Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht
Eine empirische Studie zu Schreibportfolios im DaF-Unterricht
0422
2015
978-3-8233-7943-0
978-3-8233-6943-1
Gunter Narr Verlag
Sandra Ballweg
Portfolios werden häufig im Fremdsprachenunterricht eingesetzt. Sie sollen u.a. den Lernprozess unterstützen, lebenslanges Lernen ermöglichen und eine neue Form der Leistungsfeststellung darstellen. Erste empirische Studien aus dem schulischen Kontext zeigen das Potenzial des Instruments, geben gleichzeitig aber auch Hinweise auf Bedingungen, die für die erfolgreiche Umsetzung der Portfolioarbeit erfüllt sein müssen. Im Fokus dieser Studie steht die Arbeit mit einem Schreibportfolio im universitären Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht. Die Ergebnisse zeigen, wie die Lehrerin und die Studierenden mit dem Instrument arbeiten, wie sie es wahrnehmen und welche Gelingensbedingungen herausgearbeitet werden können.
<?page no="0"?> Sandra Ballweg Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht Eine empirische Studie zu Schreibportfolios im DaF-Unterricht Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik <?page no="1"?> Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Sandra Ballweg Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht Eine empirische Studie zu Schreibportfolios im DaF-Unterricht <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Dissertation, Te TT chnische Universität Darmstadt, D 17 © 2015 · Narr Francke At AA tempto Ve VV rlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tü TT bingen Das We WW rk einschließlich aller seiner Te TT ile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ve VV rwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ve VV rlages unzulässig und strafb ff ar. Das gilt insbesondere fü ff r Ve VV rvielfä ff ltigungen, Übersetzungen, Mikroverfi ff lmungen und die Einspeicherung und Ve VV rarbeitung in elekt kk ronischen Systemen. Gedruckt kk auf säurefr ff eiem und alterungsbeständigem We WW rkdruckp kk apier. Internet: www. ww narr.de E-Mail: info ff @narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-6943-1 <?page no="5"?> Vorwort Dieses Buch ist nicht alleine an meinem Schreibtisch entstanden, sondern vielmehr das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses, der sich durch den Austausch mit vielen klugen Menschen entwickelt hat, denen ich danken möchte. An erster Stelle sind meine Untersuchungspartner/ innen zu nennen, ohne deren Teilnahme und Offenheit die Studie nicht möglich gewesen wäre. Meiner Doktormutter Prof. Dr. Britta Hufeisen danke ich herzlich für Begleitung, Rat und Unterstützung in der Promotionsphase und darüber hinaus sowie für ein spannendes Arbeitsumfeld mit vielen Möglichkeiten und Lerngelegenheiten. Meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Frank G. Königs danke ich für die immer kompetente und nette Unterstützung und dafür, dass er mich vor vielen Jahren, schon während meines Studiums, für die Sprachenlehr- und -lernforschung begeistert hat. Ich freue mich, dass ich meine Arbeit auf dem Darmstädter Doktorand/ innenkolloquium sowie auf dem Marburger Forschungskolloquium vorstellen und diskutieren konnte. Auch das Kolloquium in Bielefeld bot mir eine solche Gelegenheit: Herzlichen Dank an Prof. Dr. Claudia Riemer und die Bielefelder „Doktorcousinen“! Den Herausgeber/ innen der Gießener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik und dem Narr-Verlag danke ich für die Unterstützung und dafür, dass der Band in dieser Reihe erscheinen kann. Dem DAAD verdanke ich die Möglichkeit eines spannenden Forschungsaufenthalts an der Washington State University. Darüber hinaus gab es viele Menschen, die meine Ideen mit mir diskutiert und mir zu wichtigen Erkenntnissen verholfen haben, unter anderem Dr. Gerd Bräuer, Prof. Dr. Beate Lindemann und Dr. Chris Merkelbach. Meine Darmstädter Kolleginnen haben mich von den ersten Überlegungen bis zur letzten Seite unterstützt - danke, v.a. an Dr. Lina Pilypaityte, Carmen Kuhn, Stefanie Mehler, Heidi Seifert, Fränze Scharun und Ute Haarmann. Ganz herzlich danke ich besonders PD Dr. Antje Stork sowie Dr. Johanna Klippel, Dr. Anke Karber und Dr. Sabine Jentges, die mich nicht nur als kompetente Kolleginnen, sondern auch als Freundinnen durch die Promotionsphase begleitet haben, sowie Melanie Eckstein, Michael Wurster, Caterina & Stefan Schröder und Arlette Kaercher für hilfreiche Kommentare und Unterstützung in allen Lebenslagen. Danke auch an alle anderen, die ich hier nicht einzeln aufzählen kann und die vielleicht gar nicht gemerkt haben, dass und wie sehr sie mir geholfen haben. Schließlich gilt mein ganz besonderer Dank meiner Familie, vor allem meinem Mann und meiner Tochter: ﯽﻣ ﺮﮑﺸﺗ ﻢﻨﮐ <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis A BKÜRZUNGSVERZEICHNIS ....................................................................... 12 A BBILDUNGSVERZEICHNIS ......................................................................... 13 T ABELLENVERZEICHNIS ………………………………………………….1 4 1 E INLEITUNG ........................................................................................... 15 2 G RUNDGEDANKEN DER P ORTFOLIOARBEIT ........................................ 19 2.1 Ursprünge des Portfoliogedankens................................................. 19 2.1.1 Der Portfoliogedanke in der Reformpädagogik...................... 20 2.1.2 Schreibportfolios in den 1980er Jahren .................................. 22 2.1.3 Portfolios im deutschsprachigen Raum .................................. 24 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff............................................... 25 2.2.1 Annäherung an eine Definition .............................................. 25 2.2.2 Typen und Taxonomien von Portfolios .................................. 30 2.2.2.1 Möglichkeiten zur Klassifizierung von Portfolios.......... 30 2.2.2.2 Beispiele für Portfolioformen......................................... 37 2.2.3 Lern- und spracherwerbstheoretische Verortung ................... 42 2.3 Zur Umsetzung von Portfolioarbeit................................................ 47 2.3.1 Leitgedanken von portfoliogestütztem Unterricht.................. 48 2.3.2 Die Rolle der Lernenden und der Lehrenden ......................... 52 2.3.3 Kommunikation und Interaktion ............................................ 54 3 K ONZEPTIONELLE Ü BERLEGUNGEN UND EMPIRISCHE E RGEBNISSE ZUR P ORTFOLIOARBEIT ........................................................................ 57 3.1 Überblick über die Erforschung von Portfolioarbeit ...................... 57 3.1.1 Überblick über das Forschungsfeld ........................................ 57 3.1.2 Methodische Ansätze ............................................................. 60 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument: Konzeptionelle Überlegungen & Stand der Forschung ........................................... 61 3.2.1 Förderung der Lernendenautonomie durch Portfolioarbeit .... 62 3.2.1.1 Portfolio und Lernendenautonomie: Konzeptionelle Überlegungen ........................................ 62 <?page no="8"?> Inhaltsverzeichnis 8 3.2.1.2 Portfolio und Lernendenautonomie: Stand der Forschung....................................................... 68 3.2.2 Reflexionsfähigkeit als Ziel der Portfolioarbeit ..................... 72 3.2.2.1 Portfolio und Reflexion: Konzeptionelle Überlegungen 72 3.2.2.2 Portfolio und Reflexion: Stand der Forschung ............... 78 3.3 Das Portfolio als Leistungsfeststellungsinstrument: Konzeptionelle Überlegungen & Stand der Forschung .................. 81 3.3.1 Portfolio und Leistungsfeststellung: Konzeptionelle Überlegungen ......................................................................... 81 3.3.2 Portfolio und Leistungsfeststellung: Stand der Forschung ..... 84 3.4 Stand der Forschung zur Akzeptanz und Implementierung ........... 89 3.4.1 Stand der Forschung zur subjektiven Wahrnehmung ............. 89 3.4.2 Stand der Forschung zur Implementierung und Gestaltung ... 92 3.5 Stand der Forschung zur Schreib- und Sprachförderung durch Portfolioarbeit................................................................................. 94 4 D IE A RBEIT MIT S CHREIBPORTFOLIOS IM UNIVERSITÄREN F REMDSPRACHENUNTERRICHT ............................................................ 97 4.1 Verständnis von Schreibportfolios ................................................. 98 4.2 Abbildung der Schreibkompetenz in Portfolios ............................. 99 4.3 Der Schreibprozess bei der Portfolioarbeit................................... 102 4.3.1 Die Darstellung des Schreibprozesses im Portfolio ............. 103 4.3.2 Die Berücksichtigung der Textrezeption .............................. 109 4.3.3 Die Rolle des Schreibprozesses beim Schreiben in der L2 .. 111 4.4 Konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Zugänge ........................................................................................ 114 4.4.1 Post-process theory konstruktivistische Sichtweisen auf das Schreiben........................................................................ 115 4.4.2 Bewusstmachung und Steuerung des Schreibens ................. 118 4.4.3 Rückmeldung & peer feedback ............................................ 121 4.4.3.1 Textrückmeldungen durch Lehrenden.......................... 122 4.4.3.2 Peer feedback ............................................................... 123 5 Z WISCHENFAZIT UND P RÄZISIERUNG DER F RAGESTELLUNG .......... 127 5.1 Zwischenfazit ............................................................................... 127 5.2 Präzisierung der Fragestellung ..................................................... 133 <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis 9 6 M ETHODEN DER EMPIRISCHEN U NTERSUCHUNG .............................. 137 6.1 Allgemeine Überlegungen zum Forschungsprojekt ..................... 137 6.1.1 Ausrichtung der Studie ......................................................... 137 6.1.2 Grundannahmen ................................................................... 139 6.1.3 Gütekriterien......................................................................... 142 6.1.4 Forschungethische Fragen .................................................... 144 6.2 Methodologische Verortung: Grounded Theory als Rahmenprogramm ........................................................................ 146 6.2.1 Die Grundlagen der Grounded Theory Methodologie.......... 148 6.2.1.1 Radikaler Induktivismus vs. reflektierte Offenheit ...... 148 6.2.1.2 Verschiedene Ausrichtungen der GTM........................ 151 6.2.1.3 Kriterien für die GTM .................................................. 153 6.2.2 Verortung innerhalb der Methode ........................................ 154 6.2.3 Theoriebegriff....................................................................... 156 6.3 Annäherung an das Forschungsfeld.............................................. 158 6.3.1 Pilotierung und Zugang zum Forschungsfeld....................... 158 6.3.2 Auswahl der Untersuchungspartner/ innen ........................... 161 6.3.3 Rollenaushandlung ............................................................... 167 6.4 Vorgehen bei der Datengenerierung............................................. 168 6.4.1 Überblick über die Instrumente zur Datengenerierung ........ 168 6.4.2 Überblick über das Feld ....................................................... 171 6.4.2.1 Die Unterrichtsbeobachtungen ..................................... 171 6.4.2.2 Der Kurzfragebogen ..................................................... 173 6.4.3 Gespräche mit den Akteur/ innen: Interviews ....................... 174 6.4.4 Weitere Daten: Portfolios und Portfoliogespräche ............... 180 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation ............ 180 6.5.1 Vorgehen bei der Datenaufbereitung.................................... 181 6.5.2 Computergestützte Dateninterpretation mit MAXQDA....... 185 6.5.3 Umgang mit Memos und Forschungstagebuch .................... 185 6.5.4 Offenes Kodieren ................................................................. 187 6.5.5 Axiales Kodieren .................................................................. 189 6.5.6 Selektives Kodieren und Theoriebildung ............................. 192 6.5.7 Qualität und Reichweite der Ergebnisse............................... 194 <?page no="10"?> Inhaltsverzeichnis 10 7 K ONTEXT DER S TUDIE - P ORTFOLIOARBEIT IN DER P RAXIS ........... 197 7.1 Beschreibung des Kurses.............................................................. 197 7.1.1 Rahmenbedingungen des Kurses.......................................... 197 7.1.2 Einsatz des Portfolios im Kurs ............................................. 198 7.1.3 Kursverlauf........................................................................... 200 7.2 Portfoliogespräche........................................................................ 206 7.3 Die Untersuchungspartner/ innen .................................................. 208 7.4 Eindrücke der Forscherin ............................................................. 212 8 D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE : T EIL A ......................................... 215 8.1 Datengrundlage und Relevanz der Teilstudie A........................... 215 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ .. 217 8.2.1 Beschreibung der Kernkategorie .......................................... 218 8.2.2 Verbindung der Kategorien .................................................. 219 8.2.2.1 Unsicherheit und In-Frage-Stellen der eigenen Vorgehensweise ........................................................... 219 8.2.2.2 Offenheit und Versuch der Verantwortungsübergabe .. 226 8.2.2.3 Widersprüchlichkeiten ................................................. 231 8.2.2.4 Die suchende Haltung: Ursachen und Einflüsse .......... 235 8.2.2.5 Funktionenvielfalt des Portfolios ................................. 238 8.3 Die Ergebnisse der Teilstudie A im Überblick............................. 240 8.4 Anknüpfungspunkte für die Teilstudie B ..................................... 243 9 D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE : T EIL B.......................................... 245 9.1 Vorgehen und Datengrundlagen in der Teilstudie B .................... 245 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden ......... 245 9.2.1 Zuschreibung von Funktionen .............................................. 247 9.2.2 Wahrnehmung einzelner Elemente von Portfolioarbeit ....... 251 9.2.2.1 Wahrnehmung der Selbsteinschätzungsaktivitäten ...... 251 9.2.2.2 Wahrnehmung des Lerntagebuchs ............................... 255 9.2.2.3 Wahrnehmung der Portfoliogespräche ......................... 257 9.2.2.4 Wahrnehmung des peer feedback................................. 259 9.2.3 Gesamtwahrnehmung von Portfolioarbeit............................ 264 9.2.3.1 Wandel der Wahrnehmung........................................... 264 9.2.3.2 Wahrnehmung als hilfreich und angenehm.................. 266 9.2.3.3 Kontinuum hilfreich - nicht hilfreich........................... 267 9.2.3.4 Kontinuum angenehm - unangenehm .......................... 271 <?page no="11"?> Inhaltsverzeichnis 11 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse.......................... 279 9.3.1 Verständnis der gelingensförderlichen und -hemmenden Einflüsse ............................................................................... 280 9.3.2 Ebenen der Kernkategorie Kompatibilität ............................ 281 9.3.2.1 Ziele & Erwartungen der Lernenden............................ 282 9.3.2.2 Vorkenntnisse & Eigenschaften der Lernenden ........... 285 9.3.2.3 Gewohnte & bevorzugte Arbeitsweisen ....................... 290 9.3.2.4 Institutionell und kulturell geprägte Lerngewohnheiten ........................................................ 292 9.3.2.5 Erhöhung der Kompatibilität durch die Lernenden...... 296 9.3.2.6 Anpassung an individuelle Bedürfnisse ....................... 302 9.3.3 Kernkategorie Kompatibilität im Überblick......................... 308 9.4 Ergebnisse der Teilstudie B im Überblick.................................... 313 10 D ISKUSSION UND E INORDNUNG DER E RGEBNISSE ............................. 315 10.1 Diskussion der Ergebnisse............................................................ 315 10.1.1 Funktionen der Portfolioarbeit ............................................. 316 10.1.2 Möglichkeiten und Herausforderung für die Lehrerin.......... 318 10.1.3 Möglichkeiten und Herausforderung für die Lernenden ...... 320 10.1.4 Kompatibilität als Gelingensbedingung ............................... 323 10.1.5 Portfolioarbeit im Kontext der Schreibförderung................. 326 10.1.6 Portfoliobasierte Leistungsbeurteilung................................. 328 10.1.7 Selbststeuerung und Autonomieförderung ........................... 329 10.1.8 Der Umgang mit der affektiven Dimension ......................... 330 10.1.9 Interaktion im Rahmen der Portfolioarbeit........................... 331 10.2 Reichweite der Ergebnisse & Diskussion der Methoden ............. 333 10.2.1 Reichweite der Ergebnisse ................................................... 333 10.2.2 Diskussion der methodischen Vorgehensweise.................... 335 10.3 Implikationen für die Unterrichtspraxis ....................................... 337 11 F AZIT UND A USBLICK .......................................................................... 341 L ITERATURVERZEICHNIS ......................................................................... 345 A NHANG : V ERWENDETE T RANSKRIPTIONSZEICHEN ............................. 381 <?page no="12"?> Abkürzungsverzeichnis Neben den im Text gebräuchlichen Abkürzungen wie beispielsweise ebd., vgl., f., z. B., wurden im Text außerdem folgende Begriffe in abgekürzter Form verwendet: Abkürzungen im Text DaF Deutsch als Fremdsprache ECML European Centre for Modern Languages EPOS Elektronisches Portfolio der Sprachen EPOSTL European Portfolio for Student Teachers of Languages ESL English as a Second Language ESP Europäisches Sprachenportfolio GER Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen GT Grounded Theory GTM Grounded Theory Methodologie L1 Erstsprache L2 Fremd- und Zweitsprache L3 zweite Fremdsprache Lx weitere Fremdsprache LAPF Lehramtsportfolio für Fremdsprachenlehrkräfte ZPD Zone of Proximal Development Abkürzungen im Rahmen der eigenen empirischen Untersuchung FB Fragebogen I Interviewerin I_[Name xy] Interview mit Person xy LP Lehrperson PG Portfoliogespräch UB Unterrichtsbeobachtung [v] Verbaldaten <?page no="13"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 2-1: Dimensionen zur Beschreibung von Portfoliofunktionen……..34 Abb. 2-2: Beispiele für die Einordnung zweier Portfolioformen auf den Dimensionen zur Beschreibung von Portfoliofunktionen……..35 Abb. 4-3: Schreibprozessmodell nach Hayes und Flower (1980: 11) ..... 105 Abb. 4-4: Schreibprozessmodell nach Börner (1989: 355) ..................... 108 Abb. 4-5: Schreibprozessmodell nach Becker-Mrotzek/ Böttcher (2006: 27)................................................................................ 110 Abb. 5-6: Präzisierung der Fragestellung................................................ 135 Abb. 6-7: Überblick über die generierten Daten und über den Verlauf ihrer Generierung .................................................................... 170 Abb. 6-8: Einstieg in den Kurzfragebogen.............................................. 173 Abb. 6-9: Ablauf der Dateninterpretation ............................................... 181 Abb. 6-10: Beispiel für die Partiturtranskription....................................... 184 Abb. 6-11: Kodierrahmen nach Strauss/ Corbin ........................................ 190 Abb. 6-12: Abgewandelter Kodierrahmen für die vorliegende Studie...... 192 Abb. 7-13: Anwendung der Dimensionen zur Beschreibung von Portfolios auf das im Kurs verwendete Konzept..................... 199 Abb. 8-14: Fragestellung der Teilstudie A: Wie setzt die Lehrerin Portfolioarbeit ein? .................................................................. 215 Abb. 8-15: Kernkategorie Die Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise im Kontext der Daten ................................... 242 Abb. 9-16: Frage 1 der Teilstudie B: Wahrnehmung und Attribuierung .. 246 Abb. 9-17: Funktionen der Arbeit mit Schreibportfolios aus Sicht der Akteur/ innen ........................................................................... 248 Abb. 9-18: Kernkategorie Kontinua hilfreich - nicht hilfreich; angenehm - unangenehm........................................................ 266 Abb. 9-19: Einflüsse auf die Wahrnehmung auf dem Kontinuum hilfreich - nicht hilfreich......................................................... 271 Abb. 9-20: Merkmale des Kontinuums angenehm - unangenehm ........... 279 Abb. 9-21: Frage 2 der Teilstudie B: Einflüsse auf das Gelingen von Portfolioarbeit ......................................................................... 280 <?page no="14"?> Tabellenverzeichnis 14 Abb. 9-22: Kompatibilität von Portfolioarbeit und Zielen & Erwartungen ............................................................................ 284 Abb. 9-23: Kompatibilität von Portfolioarbeit und Vorkenntnissen & persönlichen Eigenschaften..................................................... 290 Abb. 9-24: Kompatibilität von Portfolioarbeit und der gewohnten/ bevorzugten Arbeitsweise ....................................................... 292 Abb. 9-25: Kompatibilität von Portfolioarbeit und institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten ................................... 296 Abb. 9-25: Fähigkeit der Lernenden, Kompatibilität herzustellen ............ 301 Abb. 9-27: Anpassung der Portfolioarbeit an Bedürfnisse der Lernenden ............................................................................... 308 Abb. 9-28: Gelingensförderliche Einflüsse auf Portfolioarbeit…………..312 Tabellenverzeichnis Tab. 2-1: Beispiele für verschiedene Definitionen von Portfolios............ 26 Tab. 2-2: Funktionen, Eigenschaften und Rahmenbedingungen von Portfolioarbeit ........................................................................... 29 Tab. 6-3: Übersicht über die Untersuchungspartner/ innen ..................... 164 Tab. 6-4: Übersicht über die Instrumente zur Datengenerierung............ 169 <?page no="15"?> 1 Einleitung In reading the portfolio literature of the past several years (which has been voluminous), one can easily come away with the impression that portfolios can do everything, possibly even paint the house! (Danielson/ Abrutyn 1997: viii) Seit einigen Jahren finden sich zahlreiche Publikationen, in denen der Nutzen und die Einsatzmöglichkeit von Portfolios dargestellt werden. Zentrale Anliegen des Portfolioeinsatzes sind die Verbesserung von Lernprozessen, die Förderung von Lernendenautonomie (vgl. z. B. Zubizarreta 2009) und die Etablierung neuer Formen der Leistungsfeststellung (vgl. Kohonen 1999; vgl. dazu Kap. 3.3). Auch in der Ausbildung von Lehrenden sind Portfolios weit verbreitet, nicht nur zur Dokumentation des eigenen Lernens, sondern ebenso zur Begleitung von Reflexionsprozessen (vgl. z. B. Bräuer 2007). Darüber hinaus soll Portfolioarbeit für die Schulentwicklung genutzt werden, z. B. indem durch die Implementierung von Portfolios in einzelnen Klassen in einem bottom-up-Prozess eine veränderte Lernkultur an der Schule etabliert wird (vgl. Bräuer et al. 2012). Portfolios können unterschiedliche Ausrichtungen haben. Erwähnt werden in der Literatur beispielsweise Audio-Portfolios, Kursportfolios, Lehrportfolios, Schreibportfolios oder das Europäische Sprachenportfolio. Ihnen werden jeweils mehrere Rollen im Unterricht zugewiesen, z.B. als eigene Lernstrategie (vgl. Schwarz 2002: 99), als Methode (vgl. Kara 2007b: 73), als Instrument bzw. Lehr-Lern-Instrument (vgl. Fink 2010: 115) oder gar als Lernumgebung (vgl. Häcker 2008b: 235). Als gemeinsame Eigenschaft ist allerdings festzuhalten, dass Portfolioarbeit das zielgerichtete Sammeln und Auswählen von Nachweisen des eigenen Lernens beinhaltet, womit der Lernprozess für die Lernenden selbst sowie für Lehrende sichtbar wird (vgl. Paulson et al. 1991: 60). Damit spiegelt Portfolioarbeit verschiedene aktuelle Tendenzen in der Sprachenlehr- und -lernforschung wider: Sie stellt die individuellen Lernprozesse und die Bedürfnisse des Einzelnen in den Mittelpunkt und bereitet schrittweise auf eigenverantwortliches Lernen vor, wobei Lernenden- und Subjektorientierung sowie die Förderung von Lernendenautonomie als zugrundeliegende Konzepte erkennbar werden (vgl. Kolb 2007: 12f.). Den vielversprechenden Möglichkeiten eines Portfolioeinsatzes und den begeisterten Visionen stehen manchmal Gespräche mit Kolleg/ innen gegen- <?page no="16"?> 1 Einleitung 16 über, die die Arbeit mit diesem Instrument als zu zeit- und arbeitsintensiv wahrnehmen, die davon berichten, dass die Lernenden schnell reflexionsmüde werden oder die mit Portfolioarbeit schlichtweg nicht vertraut sind. Bei einem Forschungsaufenthalt an der Washington State University, Pullman, WA, wo ich durch ein DAAD-Stipendium die Arbeit mit dem Junior Writing Portfolio kennenlernen konnte, machte ich Erfahrungen mit dem Potenzial dieses Instruments sowie mit den zahlreichen Problemen, die bei der praktischen Umsetzung auftreten können. Dieses Schreibportfolio, das Bachelor-Studierende aller Fächer an der Universität erstellen müssen, leistet einen Beitrag zur Diagnostik ihrer Schreibkompetenz. Auf der Basis der Schreibleistungen in diesem Portfolio werden weitere Fördermaßnahmen empfohlen. An Grenzen stoßen die Verantwortlichen sowohl durch mangelnde personelle Kapazitäten zur Betreuung und Beurteilung als auch bei der Integration dieses Instruments in den Universitätsalltag und in eine traditionelle Kultur des Testens und Prüfens. In der Praxis führt das dazu, dass Studierende drei verschiedene Texte verfassen, teilweise unter Klausurbedingungen, und diese einreichen. So besteht zwar eine gute Möglichkeit zur Einstufung in weitere Kurse, die oben angeführte Autonomieförderung und Lernendenorientierung können in diesem Konzept allerdings nicht berücksichtigt werden. Vor allem diese Spannungsfelder zwischen Begeisterung und Ablehnung, zwischen wünschenswerten Unterrichtsszenarien und Zweifeln an der Umsetzbarkeit, haben mein Interesse an diesem Thema geweckt. Insbesondere über die Arbeit mit Portfolios zur Förderung der Schreibfertigkeit wollte ich mehr erfahren, da ich in der Zeit der Entstehung dieser Arbeit mit dem Aufbau eines Schreibzentrums und der Einrichtung eines Online Writing Labs betraut war, bei dem durch ein umfassendes und gezieltes schreibdidaktisches Angebot die Entwicklung der Textkompetenz von Studierenden unterstützt werden sollte (vgl. Hufeisen 2011). In diesem Rahmen stieß ich immer wieder auf Portfolios, beispielsweise als Möglichkeit, individuelle Schreibprozesse und Schreibentwicklungen aufzuzeigen oder als diagnostische Grundlage für Beratungsgespräche und Kurs- oder Workshopempfehlungen, da dadurch ein umfassendes Bild vom Leistungsstand der Studierenden entsteht. Allerdings konnte ich vor allem zum Einsatz von Schreibportfolios im Fremdsprachenunterricht kaum Ergebnisse empirischer Forschung finden. Ausgehend von Schilderungen der Portfolioarbeit in der einschlägigen Literatur oder von Kolleg/ innen, die meist entweder sehr begeistert oder stark ablehnend sind, war mein Ziel die dichte Beschreibung von Portfolioarbeit bei der fremdsprachlichen Schreibförderung, bei der Zusammenhänge eben- <?page no="17"?> 1 Einleitung 17 so sichtbar werden wie die Bedingungen, unter denen die jeweiligen Wahrnehmungen zustande kommen. Daher entwickelte ich die vorläufige Forschungsfrage: Wie wird Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht bei der Schreibförderung eingesetzt und wie nehmen die Akteur/ innen sie wahr? Dabei konzentriere ich mich auf den Unterricht für Deutsch als Fremdsprache (DaF). Die Unterrichtsgestaltung der Lehrerin mit ihrer Wahrnehmung und ihrem subjektiven Verständnis von Portfolioarbeit ist Gegenstand der Teilstudie A. In Teilstudie B, die als Hauptstudie zu betrachten ist, wird zunächst die Wahrnehmung der Studierenden dargestellt, bevor Einflüsse herausgearbeitet, die aus der Sicht aller Akteur/ innen, Lehrender wie Lernender, gelingensförderlich oder gelingenshemmend auf Portfolioarbeit wirken. Zur Beantwortung dieser Fragestellung untersuchte ich die Portfolioarbeit in einem Kurs für ausländische Studierende an einer hessischen Universität, der etwa auf dem Niveau B2 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen angesiedelt war und in dem die Lernenden auf das Schreiben im Studium vorbereitet wurden (vgl. Kap. 7). Diesen Kurs begleitete ich über seinen kompletten Verlauf von neun Wochen, machte Unterrichtsaufzeichnungen, Aufzeichnungen der Portfoliogespräche und führte jeweils drei bzw. vier Interviews mit sieben Lernenden und mit der Lehrerin (vgl. Kap. 6.3, 6.4). Als methodische Ausrichtung entschied ich mich für die Grounded Theory Methodologie, die sich durch die induktive Kategorienbildung insbesondere für Forschungsfelder eignet, in denen wenig gesichertes Vorwissen besteht (vgl. Kap. 6.2). Bei der Betrachtung von Portfolioarbeit, die in verschiedenen Fächern eingesetzt wird und ihre Wurzeln in der Reformpädagogik hat (vgl. Kap. 2.1), bleibt es nicht aus, dass ich in dieser Arbeit die Fachgrenzen überschreite und Erkenntnisse aus den Erziehungswissenschaften berücksichtige. Ebenso kommt die Betrachtung von Schreibportfolios nicht ohne einen Blick auf die erstsprachliche Schreibforschung aus. Dennoch ist diese Arbeit in der Sprachenlehr- und -lernforschung angesiedelt und aus dieser Perspektive zu verstehen. Im folgenden Kapitel 2 stelle ich zunächst die Grundgedanken der Portfolioarbeit dar. Dazu zeige ich die Ursprünge des Instruments auf (vgl. Kap. 2.1), diskutiere den Begriff, stelle Klassifizierungsmöglichkeiten dar und verorte Portfolioarbeit in Lerntheorien und Spracherwerbshypothesen (vgl. Kap. 2.2). Im Anschluss daran folgen Überlegungen zur Einbettung von Portfolioarbeit in den Fremdsprachenunterricht, was die Auswirkungen auf <?page no="18"?> 1 Einleitung 18 das Rollenverständnis von Lehrenden und Lernenden einschließt (vgl. Kap. 2.3). In Kapitel 3 stehen konzeptionelle Überlegungen sowie der Stand der empirischen Forschung zur Portfolioarbeit im Mittelpunkt. Dazu betrachte ich das Portfolio als Instrument der Autonomieförderung, der Reflexionsförderung sowie der Leistungsfeststellung und stelle außerdem Ergebnisse zur Implementierung und zur Akzeptanz von Portfolios sowie zur Sprach- und Schreibförderung durch Portfolioarbeit vor. Vor diesem Hintergrund beschäftige ich mich in Kapitel 4 mit Portfolioarbeit im Kontext der Schreibförderung in der Fremdsprache. Kapitel 5 dient schließlich als Zwischenfazit und zur Präzisierung der Forschungsfragen. Der Teil der empirischen Untersuchung beginnt in Kapitel 6 mit der Beschreibung des methodischen Zugangs. Neben grundsätzlichen Überlegungen zur Forschungsmethode folgen hier Ausführungen zur Grounded Theory Methodologie sowie zum Vorgehen bei der Datengenerierung, -aufbereitung und -interpretation. In Kapitel 7 erfolgt die Vorstellung des Unterrichtskontexts, in dem die Studie durchgeführt wurde. Dies beinhaltet neben dem Ablauf des Unterrichts und der Portfoliogespräche die Vorstellung der Untersuchungspartner/ innen. Die Ergebnisse der Teilstudie A, die Perspektive der Lehrerin auf Portfolioarbeit sowie ihre Unterrichtsgestaltung, werden in Kapitel 8 präsentiert und liefern einen Hintergrund für das Verständnis der Ergebnisse der Teilstudie B, die in Kapitel 9 dargelegt werden. Dabei gehe ich davon aus, dass Einflüsse, die auf Portfolioarbeit wirken, nur bei einer genauen Analyse der Rahmenbedingungen zu interpretieren sind. Die zusammenführende Diskussion der Ergebnisse sowie die Implikationen, die daraus für die Unterrichtspraxis abgeleitet werden können, finden sich in Kapitel 10. Damit verfolge ich das Ziel, zu einem besseren Verständnis der Portfolioarbeit sowie zu ihrer differenzierteren Betrachtung beizutragen. <?page no="19"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit Ob Künstlerportfolios, das Europäische Sprachenportfolio oder ein Schulzeitportfolio - Portfolios können vielerlei Gestalt annehmen. Das Ziel dieses Kapitels ist es daher, die Ursprünge des Portfoliogedankens aufzuzeigen (Kap. 2.1), darzustellen, wie Portfolios definiert, kategorisiert und lerntheoretisch verortet werden (Kap. 2.2) und zu skizzieren, wie Portfolioarbeit in den Unterricht eingebettet werden kann (Kap. 2.3). Diese Erörterung der begrifflichen und konzeptionellen Grundlagen bietet die Basis für die Diskussion des Forschungsstandes in Kapitel 3. 2.1 Ursprünge des Portfoliogedankens Whoever first expressed the idea of portfolios of student work might have conjured up images of capable professionals opening impressive binders filled with polished displays of art, a far more appealing vision than dreary worksheets and multiple-choice tests (Calfee/ Freedman 1996: 3). Der Portfoliogedanke ist kein Phänomen der heutigen Zeit. Schon in der Renaissance nutzten Künstler/ innen Portfolios, um ihre Arbeiten zu präsentieren, und auch in der Architektur sind sie schon lange verbreitet (vgl. Häcker 2008d: 27). Der Begriff, der sich aus portare (lat./ it.: tragen) und folium/ foglio (lat./ it.: Blatt) ableitet, bezeichnet zunächst im weiteren Sinne eine Sammlung von Dokumenten und losen Blättern, die die Präsentation von individuellen Leistungen zum Ziel hat. Dieser Gedanke wurde, wie Calfee und Freedman (1996) in der oben zitierten Passage darstellen, in den Unterricht transportiert. Jedoch weisen die heutigen Portfolios im Unterrichtskontext nur noch wenige Gemeinsamkeiten mit den Künstlerportfolios aus der Renaissance auf. Sie zeichnen sich vielmehr vor allem dadurch aus, dass sie neben Lernprodukten außerdem Spuren des Lernprozesses zeigen und neben der Dokumentation der Leistung auch die Entwicklung der Lernenden abbilden. Darüber hinaus sind sie mit der Hoffnung auf eine veränderte Unterrichtskultur verbunden: Portfolioarbeit entwickelt sich in einem bildungspolitischen Klima der Erneuerung, in dem individuelle Förderung, Persönlichkeitsentwicklung und eine Veränderung der Leistungsbewertung im Mittelpunkt stehen. Auch wenn wesentliche Impulse gegenwärtig aus den USA kommen, finden sich historische und theoretische Anknüpfungspunkte in der Reformpädagogik (Häcker 2008d: 27). <?page no="20"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 20 In den USA war es vor allem die Schreibdidaktik in den frühen 1980er Jahren, durch die Portfolios mit dem Ziel eingeführt wurden, die Leistungsfeststellung zu reformieren. Die reformpädagogischen Wurzeln sind darin zu erkennen, dass diese schreibdidaktische Strömung ebenfalls „die Individualität des lernenden Subjekts und die Bindung des Lernens an sinnhaftes, komplexes und für das lernende Subjekt bedeutsames Handeln akzentuiert“ (Thürmann 2006: 427). Die Entwicklungen des Portfoliogedankens in der Reformpädagogik (Kap. 2.1.1) und in der nordamerikanischen Schreibdidaktik (Kap. 2.1.2) werden in diesem Kapitel umrissen, da sich aus den beiden Ursprüngen die Merkmale und Eigenschaften von Portfolios ableiten lassen. Es folgt ein kurzer Überblick über ihren Einsatz im deutschsprachigen Raum (Kap. 2.1.3). 2.1.1 Der Portfoliogedanke in der Reformpädagogik Reformpädagogische Ansätze im engeren Sinne entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts, obwohl es zuvor schon pädagogische Tendenzen gab, die inhaltliche Parallelen zu reformpädagogischem Gedankengut aufweisen (z. B. bei Comenius, Rousseau und Pestalozzi) (vgl. Schonig 2002: 13). Eine wichtige Triebfeder für die neuen pädagogischen Ansätze war das Bedürfnis, im Kontext der Industriellen Revolution, in der Menschen als Arbeitsressource begriffen wurden, und der politischen Umgestaltung, Lernende auf Aufgaben und Arbeitsumgebungen vorzubereiten, die nicht nur für sie, sondern auch für die Lehrenden unbekannt waren (vgl. Benner/ Kemper 2001: 85). In einem radikalen Bruch mit bestehenden pädagogischen Tendenzen wählten Reformpädagog/ innen in Anlehnung an Humboldt eine Vorgehensweise, bei der Lernende weniger auf spezifische Aufgaben vorbereitet, sondern für unterschiedliche Situationen handlungsfähig gemacht werden sollten (vgl. ebd. 21). Es handelt sich bei der Reformpädagogik allerdings nicht um eine geschlossene Bewegung, die sich über viele Länder erstreckt, sondern um ein Bündel äußerst unterschiedlicher Ansätze (vgl. Benner/ Brüggen 2011: 45). Diese sind als Reaktionen auf die jeweiligen gesellschaftlichen, politischen und pädagogischen Besonderheiten zu verstehen und daher nicht zu vereinheitlichen (vgl. Oelkers 2012: 38). Die wichtigen gemeinsamen Grundgedanken der Reformpädagogik sind die Orientierung an der Entwicklung des Einzelnen (vgl. Weiß 2013), die „Ganzheit“ oder Ganzheitlichkeit unter Einbezug verschiedener „Seinsbereiche“ (Rülcker 2013: 407), die Betonung der Individualität (vgl. Kirchhöfer 2013), die Lernendenorientierung (vgl. <?page no="21"?> 2.1 Ursprünge des Portfoliogedankens 21 Ullrich 2013: 383) und das Ideal der Selbsttätigkeit (vgl. Kirchhöfer 2013). So entstand ein Verständnis von einem lernendenorientierten, binnendifferenzierenden Unterricht, der die individuelle, ganzheitliche Entwicklung der einzelnen Lernenden in den Vordergrund stellt - eine Beschreibung, die ebenfalls für die Portfolioarbeit übernommen werden kann. Damit einher geht der Wunsch nach freiem, selbstbestimmtem, 1 solidarischem Lernen (vgl. Benner/ Kemper 2001: 20). 2 Hier besteht eine Parallele zu neueren didaktischen Ansätzen, denn auch in der heutigen Zeit werden neue pädagogische und didaktische Wege beschritten, um Menschen auf eine sich verändernde Lebens- und Arbeitswelt vorzubereiten. In der Informationsgesellschaft ist das Ziel, den Weg für eine Zukunft zu bereiten, die besonders durch den schnellen technischen Fortschritt, die hohe Verfügbarkeit von Informationen und die damit verbundene sich verändernde Relevanz von Wissensbeständen geprägt ist. Durch Portfolioarbeit, die unter anderem an dieser Stelle ansetzt, sollen auch das lebenslange Lernen und die Fähigkeit zur Organisation von Wissen unterstützt werden (vgl. Bräuer 2007: 45). Reformpädagogische Ansätze beziehen sich allerdings nicht nur auf die Unterrichtsgestaltung. Neue Formen des Lernens verlangen nach neuen Möglichkeiten der Leistungsfeststellung, wie sie die spätere Phase der Reformpädagogik hervorbrachte. Hierbei sind vor allem die Abkehr von Ziffernnoten und eine individualisierte Leistungsbeurteilung auf der Basis der über längere Zeit erbrachten Leistung zu nennen (vgl. Breuer, A. 2009: 79; Grittner 2009: 69; Vierlinger 2008). 3 Die reformpädagogischen Ansätze zur 1 Zur oft inkonsequenten Umsetzung von selbstbestimmtem Lernen und den daraus entstehenden Spannungsverhältnissen vgl. Kapitel 3.2.1.1. 2 Mit diesen Schlagworten liefert die Reformpädagogik eine äußerst positive Vorstellung von Erziehung, so dass häufig auch eine Idealisierung von reformpädagogischen Ideen zu beobachten ist. Für eine kritische Diskussion vgl. Benner/ Brüggen (2011). 