selten angekreuzt wurde. Die Auswertung des Wortschatztests zeigt, welche Lexeme die Zugezogenen in ihren passiven Wortschatz übernahmen. Zudem lässt sie Rückschlüsse darauf zu, welche sprecherbiographischen Daten und Attitüden das Kennenlernen der lexikalischen Regionalismen begünstigen. Zum Schluss der Untersuchung wurde eine detaillierte Sprecherbiographie erhoben. Es wurden Daten zur regionalen Herkunft bis hin zur Großelterngeneration abgefragt. Außerdem wurde nach Kontakten am neuen Wohnort gefragt, um zu eruieren, ob eher der Herkunftsort oder eher der Studienort als der Lebensmittelpunkt der Zugezogenen einzuordnen war. 2.6.1 Sprachaufnahmen: Vorlesen und Erzählen Die Tonaufnahmen der Vorlesetexte und erzählten Bildergeschichten bildeten die Grundlage für eine quantitative Analyse. Alle Sprachaufnahmen wurden mit einem Audiorecorder (Handy Recorder H2, Zoom) erstellt. Dieser Audiorecorder ist gut dazu geeignet, mit zwei fest eingebauten Stereomikrophonen qualitativ hochwertige Audio-Dateien im Wave-Format zu erstellen. Auch bei den kurzen Sprachaufnahmen der vorgelesenen Texte und den erzählten Bildergeschichten wurde auf ein ansteckbares externes Mikrophon verzichtet. Zum einen entfiel dadurch das Hantieren mit dem Mikrophon am Probanden, zum anderen wurde durch den Verzicht auf ein <?page no="106"?> 106 Ansteckmikrophon eine Mikrophonangst des Probanden verringert (Löffler 2003: 49). Die beiden Situationen Vorlesen und Erzählen evozieren jeweils unterschiedliche Sprechlagen, die in Bezug auf die unter 2.4 erläuterten phonetisch-phonologischen Variablen untersucht werden. Die Aufnahmesituation wurde konstant gehalten; explizite Vorgaben zur Aussprache - etwa die Vorgabe, sich beim Vorlesen besonders standardnah auszudrücken - gab es keine. Dadurch sollte vermieden werden, dass die Probanden Rückschlüsse auf den Untersuchungsgegenstand ziehen, denn dadurch könnte ein Priming für eine besonders standardnahe Aussprache sowie für Hyperformen ausgelöst werden. Bei der Rekrutierung war den Probanden suggeriert worden, es werde untersucht, inwiefern sich Zugezogene in Bielefeld eingelebt hätten. Infolgedessen ging ein Großteil der Probanden von einem psychologischen oder soziologischen Forschungsinteresse aus; das teilten viele Probanden mündlich direkt im Anschluss an die Untersuchung mit. Um diesen Eindruck zu vertiefen, wurde nicht auf etablierte Vorlesetexte zurückgegriffen, sondern es wurde stattdessen ein eigens verfasster Text verwendet, der von Bielefeld handelt. In dem Text kamen Merkmale vor, die sich den neun, unter 2.4 erläuterten, phonetisch-phonologischen Variablen zuordnen lassen. Den Varianten, die nach Forschungsstand regiolektal in Ostwestfalen verbreitet sind, wurden bei der Auswertung der Sprachaufnahmen die entsprechenden, festgestellten sprachlichen Ausprägungen gegenübergestellt. Für jede Variable wurden die relativen Häufigkeiten der Varianten ermittelt, und zwar auf der Grundlage der gleichen, vorgelesenen Lexeme. Der Stimulus Vorlesetext bietet den Vorteil einer ausgesprochen guten, wortwörtlichen Vergleichbarkeit, denn die Variablen kommen in jedem Text in konstanter Anzahl und festgelegter lexikalischer Ausprägung vor. Allerdings besteht ein Nachteil in einer vielfach graphemorientierten anstatt spontanen Aussprache. Der Stimulus Bilder dagegen evoziert keine gesprochenen Daten, die von der schriftlichen Vorlage beeinflusst werden. Deswegen wurde als Stimulus für die zweite Sprachaufnahme eine Bildergeschichte gewählt. Pavlenko fasst die Vorteile dieses Stimulus folgendermaßen zusammen: “To obtain comparable language samples, researchers elicit fictional narratives using non-verbal stimuli, such as cartoons, picture books, and short films, that allow them to hold the semantic referent constant” (Pavlenko 2008: 312). Es wurde eine von der Autorin gekürzte Fassung der Bildergeschichte Frog where are you? verwendet. In der ungekürzten Version wird diese Bildergeschichte international in der Spracherwerbsforschung eingesetzt (Pavlenko 2008: 312). Nach dem Vorlesen des Textes wurden die Probanden - wie bereits erwähnt - gebeten, anhand der gekürzten Vorlage einem fiktiven Kind <?page no="107"?> 107 eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen. Unmittelbar nach Skizzierung dieser Rahmenhandlung startete die Aufnahme. Die Probanden kamen der Aufforderung nach, anhand der nacheinander vorgezeigten Bilder eine fortlaufende Geschichte zu erzählen. Allerdings fielen die Reaktionen individuell unterschiedlich aus: Angesichts der in vielen Fällen ungewohnten Aufgabe reagierte eine Reihe von Probanden zunächst verhalten oder auch abwehrend. Offensichtlich übte diese Aufgabe auf diese Probanden einen viel höheren emotionalen Druck aus als das Vorlesen: Gerade paraverbal wirkten diese Probanden während dieser zweiten Aufnahmesituation sehr angespannt. Es ist vermutlich der umsichtigen und nachdrücklichen Rekrutierung geschuldet, dass keiner dieser Probanden seine zugesagte Bereitschaft zur Teilnahme verweigerte: Alle Probanden erzählten anhand der nacheinander angereichten Bilder eine fortlaufende Geschichte. Viele Probanden zeigten durch detaillierte, teilweise witzige Details in ihrer Erzählung, dass ihnen die Aufgabe Spaß machte. Dass die Probanden so unterschiedlich auf den gleichen Stimulus reagieren würden, hatte sich in einem Vortest unter 15 Studierenden der Universität Bielefeld nicht abgezeichnet. Die Probanden wählten beim Erzählen der Bildergeschichte jeweils unterschiedliche sprachliche Register: Während einige Probanden sich auffallend standardnah ausdrückten, wählten andere Probanden für ihre Erzählung ein standardferneres Register. Ausgefeilte Darstellungen der in der Bildergeschichte vorkommenden Charaktere, Verstellen der Stimme oder Variation des sprachlichen Registers blieben bei allen Probanden weitgehend aus. In den entsprechenden, seltenen Fällen wurden die betroffenen Redebeiträge der Charaktere von der Variablenanalyse ausgeschlossen. Da sich die erzählten Bildergeschichten in Umfang und Wortwahl von Fall zu Fall unterscheiden, variiert das quantitative Vorkommen der Varianten pro Variable stark: Im Unterschied zum Vorlesetext liegen bei den Erzählungen der Bildergeschichte jeweils unterschiedlich viele Varianten pro Variable vor. Die Analyse der Schilderungen auf Grundlage der Bildergeschichte erfolgte dementsprechend anhand von relativen Häufigkeiten. 2.6.2 Salienztest: Regionalismen im Vergleich Im Rahmen des Salienztests wurden den Probanden 20 Sätze als Tonaufnahme vorgespielt (Lorenz 2014: 3f.). Die Sätze waren zuvor von einer in Ostwestfalen beheimateten Sprecherin eingesprochen worden. 29 Sie haben einen Umfang von jeweils mindestens drei und maximal sechs Wörtern. Jeder Satz weist intendierte phonetisch-phonologische, syntaktische oder phraseologische Abweichungen vom Standarddeutschen auf. Im Vorfeld der Untersuchung und bei Beobachtungen und Befragungen unter Studierenden 29 Für das Einsprechen der Salienzsätze danke ich Stephanie Hagemann-Wilholt. <?page no="108"?> 108 sowie bei Literaturrecherchen (König 1989a, König 1989b, Lauf 1996, Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011) hatten sich diese Abweichungen als regional gebunden erwiesen. Die intendierten Abweichungen von der Standardvarietät bestanden in den meisten Fällen in Regionalismen der ostwestfälisch geprägten standardnahen Umgangssprache. Um zu vermeiden, dass durch das Vorkommen regionaltypischer Varianten ein Priming für das Vorkommen weiterer Varianten aus dieser Region stattfindet, wurden regiolektale Merkmale aus unterschiedlichen großlandschaftlichen Dialektregionen berücksichtigt. Wie im Rheinfränkischen und Sächsischen üblich wurde in einem Fall / g/ vor Lateral / l/ fortisiert: [k]laube anstatt [g]laube. In einem anderen Fall wurde / i/ , wie im Berlinischen, gerundet realisiert: St[y]ft anstatt St[i]ft. Jeder Satz enthielt null bis maximal drei Regionalismen. Die Sätze wurden den Probanden über Kopfhörer vorgespielt. Es wurde bewusst darauf verzichtet, die Anzahl der Abspielvorgänge festzulegen. Gerade die einheimischen, ortsfesten Probanden waren offenbar nicht daran gewöhnt, regiolektale Unterschiede wahrzunehmen, so dass der Schwierigkeitsgrad durch eine Begrenzung der Abspielvorgänge gerade für diese Gruppe erhöht worden wäre. Eine strikt vorgegebene Anzahl kann als für ein aufmerksames Zuhören hinderlich eingeschätzt werden: Während sich der eine beim dritten Vorspielen langweilen mag, hört der andere geradezu nervös angespannt zu, um keine Silbe im letzten Abspielvorgang zu überhören. Beides wäre der Aufmerksamkeit der Probanden vermutlich nicht förderlich. Die meisten Probanden hörten sich jeden Satz zweibis dreimal an. Nach jedem Abspielen wurden die Probanden gebeten, evtl. Auffälligkeiten anzugeben. Daraufhin gaben die Probanden die Merkmale an, die ihnen auffällig erschienen. 30 Viele Probanden gaben dabei eine persönliche Stellungnahme zu den Merkmalen ab, die meist negativ ausfiel. Eichinger legt anhand von beispielhaften Spracheinstellungsäußerungen dar, dass solche Bewertungen von Normabweichungen durchaus typisch sind (Eichinger 2010: 436). Gerade die phraseologischen und syntaktischen Merkmale wurden häufig als Anzeichen für einen niedrigen Bildungsstand der Sprecherin missdeutet. Alle Kommentare wurden als Tonaufnahme aufgezeichnet und zudem protokolliert. Der Auswertung der Sprachaufnahmen wurden die unter 2.4 erläuterten neun phonetisch-phonologischen Variablen zugrunde gelegt. Für acht der neun Variablen wurde mindestens je eine in Ostwestfalen verbreitete regiolektale Variante abgefragt. Dadurch lässt sich im Rahmen der Auswertung 30 Die ostwestfälischen Heimatstudierenden bemerkten im Salienztest besonders viele der abgefragten niederdeutschen Regionalismen (Lorenz 2014: 140f.), und zwar in stärkerem Maße als einheimische Probanden im niederdeutschen Raum in anderen Salienztests (Elmentaler/ Gessinger/ Wirrer 2010: 116-119, Hettler 2014: 74). <?page no="109"?> 109 die aktive Verwendung beim Lesen und Vorlesen mit der Wahrnehmung derselben Variante im Salienztest vergleichen. In der Auswertung wurden zudem auch Varianten der drei Variablen (2), (7) und (9) berücksichtigt, die regiolektal nicht in Ostwestfalen verbreitet sind: Für Variable (9) wurde beispielsweise die Aussprache der Affrikate / pf/ nicht nur in der regiolektalen Variante [f], sondern auch in der standardlautenden Variante [pf] abgefragt. Dadurch können für die ausgewählten Variablen jeweils die Auffälligkeit der regiolektalen und der standardlautenden bzw. nicht in Ostwestfalen verbreiteten Variante im Rahmen der Auswertung verglichen werden. 2.6.3 Multiple-Choice-Test: Passiver Wortschatz Durch einen Multiple-Choice-Test wurde ermittelt, inwiefern den Probanden Lexeme bekannt waren, die regiolektal in Ostwestfalen verbreitet sind (Lorenz 2013b: 138f., Nemeth 2011: 104). Der Fragebogen befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.4.). Die Probanden ordneten 13 Lexeme onomasiologisch ein, indem sie jeweils eine von fünf vorgegebenen, als Audio-Aufnahme abgespielten Wortformen der als Abbildung dargestellten Wortbedeutung zuwiesen. Weitere zehn Lexeme ordneten die Probanden semasiologisch ein. Dazu wählten sie aus jeweils fünf möglichen Bedeutungsangaben mit Textbeispielen die ihrer Meinung nach zutreffende Bedeutungsangabe aus; auch die Textbeispiele lagen als Audio-Aufnahme vor. Bereits bei Befragungen im Vorfeld der Untersuchung äußerten die Zugezogenen den Vorbehalt, sämtliche Lexeme seien ihnen aufgrund ihrer Sozialisation außerhalb Westfalens zwangsläufig unbekannt. Infolgedessen dachten sie nur flüchtig über die Lexeme nach. Um dieser demotivierten Einstellung entgegenzuwirken, wurde für die Hauptuntersuchung die Multiple-Choice-Abfrage gewählt. Stellmacher stellt die Vorteile dieser Abfrage auf die Interviewsituation bereits 1977 dar: „Dadurch werden Verlegenheitsantworten vermieden, zugleich wird die Atmosphäre aufgelockert und das Interesse an der Befragung wachgehalten“ (Stellmacher 1977: 65). Die von Stellmacher genannten Gesichtspunkte wurden bestätigt: Obwohl die Abfrage der Lexeme erst ca. 40 Minuten nach Beginn der Befragung erfolgte, hatten alle Probanden sichtlich Spaß daran, den Multiple-Choice- Test auszufüllen. Die geschlossenen Fragen motivierten gerade die Zugezogenen dazu, sich trotz anfangs geäußerter Vorbehalte ernsthaft mit den regiolektalen Lexemen auseinanderzusetzen. Die Vorteile der Multiple-Choice- Befragung überwiegen also den scheinbaren Nachteil, dass auch bei einer zufälligen Antwort mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent die richtige Antwort gegeben wird. Alle Antwortmöglichkeiten waren vorgetestet. Damit jede Antwortmöglichkeit möglichst authentisch wirkte, wiesen die Ant- <?page no="110"?> 110 wortmöglichkeiten zum Teil Ähnlichkeit mit anderen Wörtern auf. Das semasiologisch abgefragte Wort schmöttkern mit der Bedeutung ‚matschen, kleckern‘ klingt z.B. ähnlich wie schmökern ‚lesen‘. Das onomasiologisch abgefragte Wort Pinneken ‚Schnapsglas‘ ist metonymisch ähnlich zu Obstler ‚aus Früchten gebrannter Schnaps‘; als Antwortmöglichkeit wurde das Obstler ähnlich klingende Kunstwort Obsken angegeben. Weil Regionalismen normalerweise gesprochen vorkommen, wurden diese den Probanden ausschließlich in lautlicher Form präsentiert: Die Tonaufnahmen für den Multiple-Choice-Test wurden im Vorfeld der Untersuchung aufgezeichnet. Die Regionalismen wurden von einer einheimischen Sprecherin gesprochen, die vorgegebenen Bedeutungen von der Autorin. Falls für ein Lexem mehrere phonologische Varianten in Ostwestfalen verbreitet sind, wurden diese aufeinanderfolgend gesprochen: Das Wort schmöttkern ‚matschen, kleckern‘ zum Beispiel hat sich im Vortest in den beiden Varianten schmöttkern und möttkern als regional gut bekannt herausgestellt, deswegen wurden jeweils beide Varianten gesprochen. Bei der semasiologischen Abfrage sollte die Bedeutung der zehn Lexeme aus jeweils fünf möglichen Bedeutungsangaben ausgewählt werden, die in Textbeispiele eingebettet waren. Die Textbeispiele wurden von der einheimischen Sprecherin gesprochen, die vorgegebenen, zum Ankreuzen verschrifteten, Antwortmöglichkeiten von der Autorin. Jeweils das zutreffende Textbeispiel war authentisch, die anderen frei erfunden. Als sechste Antwortmöglichkeit konnte jeweils „keine Ahnung“ angegeben werden. Zu schmöttkern, möttkern wurden zum Beispiel folgende fünf Antwortmöglichkeiten vorgegeben (Tab. 2.9.). Tab. 2.9. Vorgegebene Antwortmöglichkeiten am Beispiel der semasiologischen Abfrage von schmöttkern. a) b) c) d) e) ein gutes Buch (sch)möttkern nachmittags eine Runde (sch)möttkern im Sandkasten (sch)möttkern in der Uni darf man nur draußen (sch)möttkern im Sommer (sch)möttkern gehen lesen Mittagsschlaf halten matschen/ kleckern rauchen schwimmen Die anderen abgefragten Lexeme und die dazugehörigen Antwortmöglichkeiten sind im Anhang aufgeführt (siehe Tab. A.4.). <?page no="111"?> 111 Bei der onomasiologischen Abfrage der Lexeme wurde die prototypische Bedeutung jeweils als Bild 31 dargestellt. Zu den insgesamt 13 Bildern sollte jeweils die regiolektale Wortform aus fünf Antwortmöglichkeiten herausgesucht werden. Die Antwortmöglichkeiten bestanden jeweils aus zwei ostwestfälischen Regionalismen mit einer anderen Bedeutung als der bildlich dargestellten, zwei Kunstwörtern und dem zutreffenden Regionalismus mit der als Bild veranschaulichten Bedeutung. Die ostwestfälischen Regionalismen mit von der Abbildung abweichender Bedeutung sind Borner, Niebaum und Gromann entnommen (Borner 2005 und 2006, Gromann 1979, Niebaum 1977: 95). Im Vortest haben sich diese Bedeutungen als unbekannt unter den ostwestfälischen und südhessischen Studierenden sowie unter den nordniederdeutschen Schülern erwiesen. Bei den Kunstwörtern handelt es sich um Lautformen, die keine Bedeutung tragen. Diese Lautformen sind frei erfunden; zum Teil wurden Wortbildungen von ungarischen Wörtern mit deutschen Flexionsmorphemen vorgenommen. Alle Kunstwörter wurden in verschiedenen Schreibweisen in Suchmaschinen eingegeben, um auszuschließen, dass diese Wörter unter irgendeiner Bedeutung in einer deutschsprachigen Region bekannt sind. Die ausgewählten Kunstwörter sowie die ostwestfälischen Regionalismen wurden anschließend von der einheimischen Sprecherin eingesprochen. Die übrigen Antwortmöglichkeiten wurden wiederum von der Autorin gesprochen. Die Probanden sollten die zutreffende Wortform auswählen oder anstatt einer Wortform die sechste Antwortmöglichkeit „keine Ahnung“ auswählen, um sich dadurch einer Festlegung auf eine Wortform zu enthalten. Zu der Abbildung der Teigfigur mit Tonpfeife standen die in Tabelle 2.10. aufgeführten Wortformen zur Auswahl. Tab. 2.10. Vorgegebene Antwortmöglichkeiten am Beispiel der onomasiologischen Abfrage von ,Teigfigur mit Tonpfeife‘. a) b) c) d) e) Mürker Lauschepper Piroggenmalte Moppken Stutenkerl 31 Für die Erstellung der Fotos danke ich Marieke Weiß, Alexander Lorenz sowie Heike, Heimo und Leonie Brock. Für die Erstellung der Zeichnungen danke ich Alexander Lorenz. Die Fotos und Zeichnungen befinden sich im Anhang (siehe A. 2.4). <?page no="112"?> 112 Die meisten Probanden entschieden sich ohne Zögern für eine der fünf Antwortmöglichkeiten. Es fiel auf, dass auch die Probanden, die eine nicht zutreffende Option wählten, sich oft auffallend sicher waren: Über das Kunstwort Piroggenmalte beispielsweise äußerten mehrere Probanden, dass sie dieses Wort schon mehrfach in Ostwestfalen gehört hätten. Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen wurde darauf verzichtet, Probanden danach zu fragen, woher ihnen die angekreuzten Regionalismen bekannt sind. Auch Fragen zum aktiven Gebrauch der regiolektalen Ostwestfalismen wurden nicht gestellt. Insgesamt wurden 65 Wortformen abgefragt (Tab. 2.11.), nämlich jeweils die zutreffende Lösung mit Bedeutung (erste Spalte), Regionalismen mit anderer Bedeutung (zweite und dritte Spalte) und Kunstwörter (vierte und fünfte Spalte). Tab. 2.11. Auflistung der bei der onomasiologischen Abfrage verwendeten Wortformen unter Angabe der Quellen. Lösung Regionalismus Regionalismus Kunstwort Kunstwort (an-)bucken ‚anlehnen, kuscheln‘ tenger(n) ’schnell’ (Gromann 1979, Borner 2005 und 2006) rängstern ’Radau machen’ (Niebaum 1977: 95) püppern (be)pöken Bömsken ‚Bonbon‘ puttken ’langsam gehen’ (Niebaum 1977: 95) Itzken ‚Stückchen‘ (Borner 20005 und 2006) Pömpen Bonerken Bütterken ‚Butterbrot‘ Püffken ‚kleines Feuer‘ (Borner 2006) Krössken ‚Techtelmechtel‘ (Borner 2005 und 2006) Schmalznickel Schmalzbrölte döppen ‚jemanden tunken‘ nönkern ’Mittagsschlaf halten’ (Borner 20005) tömpen (Kunstwort) pleffeln döm(p)ken i-Dötze ‚Erstklässler‘ i-Spölker Spölker ’Spinner’ (ostwestfälischer Bekanntenkreis) i-Hücksken Hücksken ’Hocke’ (Gromann 1979, Borner 2006) i-Pöppel i-Pützken <?page no="113"?> 113 Lösung Regionalismus Regionalismus Kunstwort Kunstwort Pinneken ‚Schnapsglas‘ Klöttken ‚Stückchen, Klötzchen‘ (Borner 2005 und 2006) Gizpin ’Geizhals’ (Borner 20005) Plirren Lütserken plästern ‚stark regnen‘ schasskern ’sich betrinken’ (Borner 20005) böltern ‚Alkohol trinken‘ (Borner 2006) trölpen fleppern Pläte ‚Glatze‘ Düppe ‚Topf‘ (Borner 2005) Trecke ‚Schublade‘ (Niebaum 1977: 95) Püchte Köpich Pölter ‚Schlafanzug‘ Fissen (inne Fissen sein ‘in Ordnung sein‘) (Borner 2005 und 2006) Schapp ’Schrank’ (Niebaum 1977: 95) Töltel Sömper Pömpel ‚Pfahl, Pfeiler‘ schrebben ‚schaben, schrammen‘ (ostwestfälischer Bekanntenkreis) Bregen ’Kopf’ (Borner 20005 und 2006) Römper Klompel Pöter ‚Hintern‘ Möpp ‚Person‘ (Fiesemöpp) (ostwestfälischer Bekanntenkreis) Placken ’Flecken’ (Niebaum 1977: 95) Pömper Blömper schlickern ‚naschen‘ verkimmeln ‚versagen‘ (Borner 2006) drömmeln ’trödeln’ (Gromann 1979, Borner 2005) schmülkern smeckern Stutenkerl ‚Hefeteigmännchen mit Tonpfeife’ Lauschepper ’Schnorrer’ (Borner 2006) Mürker ’Maurer’ (Gromann 1979, Borner 2006) Piroggenmalte Moppken <?page no="114"?> 114 2.7 Nichtsprachliche Daten 2.7.1 Sprecherbiographische Daten Mithilfe einer Sprecherbiographie wurden von allen Personen Informationen zu regionaler Herkunft und Kontakten zu Ostwestfalen erhoben. Um möglichst auszuschließen, dass die Zugezogenen ostwestfälische Regionalismen unabhängig von ihrem Studienaufenthalt in Ostwestfalen erworben haben könnten, wurden entsprechende Kontakteinflüsse kontrolliert: Direkt erfragt wurden sämtliche früheren und jetzigen Wohnorte der Personen und ihrer Familie (Eltern, Großeltern sowie anderen Personen im Haushalt, wie z.B. Stiefeltern). Um insbesondere regiolektale Einflüsse zu kontrollieren, wurde nach Niederdeutschkenntnissen im familiären Umfeld und nach vorhandenen Erfahrungen mit Sprecherziehung gefragt. Den Einheimischen wurden die gleichen Fragen gestellt, um zur Erklärung auffallender Ergebnisse gegebenenfalls den familiären Hintergrund hinzuziehen zu können. Regiolektal heterogene familiäre Verhältnisse kamen unter den einheimischen Ostwestfalen allerdings kaum vor: Die Familie der meisten Einheimischen ist bis auf ein oder zwei Großelternteile als alteingesessen westfälisch einzuordnen. Um zu erfahren, inwiefern die Zugezogenen überhaupt Kontakte zu Einheimischen unterhalten, wurden die Zugezogenen nach der regionalen Herkunft von Kontaktpersonen in Ostwestfalen gefragt (Freunde, Mitbewohner, Beziehungen). Mithilfe dieser subjektiven Daten wurden Informationen über das Vorhandensein regionaler Kontakte gewonnen. Zudem wurde nach Zufriedenheit mit Region, Unterkunft, Aufenthalt außerhalb der Heimatregion und Kontakten zu Einheimischen gefragt, um einen verzerrenden Effekt dieser Faktoren auf die Spracheinstellung auszuschließen. Der vollständige Fragebogen befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.5.). 2.7.2 Ortsloyalität und Spracheinstellung Um den emotionalen Bezug zur Region Ostwestfalen berücksichtigen zu können, wurden subjektive Daten in Form vorgegebener, skalierter Statements erfragt. Die Ortsloyalität wird bereits seit geraumer Zeit als Einflussfaktor für regiolektales Verhalten diskutiert: Mattheier forderte bereits 1985 eine Erforschung und eine adäquate Operationalisierung dieses Faktors (Mattheier 1985). Leuenberger und Scheuringer stellten 15 Jahre später fest, dass das Desiderat fortbesteht (Leuenberger 2000: 159, Scheuringer 2000: 433), obwohl Ortsloyalität in der Zwischenzeit durchaus in Forschungsprojekten thematisiert wurde (Leuenberger 1999: 29). Leuenberger kritisiert diese Thematisierung als oberflächlich: <?page no="115"?> 115 „Betrachtet man die spärlich vorliegenden soziolinguistischen Ausführungen zum Phänomen Ortsloyalität […], lässt sich feststellen, dass Ortsloyalität oft wegen ihrer inhärenten Überzeugungskraft ohne weitere Legitimationsbemühungen als erklärender Faktor dienen muss. Sie wird bemüht, um - so eine weitere, meist ungeprüft übernommene Vermutung - eine positive Dialekteinstellung zu begründen, die sich ihrerseits auf das Sprachverhalten auswirkt und zwar in dem Sinne, dass ortsloyale Personen eine positive Dialekteinstellung haben und deshalb dialektnäher sprechen“ (Leuenberger 2000: 161). Leuenberger führte eine Fragebogenuntersuchung zur Ortsloyalität in Basel unter 33 Personen mit Wohnort in und außerhalb von Basel durch (Leuenberger 2000: 162). Der Fragebogen bestand aus direkten, objektiven Fragen nach dem Bezug zu Basel und aus vorgegeben Statements, denen die Probanden auf einer zehnstufigen Skala zustimmen konnten. Leuenberger überprüfte die Inhalte der Fragebögen auf statistische Zusammenhänge zwischen den objektiven Daten und den Skalenwerten im Attitüdentest (Leuenberger. 1999: 116ff.). Dabei ergab sich ein positiver Zusammenhang zwischen den Skalenwerten und folgenden Faktoren: Wohndauer in Basel und bisherige Wohnorte, eigene oder vermittelte Mitgliedschaften (z.B. durch Familienmitglieder) in Vereinen am Ort, Freunde und Bekannte in Basel, Nutzung lokaler Medien, politische Partizipation in der Region, Zufriedenheit mit der Wohnsituation und stadtspezifische Informationen (Leuenberger 2000: 164-167). Die genannten Faktoren wurden soweit wie möglich für die Operationalisierung der Ortsloyalität in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt. Wegen der relativ kurzen Aufenthaltsdauer der zugezogenen Studierenden wurde auf Fragen nach Nutzung lokaler Medien, Informationen über die Stadt und politischem Engagement verzichtet. Nach Wohndauer, bisherigen Wohnorten und Vereinsmitgliedschaft wurde im Rahmen der Sprecherbiographie direkt gefragt (siehe Tab. A.5. im Anhang). Die Freundschaften in Ostwestfalen wurden kontrastiv zu den Freundschaften in der Herkunftsregion eingeordnet: Die Probanden gaben an, in welcher Region „mehr Freunde“ bzw. Freunde, die „bei einem schwerwiegenden Problem“ zu Rate gezogen werden, beheimatet sind. Drei einzelne Statements fragten direkt nach Einstellung zur Region Ostwestfalen, zur Unterkunft in Ostwestfalen und zum Wunsch nach einem längerfristigen Aufenthalt nach Studienende; die Zustimmung wurde auf einer Sieben-Punkte-Skala eingetragen. Um den Probanden die Möglichkeit zu geben, eine neutrale Position zu signalisieren, wurde eine ungerade Skala gewählt. Dabei wurde die Sieben-Punkte-Skala gegenüber der Fünf-Punkte-Skala bevorzugt, um eine größere Streuung der Ergebnisse abbilden zu können (Garrett 2005: 156). Neben objektiven und subjektiven Daten zum Ortsbezug wurden Spracheinstellungen mithilfe einer Likert-Skala erfragt. Likert-Skalen wer- <?page no="116"?> 116 den besonders häufig bei der direkten Erhebung von Spracheinstellungen verwendet (Vandermeeren 1997: 697, Garrett 2005: 1255). Zur Erstellung der Likert-Skala wurden fünf einheimischen und fünf zugezogenen Ostwestfalen jeweils vier Statements zu verschiedenen Parametern von Spracheinstellung abgefragt, nämlich (1) Sympathie zu den Einheimischen, (2) Zugehörigkeitsgefühl zur Region Ostwestfalen, (3) Einstellung zu regiolektalen Besonderheiten, (4) Bereitschaft zur Verwendung regiolektaler Merkmale und (5) Einschätzung der subjektiven Auffälligkeit des Regiolekts in Ostwestfalen. Die Statements für Einheimische und Zugezogene unterschieden sich leicht in ihrer Formulierung (Tab. 2.12.): Während z.B. bei Einheimischen regionaltypische Bezeichnungen wie Ostwestfalen und Lipperland als bekannt vorausgesetzt werden konnten, wurde im Fragebogen für die Zugezogenen stets die Universitätsstadt Bielefeld erwähnt. Für die Einheimischen wurde die großräumigere Bezeichnung Ostwestfalen-Lippe (OWL) gegenüber Bielefeld auch deswegen bevorzugt, um eine Fokussierung der Einheimischen auf kleinräumige Unterschiede zwischen einzelnen Dörfern oder Stadtteilen zu vermeiden. Garrett weist darauf hin, dass Probanden eher zur Zustimmung eines Statements als zu dessen Ablehnung neigen (Garret 2004 1254). Dementsprechend waren von den vier Statements, die zu jeder Einstellung vorgegeben wurden, jeweils zwei positiv und zwei negativ formuliert. Aus den insgesamt 20 Statements wurden vor dem Hintergrund der Einschätzung der zehn Personen zu jedem Parameter die beiden trennschärfsten ausgewählt. In der Hauptuntersuchung zielte jeweils eine negativ und eine positiv formulierte Aussage auf die Erhebung des gleichen Parameters von Spracheinstellung ab, wie anhand des Parameters (1) - Sympathie zu den Einheimischen - verdeutlicht wird: Die beiden Aussagen „Viele Bielefelder sind einem gleich sympathisch“ und „So richtig sympathisch wirken Bielefelder selten auf Anhieb dienen“ der Erhebung desselben Parameters. Tab. 2.12. Abgefragte Statements zu den Parametern (P.). P. Einheimische Zugezogene positive Aussage negative Aussage positive Aussage negative Aussage (1) Viele Bielefelder sind einem gleich sympathisch. So richtig sympathisch wirken Bielefelder selten auf Anhieb. Die Leute aus der Region sind einem gleich sympathisch. So richtig sympathisch wirken Leute aus OWL selten auf Anhieb. <?page no="117"?> 117 P. Einheimische Zugezogene positive Aussage negative Aussage positive Aussage negative Aussage (2) Ich habe mich in Bielefeld richtig gut eingelebt. Ich fühle mich in Bielefeld irgendwie immer noch fremd. Ostwestfalen / Lipperland / Osnabrücker Land ... ist mehr als bloß mein Zuhause. Es ist mein Heimatland. Mit meiner Heimatregion verbindet mich nicht mehr und nicht weniger als der Wohnsitz von Familie und Freunden. (3) Wenn Leute aus Bielefeld hier in der Innenstadt miteinander reden, klingt das eigentlich ganz schön. Ich höre die ostwestfälische Aussprache in Bielefeld echt nicht gern Ich höre die ostwestfälische Aussprache vor Ort ganz gern. Ich höre die ostwestfälische Aussprache echt nicht gern. (4) Ich hätte nichts dagegen, die Bielefelder Aussprache allmählich selbst zu übernehmen. Ich persönlich will Wörter nicht so aussprechen wie ein Bielefelder. Mich stört es nicht, wenn mir jemand an der Aussprache anhört, dass ich aus der Umgebung von Bielefeld, Osnabrück, Detmold und Paderborn komme. Ich persönlich will nicht, dass mir jemand an der Aussprache anhören kann, wo ich herkomme. (5) Einen Bielefelder erkennt man schon nach kurzer Zeit an der Aussprache. Bielefelder erkennt man kaum an ihrer Aussprache. Leute aus OWL erkennt man in Süddeutschland oder im Ausland schon nach kurzer Zeit an der Aussprache. Man hört Leuten aus OWL kaum an ihrer Aussprache an, wo sie herkommen. Bei den positiven Aussagen signalisiert ein hoher Skalenwert eine hohe Sympathie, bei den negativen Aussagen signalisiert ein hoher Skalenwert antiproportional eine geringe Sympathie. Um die Skalenwerte vergleichen zu können, wird im Folgenden nicht mit den Skalenwerten, sondern mit Zustimmungswerten gerechnet: Der höchstmögliche Skalenwert von sieben entspricht bei positiven Aussage dem maximalen Zustimmungswert von sieben und bei negativen Aussagen dem minimalen Zustimmungswert von eins. Bei einem konsistenten Antwortverhalten würde also zwar die <?page no="118"?> 118 Zahl der Skalenwerte zwischen beiden Aussagen differieren, die Anzahl der Zustimmungswerte würde sich dagegen entsprechen. Für jeden der fünf Parameter wurden die Zustimmungswerte der beiden zugrundeliegenden Aussagen pro Untersuchungsgruppe gemittelt. Anschließend wurde der Mittelwert aus den höchstmöglichen Zustimmungswerten gegenübergestellt und die relative Häufigkeit ermittelt. Die relative Häufigkeit der Zustimmungswerte pro Parameter wird im Folgenden als Zustimmungsgrad bezeichnet. Die gemittelten Zustimmungsgrade unter den 37 Einheimischen (schwarz) und den 64 Zugezogenen (grau) sind abgebildet (Abb. 2.13.). Abb. 2.13. Zustimmungsgrade im Vergleich (Zugezogene: hellgrau, Einheimische: dunkelgrau). Abbildung 2.13. zeigt, dass die Attitüden zu Ostwestfalen unter den Einheimischen insgesamt nur leicht positiver ausfallen als unter den Zugezogenen. Die Unterschiede zwischen den Zustimmungsgraden der beiden Gruppen sind nur in Bezug auf Parameter (4) auffällig: Eine Bereitschaft zur Verwendung ostwestfälischer Regionalismen lehnen die Zugezogenen eher ab, während die Einheimischen hier die höchsten Zustimmungswerte ankreuzten. Die erhobenen Daten zur Sprecherbiographie und zur Spracheinstellung fließen in die ergänzende Beschreibung des Sprachverhaltens von vier ausgewählten Personen ein (siehe 5). Die Fragebögen zur Ermittlung der Spracheinstellung und der sprecherbiographischen Daten befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.2., Tab. A.3. und Tab. A.5.). 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 1 2 3 4 5 <?page no="119"?> 119 3 Auswertung der neun phonetisch phonologischen Variablen Der Auswertung der phonetisch-phonologischen Variablen liegt Material für alle 101 Probanden zugrunde, das in drei verschiedenen Testsituationen entstanden ist: Für jeden Probanden liegen zwei Sprachaufnahmen vor, die beim Vorlesen eines vorgegebenen Textes und beim Erzählen einer Geschichte anhand von vorgegebenen Bildern entstanden sind (siehe 2.6.1). Im Salienztest wurden für acht der neun phonetisch-phonologischen Variablen je mindestens eine regiolektale, in Ostwestfalen verbreitete Variante als Stimulus vorgegeben und nach deren subjektiver Auffälligkeit gefragt. Die Sprachaufnahmen wurden auf die Verwendung von Varianten der neun Variablen geprüft: Für jede Variable wurde der Anteil der ostwestfälischen regiolektalen Varianten berechnet. Die dadurch ermittelten relativen Häufigkeiten von acht Variablen wurden den Auffälligkeiten der entsprechenden Varianten im Salienztest gegenübergestellt. 3.1 Vorgehensweise bei der Analyse der Daten Die Transkription der Vorlesetexte erfolgte mit der Software EXMARaLDA in literarischer Umschrift. Die Erzählungen der Bildergeschichte wurden mit dem Programm CLAN im Format CHAT transkribiert; beides Komponenten des international in der Spracherwerbsforschung verwendeten Child Language Data Exchange System (CHILDES). Bei der Analyse der Sprachdaten wurde jeweils geprüft, ob die in Ostwestfalen regiolektal verbreiteten Varianten realisiert wurden. Um den Vergleich der Erzählungen zu ermöglichen, wurden die relativen Häufigkeiten ermittelt, und zwar für die in Ostwestfalen verbreiteten Realisierungen der einzelnen Variablen für jeden Probanden. Beim Salienztest wurden den Probanden 20 Sätze über Kopfhörer als Tonaufnahme vorgespielt. Diese Sätze wiesen regiolektal bedingte phonetisch-phonologische Merkmale aus unterschiedlichen Regionen auf. Die Probanden gaben mündlich die Merkmale an, die ihnen auffielen. Diese Angaben wurden den phonetisch-phonologischen Variablen zugeordnet und mit der aktiven Realisierung beim Vorlesen und Erzählen verglichen. 3.1.1 Analyse der Vorlesetexte Mit den Vorlesetexten lässt sich die Realisierung der neun Variablen durch die 101 Probanden anhand derselben Lexeme vergleichen: Die neun Variab- <?page no="120"?> 120 len treten in jedem Text gleich oft und in den gleichen lexikalischen Ausprägungen auf (Tab. 3.1.). Der vorgelesene Text stützte die Glaubwürdigkeit der beim Werben um Versuchspersonen eingesetzten Behauptung, es ginge in der Untersuchung darum, wie sich Zugezogene „in Bielefeld und Umgebung eingelebt“ hätten (siehe 2.3.1). Um diese Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden, wurde bewusst auf die Abfrage der Wenkersätze verzichtet, die zumindest Germanistik- Studierenden aus dem Studium bekannt sein dürften. Stattdessen wurde ein Text für die Untersuchung formuliert, der Bezüge zu regional bekannten Sehenswürdigkeiten in der Umgebung von Bielefeld (Sparrenburg, Tierpark Olderdissen) enthielt. Im Anschluss an die Befragung stellte sich heraus, dass die meisten Probanden tatsächlich erst im Verlauf der insgesamt einstündigen Tests realisieren, dass sie an einer sprachwissenschaftlichen Studie teilnahmen. Ein Priming für Ostwestfalismen dürfte also mehrheitlich nicht stattgefunden haben. Der Text enthält Lexeme, die als Varianten der unter 2.4 erläuterten neun phonetisch-phonologischen Variablen kategorisiert wurden: Mit den Vorlesetexten lagen für jede der neun sprachlichen Variablen mindestens zwei und maximal zehn Realisierungen vor. Tabelle 3.1. zeigt, wie oft und in welchen Lexemen die Varianten der neun Variablen beim Vorlesen verwendet wurden. Tab. 3.1. Vorkommen der phonetisch-phonologischen Variablen im Vorlesetext. Variable Beschreibung der ostwestfälischen Variante Vorkommen der Variable Token (1) Spirantisierung des Plosivs / g/ im Auslaut zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] 8 unterwegs (2x) Hermannsweg Sparrenburg Nachmittag gesagt Zeug Schlagsahne (2) Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend als Frikativ [f] 3 Trampelpfad dampfend Pflaumenkuchen (3) Realisierung der Affrikate / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen als Frikativ [f] oder Affrikate [bf] 3 Regentropfen getropft Apfel (4) Realisierung von / ŋ/ im Auslaut mit stimmlosem Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ ʔ ] 3 ging lang (2x) <?page no="121"?> 121 Variable Beschreibung der ostwestfälischen Variante Vorkommen der Variable Token (5) Ausfall von [ ʁ ]bzw. [ ɐ ] nach Kurzmonophthong / a/ mit Ersatzdehnung des Monophthongs [ ɐ ] als [a: ] 3 Markus (2x) Tierpark (6) gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong 10 Bernd (2x) Hermannsweg Sparrenburg kurz wird Wurst fertig sofort Berge (7) Hebung von / ɛ : / zu [e: ] 2 später Käsebrote (8) Kurze Realisierung von Langmonophthong [a: ] in geschlossener Silbe (lexemgebunden) 7 Nachmittag nach (2x) gesagt Wasserglas Schlagsahne (9) standardnahe Spirantisierung des Derivationssuffixes <ig> als [ıç] 2 fertig wenig Die digitalen Audio-Aufnahmen des vorgelesenen Textes wurden nach Höreindruck transkribiert. Paraverbal schwer verständliche Stellen wurden in Bezug auf Tempo und Lautstärke bearbeitet. Zur Bearbeitung der Audiodaten wurde das Computerprogramm Audacity, Version 1.3.9, verwendet (Audacity 2009). Die Transkription erfolgte mit dem Computerprogramm EXMARaLDA, Version 1.32. (EXMARaLDA 2005). EXMARaLDA stellt Konzepte, Datenformate und Werkzeuge für die Transkription und Annotation von Gesprächsdaten bereit; es ist auch die Erstellung und Auswertung von Korpora möglich. 32 Das Software-Paket EXMARaLDA wurde ausgewählt, um die Audioaufnahmen mit dem Transkript bereits im Entstehungsprozess zu verknüpfen. Durch die Verknüpfung ist eine kontrollierte Wiedergabe der mit dem Transkript verlinkten Audiosequenzen möglich. Zudem erleichterte die Segmentierung der Transkription in Sprechereignisse die Zuordnung der 32 Grundlegende Informationen zum Programm EXMARaLDA stellen Dittmar und Schmidt zusammen (Schmidt 2002, Dittmar 2009: 196-209). <?page no="122"?> 122 Transkriptteile zu den neun untersuchten phonetisch-phonologischen Variablen. Bei der Transkription der Aufnahmen wurde darauf geachtet, welche Varianten für jede der neun Variablen realisiert wurde: Die in Ostwestfalen regiolektal verbreiteten, unter 2.4 erläuterten Varianten wurden getrennt von anderen Varianten ausgezählt. Die digitalen Audio-Aufnahmen des vorgelesenen Textes transkribierte eine Transkribientin (Autorin), um einen verfälschenden Einfluss durch verschiedene Transkribienten zu vermeiden. Unterschiede in der individuellen Wahrnehmung von Regionalismen, die in einem Transkribientenwechsel begründet liegen, gab es also nicht. Die Autorin ist nicht im niederdeutschen Raum sprachlich sozialisiert, deswegen fallen ihr Ostwestfalismen beim Transkribieren nach Höreindruck stark auf. Auf das Hinzuziehen eines Computerprogramms zur phonetischen Analyse wurde verzichtet. Nachdem die Transkription abgeschlossen war, wurden sämtliche Aufnahmen von einer zweiten Person kontrolliert. Diese Person weist keinerlei sprecherbiographische Bezüge zum niederdeutschen Raum auf, so dass sie Ostwestfalismen als besonders auffällig wahrnimmt. 33 Die relative Häufigkeit der ostwestfälischen regiolektalen Varianten wurde für jede Variable berechnet. Dazu wurde für jede Sprachaufnahme und jede Variable die Zahl der ostwestfälischen Regionalismen ermittelt. Die relative Häufigkeit ergibt sich als Quotient aus dieser Zahl und der Anzahl aller Varianten. Für den Vergleich mehrerer Personengruppen wurden die relativen Häufigkeiten der berücksichtigten Personen gemittelt. Der Berechnung der relativen Häufigkeit für die ostwestfälische Kontrollgruppe liegen jeweils die Daten aller 37 Heimatstudierenden zugrunde. Keine der in Ostwestfalen verwendeten regiolektalen phonetisch-phonologischen Varianten ist exklusiv im westfälischen und im niederfränkischen Raum verbreitet (siehe 2.4). Deswegen wurden jeweils die Zugezogenen von der Auswertung einer Variable ausgeschlossen, in deren Herkunftsregion die in Ostwestfalen verwendete Variante nach Literaturrecherche verbreitet ist. Den beiden Zugezogenengruppen liegen für jede Variable also die Daten unterschiedlich vieler Personen zugrunde: Je nach Variable werden bei der Auswertung die Daten von sechs bis 57 der insgesamt 64 Zugezogenen aus dem nieder- und hochdeutschen Raum berücksichtigt. Tabelle 3.2. gibt einen Überblick darüber, welche Zugezogenen (VP) im Einzelnen bei der Auswertung der Variablen (1) - (9) einbezogen wurden. 33 Für das Kontrollhören danke ich Brigitte Nemeth. <?page no="123"?> 123 Tab. 3.2. Berücksichtigung der Zugezogenen (VP) nach ihren Herkunftsorten bei der Auswertung der phonetisch-phonologischen Variablen (dunkelgrau: berücksichtigt, hellgrau: unberücksichtigt). VP Herkunftsorte (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) 57 Stendal 90 Salzwedel 137 Rhinow 144 Seddin 141 Prignitz, Ratzeburg 136 Magdeburg 34 Vechta 44 Vechta 10 Vechta 113 Nienburg 9 Nienburg 88 Leer 125 Diepholz 60 Rotenburg/ Wümme 61 Osterholz 68 Stade 69 Aurich, Oldenburg 75 Hamburg, Lübeck 108 Oldenburg, Aachen, Würzburg 76 Hamburg 102 Emden 33 Kiel 24 Helmstedt 42 Hannover 46 Wolfenbüttel 65 Braunschweig 74 Braunschweig 87 Goslar 111 Hannover 121 Celle 130 Hannover 41 Göttingen, Stade, Gifhorn 22 Berlin 36 Berlin, Königs Wusterhausen 94 Berlin, Königs Wusterhausen 103 Berlin 66 Berlin 17 Köln 63 Euskirchen 86 Aachen <?page no="124"?> 124 VP Herkunftsorte (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) 114 Köln 119 Ahrweiler 120 Ahrweiler 135 Nievern 105 Boppard 64 Regensburg, Euskirchen 110 Steinfurth 134 Oberursel 107 Frankenthal 7 Großalmerode 4 Kassel 26 Riesa 56 Dresden 85 Dresden 124 Leipzig 99 Jena 117 Dresden, Ludwigsburg 81 Ludwigsburg 106 Lorch (Ostalbkreis) 140 Stuttgart 115 Konstanz, Freiburg 97 Helmbrechts 91 Erding 116 Regensburg berücksichtigte Personen: 6 7 7 24 57 55 15 16 6 Nach Ausschluss der Zugezogenen, die zeitweise im autochthonen Verbreitungsgebiet der Variable wohnten, wurden die verbleibenden Zugezogenen nach Herkunft aus dem hochdeutschen und aus dem niederdeutschen Raum gruppiert und mit der ostwestfälischen Kontrollgruppe verglichen (Tab. 3.3.). Dazu wurde ein Mittelwert der relativen Häufigkeiten pro Variable für die Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum und ein Mittelwert für die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum berechnet. Weil sieben der neun in Ostwestfalen verwendeten regiolektalen Varianten im gesamten niederdeutschen Raum verbreitet sind (siehe 2.4), konnten für die Zugezogenen dieser Untersuchungsgruppe nur die Mittelwerte für zwei Variablen berücksichtigt werden. Tabelle 3.3. zeigt die mittleren relativen Häufigkeiten für die drei Gruppen nach Ausschluss der Zugezogenen aus den Verbreitungsgebieten der jeweiligen Variablen. <?page no="125"?> 125 Tab. 3.3. Relative Häufigkeiten der ostwestfälischen Regionalismen in den drei Untersuchungsgruppen - einheimische Ostwestfalen (OWL), niederdeutsche Zugezogene (ND) und hochdeutsche Zugezogene (HD) - beim Vorlesen (N: Umfang der berücksichtigten Stichprobe). Variable Beschreibung der ostwestfälischen Variante relative Häufigkeiten (gemittelt) der ostwestfälischen Variante OWL ND HD (1) Spirantisierung des Plosivs / g/ im Auslaut zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] 5% N=37 0% N=6 (2) Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend als Frikativ [f] 77% N=37 0% N=7 (3) Realisierung der Affrikate / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen als Frikativ [f] oder Affrikate [bf] 30% N=37 24% N=7 (4) Realisierung von / ŋ/ im Auslaut mit stimmlosem Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ] 5% N=37 1% N=24 (5) Ausfall von [ ʁ ] bzw. [ ɐ ] nach Kurzmonophthong / a/ mit Ersatzdehnung des Monophthongs [ ɐ ] als [a: ] 78% N=37 25% N=25 7% N=32 (6) gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong 29% N=37 9% N=25 4% N=30 (7) Hebung von / ɛ : / zu [e: ] 78% N=37 67% N=15 (8) Kurze Realisierung von Langmonophthong [a: ] in geschlossener Silbe (lexemgebunden) 42% N=37 42% N=16 (9) standardnahe Spirantisierung des Derivationssuffixes <ig> als [ıç] 62% N=37 29% N=6 Die mittleren relativen Häufigkeiten der neun Variablen beim Vorlesen werden unter 3.2 mit den mittleren relativen Häufigkeiten beim Erzählen der Bildergeschichte verglichen und der gemittelten Salienz von acht der neun Variablen unter Einheimischen und Zugezogenen gegenübergestellt (siehe 3.2). 3.1.2 Analyse der Erzählungen (Bildergeschichten) Alle Erzählungen auf Grundlage der Bildergeschichte handeln von den gleichen Akteuren, die die gleichen Handlungen vollziehen. Trotzdem evoziert <?page no="126"?> 126 die gleiche Bildergeschichte nur in wenigen Fällen die gleichen Lexeme (siehe 2.6.1.): In der vorliegenden Untersuchung benannten die meisten Probanden die abgebildeten Akteure in ihren Erzählungen übereinstimmend als Frosch, Junge, Hund und Hirsch. Die Bezeichnungen wurden allerdings nicht von allen Probanden verwendet: Der Frosch wurde von einem Probanden als Kröte bezeichnet. Der Junge wurde von vielen Probanden als Kind bezeichnet oder mit einem Eigennamen versehen. Auf den Hund wurde in vielen Fällen durch die Hunderassenbezeichnung Dackel oder einen Eigennamen referiert. Der Hirsch wurde von einigen wenigen Probanden als Elch oder Rehbock bezeichnet (Nemeth 2011: 103.). Ebenfalls relativ häufig verwendeten die Probanden Lexeme, die zu den häufigsten deutschsprachigen Wörtern zählen, nämlich ausgewählte Präpositionen, Konjunktionen, Artikel, Pronomen und Hilfsverben. 34 Die jeweilige Anzahl dieser kontextunabhängig häufig verwendeten Wörter hängt weniger von einer individuellen Wortwahl als vielmehr von der Länge einer Erzählung ab. Im vorliegenden Korpus weisen die meisten Erzählungen einen Umfang von ungefähr 300 Token auf. Der Umfang variiert von 129 Token bis 663 Token. Mit dem sprachstatistischen Analyseprogramm CLAN wurde eine Frequenzliste für das gesamte Korpus der 101 Erzählungen erstellt: Die 50 am häufigsten verwendeten Wörter sind nach Frequenz geordnet zusammengestellt (Tab. 3.4.). Tab. 3.4. Die 50 häufigsten Token in allen 101 erzählten Bildergeschichten (bis zu einer Frequenz von 133). Rang Token Frequenz Rang Token Frequenz Rang Token Frequenz 1 und 1922 18 nicht 346 35 es 203 2 der 1432 19 ein 320 36 im 197 3 er 977 20 einen 313 37 einem 188 4 Frosch 868 21 war 311 38 ihn 185 5 den 591 22 auch 310 39 noch 183 6 dem 548 23 nach 277 40 so 183 7 Hund 515 24 dann 267 41 aus 178 8 auf 507 25 Hirsch 266 42 als 168 9 sich 486 26 Junge 266 43 Bett 162 10 das 479 27 aber 265 44 kleinen 162 11 ist 458 28 seinem 264 45 an 159 12 in 438 29 sein 261 46 ihm 150 34 Eine solche Wortliste der hundert deutschen am häufigsten geschriebenen Wörter stellt das Projekt Deutscher Wortschatz auf der Grundlage seines Zeitungskorpus zusammen (Deutscher Wortschatz 1998ff.: Wortliste). <?page no="127"?> 127 Rang Token Frequenz Rang Token Frequenz Rang Token Frequenz 13 mit 422 30 ganz 255 47 von 150 14 sie 409 31 Glas 248 48 wieder 137 15 zu 390 32 hat 233 49 jetzt 134 16 die 374 33 kleine 233 50 was 133 17 da 356 34 ja 215 Dass die Variablen also nur in wenigen Fällen anhand der gleichen Lexeme überprüft werden können, erschwert insbesondere die Auswertung der lexemgebundenen Variablen (1) und (8) (siehe 2.4.1 und 2.4.6). Deswegen wurden für diese Variablen selektiv die Lexeme berücksichtigt, die mindestens eine Person aus Ostwestfalen mindestens einmal als Ostwestfalismus realisierte: Regiolektal motivierte g-Spirantisierungen (1) traten in weg, liegt, trägt, genug, fliegt, krieg Tag, legt, zeigt, fragt und sag als Simplex und gegebenenfalls in derivierter oder komponierter Form auf. In Ostwestfalen verbreitete lexikalisch gebundene Vokalkürzungen - Variable (8) - kamen in den Lexemen nach, Tag, saß und Glas vor. Da sich die Erzählungen in Umfang und Wortwahl voneinander unterscheiden, variiert das Vorkommen der Varianten pro Variable stark: In jeder Bildergeschichte kommt jede Variable unterschiedlich oft und in unterschiedlichen lexikalischen Varianten vor. Um das Vorkommen der regiolektalen Varianten in den 101 Erzählungen dennoch getrennt nach den neun Variablen vergleichen zu können, wurden die Varianten bei der Transkription zunächst annotiert. Zur Transkription und Analyse der Daten wurden Komponenten der international in der Spracherwerbsforschung genutzten Datenbank CHILDES verwendet, nämlich das Transkriptionssystem CHAT und das Analyseprogramm CLAN. 35 Das Programm CLAN wurde ausgewählt, weil es für die automatisierte, quantitative Analyse selbst erstellter und transkribierter Korpora genutzt werden kann: Das Programm kann aus Texten Frequenzlisten aller oder ausgewählter Wörter generieren. Im Rahmen der Auswertung wurden mithilfe von CLAN jeweils die Varianten der neun phonetisch-phonologischen Variablen aufgelistet und gezählt, die die Probanden in ihren Erzählungen verwendeten. Um automatische Analysen mit CLAN durchführen zu können, ist eine Transkription in CHAT Voraussetzung. Bei der Transkription in CHAT wurden alle Token, die sich einer der neun phonetisch-phonologischen Va- 35 Eine Beschreibung von CHILDES nehmen Dittmar und der Entwickler der Datenbank MacWhinney vor (Dittmar 2009 145-164, MacWhinney 2000). Die Komponenten CLAN und CHAT beschreibt MacWhinney detailliert in den Handbüchern (MacWhinney 2011). Dittmar skizziert grundlegende Konventionen von CHAT (Dittmar 2009: 148- 160). <?page no="128"?> 128 riablen zuordnen lassen, gesondert codiert: Jede Variante wurde mit einer Sigle versehen, die Auskunft über die Variable und die regiolektale Ausprägung (regiolektale ostwestfälische Variante vs. nicht-ostwestfälische Variante) gab. Die digitalen Audio-Aufnahmen der erzählten Bildergeschichten transkribierte die Autorin nach Höreindruck in CHAT. Wie bei der Transkription des vorgelesenen Textes wurden auch bei den erzählten Bildergeschichten paraverbal schwer verständliche Stellen mit Audacity, Version 1.3.9. bearbeitet (Audacity 2009). Die regiolektale Kategorisierung der Varianten wurde anhand der digitalen Tonaufnahmen von der gleichen Person kontrolliert, die die vorgelesenen Texte gegenhörte (siehe 3.1.1). Die Codierung der Varianten ermöglicht ihr automatisches Auszählen und das Erstellen von Frequenzlisten mithilfe des statistischen Analyseprogramms CLAN: Für jede der neun phonetisch-phonologischen Variablen wurden die regiolektal ostwestfälischen und nicht-ostwestfälischen Varianten für die 101 Probanden ausgezählt. Das Vorkommen der Varianten schwankt dabei erheblich von Variable zu Variable. Eine Liste aller in den 101 Bildergeschichten verwendeten lexikalischen Varianten der Variablen (1) bis (9) unter Angabe ihrer Frequenz befindet sich im Anhang (siehe Tab. A.6.). Die Anzahl der vorkommenden lexikalischen Varianten (Types und Token) pro Variable in allen 101 Erzählungen sind in Tabelle 3.5. aufgelistet. Tab. 3.5. Das Vorkommen aller lexikalischen Varianten zu den neun phonetischphonologischen Variablen (Types und Token) in allen 101 Bildergeschichten. Variable Types Token Variablenbeschreibung (1) 39 286 Spirantisierung des Plosivs / g/ im Auslaut zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] (2) 9 46 Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend als Frikativ [f] (3) 17 103 Realisierung der Affrikate / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen als Frikativ [f] oder Affrikate [bf] (4) 40 158 Realisierung von / ŋ/ im Auslaut mit stimmlosem Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ] (5) 45 222 Ausfall von [ ʁ ] bzw. [ ɐ ] nach Kurzmonophthong / a/ mit Ersatzdehnung des Monophthongs [ ɐ ] als [a: ] (6) 86 967 gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong (7) 44 248 Hebung von / ɛ : / zu [e: ] <?page no="129"?> 129 Variable Types Token Variablenbeschreibung (8) 30 664 Kurze Realisierung von Langmonophthong [a: ] in geschlossener Silbe (lexemgebunden) (9) 34 110 standardnahe Spirantisierung des Derivationssuffixes <ig> als [ıç] Zu den Variablen (6) mit 967 Token und (8) mit 664 Token liegt eine umfangreiche und damit aussagekräftige Datengrundlage vor. Sogar ein Vergleich auf Grundlage der gleichen Lexeme ist möglich: Unter den häufigsten 50 Token sind mit Hirsch eine Variante der Variable (6) mit 266 Nennungen und zwei Varianten der Variable 8, nämlich nach mit 277 und Glas mit 248 Nennungen (siehe Tab. 3.4.). Für Variable (2) liegen dagegen nur wenige Daten vor; die am häufigsten genannte Variante mit einer Frequenz von lediglich 34 ist das Kompositum Baumstumpf. Tabelle 3.6. gibt einen Überblick darüber, wie oft Varianten der neun Variablen pro Erzählung maximal und im Mittel verwendet wurden. Tab. 3.6. Übersicht über das maximale und gemittelte Vorkommen der phonetischphonologischen Variablen beim Erzählen der Bildergeschichte. Variable Vorkommen der Variable unter allen Probanden maximal (pro Erzählung) im Mittel Variable (1) 11 2,8 Variable (2) 4 0,5 Variable (3) 6 1,0 Variable (4) 6 1,6 Variable (5) 9 2,2 Variable (6) 19 9,6 Variable (7) 9 2,5 Variable (8) 14 6,6 Variable (9) 5 1,1 Mithilfe von CLAN wurden für jeden Probanden das absolute Vorkommen aller Varianten und der regiolektalen ostwestfälischen Varianten pro Variable ermittelt. Auf dieser Datengrundlage wurde die relative Häufigkeit der ostwestfälischen regiolektalen Varianten pro Variable berechnet. Um Vergleichbarkeit zwischen Personengruppen herzustellen, wurden die relativen Häufigkeiten der einzelnen Personen in einer Gruppe gemittelt. Der Berechnung der relativen Häufigkeit für die ostwestfälische Kontrollgruppe liegen also die Daten aller Heimatstudierenden zugrunde, die mindestens eine Variante pro Variable in ihrer Erzählung verwendeten. In den Zugezogenengruppen wurden für jede Variable jeweils die Personen aus Regionen berücksichtigt, in denen die in Ostwestfalen verwendeten phonetisch- <?page no="130"?> 130 phonologischen Varianten autochthon nicht verbreitet sind (siehe 2.4). Nur für die Zugezogenen konnten relative Häufigkeiten der regiolektalen Ostwestfalismen berechnet werden, die in ihrer Erzählung wenigstens eine Variante pro Variable tatsächlich verwendeten. Von der Auswertung einer Variable ausgeschlossen wurden also sowohl die Zugezogenen aus dem jeweiligen Verbreitungsgebiet der in Ostwestfalen verbreiteten Variante als auch alle Personen, die keine Variante der Variable verwendeten. Tabelle 3.7. gibt einen Überblick darüber, wie viele Zugezogene und Einheimische bei der Auswertung der Bildergeschichten berücksichtigt oder wegen Nichtverwendung der Variante ausgeschlossen wurden. Tab. 3.7. Übersicht über den Ausschluss von Probanden beim Erzählen der Bildergeschichte. Variable berücksichtigte Zugezogene berücksichtigte Einheimische ausgeschlossene Personen (mangels Variablenverwendung) (1) 6 36 7 (2) 4 10 70 (3) 3 22 44 (4) 16 25 36 (5) 45 29 22 (6) 55 37 0 (7) 13 34 11 (8) 16 36 1 (9) 6 26 34 Die relativen Häufigkeiten für die berücksichtigten Personen wurden für die drei Untersuchungsgruppen gemittelt. Weil sieben der neun in Ostwestfalen verwendeten regiolektalen Varianten im gesamten niederdeutschen Raum verbreitet sind (siehe 2.4), werden für die Zugezogenen aus dieser Gruppe nur die Mittelwerte für die Variablen (5) und (6) aufgeführt. Die relativen Häufigkeiten für die drei Gruppen sind in Tabelle 3.8. aufgelistet. <?page no="131"?> 131 Tab. 3.8. Relative Häufigkeiten der ostwestfälischen Regionalismen in den drei Untersuchungsgruppen - einheimische Ostwestfalen (OWL), niederdeutsche Zugezogene (ND) und hochdeutsche Zugezogene (HD) - beim Erzählen der Bildergeschichte (N: Umfang der berücksichtigten Stichprobe). Variable Beschreibung der ostwestf. Variante rel. Häufigkeiten (gemittelt) der ostwestf. Variante OWL ND HD (1) Spirantisierung des Plosivs / g/ im Auslaut zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] 17% N=36 3% N=6 (2) Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend als Frikativ [f] 59% N=10 0% N=4 (3) Realisierung der Affrikate / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen als Frikativ [f] oder Affrikate [bf] 70% N=22 0% N=3 (4) Realisierung von / ŋ/ im Auslaut mit stimmlosem Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ ʔ ] 10% N=25 6% N=16 (5) Ausfall von [ ʁ ] bzw. [ ɐ ] nach Kurzmonophthong / a/ mit Ersatzdehnung des Monophthongs [ ɐ ] als [a: ] 70% N=29 31% N=18 18% N=27 (6) gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong 67% N=37 23% N=25 9% N=30 (7) Hebung von / ɛ : / zu [e: ] 78% N=34 65% N=13 (8) Kurze Realisierung von Langmonophthong [a: ] in geschlossener Silbe (lexemgebunden) 35% N=17 25% N=16 (9) standardnahe Spirantisierung des Derivationssuffixes <ig> als [ıç] 100% N=6 60% N=6 Die relativen Häufigkeiten der neun Variablen beim Erzählen und beim Vorlesen werden unter 3.2 verglichen und der Salienz von acht der neun Variablen unter Einheimischen und Zugezogenen gegenübergestellt (siehe 3.2). 3.1.3 Analyse der Salienztests Den Probanden wurden insgesamt 20 Sätze als Tonaufnahmen vorgespielt. Die Sätze enthielten insgesamt 32 Merkmale, die die Probanden als auffällig angaben. 25 Auffälligkeiten waren phonetisch-phonologisch motiviert, sie- <?page no="132"?> 132 ben Auffälligkeiten phraseologisch und syntaktisch. Von den 25 phonetischphonologischen Merkmalen werden 14 in Ostwestfalen verwendet, neun Merkmale sind in anderen Regionen verbreitet und zwei Abweichungen waren als Versprecher nicht beabsichtigt. Von den 14 in Ostwestfalen verbreiteten Merkmalen wurden nur solche berücksichtigt, die sich den phonetisch-phonologischen Variablen eindeutig zuordnen ließen (siehe 2.4). Zudem wurde darauf geachtet, dass jede Variante einer hinreichenden Anzahl von Probanden auffiel: Varianten der phonetisch-phonologischen Variablen, die nicht mindestens vier der 101 Probanden als auffällig angaben, wurden von der Auswertung ausgeschlossen. Der Ausschluss betraf eine Variante der Variable (2), die das Merkmal im absoluten Auslaut aufwies: Wettkam[f] war zwei Personen aufgefallen. Die Auswertung der Salienz stützt sich also bei dieser Variable nur auf eine Variante. Insgesamt wurden zehn der 14 in Ostwestfalen verbreiteten Merkmale als Varianten der unter 2.4 erläuterten phonetisch-phonologischen Variablen analysiert. Diese Merkmale sind in Tabelle 3.9 unter Zuordnung zu den phonetisch-phonologischen Variablen aufgelistet. Tab. 3.9. Auflistung der im Salienztest abgefragten Variablen: Ostwestfälische Varianten. 36 Variable Beschreibung der ostwestfälischen Variante Vorkommen der ostwestfälischen Variante abgefragte Varianten (1) Spirantisierung des Plosivs / g/ im Auslaut zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] 2 lie[ç]t statt lie[k]t Rückwe[ç] statt Rückwe[k] (2) Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend als Frikativ [f] 1 [f]lanze statt [pf]lanze (4) Realisierung von / ŋ/ im Auslaut mit stimmlosen Plosiv als [ŋk] 1 la[ŋk] statt la[ŋ] (5) Ausfall von [ ʁ ] bzw. [ ɐ ] nach Kurzmonophthong / a/ mit Ersatzdehnung des Monophthongs [ ɐ ] als [a: ] 2 F[a: ]be statt F[a ɐ ]be bzw. F[a ʁ ]be g[a: ] statt g[a ɐ ] bzw. g[a ʁ ] 36 Ergebnisse der Salienztests der Variablen (1), (2), (5) und (6) wurden in Lorenz 2014 diskutiert (Lorenz 2014: 139-143). <?page no="133"?> 133 Variable Beschreibung der ostwestfälischen Variante Vorkommen der ostwestfälischen Variante abgefragte Varianten (6) gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong 1 W[o: a]t statt W[ ɔɐ ]t bzw. W[ ɔʁ ]t (7) Hebung von / ɛ : / zu [e: ] 1 [e: ]nlich statt [ ɛ : ]nlich (8) Kurze Realisierung von Langmonophthong [a: ] in geschlossener Silbe (lexemgebunden) 1 B[a]d statt B[a: ]d (9) standardnahe Spirantisierung des Derivationssuffixes <ig> als [ıç] 1 eindeuti[ç] Die in Ostwestfalen verbreitete Variante (9) - die Spirantisierung des Suffixes <ig> - stimmt mit der Standardlautung überein (siehe 2.4.9). Bereits im Vortest gaben Probanden diese Variante mehrfach als Regionalismus an unter dem Hinweis darauf, dass sich die Spirantisierung nicht graphematisch manifestiert. Vor diesem Hintergrund wurde das Suffix <ig> im Salienztest in einem Fall in der standardlautenden, in Ostwestfalen verbreiteten Variante [ıç] und in einem zweiten Fall in der im oberdeutschen Raum verbreiteten, nicht standardlautenden Variante [ık] abgespielt. Zu den Variablen (2) und (7) wurden standardlautende, in Ostwestfalen nicht gebräuchliche Varianten abgefragt. Bei der Auswertung der Variablen (2), (7) und (9) werden also jeweils die Salienzen der in Ostwestfalen gebräuchlichen Varianten und der in Ostwestfalen nicht verbreiteten standardlautenden bzw. oberdeutschen Varianten verglichen. Die drei abgefragten, in Ostwestfalen nicht verbreiteten Varianten sind dargestellt (Tab. 3.10.). <?page no="134"?> 134 Tab. 3.10. Auflistung der im Salienztest abgefragten Variablen: Varianten, die autochthon nicht in Ostwestfalen vorkommen. Variable Betroffenes Phonem Vorkommen Variante abgefragte Varianten (2) Realisierung der Affrikate / pf/ im Anlaut als Affrikate [pf] 1 unge[pf]le[k]t (7) Realisierung von / ɛ / als [ ɛ : ] 1 erz[ ɛ : ]lt (9) Auslautverhärtung von / g/ zu [k] im Auslaut des Derivationssuffixes <ig> 1 lusti[k] statt lusti[ç] Neben den in Ostwestfalen verbreiteten Varianten wiesen die Sätze weitere regiolektal bedingte phonetisch-phonologische Merkmale auf, die in anderen Regionen des deutschen Sprachraums verbreitet sind; bei einem dieser Merkmale handelt es sich um die oberdeutsche Variante von Variable (9) lust[ık]. Durch die Mischung der phonetisch-phonologischen Merkmale aus unterschiedlichen Regionen sollte ein Priming für Ostwestfalismen vermieden werden. Neben den phonetisch-phonologischen Merkmalen wurden außerdem sieben syntaktische und phraseologische Regionalismen abgefragt, von denen sechs in Ostwestfalen und eine in anderen Regionen verbreitet sind. Die Abfrage dieser Merkmale sollte einem Priming für phonetisch-phonologische Varianten entgegenwirken. Die zwanzig verwendeten Salienzsätze sind in Tabelle 3.11. aufgelistet (Spalte 1). Die von Probanden als auffällig angegebenen Wörter sind nach in Ostwestfalen verbreiteten Merkmalen (Spalte 2) und außerhalb Ostwestfalens verbreiteten Regionalismen (Spalte 3) aufgeschlüsselt. Varianten der phonetisch-phonologischen Variablen sind jeweils durch Nennung der Variablen-Nummer ausgewiesen. Tab. 3.11. Auflistung der Salienzsätze unter Zuweisung der regiolektalen Merkmale zu den phonetisch-phonologischen Variablen (1) bis (9). Salienzsätze Ostwestfalismen andere Regionalismen Die F[a: ]be gefällt mir beso[n]ers. (5) F[a: ]be beso[n]ers Ich will noch nach Aldi. Präposition nach vor Personenname Der le[s]e Wettkam[f] lief ganz [e: ]nlich. (7) [e: ]nlich Wettkam[f] le[s]e (Versprecher) <?page no="135"?> 135 Salienzsätze Ostwestfalismen andere Regionalismen Das war ga nicht lusti[k]. g[a: ] (5) lusti[k], oberdeutsch: Var (9) Kannst Du mal aufh[øa]n zu meck[an]? aufh[øa]n meck[an] Wo lie[ç]t denn der St[y]ft? (1) lie[ç]t St[y]ft Damit bin ich gut zufrieden. Phrase Das hat die Doris erz[ ɛ : ]lt. Artikel vor Personenname erz[ ɛ : ]lt, Standard: Var (7) Die [f]lanze steht auf dem Regal. (2) [f]lanze Ich [kl]aube Dir kein W[o: a]t. (6) W[o: a]t [kl]aube Sons noch was? Tilgung von auslautendem [t] Der Putzla[b]en l[i]kt im B[a]d. (8) B[a]d Putzla[b]en l[i]kt (Versprecher) Das muss so. Phrase Er sieht unge[pf]legt aus. unge[pf]legt, Standard: Var (2) Der Rückwe[ç] ist eindeuti[ç] zu la[ŋk]. (1) Rückwe[ç] (4) la[ŋk] (9) eindeuti[ç] Was steckt da eigentlich hinter? gespaltene Konstituenten im Bereich der Proadverbien Er ist am Kochen. Verlaufsform Was me[g]erst du jetzt w[i]der? me[g]erst w[i]der Die Grippe hat mich erwischt. Bis die Tage! Phrase Die zwanzig Sätze wurden den Probanden nacheinander über Kopfhörer vorgespielt (siehe 2.6.2). Anschließend gaben die Probanden mündlich die Merkmale an, die ihnen auffällig erschienen. Alle Angaben wurden von der Autorin schriftlich notiert und gleichzeitig als Tonaufnahme aufgezeichnet. Die Kommentare zu den Varianten der phonetisch-phonologischen Variablen (1), (2), (4), (5), (6), (7), (8) und (9) wurden zum absoluten Vorkommen der Varianten einer Variable in Beziehung gesetzt: Für jeden Probanden wurde die Häufigkeit ermittelt, mit der er die in Ostwestfalen verbreiteten Varianten einer Variable erkannte. Die relative Häufigkeit ergibt sich als Quotient aus dieser Zahl und der Anzahl aller Varianten. Für den Vergleich mehrerer Personengruppen wurden die relativen Häufigkeiten der berück- <?page no="136"?> 136 sichtigten Personen gemittelt. Die ermittelten relativen Häufigkeiten für die drei Untersuchungsgruppen - einheimische Ostwestfalen (37 Personen), niederdeutsche Zugezogene (32 Personen) und hochdeutsche Zugezogene (32 Personen) - sind in Tabelle 3.12. aufgeführt. Tab. 3.12. Relative Häufigkeiten der angegebenen regiolektalen Merkmale in den drei Untersuchungsgruppen - einheimische Ostwestfalen (OWL), niederdeutsche Zugezogene (ND) und hochdeutsche Zugezogene (HD) - im Salienztest. Variable Beschreibung der ostwestfälischen Variante relative Häufigkeiten (gemittelt) der ostwestfälischen Variante OWL ND HD (1) Spirantisierung des Plosivs / g/ im Auslaut zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] 89% 97% 97% (2) Affrikate / pf/ im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend als Frikativ [f] 43% 34% 53% (4) Realisierung von / ŋ/ im Auslaut mit stimmlosem Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ] 46% 56% 72% (5) Ausfall von [ ʁ ] bzw. [ ɐ ] nach Kurzmonophthong / a/ mit Ersatzdehnung des Monophthongs [ ɐ ] als [a: ] 11% 8% 27% (6) gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong 14% 19% 44% (7) Hebung von / ɛ : / zu [e: ] 27% 9% 13% (8) Kurze Realisierung von Langmonophthong [a: ] in geschlossener Silbe (lexemgebunden) 95% 97% 94% (9) standardnahe Spirantisierung des Derivationssuffixes <ig> als [ıç] 35% 44% 31% 3.2 Auswertung der phonetisch-phonologischen Variablen Wie bereits in 2.4.1 dargestellt, wurde die areale Reichweite der regiolektal in Ostwestfalen verbreiteten phonetisch-phonologischen Varianten literaturbasiert geprüft (Tab. 3.13.). <?page no="137"?> 137 Tab. 3.13. Areale Reichweite der in Ostwestfalen verbreiteten phonetischphonologischen Varianten. Variable Variante Areale Reichweite (1) Spirantisierung von / g/ im Auslaut zum stimmlosen Spiranten [x] oder [ç] Spirantisierung im niederdeutschen, im berlinischen und im mitteldeutschen Raum, koronalisierte Spirantisierung im westmitteldeutschen und sächsischen Raum (2) Realisierung von / pf/ im Anlaut und Auslaut nach Konsonanten als Frikativ [f] niederdeutscher und mitteldeutscher sowie berlinischer Raum (3) Realisierung von / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen als Frikativ [f] oder Affrikate [bf] niederdeutscher und mitteldeutscher sowie berlinischer Raum (4) Realisierung von / ŋ/ im Auslaut mit stimmlosem Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ] niederdeutscher und berlinischer Raum, punktuell Gießen (zentralhessisch) und Bayreuth (ostfränkisch) (5) Ausfall von/ r/ nach / a/ mit Ersatzdehnung von [ ɐ ] als [a: ] Westfalen, nordniederdeutscher Raum südlich der Aller, punktuell Wittlich und Mainz (westmitteldeutsch) (6) gespannte, gedehnte, gehobene Realisierung des Monophthongs verbunden mit volltoniger Vokalisierung von nachstehendem / r/ : Sekundärdiphthong Westfalen, nordniederdeutscher Raum südlich der Aller, punktuell: Regensburg (mittelbairisch) (7) Hebung von / ɛ : / zu [e: ] niederdeutscher und berlinischer Raum, Nord- und Osthessen, ripuarischer und moselfränkischer Raum, punktuell: Regensburg (mittelbairisch) (8) Kurze Realisierung von Langmonophthong [a: ] in geschlossener Silbe (lexemgebunden) niederdeutscher und berlinischer Raum, Ripuarisch sowie punktuell Gießen (zentralhessisch) (9) standardnahe Spirantisierung des Derivationssuffixes <ig> als [ıç] Spirantisierung im Niederdeutschen, im Berlinischen und im mitteldeutschen Raum, koronalisierte Spirantisierung im westmitteldeutschen und sächsischen Raum War die Variante an einem Ort autochthon verbreitet, an dem zugezogene Versuchspersonen gelebt haben, wurden alle betroffenen Versuchspersonen <?page no="138"?> 138 von der Auswertung der aktiven Realisierung dieser Variable ausgeschlossen (siehe Tab. 3.2.). Aus den für die Personen ermittelten relativen Häufigkeiten wurde für die einheimischen Ostwestfalen und - nach Ausschluss der Zugezogenen aus dem Verbreitungsgebiet der Varianten - für die Zugezogenen aus dem niederdeutschen und für die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum jeweils die gemittelte relative Häufigkeit gebildet. Da der Einfluss der regionalen Herkunft auf die Aufmerksamkeit für bestimmte Regionalismen bislang ungeklärt ist (Hundt 2010: 181f.), wurden bei der Auswertung der Salienz keine Zugezogenen ausgeschlossen; hier beruhen die gemittelten relativen Häufigkeiten für die drei Untersuchungsgruppen also jeweils auf den vollständigen Personengruppen. Die aktive Realisierung der Variablen beim Vorlesen und Erzählen wird im Folgenden mit der Salienz der entsprechenden Varianten verglichen. 3.2.1 Variable (1) Die regiolektale Spirantisierung von / g/ im Auslaut - exklusive Suffix <ig> - erfolgt nach Velarvokalen als [x]-Laut, nach Palatalvokalen und nach Liquiden als [ç]-Laut (Krech 2009: 83, 85). Die in Ostwestfalen verwendete regiolektale Variante tritt im gesamten niederdeutschen und mitteldeutschen Raum sowie in Berlin auf (König 1989b: 303ff., Lauf 1996: 199, Mihm 2000: 2113, AdA 2003ff.). Vor dem Hintergrund dieser großräumigen Verbreitung werden insgesamt 58 Zugezogene von der Auswertung ausgeschlossen, die aus den entsprechenden Regionen stammen. Die Analyse stützt sich dementsprechend auf sechs Zugezogene aus dem oberdeutschen Raum, die mit der einheimischen Kontrollgruppe verglichen werden. Wie anhand des Atlas zur deutschen Alltagssprache festgestellt (siehe 2.4.1), scheint die regiolektale Variante vor allem lexikalisch gebunden aufzutreten. Deswegen wird das Vorkommen der Spirantisierung des auslautenden / g/ in der einheimischen Kontrollgruppe zunächst getrennt nach den einzelnen Lexemen dargestellt. Die Variable wird anhand von acht Token im vorgelesenen Text untersucht: Dreimal anhand des Morphems weg (zweimal im Kompositum unterwegs, einmal im Kompositum Hermannsweg) und je einmal anhand des Morphems burg im Kompositum Sparrenburg, von tag im Kompositum Nachmittag, von schlag im Kompositum Schlagsahne, von sag in der Derivation gesagt und anhand des Simplex zeug. Die regiolektale Realisierung schwankt unter den 37 einheimischen Ostwestfalen zwischen keiner einzigen g-Spirantisierung in Sparrenburg und sieben Spirantisierungen in Nachmittag. Ein Anteil von 30 Prozent der Ostwestfalen verwendet die g- Spirantisierung beim Lesen in einem der acht Fälle; die durchschnittliche Verwendung der Variable beträgt 5 Prozent der Fälle. Beim Erzählen der Bildergeschichte liegt die durchschnittliche Verwendung der regiolektalen Variante bei 17 Prozent der Fälle - und damit deutlich höher als beim Vorle- <?page no="139"?> 139 sen. Wegen der vermuteten lexikalischen Gebundenheit der g-Spirantisierung bezieht sich die relative Häufigkeit beim Erzählen nur auf solche Wortteile, die von mindestens einem Probanden tatsächlich spirantisiert werden: Berücksichtigt werden die Simplizia liegt und genug sowie alle Komposita, Derivate und Flexionen mit kriegt, tag, weg, legt, trägt, zeigt, fragt und sagt. Die genannten Wortteile werden von den 37 Einheimischen insgesamt mindestens einmal und maximal zehnmal verwendet. Mindestens eine regiolektale Variante verwenden 28 Prozent der Einheimischen beim Erzählen - also ein vergleichbar hoher Gruppenanteil wie beim Vorlesen. Die von der Standardlautung abweichende g-Spirantisierung im Auslaut wurde anhand der beiden Wörter lie[ç]t und Rückwe[ç] abgefragt (Lorenz 2014: 8). Die beiden abgefragten Wörter erwiesen sich dabei als unter allen drei Gruppen (hochdeutsche Zugezogene, niederdeutsche Zugezogene, Heimatstudierende) in gleichem Maße salient: In beiden Zugezogenengruppen wurde die g-Spirantisierung in 97 Prozent aller Fälle als auffallend angegeben. In der Gruppe der Einheimischen wurde die g-Spirantisierung in 89 Prozent aller Fälle als auffallend angegeben. Das entspricht einer durchschnittlichen Salienz von 1,78 von zwei Fällen. In allen drei Gruppen erreicht die g-Spirantisierung damit die mit Abstand höchste Salienz unter den neun abgefragten phonetisch-phonologischen Regionalismen. Keiner der Zugezogenen verwendet die g-Spirantisierung im Auslaut beim Vorlesen oder Erzählen. Wegen der weiträumigen autochthonen Verbreitung der Variante im gesamten niederdeutschen, berlinischen und mitteldeutschen Raum musste der Großteil der Probanden von der Analyse in Bezug auf die Verwendung ausgeschlossen werden. Also weist dieses Ergebnis keinerlei statistische Aussagekraft auf, denn es beruht auf nur sechs Personen. Angesichts der geringen aktiven Verwendung der Variante unter den Einheimischen ist es aber durchaus plausibel, dass die g-Spirantisierung von Zugezogenen nicht übernommen wird. 3.2.2 Variable (2) Die Realisierung der Affrikate / pf/ im Anlaut als Frikativ [f] ist regiolektal im gesamten Raum nördlich der Speyerer Linie gebräuchlich (König 1989a: 101, König 1989b: 259, Lauf 1996: 199, Mihm 2000: 2113). Weil sich die unter 2.4 erläuterten Quellen ausschließlich zur Realisierung der Affrikate / pf/ im Anlaut äußern, kann aus der berücksichtigten Literatur keine regiolektale Verbreitung von / pf/ in anderen Stellungen im Wort abgeleitet werden. Vor dem Hintergrund des Rheinischen Fächers wird jedoch davon ausgegangen, dass / pf/ im In- und Auslaut dort regiolektal als Frikativ [f] oder Affrikate [bf] artikuliert wird, wo die Affrikate dialektal nicht verbreitet ist. Dementsprechend dürften sich die arealen Reichweiten der regiolektalen Varianten (2) und (3) decken: Nördlich der Speyerer Linie wird / pf/ im <?page no="140"?> 140 Anlaut sowie nach Nasal in- und auslautend als [f] - Variable (2) - sowie im In- und Auslaut nach Vokalen als [f] oder [bf] realisiert: Variable (3). Folglich werden von der Auswertung der Variablen (2) und (3) insgesamt 57 Zugezogene aus dem niederdeutschen, mitteldeutschen und berlinischen Raum ausgeschlossen. Berücksichtigt werden jeweils sieben Personen aus dem oberdeutschen Raum; darunter ein Proband aus Ostfranken. 37 Die Affrikate / pf/ wird im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend von fast allen Ostwestfalen in den meisten Fällen als Frikativ [f] artikuliert: 35 der 37 Ostwestfalen - das entspricht einem Anteil von 95 Prozent - verwenden die regiolektale Variante beim Vorlesen mindestens einmal. Die Variante wird durchschnittlich in 77 Prozent der Fälle realisiert; da die Variable dreimal im vorgelesenen Text vorkam, entspricht dies einer durchschnittlichen Verwendung von 2,3 regiolektalen Varianten beim Vorlesen. Die einheimische Kontrollgruppe verwendet die Variante beim Vorlesen häufiger als beim Erzählen: 70 Prozent der Ostwestfalen verwendete die Variante wenigstens einmal beim Erzählen der Bildergeschichte (durchschnittliche Verwendung: 59 Prozent). Da die regiolektale Variante weit über Ostwestfalen hinaus verbreitet ist, werden alle Zugezogenen aus dem niederdeutschen, mitteldeutschen und berlinischen Raum ausgeschlossen. Von den zu berücksichtigenden sieben Personen aus dem oberdeutschen Raum und Ostfranken realisiert keine Person die Affrikate als Frikativ, und zwar weder beim Vorlesen noch beim Erzählen. Die Salienz der regiolektalen Variante wurde mithilfe des Stimulus [f]lanze getestet (Lorenz 2014: 9f.). Neben der regiolektalen Variante wurde auch die der Aussprachenorm entsprechende Variante der Variable (2) (Krech 2009: 80) auf ihre Salienz überprüft: Die Variante [f]lanze empfanden 43 Prozent der Ostwestfalen, 34 Prozent der Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum und 53 Prozent der Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum als auffällig. Unge[pf]legt dagegen nahmen 86 Prozent der Ostwestfalen, 88 Prozent der niederdeutschen und 53 Prozent der hochdeutschen Zugezogenen als ungewöhnlich wahr. Allen Probanden aus dem oberdeutschen Raum und Ostfranken fiel die Artikulation der Affrikate als Frikativ auf. In der Herkunftsregion dieser sieben Probanden ist die Realisierung der Affrikate autochthon verbreitet. Einer Probandin aus dem oberdeutschen Raum fielen beide Realisierungen der Affrikate - [f] und [pf] - auf. Herkunftsregionen und Verwendung der beiden Varianten sind in Tabelle 3.14. aufgelistet. Da die regiolektale Variante einzig im oberdeutschen Raum und in Ostfranken autochthon nicht verbreitet ist, wird diese Gruppe 37 Da das Ostfränkische eine Zwischenstellung zwischen Mitteldeutsch und Oberdeutsch einnimmt (Wiesinger 1983: 842), wird der ostfränkische Proband jeweils gesondert unter den oberdeutschen Probanden aufgeführt. <?page no="141"?