3 Im Folgenden unterscheide ich in Anlehnung an Becker-Mrotzek/ Böttcher (2006: 88) zwischen a) Bewertung als kognitive Tätigkeit, bei der die Qualität eines Lernprodukts anhand eines bewussten oder unbewussten Maßstabs eingeschätzt wird, b) Beurteilung als verbal explizierte Form der Bewertung und c) Benotung als deren Zusammenfassung in einer Ziffernnote. Es bestehen aber auch andere Unterscheidungsmöglichkeiten, beispielsweise eine genau entgegengesetzte Bedeutungszuschreibung. Im Kontext der Schulpädagogik werden außerdem „Beurteilung und Bewertung“ häufig gemeinsam genannt (vgl. z. B. Stork 2010: 68). In der Portfolioliteratur findet sich auch eine Unterscheidung in Leistungsbeurteilung als Beschreibung für „den tradierten Umgang mit den Schülerleistungen“ und Leistungsbewertung im Kontext „reformierter Konzepte“ (Winter 2010: 1). Diese Aufteilung ist durch den Verzicht auf die <?page no="22"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 22 Leistungsfeststellung finden sich in der Portfolioarbeit der heutigen Zeit wieder. Winter hält fest, dass der Portfolioansatz in die Tradition einer (Schul-)Pädagogik gestellt werden [kann], der daran gelegen ist, dass Lehrende und Lernende mittels authentischer Dokumente und Arbeiten ein möglichst umfassendes Bild von den Kompetenzen, Fortschritten und der Entwicklung der Lernenden gewinnen können, einer (Schul-)Pädagogik, die ‚Spurensicherung‘ betreibt, um Lernwege und Lernergebnisse der Reflexion verfügbar zu machen, und zwar im Dienste weiteren, zunehmend selbständigeren Lernens (Winter 2008c: 30). In dieser Form der Leistungsfeststellung besteht ein weiterer Grundgedanke der modernen Portfolioarbeit. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass die portfolioähnlichen Ansätze der verschiedenen Reformpädagog/ innen bei weitem nicht den Umfang und die Komplexität der heute im Unterrichtskontext diskutierten Portfoliokonzepte zeigten. Winter weist deshalb einschränkend darauf hin, dass in der Reformpädagogik lediglich die zentralen Elemente und Prinzipien der Portfolioarbeit „vereinzelt und in unterschiedlicher Akzentuierung“ (ebd.) zum Einsatz kamen. 2.1.2 Schreibportfolios in den 1980er Jahren Eingang in den Unterricht fanden Portfolios schließlich in den 1980er Jahren in den USA (vgl. u.a. Bräuer 2000a: 150; Breuer, A. 2009: 175; Burwitz- Melzer 2004: 144; Häcker 2007: 95). Auch wenn die nordamerikanische Schreibdidaktik als „wesentliche[r] Motor der schnellen und weiten Verbreitung des Portfolioansatzes“ (Winter 2008c: 29) gilt, so darf nicht übersehen werden, dass ein ähnliches Konzept als writing folder schon seit den 1950er Jahren in Großbritannien existierte (vgl. Hamp-Lyons/ Condon 2000: 15). Einen Aufschwung erlebten diese Vorläufer des Portfolios in den 1970er und 1980er Jahren, als in vielen Teilen der Welt und in verschiedenen Disziplinen eine Bewegung von einer Defizitzu einer Stärkenorientierung zu verzeichnen war (vgl. Häcker 2008b: 226). Diese Tendenz spiegelte sich unter anderem in der Schreibdidaktik in den USA wider, insbesondere in den frühen 1970er Jahren durch die Gründung des Bay Area Writing Project (1972) und des National Writing Project (1974) (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 4). Die neuen Entwicklungen rückten die bewusste Steuerung des Mehrstufigkeit von einer spontanen inneren Bewertung und einer explizierten, kriteriengeleiteten Beurteilung allerdings für diese Arbeit zu stark vereinfachend, so dass ich mich an das oben genannte Verständnis anlehne, wohlwissend dass es zahlreiche andere Verwendungsweisen gibt und eine trennscharfe Unterscheidung nicht immer möglich ist (vgl. ebd.). <?page no="23"?> 2.1 Ursprünge des Portfoliogedankens 23 Schreibprozesses, die Planungs- und Überarbeitungsphasen, die Eigenverantwortung sowie die Interessen der Lernenden in den Vordergrund. Ferner wurden das kritische Denken, die thematische Entfaltung sowie die überzeugende Argumentation in den Texten stärker beachtet (vgl. ebd. 5f.), was Ausdruck einer prozessorientierten Schreibdidaktik ist (vgl. z. B. Emig 1977). Schreiben sollte so gelernt werden, dass es aktiv, reflexiv und auf neue Situationen übertragbar ist (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 8). Diesen Veränderungen im Unterricht standen zu dieser Zeit noch alte Formen der Leistungsfeststellung gegenüber, wie beispielsweise die häufig eingesetzten Multiple Choice-Tests (vgl. Hamp-Lyons/ Condon 2000: 9). Es mussten neue Formen der Leistungsfeststellung gesucht werden, die eine höhere Validität aufwiesen als punktuelle Tests (vgl. Burwitz-Melzer 2004: 144), und die es erlaubten, komplexe kognitive Funktionen sowie dynamische Fähigkeiten in möglichst authentischen Situationen zu erfassen und zu beurteilen (vgl. Winter 2008c: 29). Der Fokus sollte sich von der Leistungsfeststellung zur Leistungsdarstellung verschieben (vgl. Häcker 2008b: 237). Diese Anforderungen sind unter dem Schlagwort des performance assessments zusammenzufassen, das in den 1980er Jahren besonders in Nordamerika, aber auch in Skandinavien und Australien zu einer beachtlichen Bewegung wurde und standardisierte Tests weitgehend abzulösen versuchte (vgl. ebd.; Häcker 2007: 84). In einer Didaktik, in der lebenslanges Lernen und Selbststeuerung angestrebt wurden und Leistung auf die beschriebene Art und Weise abgebildet werden sollte, fanden Portfolios Eingang in den Unterricht (vgl. Häcker 2007: 63; Richter 2003: 44). Peter Elbow und Patricia Belanoff, Lehrende an einer New Yorker High School, stehen für diesen Wandel in der Lern- und Beurteilungskultur. Sie setzten ab den frühen 1980er Jahren Portfolios zur Dokumentation des Arbeitsprozesses ein. In den Portfolios wurden neben Textentwürfen, Endfassungen und Reflexionen der Lernenden auch Kommentare der Lehrenden und der Mitlernenden gesammelt, um die Prozesshaftigkeit des Schreibens und das lebenslange, persönlich relevante Lernen abzubilden (vgl. Bräuer 2000a: 150). Portfolios waren nicht nur eine mögliche Form der Leistungsfeststellung in einem veränderten Unterricht, sondern durch den verbreiteten Einsatz erzeugten sie gleichzeitig eine Rückkopplung zum Unterricht, indem sie Lehrende und Institutionen zu einer veränderten Haltung anhielten (vgl. Häcker 2004: 146). So verbreiteten sich Portfolios schnell, und ausgehend vom Schreibunterricht diffundierte die Portfolioarbeit in Nordamerika in kurzer Zeit in verschiedene Fächer, Lern- und Bildungsbereiche und in verschiedene Bildungsphasen. Davon ausgehend entstanden Formate für verschiedene Personengruppen (Lernende, Lehrende, Auszubildende) und für <?page no="24"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 24 verschiedene Zwecke, Anwendungszusammenhänge oder Kontexte (z. B. Beurteilungsportfolios, Bewerbungsportfolios und Präsentationsportfolios) (vgl. Thürmann 2006: 429, Kap. 2.2). 2.1.3 Portfolios im deutschsprachigen Raum Während der Portfolioeinsatz in den USA ab den 1990er Jahren zunahm und in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts einen vorläufigen Höhepunkt erreichte (vgl. Häcker 2007: 5; Winter 2008c: 29), wuchs das Interesse in Deutschland erst ca. zehn Jahre später (vgl. ebd.). Hier ist ein zeitlicher Zusammenhang mit der Pilotierungsphase des Europäischen Sprachenportfolios (vgl. z. B. Bosshard 2007) zwischen 1998 und 2000 festzustellen, wobei nicht nur diese Portfolioform genutzt wurde, sondern zunächst beispielsweise Portfolios in der Lehrer/ innenbildung (vgl. z. B. Burwitz-Melzer 2004) oder reformpädagogisch orientierte Portfolios in verschiedenen Schulfächern zum Einsatz kamen (vgl. z. B. Brunner et al. 2008a). In der Schweiz und in Österreich verlief die Entwicklung nicht parallel zu der deutschen. Während in der Schweiz Portfolioarbeit zunächst über die Lehrer/ innenbildung ins Bildungssystem integriert wurden, spielte in Österreich das Portfolio zuerst als Instrument der Leistungsfeststellung eine große Rolle. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um Tendenzen, so dass zahlreiche davon abweichende Initiativen mit verschiedenen Schwerpunkten zu verzeichnen sind (vgl. Breuer, A. 2009: 178). An dieser Entwicklung wird jedoch deutlich, wie spezifische Rahmenbedingungen und der aktuelle Bedarf zu einer unterschiedlichen Nutzung führen. Während sich diese Entwicklungen auf die Verbreitung von Portfolioarbeit in verschiedenen Fächern und Bildungsbereichen beziehen, wird für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht angenommen, dass die Praxis […] dadurch dominiert wird, dass die Portfolio-Arbeit überwiegend zeitlich begrenzt und an Kurse, Kursphasen, Unterrichtseinheiten und Projekte gekoppelt ist und nicht die Lernbiographie im Längsschnitt begleitet und unterstützt (Thürmann 2006: 433). Häufig geht Portfolioarbeit dieser Art von der Initiative von Einzelpersonen aus, seltener lässt sich der übergreifende Einsatz finden, wie beispielsweise bei der flächendeckenden Nutzung des Europäischen Sprachenportfolios an Europaschulen. Vor diesem Hintergrund hat sich ein breit gefächertes Portfolioverständnis entwickelt, das im folgenden Kapitel vorgestellt wird. <?page no="25"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 25 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff Prozessportfolio, Abschlussportfolio, Vorzeigeportfolio, Projektportfolio, Lernportfolio, Bewerbungsportfolio, Entwicklungsportfolio, classroom portfolio, initial portfolio, Netzportfolio, Kursportfolio, entrance portfolio, Jahresportfolio, exemplarisches Portfolio, showcase portfolio, professional development portfolio, Epochenportfolio, Sprachenportfolio, final portfolio, acces [sic! ] portfolio, exit portfolio, individual portfolio, Schulzeitportfolio, Lehrportfolio, Beurteilungsportfolio, Talentportfolio, Arbeitsportfolio, Medienportfolio, Kompetenzportfolio, electronic portfolio (Häcker 2008c: 33). All diese Begriffe kursieren in der Fachliteratur und beschreiben verschiedene, aber zum Teil auch identische Konzepte von Portfolios. Das Portfolio gibt es nicht (vgl. Inglin 2007: 80). Häcker geht so weit zu sagen, dass es keine allgemeine Definition geben kann (vgl. Häcker 2008a: 17). Dennoch ist eine Begriffsbestimmung unerlässlich, um den gemeinsamen Kern von Portfolios und die möglichen Ausgestaltungsformen zu erfassen. Das Ziel dieses Kapitels ist daher die Annäherung an eine Definition (Kap. 2.2.1), die Darstellung von möglichen Typen von Portfolios (Kap. 2.2.2) sowie eine kurze lern- und spracherwerbstheoretische Verortung (Kap. 2.2.3). 2.2.1 Annäherung an eine Definition Oft werden Portfolios als Sammelmappe beschrieben, da diese äußere Erscheinungsform leicht zugänglich ist. Sie sind jedoch deutlich mehr als das, denn mit ihnen sind verschiedene Rahmenbedingungen, Maßnahmen, Aktivitäten und Zielsetzungen verbunden (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 12). Es gibt zahlreiche Erklärungen und Definitionsversuche von Portfolios, die zwar über die Beschreibung als Sammelmappe hinausgehen, aber dennoch von geringer Komplexität sind. So stellen beispielsweise Ali-Lawson et al. (2002: 20) fest: „A portfolio is a flexible, constantly changing collection of work which can be used to illustrate personal achievements“. Darüber hinaus existieren zahlreiche Definitionen, die je nach Zweck des Portfolios unterschiedliche Schwerpunkte setzen, beispielsweise mit dem Fokus auf dem Portfolio als direkte Leistungsvorlage (vgl. Arbeitsgruppe Portfolio 2005: 8, vgl. Tab. 2-1) oder auf der Dokumentationsfunktion (vgl. Jabornegg 2004: 166, vgl. Tab. 2-1). Nicht alle der als Definitionen deklarierten Textstellen sind tatsächlich als solche zu verstehen, dennoch tragen sie auch als Beschreibungen oder Negativabgrenzungen zum Verständnis des Portfoliobegriffs bei. Die folgende Tabelle (vgl. Tab. 2-1) bietet einen Überblick über die Bandbreite verschiedener Darstellungen: <?page no="26"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 26 „A portfolio is a purposeful collection of student work, exhibiting to the student and others the student’s efforts, progress or achievement in selected areas and including at least (a) student participation in selection of portfolio content; (b) the criteria for selection; (c) the criteria for judging merit; and (d) evidence of student self-reflection.“ Meyer et al. (1990: 3) „A portfolio must be much more than just some ‘stuff’ students produce and teachers save. Product portfolios involve a systematic collection of student materials consistently used by most or all teachers and students across curriculum content areas and across the school district to validate growth and abilities.“ Kingore (1993: 9) 4 „A portfolio is a collection of work that can include a diverse record of an individual’s achievements, such as results from authentic tasks, performance assessments, conventional tests or work samples. A portfolio documents achievements over an extended period of time. Generally, the individual identifies work from an accumulated collection to illustrate achievement and to demonstrate learning for a particular purpose, such as certification, summative or formative assessment. Careful, critical self-evaluation is an integral process and involves judging the quality of one’s performance and the learning strategies involved. The individual’s understanding of what constitutes quality in a particular context and the learning process involved is facilitated by discussion and reflecting with peers, teachers, lecturers or tutors during interview, substantive conversation, exhibition or presentation of learning. “ Klenowski (2002: 26) „Der Begriff Portfolio umschreibt in der Schülerbeurteilung ein spezifisches Lernprodukt (Sammlung von Arbeiten), das eine zeitraumbezogene Perspektive in der Schülerbeurteilung ermöglicht, so dass neben den Lernprodukten selbst auch deren Entwicklungsprozess bzw. der (Lehr-) Lernprozess Gegenstand der Beurteilung und/ oder Bewertung sein kann.“ Jabornegg (2004: 166) „Das Portfolio ist eine Form der ‚direkten Leistungsvorlage‘. Es ist eine Art Vorzeigemappe, welche die Lernentwicklung und die Leistungen der Studierenden dokumentiert. Es kann verstanden werden als eine strukturierte Dokumentation von Studienleistungen. […] Ein Portfolio soll nicht vollständig, sondern aussagekräftig (prägnant) sein.“ Arbeitsgruppe Portfolio, (2005: 8) Tabelle 2-1: Beispiele für verschiedene Definitionen von Portfolios 4 Zitiert nachDanielson/ Abrutyn (1997: vi), dort fälschlicherweise als Kingmore. <?page no="27"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 27 Aus dieser Darstellung werden die unterschiedlichen möglichen Ausrichtungen von Portfolios erkennbar. Im Allgemeinen haben sich in der Portfolioliteratur die Definitionen durchgesetzt, die differenziert sind und gleichzeitig über eine weitreichende Gültigkeit verfügen. Dazu zählt die aus dem Kontext der Schreibdidaktik stammende, aber nicht darauf begrenzte Definition, die im Rahmen einer Arbeit der Northwest Evaluation Association aufgestellt wurde (vgl. Meyer et al. 1990: 3; Tab. 2-1). Zahlreiche der folgenden Definitionen orientierten sich stark daran, wie die von Melograno (1998: 14) und Paulson, Paulson und Meyer (1991: 60). Besonders die letztere hat sich in der Portfolioliteratur durchgesetzt (vgl. z. B. Fink 2010: 21; Häcker 2008c: 36; Richter 2003: 45), da sie eine genaue Beschreibung der Funktionen und Arbeitsweisen beinhaltet und gleichzeitig auf verschiedene Kontexte angewendet werden kann: A portfolio is a purposeful collection of student work that exhibits the student’s efforts, progress and achievements in one or more areas. The collection must include student participation in selecting contents, the criteria for selection, the criteria for judging merit, and evidence of student selfreflection (Paulson et al. 1991: 60). Auch in dieser Arbeit beziehe ich mich auf diese Definition, ergänze sie aber um wesentliche Aspekte aus zwei anderen Definitionen, die den Portfoliobegriff greifbarer machen. Dabei handelt es sich um die Feststellung von Ali-Lawson et al. (2002), dass Portfolios flexibel und ständig im Wandel seien, und die von Klenowski (2002: 26, vgl. Tab. 2-1), die erklärt, dass der Austausch mit Lehrenden und Mitlernenden ein zentrales Element der Portfolioarbeit sei. So können der Prozesscharakter und die Einbettung in die soziale Interaktion besser berücksichtigt werden. Neben Definitionen dienen häufig Auflistungen von obligatorischen Portfolioinhalten der näheren Beschreibung dessen, was ein Portfolio ausmacht. Das zentrale Element, das ein Portfolio von einer reinen Sammel-, Arbeits- oder Projektmappe unterscheidet, sind Nachweise der Reflexion (vgl. Häcker 2004: 155). Dies beinhaltet Reflexionen Lernprodukten, punktuelle Selbstevaluationen sowie reflexive Texte zur Einleitung und zum Abschluss des Portfolios. Außerdem ist häufig ein Lerntagebuch integriert (vgl. Brunner 2008b: 76f.). Brouër (2007) stellt dar, dass ein Portfolio neben Arbeitsergebnissen und Elementen der Selbstreflexion auch Lernzielvereinbarungen und Beurteilungskriterien enthalten muss (vgl. ebd. 238). Zusätzlich zu dieser Auflistung der Inhalte, die ein Portfolio auszeichnen, trägt die Beschreibung des Prozesses der Portfolioerstellung zum besseren Verständnis bei: <?page no="28"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 28 1. „A portfolio is a collection of work, but it is a collection that is a subset of a larger archive.“ 2. „ The process by which the subset is created is one of selection.“ 3. „A third principle is reflection, the process by which a student explains his or her learning.“ 4. „A fourth principle is communication, in the sense that the writing portfolio, like any portfolio, will communicate something about the writer.“ 5. „Finally, any portfolio entails evaluation, in the sense, again, that it shows processes of valuing taking place, as students make selections, as they arrange them, as they tell the portfolio readers - and themselves - about the entries and the learning connected to them.“ (Yancey 1996: 86) Diese fünf Prinzipien lassen sich als collection, selection, reflection, communication und evaluation zusammenfassen. Vor allem die Auswahl der Artefakte ist von großer Bedeutung, da dabei die Arbeits- und Lernprozesse überdacht und Qualitätskriterien entwickelt werden (vgl. Siebenhaar 2013: 125). Murphy und Smith (1992: 14) halten fest: „On the one hand, portfolios are a set of artifacts. On the other, they represent a set of decisions. The benefits of portfolios lie as much in the decision-making processes they initiate as in the range of products they contain.“ Collection, selection, reflection and self-assessment sind auch vier der Merkmale, die sich bei Hamp-Lyons/ Condon (2000: 32-38) finden, ein fünfter ist range im Sinne der Vielfalt, die Yancey (1996) in ihrer Darstellung Punkt 1) zuordnet. Ergänzt werden bei Hamp-Lyons und Condon (2000: 32-38) noch folgende: context richness, delayed evaluation, student-centered control, growth along specific parameters, development over time. In diesen Merkmalen spiegelt sich die enge Verankerung der Portfolioarbeit im unterrichtlichen Geschehen wider, ebenso wie die Selbststeuerung der Lernenden und deren Individualität. Die portfoliobasierte Leistungsfeststellung zeichnet sich durch die Berücksichtigung einer Entwicklung über einen längeren Zeitraum und die Einbettung der Leistung in einen Kontext aus. <?page no="29"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 29 Aus den genannten Definitionen und Prinzipien lassen sich die Funktionen, Eigenschaften und Rahmenbedingungen extrahieren, die zusammenfassen, was ein Portfolio idealerweise auszeichnen kann (vgl. Tab. 2-2): Tabelle 2-2: Funktionen, Eigenschaften und Rahmenbedingungen von Portfolioarbeit Betrachtet man diese aus den zuvor vorgestellten Definitionen abgeleiteten Funktionen, Eigenschaften und Rahmenbedingungen von Portfolioarbeit, so ist nicht verwunderlich, dass sich die Definition von Paulson et al. (1991) Funktionen von Portfolios Rahmenbedingungen der Arbeit mit Portfolios Eigenschaften von Portfolios operativ: • Sammlung • Dokumentation des Lernprozesses der Lernergebnisse der individuellen Entwicklung Entwicklungsinstrument: • Entwicklung des Qualitätsbewusstseins • Reflexion • Selbststeuerung • Individualisierung der Lernprozesse Instrument der Leistungsfeststellung • Selbstbeurteilung • Diagnostik im Lernprozess • Berücksichtigung des Lernprozesses bei der Beurteilung • Individualisierung von Leistung • aussagekräftig • flexibel • kontinuierlich geführt • prozesshaft • lernendenorientiert • ausgewählt & zielgerichtet • strukturiert und systematisch • vielfältig • (teilweise) vorzeigbar • kontextualisiert Konzentration auf einen Lernbereich oder fächerübergreifender Einsatz Lernende (Ersteller/ innen), Lehrende und/ oder Mitlernende als mögliche Adressat/ innen verstärkter Austausch der Lernenden untereinander verstärkter Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden <?page no="30"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 30 durchgesetzt hat und auch im Rahmen dieser Arbeit genutzt werden kann. Sie greift die meisten der in Tabelle 2-2 genannten Punkte auf und erlaubt trotzdem unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Die oben genannte Ergänzung um die Flexibilität und Dynamik sowie um die Notwendigkeit des damit verbundenen Austauschs mit Mitlernenden und Lehrenden halte ich allerdings für unerlässlich, um die kennzeichnende Einbindung des Portfolios in den Unterricht zu verdeutlichen. Zusammenfassend halte ich fest, dass eine Definition von Portfolios nicht in einem Satz zu leisten ist. Portfolioarbeit ist vielmehr so zu verstehen, dass sie „je nach Gegebenheiten, Rahmenbedingungen, Zielgruppe und Bedürfnissen - neu ausgestaltet werden kann“ (Ballweg/ Bräuer 2011: 4). Ergänzend sei hinzugefügt, dass diese Ausgestaltung nicht nur eine Option, sondern vielmehr eine Notwendigkeit darstellt. Es gibt entsprechend auch keine einheitliche Lehre des Portfoliounterrichts. Und darin liegt gerade die Chance dieser, für viele neuen Unterrichtsform: Das Portfolio ist ein offenes Konzept, in dem so viel oder so wenig Platz hat, wie der Lehrer oder die Lehrerin will (Inglin 2007: 80). 2.2.2 Typen und Taxonomien von Portfolios Aus Kapitel 2.2.1 geht hervor, was der gemeinsame Kern der unterschiedlichen Portfolioformen ist. Darüber hinaus bestehen zahlreiche mögliche Unterschiede, die bereits ihr Format betreffen: „A portfolio can be a conventional A4 ring-file folder, a small cardboard or plastic box with audio and video recordings made by the student, or an extended website“ (Skinner 2003: 58). Das Format ist damit das erste Unterscheidungsmerkmal, das bei der Klassifizierung von Portfolios angewendet werden kann. Darüber hinaus gibt es mehr oder weniger komplexe Systeme der Klassifizierung, die im Folgenden diskutiert werden. Im Anschluss daran stelle ich mit dem Europäischen Sprachenportfolio und mit Schreibportfolios exemplarisch zwei Portfolioformen vor, die im Fremdsprachenunterricht und im Kontext dieser Arbeit relevant sind (vgl. Kap. 2.2.2.2). 2.2.2.1 Möglichkeiten zur Klassifizierung von Portfolios Prozessportfolio, Schulzeitportfolio, ePortfolio, Sprachenportfolio - die Vielfalt der Bezeichnungen für verschiedene Portfolioformen liegt darin begründet, dass sich Portfolios hinsichtlich verschiedener Eigenschaften unterscheiden und Zuordnungen auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. Häcker (2008c: 34) stellt diese verschiedenen Dimensionen dar, in denen Portfolios beschrieben werden können: <?page no="31"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 31 der Zweck, der mit dem Portfolio verfolgt wird, z. B. ein Beurteilungsportfolio oder ein Entwicklungsportfolio, die Qualifikationen, die mit Hilfe des Portfolios nachgewiesen werden, z. B. ein Medien- oder ein Sprachenportfolio, die Zuordnung zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Bildungsgang, z. B. ein entrance portfolio oder ein exit portfolio, die Form des Unterrichts, die mit dem Portfolio verbunden ist, z. B. ein Projektportfolio, das Medium, das genutzt wird, z. B. ein electronic portfolio, der Zeitraum, in dem ein Portfolio geführt wird, z. B. ein Kursportfolio oder ein Schuljahresportfolio. Da die oben genannten Attribute der Portfolios in diesen sechs unterschiedlichen Dimensionen angesiedelt sind, ist die Bezeichnung immer nur in Hinblick auf eine davon aussagekräftig, während die anderen unberücksichtigt bleiben. Ein ePortfolio kann beispielsweise gleichzeitig ein Bewerbungsportfolio oder aber ein Entwicklungs- und Kursportfolio sein. Zur besseren Verständlichkeit ist die Beschreibung in allen Bereichen notwendig, wobei in der Regel die Funktion als zentrales Merkmal im Vordergrund steht. Eine grundsätzliche Unterscheidung ist daher die nach dem Zweck, vor allem zwischen einem Prozess- und einem Präsentationsportfolio (learning portfolio vs. showcase portfolio, vgl. Kohonen 1997: 15). Bei Prozessportfolios steht die pädagogische Funktion im Vordergrund, so dass hier Entwicklungs- und Reflexionsportfolios einzuordnen sind. Präsentationsportfolios betonen vor allem die Dokumentationsfunktion und werden häufig zur Leistungsfeststellung genutzt (vgl. ebd.; Jervis 2008: 48). Daher schließt sich hier die ebenfalls geläufige Unterscheidung zwischen dem Portfolio als Entwicklungs- und als Leistungsfeststellungsinstrument an (vgl. Häcker 2004: 148). Eine differenzierte Klassifizierung nimmt Pietsch (2005: 51f.) vor, die fünf Funktionen und Intentionen von Portfolioarbeit unterscheidet: ein Lehr- und Lerninstrument zur Steuerung des Lernens, ein alternatives Instrument der Leistungsfeststellung, das Lernprodukte und Lernprozesse abbildet, ein Entwicklungsinstrument zur Kommunikation über Leistungen, ein Instrument im Laufbahnmanagement, z. B. ein Bewerbungsportfolio, ein Forschungsinstrument. <?page no="32"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 32 Diese Fünfteilung ist nachvollziehbar, wobei man auch die Ansicht vertreten könnte, dass alle unterschiedlichen Portfolioformen für Forschungszwecke genutzt werden können und es sich deshalb nicht um eine eigene Funktion handelt. Die Unterscheidung zwischen dem Portfolio als Lehr- und Lernsowie als Entwicklungsinstrument ist nicht auf den ersten Blick trennscharf, denn im Entwicklungsportfolio wird ebenfalls ein Lernprozess in den Blick genommen. Allerdings sind die Begrifflichkeiten Pietschs (2005) so zu verstehen, dass das Portfolio als Lehr-Lern-Instrument ein privates Instrument der Lernenden ist, während das Portfolio als Entwicklungsinstrument in einem Bereich anzusiedeln ist, den Bräuer (2008b: 99) als den halböffentlichen Diskurs reflexiver Praxis bezeichnet, womit ein geschützter Dialog zwischen den Portfolioersteller/ innen und Lehrenden und/ oder Mitlernenden beschrieben wird. Der Zugriff auf das Portfolio ist demnach ein weiteres wichtiges Unterscheidungskriterium. Die „Eigentumsrechte“ stellt Baumgartner (2012) in den Mittelpunkt seiner Aufteilung, was im Kontext der ePortfolioforschung, der diese Taxonomie entstammt, im Sinne der Zugriffsrechte und der Datensicherheit eine noch höhere Relevanz zukommt. Aber auch bei Printportfolios sind die Zugriffsmöglichkeiten und der Umgang mit der Privatheit der Reflexion zu berücksichtigen. Bezogen auf das Europäische Sprachenportfolio bietet Gehring (2006: 21) eine eigene Unterteilung in fünf Funktionen, bei der der Begriff des Instruments durch den des Mediums ersetzt wird: ein Darbietungsmedium, worunter ein Präsentationsportfolio zu verstehen ist, ein Dokumentationsmedium, das Informationen über sprachliche Lernprozesse und Lernergebnisse gleichermaßen enthält, ein Produktionsmedium, das den Gebrauch der Zielsprache verlangt, ein Evaluationsmedium, das zur Selbstreflexion und Selbstevaluation auffordert und die Basis für eine individuelle Fremdbeurteilung bietet und ein sprachenpolitisches Medium, das die Vergleichbarkeit von Sprachentwicklung und Sprachkompetenz innerhalb Europas ermöglicht. Während hier viele Parallelen zu den oben angeführten Klassifizierungen von Baumgartner (2012) und Pietsch (2005) zu finden sind, so ist als spezifisches Element hinzugekommen, dass im Fremdsprachenunterricht Portfolios in der Zielsprache geführt werden können und sie dadurch Anlass zur Sprachverwendung geben (vgl. Kap. 3.5). <?page no="33"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 33 Da die verschiedenen Klassifizierungen neben Vorteilen auch einige Nachteile haben, erweist es sich als hilfreicher, Portfoliomerkmale auf Kontinua zu verorten (vgl. Häcker 2008c: 38). Diese Vorgehensweise scheint praktikabler als die Zuweisung absoluter Merkmale, die den in komplexen Unterrichtssituationen umgesetzten Formen der Portfolioarbeit selten gerecht werden. Häcker nennt die Kontinua (vgl. ebd.): Inhalte: „alles und jedes“ vs. einige wenige Nachweise, Zweck: „formative (Selbst)Beurteilung“ vs. „summative (Selbst-)Beurteilung“, Entscheidung: der/ die Lernende vs. andere Instanzen, Prozess vs. Produkt. In diesem vierdimensionalen System können unterschiedliche Portfolioformen eingeordnet werden. Danielson und Abrutyn (1997: vii) nennen weitere Kontinua, auf denen Portfolios näher beschrieben werden können, so dass Häckers (2008c) Aufzählung ergänzt werden kann: Grad der Standardisierung: hohe Standardisierung oder große Offenheit, Zeitraum: Kurzzeit- oder Langzeitportfolio, Status der aufgenommenen Artefakte: erste Entwürfe oder Endprodukte, Auswahl der Artefakte: die besten Ergebnisse oder Produkte, die überarbeitet werden sollen, institutioneninterne Reichweite: Zuordnung zu einem Fach oder fächerübergreifend, übergreifende Reichweite: Artefakte ausschließlich aus der Schule oder darüber hinaus ebenso aus anderen Lebensbereichen. Aus der Verbindung dieser beiden Systeme wähle ich folgende Kontinua zur Beschreibung von Portfolios, indem ich verschiedene Formen der Reichweite oder des Umgangs mit Artefakten zusammenführe (vgl. Abb. 2-1): <?page no="34"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 34 Fokus auf Prozess Fokus auf Produkt Fokus auf Entwicklung Fokus auf erbrachte Leistungen Fokus auf formative (Selbst-)Beurteilung Fokus auf summative (Selbst-)Beurteilung Langzeitportfolio Kurzzeitportfolio große Reichweite (z. B. fächerübergreifend) geringe Reichweite (z. B. fachgebunden) Entscheidungsgewalt und Zugriffsrechte liegen bei den Lernenden Entscheidungsgewalt und Zugriffsrechte liegen bei anderen Instanzen Abb. 2-1: Dimensionen zur Beschreibung von Portfoliofunktionen Am Beispiel zweier Portfolioformen wird deutlich, wie dieses Dimensionenmodell zur Beschreibung der Eigenschaften eines Portfolios genutzt werden kann (vgl. Abb. 2-2). Beispiel A könnte ein Audioportfolio sein, das Lernende über die Dauer einer Unterrichtseinheit von mehreren Wochen führen, das die Arbeitsprozesse und die Entwicklung der Lernenden in den Vordergrund stellt. Mit seiner Begrenzung auf eine Fertigkeit weist es eine eher geringe Reichweite auf. Die Standardisierung ist gering. Lehrende und Mitlernende nehmen punktuell Einblick, wobei die Lernenden selbst über den Zugriff entscheiden. Beispiel B ist tendenziell am jeweils anderen Ende der Kontinua angesiedelt ist. Hierbei könnte es sich um die Nutzung des Europäischen Sprageringe Standardisierung hohe Standardisierung <?page no="35"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 35 chenportfolios (ESP; vgl. Kap. 2.2.2.2) für eine Bewerbung handeln, wodurch mit dem ESP eine hohe Standardisierung vorliegt. Es ist nicht das Ziel, Lernwege aufzuzeigen, sondern es stehen vielmehr die aktuellen Leistungen im Vordergrund. Die Beurteilung findet durch die Person statt, an die die Bewerbung gerichtet ist, der mit der Übergabe volle Zugriffsrechte zustehen (vgl. Abb. 2-2): Fokus auf Prozess Fokus auf Produkt Fokus auf Entwicklung Fokus auf erbrachte Leistungen Fokus auf formative (Selbst-)Beurteilung Fokus auf summative (Selbst-)Beurteilung Langzeitportfolio Kurzzeitportfolio große Reichweite (z. B. fächerübergreifend) geringe Reichweite (z. B. fachgebunden) Entscheidungsgewalt und Zugriffsrechte liegen bei den Lernenden Entscheidungsgewalt und Zugriffsrechte liegen bei anderen Instanzen Beispiel A: Audioportfolio begleitend zu einer Unterrichtseinheit Beispiel B: Nutzung des Europäischen Sprachenportfolios für eine Bewerbung Abb. 2-2: Beispiele für die Einordnung zweier Portfolioformen auf den Dimensionen zur Beschreibung von Portfoliofunktionen geringe Standardisierung hohe Standardisierung <?page no="36"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 36 Auf diese Art sind Portfolioformen in den verschiedenen Dimensionen zu verorten. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine statische Einordnung, da Portfolios sich in der Regel im Laufe eines Prozesses in ihrer Ausrichtung verändern. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass zunächst die Endpole der Kontinua bestimmt werden müssen. Geht man beispielsweise im Zuge der Diskussion des lebenslangen Lernens von einem Lebenszeitportfolio als Langzeitportfolio aus, dann ist ein Schuljahresportfolio im Mittelfeld anzusiedeln. Definiert man hingegen in einem schulinternen Diskurs ein Lernabschnittsportfolio als längste mögliche Portfolioform, verlagert sich die Einordnung entsprechend. Eine pauschale Festlegung ist aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen nicht zielführend, so dass die Ausarbeitung in den jeweiligen Kontexten geschehen muss. Exkurs: ePortfolios Eine Form von Portfolios, die im Unterricht häufig genutzt wird, sind ePortfolios. Aufgrund ihrer häufigen Verwendung im Unterricht skizziere ich die Besonderheiten von ePortfolios an dieser Stelle. In meinen weiteren Ausführungen berücksichtige ich sie nicht gesondert, weil sie in dem von mir untersuchten Unterricht nicht systematisch mit einer Portfoliosoftware eingesetzt wurden und daher für die Studie nicht relevant sind. Der Begriff des ePortfolios beschreibt die mediale Umsetzung einer Portfolioform mit elektronischen Medien, für die grundsätzlich alle verschiedenen Portfolioformen in Frage kommen. Viele Lernplattformen wie beispielsweise moodle verfügen über eine Portfoliofunktion. Darüber hinaus können Portfolios mit einer Portfoliosoftware wie Mahara 5 erstellt werden. Mit diesen Programmen können offene Portfolios gestaltet werden, d. h. es besteht keine Vorstrukturierung. Darüber hinaus können sie auch für die Programmierung eines strukturierten Portfolios genutzt werden, wie es beispielsweise beim Portfolio epos der Fall ist (Elektronisches Portfolio der Sprachen, vgl. dazu z. B. Kühn/ Langner 2011). Im Allgemeinen weisen ePortfolios dieselben Merkmale auf wie analoge Portfolios. Sie unterscheiden sich allerdings in der technischen Ausstattung, in der Verwaltung und in der Verbindung von Artefakten (vgl. Brunner 2008c: 253). Werden Web 2.0-Anwendungen eingebunden und entsprechende Programmierungen vorgenommen, können ePortfolios größere Unterschiede zu Printportfolios aufweisen, da beispielsweise interaktive Tools den Reflexionsprozess durch Visualisierungen unterstützen können und die 5 Vgl. https: / / mahara.org/ (25.06.2014). <?page no="37"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 37 Kommunikation der Portfolioersteller/ innen mit Lehrenden und Mitlernenden beschleunigt und intensiviert werden kann (vgl. Bellingrodt 2011a: 42). Zu ePortfolios werden derzeit einige Forschungsprojekte durchgeführt. Zu nennen ist beispielsweise die Arbeit von Stefanie Mehler, die sich mit dem Einsatz von ePortfolios in der Deutsch-Lehrendenausbildung beschäftigt (vgl. Siebenhaar 2013). 2.2.2.2 Beispiele für Portfolioformen Im Fremdsprachenunterricht können verschiedene Portfolioformen eingesetzt werden. Weit verbreitet sind das Europäische Sprachenportfolio sowie Schreibportfolios, die ich in Anlehnung an die zuvor dargestellten Klassifizierungsmöglichkeiten kurz vorstellen möchte. Die Rolle von Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht, die im Fokus dieser Arbeit stehen, wird daran anknüpfend in Kapitel 4 erörtert. Darüber hinaus existieren im Kontext des Fremdsprachenunterrichts viele weitere relevante Portfolioformen, beispielsweise Audioportfolios, Leseportfolios oder Portfolios in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden. Hier sind das Lehramtsportfolio für Fremdsprachenlehrkräfte (LAPF) von Burwitz-Melzer (2004), das Aus- und Weiterbildung umfasst, und das European Portfolio for Student Teachers of Languages (EPOSTL) (vgl. Newby 2007) zu nennen. Das Europäische Sprachenportfolio Auf dem Symposium des Europarats 1991 wurde neben dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) das Europäische Sprachenportfolio als Instrument der europäischen Sprachenpolitik präsentiert (vgl. Langner 2011: 12; Schärer 1997: 449). Allerdings waren schon in den Jahren und Jahrzehnten zuvor Vorgänger der beiden Instrumente entwickelt worden. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Niveaubeschreibungen des Threshold Level (1975), des Niveau seuil (1976) und der Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache (1980) zu nennen (vgl. Langner 2011: 12). Das ESP ist damit in einem Bestreben zu verorten, Leistungen anhand klar definierter, vergleichbarer Maßstäbe zu beschreiben und sie gleichzeitig durch die Verbindung mit Beispielarbeiten zu veranschaulichen. Auch das lebenslange Lernen und die damit verbundene Lernendenautonomie sind wichtige Hintergründe der Entwicklung des ESP (vgl. ebd.). Schärer (1997: 450) formuliert die Ziele des ESP wie folgt. Sie <?page no="38"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 38 „provide positive evidence of learning experienced, highlight achievements in relation to a shared common framework, report language competence in a transnationally comprehensive way, involve and motivate learners for life-long language learning.“ Diese Aufzählung der Ziele betont die Dokumentationsfunktion stärker als die pädagogische Funktion. Eine andere Gewichtung wird mit der Darstellung der mittel- oder gar langfristigen Ziele der Arbeit mit dem ESP erreicht (Schneider 2003: 257): Wert von Mehrsprachigkeit und Multikulturalität aufzeigen und so zur gegenseitigen Achtung und Verständigung beitragen, Lernende motivieren, Kompetenzen in mehreren Sprachen zu erwerben und ihre interkulturellen Erfahrungen zu erweitern, die Mobilität erleichtern, indem es sprachliche Qualifikationen transparent und vergleichbar dokumentiert, autonomes Lernen und die Fähigkeit zur Selbstbeurteilung fördern. Insbesondere die Förderung der Mehrsprachigkeit ist ein zentrales Anliegen des ESP, denn dadurch soll sowohl die biographische Mehrsprachigkeit der Lernenden gefördert als auch das Lernen weiterer Sprachen angelegt werden (vgl. Burwitz-Melzer/ Quetz 2006: 203). Um diese vielfältigen Ziele zu erfüllen, verfügt das ESP über drei Bereiche: Sprachenpass, Sprachenbiografie und Dossier, obwohl ebenso eine vereinfachte Form vorstellbar ist, die nur aus Sprachenbiografie und Dossier besteht (vgl. Schärer 1997: 452). Im Sprachenpass werden Prüfungen und formale Qualifikationen dokumentiert, während in der Sprachenbiografie die Selbsteinschätzung der Lernenden in Anlehnung an die Niveaubeschreibungen des GER vorgesehen ist. Zudem können hier Überlegungen zu Sprachlernerfahrungen, interkulturellen Begegnungen, Lernzielen und verwendeten Strategien berücksichtig werden. Das Dossier ist schließlich eine Zusammenstellung von Arbeiten, Dokumenten und Zertifikaten, die den Sprachenlernprozess beschreiben und die Fähigkeiten der Lernenden illustrieren (vgl. ebd.; Langner 2011: 12). Trotz dieses gemeinsamen Kerns gibt es das ESP ebenso wenig wie es das Portfolio gibt. Für verschiedene Länder, Zielgruppen und Bedürfnisse werden jeweils gezielt Versionen des ESP entwickelt, beispielsweise für Schüler/ innen, für erwachsene Lernende oder für die berufliche Ausbildung. Auf der Seite des European Centre for Modern Languages (ECML), das sich mit der Implementierung des ESP beschäftigt (vgl. Bosshard 2007: 28), werden 105 akkreditierte Portfoliomodelle aufgeführt, von denen 51 voll- <?page no="39"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 39 ständig online verfügbar sind. 6 Dazu kommen zahlreiche nicht akkreditierte Versionen, die weltweit genutzt werden, und solche, die sich im Akkreditierungsprozess befinden. In all diesen Versionen werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Ein zentraler Unterschied besteht im Verhältnis von Dokumentationsfunktion und pädagogischer Funktion, wobei im ESP beide Funktionen angelegt und miteinander verknüpft sind (vgl. Burwitz-Melzer/ Quetz 2006: 204; Gehring 2006: 25; Little 2005: 308-310; Westhoff 2004: 55). Der Sprachenpass und das Dossier erfüllen vor allem die Dokumentationsfunktion, während die Sprachenbiografie eher auf die Reflexion des eigenen Lernens und damit auf die pädagogische Funktion ausgerichtet ist (vgl. Burwitz-Melzer/ Quetz 2006: 205). Die Trennung von Dossier und Sprachenbiografie lässt den Eindruck entstehen, dass beide Teile getrennt bearbeitet werden. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass Selbsteinschätzung losgelöst von konkreten Handlungen nur schwer möglich ist. Westhoff (2004) stellt ein Ungleichgewicht der beiden Funktionen und Schwierigkeiten bei der Implementierung der pädagogischen Funktion fest. Dies führt er darauf zurück, dass die pädagogische Funktion im Widerspruch zur „Sortierfunktion“ der Schule steht und von Lehrenden einen „substantiellen didaktischen Sichtwechsel“ (ebd. 55) im Sinne größerer Unsicherheitstoleranz und eines besseren Unterrichtsmanagements verlangt (vgl. ebd.). Verschärft wird diese Problematik dadurch, dass Lehrende mit der Dokumentationsfunktion deutlich besser vertraut sind als mit der pädagogischen Funktion (vgl. Ballweg/ Stork 2008: 396). Zu den konkreten Herausforderungen, die das ESP mit sich bringt, zählt die Notwendigkeit einer Veränderung in der Lernkultur (vgl. dazu Kap. 2.3.1), beispielsweise die Kontinuität der Portfolioarbeit über verschiedene Klassentypen und Schultypen hinweg zu unterstützen. Darüber hinaus stehen Lehrende vor der Aufgabe, die Lernenden bei der Entwicklung der notwendigen metakognitiven Fähigkeiten zu unterstützen (vgl. Bruen/ Sherry 2007: 119; Kap. 2.3.2). Trotzdem ist das ESP gerade aufgrund der pädagogischen Funktion vielversprechend. Argondizzo (2009: 35) hebt beispielsweise hervor, dass durch Portfolioarbeit inhaltliches und sprachliches Lernen miteinander verbunden werden und das Bewusstsein für Erfahrungen, Prozesse sowie Strategien geweckt wird, wodurch diese greifbarer werden (vgl. ebd.). Diese Bewusstmachung des eigenen Lernens, die die Planung, Überwachung und 6 Vgl. http: / / elp.ecml.at/ UsingtheELP/ Browseportfolios/ tabid/ 2370/ language/ en-EN/ Default.aspx (01.03.2015). <?page no="40"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 40 Evaluation einzelner Lernschritte beinhaltet, wird als Weg zur Lernerautonomie beschrieben (vgl. Little 2005: 311). Inglin konstatiert: „Das ESP ist eine Chance für den Fremdsprachenunterricht. Der Einbezug muss aber harmonisch und gut angeleitet geschehen“ (Inglin 2007: 81). Er warnt weiter davor, die Portfoliomappe ohne geeignete Anpassungen an die Zielgruppe und an die Rahmenbedingungen in den Unterricht zu integrieren (vgl. ebd.). Auch Bräuer befürchtet die Vernachlässigung der Reflexion und kritisiert die standardisierten Mappen, die dabei entstehen könnten und die ausschließlich auf die Dokumentation abzielen als „verordnete[…] Hochglanz-Portfolios“ (Bräuer 2008a: 257). Daraus wird deutlich, dass das ESP - wie jede andere Portfolioform - auf die Bedürfnisse der Lernenden abgestimmt werden muss. Schreibportfolios In Hinblick auf Schreibportfolios kann ebenfalls festgestellt werden, dass die Form des Portfolios durch den Einsatz durch die Lehrenden verschiedene mögliche Ausrichtungen haben kann (vgl. Murphy/ Smith 1992: 83). Die Aufgabe der Ausgestaltung ist bei Schreibportfolios ebenso gegeben wie beim ESP. Allerdings gestaltet sie sich bei Schreibportfolios insofern anders, als dass es im Gegensatz zum ESP in der Regel keine Vorlagen oder andere Formen der Standardisierung gibt (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 15). Auch bei Schreibportfolios ist das komplette Spektrum der zuvor genannten Ausgestaltungsmöglichkeiten von Portfolios denkbar. So können besonders gut gelungene Texte präsentiert werden, oder es können Textentwürfe, Reflexionen, Rückmeldungen von Mitlernenden und vieles mehr darin enthalten sein. Da Schreibportfolios mit dem Aufkommen der prozessorientierten Schreibdidaktik (vgl. Kap. 4.3) verbunden sind, ist die letztere Form von Portfolios deutlich häufiger vertreten. In diesem Fall zeichnet sich die Arbeit mit dem Portfolio dadurch aus, dass der Schreibprozess, vor allem die Planung sowie die Überarbeitung, in besonderem Maße berücksichtigt und die Eigenverantwortung sowie die Individualität der Lernenden betont werden (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 5). Es gibt allerdings Modelle, bei denen Lernende aus gut gelungenen Texten ein Präsentationsportfolio erstellen, das zur Einstufung oder zu Prüfungszwecken dient, wie beispielsweise das Junior Writing Portfolio an der Washington State University (vgl. Kap. 1). Meist gestaltet sich die Arbeit mit Schreibportfolios so, dass sie zu unterschiedlichen Zwecken umstrukturiert werden, indem die Texte in einem Präsentationsportfolio zum Beispiel nach Textsorten sortiert werden, in einem Prozessportfolio hingegen eine chronologische Reihenfolge sinnvol- <?page no="41"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 41 ler ist (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 18). Daher ist es möglich, aus denselben Materialien zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Portfolios zu erstellen, beispielsweise ein begleitendes Prozessportfolio, das als privater oder halböffentlicher Diskurs (vgl. Bräuer 2008b: 99) geführt wird, am Ende einer Lerneinheit in ein Beurteilungsportfolio zu überführen, indem beispielsweise persönliche Reflexionen entfernt und die Artefakte neu geordnet und kommentiert werden. Diese für Schreibportfolios typische Vorgehensweise findet sich auch bei anderen Portfolioformen, insbesondere bei solchen, die eine geringe Standardisierung aufweisen. Durch seine Ursprünge als Instrument einer veränderten Leistungsfeststellung (vgl. Kap. 2.1.1) spielt diese bei der Arbeit mit Schreibportfolios ebenfalls eine zentrale Rolle. Die Neuerung bestand seit den 1980er Jahren darin, dass im Gegensatz zu Klausuren oder Multiple Choice-Tests in Schreibportfolios Entwürfe verfasst werden, die dann - meist auf der Basis von Rückmeldungen von anderen - eine Überarbeitung erfahren. Diese Überarbeitungen werden wiederum bei der Beurteilung berücksichtigt (vgl. Porter/ Cleland 1995: 28), um neben der Endleistung auch den Prozess beurteilen zu können (vgl. Skinner 2003: 58). Allerdings bleiben die Lehrenden nicht die einzigen Beurteilenden, denn die Lernenden sind zur Selbstbeurteilung angehalten (vgl. ebd.; Porter/ Cleland 1995: 39). Dies geschieht explizit in Phasen, in denen sie dazu aufgefordert sind, aber auch implizit durch die Auswahl und Anordnung von Artefakten, für die sie begründete Entscheidungen treffen müssen (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 14). Offene Portfolios dieser Art verlangen den Lernenden viele Entscheidungen ab, durch die Reflexions- und Selbsteinschätzungsprozesse in Gang gesetzt werden können. Unterstützt wird dies dadurch, dass Räume entstehen, um Risiken beim Schreiben eingehen zu können, da Fehlversuche nicht aufgenommen werden müssen (vgl. Porter/ Cleland 1995: 44). Das ist allerdings nur möglich, wenn die von Bräuer (2008b: 99) vorgenommene Unterteilung in privaten, halböffentlichen und öffentlichen Diskurs umgesetzt wird und die Lernenden zu jeder Zeit wissen, wer über Zugriffsmöglichkeiten auf ihr Portfolio verfügt (vgl. Paulson et al. 1991: 62). Die Trennung von Lern- und Leistungssituation ist demnach dringend nötig, wenn Entwicklungs- und Beurteilungsportfolio kombiniert werden (vgl. Häcker 2004: 155, vgl. dazu auch Burwitz- Melzer 2004: 150). <?page no="42"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 42 2.2.3 Lern- und spracherwerbstheoretische Verortung Aus den Ausführungen in den vergangenen Kapiteln wird deutlich, dass ein Portfolio ein Instrument ist, das im Unterricht unterschiedliche Funktionen einnehmen kann. In dieser Vielfalt der möglichen Ausrichtungen liegt ein Grund dafür, dass eine theoretische Verortung von Portfolioarbeit eine große Herausforderung darstellt. Der zweite Grund ist der, dass ihr durch ihre Entwicklung aus der Unterrichtspraxis heraus eine „relative ‚Theoriearmut‘“ (Häcker 2008d: 31) attestiert wird. Häcker hält weiter fest: Da es keine allgemein anerkannte Definition von Portfolio gibt, lässt sich der Portfolioansatz auch nicht auf eine bestimmte lerntheoretische Position festlegen. Dennoch fällt auf, dass es häufig Vertreter eines (erkenntnistheoretischen) Konstruktivismus sind, die ein Lernen mit Portfolios propagieren, das heißt, sie heben den aktiven, eigenständigen Charakter der Arbeit hervor, betonen die notwendige Situiertheit des Lernens in konkreten Erfahrungs- und Problemkontexten, unterstreichen den sozialen Charakter allen Lernens sowie die große Bedeutung der Reflexion bzw. der Selbstbeobachtung des eignen Lernens (ebd. 17). Als lerntheoretische Perspektiven sind neben dem Konstruktivismus vor allem kognitivistische und interaktionistische Sichtweisen zu nennen, aus denen Portfolioarbeit betrachtet werden kann. 7 Breuer, A. (2009: 53-61) verortet Portfolioarbeit beispielsweise in einer interaktionistisch-konstruktivistischen Lernkultur, die von der Erfahrungswelt der Lernenden ausgeht und Lernen als Beziehungsgeschehen definiert. Ferner ist häufig eine Zuordnung zum Kognitivismus zu finden (vgl. Königs 2010d: 762). Winter (2008a) führt die Elemente einer konstruktivistischen und kognitivistischen Sichtweise zusammen: 7 Aus psychologischer Sicht sind Verbindungen der Portfolioarbeit mit der Theorie der Selbstwirksamkeit (vgl. Bandura 1999) und der Selbstbestimmungstheorie (vgl. Deci/ Ryan 1993) zu sehen, die psychologische Aspekte der Portfolioarbeit in Bezug zur Selbstwirksamkeitserwartung an die eigene Leistung und mit einer Motivationstheorie mit Fokus auf Selbstregulation erklären. Die Selbstwirksamkeitserwartung beschreibt die Überzeugung einer Person, durch das eigene Handeln Aufgaben und Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können (vgl. Bandura 1999). <?page no="43"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 43 Unter dem Einfluss konstruktivistischer Lernparadigmen und kognitiver Lerntheorien […] richtet sich das Interesse verstärkt auf die individuellen Vorstellungen, Gedanken, Konzepte und Gefühle der Kinder als Voraussetzung und Ergebnisse der Lernprozesse. So wird auch der Sinn, den ihre Handlungen und Tätigkeiten für sie haben, als wichtig für das Lernen betrachtet. Besondere Aufmerksamkeit gilt auch den operativen Seiten, dem ‚Wie‘ des Lernhandelns und der Reflexion darüber (ebd. 213f.). Aus konstruktivistischer Sicht wird die Auffassung vertreten, dass Menschen Informationen individuell wahrnehmen und vor dem Hintergrund der eigenen Disposition, Vorkenntnisse und Einschätzungen interpretieren (vgl. Königs 2005: 448f. Mietzel 2007: 46). Wahrgenommen wird das, was „kognitiv anschlussfähig und emotional verträglich“ (Siebert 2003: 15) ist. Diese Sichtweise betont die Individualität der Lernenden (vgl. Imhof 2010: 58). Im Gegensatz zum radikalen Konstruktivismus wird im gemäßigten Konstruktivismus Unterricht als unterstützend für den Lernprozess verstanden, auch wenn er nicht unmittelbar die Aneignung und Speicherung der Inhalte zum Ziel hat. Im Unterrichtskontext bedeutet die Orientierung am Konstruktivismus daher das Ernstnehmen von (sprachlichen) Vorerfahrungen und von Interessen der Lernenden, die Hinführung zu Lernendenautonomie sowie die Gestaltung einer komplexen Lernumgebung (vgl. Lissmann 2007: 276; Vetter 2007: 104-106). Bei konstruktivistischen Lerntheorien wird häufig die Vernachlässigung sozialer Komponenten kritisiert (vgl. Königs 2005: 447; Schmelter 2004: 60f.). Hier setzen soziale, interaktionistische (vgl. Reich/ Roth 2000: 65) oder kommunikative Formen des Konstruktivismus (vgl. z. B. Knoblauch 2013) an, welche die soziale Einbindung von Wissen und Verstehen betonen. Insbesondere im kommunikativen Konstruktivismus wird die Rolle der Sprache bei der Wissenskonstruktion und -bildung hervorgehoben (vgl. ebd.), wodurch er für das sprachliche und kulturelle Lernen im Fremdsprachenunterricht relevante Anknüpfungspunkte bietet. Wie auch der interaktionistische Konstruktivismus, als dessen Weiterentwicklung er sich versteht, stellt er Interaktion und die Aushandlung von Bedeutung und Identität bei Lern- und Verstehensprozessen in den Vordergrund (vgl. Knoblauch 2013: 26; Keller et al. 2013: 13). Eine kognitivistische Sichtweise, aus der Portfolioarbeit ebenfalls betrachtet werden kann, fokussiert kognitive Strukturen und mentale Prozesse bei der Informationsverarbeitung zum Aufbau und zur Veränderung von Wissensstrukturen (vgl. Imhof 2010: 57; Schulz 2013: 10). Die Betonung der kognitiven Ebene bedeutet <?page no="44"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 44 [eine Orientierung am] Lerner, [an] seiner Erfassung der Fremdsprache, seinen Methoden sowie an seinen Bedürfnissen gegenüber dem Lerngegenstand. Diese in den 1990er Jahren zunehmende Tendenz, die Aufmerksamkeit auf die Bewusstseinsebene zu lenken, hat der Fremdsprachenforschung und -didaktik wichtige Impulse gegeben und nachhaltig das Lerner-, aber auch das Lehrerbild und damit den Unterricht geprägt. So fußt das Konzept der Lernerautonomie auf der Fähigkeit selbst-bewusst das eigene Lernen zu steuern, so wie es vom Lehrer weniger Führung und mehr Beraten abverlangt (Hoffmann 2012b: 46). Aus interaktionistisch-soziokultureller Perspektive, die eine dritte Sichtweise auf Portfolioarbeit bietet, basieren Lern- und Entwicklungsprozesse auf dem Austausch mit der Umwelt (vgl. Spreen-Rauscher/ Möller 2009: 42), wobei diese Interaktion nicht nur eine rein sprachliche Inputquelle ist (vgl. Aguado 2010: 820). Vielmehr wird Lernen als sozialer Prozess verstanden, in dem soziale und kulturelle Kontexte zentral sind (vgl. Ohm 2007: 26). Daher steht aus dieser Sicht beim Lernen die Bedeutung von Kommunikation, Interaktion, Aushandlungsprozessen und situiertem Lernen im Vordergrund (vgl. Lantolf/ Thorne 2006: 254). Diese Sichtweise ist damit sowohl an kognitivistische (vgl. Klippel 2013: 55) als auch an konstruktivistische Ansätze (vgl. Reich 2008: 88) anschlussfähig. Sie greift vor allem an den Stellen, an denen Portfolioarbeit die Interaktion zwischen Portfolio ersteller/ innen und Lehrenden sowie Mitlernenden verlangt und initiiert. Zu nennen ist auch das Konzept der zone of proximal development (ZPD, vgl. Vygotskij 1932-34/ 2003: 80-83), die „[d]as Gebiet der noch nicht ausgereiften, jedoch reifenden Prozesse“ (ebd.: 83) beschreibt. Damit handelt es sich bei der ZPD um die Diskrepanz zwischen dem aktuellen Lernstand und dem zu erreichenden, die durch gezielte Hilfestellungen und die Interaktion mit Mitlernenden überwunden werden kann (vgl. ebd. 83- 86). So soll auch die Arbeit mit Portfolios im Idealfall gestaltet sein. Diese drei lerntheoretischen Perspektiven erklären die Arbeitsweise bei der Portfolioarbeit: produzieren, sammeln, reflektieren, planen, kollaborieren, kommunizieren vor dem Hintergrund der Individualität der Lernenden. Je nach Perspektive rücken einzelne Aspekte in den Vordergrund. So sind beispielsweise Reflexion, Planung und Steuerung des Lernprozesses eher aus kognitivistischer Sicht, peer feedback und Portfoliogespräche eher aus interaktionistischer Perspektive zu erklären. Für die Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht sind darüber hinaus Verbindungen zu Spracherwerbshypothesen herstellbar, wobei verschiedene Hypothesen dazu dienen, einzelne Teilbereiche des Umgangs mit Sprache bei der Portfolioarbeit zu erklären. Auch wenn Spracherwerbshypothesen - <?page no="45"?> 2.2 Annäherung an den Portfoliobegriff 45 nicht als unumstößliche Wahrheiten zu verstehen sind und durchaus kritisch diskutiert werden, bilden sie doch hilfreiche Orientierungspunkte beim Verstehen des Sprachenlernens (vgl. Hufeisen/ Riemer 2010: 741). Die Betonung der Reflexion in Portfolios und die große Bedeutung, die damit der Bewusstmachung beigemessen wird, lässt an Schmidts noticing- Hypothese denken, die besagt „that input does not become intake for language learning unless it is noticed, that is, consciously registered“ (Schmidt 2010: 722). Aufgrund heftiger Diskussionen der noticing-Hypothese nahm Schmidt in späteren Publikationen eine Unterscheidung zwischen Wahrnehmung (noticing) und Verstehen (understanding) vor, deren Rolle in besonderem Maße kritisiert wurde, und erklärte, dass Wahrnehmung zum Sprachenlernen zwingend notwendig ist, Verstehen hingegen nicht (vgl. ebd.). Diese Unterscheidung bleibt jedoch nach wie vor unscharf. Kritisch zu betrachten ist die noticing-Hypothese auch deshalb, weil die Bedeutung der Wahrnehmung beim Spracherwerb längst nicht abschließend geklärt ist (vgl. Aguado 2010: 818) und die Bewusstmachung keine unmittelbaren Folgen auf der Handlungsebene hat. Aus diesem Grund geht Bewusstmachung nicht automatisch mit einem Lernzuwachs einher (vgl. Hoffmann 2012b: 49). Darüber hinaus ist die Vernachlässigung der affektiven 8 und motivationalen Dimensionen problematisch, die kognitivistische Ansätze häufig kennzeichnet (vgl. ebd.). Dennoch ist festzuhalten, dass die hohen Reflexionsanteile in Portfolios auf die Annahme zurückgehen, dass die Bewusstmachung den Lernprozess günstig beeinflusst. Darüber hinaus liefert aus interaktionistisch-kognitivistischer Sicht die Outputhypothese einige Anhaltspunkte, auch wenn sie sich auf die mündliche Sprachproduktion bezieht. Nach dieser Hypothese ist u.a. davon auszugehen, dass durch die Auseinandersetzung mit der produzierten Sprache eine metalinguistische Reflexion initiiert wird (vgl. Swain 2000: 133), was in diesem allgemeinen Verständnis auch auf die schriftliche Sprachproduktion übertragen werden kann. Insgesamt ist die Hypothese folgendermaßen zu verstehen: 8 Affekt verstehe ich in Anlehnung an Arnold/ Brown (1999: 1) und Häcker/ Stapf (1998: Stichwort: Affekt) im breiten Sinne als emotionale Regung und damit als Überbegriff für Gefühle, Stimmungen und Motivationen (vgl. dazu auch Geisler/ Hermann-Brennecke 1997: 79), wobei es auch andere Ansätze gibt, beispielsweise bei Hoffmann (2012a: 123), die dafür plädiert, eher Emotion als Überbegriff zu wählen und ihm die anderen Begriffe wie Affekt, Stimmung und Gefühl unterzuordnen. <?page no="46"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 46 Die Outputhypothese […] betont, dass Fremdsprachenaneignung von einem reflektierten Umgang der Lernenden mit eigenen fremdsprachlichen Produkten profitiere. Sie setzt sich folglich dafür ein, Lernenden die Möglichkeit zur Reflexion, Modifikation und Korrektur der eigenen fremdsprachlichen Äußerungen zu geben, um den Aneignungsvorgang zu effektivieren und zu optimieren (Königs 2010b: 323). Bei der Arbeit mit Schreibportfolios, die den Fokus dieser Arbeit darstellen, geschieht dieser in der Outputhypothese beschriebene Prozess, indem Texte produziert, im peer feedback besprochen, im Portfolio gemeinsam mit dem Lernprozess schriftlich reflektiert und anschließend überarbeitet werden. Die Outputhypothese wird in der Interaktionshypothese (Long 1996: 451-454) wieder aufgegriffen, in der die Bedeutung von Interaktion und Aushandlungsprozessen sowie von selbstreflexiven Elementen beim Fremdsprachenunterricht hervorgehoben wird (vgl. ebd.). Die Rolle der Interaktion, die schon in der Verbindung mit Vygotskijs ZPD erwähnt wurde, wird hier deutlich. Zu beachten sind die Aushandlungsprozesse (negotiation for meaning), die ebenso wie die Begleitung der Lernenden im Sinne der ZPD nur bei situiertem Lernen möglich sind, d. h. wenn Lernen in einem konkreten, individuellen Kontext stattfindet (vgl. Bräuer 2008b: 93f.). Die Art der Aufgaben, die Art der Kommunikation und die Gestaltung der Lernumgebung sind demnach bedeutsam für diese Art des Lernens. Hier knüpfen interaktionistische Ansätze an, die Sprachverwendung in Interaktionssituationen nicht nur als Mittel zur Kommunikation begreifen, sondern gleichzeitig ihren Beitrag zur Konstruktion von Wissen unterstreichen, wodurch sich beispielsweise die Bedeutung von peer feedback erklären lässt (vgl. Lantolf/ Thorne 2006: 254; Kap. 2.3.3). Lernende „[use] language to co-construct the language they need to express the meaning they want and to coconstruct [sic! ] knowledge about language“ (Swain/ Lapkin 1998: 33). Einen weiteren Bezug zur Portfolioarbeit, insbesondere in Hinblick auf die Individualität der Lernenden, bietet die Einzelgänger-Hypothese (Riemer 1997), die hervorhebt, dass zahlreiche nicht erfassbare, nicht kontrollierbare, interdependente Variablen das Fremdsprachenlernen bedingen, so dass jeder Lernprozess individuell verläuft (vgl. z. B. Riemer 2003: 8). Die Möglichkeit, bei der Portfolioarbeit nach eigenen Interessen und auf die bevorzugte Art und Weise zu lernen, trägt dieser Erkenntnis ebenso Rechnung wie die Individualisierung der Beurteilung und die Orientierung an einer individuellen Bezugsnorm. Vor allem für die Verortung des ESP, durch das die individuelle Mehrsprachigkeit der Lernenden hervorgehoben wird und gewonnene Erfahrun- <?page no="47"?> 2.3 Zur Umsetzung von Portfolioarbeit 47 gen für das weitere Lernen nutzbar gemacht werden sollen, ist das Faktorenmodell von Hufeisen (vgl. z. B. 2000a) aufschlussreich, das das Lernen einer zweiten (L3) oder weiteren Fremdsprache (Lx) in unterrichtlichen Situationen beschreibt. Nach dem Modell wird das Lernen dieser Fremdsprache nicht nur von den Faktoren beeinflusst, die auch auf das Lernen der ersten Fremdsprache (L2) wirken (neurophysiologische, lernexterne, emotionale und kognitive Faktoren), sondern als fremdsprachenspezifische Faktoren auch die individuellen Fremdsprachenlernerfahrungen und Fremdsprachenlernstrategien sowie die linguistische Faktoren der L1, L2 und L3 (vgl. ebd.). Sprachenportfolios sehen die Reflexion vieler dieser Faktoren vor, was im ESP über Arbeitsblätter gesteuert wird. Aus diesen lerntheoretischen Sichtweisen und Spracherwerbshypothesen lassen sich drei theoretische Annahmen ableiten, die der Portfolioarbeit, wie sie in Kapitel 2.1 und 2.2 beschrieben wurde, zugrunde liegen: 1. Bewusstmachung, Verstehen und planvolles Vorgehen beeinflussen das Fremdsprachenlernen positiv oder sind gar eine Voraussetzung. 2. Fremdsprachenlernen ist ein hochgradig individueller Prozess, bei dem der Individualität der Lernenden, die auch individuelle vorausgegangene Sprachlernerfahrungen einschließen, im Lernprozess und bei der Leistungsfeststellung Rechnung getragen werden sollte. 3. Zum Sprachenlernen sind die Interaktion und Bedeutungsaushandlung mit Lehrenden und Mitlernenden notwendig. Diese Annahmen spiegeln sich auch in der konkreten Umsetzung von Portfolioarbeit wider, wie ich im folgenden Abschnitt zeige. 2.3 Zur Umsetzung von Portfolioarbeit Betrachtet man die Definitionen, Klassifizierungen und Beschreibungen von Portfolioarbeit sowie ihre lern- und spracherwerbstheoretische Verankerung, wird deutlich, dass die Umsetzung im Unterricht mehr ist als die Arbeit mit einer Sammelmappe oder mit Selbsteinschätzungsbögen. Vielmehr entsteht ein Bild von einem komplexen Konzept, das verschiedene Aktivitäten und Interaktionsformate beinhaltet. In diesem Kapitel diskutiere ich Grundgedanken von portfoliogestütztem Unterricht (Kap. 2.3.1), die Rolle der Lehrenden und der Lernenden bei der Portfolioarbeit (Kap. 2.3.2) sowie die Besonderheiten der Kommunikation und Interaktion zwischen Lernenden und Mitlernenden bzw. Lehrenden im Kontext der Portfolioarbeit (Kap. 2.3.3). <?page no="48"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 48 2.3.1 Leitgedanken von portfoliogestütztem Unterricht Die Rolle, die Portfolios im Unterricht einnehmen, kann sehr unterschiedlich sein, was unter anderem auf ein unterschiedliches Verständnis dessen zurückzuführen ist, was ein Portfolio ausmacht. Die Bandbreite reicht von der Beschreibung als Methode (vgl. Häcker 2007: 282; Winter 2010: 195) über die einer Lernstrategie (vgl. Schwarz 2002: 99) oder eines Instruments bzw. Lehr-Lern-Instruments (vgl. Fink 2010: 115; Stöckermann-Borst 2008: 137) bis hin zu einer Lernumgebung (vgl. Häcker 2008b: 235). Am passendsten erscheint das Verständnis eines Portfolios als Lehr- Lern-Instrument und damit als Instrument, das eine bestimmte Form des Lernens und des Lehrens unterstützt, begünstigt und in den Unterricht transportiert. Dabei kann es sich im Sinne der oben angeführten Ausrichtungen um unterschiedliche Formen des Lernens und Lehrens handeln. Portfolioarbeit stellt damit ein „Bündel von Annahmen, Arbeitstechniken und didaktischen Entscheidungen [dar], die aus einem veränderten Verständnis von Lernen und Unterricht heraus entstanden sind“ (Ballweg/ Bräuer 2011: 4). Damit beinhaltet Portfolioarbeit nicht nur die Bearbeitung der Portfoliomaterialien, sondern das gesamte unterrichtliche Geschehen, das damit verknüpft ist, also auch die Gespräche, die in Kleingruppen oder im Plenum über die Eintragungen in die Portfolios entstehen (Kolb 2007: 117). Einen Zugang zum Verständnis von portfoliogestütztem Unterricht liefert ein Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Überlegungen, die mit dem Portfoliogedanken verbunden sind: Die Einführung von Portfolioarbeit wird mit dem Übergang von der Informationszur Wissensgesellschaft assoziiert, in der es bedeutsam ist, Informationen nicht nur zu beschaffen, sondern sie zu organisieren und damit Lernprozesse zu reflektieren (vgl. Ballweg/ Bräuer 2011: 5; Breuer, A. 2009: 30). Daraus geht hervor, dass Portfolioarbeit „auf den Prinzipien der Kommunikation, Partizipation und Transparenz beruht“ (Breuer, A. 2009: 208). Sowohl in Praxisberichten als auch in theoretischen Diskussionen finden sich häufig enthusiastische Plädoyers für Portfolioarbeit und für die damit verbundenen didaktischen Neuerungen, so beispielsweise bei Hamp-Lyons und Condon (2000: xv): Why portfolios now? Because portfolios answer today’s need for a measurement system that can have a generative, rather than a reductive effect on education, because portfolios help teachers help learners assume more responsibility for their own learning, and because portfolios provide a rich source of information to teachers. <?page no="49"?> 2.3 Zur Umsetzung von Portfolioarbeit 49 Liest man die hierin enthaltenen Schlagworte oder die oben angeführte Beschreibung, erscheint das auf portfoliogestützten Unterricht zuzutreffen, was Conacher und Kelly-Holmes (2007: 28) über ein new learning environment schreiben: 9 [I]t constitutes a state of mind, a new way of approaching the teaching and learning environment that is characterized by concepts of diversity, flexibility, access and equality. Thus, a ‚traditional‘ method or environment can become ‚new‘ if it is approached with a new understanding underpinned by these and related concepts. Darüber hinaus sind die Anleitung zum selbstgesteuerten Lernen und das Einräumen von Zeitfenstern für Reflexion und Selbstevaluation kennzeichnend (vgl. Häcker 2004: 146; Thürmann 2006: 443; Kap. 3.2). Ein weiteres Merkmal von portfoliogestütztem Unterricht ist die Konzentration auf Kompetenzen statt auf Defizite (vgl. Häcker 2008a: 16). Im Kontext der Portfoliodiskussion scheint der Kompetenzbegriff für zweierlei Dinge verwendet zu werden. Einerseits wird unter Kompetenz in Anlehnung an Weinert (2001: 27f.) und Klieme et al. (2003: 72) eine Verbindung kognitiver Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, Probleme zu lösen, was mit einer motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaft und Fähigkeit verbunden ist. Es handelt sich demnach um ein Zusammenspiel von Wissen, Können und Handeln in konkreten Handlungssituationen, das nicht kurzfristig trainierbar ist und das damit mehr darstellt als eine Fertigkeit allein (vgl. Erpenbeck/ Heyse 1999: 23; Königs 2012b: 34-38). Eine Kompetenzorientierung beinhaltet daher neben der Erarbeitung von Wissen außerdem die Förderung von Strategien und metakognitiven Fertigkeiten (vgl. Keller 2010: 68), wodurch methodische Komponenten gegenüber inhaltlichen aufgewertet werden (vgl. Keller 2013: 27). Andererseits ist mit Kompetenzorientierung häufig auch schlichtweg die Konzentration auf die Stärken der Lernenden gemeint (vgl. Häcker 2008b: 228). Dabei handelt es sich ebenfalls um ein Merkmal von Portfolioarbeit, durch das sie häufig als stärkend für das Selbstvertrauen der Lernenden empfunden wird (vgl. ebd. 229). Allerdings ist diese Sichtweise auch kritisch zu betrachten, da Stärken in einem Bereich nicht Schwächen in einem anderen Bereich kompensieren können und eine reine Fokussierung auf die Stärken selten zur Bearbeitung der Schwächen führt (vgl. ebd.). Trotzdem kann das Hervorheben der Stärken motivierend sein. Skizziert wird insgesamt eine Lernkultur, in der Problemlöseprozesse, Kreativität, ein konstruktiver Umgang mit Fehlern, Partizipation, Verant- 9 Vgl. dazu auch Rösler (2013: 152). <?page no="50"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 50 wortung, Ganzheitlichkeit, Emotionalität und Individualität zentral sind (vgl. Breuer, A. 2009: 26-44). Außerdem liegt ein erweiterter Lernbegriff zugrunde, der von situiertem, selbstreguliertem Lernen ausgeht und durch den ein Unterricht entsteht, der fächerübergreifend und projektorientiert ist (vgl. ebd. 44-47). Beurteilung und Unterricht werden mit dem Ziel der individuellen Lernförderung verbunden (vgl. Klenowski 2002: 2; Häcker 2008d: 32). Das impliziert die Aufwertung des Lernprozesses gegenüber den Lernprodukten (vgl. Häcker 2008a: 16). Diese Besonderheiten fasst Häcker (2007: 108f.) in vier didaktischen Prinzipien zusammen, die portfoliogestützten Unterricht auszeichnen: Prinzip der individuellen Förderung durch kontinuierliche Rückmeldung (vgl. Kap. 2.3.3, Kap. 4.2.3), Prinzip der Aufgabenorientierung, Prinzip der (Selbst-)Reflexivität im Lernen (vgl. Kap. 3.2), Prinzipien der Transparenz der Leistungserwartungen, der Kommunikation über Leistung und der partizipativen Leistungsbeurteilung (vgl. Kap. 3.3). Portfolioarbeit und die damit verbundenen Prinzipien können im Unterricht unterschiedlich viel Raum einnehmen. Inglin (2008: 85) unterscheidet vier verschiedene Modelle: Im Parallelmodell wird ein Portfolio unter Anleitung der Lehrenden, aber unabhängig von den Themen des Regelunterrichts erstellt (vgl. ebd.). 10 Im Zentripetalmodell werden Portfolios punktuell in den Unterricht integriert, beispielsweise in Portfolio-Lektionen oder in Sitzungen, in denen eine Zwischenbilanz gezogen wird (vgl. ebd.). Darüber hinaus wird noch das Zentrifugalmodell genannt, bei dem die Arbeitsmethoden und Unterrichtsinhalte auf ein eigenes Thema übertragen werden, das im Portfolio bearbeitet und dargestellt wird. Zuletzt folgt das Einheitsmodell, nach dem der Unterricht vollständig auf die Erstellung und Auswertung der Portfolios ausgerichtet ist (vgl. ebd.). Die meisten der oben als neue oder veränderte Lernkultur beschriebenen Arbeitsweisen beziehen sich auf dieses Einheitsmodell. 11 Allerdings sind neben diesen Formen auch Mischformen der o. g. Modelle möglich. Angesichts der Vorstellung von einer neuen Lernkultur und den begeisterten Darstellungen von Portfoliodidaktiker/ innen, die völlig zu Recht auf 10 Dazu sind beispielsweise Leseportfolios zu zählen, die häufig zu einer ausgewählten Lektüre als Hausaufgabe erstellt werden. 11 Wiedenhorn (2006: 21) fasst Zentripetal- und Zentrifugalmodelle zu einem Integrationsmodell zusammen und kommt damit zu einer Dreiteilung von Parallelmodell, Integrationsmodell und Zentralmodell. <?page no="51"?> 2.3 Zur Umsetzung von Portfolioarbeit 51 die Chance verweisen, die diese Umstellung bietet, werden mögliche Schwierigkeiten in der Portfoliodiskussion nicht ausreichend bedacht. Zunächst gelten die in Kapitel 2.2.2.2 für das ESP skizzierten Schwierigkeiten bei der Einführung und bei der Anpassung der Lernkultur auch für alle anderen Portfolioformen (vgl. Bräuer 2002: 29; Fink 2010: 38f.). Ferner entsteht häufig ein Spannungsverhältnis zwischen einem etablierten Umgang mit Lernen und Lernprodukten und den oben beschriebenen substanziellen didaktischen Veränderungen, in dem sich Lernende sowie Lehrende zunächst zurechtfinden müssen (vgl. Klenowski 2002: 8). Das Spannungsverhältnis besteht allerdings nicht nur zwischen alter und neuer Lernkultur, sondern in diesem Zuge ebenso zwischen einem lernendenorientierten, individualisierten Unterricht und curricularen sowie bildungspolitischen Vorgaben (vgl. Königs 2010c: 109). 12 Das Potenzial für diese Spannungen ist dann besonders groß, wenn das Lernergebnis wenig oder nur teilweise zufriedenstellend ist (vgl. ebd. 110f.). Hieran wird ein weiteres Spannungsverhältnis erkennbar, nämlich das zwischen einem engen, messbaren, abprüfbaren Verständnis von Lernerfolg und einem weiteren Verständnis, das beispielsweise auch lernstrategische Kompetenzen beinhaltet. Portfolioarbeit, die mit Veränderungen in der Lern- und Leistungskultur verbunden ist, kann diese Widersprüche und Spannungsverhältnisse nicht auflösen, sondern macht sie lediglich besser sichtbar (vgl. Häcker 2012: 230). Die Ausprägung dieser Spannungsverhältnisse hängt u. a. von institutionellen und curricularen Rahmenbedingungen ab. So lässt beispielsweise die Einführung von Portfolioarbeit an einer notenfreien, reformpädagogischen Grundschule (vgl. Grittner 2009) weniger Spannungen erwarten als in der Oberstufe eines Regelgymnasiums, das auf ein Zentralabitur vorbereitet. Der Umgang der Lehrenden mit diesen Spannungsverhältnissen kann ebenfalls sehr unterschiedlich sein. Es gibt Lehrende, die Portfolioarbeit sehr konsequent und weitreichend einführen, während andere den Teil übernehmen, die damit verbundenen unterrichtlichen Implikationen aber nicht kennen und entsprechend nicht umsetzen (vgl. Königs 2003: 117). Darüber hinaus verläuft die Einführung auch deshalb unterschiedlich, weil es Lehrende gibt, für die die Einführung von Portfolioarbeit keine wirkliche Neuerung darstellt, da sie zuvor zwar nicht mit einem Portfolio gearbeitet haben, aber viele Elemente eines lernendenorientierten, autonomiefördernden, individualisierten Unterreicht bereits umsetzen. Führt man diesen Gedanken weiter, so kann man behaupten, dass es Lehrende gibt, in deren Unterricht die genann- 12 Für eine ausführliche Diskussion dieser Spannungsverhältnisse vgl. Bräuer (2002). <?page no="52"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 52 ten Prinzipien auch ohne Portfolioeinsatz umgesetzt werden, während andere zwar ein Portfolio nutzen, die skizzierte Lernkultur aber nur zu einem geringen Grad etablieren. Die Dichotomisierung zwischen Alt und Neu, die sich in vielen Darstellungen findet, birgt die Gefahr des eingangs erwähnten Schwarz-Weiß- Denkens und einer vereinfachten Sichtweise auf Portfolios, die den alten, vielleicht schlechten Unterricht durch etwas Neues, Gutes ersetzen. Portfoliogestützter Unterricht ist nicht per se gut, und die oben genannten Möglichkeiten sind selten uneingeschränkt umsetzbar. Darüber hinaus bringt die Portfolioarbeit zahlreiche Herausforderungen für Lehrende und Lernende mit sich. Viele der Ausführungen bleiben vage und vereinfachend. Zusammenfassend lässt sich daher etwas weniger euphorisch festhalten: Portfolioarbeit ist kein pädagogisches Allheilmittel, auch wenn der Boom dieser Methode in allerlei Variationen den Anschein erwecken könnte. Für Lernerinnen und Lerner ist sie im positiven Sinne fordernd, aber in der Schulrealität auch belastend, daher sollte sie gut vorbereitet und begleitet werden (Donath 2006: 65). 2.3.2 Die Rolle der Lernenden und der Lehrenden Bereits in den vorausgegangenen Beschreibungen wurden einige Anforderungen genannt, die bei der Portfolioarbeit an Lehrende und an Lernende gestellt werden. Lernende können und müssen im portfoliogestützten Unterricht mehr Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen, reflektieren, kommunizieren und kollaborieren, was je nach individuellen „mentalen Ressourcen“ (Königs 2010c: 108), persönlichen Präferenzen und Vorerfahrungen unterschiedlich positiv wahrgenommen und unterschiedlich gut bewältigt wird. Besonders die Reflexion wird von Lernenden als mühsam und zuweilen auch als unangenehm empfunden (vgl. Bräuer 2002: 31). Dennoch wird bei diesen Aktivitäten von einem Nutzen für die Lernenden ausgegangen, da sie dazu führen, dass im Portfolio Lernprozesse sichtbar und dadurch steuerbar werden (vgl. Kohonen 2000a: 1). Gleichzeitig entsteht für Lehrende „a window into the students’ heads“ (Paulson et al. 1991: 61). Dieser Einblick in Lernprozesse wird bei der Portfolioarbeit nicht nur zur Diagnostik genutzt, sondern dient auch als Basis für die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden (vgl. ebd.; Bräuer 2000a: 149), wie wiederum idealerweise von allen Akteur/ innen gemeinsam gesteuert wird, was zu einem veränderten Hierarchieverhältnis führt (vgl. Breuer, A. 2009: 35), „with a consequent tilting of the power balance from the teacher and the institutional setting towards the learner“ (vgl. Kiernan 2002: 61). <?page no="53"?> 2.3 Zur Umsetzung von Portfolioarbeit 53 Lehrende benötigen daher eine ausgeprägte diagnostische Kompetenz, um Stärken und Schwächen aufzeigen zu können und die Lernenden zur Weiterarbeit anzuleiten. Darüber hinaus müssen sie bei der Portfolioarbeit und beim Lernen insgesamt begleiten sowie eine Kultur der konstruktiven Kritik im Klassenraum aufbauen (vgl. Klenowski 2002: 35). Ferner stehen die Lehrenden beim portfoliogestützten Unterricht vor der Aufgabe, zur Reflexion anzuleiten, komplexe Lernumgebungen zu schaffen und den Lernenden im Zuge der Rückmeldungen auf Augenhöhe zu begegnen. Daraus werden die Komplexität ihrer Rolle bei der Portfolioarbeit und das Potenzial für Rollenkonflikte erkennbar. Diese Tendenz des Rollenwechsels von Lehrenden als Wissensvermittler/ innen hin zu Lernbegleiter/ innen und -berater/ innen wird häufig diskutiert und ist auch mit dem Aufkommen konstruktivistischer Lerntheorien verbunden (vgl. Kap. 2.2.3, vgl. Königs 2004: 522). Fälschlicherweise wird häufig angenommen, dass Lehrende früher Wissensvermittler/ innen waren und jetzt Lernbegleiter/ innen sind. Vielmehr erfüllen sie zahlreiche Rollen parallel (vgl. dazu eine Studie von Farrell 2011) und müssen ständig zwischen ihnen wechseln. Vielfalt und Flexibilität sind zentrale Merkmale ihrer Tätigkeit. Witte und Harden (2010: 1327) stellen fest: Aufgrund der hohen Individualität von Konstruktionsprozessen kann die Lehrkraft im Klassenzimmer nicht mehr nur von einem richtigen Weg der Wissensvermittlung ausgehen, sondern sie muss ein Spektrum verschiedener Lernmöglichkeiten und Lernwege anbieten, aus dem die Lernenden individuell auswählen und kombinieren können. Der Lehr-Lernprozess muss daher inhaltlich wie auch methodisch-didaktisch flexibel und vielseitig gestaltet werden. Lehrende treten nicht nur als gleichberechtigte Partner/ innen im Lernprozess auf, sondern gestalten auch Rahmenbedingungen und schaffen Lernangebote, denn Vorgaben und Anleitung sind notwendig, damit Lernende eine neue Arbeitsform wie die Portfolioarbeit bewältigen können (vgl. Gehring 2006: 36; Thürmann 2006: 432). Die Lehrenden tragen daher die Verantwortung für die Gestaltung der Lernumgebung, die Lernenden für ihr Lernen (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 18). Die Doppelrolle der Lehrenden von fördernder und beurteilender Person, die Ruf und Gallin (2005: 1f.) bildhaft als die von Arzt und Richter beschreiben, führt zu Widersprüchlichkeiten und Konflikten (vgl. dazu Morrison/ Navarro 2012: 355). Eine Aufgabe der Lehrenden ist es daher, ihre eigene Rolle zu reflektieren, sich bewusst zu werden, welche Rolle sie jeweils einnehmen und welche die Situation erfordert (vgl. Farrell. 2011: 60) sowie transparente Übergänge beim Rollenwechsel zu schaffen. <?page no="54"?