> 141 sowohl als Teil der hochdeutschen Gruppe als auch gesondert unter oberdeutsch aufgeführt. Tab. 3.14. Angabe der Allophone [f] und [pf] des Phonems / pf/ im Salienztest in den verschiedenen Probandengruppen (absolute Häufigkeiten). Herkunft keine Variante eine Variante beide Varianten [f] [pf] Ostwestfalen 4 17 1 15 niederdeutsch 2 19 2 9 hochdeutsch 5 10 10 7 oberdeutsch 0 6 0 1 Die überwiegende Anzahl der einheimischen und zugezogenen Probanden aus dem niederdeutschen Raum, die eine Variante nannte, gab die standardsprachliche Affrikate an. Die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum, denen die regiolektale Variante auffiel, stammen größtenteils aus dem oberdeutschen Raum. Die meisten Probanden gaben also die Variante als auffällig an, die in ihrer Herkunftsregion autochthon nicht vorkommt. Eine Angleichung an die einheimische Kontrollgruppe ist hier nicht erkennbar. 3.2.3 Variable (3) Wie bereits in Bezug auf Variable (2) erläutert, wurden vor dem Hintergrund des Rheinischen Fächers 57 Zugezogene von der Analyse ausgeschlossen, die aus dem mitteldeutschen, niederdeutschen und berlinischen Raum stammen. Bei der Transkription der Sprachaufnahmen der einheimischen Studierenden fiel auf, dass die regiolektale Realisierung der Affrikate / pf/ im In- und Auslaut nach Vokalen durch zwei Varianten erfolgt: Entsprechend Variable (2) wird die Affrikate zum einen als Frikativ [f] realisiert. Häufiger fällt der Plosiv allerdings nicht vollständig aus, sondern wird stimmhaft artikuliert. Als regiolektale Ausprägung der Variable (3) werden demnach sowohl die Varianten [f] als auch [bf] gezählt. 57 Prozent der einheimischen Ostwestfalen verwendeten eine der beiden regiolektalen Varianten beim Vorlesen einmal, beim Erzählen sogar 82 Prozent. Die durchschnittliche Verwendung beim Vorlesen betrug 30 Prozent der Fälle, bei einem dreifachen Vorkommen der Variable entspricht das durchschnittlich 0,89 regiolektalen Varianten pro Vorlesetext. Beim Erzählen wurde die regiolektale Ausprägung nicht nur von einer größeren Gruppe von Ostwestfalen, sondern auch in einer größeren Anzahl der Fälle verwendet als beim Vorlesen: Die durchschnittliche Verwendung der regiolektalen Varianten betrug 70 Prozent der Fälle. <?page no="142"?> 142 Wie bereits bei der unter Variable (2) subsumierten Realisierung der Affrikate im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend wurden auch bei Variable (3) die meisten Zugezogenen von der Auswertung ausgeschlossen. Da die regiolektale Realisierung nördlich der Speyerer Linie dialektal und regiolektal (König 1989b: 259) nicht verbreitet ist, wurden nur die sieben Zugezogenen aus dem oberdeutschen Raum und Ostfranken berücksichtigt. Von diesen sieben verwendeten drei Personen mindestens eine der regiolektalen Varianten [f] und [bf] beim Vorlesen, nämlich zwei Personen in zwei der drei Fälle und eine Person in einem Fall. Beim Erzählen verwendete nur eine Person die Variable; diese Person realisierte die standardlautende Variante [pf]. 3.2.4 Variable (4) Bei der Erläuterung von Variable (4) unter 2.4.3 wurde bereits darauf hingewiesen, dass diese, in Ostwestfalen verwendete, regiolektale Variante zwar großräumig, aber relativ selten verwendet wird (König 1989b: 233, Lauf 1996: 199): Die Realisierung des velaren Nasals / ŋ/ mittels Plosiv als [ŋk] ist im gesamten niederdeutschen und berlinischen Raum sowie punktuell im zentralhessischen Gießen und ostfränkischen Bayreuth dokumentiert (König 1989b: 233). Dementsprechend wurden alle Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum, sowie die Probanden aus Berlin, Nordhessen und Ostfranken von der Auswertung ausgeschlossen. Dem folgenden Vergleich mit den einheimischen Ostwestfalen liegen also die Daten von den 24 Zugezogenen aus dem mittel- und oberdeutschen Raum zugrunde. Die regiolektale Realisierung von / ŋ/ erfolgte in der einheimischen Kontrollgruppe durch zwei Varianten: Neben der im niederdeutschen Raum verbreiteten Nasalierung mit darauf folgendem Plosiv [k] (Stellmacher 1977: 100, Martens 1981: 262, Scheel 1963: 383, Mihm 2000: 2113) trat auch eine Nasalierung mit darauf folgendem glottalem Verschlusslaut [ ʔ ] auf. Alle beiden Varianten [ŋk] und [ŋ ʔ ] werden als regiolektale Ausprägung der Variable (4) gezählt. Keine der regiolektalen Ausprägungen der neun Variablen verwendeten die Einheimischen bei der Sprachaufnahme so selten wie die von Variable (4): Nur sechs der einheimischen Ostwestfalen - das sind 16 Prozent der Gruppe - realisierten / ŋ/ beim Vorlesen einmal als [ŋk] oder [ŋ ʔ ]. Obwohl die Variable dreimal im Text vorkam, realisierte sie beim Vorlesen regiolektal niemand mehr als einmal. Während diese Verwendung der Varianten beim Vorlesen durchschnittlich 5 Prozent aller Fälle entspricht, beträgt sie beim Erzählen der Bildergeschichte immerhin 10 Prozent aller Fälle: 12 Prozent der Ostwestfalen, die die Variable beim Erzählen verwendeten, realisierten das Merkmal wenigstens einmal; darunter sind zwei Personen, die das Merkmal je zweimal (absolute Häufigkeit) verwendeten. Die Varianten <?page no="143"?> 143 [ŋk] und [ŋ ʔ ] werden also nur in sehr begrenztem Maße von jungen Ostwestfalen verwendet. Es ist also festzustellen, dass diese Varianten aus dem Regiolekt verschwinden. Da die regiolektale Realisierung von / ŋ/ im gesamten niederdeutschen Raum sowie im berlinischen, im nordhessischen und punktuell im ostfränkischen Raum verbreitet ist, werden 24 Zugezogene aus dem hochdeutschen Raum bei der Auswertung berücksichtigt. Nur eine dieser Personen verwendete das Merkmal beim Vorlesen und Erzählen. Beim Vorlesen realisierte sie die regiolektale Variante in einem von drei Fällen (33 Prozent). Beim Erzählen verwendete sie die Variante in einem von einem möglichen Fall. Zum Zeitpunkt der Aufnahme lebte die Studentin aus Jena seit vier Jahren in Ostwestfalen. Es ist möglich, dass es sich bei der Realisierung in ihrem Fall um einen Konvergenzprozess handelt. Es könnte sich dabei aber auch um einen Regionalismus handeln, den die Jenaerin von ihrem aus Schwerin stammenden Vater oder auch von ihren in Schwerin lebenden, sudetendeutschen Großeltern übernommen hat. Da sich dieselbe Probandin beim Wortschatztest durch hohe Bekanntheitsgrade der Regionalismen von den anderen Zugezogenen abhebt, werden diese Ergebnisse gesondert im Rahmen einer Einzelfallanalyse betrachtet (siehe 5). Die Salienz der Variante wurde anhand des Stimulus la[ŋk] getestet. Die Variante wurde von 46 Prozent der Ostwestfalen, von 56 Prozent der Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum und von 72 Prozent der Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum als auffällig angegeben. Die durchschnittliche Salienz der Variante unter den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum bleibt nach Ausschluss der neun Personen aus dem berlinischen und ripuarischen Raum mit 75 dem Prozentwert ohne Ausschluss nahezu gleich. Aufgrund der geringen Verwendung der Variante durch die Zugezogenen ist eine Vermeidung der Variante durch die Zugezogenen wahrscheinlicher als eine Übernahme (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 155). Auch vor diesem Hintergrund wird das sprachliche Verhalten der Jenaerin genauer untersucht (siehe 5). 3.2.5 Variable (5) Im Gegensatz zu den bisher diskutierten Variablen ist die regiolektale Variante der Variable (5) nicht flächendeckend im niederdeutschen Raum verbreitet. Wie unter 2.4.4 dargelegt, verortet König den Ausfall von / r/ vor Kurzmonophthong / a/ in Westfalen und im nordniederdeutschen Raum südlich der Aller sowie punktuell in den westmitteldeutschen Städten Wittlich und Mainz (König 1989b: 194). Dementsprechend werden die Zugezogenen aus dem nordniederdeutschen Raum südlich der Aller von der Auswertung ausgeschlossen; der Auswertung zugrunde liegen demnach die <?page no="144"?> 144 Daten von 25 Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum. Da keine Probanden aus dem Umkreis von Wittlich und Mainz an der Studie teilgenommen haben, wird die Gruppe der zugezogenen Teilnehmer aus dem hochdeutschen Raum vollständig in der Auswertung berücksichtigt. Folglich wird die Realisierung von Variable (5) von 57 Zugezogenen und 37 Heimatstudierenden verglichen. Die autochthone regiolektale Variante von Variable (5) wurde von einem Großteil der Ostwestfalen verwendet: Folgte / r/ auf den Kurzvokal / a/ , realisierten 92 Prozent der einheimischen Kontrollgruppe beim Lesen wenigstens einmal den Langmonophthong [a: ] unter Ausfall von / r/ . Bei einem Vorkommen von drei möglichen regiolektalen Ausprägungen in dem vorgelesenen Text wurden durchschnittlich 2,35 regiolektale Varianten verwendet. Das entspricht einer Verwendung in 78 Prozent der Fälle. Beim Erzählen der Bildergeschichte lag die durchschnittliche Verwendung etwas niedriger, nämlich bei 70 Prozent der Fälle. Bei der Analyse der Aussprache von <ar> unter den insgesamt 57 berücksichtigten Zugezogenen fallen in beiden Gruppen Übernahmetendenzen auf: Immerhin 19 Prozent der 32 Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum realisierten die in Ostwestfalen verbreitete regiolektale Variante mindestens einmal beim Vorlesen. Beim Erzählen verwendeten sogar 22 Prozent der Gruppe die regiolektale Variante. Im Vergleich dazu liegt die Übernahmewahrscheinlichkeit unter den Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum viel höher: Jede zweite der 25 berücksichtigten Personen (52 Prozent) realisiert die in Ostwestfalen verbreitete Variante mindestens einmal beim Vorlesen. Beim Erzählen sind es in dieser Gruppe sogar 61 Prozent der Probanden. Die regiolektale Variante wurde also sowohl von niederdeutschen als auch von hochdeutschen Zugezogenen beim Erzählen häufiger verwendet als beim Vorlesen. Für die Gruppe der Niederdeutschen zeigt eine Auftragung der Merkmalsausprägung beim Erzählen (mittlere relative Häufigkeit) über der Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen einen ansteigenden Trend (siehe Abb. 3.1.). <?page no="145"?> 145 Abb. 3.1. Merkmalsausprägung der Variable (5) beim Erzählen unter den Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum (■), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. Die mittlere relative Häufigkeit steigt von einem Ausgangsniveau von 33 Prozent nach einem Jahr auf 75 Prozent nach sieben Jahren Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen an. Wie aufgrund der heterogenen Gruppenzusammensetzung und der relativ kleinen Stichprobe zu erwarten, lässt sich ein linearer Trend nicht eindeutig nachweisen (dies ist am kleinen Bestimmtheitsmaß von R 2 =0,53 zu erkennen). Auch beim Vorlesen steigt die Verwendung der regiolektalen Variante unter den 25 Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum mit der Zeit leicht an (siehe Abb. 3.2.). R² = 0,5249 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Merkmalsausprägung (vorkommend, gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) <?page no="146"?> 146 Abb. 3.2. Merkmalsausprägung der Variable (5) beim Vorlesen unter den Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum (■), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. Das Ausgangsniveau nach zwei Jahren Aufenthalt in Ostwestfalen liegt bereits bei durchschnittlich 40 Prozent. Da die Variable (5) im vorgelesenen Text insgesamt dreimal vorkommt, entspricht dieser Wert 1,21 regiolektalen Varianten. Nach einer Aufenthaltsdauer von vier Jahren in Ostwestfalen erreicht die mittlere relative Häufigkeit 67 Prozent, also zwei von möglichen drei Merkmalsausprägungen. Nach fünf Jahren allerdings fällt der Wert auf genau eine Merkmalsausprägung - 33 Prozent - zurück und stagniert auf diesem Niveau unterhalb des Ausgangswertes. Die Salienz der regiolektalen Aussprache von <ar> als [a: ] wurde anhand der beiden Wörter F[a: ]be und g[a: ] geprüft (Lorenz 2014: 10ff.). Im absoluten Auslaut wurde die Variante nur von vier der insgesamt 101 Probanden als salient angegeben, im Silben-Auslaut dagegen fiel sie 25 Personen auf. Der Stimulus g[a: ] wurde nach F[a: ]be abgespielt. Niemandem fiel ausschließlich g[a: ] auf. Die vier Probanden denen g[a: ] auffiel, hatten vorher schon F[a: ]be als auffällig angegeben. Es liegt der Verdacht nahe, dass bei den vier Probanden, die beide Varianten angaben, ein Priming von g[a: ] durch F[a: ]be vorlag. Das Priming wirkte sich jedoch anscheinend nicht auf die anderen Probanden aus. Sowohl F[a: ]be als auch g[a: ] wurden in der Auswertung berücksichtigt. 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Merkmalsausprägung (vorkommend, gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) <?page no="147"?> 147 Die gemittelte Salienz der beiden Varianten beträgt unter den einheimischen Ostwestfalen 11 Prozent. Die Variante g[a: ] nahm niemand in der Gruppe als auffällig wahr, F[a: ]be wurde von jedem Fünften (21,6 Prozent) als ungewöhnlich angegeben. Die gemittelte Salienz unter den Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum liegt mit 8 Prozent leicht unterhalb der einheimischen Kontrollgruppe. Sieben Personen wurden ausgeschlossen, weil das Merkmal in ihrer Heimatregion autochthon verbreitet ist. Einem Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum fielen beide Varianten auf. Jeder achte nahm F[a: ]be als auffällig wahr. Die gemittelte Salienz unter den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum liegt mit 27 Prozent wesentlich höher als in den beiden anderen Gruppen. Drei Personen fielen beide Varianten auf. Knapp die Hälfte (43 Prozent) der Hochdeutschen nahm F[a: ]be als salient wahr. Trägt man die gemittelte Salienz über der Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen auf, wird unter den 32 Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum zunächst eine steigende Tendenz deutlich. Wie schon beim Lesen (Abb. 3.2.) fällt auch hier auf, dass diese Entwicklung nach fünf Jahren stagniert (Abb. 3.3.). Abb. 3.3. Salienz der in Ostwestfalen verwendeten Variante (5) unter Zugezogenen aus dem niederdeutschen (■) und hochdeutschen ( ) Raum. Obwohl also in beiden Auftragungen eine Veränderung des Verlaufs nach fünf Jahren zu erkennen ist, muss angesichts des minimalen Anstiegs der Salienz angezweifelt werden, dass dieser Effekt mit der Aufenthaltsdauer in 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Salienz (gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) ♦ <?page no="148"?> 148 Ostwestfalen zusammenhängt. Deutlicher lässt sich im Rahmen der aktuellen Untersuchung eine Vermeidungstendenz in der Gruppe der Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum erkennen: In dieser Gruppe steigt die gemittelte Salienz der regiolektalen Variante von 16 Prozent nach einem Jahr auf 50 Prozent nach sechs Jahren Aufenthalt in Ostwestfalen an (Abb. 3.3.). Der Anteil der Probanden, die diese Variante beim Erzählen realisieren, fällt dabei mit steigender Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen (Abb. 3.4.) - und zugleich mit steigender Salienz der Variante (Abb. 3.3.). Abb. 3.4. Anteil der hochdeutschen Zugezogenen ( ), der als Merkmal die in Ostwestfalen verbreitete Variante (5) beim Erzählen verwendet, aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. 3.2.6 Variable (6) Folgt auf / r/ ein anderer Kurzmonophthong als / a/ , wird dieser Vokal regiolektal in Ostwestfalen gedehnt und geschlossen artikuliert. / r/ wird als volltoniges [a] artikuliert, so dass die Lautfolge - / r/ nach einem anderen Monophthong als / a/ - regiolektal als Diphthong realisiert wird. Im Gegensatz zu den anderen Variablen stimmen die hinzugezogenen, unter 2.4 erläuterten Quellen darin überein, dass die Verbreitung der regiolektalen Variante weitgehend auf Westfalen begrenzt ist (König 1989b: 206-209, Lauf 1996: 206, 209, Mihm 2000: 2114f.): Die Sekundärdiphthongierung (Scheel 1963: 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Anteil der Probanen der das Merkmal zeigt Aufenthaltsdauer (Jahre) ♦ <?page no="149"?> 149 382f, Lauf 1996: 202) wird hauptsächlich in Westfalen und im benachbarten nordniederdeutschen Raum südlich der Aller sowie - mit kurzem Diphthong - punktuell im mittelbairischen Regensburg verwendet (König 1989a: 79, König 1989b: 2010-215). Vor dem Hintergrund dieser regionalen Verbreitung werden insgesamt neun Zugezogene aus dem nordniederdeutschen und mittelbairischen Raum ausgeschlossen. Der folgenden Auswertung liegen also die Daten von 25 Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum und von 30 Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum zugrunde, die im Folgenden mit den Daten der ostwestfälischen Kontrollgruppe verglichen werden (Nemeth 2011: 107). Fast alle Einheimischen realisierten den Sekundärdiphthong im Rahmen der beiden Sprachaufnahmen mindestens einmal, nämlich 89 Prozent der Gruppe beim Vorlesen des Textes und 97 Prozent beim Erzählen der Bildergeschichte. Von den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum verwendete ungefähr ein Drittel die Variante wenigstens einmal, nämlich 37 Prozent der Gruppe beim Vorlesen und 33 Prozent beim Erzählen. Der Anteil der Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum, der mindestens einmal einen Sekundärdiphthong verwendete, ist mit 44 Prozent beim Vorlesen mit dem Anteil der Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum vergleichbar. Beim Erzählen dagegen verwendeten 76 Prozent der niederdeutschen Zugezogenen - und damit wesentlich mehr als hochdeutsche Zugezogene - die regiolektale Variante. Die durchschnittliche Verwendung der Sekundärdiphthongierung unter den einheimischen Ostwestfalen beträgt 29 Prozent aller möglichen Fälle beim Vorlesen. Wie bereits bei der mindestens einmaligen Realisierung zeichnen sich die Zugezogenen auch bei der durchschnittlichen Verwendung durch eine geringe aktive Realisierung der in Westfalen verbreiteten Variante beim Vorlesen aus: Die Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum verwendeten Sekundärdiphthonge in 9 Prozent, die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum in 4 Prozent aller Fälle. Trägt man die Sekundärdiphthongierung beim Vorlesen über der Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen auf (Abb. 3.5.), zeigt sich keine eindeutige Entwicklung, sondern eher eine konstant niedrige mittlere relative Häufigkeit: Die meisten Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum realisierten die Sekundärdiphthongierung konstant in ein bis zwei von zehn möglichen Fällen. Nur die Probanden, die bereits seit vier Jahren in Ostwestfalen lebten, verwendeten die regiolektale Variante in drei Fällen. Dadurch deutet sich im Zeitraum von zwei bis vier Jahren Aufenthalt ein leichter Aufwärtstrend an, der bei vier Jahren Aufenthalt seinen Höhepunkt erreicht und anschließend abfällt. Bei den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum bleibt der Wert konstant (Abb. 3.5.). <?page no="150"?> 150 Abb. 3.5. Vorkommen der Sekundärdiphthongierung (6) beim Lesen unter niederdeutschen (■) und hochdeutschen Zugezogenen ( ). Im Unterschied zu allen anderen phonetisch-phonologischen Variablen wird die vorliegende Variable - also die potentielle Sekundärdiphthongierung - von allen Probanden beim Erzählen der Bildergeschichte verwendet: Je nach Erzählung der Bildergeschichte schwankt das Vorkommen der potentiellen Sekundärdiphthongierung zwischen zwei und 19 Fällen. Die durchschnittliche Verwendung der Variable unter Berücksichtigung aller 101 Probanden liegt mit 9,6 Fällen deutlich höher als bei allen anderen phonetischphonologischen Variablen (vgl. 2.6.1). Aufgrund der lückenlosen Evozierung der Variable durch den Stimulus Bildergeschichte konnten dieselben Probanden berücksichtigt werden wie beim Vorlesen, nämlich 55 zugezogene und 37 einheimische Ostwestfalen. Im Gegensatz zu den anderen phonetisch-phonologischen Variablen ist die Datenmenge zur Verwendung von Variable (6) beim Erzählen der Bildergeschichte also hinreichend groß, so dass die folgende Werte durchaus aussagekräftig sind: Die einheimischen Ostwestfalen verwendeten beim Erzählen der Bildergeschichte in durchschnittlich zwei Drittel aller Fälle Sekundärdiphthonge. Die durchschnittliche Verwendung beträgt unter den Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum 23 Prozent und unter den Zugezogenen aus dem hochdeutschen 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Merkmalsausprägung (vorkommend, gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) ♦ <?page no="151"?> 151 Raum 9 Prozent. Es fällt auf, dass alle drei Gruppen die regiolektale Ausprägung der Variable wesentlich häufiger beim Erzählen verwendeten als beim Vorlesen. Um Rückschlüsse auf die Übernahmewahrscheinlichkeit der Sekundärdiphthonge zu ziehen, wird die Realisierung von Sekundärdiphthongen der Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen gegenübergestellt: In Abbildung 3.6. sind die Daten der Merkmalsausprägung beim Erzählen (relative Häufigkeiten) über der Aufenthaltsdauer in Jahren aufgetragen. Für die Gruppe der Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum wird ein linear ansteigender Trend deutlich: Mit zunehmender Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen steigt die Übernahmewahrscheinlichkeit (Abb. 3.6., Abb. 3.7., ■). Bei den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum zeichnet sich dagegen keine Tendenz ab (Abb. 3.6., ). Abb. 3.6. Vorkommen der Sekundärdiphthongierung (6) beim Erzählen unter niederdeutschen (■) und hochdeutschen Zugezogenen ( ). Werden die fünf Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum ausgeschlossen, die seit vier Jahren in Ostwestfalen leben, wird der Trend besonders deutlich und mit einem Bestimmtheitsmaß von R 2 = 0,94 aussagekräftig. 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Merkmalsausprägung (vorkommend, gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) ♦ ♦ <?page no="152"?> 152 Abb. 3.7. Vorkommen der Sekundärdiphthongierung (6) beim Erzählen unter niederdeutschen Zugezogenen (■) unter Weglassen des Punktes bei 4 Jahren. Trägt man für die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum anstatt des Merkmalsaufkommens den Anteil der Personen auf, die das Merkmal beim Erzählen mindestens einmal verwendeten, wird eine Entwicklung sichtbar: Von den Personen, die erst wenige Jahre in Ostwestfalen lebten, verwendete jede dritte die regiolektale Variante mindestens einmal. Von den Personen, die vor mehr als fünf Jahren nach Bielefeld kamen, verwendete dagegen niemand die Sekundärdiphthongierung (Abb. 3.8.). Dass mit steigender Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen der Anteil der Probanden sinkt, die die Variante verwendeten, deutet auf eine Vermeidung der Sekundärdiphthongierung durch die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum hin. R² = 0,9409 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Merkmalsausprägung (vorkommend, gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) <?page no="153"?> 153 Abb. 3.8. Vermeidung der Sekundärdiphthongierung (6) unter den hochdeutschen Zugezogenen ( ): Mit steigender Aufenthaltsdauer sinkt der Anteil der Probanden, der das Merkmal beim Erzählen realisiert. Die Salienz der Sekundärdiphthongierung wurde anhand von W[o: a]t getestet (Lorenz 2014: 12f.). Die Variante W[o: a]t fiel insgesamt 25 Personen auf. Die Salienz weist in der Kontrollgruppe mit 14 Prozent einen niedrigen Wert auf. Unter den 32 Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum fällt der Mittelwert mit 19 Prozent vergleichbar niedrig aus; unter Ausschluss der sieben Personen aus dem autochthonen Verbreitungsgebiet der Variante liegt der Wert mit 20 Prozent fast gleich hoch. Unter den hochdeutschen Zugezogenen ist die gemittelte Salienz mit 44 Prozent doppelt so hoch wie unter den niederdeutschen Zugezogenen und dreimal so hoch wie in der ostwestfälischen Kontrollgruppe; auch bei Ausschluss der beiden Personen aus dem autochthonen Verwendungsraum bleibt der Wert unverändert. Trägt man die gemittelte Salienz über der Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen auf (Abb. 3.8.), fällt auf, dass die Salienz unter den hochdeutschen Zugezogenen mit der Aufenthaltsdauer ansteigt, und zwar von 0 auf 100 Prozent. Die Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum zeigen eine leicht gegenläufige Tendenz: In dieser Gruppe sinkt die Salienz mit zunehmendem Aufenthalt in Ostwestfalen. Demzufolge wurde ein Zusammenhang zwischen steigender Salienz und sinkender Verwendung der regiolektalen Variante festgestellt. Es handelt sich also um eine Vermeidung. 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Anteil der Probanen die das Merkmal zeigen Aufenthaltsdauer (Jahre) ♦ <?page no="154"?> 154 Abb. 3.9. Salienz der Sekundärdiphthongierung (6) über der Aufenthaltsdauer für niederdeutsche (■) und hochdeutsche Zugezogene ( ♦ ). 3.2.7 Variable (7) Der Langmonophthong / ɛ : / wird in Ostwestfalen regiolektal geschlossen und gehoben als [e: ] artikuliert. Diese Variante ist im gesamten niederdeutschen und berlinischen Raum, in Nord- und Osthessen, im ripuarischen und moselfränkischen Raum sowie punktuell im mittelbairischen Regensburg verbreitet (Lauf 1996: 198, Mihm 2000: 2113, König 1989b: 110, 112). Eine Gruppe von 49 Zugezogenen, die aus den genannten Gebieten stammen, wird von der Auswertung ausgeschlossen; dem folgenden Vergleich mit den einheimischen Ostwestfalen liegen also die Daten von 15 Zugezogenen aus dem mittel- und oberdeutschen Raum zugrunde. Von den Heimatstudierenden realisierten 94 Prozent die regiolektale Variante beim Erzählen und 86 Prozent beim Vorlesen in mindestens einem Fall. Das Graphem <ä> kam im vorgelesenen Text in den Token später und Käsebrote vor. Die Einheimischen artikulierten <ä> in durchschnittlich 1,57 Fällen geschlossen und gedehnt als [e: ], das entspricht 78 Prozent der Fälle. Beim Vorlesen fällt auf, dass die Variante [e: ] beim ersten Vorkommen im Lexem später von 32 Personen realisiert wurde, beim zweiten Vorkommen in dem Wort Käsebrote dagegen nur von 26 Personen. Sechs einheimische Ostwestfalen vermieden also die regionale Aussprache beim zweiten Vorkommen der Variable. Die Zugezogenen aus dem niederdeutschen und aus dem 0% 20% 40% 60% 80% 100% 0 1 2 3 4 5 6 7 Salienz (gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) <?page no="155"?> 155 hochdeutschen Raum dagegen verwendeten eine der beiden Varianten jeweils konstant in beiden Fällen. Beim Erzählen verwendete die Kontrollgruppe die Variante mit der gleichen relativen Häufigkeit wie beim Vorlesen, nämlich in durchschnittlich 78 Prozent aller Fälle. Die 15 Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum verwendeten keine regiolektale Ausprägung einer phonetisch-phonologischen Variable so häufig wie die Variante von Variable (7): Elf Personen realisierten / ɛ : / mindestens einmal beim Vorlesen als [e: ], neun Personen sogar in beiden möglichen Fällen. Die durchschnittliche Verwendung beträgt 67 Prozent der Fälle beim Vorlesen und 65 Prozent beim Erzählen. Da zwei Zugezogene die Variable beim Erzählen nicht verwendeten, liegen der Auswertung die Daten von 13 Personen zugrunde. Alle 13 Zugezogenen zusammen realisierten die Variable zwölfmal in der offenen und 21-mal in der geschlossenen Variante; die Variable wurde durchschnittlich 2,5-mal pro Erzählung verwendet. Alle zehn Zugezogenen, die die Variable mindestens einmal regiolektal realisierten, verwendeten die standardkonforme Aussprache gar nicht oder höchstens genauso oft. Die Übernahmewahrscheinlichkeit der vorliegenden Variable ist also besonders hoch, beim Vorlesen sogar noch höher als beim Erzählen. Trägt man die durchschnittliche Verwendung der Variable über der Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen auf, zeigt sich schon bei kurzer Aufenthaltsdauer eine hohe Merkmalsausprägung (Abb. 3.10.). Demnach könnte die Übernahme der regiolektalen Variante entweder auf eine schnelle und umfassende Angleichung oder auch durch einen umfassenden Wandel der Regionalakzente erklärbar sein (siehe 1.1.1). Für einen Wandel der Regionalakzente spricht, dass das Aussprachewörterbuch die Aussprachevariante [e: ] als Alternative zu [ ɛ : ] aufführt (Aussprachewörterbuch 2006: 21), und nicht als regionale Variante wie das deutsche Aussprachewörterbuch (Krech 2009: 59). Die unterschiedlichen Vorgaben der beiden renommierten Nachschlagewerke lassen auf Makrosynchronisierung schließen. <?page no="156"?> 156 Abb. 3.10. Merkmalsausprägung der Variable (7) beim Vorlesen unter den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum ( ♦ ), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. Beim Salienztest wurde die regiolektale Variante anhand von [e: ]nlich und, zum Vergleich, die der Aussprachenorm entsprechende Variante (Krech 2009: 59) anhand von erz[ ɛ : ]lt geprüft. Im Gegensatz zu Variable (2) gaben fast alle Zugezogenen beim Salienztest entweder die regiolektale oder die standardsprachliche Variante an. Nur drei Probanden - ein Ostwestfale und zwei Zugezogene aus dem niederdeutschen Raum - fanden sowohl die offene als auch die geschlossene Realisierung von / ɛ : / auffällig. Mehr als die Hälfte jeder Probandengruppe gab keine der beiden Variable an, nämlich 65 Prozent der einheimischen Ostwestfalen, 72 Prozent der Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum und 84 Prozent der Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum. Von den 32 Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum fiel nur vier Personen (13 Prozent) die Variante [e: ]nlich auf. Nach Ausschluss der 17 Personen, in deren Heimatregion das Merkmal autochthon verbreitet ist, bemerkten die regiolektale Variante zwei der 15 Zugezogenen (13 Prozent). Die regiolektale Ausprägung von Variable (7) fiel der hochdeutschen Gruppe weniger auf als die aller anderen Variablen. Von den Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum gaben drei Personen (9 Prozent) die Variante als salient an. Jeder Gruppe fiel also die Variante etwas stärker auf, die in der 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Merkmalsausprägung (vorkommend, gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) <?page no="157"?> 157 Heimatregion autochthon nicht verwendet wird. Der entsprechende Anteil der ostwestfälischen Kontrollgruppe umfasst zehn von 37 Personen (27 Prozent). Dieser Anteil ist doppelt so hoch wie unter den hochdeutschen und dreimal so hoch wie unter den niederdeutschen Zugezogenen. Da die regiolektale Variante autochthon im gesamten niederdeutschen Raum verbreitet ist, ist die Diskrepanz im Verhalten der beiden niederdeutschen Gruppen überraschend: Den einheimischen Ostwestfalen fallen die regiolektal verwendeten Varianten auf, den niederdeutschen Zugezogenen nicht. Das Verhalten der ostwestfälischen Kontrollgruppe kann durch das Hinzuziehen der sprecherbiographischen Angaben zum Studienfach und zu Sprecherziehungserfahrung jedoch nicht erklärt werden. Trägt man die gemittelte Salienz der regiolektalen Variante für die 32 Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum über der Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen auf (Abb. 3.11.), ergibt sich keine Tendenz: Die Salienz der regiolektalen Variante steigt offenbar nicht mit der Aufenthaltsdauer. Abb. 3.11. Salienz der in Ostwestfalen verwendeten Variante (7) unter den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum ( ♦ ). Die standardlautende Variante erz[ ɛ : ]lt fiel einer einzigen Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum auf. Bei dieser Zugezogenen handelt es sich um die Jenaerin, die sich auch durch die Realisierung der regiolektalen Variante (4) von den anderen hochdeutschen Zugezogenen abhebt (siehe 3.2.4). Die 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Salienz (gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) <?page no="158"?> 158 Variante empfanden außerdem 25 Prozent der Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum (acht Personen) als ungewöhnlich. Zusammenfassend kann man festhalten, dass in Bezug auf die beiden Varianten erz[ ɛ : ]lt und [e: ]nlich beiden Zugezogenengruppen jeweils die Variante auffiel, die in ihrer Heimatregion autochthon nicht verbreitet ist. Die ostwestfälische Kontrollgruppe dagegen verhielt sich anders: Nur 11 Prozent (vier von 37 Personen) fiel die autochthon im gesamten niederdeutschen Raum ungebräuchliche Variante erz[ ɛ : ]lt auf. Die sprecherbiographischen Angaben dieser vier Personen unterschieden sich nicht nennenswert von denen anderer Einheimischer, den 89 Prozent also, denen erz[ ɛ : ]lt nicht auffiel. 3.2.8 Variable (8) Eine Reihe von einsilbigen Lexemen wird regiolektal mit gegenüber der Standardlautung verkürztem Vokal [a] anstatt [a: ] ausgesprochen. Die lexikalisch gebundene Variante ist großräumig im niederdeutschen, berlinischen und ripuarischen Raum sowie punktuell im zentralhessischen Gießen verbreitet (Lauf 1996: 202, 206, Mihm 2000: 2113, König 1989b: 152). Aufgrund dieser geographischen Verbreitung werden alle Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum sowie 16 Zugezogene aus dem hochdeutschen Raum ausgeschlossen. Im Rahmen der Analyse werden folglich die Daten von 16 hochdeutschen und 37 einheimischen Studierenden verglichen. Die lexikalisch gebundene Variante tritt siebenmal im vorgelesenen Text auf: Dreimal als Morphem nach (zweimal als Simplex einmal im Kompositum Nachmittag) und je einmal als Morphem tag im Kompositum Nachmittag, als Morphem sag in der Derivation gesagt, als glas im Kompositum Wasserglas und als schlag im Kompositum Schlagsahne. Alle einheimischen Ostwestfalen verwendeten die Vokalkürzung in mindestens einem der sieben Fälle. Die durchschnittliche Verwendung in der Gruppe lag bei zweieinhalb regiolektalen Varianten, das entspricht einem Vorkommen in 42 Prozent der Fälle. Beim Erzählen der Bildergeschichte verwendeten die Einheimischen die Variante mit vergleichbarer Häufigkeit, nämlich in 35 Prozent der Fälle. In allen drei Gruppen werden hier die lexikalischen Morpheme Glas, nach, saß und tag sowohl als Simplex als auch in komponierter, derivierter und gegebenenfalls flektierter Form berücksichtigt. Mindestens eines dieser Morpheme wurde von 89 Prozent der Ostwestfalen regiolektal mit Kurzvokal [a] realisiert. Der Anteil der berücksichtigten Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum, der die lexikalisch gebundene Vokalkürzung verwendete, ist mit dem entsprechenden Anteil der einheimischen Kontrollgruppe vergleichbar: 86 Prozent der Zugezogenen realisierten die Vokalkürzung in mindestens einem Fall beim Erzählen. Beim Vorlesen verwendeten sogar 100 Prozent der <?page no="159"?> 159 Gruppe die Variable mindestens einmal. Beim Vorlesen beträgt die durchschnittliche Verwendung der lexikalisch gebundenen Vokalkürzung sowohl in der einheimischen Kontrollgruppe als auch in der hochdeutschen Gruppe 42 Prozent. Trägt man die Verwendung der regiolektalen Varianten in der hochdeutschen Gruppe über der Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen auf (Abb. 3.12.), wird deutlich: Das Ausgangsniveau von 40 Prozent Merkmalsausprägung bleibt weitgehend konstant. Abb. 3.12. Merkmalsausprägung der Variable (8) beim Vorlesen unter Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum ( ♦ ), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. Beim Erzählen beträgt die relative Häufigkeit der regiolektalen Realisierung unter den Zugezogenen 26 Prozent, damit liegt sie 10 Prozentpunkte unter der Verwendung der Einheimischen. Hier wird eine leicht sinkende Tendenz deutlich, die aber aufgrund des geringen Vorkommens der Variable in den Erzählungen wenig Aussagekraft aufweist (Abb. 3.13.). 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Merkmalsausprägung (vorkommend, gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) <?page no="160"?> 160 Abb. 3.13. Merkmalsausprägung der Variable (8) beim Erzählen unter Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum ( ♦ ), aufgetragen über der Aufenthaltsdauer. Die Salienz der lexemgebundenen Variable wurde anhand von B[a]d abgefragt. Das Lexem wurde von allen drei Gruppen als sehr auffällig empfunden, nämlich von 95 Prozent der einheimischen Ostwestfalen, von 97 Prozent der niederdeutschen und von 94 Prozent der hochdeutschen Zugezogenen. 3.2.9 Variable (9) Die in Ostwestfalen gebräuchliche Spirantisierung von / g/ im Suffix <ig> entspricht der Standardlautung (Krech 2009: 84). Wie die unter Variable (1) subsumierte, von der Standardlautung abweichende, Spirantisierung von / g/ im Auslaut ist die standardkonforme Variante im gesamten niederdeutschen und mitteldeutschen Raum (Lauf 1996: 199, König 1989b: 319) sowie in Berlin verbreitet (AdA 2003ff.). Wie bereits bei der Analyse von Variable (1) werden auch bei Variable (9) insgesamt 58 Zugezogene von der Auswertung ausgeschlossen, die aus den entsprechenden Regionen stammen; es werden also sechs Zugezogene aus dem oberdeutschen Raum mit der einheimischen Kontrollgruppe verglichen. 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Merkmalsausprägung (vorkommend, gemittelt) Aufenthaltsdauer (Jahre) <?page no="161"?> 161 73 Prozent der einheimischen Ostwestfalen verwendeten die standardkonforme g-Spirantisierung mindestens einmal im vorgelesenen Text. Das durchschnittliche Vorkommen der Spirantisierung beim Vorlesen beträgt 62 Prozent. Beim Erzählen verwendeten 100 Prozent der Kontrollgruppe die standardkonforme Spirantisierung in jedem einzelnen Fall. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass das Derivationssuffix <ig> in vielen Erzählungen kaum vorkam: Elf einheimische Probanden verwendeten das Suffix in ihrer Bildergeschichte gar nicht, die übrigen 26 verwendeten es zwischen ein- und dreimal. Vier der sechs Zugezogenen realisierten die spirantisierte Aussprache des Suffixes beim Vorlesen in mindestens einem Fall. Das durchschnittliche Vorkommen beträgt in dieser Gruppe 29 Prozent der Fälle. Beim Erzählen der Bildergeschichte verwendeten vier der sechs Probanden das Suffix zwischen ein- und dreimal: Das Suffix <ig> kam insgesamt sechsmal vor, und zwar fünfmal spirantisiert und einmal auslautverhärtet. Die auslautverhärtete Variante wurde von einer Probandin aus dem mittelbairischen Regensburg als einzige Variante von Variable (9) realisiert. Die relative Häufigkeit der spirantisierten Variante beträgt in der Gruppe der hochdeutschen Zugezogenen also 80 Prozent. Die Salienz des standardlautenden, spirantisiert ausgesprochenen Suffixes wurde anhand des Tokens eindeuti[ç] geprüft. Zum Vergleich wurde zudem die auslautverhärtete Variante lusti[k] abgefragt. Die spirantisierte Variante fiel 37 Prozent und die auslautverhärtete Variante 80 Prozent der insgesamt 101 Probanden auf. Da die Variante lusti[k] einige Sätze vor eindeuti[ç] abgefragt wurde, könnte ein Priming für eindeuti[ç] vorliegen: Bei umgekehrter Abfrage beider Varianten wäre die spirantisierte Variante vielleicht weniger Personen aufgefallen. Die spirantisierte Variante fiel 35 Prozent der einheimischen Ostwestfalen, 44 Prozent der Zugezogenen aus dem niederdeutschen und 31 Prozent der Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum auf. Die Variante lusti[k] dagegen nahmen in jeder Gruppe doppelt so viele Personen als ungewöhnlich wahr, nämlich 86 Prozent der Ostwestfalen, 84 Prozent der niederdeutschen und 69 Prozent der hochdeutschen Zugezogenen. Von den sechs Zugezogenen aus dem oberdeutschen Raum, wo die Variante autochthon nicht verbreitet ist, empfanden zwei die spirantisierte Variante und drei die auslautverhärtete Variante als salient. Es fällt auf, dass viele Probanden aus allen Gruppen beide Varianten angaben. Tabelle 3.15. zeigt, wie viele Probanden pro Gruppe eine oder beide Varianten als auffällig einstuften. Da die auslautverhärtete Variante ausschließlich im oberdeutschen Raum verbreitet ist, sind die entsprechenden sechs Zugezogenen sowohl als Teil der hochdeutschen Gruppe als auch gesondert unter oberdeutsch aufgeführt. <?page no="162"?> 162 Tab. 3.15. Angabe der Varianten [ıç] und [ık] des Suffixes <ig> im Salienztest in den verschiedenen Probandengruppen (absolute Häufigkeiten). Herkunft keine Variante eine Variante beide Varianten [ıç] [ık] Ostwestfalen 4 1 20 12 niederdeutsch 3 2 15 12 hochdeutsch 8 2 14 8 oberdeutsch 2 1 2 1 In allen Gruppen überwiegt deutlich die Anzahl derjenigen, die die auslautverhärtete Variante als salient wahrnahmen. Allerdings deutet die hohe Anzahl derjenigen, die beide Varianten als auffällig angaben, auf eine Unsicherheit bei der Einordnung der Varianten hin. 3.3 Phonetisch-phonologische Variablen: Zusammenfassung Die in Ostwestfalen verbreiteten Varianten sind für mehrere der abgefragten phonetisch-phonologischen Variablen weit über Ostwestfalen hinaus verbreitet (siehe Tab. 2.2). Zugezogene aus Regionen, die laut Literaturreche zum Verbreitungsgebiet einer Variante zählen, wurden von der Auswertung der entsprechenden Variable ausgeschlossen (siehe Tab. 3.2.). Bei der Analyse der Vorlesetexte führte der Ausschluss dazu, dass in Bezug auf sieben von neun Variablen eine relativ kleine Anzahl von Zugezogenen berücksichtigt wurde (siehe Tab. 3.3.). Die Datenlage zu diesen sieben Variablen lässt interessante qualitative Schlüsse zu. Bei den Variablen (5) und (6) ist zudem eine statistische Aussagekraft gegeben. Der Stimulus Bildergeschichte führte dazu, dass mehrere Probanden einige Variablen nicht verwendeten, so dass sich keine Schlüsse auf eine regiolektale Realisierung der entsprechenden Variable ziehen lassen. Dadurch reduzierte sich die berücksichtigte Anzahl der Probanden unter den Einheimischen, den niederdeutschen und den hochdeutschen Zugezogenen im Vergleich zu den Vorlesetexten (siehe Tab. 3.8.). Der Auswertung der Variablen (5) und (6) liegen die Daten von jeweils mehr als 30 Zugezogenen zugrunde (siehe Tab. 3.3.), so dass für diese Variablen eine statistische Aussagekraft in Bezug auf beide Aufnahmesituationen gegeben ist (Bortz 1993: 99). Die Gruppe der Einheimischen wurde bei der Analyse der Vorlesetexte in Bezug auf jede Variable vollzählig berücksichtigt; die entsprechenden mittleren Merkmalsausprägungen sind in dieser Gruppe also für jede Variable aussagekräftig. Die phonetisch-phonologischen Variablen werden abschließend nach den mittleren Merkmalsausprägungen beim Vorlesen kategorisiert: Abbil- <?page no="163"?> 163 dung 3.14. zeigt auf der x-Achse die mittleren Merkmalsausprägungen für die Einheimischen und auf der y-Achse die mittleren Merkmalsauprägungen für die Zugezogenen für jede der neun phonetisch-phonologischen Variablen. Abb. 3.14. Verwendung der neun phonetisch-phonologischen Variablen von Einheimischen (x-Achse) und Zugezogenen (y-Achse) beim Vorlesen. Durch die diagonale Hilfslinie im 45-Grad-Winkel wird das Diagramm in zwei Bereiche geteilt. Oberhalb der Hilfslinie befinden sich keine Einträge, weil keine Variable eine größere mittlere Merkmalsausprägung unter den Zugezogenen aufweist als unter den Einheimischen. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Vorauswahl der in Ostwestfalen vorkommenden Varianten und der Ausschluss der Zugezogenen aus dem Verbreitungsgebiet der Varianten für die vorliegende Studie gut geeignet waren. Unterhalb der Hilfslinie verteilen sich die Einträge, die den neun Variablen zugeordnet sind. Wie bereits angedeutet, wurden die regiolektalen Varianten der Variablen unterhalb der Hilfslinie häufiger von Einheimischen als von Zugezogenen beim Vorlesen verwendet. Die Einträge, die auf oder kurz unterhalb der Hilfslinie liegen, zeigten in beiden Gruppen eine etwa gleiche mittlere Merkmalsausprägung beim Vorlesen. Variable (8) ist auf der Hilfslinie, die Variablen (1), (3), (4), (6) und (7) sind in unmittelbarer Nähe der Hilfslinie aufgetragen. Die regiolek- <?page no="164"?> 164 talen Varianten der sechs Variablen wurden also allenfalls geringfügig häufiger von Einheimischen als von Zugezogenen verwendet; die Differenz der mittleren Merkmalsausprägung in den beiden Gruppen beträgt max. 16 Prozent. Die g-Spirantisierung im Auslaut (1) und die Realisierung des velaren Nasals / ŋ/ mittels Plosiv als [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ] (4) wurden nur selten von den Einheimischen realisiert, nämlich nur in durchschnittlich 5 Prozent der Fälle. Beim Erzählen der Bildergeschichte lag die mittlere Merkmalsausprägung für die regiolektale Realisierung von Variable (1) mit 17 Prozent und von Variable (4) mit 10 Prozent nur geringfügig höher. Die beiden regiolektalen Varianten wurden von ostwestfälischen jungen Erwachsenen also kaum realisiert. Die Voraussetzung für eine Tradierung an Zugezogene war demnach nicht gegeben. Die g-Spirantisierung (1) im Auslaut wurde mit einer gemittelten relativen Häufigkeit von 3 Prozent und die Realisierung der Affrikate [ŋk] oder mit glottalem Verschlusslaut als [ŋ] (4) mit einer gemittelten relativen Häufigkeit von 6 Prozent verwendet. Vor dem Hintergrund, dass die Varianten (1) und (4) als in Ostwestfalen verbreitet gelten, überrascht es, dass fast alle einheimischen Probanden Variante (1) und fast die Hälfte aller einheimischen Probanden Variante (4) im Salienztest als auffällig einordneten. Auch die Zugezogenen ordneten im Salienztest beide Variablen häufig als auffällig ein. Sowohl Salienz unter den Einheimischen als auch mittlere Merkmalsausprägung weisen also darauf hin, dass die Varianten (1) und (4) unter jungen Ostwestfalen nicht mehr verbreitet sind. Die regiolektalen Varianten der Variablen (3), (6), (7) und (8) wurden von Einheimischen und Zugezogenen beim Vorlesen in ungefähr vergleichbarer gemittelter relativer Häufigkeit verwendet. Die geringen Differenzen der Merkmalsausprägungen zwischen Einheimischen und Zugezogenen könnten auf eine umfassende Übernahme der Varianten durch die Zugezogenen hinweisen. Als Indizien für eine Übernahme wurden eine hohe Salienz der Varianten (siehe 1.3), vergleichbare Merkmalsausprägungen in den Situationen Vorlesen und Erzählen unter den Zugezogenen und Zunahme der Variantenverwendung mit längerer Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen eingeordnet. Insbesondere bei kleiner und dementsprechend störungsanfälliger Größe der Zugezogenengruppen ist zudem eine Ausbreitung der Variante im Herkunftsgebiet der Zugezogenen denkbar, die in der berücksichtigten Literatur nicht dokumentiert ist. Die Realisierung der regiolektalen Variante (7) weist unter Einheimischen und Zugezogenen die höchste gemittelte relative Häufigkeit unter allen Variablen auf. Der Langmonophthong / ɛ : / wird von Einheimischen und Zugezogenen beim Lesen und Erzählen geschlossen und gehoben als [e: ] artikuliert: In beiden Situationen beträgt die Differenz zwischen den mittleren Merkmalsausprägungen in den beiden Gruppen max. 13 Prozent. <?page no="165"?> 165 Eine ausgeprägte Salienz gilt als ein Indiz für eine Übernahme (siehe 1.3). Die schwache Salienz von [e: ]nlich im Vergleich zu erz[ ɛ : ]lt sowie die aktive Realisierung nach kurzer Aufenthaltsdauer in Ostwestfalen lässt dabei allerdings nicht auf eine Übernahme der Variante durch die Zugezogenen schließen. Diese Ergebnisse deuten eher auf eine Ausbreitung der Variante im Zuge eines Wandels der Regionalakzente hin (siehe 3.2.7). Die regiolektale, lexemgebundene Vokalkürzung (8) wurde von den Zugezogenen mit der gleichen gemittelten relativen Häufigkeit beim Vorlesen verwendet wie von den Einheimischen. Auch die Werte beim Erzählen wiesen nur eine kleine Differenz von 10 Prozentpunkten zwischen Zugezogenen und Einheimischen auf. Die Salienz der abgefragten Variante B[a]d wies unter Ostwestfalen, niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen sehr hohe Werte auf. Die auffallend ähnlichen Werte beim Vorlesen, Erzählen und beim Salienztest von Einheimischen und Zugezogenen könnten auf eine sehr schnell und umfassend erfolgende Übernahme schließen lassen. Eine derartig starke Angleichung an die Einheimischen in allen drei Testsituationen erscheint allerdings unwahrscheinlich. Bei der Auftragung der Merkmalsausprägung beim Vorlesen über der Aufenthaltsdauer der Zugezogenen in Ostwestfalen zeigt sich zudem kein allmählich ansteigender Trend, der auf eine allmähliche Angleichung schließen lässt. Stattdessen tritt das hohe Ausgangsniveau von 40 Prozent Merkmalsausprägung bereits bei Zugezogenen auf, die erst seit einem Jahr in Ostwestfalen lebten. Mit längerer Aufenthaltsdauer ändert sich dieser Wert nicht (siehe Abb. 3.12.). Gerade diese konstant hohe Merkmalsausprägung deutet darauf hin, dass die Zugezogenen die Variante nicht erst in Ostwestfalen kennengelernt haben. Statt auf eine Übernahme weisen die Ergebnisse dieser Studie eher auf eine Ausbreitung der regiolektalen Variante in Herkunftsregionen der Zugezogenen hin, die in der berücksichtigten Literatur nicht vermerkt ist. Die regiolektale Realisierung der Affrikate / pf/ wird getrennt nach Stellung im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend - Variable (2) - und Stellung im In- und Auslaut nach Vokalen - Variable (3) - untersucht: Die Affrikate / pf/ realisierten die Einheimischen im In- und Auslaut nach Vokalen regiolektal als [f] oder [bf] (3). Die ostwestfälische Kontrollgruppe realisierte die regiolektalen Ausprägungen mit einer gemittelten relativen Häufigkeit von 30 Prozent beim Lesen und 70 Prozent beim Erzählen - eine so hohe Differenz der Werte einer Variante in den beiden Situationen kommt unter den Zugezogenen bei keiner anderen Variable vor. In Abhängigkeit vom Stimulus Bildergeschichte fällt das gemittelte Vorkommen der Variablen (2) und (3) schmal aus: Varianten von Variable (2) kommen durchschnittlich in nur jedem zweiten Fall und für (3) in durchschnittlich jedem Fall einmal vor (siehe Tab. 3.6.); die Aussagekraft der Daten beim Erzählen ist dementsprechend eingeschränkt. Beim Vorlesen von <pf> im In- und Auslaut nach Vokalen (3) fällt die Differenz zwischen der mittleren <?page no="166"?> 166 Merkmalsauprägung unter den Einheimischen und unter den Zugezogenen mit 6 Prozent gering aus, beim Erzählen der Bildergeschichte mit 70 Prozent dagegen ausgesprochen hoch. Die geringe Differenz der Werte beim Vorlesen deutet auf eine Übernahme der Variante durch Zugezogene hin. Im Anlaut sowie nach Nasal / m/ in- und auslautend (2) fällt die Differenz zwischen Zugezogenen und Einheimischen mit 77 und 59 Prozentpunkten hoch aus; die Zugezogenen realisierten die regiolektale Variante (2) nicht. Beim Salienztest beurteilten die Probanden aus allen Untersuchungsgruppen mehrheitlich die Variante als auffällig, die in ihrer Herkunftsregion autochthon nicht verbreitet ist. Eine Angleichung an die einheimische Kontrollgruppe ist hier nicht erkennbar: Die hohe gemittelte relative Häufigkeit von 24 Prozent unter den Zugezogenen bei der Verwendung der Variante im In- und Auslaut nach Vokalen (3) beim Vorlesen ist also das einzige Indiz für eine Übernahme der Variable. Aufgrund der störungsanfälligen Gruppengröße von nur sieben Personen ist das Indiz zwar als interessant, nicht aber als belastbares Ergebnis einzuordnen. Obwohl das vergleichbar hohe gemittelte Vorkommen der regiolektalen Varianten (3), (7) und (8) unter den Zugezogenen für eine Übernahme spricht, erhärten sich die Indizien bei genauer Analyse nicht. Im Gegensatz dazu lassen sich bei Variable (6) Übernahmetendenzen feststellen: Bei Auftragung der Variantenverwendung über der Aufenthaltsdauer zeigen die Werte der niederdeutschen Zugezogenen bei einer Aufenthaltsdauer von zwei bis vier Jahren einen leichten Aufwärtstrend, der bei vier Jahren Aufenthalt seinen Höhepunkt erreicht und anschließend abfällt. Bei den Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum bleibt der Wert dagegen konstant (siehe Abb. 3.5.). Die beiden Zugezogenengruppen weisen in beiden Situationen, Vorlesen und Erzählen, statistisch aussagekräftige Gruppengrößen auf: Die Gruppe der niederdeutschen Zugezogenen umfasst 25 Personen und die Gruppe der hochdeutschen Zugezogenen 30 Personen. Varianten der Variable (6) wurden beim Erzählen im Mittel 9,6-mal verwendet. Beim Erzählen zeigen sich die gegenläufigen Tendenzen der beiden Zugezogenengruppen noch deutlicher: Die Merkmalsverwendung beim Erzählen steigt bei den niederdeutschen Zugezogenen mit steigender Aufenthaltsdauer (siehe Abb. 3.7.), und bei den hochdeutschen Zugezogenen sinkt sie mit steigender Aufenthaltsdauer (siehe Abb. 3.8.). Im Vergleich zur aktiven Realisierung der Variante beim Erzählen zeigt die Auftragung der Salienz einen umgekehrten Trend: Die Salienz sinkt mit steigender Aufenthaltsdauer bei den niederdeutschen Zugezogenen leicht, während sie bei den hochdeutschen Zugezogenen steigt (siehe Abb. 3.9.). Der gezeigte Zusammenhang von steigender Salienz und sinkender Verwendung beim Erzählen deutet für die Gruppe der hochdeutschen Zugezogenen auf eine Vermeidung der Variante (6) hin. Die Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum dagegen zeigen Übernahmetendenzen. <?page no="167"?> 167 Die in Ostwestfalen verbreiteten Varianten (5) und (9) verwenden die Einheimischen mit einer hohen relativen Häufigkeit von 62 Prozent (9) und 78 Prozent (5). Die Differenzen zu den Zugezogenen fallen mit 33 Prozentpunkten (9) und 46 Prozentpunkten (5) hoch aus. Diese Differenzen deuten darauf hin, dass das unter Einheimischen frequent verwendete Merkmal allenfalls verhalten von Zugezogenen übernommen wird. Die Varianten von Variable (2) werden von den Einheimischen frequent und von den Zugezogenen gar nicht verwendet, hier findet also keine Übernahme statt (siehe 3.2.2). Die relative Häufigkeit beträgt für Variante (5) beim Lesen 78 Prozent und beim Erzählen 70 Prozent. Die Zugezogenen verwenden die Variante weitaus seltener. Es kann also auf allenfalls geringe Übernahmetendenzen geschlossen werden, die sich in den beiden Zugezogenengruppen unterschiedlich stark ausprägen: Die relative Häufigkeit beim Vorlesen beträgt unter den niederdeutschen Zugezogenen 25 Prozent und unter den hochdeutschen Zugezogenen 7 Prozent. Auch hier erlaubt die Stichprobengröße eine getrennte Betrachtung der 28 niederdeutschen und 27 hochdeutschen Zugezogenen: Bei Auftragung der regiolektalen Variante über der Aufenthaltsdauer ergibt sich für die niederdeutschen Zugezogenen ein leicht steigender Trend, der seinen Höhepunkt bei einem Aufenthalt von vier Jahren erreicht und dann abfällt (siehe Abb. 3.2.). Beim Erzählen wird dieser Trend deutlicher: Die Merkmalsausprägung steigt unter den niederdeutschen Zugezogenen von 33 Prozent auf 75 Prozent deutlich an. Beim Erzählen verwendeten die niederdeutschen Zugezogenen die Variante mit 31 Prozent und die hochdeutschen Zugezogenen mit 18 Prozent relativer Häufigkeit (siehe Abb. 3.1.). Die Salienz der beiden getesteten Varianten g[a: ] und F[a: ]be weist für die Einheimischen und die niederdeutschen Zugezogenen niedrige Werte von 11 Prozent und 8 Prozent auf. Dieser Wert bleibt für die niederdeutschen Zugezogenen bei Auftragung über der Aufenthaltsdauer konstant. Bei den hochdeutschen Zugezogenen zeigt sich dagegen eine steigende Tendenz von 17 Prozent nach einem Jahr auf 50 Prozent nach sechs Jahren in Ostwestfalen - bei einer gemittelten relativen Häufigkeit von 27 Prozent (siehe Abb. 3.3.). Wie bei Variable (6) realisierten die niederdeutschen Zugezogenen die regiolektale Variante (5) mit steigender Tendenz bei längerer Aufenthaltsdauer. Im Gegensatz zu Variable (6) bleibt die Salienz von (5) aber unverändert. Unter den hochdeutschen Zugezogenen dagegen steigt die Salienz mit der Aufenthaltsdauer; für die aktive Realisierung zeigt sich kein Trend. Die standardkonforme g-Spirantisierung (9) verwendeten die Einheimischen beim Lesen mit einer relativen Häufigkeit von 62 Prozent und beim Erzählen in jedem einzelnen Fall. Die berücksichtigten sechs Zugezogenen aus dem oberdeutschen Raum verwenden die Variante beim Erzählen ebenfalls ungefähr doppelt so häufig wie beim Lesen. Die Salienz fällt unter allen <?page no="168"?> 168 drei Untersuchungsgruppen vergleichbar aus. Es fällt auf, dass viele Probanden sowohl die im niederdeutschen Raum verbreitete, standardkonforme Variante eindeuti[ç] als auch die im oberdeutschen Raum verbreitete, auslautverhärtete Variante lusti[k] als auffällig angaben (siehe Tab 3.15). Aufgrund der kleinen Gruppengröße der berücksichtigten Zugezogenen kann nicht abschließend geklärt werden, ob sich daraus eher eine Unsicherheit in der Zuordnung oder - wie bei Variable (7) - ein Wandel des Regionalakzents ableiten lässt. <?page no="169"?> 169 4 Auswertung der lexikalischen Regionalismen im Wortschatztest Den Probanden wurden 23 Lexeme als Audio-Aufnahmen im Rahmen eines Multiple-Choice-Tests vorgelegt, die in Ostwestfalen regiolektal verbreitet sind. Die Lexeme wurden zuvor unter ostwestfälischen und südhessischen Studierenden sowie unter nordniederdeutschen Schülern semasiologisch ohne vorgegebene Antwortmöglichkeiten vorgetestet (siehe 2.5.1). In der Hauptuntersuchung sollten die Probanden für zehn Lexeme die zutreffende Bedeutung und für 13 Lexeme die zutreffende Wortform auswählen, und zwar aus jeweils fünf Antwortmöglichkeiten. Bei der semasiologischen Abfrage waren die Bedeutungen in Textbeispiele eingebettet, die den Probanden als Audio-Aufnahmen vorgespielt wurden. Bei der onomasiologischen Abfrage wurde die prototypische Bedeutung als Bild dargestellt (siehe 2.6.3). Ergab die Literaturrecherche (siehe 2.5.5), dass ein Lexem in der Heimatregion eines Zugezogenen verbreitet ist, so wurden die Angaben des Probanden bei der Auswertung des entsprechenden Lexems nicht berücksichtigt. Zusätzlich wurden die Zugezogenen aus dem Umkreis von Belegorten ausgeschlossen, weil sich in diesen Regionen die positiven Zuordnungen der Lexeme auffällig häuften: In Bezug auf die Lexeme Stutenkerl und Killefitt wurden alle Personen aus dem Ripuarischen ausgeschlossen (siehe 2.5.5). Für das Wort Pöter wurden Zugezogene aus dem weiteren Umkreis des Belegortes Peine ausgeschlossen, nämlich aus dem Gebiet zwischen Gifhorn, Braunschweig und Hannover. Welche Zugezogenen im Einzelnen berücksichtigt und ausgeschlossen wurden, zeigt Tabelle 4.1. Tabelle 4.2. gibt einen Überblick über die getesteten Lexeme, die Abfrageart und die Anzahl der jeweils berücksichtigten Personen aus dem niederdeutschen und hochdeutschen Raum. <?page no="170"?> 170 Tab. 4.1. Berücksichtigung der Zugezogenen (VP) nach ihren Herkunftsorten bei der Auswertung der lexikalischen Regionalismen (1: richtig, 0: nicht richtig, grau und kein Eintrag: unberücksichtigt). VP Herkunftsorte Textabfrage (semasiologisch) Bildabfrage (onomasiologisch) Dönekes schmöttkern gallern Schlürschluck killefit össelig schlüren dölmern Pingeljagd schrebbelig Bömsken Pölter Stutenkerl schlickern i-Dötze Pöter Bütterken plästern (an) bucken Pläte döppen Pinneken Pömpel 57 Stendal 1 1 0 0 1 1 0 0 0 0 1 0 1 1 0 1 0 0 1 0 1 0 90 Salzwedel 0 0 0 1 1 0 1 1 0 0 1 0 0 1 0 1 0 1 1 0 1 1 137 Rhinow 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 0 0 144 Seddin 1 0 0 1 1 0 1 0 0 0 1 0 1 1 0 0 1 0 1 0 1 1 141 Prignitz, Ratzeburg 1 1 1 0 1 1 1 1 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 1 136 Magdeburg 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 1 1 1 0 0 1 1 1 1 34 Vechta 0 0 0 0 0 1 0 0 0 44 Vechta 0 0 0 0 0 0 0 1 1 10 Vechta 1 0 1 1 1 1 1 1 1 113 Nienburg 0 1 1 0 0 0 1 0 1 9 Nienburg 0 0 0 0 0 0 1 1 1 88 Leer 1 1 1 0 1 0 0 1 1 1 0 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 125 Diepholz 0 0 0 0 0 0 0 0 1 60 Rotenburg / Wümme 1 0 0 0 0 0 1 1 1 0 1 0 0 0 1 1 1 1 0 61 Osterholz 1 0 1 0 1 1 1 1 1 0 1 1 0 0 0 0 1 1 68 Stade 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 1 1 1 69 Aurich, Oldenburg 1 1 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 75 Hamburg, Lübeck 1 1 0 1 0 1 1 1 0 0 1 1 1 1 1 1 1 0 0 0 0 1 1 108 Oldenburg, Aachen, Würzburg 1 1 1 0 0 1 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 1 76 Hamburg 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 1 0 0 0 1 0 0 1 1 1 1 102 Emden 1 1 1 1 1 0 1 0 0 1 1 0 1 1 1 0 1 1 1 1 1 33 Kiel 0 1 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 1 1 1 1 24 Helmstedt 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 0 0 1 1 42 Hannover 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 1 46 Wolfenbüttel 1 1 1 1 0 1 1 1 1 0 1 1 1 1 1 1 1 65 Braunschweig 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 74 Braunschweig 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 1 1 1 87 Goslar 1 0 1 0 0 0 0 1 1 0 1 1 0 1 1 1 1 111 Hannover 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 1 121 Celle 1 0 1 1 1 0 1 0 1 1 0 0 0 1 1 1 1 1 130 Hannover 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 1 1 <?page no="171"?> 171 VP Herkunftsorte Textabfrage (semasiologisch) Bildabfrage (onomasiologisch) Dönekes schmöttkern gallern Schlürschluck killefit össelig schlüren dölmern Pingeljagd schrebbelig Bömsken Pölter Stutenkerl schlickern i-Dötze Pöter Bütterken plästern (an) bucken Pläte döppen Pinneken Pömpel 41 Göttingen, Stade, Gifhorn 1 1 1 1 1 0 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 22 Berlin 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 1 36 Berlin, Königs Wusterhausen 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 94 Berlin, Königs Wusterhausen 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 1 103 Berlin 0 1 0 1 1 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 1 1 0 0 1 1 66 Berlin 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 1 1 1 1 17 Köln 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 63 Euskirchen 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 1 1 0 1 86 Aachen 0 1 0 1 0 0 1 0 0 1 1 0 1 1 114 Köln 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 119 Ahrweiler 1 0 0 1 0 1 0 0 0 0 1 0 1 120 Ahrweiler 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 135 Nievern 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 105 Boppard 0 0 0 0 0 1 1 1 0 1 1 1 0 1 64 Regensburg, Euskirchen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 110 Steinfurth 1 0 1 1 1 1 1 0 0 0 1 1 0 1 1 1 1 0 0 1 1 1 1 134 Oberursel 1 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 1 107 Frankenthal 0 0 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 7 Großalmerode 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 4 Kassel 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 26 Riesa 1 0 0 1 1 1 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 56 Dresden 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 85 Dresden 1 1 0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 1 0 0 1 0 0 1 1 124 Leipzig 1 1 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 1 1 1 1 1 1 99 Jena 0 1 0 0 1 1 1 0 0 0 1 0 1 0 1 1 1 0 0 0 1 1 1 117 Dresden und Ludwigsburg 0 0 0 0 1 1 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 1 0 1 1 81 Ludwigsburg 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 1 0 1 0 0 0 1 0 0 1 106 Lorch (Ostalbkreis) 1 1 1 0 1 1 0 0 0 0 1 1 0 1 1 1 1 1 0 1 1 1 0 140 Stuttgart 0 0 1 0 1 1 1 0 0 1 1 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 1 1 115 Konstanz, Freiburg 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 1 1 1 0 0 1 1 0 1 1 1 1 97 Helmbrechts 1 0 1 0 1 1 0 0 1 1 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 1 1 1 91 Erding 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 116 Regensburg 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 1 1 1 1 <?page no="172"?> 172 Tab. 4.2. Überblick über die getesteten Lexeme, die Abfrageart und die Anzahl der jeweils berücksichtigten Zugezogenen aus dem niederdeutschen (ND) und hochdeutschen (HD) Raum. Lexem Bedeutung Abfrageart ND HD Dönekes Unsinn, lustige Geschichten semasiologisch 16 21 (sch)möttkern matschen, kleckern semasiologisch 32 32 gallern in Strömen regnen semasiologisch 16 32 Schlürschluck Abschiedstrunk semasiologisch 32 32 Killefitt Unsinn, Kleinigkeit semasiologisch 26 23 össelig, üsselig, usselig durcheinander, heruntergekommen, ungemütlich semasiologisch 26 23 schlüren schlendern, etwas mitschleppen semasiologisch 16 23 dölmern rumalbern, rumtoben semasiologisch 28 32 Pingeljagd an vielen fremden Türen klingeln und wegrennen semasiologisch 32 32 schrebbelig gellend, krächzend semasiologisch 31 32 Bömsken Bonbon onomasiologisch 26 32 Pölter Schlafanzug onomasiologisch 26 28 Stutenkerl Hefeteigmännchen mit Tonpfeife onomasiologisch 10 20 schlickern naschen onomasiologisch 20 32 i-Dötze Erstklässler onomasiologisch 32 23 Pöter Hintern onomasiologisch 12 27 Bütterken Butterbrot, belegtes Brot onomasiologisch 32 32 plästern stark regnen onomasiologisch 19 32 (an-)bucken anlehnen, kuscheln onomasiologisch 22 32 Pläte Glatze onomasiologisch 21 23 döppen jmd. tunken onomasiologisch 32 23 Pinneken Schnapsglas onomasiologisch 26 23 Pömpel Pfahl, Pfeiler onomasiologisch 32 32 Ob ein Lexem onomasiologisch oder semasiologisch abgefragt wurde, hat einen eher geringen Einfluss auf die Testergebnisse. Die mittleren Werte für die semasiologisch abgefragten Lexeme fallen aber etwas niedriger aus als für die onomasiologisch abgefragten: Unter den Einheimischen beträgt die Differenz 1 Prozent, unter den hochdeutschen Zugezogenen 7 Prozent und unter den niederdeutschen Zugezogenen 11 Prozent. Die gemittelten Differenzen zwischen semasiologisch und onomasiologisch abgefragten Wörter fallen also in allen Gruppen gering aus. Im Rahmen der Auswertung wurde für jedes Lexem die Zahl der Personen ermittelt, die das Lexem der zutreffenden Bedeutung zuordneten. Dividiert man die Zahl der Personen, die die Lexeme richtig zuordneten, durch die Gesamtzahl der jeweils berücksichtigten Personen in einer Gruppe, er- <?page no="173"?> 173 hält man für jede der drei Gruppen einen Bekanntheitsgrad (in Prozent). In einem zweiten Schritt wurde analysiert, inwiefern sich das Antwortverhalten der Einheimischen und Zugezogenen voneinander unterscheidet. Dazu wurden die Bekanntheitsgrade der getesteten Lexeme in den beiden Gruppen miteinander verglichen. Die vier Lexeme Pömpel, Stutenkerl, Pöter und schlüren ordneten alle 37 einheimischen Ostwestfalen der zutreffenden Bedeutung bzw. Wortform zu. Diese Lexeme weisen dementsprechend einen Bekanntheitsgrad von 100 Prozent unter den Heimatstudierenden auf. Das Lexem (an)bucken wurde bei onomasiologischer Abfrage immerhin von 25 Einheimischen richtig zugeordnet; dies ergibt einen Bekanntheitsgrad von 68 Prozent. (An)bucken weist damit unter den Ostwestfalen den niedrigsten Bekanntheitsgrad von allen onomasiologisch und semasiologisch abgefragten Lexemen auf. Für die 23 getesteten Lexeme ergibt sich unter den Einheimischen ein mittlerer Bekanntheitsgrad von 89 Prozent; die Standardabweichung beträgt nur 9 Prozent. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass den Heimatstudierenden die abgefragten lexikalischen Regionalismen tatsächlich bekannt sind, wie bereits aufgrund des Vortests (siehe 2.5.1) zu erwarten war. Die unterschiedlichen Bekanntheitsgrade, die unter den Zugezogenen ermittelt wurden, sind im Wesentlichen auf Einflussfaktoren zurückzuführen, wie z.B. den Verwendungskontext der Lexeme. Zunächst wurden die Mittelwerte über alle abgefragten Lexeme in jeder Gruppe (Heimatstudierende, Niederdeutsche, Hochdeutsche) berechnet und verglichen: Wie bereits erwähnt, ergab sich in der Gruppe der Heimatstudierenden ein mittlerer Bekanntheitsgrad von 89 Prozent mit einer Standardabweichung von 9 Prozent. Bei Aufschlüsselung nach regionaler Herkunft der Zugezogenen in niederdeutsch und hochdeutsch ergibt sich ein mittlerer Bekanntheitsgrad von 37 Prozent für die hochdeutschen und von 50 Prozent für die niederdeutschen Zugezogenen; die Standardabweichung beträgt dabei 19 Prozent bzw. 22 Prozent. Die höhere Standardabweichung bei den Zugezogenen kann - im Vergleich zur Standardabweichung bei den Testergebnissen der Heimatstudierenden - durch heterogene Testergebnisse und die kleineren Gruppengrößen erklärt werden. Fasst man die Daten der niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen zusammen, ergibt sich ein mittlerer Bekanntheitsgrad von 42 Prozent und eine Standardabweichung von 18 Prozent; die Standardabweichung unter den Zugezogenen ist dabei mit 18 Prozent doppelt so hoch wie unter den Einheimischen. Der Einfluss der Gruppengröße kann durch Zusammenfassen kompensiert werden. Deswegen werden die Bekanntheitsgrade der beiden Zugezogenengruppen im Folgenden zusammengefasst dargestellt. Wenn die gemittelte Differenz zwischen niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen (16 Prozent) um mindestens 10 Prozentpunkte überschritten wird, werden die Bekannt- <?page no="174"?> 174 heitsgrade der niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen getrennt voneinander betrachtet. 4.1 Bekanntheitsgrade der Lexeme unter den Zugezogenen Der Bekanntheitsgrad jedes einzelnen abgefragten Lexems fällt unter den Zugezogenen erwartungsgemäß niedriger aus als unter den einheimischen Ostwestfalen. Eine höhere Standardabweichung (18 Prozent im Vergleich zu 9 Prozent) zeigt außerdem, dass die Testergebnisse im Hinblick auf eine Vielzahl von systematischen Unterschieden zum Antwortverhalten der Zugezogenen analysiert werden können. Betrachtet man die Ergebnisse der einzelnen Lexeme getrennt voneinander, fällt auf, dass sich die Bekanntheitsgrade unter den Zugezogenen teilweise stark voneinander unterscheiden: Das bekannteste Wort lautet Pömpel; der Bekanntheitsgrad von Pömpel beträgt unter den Zugezogenen 78 Prozent. Den niedrigsten Bekanntheitsgrad weist dagegen Pingeljagd mit neun Prozent auf. Aufgrund der Vorgabe von je fünf Antwortmöglichkeiten als Multiple-Choice liegt die Wahrscheinlichkeit, ein abgefragtes Wort durch Raten richtig einzuordnen, bei 20 Prozent. Pömpel ist unter den Zugezogenen als weitgehend bekannt einzuordnen und Pingeljagd als unbekannt. 4.1.1. Lexeme mit niedrigen Bekanntheitsgraden unter den Zugezogenen Zunächst sind die Lexeme gezeigt (Abb. 4.1.), die unter den Zugezogenen einen Bekanntheitsgrad aufweisen, der unter dem Mittelwert von 42 Prozent liegt. Die Abbildung zeigt die Bekanntheitsgrade der Lexeme unter den Zugezogenen und unter den Einheimischen; die Daten sind nach steigendem Bekanntheitsgrad unter den Zugezogenen geordnet. <?page no="175"?> 175 Abb. 4.1. Lexeme mit unter den Zugezogenen (■) unterdurchschnittlich hohem Bekanntheitsgrad im Vergleich zu den ostwestfälischen Heimatstudierenden ( ♦ ). Die Liste der Lexeme mit niedrigem Bekanntheitsgrad unter den Zugezogenen umfasst ein Adjektiv, vier Nomen und sechs Verben. Vergleicht man die aufgeführten Lexeme in Bezug auf ihre Wortart, fällt zuerst der relativ hohe Anteil der Verben auf: Von den sechs Verben kommt nur (an-)bucken als Derivat vor. (An-)bucken, dölmern, schmöttkern und schlickern bezeichnen Tätigkeiten. Die beiden avalenten Synonyme plästern und gallern beschreiben das Wetter. Inwiefern die bezeichneten Tätigkeiten für die Gruppe der Zugezogenen als relevant einzuordnen sind, wird unter 4.2 analysiert. Beim Vergleich der vier Konkreta Pölter, i-Dötze, Schlürschluck und Pingeljagd fällt auf, dass es sich bei drei dieser Lexeme um Komposita handelt. Bei Schlürschluck und Pingeljagd ist das Determinatum jeweils in der Standardvarietät gebräuchlich, bei Pingeljagd in der regiolektalen, spirantisierten Variante [jaxt]. Das Determinans ist als produktives Simplex im niederdeutschen Raum jeweils dialektal (siehe Tab. 2.5.) und regiolektal als konvertiertes Verb (Borner 2006: schlüren) und Nomen belegt (WDU, 1977, Karte 26, Karte 27). Bei i-Dötze dagegen ist das Determinatum dialektal. Für die dialektale Verbreitung liegen vereinzelte Belege aus dem Niedersächsischen Wörterbuch und dem Westfälischen Wörterbuch vor (siehe Tab. 2.5.). Regiolektal ist das Determinans nur als Kompositum und fast ausschließlich in der Pluralform 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Bekanntheitsgrad <?page no="176"?> 176 verbreitet (WDU 1993: Karte 3-22, Deutscher Wortschatz 1998ff.: Wörterbuch i-Dötze, Ammon u.a. 2004: I-Dotz). Die drei Komposita erreichen mit Bekanntheitsgraden von weniger als 25 Prozent Werte, die ungefähr der Wahrscheinlichkeit entsprechen, durch Raten die richtige Antwortmöglichkeit herauszufinden. Das Adjektiv schrebbelig erreicht mit 21 Prozent einen vergleichbar niedrigen Bekanntheitsgrad. Vor diesem Hintergrund sind die vier Lexeme als unter den Zugezogenen unbekannt einzustufen. 4.1.2 Lexeme mit hohen Bekanntheitsgraden unter den Zugezogenen Nun werden die Lexeme genauer betrachtet, die unter den Zugezogenen überdurchschnittlich hohe Bekanntheitsgrade aufweisen. Dazu wurden die Lexeme, die unter den Zugezogenen einen Bekanntheitsgrad von mehr als 42 Prozent aufweisen, über den Bekanntheitsgraden der Zugezogenen und der einheimischen Ostwestfalen aufgetragen (Abb. 4.2.). Die Lexeme sind nach ihrem Bekanntheitsgrad unter den Zugezogenen ansteigend angeordnet. Abb. 4.2. Lexeme mit unter den Zugezogenen (■) überdurchschnittlich hohem Bekanntheitsgrad im Vergleich zu den ostwestfälischen Heimatstudierenden ( ♦ ). Es fällt auf, dass die Zugezogenen vor allem die Nomen unter den abgefragten Lexemen semasiologisch und onomasiologisch richtig einordneten (Lorenz 2013b: 139f.). Unter den neun Nomen mit überdurchschnittlich hohem 0% 20% 40% 60% 80% 100% 120% Bekanntheitsgrad <?page no="177"?> 177 Bekanntheitsgrad sind sieben Konkreta, von denen vier auf Nahrungsmittel und zwei auf Körperteile verweisen: Bömsken, Bütterken und Stutenkerl bezeichnen direkt, Pinneken metonymisch verschiedene Nahrungs- und Genussmittel. Stutenkerl füllt eine Bezeichnungslücke aus: Für die Teigfigur mit Tonpfeife gibt es keine standardsprachliche Bezeichnung, sondern verschiedene regiolektale Bezeichnungen (siehe 2.5.4.1). Bei Pläte und Pöter handelt es sich um zwei Somatismen. Dass Pläte den dritthöchsten Bekanntheitsgrad unter den Zugezogenen aufweist, mag im Hinblick auf die Altersgruppe überraschen. Dies ist vermutlich eher auf die Verbreitung der Wortform Platte als auf die Relevanz der Bedeutung ‚Glatze‘ zurückzuführen: Da Platte überregional für ‚Glatze‘ verwendet wird (GWDS 1999: Platte, DUW 2003: Platte, Duden 2006: Platte, Küpper 2000: Platte), wurde Pläte von den Zugezogenen vermutlich aufgrund lautlicher Ähnlichkeit beim Multiple- Choice-Test ausgewählt. Neben den sieben Konkreta sind auch zwei Abstrakta unter den Wörtern mit überdurchschnittlich hohem Bekanntheitsgrad vertreten (siehe Abb. 4.2.). Bei Killefitt und Dönekes handelt es sich um partielle Synonyme für ‚Unsinn‘. Killefitt trägt zudem die Bedeutung ‚Kleinigkeit‘, Dönekes ‚lustige Geschichte, Anekdote‘. Im Gegensatz zu den bisher erwähnten Konkreta sind beide Abstrakta leicht negativ konnotiert. Wie im Zusammenhang mit der dialektalen Verbreitung von Killefitt erläutert wurde, ist Killefitt als einziges der 23 abgefragten Lexeme dialektal nicht autochthon in Ostwestfalen verbreitet (siehe 2.5.3). Vermutlich hängt damit zusammen, dass sich die niederdeutschen und die hochdeutschen Zugezogenen deutlich in ihrem Antwortverhalten voneinander unterscheiden; Killefitt wird gesondert unter Aufschlüsselung der beiden Zugezogenengruppen betrachtet (siehe 4.2.5). Betrachtet man die Nomen im Hinblick auf Wortbildung, fällt auf, dass mit Stutenkerl nur ein einziges Kompositum vertreten ist: Das niederdeutsche Determinatum kerl ist überregional als Simplex verbreitet und kann in der negativen Konnotation der niederdeutschen Bedeutung ‚Mann‘ als allgemein bekannt eingeordnet werden (Sass 2011: Kerl). Das niederdeutsche Determinans stuten dagegen ist als Simplex nur im niederdeutschen Raum dialektal (siehe Tab. 2.5.) und regiolektal belegt (Seibicke 1972: Gebäck, Kretschmer 1969: 156). Das Kompositum schließt die Bezeichnungslücke für die in vielen Regionen saisonal verbreitete Teigfigur mit Tonpfeife. Unter den neun Nomen sind mit Bömsken, Bütterken, Dönekes und Pinneken vier Diminutive vertreten. In ihrer regiolektalen Bedeutung sind Bömsken, Bütterken, Dönekes und Pinneken sowohl regiolektal als auch dialektal als Diminutive verbreitet; Bütterken ist unter der gleichen Bedeutung dialektal zusätzlich als Simplex belegt (siehe Tab. 2.5.). Schlüren, döppen und össelig wurden von knapp jedem zweiten Zugezogenen richtig eingeordnet. Dabei zeichnen sich gerade össelig und schlüren durch ein breites Bedeutungsspektrum aus: Beide Lexeme können sich so- <?page no="178"?