> 2 Grundgedanken der Portfolioarbeit 54 2.3.3 Kommunikation und Interaktion Die Kommunikation und die Interaktion wurden in den vergangenen Kapiteln schon mehrfach angesprochen, denn sie sind entscheidende Merkmale der Portfolioarbeit. Lernen aus interaktionistisch-konstruktivistischer Sicht geht mit Interaktion im Sinne der ZPD und mit Lernberatung einher (vgl. Siebert 2003: 23), womit das weit verbreitete Missverständnis ausgeräumt werden kann, dass selbstgesteuertes Lernen alleine und autodidaktisch geschieht (vgl. ebd.; Little 2005: 306). Vor allem Reflexion setzt einen Dialog voraus, um eine neue Perspektive einnehmen zu können (vgl. Häcker 2004: 153; Yancey 1996: 85). Daher sind Portfoliogespräche und peer feedback- Elemente ein fester Bestandteil der Portfolioarbeit (vgl. Inglin 2007: 80). Mit Portfolioarbeit wird das Ziel verfolgt, den Dialog der Lernenden mit sich selbst (z. B. im Lerntagebuch) und mit anderen zu initiieren (vgl. Fink 2010: 37; Little 2005: 312). Unter Portfoliogesprächen können Gespräche in verschiedenen Konstellationen verstanden werden, z. B. Mitschüler/ innenberatungen, Schüler/ innen-Lehrer/ innen- und Schüler/ innen-Expert/ innen-Dialoge, Gespräche mit Außenstehenden sowie mit anderen Lehrenden (vgl. Breuer, A. 2009: 230-233), obwohl in der Regel der Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden gemeint ist. In den Gesprächen werden nicht nur Lerninhalte, sondern auch das Lernen selbst und die Lernangebote besprochen, so dass die Gespräche gleichzeitig der Rückmeldung für die Lehrenden dienen (vgl. Häcker 2008b: 237). Zu unterscheiden sind Gespräche im Lernprozess und nach Ende des Portfolioprozesses (vgl. Pfeifer 2008: 146). Handelt es sich um ein Gespräch zwischen Lernenden und Lehrenden, hat es meist den Charakter eines Entwicklungsgesprächs, bei dem das Portfolio als Gesprächsgrundlage dient (vgl. Holford et al. 2001: 671). Die Art der Rückmeldung ist als interessierter Austausch zu verstehen, in denen Lehrende den Lernenden teilweise als Gesprächspartner/ innen auf Augenhöhe begegnen, gleichzeitig aber durch Kommentare, Vorschläge und Rückmeldungen Scaffolding 13 betreiben (vgl. Brunner 2008c: 252). Die Rückmeldungen von Lehrenden und Mitlernenden sind in einem konstruktivistischen Verständnis nicht als Vorgabe, sondern lediglich als Angebot an die Lernenden zu verstehen, die 13 Bei Scaffolding handelt es sich um ein Lehr-Lernverfahren, bei dem Lernende gezielte Unterstützung durch engmaschige Hilfestellungen erhalten, die schrittweise wieder reduziert werden (vgl. Becker-Mrotzek 2007: 31). Während das Konzept mit Vygotskijs (2003: 80-83) ZPD in Verbindung steht, geht der Begriff zurück auf Wood et al. (1976: 90). <?page no="55"?> 2.3 Zur Umsetzung von Portfolioarbeit 55 dadurch ihr eigenes Handeln aus einer neuen Perspektive betrachten können (vgl. Schulz 2013: 10). Empirische Studien und Erfahrungsberichte zeigen, dass Lernende ein großes Bedürfnis nach Rückmeldungen haben und dabei besonders an denen der Lehrenden interessiert sind (vgl. Bellingrodt 2011b: 253; Pfeifer 2008: 147; Kap. 4.4.3). Bei offenen Angeboten ist dennoch beobachten, dass eine sichtliche Hemmschwelle besteht und Gespräche nur zögerlich eingefordert werden (vgl. Pfeifer 2008: 147). Insbesondere in ePortfolios wird die Kommunikation durch die erleichterten Zugriffsmöglichkeiten begünstigt. Lehrende und Mitlernende haben jederzeit die Möglichkeit, auf freigegebene Teile des ePortfolio zuzugreifen und in den Dialog zu treten. Es zeigt sich, dass Lernende meist offen für diese Rückmeldungen sind und unzufrieden und enttäuscht reagieren, wenn der Austausch ausbleibt und Mitlernende sich nicht im gleichen Maße einbringen wie man selbst, wie die Ergebnisse einer Studie zu ePortfolios im Lehramtsstudium zeigen (vgl. Ballweg 2012a). Bei intensiver Zusammenarbeit können die Lernenden eine Community of Practice bilden, in der eine Gruppe von Menschen ein gemeinsames Handlungsfeld hat und ein echtes Bedürfnis besteht, Informationen auszutauschen, um sich weiterzuentwickeln (vgl. Wenger 2008). Dies ist allerdings nicht immer und nicht automatisch gegeben (zu den Besonderheiten des peer feedback im Schreibprozess vgl. Kap. 4.4.3.2). Auch die Präsentation der Portfolios zum Abschluss einer Lerneinheit stellt eine Interaktionsform dar. Durch sie wird die Arbeit der Lernenden gewürdigt und die Dokumentation legitimiert, denn sowohl Mitlernende als auch Lehrende sind nur bedingt Adressat/ innen der Dokumentation, da sie meist Teil des Prozesses waren und mit ihm vertraut sind. Durch die Präsentation für Außenstehende werden echte Adressat/ innen für die Textsorte Portfolio geschaffen. Darüber hinaus dient die Präsentation dazu, einen Übergang zwischen der Erarbeitungsphase, die sich durch das kollaborative Arbeiten von Lernenden und Lehrenden auszeichnet, und der Beurteilung zu schaffen, in der die Lehrperson die Rolle wechselt (vgl. Porter/ Cleland 1995: 86f.). An der Kommunikation und Interaktion werden verschiedene Besonderheiten der Portfolioarbeit noch einmal sichtbar: Portfolioarbeit ist ein für Lehrende und Lernende höchst anspruchsvoller Prozess auf kognitiver, metakognitiver, affektiver und sozialer Ebene, bei dem nicht nur die aktuellen Lerninhalte im Fokus stehen, sondern Lernendenautonomie begünstigt und lebenslanges Lernen angelegt werden sollen. <?page no="57"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit In Kapitel 2 wurde dargestellt, wie Lernenden durch Portfolioarbeit die Möglichkeit gegeben werden kann, ihr Sprachenlernen zu reflektieren und entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse Einfluss darauf zu nehmen. Der Grad der Selbststeuerung ist hierbei jedoch stark von der jeweiligen Ausgestaltung des Portfoliokonzepts anhängig. Als Entwicklungsinstrument dient das Portfolio dazu, die Lernenden zu begleiten und zu unterstützen, wobei die Entwicklung von Lernendenautonomie und die Verbesserung der Reflexionsfähigkeit zentrale Ziele sind. Als Instrument der Leistungsfeststellung soll das Portfolio ermöglichen, die in dieser Art des Unterrichts erworbenen komplexen und vielfältigen Fähigkeiten abzubilden und beurteilbar zu machen. Die Individualität der Lernenden sollte sich auch in der Leistungsfeststellung widerspiegeln. Zu diesen Funktionen der Portfolioarbeit liegen sowohl konzeptionelle Überlegungen als auch empirische Ergebnisse vor, die ich im Folgenden vorstelle (Kap. 3.2 und 3.3). Es folgt der Stand der Forschung zur Implementierung von Portfolioarbeit und zu deren Akzeptanz (Kap. 3.4) sowie zur Schreib- und Sprachförderung durch den Einsatz von Portfolios (Kap. 3.5). Zur Einordnung gebe ich zunächst einen Überblick über die Erforschung von Portfolioarbeit (Kap. 3.1). 3.1 Überblick über die Erforschung von Portfolioarbeit Portfolios werden erst seit den 1990er Jahren verstärkt im Unterricht eingesetzt (vgl. Kap. 2.1), wodurch auch ihre Erforschung eine sehr kurze Geschichte aufweist. Das gilt insbesondere für Forschung zur Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht. Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über das Forschungsfeld zu geben (vgl. Kap. 3.1.1) und die in diesem Bereich verwendeten forschungsmethodischen Ansätze zu skizzieren (vgl. Kap. 3.1.2). Dadurch soll das Forschungsfeld mit möglichen Themen und Fragestellungen sowie mit den entsprechenden methodischen Ausrichtungen greifbar werden. Dazu verweise ich jeweils exemplarisch auf einige Studien. 3.1.1 Überblick über das Forschungsfeld Bereits in Kapitel 2 wurden zwei Besonderheiten von Portfolioarbeit sichtbar: Erstens wurde sie aus einem unterrichtspraktischen Zusammenhang <?page no="58"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 58 heraus entwickelt, um einem didaktischen Bedarf sowohl bei der Unterstützung der Lernenden als auch bei der Leistungsfeststellung gerecht zu werden. 14 Zweitens ist das Portfolio als Instrument zu verstehen, das verschiedene Maßnahmen und Aktivitäten im Unterricht bündelt, unterstützt und sichtbar macht, wobei bei der konzeptionellen Ausgestaltung ein großer Spielraum besteht. Diese beiden Umstände prägen die empirische Forschung: Der großen Verbreitung der Portfolioarbeit im Unterrichtsalltag und zahlreichen theoretisch fundierten und gut ausgearbeiteten unterrichtspraktischen Publikationen steht nur eine geringe Anzahl an empirischen Studien gegenüber. Diese beziehen sich wiederum auf zahlreiche verschiedene Funktionen, Eigenschaften oder Aspekte der Portfolioarbeit und stehen in einer engen Verbindung mit der unterrichtspraktischen Umsetzung. Beispiele für die unterrichtspraktischen Publikationen sind die 13 portfoliobasierten Unterrichtseinheiten aus verschiedenen Fächern und Schulformen, die im Band von Schwarz et al. (2008) vorgestellt werden, oder die Berücksichtigung der praktischen Umsetzung im Handbuch Portfolioarbeit (Brunner et al. 2008a), der ein eigener Teil mit zwölf Beiträgen gewidmet ist. Aus dem englischsprachigen Raum sind exemplarisch die Bände von Easley/ Mitchell (2004), Porter/ Cleland (1995), Sunstein/ Lovell (2000) und Zubizarreta (2009) zu nennen. Aus dem Fremdsprachenunterricht liegen vor allem Erfahrungsberichte mit dem Europäischen Sprachenportfolio vor (vgl. z.B. Crot et al. 2004; Forster Vosicki 2005), aber es finden sich ebenfalls Veröffentlichungen zu anderen Bereichen, beispielsweise zum Portfolioeinsatz in einem Kurs zum wissenschaftlichen Schreiben mit ausländischen Studierenden (vgl. Kursiša 2012). Viele dieser Beiträge betonen den Mehrwert von Portfolioarbeit (vgl. z.B. Benndorf-Helbig 2005), während andere darstellen, dass deren Einführung mit einem erheblichen Zeitaufwand, großer Mühe und Ablehnung seitens der Lernenden verbunden ist (vgl. z.B. Kursiša 2012; Stöckermann- Borst 2008). Solche Erfahrungsberichte sind gerade bei einem Instrument mit breit gefächerten Einsatzmöglichkeiten wertvoll, denn sie präsentieren im Sinne von best practice-Beispielen die verfügbaren Möglichkeiten, geben Anregungen für die praktische Umsetzung, zeigen mögliche Stolperfallen auf und liefern erste Evaluationen. Gleichzeitig bleiben bezüglich der beschriebenen Phänomene aber viele Fragen offen, beispielsweise zu Zusammenhängen oder 14 Eine Ausnahme bildet hierbei das ESP, dessen Konzeption stärker von wissenschaftlichen und politischen Sichtweisen beeinflusst wird und das insgesamt stärker standardisiert ist. <?page no="59"?> 3.1 Überblick über die Erforschung von Portfolioarbeit 59 Gründen, die auch die wenigen vorliegenden empirischen Studien nur teilweise beantworten können. In den letzten Jahren ist allerdings sowohl in der Sprachenlehr- und -lernforschung als auch in den Erziehungswissenschaften eine wachsende Zahl von Forschungsprojekten zur Portfolioarbeit zu verzeichnen. Die meisten der Studien konzentrieren sich auf die Rolle des Portfolios bei der Förderung der Reflexionsfähigkeit und der Lernendenautonomie. Darüber hinaus finden sich Untersuchungen zur portfoliobasierten Leistungsfeststellung. 15 In dieser Arbeit, die sich mit dem Einsatz von Portfolios im Fremdsprachenunterricht beschäftigt und dabei insbesondere Schreibportfolios in den Blick nimmt, werden neben Studien aus der Sprachenlehr- und -lernforschung, auf denen das Hauptaugenmerk liegt, auch erziehungswissenschaftliche Arbeiten berücksichtigt, sofern die gewonnenen Erkenntnisse auf den Fremdsprachenunterricht übertragbar sind. Eine hohe Übertragbarkeit ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein Aspekt behandelt wird, der bei der Portfolioarbeit unabhängig vom Fach gelten kann, wie z.B. die Förderung der Lernendenautonomie oder die Gestaltung von Portfoliogesprächen. Sowohl in den Erziehungswissenschaften als auch in der Sprachenlehr- und -lernforschung konzentriert sich die große Mehrheit der Studien auf den schulischen Kontext (vgl. z.B. Bellingrodt 2011b; Grittner 2009; Häcker 2007; Fink 2010; Kara 2007a; Tezci/ Dikici 2006). Ergebnisse aus dem universitären Unterricht liefern nur wenige Studien, beispielsweise Poppi und Radighieri (2009) in Italien oder Khodadady und Khodabakhzade (2012) im Iran. Weitere Studien zur Portfolioarbeit mit Studierenden sind meist von kleinem Umfang (vgl. z.B. Kiernan 2002; Martinez Lirola/ Rubio 2009). Aus dem Fremdsprachenunterricht in der Erwachsenenbildung liegen ebenfalls nur vereinzelt Ergebnisse vor (vgl. z.B. González 2009), so dass für diese Zielgruppen kaum gesicherte Erkenntnisse bestehen. 15 Eine der wenigen Studien, die sich mit dem Lernerfolg durch Portfolioarbeit beschäftigen, ist die von Gläser-Zikuda und Lindacher (2007), in der der Effekt auf die Behaltensleistungen erhoben wurde. Die Autorinnen führten eine Studie im Geschichtsunterricht in einer zehnten Klasse einer Realschule durch und stellten bei der Treatmentgruppe bei einem Endtest eine bessere Leistung als bei der Kontrollgruppe fest, bei einem Behaltenstest nach sechs Wochen sogar eine deutlich bessere Leistung. Aus der Studie können Hinweise auf bessere Behaltensleistungen und eine tiefere Verarbeitung von Lerninhalten durch Portfolioarbeit abgeleitet werden. Da die Behaltensleistungen im Bezug auf Schreibportfolios im Fremdsprachenunterricht nur von geringer Relevanz sind, wird dieser Aspekt im Folgenden nicht weiter berücksichtigt. <?page no="60"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 60 3.1.2 Methodische Ansätze Betrachtet man den eher geringen Umfang an empirischen Erkenntnissen zu Portfolioarbeit und die Komplexität des Instruments, so ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Studien eine explorativ-interpretative Ausrichtung haben. Dazu zählt beispielsweise eine Untersuchung, in der die Selbsteinschätzungen aus ca. 200 Portfolios von Schüler/ innen aus verschiedenen Klassen und Kontexten untersucht wurden (vgl. Kara 2007a) oder eine Studie, in der Unterrichtsbeobachtungen, Portfoliomaterialien und Gruppendiskussionen mit insgesamt 16 Kindern aus dritten Grundschulklassen mit einer Kombination aus sequentiellem und inhaltsanalytischem Zugang analysiert wurden (vgl. Kolb 2007). Außerdem sind zwei Studien aus den Erziehungswissenschaften zu nennen: Häcker (2007) und Fink (2010) beschäftigten sich jeweils in longitudinalen Studien mit der Einführung von Portfolios an verschiedenen Schultypen und wählten komplexe Designs, die Interviews mit Lehrenden, Schüler/ innen und Unterrichtsbeobachtungen beinhalten. In beiden Studien erfolgte die Interpretation der Daten u. a. mit der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2003). Darüber hinaus sind Studien mit anderen methodischen Ausrichtungen zu finden. Von Breuer, A. (2009) liegt eine Studie vor, in der sie den Fokus auf die theoretische Diskussion legte, bevor sie eine Implementierung sowie deren Evaluation durch eine Befragung von 71 Schüler/ innen darstellte. Auch Untersuchungsdesigns, die qualitative und quantitative Elemente kombinieren, kommen zum Einsatz. 16 So führte beispielsweise Grittner (2009) eine Befragung verschiedener an der Portfolioarbeit beteiligter Personengruppen durch, bei der sie bei den Lehrenden halb-strukturierte Leitfadeninterviews und bei den Schüler/ innen sowie ihren Eltern einen Fragebogen mit geschlossenen und offenen Fragen einsetzte. Bellingrodt (2011b) kombinierte leitfadengestützte Interviews mit den Lernenden und mit zwei Lehrerinnen mit einem geschlossenen Fragebogen, um zu einem breiten Verständnis der Auswirkungen von Portfolioarbeit auf die Autonomie der Lernenden zu gelangen. Unter den genannten Untersuchungen finden sich zahlreiche Längsschnittstudien (vgl. z.B. Bellingrodt 2011b; Häcker 2007; Fink 2010). Dieses Vorgehen scheint sich anzubieten, um Portfolioarbeit zu begleiten und den Umgang der Akteur/ innen damit zu erfassen. Es ist außerdem auffällig, dass bei einer Mehrzahl der Studien die Forscher/ innen konzeptionell oder 16 Vgl. hierzu z. B. Flächer (2011), Gülbahar/ Tinmaz (2006), Pierce McMahon/ Durán Escribano (2012). <?page no="61"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 61 durchführend am Portfolioeinsatz im Unterricht beteiligt waren. Eine konzeptionelle Beteiligung beinhaltet die Beratung bei der Erstellung des Portfoliokonzepts oder die eigene Konzepterstellung sowie die Begleitung bei der Umsetzung durch den Forscher/ die Forscherin (vgl. z.B. Grittner 2009; Häcker 2007; Fink 2010; Kolb 2007). Aktionsforschung, bei der der Lehrer/ die Lehrerin gleichzeitig als Forscher/ in auftritt, 17 liegt beispielsweise bei Flächer (2011), Kara (2007a), Khodadady/ Khodabakhshzade (2012), Kiernan (2002) und Kristmanson et al. (2011) vor. 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument: Konzeptionelle Überlegungen & Stand der Forschung Zunächst betrachte ich in diesem Abschnitt das Portfolio als Entwicklungsinstrument, nicht nur, weil es der zeitlichen Abfolge entspricht, Portfolios zuerst als Entwicklungsinstrument und anschließend als Instrument der Leistungsfeststellung einzusetzen, sondern auch, weil dieser Funktion in der Literatur mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Als Entwicklungsinstrument begleitet das Portfolio Lernende bei der Entfaltung ihrer Fertigkeiten und mittelfristig bei der Entwicklung von Lernendenautonomie (vgl. Kap. 3.2.1). In dieser Funktion sind sie auf die Bewusstmachung und das Verstehen des eigenen Lernens und darauf aufbauend auf dessen Steuerung ausgerichtet (Kap. 3.2.2). Diese Fähigkeiten sind Teil des metakognitiven Bereichs des Lernens (Griffith/ Ruan 2005: 16). Metakognition verstehe ich in diesem Zusammenhang als Sammelbegriff für eine Reihe von Phänomenen, Aktivitäten und Erfahrungen […], die mit dem Wissen und der Kontrolle über eigene kognitive Funktionen (z.B. Wahrnehmung, Lernen, Gedächtnis, Verstehen, Denken) zu tun haben (Hasselhorn/ Labuhn 2008: 28, Hervorh. i. O.). Metakognition wird als Voraussetzung dafür gesehen, die Kontrolle über das eigene Lernen zu gewinnen (vgl. Illés 2012: 507). Aufgrund ihrer Funktion der Förderung des metakognitiven Lernens wird Portfolioarbeit sogar als „metakognitive Technik“ (Kaiser/ Kaiser 2006: 162) bezeichnet, da dabei durch das Auswählen und Kommentieren der Artefakte der Einsatz von metakognitiven Lernstrategien notwendig wird. Diese Betonung metakognitiver Prozesse führt dazu, dass die Reflexion, die kognitive Steuerung, die Vermittlung von Lernstrategien sowie die Förderung von Sprach- (lern)bewusstheit eine zentrale Rolle bei der Portfolioarbeit einnehmen. 17 Zur Aktionsforschung vgl. Riemer (2010). <?page no="62"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 62 3.2.1 Förderung der Lernendenautonomie durch Portfolioarbeit Einige Aspekte, die mit der Förderung von Selbststeuerung und Autonomie in Verbindung stehen, wurden bereits erwähnt: Lernende setzen sich eigene Lernziele, wählen Artefakte selbstständig und nach eigenen Kriterien aus, beurteilen das eigene Lernen und die eigene Leistung und leiten darauf aufbauend weitere Handlungsschritte ein. Allerdings bedeuten diese Aktivitäten der Selbststeuerung der Lernenden längst nicht, dass sie dadurch autonom werden, denn Lernendenautonomie ist vielschichtiger und sie zu fördern, bedeutet mehr, als Lernenden mehr Verantwortung zu übertragen. Bevor ich einen Überblick über die empirischen Ergebnisse zur Autonomieförderung durch Portfolioarbeit gebe (Kap. 3.2.1.2), erläutere ich zunächst das zugrundeliegende Verständnis von Lernendenautonomie (Kap. 3.2.1.1). 3.2.1.1 Portfolio und Lernendenautonomie: Konzeptionelle Überlegungen Vor dem Hintergrund der begrifflichen Unklarheiten 18 und der parallelen oder gar synonymen Verwendung verschiedener Begriffe wie der Selbstorganisation, der Selbsttätigkeit, der Autonomie, der Selbstbestimmung und der Selbstregulation 19 in der Portfolioliteratur (vgl. Häcker 2007: 63) 20 ist zunächst eine Klärung der Terminologie notwendig. Grob unterschieden wird meist zwischen Selbststeuerung, bei der Lernenden aus verschiedenen bereitgestellten Materialien oder verschiedenen vorgegebenen Optionen wählen können, und zwischen Autonomie, die sich auf die Fähigkeit der Lernenden bezieht, selbstständig und eigenverantwortlich zu lernen (vgl. Wolff 2008: 21). Little klärt einige verbreitete Missverständnisse auf, vor allem, dass Autonomie nicht bedeutet, alleine zu lernen und dass es sich dabei nicht um eine Lernmethode handelt (vgl. Little 1991: 3f.). Er führt dann weiter aus: If learner autonomy is not merely a matter of organization, does not entail an abdication of initiative and control on the part of the teacher, is not a teaching method, is not to be equated with a single easily identified behavior, and is not a steady state attained by a happy band of privileged learners, then what is it? Essentially, autonomy is a capacity - for detachment, critical reflection, decision-making, and independent action. It presupposes, but also entails, that the learner will develop a particular kind of psychological relation to the process and content of his learning. The capacity for autonomy 18 Für eine ausführliche Diskussion des Autonomiebegriffs vgl. Schmenk (2008). 19 Zum Begriff der Selbstregulation vgl. z. B. Kaiser/ Kaiser (2006: 32-35). 20 Für empirische Studien zur Lernendenautonomie und zum selbstgesteuerten Lernen vgl. z. B. Neuner-Anfindsen (2005) und Schmelter (2004). <?page no="63"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 63 will be displayed both in the way the learner learns and in the way he or she transfers what has been learned to wider contexts (ebd. 4, Hervorh. i. O.). In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff des empowerment zu verstehen. Darunter versteht Pollari „a process with different aspects and degrees of getting power, accepting and assuming it and taking charge of that power“ (Pollari 1997: 38). Er grenzt dies von Autonomie ab, die für ihn „a state or a capacity“ darstellt, während empowerment als Prozess das Erreichen von Autonomie zum Ziel hat (vgl. ebd. 38f.). Aus erziehungswissenschaftlicher Sichtweise wird in der Portfolioliteratur der Begriff der Selbstbestimmung häufig verwendet. Gemeint ist damit vor allem die freie Entscheidung über Inhalte und Ziele, während die Selbststeuerung sich beispielsweise auf Lernorte, Methoden, Geschwindigkeit und Art und Umfang der Unterstützung in einem vorgegebenen Rahmen bezieht (vgl. Arnold et al. 2003: 29f.; Häcker 2008b: 233). Aus dieser Unterscheidung wird ersichtlich, dass Selbststeuerung in Unterrichtskontexten inzwischen häufig in Teilaspekten vorzufinden ist, wohingegen Selbstbestimmung unter institutionellen Rahmenbedingungen weniger Raum einnimmt. In diesem Zuge wird immer wieder auf das Spannungsverhältnis hingewiesen, das sich daraus ergibt, dass Lernende über Lernwege entscheiden können, nicht aber über die Ziele und Inhalte, die sie damit erreichen sollen, also eine Entkoppelung von thematischen und operativen Aspekten vorliegt, die durchaus problematisch ist und Selbstbestimmung in der Schule oder an der Universität nicht ermöglicht (vgl. Häcker 2012: 223). Es wird deutlich, dass die Verwendung der Begriffe u. a. von den Disziplinen abhängt, in denen sie gebraucht werden, wobei bei den Zuordnungsversuchen ebenfalls wenig Einigkeit besteht. So erklärt Tassinari (2010), dass der Begriff der Selbstregulation in der Lernpsychologie, der der Selbststeuerung in der Erwachsenenbildung und der der Lernendenautonomie in der Fremdsprachenforschung verwendet würde (vgl. ebd. 47) und lässt dabei außer Acht, dass hinter all den Begriffen unterschiedliche Konzepte stehen und in der Fremdsprachenforschung beispielsweise durchaus sowohl Selbststeuerung als auch Lernendenautonomie thematisiert werden. Vielmehr ist richtig, dass die Begriffe zwar in den verschiedenen Disziplinen mehr oder weniger häufig gebraucht werden, dass aber je nach Disziplin auch ein und derselbe Begriff unterschiedlich konnotiert sein kann. Zu unterscheiden ist beispielsweise zwischen einer technischen, einer psychologischen, einer soziokulturellen und einer politisch-kritischen Perspektive auf Autonomie (vgl. Oxford 2003: 77-79; Nodari/ Steinmann 2010: 1157). Gemäß der technischen Definition wird Autonomie als Mittel zur Bewältigung von Lernsituationen verstanden. Aus psychologischer Sicht ist sie eine <?page no="64"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 64 individuelle Kombination von Eigenschaften, Einstellungen, Fähigkeiten etc. Aus soziokultureller Sicht handelt es sich um eine Fähigkeit, die sich durch die Interaktion mit anderen Menschen entwickelt. Aus politischkritischer Sicht beschreibt Autonomie schließlich den Umgang mit Machtstrukturen und die Ausbildung sowie Artikulation einer eigenen Position (vgl. ebd.). Führt man diese Autonomiebegriffe zusammen, und berücksichtigt man empowerment als Weg zur Autonomie, bietet sich ein Stufenmodell an, um den Grad der Autonomie zu beschreiben. Ein Modell aus der Wirtschaftspädagogik sieht genau diese Vorgehensweise vor und ist auch auf die Arbeit mit Portfolios im Fremdsprachenunterricht übertragbar: Es beinhaltet die Betrachtung von Selbstlernen, Selbststeuerung, Selbstbestimmung und Selbstorganisation als vier Stufen des selbstorganisierten Lernens (vgl. Büser 2003: 30f.). Das Selbstlernen ist die erste Stufe, auf der Lernende eine Auswahl treffen und ihren Lernprozess in Bezug auf ein vorgegebenes Lernziel und vorausbestimmte Inhalte selbst organisieren, was aber nicht zwangsläufig Reflexion und Selbstkontrolle beinhaltet. Selbstgesteuertes Lernen, die zweite Stufe, umfasst bereits die metakognitive Kontrolle und Regulation des Lernprozesses. Die dritte Stufe, das selbstbestimmte Lernen, schließt das Setzen eigener Lernziele ein, was das Vorwissen der Lernenden über ihre Fähigkeiten und über mögliche Ziele voraussetzt. Das selbstorganisierte Lernen als vierte und höchste Stufe beinhaltet darüber hinaus die Organisation der Voraussetzungen und Ressourcen und die Gestaltung der eigenen Lernumgebung (vgl. ebd.). Unabhängig von den von Büser (2003) verwendeten Begriffen, die je nach Fachkultur und nach Autor/ in unterschiedlich verstanden werden können, ist diese Beschreibung in Stufen einleuchtend. Der Idealzustand der Autonomie ist die höchste Stufe, bei der Lernende über „a capacity - for detachment, critical reflection, decision-making, and independent action“ (Little 1991: 4., Hervorh. i. O.) verfügen. Dies schließt die Kontrolle über kognitive Prozesse, über die Lernorganisation, über Lerninhalte, über motivationale, attitudinale, affektive und soziointeraktive Aspekte ein, wozu sowohl wissensbasierte als auch handlungsorientierte Fähigkeiten benötigt werden (vgl. Martinez 2008: 66; Tassinari 2010: 80-82). Je nach Entscheidungskompetenzen und -möglichkeiten der Lernenden können verschiedene Abstufungen vorgenommen werden. Tassinari zeigt in ihrem dynamischen Autonomiemodell auf, wie Bereiche der Autonomie zusammenhängen. Sie teilt die Fähigkeiten und Teilprozesse dazu auf vier Ebenen auf (vgl. ebd. 196f.). Auf der ersten Ebene geht es darum, Wissen zu strukturieren, sich zu motivieren, Gefühle wahrzuneh- <?page no="65"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 65 men und damit umzugehen. Die zweite Ebene umfasst einen konkreten Handlungsablauf, wozu die Planung, die Auswahl von Materialien und Methoden sowie die Durchführung, Überwachung und Evaluation des Lernprozesses zu rechnen sind. Auf der dritten Ebene stehen soziale Strategien, die Kommunikationsstrategien zum Erlernen der Fremdsprache, kooperatives Lernen und das Einfordern von Hilfen umfassen. Auf der letzten Ebene wird unter dem Begriff „das eigene Lernen managen“ die übergeordnete Komponente angesiedelt, der die Planung des Lernprozesses und der Lernumgebung sowie die Durchführung, Überwachung und Evaluation von komplexen Lernaktivitäten zuzuordnen sind (vgl. Tassinari 2010: 199-203). Der Aspekt der Kooperation erweist sich beim Sprachenlernen als besonders wichtig, denn die Lernenden, die die beschriebenen Merkmale autonomer Lernender in ausgeprägter Form aufweisen, sind diejenigen, die „die Fremdsprache als ein Kommunikationsmittel erleben und konzeptualisieren, welche vorwiegend in der Interaktion mit dem sprachlichen Input und in direktem Kontakt mit Sprechern dieser Zielsprache erlernt wird“ (Martinez 2008: 266). Es gelingt ihnen in besonderem Maße, Kommunikationssituationen so mitzugestalten, dass sie zu Lernsituationen werden. Außerdem findet sich in Martinez‘ Studie die Bedeutung der affektiven Dimension, die auch bei Tassinari eine zentrale Rolle einnimmt. Eine Voraussetzung für Lernendenautonomie ist das Selbstvertrauen der Lernenden in die eigenen Fähigkeiten und die Entwicklung einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung (vgl. ebd. 276, 289). Bei der Autonomieförderung im Unterricht bestehen seitens der Lehrenden allerdings oftmals große Bedenken. Borg und Al-Busaidi zeigen in ihrer Studie an einem Sprachenzentrum einer Universität im Oman, dass Fremdsprachenlehrende zu 93 % von einem positiven Effekt von Lerndenenautonomie auf den Lernerfolg und die Effektivität des Lernprozesses ausgehen, aber trotzdem skeptisch hinsichtlich der Voraussetzung der Lernenden sind, autonom zu handeln. Schwierigkeiten für die Autonomieförderung im Unterricht sehen sie vor allem bei der Motivation und den Fähigkeiten der Lernenden, aber auch bei institutionellen Gegebenheiten sowie bei sich als Lehrenden (vgl. Borg/ Al-Busaidi 2012: 286f.). Vermutlich ist diese Studie aufgrund der kulturellen Besonderheiten nicht uneingeschränkt auf jeden anderen Kontext übertragbar. Wenn man aber von Unterricht für Deutsch als Fremdsprache in Deutschland ausgeht, in dem meine Untersuchung verortet ist, sind die Ergebnisse insofern zu berücksichtigen, als dass Lernende mit ähnlichen Hintergründen an einem Kurs in Deutschland teilnehmen. Dabei wäre dann zu beachten, dass es sich um die Lernenden handelt, deren Leh- <?page no="66"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 66 rende ihnen autonomes Handeln eher nicht zutrauen und die auch keinen autonomiefördernden Unterricht gewohnt sind. 21 Die Bedenken der Lehrenden sind allerdings unabhängig vom kulturellen Kontext durchaus berechtigt, denn je nach institutionellen Rahmenbedingungen ist die Autonomieförderung tatsächlich schwer umzusetzen. Ein Beispiel stellt die oben erwähnte Problematik dar, dass Lernende sich nur in einem engen curricularen Rahmen eigene Ziele setzen können. Möglich ist eher die Bereitstellung vielfältiger Materialien und Interaktionsmöglich keiten, großzügiger Zeitfenster sowie einer angemessenen Begleitung durch Lehrende (vgl. Königs 2005: 458-461). Insgesamt wird eine starke Verbindung zwischen Autonomie und Portfolios angenommen, entweder indem von einer autonomieförderlichen Wirkung des Portfolios ausgegangen (vgl. Häcker 2012: 221) oder ein gewisses Maß an Autonomie vorausgesetzt wird. Die Forderungen bleiben allerdings oft vage: „Le Portfolio demande aux élèves une certaine autonomie dans le suivi de leurs apprentissages“ (Schlemminger 2008: 66). Hier wird nicht deutlich, welcher Grad an Autonomie erwartet wird und was Autonomie in diesem Zusammenhang beinhaltet. Festzuhalten bleibt, dass Lernende bei der Portfolioarbeit in der Regel ungeachtet der Rahmenbedingungen dazu angehalten werden, sich eigene Ziele zu setzen, das eigene Lernen zu überwachen und sich selbst einzuschätzen. Dabei üben sie zahlreiche Fertigkeiten, die Teil der Lernendenautonomie sind. Welches Maß an Autonomie auf Seiten der Lernenden vorausgesetzt wird und ob die Umsetzung im Unterricht eher auf selbstgesteuertes oder auf selbstbestimmtes Lernen ausgerichtet ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Dazu zählen die individuellen Überzeugungen und Möglichkeiten der Lehrenden, die institutionellen Rahmenbedingungen sowie die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lernenden, aber ggf. auch (kulturell geprägte) Lerngewohnheiten. 22 Unerlässlich ist es allerdings, dass Lehrende diese Faktoren analysieren und sich sowohl die Erwartungen an die Lernenden als auch die geplante Arbeitsweise im Unterricht bewusst machen. 21 Zur Rolle der Lehrenden bei der Autonomieförderung vgl. Gremmo/ Riley (1995: 157). 22 Zum Einfluss von lernkulturellen Gegebenheiten auf die Förderung von Lernendenautonomie vgl. z. B. Palfreyman (2003), für die Reflexion des eigenen Lernens vgl. Hufeisen (2012: 60); zur Gefahr der Stereotypisierung vgl. Riemer (2009: 30). - <?page no="67"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 67 Exkurs: Lernstrategien Als eine wichtige Voraussetzung für autonomes Handelns werden Lernstrategien betrachtet. Der Zusammenhang wird an Tassinaris (2010) Modell deutlich, in dem dargestellt wird, dass autonomes Handeln maßgeblich auf der metakognitiven und affektiven Steuerung sowie auf der Kooperation mit anderen beruht. Vor diesem Hintergrund ist die Förderung des Strategieneinsatzes auch im Zuge der Portfolioarbeit ein zentrales Anliegen (vgl. Kaiser/ Kaiser 2006: 163). Eine Lernstrategie ist ein „Handlungsplan“ (Bimmel 2012: 4) oder eine „mentale Lernhandlung“ (Grotjahn 1998: 11), die Lernende aufgaben- und situationsabhängig einsetzen, um ein Lernziel zu erreichen (vgl. Bimmel 2012: 4; Gräsel 2006; Riemer 2009: 18). 23 (Fremdsprachen-)Lernstrategien werden in der Regel in kognitive, metakognitive, soziale und affektive Strategien unterteilt (vgl. z.B. Cohen 1998: 7). Dazu kommen Sprachgebrauchsstrategien, die teilweise den kognitiven Strategien zugeordnet werden, teilweise aber eine eigene Gruppe bilden (vgl. Lentziou 2009: 25-27). Bei der Portfolioarbeit werden von den Lernenden verschiedene Strategien gefordert, beispielsweise organisierende und elaborierende Strategien bei der Sammlung, Auswahl und Anordnung der Artefakte oder metakognitive Strategien bei der Kommentierung der Artefakte und bei der Beurteilung der eigenen Leistung (vgl. Kaiser/ Kaiser 2006: 163, Siebenhaar 2013: 125). Durch die Förderung der Strategien soll Lernendenautonomie gefördert und lebenslanges Lernen angelegt werden. Der Nutzen von Lernstrategien für die Lernendenautonomie ist allerdings nicht eindeutig geklärt und wird teilweise etwas vereinfacht dargestellt: Je umfangreicher und vielfältiger das Lernstrategien-Repertoire von Lernenden ist, desto selbstständiger können sie an Aufgaben herangehen und desto unabhängiger werden sie von der Lehrkraft bzw. vom Lehrwerk (Lentziou 2009: 26, Hervorh. i. O.). Obwohl Lernstrategien als hilfreich und sinnvoll für das Fremdsprachenlernen wahrgenommen werden, gibt es doch bisher noch keine umfassenden und eindeutigen Belege für einen lernförderlichen Einfluss von Lernstrategien (vgl. dazu z.B. de Florio-Hansen 2008: 231; Kolb 2007: 69f.; Leutner/ Leopold 2003: 50). Die Quantität und Vielfalt der vorhandenen Lernstrategien alleine verhelfen allerdings sicher nicht zu selbstständigerem 23 Hierbei handelt es sich um eine eher europäische Sichtweise auf Lernstrategien. Im nordamerikanischen Verständnis werden sie häufig vielmehr als Hilfsmittel verstanden, das auch schwächeren Lernenden zu erfolgreichem Lernen verhilft (vgl. Riemer 2009: 18). <?page no="68"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 68 Handeln, ebenso wenig wie davon ausgegangen werden kann, dass Lernstrategien immer wirkungsvoll sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass Lernstrategien auch so eingesetzt werden können, dass sie nicht nützlich oder gar hinderlich sind. Wenn Lernende mit einem kleinen Repertoire an Strategien alle Herausforderungen des Sprachenlernens bewältigen können, ist ein Kennenlernen von neuen Strategien nicht notwendig. Machen die Lernenden Defiziterfahrung und stoßen sie mit ihren gewohnten Arbeitsweisen an Grenzen, erfolgt in der Regel die Aneignung neuer Strategien (vgl. Kaiser/ Kaiser 2006: 34). Durch die Portfolioarbeit sollte daher nicht das Ziel verfolgt werden, mehr Strategien zu vermitteln, sondern den Einsatz der Strategien zu reflektieren und ihre Wirkungsweise zu überprüfen, um auf dieser Basis Lernwege zu optimieren. Die Erweiterung des Repertoires ist nur im Bedarfsfall notwendig (vgl. Bimmel 2012: 7). 3.2.1.2 Portfolio und Lernendenautonomie: Stand der Forschung Aus Unterrichtsversuchen wird häufig gezeigt, dass Portfolioarbeit Schüler/ innen zu mehr Selbstständigkeit verhilft, was beispielsweise Pollari aus der Arbeit mit ca. 100 Schüler/ innen an einer finnischen Schule berichtet (vgl. Pollari 1997). Eine aufschlussreiche Untersuchung aus den Erziehungswissenschaften, die die autonomieförderliche Wirkung detaillierter beschreibt, liefert die Habilitationsschrift von Häcker (2007), in der er sich im Rahmen des Deutsch-, Englisch-, Geschichts- und Biologieunterrichts mit der Frage beschäftigt, ob „sich Portfolioarbeit als pädagogischdidaktischer Rahmen zur Realisierung bzw. Weiterentwicklung selbstbestimmten Lernens im Unterricht“ eignet (vgl. Häcker 2007: 6). Mit dieser Fragestellung zum Beitrag von Portfolioarbeit zum selbstbestimmten Lernen erarbeitet Häcker Ergebnisse, die für den Fremdsprachenunterricht nutzbar sind, nicht nur, weil sie teilweise im Englischunterricht verortet sind, sondern auch, weil die Förderung des selbstbestimmten Lernens auch im Fremdsprachenunterricht ein zentrales Ziel der Portfolioarbeit darstellt. Sein Datenkorpus umfasst 122 Portfolios, 26 Schüler/ inneninterviews, 57 Portfoliogespräche, sechs Lehrer/ inneninterviews, fünf Elterninterviews, Aufzeichnungen aus 82 teilnehmenden Beobachtungen sowie jeweils eine Gruppendiskussion aus der Portfolioarbeit in den 6. bzw. 10. Klassen einer Hauptschule, einer Realschule und eines Gymnasium (vgl. ebd. 167-169). Bei der Interpretation dieser Daten arbeitet er heraus, dass die Schüler/ innen durch die Portfolioarbeit den gezielten Einsatz von Organisations- und Planungsstrategien trainieren und so eine Grundlage für mehr Selbstbestimmung geschaffen wird. Darüber hinaus stellt er fest, dass die intendierten größeren Wahlmöglichkeiten, die durch die Möglichkeit der interessengelei- <?page no="69"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 69 teten Themenwahl gegeben sein sollen, im Unterricht nicht so groß sind, dass die Lernenden thematisch eng an ihren Interessen arbeiten können (vgl. Häcker 2007: 255, 239f., 289). So wird deutlich, dass in Hinblick auf die Lerninhalte und Lernziele institutionelle und curriculare Rahmenbedingungen dazu führen können, dass Portfolioarbeit nicht vollständig umgesetzt werden kann und im Unterricht Elemente des selbstgesteuerten Lernens häufiger vorkommen als die des selbstbestimmten Lernens. Gläser-Zikuda und Lindacher (2007) zeigen in ihrer quasi-experimentellen Untersuchung im Geschichtsunterricht in zwei Realschulklassen der Jahrgangsstufe 10 ebenfalls, dass die Lernenden nach der Portfolioarbeit angeben, mehr Strategien zu kennen. Selbst wenn keinerlei Ergebnisse über den Einsatz von Strategien abzuleiten sind, so stellen die Autorinnen doch fest, dass elaborierende Strategien bei der Portfolioarbeit häufiger eingesetzt werden, was vor allem Organisations- und Planungsstrategien betrifft (vgl. dazu auch Fink 2010: 211). Da das Sammeln, Sortieren und Kommentieren von Artefakten im Portfolio wesentliche Tätigkeiten sind, ist dieses Ergebnis wenig überraschend. Allerdings lassen sich daraus keine Erkenntnisse darüber ableiten, wie das Lernen und Anwenden von Strategien mit der Portfolioarbeit verbunden ist und ob die Lernenden die Strategien besser einsetzen können. Auch für den Zusammenhang zwischen Lernstrategien und der Entwicklung von Lernendenautonomie, der in den Studien angenommen wird, fehlen weitere Ergebnisse. Aus der Sprachenlehr- und -lernforschung liegen ebenfalls Ergebnisse zur Autonomieförderung durch Portfolioarbeit vor. 24 Becker (2013) befragte 109 Lehrende an verschiedenen Schulformen, vor allem an Grundschulen, mittels eines standardisierten Fragebogens zur Implementierung eines ESPs. Die Einschätzungen der Lehrenden, ob die Schülerinnen und Schüler durch die Portfolioarbeit eher selbstständig und autonom würden, beantworten die Lehrenden etwa zu gleichen Teilen eher positiv und eher negativ, wobei Becker selbst einräumt, dass es sich vermutlich eher um Spekulationen der Lehrenden handelt (vgl. ebd. 172-174). Flächer geht in einer Untersuchung zum Europäischen Sprachenportfolio im Englisch- und Spanischunterricht den Fragen nach, a) inwieweit den Schüler/ innen in individualisierten Phasen die selbstständige Steuerung ihres 24 In einer der ersten Studien zur Portfolioarbeit in Deutschland nimmt Kiernan (2002) die Fertigkeit Schreiben bei der portfoliobasierten Leistungsfeststellung im universitären Englischunterricht in den Blick und kommt bei der Betrachtung der Portfolios von sieben Studierenden recht allgemein zu dem Ergebnis „that a portfolio assessment procedure can contribute to the empowerment of learners“ (ebd. 74). <?page no="70"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 70 Sprachlernprozesses gelingt und b) inwieweit durch einen themenorientierten Unterricht mit dem Europäischen Sprachenportfolio eine Individualisierung des Lernens stattfindet (vgl. Flächer 2011: 67). Die Untersuchung ist im Spanischunterricht in einer 10. Klasse mit 23 Schüler/ innen, in einer 11. Klasse mit 18 Schüler/ innen sowie in einem Englisch-Leistungskurs mit zwölf Schüler/ innen angesiedelt und der qualitativen Aktionsforschung zuzuordnenden. Die Datengrundlage bilden Aufsätze, Portfolios und Kommentare der Schüler/ innen, Interviews mit ihnen sowie Reflexionen der Lehrerin (vgl. ebd. 57, 67, 72-78). Es zeigt sich, dass das Portfolio vor allem für jüngere Schüler/ innen zu Beginn des Fremdsprachenlernens nützlich ist. Darüber hinaus führt Portfolioarbeit aus Sicht vieler Schüler/ innen zu einer Steigerung der Sprachkompetenz (vgl. ebd. 120-122). Insgesamt arbeitet die Autorin heraus, dass „die meisten Schüler im Laufe des Schuljahres den reflexiven Kreislauf im Großen und Ganzen erkannt […] haben [und] sehen, dass das Sprachenlernen Planung voraussetzt und das Erreichen der Ergebnisse überprüft werden muss“ (ebd. 246). Allerdings können die Schüler/ innen trotz Anregungen durch die Lehrerin und durch das ESP selbst ihre „Sprachlernerfahrungen und ihren Sprachlernprozess wenig reflektieren“ (ebd.). Insbesondere die Formulierung von konkreten Lernzielen fällt ihnen schwer. In diesem Kontext wirft Flächer die Frage auf, inwiefern das Setzen von Lernzielen zusätzlich zu den curricular bestimmten Lernzielen gewohnt oder gar notwendig ist (vgl. ebd.). Dadurch macht sie nicht nur auf mögliche Spannungsfelder aufmerksam, sondern weist gleichzeitig darauf hin, dass die Ziele, die mit Portfolioarbeit verfolgt werden, in Bezug auf ihre Sinnhaftigkeit und Umsetzbarkeit genau geprüft werden müssen. 25 Bellingrodt nimmt in ihrer Arbeit, die ebenfalls im gymnasialen Spanischunterricht angesiedelt ist, das autonome Lernen im Bremer ePortfolio epos in den Blick. Sie untersucht, a) inwiefern die Arbeit mit ePortfolios im Fremdsprachenunterricht autonomes Lernen fördert, b) sich aus der computer- und internetgestützten Handhabung und Organisation eines ePortfolios ein Potenzial auf pädagogisch-fremdsprachendidaktischer Ebene ergibt und c) wie die Arbeit mit ePortfolio im Fremdsprachenunterricht erfolgreich umgesetzt werden kann (vgl. Bellingrodt 2011b: 100f.). In dieser Studie dienen Fragebögen, Interviews und die Dokumente in den ePortfolios als Erhebungsinstrumente. In den Blick genommen werden die Perspektiven von 52 Schüler/ innen aus zwei Klassen, einer sechsten und einer achten 25 Zu der Problematik der Vereinbarkeit selbstbestimmten Lernens und institutioneller Rahmenbedingungen vgl. Rösler (2013: 152). <?page no="71"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 71 Klasse in der Fragebogenstudie sowie die von fünf Schüler/ innen in den Fallanalysen. Mit den Ergebnissen zeichnet Bellingrodt ein Bild von ePortfolioarbeit, mit der autonomes Fremdsprachenlernen gefördert werden kann, womit sie einige Ergebnisse aus der Studie von Kolb (2007) zur Reflexion des Sprachenlernens bei Grundschulkindern bestätigt (vgl. Kap. 3.3.2). Ausgehend von ihren eigenen Lernmotiven schreiben die Schüler/ innen der Portfolioarbeit verschiedene Funktionen zu und beurteilen sie als förderlich für das Selbstbewusstsein (vgl. Bellingrodt 2011b: 253f.; Kolb 2007: 316) sowie ertragreich für die eigene Autonomie (vgl. Bellingrodt 2011b: 252). Durch das ePortfolio kann außerdem die Bewusstheit der Lernenden über die eigenen Fertigkeiten gefördert werden, wobei die Dokumentation der Artefakte im Dossier deutlich positiver beurteilt wird als die Selbsteinschätzungsaktivitäten mit den vorgegebenen Kann-Beschreibungen nach dem GER. Hier stellt sich die Frage, ob die im ESP vorgenommene Trennung von Selbsteinschätzung und Dossier eventuell aufzuheben ist, zumal auch Bellingrodts Daten darauf hindeuten, dass Kann-Beschreibungen nur im Zusammenhang mit konkreten Kommunikationssituationen und Beispielaufgaben für Lernende verständlich und handhabbar sind (vgl. ebd. 252f.). Die Ergebnisse zeigen, dass Portfolioarbeit bei Lernenden Veränderungen in Wahrnehmungs- und Handlungsprozessen in Gang setzen kann, die hinsichtlich der Lernstrategien deutlicher nachgewiesen werden können als bei der Lernendenautonomie. Sowohl Häckers (2007) als auch Flächers (2011) Ergebnisse weisen darauf hin, dass Lernende durchaus zu selbstbestimmtem Lernen fähig sind, obwohl durch die jeweiligen Rahmenbedingungen enge Grenzen gesetzt sind. Aufschlussreich ist Bellingrodts (2011b) Ergebnis, dass Lernende dem Portfolio je nach eigenen Lernzielen und Lernmotiven unterschiedliche Funktionen zuwiesen und es so innerhalb des gegebenen Rahmens für sich nutzbar machten. Als problematisch kann sicher die Mess- und Operationalisierbarkeit von Autonomie gelten. In den Studien ist die Bezugsgröße in der Regel die Selbstwahrnehmung der Lernenden oder die Einschätzung der Lehrenden, die jeweils ihren eigenen subjektiven Autonomiebegriff zugrunde legen und den Stand zum Zeitpunkt der Datenerhebung wiedergeben. Gelegentlich werden auch die Motivation der Lernenden oder ihr Strategieneinsatz mit einem Zugewinn an Autonomie in Verbindung gebracht und anstelle des Autonomiezuwachses erhoben. Dazu zählt beispielsweise die Studie von Khodadady und Khodabakhshzade (2012), die den Motivated Strategies for Learning Questionnaire zur Bestimmung der Lernendenautonomie einsetzen (vgl. ebd.). <?page no="72"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 72 Bezieht man sich auf Littles (1991) Verständnis von Lernendenautonomie als Fähigkeit (capacity) im oben beschriebenen Sinn, wird Autonomie nur in konkreten Handlungssituationen und über längere Zeiträume sichtbar, so dass standardisierten Tests nur einen Ausschnitt abbilden können. 3.2.2 Reflexionsfähigkeit als Ziel der Portfolioarbeit Bei dem zuvor beschriebenen Verständnis von Autonomie wird die Fähigkeit zur Reflexion als ein wichtiger Aspekt genannt. Daher wird im Kontext der Anbahnung von Lernendenautonomie bei der Portfolioarbeit auch die Förderung der Reflexionsfähigkeit angestrebt. Die Reflexion bezieht sich hierbei sowohl auf die Lernergebnisse als auch auf den Lernprozess. Konzeptionelle Überlegungen (Kap. 3.2.2.1) und der Stand der empirischen Forschung (Kap. 3.2.2.2) stehen im Fokus dieses Abschnitts. 3.2.2.1 Portfolio und Reflexion: Konzeptionelle Überlegungen Reflexion gilt als „Herzstück des Portfolioprozesses“ (Häcker 2004: 217, vgl. Kap 2.2.1). Portfolios enthalten zahlreiche Reflexionselemente wie beispielsweise begleitende Kommentare zu einzelnen Dokumenten, Portfolio- oder Begleitbriefe an die Leser/ innen, Lerntagebücher, Beratungsprotokolle etc. (vgl. Breuer, A. 2009: 217-227; Stork 2011b: 28). Die Reflexionen beziehen sich sowohl auf den Lernprozess als auch auf das Lernprodukt und zielen im Fremdsprachenunterricht unter anderem auf die Entwicklung von Sprachenbewusstheit und Sprachenlernbewusstheit ab. 26 Reflexion bedeutet zunächst, sich etwas in Erinnerung zu rufen, darüber nachzudenken und eine Einschätzung vorzunehmen (vgl. Stork 2011b: 27 in Anlehnung an Boud et al. 1985: 19). Darüber hinaus ist sie aber auf die Planung und Steuerung des Lernprozesses ausgerichtet. Yancey hält fest: 26 Unter Sprachenbewusstheit ist eine Haltung zu verstehen, die Lernende einnehmen, „um Sprache gesteuert distanziert, interessiert und aufmerksam zu betrachten“ (Hufeisen 2012: 58). Morkötter (2005) beschreibt Sprachenbewusstheit als „ein individuelles dynamisches Gefüge von Kognitionen, Einstellungen und Emotionen einer Person zu Sprache(n) und zum Lernen und Lehren von Sprachen“ (ebd. 37, Hervorh. i. O.). Sprachenbewusstheit bezieht sich damit nicht nur auf die Sprachstruktur, sondern berücksichtigt darüber hinaus Kommunikationssituationen und das Sprachenlernen. Damit ist sie sowohl als Mittel des Sprachenlernens als auch als eigenständiges Ziel zu verstehen (vgl. ebd.). <?page no="73"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 73 Reflection, then, is the dialectical process by which we develop and achieve, first, specific goals for learning; second, strategies for reaching those goals; and third, means of determining whether or not we have met those goals or other goals (Yancey 1998: 6). Eine Vorbedingung der Reflexion ist die Wahrnehmung, die durch Aufmerksamkeit gesteuert wird und „ihrerseits aus bestimmten Intentionen, Motivation, Erwartungen des Betreffenden resultiert“ (Kaiser/ Kaiser 2006: 19). Allerdings bedeutet das nicht, dass auf die Wahrnehmung automatisch Denk- und Reflexionsprozesse folgen. Reflexionstätigkeiten können unterschiedlich tiefgehend sein. Bei der Arbeit mit Portfolios und beim Sprachenlernen bietet sich folgendes Reflexionsmodell an, das vom reinen Erkennen bis zur Planung der nächsten Lernschritte vier Ebenen der Reflexion unterscheidet. Diese sind von einer niedrigen zu einer hohen Komplexität und Reflexionstiefe angeordnet (vgl. Ballweg/ Bräuer 2011: 9f.; Bräuer/ Schindler 2011: 26): Beschreiben und Dokumentieren der Aktivitäten, Analysieren und Interpretieren der Leistung, Bewerten und Beurteilen durch einen Vergleich der Leistung mit den Zielen, Planen der nächsten Arbeitsschritte und der Handlungsalternativen. Die Reflexion kann sich auf verschiedene Bereiche beziehen: Im kognitiven Bereich werden Lernprodukte und Lernleistungen in den Blick genommen (vgl. Stork 2011b: 28). Im metakognitiven Bereich ist die Reflexion des Lern- und Schreibprozesses angesiedelt. Ferner ist der affektive Bereich der Reflexion zu berücksichtigen, der sich auf die Gefühle der Lernenden bezieht, beispielsweise darauf, was Spaß gemacht hat, aber auch auf Fragen betreffend persönlicher Verlieben, Stärken, Schwächen etc. (vgl. ebd.). Bei der Portfolioarbeit sollten alle drei Bereiche in angemessenem Umfang berücksichtigt werden. 27 Die Bedeutung der Reflexion auf der kognitiven und metakognitiven Ebene erschließt sich durch den Bezug zu kognitivistischen Lerntheorien, nach denen davon ausgegangen wird, dass die Bewusstmachung lernförderlich wirkt (vgl. Kap. 2.2.3). 27 Bezüglich des Europäischen Sprachenportfolios wird kritisiert, dass sich die Reflexionsfragen auf den Vordrucken der meisten ESP-Versionen vor allem auf die kognitive Ebene konzentrieren, metakognitive und affektive Aspekte hingegen vernachlässigt werden (vgl. Kaiser/ Kaiser 2006: 172). Allerdings gilt das nicht für alle Versionen des ESP. Ein Gegenbeispiel liefern die Sprachenportfolios für Südtiroler Schulen (http: / / www.esp-pel.it (01.03.2015)). <?page no="74"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 74 Ferner ist die affektive Dimension von Bedeutung, da sie Wahrnehmungs- und Lernprozesse steuernd beeinflusst (vgl. Hoffmann 2012a: 122; Marx 2008: 21). 28 Die Berücksichtigung der affektiven Dimension ist ebenso bei der Portfolioarbeit bedeutsam, denn die Vorgabe, Fehlversuche in das Portfolio zu integrieren und bei Selbsteinschätzungen oder im Lerntagebuch 29 Schwächen einzugestehen, fordert Mut, löst Ängste aus und weckt das Bedürfnis nach einer angenehmen Lernumgebung (vgl. Arnold/ Brown 1999: 10). Wenn Lernende sich davor fürchten, Fehler und Schwächen sichtbar zu machen, kann eine Reflexion nur halbherzig sein (vgl. Bräuer 2002: 30). Häcker spricht in diesem Zusammenhang von der Gefahr des „defensive[n] Reflektieren[s]“ (Häcker 2012: 226), die dann als Abwehr möglicher negativer Konsequenzen besteht, wenn die Reflexionen in die Beurteilung eingehen und vorrangig erledigt werden, um die Erwartungen der Lehrenden zu erfüllen. Daher ist es sinnvoll, Reflexionen von der Beurteilung der Portfolioinhalte auszunehmen. Darüber hinaus ist es aber notwendig, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen und die Lernenden bei der Reflexion anzuleiten: Reflexive Praxis! Ohne Tagebuch, Arbeitsjournal, Gespräche mit peer- TutorInnen, die Vermittlung von Meta-Lerntechniken im Unterricht, fächerübergreifende Projekte und Workshops (etc.) kein Portfolio! Jedenfalls kein gutes (Bräuer 2002: 26). Hieran wird deutlich, dass Reflexionen nicht nur auf verschiedenen Ebenen stattfinden sollen, sondern auch unterschiedliche Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für private, halböffentliche und öffentliche Diskurse bieten müssen. 30 Eine an Lernzielen oder anderen Vorgaben gemessene Form der Reflexion ist die Selbstbeurteilung, Selbsteinschätzung oder Selbstevaluation. Diese Begriffe werden in der Literatur für eine zielgerichtete Überprüfung der Lernergebnisse in Bezug auf selbst gesetzte oder vorgegebene Lernziele und Lernwege verwendet. Bezüglich der Begrifflichkeiten herrscht in der For- 28 Zum Einfluss affektiver und kognitiver Faktoren beim multiplen Sprachenlernen vgl. Hoffmann (2012a: 122); Hufeisen/ Gibson (2003). 29 Zentral für die Idee des Lerntagebuchs ist, dass Gewöhnliches und Ungewöhnliches aus subjektiver Sicht notiert wird, um die Erfahrungen zunächst für sich selbst, aber auch für andere festzuhalten, und dass ein Sinnzusammenhang zwischen den Einträgen besteht (vgl. de Florio-Hansen 1999: 16). 30 Den Begriff des Tagebuchs ordnet Bräuer dem privaten Diskurs und den des Arbeitsjournals dem halböffentlichen zu (vgl. Bräuer 2008b: 99). <?page no="75"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 75 schungsliteratur wenig Einigkeit. 31 In dieser Arbeit verwende ich sowohl den Begriff der Selbsteinschätzung als auch den der Selbstbeurteilung, wobei Selbsteinschätzungen nach meinem Verständnis einen eher informellen Charakter haben als Selbstbeurteilungen. Die Selbstbeurteilung muss dennoch nicht als summative Beurteilung am Ende des Lernprozesses stehen, sondern kann in formativer Ausrichtung ebenso den Lernfortschritt in den Blick nehmen (vgl. Kleppin 2005: 107-109; Little 2010: 1317). Während die Selbstbeurteilung im ESP vor allem durch standardisierte Bögen geschieht, finden sich in offenen Portfolios verschiedene Formate. Durch Kommentare zu den einzelnen Artefakten und deren Auswahl für das Portfolio werden Lernenden dazu angehalten, ihre Leistung einzuschätzen, so dass durch die geforderte Arbeitsweise bereits Reflexionsprozesse in Gang gesetzt werden. Darüber hinaus dient die Dokumentationsfunktion des Portfolios mit der kontextualisierten Darstellung der erbrachten Leistungen als Grundlage für die Selbst- und Fremdbeurteilung. Nandorf (2007) trägt verschiedene Gründe zusammen, warum die Selbsteinschätzung der Lernenden hilfreich ist. So soll sie zur Förderung der Motivation, der Lernendenautonomie, des lebenslangen Lernens und zur Individualisierung beitragen und darüber hinaus als Ergänzung zur Fremdbeurteilung und damit als Grundlage für den Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden dienen (vgl. ebd. 129). Auch Oscarson (1989) nennt diese Argumente und schließt ebenfalls mit der „shared assessment burden“ (ebd. 3), der geteilten Verantwortung für die Leistungsfeststellung von Lehrenden und Lernenden. McNamara und Deane (1995: 21) beschreiben Portfolios als die Schnittstelle zwischen Selbst- und Fremdbeurteilung. Dieser Blick auf Selbstbeurteilung macht deutlich, dass sie nicht statt der Fremdbeurteilung stattfindet, sondern vielmehr als komplementäres Element betrachtet wird, das gleichwertig neben dieser stehen kann. Das setzt wiederum eine offene, fehlertolerante Lernatmosphäre voraus und eröffnet ein neues Spannungsfeld, indem die Frage aufkommt, in welchem Verhältnis Fremd- und Selbstbeurteilung im Rahmen institutioneller Vorgaben stehen. Spannungen entstehen vor allem dann, wenn Lernende zur Selbstbeurteilung angehalten werden, am Ende aber die Lehrenden die abschließende Beurteilung alleine vornehmen und eine Note festlegen. 31 Richter (2003: 46) spricht von Selbstreflexionen, die sich in einem Portfolio finden, und verwendet Beurteilung und Bewertung synonym (vgl. dazu Kap. 2.1.1). Kleppin (2005: 107-109) nutzt den Begriff der Selbstevaluation (vgl. dazu auch Roche 2010) und weist auf die synonyme Verwendung von Selbstevaluation und Selbsteinschätzung hin. <?page no="76"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 76 Eine Annahme, die diesem Vorgehen zugrundeliegt, sind die Zweifel an der Qualität und an der Genauigkeit der Selbsteinschätzung der Lernenden. Insgesamt gibt es jedoch deutliche Hinweise darauf, dass die subjektiven Einschätzungen der Lernenden verlässlich sind und durch Übung genauer werden (vgl. Blanche 1988: 86; Kleppin 2005: 108; Nandorf 2007: 129; Plötzleitner 2008: 96). Um erfolgreiche Reflexionen zu ermöglichen, sind allerdings geeignete Rahmenbedingungen und zielgerichtete Hilfestellungen durch die Lehrenden notwendig. In einem ersten Schritt müssen Lernziele und Beurteilungskriterien in Bezug auf konkrete Sprachhandlungs- und Lernsituationen gemeinsam erarbeitet oder zumindest transparent gemacht werden (vgl. Blanche 1988: 81; Kleppin 2005: 111; Mietzel 2007: 192). Darüber hinaus benötigen die Lernenden Möglichkeiten, ihre Selbsteinschätzung zu überprüfen, beispielsweise durch die Arbeit mit Audiou. Videoaufnahmen. Der Austausch mit Mitlernenden oder Lehrenden bietet eine andere Perspektive auf die eigene Leistung und ermöglicht es so, die für die Einschätzung der eigenen Leistung notwendige Distanz aufzubauen (vgl. Kleppin 2005: 110; Volkwein 2008: 153). Bei der Portfolioarbeit kommt den Portfoliogesprächen diesbezüglich eine besondere Bedeutung zu (vgl. Breuer, A. 2009: 203). Auch die Arbeit mit Kriterienlisten kann die Reflexion unterstützen. Sie wird allerdings kontrovers diskutiert, weil sie den Lernenden einerseits hilfreiche Orientierungspunkte bieten, insbesondere aber vorgefertigte Listen, wie z.B. im ESP, nicht ausreichend auf das Unterrichtsgeschehen abgestimmt sind, starke Vereinfachungen vornehmen und die Komplexität des Gelernten nicht ausreichend widerspiegeln (vgl. Kleppin 2005: 109; Kleppin 2006: 104). Daher werden Selbsteinschätzungsbögen nur dann als hilfreich erachtet, wenn sie sich auf den jeweiligen Unterricht beziehen, konkrete Beispiele in den Blick nehmen und sich darin die Komplexität der Lerninhalte wiederfindet. In der Umsetzung bergen Aktivitäten zur Reflexion zahlreiche Schwierigkeiten. Zu nennen sind vor allem der Zeitaufwand für Reflexionsaktivitäten selbst, aber auch die Zeit, die Lernende benötigen, um ihre Reflexionsfähigkeit zu verbessern. Dieser Zeitaufwand wird häufig gegen den Nutzen der Reflexion für die Lernleistung abgewogen: „Although inclusion of a reflective element in the portfolio strengthened students’ writing, we were taken aback by the amount of time it took to train students to assess themselves and to reflect“ (Coombe/ Barlow 2004: 21). Neben dem Zeitaufwand ist zu bedenken, dass das Verfassen einer schriftlichen Reflexion be- <?page no="77"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 77 sonders in einer Fremdsprache für Lernende eine große Anstrengung bedeutet (vgl. Bräuer 2009a: 151). 32 Dennoch ist die Förderung der Reflexionsfähigkeit bedeutsam und wird im Kontext der Forderungen nach lebenslangem Lernen als eigenständiges Ziel betrachtet (vgl. Hasselhorn/ Labuhn 2008: 32). Darüber hinaus wird angenommen, dass Reflexion, Sprachenbewusstheit, Sprachenlernbewusstheit und die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung einen positiven Effekt auf das Sprachenlernen haben. Gelegentlich finden sich in der Fachliteratur allerdings vereinfachte Bedingungs-Wirkungsgefüge. McNamara und Deane (1995: 17) stellen beispielsweise fest, dass Selbstbeurteilung sehr wichtig für erfolgreiches Sprachenlernen ist, ohne Gründe oder Belege dafür anzuführen. Auch wenn ich nicht in Abrede stellen möchte, dass eine Verbindung zwischen Selbsteinschätzung und erfolgreichem Sprachenlernen besteht, so möchte ich ebenso wenig davon ausgehen, dass diese Verbindung jederzeit und unter allen Umständen zum Tragen kommt. Damit greife ich die in Kapitel 2.2.3 darstellten Einwände gegenüber kognitivistisch orientierten Lerntheorien und Spracherwerbshypothesen auf, die gelegentlich den Eindruck erwecken, Wahrnehmung führe automatisch zu Spracherwerb oder zu Können. 33 Grundsätzlich ist daher die Bewusstmachung durch Portfolioarbeit vor dem Hintergrund zu sehen, dass Reflexion dazu beitragen kann, Lernvorgänge zu effektivieren und das Lernen positiv zu beeinflussen (vgl. Königs 2010a: 164 mit Verweis auf die Arbeiten von Hoffmann 2008 und Schmelter 2004), 34 dass aber die Bedingungen genau analysiert und beschrieben werden müssen, unter denen dies gilt: „Die uneingeschränkte Propagierung des Lernenlernens übersieht bisweilen, dass Lernreflexion nur dann erfolgreich ist, wenn [sie] in ein entsprechendes lernkulturelles Umfeld eingepasst wird“ (Königs 2010a: 164). 35 In diesem Zusammenhang ist außerdem zu bedenken, dass der Zeitaufwand für die Bewusstmachung des eigenen Lernens hoch ist. Daher wird davor gewarnt, in Extreme zu verfallen und große Teile der Unterrichtszeit für Reflexions- und Bewusstmachungsaktivitäten zu reservieren (vgl. Königs 2010c: 112). 32 Herausforderungen wie diese könnten der Grund dafür sein, dass Lehrende Aktivitäten zur Selbsteinschätzung im Fremdsprachenunterricht zwar sinnvoll und hilfreich finden, sie aber trotzdem eher selten einsetzen, wie eine Studie von Bullock (2011) mit Lehrenden für Englisch als Fremdsprache zeigt. 33 Zur kritischen Diskussion vgl. Aguado (2010: 818); Königs (2010c: 111). 34 Zu nennen sind außerdem die Arbeiten von Neuner-Anfindsen (2005) und Morkötter (2005). 35 Dasselbe gilt für die Förderung der Sprachenbewusstheit (vgl. Königs 2012a: 81, Königs 2013: 13). <?page no="78"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 78 3.2.2.2 Portfolio und Reflexion: Stand der Forschung Die Förderung der Reflexion durch Portfolioarbeit wurde vor allem in den Studien von Kolb (2007) für den Englischunterricht in der Grundschule, Fink (2010) aus schulpädagogischer Sicht im fächerübergreifenden Unterricht an der Sekundarstufe I sowie von Poppi/ Radighieri (2009) für den Fremdsprachenunterricht für Studierende untersucht. Kolb (2007) erforschte, welche lernfördernden Prozesse durch das Portfolio als Reflexionsinstrument im Englischunterricht in der Grundschule ermöglicht werden. Dazu begleitete sie zwei dritte Klassen bei der Portfolioarbeit im Englischunterricht. Die Datengrundlage bilden in erster Linie die Aufzeichnungen aus Reflexionsgesprächen in Kleingruppen, in denen insgesamt 16 Kinder befragt wurden (vgl. ebd. 145-148). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Individualisierung und Personalisierung des Sprachenlernens für die Kinder charakteristische Funktionen der Portfolioarbeit darstellt, die sie leicht annehmen und vor dem Hintergrund ihrer bisherigen schulischen Sozialisation deuten (vgl. ebd. 308f.). Aufschlussreich sind ebenso die Ergebnisse zur Selbsteinschätzung der Lernenden, da häufig die Befürchtung geäußert wird, dass diese sich nicht realistisch einschätzen können. Kolb stellt zwar eine für Grundschulkinder typische tendenzielle Überschätzung fest, erkennt darüber hinaus aber vier Strategien, mit denen die Kinder ihre Selbsteinschätzung zu validieren versuchen. Hierzu zählen der Rückgriff auf das Unterrichtsgeschehen, die Suche nach Fremdbestätigung, Selbsttests sowie ein inneres Bild der eigenen Kompetenz (vgl. ebd. 311f.). Hier schließen sich Bellingrodts Ergebnisse an, die bei den Schüler/ innen der Sekundarstufe vielfältige Möglichkeiten beobachtet, mit denen sie Rückmeldungen zur Bestätigung ihrer eigenen Einschätzung einholen (vgl. Bellingrodt 2011b: 253). Auch Poppi und Radighieri (2009) stellen fest, dass die Studierenden in ihrer Untersuchung gut in der Lage sind, ihre eigene Leistung zu beurteilen und dass sie sich in ihrer Selbsteinschätzungsfähigkeit verbesserten. In einer Interventionsstudie wurden 20 italienischen Studierenden vor und nach der Arbeit mit dem Europäischen Sprachenportfolio, bei der die Selbsteinschätzung im Vordergrund steht, dazu aufgefordert, ihre eigenen Leistungen einzuschätzen. Diese Ergebnisse wurden mit den Ergebnissen aus zwei verschiedenen standardisierten Tests verglichen. Auch wenn die Anzahl der Studierenden gering ist, zeigt sich doch mit statistisch signifikanten Werten, dass die Lernenden, die sich selbst falsch einschätzen, von 80 % auf 40 % fiel, wobei insbesondere Überschätzungen zurückgehen (vgl. ebd.: 89). Im Bereich der Reflexion zeigt Bellingrodt (2011b), dass Lernende durch die Reflexionen über sich selbst eine persönliche und affektive Ebene des <?page no="79"?> 3.2 Das Portfolio als Entwicklungsinstrument 79 Lernens erreichen (vgl. ebd. 257). Im Sinne der geforderten Ganzheitlichkeit und des Ziels der Berücksichtigung kognitiver, metakognitiver und affektiver Bereiche ist das eine wichtige Erkenntnis, bei der noch die Frage gestellt werden muss, wie Lehrende und Mitlernende mit diesen elizitierten Gefühlen umgehen sollen. Wichtig ist sicher das Schaffen einer angstfreien Lernsituation, als die Portfolioarbeit im Rahmen von Häckers Studie von den Lernenden wahrgenommen wird (vgl. Häcker 2007: 229). Die Art der Reflexion in Portfolios, insbesondere in ePortfolios, untersuchte Fink (2007) aus schulpädagogischer Sicht für die Sekundarstufe. Dabei steht der fächerübergreifende Einsatz eines ePortfolios an sechs Schulen im Mittelpunkt, an denen zunächst jeweils eine siebte und eine achte Klasse ausgewählt wurden, in denen ein Team von mindestens drei Lehrer/ innen ein ePortfolio einsetzten. Aus den ausgewählten Klassen rekrutierte Fink insgesamt 28 Schüler/ innen als Untersuchungspartner/ innen, um mit ihnen ein teilstandardisiertes Interview und ein Abschlussgespräch zu führen. Darüber hinaus analysierte er die Lerntagebücher in den ePortfolios (vgl. Fink 2010: 123-146). Er stellt zunächst fest, dass die von den Schüler/ innen beschriebenen Reflexionen und Reflexionsanlässe vielfältig sind, sich aber vor allem am Unterricht (Lehrplan, Lehrziel etc.) orientieren (vgl. ebd. 182). Des Weiteren beschreibt er den interaktiven Aspekt der Portfolioarbeit, der darin besteht, dass die Lernenden Einblick in die Portfolios der Mitschüler/ innen nehmen können. Er leitet daraus fünf wesentliche Prozesse ab, die durch die Interaktion im Rahmen der Portfolioarbeit ausgelöst werden (vgl. ebd. 269-277): Vergleichen: Die Betrachtung fremder Portfolios führt zur Reflexion der eigenen Produkte und Leistungen. Prüfen und Verändern: Das erneute Überprüfen und Verändern der eigenen Produkte ist Teil der reflexiven Praxis. Dazu zählt auch das Hinzufügen von Annotationen und Kommentaren. Strukturieren und Ordnen: Bei diesem Schritt steht die Darstellungsform im Vordergrund, die in Hinblick auf das eigene Qualitätsverständnis sowie in Vorwegnahme der Außenperspektive überprüft wird. Arrangieren und Optimieren: Während beim Strukturieren und Ordnen die Darstellung des gesamten Portfolios überprüft wird, werden bei diesem Schritt Layout und Darstellung einzelner Artefakte überprüft. Anregen lassen und Perspektiven gewinnen: Diesem Schritt liegen die erhaltenen Rückmeldungen zugrunde, die angesehen und ggf. berücksichtigt werden. <?page no="80"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 80 Mit dieser Darstellung hebt Fink die Bedeutung der Präsentation sowie der Interaktion hervor. Durch die Möglichkeit, fremde Portfolios einzusehen und das Wissen, dass das eigene ebenfalls eingesehen werden kann, entstehe das Bedürfnis nach der Überarbeitung der eigenen Texte. Gleichzeitig seien die bequemen Überarbeitungsmöglichkeiten in einem ePortfolio förderlich. Die Interaktion mit Lehrenden und Mitlernenden helfe, das eigene Qualitätsbewusstsein zu überdenken und ggf. anzupassen (vgl. ebd. 272). Daran schließen sich die Ergebnisse zur Arbeit mit Lerntagebüchern im Fremdsprachenunterricht an, die eigenständig oder als Bestandteil von Portfolios genutzt werden. Ergebnisse zu Lerntagebüchern sind aber nicht nur als Teil von Portfolios von Interesse, sondern auch, weil die darin enthaltenen Reflexionsformen der Arbeit mit Portfolios ähneln. 36 In ihrer Habilitationsstudie untersuchte Stork die subjektive Sicht von Schüler/ innen auf die Arbeit mit dialogischen Lerntagebüchern sowie auf ihren Umgang mit dem Instrument (vgl. Stork 2010: 158). Dabei handelt es sich um eine Form des Lerntagebuchs, bei der Lehrende schriftlich auf die Einträge der Lernenden reagieren. In dieser Studie zeigt sich, dass die Schüler/ innen dem dialogischen Lerntagebuch verschiedene Funktionen zuschrieben: a) Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden, b) Reflexion des eigenen Lernens, c) Rückmeldungen an die Lehrerin zum Unterricht bzw. zum Leistungsstand der Lernenden d) Verbesserung der Englischkenntnisse oder e) sie erkennen keinen Sinn im dialogischen Lerntagebuch (vgl. ebd. 284). Das Lerntagebuch bietet damit im Allgemeinen eine wichtige Chance für die Reflexion des eigenen Lernprozesses und für einen Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden, der wiederum die Reflexion begünstigen kann. Es wird aber nicht von allen Lernenden als sinnvoll empfunden und angenommen, insbesondere dann nicht, wenn sie das Ziel verfolgen, durch das dialogische Lerntagebuch ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, oder wenn sich die Kommunikation mit der Lehrerin problematisch gestaltet (vgl. Stork 2011a: 124; Stork 2010: 307). Überträgt man diese Erkenntnisse auf die Arbeit mit Portfolios, liegt die Vermutung nahe, dass auch hier die Bewertungen aufgrund unterschiedlicher Sinnzuschreibungen und zahlreicher auf die Portfolioarbeit wirkender Faktoren variieren. 36 Eine Studie zu Lerntagebüchern als Teil der Portfolioarbeit in einem universitären Englischkurs mit 21 Studierenden liegt von Schneller (2002) vor, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Studierenden durch die Arbeit im Lerntagebuch ein größeres Bewusstsein für ihren Schreibprozess entwickeln, dass aber dazu die Anleitung bei der Reflexion notwendig ist. Da die methodische Vorgehensweise bei der Datenerhebung und -interpretation in dem kurzen Beitrag, der mir dazu vorliegt, nicht vollständig nachvollziehbar ist, berücksichtige ich diese Ergebnisse nicht weiter. <?page no="81"?> 3.3 Das Portfolio als Leistungsfeststellungsinstrument 81 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Portfolioarbeit auf zweierlei Weise reflexionsfördernd wirken kann: Zunächst erfordert die Arbeitsweise des Auswählens und Kommentierens selbst bereits Reflexion. Darüber hinaus kann sie beispielsweise im Lerntagebuch explizit gefordert und angeleitet werden. Die fünf Aktivitäten, die Fink (2010) herausgearbeitet hat (vergleichen, prüfen & verändern, strukturieren & ordnen, arrangieren & optimieren, anregen lassen & Perspektiven gewinnen) beschreiben nicht nur die Arbeitsweisen der Lernenden, sondern geben auch Lehrenden Hinweise, in welchen Bereichen sie Reflexionsanlässe schaffen können. Durch die individuellen Sinnzuschreibungen (vgl. Bellingrodt 2011b; Stork 2011) ist allerdings mit einer unterschiedlichen Akzeptanz und mit individuellen Vorgehensweisen zu rechnen. 3.3 Das Portfolio als Leistungsfeststellungsinstrument: Konzeptionelle Überlegungen & Stand der Forschung Die Leistungsfeststellung ist eine zentrale Funktion der Portfolioarbeit, die genutzt wird, seit Portfolios ihren Weg in den Unterricht gefunden haben (vgl. Kap 2.1). Zunächst zeige ich konzeptionelle Überlegungen zu dieser Funktion auf (Kap. 3.3.1), bevor ich darauf aufbauend empirische Ergebnisse vorstelle (Kap. 3.3.2). 3.3.1 Portfolio und Leistungsfeststellung: Konzeptionelle Überlegungen Betrachtet man Sprachenlernen als komplexe Tätigkeit, bei der Wissen, Metawissen sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten zu Sprache, Kommunikation, Selbstorganisation und Selbststeuerung berücksichtigt werden müssen (vgl. Kohonen 1997: 11), so wird deutlich, dass auch die Beurteilung der Leistung einen möglichst umfassenden Blick auf das komplette Spektrum voraussetzt. Formen der Leistungskontrolle, die lediglich Vokabel- oder Grammatikkenntnisse oder die kommunikative Bewältigung einer Situation berücksichtigen, greifen zu kurz. Der pädagogische Leistungsbegriff beschreibt Leistung sowohl als produktals auch als prozessorientiert, individuell, kooperativ, problemmotiviert, vielfältig, beschreibbar, kommunizier- und reflektierbar sowie selbst- und fremdbeobachtbar (vgl. Breuer, A. 2009: 72-77; Legutke 2002: 107). 37 Wenn Lernen in reichhaltigen Kontexten und 37 Zur ausführlichen Diskussion des pädagogischen Leistungsbegriffs und der Problematik der Bewertbarkeit vgl. z. B. Breuer, A. (2009) und Grittner (2009). <?page no="82"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 82 durch kooperatives Problemlösen erfolgt, kann auch die Leistungsfeststellung nicht losgelöst von dem Kontext stattfinden, in dem die Leistung erbracht wurde (vgl. Lissmann 2007: 276). Leistungsfeststellungsverfahren müssen so angelegt sein, dass sie Leistung in diesem Verständnis abbilden. 38 Kennzeichnend ist für diese Art der Leitungsfeststellung vor allem die Orientierung an einer individuellen Bezugsnorm, d. h. die Entwicklung der einzelnen Lernenden steht im Vordergrund, nicht der Vergleich innerhalb der Lerngruppe (vgl. zur noncompetitiveness bei der Portfolioarbeit Tierney et al. (1991: 110)). Ferner führt ein konstruktivistisches Verständnis von Lernen und Leistung dazu, dass Lehrenden wie Lernenden eine individuelle Wahrnehmung zugestanden wird, auch bei der Beurteilung von Leistung. Die Wahrnehmung der Lehrenden stellt damit nur eine von mehreren möglichen Perspektiven dar (vgl. Hamp-Lyons/ Condon 2000: 8; McNamara/ Deane 1995: 17; Porter/ Cleland 1995: 27). Ein solches komplexes und individuelles Leistungsverständnis können Klausuren oder andere Formen von Prüfungen, die außerhalb des Lehr-Lern- Prozesses angesiedelt sind, nicht abbilden. Auch die Reduktion auf eine Ziffernnote ist problematisch (vgl. Kiernan 2002: 60; Legutke 2002: 106). Daher wird nach Formaten der Leistungsfeststellung gesucht, die im Unterrichtskontext und in Kommunikationssituationen verankert sind und die häufig als authentic assessment beschrieben werden: Authentic language assessment refers to the procedures for evaluating learner performance using activities and tasks that represent classroom goals, curricula and instruction in as realistic conditions of language use as possible. It emphasizes the communicative meaningfulness of evaluation and the commitment to measure that which we value in education (Kohonen 1997: 13). Portfolios können für diese Art der Leistungsfeststellung herangezogen werden, da in ihnen Lernprodukte und Lernprozesse sowie deren Kontext zumindest teilweise sichtbar werden und statt einer Momentaufnahme die Zeitdimension bei der Entwicklung abgebildet wird (vgl. Häcker 2008a: 16; Hamp-Lyons/ Condon 2000: 4). Portfoliobasierte Leistungsfeststellung soll daher dazu beitragen, den Lernprozess und die Beurteilung zu verbinden (vgl. Kohonen 1997: 15; Kohonen 2000b: 2; Pollari 1997: 42; Tezci/ Dikici 2006: 9). Im Gegensatz zu defizitorientierteren, standardisierten Beurteilungsverfahren wird bei der Beurteilung mit Portfolios durch die Fokussie- 38 Es ist zu bedenken, dass Leistung kein allgemein gültiger Begriff ist, sondern dass die angelegten Qualitätskriterien immer der Definition durch Einzelpersonen, aber auch durch Gesellschaften bedürfen. Für eine ausführliche Diskussion der Individualität von Leistung vgl. Jürgens (2005) und Winter (2010). <?page no="83"?> 3.3 Das Portfolio als Leistungsfeststellungsinstrument 83 rung auf die individuellen Stärken eine motivierende Wirkung erwartet (vgl. Pollari 1997: 41). Ein wesentliches Element ist darüber hinaus die formative Beurteilung, durch die Lernende im Prozess mehrmals Rückmeldungen der Lehrenden und der Mitlernenden erhalten, die sie bei der Weiterarbeit berücksichtigen können (vgl. Klenowski 2002: 5). Trotz dieser häufig skizzierten Möglichkeiten bleibt die Vorstellung davon, wie Portfolios zur Leistungsfeststellung genutzt werden, oft vage, beispielsweise bei Kara: „Als Beurteilungsform setzen die Portfolios von den Lehrern ein gewisses neues Evaluationsdenken voraus. Man spricht von einer neuen Evaluationskultur“ (Kara 2007b: 73). Häcker kritisiert daher den Umgang mit dem Begriff der alternativen Leistungsfeststellung, wenn nicht deutlich wird, worin oder wozu die Alternative besteht (vgl. Häcker 2007: 3 ). Tatsächlich ist die Abgrenzung zwischen alten und neuen Prüfungsformen ebenso schwierig wie die zwischen alten und neuen Formen des Unterrichts (vgl. Kap. 2.3.1). Bei der portfoliobasierten Leistungsfeststellung sind einige Schwierigkeiten zu erwarten. Zunächst liegt auf der Hand, dass die formative Beurteilung zu einem erhöhten Arbeitsaufwand für die Lehrenden führt und auch Unterrichtszeit dafür veranschlagt werden muss (vgl. Legutke 2002: 108; Richter 2003: 46). Darüber hinaus schließt sich hier erneut die in Kapitel 3.2.2.1 diskutierte Frage an, inwiefern Portfolios überhaupt beurteilt werden sollten, um ehrliche Reflexionen nicht zu behindern. Es besteht grundsätzlich die Auffassung, dass Reflexionen und Lerntagebücher von der Benotung ausgenommen sein müssen (vgl. Calfee 2000: 285; Winter 2007: 110). Bei anderen Teilen des Portfolios, in denen beispielsweise Fehlversuche enthalten sind, muss das Beurteilungsverfahren ebenfalls gut durchdacht werden und in eine geeignete Lernkultur eingepasst werden. Daraus ließe sich die Überlegung ableiten, Portfolios überhaupt nicht zu bewerten. Allerdings spricht dagegen, dass eine Beurteilung der im Portfolio erbrachten Leistungen oft durch institutionelle Vorgaben notwendig und als Rückmeldung an die Lernenden hilfreich ist. Gleichzeitig stellt sie eine Form der Wertschätzung der Mühe und der Leistung der Lernenden dar (vgl. Flächer 2011: 30; Häcker 2008c: 48; Winter 2007: 111). Die Aufgabe ist es daher, Portfolios in das „Anerkennungssystem der Schule“ (Winter 2008b: 215) (respektive des alternativen Systems, z.B. der Universität) zu integrieren. Die Leistungsfeststellung darf nicht den kompletten Prozess der Portfolioarbeit dominieren, denn in einer Kultur des Überprüfens und Abfragens ist „kein guter Boden für unbefangene Selbstreflexion und den ehrlichen Austausch über das Wie des Lernens gegeben“ (Winter 2007: 111). <?page no="84"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 84 Um sich zu orientieren, benötigen die Lernenden Informationen darüber, in welcher Rolle die Lehrenden das Portfolio betrachten, d. h. ob eine Beurteilung vorgenommen wird oder nicht. Darüber hinaus müssen auch die Kriterien transparent gemacht werden, beispielsweise indem sie von Lehrenden und Lernenden gemeinsam entwickelt werden (vgl. Klenowski 2002: 30). Der Dialog über Qualität und Beurteilungskriterien ist deshalb hilfreich, weil er Lernenden ermöglicht, ein Qualitätsbewusstsein zu entwickeln, ohne das sie nicht in der Lage sind, sich Ziele zu setzen und ihre eigene Leistung zu beurteilen (vgl. Brunner et al. 2008b: 181). Darüber hinaus verlangt ein mit dem Portfolio verbundener Qualitätsbegriff, der sich nicht auf messbare Aspekte wie sprachliche Korrektheit beschränkt, Aushandlungsprozesse, um Klarheit für alle Akteur/ innen zu schaffen (vgl. ebd. 179). Die Feststellung, dass die sachlich-inhaltliche Richtigkeit zwar das zentrale, aber nicht das einzige Beurteilungskriterium darstellt, verhilft in der Regel noch nicht zu einem besseren Verständnis. Auch die Hinweise in der Portfolioliteratur tragen nicht immer zur Klärung bei, denn die genannte Kriterien wie Ordnung und Sorgfalt (vgl. Kaiser/ Kaiser 2006: 164f.) berücksichtigen eher den Fleiß als die Leistung. Die Empfehlung, Überarbeitungen und individuelle Verbesserung zu berücksichtigen (vgl. Skinner 2003: 59), bleibt solange vage, bis Kriterien für die Beurteilung der Überarbeitungen genannt werden. Ungeklärt ist außerdem, wie damit umzugehen ist, wenn die Lernende bei der Portfolioarbeit eigene Themen und Aufgaben auswählen, die im Schwierigkeitsgrad variieren (vgl. Lissmann 2007: 297). Diesen Problemen bei der portfoliobasierten Leistungsfeststellung sind sich Lehrende häufig bewusst, so dass vor allem Täuschungsversuche oder eine verzerrte Darstellung der Leistungen durch die oben beschriebene Möglichkeit zur Schwerpunktsetzung befürchtet werden. Diese Befürchtungen sind vor allem dann begründet, wenn diese Form der Leistungsfeststellung auf ein traditionelles Leistungsverständnis trifft. Daher muss mit der portfoliobasierten Leistungsfeststellung eine veränderte Form des Unterrichts verbunden sein, in dem Täuschungsversuche weniger zu erwarten sind (vgl. Breuer, A. 2009: 210-212). 