> 178 wohl auf Menschen als auch auf Gegenstände beziehen, össelig kann zudem das Wetter beschreiben. Obwohl össelig aufgrund seines breiten Bedeutungsspektrums in vielen Kommunikationssituationen einsetzbar ist, ist dieses Lexem unter den Zugezogenen weniger bekannt als Wörter, die mehr Seme und damit ein schmaleres Bedeutungsspektrum aufweisen. Die beiden Wörter, die unter den Zugezogenen die höchsten Bekanntheitsgrade aufweisen, lassen sich auf vergleichsweise wenige verschiedene Situationen anwenden: Ungefähr zwei Drittel aller Zugezogenen ordneten Pömpel und Pinneken onomasiologisch richtig ein. Das mag daran liegen, dass beide Wörter einen besonders hohen Alltagsbezug für die Altersgruppe aufweisen: Pömpel sind im Stadtbild präsent und werden häufig beim Parken thematisiert; Pinneken dürfte als Bezeichnung für ‚Schnapsglas‘ sowie metonymisch für ‚Schnaps‘ besonders oft in geselliger Runde verwendet werden. Abbildung 4.3. stellt die semantischen und morphosyntaktischen Merkmale anhand von Beispielen dar, die eine Übernahme der Lexeme in den passiven Wortschatz begünstigen. In der Abbildung sind diese Merkmale und einige Beispiele auf einer rot-gelb-grünen Skala angeordnet. Je weiter ein Merkmal links im roten Bereich platziert ist, desto eher hemmt es eine Übernahme. Die Merkmale im rechtsseitigen, grünen Bereich begünstigen eine lexikalische Übernahme. Der gelbe Bereich stellt einen Übergangsbereich dar. Es werden solche Wörter bevorzugt in den passiven Wortschatz übernommen, bei denen die Merkmale im grünen Bereich kombiniert werden, also Diminutive, die viele Seme aufweisen und im Alltag der Zugezogenen vorkommen, wie z.B. Pinneken. Eher nicht übernommen werden dagegen Verben, die keinen Alltagsbezug für die Zugezogenen aufweisen wie schmöttkern und eher negativ konnotiert sind, wie dölmern. <?page no="179"?> 179 Abb. 4.3. Einfluss semantischer und morphosyntaktischer Merkmale auf lexikalische Übernahmen anhand von Beispielen. 4.2 Vergleich der Bekanntheitsgrade unter Zugezogenen und Einheimischen Beim Vergleich der Bekanntheitsgrade unter Zugezogenen und Ostwestfalen fällt auf, dass diese unterschiedlich stark differieren (Lorenz 2013a: 364f., Nemeth 2011: 112ff.): Die Lexeme Pömpel und Stutenkerl beispielsweise wurden von allen Einheimischen richtig eingeordnet. Bei den Zugezogenen dagegen wurde Pömpel von zwei Dritteln der Gruppe, Stutenkerl aber nur von jedem zweiten Zugezogenen richtig zugeordnet. Die Bekanntheitsgrade für Pömpel differieren mit 22 Prozentpunkten nur gering zwischen den beiden Gruppen: Die Bekanntheitsgrade für Stutenkerl dagegen unterscheiden sich mit 50 Prozentpunkten stark. Dieser Unterschied (22 Prozent vs. 50 Prozent zwischen den Gruppen) spricht dafür, dass beide Wörter in unterschiedlichem Ausmaß von Einheimischen an Zugezogene tradiert werden. In den folgenden Teilkapiteln werden die Bekanntheitsgrade der Zugezogenen und Ostwestfalen über den Wörtern aufgetragen und diskutiert. Um die Unterschiede zwischen den Bekanntheitsgraden in den Fokus zu stellen, werden die Wörter nach Differenz der gezeigten Bekanntheitsgrade angeordnet. <?page no="180"?> 180 4.2.1 Lexeme mit relativ hohen Bekanntheitsgraden unter Zugezogenen und Einheimischen: Kategorie (A) Im Folgenden werden die Daten nach steigender Differenz zwischen dem Bekanntheitsgrad unter den Ostwestfalen und dem Bekanntheitsgrad unter den Zugezogenen angeordnet (Abb. 4.4.). Die über alle Wörter gemittelte Differenz der Bekanntheitsgrade zwischen Einheimischen und Zugezogenen beträgt 47 Prozentpunkte; zunächst werden die Wörter betrachtet, für die die Differenz der Bekanntheitsgrade unter diesem Mittelwert liegt. Abb. 4.4. Lexeme mit überdurchschnittlich niedrigen Differenzwerten zwischen den Bekanntheitsgraden unter den Ostwestfalen ( ♦ ) und den Zugezogenen (■), angeordnet nach zunehmender Differenz. Die meisten Lexeme, die den Zugezogenen überdurchschnittlich bekannten waren, wiesen niedrige Differenzwerte zwischen den beiden Gruppen auf: Auf die oben erläuterten Lexeme Pinneken, Pömpel, Pläte, Dönekes, Bömsken und Bütterken treffen beide Kriterien zu, dementsprechend werden sie Kategorie (A) zugeordnet. Diese Gruppe von Lexemen dürfte auf miteinander vergleichbare Weise von Einheimischen an Zugezogene tradiert werden: Dass die Bekanntheitsgrade nahe beieinander liegen, spricht für eine rasche und umfassende Übernahme der Wörter durch die Zugezogenen. Die Lexeme sind alltagsrelevant. Deswegen ist eine Tradierung in direktem Kontakt zwischen Einheimischen und Zugezogenen plausibel. 0% 20% 40% 60% 80% 100% Bekanntheitsgrad <?page no="181"?> 181 Auch Killefitt weist unter den Zugezogenen einen überdurchschnittlich hohen Bekanntheitsgrad und gleichzeitig eine relativ geringe Differenz zum Bekanntheitsgrad unter den Einheimischen auf. Da sich bei diesem Lexem die Bekanntheitsgrade zwischen den beiden Zugezogenen relativ stark voneinander unterscheiden, wird Killefitt unter 4.2.5 unter Aufschlüsselung nach den beiden Zugezogenengruppen betrachtet. 4.2.2 Lexeme mit relativ niedrigen Bekanntheitsgraden unter Einheimischen und Zugezogenen: Kategorie (B) Össelig und (an)-bucken unterscheiden sich von den anderen in Abbildung 4.5 aufgeführten Lexemen vor allem dadurch, dass beide von einem relativ geringen Anteil der Einheimischen richtig eingeordnet wurden. Unter den 23 abgefragten Lexemen gibt es neben (an-)bucken und össelig nur noch zwei weitere Lexeme, die vergleichbar niedrige Bekanntheitsgrade (unter 80 Prozent) unter den Einheimischen aufweisen, nämlich plästern und Schlürschluck (Abb. 4.5). Wegen des geringen Bekanntheitsgrades von weniger als 80 Prozent in der einheimischen Kontrollgruppe werden die Lexeme össelig, (an-)bucken, plästern und Schlürschluck Kategorie (B) zugeordnet. Die Lexeme werden vermutlich selten verwendet, so dass sie von jedem fünften Einheimischen semasiologisch nicht richtig eingeordnet werden konnten. Dadurch fehlt eine wesentliche Voraussetzung für eine Tradierung der Lexeme an die Zugezogenen. Der geringe Bekanntheitsgrad unter den Einheimischen erschwert eine Weitergabe der Lexeme an Zugezogene: Vermutlich werden solche Lexeme erst nach längerem Aufenthalt und infolge regen Kontakts mit Einheimischen kennengelernt. Für diese These spricht, dass plästern, Schlürschluck und anbucken nicht nur unter den Einheimischen, sondern auch unter den Zugezogenen relativ niedrige Bekanntheitsgrade aufweisen: Die drei Lexeme wurden von weniger als 30 Prozent der Zugezogenen zutreffend eingeordnet. Diese Bekanntheitsgrade liegen in einem Bereich, der nahe an der 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit liegt, ein Lexem durch Raten richtig einzuordnen. Der Bekanntheitsgrad von össelig fällt wesentlich höher aus: Össelig ist mit einem Bekanntheitsgrad von 47 Prozent fast jedem zweiten Zugezogenen bekannt. Warum für össelig der Bekanntheitsgrad unter den Zugezogenen so hoch ausfällt, kann vor dem Hintergrund seines niedrigen Bekanntheitsgrades unter den einheimischen Ostwestfalen nicht erklärt werden. Össelig ist also ein unter Zugezogenen überraschend bekanntes Lexem. <?page no="182"?> 182 4.2.3 Lexeme mit hohen Differenzen der Bekanntheitsgrade zwischen Zugezogenen und Einheimischen: Kategorie (C) Wie aufgrund des Vortests zu erwarten war, weisen alle abgefragten Lexeme einen relativ hohen Bekanntheitsgrad unter den Einheimischen auf: Nur vier Lexeme wurden von weniger als 80 Prozent der Einheimischen richtig eingeordnet (siehe 4.2.2); der niedrigste Bekanntheitsgrad unter den Einheimischen beträgt 68 Prozent. Die Bekanntheitsgrade unter den Einheimischen weisen eine kleine Standardabweichung von 9 Prozent auf. Dementsprechend gehen niedrige Bekanntheitsgrade unter den Zugezogenen mit hohen Differenzwerten zu den Bekanntheitsgraden unter den Einheimischen einher. Um die Differenz zwischen den Bekanntheitsgraden gut sichtbar zu machen, werden alle Lexeme, für die die Differenz der Bekanntheitsgrade über dem Mittelwert von 47 Prozentpunkten liegt, über den Bekanntheitsgraden der Zugezogenen und Ostwestfalen aufgetragen, und zwar in ansteigender Reihenfolge der Differenzwerte (Abb. 4.5.). Abb. 4.5. Lexeme mit überdurchschnittlich hohen Differenzwerten zwischen den Bekanntheitsgraden unter den Ostwestfalen ( ♦ ) und den Zugezogenen (■), angeordnet nach zunehmender Differenz. Bei hohen Bekanntheitsgraden unter den Einheimischen und gleichzeitig niedrigen Bekanntheitsgraden unter den Zugezogenen kommen Differenzwerte zwischen 47 Prozentpunkten für döppen und 83 Prozentpunkte für Pingeljagd zustande. Die Bekanntheitsgrade von plästern, schlickern, gallern, 0% 20% 40% 60% 80% 100% Bekanntheitsgrad <?page no="183"?> 183 schmöttkern, Schlürschluck, dölmern, Pölter, i-Dötze, schrebbelig, und Pingeljagd liegen unter dem mittleren Bekanntheitsgrad von 42 Prozent unter den Zugezogenen; gleichzeitig beträgt die Differenz zu den Bekanntheitsgraden der Einheimischen mindestens 47 Prozentpunkte. Gallern und plästern sind zwei Synonyme. Unter den Einheimischen differieren die Bekanntheitsgrade von gallern (92 Prozent) und plästern (78 Prozent) stärker als unter den Zugezogenen (gallern: 31 Prozent, plästern: 29 Prozent). Da sich die Bekanntheitsgrade von gallern zwischen den beiden Zugezogenengruppen relativ stark unterscheiden, werden diese getrennt nach niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen unter 4.2.5 genauer betrachtet. Die Lexeme mit niedrigen Bekanntheitsgraden unter Zugezogenen und Einheimischen - plästern, Schlürschluck, össelig und (an-)bucken - wurden bereits unter 4.2.2 diskutiert. Mit döppen, Pöter, Stutenkerl und schlüren sind vier Lexeme in Abbildung 4.5. aufgeführt, deren jeweilige Bekanntheitsgrade zwischen den Gruppen zwar um mindestens 47 Prozentpunkte differieren. Diese vier Lexeme werden an anderer Stelle im Zusammenhang mit anderen Kategorien diskutiert (siehe 4.2.4 und 4.2.5), denn ihr jeweiliger Bekanntheitsgrad unter den Zugezogenen fällt überdurchschnittlich hoch aus. Die Lexeme schlickern, gallern, schmöttkern, dölmern, Pölter, i-Dötze, schrebbelig und Pingeljagd zeichnen sich jeweils durch einen niedrigen Bekanntheitsgrad unter dem Mittelwert von 42 Prozent unter den Zugezogenen und einer Differenz zum Bekanntheitsgrad der Einheimischen von mindestens 47 Prozentpunkten aus. Sie werden Kategorie (C) zugeordnet. Die niedrigen Bekanntheitsgrade unter den Zugezogenen und gleichzeitig hohen Differenzwerte zu den Einheimischen weisen darauf hin, dass diese Wörter in geringem Maße von Einheimischen an Zugezogene weitergegeben werden. Das mag zum einen daran liegen, dass einige der Lexeme für zugezogene Studierende nicht relevant sind, da sie vor allem im Kindesalter verwendet werden: Kinder und Jugendliche klingeln mitunter an fremden Türen und laufen weg, ehe die Tür geöffnet wird. (Nach eigenen Recherchen im Bekanntenkreist ist dieses Kinderspiel in Südhessen als Schellekloppen, in großen Teilen Norddeutschlands als Klingelstreich, im Münsterland als Mäusepingeln und in Ostwestfalen als Pingeljagd bekannt.) Dieser Zeitvertreib spielt im Lebensalter der Studierenden aller Wahrscheinlichkeit nach keine Rolle, so dass eine Benennung überflüssig ist. Auch schmöttkern ‚matschen, kleckern‘ und dölmern ‚rumalbern, rumtoben‘ dürfte keinen nennenswerten Bezug zum Alltag der Zugezogenen aufweisen. Auch die Bezeichnung i- Dötze ‚Erstklässler‘ dürfte für die Zugezogenen keinen nennenswerten Alltagsbezug aufweisen. Dieses Lexem wird zwar in Zeitungsartikeln regional verbreiteter Zeitungen mitunter geschrieben verwendet (Deutscher Wortschatz 1998ff.: Wörterbuch i-Dötze), so dass die Bezeichnung sogar unabhängig vom Kontakt mit Einheimischen tradiert werden könnte. Trotzdem liegt der Bekanntheitsgrad mit 24 Prozent nur knapp über der Wahrscheinlich- <?page no="184"?> 184 keit, dass die Zugezogenen i-Dötze durch Raten onomasiologisch richtig einordneten. Es überrascht nicht, dass die Benennung von mit Kindheit assoziierten Sachverhalten besonders von Personen vorgenommen werden kann, die diese Bezeichnungen im Rahmen eigener Kindheitserfahrung kennen. Die Möglichkeit besteht durchaus, dass zugezogene Studierende mit Kindern solche Bezeichnungen vor dem Hintergrund der Erfahrungen der eigenen Kinder kennen lernen. Da im Sample der vorliegenden Untersuchung allerdings kaum Eltern vorhanden sind, lässt sich dafür keine fundierte Prognose stellen. Die Lexeme Pölter und schrebbelig weisen keine Assoziationen zu Kindheit auf. Trotz Alltagsrelevanz fallen die Bekanntheitsgrade der beiden Lexeme mit 31 und 21 Prozent niedrig aus. Nach Auskunft mehrerer einheimischer Studierender im Rahmen des Vortests dient Pölter vorzugsweise zur Bezeichnung solcher Schlafanzüge, die von der Altersgruppe als altmodisch eingeordnet werden. Die im Westfälischen nicht wertende Bezeichnung (siehe Tab. A.8., Tab. A.10. und Tab. A.11. im Anhang) ist demnach inzwischen negativ konnotiert. Schrebbelig ist bereits im Westfälischen Wörterbuch unter der Bedeutung ‚unangenehm tönend‘ als negativ konnotiert belegt (siehe Tab. A.11. im Anhang). Die niedrigen Bekanntheitsgrade unter den Zugezogenen und die hohe Differenz zum entsprechenden Bekanntheitsgrad unter den Einheimischen sprechen gegen eine Tradierung der beiden negativ konnotierten Lexeme. 4.2.4 Lexeme mit Differenzen der Bekanntheitsgrade zwischen Zugezogenen und Einheimischen im Bereich des Mittelwerts: Kategorie (D) Die Lexeme döppen, Stutenkerl und schlickern weisen Bekanntheitsgrade unter den Zugezogenen auf, die nahe am Mittelwert von 42 Prozent liegen. Die Differenz zum Bekanntheitsgrad unter den Einheimischen entspricht ungefähr der gemittelten Differenz von 47 Prozent. Weil sich diese Lexeme also gerade durch keine ausgeprägten Abweichungen, sondern durch Durchschnittswerte auszeichnen, werden sie Kategorie (D) zugeordnet. Obwohl die Tätigkeit döppen ‚unter Wasser tunken‘ von jungen Erwachsenen vermutlich eher nicht ausgeübt wird, ist der Bekanntheitsgrad dieses Lexems der zweithöchste unter den acht abgefragten Verben. Der Stutenkerl ‚Teigfigur mit Tonpfeife‘ wird in der Regel saisonal von Kindern konsumiert, in Bielefeld am Nikolaustag. Die Lexeme döppen und Stutenkerl weisen also beide Assoziationen zu Kindheit auf, haben aber im Gegensatz zu den unter 4.2.3 diskutierten Lexemen Pingeljagd, schmöttkern, dölmern und i-Dötze (Kategorie C) relativ hohe Bekanntheitsgrade. Dies deutet daraufhin, dass die Tätigkeit döppen und das Schließen der Bezeichnungslücke für den Stu- <?page no="185"?> 185 tenkerl für Personen im studierfähigen Alter wider Erwarten von Belang sein könnten. Im Gegensatz zu döppen und Stutenkerl ist schlickern (siehe 4.1.2) nicht an eine bestimmte Altersgruppe gebunden. Die Relevanz der Tätigkeit schlickern ‚naschen‘ für die Zugezogenen ist sicherlich mit Bömsken und Bütterken (Kategorie A) aus dem gleichen semantischen Feld vergleichbar. Die Bekanntheitsgrade von Bömsken ‚Bonbon‘ und Bütterken ‚belegtes Brot‘ unter den Studierenden liegen aber gut 10 Prozent höher als von schlickern. Bei diesem semantischen Vergleich mag der durchschnittliche Bekanntheitsgrad von schlickern überraschen. Vergleicht man das Lexem allerdings mit den anderen Lexemen der gleichen Wortart, weist schlickern immerhin den dritthöchsten Bekanntheitsgrad unter den acht abgefragten Verben auf. Daraus kann man schließen, dass die Übernahmewahrscheinlichkeit von Nomen selbst dann höher ist als die anderer Wortarten, wenn die semantische Relevanz geringer ausfällt als bei den entsprechenden Verben oder Adjektiven. 4.2.5 Lexeme mit stark differierenden Bekanntheitsgraden zwischen niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen: Kategorie (E) Bei den 20 bisher unter 4.2.1 bis 4.2.4 diskutierten Lexemen wurden die Bekanntheitsgrade der Zugezogenen aus dem niederdeutschen und aus dem hochdeutschen Raum zusammengefasst mit den Bekanntheitsgraden der einheimischen Kontrollgruppe verglichen. Durch das Zusammenfassen der beiden Zugezogenengruppen konnten bei der Analyse jedes Lexems zwischen 30 und 64 zugezogene Personen berücksichtigt werden. Damit wird eine Gruppengröße erreicht, bei der sich statistische Störeffekte durch so genannte Ausreißer nur gering auf das Ergebnis auswirken (Bortz 1993: 99). Bei den drei Lexemen schlüren, gallern und Killefitt differieren die Bekanntheitsgrade zwischen niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen sehr stark, sodass die mittlere Differenz von 16 Prozent um mehr als 10 Prozentpunkte überschritten wird. Die Bekanntheitsgrade der beiden Zugezogenengruppen werden im Folgenden getrennt voneinander betrachtet. In Abbildung 4.6. sind die drei Lexeme über den Bekanntheitsgraden der niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen und der einheimischen Ostwestfalen aufgetragen. <?page no="186"?> 186 Abb. 4.6. Lexeme mit stark differierendem Bekanntheitsgrad zwischen hochdeutschen (▲) und niederdeutschen (■) Zugezogenen, zum Vergleich: einheimische Ostwestfalen ( ♦ ). Die Bekanntheitsgrade zwischen den beiden Zugezogenengruppen differieren bei Killefitt und gallern um jeweils 28 Prozentpunkte, bei schlüren sogar um 45 Prozentpunkte. Die Bekanntheitsgrade der Lexeme schlüren und gallern fallen bei den niederdeutschen Zugezogenen erheblich höher aus als bei den hochdeutschen Zugezogenen. Bei diesen beiden Lexemen ist die Stichprobe der niederdeutschen allerdings zu klein (jeweils 16 bzw. 13 niederdeutsche Zugezogene) um als Grundlage für eine belastbare Interpretation zu dienen. Bei Killefitt sind beide Zugezogenengruppen ausreichend groß (23 hochdeutsche und 26 niederdeutsche Zugezogene): Killefitt ist (als einziges der 23 abgefragten Lexeme) dialektal nicht in Ostwestfalen verbreitet. Da seine dialektale Verbreitung im Niederfränkischen durch das Rheinische Wörterbuch belegt ist (Rheinisches Wörterbuch 1928ff: Killefitt) wurden sicherheitshalber die neun Zugezogenen aus dem direkt angrenzenden ripuarischen Raum ausgeschlossen (siehe 2.5.5). Das Lexem Killefitt erzielt dennoch unter den hochdeutschen Zugezogenen höhere Bekanntheitsgrade als unter den niederdeutschen Zugezogenen. Eine regiolektale Verbreitung von Killefitt im ostwestfälischen Raum ist in den laienlinguistischen Wörterbuchsammlungen nicht nachgewiesen (siehe Tab. 2.3.), diese dürfte aber angesichts der Ergebnisse im Vortest (siehe Tab. 2.4.) und eines Bekanntheitsgrads von 97 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% schlüren gallern Killefitt Bekanntheitsgrad <?page no="187"?> 187 Prozent unter den Einheimischen im Haupttest außer Frage stehen (siehe Abb. 4.2.). Beim Vergleich der Bekanntheitsgrade von Killefitt in den drei Gruppen fällt zunächst die geringe Differenz zwischen Einheimischen und Hochdeutschen auf: Die Differenz fällt mit 19 Prozentpunkten kleiner aus als die Differenz zwischen den beiden Zugezogenengruppen, die 28 Prozentpunkte beträgt. Es fällt auf, dass sich die Herkunftsorte aller Probanden, die Killefitt semasiologisch richtig einordneten, gleichmäßig im niederdeutschen und hochdeutschen Raum verteilen (siehe Tab. 4.1.). Obwohl sich also keine Dialektregion im hochdeutschen Raum von den anderen Regionen abhebt, bleibt die Differenz des Bekanntheitsgrads zu den niederdeutschen Zugezogenen auffällig. Offensichtlich können die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum das Lexem mehrheitlich besser einordnen als die niederdeutschen Zugezogenen. Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass sich das dialektal im Niederfränkischen verbreitete Lexem regiolektal im hochdeutschen Raum großräumig ausgebreitet hat - und zwar stärker als im niederdeutschen Raum. 4.3 Analyse der Lexeme: Zusammenfassung Tabelle 4.3. fasst die Kriterien zusammen, nach denen die 23 abgefragten Lexeme den Kategorien (A) bis (E) zugeordnet wurden. Tab. 4.3. Kategorisierung der Lexeme nach Bekanntheitsgraden unter Einheimischen (OWL) und Zugezogenen (ZUG) aus dem niederdeutschen (ND) und hochdeutschen Raum (HD). Kriterien (A) (B) (C) (D) (E) Bekanntheitsgrad OWL min. 80 Prozent max. 80 Prozent min. 80 Prozent Bekanntheitsgrad ZUG ca. 42 Prozent Differenz der Bekanntheitsgrade zwischen OWL und ZUG max. 40 Prozentpunkte min. 50 Prozentpunkte ca. 47 Prozentpunkte Differenz der Bekanntheitsgrade zwischen ZUG aus ND und HD max. 24 Prozentpunkte min. 26 Prozentpunkte Die Lexeme werden je nach Kategorie vermutlich auf unterschiedliche Weise von Einheimischen an zugezogene Studierende tradiert: Lexeme in Katego- <?page no="188"?> 188 rie (A) weisen einen engen Bezug zum Alltag der Studierenden auf. Dass sie unter Einheimischen und Zugezogenen relativ hohe Bekanntheitsgrade aufweisen, spricht für eine rasche Übernahme. Lexem in Kategorie (C) dagegen werden häufig mit Kindheit assoziiert und sind daher für die in den meisten Fällen kinderlosen Studierenden nicht relevant. Die hohen Differenzen der Bekanntheitsgrade von Einheimischen und Zugezogenen von mindestens 50 Prozentpunkten deuten darauf hin, dass diese Lexeme nur in geringem Maße von Zugezogenen kennengelernt werden. Die Lexeme der Kategorie (B) zeichnen sich durch relativ geringe Bekanntheitsgrade unter den Einheimischen von weniger als 80 Prozent aus. Die Voraussetzung für eine Tradierung ist eingeschränkt: Einheimische, die ein Lexem selbst nicht einordnen können, werden es nicht an Zugezogene weitergeben. Die Bekanntheitsgrade der Lexeme in Kategorie (E) unterscheiden sich zwischen den beiden Zugezogenengruppen um mindestens 26 Prozentpunkte. Dass Zugezogene aus dem hochdeutschen Raum ein bestimmtes Wort aufgrund ihrer regionalen Herkunft eher kennenlernen als Zugezogenen aus dem niederdeutschen Raum, ist ein überraschendes Ergebnis. Diese Differenzen könnten darauf hinweisen, dass die areale Verbreitung in Herkunftsorten der Zugezogenen in den beiden Gruppen mithilfe der berücksichtigten Literatur eventuell nicht adäquat eingegrenzt werden konnte. Vielleicht wurden Zugezogene berücksichtigt, in deren Herkunftsregion Lexeme der Kategorie (E) regiolektal verbreitet sind. Im Gegensatz zu den Lexemen in den anderen Kategorien zeichnen sich die Lexeme in Kategorie (D) durch keine ausgeprägten Bekanntheitsgrade oder Differenzen zwischen Bekanntheitsgraden aus, sondern durch Durchschnittswerte: Sowohl die Bekanntheitsgrade unter den Zugezogenen als auch die Differenzen zwischen den Bekanntheitsgraden weichen nur geringfügig von den gemittelten Werten der Gruppen ab. Tabelle 4.4. zeigt die Zuordnung der 23 abgefragten Lexeme zu den Kategorien (A) bis (E). Tab. 4.4. Einordnung der Lexeme in fünf Kategorien (A) bis (E). (A) (B) (C) (D) (E) Pömpel anbucken Pingeljagd döppen schlüren Pinneken plästern schrebbelig schlickern gallern Pläte Schlürschluck i-Dötze Stutenkerl Killefitt Dönekes össelig Pölter Pöter Bütterken dölmern Bömsken schmöttkern Betrachtet man die 23 Lexeme ohne Berücksichtigung dieser Einteilung, beträgt der gemittelte Bekanntheitsgrad für die Einheimischen 89 Prozent (Standardabweichung: 10 Prozent), für die Zugezogenen aus dem nieder- <?page no="189"?> 189 deutschen Raum 46 Prozent (Standardabweichung: 21 Prozent) und für die Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum 35 Prozent (Standardabweichung: 17 Prozent). Berücksichtigt man die Einteilung in die fünf Kategorien, verteilen sich die Bekanntheitsgrade der drei Untersuchungsgruppen wie gezeigt (siehe Tab. 4.5.). Tab. 4.5. Mittlerer Bekanntheitsgrad der kategorisierten Lexeme in den drei Untersuchungsgruppen: einheimische Ostwestfalen (OWL), niederdeutsche Zugezogene (ND) und hochdeutsche Zugezogene (HD). (A) (B) (C) (D) (E) OWL 91% 74% 89% 97% 96% ND 69% 30% 31% 53% 55% HD 55% 26% 18% 38% 35% Obwohl die fünf Lexemgruppen zu klein sind, um aussagekräftige Mittelwerte zu bilden, spiegeln die gemittelten Bekanntheitswerte die Einteilungskriterien deutlich wider: Die gemittelten Bekanntheitswerte der fünf Kategorien weichen unter den Einheimischen relativ gering voneinander ab. Die gemittelten Bekanntheitsgerade der Lexemgruppen (A) und (D) sind in den beiden Zugezogenengruppen dagegen jeweils etwa doppelt so hoch wie für die Lexemgruppen (B) und (C). Abbildung 4.7. veranschaulicht die Verteilung der gemittelten Bekanntheitsgrade in den Lexemgruppen (A) bis (E) in den drei Untersuchungsgruppen. <?page no="190"?> 190 (A) (B) (C) (D) (E) Abb. 4.7. Mittlere Bekanntheitsgrade der Lexeme aus den Kategorien (A) bis (E) unter hochdeutschen (▲) und niederdeutschen (■) Zugezogenen, zum Vergleich: einheimische Ostwestfalen ( ♦ ). Die Kategorieneinteilung ist also grundsätzlich bestätigt. Allerdings sind die Lexemgruppen viel zu klein, um bei einer Korrelation mit anderen Daten von Probandengruppen - wie z.B. Aufenthaltsdauer oder Ergebnissen im Attitüdentest - aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen. Dazu wären größere Lexemgruppen und größere Probandengruppen notwendig. Im Rahmen der folgenden Einzelfallanalysen wird diese Einteilung aber aufgegriffen, um sie in Beziehung zu den anderen abgefragten Daten zu diskutieren. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Mittlere Bekanntheitsgrade <?page no="191"?> 191 5 Einzelfallanalysen Wie bereits oben dargestellt (siehe 2.3.2) sind die beiden Zugezogenengruppen in Bezug auf ihre regionale Herkunft sehr heterogen zusammengesetzt. In vielen der verschiedenen Herkunftsregionen sind die hier untersuchten ostwestfälischen Regionalismen verbreitet. Deswegen wurden bei jeder sprachlichen Analyse ausschließlich diejenigen betrachtet, deren frühere Wohnorte frei von Belegen sind. Das hat zur Folge, dass für einen Großteil der Probanden nicht alle Daten ausgewertet werden konnten. Dementsprechend ist die Datengrundlage für einige Lexeme und phonetischphonologische Variablen schmal. Im Folgenden werden solche Zugezogene genauer betrachtet, deren Daten vollständig berücksichtigt werden konnten, nämlich drei Zugezogene aus dem oberdeutschen Raum. Die zwar unvollständigen, aber bei der Auswertung der phonetisch-phonologischen Variablen auffälligen Daten einer Jenaer Studentin (siehe 3.2.4 und 3.2.7) werden einer Einzelfallanalyse unterzogen. Diese vier Personen werden in den folgenden Teilkapiteln anhand der demographischen und sprecherbiographischen Daten kurz vorgestellt (siehe 5.1.1) und anschließend in Bezug auf Ortsloyalität zu Ostwestfalen (siehe 5.1.2, 5.1.3), Verwendung und Salienz phonetisch-phonologischer Regionalismen (siehe 5.2.1, 5.2.2) und Einordnung der lexikalischen Regionalismen im Wortschatztest (siehe 5.2.3) kontrastiv gegenübergestellt. 5.1 Kontakt und Einstellung zu Ostwestfalen Zunächst wird der regiolektale Hintergrund der Probandinnen skizziert. Anschließend werden die Zustimmungsgrade der vier Probandinnen im Attitüdentest anhand der zugrundeliegenden Parameter miteinander verglichen. Der Kontakt zu Einheimischen in Ostwestfalen wird anhand von Angaben in den Sprecherbiographien und von Attitüden dargestellt. Abschließend werden die Daten der vier Probandinnen miteinander verglichen. 5.1.1 Soziodemographische und sprecherbiographische Daten Die drei Zugezogenen aus dem oberdeutschen Raum stammen aus dem mittelalemannischen Konstanz (Alemannin), aus dem schwäbischen Ludwigsburg (Ludwigsburger Schwäbin) und aus dem ebenfalls schwäbischen Ostalbkreis (Ostälbische Schwäbin). Die vierte Zugezogene stammt aus dem thüringischen Jena (Thüringerin). Die vier Probandinnen werden im Folgenden nach ihrer regionalen Herkunft benannt wie oben angegeben. <?page no="192"?> 192 Die vier Probandinnen waren zum Zeitpunkt der Aufnahme zwischen 22 und 26 Jahren alt und lebten zwischen eineinhalb und vier Jahren in Bielefeld. Sie waren zum Studieren nach Bielefeld gezogen. Die Alemannin, die Ludwigsburger Schwäbin und die Thüringerin lebten in Wohngemeinschaften, zu denen auch Westfalen zählten; die Ostälbische Schwäbin lebte alleine. Alle Probandinnen gaben an, mit ihrer Unterkunft sehr zufrieden zu sein, eine dadurch hervorgerufene Verzerrung der Attitüden zu Ostwestfalen kann also ausgeschlossen werden. Keine der vier Probandinnen wies einen sprecherbiographischen Bezug zum westfälischen oder niederfränkischen Raum auf; keine verfügte über aktive oder passive Niederdeutschkenntnisse. 5.1.1.1 Alemannin Die Alemannin hatte ihre ersten 19 Lebensjahre in Konstanz und vier weitere Jahre in Freiburg verbracht. Ihre Familie mütterlicherseits stammte aus ihrer Heimatstadt Konstanz, der Vater und dessen Eltern stammten aus dem Saarland. Ein sprecherbiographischer Bezug zum niederdeutschen Raum bestand nicht. Die Alemannin war zum Zeitpunkt der Datenerhebung 26 Jahre alt. Seit eineinhalb Jahren lebte sie in Bielefeld, wo sie Linguistik studierte. 5.1.1.2 Ludwigsburger Schwäbin Die Familie der Ludwigsburger Schwäbin lebte schon immer in Ludwigsburg. Die Probandin verließ Ludwigsburg im Alter von 20 Jahren, um in Bielefeld Pädagogik zu studieren. Zum Aufnahmezeitpunkt war sie 24 Jahre alt und lebte seit vier Jahren in Bielefeld. 5.1.1.3 Ostälbische Schwäbin Die Ostälbische Schwäbin kam mit 19 Jahren nach Bielefeld und studierte Biologie und Chemie. Ihre Familie mütterlicherseits stammte aus ihrer Heimatregion. Ihr Vater verließ sein Herkunftsland Kroatien mit 25 Jahren und lebte seitdem im Ostalbkreis. Ihre Großeltern väterlicherseits lebten weiterhin in Kroatien. Wie alle anderen berücksichtigten Probanden wuchs die Ostälbische Schwäbin mit Deutsch als einziger Muttersprache auf. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war sie 22 Jahre alt und lebte seit drei Jahren in Bielefeld. 5.1.1.4 Thüringerin Die Thüringerin verbrachte ihre ersten 18 Lebensjahre im thüringischen Jena und ein weiteres Jahr im thüringischen Erfurt. Ihr Vater stammte aus Schwe- <?page no="193"?> 193 rin, die Mutter aus Thüringen. Die Großeltern väterlicherseits lebten in Schwerin, die Großeltern mütterlicherseits in Thüringen; beide Großelternpaare stammten aus dem Sudetenland. Die Thüringerin studierte zum Zeitpunkt der Aufnahme in Bielefeld Linguistik. Bei der Aufnahme war sie 24 Jahre alt und lebte seit vier Jahren in Bielefeld. 5.1.2 Kontakt zu Ostwestfalen Alle Personen wurden im Rahmen von Sprecherbiographie und Attitüdentest nach Mitbewohnern sowie Freunden und Bekannten in Ostwestfalen und am Herkunftsort befragt. Damit wurden zum einen Selbstauskünfte über das Vorhandensein von Kontakten zu Ostwestfalen erhoben: Es wurde nach Mitbewohnern, festen Beziehungen, Freunden, Bekannten und Vereinszugehörigkeiten gefragt. Zum anderen schätzten die Probanden ihre ostwestfälischen und heimatlichen Kontakte kontrastiv selbst ein: Sie gaben an, ob sie „mehr Freunde innerhalb oder außerhalb Ostwestfalens haben“ und ob sie ihren Freundeskreis in Ostwestfalen als adäquat oder als zu klein empfinden. Außerdem wurden die Probanden um eine Einschätzung darüber gebeten, ob sie „bei einem schwerwiegenden Problem eher Freunde aus der Umgebung von Bielefeld, Osnabrück, Detmold und Paderborn, oder lieber Freunde außerhalb Westfalen ins Vertrauen ziehen“ würden. 5.1.2.1 Alemannin Obwohl die Alemannin zum Zeitpunkt der Aufnahme erst seit eineinhalb Jahren in Bielefeld lebte, teilte sie bereits ihre zweite Wohnung mit einem Sauerländer und einem Hamburger; in der ersten Wohngemeinschaft lebten ein Ostwestfale und ein Berliner. Die Probandin gab an, dass der Großteil ihres Freundeskreises in ihrer Heimatstadt ansässig sei, sie treffe aber regelmäßig Ostwestfalen in ihrer Freizeit. Als einzige der vier Probandinnen war sie Mitglied in einem Verein, und zwar in Ostwestfalen. Die Studentin gab an, im Zweifelsfall lieber Freunde aus ihrem Herkunftsort als die ostwestfälischen Bekannten ins Vertrauen zu ziehen. Ihren ostwestfälischen Freundes- und Bekanntenkreis wollte sie gerne vergrößern. 5.1.2.2 Ludwigsburger Schwäbin Die Ludwigsburger Schwäbin teilte eine Wohngemeinschaft mit drei Personen, die aus dem westfälischen Sauerland, dem Ruhrgebiet und dem ostfälischen Hannover nach Bielefeld gezogen waren. Sie gab an, Freundschaften zu Ostwestfalen, Hamburgern und Ostfalen in Bielefeld geschlossen zu haben. Diese Freunde schätzte sie als vertrauenswürdig ein. Auch sie wollte ihren Freundeskreis in Ostwestfalen gerne ausbauen. <?page no="194"?> 194 5.1.2.3 Ostälbische Schwäbin Die Ostälbische Schwäbin lebte alleine in Bielefeld. Sie sah den Großteil ihres Freundeskreises in Ostwestfalen, dabei handelte es sich um Einheimische und um Zugezogene aus dem niederdeutschen Raum. Diese Freunde stufte sie als vertrauenswürdig ein, gab aber an, dass es eher keine gemeinsame Freizeitgestaltung gibt. Wie die beiden vorgenannten Probandinnen wollte sie ihren Freundeskreis in Ostwestfalen gerne vergrößern. 5.1.2.4 Thüringerin Obwohl die Thüringerin schon seit vier Jahren in Bielefeld lebte, teilte sie erst seit wenigen Monaten eine Wohnung mit einem ostwestfälischen und einem nordniederdeutschen Zugezogenen. Ihr Freundeskreis setzte sich hauptsächlich aus einheimischen Ostwestfalen sowie aus Zugezogenen aus dem Ruhrgebiet und aus verschiedenen hochdeutschen Regionen zusammen. Sie traf ihre Freunde regelmäßig in ihrer Freizeit und schätzte sie als vertrauenswürdig ein. Mehr Freunde in Ostwestfalen wünschte sie sich im Gegensatz zu den drei anderen Probandinnen nicht. 5.1.3 Ortsloyalität und Spracheinstellung Zur Spracheinstellung wurden skalierte Statements durch Zustimmung auf einer Sieben-Punkt-Skala bewertet. Wie oben bereits dargelegt (siehe 2.7.2) wurden mithilfe von positiv und negativ formulierten Likert-Items insgesamt fünf verschiedene Parameter von Spracheinstellungen abgefragt, nämlich Sympathie zu den Einheimischen (zwei Statements), Zugehörigkeitsgefühl zur Region Ostwestfalen (zwei Statements), Gefallen an der Region (zwei Statements), Einstellung zu regiolektalen Besonderheiten (zwei Statements), Bereitschaft zur regiolektalen Angleichung (zwei Statements). Zur Ortsloyalität wurden drei einzelne Statements vorgegeben, die direkt nach Einstellung zur Region Ostwestfalen, zur Unterkunft in Ostwestfalen und zum längerfristigen Aufenthalt nach Studienende fragten; auch diese wurden auf einer Sieben-Punkt-Skala bewertet. 5.1.3.1 Alemannin Die Zustimmungswerte, die die Alemannin in die Skalen eingetragen hatte, lagen überwiegend im niedrigen bis mittleren Bereich: Zugehörigkeitsgefühl und Gefallen an der Region fanden bei der Probandin Zustimmungsgrade von 50 und 57 Prozent, die Einstellung zum hiesigen Regiolekt fiel etwas positiver aus. Einem längeren Aufenthalt in Ostwestfalen nach Studienende stand die Alemannin ablehnend gegenüber. <?page no="195"?> 195 5.1.3.2 Ludwigsburger Schwäbin Ein Zugehörigkeitsgefühl zu Ostwestfalen sowie Sympathie zu den Einheimischen äußerte die Ludwigsburger Schwäbin zunächst deutlich: Die Zustimmungswerte zu den entsprechenden vier Statements erreichten einen Zustimmungsgrad von 86 Prozent. Diese positive Einschätzung setzte sich allerdings nicht fort: Der Frage „Gefällt Dir die Region? “ stimmte die Ludwigsburger Schwäbin mit nur drei von sieben Punkten zu. Ein Aufenthalt in Ostwestfalen nach Studienende fand bei ihr genauso wenig Zustimmung wie bei der Alemannin. 5.1.3.3 Ostälbische Schwäbin Im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Probandinnen äußerte sich die Ostälbische Schwäbin auffallend positiv in Bezug auf fast alle Parameter zu Ostwestfalen: Das Zugehörigkeitsgefühl und die Sympathie zu den Einheimischen war mit einem Zustimmungsgrad von 89 Prozent ausgesprochen hoch. Auch Region und Regiolekt in Ostwestfalen schätzte die Probandin positiv ein. Nur ihre Zustimmung zu einem möglichen Aufenthalt in Ostwestfalen nach Studienende fiel mit einem Zustimmungsgrad von 29 Prozent verhalten aus. 5.1.3.4 Thüringerin Vergleichbar mit der Ostälbischen Schwäbin äußerte sich die Thüringerin recht positiv zu Ostwestfalen: Zugehörigkeit zur Region und Sympathie zu den Einheimischen bewertete die Thüringerin mit 89 Prozent am höchsten unter den vier Probandinnen. Region und Regiolekt in Ostwestfalen schätzte die Thüringerin genauso positiv ein wie die Ostälbische Schwäbin. Einem längeren Aufenthalt in Ostwestfalen nach dem Studium stand die Thüringerin deutlich positiver gegenüber als ihre drei Kommilitoninnen. 5.1.4 Zusammenfassung Die Ludwigsburger Schwäbin und die Thüringerin lebten zum Zeitpunkt der Aufnahme seit vier Jahren und somit bereits länger als die anderen beiden befragten Kommilitoninnen in Ostwestfalen. Die Alemannin lebte seit eineinhalb Jahren und damit von den vier Probandinnen am kürzesten in Ostwestfalen; sie war mit 26 Jahren die Älteste unter den vier Probandinnen. Die Alemannin, die Ludwigsburger Schwäbin und die Thüringerin lebten in Wohngemeinschaften, zu denen auch Westfalen zählten; die Thüringerin lebte dort allerdings erst seit wenigen Monaten. Die Thüringerin hatte von den vier Probandinnen als einzige einen sprecherbiographischen Bezug zum niederdeutschen Raum, nämlich zu Schwerin: Ihr Vater stammte aus Schwe- <?page no="196"?