3.3.2 Portfolio und Leistungsfeststellung: Stand der Forschung Die Debatte um schulische Leistungsfeststellung und um die Möglichkeiten, die Portfolios bei der Verbindung von fremd- und selbstbestimmten Leistungsanforderungen bieten, bildet den Ausgangspunkt für Grittners Studie an einer notenfreien sechsjährigen Grundschule mit Montessori-Profil (vgl. Grittner 2009: 11, 87). Sie stellt zunächst die Anforderungen einer pädago- <?page no="85"?> 3.3 Das Portfolio als Leistungsfeststellungsinstrument 85 gischen Leistungsfeststellung im schulischen Kontext dar, die in der Vermittlung von Informationen über Stärken und Schwächen der Schüler/ innen, über ihren Lernprozess, ihr Arbeits- und Sozialverhalten und ihre Fähigkeit zur Selbsteinschätzung bestehen. Auf dieser Basis entwickelt sie sechs Forschungsfragen, die sich darauf bezogen, inwiefern diese Informationsaufgabe mit Portfolios erfüllt und wie die Portfolioarbeit von allen Beteiligten wahrgenommen wird. Befragt werden acht Lerngruppen, der jeweils Schüler/ innen im vierten bis sechsten Schulbesuchsjahr angehören, sowie die Eltern und Lehrerinnen, so dass ein Datenkorpus aus 151 halboffenen Fragebögen von Schüler/ innen, 70 von Eltern sowie sieben Interviews mit Lehrerinnen zur Verfügung stehen (vgl. ebd. 85-90). Grittner kommt zu dem Ergebnis, dass Portfolioarbeit alle Anforderungen hinsichtlich der Informationsvermittlung zumindest teilweise erfüllen: Besonders hilfreich ist sie für die Lernenden nach der Darstellung der Autorin als Wegweiser für weitere Verbesserungen, aber auch das Aufzeigen der Lernwege, der Stärken und der Schwächen. Die Portfolioarbeit werde von den Grundschüler/ innen als motivierend wahrgenommen (vgl. ebd. 106f., 155). Für die Eltern als Außenstehende würden die Stärken erkennbar, nicht aber die Schwächen (vgl. ebd. 110-112). Aus der Studie geht ferner hervor, dass die Portfolios für die Lernberatung genutzt werden, dabei aber die „arbeitsorganisatorische Unterstützung“ und „methodisch-didaktische Hinweise zur Gestaltung der Präsentation“ im Vordergrund stehen und andere Bereiche, vor allem die Lerninhalte, vernachlässigt werden (vgl. ebd. 170). Grittner (ebd. 181) fasst ihre Erkenntnisse wie folgt zusammen: Portfolio-Arbeit stellt sich durch die Aussagen der Adressatengruppen als informative, an den Stärken der Schüler/ innen orientierte und ermutigende Form der Leistungsfeststellung und Grundlage der Leistungsbewertung dar. […]. [Es] bestehen Entwicklungsmöglichkeiten vor allem in zwei Bereichen. Erstens: Eine umfassende Leistungsbewertung sollte sich auf die vier Kompetenzbereiche Sachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompe-tenz und personale Kompetenz beziehen. Aus den Ergebnissen dieser Studie wird deutlich, dass für die Lehrkräfte Rückmeldungen und Lernberatung bezüglich der Methoden- und Personalkompetenzen im Vordergrund stehen. […] Zweitens: […]. [S]owohl die Selbstbewertung der Schüler/ innen als auch die Einsichtnahme der Eltern in das schulische Leistungsvermögen und die Lernentwicklung der Schüler/ innen, sind grundlegende Anforderungen der Orientierungs- und Rückmeldefunktion einer pädagogischen Leistungsbewertung. Dennoch sollte dieses selbstgewonnene Bild ergänzt werden durch die Bewertungen der Leistungen von Seiten der Lehrkraft. <?page no="86"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 86 Auch wenn die Ergebnisse im Kontext einer notenfreien Montessori- Grundschule zu sehen sind, bestehen doch Anknüpfungspunkte für die Portfolioarbeit in anderen Kontexten. Besonders aufschlussreich ist die Erkenntnis, dass Lehrende dazu tendieren, bei der Leistungsfeststellung und in den Portfoliogesprächen einige der vielen möglichen Kompetenzbereiche zu vernachlässigen, wie in diesem Fall die Sachkompetenz. Häcker, der sich in seiner Studie (vgl. Kap. 3.2.1.2) mit dem Portfolio als Entwicklungsinstrument für selbstbestimmtes Lernen beschäftigt, stößt in seinen Daten ebenfalls auf das Potenzial des Portfolios für die Leistungsfeststellung, aber auch auf dessen Grenzen, die sich vor allem aus dem institutionellen Kontext ergeben (vgl. Häcker 2007: 287). Die Fokussierung auf die Beurteilung ist an den weiterführenden Schulen deutlich stärker als in Grittners Untersuchungskontext. Häcker weist darauf hin, dass Lehrende ihre Erwartungshaltungen und die Rahmenbedingungen der Leistungsfeststellung verändern müssen, damit das Portfolio nicht „schnell konventionalisiert und zu einem weiteren Instrument dieser (Täuschungs-) Kultur gemacht“ wird (ebd., Hervorh. i. O., vgl. dazu Breuer, A. 2009: 309). Eine andere Perspektive auf das Portfolio als Instrument zur Leistungsfeststellung nimmt Kara ein, die das Ziel verfolgte, im Fremdsprachenunterricht „die mündliche Kommunikationskompetenz und ihre Evaluation in der gymnasialen Oberstufe durch das Portfolioarbeiten zu erforschen“ (Kara 2007b: 64). Kara führte ihre Untersuchungen in Finnland durch und bezieht sich in ihrer als Aktionsforschung angelegten Studie auf die Ergebnisse von ca. 200 Schüler/ innen mit Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1/ B2 des GER (vgl. ebd. 68; Kara 2007a: 42). Sie geht unter anderem der Frage nach, „wie […] sich das Portfolio für die Evaluation der mündlichen Leistungen [eignet]“ (vgl. Kara 2007a: 45) und wertet die schriftliche Selbsteinschätzungen der Schüler/ innen, das mündliche Sprachmaterial sowie ihr Forschungstagebuch mit einem nicht näher beschriebenen qualitativen, induktiven Verfahren aus (vgl. ebd. 45). Sie zeigt auf, dass die Schüler/ innen, die Tests und Beurteilungen insgesamt zu 84 % „wichtig“ finden (vgl. ebd. 65) und die Leistungsfeststellung durch Portfolios sehr positiv einschätzen: Die Schüleräußerungen dieser Untersuchung weisen darauf hin, dass sich die Lernmotivation durch die Arbeit mit Portfolios steigerte, weil es möglich war, vielseitige Lernumgebungen, authentisches Lehrmaterial sowie lernerorientierte Unterrichtsmethoden zu verwenden. Für schwächere Schüler stellte das Portfolio einen Motivationsschub dar, weil sie nicht mehr mit bzw. an ihren Mitschülern gemessen wurden sondern ihre individuellen Stärken zeigen konnten (ebd. 70). <?page no="87"?> 3.3 Das Portfolio als Leistungsfeststellungsinstrument 87 Kara (2007a) betont ähnlich wie Grittner (2009) die motivierende Wirkung, die Selbstbestimmtheit des Lernens und die Fokussierung auf die Stärken der Lernenden. Ihre Arbeit enthält ein begeisterten Fazit, in dem sie Portfolioarbeit als „ausgezeichnetes mündliches Evaluationsinstrument“ (Kara 2007a: 79) beschreibt, da die oben genannte Vielseitigkeit einbezogen werde, die Leistungsbewertung für die Studierenden „stressfrei“ verlaufe und eine solide Beurteilungsgrundlage bestehe. Einige Fragen hinsichtlich des Verhältnisses von Selbst- und die Fremdbeurteilung bleiben dabei noch offen (vgl. ebd. 70-72). In einer Studie aus Hong Kong beschäftigen sich Lam und Lee (2009) mit Portfolioarbeit im universitären Kontext und nehmen dort Schreibportfolios in den Blick. Mit Fragebogendaten von 31 Studierenden und Interviewdaten von sechs Studierenden sowie vier Lehrenden wird das Verhältnis von summativer und formativer Beurteilung betrachtet. Die Autoren arbeiten heraus, dass beide Beurteilungsformen durch das Portfolio im Schreibunterricht realisiert werden können (vgl. ebd. 62) und betonen, dass die Studierenden dem Wandel von der rein summativen hin zur formativen Beurteilung offen gegenüberstehen, obwohl ihnen die Rückmeldung in Form von Noten ebenfalls wichtig ist. Die Daten liefern den Autoren außerdem Informationen über die Rahmenbedingungen von portfoliogestützter Leistungsfeststellung: Die Studierenden empfinden die unterstützende Lernumgebung mit ständigen Rückmeldungen von Lehrenden und Mitlernenden als sehr hilfreich. Auch die Lehrenden schätzen die Portfolioarbeit positiv ein. Allerdings wird auch deutlich, dass eine Schulung oder Vorbereitung der Lehrenden unerlässlich ist (vgl. ebd.). Ähnlich positiv sind die Ergebnisse in einer Studie von Tezci und Dikici (2006) zum Zeichnen und Schreiben in ePortfolios in der Türkei. Bei einer Erhebung der Leistungen von 17 Schüler/ innen im Alter von 14 bis 15 Jahren in einer Experimentalgruppe und von 35 Schüler/ innen desselben Alters in der Kontrollgruppe zeigen die Autoren, dass durch die portfoliobasierte Leistungsfeststellung, die insbesondere durch Transparenz und die Kooperation von Lehrenden und Lernenden gekennzeichnet ist, die Schüler/ innen der Experimentalgruppe in beiden Fertigkeiten signifikant besser abschneiden. Die Beurteilung der Text- und Bildqualität erfolgt durch acht unabhängige Rater/ innen in Pre- und Post-Tests, die nicht wissen, ob die begutachteten Texte aus der Experimental- oder der Kontrollgruppe stammen (vgl. ebd. 3), so dass die Ergebnisse hinsichtlich der Unterschiede als aussagekräftig zu betrachten sind. Da es sich aber um die ausschließliche Beurteilung der Textqualität handelt, wird hieran deutlich, dass in der praktischen Umsetzung der portfoliobasierten Leistungsfeststellung häufig ein Leistungsver- <?page no="88"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 88 ständnis zugrunde liegt, das lediglich einen Ausschnitt dessen abdeckt, was in Kapitel 3.3.1 umrissen wurde. Dieses Vorgehen zeigt sich auch bei Khodadady und Khodabakhshzade (2012), die hinsichtlich des Einsatzes von Schreibportfolios im universitären Englischunterricht im Iran ausführlich die Vorteile einer portfoliobasierten Leistung diskutieren, bei der die Entwicklung der individuellen Lernenden berücksichtigt werden kann (vgl. ebd. 518). 59 Studierende wurden in eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe eingeteilt, wobei die Versuchsgruppe mit einem Schreibportfolio und Checklisten zur Beurteilung ihrer eigenen Texte arbeitet, während die Kontrollgruppe nur die Schreibaufgaben bearbeitet. Die Autoren stellen fest, dass die Versuchsgruppe im Post-Test nicht nur signifikant bessere Schreibleistungen aufweist, sondern auch ein deutlicher und statistisch signifikanter Zuwachs an Autonomie zu verzeichnen ist (vgl. ebd. 520-523). Mögliche Bedenken an der Reichweite des Motivated Strategies for Learning Questionnaire zur Autonomiemessung habe ich bereits in Kapitel 3.2.1.2 thematisiert. Für die Erhebung der Schreibleistung gelten ähnliche Einwände, denn diese wurden mit einem IELTS 39 -Test erhoben, der die Schreibfähigkeit anhand eines unter Prüfungsbedingungen verfassten Textes erfasst. Damit liegen ohne Zweifel valide Ergebnisse vor, die für diesen Leistungsausschnitt eine große Aussagekraft haben. Dem zuvor skizzierten Leistungsbegriff und den Möglichkeiten des Portfolios als Instrument der Leistungsfeststellung wird dieses Testverfahren allerdings nicht gerecht. Es scheint, als bestünden in der Unterrichtspraxis und in der Forschung gleichermaßen Schwierigkeiten bei der Umstellung des Leistungsverständnisses, so dass es zu den beschriebenen Unstimmigkeiten kommt. Sicher ist eine Lösung nicht leicht zu finden. Ein erster Schritt wäre die kritische Diskussion dieses Missverhältnisses, die besonders in der Schulpädagogik bereits geführt wird (vgl. Grittner 2009; Häcker 2007), in der Sprachenlehr- und -lernforschung selbst im Kontext entsprechender empirischer Untersuchungen jedoch bisher kaum Berücksichtigung findet (vgl. Kara 2007a; Khodadady/ Khodabakhshzade 2012). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die portfoliobasierte Leistungsfeststellung häufig positiv wahrgenommen wird und Lernende sich bereitwillig darauf einlassen, wie die Ergebnisse von Lam und Lee (2009) zeigen. 39 Bei dem International English Language Testing System handelt es sich um ein standardisiertes Testverfahren für Englisch als Fremdsprache (vgl. International English Language Testing System (IELTS)). <?page no="89"?> 3.4 Stand der Forschung zur Akzeptanz und Implementierung 89 Vor allem die motivierende Wirkung dieser Form der Leistungsfeststellung wird hervorgehoben, beispielsweise in den Studien von Grittner (2009) und Kara (2007). Aus den Ergebnissen lässt sich allerdings auch ableiten, dass die konzeptionellen Überlegungen zur portfoliobasierten Leistungsfeststellung in der praktischen Umsetzung nur bedingt berücksichtigt werden. Selbstbeurteilungen der Lernenden finden zwar statt, werden aber selten bei der Beurteilung durch die Lehrenden einbezogen bzw. das Verhältnis zwischen beiden Beurteilungsformen ist unklar. Die Beurteilungskriterien und das Verhältnis von Lernprodukt und Lernprozess bei der Beurteilung werden in empirischen Studien ebenfalls kaum beachtet. Eine andere Tendenz zeigen die Ergebnisse von Grittner (2009). Hier wird deutlich, dass die Lehrenden vor allem die Methoden- und Personalkompetenz berücksichtigen, die Sachkompetenz aber völlig außer Acht lassen. Diese Umstellung des Unterrichts ist daher ebenfalls problematisch. 3.4 Stand der Forschung zur Akzeptanz und Implementierung In vielen der bereits vorgestellten Studien wurde die subjektive Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Nutzer/ innen als Nebenprodukt einer anderen Fragestellung erhoben. Auch Informationen zur Implementierung liegen auf diesem Wege vor. Darüber hinaus gibt es Studien, die sich explizit mit der Akzeptanz durch Lehrende und Lernende (Kap. 3.4.1) sowie mit den Implementierungsmöglichkeiten (Kap. 3.4.2) beschäftigen. 3.4.1 Stand der Forschung zur subjektiven Wahrnehmung In den meisten der beschriebenen Studien wird die hohe Akzeptanz der Portfolioarbeit durch die Schüler/ innen dargestellt (vgl. z.B. Bellingrodt 2011b: 253f.; Gläser-Zikuda/ Lindacher 2007: 199). Häcker fasst zusammen, dass die Schüler/ innen in seiner Studie Portfolioarbeit als ambivalent erleben, weil sie sie zwar als sinnvoll, aber auch als fordernd und anspruchsvoll wahrnehmen (vgl. Häcker 2007: 239). Sie sehen große Vorteile im organisatorischen Bereich, vor allem bei Rückgriffmöglichkeiten auf das Gelernte und bei der Herstellung von besserer Ordnung. Darüber hinaus haben sie den Eindruck, mehr gelernt zu haben (vgl. ebd. 239), ein Ergebnis, das sich in einer Studie zum Portfolioeinsatz zur Grammatikvermittlung im Englischunterricht von (Martinez Lirola/ Rubio 2009: 100) bestätigt. Auch Grittner (2009) stellt im qualitativen Teil ihrer Studie „Wertschätzungen“ und „Einwände“ gegenüber der Portfolioarbeit dar. Die Kinder im Grundschulalter schätzen vor allem die Möglichkeit zum inhaltlich selbstbe- <?page no="90"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 90 stimmten Lernen und zu intensiven Auseinandersetzung mit Inhalten sowie die Möglichkeit, das Portfolio anderen zu zeigen und Rückmeldung darauf zu erhalten. Einwände beziehen sich auf den Arbeits- und Zeitaufwand sowie auf das Schreiben der Reflexionen. Die Portfoliopräsentationen werden positiv beurteilt (vgl. Grittner 2009: 162-169). Die Kritikpunkte an der Portfolioarbeit finden sich auch in anderen Studien, vor allem die Kritik am hohen Zeit- und Arbeitsaufwand (vgl. Breuer, A. 2009: 310f.; Häcker 2007: 240; Flächer 2011: 120; Koҫoğlu 2008: 3; Martinez Lirola/ Rubio 2009: 100). Der Nutzen von Portfolioarbeit wird hingegen sehr unterschiedlich wahrgenommen. Während die Lernenden in Flächers Studie einen eher geringen Nutzen der Portfolioarbeit hinsichtlich des Lernergebnisses sahen, beurteilten die Schüler/ innen in Häckers Untersuchung ihn als eher hoch (vgl. Häcker 2007: 228-232). Bei Breuer wurde der Arbeitsaufwand im Verhältnis zum Nutzen als ausgeglichen betrachtet (vgl. Breuer, A. 2009: 312). Als Hauptkriterium für eine hohe Akzeptanz wird der individuelle Nutzen für die Lernenden herausgearbeitet (vgl. Häcker 2007: 240). Darüber hinaus fanden sich in Häckers Daten Hinweise auf die Ablehnung der sprach- und schreibintensiven Tätigkeiten bei der Portfolioarbeit, hier vor allem bei den Hauptschüler/ innen (vgl. ebd.). Auffällig ist, dass Mädchen die schriftliche Darstellung des eigenen Lernens und die Reflexion deutlich besser bewältigen als Jungen (vgl. ebd.), wodurch Hinweise auf genderspezifische Arbeitsweisen entstehen (vgl. dazu Pollari 1997: 46). Aus der Einführung des ESP im Englischunterricht an zwei Sprachenschulen in Spanien liegen positive Ergebnisse zur Akzeptanz von Portfolioarbeit durch die erwachsenen Lernenden vor. Bei der Befragung von 98 Lernenden und den Lehrenden an den Schulen stößt Portfolioarbeit auf hohe bis sehr hohe Akzeptanz, wobei insbesondere die Dokumentationsfunktion nach innen und nach außen positiv wahrgenommen wird (vgl. González 2009: 378). 40 40 Die Akzeptanz des ESP in Griechenland untersuchte Bompolou (2012). Sie befragte 54 Lehrende mittels eines Fragebogens und sechs Schüler/ innen in einem Interview, um deren Bereitschaft zur Arbeit mit dem ESP zu erfragen. Die Ergebnisse sind mit der Einschränkung zu verstehen, dass 21 der 54 Lehrer/ innen das ESP nicht kannten (vgl. ebd. 192-194). Dennoch begrüßen 41 von ihnen den Einsatz. Bedenken gelten vor allem der fehlenden Vorbereitung der Lehrenden, dem geringen Sprachniveau der Lernenden und deren mangelnder Erfahrung mit der Selbsteinschätzung. Die Schüler/ innen stehen dem ESP positiv gegenüber, wobei sie es nicht kennen und ihre Einschätzung auf der Ansicht einer Fotokopie eines ESP basiert (vgl. ebd. 194f.). Die Studie gibt Hinweise auf <?page no="91"?> 3.4 Stand der Forschung zur Akzeptanz und Implementierung 91 Etwas weniger optimistisch sind die Ergebnisse aus einer quasiexperimentellen Pilotstudie mit 43 Studierenden der Wirtschaftspädagogik, in der sowohl die Versuchsals auch die Kontrollgruppe mit Portfolios arbeitete. Die Kontrollgruppe bearbeitete lediglich inhaltliche Aufgaben, während der Versuchsgruppe aber zusätzlich Reflexionsaufgaben gestellt wurden. Dabei zeigt sich, dass die Studierenden das Portfolio nicht als Chance begreifen, sondern lediglich die verpflichtenden Aufgaben erledigen (vgl. Brouër 2007: 248). Der erhebliche Mehraufwand der Versuchsgruppe, der durch die Reflexionsaufgaben entstand, beeinflusst die Akzeptanz überraschenderweise nicht negativ (vgl. ebd. 248f.). Es wird außerdem sichtbar, dass die Studierenden sowohl Beispiele zur Orientierung als auch den Austausch mit anderen Lernenden benötigen. Ferner wird deutlich, dass sie überfordert sind, wenn sie große Teile des Portfolios selbstständig und alleine erstellen müssen (vgl. ebd. 257-259). Diese Mühe und Überforderung der Studierenden, sowie ihr Bedürfnis nach Orientierung und Hilfestellung könnten auch auf die Portfolioarbeit bei Studierenden im Fremdsprachenunterricht zum Tragen kommen, denn besonders die Verständnisschwierigkeiten und Verunsicherung zu Beginn der Portfoliophase wird durch zahlreiche Studien bestätigt (vgl. Breuer, A. 2009: 311; Häcker 2007: 271; Flächer 2011: 118). Daraus lässt sich ableiten, dass Portfolioarbeit je nach Rahmenbedingungen und Voraussetzungen unterschiedlich ablaufen und wahrgenommen werden kann. Ausschlaggebende Faktoren waren der individuelle Nutzen, die Verständlichkeit der Anforderungen. Damit liegen Gelingensbedingungen sowohl im Bereich der Rahmenbedingungen und der Anleitung als auch bei den Voraussetzungen der individuellen Lernenden. Häcker (2007: 232) führt einen weiteren Problembereich an: Der erfolgreiche Einsatz des Portfolios, so zeigt sich hier, ist alles andere als voraussetzungsfrei. Neben der Frage des persönlichen Arbeitsstils („konsequentes Arbeiten“) werden auch kompetenzmäßige Bedingungen der Nutzung des Portfolios sichtbar, die in der stark schriftsprachlichen Orientierung des Instruments liegen (Sprachprobleme, Schreiborientierung). Bedenkt man, dass Häckers Ergebnisse auf dem Portfolioeinsatz bei überwiegend erstsprachlichen Schüler/ innen basiert, ist zu vermuten, dass die sprachlichen Schwierigkeiten auch und vor allem bei Lernenden zum Tragen kommen, die das Portfolio in einer Fremdsprache führen. Hierzu sind mir allerdings keine empirischen Ergebnisse bekannt. eine grundsätzliche Bereitschaft, sich auf die Portfolioarbeit einzulassen. Darüber hinaus ist die Aussagekraft allerdings eher als gering einzuschätzen. <?page no="92"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 92 3.4.2 Stand der Forschung zur Implementierung und Gestaltung An die Ergebnisse zur Akzeptanz schließen sich Ergebnisse zur Implementierung von Portfolioarbeit direkt an. Während tendenziell darauf hingewiesen wird, dass Portfolioarbeit in die universitäre Lehre zu integrieren ist (vgl. Kiernan 2002: 74), werden auch verschiedene Voraussetzungen bei Lernenden sowie Lehrenden zusammengestellt, die für eine erfolgreiche Portfolioarbeit gegeben sein müssen: Die Lernenden müssen Motivation und Selbstdisziplin aufbringen, und die Lehrenden sollten ihren Unterricht so gestalten, dass regelmäßig mit dem Portfolio gearbeitet wird (vgl. Flächer 2011: 118f.; Martinez Lirola/ Rubio 2009: 100). Regelmäßigkeit wird auch von Bellingrodt als förderliche Bedingung genannt, nämlich die regelmäßige Präsentation der Lerndokumente und der Austausch darüber. Sie hob weiter hervor, dass auch bei der Arbeit mit ePortfolios persönliche Gespräche zwischen Lernenden und Lehrenden notwendig sind, um die Portfolioarbeit erfolgreich zu gestalten und um die Lernenden bei ihrer Entwicklung zu autonomen Fremdsprachenlernenden zu begleiten (vgl. Bellingrodt 2011b: 254, vgl. auch Koҫoğlu 2008: 4). Aus Häckers Ausführungen geht hervor, dass die Implementierung von Portfolioarbeit einen Lernprozess nicht nur bei den Lernenden, sondern auch bei den Lehrenden voraussetzt. Lehrende benötigten, so Häcker, „eine große konzeptionelle Klarheit über die Methode, um im Prozessverlauf die notwendige Orientierung zu haben“ (Häcker 2007: 282, Hervorh. i. O.). Wie bei allen Formen offenen Unterrichts bestehe die Gefahr, „Offenheit per se für eine hinreichend adaptive Individualisierungsmaßnahme zu halten“ (ebd.), so dass Lehrende dazu neigen, wenig steuernd in den Unterricht einzugreifen und ihn damit wenig zu gestalten. Die Steuerung durch die Lehrenden ist aber deshalb bedeutsam, weil ohne sie die Rolle des Portfolios unklar bleibt und eine Überforderung der Schüler/ innen zu befürchten ist. Aus diesem Grund ist es auch sinnvoll, Lehrende darauf vorzubereiten und sie zu unterstützen, beispielsweise durch Handbücher und durch Netzwerke mit Kolleg/ innen (vgl. Yilmaz/ Akcan 2012: 172). Breuer führt aus, dass sich Lehrende bei der Portfolioarbeit mehr denn je in einem Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Rollen bewegen bzw. dass diese Spannungen hierbei besonders deutlich sichtbar werden: <?page no="93"?> 3.4 Stand der Forschung zur Akzeptanz und Implementierung 93 Das Portfolio betont manche Grundspannungen und Paradoxien, die in herkömmlichen tradierten Formen der Leistungsbewertung oft untergehen. Daraus ergibt sich eine veränderte Beziehungsstruktur, für die das Rollenverständnis der Lehrenden eine elementare Bedingung darstellt. Er [der Lehrer, S.B.] muss sich von dem Gedanken lösen, stets und ständig bewerten zu müssen. Lehrer sein bedeutet mehr als das. Es ist die Aufgabe des Lehrenden, die Schüler bei der Findung ihres eigenen (Lern-)Wegs zu begleiten. Hierfür muss er sich mehr als Moderator und Verbündeter denn als Instruktor und Feind verstehen (Breuer, A. 2009: 307). Ob Lehrende sich in einer Unterrichtskonstellation prinzipiell als Feind/ innen der Lernenden verstehen, ist fraglich. Der Hinweis, dass durch die Einführung von Portfolioarbeit Spannungsverhältnisse und Rollenkonflikte entstehen und bestehende Spannungen sichtbar gemacht werden, ist jedoch wichtig und zeigt auf, dass Überlegungen diesbezüglich bei der Umsetzung von Portfolioarbeit notwendig sind. Auch in Storks (2010) Studie zu Lerntagebüchern werden die Schwierigkeiten deutlich, die der Rollenwechsel der Lehrenden mit sich bringt. Die Lehrerin in dieser Untersuchung kann ihr Versprechen nicht halten, mit den Lernenden in einen Dialog zu treten, und enttäuscht damit deren Vertrauen. Auch die Schüler/ innen können sich nicht auf die neue Rolle einlassen und haben das Bedürfnis, Schwächen zu verbergen, um schlechte Noten zu vermeiden. Der Fehlerkorrektur stehen die Lernenden unterschiedlich gegenüber: Während sich einige Korrekturen durch die Lehrerin wünschen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, haben andere das Gefühl, ohne Noten befreiter schreiben zu können. Die Rückmeldungen der Lehrerin zum Lernstand und zur möglichen Weiterarbeit beurteilen die Lernenden hingegen sehr positiv (vgl. ebd. 292-295, 299). Zum Umgang von Lehrenden mit Portfolios liegen derzeit vor allem aus dem Fremdsprachenunterricht kaum Ergebnisse vor. Eine Ausnahme bildet die Untersuchung von Kristmanson et al. (2011), in der aufgezeigt wird, wie Lehrende im Laufe der Portfolioarbeit ein Bild von ihrer Rolle und von den Abläufen bei der Portfolioarbeit entwickeln. In einer longitudinal angelegten Aktionsforschungsstudie untersuchte eine Gruppe von fünf bis zehn Lehrenden verschiedener Sprachen 41 ihre eigene Arbeit mit dem Europäischen Sprachenportfolio. Die zentrale Erkenntnis dieser Studie ist die, dass alle Lehrenden sich der Portfolioarbeit zunächst durch Ausprobieren näheren und ihr Handeln im Laufe der Zeit mit einem Modell ihres Handelns untermauern, das die Auto- 41 Darunter sind fünf Französischlehrende, ein/ e Lehrende für Englisch als Fremd- / Zweitsprache; eine/ r für Spanisch, zwei für Maliseet und eine/ r für Mandarin. <?page no="94"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 94 rinnen als philosophical stance bezeichnen. Diese philosophical stance folgt den Leitprinzipien einer demokratischen Pädagogik, autonomen Lernens und interkultureller Bewusstheit. Ihre eigene Rolle sehen die Lehrenden darin, Wahlmöglichkeiten zu schaffen, das Lernen zu ermöglichen und zu begleiten und neue Horizonte zu eröffnen (vgl. ebd. 59). Hieran wird deutlich, dass Lehrende die in den anderen Studien beschriebene Aufgabe erkennen und annehmen, die Portfolioarbeit konzeptionell auszugestalten und die Lernenden anzuleiten. Becker (2013) zeigt mit den Ergebnissen ihrer Fragebogenstudie auf, dass Lehrende Portfolioarbeit als zu zeitaufwendig wahrnehmen, um sie nach einer organisierten Implementierungsphase fortzuführen (vgl. ebd. 137), wogegen positives Feedback der Eltern eher dazu führt, dass die Portfolioarbeit fortgesetzt wird (vgl. ebd. 152-156). Es wird deutlich, dass die Lehrenden kaum Veränderungen in der Lern- und Gesprächskultur vornehmen, dass diese aber notwendig wären, um erfolgreich mit einem Portfolio arbeiten zu können (vgl. ebd. 217f.). Sie schließt mit der Hypothese, dass es ohne Unterstützung und flankierende Maßnahmen für Lehrende kaum möglich sei, Portfolioarbeit zu implementieren (vgl. ebd. 221). Insgesamt werden aus diesen Studien die enorm hohen Anforderungen an Lehrende bei der Portfolioarbeit sichtbar. 3.5 Stand der Forschung zur Schreib- und Sprachförderung durch Portfolioarbeit Zur Schreib- und Sprachförderung durch Portfolioarbeit liegen bisher nur wenige empirische Ergebnisse vor. An erster Stelle ist die Studie von Khodadady/ Khodabakhshzade (2012) zu nennen, die bereits skizziert wurde (vgl. Kap. 3.3.2). Die Autoren weisen nach, dass die Studierenden nach 16 Wochen der Portfolioarbeit in einem standardisierten Schreibtest signifikant besser abschneiden als die Vergleichsgruppe. Die Art der möglichen Verbesserungen beschreibt Aydin (2010) in seiner Studie, die ebenfalls die Wirkung der Arbeit mit Schreibportfolios in den Blick nahm. In der Studie mit 39 angehenden Englischlehrenden, für die Englisch selbst eine Fremdsprache ist, wird deutlich, that portfolio keeping has beneficial effects on the improvement of vocabulary, grammar, reading and research skills, organization of paragraphs and compositions, punctuation and capitalization, giving and receiving feedback, paragraph and composition development methods and techniques, and qualifications of paragraphs and compositions (Aydin 2010: 481). <?page no="95"?> 3.5 Stand der Forschung zur Schreib- und Sprachförderung durch Portfolioarbeit 95 Im Detail zeigt sich, dass die Syntaxkomplexität zunimmt, Aktivitäten zur Vorbereitung des Schreibens (z.B. Brainstorming oder Cluster) erlernt werden und Kreativität und Originalität in den Texten gesteigert werden konnten (vgl. ebd. 481-483). Dadurch liegen auch Hinweise darauf vor, dass neben dem Textprodukt auch der Schreibprozess positiv beeinflusst werden kann. Es wird allerdings auch erkennbar, dass die Abläufe bei der Portfolioarbeit problematisch sein können. Explizit wird genannt, dass den Studierenden das peer feedback Probleme bereitet und sie sich in diesen Situationen unwohl fühlen (vgl. Aydin 2010: 484; vgl. dazu Kap. 4.2.3). Mit der Art der sprachlichen Verbesserungen beschäftigt sich auch Bonzo in seiner Dissertation zum Schreiben in Lerntagebüchern. Er untersuchte, ob und wie sich die Textproduktion von Lernenden verändert, wenn sie selbst ein Thema auswählen können, und betrachtet zu diesem Zweck in einer Vergleichsstudie das Schreiben in Lerntagebüchern bei 81 Germanistik-Studierenden im dritten Semester an einer US-amerikanischen Universität (vgl. ebd. 45, 47, 53). Ebenso wie Aydin (2010) stellt er die zunehmende Komplexität der Texte beim freien Schreiben fest (vgl. Bonzo 2005: 124). Während der Einfluss der freien Themenauswahl auf die Textqualität zu vernachlässigen ist wird die Bedeutung der Erfahrung und Gewöhnung sichtbar: Studierende, die bereits im Studienjahr zuvor ein Lerntagebuch geführt haben, schneiden in der Produktion der freien Texte deutlich besser ab als diejenigen, die zum ersten Mal ein Lerntagebuch führen. Dabei zeigen sich eine signifikant größere Flüssigkeit und eine teilweise höhere Komplexität (vgl. ebd. 126f.). Das freie Schreiben im Lerntagebuch als notenfreie Umgebung kann demnach dazu führen, dass Lernende neue sprachliche Strukturen ausprobieren, wobei die Gewöhnung und vor allem die Regelmäßigkeit ausschlaggebend sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Kiernan (2002), der in seiner Studie die Textproduktion von Englischstudierenden im Lerntagebuch als Teil eines Portfolios untersuchte, eine geringere oder gleiche Komplexität feststellt, da sie zum ersten Mal ein solches Tagebuch führen. Er sieht einen Zusammenhang damit, dass sich die Lernenden im von der Beurteilung ausgenommenen Lerntagebuch weniger Mühe geben, hält allerdings auch fest, dass die Komplexität der Sprache in den Lerntagebüchern je nach individuellen sprachlich-stilistischen Präferenzen und Kompetenzen der Lernenden variiert (vgl. ebd. 72). Die Ergebnisse aus der Portfolioforschung werden durch Studien aus der Schreibforschung unterstützt, die sich ebenfalls mit den Auswirkungen des <?page no="96"?> 3 Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse zur Portfolioarbeit 96 freien Schreibens beschäftigen. 42 So konnte beispielsweise Uhlir (1995) in einer Studie mit 23 Highschool-Schüler/ innen zeigen, dass regelmäßiges expressives Schreiben nicht nur auf der kognitiven, sondern auch auf der metakognitiven und affektiven Ebene positive Auswirkungen hat: Expressive writing shaped, developed, and demonstrated the learning of the second language. Diverse, frequent opportunities to write in authentic ways contributed to the acquisition of a second language (cognitive), positive attitude toward language proficiencies in a second language (affective), and awareness of writing as a vehicle for shaping learning in a second language (metacognitive) (Uhlir 1995: 130). Setzt man diese Ergebnisse miteinander in Verbindung, so wird deutlich, dass Lernende in Lerntagebüchern nicht zwangsläufig komplexer und flüssiger schreiben als in anderen Texten, dass das regelmäßige Schreiben ohne Notendruck über längere Zeit allerdings zu einer Verbesserung der sprachlichen Fertigkeiten, zu einer erhöhten Komplexität und zu verbesserten Planungsphasen im Schreibprozess führen kann. Portfolios gewinnen dadurch als Medium zur Anwendung der Sprache und insbesondere der Schreibfertigkeit auch in der Unterrichtspraxis eine weitere Funktion. 42 Auch Vyatkina (2012: 392) kommt zu dem Ergebnis, dass die Komplexität steigt, wenn Lernende ohne Notendruck und Vorgaben schreiben. <?page no="97"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht Während in den Kapiteln 2 und 3 Portfolioarbeit im Allgemeinen thematisiert wurde, steht nun die Arbeit mit Portfolios im Kontext der Schreibförderung im Vordergrund. Dabei beziehe ich mich insbesondere auf den universitären Unterricht für Deutsch als Fremdsprache als Kontext meiner Studie. Portfolios werden schon verhältnismäßig lange im Schreibunterricht eingesetzt (vgl. Kap. 2.1.2) und so ausgestaltet, dass sie der Förderung der Schreibkompetenz dienen. Die Abbildung, Bewusstmachung und Verbesserung des Schreibprozesses werden als eine Möglichkeit angesehen, dieses Ziel zu erreichen. Eine Verbindung zwischen Portfolioarbeit und Schreiben ergibt sich darüber hinaus daraus, dass das Führen des Portfolios durch Reflexionstexte und schriftliche Dokumentationen textlastig und schreibintensiv ist (vgl. Gläser-Zikuda/ Lindacher 2007: 192) und dadurch Schreibanlässe bietet. Dabei handelt es sich meist um regelmäßiges Schreiben ohne Notendruck, dessen positive Wirkung auf die Schreibfertigkeit bereits in Kapitel 3.5 beschrieben wurde. Zur besseren Einordnung erläutere ich in Kapitel 4.1 zunächst die Besonderheiten von Schreibportfolios. Anschließend folgt ein Überblick über das der Portfolioarbeit zugrundeliegende Verständnis von Schreibkompetenz, die im Portfolio abgebildet werden soll (Kap. 4.2). Als zentrales Merkmal der Arbeit mit Schreibportfolios ist die Abbildung und Unterstützung des Schreibprozesses zu verstehen, den ich in Kapitel 4.3 diskutiere. Es folgen konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Überlegungen zur Arbeit mit Schreibportfolios, durch die Hintergründe veranschaulicht und Arbeitsweisen verdeutlicht werden (Kap. 4.4.). Die Ausführungen in diesem Kapitel basieren neben zuvor dargestellten Erkenntnissen zur Portfolioarbeit insbesondere auf konzeptionellen Arbeiten zu Schreibportfolios (vgl. z. B. Calfee/ Perfumo 1996). Empirische Studien, die sich auf den Einsatz von Portfolios im Kontext der fremdsprachlichen Schreibförderung beziehen, sind mir außer den in Kapitel 3.5 vorgestellten nicht bekannt. Erkenntnisse aus der Forschung zum Schreiben in der Fremdsprache, können allerdings Aufschluss über einzelne Teilbereiche wie den Schreibprozess geben. Vor allem zum peer feedback liegen einige Untersuchungen vor. Auch auf die erstsprachliche Schreibforschung greife ich an einzelnen Stellen zurück. <?page no="98"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 98 4.1 Verständnis von Schreibportfolios Bei dem Schreibportfolio handelt es sich wie bei anderen Portfolioformen um eine zielgerichtete Sammlung der Arbeiten der Lernenden, mit der sie ihre Bemühungen, Fortschritte und Lernergebnisse für sich selbst und für andere zugänglich machen (vgl. Paulson et al. 1991: 60). Hierbei sind die Flexibilität dieser sich stetig verändernden Sammlung und die Einbindung der Portfolioaktivitäten in soziale Interaktion hervorzuheben (vgl. Kap. 2.2.1). Neben diesem gemeinsamen Kern können Schreibportfolios verschiedene Ausrichtungen haben. Verbreitet sind Prozessportfolios, in denen Arbeitsprozesse dokumentiert und reflektiert werden, und die am Ende in Bewertungsportfolios umgewandelt werden (vgl. Kap. 2.2.2.2). Dabei werden Prozesse im doppelten Sinn abgebildet: Zum einen hinterlässt der Schreibprozess eines einzelnen Textes Spuren der Planung, Verschriftlichung und Überarbeitung. Zum anderen werden die Entwicklungsprozesse der Lernenden im gesamten Portfolio aufgezeigt: „[W]riting portfolios contain samples of student work that demonstrate the changing understandings students have as they mature as readers and writers” (Tierney et al. 1991: 65). Tierney et al. berücksichtigen neben dem Schreiben auch das Lesen und sprechen entsprechend von „reading and writing portfolios“ (vgl. ebd.). Darüber hinaus ist der Begriff des literacy portfolio (vgl. z. B. Taylor 1994) häufig zu finden. Diese Bezeichnungen spiegeln wider, dass Portfolios in der Regel mehr enthalten als Nachweise des Schreibens der Lernenden, denn das Schreiben ist meist mit Lesen und mit dem Lernen aus Texten verbunden. Der Umgang mit Texten ist nicht nur ein Lernziel, sondern gleichzeitig Ausgangspunkt für weitere Lernprozesse. In dieser Arbeit wähle ich dennoch den Begriff des Schreibportfolios und konzentriere mich auf die Fertigkeit Schreiben, da im Untersuchungsfeld der Umgang mit Texten und Sprache zwar integriert ist, der Fokus aber auf dem Schreiben liegt. Mit dem Schreibportfolio ist daher ein Portfolio gemeint, in dem das Schreiben der Lernenden im Vordergrund steht, in dem aber auch andere Bereiche des Lernens berücksichtigt werden, vor allem das Lesen, aber ebenso Spracharbeit, Grammatikübungen (vgl. Keller 2010: 73) und interkulturelles Lernen. Es ist nicht das Ziel der Portfolioarbeit, alle verfassten Texte und erstellten Materialien abzuheften. Vielmehr ist das Treffen einer Auswahl unter den Artefakten ein wichtiger Schritt, um Reflexionsprozesse auszulösen (vgl. Kap. 3.2.2.1). Dieses Auswählen setzt wiederum eine Vielzahl von unterschiedlichen Schreibanlässen im Unterricht voraus, so dass ausreichend Texte entstehen, aus denen die Lernenden wählen können (vgl. Mur- <?page no="99"?> 4.2 Abbildung der Schreibkompetenz in Portfolios 99 phy/ Smith 1992: 27; Tierney et al. 1991: 71). Neben den im Unterricht verfassten Texten, den dazu gehörigen Kommentaren und den Lerntagebucheinträgen können auch Arbeitsproben in der Zielsprache in das Portfolio aufgenommen werden, die in anderen Unterrichtskontexten oder außerhalb des Unterrichts entstanden sind. 43 Diese Arbeitsweise beeinflusst die Reihenfolge des Lernprozesses: Das Verfassen von Texten ist nicht der Endpunkt einer Unterrichtsstunde oder gar einer Lerneinheit, sondern sie ist als Zwischenschritt zu verstehen, der die Selbstbeurteilung und die Rückmeldungen von Mitlernenden sowie Lehrenden nach sich zieht und so erneut Ausgangspunkt für weitere Lern- und Schreibaktivitäten wird (vgl. Keller 2010: 70f.). Das verlangt Rückmeldungen, die inhaltlich und didaktisch so gestaltet sind, dass sie wiederum in Handlungen der Lernenden münden (vgl. ebd. 72). Das Portfolio ist der Ort, in dem diese Aktivitäten zusammengeführt werden. Damit sind Schreibportfolios, wie andere Portfolioformen auch, als Instrumente zu verstehen, die einen lernendenorientierten, situierten, prozessorientierten, autonomiefördernden und kompetenzorientierten Unterricht unterstützen (vgl. z. B. Kupetz 1997: 18). 