> 196 rin, ihre sudetendendeutschen Großeltern wohnten zum Zeitpunkt der Aufnahme dort. Alle vier Probandinnen unterhielten Kontakte zu Einheimischen: Die Alemannin, die Ludwigsburger Schwäbin und die Thüringerin trafen einheimische Freunde und Bekannte regelmäßig in ihrer Freizeit. Die beiden Schwäbinnen sowie die Thüringerin verorteten ihren Freundeskreis in Ostwestfalen. Sie gaben an, sich auch in vertraulichen Fragen an diesen ostwestfälischen Freundeskreis zu wenden. Die Schwäbinnen wollten ihren Freundeskreis in Ostwestfalen gerne ausbauen, die Thüringerin war mit ihrem bestehenden Freundeskreis vollkommen zufrieden. Im Vergleich zu den anderen drei Probandinnen lebte die Alemannin mit Abstand am kürzesten in Ostwestfalen. Die Alemannin verortete den Großteil ihres Freundeskreises in ihrer Heimatregion, im Zweifelsfall würde sie auch eher diesen ins Vertrauen ziehen als ihre Bekannten in Ostwestfalen, gab sie an. Ihren Freundeskreis in Ostwestfalen wollte die Alemannin ausbauen. Im Vergleich zu ihren drei Kommilitoninnen signalisierte sie die niedrigsten Zustimmungswerte zu den vorgegebenen Attitüden. Die Ostälbische Schwäbin - mit 22 Jahren die jüngste unter den vier Probandinnen - zeichnete sich durch besonders hohe Zustimmungswerte zur Region aus. Die zweithöchsten Zustimmungswerte äußerte die Thüringerin, etwas weniger Zustimmung signalisierte die Ludwigsburger Schwäbin. 5.2 Bezug zum ostwestfälischen Regiolekt Anhand von unterschiedlichen Test wurde überprüft, ob den Personen phonetisch-phonologische ostwestfälische Regionalismen auffielen und inwiefern sie von ihnen verwendet wurden. Der Auswertung von vorgelesenen Texten und spontan erzählten Bildergeschichten wurden dazu jeweils neun verschiedene Variablen zugrunde gelegt (siehe 2.4 und 3). Ostwestfälische Regionalismen zu acht dieser Variablen wurden den Probanden als Salienzsätze vorgespielt und dadurch auf ihre Auffälligkeit getestet. Außerdem wurde mithilfe von Likert-Items nach der generellen Auffälligkeit des Regiolekts in Ostwestfalen gefragt. Im Rahmen eines Wortschatztests wurden 23 regiolektal verbreitete Lexeme semasiologisch und onomasiologisch als Multiple-Choice-Test abgefragt und aufgrund der Auswertung nach Bekanntheitsgraden gruppiert (siehe 2.5 und 4). Da in den Herkunftsorten der vier Probandinnen keines der Lexeme autochthon verbreitet ist, konnten bei der Auswertung in jedem Fall alle Lexeme berücksichtig werden. Die Thüringerin wurde in Bezug auf vier der neun phonetisch-phonologischen Variablen von der Auswertung ausgeschlossen, weil diese ostwestfälischen Regionalismen auch im mitteldeut- <?page no="197"?> 197 schen Thüringen verbreitet sind. Die Daten von den drei oberdeutschen Probandinnen konnten dagegen komplett berücksichtigt werden. 5.2.1 Salienz von Regionalismen Es wurden die subjektiven Auffälligkeit des Regiolekts in Ostwestfalen und die subjektiven Auffälligkeit des eigenen Idiolekts untersucht. Die Abfrage erfolgte mithilfe von Likert-Items; es wurde eine Sieben-Punkt-Skala verwendet. Die beiden Statements zum Regiolekt in Ostwestfalen sind einmal positiv und einmal negativ formuliert. Die angekreuzten Antworten zu den Statements fielen erwartungsgemäß gegenläufig aus: Bei allen vier Probandinnen differierten die Zustimmungswerte nur um einen Skalenpunkt. Zur Auswertung wurden die Zustimmungswerte zur Auffälligkeit des Regiolekts in Ostwestfalen und die Zustimmungswerte zur Auffälligkeit des eigenen Idiolekts (fünf Statements) jeweils gemittelt. Anschließend wurde jeweils der Quotient dieses Mittelwerts und des höchstmöglichen Zustimmungswertes gebildet. Diese Quotienten werden im Folgenden als Salienzgrade bezeichnet. Im Folgenden werden die Salienzgrade des Idiolekts und des ostwestfälischen Regiolekts miteinander verglichen. Außerdem wird der Salienzgrad des ostwestfälischen Regiolekts den Ergebnissen des Salienztests gegenübergestellt: Im Salienztest wurden elf ostwestfälische Regionalismen vorgespielt, die sich den phonetisch-phonologischen Variablen (1), (2), (4), (5), (6), (7), (8) und (9) zuordnen lassen (siehe Tab. 3.9.). Zu den Variablen (2) und (7) wurde die Variante in Standardlautung, für Variable (9) die im oberdeutschen Raum gebräuchliche Variante vorgespielt (siehe Tab. 3.10.). 5.2.1.1 Alemannin Die Alemannin stufte die Auffälligkeit des Regiolekts in Ostwestfalen mit einem Salienzgrad von 36 Prozent als schwach ein, die Auffälligkeit ihres Idiolekts bewertete sie dagegen mit 83 Prozent. Obwohl sie die ostwestfälischen Regionalismen als relativ unauffällig wahrnahm, fielen sie ihr beim Salienztest in hohem Maße auf: Die regiolektal bedingten, in Ostwestfalen vorkommenden Abweichungen erkannte sie in 81 Prozent der Fälle; das entspricht dem zweithöchsten Wert unter allen zugezogenen Probanden aus dem hochdeutschen Raum. Die beiden standardlautenden und die oberdeutsche Entsprechungen zu drei der acht regiolektalen Varianten bewertete sie dagegen in jedem Fall als unauffällig. 5.2.1.2 Ludwigsburger Schwäbin Wie ihre mittelalemannische Kommilitonin stufte die Ludwigsburger Schwäbin ihren eigenen Idiolekt mit einem Salienzgrad von 86 Prozent als <?page no="198"?> 198 auffällig ein. Den Regiolekt in Ostwestfalen bewertete sie mit 50 Prozent als wenig auffällig. Die Bewertung entsprach ihrem Verhalten im Salienztest: Hier gab sie die ostwestfälischen Varianten in 56 Prozent der Fälle als salient an. Die standardlautenden Varianten fielen ihr nicht auf, die oberdeutsche Variante dagegen schon. 5.2.1.3 Ostälbische Schwäbin Im Gegensatz zu den anderen beiden oberdeutschen Kommilitoninnen stufte die Ostälbische Schwäbin den Regiolekt in Ostwestfalen mit einem Salienzgrad von 79 Prozent als hoch ein. Zudem sah sie ihren eigenen Idiolekt als vergleichbar auffällig an: Die Salienzgrade differierten um nur sieben Prozentpunkte. Trotz der als hoch eingestuften Salienz des ostwestfälischen Regiolekts erkannte die Ostälbische Schwäbin die entsprechenden Abweichungen im Salienztest nur in 63 Prozent der Fälle. Auch die oberdeutsche Variante fiel ihr auf, die standardlautenden Varianten bewertete sie als unauffällig. 5.2.1.4 Thüringerin Die Thüringerin ordnete den Regiolekt in Ostwestfalen mit einem Salienzgrad von 79 Prozent als ebenso auffällig ein wie die Ostälbische Schwäbin. Trotzdem erkannte die Thüringerin die ostwestfälischen Regionalismen nur in 63 Prozent der Fälle. Ihren eigenen Idiolekt bewertete sie mit einem Salienzgrad von 60 Prozent als weniger auffällig als den Regiolekt in Ostwestfalen. Im Salienztest bewertete sie sämtliche standardsprachlichen Varianten sowie die oberdeutsche Variante als auffällig. 5.2.2 Salienz und aktive Verwendung ostwestfälischer Regionalismen Wie bereits festgestellt wurde, verwendeten die Zugezogenen so gut wie keine ostwestfälischen phonetisch-phonologischen Varianten beim Vorlesen des vorgegebenen Textes und beim Erzählen der Bildergeschichte (siehe 3.3). Auch die vier Probandinnen realisierten relativ wenige der in Ostwestfalen verbreiteten Regionalismen - mit Ausnahme der Thüringerin, die ja gerade deswegen für die Einzelfallanalyse ausgewählt wurde (siehe 3.2.4 und 3.2.7). Beim Salienztest fielen allen vier Probandinnen jeweils die Variablen (1), (2), (4) und (5) auf, in Bezug auf die Variablen (6), (7), (8) und (9) unterschied sich ihr Antwortverhalten dagegen. Zunächst werden die Werte der drei oberdeutschen Probandinnen verglichen, anschließend wird gesondert auf die Thüringerin eingegangen. <?page no="199"?> 199 5.2.2.1 Die drei oberdeutschen Probandinnen Die Alemannin verwendete die regiolektalen Varianten beim Vorlesen und Erzählen im Vergleich zu den 31 anderen Zugezogenen aus dem hochdeutschen Raum durchschnittlich oder seltener. Nur wenige Varianten regiolektaler Variablen verwendete sie deutlich häufiger: Ostwestfälische Varianten der Variable (8) realisierte sie beim Erzählen dreimal so häufig (75 Prozent) wie der Durchschnitt (25 Prozent) und beim Lesen etwas häufiger (57 Prozent) im Vergleich zum Durchschnitt (39 Prozent). Regiolektale Varianten von Variable (3) verwendete sie relativ häufig beim Lesen; in ihrer Bildergeschichte kamen diese nicht vor. Im Salienztest fielen der Alemannin die regiolektalen Varianten [e: ]nlich (7) und die auch in der Standardvarietät anerkannte Variante eindeuti[ç] (9) auf; beide Varianten realisierte sie beim Lesen und Erzählen nicht. Auch die Ludwigsburger Schwäbin realisierte die ostwestfälischen Regionalismen mit durchschnittlicher und weniger als durchschnittlicher Häufigkeit; nur die in Ostwestfalen verbreitete Varianten der Variable (7) und (9) verwendete sie beim Vorlesen und Erzählen etwas häufiger. Die Varianten der Variablen (7) und (9) - [e: ]nlich (7) und eindeuti[ç] - fielen ihr beim Salienztest nicht auf. Wie die Ludwigsburger Schwäbin verwendete auch die Ostälbische Schwäbin ausschließlich ostwestfälische Varianten der Variablen (7) und (9) überdurchschnittlich häufig; Varianten der Variable (7) allerdings nur beim Erzählen und nicht beim Vorlesen. Die Ostälbische Schwäbin realisierte die regiolektalen Varianten von Variable (3) beim Lesen recht häufig - genau wie die Alemannin. Beim Erzählen realisierte die Ostälbische Schwäbin die Variable nicht. Beim Salienztest fielen ihr die regionalsprachlichen Merkmale nicht auf, die sie selbst verwendete. 5.2.2.2 Thüringerin Weil die Variablen (1), (2), (3) und (9) in der ostmitteldeutschen Herkunftsregion der Thüringerin verbreitet sind, bleibt die Auswertung dieser Variablen hier unberücksichtigt. Von den fünf verbleibenden Variablen verwendete die Thüringerin die ostwestfälischen Varianten von vier Variablen: Sie realisierte Varianten (4), (5), (7) und (8) beim Lesen und (4) zusätzlich auch beim Erzählen sehr häufig. Den Nasal / ŋ/ (4) realisierte sie in einem von drei Fällen beim Vorlesen und in dem einen, in ihrer Bildergeschichte vorkommenden Fall, beim Erzählen mit Plosiv als [ŋk]. Das überrascht insofern, als die regiolektalen Allophone [ŋk] und [ŋ ʔ ] des Phonems / ŋ/ selbst von den Einheimischen nur selten verwendet wurden, nämlich beim Erzählen in 10 Prozent und beim Vorlesen in 5 Prozent der Fälle. Da diese regiolektale Ausprägung im gesamten niederdeutschen Raum verbreitet ist (siehe 2.4.3), hatte die Thüringerin diese Ausprägung vermutlich eher von ihrem in <?page no="200"?> 200 Schwerin aufgewachsenen Vater oder vielleicht auch von ihren in Schwerin wohnenden, aus dem Sudentenland stammenden Großeltern kennengelernt als durch den vierjährigen Aufenthalt in Ostwestfalen. Im Gegensatz zu den anderen drei Probandinnen fielen der Thüringerin beim Salienztest Varianten auf, die sie selbst verwendete, nämlich F[a: ]be (5) und W[o: a]t (6). Zudem gab sie alle abgefragten Merkmale an, die nicht in Ostwestfalen verbreitet sind, nämlich die der Aussprachenorm entsprechenden Varianten unge[pf]le[k]t und erz[ ɛ : ]lt sowie die im oberdeutschen Raum verbreitete Auslautverhärtung in lusti[k]. 5.2.3 Einordnung der lexikalischen Regionalismen im Wortschatztest Allen Probanden lagen insgesamt 23 Lexeme als Multiple-Choice-Test vor, die in Ostwestfalen regiolektal verbreitet sind; nach zehn Lexemen wurde semasiologisch, nach 13 onomasiologisch gefragt (siehe 4). Zugezogene, in deren Heimatregion eines der 23 Lexeme nach Literaturrecherche als regiolektal oder dialektal bekannt eingestuft wurde, wurden von der Auswertung ausgeschlossen. Die vier Probandinnen wurden bei der Auswertung aller Lexeme berücksichtigt. Von den vier Probandinnen ordnete die Ludwigsburger Schwäbin mit sieben die wenigsten Lexeme zutreffend ein und die Ostälbische Schwäbin mit 15 die meisten. Die Thüringerin und die Alemannin ordneten je zwölf Lexeme richtig zu. Die zutreffende Einordnung der Lexeme durch alle Zugezogenen aus dem hoch- und niederdeutschen Raum entspricht 40 Prozent der Wörter bei einer Standardabweichung von 20 Prozent. Die Werte der Thüringerin und der Alemannin fielen etwas, der Wert der Ostälbischen Schwäbin deutlich höher aus. Die Ludwigsburger Schwäbin ordnete etwas weniger Lexeme zutreffend ein als die anderen Zugezogenen im Mittel. Da davon auszugehen ist, dass die abgefragten Lexeme unterschiedlich schnell von Zugezogenen übernommen werden, wurden die Lexeme nach ihrem Bekanntheitsgrad unter Einheimischen und Zugezogenen in fünf Kategorien eingeteilt: (A) umfasst Lexeme mit relativ hohen Bekanntheitsgraden unter Einheimischen und Zugezogenen, zu (B) zählen Lexeme, die einem beachtlichen Teil der Einheimischen unbekannt sind, (C) führt Lexeme mit relativ hohen Bekanntheitsgraden unter Einheimischen und relativ niedrigen Bekanntheitsgraden unter Zugezogenen auf, unter (D) fallen alle Lexeme, die sich durch keine auffälligen Bekanntheitsgrade auszeichnen und (E) subsumiert drei Lexeme, bei denen sich aus ungeklärten Gründen die beiden Zugezogenengruppen in ihrem Antwortverhalten stark unterscheiden. Tabelle 5.1. gibt einen Überblick über die Zuordnung der 23 Lexeme durch die Probandinnen aufgeschlüsselt nach den Kategorien (A) bis (E). <?page no="201"?> 201 Tab. 5.1. Zuordnung der Lexeme durch die vier Probandinnen. 4 Zuordnungen 3 Zuordnungen 2 Zuordnungen 1 Zuordnung 0 Zuordnungen Bömsken (A) Bütterken Pläte Pinneken Pömpel Stutenkerl schlickern Pöter döppen (A) (A) (A) (A) (D) (D) (D) (D) Dönekes össelig plästern schmöttkern Pölter i-Dötze schlüren Killefitt (A) (B) (B) (C) (C) (C) (E) (E) gallern (E) Schlürschluck (an-) bucken dölmern Pingeljagd schrebbelig (B) (B) (C) (C) (C) Die Lexeme aus den Kategorien (A) und (D) waren den Probandinnen erwartungsgemäß bekannt: Drei bzw. vier Probandinnen ordneten diese Lexeme der richtigen Antwort zu, nur Dönekes (A) wurde nur von zwei Probandinnen entsprechend eingeordnet. Von den unter Zugezogenen weniger bekannten Lexemen der Kategorien (B) und (C) wurde die Hälfte von zwei Probandinnen, die andere Hälfte von keiner richtig eingeordnet. Von den drei Lexemen, deren richtige Zuordnung durch beide Zugezogenengruppen sich stark unterschied - Kategorie (E) - wurden zwei Lexeme von zwei Probandinnen und das dritte Lexem von einer Probandin zutreffend eingeordnet. Inwiefern sich die vier Probandinnen im Einzelnen in ihrer Zuordnung unterscheiden, wird im Folgenden detailliert dargestellt. 5.2.3.1 Alemannin Die Alemannin ordnete zwölf der 23 Wörter den zutreffenden Multiple- Choice-Lösungen zu. Die Hälfte dieser Wörter entfallen auf Kategorie (A); damit ordnete die Alemannin als einzige der vier Probandinnen alle Lexeme in dieser Kategorie richtig ein. Drei Lexeme zählen zu den Wörtern mit durchschnittlichen Bekanntheitsgraden unter Zugezogenen und Einheimischen, nämlich Kategorie (D). Die Wörter in den Kategorien (A) und (D) weisen unter den Zugezogenen durchschnittliche bis hohe Bekanntheitsgrade auf. Die Lexeme in den Kategorien (B) und (C) dagegen sind den Zugezogenen eher unbekannt (siehe 4.3). Aus den Kategorien (B) und (C) ordnete die Alemannin je ein Wort richtig zu, nämlich plästern (B) und Pölter (C). Zudem ordnete sie schlüren als einziges Lexem aus Kategorie (E) zutreffend ein. <?page no="202"?> 202 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Alemannin sehr viele Lexeme richtig einordnete, die Zugezogene vermutlich rasch übernehmen (siehe 4.3). Lexeme, für die ein längerer und engerer Kontakt zu Einheimischen eine Voraussetzung zu sein scheint, lernte sie nur zu einem kleinen Teil kennen. Da sie zum Zeitpunkt der Untersuchung erst seit eineinhalb Jahren in Ostwestfalen lebte, ist es nicht verwunderlich, dass sie nur zwei Wörter der Kategorien (B) und (C) richtig zuordnete. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass sie - als einzige der vier Probandinnen - ihren Freundeskreis in ihrem Herkunftsort, und nicht in Ostwestfalen verortete: Zum Zeitpunkt der Aufnahme gab sie zwar regelmäßige Freizeitkontakte zu Ostwestfalen an und teilte mit einem ostwestfälischen Mitbewohner eine Wohnung. Vielleicht verbrachte sie aber weniger Zeit mit Ostwestfalen als die Probandinnen, die nicht nur regelmäßige Kontakte, sondern auch Freundschaften zu Ostwestfalen pflegen. Angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und der skizzierten Kontakte ist es durchaus bemerkenswert, dass die Alemannin viele Lexeme aus den Kategorien (A) und (D) zutreffend einordnen konnte. Die gemittelte zutreffende Einordnung unter allen Zugezogenen liegt nur bei 40 Prozent, die gemittelte Aufenthaltsdauer bei drei Jahren und eineinhalb Monaten. Im Vergleich dazu ordnete die Alemannin nach einer halb so langen Aufenthaltsdauer 52 Prozent der Lexeme richtig zu. 5.2.3.2 Ludwigsburger Schwäbin Die Ludwigsburger Schwäbin ordnete insgesamt sieben Lexeme der zutreffenden Antwortmöglichkeit zu. Sowohl im Vergleich mit den drei anderen Probandinnen als auch mit der durchschnittlichen Zuordnung durch alle Zugezogenen fällt dieser Anteil gering aus. Drei der sieben Lexeme sind Kategorie (A), drei weitere Kategorie (D) zuzuordnen. Zudem ordnete sie Killefitt - Kategorie D - semasiologisch richtig ein. Die Ludwigsburger Schwäbin lernte demnach ausschließlich solche Wörter kennen, die sich durch hohe Bekanntheitsgrade unter den Zugezogenen auszeichnen. Lexeme aus den Kategorien (C) und (B) konnte sie nicht einordnen. Das mag insofern überraschen, da die Probandin zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits seit vier Jahren in Ostwestfalen lebte; die gemittelte Aufenthaltsdauer der Zugezogenen in Ostwestfalen liegt im Vergleich dazu nur bei drei Jahren und eineinhalb Monaten. Die Ludwigsburger Schwäbin gab bei der Datenerhebung regelmäßigem intensiven Kontakt zu Ostwestfalen an: Sie traf regelmäßig Ostwestfalen, teilte mit einem Ostwestfalen eine Wohngemeinschaft und unterhielt als vertrauenswürdig eingeschätzte Freundschaften zu Ostwestfalen. Dass sie so wenige Regionalismen kennenlernte, ist vor diesem Hintergrund nicht zu erklären. <?page no="203"?> 203 5.2.3.3 Ostälbische Schwäbin Die Ostälbische Schwäbin ordnete 15 Lexeme richtig ein. Diese Anzahl entspricht einem Anteil, der mehr als eineinhalbmal so groß ist wie der Mittelwert über alle Zugezogenen. Die Lexeme, die unter Zugezogenen hohe Bekanntheitsgrade aufweisen, kannte die Ostälbische Schwäbin zum großen Teil: Von den Lexemen aus den Kategorien (A) und (D) konnte sie nur jeweils ein Lexem pro Kategorie nicht zuordnen, nämlich die beiden onomasiologisch abgefragten Bezeichnungen Stutenkerl und Pömpel. Gerade die nicht zutreffende Einordnung von Pömpel ist überraschend, handelt es sich dabei doch um das Lexem mit dem höchsten Bekanntheitsgrad unter allen befragten Zugezogenen. Die Ostälbische Schwäbin ordnete damit nur ungefähr so viele der unter den Probanden gut bekannten Lexeme der Kategorien (A) und (D) richtig zu wie die Alemannin und die Thüringerin. Besonders bemerkenswert ist aber das Ergebnis ihrer Einordnung der Lexeme aus Kategorien, die sich durch geringe Bekanntheitsgrade bei Zugezogenen auszeichnen: In beiden Kategorien ordnete die Ostälbische Schwäbin jedes zweite Lexem richtig ein. Die befragten Probanden aus dem hochdeutschen Raum ordneten im Mittel nicht einmal halb so viele Lexeme der Kategorien (B) und (C) richtig ein. In Kategorie (C) wurden sechs Lexeme mit stark differierenden Bekanntheitsgraden zwischen Einheimischen und Zugezogenen abgefragt; von diesen Lexemen ordnete die Ostälbische Schwäbin schmöttkern, Pölter und i- Dötze zutreffend ein. Bei schmöttkern und i-Dötze handelt es sich um Lexeme, die keinen nennenswerten Bezug zur Altersgruppe der Studierenden aufweisen. Die vier Lexeme in Kategorie (B) weisen unter Einheimischen einen Bekanntheitsgrad von weniger als 80 Prozent auf, von diesen ordnete die Ostälbische Schwäbin össelig und plästern richtig zu. Össelig (B) und Pölter (C) sind negativ konnotierte Begriffe (siehe 4.2.3). Mit plästern (B) und gallern (E) ordnete die Ostälbische Schwäbin sogar zwei regiolektale Synonyme für ‚stark regnen’ richtig ein. Im Vergleich zu den anderen drei Probandinnen ordnete die Ostälbische Schwäbin gallern als einzige richtig zu; insgesamt ordnete sie zwei von drei Lexeme der Kategorie (E) richtig ein. Es fällt also auf, dass die Ostälbische Schwäbin sehr viele der Lexeme mit geringen Bekanntheitsgraden unter Zugezogenen richtig einordnete. Da sie zum Zeitpunkt der Aufnahme alleine in Bielefeld wohnte und angab, keine regelmäßigen Freizeitkontakte zu Ostwestfalen zu pflegen, scheint sie diese Lexeme wahrscheinlich nicht durch häufigen Kontakt zu Ostwestfalen kennengelernt zu haben. Bei einer Aufenthaltsdauer von drei Jahren in Ostwestfalen kann das bloße Verbringen von Zeit mit Ostwestfalen also nicht den hohen Anteil der Lexeme erklären, die die Ostälbische Schwäbin kannte. Stattdessen fällt auf, dass sich die Ostälbische Schwäbin nach eigenen Angaben sehr gut in Ostwestfalen integriert fühlte: Sie gab an, sie habe sich gut in <?page no="204"?> 204 Ostwestfalen eingelebt, möge die Region und die Menschen dort, und sie verortete dort den Großteil ihrer vertrauenswürdigen Freunde. Der hohe Prozentsatz der ihr bekannten Lexeme spricht dafür, dass sich die Ostälbische Schwäbin in relativ kurzer Zeit nicht nur auf Land und Leute, sondern auch auf deren Wortschatz eingelassen hat. 5.2.3.4 Thüringerin Die Thüringerin ordnete zwölf Lexeme zutreffend ein. Die Anzahl ist genauso hoch wie bei der Alemannin, allerdings unterscheidet sich die Zusammensetzung leicht: Die Thüringerin ordnete vier Lexeme aus Kategorie (A) und drei Lexeme aus Kategorie (B) adäquat ein; das sind sieben von neun Lexemen mit hohen Bekanntheitsgraden unter den Zugezogenen. Von den Lexemen mit niedrigen Bekanntheitsgraden ordnete sie drei zutreffend ein, nämlich össelig (B) sowie schmöttkern und i-Dötze (C). Aus Kategorie (E) wies sie Killefitt und schlüren der richtigen Bedeutung zu. Die Thüringerin ordnete also vor allem solche Lexeme richtig ein, die hohe Bekanntheitsgrade unter allen befragten Zugezogenen aufweisen. Insofern ist ihr Ergebnis bei der Multiple-Choice-Zuordnung mit dem Ergebnis der Alemannin vergleichbar. Allerdings lebte die Thüringerin zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits mehr als doppelt so lange in Bielefeld wie die Alemannin. 5.2.4 Einzelfallanalysen: Zusammenfassung Ein Zusammenhang zwischen der generellen Einschätzung des ostwestfälischen Regiolekts und seiner tatsächlichen Einordnung im Salienztest wird beim Vergleich der vier Probandinnen nicht deutlich: Die beiden Schwäbinnen und die Thüringerin erzielten beim Salienztest zwar ähnliche Ergebnisse im mittleren Bereich. Die Ostälbische Schwäbin und die Thüringerin stuften den Regiolekt allerdings als generell auffällig, und die Ludwigsburger Schwäbin stufte diesen als unauffällig ein. Auch die Alemannin ordnete den ostwestfälischen Regiolekt als unauffällig ein; im Gegensatz zu den anderen drei Probandinnen fielen ihr aber beim Salienztest die meisten Regionalismen auf. Aktiv verwendete die Thüringerin als einzige der vier Probandinnen eine Reihe der in Ostwestfalen vorkommenden phonetisch-phonologischen Regionalismen. Da sie auch solche Varianten realisierte, die die Einheimischen in der Untersuchung nur sehr selten verwendeten, ist nicht davon auszugehen, dass die Thüringerin diese von Einheimischen übernommen hat. Stattdessen übernahm sie solche Varianten vermutlich eher von ihrem Vater, der im niederdeutschen Schwerin aufgewachsen ist, oder auch von ihren sudetendeutschen Großeltern, die zum Zeitpunkt der Aufnahme in Schwerin wohnten. <?page no="205"?> 205 Beim Wortschatztest ordneten die Alemannin und die Thüringerin relativ viele Lexeme onomasiologisch und semasiologisch richtig ein. Da die Alemannin zum Zeitpunkt der Untersuchung erst eineinhalb Jahre und damit nicht halb so lange wie die Thüringerin in Ostwestfalen lebte, ist ihr Ergebnis als stärkere Angleichung an die Einheimischen einzuordnen als das Ergebnis der Thüringerin. Die Alemannin verortete ihren Freundeskreis im Gegensatz zu den anderen Probanden nicht in Ostwestfalen, sondern an ihrem Heimatort. Auch ihre Aussagen im Attitüdentest weisen darauf hin, dass sie sich in Ostwestfalen zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht integriert fühlte, obwohl sie rege Kontakte zu Ostwestfalen angab. Laut Attitüdentest hegte die Thüringerin wesentlich mehr Sympathien für Land und Leute als die Alemannin. Zudem traf sie nach eigenen Angaben regelmäßig Ostwestfalen und verortete hier auch ihren Freundeskreis, den sie im Unterschied zu den anderen drei Probandinnen nicht erweitern wollte. Zwischen Attitüden und hohem Anteil richtig zugeordneter Lexeme ergibt sich in diesem Vergleich der Alemannin und die Thüringerin also kein eindeutiger Zusammenhang. Auch die Ostälbische Schwäbin hegte nach ihren Angaben im Attitüdentest sehr starke Sympathien für Ostwestfalen. Als einzige der vier Probandinnen gab sie an, keine regelmäßigen Freizeitkontakte zu Ostwestfalen zu unterhalten; auch westfälische Mitbewohner hatte sie im Gegensatz zu den anderen drei Probandinnen keine. Mit intensivem Kontakt zu Ostwestfalen ist ihr hohe Anteil richtig eingeordneter Lexeme also nicht zu erklären, vielleicht aber mit den ausgesprochen positiven Attitüden. Zieht man kontrastiv die Aussagen und Testergebnisse der Ludwigsburger Schwäbin hinzu, zeigt sich ebenfalls ähnlicher Zusammenhang von Attitüden und richtig eingeordneten Lexemen: Die Ludwigsburger Schwäbin signalisierte im Attitüdentest nur eine mittlere Zustimmung zu Ostwestfalen und ordnete einen ausgesprochen niedrigen Anteil der Lexeme richtig ein. Für einen hohen Anteil richtig zugeordneter Lexeme können also positive Attitüden auschlaggebender sein als regelmäßiger Kontakt. <?page no="207"?> 207 6 Schluss 6.1 Zusammenfassung In der vorliegenden Studie wurden Konvergenzprozesse rückwirkend erschlossen: Mithilfe von mehrstufigen Tests wurde geprüft, inwiefern zugezogene Studierende in Bielefeld solche in Ostwestfalen verbreitete Regionalismen wahrnehmen, kennen und verwenden, die in ihrer Heimatregion nicht autochthon verbreitet sind. Insgesamt nahmen 145 einheimische und zugezogene Studierende an der Untersuchung teil. Der Vergleich der Testergebnisse von Zugezogenen und Einheimischen ergab Übernahmetendenzen unter den Zugezogenen. Eine Übernahme ostwestfälischer phonetisch-phonologischer Regionalismen wurde anhand von neun phonetisch-phonologischen Variablen getestet: Anhand der Sprachaufnahmen eines vorgelesenen Textes und einer spontan erzählten Bildergeschichte wurde geprüft, inwiefern die Probanden ostwestfälische und nicht-ostwestfälische Regionalismen realisierten. Anschließend wurden acht der Variablen in einem Salienztest abgefragt. Die Auswahl der phonetisch-phonologischen Regionalismen beruht auf einer umfangreichen Variablen-Liste, die im Rahmen des Forschungsprojekts Hamburgisch - Sprachkontakt und Sprachvariation im städtischen Raum publiziert ist (Schröder/ Ruge/ Bieberstedt 2011). Die areale Reichweite der phonetisch-phonologischen Regionalismen wurde literaturbasiert festgestellt (König 1989, Mihm 2000, Lauf 1996, AdA 2003ff.). Eine Übernahme lexikalischer Regionalismen in den passiven Wortschatz wurde durch Abfrage von 23 Lexemen geprüft, die in Ostwestfalen regiolektal verbreitet sind. Die Lexeme und ihre Bedeutungen sind in Tabelle 2.3. aufgelistet. Die Probanden sollten die Lexeme per Multiple-Choice-Verfahren jeweils einer von fünf Antwortmöglichkeiten zuordnen, und zwar zehn Lexeme semasiologisch und 13 Lexeme onomasiologisch. Der Multiple- Choice-Test wurde den Probanden in Form von Audio-Aufnahmen vorgespielt. Die lexikalischen Regionalismen wurden auf der Grundlage eines Vortests ausgewählt; ihre areale Verbreitung wurde literaturbasiert eingegrenzt (AdA 2003ff., WDU 1977ff., Protze 1997). Wegen der gegenüber den regiolektalen Wörterbüchern weitaus besseren Beleglage wurden die großlandschaftlichen Dialektwörterbücher ergänzend hinzugezogen. Bei der Literaturanalyse hatten sich alle phonetisch-phonologischen, in Ostwestfalen verwendeten Varianten sowie eine ganze Reihe der abgefragten Lexeme als über Ostwestfalen hinaus verbreitet erwiesen. Deswegen wurden jeweils die Zugezogenen von der Auswertung in Bezug auf einen Regionalismus ausgeschlossen, die bereits vor ihrem Umzug nach Ostwestfalen in einem Ver- <?page no="208"?> 208 breitungsgebiet der betreffenden, in Ostwestfalen verbreiteten, Variante gelebt hatten. Die in Ostwestfalen verwendeten regiolektalen Varianten von sieben der neun phonetisch-phonologischen Variablen sind weit über Westfalen und den niederfränkischen Raum hinaus verbreitet. Deswegen wurden viele Zugezogene von der Auswertung ausgeschlossen. Das hatte zur Folge, dass der Auswertung dieser Variablen kleine Personengruppen zugrunde liegen, die keine statistisch signifikanten Aussagen erlauben. Im Gegensatz dazu wurden bei der Auswertung der lexikalischen Regionalismen in fast allen Fällen statistisch aussagekräftige Gruppengrößen erreicht, da die untersuchten lexikalischen Regionalismen nicht sehr weit über Westfalen und den niederfränkischen Raum hinaus verbreitet sind. Als Grundvoraussetzung für eine Übernahme von Regionalismen durch Zugezogene gilt nach Auer, Barden und Großkopf eine frequente Verwendung dieser Regionalismen unter den Einheimischen (Auer/ Barden/ Großkopf 1998: 155). Durch den Vortest der lexikalischen Regionalismen wurde in der vorliegenden Studie sichergestellt, dass alle abgefragten Lexeme unter ostwestfälischen Heimatstudierenden tatsächlich bekannt sind; die Bekanntheit im Vortest wurde durch die Ergebnisse der Multiple- Choice-Abfrage im Haupttest bestätigt. Eine Reihe von Lexemen ordneten im Haupttest allerdings nur maximal 80 Prozent der Einheimischen richtig ein, so dass die Voraussetzung für eine Tradierung an Zugezogene vermutlich eingeschränkt ist. Dementsprechend erwiesen sich diese Lexeme nicht nur unter den Einheimischen, sondern auch unter den Zugezogenen als im Vergleich mit den anderen abgefragten Lexemen weniger bekannt. Solche Lexeme wurden im Rahmen der Auswertung unter Kategorie (B) zusammengefasst. Auch einen Teil der phonetisch-phonologischen Regionalismen verwendeten die Einheimischen nur selten, nämlich die nicht-standardkonforme Spirantisierung von / g/ im Auslaut (1) und die Realisierung des velaren Nasals / ŋ/ mittels Plosiv als [ŋk] oder als [ŋ ʔ ] (4). Die Grundvoraussetzung für eine Übernahme durch Zugezogene ist für die regiolektalen Varianten (1) und (4) also nicht erfüllt; die Zugezogenen verwendeten diese Varianten in der Studie dementsprechend nicht. Andere regiolektale Merkmale realisierten die Einheimischen zwar, die Zugezogenen dagegen aber nicht. Nach Schmidts und Herrgens Sprachdynamiktheorie sind für eine Modifizierung der Kommunikationsstrategien - in diesem Fall für aktive Übernahmen phonetisch-phonologischer Regionalismen oder für lexikalische Übernahmen in den passiven Wortschatz - mehrere Interaktionen mit entsprechender Rückkopplung notwendig (Schmidt/ Herrgen 2011: 29). Fehlen solche Interaktionen, in denen die in der vorliegenden Untersuchung getesteten Regionalismen verwendet werden, kann keine Mikrosynchronisierung stattfinden: Die Zugezogenen lernen das Merkmal nicht kennen. Dies trifft vermutlich auf die Lexeme der Kategorie (C) zu: Diese Lexeme konnten die Einheimischen im Test sehr gut, die Zuge- <?page no="209"?> 209 zogenen aber mehrheitlich gar nicht einordnen. Es handelt sich dabei vor allem um solche Wörter, die mit Kindheit assoziiert sind, nämlich Pingeljagd, i-Dötze, dölmern und schmöttkern. Die Bedeutung dieser Wörter weist keine Alltagsrelevanz für die zugezogenen Studierenden auf. Die weiteren Lexeme in dieser Kategorie - Pölter und schrebbelig - sind negativ konnotiert. Auer, Barden und Großkopf weisen in ihrer Studie darauf hin, dass die von ihnen untersuchten sächsischen Übersiedler vereinzelt solche phonetisch-phonologischen, salienten dialektalen Merkmale übernehmen, die positiv assoziiert sind (Auer/ Barden/ Großkopf 1998: 163f.). Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen diese Tendenz und deuten außerdem darauf hin, dass negativ konnotierte Lexeme weniger häufig übernommen werden. Von den lexikalischen Regionalismen werden also besonders die positiv konnotierten in den passiven Wortschatz übernommen, die negativ konnotierten aber eher nicht. Auch bei den in Ostwestfalen regiolektal verbreiteten Varianten (2), (3), (7), (8) und (9) war das Kriterium der frequenten Verwendung unter den Einheimischen erfüllt. Die Zugezogenen lernten diese Varianten aber vermutlich nicht durch Konvergenz an die Einheimischen kennen: Die regiolektale Variante (2) realisierten die Zugezogenen gar nicht, es fehlen also jegliche Indizien für Akkommodation. Die regiolektalen Varianten (3), (7), (8) und (9) verwendeten viele Zugezogenen zwar ausgesprochen häufig, eine derartig rasch und umfassend erfolgte Übernahme erscheint allerdings unwahrscheinlich. Die einzige abgefragte lexikalisch gebundene Variante - die Vokalkürzung von [a: ] in einsilbigen Lexemen (8) - realisierten die Zugezogenen beim Vorlesen sogar genauso häufig wie die Einheimischen. Auch die geringe Salienz unter den Zugezogenen - vergleichbar mit der Salienz unter den Einheimischen - spricht eher für eine bereits bestehende Verbreitung der lexikalisch nicht gebunden auftretenden Varianten (3), (7) und (9) als für eine kürzlich erfolgte Übernahme. Auer, Barden und Großkopf weisen vor dem Hintergrund ihrer Studie darauf hin, dass die Übernahme phonologischer Regeln weitaus seltener erfolgt als die Übernahme lexikalisch gebundener Varianten (Auer/ Barden/ Großkopf 1996: 154f); eine Übernahme der lexikalisch nicht gebundenen Varianten (3), (7) und (9) ist auch vor diesem Hintergrund eher unwahrscheinlich. All diese Gesichtspunkte deuten also auf eine Verbreitung der in Ostwestfalen verwenden Varianten in den Herkunftsregionen der Zugezogenen hin, die in der berücksichtigten Literatur nicht erwähnt wird (siehe 3.3). Eine solche, in der Literatur nicht dokumentierte regiolektale Verwendung in den Heimatregionen von Zugezogenen ist auch für die lexikalischen Varianten schlüren, gallern und Killefitt anzunehmen, die Kategorie (E) zugeordnet wurden. Die Bekanntheitsgrade dieser Lexeme differierten im Test stark - d.h. um mindestens 26 Prozentpunkte - zwischen den beiden Zugezogenengruppen: Killefitt wies unter den hochdeutschen Zugezogenen einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad auf als <?page no="210"?> 210 unter den niederdeutschen Zugezogenen. Bei gallern und schlüren wurden dagegen niedrigere Bekanntheitsgrade unter den niederdeutschen als unter den hochdeutschen Zugezogenen festgestellt. Das spricht dafür, dass das dialektal nicht in Ostwestfalen verbreitete Lexem Killefitt regiolektal weiträumiger im hochdeutschen Raum und schlüren und gallern weiträumiger im niederdeutschen Raum verbreitet sind als in der Literatur dokumentiert. Anhand der phonetisch-phonologischen Varianten (5) und (6) ließen sich Akkommodationsprozesse unter den Zugezogenen erschließen: Im Gegensatz zu den anderen phonetisch-phonologischen Variablen lagen der Auswertung der Variablen (5) und (6) statistisch aussagekräftige Stichproben zugrunde, die eine getrennte Betrachtung der niederdeutschen und hochdeutschen Zugezogenen erlaubten. Bei Auftragung der regiolektalen Variante (5) über der Aufenthaltsdauer der Zugezogenen zeigten die Werte der niederdeutschen Zugezogenen beim Vorlesen und Erzählen einen leicht steigenden Trend. Bei vierjährigem Aufenthalt in Ostwestfalen war der Bekanntheitsgrad maximal und sank anschließend. Die Werte der hochdeutschen Zugezogenen zeigten bei der aktiven Realisierung von (5) keinen Trend. Bei Auftragung der Salienz über der Aufenthaltsdauer dagegen stieg die Salienz mit der Aufenthaltsdauer der hochdeutschen Zugezogenen in Ostwestfalen deutlich an. Aus der Auftragung der Salienz über der Aufenthaltsdauer der niederdeutschen Zugezogenen ließ sich kein Trend ableiten. Die zunehmende Realisierung der regiolektalen Variante (5) bei gleichbleibender Salienz deutete auf eine Konvergenz der niederdeutschen Zugezogenen an die ostwestfälische Kontrollgruppe hin. Der fehlende Trend bei aktiver Realisierung der Variante (5) unter den hochdeutschen Zugezogenen bei zunehmender Salienz ließ auf eine Vermeidung des Merkmals und damit auf Divergenz gegenüber den Einheimischen schließen. Auch die Auftragung der gemittelten Sekundärdiphthongierung (6) über der Aufenthaltsdauer zeigte für die niederdeutschen Zugezogenen beim Vorlesen und Erzählen einen ansteigenden Trend; die Salienz dagegen sank mit längerer Aufenthaltsdauer. Dieses Verhalten weist auf eine Konvergenz der niederdeutschen Zugezogenen an die ostwestfälischen Heimatstudierenden hin. Die hochdeutschen Zugezogenen zeigten wiederum das umgekehrte Verhalten: Beim Vorlesen realisierten sie die Sekundärdiphthongierung (gemittelt) unabhängig von der Aufenthaltsdauer konstant, beim Erzählen ergab sich ein leicht sinkender Trend; die Salienz stieg mit längerer Aufenthaltsdauer. Das Verhalten der hochdeutschen Zugezogenen weist auf eine Vermeidung der Sekundärdiphthongierung und damit auf Divergenz gegenüber den Einheimischen hin. Auch bei den Lexemen wurden Übernahmetendenzen festgestellt: Mehrere Lexeme waren unter Einheimischen und Zugezogenen so gut bekannt, dass sich die Bekanntheitsgrade zwischen diesen beiden Gruppen um nur 29 Prozentpunkte unterschieden. Diese geringe Differenz spricht für eine rasch <?page no="211"?