4.2 Abbildung der Schreibkompetenz in Portfolios Ein Ziel, das mit Schreibportfolios verfolgt wird, ist die Abbildung der individuellen Schreibkompetenz. Durch diese Sichtbarmachung entsteht die Möglichkeit, dass Lernende alleine oder mit Unterstützung ihren eigenen Leistungsstand einschätzen und daraufhin gezielte Maßnahmen zur eigenen Weiterentwicklung ergreifen. Das dem Schreibportfolio zugrundeliegende Verständnis von Schreiben ist das einer komplexen, anspruchsvollen und zugleich lernbaren Tätigkeit (vgl. Girgensohn 2007: 207). Daraus ergibt sich, dass Schreibkompetenz aus verschiedenen Teilkompetenzen besteht, die ebenfalls gelernt werden können und müssen (vgl. ebd.). Fix nennt die Sachkompetenz, die sich auf die Verfügbarkeit von Wissen über Inhalte, über Textsorten und über sprachliche Besonderheiten bezieht, Methodenkompetenz, die zur Gestaltung des Schreibprozesses befähigt, Sozialkompetenz, die die Antizipation der Leser/ innen und damit eine adressat/ innenorientierte Textgestaltung ermög- 43 Gerade im Zielsprachenland werden häufig auch außerhalb des Unterrichts Texte verfasst, beispielsweise eMails oder verschiedene Texte im Studium, die ebenfalls in das Portfolio einfließen können. Zu den möglichen Inhalten von Schreibportfolios vgl. Skinner (2003: 58). <?page no="100"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 100 licht, sowie Personalkompetenz, die die Selbstregulation der Schreibenden betrifft (vgl. Fix 2006: 23). Für das fremdsprachliche Schreiben arbeitet Porsch in Anlehnung an die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (Kultusministerkonferenz 2003) folgende Aspekte des Schreibens heraus (vgl. Porsch 2010: 56): das Verfügen über sprachliche Mittel, Kompetenz zur Textorganisation, Textsortenkenntnisse, Vorwissen/ Weltwissen, Sozialkompetenz, Planungskompetenz, Überarbeitungskompetenz, Interkulturelle Kompetenz, Präsentationskompetenz, Lern- und Schreibstrategien. Damit schlüsselt sie die bei Fix genannten Kompetenzen weiter auf und ergänzt mit der interkulturellen Kompetenz eine u. a. fremdsprachenspezifische Dimension. Auch andere Aspekte, die Porsch anführt, wie beispielsweise die Verfügbarkeit sprachlicher Mittel sowie das Vor- und Weltwissen, spielen beim Schreiben in der Fremdsprache 44 eine besondere Rolle. Sie sind zwar ebenso für das Schreiben in der Erstsprache (L1) notwendig, dort aber häufig leichter zugänglich (zu den Besonderheiten des fremdsprachlichen Schreibprozesses vgl. Kap. 4.3.3). Nach den Ausführungen zum Kompetenzbegriff in Kapitel 2.3.1 muss dieser auch in Bezug auf das Schreiben näher beleuchtet werden. Es handelt sich auch bezüglich des Schreibens nicht nur um eine bloße Sammlung dieser verschiedenen Teilkompetenzen und Wissensbereiche, sondern um eine komplexes Zusammenwirken kognitiver Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Lösen von Aufgaben oder Problemen, bei dem motivationale, volitionale und soziale Aspekte berücksichtigt werden. Neben dem Zusammenwirken verschiedener Teilfertigkeiten, das Keller als „holistisches Kompetenzkonzept“ (Keller 2013: 27) bezeichnet, ist eine Komponente von Schreibkompetenz die Analyse der kommunikativen und interaktionalen Bedingungen. 44 Da in dieser Arbeit die Sprachenfolge keine Rolle spielt, unterscheide ich im Bezug auf Schreibportfolios nicht zwischen L2, L3 und Lx, sondern nutze L2 als übergeordnete Bezeichnung für alle Fremd- und Zweitsprachen eines Individuums. <?page no="101"?> 4.2 Abbildung der Schreibkompetenz in Portfolios 101 Daher beinhaltet Schreibkompetenz nach Bräuer „die Fähigkeit […], auf einen Schreibanlass mit Mitteln zu reagieren, die den Anforderungen des Autors/ der Autorin, des gewählten Schreibmediums und der RezipientInnen gerecht werden“ (Bräuer 2009b: 63). 45 Insgesamt wird deutlich, dass Schreiben nicht als isolierte Fertigkeit zu verstehen ist und sich nicht auf die Formulierung von Sätzen beschränkt. Daher spielt der Begriff der Textkompetenz eine wesentliche Rolle, der den rezeptiven und produktiven Umgang mit Texten mit den Zielen des Wissensgewinns und der Kommunikation einschließt. Die Verbesserung der Textkompetenz der Lernenden stellt bei der Arbeit mit Schreibportfolios ein zentrales Ziel dar. 46 Im universitären Kontext ist es durch die bildungssprachlichen und an die Fachkulturen gebundenen Anforderungen sinnvoll, auch die Domänenspezifik von Schreiben zu berücksichtigen. Beaufort und Iñestas (2014), die Schreibkompetenz als Zusammenwirken von Writing Process Knowledge, Subject Matter Knowledge, Rhetorical Knowledge, Genre Knowledge und Discourse Community Knowledge modellieren (vgl. ebd. 146), verstehen die Entstehung von Schreibkompetenz folgendermaßen (vgl. ebd. 149-151): 45 Über den Erwerb von Schreibkompetenz gibt es verschiedene theoretische Sichtweisen, die die Komplexität mehr oder weniger gut widerspiegeln und der Rolle von Unterricht bei der Vermittlung unterschiedlich große Rollen beimessen (vgl. Benton 1997: 236). Für die erstsprachliche Schreibentwicklung wird das Modell von Bereiter (1980) häufig genannt. Damit lässt sich der Schreiberwerb von den ersten Schreiberfahrungen bis zum erfahrenen Schreiber/ zur erfahrenen Schreiberin in groben Zügen beschreiben, wobei sowohl Entwicklungen auf der Prozess- und auf der Produktebene sowie in Bezug auf die Rezipient/ innenorientierung berücksichtigt werden können. Die fünf Entwicklungsbereiche sind das associative, performative, communicative, unified und epistemic writing (vgl. Bereiter 1980: 83-88). Dieses Modell liefert damit gleichzeitig eine „Erklärung von Schreibstrategien, die sich in der Ontogonese durch schrittweise Integration neuer Fähigkeitskomplexe immer wieder umstrukturiert und zu neuen Formen des Schreibens führen“ (Molitor-Lübbert 1996: 1011). 46 Textkompetenz definiert Portmann-Tselikas (2003) als die „Fähigkeit, mit Texten rezeptiv und produktiv umzugehen. Wer über Textkompetenz verfügt, kann Texte eigenständig lesen und die damit erworbenen Informationen für sein weiteres Denken, Sprechen oder Schreiben nutzen. Textkompetenz schließt auch die Fähigkeit ein, selber Texte für andere herzustellen und damit seine Intentionen verständlich und adäquat mitzuteilen“ (ebd. 102). <?page no="102"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 102 [W]riting expertise involves translating knowledge into competence by putting the different kinds of knowledge outlined above […] into action when solving specific writing tasks. Writing expertise, we claim, depends on writers’ abilities to adequately implement the following dimensions of writing competence: use writing epistemically to construct and transform knowledge construct and project a social identity - authorial voice - as writers and professionals engage in self-regulation or strategic decision-making establish a constructive and strategic (deferred) dialogue with other members of the discourse community strategically transfer writing knowledge and skills across tasks Aus dieser Sicht entwickelt sich Schreibkompetenz in konkreten Anwendungssituationen, die spezifisch, situiert und kommunikativ ausgerichtet sein müssen. Lernende müssen für das Schreiben im universitären Kontext akademische Diskursfähigkeit entwickeln und sich in einer kulturell geprägten Diskursgemeinschaft orientieren, die auch kulturspezifisch geprägte Textsorten hervorbringt (vgl. z. B. Hufeisen 2005: 148; Paltridge 2004: 98). Darauf können sie in fachübergreifenden Kursen nur teilweise vorbereitet werden (vgl. Graefen 2009: 108; Portmann-Tselikas 2001: 12). Dennoch ist Portfolioarbeit in diesem Rahmen als Möglichkeit zu sehen, zur Binnendifferenzierung beizutragen, bei der Lernenden Themen und Textsorten bearbeiten, die in ihren jeweiligen Fächern relevant sind. 4.3 Der Schreibprozess bei der Portfolioarbeit Neben der Schreibkompetenz lässt sich auch der Schreibprozess von der Planung bis zum Redigieren im Portfolio abbilden (vgl. Calfee/ Freedman 1996: 3). Die Beachtung und Förderung des Schreibprozesses ist ein zentrales Element der prozessorientierten Schreibdidaktik (vgl. Kap. 2.1.2). <?page no="103"?> 4.3 Der Schreibprozess bei der Portfolioarbeit 103 Das Portfolio ist vielleicht das deutlichste Beispiel für den […] Paradigmenwechsel in der Sprachdidaktik von einer Produktzu einer Prozeßorientierung. Versuchen die StudentInnen im traditionellen Ansatz, wo nur die Endfassung eines Aufsatzes zur Bewertung gelangt, die Spuren ihrer Arbeit (Entwürfe, Revisionen, Korrekturen) zu verwischen, so werden sie beim Portfolio-Schreiben dazu angehalten, den Entstehungsprozeß ihrer Manuskripte zu dokumentieren und zu kommentieren. Über den Grad der Komplexität ihres Lernens - darauf liegt nunmehr der neue Bewertungsfokus - geben Materialsammlungen, verschiedene Fassungen und Überarbeitungen genauso aufschlußreich Auskunft wie beigefügte Protokolle von Konferenzen mit KommilitonInnen und LehrerInnen, Auszüge aus dem Tagebuch oder Kommentare von anderen GesprächspartnerInnen (Bräuer 1997: 5). In diesem Abschnitt stelle ich zunächst dar, wie der Schreibprozess in einem Portfolio abgebildet werden kann (Kap. 4.3.1). Da Portfolioarbeit aus interaktionistischer Sicht in den Austauscht und die Kollaboration mit Lehrenden und Mitlernenden eingebunden ist, beziehe ich auch Überlegungen zur Antizipation der Textrezeption im Schreibprozess ein (Kap. 4.3.2). Es folgen Ausführungen zur Rolle des Schreibprozesses für den Schreiberfolg in der Fremdsprache (vgl. Kap. 4.3.3). 4.3.1 Die Darstellung des Schreibprozesses im Portfolio Das Portfolio soll dazu dienen, die individuellen Schreibprozesse der Lernenden sichtbar zu machen. Das oben dargestellte Zusammenwirken verschiedener Teilkompetenzen, die Schreibkompetenz ausmachen, bedeutet gleichzeitig, dass im Schreibprozess zahlreiche Teilprozesse parallel ablaufen und der gesamte Schreibprozess dadurch hochgradig komplex ist (vgl. z. B. Kellogg 1999). De Beaugrande (1984) stellt diese Komplexität durch die Parallelität verschiedener kognitiver Prozesse mit der bottleneck- Metapher dar, bei der der Flaschenhals für den kritischen Punkt im Schreibprozess steht, an dem durch Störungen eines Teilprozesses der gesamte Prozess zum Erliegen kommt (vgl. ebd. 96). 47 Dadurch wird deutlich, wie störungsanfällig der Schreibprozess ist. Die Arbeit mit Schreibportfolios ist so angelegt, dass dieser komplexe Prozess entzerrt wird, einzelne Schritte schriftlich fixiert werden und nach jeder Phase Rückmeldungen von Mitlernenden und Lehrenden möglich oder gar vorgesehen sind. Allerdings bedeutet diese Sequenzierung des Schreibprozesses in Portfolios nicht, dass der Schreibprozess insgesamt sequentiell ist. Er hat sequentielle Elemente, ist aber darüber hinaus hochgradig iterativ und rekursiv (vgl. 47 Für eine kritische Diskussion vgl. Molitor-Lübbert (1996: 1008-1110). <?page no="104"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 104 Börner 1989: 353; Dahmen 2007: 8; Mohr 2010: 993). Diese Iterativität und Rekursivität entstehen unter anderem durch die kognitive Steuerung, die die Überprüfung des Erreichten und die Anpassung des Handelns beinhalten. „[W]ie jede Tätigkeit wird auch das Schreiben durch Soll-Ist-Vergleiche, Bedürfnis- und Zielangleichung und strategische Veränderungen im Handlungsverlauf vielfach latent unterbrochen“ (vgl. Bräuer 2000b: 11). Darüber hinaus ist der Schreibprozess nicht bei allen Schreibenden und bei jedem Schreibanlass identisch (vgl. Bräuer 2009b: 65f.; Ortner 2000: 360-565). Insbesondere seit den 1980er Jahren wurden zahlreiche Modelle entwickelt, die den Schreibprozess abbilden. Die Herausforderung, die hierbei gegeben ist, besteht darin, die Komplexität des Schreibprozesses und die verschiedenen möglichen Herangehensweisen abzubilden, ohne beliebig zu werden. Es ist also vorab zu berücksichtigen, dass es kein Universalmodell geben kann, weil mentale Prozesse nur schwer zu definieren sind und kaum losgelöst von sozialen Kontexten betrachtet werden können. Darüber hinaus spiegeln verschiedene Modelle unterschiedliche Blickwinkel auf das Schreiben wider (vgl. Donohue/ Lillis 2014: 55-79; Molitor-Lübbert 1996: 1024). Das prominenteste Schreibprozessmodell für das Schreiben in der Erstsprache stammt von Hayes und Flower (1980: 11; Abb. 4-3): Abb. 4-3: Schreibprozessmodell nach Hayes und Flower (1980: 11) TEXT ENVIRONMENT T HE W RITER ’ S L ONG T ERM M EMORY Knowledge of Topic Knowledge of Audience Stored Writing Plans W RITING A SSIGNMENT Topic Audience Motivating Cues T EXT PRODUCED SO FAR P LANNING M ONITOR GENERATING O RGANIZING G OAL S ETTING R EVIEWING T RANSLATING R EADING E DITING <?page no="105"?> 4.3 Der Schreibprozess bei der Portfolioarbeit 105 Es ist ein Problemlösemodell, das Ziele, Probleme und Abläufe darstellt und mit dem sog. Monitor über eine Kontroll- und Steuerungsinstanz verfügt (vgl. Molitor-Lübbert 1996: 1006). Die Prozesse beinhalten in den Hauptschritten das Planen (planning), das Verschriftlichen (translating) und die Überarbeitung (reviewing) (vgl. (Hayes/ Flower 1980: 11-20). Die Planung ist wiederum in die Teilprozesse des Generierens, des Strukturierens und der Zielsetzung unterteilt. Bei der Überarbeitung wird editing gesondert aufgeführt, wobei sich letzteres auf die Bearbeitung der Textoberfläche bezieht und als Redigieren zu verstehen ist. 48 Die Prozesse folgen keiner strikten Abfolge und können sich wiederholen (vgl. ebd.). Dieses Modell blieb nicht ohne Kritik, die sich insbesondere darauf bezog, dass damit ausschließlich das Verhalten von Schreibexpert/ innen abgebildet wird und Schreiben auf kognitive Prozesse reduziert wird (vgl. Molitor-Lübbert 1996: 1008). 49 Infolgedessen nahm Hayes verschiedene Überarbeitungen vor, die in weitere Modelle (Hayes 1996, 2012) mündeten. 50 Vor allem die Bedeutung der Motivation, die im ursprünglichen Modell vernachlässigt wurde, fand in den Folgemodellen Beachtung. Für die Veranschaulichung des Schreibprozesses im Kontext der Arbeit mit Schreibportfolios ist das ursprüngliche Modell mit dem Dreischritt von Planung, Verschriftlichung und Überarbeitung allerdings hilfreich, da diese drei Schritte auch den Lernenden gut verdeutlicht werden können und nach jedem Schritt eine Feedbackphase stattfinden kann. So kann der Portfolioprozess strukturiert werden. Modelle, die deutlich mehr Schritte aufzeigen oder die eher mentale Prozesse darstellen, sind für das weitere Verständnis zwar notwendig, für die direkte Umsetzung der Portfolioarbeit im Unterricht allerdings nicht gleichermaßen gut geeignet. Außerdem gilt das Modell von Hayes und Flower (1980) hinsichtlich dieser Aufteilung des Schreibprozesses sowohl für die Erstals auch für die 48 Während einzelne Autor/ innen dafür plädieren, diese Arbeitsschritte aus zeitökonomischen Gründen zusammenzufassen (vgl. z. B. Schreiter 2002), ist insgesamt doch die Forderung verbreiteter, die kognitiven Anforderungen durch die Entzerrung des Schreibprozesses zu reduzieren (vgl. z. B. Kellogg 1999). 49 Für eine kritische Diskussion vgl. Molitor-Lübbert (1996: 1006-1008). 50 Die ersten Überarbeitungen bezogen sich vor allem auf die Rolle des Arbeitsgedächtnisses, auf die physische Umgebung des Schreibens, die kognitiven Prozesse und die Bedeutung affektiver Aspekte, besonders der Motivation, beim Schreiben. Für eine Diskussion der Änderungen im Modell von 1996 vgl. Molitor-Lübbert (1996: 1006). In der Version von 2012 wurde im Verschriftlichungsprozess zusätzlich der motorische Aspekt des Aufschreibens berücksichtigt. Die Planung und die Überarbeitung werden in diesem Modell nicht mehr genannt. Dafür erfährt die Motivation eine erneute Aufwertung. <?page no="106"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 106 Fremdsprache. Die Vorstellung eines Monitors, der als kognitive Instanz den Schreibprozess überwacht und steuert, ist zudem mit den kognitivistischen Auffassungen von Portfolioarbeit zu verbinden, die die Bedeutung der Bewusstmachung hervorheben (vgl. Kap. 2.2.3, Kap. 4.4.2). 51 In der praktischen Umsetzung der Portfolioarbeit wird deutlich, inwiefern ein Bezug zu diesem Schreibprozessmodell besteht, denn die Materialien, die als mögliche Inhalte eines Schreibportfolios vorgeschlagen werden und die den Schreibprozess dokumentieren (vgl. Ludwig 1997: 146-150), sind im Modell gut zu verorten: Die Darstellung von Materialien zur Analyse der Aufgabenstellung (vgl. ebd.) fällt in die Planungsphase und bezieht sich auf das, was Hayes und Flower task environment nennen. Ebenfalls zur Planungsphase zählen Überlegungen zum Ziel des Textes und zur intendierten Wirkung sowie alle Arten von vorbereitenden Materialien. Die im gesamten Schreibprozess entstehenden Nachweise über die Organisation und Steuerung des eigenen Schreibprozesses (z. B. to do-Listen) sind mit dem Monitor aus dem Modell assoziiert. Aus der Verschriftlichungsphase entstehen erste Textentwürfe und aus der Überarbeitungsphase verschiedene Versionen und Spuren der Veränderungen, so dass der individuelle Arbeitsprozess sichtbar wird und die Entstehung eines Textes nachgezeichnet werden kann. Auf der affektiven Ebene ist das Ziel, durch die Betonung der Stärken und durch die klare Orientierung an Zielen die Motivation zu fördern. Während dieses Modell von Hayes und Flower (1980) den erstsprachlichen Schreibprozess beschreibt, dabei aber auch auf das Schreiben in der Fremdsprache anwendbar ist, liegen für das fremdsprachliche Schreiben 52 spezifische Schreibprozessmodelle vor. Im Kontext der Arbeit mit Schreibportfolios sind die Überlegungen von Krings (1989) von Interesse, der der Frage nachgeht, wie fremdsprachliche Schreibprozesse mental organisiert sind (vgl. ebd. 378). Aus seiner Studie mit Laut-Denk-Protokollen leitet er ein Analyseraster von 14 Kategorien zur Identifizierung von Subprozessen innerhalb des gesamten Textproduktionsprozesses (ebd. 396) ab, bei denen es sich um folgende Schritte handelt (vgl. ebd. 397): 51 Ähnliche Aspekte der kognitiven Steuerung werden auch im weniger verbreiteten Orchestermodell von Baer et al. (Baer et al. 1995: 174-191) aufgegriffen. Die Autor/ innen verweisen auf ein kognitives Steuerungselement („Exekutive“), das dem Monitor von Hayes und Flower ähnlich ist. Wie bei de Beaugrande (1984) wird auch beim Orchestermodell deutlich, wie viele Teilprozesse parallel ablaufen und koordiniert werden müssen. 52 Für einen ausführlichen Überblick über den Forschungsstand zum Schreiben in der Fremdsprache vgl. z. B. Börner/ Vogel (1996); Keller (2013); Krings (1992); Reichelt (2001). <?page no="107"?> 4.3 Der Schreibprozess bei der Portfolioarbeit 107 1. Planungsprobleme identifizieren, 2. Globalpläne generieren, 3. Feinpläne generieren, 4. Feinpläne realisieren in L1, 5. Feinpläne realisieren in L2, 6. Pläne organisieren, 7. Pläne evaluieren, 8. über Pläne entscheiden, 9. die Planausführung überwachen, 10. Pläne revidieren, 11. L2-Probleme identifizieren, 12. L2-Problemlösungsstrategien aktivieren, 13. Problemlösung evaluieren, 14. über L2-Problemlösung entscheiden. Auch wenn diese Aufteilung u.a. wegen der mangelnden Klarheit kritisiert wird (vgl. O'Brien 2004: 3), 53 so lassen sich daraus doch wichtige Hinweise auf einzelne Arbeitsschritte ziehen, die sich wiederum mehr oder weniger direkt in Schreibportfolios zeigen. In der Planungs- und in der Verschriftlichungsphase finden sich vor allem Nachweise von Problemlöseprozessen, bei denen ein Problem identifiziert und bearbeitet wird, bevor abschließend eine Evaluation stattfindet. Darüber hinaus können im Portfolio sowohl Globalpläne als auch Feinpläne enthalten sein. Für die Überarbeitungsphase, der im Portfolio eine besondere Bedeutung zukommt, werden in diesem Modell allerdings keine expliziten Schritte angegeben. In Anknüpfung an Krings‘ Modell, in dem zwischen Feinplänen in der L1 und in der L2 unterschieden wird, stellt sich die Frage, welche Arbeitsschritte in der Erst- und welche in der Fremdsprache umgesetzt werden. Mit dieser Frage hat sich vor allem Börner auseinandergesetzt, der das Modell von Hayes und Flower (1980) um die Aspekte der Fremdsprache und der Interimssprache der Lernenden (L int ) ergänzt (vgl. Börner 1989: 355, vgl. Abb. 4-4). 53 Zur kritischen Diskussion des Modells vgl. ebd. <?page no="108"?> Abb. 4-4: Schreibprozessmodell nach Börner (1989: 355) A USGANGSTEXTE (L2) Thema Ausdruck Textschema A UFGABENSTELLUNG Schreibziele Leser Z IELTEXT (L int ) K ORREKTURTEXT DES L EHRERS (L 2 ) Langzeitgedächtnis (L1/ Lint) Themat. Wissen Vorstellung vom Leser Gespeicherte Textschemata P LANEN (L 1 / L int ) Gliedern Schreibziele setzen F ORMULIEREN (L int ) Ausdruck Grammatik Synthese Graphie Ü BERARBEITEN Lesen Korrigieren MONITOR (L 1 / L int ) Planungsstrategien Ausdrucksmittel Prüfstrategien SCHREIBHILFEN I n h a l t b e r e i t s t e l l e n e n t w i c k e l n Lehrziele und Methoden des fremdsprachlichen Schreibens Lehrziele und Methoden des fremdsprachlichen Schreibens 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 108 <?page no="109"?> 4.3 Der Schreibprozess bei der Portfolioarbeit 109 In Börners Modell wird deutlich, dass sowohl im Langzeitgedächtnis als auch bei Planungs- und Überarbeitungsprozessen die Erstsprache und die zielsprachlichen Umsetzungen der Lernenden eine Rolle spielen. 54 Allerdings ist auch die Verwendung der L1 und der L2 nicht bei allen Schreibenden gleich. Wolff (2002) geht im Zusammenhang mit seinem Produktionsmodell davon aus, dass Anfänger/ innen stärker auf einen L1-spezifischen Verarbeitungsraum zurückgreifen, während fortgeschrittene Lernende alle Schritte des Schreibprozesses in der L2 durchführen (vgl. ebd. 335). 55 Für Schreibportfolios, die im Fremdsprachenunterricht entstehen, müsste das heißen, dass vor allem bei Lernenden mit einem geringeren Sprachniveau im Portfolio erstsprachliche Spuren der Textentstehung enthalten sein können, sowohl im bei der Bewältigung von Schreibaufgaben als auch bei der Reflexion. Während im privaten Teil des Portfolios jederzeit auf die L1 zurückgegriffen werden kann, bedarf es im halböffentlichen und öffentlichen Raum (vgl. Bräuer 2008b: 99, vgl. Kap. 3.2.2.1) deutlicher Absprachen zwischen Lehrenden und Lernenden, insbesondere für Artefakte, die bei der Leistungsbeurteilung berücksichtigt werden. Für den Rückgriff auf die L1 spricht, dass substanzielle Reflexionen in einer L2 eine große Herausforderung darstellen (vgl. Bräuer 2009a: 151). Eine verstärkte Verwendung der Zielsprache bietet hingegen Anlässe zum freien Schreiben, was sich vorteilhaft auf die sprachliche Entwicklung auswirken kann (vgl. Kap. 3.5). Lösungen sind nur in den jeweiligen Situationen und unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren zu finden. Zu beachten sind beispielsweise der Sprachstand der Lernenden, ihre Vertrautheit mit dem freien Schreiben in der L2, ihre persönlichen Präferenzen und die Kenntnisse der Lehrenden der Erstsprache(n) der Lernenden, wobei der Einbezug der L1 keinesfalls nur dann möglich sein sollte, wenn die Lehrenden diese Sprache beherrschen. Beherrschen sie die Sprache nicht oder nicht ausreichend, ist zwar eine Beurteilung nicht möglich, aber im Sinne der Authentizität muss die Möglichkeit bestehen, Dokumente in den Sprachen in das Portfolio aufzunehmen, in der sie erstellt wurden. 4.3.2 Die Berücksichtigung der Textrezeption Neben den dargestellten Schreibprozessmodellen ist ein weiteres Modell von Interesse, das das erstsprachliche Schreiben modelliert (vgl. Becker- Mrotzek/ Böttcher 2006: 27, Abb. 4-5), aber durch seine allgemeine Ausrichtung auf das Schreiben in der L2 übertragbar ist. 54 Für eine kritische Diskussion des Modells vgl. O'Brien (2004: 3). 55 Zu Wolffs zweitsprachlichem Produktionsmodell vgl. Wolff (2002: 336). <?page no="110"?> Abb. 4-5: Schreibprozessmodell nach Becker-Mrotzek/ Böttcher (2006: 27) Schreiber H ANDLUNGSSCHRITTE Einschätzen der Situation Motivation Zielsetzung Plan/ Planbildung Ausführen Entwurf M ATERIELLE B EDINGUNGEN Schreibwerkzeug Recherchebedingungen Textentwurf R EZEPTIONS - BEDINGUNG T EXT R EZEPTION K OGNITIVE V ORAUSSETZUNGEN Sachverhaltswissen Sprachliches Wissen Soziale Kognition Allgemeine Motivation Einstellung zum Schreiben … Wissen Erwartungen/ Interessen Befugnisse Schriftliche Kommunikations-Situation (=zerdehnte Sprechhandlung) 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 110 <?page no="111"?> 4.3 Der Schreibprozess bei der Portfolioarbeit 111 Dieses Modell ist deshalb für das Verständnis von Portfolioarbeit hilfreich, weil der Rezeptionsprozess und die Rolle des Lesers/ der Leserin berücksichtigt werden. 56 57 Textproduktion und -rezeption werden in Anlehnung an Ehlich (1994: 19) als „zerdehnt[e]“ Kommunikationssituation verstanden, bei der Rezipient/ innen nicht unmittelbar reagieren können und Schreibende Vorwissen, Erwartungen, Interessen und Rezeptionsbedingungen antizipieren müssen. Diese Antizipation ist eine große Herausforderung für Schreibende und gleichzeitig ein Schwerpunkt der Arbeit mit Schreibportfolios: Durch peer feedback und regelmäßige Rückmeldungen auf Ideen und Textentwürfe stellt der Übergang von der Textproduktion zur -rezeption nicht nur einen einmaligen Schritt dar, sondern die Grenzen werden bereits im Schreibprozess immer wieder überschritten. So haben die Lernenden die Möglichkeit, Einblick in Teile des Rezeptionsprozesses zu erhalten und lernen, die Leser/ innenreaktionen besser zu antizipieren (vgl. Bräuer/ Schindler 2011: 16). Eine Frage, die im Kontext der Rollenverteilung von Lehrenden und Lernenden (vgl. Kap. 2.3.2) bereits angesprochen wurde, wird hier wieder aufgegriffen: Die Rezeption des Textes und damit auch die Produktion wird davon beeinflusst, mit welchen Befugnissen Leser/ innen an den Text herantreten (vgl. hierzu Reich/ Roth 2000: 70f). Hieran wird erneut deutlich, wie wichtig es ist, die jeweilige Rolle der Lehrenden zu klären: Wird der Text von interessierten Leser/ innen oder zur Beurteilung gelesen? 4.3.3 Die Rolle des Schreibprozesses beim Schreiben in der L2 Die verschiedenen Schreibprozessmodelle verdeutlichen Abläufe und Einflüsse auf den Schreibprozess. Die Bewusstmachung der Prozesse ist deshalb bedeutsam, weil im Prozess ein wesentlicher Unterschied zwischen guten und weniger guten Schreiber/ innen liegt: 56 Für eine Diskussion des Schreibmodells von Becker-Mrotzek und Böttcher (2006) vgl. z. B. Schmidt (2011: 15f.). 57 Die Beschreibung des Schreibprozesses weist bei Becker-Mrotzek und Böttcher (2006) Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zum Modell von Hayes und Flower (1980) auf. Dem Aufbau von Motivation ist ein eigener Teilschritt gewidmet, der auf die Einschätzung der Situation folgt und der Entwicklung einer Zielsetzung vorausgeht. Erst dann sind die Planung, die Ausführung und der Abgleich des Textentwurfs mit der Zielsetzung angedacht, was wiederum die Überarbeitung einleitet (vgl. auch Becker-Mrotzek 2007: 27). Die Textproduktion wird durch die materiellen Bedingungen und die kognitiven Voraussetzungen der Schreibenden beeinflusst, wobei auch das Wissen um die Rezeption und um die Rezeptionsbedingungen das Schreiben beeinflusst (vgl. ebd.). <?page no="112"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 112 Skilled writers normally […] plan more, reassess and revise their plans while writing, reread their texts as the write, are concerned with revising meaning before form and are generally able to do this recursively, i.e. any of these activities can be embedded within any other (Frankenberg-Garcia 1990: 91). Diese Darstellung soll allerdings nicht den Eindruck erwecken, dass eine erfolgreiche Gestaltung des Schreibprozesses alleine ausschlaggebend für den Schreiberfolg ist. Auch Faktoren wie beispielsweise das Arbeitsgedächtnis, die kognitiven Kapazitäten, sprachliches, diskursives und thematisches Wissen, Textsortenwissen, Zielsetzungen, Sprachfertigkeit und die Schreibmotivation beeinflussen das Schreiben (vgl. Antos 1989: 6; Bräuer 2009b: 58). 58 Darüber hinaus sind die persönlichen Überzeugungen der Schreibenden bezüglich des Schreibens und ihrer eigenen Schreibkompetenz ebenso wie kulturelle Prägungen von Texten und gewohnten Arbeitsweisen ihr Handeln von Belang (vgl. Barkaoui 2007: 86; Ezhova-Heer 2011: 128f.; Hornung 1997; Hyland 2003: 36-51). Es ist außerdem nicht zu vernachlässigen, dass Schreiben sozial eingebettet ist und eine kommunikative Absicht erfüllt. Durch diese zahlreichen Einflussfaktoren ist festzuhalten, dass Schreibprozesse nicht universal verlaufen (vgl. Gnach/ Powell 2014; Jechle 1992: 14; Kruse 2003: 97). Daher sind Schreibprozessmodelle keinesfalls als Produktionsregel zu verstehen, sondern dienen lediglich der Veranschaulichung eines gemeinsamen Kerns von sonst individuell verlaufenden Prozessen (vgl. Badger/ White 2000: 154; zur post-process theory vgl. Kap. 4.3.4). Trotz der zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen L1- und L2-Schreibprozessen fallen auch Unterschiede auf, wobei diese nicht nur zwischen dem Schreiben in der L1 und in der L2 verlaufen, sondern darüber hinaus zwischen geübten und ungeübten Schreiber/ innen in der jeweiligen Sprache unterschieden werden muss. Erfolgreiche L1-Schreibende können in ihrem Schreibprozess größere Gemeinsamkeiten mit erfolgreichen L2- Schreibenden aufweisen als mit ungeübten L1-Schreibenden (vgl. Hyland 2003: 36). Zu den Einflüssen, die auf den Schreibprozess in der Fremdsprache wirken, zählen beispielsweise die in der L1 verfügbaren Schreibstrategien. Geübte L1-Schreiber/ innen können in der L2 ebenfalls erfolgreich sein, sie sind 58 Krashen (1984/ 1991: 20-23) geht in seiner reading hypothesis außerdem davon aus, dass Lernende, die viel lesen, erfolgreichere Schreiber/ innen sind. Börner zweifelt diese Hypothese an und vermutet, dass Erfolg „weniger am Umfang von Lesetätigkeit und Textbreite [hängt], sondern eher an der Qualität des Lesens, an der Bereitschaft, neben dem Inhalt auch die sprachliche Form zu verarbeiten“ (Börner 1989: 373). <?page no="113"?> 4.3 Der Schreibprozess bei der Portfolioarbeit 113 es aber nicht zwangsläufig, weil Schreibstrategien aus der L1 beim Schreiben in der L2 genutzt werden können, aber nicht müssen (vgl. Hyland 2003: 36; Mohr 2010: 993). Die Übertragbarkeit bedeutet aber ebenso, dass auch schlechte Strategien und Schreibprobleme aus der L1 in die L2 übertragen werden können, wie Ezhova-Heer (2011) in ihrer Studie mit russischsprachigen Schüler/ innen in Deutschland belegt (vgl. ebd. 130f.). Ein zentraler Unterschied zwischen dem Schreiben in der L1 und in der L2 besteht darin, dass sowohl der Schreibprozess in der Fremdsprache als auch die Einhaltung zielsprachlicher und zielkultureller Normen aufwendiger sind als in der Erstsprache (vgl. Ehlich 2011: 22; Silva 1992: 28), was auch Auswirkungen auf in der L2 verfasste Texte hat. 59 L2-Schreiber/ innen haben häufig mehr Schwierigkeiten, sich Ziele zu setzen. Insbesondere in den Überarbeitungsprozessen sind Unterschiede erkennbar: L2-Schreibende tendieren dazu, Texte intensiver zu überarbeiten, dabei aber vor allem die sprachliche Ebene zu berücksichtigen und ihr Handeln weniger zu reflektieren (vgl. Hyland 2003: 36). Erneut ist auf die Unterscheidung zwischen geübten und ungeübten Schreibenden zu verweisen: Besonders die weniger erfolgreichen L2-Schreibenden konzentrieren sich häufig auf Wortwahl sowie auf Grammatik, während sich erfolgreichere zweitsprachliche Schreibende dadurch auszeichnen, dass der Aussage eines Textes mehr Bedeutung beigemessen wird als dem Ausdruck (vgl. Barkaoui 2007: 83; Hyland 2003: 36; Thorson 2000: 156). 60 Barkaoui stellt weiter dar, dass bei Überarbeitungen in der L2 ähnliche Strategien genutzt werden wie in der L1, dass geübte Schreiber/ innen darüber hinaus L2-spezifische Strategien einsetzen (vgl. Barkaoui 2007: 83). Darüber hinaus hält er fest, dass geübte L2-Schreibende bei den Überarbeitungen die Adressat/ innen antizipieren können, ihre Texte substanziell, auf verschiedenen Ebenen überarbeiten, 59 Silva (1992: 28) fasst die Ergebnisse seiner Metaanalye von 72 Studien bezüglich der Unterschiede zwischen Texten in der L1 und in der L2 zusammen: “These texts tend to be shorter and less developed and to receive lower quality ratings. Their paragraphs are less unified. Working in the L2, ESL [English as a Second Language, SB] writers seem to have fewer cohesive resources and less control over those they possess. They use less figurative language. Their smaller L2 vocabularies result in less ability to recognize words' subtle nuances. Also, they make more errors overall. Finally, correlations between Ll and ESL writing ability were significant but moderate.” Auch bei dieser Darstellung ist zu bedenken, dass sich Merkmale nur schwer verallgemeinern lassen: Vergleicht man die Texte geübter L2-Schreibender mit denen ungeübter L1-Schreibender, ist Silvas Darstellung vermutlich nur begrenzt gültig. 60 Auch eine Studie von Schoonen und Glopper (1996) mit 1.252 Texten von Schüler/ innen zeigte dies (vgl. ebd. 91-99). <?page no="114"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 114 sich mehr Zeit dafür nehmen und sich dabei an ihrem übergeordneten Schreibziel orientieren (vgl ebd. 84f.). Betrachtet man diese Erkenntnisse, sollten Textüberarbeitungen und das Erlernen von Überarbeitungstechniken im Fremdsprachenunterricht einen hohen Stellenwert einnehmen. Allerdings zeigt eine Studie von Porsch für den Englischunterricht mit 1125 Schüler/ innen und 121 Lehrer/ innen, dass 44,1 % der Lehrenden nach eigenen Angaben Texte nie überarbeiten lassen und sogar 82,9 % der Schüler/ innen keine Überarbeitungen vornehmen (vgl. Porsch 2010: 57f.). Durch die Arbeit mit Schreibportfolios sollen vor allem Überarbeitungsschritte aufgewertet werden. Aber auch die anderen Phasen des Schreibprozesses werden sichtbar, so dass Lehrende Einblick in die Arbeitsweise erhalten und bessere Unterstützung anbieten können. 61 Bräuer und Schindler (2011) führen aus, wie vor allem für die Lernenden selbst durch die Abbildung des Schreibprozesses im Portfolio die Bewusstmachung und Steuerung des eigenen Schreibens möglich wird: Im Verbund von Schreib- oder Lesetagebuch, Arbeitsjournal und Portfolio […] können nicht nur die verschiedenen Phasen der aktuell ablaufenden Textproduktion begleitet und gesteuert werden, sondern es kommt, längerfristig betrachtet, zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des Schreibhandelns, indem die eingesetzten Schreibstrategien bzw. Arbeitsmethoden und -techniken bewusst gemacht werden. […] Durch das reflektierende Aufarbeiten des erhaltenen Fremdfeedbacks konkretisiert sich das eigene Verstehen des Zusammenspiels von Schreiberintention, Text und Lesererwartung und damit entwickelt sich die Schreibfähigkeit insgesamt weiter (Bräuer/ Schindler 2011: 27). 4.4 Konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Zugänge Schon in Kapitel 2.2.3 wurde deutlich, dass Portfolioarbeit in kognitivistischen, konstruktivistischen und soziokulturell-interaktionistischen Überzeugungen verankert ist. Auch die aktuelle Schreibdidaktik zeichnet sich durch ihren Bezug zu diesen Ausrichtungen aus (vgl. Hufeisen 2002: 12; Milian Gubern 1996). Damit verbunden ist ein Verständnis von Schreiben als bewusstes Problemlösehandeln, das durch die Individualität der Schrei- 61 Dies gilt besonders dann, wenn Schreibschwierigkeiten vorliegen, die aus der Prozessdokumentation erkennbar sind, während sie bei der Analyse des Produkts nicht zu diagnostizieren wären (vgl. Rose 1983: 85). <?page no="115"?> 4.4 Konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Zugänge 115 ber/ innen geprägt ist und auf die Interaktion mit der Umwelt abzielt, wodurch wiederum das Individuum beeinflusst wird: Schreiben ist ein Erkenntnisprozeß, der durch äußere Einflüsse (Problem), die durch den Schreibenden […] verinnerlicht wurden, beim Individuum beginnt, auf die Lösung des mit der Außenwelt (Gesellschaft) verbundenen Problems abzielt und letztlich mit seiner Lösung (oder Nicht-Lösung) wieder zum Individuum zurückkehrt, dieses jedoch nunmehr in eine qualitative neue Beziehung zur Welt setzt (Bräuer 1996: 49). Vor diesem Hintergrund stelle ich im Folgenden die konkrete Arbeit mit Schreibportfolios vor, wobei ich diese drei Perspektiven berücksichtige. Zunächst zeige ich auf, was die post-process theory für den Einsatz von Schreibportfolios bedeuten könnte (Kap. 4.4.1). Es folgen Überlegungen zur Bewusstmachung und Steuerung des Schreibprozesses und zur Betrachtung des Schreibens aus kognitivistischer Perspektive (Kap. 4.4.2). Abschließend stelle ich den aktuellen Kenntnisstand zu Rückmeldungen durch Lehrende und zu peer feedback im Kontext der fremdsprachlichen Schreibförderung vor (Kap. 4.4.3). 4.4.1 Post-process theory konstruktivistische Sichtweisen auf das Schreiben Insgesamt liegt bei der Arbeit mit Schreibportfolios ein Verständnis des Schreibprozesses vor, nach dem dieser nicht auf das Verfassen einzelner Texte reduziert werden kann, sondern als sozial und kulturell eingebettet und in komplexe Lese-, Schreib-, Kommunikations- und Lernprozesse eingebunden zu verstehen ist (vgl. Fredericksen 2003: 2). Vertreter/ innen der post process theory kritisieren daher an der prozessorientierten Schreibdidaktik die Konzentration der Schreibförderung auf die Gestaltung des Schreibprozesses als einseitig (vgl. Badger/ White 2000: 154; Olson 1999: 8), sondern verstehen ihn vielmehr als „radically contingent, radically situational“ (Olson 1999: 9). Sie lehnen das Verständnis eines Schreibprozesses nicht ab, sondern nehmen einen anderen Blickwinkel ein, aus dem vor allem die Tendenz zur Universalität bemängelt wird. Die post-process- Theoretiker/ innen, die sich in der Methoden- und Theoriekritik der Postmoderne verorten, plädieren für den Verzicht auf Festlegungen hinsichtlich des Schreibprozesses und kritisieren das Festhalten an rigiden Methoden (vgl. Carstens 2008: 83f., 93; Reich/ Roth 2000: 68-70). Lehrende sollen vielmehr auf der Basis ihrer Erfahrungen und ihres Wissens einen individuellen Weg des Unterrichtens wählen, wobei sie nicht eklektisch auf bestehende Methoden zurückgreifen, sondern in Verbindung von theoretischem Wissen, prak- <?page no="116"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 116 tischen Erfahrungen und einem subjektiven Verständnis von Schreibförderung einen eigenen Weg beschreiten (vgl. ebd. 84). Ziel ist es, beim Schreiben „singuläre, individuelle und auch lustvolle Wege zu erlauben“ (vgl. Reich/ Roth 2000: 70). Methoden werden nach Carstens (2008) durch pädagogische Prinzipien ersetzt, die sie als Makrostrategien des Schreibunterrichts bezeichnet. Sie fordert die Schaffung vielfältiger Lernmöglichkeiten, die Gelegenheit zur Interaktion und zur Bedeutungsaushandlung, die Bereitstellung vielfältiger Materialien, 62 die Förderung von Sprachenbewusstheit, die Kontextualisierung und Verbindung sprachlicher Fertigkeiten sowie die Förderung von Lernendenautonomie (vgl. ebd. 86-92). Hierbei ist allerdings dringend zu diskutieren, inwiefern alle Lehrenden den vielfältigen Anforderungen, die mit diesem Verständnis einhergehen, gewachsen sind. Für die Unterrichtsgestaltung bedeutet dieses konstruktivistische, postprocess-Verständnis von Schreibförderung, dass vielfältige Materialien zur Verfügung gestellt werden, die Lernenden die Gelegenheit zur Eigentätigkeit erhalten und Lehrende sie als Expert/ innen bei der Erarbeitung unterstützen (vgl. Bräuer 2000b: 14; Hufeisen 2002: 152f.). 6364 Glaser und Brunstein (2008: 377) erläutern die Aufgaben der Lehrenden bei der Schreibförderung aus konstruktivistischer Sicht mit vier Prinzipien: 1. explizite Instruktion, 2. kognitives Modellieren durch die Bereitstellung von Beispielen, 3. reflektierte Praxis, 4. kooperatives Lernen. 62 Vgl. dazu auch Geist (2013: 202) und Hufeisen (2002: 153). 63 Für die Erarbeitung von fremden Textsorten schlägt Hufeisen ein dreistufiges Modell vor, das auf konstruktivistischen Prinzipien beruht (vgl. Hufeisen 2005: 149-155; Hufeisen 2000b: 241-245): Auf der intrasprachlichen Stufe machen sich Lernende zunächst die Merkmale einer vergleichbaren eigenkulturellen Textsorte bewusst, bevor sie auf der intersprachlichen Stufe Distanz zu erstsprachlichen Texten gewinnen, sich mit zielsprachlichen Texten auseinandersetzen und diese mit erstsprachlichen kontrastieren. Auf der transsprachlichen Stufe stehen schließlich die zielsprachlichen Konventionen im Vordergrund (vgl. ebd.). 64 Dass die Schaffung von Lernangeboten alleine nicht ausreichend ist, um Lernprozesse in Gang zu setzen, zeigt eine Studie von Nam/ Beckett (2011). Die Autor/ innen zeigen auf, dass ausländische Studierende in den USA in dieser Studie beim Erlernen des wissenschaftlichen Schreibens und bei der Anpassung an die fremde Wissenschaftskultur nicht in der Lage waren, auf die zur Verfügung gestellten Hilfestellungen (Schreibzentrum, Kursangebot) zurückzugreifen und einen Nutzen daraus zu ziehen (vgl. ebd. 14). <?page no="117"?