> 211 erfolgte Übernahme dieser Lexeme in den passiven Wortschatz der Zugezogenen. Die entsprechende Kategorie (A) umfasst überwiegend Lexeme, die einen engen Bezug zum Alltag der Studierenden aufweisen: Bei den Lexemen handelte es sich vor allem um Bezeichnungen für Nahrungsmittel - z.B. Bütterken und Bömsken - sowie Gegenstände, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im Alltag der Zugezogenen sowohl gegenständlich vorkommen als auch thematisiert werden, wie Pömpel und Pinneken. Es ist also davon auszugehen, dass die Zugezogenen die Lexeme in Mikrosynchronisierungsprozessen kennenlernten. Es fällt auf, dass Kategorie (A) ausnahmslos Nomen umfasst; die unter Zugezogenen weniger gut bekannten Lexeme in den Kategorien (C) und besonders (B) umfassen dagegen Verben und Adjektive. Ferner ist zu bemerken, dass alle vier abgefragten Diminutive unter Kategorie (A) fallen. Die Diminutive tragen jeweils kein standardlautendes, sondern das niederdeutsch lautende Diminutivsuffix ken oder kes. Es ist zu vermuten, dass es sich bei dem unverschobenen / k/ im Diminutivsuffix um ein besonders positiv assoziiertes auffälliges Merkmal handelt, das infolgedessen nach Auer, Barden und Großkopf für eine Übernahme prädestiniert ist (Auer/ Barden/ Großkopf 1998: 163f.) - insbesondere lexikalisch gebunden wie in den vier abgefragten Diminutiven (Auer/ Barden/ Großkopf 1998: 154f.). Aus der skizzierten Zuordnung der Lexeme zu den Kategorien (A), (B) und (C) lassen sich semantische und morphosyntaktische Präferenzen bei lexikalischen Übernahmetendenzen ableiten: Konkreta mit niederdeutschem Diminutivsuffix ken oder kes werden in den passiven Wortschatz bevorzugt übernommen. Andere Wortarten mit mehr Semen und einem dementsprechend breiteren Bedeutungsspektrum werden dagegen seltener übernommen. Ein Großteil der Zugezogenen wurde von der Auswertung einzelner oder mehrerer phonetisch-phonologischer und lexikalischer Variablen ausgeschlossen, weil die abgefragten Regionalismen in ihrer Herkunftsregion als verbreitet belegt sind. Infolgedessen war die berücksichtigte Datenbasis zu schmal, um Zusammenhänge zwischen Verwendung und Salienz phonetisch-phonologischer Regionalismen, Einordnung der lexikalischen Regionalismen im Wortschatztest, Attitüden zu Ostwestfalen und sprecherbiographischen Daten feststellen zu können. Deswegen wurden drei oberdeutsche Zugezogene (Alemannin, Ostälbische Schwäbin, Ludwigsburger Schwäbin), deren Daten vollständig berücksichtigt werden konnten, im Rahmen von Einzelfallanalysen betrachtet. Zusätzlich wurden die zwar unvollständigen, aber bei der Auswertung der phonetisch-phonologischen Variablen auffälligen, Daten einer Jenaer Studentin (Thüringerin) in einer Einzelfallanalyse betrachtet. Die vier Probandinnen verwendeten beim Vorlesen und Erzählen einer Bildergeschichte die in Ostwestfalen verbreiteten Varianten der Variablen (3), (7), (8) und (9). Viele Zugezogene realisierten diese Varianten während <?page no="212"?> 212 der vorliegenden Studie bereits nach relativ kurzem Aufenthalt in Ostwestfalen so häufig, dass hierbei nicht von einer Konvergenz an die Einheimischen auszugehen ist. Stattdessen ist, wie bereits erwähnt, anzunehmen, dass die entsprechenden Varianten weiter über Ostwestfalen hinaus verbreitet sind als in der berücksichtigten Literatur belegt. Die Thüringerin verwendete als einzige der vier Probandinnen auch die phonetischphonologischen Regionalismen (4) und (5). Selbst die einheimische Kontrollgruppe realisierte den velaren Nasal / ŋ/ nur sehr selten mittels Plosiv als [ŋk] (4). Daher ist nicht davon auszugehen, dass die Thüringerin diese Regionalismen durch Konvergenz an die Einheimischen übernommen hat. Da ihr Vater aus Schwerin stammt und ihre Großeltern zum Zeitpunkt der Aufnahme dort wohnten, ist anzunehmen, dass die Thüringerin die Realisierung des velaren Nasals / ŋ/ mittels Plosiv im Rahmen ihrer sprachlichen Sozialisation in der Familie erwarb. Die in Ostwestfalen verbreitete Realisierung von <ar> als Langmonophthong [a: ] dagegen könnte auf Konvergenz an die Einheimischen zurückzuführen sein. Mit Ausnahme der Thüringerin fielen den vier Probandinnen nur solche in Ostwestfalen verbreiteten phonetisch-phonologischen Regionalismen im Salienztest auf, die sie selbst nicht verwendeten. Die unter Einheimischen und Zugezogenen hochsalienten Varianten (1) und (4) beurteilten alle vier Probandinnen als auffällig. Auch die Varianten (2) und (5) gaben die vier Probandinnen im Salienztest an. In Bezug auf die Variablen (6), (7), (8) und (9) unterscheidet sich ihr Antwortverhalten dagegen: Der Alemannin fielen besonders viele der in Ostwestfalen verbreiteten Regionalismen auf, die beiden Schwäbinnen und die Thüringerin erzielten Ergebnisse im mittleren Bereich. Ein Zusammenhang zwischen der generellen Einschätzung des ostwestfälischen Regiolekts durch die Zustimmung zu skalierten Statements und ihrer tatsächlichen Einordnung im Salienztest wurde beim Vergleich der vier Probandinnen nicht deutlich. Die Thüringerin und die Alemannin ordneten relativ viele Lexeme onomasiologisch und semasiologisch richtig ein. Da die Alemannin zum Zeitpunkt der Untersuchung erst seit eineinhalb Jahren, die Thüringerin aber bereits seit vier Jahren in Ostwestfalen lebte, ist das Ergebnis der Alemannin als eine stärkere Konvergenz an die Einheimischen einzuordnen als das Ergebnis der Thüringerin. Die Alemannin gab zahlreiche Kontakte zu Einheimischen an, fühlte sich nach ihren Aussagen im Attitüdentest aber nicht in Ostwestfalen integriert. Die Thüringerin unterhielt ebenfalls Kontakte zu Ostwestfalen, signalisierte aber größere Sympathien zu Ostwestfalen als die Alemannin. Der im Vergleich zu der Thüringerin größere Anteil ostwestfälischer Regionalismen im passiven Wortschatz der Alemannin dürfte also eher nicht auf positive Attitüden zurückzuführen sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es im Alltag der Alemannin zu mehr Mikrosynchronisierungsprozessen kam, weil sie zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits seit <?page no="213"?> 213 eineinhalb Jahren in Wohngemeinschaft mit Ostwestfalen lebte. Die Thüringerin dagegen teilte zum Untersuchungszeitpunkt erst seit wenigen Monaten eine Wohnung mit Einheimischen. Zudem ist denkbar, dass die Alemannin gerade wegen ihrer negativen Attitüden zu Ostwestfalen besonders empfindlich auf ostwestfälische Regionalismen reagierte und sich diese dementsprechend gut merkte. Vergleichbar zu der Thüringerin signalisierte auch die Ostälbische Schwäbin ausgesprochen positive Attitüden zu Ostwestfalen. Gleichzeitig gab sie an, keinerlei regelmäßige Kontakte zu Ostwestfalen zu unterhalten. Obwohl im Alltag der Ostälbischen Schwäbin also eine Grundvoraussetzung für Mikrosynchronisierung fehlte (Schmidt/ Herrgen 2011: 29), ordnete sie viele der abgefragten lexikalischen Regionalismen richtig ein. Während sich die positiven Attitüden der Thüringerin trotz der angegebenen Freizeitkontakte zu Ostwestfalen also nicht im Wortschatztest niederschlugen, können die Ergebnisse der Ostälbischen Schwäbin auf ihre positiven Attitüden zu Ostwestfalen zurückgeführt werden. Es ist denkbar, dass die Ostälbische Schwäbin durch ihre positiven Attitüden empfindlich auf Ostwestfalismen reagierte und sich diese infolgedessen einprägte. Die Ludwigsburger Schwäbin lebte zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits seit vier Jahren, und damit ungefähr genauso lange wie die Thüringerin, ein Jahr länger als die Ostälbische Schwäbin und mehr als doppelt so lange wie die Alemannin in Ostwestfalen. Die Ludwigsburger Schwäbin gab bei der Untersuchung an, Kontakt zu Ostwestfalen zu unterhalten und lebte in Wohngemeinschaft mit Ostwestfalen. Im Attitüdentest signalisierte sie Attitüden, die als neutral einzuordnen sind. Aufgrund ihres langen Aufenthalts in Ostwestfalen und der dortigen Kontakte ist davon auszugehen, dass es in ihrem Alltag in Bielefeld zur vielen Mikrosynchronisierungsprozessen kam. Folglich lernte sie lexikalische Regionalismen kennen. Der Anteil der von ihr richtig eingeordneten Lexeme fiel allerdings auffallend niedrig aus. Vergleicht man die drei oberdeutschen Probandinnen im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Attitüden und Ergebnis im Wortschatztest, kann man daraus folgende Schlüsse ziehen: Die Alemannin und die Ostälbische Schwäbin wurden durch ihre negativen bzw. positiven Attitüden zu Ostwestfalen vermutlich so stark für ostwestfälische Regionalismen sensitiviert, dass sie sich diese besonders gut einprägten. Es ist denkbar, dass die Ostälbische Schwäbin infolge ihrer positiven Attitüden zu Ostwestfalen den ihr bekannten lexikalischen Ostwestfalismen ein hohes Verdecktes Prestige zuschreibt. Diese Zuschreibung könnte dazu führen, dass sie die ihr bekannten Lexeme aktiv als regionale Identitätsmarker (Salewski 1998: 28) verwendet und dadurch ein konvergentes Verhalten gegenüber den Einheimischen zeigt. Die Alemannin zeigt infolge ihrer negativen Attitüden zu Ostwestfalen vermutlich eher ein divergentes Verhalten: Es ist davon auszugehen, dass sie ostwestfälischen Regionalismen ein negatives Verdecktes Prestige <?page no="214"?> 214 zuschreibt und deren aktive Verwendung vermeidet. Da die Ludwigsburger Schwäbin Ostwestfalen neutral gegenübersteht, merkte sie sich die lexikalischen Ostwestfalismen vermutlich weder aus positiver noch aus negativer Motivation heraus - und damit offensichtlich in Bezug auf die meisten abgefragten Lexeme gar nicht. Dadurch fehlt die Voraussetzung dafür, dass sie die Lexeme aktiv verwendet. Die vorliegende Untersuchung zeigt Konvergenz- und Divergenzprozesse der Zugezogenen an die Einheimischen anhand der geschilderten Einzelfallanalysen sowie durch den empirischen Vergleich der drei Untersuchungsgruppen (einheimische Ostwestfalen, Zugezogene aus dem niederdeutschen nicht-westfälischen Raum und Zugezogene aus dem hochdeutschen Raum). In der Querschnittsuntersuchung lassen sich aussagekräftige Trends nachweisen, vor deren Hintergrund im Vergleich mit der einheimischen Kontrollgruppe rückwirkend auf Konvergenz und Divergenz geschlossen werden konnte. 6.2 Ausblick Am Beispiel des ostwestfälischen Regiolekts wurde empirisch geprüft, inwiefern Zugezogene aus anderen Dialekträumen Regionalismen an ihrem neuen Wohnort übernehmen: Es handelt sich dabei um die erste Querschnittsuntersuchung im deutschen Sprachraum. Das speziell für diese Pionierarbeit entwickelte Forschungsdesign hat sich als tragfähig erwiesen: Akkommodationsprozesse zwischen Einheimischen und Zugezogenen (z.B. Übernahme oder Vermeidung) wurden quantitativ rückwirkend erschlossen. Darüber hinaus konnten die Sprachdaten von ausgewählten Probanden qualitativ analysiert werden. Nachfolgende Studien könnten dieses Design aufgreifen und spezifisch anpassen. Das erhobene Korpus umfasst die Sprachdaten von insgesamt 145 Probanden. Im Rahmen einer sorgfältigen Auswertung war es notwendig, Datensätze einzelner Teilnehmer gezielt auszuschließen. Dadurch verringerte sich die Stichprobengröße in Bezug auf einzelne sprachliche Merkmale teils sehr stark. Um durchgängig statistisch belastbare Ergebnisse zu erzielen, wäre eine größere Untersuchungsgruppe wünschenswert. Die Ergebnisse zeigen, dass in Bezug auf Regiolekte im niederdeutschen Raum homogene Gruppen von Zugezogenen - möglichst aus einem oberdeutschen Dialektraum - ideal wären. Wegen der großen Standardnähe der Regiolekte im niederdeutschen Raum wäre zudem zu überlegen, ob Zugezogene im niederdeutschen Raum nicht nur im Hinblick auf Regiolektkonvergenz, sondern auch im Hinblick auf Standardkonvergenz untersucht werden sollten (Auer 1997: 139). Außerdem könnte man vergleichend Auswanderer unter- <?page no="215"?> 215 suchen, die aus dem niederdeutschen Raum in eine andere, dialektstärkere Region - z.B. in den oberdeutschen Raum - umgezogen sind. Das Forschungsdesign ist zur empirischen Erhebung von Sprachdaten konzipiert, die in Bezug auf verschiedene sprachliche Ebenen analysiert werden können. Umfangreiche Einzelinterviews wurden durchgeführt, um sprachliche Daten standardisiert zu erheben: Die Spracheinstellung der Probanden wurde z.B. anhand von skalierten Statements erfragt. Die Einstellung der Zugezogenen zu Region, Einwohnern und Regiolekt ließe sich zudem anhand von Leitfadeninterviews qualitativ erheben und untersuchen. Für viele der untersuchten Regionalismen konnte kurzfristige Akkommodation erfolgreich nachgewiesen werden. Es wurde z.B. gezeigt, dass zahlreiche Zugezogene bestimmte lexikalische Regionalismen (positiv konnotiert, alltagsbezogen) bereits innerhalb von kurzer Zeit kennen lernen. Ob Zugezogene diese Lexeme auch selbst verwenden und dadurch vielleicht sogar entscheidend zu deren langfristigen Tradierung beitragen können, wäre in weiteren Studien zu überprüfen. Die Untersuchung und der Nachweis langfristiger Akkommodationsprozesse wären ebenfalls wünschenswert. Es wurde gezeigt, dass empirische Salienztests für ausgewählte Varianten zu sprachwissenschaftlich hochinteressanten Ergebnissen führen. Inwiefern sich aber die Salienz auf den individuellen Sprachgebrauch in konkreten Gesprächssituationen auswirkt, könnte mit umfangreichen Einzelfallanalysen erforscht werden: Sind sich Einheimische und Zugezogene z.B. über die regionale Markiertheit sprachlicher Varianten bewusst und können sie diese Merkmale gezielt verwenden (vgl. Salewski 1998: 28, vgl. Reershemius 2009: 145) oder unterdrücken (vgl. Elmentaler/ Gessinger/ Wirrer 2010: 120)? Eine weiterführende Fragestellung ist, ob die übernommenen Regionalismen in Kommunikationskonstellationen Verwendung finden, bei denen keine Einheimischen anwesend sind. In diesem Fall wäre die Angleichung also soweit fortgeschritten, dass es sich nicht um Akkommodation, sondern um Diffusion handeln würde (Trudgill 1986: 40). Die vorgestellten Ergebnisse zeigen auf, dass junge Erwachsene regiolektale Merkmale in bemerkenswertem Maß an Zugezogene tradieren. Dabei deckt die vorliegende Arbeit eine Reihe von Forschungslücken an der Schnittstelle zwischen Regionalsprachenforschung und Kontaktlinguistik auf. Es wäre wünschenswert, Akkommodationsprozesse zwischen Einheimischen und Zugezogenen in Longitudinalstudien, Einzelfallanalysen und weiteren Querschnittsuntersuchungen weitergehend zu erforschen. <?page no="216"?> 216 Literatur AdA - Elspaß, Stephan / Möller, Robert (2003ff.): Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA). <www.atlas-alltagssprache.de/ > (04.07.2014). - Startseite: <www.atlas-alltagssprache.de/ > (04.07.2014). - 10. Runde. Aktuelle Befragung. Fragebogen: <www.atlas-alltagssprache.de/ runde-10-umfrage/ > (04.07.2014). Ammon, Ulrich u.a. 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Kranzmayer, Eberhard (Hg.). Wien. Wörterbuch der obersächsischen Mundarten (1994ff.). Begründet von Theodor Frings und Rudolf Große. 4 Bände. Leipzig. <?page no="231"?> 231 Anhang A.1 Probanden Tab. A.1. Auflistung der 101 Probanden unter Angabe von Sigle (VP), Herkunftsort, Dauer des Aufenthalts in Ostwestfalen (OWL) in Jahren (J) (nur bei Zugezogenen), Studienfach, Geschlecht, Alter und Herkunftsregion. 38 38 Bei den fünf Probanden, deren Herkunftsorte in verschiedenen Dialektregionen liegen, wird für die entsprechenden Herkunftsorte die jeweilige Aufenthaltsdauer in Jahren (J) angegeben. VP Herkunftsort Aufenthalt in OWL Studienfach m w Alter Herkunftsregion 57 Stendal BI: 2 J, Münster: 1 J Pädagogik 0 1 22 brandenburgisch 90 Salzwedel BI: 3 J Pädagogik 0 1 24 brandenburgisch 137 Rhinow BI: 1 J Anglistik 0 1 23 brandenburgisch 144 Seddin (Potsdam Mittelmark) BI: 3,5 J Anglistik 0 1 23 brandenburgisch 141 Prignitz: 10 J, Ratzeburg: 6 J BI: 7 J Soziologie 0 1 23 brandenburgisch 136 Magdeburg BI: 4 J Sozialpädagogik 0 1 27 brandenburgisch 113 Nienburg BI: 6 J Mathe 1 0 25 nordniederdeutsch 9 Nienburg BI: 2 J Linguistik 1 0 21 nordniederdeutsch 10 Vechta BI: 3 J Germanistik 0 1 22 nordniederdeutsch 33 Kiel BI: 2,5 J Gesundheitswissenschaften 1 0 28 nordniederdeutsch 34 Vechta BI: 3 J Gesundheitswissenschaften 1 0 23 nordniederdeutsch <?page no="232"?> 232 VP Herkunftsort Aufenthalt in OWL Studienfach m w Alter Herkunftsregion 44 Vechta BI: 3 J Sozialwissenschaften 1 0 24 nordniederdeutsch 60 Rotenburg / Wümme BI: 4 J Klinische Linguistik 1 0 25 nordniederdeutsch 61 Osterholz (Bremen) BI: 3 J Anglistik 0 1 23 nordniederdeutsch 68 Stade BI: 3 J Englisch, Deutsch (als Fremdsprache) 0 1 24 nordniederdeutsch 69 Aurich, Oldenburg BI: 2 J Jura 1 0 22 nordniederdeutsch 75 Hamburg, Lübeck BI: 4,5 J Psychologie 0 1 25 nordniederdeutsch 76 Hamburg BI: 4 J Pädagogik 1 0 25 nordniederdeutsch 88 Leer (Ostfriesland) BI: 3 J Jura 1 0 23 nordniederdeutsch 108 Aachen: 5 J, Oldenburg: 10 J, Würzburg: 3 J, Kiel: 2 J BI: 2 J Pädagogik 0 1 24 nordniederdeutsch 102 Emden BI: 2 J Wirtschaftsmathematik 0 1 24 nordniederdeutsch 125 Diepholz BI: 3 J Naturwissenschaftliche Informatik 1 0 23 nordniederdeutsch 24 Helmstedt Paderborn, BI: 2J Sport, Deutsch 1 0 25 ostfälisch 42 Hannover BI: 4 J Germanistik 0 1 23 ostfälisch 46 Braunschweig, Wolfenbüttel Gütersloh: 5 J Linguistik 0 1 22 ostfälisch <?page no="233"?> 233 VP Herkunftsort Aufenthalt in OWL Studienfach m w Alter Herkunftsregion 65 Braunschweig BI: 2,5 J Pädagogik 0 1 25 ostfälisch 74 Braunschweig BI: 2 J Jura 0 1 20 ostfälisch 87 Goslar BI: 1 J Psychologie 1 0 21 ostfälisch 111 Hannover BI: 4 J Spanisch 0 1 25 ostfälisch 121 Celle BI: 3 J Politikwissenschaft 0 1 23 ostfälisch 130 Hannover BI: 2 J Biochemie 1 0 23 ostfälisch 41 Göttingen: 6 J, Stade: 6 J, Gifhorn: 1 J BI: 8 J Germanistik 1 0 30 ostfälisch 22 Berlin BI: 5 J Pädagogik 0 1 25 berlinisch 36 Berlin, Königs Wusterhausen BI: 1 J Sport, Englisch 1 0 22 berlinisch 94 Königs Wusterhausen, Berlin BI: 2 J Bioinformatik 0 1 22 berlinisch 103 Berlin BI: 6 J Mathe 1 0 25 berlinisch 66 Berlin BI: 2 J Jura 0 1 21 berlinisch 17 Köln BI: 2 J Psychologie 1 0 22 ripuarisch 63 Euskirchen BI: 6 J Soziologie 1 0 25 ripuarisch 86 Aachen BI: 4 J Anglistik 0 1 23 ripuarisch 114 Köln BI: 2 J Geschichte 0 1 22 ripuarisch 119 Ahrweiler BI: 2 J Geschichte 0 1 21 ripuarisch 120 Ahrweiler BI: 2 J Sozialwissenschaften 1 0 22 ripuarisch 135 Nievern BI: 2 J Jura 1 0 21 ripuarisch 105 Boppard BI: 3 J Geschichte 0 1 23 ripuarisch 64 Regensburg, München: 12 J Euskirchen, Bonn: 12 J BI: 4 J Anglistik, Philosophie 0 1 28 gemischt (ripuarisch, bairisch) <?page no="234"?> 234 VP Herkunftsort Aufenthalt in OWL Studienfach m w Alter Herkunftsregion 110 Steinfurth BI: 8 J Geschichte 0 1 30 rhein- / moselfränkisch 134 Oberursel BI: 7 J Musikwissenschaft, Sozialwissenschaften 1 0 30 rhein- / moselfränkisch 107 Frankenthal (Pfalz) BI: 1 J Sozialwissenschaften 1 0 21 rhein- / moselfränkisch 7 Großalmerode BI: 3 J Soziologie 0 1 22 nordhessisch 4 Kassel BI: 3 J Mathematik 1 0 22 nordhessisch 26 Riesa BI: 3 J Molekulare Biotechnologie 1 0 21 ostmitteldeutsch 56 Dresden BI: 3 J, Hameln: 1 J Pädagogik 0 1 30 ostmitteldeutsch 85 Dresden BI: 2,5 J Biotechnologie 0 1 22 ostmitteldeutsch 124 Leipzig BI: 2 J Geschichte 0 1 20 ostmitteldeutsch 99 Jena BI: 4 J Klinische Linguistik 0 1 24 ostmitteldeutsch 117 Dresden: 4 J Ludwigsburg: 16 J BI: 4 J Bioinformatik, Genomforschung 0 1 24 ostmitteldeutsch 81 Ludwigsburg BI: 4 J Pädagogik 0 1 24 alemannisch 106 Lorch (Ostalbkreis) BI: 3 J Biologie, Chemie 0 1 22 alemannisch 140 Stuttgart BI: 2 J Biologie 0 1 22 alemannisch 115 Konstanz, Freiburg BI: 1,5 J Linguistik 0 1 26 alemannisch 97 Helmbrechts Paderborn: 1 J, BI: 3 J Biologie 1 0 23 bairisch (ostfränkisch) <?page no="235"?> 235 VP Herkunftsort Aufenthalt in OWL Studienfach m w Alter Herkunftsregion 91 Erding BI: 2 J Gesundheitswissenschaften 1 0 22 bairisch 116 Regensburg BI: 2 J Geschichte 0 1 21 bairisch 8 Hasbergen Informationstechnik 1 0 24 ostwestfälisch 11 Lemgo Sportwissenschaft 1 0 27 ostwestfälisch 12 Oerlinghausen Germanistik 0 1 21 ostwestfälisch 19 Bramsche Pädagogik 0 1 25 ostwestfälisch 20 Schloßholte Jura 0 1 21 ostwestfälisch 21 Hövelhof Jura 0 1 21 ostwestfälisch 23 Bielefeld Geschichte 1 0 21 ostwestfälisch 25 Herford Linguistik 1 0 23 ostwestfälisch 27 Halle Westfalen, Bielefeld Pädagogik 0 1 27 ostwestfälisch 28 Bielefeld Naturwissenschaftliche Informatik 0 1 20 ostwestfälisch 29 Enger Biologie, Geschichte 0 1 24 ostwestfälisch 30 Borgentreich, Lage Jura 0 1 24 ostwestfälisch 31 Bielefeld Molekulare Biotechnologie 0 1 22 ostwestfälisch 32 Bielefeld Mathematik, Pädagogik 0 1 26 ostwestfälisch 35 Versmold, Gütersloh Sportwissenschaft 1 0 22 ostwestfälisch 37 Stukenbrok Pädagogik 0 1 24 ostwestfälisch 40 Bielefeld Germanistik 0 1 26 ostwestfälisch 43 Blomberg Sozialwissenschaft 1 0 25 ostwestfälisch <?page no="236"?> 236 VP Herkunftsort Aufenthalt in OWL Studienfach m w Alter Herkunftsregion 45 Lage Anglistik 0 1 23 ostwestfälisch 47 Vlotho, Bad Oeynhausen Germanistik, Philosophie 1 0 24 ostwestfälisch 50 Gütersloh Chemie, Geschichte 1 0 21 ostwestfälisch 53 Bielefeld Germanistik 0 1 26 ostwestfälisch 54 Halle Westfalen Chemie 0 1 24 ostwestfälisch 59 Verl Pädagogik 0 1 25 ostwestfälisch 73 Blomberg, Bielefeld, Berlin: 3 J Pädagogik 0 1 28 ostwestfälisch 77 Oerlinghausen Germanistik 1 0 22 ostwestfälisch 80 Melle, Bielefeld Chemie 1 0 24 ostwestfälisch 92 Osnabrück Betriebswirtschaftslehre 0 1 26 ostwestfälisch 95 Halle Westfalen Geschichte 1 0 25 ostwestfälisch 96 Bünde, Bielefeld Geschichte 0 1 27 ostwestfälisch 98 Löhne, BI, Ruhrgebiet: 4 J Geschichte 0 1 21 ostwestfälisch 109 Bielefeld Germanistik 0 1 20 ostwestfälisch 112 Melle Soziologie 1 0 28 ostwestfälisch 122 Stukenbrock Deutsch (als Fremdsprache) 0 1 29 ostwestfälisch 128 Alfen Geschichte 0 1 22 ostwestfälisch 133 Bielefeld Geschichte 1 0 29 ostwestfälisch 138 Paderborn Germanistik 0 1 26 ostwestfälisch <?page no="237"?> 237 A.2 Fragebogen A.2.1 Stimuli für Sprachaufnahmen Alle Probanden lasen einen Text vor und erzählten anschließend eine Bildergeschichte. Beide gesprochenen Texte wurden aufgezeichnet und anhand der neun phonetisch-phonologischen Variablen ausgewertet. A.2.1.1 Vorlesetext Unterwegs in Bielefeld Gestern ging ich mit Bernd, Markus und Stefanie auf dem Herrmannsweg, Richtung 39 Sparrenburg. Den gesamten Nachmittag lang wollten wir unterwegs sein. Aber schon kurz nach vier Uhr hat Bernd gesagt, ihm wird gleich schlecht vor Hunger. Also haben wir wenig später unsere Wurst- und Käsebrote ausgepackt. Als wir gerade fertig waren, sind mir plötzlich schon die ersten 40 Regentropfen ins Wasserglas getropft. Sofort haben wir unser Zeug zusammengepackt und sind den Trampelpfad am Tierpark vorbei nach Olderdissen gerannt, zu Markus Oma. Da gab es dann dampfend heißen Kaffee mit Schlagsahne und Berge von Apfel- und Pflaumenkuchen. A.2.1.2 Bildergeschichte Mayer 1969: 1-4, 8f., 17- 23, 25-28 A.2.2 Salienztest Die folgenden zwanzig Sätze wurden von einer einheimischen Sprecherin eingesprochen. Die Aufnahmen wurden den Probanden nacheinander als Tonaufnahmen vorgespielt. Phonetisch-phonologische Merkmale, die Probanden daraufhin als auffällig angaben, sind in Lautschrift widergegeben. Die Angaben der Probanden zu Varianten der neun phonetischphonologischen Variablen wurden im Zusammenhang mit den aktiven Realisierungen der Varianten beim Vorlesen und Erzählen untersucht. 39 Da die regiolektale Variante von Richtung nur von einer einzigen Person realisiert wurde, wurde Richtung bei der Auswertung von Variable (4) nicht berücksichtigt. 40 Das Wort ersten war schwierig nach Höreindruck zu transkribieren und zu analysieren; deswegen wurde es bei der Auswertung nicht berücksichtigt. <?page no="238"?> 238 1. Die F[a: ]be gefällt mir beso[n]ers. 2. Ich will noch nach Aldi. 3. Der le[s]e Wettkam[f] lief ganz [e: ]nlich. 4. Das war g[a: ] nicht lusti[k]. 5. Kannst Du mal aufh[øa]n zu meck[an]? 6. Wo lie[ç]t denn der St[y]ft? 7. Damit bin ich gut zufrieden. 8. Das hat die Doris erz[ ɛ : ]lt. 9. Die [f]lanze steht auf dem Regal. 10. Ich [kl]aube Dir kein W[o: a]t. 11. Sons noch was? 12. Der Putzla[b]en l[i]kt im B[a]d. 13. Das muss so. 14. Er sieht unge[pf]legt aus. 15. Der Rückwe[ç] ist eindeuti[ç] zu la[ŋk]. 16. Was steckt da eigentlich hinter? 17. Er ist am Kochen. 18. Was me[g]erst du jetzt w[i]der? 19. Die Grippe hat mich erwischt. 20. Bis die Tage! A.2.3 Attitüdentest Den Probanden wurden Statements vorgelegt, zu denen sie durch Ankreuzen auf einer siebenstufigen Skala ihre Zustimmung signalisieren konnten. Einheimischen und Zugezogenen wurden unterschiedlich formulierte Statements vorgelegt. Bei den Statements handelt es sich um positiv und negativ formulierte Likert-Items, die insgesamt fünf verschiedene Parameter von Spracheinstellungen abfragen, nämlich Sympathie zu den Einheimischen (zwei Statements), Zugehörigkeitsgefühl zur Region Ostwestfalen (zwei Statements), Gefallen an der Region (zwei Statements), Einstellung zu regiolektaler Besonderheiten (zwei Statements), Bereitschaft zur regiolektalen Angleichung (zwei Statements). Zur Ortsloyalität wurden drei einzelne Statements vorgegeben, die direkt nach Einstellung zur Region Ostwestfalen, zur Unterkunft in Ostwestfalen und zum längerfristigen Aufenthalt nach Studienende fragten. <?page no="239"?> 239 Tab. A.2. Statements zur Ermittlung der Spracheinstellung, die den Zugezogenen zum Ankreuzen vorgelegt wurden. Die Sieben-Punkte-Skala wird durch trifft nicht zu (tnz), neutral (n) und trifft zu (tz) strukturiert. tnz n tz Ich habe mich in Bielefeld richtig gut eingelebt. Einen Bielefelder erkennt man schon nach kurzer Zeit an der Aussprache. Ich persönlich will Wörter nicht so aussprechen wie ein Bielefelder. Die Bielefelder schauen mich manchmal komisch an, wenn ich Wörter verwende, die ich bisher für umgangssprachliches Hochdeutsch gehalten habe. Viele Bielefelder sind einem gleich sympathisch. Ich höre die ostwestfälische Aussprache in Bielefeld echt nicht gern. Wenn ich von Bielefeld nach Hause telefoniere, merke ich manchmal, dass meine Freunde dort gar kein Hochdeutsch sprechen früher ist mir das nicht aufgefallen. Ich fühle mich in Bielefeld irgendwie immer noch fremd. Ich kann mir gut vorstellen, meine Heimatregion auf Dauer zu verlassen, um irgendwo anders zu leben. Manchmal verwende ich Wörter, die meine Freunde zu Hause nicht verstehen. Die habe ich wohl aus Bielefeld. Ich hätte nichts dagegen, die Bielefelder Aussprache allmählich selbst zu übernehmen. Bielefelder erkennt man kaum an ihrer Aussprache. Zu Hause wird mir manchmal gesagt, ich rede irgendwie anders seit ich in Bielefeld wohne. Die Bielefelder schauen mich komisch an, wenn ich manche Wörter anders ausspreche als sie. So richtig sympathisch wirken Bielefelder selten auf Anhieb. Ich kann mir nicht vorstellen, über Jahrzehnte fern von meiner Heimatregion zu leben. Wenn Leute aus Bielefeld hier in der Innenstadt miteinander reden, klingt das eigentlich ganz schön. <?page no="240"?> 240 Tab. A.3. Statements zur Ermittlung der Spracheinstellung, die den Einheimischen zum Ankreuzen vorgelegt wurden. Die Sieben-Punkte-Skala wird durch trifft nicht zu (tnz), neutral (n) und trifft zu (tz) strukturiert. tnz n tz Ostwestfalen / Lipperland / Osnabrücker Land ... ist mehr als bloß mein Zuhause. Es ist mein Heimatland. Leute aus OWL erkennt man in Süddeutschland oder im Ausland schon nach kurzer Zeit an der Aussprache. Ich höre die ostwestfälische Aussprache vor Ort ganz gern. Ich persönlich will nicht, dass mir jemand an der Aussprache anhören kann, wo ich herkomme. Die Leute aus der Region sind einem gleich sympathisch. Mit meiner Heimatregion verbindet mich nicht mehr und nicht weniger als der Wohnsitz von Familie und Freunden. Ich kann mir gut vorstellen, meine Heimatregion auf Dauer zu verlassen, um irgendwo anders zu leben. Mich stört es nicht, wenn mir jemand an der Aussprache anhört, dass ich aus der Umgebung von Bielefeld, Osnabrück, Detmold und Paderborn komme. Ich höre die ostwestfälische Aussprache echt nicht gern. Man hört Leuten aus OWL kaum an ihrer Aussprache an, wo sie herkommen. So richtig sympathisch wirken OWLer selten auf Anhieb. Ich kann mir nicht vorstellen, über Jahrzehnte fern von meiner Heimatregion zu leben. Wenn ich OWLer in der Bielefelder Innenstadt miteinander reden höre, klingt das eigentlich ganz schön. A.2.4 Wortschatztest Insgesamt wurden 23 regiolektale Lexeme abgefragt, die sich im Vortest als unter jungen Erwachsenen in Ostwestfalen als bekannt erwiesen hatten. Zehn Lexeme wurden semasiologisch und 13 onomasiologisch abgefragt. <?page no="241"?> 241 Alle Regionalismen wurden den Probanden ausschließlich in lautlicher Form präsentiert: Die Tonaufnahmen für den Multiple-Choice-Test wurden im Vorfeld der Untersuchung aufgezeichnet. Bei der semasiologischen Abfrage wurden die Textbeispiele von der einheimischen Sprecherin gesprochen, die vorgegebenen, zum Ankreuzen verschrifteten, Antwortmöglichkeiten von der Autorin. Bei der onomasiologischen Abfrage der Lexeme wurde die prototypische Bedeutung als Bild dargestellt. Die Antwortmöglichkeiten, die in Kunstwörtern und ostwestfälischen Regionalismen bestanden, wurden wiederum von der einheimischen Sprecherin eingesprochen; die übrigen Antwortmöglichkeiten wurden wiederum von der Autorin gesprochen. Die Probanden wurden gebeten, jeweils die zutreffende Antwort auszuwählen oder sich durch Ankreuzen von „keine Ahnung“ einer Antwort zu enthalten. Die sechs eingesprochenen Phrasen wurden bei der Auswertung nicht berücksichtigt. Tab. A.4. Fragebogen zur semasiologischen und onomasiologischen Zuordnung der 23 in Ostwestfalen verbreiteten Lexeme per Multiple-Choice-Verfahren. Sämtliche Regionalismen wurden den Probanden als Audio-Aufnahmen vorgespielt. a) b) c) d) e) Dön(e)kes Dön(e)kes machen Dön(e)kes bei Bielefeld viele Dön(e)kes in der Verwandtschaft Dön(e)kes machen, Dön(e)kes erzählen kleine Dön(e)kes Geschnetzeltes, Frikassee Dörfer, kleine Städte Cousins und Cousinen Unsinn, lustige Geschichten Unsinn, lustige Geschichten (sch)möttkern ein gutes Buch (sch)möttkern nachmittags eine Runde (sch)möttkern im Sandkasten (sch)möttkern In der Uni darf man nur draußen (sch)möttkern im Sommer (sch)möttkern gehen lesen Mittagsschlaf halten matschen, kleckern rauchen schwimmen <?page no="242"?> 242 a) b) c) d) e) gallern wegen Übelkeit gallern den Acker gallern über etwas Lustiges gallern es gallert wie aus Eimern mit seinem Wissen gallern sich erbrechen düngen lachen in Strömen regnen prahlen, angeben Schlürschluck im Schlürschluck lesen einen Schlürschluck nehmen wie ein Schlürschluck aussehen einen Schlürschluck haben ein Schlürschluck sein Kaffeesatz, Kaffee Abschiedstrunk dünner schmächtiger Mann, Hänfling Schluckauf Schnorrer Killefitt Killefitt! großer Killefitt im Killefitt sitzen Killefitt! zum Killefitt gehen Unsinn, Kleinigkeit Fleck Gefängnis Idiot, Dummkopf Sport, Training össelig (auch üsselig, usselig) Kleine Kinder sind schnell össelig. Alte Gegenstände, Menschen und das Wetter sind manchmal össelig Wenn man zu viel isst, wird man össelig. ziemlich össelige Aktion össelige Torte oder Kaffee nervig, quengelig durcheinander, heruntergekommen, ungemütlich pummelig, dick fies, hinterhältig sahnig, cremig <?page no="243"?> 243 a) b) c) d) e) schlüren beim Kaffeklatsch schlüren sich die Nase schlüren scharfe Kanten schlüren (etwas) durch die City schlüren Schuhe schlüren tratschen putzen, schnäuzen abschleifen schmirgeln schlendern, etwas mitschleppen binden, knoten dölmern, rumdölmern dölmernder Kopf gut gelaunt dölmern jemanden vor anderen dölmern sich mit anderen dölmern ein dölmernder Hund schmerzen umalbern, rumtoben blamieren, bloßstellen schlagen, prügeln streunen, abhauen Pingeljagd Pingeljagd machen auf Pingeljagd sein auf Pingeljagd gehen Pingeljagd haben Pingeljagd machen Aufräumen, Großputz auf Fehlersuche, beim Korrigieren Einkaufsbummel viele Termine, Stress an vielen fremden Türen klingeln und wegrennen <?page no="244"?> 244 a) b) c) d) e) schrebbelig eine schrebbelige Stimme schrebbeliges- Wetter ein schrebbeliger Gegenstand, ein schrebbeliges Tier ein schrebbeliger Mensch eine schrebbelige Absteige, ein schrebbeliger Mensch ein schrebbeliger Wollpulli gellend, krächzend kalt und nass hässlich heruntergekommen, verwahrlost, zwielichtig kratzig Wo fährst du her? Ach Quatsch! Wo fährst du hin? Von wo fährst du los? Alles klar bei dir? Wo fährst du lang? Du hast geplempert! Du hast gekleckert! Du hast zu viel Geld ausgegeben. Du hast geschwinschwindelt. Du bist leichtsinnig gewesen! Du hast getrödelt. Komm aus’m Quark! Sei mal ernsthaft / vernünftig. Los jetzt! Hör auf damit! Sei nicht so nörgelig! Sei nicht so nervös. Wo hast du das weg? Wo hast du das hingetan? Wo hast du Ersatz? Wo geht es lang? Wo hast du das her? Wo hast du das verloren? Kann ich bei dir mit rausgucken? Kann ich bei dir fernsehen? Kann ich in deinem Buch mitlesen? Kann ich bei Dir übernachten? Kann ich bei dir aus dem Fenster gucken? Kann ich bei dir abschreiben? <?page no="245"?> 245 a) b) c) d) e) Sie ist gut zuwege. Sie geht oft auf Reisen. Sie ist optimistisch / zuversichtlich. Sie ist fleißig / tüchtig. Sie wird immer besser. Sie ist gesund / rüstig. Zeichnung: Lorenz Bömsken Puttken Pömpen Bonerken Itzken Foto: Autorin Töltel Pölter Fissen Sömper Schapp Zeichnung: Lorenz Mürker Lauschepper Pirogenmalte Moppken Stutenkerl Foto: Lorenz verkimmeln schmülkern smeckern schlickern drömmeln Zeichnung: Lorenz i- Hücksken i-Pöppel i-Spölker i-Dötze i-Pützken <?page no="246"?> 246 a) b) c) d) e) Foto: Weiß Placken Pöter Möpp Pömper Blömper Foto: Lorenz Schmalznickel Püffken Bütterken Krössken Schmalzbrölte Zeichnung: Lorenz böltern trölpen plästern fleppern schasskern Foto: Brock (an-) bucken püppern tengern rängstern (be-) pöken Foto: Weiß Düppe Püchte Köpig Trecke Pläte Foto: Weiß tömpen döppen pleffeln dömp- (k)en nönkern <?page no="247"?> 247 a) b) c) d) e) Foto: Lorenz Plirren Lütserken Klöttken Pinneken Gizpin Foto: Weiß Schrebben Römper Pömpel Bregen Klompel A.2.5 Sprecherbiographie Abschließend wurde den Probanden ein Fragebogen zum Ausfüllen vorgelegt, der soziodemographische (Fragen 1-3) und sprecherbiographische Daten erhebt. Zusätzlich wurden den Probanden Statements vorgelegt (18, 20, 21, 28), zu denen sie auf einer siebenstufigen Skala Zustimmung signalisieren konnten. Die Statements dienten dazu, eine Verzerrung der Daten zur Spracheinstellung durch generelle Unzufriedenheit mit Region, Unterkunft, Aufenthalt außerhalb der Heimatregion und wenig Kontakt zu Einheimischen auszuschließen. Tab. A.5. Fragebogen zur Angabe von soziodemographischen und sprecherbiographischen Daten. Alter Jahre Geschlecht weiblich männlich Studienfach <?page no="248"?> 248 a) Wo bist Du aufgewachsen? - Zeitraum 1: - - Zeitraum 2: - - Zeitraum 3: - - Zeitraum 4: b) Hast Du ansonsten längere Zeit (min. 6 Monate am Stück) außerhalb Deiner Heimatregion verbracht? Ortsname, Landkreis, Bundesland Ortsname, Landkreis, Bundesland Ortsname, Landkreis, Bundesland Ortsname, Landkreis, Bundesland nein ja, ich bin im Alter von Jahren nach OWL gezogen und wohne seitdem dort. ja, im Alter von war ich Jahre in Stadt/ Land / Staat, und im Alter von war ich Jahre in Stadt/ Land / Staat, und im Alter von war ich Jahre in Stadt/ Land / Staat, und im Alter von war ich Jahre in Stadt/ Land / Staat. Wo leben Deine Eltern? beide in Landkreis, Bundesland (falls getrennt: Mutter in Landkreis, Bundesland, Vater in Landkreis, Bundesland) Bist Du bei beiden Elternteilen aufgewachsen? ja nein, bei in Landkreis, Bundesland a) Stammt Dein Vater aus seinem Wohnort oder aus dessen Umgebung? b) Wenn nicht, wo hat er vorher wie lange gelebt? ja nein, sondern... a) Stammt Deine Mutter aus ihrem Wohnort oder aus dessen Umgebung? b) Wenn nicht, wo hat sie vorher wie lange gelebt? ja nein, sondern... Wo leb(t)en Deine Großeltern mütterlicherseits zurzeit / zuletzt? in Landkreis, Bundesland bei uns im Haushalt a) Stammen sie von dort oder aus der näheren Umgebung? b) Wenn nicht, woher stammen sie? ja nein, meine Oma kommt aus Stadt/ Region, mein Opa kommt aus Stadt/ Region. Wo leb(t)en Deine Großeltern väterlicherseits zurzeit / zuletzt? in Landkreis, Bundesland. bei uns im Haushalt a) Stammen sie von dort oder aus der näheren Umgebung? b) Wenn nicht, woher stammen sie? ja nein, meine Oma kommt aus Stadt/ Region, mein Opa kommt aus Stadt/ Region. <?page no="249"?> 249 Hast Du als Kind/ Jugendliche/ r mit anderen, oben nicht genannten Personen im Elternhaus zusammengelebt, die aus einer anderen Region stammen als Du? nein ja, mit meiner / meinem . Er / Sie ist aufgewachsen in Landkreis, Bundesland. Spricht jemand aus Deiner Familie Plattdeutsch? nein, niemand. ja, mein/ e und und . Er / Sie ist aufgewachsen in Landkreis, Bundesland. Kannst Du Plattdeutsch? nein, gar nicht. ja, ich kann es sprechen. ja, ich kann es verstehen. Erinnerst Du Dich an Situationen, an denen Du gezielt auf Deine Aussprache achten solltest? ja, z.B. im Chor, beim Radio, beim Theater, im Rhetorikkurs ja, meine Eltern / Lehrer haben bei mir da drauf geachtet nein Wie lange wohnst Du schon in der Umgebung von Bielefeld? schon immer Jahre lang Gefällt Dir die Region? nein       ja In welcher Stadt / bzw. Stadtteil von Bielefeld wohnst Du? Bielefeld Stadtmitte Bielefeld Uninähe Bielefeld in Wie zufrieden bist Du mit Deinem Zimmer / Deiner Wohnung? unzufrieden       zufrieden Würdest Du nach dem Studium gerne aus der Umgebung von Bielefeld wegziehen? nein       ja Seit wann studierst Du in Bielefeld? seit Semestern Hast oder hattest Du feste Beziehungen (min. 1 Jahr lang), seit Du in Bielefeld lebst? Wo ist Dein/ e (Ex)-Freund/ in aufgewachsen? nein ja, Beziehung 1 kommt aus Stadt, Bundesland,. Beziehung 2 kommt aus Stadt, Bundesland. Beziehung 3 kommt aus Stadt, Bundesland. Beziehung 4 kommt aus Stadt, Bundesland. <?page no="250"?> 250 In welchem Zeitraum hast Du in Bielefeld und Umgebung mit anderen Personen zusammengewohnt? Bitte gib die Zeiträume in Jahreszahlen an! Ich habe von bis allein gewohnt in Ort/ Stadtteil Ich wohn(t)e zu Hause ohne Unterbrechung bis heute bis zu meinem ersten Auszug - und von bis - und von bis . Ich wohn(t)e mit meinem Partner/ meiner Partnerin zusammen von bis mit Beziehung 1 (s.o.) in Ort/ Stadtteil von bis mit Beziehung 2 (s.o.) in Ort/ Stadtteil von bis mit Beziehung 3 (s.o.) in Ort/ Stadtteil von bis mit Beziehung 4 (s.o.) in Ort/ Stadtteil Ich wohn(t)e in einer WG von bis in Ort/ Stadtteil mit - Mitbew. 1 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 2 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 3 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 4 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 5 aus Stadt, Bundesland. von bis in Ort/ Stadtteil mit - Mitbew. 1 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 2 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 3 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 4 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 5 aus Stadt, Bundesland. von bis in Ort/ Stadtteil mit - Mitbew. 1 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 2 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 3 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 4 aus Stadt, Bundesland. - Mitbew. 5 aus Stadt, Bundesland. <?page no="251"?> 251 Hast Du mehr Freunde in der Umgebung von Bielefeld, Osnabrück, Detmold und Paderborn, oder eher außerhalb Westfalens? in Bielefeld, Osnabrück, Detmold, Paderborn und Umgebung stammen auch aus Bielefeld, Osnabrück, Detmold, Paderborn und Umgebung. sind aus Landkreis, Bundesland zugezogen. in bzw. aus meiner Heimatstadt außerhalb Westfalens außerhalb Westfalens Kennst Du Leute in der Umgebung von Bielefeld, Osnabrück, Detmold und Paderborn, die Du min. einmal im Monat außerhalb von Seminaren und WG triffst? ja stammen aus Bielefeld, Osnabrück, Detmold, Paderborn und Umgebung sind aus Landkreis, Bundesland zugezogen. nein Würdest Du bei einem schwerwiegenden Problem eher Freunde aus der Umgebung von Bielefeld, Osnabrück, Detmold und Paderborn, oder lieber Freunde außerhalb Westfalens ins Vertrauen ziehen? eher Freunde aus Bielefeld, Osnabrück, Detmold, Paderborn und Umgebung eher Freunde in bzw. aus meiner Heimatstadt außerhalb Westfalens eher Freunde außerhalb Westfalens Findest Du es schade, dass Du nicht (noch) mehr gute Freunde und Bekannte in der Region von Bielefeld, Osnabrück, Detmold und Paderborn hast? ja nein Bist Du Mitglied eines Verbands, mit dessen Mitgliedern Du Dich mehrmals im Jahr triffst (AG, Verein)? ja, in Bielefeld, Osnabrück, Detmold und Paderborn und Umgebung ja, in meiner Heimatstadt außerhalb Westfalens ja, außerhalb Westfalens nein Vielen Dank fürs Mitmachen. Im Laufe des Semesters wird es eine Fortsetzung in einem kleineren Kreis geben: Keine Tests mehr, sondern Tabu -Spiel bei Bier und noch mehr Muffins. Darf ich Dich dazu einladen? ja, unter der Mailadresse nee, ohne mich. . ------------------------------------------------------------------------------------------- § Ich stimme zu, dass mein Daten, die im Rahmen der Studie erhobenen worden sind, für wissenschaftliche Zwecke verwendet und in diesem Zusammenhang publiziert werden dürfen. § <?page no="252"?> 252 A.3 Phonetisch-phonologische Variablen Tab. A.6. Auflistung aller in den 101 Bildergeschichten verwendeten lexikalischen Varianten der Variablen (1), (2), (3), (4) und (5) unter Angabe der Frequenz. Varianten (1) Varianten (2) Varianten (3) Varianten (4) Varianten (5) 83 weg 34 Baumstumpf 76 Kopf 20 Abhang 1 Arbeit 16 legte 1 Schlammpfütze 6 gehüpft 1 Abwechslung 1 Art 10 sagte 1 schimpft 3 hüpfen 3 Ahnung 1 Bienenschwarm 8 kriegt 1 stumpfen 3 hüpft 3 Aufregung 1 Froschkinderschar 5 gesagt 3 Pfütze 4 kopfüber 1 Begeisterung 10 Garten 21 legt 3 Sumpf 1 Kopfkissen 1 Begleitung 2 Gartenteich 12 liegt 1 Baumstumpfes 1 Rehkopf 1 Bewegung 1 Kinderschar 28 Tag 1 Bettpfosten 1 angehüpft 2 Böschung 4 Marmeladen 25 sagt 1 krampfhaft 1 entschlüpfen 1 Ding 6 Marmeladenglas 11 Weg 1 hingehüpft 1 Frühling 6 Park 6 Mittag 1 hüpfte 1 Hoffnung 2 Partner 6 gelegt 1 hüpften 3 Kleidung 1 Partnerin 4 genug 1 rumhüpften 1 Lichtung 1 Schar 3 legten 1 schlüpfte 1 Lösung 1 Vordergarten 3 mittags 1 stapfte 5 Richtung 2 Vorgarten 3 unterwegs 1 tapfer 2 Spaziergang 1 Wahrheit 5 mitgekriegt 1 Sprung 1 arbeitete 2 gezeigt 1 Stellung 4 arme 2 leg 2 Umgebung 2 armen 4 tags 1 Vermutung 1 artig 4 trägt 1 Vollbremsung 1 aufbewahrte 6 überlegt 1 Wanderung 2 bemerkbar 1 Heimweg 3 Wohnung 4 darf 1 Sommertag 1 aufging 1 eigenartiges 1 Vormittag 1 bang 3 furchtbar 1 Vortag 2 eng 52 gar 1 Waldweg 1 entlang 1 gearbeitet <?page no="253"?> 253 Varianten (1) Varianten (2) Varianten (3) Varianten (4) Varianten (5) 1 besagten 5 fing 5 klar 1 geradewegs 1 gelangweilt 7 paar 1 hingelegt 39 ging 52 sogar 1 hinlegt 7 hing 1 starke 1 liegst 1 klang 1 starte 1 mittag 5 lang 1 starteten 1 sagst 13 langsam 1 unauffindbar 1 sagten 9 langweilig 1 unerwartet 4 überlegte 11 sprang 19 wahrscheinlich 4 überlegten 1 unterging 1 wahrzunehmen 4 Überraschung 10 warf 1 warmes 1 warst 1 warte 1 wartest 2 wartet 4 zwar Tab. A.7. Auflistung aller in den 101 Bildergeschichten verwendeten lexikalischen Varianten der Variablen (6), (7), (8) und (9) unter Angabe der Frequenz. Varianten (6) Varianten (7) Varianten (8) Varianten (9) 4 Antwort 1 Froschmädchen 12 Einmachglas 1 artig 2 Aufmerksamkeit 8 Froschpärchen 1 Frosch-Glas 2 beruhigt 13 Berg 6 Fährte 247 Glas 2 beschäftigt 6 Berge 1 Gefährte 1 Glasflasche 5 eifrig 1 Bergen 1 Gefährten 11 Marmeladenglas 1 entledigt 263 Hirsch 1 Gefährtin 7 Mittag 1 fertig 1 Hirsche 1 Gespräch 4 Nach 2 fleißig 9 Hirschen 1 Gläschen 1 Nachfahren 1 freudig 15 Hirsches 1 Gläser 1 Nachhinein 1 hastig 1 Hirschgeweih 1 Gläsern 1 Sommertag 1 kuschelig 1 Hirschs 6 Nähe 27 Tag 9 langweilig 17 Hörner 2 Pärchen 1 Vormittag 6 lustig 8 Hörnern 1 Spielgefährten 1 Vortag 13 neugierig 71 Morgen 1 einschläft 10 Wasserglas 1 niedrig 1 Morgens 1 erklärt 2 Wetter-Glas 1 prächtig 1 Morgenstunden 1 erklärte 7 danach 10 richtig <?page no="254"?> 254 Varianten (6) Varianten (7) Varianten (8) Varianten (9) 9 Ohren 1 ernähren 3 mittags 11 ruhig 2 antwortet 1 erwähnt 269 nach 1 schläfrig 1 antwortete 1 erzähle 1 nach- 1 selbständig 5 aufmerksam 7 erzählen 11 nachdem 1 selig 2 bemerkbar 3 erzählt 1 nachgeguckt 1 stetig 3 bemerken 2 gefährlich 1 nachgesehen 10 traurig 3 bemerkt 1 gefährlichen 2 nachgucken 1 ungläubig 5 bemerkte 1 gerät 1 nachschauen 2 unruhig 1 bemerkten 1 lädt 1 nachzuschauen 1 unschuldig 1 diskutierten 73 nächsten 41 saß 1 verdächtig 52 dort 1 nächster 4 tags 1 verängstigt 1 dreckverschmiert 1 nächstes 3 mittags 8 vorsichtig 1 engagiert 1 näher 269 nach 3 völlig 3 fort 1 nähert 1 nach- 7 wenig 3 galoppiert 28 nämlich 11 nachdem 1 witzig 3 galoppierte 1 regelmäßig 1 nachgeguckt 2 zufällig 3 gehören 1 schläfrig 1 nachgesehen 1 zwanzig 26 gehört 26 schläft 2 nachgucken 1 gehörte 10 spät 4 gemerkt 8 später 1 gestört 5 trägt 8 geworden 2 ungefähr 1 hingehört 24 während 1 horchen 2 währenddessen 2 horcht 10 wäre 5 horchte 2 zunächst 23 hören 37 hört 18 hörte 3 hörten 9 interessiert 1 irgendein 1 irgendeinem 6 irgendetwas 23 irgendwann 15 irgendwas 1 irgendwelche 25 irgendwie 14 irgendwo 15 kurz 2 kurze 1 kurzer 2 kurzerhand <?page no="255"?> 255 Varianten (6) Varianten (7) Varianten (8) Varianten (9) 1 merken 10 merkt 7 merkte 4 morgen 10 morgens 11 nirgends 9 nirgendswo 13 nirgendwo 25 passiert 6 passierte 1 probierst 3 probiert 1 schockiert 1 signalisiert 8 sofort 1 sortiert 1 spaziert 2 stören 1 trägt 1 unaufmerksam 3 unbemerkt 46 wird 10 wirft 28 wurde 5 wurden 1 zuhört 1 überdimensionierten <?page no="256"?> 256 A.4 Lexikalische Regionalismen A.4.1 Fundstellen in Dialektwörterbüchern Tab. A.8. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen in den Westfälischen Wörtersammlungen von Peters/ Djatlowa, Möller und Platenau. Peters/ Djatlowa 2003 Möller 2005 Platenau 2003 Lemma Bedeutung Lemma Bedeutung Lemma Bedeutung anbucken den Kopf anlehnen (an)bucken sich mit dem Gesicht anlehnen anlihnen, anlihnt; anbucken, anbucket anlehnen anschmieschmiegen, kuscheln Botter Bötter Bötterken Bötterkes Butterbrot Botter Butterbrot Botter Butterbrot dölmern austüfteln, herausfinden dölmern, Dölmeruige unverständlich, dummes Zeug reden dölmern balgen, aus Übermut raufen tollen, spektakeln Döneken Dönekes Schnurre, anekdotische Erzählung Doinken Anekdote Döhnken Anekdote döppen Schoten entleeren, aushülsen döppen, iutdoipen (doffte, dofft) aushülsen, ausschälen taufen döppen kappen, kürzen gallern heftig regnen, pladdern, gallern regnen, stark - Üösel Ruß, Asche am Docht - Pingeljagd Kinderspiel: Bei Leuten klingeln und sich verstecken Pingel, pingeln Klingel pingeln schellen, klingeln <?page no="257"?> 257 Peters/ Djatlowa 2003 Möller 2005 Platenau 2003 Lemma Bedeutung Lemma Bedeutung Lemma Bedeutung Pinnken 1. Holzstäbchen 2. Schnapsglas Pintken Schnapsglas (Pinte: altes Hohlmaß) Pinn Dübel, Holzpflock plästern stark regnen plästern im Sturzregen niedergehen pleistern regnen, sehr stark Pläte Glatze Platten 3.: Kopf, Schädel ne kahle Pl. Glatze Glatz; Platten Glatze Polter Polter, Nachthemd Pölter Nachthemd Pölter Schlafanzug - Pümpel Holzpfahl - - Pöter Po schlickern V. naschen schlickern naschen, schlecken schlöüern V. langsam, schleppend gehen schluiern schleppend gehen, schlüren schlendern schlürn schlendern, schlurfen Schlöüerschluck m. der letzte Schluck vor’m Gehen Schluier 1 gemächlicher Spaziergang Schlür Gewohnheit schmötke(r)n, Schmötker matschen, schmieren schrabbeln schräbbeln hart, blechern tönen (z.B. im Radio) schräbbeln lärmen, schribbeln, kreischen schrappen schrawweln scharren, kratzen laut schreien, lärmen Stiuden (m) Weißbrot Stuten Stiuten Weißbrot <?page no="258"?> 258 Tab. A.9. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen in den Westfälischen Wörtersammlungen von Woeste und Rosemann (genannt: Klöntrup). Woeste 1966 Rosemann 1982, 1984 Lemma Bedeutung Lemma Bedeutung anbucken, sik a. sich anlehnen anbucken sich zu einem hinneigen; bucke an! sagt man zu Kindern dontken, n liedchen döppen aushülsen, auskrullen, von bohnen und erbsen döppen Däupe, auch Döpe däupen aushülsen Taufe taufen gallern prügeln pingeln läuten pinnken, n 1. kleiner pflock, 2. gläschen, schnaps plaestern, plêstern stark regnen, vom platzregen et plaestert, et es am plaestern platte f kâle platte Platte 1) eine Fläche 2) die Scheitel 3) die Platte auf dem Kopfe, Glatze plämpen / plämpern verschütten, von flüssigkeiten / sich beim trinken beschütten sluckern naschen schräbbelig lärmend, schreiend; kläffend stuten, m. ein backwerk, ursprünglich rund mit einer kerbe, wie unsere bauerstuten Stute Weißbrodt <?page no="259"?> 259 Tab. A.10. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen in der Westfälischen Wörtersammlung von Gehle. Gehle 1977 Bedeutung Varianten Varianten Ravensberg- Lippe OWL Warburger Börde Alternatives Vorkommen in Westfalen anlehnen anbucken - - Bonbon - Bömsken - Erzählung / kleine / lustige Döhnken - Döhn(e)ken (Westmünsterland, Ibbenbüren) taufen däupen daupen, däpen, deypen döpen (Münster und Bochum), doipen (Mark- Bochum), kristen (Mark- Bochum, Münster) regnen / sprühen stark gallern - - Klingel Pengel - Pingel, Schelle, früher Bell (Westmünsterland, Ibbenbüren), Klingel, Pingel (Mark-Bochum, Münster) Schnaps Pinneken - regnen / sprühen heftig pleistern - - Glatze Platten Platte Pläte (Bochum) Nachtkleid (der Kinder) Pölter Polter naschen schlickern - verschleissen / unachtsam verschleiten schlüren - - Weißbrot Wittbreot, Stiuten, - - <?page no="260"?> 260 Tab. A.11. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen im Westfälischen Wörterbuch bzw. im Zettelarchiv in der Wörterbuchstelle in Münster. Lexem Lemma belegte Bedeutung Lokale Verbreitung Areale Verbreitung (an-) bucken bukken II sich anschmiegen, den Kopf anlehnen Höxter, Detmold, Herford, Olpe, Iserlohn, Brilon, Minden Soest, Waldeck Ostwestfälisch, Südwestfälisch, Nordhessisch Bömsken Bombom, m.n,(f), Bonbon Wortkarte Bonbon verbreitet: östliches Münsterländisch, Westmünsterländisch, östliches Südwestfälisch Bütterken Bu e tere 1. Butter (f.) 2. Schnitte Brot mit Butter und Belag (n.) sehr weit im westfälischen Raum verbreitet, sehr viele Belege dölmern, V dölmeren 1. Krach machen verbreitet: Ostwestfälisch 2. viel und unsinnig reden, lallen (von Kindern) 2. Herford 3. erschlagen, zerbrechen 3. Höxter Dön(e)kes Dönken, n. 1. harmloser, lustiger Streit 1. Minden, Ravensberg, Lippe, sonst verstreut verbreitet: Ostwestfälisch, Münsterländisch, Südwestfälisch 2. kleine, meist lustige, erdichtete Geschichte; Anekdote 2. Doinken, Halle, Herford 3. kleines Lied 3. Sauerland <?page no="261"?> 261 Lexem Lemma belegte Bedeutung Lokale Verbreitung Areale Verbreitung döppen, V döppen döpen döppen (3 Einträge) döppen 1. Früchte enthülsen 2. die Spitze eines Eis abschlagen 3. Kinderspiele 4. Nieten setzen 5. mit den Augen blinzeln sehr weit im westfälischen Raum verbreitet döpen 1. taufen 2. in Wasser tauchen 3. benennen 4. Getränke mit Wasser verdünnen 5. Ausdruck beim Kartenspiel verbreitet: Südwestfalen döppen verstreut in Münster-Hiltrup i-Dötze i-dot Schulanfänger 3 Belege Westmünsterland, Lüdinghausen verbreitet: Münsterländisch, Westmünsterländisch Dots, m kleines Kind, spez. kleiner Junge verbreitet nördl., verstreut südl.), Dots verbreitet, Döts, verstreut nördl. Ostwestf. nördl. Ostwestf., Münsterländisch, verstreut in Südwestf. Dötsken, n kleines Kind verstreut verstreut gallern 2 galleren prügeln, heftig regnen Lippe, Höxter, Versmold, Minden, Herford, Bielefeld, Warburg verbreitet: Ostwestfälisch Killefitt - <?page no="262"?> 262 Lexem Lemma belegte Bedeutung Lokale Verbreitung Areale Verbreitung össelig, üsselig, usselig, u e selig hässlich, ungepflegt, verkommen, unsauber, unordentlich, unscheinbar, schwächlich, gewöhnlich, kränklich Hagen, Iserlohn, Warbug, Ahaus, Münster, Recklinghausen, Waldeck, Büren, Soest, Oldenburg, Essen verbreitet: Ostwestf., Münsterländisch, Westmünsterländisch, Südwestf., Nordhessisch Pingeljagd pingeln pingelen I läuten, schellen Osnabrück, Ravensberg, Lippe, Höxter, Minden, Ahlen verbreitet: Ostwestf. südl. Münsterländisch Pinneken Pin Holzpflock u.ä. Sauerland, Ruhrgebiet, Münster, Büren verbreitet: Ostwestf., Südwestf., Münsterländisch Pinneken Schnapsglas Halle, Cloppenburg (2 Belege) verstreut (2 Belege): Ostwestf., Nordnd. plästern plästern, plaistern stark regnen Iserlohn, Olpe, Unna, Recklinghausen, Essen, Bielefeld, Lemgo, Höxter, Paderborn, Münster, Ennepe-Ruhr verbreitet: Ostwestf., Südwestf., Münsterländisch Pläte Plate, Pläte Stirn, Glatze Olpe, Arnsberg, Brilon, Soest, Osnabrück, Halle Herford, Paderborn verbreitet: Ostwestf., Südwestf. Pölter Polter Nachthemd Brilon, Olpe, Arnsberg, Soest, Münster, Halle verbreitet: Ostwestf., Südwestf., Münsterländisch Pömpel Pümpel Stampfer Halle, Lippe, Gütersloh verbreitet: Ostwestf. Holzpfeiler Bielefeld (3 Belege) verstreut: Bielefeld (3 Belege) <?page no="263"?> 263 Lexem Lemma belegte Bedeutung Lokale Verbreitung Areale Verbreitung Pöter Pö 1 ter Hintern Vechta, Bad Oeynhausen (2 Belege) verstreut (2 Belege): Ostwestf., Nordnd. schlickern slikkeren, slickern, schlickern heimlich naschen Münster, Höxter, Gütersloh, Osnabrück, Halle, Ahlen, Lippe, Dortmund verbreitet: Ostwestf., Südwestf., Münsterländisch schlüren slu e deren, schlürn schleppen, langsam gehen, nachlässig sein Lippe, Ahlen, Osnabrück, Olpe verbreitet: Ostwestf., Südwestf., südl. Münsterland Schlürschluck - (sch)mött kern smuttken, schmuttken (ver-) schmutzen Lingen, Cloppenburg verbreitet: Emsländisch schrebbelig schräbbelen, schräbbelig unangenehm tönen Ostwestfalen, Dortmund, Ripuarisch Ostwestf., Südwestf. Stutenkerl Stuten I Stutenkärl Weißbrot Gebäckfigur (zu Nikolaus, Weihnachten) Sauerland, Ruhrgebiet, Ostwestfalen, Lippe Münster verbreitet: Ostwestf., Südwestf., Münsterländisch <?page no="264"?> 264 Tab. A.12. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen im Niedersächsischen Wörterbuch bzw. im Zettelarchiv in der Wörterbuchstelle in Göttingen. Lexem Lemma Bedeutung Areale Verbreitung (an-) bucken anbucken sich anschmiegen, anlehnen Oldenburger Land (Vechta, Bremen, Bremerhaven, Wilhelmshaven) Lüneburg Bömsken Bömsken, n Bonbon Westfalen (Emsland, Osnabrück), Papenburg Bütterken Butter, n Butterbrot Neustadt am Rübenberge, Harburg, Lüneburger Heide, Schaumburg, Verden dölmern, dölmern sich dumm, ungeschickt anstellen, Unsinn treiben und reden, sich unsinnig gebärden, toben Braunschweig, Bersenbrück (sonst nicht belegt) Dön(e)kes Dönken, Döneken, Döntje n. 1. spaßhafte kleine Geschichte, Schnurre, Schwank, 2. alberner dummer Streich ostfälisch (südlich der Aller, d.h. Gifhorn und Hannover und südlich davon), verstreut nordniederdeutsch döppen, döpen taufen verbreitet döppen enthülsen i-Dötze i-dot Dots, m Dötsken, n Erstklässler vorhanden als Dütte, Düttjen in der Bedeutung ‚kleines Mädchen‘ bzw. ‚kleines Kind‘, ferner ‚i-Punkt‘ Döttken ‘kleines Kind‘: (punktuell: Aschendorf-Hümmling) gallern 2 galleren heftig regnen, in Strömen regnen gut belegt, verbreitet südlich der Aller in Hildesheim, Alsfeld, Hameln- Pyrmont, Einbeck, Northeim, Göttingen sowie verstreut in Osterode (Harz), Duderstadt, Salzgitter Killefitt - <?page no="265"?> 265 Lexem Lemma Bedeutung Areale Verbreitung össelig, üsselig, usselig, u e selig durcheinander heruntergekommen, ungemütlich vorhanden unter usselig Pingeljagd pingeln pingelen I an vielen fremden Türen klingeln und wegrennen nur ein Beleg aus Norden: Pingeltje maken, ansonsten Derivationen und Komposita von Pingel Pinneken plästern plästern, plaistern stark regnen als plastern, plästern vereinzelt belegt, ferner wenige Belege in der Datenbank: Bremervörde, Lüneburger Heide, Verden, Nienburg Helmstedt, Vechta Pläte Plate, Pläte Glatze als Platte, Plätte, Pleite im Material belegt in den Bedeutung ‚Stirn‘, ‚Glatze‘ vor allem in Meppen und Lingen, vereinzelt verbreitet in Ostfriesland, punktuell Oldenburger Land, Wesermünde, Vechta Pölter - Pömpel Pümpel Pfeiler als Pümpel gut belegt in diversen Bedeutungen: ‚dicker Stock‘, ‚Stampfer‘, ‚Stößel‘, ‚Rammklotz‘, ‚Rundholz‘, ‚Gewicht der Standuhr‘, ‚Schwimmer am Netz‘, auch übertragen: ‚dicker Mensch‘, besonders ‚kleiner dicker Junge‘ Pöter Pöter Hintern punktuell: zwei Belege in Peine (Hannover) schlickern slikkeren, slickern, schlickern naschen als slickern im Material nicht schlecht, in der Datenbank sehr gut westlich der Weser (südlich von Nienburg und Diepholz sowie westlich und östlich der Ems) belegt schlüren slu e deren, schlürn schlendern, etwas mitschleppen als sluren, slüren im Material sehr gut belegt, in der Datenbank weniger gut, verbreitet in Ostfalen, südlich von Hannover, Braunschweig und Diepholz Schlürschluck - <?page no="266"?> 266 Lexem Lemma Bedeutung Areale Verbreitung (sch)möttk ern smuttken, schmuttken matschen, kleckern kein Beleg, allerdings in vielen Varianten vorhanden unter modd-, muddbzw. in Material und Datenbank unter smudd-, smuttschrebbelig schräbbelen gellend, krächzend schräbbelig in der Bedeutung nicht vorhanden, wohl aber schrabbeln und weitere Derivate, auch in der Datenbank unter schrabbeln, schrabbel/ insgesamt 6 Belege in Northeim und Duderstadt Stutenkerl Stuten Weißbrot Stutenkerl als Kompositum nicht belegt, viele verbreitete Belege für Stuten Tab. A.13. Belege der abgefragten lexikalischen Regionalismen in den großlandschaftlichen Dialektwörterbüchern, die nicht Westfalen abdecken. Lexem Lemma Bedeutung Areale Verbreitung (an-)buck en - Bömsken - Bütterken dölmern - Dön(e)kes Dunkes (Rheinisches Wörterbuch) falsche Vorspiegelung, in der Wendung: Mach mer keinen Duhnkes! ‚Täusche, prelle mich nicht.‘ Köln döppen i-Dötze gallern gällern (Thüringisches Wörterbuch) stark regnen: nur `s jallert (Oberharz) <?page no="267"?> 267 Lexem Lemma Bedeutung Areale Verbreitung Killefitt Killefitt (Rheinisches Wörterbuch) verächtl. fades, dünnes Getränk, bes. Kaffee, Kaffee- Ersatz, Fuselschnaps Moers, Duisburg, Dinslaken, Rees össelig, üsselig, usselig uselig (Rheinisches Wörterbuch) unansehnlich, erbämlich, ungemütlich, regnerisch Südniederfränkisch auch in Grevenbroich, Heinsberg, dann Linksripuarisch in Aachen-Eschweiler, Bergheim-Bedburg Horrem, Düren, Köln-Stadt, Bochum-Stadt, Münstereifel Kreis Rheinbach, Zülpich, Schleiden-Blumenthal Dottel Heisberg, Prüm-Steffeln; dann Moselfränkisch in Prüm, Bitburg, Trier- Schleiden Thomm, Kochem, Mayen, Daun, u. Rheinfränkisch ganz abseits Ottweiler-Tholey, rechtsrheinisch im Anschluss an Ruhr, Düsseldorf, Solingen noch in Mettman, Wuppertal, Wermelskirchen Ussel (Schleswig- Holsteinisches Wörterbuch) Schwächling, Feigling, aus dänischen ussel elend, kümmerlich Flensburg 1850 und vereinzelt noch Pingeljagd - Pinneken Pinneken (Rheinisches Wörterbuch) kleines Schnäpschen (im Gegensatz zum Doppelkorn) Bergisch, Neuwieth-Altenhof, Siegerland, Sieg-Leuscheid, Rhöndorf Dollendorf, Penneken Dinslaken, Mettman-Langenberg, Essen plästern - <?page no="268"?> 268 Lexem Lemma Bedeutung Areale Verbreitung Pläte Pläte (Rheinisches Wörterbuch) Glatze Südniederfränkisch in Moers, Kempen, Mönchengladbach Grevenbroich, Neuss, im Ripuarisch daneben, mehr verächtl. Bergisch Gummersbach, Sieg-Fusshollen, Wuppertal, Essen, Prüm-Duppach Stadtkyll, Schleiden, Adenau. Mayen, unterer Moselflusslauf, Koblenz- Kärlich Stadt, Kochem-Lutzerath Treis, Boppard, kurköln. Neuwieth, bergische Südgrenze, Siegerland Pölter Pölter (Rheinisches Wörterbuch) Nachtkleid der Kinder Belege von Simmern, St. Goar über die untere Mosel (Kochem), Daun, Prüm, Bitburg u. rechtsrheinisch in Siegen Pömpel - Pöter Pöter, Poter (Brandenburg- Berlinisches Wörterbuch) Gesäß (kindersprachlich) Pöter: Potsdam-Bornim, Templin- Groß Kölpin, Poter: Jüterbog-Treuenbrietzen, Rathenow-Prietzen schlickern schlüren schluren, schlüren (Rheinisches Wörterbuch) niederfränkisch nördlich Ürdinger Linie mehrfach bezeugt, Barmen, Kempen, Moers, Geldern, Düsseldorf-Stadt, Rees-Wesel, Rees, Kleve; Geilenkirchen-Birgden, Köln-Stadt; Bitburg-Geichl Schlürschluck - (sch)mött -kern schrebbelig schräppelig (Rheinisches Wörterbuch) hart, knarrend, von der Stimme Düsseldorf Stutenkerl Stutenkerl (Rheinisches Wörterbuch) Gebildweck zu Nikolaus oder Weihnachten, eine Manndarstellung Lennep, Mettman, Ruhr, Dinslaken <?page no="269"?> 269 A.4.2 Ergebnisse des Vortests Tab. A.14. Auflistung der 159 Lexeme, nach denen 15 Personen im Vorfeld des Vortests der Untersuchung befragt wurden. Die Wörter wurden aus Gromann (G), Borner (B) und Niebaum (N) und auf der Grundlage von Befragungen im einheimischen Bekanntenkreis (K) ausgewählt (Gromann 1979, Borner 2005 und 2006, Niebaum 1977). Lexem Bedeutung Lexem Bedeutung Lexem Bedeutung angeschickert (B) angetrunken Pättkenschnöwer (G, B) Mofa, Moped tünerig (B) altersschwach fickerich (B) aufgeregt, zappelig schlickern (N, B) naschen Itzken (B) Stückchen knülle (B,G) besoffen Schluffen (N) Pantoffeln Mäse (B) Arsch betuppen (N) betrügen Pömpel (G, B) Pömpel flättig (B) abgenutzt, verschmutzt dune (B) betrunken wämsen (N) prügeln schandulen (B) beschimpfen Bömsken (G, B) Bonbon rängstern (N) Radau machen Bollen (B) (Ober-) Schenkel Klümp(s)ken (G, B) Bonbon küren (N) reden vertellen (B) erzählen Bratskartoffeln (G, B) Bratkartoffeln quatern (N) reden Püffken (B) kleines Feuer Plempe (G, B) dünne Flüssigkeit butt (N) roh, grob frisselig (B) frierend, kalt Plörre (G, B) dünne Flüssigkeit Schnodden (G, B) Rotz Mauken (B) Füße in‘n Tödder (G, B) durcheinander schlindern schlundern (G, B) rutschen Gizpin (B) Geizhals Schlinderbahn (G, B) Eisbahn dölmern (G, B) scherzen, spielen Dämelack (B) Dummkopf <?page no="270"?> 270 Lexem Bedeutung Lexem Bedeutung Lexem Bedeutung enttüddeln (B) entwirren Pölter (G, B) Schlafanzug hennig / hönnig (B) groß, kräftig Huckel (G, B) Erhebung, Anhöhe kiebich (B) schlecht gelaunt inne Fissen (B) in Ordnung sein verkasematucken (G, B) essen, naschen, verklickern knötterich (G, B) schlecht gelaunt Butze (B) kleine Wohnung Placken (N) Flecken Pinnecken, (Pintchen) (K) Schnapsglas schasskern (B) sich betrinken Frostköddel (G, B) frierende Person tenger(n) (G, B) schnell Bregen (B) Kopf knickerich (G, B) geizig Schapp (N) Schrank anbölken (B) anblaffen kniepich (G, B) geizig Trecke (N) Schublade Proppen (B) Korken, Stöpsel schrebben (G, B) gellend, krächzend schuppen (N) schubsen döm(p)ken (B) Qualm erzeugen Kawenzmann (G, B) großer Gegenstand, großer Mensch i-Dötze (B) Schulanfänger peesen (B) rasen Bollerwagen (G, B) Handwagen derbe (G, B) sehr, stark (verstärkendes Adverb) Jökeltrine (B) Schlampe wullacken (G, B) hart arbeiten (sich be-) ömmeln (G, B) sich amüsieren picheln (B) bechern (alkoholisch plümerant (G, B) heikel, ungemütlich, unbehaglich (sso)butz (G, B) sofort Lauschepper (B) Schnorrer stickum (G, B) heimlich, leise Spöker (K) Spinner Knüpp (B) Knoten Pöter (G, B) Hintern plästern (N) stark regnen Düppe (B) Schüssel, Topf Hücksken (G, B) Hocke prokeln (G, B) stochern kröckelig (B) altersbedingt wackelig <?page no="271"?> 271 Lexem Bedeutung Lexem Bedeutung Lexem Bedeutung Buxe (B) Hose Püfferken (G, B) Teigfladen, Kartoffelpuffer Klöttken (B) Stückchen Schmacht (N) Hunger Töffel / töffelich (G, B) Tollpatsch / tollpatschig aul (B) alt Bengel (G, B) Junge, Lümmel Henkelmann (G, B) tragbarer Essensbehälter Krösken (B) Techtelmechtel inne Dutten (G, B) kaputt dröge (G, B) trocken, uninteressant verkimmeln (B) versagen Pillepoppen (G, B) Kaulquappen drömmeln (G, B) trödeln Döppen (B) Augen Blag(en) (G, B) Kinder (pejorativ) döppen (G, B) tunken, pulen (rum)ölen (K) wurschteln Plünnen (N) Kleidung kodderich (G, B) übel, elend Spölker (K) Spinner Zissemänken (G, B) kleine, schmächtige Person quengeln (G, B) unablässig meckern (sch)möttkern (K) matschen Pättken (G, B) kleiner Weg hibbelich (G, B) unruhig, nervös Mötker (K) Matsch Pinöckel (G, B) kleines Ding Dön(e)kes (G, B) Unsinn (an)bucken (K) sich anlehnen Wonneproppen (G, B) kleines niedliches bzw. dickes Kind verknusen (G, B) vertragen Bütterken (B) Butterbrot Tüddelkram (B) Kleinkram, Unsinn sabbeln (N) viel reden Botten (B) Kinder Pingeljagd (G, B) Klingelstreich, Schellekloppen böltern (G, B) viel trinken össelig/ usselig (B) heruntergekommen Pläte (N) Kopf, Glatze Gedöns (G, B) Zeug pölen (B) Fußball spielen Brassel (G, B) Kram, Stress friemeln (B) zurechtpuzzeln butz (B) schnell, sofort klaterich / klöterich (G, B) kümmerlich, elend plinkern (N) zwinkern stippeln (K) tröpfeln <?page no="272"?> 272 Lexem Bedeutung Lexem Bedeutung Lexem Bedeutung Latüchte (G, B) Lampe, Laterne Kladusen (N) Kleider süppeln (B) trinken puttken (N) langsam gehen Ker / kär (K) ‚Mensch..., ‚also..., ‚weißt du... Batze (K) Schwimmbad tranklöt(er)ich (G, B) langsam, trödelnd Heedwichte (K) ‚Rosinenbrötchen schlüren (B) schlendern ramentern (G, B) lärmen kabbeln (N) zanken gallern (K) in Strömen regnen spillerich (G, B) mager, dürftig schrebbelig (G, B) gellend, ‚krächzend Kopsterbolter (G) Purzelbaum Mürker (G, B) Maurer Gepattkerter (B) alkoholisches Mischgetränk Stutenkerl (K) Hefeteig- Männchen nönkern (B) Mittagsschlaf halten Kopppiene (B) Kopfweh baselig (K) schusselig plempern (G) verschütten, kleckern Hümmeken (K) Küchenmesser verschlüren (K) verlegen plören (G) verschütten Schlürschluck (B) Abschiedstrunk betucken (K) betrügen Pröddel (K) Nippes, Kleinkram Killefitt (K) Unsinn Dingenskirchen (K) Dingsbums Im Folgenden werden die 68 Lexeme aufgeführt, die unter 134 Personen aus dem ostwestfälischen Bielefeld (BI), dem nordniederdeutschen Neumünster (NMS) und dem südhessischen Darmstadt (DA) vorgetestet wurden. Nach Ausschluss der Neumünsteraner und Darmstädter mit sprecherbiographischem Bezug zu Ostwestfalen sowie Bielefelder, die oder deren Eltern nicht in Ostwestfalen aufgewachsen sind, liegen der Auswertung des Vortests die Daten von 32 Studierenden im ostwestfälischen Bielefeld (BI), 31 Schülern im nordniederdeutschen Neumünster (NMS) und 27 Studierenden im südhessischen Darmstadt (DA) zugrunde. Die Lexeme, die mindestens 50 Prozent der Bielefelder und max. 30 Prozent der Neumünsteraner und Darmstädter bekannt waren, wurden in der Hauptuntersuchung abgefragt, sofern die Differenz der Bekanntheitsgrade und Bielefelder und Neumünste- <?page no="273"?> 273 randern sowie unter Bielefeldern und Darmstädtern mindestens 50 Prozent betrug. Die Lexeme Ker, Klümpsken, baselig, plören, süppeln, verschlüren, Pinnchen, knötterig, Schmacht und rumölen wurden ausgeschlossen, weil diese wegen lautlicher Ähnlichkeit zu allgemein bekannten Lexem (z.B. süffeln) oder bereits abgefragten Lexemen (z.B. Pinnchen) in einem Multiple-Choice- Test vermutlich leicht zu erraten sind. Prokeln, betucken, Butze und betuppen erschienen nach kurzer Recherche in dialektalen Wörterbüchern als überregional zu weit verbreitet, um Rückschlüsse auf das Kennenlernen von regiolektalen Ostwestfalismen zuzulassen. Tab. A.15. Auflistung der im Vortest abgefragten 68 Lexeme unter Angabe der Bekanntheitsgrade in den Gruppen ostwestfälische Bielefelder (BI), nordniederdeutsche Neumünsteraner (NMS) und südhessische Darmstädter (DA). Die Bekanntheitsgrade der Neumünsteraner (NMS) und Darmstädter (DA) werden den Bekanntheitsgraden der Bielefelder (BI) gegenübergestellt, indem jeweils die Differenz zwischen Ostwestfalen und Nicht-Ostwestfalen ermittelt wird (Differenz BI-NMS und Differenz BI-DA). Lexeme Bekanntheitsgrad BI Bekanntheitsgrad NMS Bekanntheitsgrad DA Differenz BI- NMS Differenz BI-DA Schmacht 100% 26% 4% 74% 96% verschlüren 100% 10% 0% 90% 100% Blag(en) 100% 45% 39% 55% 61% Dingenskirchen 100% 61% 54% 39% 46% anbölken 100% 77% 7% 23% 93% enttüddeln 100% 94% 29% 6% 71% Buxe 97% 29% 54% 68% 43% Plörre 97% 90% 54% 7% 43% kabbeln 96% 84% 91% 12% 5% knötterig 94% 16% 32% 78% 62% döppen 94% 0% 0% 94% 94% Bütterken 94% 0% 0% 94% 94% Huckel 94% 42% 25% 52% 69% sich beömmeln 92% 71% 36% 21% 56% süppeln 91% 16% 0% 74% 91% Dön(e)kes 91% 6% 0% 84% 91% i-Dötze 91% 0% 14% 91% 77% picheln 91% 16% 50% 74% 41% <?page no="274"?> 274 Lexeme Bekanntheitsgrad BI Bekanntheitsgrad NMS Bekanntheitsgrad DA Differenz BI- NMS Differenz BI-DA Mauken 91% 58% 7% 33% 84% Frostköddel 91% 68% 18% 23% 73% Butze 87% 10% 0% 78% 88% Pläte 87% 6% 0% 81% 88% schlickern 87% 0% 0% 88% 88% Pöter 87% 0% 4% 88% 84% Pömpel 86% 0% 0% 86% 86% plempern 86% 58% 44% 28% 42% Stutenkerl 84% 3% 0% 81% 84% killefitt 84% 0% 0% 84% 84% gallern 84% 0% 0% 84% 84% angeschickert 84% 55% 64% 29% 20% Pölter 81% 3% 0% 78% 81% Pinnchen 81% 3% 0% 78% 81% prokeln 81% 0% 0% 81% 81% peesen 81% 90% 46% -9% 35% knülle 79% 26% 64% 53% 15% Kawenzmann 79% 52% 54% 28% 25% baselig 78% 10% 7% 68% 71% dröge 78% 68% 25% 10% 53% betuppen 75% 13% 7% 62% 68% Pinnecken 75% 0% 4% 75% 71% Pinöckel 75% 42% 4% 33% 71% fickerig 75% 48% 43% 27% 32% knickerig 75% 61% 57% 14% 18% Tüddelkram 75% 90% 43% -15% 32% schlüren 72% 0% 0% 72% 72% Klümp(s)ken 72% 0% 4% 72% 68% dölmern 72% 0% 0% 72% 72% kiebig 69% 29% 0% 40% 69% (rum)ölen 68% 13% 0% 55% 68% össelig 66% 0% 4% 66% 62% <?page no="275"?> 275 Lexeme Bekanntheitsgrad BI Bekanntheitsgrad NMS Bekanntheitsgrad DA Differenz BI- NMS Differenz BI-DA Bömsken 66% 0% 4% 66% 62% Proppen 66% 58% 4% 8% 62% plören 62% 13% 0% 50% 63% betucken 62% 6% 4% 56% 59% schrebbelig 62% 0% 0% 63% 63% Pingeljagd 62% 0% 0% 63% 63% Ker / kär 59% 0% 0% 59% 59% (an-) bucken 59% 0% 0% 59% 59% Schlürschluck 56% 3% 0% 53% 56% schmöttkern 56% 0% 0% 56% 56% plästern 56% 0% 0% 56% 56% Püfferken 56% 13% 7% 43% 49% kniepig 53% 0% 14% 53% 39% Dämlack 53% 65% 46% -11% 7% ramentern 47% 6% 0% 40% 47% Latüchte 47% 10% 0% 37% 47% kodderig 41% 29% 0% 12% 41% Henkelmann 34% 6% 0% 28% 34% A.5 Zusatzmaterial A 5.1 Spieleabend Eine dritte Sprechlage wurde mithilfe eines informellen Settings motiviert: Als Grundlage für eine qualitative Analyse wurde eine Auswahl der einheimischen und zugezogenen Probanden nach Abschluss des jeweils etwa einstündigen, mehrstufigen Tests zu einem von drei Spieleabenden eingeladen (Lorenz 2013a: 363, Nemeth 2001: 105). Jeder Spieleabend fand ohne Beisein der Aufnahmeleiterin in einem durch Snacks und Getränke informell gestalteten Universitätsbüro statt. Die Spielerunden waren dabei jeweils so zusammengesetzt, dass sowohl einheimische als auch zugezogene Probanden teilnahmen. Diese Gruppen spielten das in der Altersgruppe populäre, Gesellschaftsspiel Tabu (Tabu 1994). Den Spielregeln entsprechend (Tabu 1994) erklärt jeweils eine Person ihrer Mannschaft unter Zeitdruck bestimm- <?page no="276"?> 276 te, auf Karten vorgegebene Lexeme ohne eine Reihe von thematisch verwandten, ebenfalls vorgegebenen Lexemen verwenden zu dürfen: Bei der Umschreibung des Lexems Bürste z.B. dürfen Borsten, Griff, Haar, Kleider und Schuhe nicht verwendet werden. Die eigene Mannschaft muss die umschriebenen Lexeme erraten, um Siegpunkte zu erhalten - pro erratenes Lexem bekommt sie einen Punkt. Die Gegenmannschaft achtet darauf, dass die Person, die die Lexeme umschreibt, keines der ausgeschlossenen Lexeme verwendet. Fällt ein solches Lexem bei der Umschreibung, bekommt die Gegenmannschaft den Punkt. Eine Spielrunde dauert eine Minute, anschließend werden die Punkte nach Anzahl der erratenen Lexeme und gegebenenfalls die Punkte für die Gegenmannschaft notiert. Danach wird die Gegenmannschaft zur ratenden Mannschaft (Tabu 1994). An den drei Spieleabenden waren dieselben 180 zu erklärenden Lexeme zu erraten, die auf den 180 Spielkarten zur Verfügung gestellt wurden. Jeder Spieleabend dauerte gute zwei Stunden und wurde komplett aufgenommen. Um das Beobachterparadoxon weit möglichst zu minimieren, war die Aufnahmeleitung während der Aufnahme nicht anwesend. Aufgrund der informellen Situation, des Zeitdrucks, der Vorgabe der nicht zu verwendenden Lexeme und der Mannschaftsrivalität fielen Äußerungen während des Spiels erwartungsgemäß sehr spontan und unreflektiert aus. Es wurde erwartet, dass beim Spieleabend andere Ostwestfalismen realisiert würden als in den Vorlesetexten und erzählten Bildergeschichten. Zudem sollten Akkommodationsprozesse zwischen den Personen stattfinden. Bei der Sichtung des Materials wiesen die Gesprächsanteile der Zugezogenen jedoch keine nennenswerten Ostwestfalismen auf: Im Laufe des Abends verwendeten dagegen alle Beteiligten Regionalismen aus ihrer Heimatregion. In Bezug auf eine Konvergenz an den ostwestfälischen Regiolekt ist dieses Ergebnis nicht weiterführend. A.5.2 Phraseologische und syntaktische Regionalismen Im Rahmen des Multiple-Choice-Tests und des Salienztest wurden nicht nur Lexeme, sondern auch eine Reihe von phraseologischen und syntaktischen Regionalismen untersucht. Um die areale Reichweite der im Multiple- Choice-Test abgefragten Phrasen eingrenzen zu können, wurden auch diese in regiolektalen und dialektologischen Wörterbüchern nachgeschlagen. Leider war von den sechs abgefragten Phrasen keine einzige in den konsultierten Wörterbüchern verzeichnet. Deswegen wurde auf eine Auswertung verzichtet. Tabelle A.16. zeigt die abgefragten Mehrwort-Einheiten. <?page no="277"?> 277 Tab. A.16. Abfrage von phraseologischen und syntaktischen Regionalismen im Rahmen des Multiple-Choice-Tests. Multiple-Choice-Test Regionalismus Wo fährst du her? her anstatt (ent)lang Komm aus’m Quark! Phrase Wo hast Du das weg? weg anstatt her Du hast geplempert! Bildung des Partizips von plempern mit geanstatt ver- Kann ich bei Dir mit rausgucken? rausgucken anstatt reingucken Sie ist gut zuwege. Phrase Weiter phraseologische und syntaktische Regionalismen wurden im Salienztest abgefragt. Weitgehend unabhängig von ihrer regionalen Herkunft ordnete der überwiegende Teil aller Probanden diese Merkmale als auffällig ein - häufig mit Verweis auf die Abweichung von der Schriftsprache. Tab. A.17. Abfrage von phraseologischen und syntaktischen Regionalismen im Rahmen des Salienztests. Salienz-Test Regionalismus Ich will noch nach Aldi. Präposition nach vor Personenname Damit bin ich gut zufrieden. Phrase Das muss so. Phrase Was steckt da eigentlich hinter? gespaltene Konstituenten im Bereich der Proadverbien Er ist am Kochen. Rheinische Verlaufsform Bis die Tage! Phrase <?page no="278"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Lena Busse / Claudia Schlaak (Hrsg.) Sprachkontakte, Sprachvariation und Sprachwandel Festschrift für Thomas Stehl zum 60. Geburtstag 2011, XXXII, 524 Seiten, €[D] 88,00/ SFr 124,00 ISBN 978-3-8233-6601-0 In der Festschrift zur Feier des 60. Geburtstags von Thomas Stehl finden sich Beiträge vor allem von Sprachwissenschaftlern, aber auch von Literatur- und Kulturwissenschaftlern, die mit dem wissenschaftlichen Lebenswerk des Jubliars eng verbunden sind. Ziel der Festschrift ist es, die wesentlichen Forschungen des Jubilars - dazu zählen vor allem seine Arbeiten im Bereich der Variationslinguistik - zu würdigen und zu seinen wissenschaftlichen Kernfragen Stellung zu nehmen. Alle Beiträge greifen daher aus der Perspektive verschiedener Einzelphilologien sein breit angelegtes und spannendes wissenschaftliches Lebenswerk zu den Bereichen der Kontaktlinguistik, der Mehrsprachigkeit, der Pragmalinguistik, der Variationslinguistik, der Sprachvariation und des Sprachwandels in europäischen und außereuropäischen Ländern, der Geolinguistik, der Kreolistik und der Migrationslinguistik auf. <?page no="279"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. 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Zudem dient es der Kommunikation mit den vor allem romanischsprachigen Immigranten und mit den täglich sehr zahlreich ins Land pendelnden Grenzgängern, die primär frankophon sind. <?page no="280"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Claudia Maria Riehl Sprachkontaktforschung Eine Einführung narr studienbücher 3., überarbeitete Auflage 2014 246 Seiten, €[D] 22,99 / SFr 31,90 ISBN 978-3-8233-6826-7 Sprachkontaktforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Sprachen in multilingualen Gesellschaften oder bei mehrsprachigen Individuen wechselseitig beeinflussen. Dies betrifft die Dynamik von sprachlichen Systemen und Wandelprozessen ebenso wie sozio- und psycholinguistische Fragestellungen. DieEinführunggibteinenumfassendenÜberblicküber die verschiedenen Ansätze, Methoden und Grundlagendieser Forschungsrichtung. Sie beschreibt in einfacher, gut lesbarer Form die Wirkungen des Sprachkontakts und die Phänomene an der sprachlichen Oberfläche. Die 3., überarbeitete Auflage berücksichtigt die aktuellen Forschungsansätze und -entwicklungen. <?page no="281"?> Einheimische gelten als Bewahrer von Dialekten und regionalen Umgangssprachen, Zugezogene dagegen nicht. Bisher wurde jedoch kaum untersucht, welchen Einfluss Zugezogene tatsächlich auf den Erhalt regional verbreiteter phonetischphonologischer und lexikalischer Sprachmerkmale haben. Dieser Fragestellung geht die Autorin empirisch anhand von standardisierten Interviews mit 145 Personen in Ostwestfalen nach, die entweder dort aufgewachsen oder zugezogen sind. In umfangreichen sprachwissenschaftlichen Tests (Vorlesetest, Erzählen einer Bildergeschichte, Salienztest, Wortschatztest) untersucht sie, inwiefern die Teilnehmer ostwestfälische Regionalismen einordnen konnten und realisierten. Die Ergebnisse erlauben wichtige Rückschlüsse, inwiefern regional verbreitete sprachliche Merkmale langfristig tradiert werden.