> 4.4 Konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Zugänge 117 Mit dem Portfolio steht ein Instrument zur Verfügung, um verschiedene Vorgehensweisen aufzuzeigen und der Reflexion zugänglich zu machen. Durch die umfassende Dokumentation gewinnt die individuelle Identität der Lernenden mehr Raum (vgl. Ball/ Ellis 2008: 504-510), denn im Portfolio werden nicht nur individuelle Schreibprozesse sichtbar, sondern durch Lerntagebücher, Kommentare zu den Artefakten und die Auswahl der aufgenommenen Texte entsteht ein Portrait vom Portfolioinhaber/ von der Portfolioinhaberin. Diese Art des Arbeitens ist sehr persönlich und spiegelt verschiedene Affekte wider, die den Schreibprozess begleiten und beeinflussen (vgl. de Florio-Hansen 2005: 229; Kästner 1997: 65). Das betrifft nicht nur die Motivation beim Schreiben, sondern kann sich ebenso auf Gefühle wie Unsicherheiten, Ängste, Stolz und Zufriedenheit beziehen. In einer Studie im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht mit ausländischen Studierenden in Deutschland konnte ich zeigen, dass die Individualisierung der Schreibförderung durch Portfolioarbeit von Studierenden in diesem Unterricht positiv wahrgenommen wird. Durch die Auswahl persönlich interessanter und relevanter Themen entsteht in diesem Rahmen ein Gefühl der Bedeutsamkeit des Lernens sowie eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung (vgl. Kap. 2.2.3), denn die Lernenden gewinnen den Eindruck, ihren Schreibprozess selbst gestalten und ihre Lernprozesse besser steuern zu können (vgl. Ballweg im Druck). So können Schreibportfolios dazu genutzt werden, Raum für individuelle Bedürfnisse und Stärken zu schaffen und geeignete Hilfestellungen sowie Lernangebote bereitzustellen. Darüber hinaus kann auch bei der Leistungsfeststellung die individuelle Entwicklung als Bezugsgröße gewählt werden. Eine konstruktivistische Perspektive von Lernen und Verstehen hat auch Auswirkungen auf das Vorgehen bei der Leistungsfeststellung, denn aus dieser Sicht ist die Einschätzung der Lehrenden ebenso subjektiv wie die der Lernenden und kann nicht über ihr stehen (vgl. Kap. 3.3.1). Was de Beaugrande (1992) über verschriftlichte Gespräche schreibt, gilt gleichermaßen für geschriebene Texte von Lernenden: No sooner do we glance at a transcription of an utterance or two than we begin to enrich it with significance, relevance, mental imagery, emotions, and so on, putting ourselves in the speaker’s place or the speaker in ours. When we claim to be only analyzing its formal structure, its ‘syntax’ or ‘grammar’, these reintegrative enrichments are reassuringly there in the back of our minds to guide the analysis (de Beaugrande 1992: 15). Eine Art der Leistungsfeststellung, die diese damit verbundenen Anpassungen an die Lehrendenrolle vollständig berücksichtigt, ist in Bildungseinrichtungen kaum vorstellbar. Insbesondere in Hinblick auf die freie Themen- <?page no="118"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 118 wahl, die individuellen Erarbeitung und die veränderte Leistungsfeststellung stoßen Lehrende schnell an Grenzen der Umsetzbarkeit, so dass auch bei der Arbeit mit Schreibportfolios die in den Kapiteln 2.3.1 und 3.4.2 aufgezeigten Spannungsverhältnisse und Paradoxien stärker sichtbar werden. Es kann also festgehalten werden, dass Schreibportfolios dazu genutzt werden können, die Individualität und Situiertheit von Schreibprozessen stärker zu berücksichtigen, dass dieses Vorgehen aber immer wieder an Grenzen stoßen kann, vor allem an den Berührungspunkten zwischen einem portfoliogestützten Unterricht und einem traditionelleren Umfeld. 4.4.2 Bewusstmachung und Steuerung des Schreibens Auch bei der Bewusstmachung und Steuerung des eigenen Schreibens steht die Individualität der Lernenden im Vordergrund. Diese Schritte stellen nicht nur eine günstige Voraussetzung für die Entwicklung einer hohe Selbstwirksamkeitserwartung dar, sondern sind auch für die erfolgreiche Gestaltung des Schreibprozesses notwendig (vgl. Baurmann 1992: 121; Glaser/ Brunstein 2008: 371). Teilweise sind die Bewusstmachung und die Steuerung dem Schreibprozess inhärent, beispielsweise wenn Schreibende die Entscheidung treffen müssen, wann ihr Text fertig ist, und ihn dazu bereits bewerten (vgl. Baurmann 1992: 121). Teilweise handelt es sich dabei allerdings um Fertigkeiten, die erworben werden müssen und die völlig unterschiedliche Ebenen betreffen: Kompetente Schreiber beobachten und überwachen ihr eigenes Vorgehen in verschiedenen Phasen der Textproduktion und bewerten die erreichten Resultate nach zuvor gesetzten und fortlaufend verfeinerten Schreibzielen. Sie registrieren, zu welchen Tageszeiten und mit welchen Methoden sie am effektivsten arbeiten können, und gestalten ihre Lernumgebung, so dass sie ihren eigenen Bedürfnissen entspricht, aber auch den Erfordernissen der Schreibaufgabe gerecht wird (Glaser/ Brunstein 2008: 374). In der Überwachung und Steuerung des Schreibprozesses liegt nach Ansicht vieler Autor/ innen der Schlüssel zum erfolgreichen Schreiben. Schoonen und Glopper (1996: 99) halten fest: „Inducing declarative knowledge does not guarantee improvement of students’ writing products, but it seems to be a prerequisite to becoming a good writer.” Auch Geist kommt in einer Studie mit zehn Schüler/ innen im Englischunterricht der Sekundarstufe I zu dem Ergebnis, dass die Bewusstmachung notwendig ist, um einen Lerneffekt zu erzielen (vgl. Geist 2013: 202). <?page no="119"?> 4.4 Konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Zugänge 119 Portfolios dienen dabei als Instrument zur Sammlung und Verschriftlichung dieser Bewusstmachungen. Was Hufeisen (2002: 159) über Schreibtagebücher schreibt, gilt gleichermaßen für Portfolios: Schreibtagebücher helfen, Schreibblockaden dingfest zu machen, helfen, dass Lernende sich über bestimmte Schreibprobleme klarer werden, helfen ihnen, sich ihres Schreibtyps bewusst zu werden. Die im Portfolio gewonnenen Erkenntnisse über das Schreiben müssen dann wiederum in Handlungen überführt werden. Für die Steuerung des eigenen Schreibens sind Kenntnisse über Schreibstrategien notwendig, die sich auf verschiedene Ebenen beziehen, beispielsweise auf den Textaufbau, die Organisation des Schreibprozesses, auf Stil, Textsortenwissen oder auf die Defizitkompensation (vgl. Plag 1996: 239). Schreibstrategien können wie Lernstrategien kognitiver, metakognitiver, affektiver oder sozialer Natur sein und sind in der Regel textsortenabhängig (vgl. ebd. 251). Über den Einsatz von Schreibstrategien und ihre Vermittlung liegen unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Forschungsergebnisse vor. Während Plag (1996) in einer Studie mit Englischlernenden keine Verbindung von Strategieeinsatz und Textqualität nachweisen konnte (vgl. ebd. 251), belegt Sengupta (2000) in einer Untersuchung im Englischunterricht in Hong Kong, dass die Vermittlung von Überarbeitungsstrategien zu nachweisbaren Verbesserungen der Textprodukte führt (vgl. ebd. 97). Aziz (1995) zeigt, dass Französischstudierende in den USA, die in der Verwendung kognitiver Strategien geschult wurden, bei der Subjekt-Verb- Kongruenz besser abschneiden als die Studierenden aus der Kontrollgruppe. Die Studierenden, deren Schulung sowohl die Verwendung kognitiver als auch metakognitiver Strategien umfasst, zeigen in dieser Studie die beste Leistung (vgl. ebd. 173-178). Aziz geht davon aus, dass sich die Überwachung des eigenen Schreibprozesses als Element der Selbststeuerung nicht automatisch mit dem Alter entwickelt, sondern explizites Wissen über Strategien und das Einüben notwendig sind (vgl. ebd. 22) und nimmt an that cognitive strategies can help to organize language information, and that metacognitive knowledge can assist learners in regulating and controlling their cognitive tasks, which in turn can improve learning outcomes (ebd. 181). Diese unterschiedlichen Ergebnisse können dadurch bedingt sein, dass die Vermittlung von Strategien nur dann gewinnbringend ist, wenn die Schreibenden eine Aufgabe mit ihrem Strategienrepertoire nicht bewältigen können, was sich bei einzelnen Schreibenden unterschiedlich gestaltet. Bei diesem gegebenen Zusammenhang zwischen Strategien und Aufgaben bei Be- <?page no="120"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 120 rücksichtigung der Individualität der Schreibenden ist es leicht erklärlich, dass die Ergebnisse unterschiedlicher Studien stark divergieren können und vielleicht sogar bei einer wiederholten Untersuchung in derselben Gruppe eine geringe Reliabiltät erkennbar wäre. Eine Studie von Wong (2005) mit Englischlernenden in Hong Kong weist in diese Richtung, denn er kommt zu dem Ergebnis, dass die Studierenden in seinem Untersuchungskontext prinzipiell über ähnliche kognitive und metakognitive Strategien verfügen, aber unterschiedlich damit umgehen (vgl. ebd. 44). Im Zuge einer differenzierteren Betrachtung ist neben den Einsatzmöglichkeiten von Strategien auch der Zeitpunkt des Strategieeinsatzes zu thematisieren (vgl. Beaufort/ Iñesta 2014: 145). Ebenfalls wenig Einigkeit besteht hinsichtlich der Frage nach der L2- Spezifik von Schreibstrategien. So arbeitet beispielsweise Díaz Palacios in einer Untersuchung mit 31 Englischlernenden im Alter von 16-18 Jahren sowohl universelle als auch L2-spezifische Schreibstrategien heraus. Als verbreitete Strategien identifiziert sie beispielsweise in der Planungsphase die Verwendung von Wörterbüchern, Brainstorming und das Erstellen eines Schreibplans, bei der Verschriftlichung das Übersetzen aus der Erstsprache (vgl. Díaz Palacios 2004: 169f.). Die Wörterbuchverwendung und das Übersetzen aus der Erstsprache sind als L2-spezifisch festzuhalten. Sie stellt darüber hinaus einen genderspezifischen Einsatz von Strategien fest: Mädchen wenden in der Planungs-, Überarbeitungs- und Feedbackphase mehr Strategien an als Jungen (vgl. ebd. 170). Demgegenüber erkennen Plag (1996) und Petric/ Czárl (2003) in ihren Studien mit Studierenden beim Schreiben keinen für die L2 typischen Einsatz von Schreibstrategien. Vielmehr stellt Plag fest, dass die Unterschiede zwischen dem Strategieeinsatz in der L1 und in der L2 rein quantitativer Natur sind (vgl. Plag 1996: 251). Hier stellt sich allerdings auch die Frage nach dem Sprachstand, denn auf einen Rückgriff auf die L1 oder auch auf das Nachschlagen im Wörterbuch wird sicher nicht in jedem Fall verzichtet. Da sie keinen Unterschied nachweisen können, gehen Petric und Czárl (2003) davon aus, dass Schreibstrategien aus der L1 übertragen werden und Probleme beim fremdsprachlichen Schreiben meist durch einen Mangel an L1-Strategien verursacht werden (vgl. ebd. 189). Sie stellen dafür die kulturelle Bedingtheit von Strategien heraus und zeigen, dass bestimmte Strategien in manchen Kulturkreisen als unpassend oder seltsam empfunden werden (vgl. ebd. 198). 65 65 Die ungarischen Studierenden in dieser Studie lehnten beispielsweise das peer feedback kategorisch ab (vgl. ebd.), was allerdings auch aus vielen anderen Län- <?page no="121"?> 4.4 Konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Zugänge 121 Bei diesen widersprüchlichen Ergebnissen liegt die Vermutung nahe, dass jeweils unterschiedliche Rahmenbedingungen galten. Darüber hinaus stellt sich bei der Einordung der Ergebnisse die Frage, woran der Erfolg eines Strategientrainings gemessen wird. Während die Subjekt-Verb- Kongruenz wie bei Aziz (1995) vergleichsweise einfach zu vermitteln und zu erfassen ist, stellen sich beispielsweise bei der Kohärenz eines Textes oder gar beim Einsatz von Planungsstrategien sowohl die Vermittlung als auch die Messung deutlich aufwendiger dar. Gerade diese Unterschiede machen eine individualisierte, binnendifferenzierte Schreibförderung notwendig. Wenn verschiedene Materialien bereitgestellt und Anlässe zum Einsatz komplexer Strategien geschaffen werden (vgl. Kap. 3.2.1.1), können sich Lernende auf die für sie angemessene Art und Weise weiterentwickeln. Das Portfolio dient dazu, das eigene Vorgehen zu dokumentieren, zu reflektieren und darauf aufbauend geeignete Strategien zu finden, ob alt oder neu, ob aus der L1 oder aus der L2. Gleichzeitig bietet das Portfolio Lehrenden die Möglichkeit, gezielt Vorgehensweisen vorzuschlagen. Durch den Einblick in die Portfolios der Mitlernenden besteht für die Lernenden die Gelegenheit, alternative Arbeitsweisen kennenzulernen und so ggf. das eigene Handlungsspektrum zu erweitern. 4.4.3 Rückmeldung & peer feedback Es wurde bereits deutlich, dass sich Portfolioarbeit nicht nur durch das Sammeln von Texten auszeichnet, sondern dass neben der Reflexion und Steuerung des eigenen Handelns auch der Austausch mit anderen ein wesentliches Merkmal darstellt. In diesem Bereich ist Portfolioarbeit ebenfalls gut mit der Schreibförderung zu kombinieren, denn Schreiben als kommunikativer Akt ist auf den Austausch zwischen Schreibenden und Lesenden ausgerichtet. The consideration of written language as communicative tool implies that every text has an audience. From this point of view, the idea of negotiation between writer and reader is introduced into the composition process (Milian Gubern 1996: 273). Erhalten Schreibende schon im Schreibprozess Rückmeldungen von potenziellen Adressat/ innen, haben sie die Möglichkeit, kurzfristig ihre aktuelle Textproduktion zu optimieren und langfristig ihre Schreibkompetenz zu verbessern. Rückmeldungen sind aus systemischer Sicht sogar nötig, um zu dern berichtet wird (vgl. Kap. 4.4.3.2), was vielleicht eher mit Lernkulturen als mit Nationalkulturen zusammenhängt. <?page no="122"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 122 verstehen, wie die eigene Äußerung wirkt und so die Fähigkeit zum adressat/ innenorientierten Schreiben zu entwickeln (vgl. Schulz 2013: 5). Porto geht in einer Metaanalyse verschiedener Studien davon aus, dass das häufige Üben fremdsprachlichen Schreibens beim Ausbleiben von Rückmeldungen nur zu begrenzten Verbesserungen der Schreibfertigkeit führt (vgl. Porto 2001: 40). Darüber hinaus soll der Austausch mit Lehrenden helfen, die Gestaltung des Schreibprozesses zu reflektieren und ggf. zu optimieren. Durch die Integration von Feedbackphasen in den Schreibprozess wird der Problematik entgegengewirkt, dass Rückmeldungen als eine der wichtigsten Hilfestellungen im Schreibprozess in der Regel erst nach dessen Abschluss angeboten werden (vgl. Börner 1989: 371). Allerdings ist in diesem Kontext kritisch zu diskutieren, ob Rückmeldungen verpflichtend festgelegt werden sollten oder ob Lernende als Teil ihres autonomen Handelns selbst entscheiden sollten, wann sie sich diese einholen. Cresswell (2000) weist nach, dass studentische Fremdsprachenlernende nach einer Trainingsphase zum Umgang mit Rückmeldungen gut in der Lage sind, diese an relevanten Punkten ihres Schreibprozesses einzufordern und den Austausch zum Teil der Schreibkultur zu machen (vgl. ebd.). Ohne Schulung scheinen Studierende aber nicht oder kaum auf Hilfsangebote zurückgreifen zu können (vgl. Nam/ Beckett 2011). 4.4.3.1 Textrückmeldungen durch Lehrenden Im universitären Fremdsprachenunterricht werden insbesondere zwei Formen von Rückmeldungen bei der Portfolioarbeit genutzt, die häufig von den Lehrenden in Format und Zeitpunkt festgelegt werden: die Rückmeldungen der Lehrenden und das peer feedback. 66 Üblicherweise kommentieren Lehrende die Texte der Lernenden schriftlich und beziehen sich dabei auf die Erfüllung der gesetzten Erwartungen, die Einhaltung der Textsortenmerkmale sowie auf die sprachliche und formale Richtigkeit. Dazu kommen gelegentlich Hinweise für die kurz- und langfristige Schreibentwicklung (vgl. Schindler/ Siebert-Ott 2013: 166f.). 67 Es wird angenommen, dass sich die Rückmeldungen der Lehrenden in der fremdsprachlichen Schreibförderung auf die sprachliche Korrektheit konzentrieren, aber eigentlich dann hilfreicher wären, wenn sie die Struktur und die Argumentation in den Vordergrund stellen, individuell sind, auch die Stärken hervorheben und so 66 Für einen Überblick über die Formate der Rückmeldung bei der Portfolioarbeit vgl. Kap. 2.3.3. 67 Für einen Überblick über die Fehleranalyse und Fehlerkorrektur im Fremdsprachenunterricht vgl. z. B. Kleppin (2010). <?page no="123"?> 4.4 Konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Zugänge 123 angelegt sind, dass Lernende sie gerne und leicht in Überarbeitungen bzw. Veränderungen ihres Schreibens überführen können (vgl. O'Brien 2004: 11- 13). 68 Van Beuningen (2010) zeigt, dass fokussierte Rückmeldungen auf ausgewählte Phänomene zu deutlich besseren Lerneffekten führen als globale (vgl. ebd. 15). 69 Gascoigne (2004) geht in einer Untersuchung mit Studierenden der Frage nach, wie Lernende die Rückmeldungen der Lehrenden bei der Überarbeitung berücksichtigen und stellt fest, dass Aufforderungen zur sprachlichen Korrektur zu 88 % korrekt, zu 8 % fehlerhaft umgesetzt und zu 3 % ignoriert werden. Anmerkungen auf inhaltlicher und struktureller Ebene werden deutlich seltener umgesetzt und führen meist nur zu minimalen Veränderungen (vgl. Gascoigne 2004: 74f.). 70 Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu O’Briens (2004) Feststellung, dass diese Rückmeldungen bezüglich Inhalt und Struktur die hilfreichsten sind und legt die Vermutung nah, dass nicht (nur) die Art der Rückmeldung, sondern (auch) deren Ausgestaltung entscheiden dafür ist, ob sie in Überarbeitungen münden können und von den Lernenden als hilfreich wahrgenommen werden. Ob Rückmeldungen als gesichtswahrend empfunden werden, wird in dieser Studie nicht thematisiert, muss aber durchaus bedacht werden. 4.4.3.2 Peer feedback Bei peer feedback handelt es sich um die gegenseitige Rückmeldung auf Zwischen- oder Endergebnisse von Lernenden, die sich in derselben Lernsituation befinden (vgl. Bräuer/ Schindler 2011: 28; Hu/ Ren 2012: 67, Schulz 2013: 28). Peer feedback stellt damit eine soziale Handlung dar (vgl. Bräuer 1996: 40) und dient als „Spiegel des aktuellen Arbeitsstandes“ (Bräuer 2004: 24). Darüber hinaus wird es als niedrigschwelliges Angebot verstanden, das leicht in Anspruch genommen werden kann (vgl. Bruffee 1984: 637). Im Gegensatz zu den Rückmeldungen von Lehrenden und auch in Abgrenzung von Schreibberatung durch geschulte Berater/ innen steht beim peer feedback das Textverstehen im Mittelpunkt: Mitlernende sind Leser/ innen des Textes und stellen interessierte Fragen, wodurch die Verständ- 68 Einen Überblick hierzu bietet die Aufstellung verschiedener Textkommentierungsformen bei Knorr (2012). 69 Vgl. dazu auch die Ergebnisse von Knorr (2011) und von Santos et al. (2010). 70 Teilweise findet sich in der Literatur auch die allgemeine Feststellung, dass Lehrendenrückmeldungen meist ohne Wirkung bleiben (vgl. Schäfer 2007: 31). Hier ist es allerdings hilfreich, die Bedingungen genauer zu betrachten, unter denen Rückmeldungen nicht wirkungsvoll sind. <?page no="124"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 124 lichkeit und die Adressatenorientierung geprüft werden (vgl. ebd. 641). Vorteile dieser Arbeitsweise sind darüber hinaus die Möglichkeit, im Austausch neue Ideen zu generieren, auf Unstimmigkeiten aufmerksam zu werden und eine alternative Form der Rückmeldung zu erhalten, die häufig detaillierter, unmittelbarer und leichter zugänglich ist als die der Lehrenden (vgl. Hu/ Ren 2012: 69, 79). Die Rückmeldungen von Lehrenden und Mitlernenden erfüllen damit unterschiedliche Zwecke, können also nicht gegeneinander ausgetauscht werden, sondern sind komplementär zu verstehen (vgl. O'Brien 2004: 9). In einer Studie mit 116 Studierenden in China zeigt sich, dass die Wahrnehmung dieser unterschiedlichen Funktionen die wesentliche Gelingensbedingung für peer feedback war: Nehmen Studierende peer feedback als ergänzendes Angebot wahr, sind sie zufrieden und können die Rückmeldungen gut nutzen. Ist das nicht der Fall, lehnen sie diese Arbeitsform als nutzlos ab (vgl. Hu/ Ren 2012: 78). Der Einsatz von peer feedback wird insgesamt kontrovers diskutiert. Kursiša (2012) erklärte in einem Erfahrungsbericht, dass die Studierenden den Eindruck haben, dass peer feedback die Rückmeldungen der Lehrenden ersetzen soll und entsprechend ablehnend auf die peer feedback-Aktivitäten reagieren (vgl. ebd. 474). Diese Feststellung ist anschlussfähig an die oben dargestellten Ergebnisse von Hu/ Ren (2012). Die Autoren stellen weiter dar, dass die Umsetzung von peer feedback in ihrer Studie durchaus auch problematische Seiten ausweist, weil Lernende die vereinbarten Regeln immer wieder verletzen und beispielsweise korrigierend in fremde Texte eingreifen oder sie umformulieren (vgl. ebd. 2012: 70). Auch in anderen Studien finden sich Belege für diese ablehnende Haltung der Lernenden (vgl. Paesani 2006: 627) und ihr Bedürfnis nach mehr Rückmeldungen durch Lehrende statt durch Mitlernende (vgl. Kasanga 2006). Demgegenüber stehen Studien, die zeigen, dass peer feedback (unter anderen Bedingungen) zu größerer sprachlicher Korrektheit verhelfen kann (vgl. Mawlawi Diab 2010: 92), von den Lernenden als hilfreich wahrgenommen wird (vgl. Ballweg im Druck) und zu einem verbesserten Bewusstsein der kommunikativen Funktion des Schreibens führt (vgl. Kamimura 2006: 12). In einem Überblick über die Forschungsliteratur stellt Rollinson dar, wie zwiespältig die peer feedback-Aktivitäten wahrgenommen werden: Während aus Lehrendensicht im Vordergrund steht, dass nicht nur die Lernenden davon profitieren, die Rückmeldungen erhalten, sondern auch die, die Rückmeldungen geben, 71 gleichzeitig aber der Zeitaufwand als proble- 71 Vgl. dazu auch die Forschungsergebnisse und Darstellungen von Amores (1997: 521); Hufeisen (2002: 159) und Porto (2001: 46). <?page no="125"?> 4.4 Konstruktivistische, kognitivistische und interaktionistische Zugänge 125 matisch betrachtet wird, löst peer feedback bei Lernenden eher Verunsicherung aus, weil sie der Auffassung sind, dass ihnen nur bessere Schreiber/ innen und Erstsprachler/ innen hilfreiche Rückmeldungen geben können (vgl. Rollinson 2005: 23.f.; 29). Das bestätigt eine Studie von Amores (1997). Sie stellt bezüglich des Sprachstandes weiter heraus, dass dieser ausschlaggebend für die Wahrnehmung der Rückmeldungen ist und die wahrgenommene Kompetenz des Gegenübers nicht nur den Eindruck von der Rückmeldung, sondern auch das Feedbackverhalten beeinflusst, so dass bei schwächeren Mitlernenden eher in Texte eingegriffen wird (vgl. ebd. 516-521). Prinzipiell erweist sich der Einbezug der Erstsprache bei peer feedback als hilfreich, nicht nur zur leichteren Aushandlung von Inhalten, sondern auch als „social and cognitive space in which learners are able to provide each other and themselves with help throughout the task“ (Antón/ Di Camilla 1999: 245). Allerdings besteht die Möglichkeit nicht in jeder Konstellation, und sie bietet keine Lösung, wenn Lernende glauben, dass ihre Mitlernenden nicht zur Kommentierung ihrer Texte in der Lage sind. Hier bleibt nur der Hinweis, dass die sprachliche Ebene nicht Inhalt des peer feedbacks ist. Obwohl zahlreiche empirische Studien vorliegen, die Aufschluss über die Wirkung von peer feedback geben, so erscheint doch wenig greifbar, unter welchen Bedingungen diese Arbeitsform erfolgreich ist. Die Forderung nach empirischen Studien in diesem Bereich findet sich auch bei Hall: The use of peer groups to respond to student papers is a long-established practice in the composition classroom, so well entrenched, that we may sometimes employ peer response without thoroughly evaluating underlying assumptions and beliefs about how such groups operate. As a central tenet of the writing process movement, peer response was originally devised as a part of a comprehensive, totalizing writing theory. Post-process theory demands that both the fundamental premises and the practice of peer response be reevaluated (Hall 2009: o.S.). In Hinblick auf die Schulung der Lernenden erklärt Hall: “We assign peer response, but we don’t teach it.“ (Hall 2009: o.S., Hervorh. i. O.). Dabei belegen zwei Untersuchungen den Erfolg von Schulungen: In Kamimuras (2006) Studie ist erkennbar, dass Studierende nach einer umfassenden Vorbereitung auf die gegenseitigen Rückmeldungen in der Lage sind, Rückmeldungen bezüglich der Bedeutung, der Klarheit und der Nachvollziehbarkeit zu geben. Dabei tendieren schwächere Lernende weiterhin dazu, Rückmeldungen auf der Satzebene zu geben. Die Kommentare der Mitlernenden werden gut angenommen, und sowohl gute als auch schwächere Lernende profitieren hinsichtlich der Gesamtqualität ihrer Texte von den Rückmel- <?page no="126"?> 4 Die Arbeit mit Schreibportfolios im universitären Fremdsprachenunterricht 126 dungen (vgl. ebd. 32). In einer Studie mit 56 iranischen Studierenden stellt Rahimi (2013) fest, dass diese schon nach einer kurzen Schulung deutlich besseres Feedback geben können. Während die Kontrollgruppe in dieser Untersuchung meist nur die Textoberfläche in den Blick nimmt (Grammatik und Lexik), ist die Experimentalgruppe in der Lage, qualifizierte Rückmeldungen auf verschiedenen Ebenen zu geben (vgl. ebd. 85-87). Allerdings ist dafür die Entwicklung einer vertrauensvolle Feedback- und Überarbeitungskultur notwendig (vgl. dazu auch Keller 2010: 72). Damit ist die Vorbereitung der Studierenden auf das peer feedback als eine zentrale Gelingensbedingung zu nennen, wobei ein wesentlicher Erfolgsfaktor darin zu liegen scheint, dass die Lernenden die Textoberfläche verlassen und lernen, Rückmeldungen auf verschiedenen Ebenen des Textes zu geben. Weitere mögliche Einflussfaktoren auf die Wahrnehmung dieser Rückmeldeaktivitäten sind das Alter, die Gruppengröße, der Sprachstand und die Einstellung (vgl. Rollinson 2005: 29). Über die Rolle des kulturellen Hintergrunds liegen unterschiedliche Ergebnisse vor. Während Petric/ Czárl (2003) und Rollinson (2005) eine kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmung konstatieren, negieren Hu/ Ren (2012) eine solche. Sie sehen die Unterschiede eher in individuellen Wahrnehmungen und in der Prägung durch Unterrichtsstile (vgl. ebd. 75, 83), wobei einzuwenden ist, dass auch Unterrichtsstile kulturell geprägt sind und Menschen sicher nicht losgelöst von ihrer kulturellen Sozialisation betrachtet werden können, ohne dass das eine Beschränkung oder Festlegung auf Nationalkulturen bedeuten darf. <?page no="127"?> 5 Zwischenfazit und Präzisierung der Fragestellung Nachdem in den vergangenen Kapiteln das Verständnis von Portfolioarbeit diskutiert (Kap. 2), die konzeptionellen Grundlagen und empirischen Erkenntnisse dargestellt (Kap. 3) sowie die Besonderheiten von Schreibportfolios geklärt wurden (Kap. 4), ziehe ich an dieser Stelle ein Zwischenfazit (Kap. 5.1). Dieses dient gleichzeitig als Grundlage für die Präzisierung der Forschungsfragen, die ich im Rahmen dieser Studie bearbeitet habe (Kap. 5.2). 5.1 Zwischenfazit Wie alle Formen von Portfolios sind auch Schreibportfolios als zielgerichtete Sammlung zu verstehen, durch die die Bemühungen, Entwicklungen und Lernergebnisse der Lernenden sichtbar werden (vgl. Paulson 1991: 60). Besondere Merkmale dieser Sammlung sind die Flexibilität und die Wandelbarkeit (vgl. Ali-Lawson et al. 2002) sowie die Einbettung in soziale Interaktionen (vgl. Klenowski 2002: 26). Sie enthalten Belege für die Lernergebnisse, Spuren des Lernprozesses, Kommentare zu den abgelegten Artefakten, Zeichen der Reflexion und Selbsteinschätzung, aber auch Notizen zu erhaltenen Rückmeldungen oder aus Portfoliogesprächen, so dass ein umfassendes Bild vom Leistungsstand, aber auch von der Arbeitsweise der Lernenden entsteht. Nicht nur die fertiggestellte Sammlung und die damit verbundene Dokumentationsfunktion des Portfolios sind zu beachten, sondern vor allem der Erstellungsprozess, der mit der Reflexionsfunktion verbunden ist. Durch das Auswählen, Kommentieren und Präsentieren werden bei den Lernenden Reflexions- und Selbsteinschätzungsprozesse ausgelöst (vgl. Murphy/ Smith 1992: 14). Durch die unterschiedlichen Ausrichtungen, die Portfolios haben können, ist es sinnvoll, die Eigenschaften jedes verwendeten Portfoliokonzepts auf verschiedenen Kontinua einzuordnen (vgl. Abb. 2-2), wobei zu unterschiedlichen Zeitpunkten auch neue Einordnungen vorgenommen werden können. Insbesondere die Frage, ob eher das Produkt oder eher der Prozess, eher die Entwicklung der Lernenden oder eher ihre erbrachten Leistungen im Vordergrund stehen, verhilft zu einem besseren Verständnis der eingesetzten Portfolioform. Auch der Grad der Standardisierung, die Art der Beurteilung, die Dauer sowie die Reichweite des Einsatzes sind zu bestimmen (vgl. Kap. 2.2.2.2). <?page no="128"?> 5 Zwischenfazit und Präzisierung der Fragestellung 128 Die grundlegende Orientierung der Portfolioarbeit am Kognitivismus, Konstruktivismus und Interaktionismus spiegelt sich darin wider, dass der Bewusstmachung des Lernens, der Berücksichtigung der Individualität beim Lernen und bei der Leistungsfeststellung sowie dem Austausch mit Lehrenden und Mitlernenden eine besondere Bedeutung zukommen. wobei die unterschiedlichen Ausrichtungen von Portfolios verschiedene Schwerpunkte zulassen. Sprachenlernen wird als hochgradig individueller Prozess verstanden, der durch die Interaktion und Bedeutungsaushandlung mit Lehrenden und Mitlernenden ermöglicht und durch Bewusstmachung und planvolles Vorgehen positiv beeinflusst werden kann. In Bezug auf die Schreibförderung ist eine besondere Nähe zur prozessorientierten Schreibdidaktik zu erkennen, indem die verschiedenen Phasen des Schreibprozesses im Portfolio abgebildet werden und die kognitive Steuerung des Schreibens unterstützt wird. Auch die post-process theory bietet wichtige Anknüpfungspunkte, da in ihr die Universalität des Schreibprozesses infrage gestellt wird und seine Individualität und situative Gebundenheit betont wird, was die Arbeit mit einem Schreibportfolio begleiten soll. Aus dem Überblick über die Forschungsliteratur ist festzuhalten, dass der Portfoliogedanke aus einem Bedürfnis nach bildungspolitischer und didaktischer Veränderung und Erneuerung entstand (vgl. Häcker 2008d: 27). Leitgedanken der Portfolioarbeit sind Ganzheitlichkeit, Lernendenorientierung, Individualisierung, Autonomie und lebenslanges Lernen. Es wird aber ebenfalls deutlich, dass die konsequente Umsetzung dieser Ideen im Rahmen der an den meisten Institutionen vorherrschenden Bedingungen und Lernkulturen nur begrenzt möglich ist. Forschungsergebnisse, die für die Beantwortung meiner Forschungsfrage relevant sind, liegen vor allem aus der Sprachenlehr- und -lernforschung sowie aus der Schulpädagogik vor. Diese lassen sich fünf wesentlichen Forschungsbereichen zuordnen, wobei es sich nicht um eine eindeutige Unterscheidung handelt, sondern vielmehr um eine Möglichkeit zur Orientierung: Portfolios als Instrumente der Autonomieförderung, Portfolios als Reflexionsinstrumente, Portfolios als Instrumente der Leistungsfeststellung, die Implementierung von Portfolioarbeit und die Akzeptanz der Lernenden, die Sprach- und Schreibförderung durch Portfolioarbeit. Im Folgenden skizziere ich die zentralen Forschungsergebnisse aus diesem Bereich und setze sie mit den Erkenntnissen aus der fremdsprachlichen <?page no="129"?> 5.1 Zwischenfazit 129 Schreibforschung in Verbindung, wobei besonders die Ergebnisse zum peer feedback für die Umsetzung von Portfolioarbeit relevant sind. Aus den Studien, die Portfolioarbeit als Möglichkeit zur Autonomieförderung untersuchen (vgl. Kap. 3.2.1), sind drei zentrale Erkenntnisse abzuleiten: 1. Der Einsatz von Portfolios kann dazu führen, dass Lernende selbstständiger agieren (vgl. Kiernan 2002) und ihren Lernprozess durch den Einsatz von Lernstrategien eigenständig stärker strukturieren (vgl. Gläser- Zikuda/ Lindacher 2007). Auch wenn darin noch keine Indizien für die Autonomieförderung bestehen, so handelt es sich doch um deutliche Auswirkungen auf die Arbeitsweise, woraus günstige Voraussetzungen für die Autonomieentwicklung entstehen können. 2. Lernende nehmen das Portfolio selbst als förderlich für ihre Autonomie wahr. Vor allem aber agieren sie bei der Portfolioarbeit selbst schon autonom, indem sie die Offenheit und die Ausgestaltungsmöglichkeiten des Instruments dazu nutzen, ihm entsprechend ihrer eigenen Lernmotive verschiedene Funktionen zuzuweisen (vgl. Bellingrodt 2011b: 252). 3. Deutlich wird aber auch, dass autonomiefördernde Arbeitsweisen im schulischen Anwendungskontext schnell an die durch institutionelle und curriculare Rahmenbedingungen gegebenen Grenzen stoßen, so dass Portfolioarbeit ihr Potenzial nicht voll entfalten kann (vgl. Breuer, A. 2009: 307; Flächer 2011: 246; Häcker 2012: 223). Betrachtet man den Forschungsstand zum Portfolio als Reflexionsinstrument (vgl. Kap. 3.2.2), so wird zunächst deutlich, dass Lernende verschiedener Altersgruppen zu realistischen Selbsteinschätzungen in der Lage sind und dass sich diese durch die Portfolioarbeit verbessern. Dabei entwickeln sie selbst Strategien, um die Gültigkeit ihrer Einschätzungen zu überprüfen und wenden diese auch unaufgefordert an (vgl. Bellingrodt 2011: 253; Kolb 2007: 311f.; Poppi/ Radighieri 2009: 89). Auch dieses Verhalten weist ein hohes Maß an Autonomie auf. In Hinblick auf das Reflexionsverhalten hebt Fink (2010: 269-282) die Bedeutung der Interaktion mit Mitlernenden und mit Lehrenden sowie der Einblick in fremde Arbeitsweisen hervor, durch die Reflexionsprozesse initiiert werden. In seinen Daten aus dem Unterricht in verschiedenen Fächer in einer Sekundarstufe I identifizierte er fünf reflexionsförderliche Tätigkeiten, die bei der Portfolioarbeit angeregt wurden: <?page no="130"?> 5 Zwischenfazit und Präzisierung der Fragestellung 130 1. Vergleichen, 2. Prüfen und Verändern, 3. Strukturieren und Ordnen, 4. Arrangieren und Optimieren, 5. Anregen Lassen und Perspektiven Gewinnen. Als Orientierungspunkt dienen in dieser Studie jeweils die Vorgaben und Kriterien, die im Unterricht vermittelt werden (vgl. ebd. 282) und die damit für die Lernenden in jeder Phase des Unterrichts eine zentrale Rolle spielen. Diese Kriterien kommen besonders bei der Leistungsfeststellung erneut zum Tragen und stellen Lernende wie Lehrende offensichtlich vor große Schwierigkeiten, vor allem aufgrund ihrer mangelnden Klarheit. Diese Schwierigkeiten sind daran erkennbar, dass die theoretische Modellierung eines umfassenden pädagogischen Leistungsbegriffs als produkt- und prozessorientiert, individuell, kooperativ, problemmotiviert, vielfältig, beschreibbar, kommunizier- und reflektierbar sowie selbst- und fremdbeobachtbar (vgl. Breuer, A. 2009: 72-77; Khodadady/ Khodabakhshzade 2012; Legutke 2002: 107; vgl. Kap. 3.3.1) zwar weit entwickelt ist, Leistung in der praktischen Umsetzung aber selbst in den Studien, in denen die Vorteile der portfoliobasierten Leistungsfeststellung hinsichtlich eines umfassenden Leistungsbegriffs ausführlich dargelegt werden, eine radikale Einengung des Leistungsverständnisses erkennbar ist. So wenden beispielsweise Khodadady/ Khodabakhshzade (2012) einen standardisierten Schreibtest an, Tezci/ Dikici (2006) lassen die Qualität eines Textprodukts überprüfen und Martinez Lirola (2008) untersucht die grammatische Korrektheit. Auch wenn diese Verfahren valide Ergebnisse produzieren, so werden doch der Entstehungsprozess, die Individualität, die Kontextgebundenheit und die Einbindung in Kooperationen nicht berücksichtigt. In diesem weit verbreiteten Phänomen liegen Hinweise darauf, dass dieser beschriebene Leistungsbegriff in der Umsetzung wenig praktikabel ist. Auch Grittner (2009) beobacht Schwierigkeiten in der Anwendung der portfoliobasierten Leistungsfeststellung. In ihrer Studie zeigt sich, dass die Lehrenden sich in Fördergesprächen in erster Linie auf organisatorische und methodische Fragen konzentrieren, Lerninhalte hingegen vernachlässigt werden (vgl. ebd. 106f., 155-181). Die Darstellung zum Einsatz von Schreibportfolios im Fremdsprachenunterricht zeigt, dass in diesem Bereich bisher wenig wenige empirisch gesicherte Ergebnisse vorliegen. In den bereits erwähnten Studien von Khodadady/ Khodabakhshzade (2012) und Tezci/ Dikici (2006) sowie bei Aydin (2010) zeigt sich mit den oben erwähnten methodischen Einschränkungen, dass sich die Schreibleistung bei der Portfolioarbeit verbessern <?page no="131"?> 5.1 Zwischenfazit 131 kann. Dabei erwiesen sich besonders die Reflexion des eigenen Schreibens sowie die umfangreiche Schreibpraxis, die nicht mit Notendruck verbunden ist, als förderlich. Diese Ergebnisse untermauert auch eine Studie von Bonzo (2005) zum freien Schreiben in Lerntagebüchern, der vor allem Anhaltspunkte für eine erhöhte Komplexität fand. Vergleichsweise umfangreich ist der Forschungsstand zu peer feedback beim Schreiben (vgl. Kap. 4.4.3.2). Hierzu ist festzuhalten, dass Lernende sowohl für das Einholen als auch für das Geben von Rückmeldungen eine entsprechende Schulung benötigen. Lernende, die im Geben von Rückmeldungen geschult sind, können sich auf verschiedene Ebenen des Textes beziehen und schwächeren sowie stärkeren Mitlernenden Hilfestellungen für die Weiterarbeit geben, ohne zu stark in den Text einzugreifen (vgl. Kamimura 2006: 32; Rahimi 2013: 85-87). Durch die Schulung zum Einholen von Rückmeldungen sind Lernende in der Lage, zu entscheiden, in welchen Phasen sie Hilfestellungen benötigen und wie diese gestaltet sein müssen (vgl. Cresswell 2000), so dass autonomes Lernen vorbereitet wird. Darüber hinaus finden sich zahlreiche Studien mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen, in denen sich zeigt, dass Lernende peer feedback als wenig hilfreich empfinden (vgl. Paesani 2006: 627), dass sie es nur schwer umsetzen können (vgl. Hu/ Ren 2012: 70) oder auch, dass es einen großen Nutzen hat (vgl. Kamimura 2006; Mawlawi Diab 2010: 9). Daher ist festzuhalten, dass peer feedback unterschiedliche Reaktionen hervorrufen kann. Es ist anzunehmen, dass unterschiedliche Einflüsse auf die Wahrnehmung der Lernenden wirken, durch die diese so vielfältig wird. Aus den in Kapitel 4.4.3.2 dargestellten Studien lässt sich allerdings zusammenfassen, dass es dem Gelingen von peer feedback zuträglich ist, wenn die Lernenden sowohl auf das Geben als auch auf das Annehmen von Feedback vorbereitet werden (vgl. Kamimura 2006; Rahimi 2013), verdeutlicht wird, dass sie nicht die Aufgabe haben, sprachliche Korrekturen vorzunehmen und ihr Sprachstand sowie der ihrer Mitlernenden daher nicht ausschlaggebend für den Erfolg des peer feedback ist (vgl. Amores 1997) und die Lernenden peer feedback als komplementär zu den Rückmeldungen der Lehrenden ansehen, so dass sie es als zusätzliches Angebot verstehen können (vgl. Hu/ Ren 2012: 78). Hinsichtlich der Akzeptanz von Portfolioarbeit deuten einige Ergebnisse vor allem darauf hin, dass Lernende sie als eher positiv wahrnehmen (vgl. z.B. Bellingrodt 2011b: 253f.; Pollari 1997), wobei die Vorteile in der Organisation des Lernens liegen, die Nachteile im hohen Zeitaufwand (vgl. Häcker 2007: 239f.; Martinez Lirola/ Rubio 2009: 100). Besonders hoch ist die Ak- <?page no="132"?> 5 Zwischenfazit und Präzisierung der Fragestellung 132 zeptanz, wenn die Lernenden in der Portfolioarbeit einen individuellen Nutzen erkennen (vgl. Häcker 2007: 239). Demgegenüber stehen völlig unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich des Lernerfolgs: Portfolioarbeit wird für den Lernerfolg als nützlich, nicht nützlich oder neutral wahrgenommen (vgl. Breuer 2009a: 312; Flächer 2011: 120; Häcker 2007: 228-232). Hierbei ist von individuellen Unterschieden zwischen den Lernenden sowie unterschiedlichen Rahmenbedingungen auszugehen. Zunächst schließt sich die zentrale Frage an, wie sich Wahrnehmung einzelner Lernender gestaltet und wodurch ihre Einschätzung beeinflusst wird. Zur Implementierung von Portfolioarbeit sind globale Erkenntnisse zu finden, nach denen beispielsweise die Integration in universitäre Sprachkurse als praktikabel erachtet wird (vgl. Kiernan 2002: 74). Darüber hinaus werden Bedingungen erarbeitet, unter denen Portfolioarbeit gut funktionieren kann. Vor allem die Regelmäßigkeit und die persönlichen Gespräche zwischen Lernenden und Lehrenden sind zu nennen (vgl. Bellingrodt 2011b: 254). Darüber hinaus machen einige Autor/ innen auf die Spannungsverhältnisse aufmerksam, die durch Portfolioarbeit entstehen oder zumindest sichtbar werden (vgl. Breuer 2009: 307) und die Herausforderungen, die sich für Lehrende ergeben (vgl. Yilmaz/ Akcan 2012: 172), deren Perspektive bisher kaum erforscht ist. 72 Die Notwendigkeit, die Perspektive der Lehrenden und ihren Umgang mit Portfolios zu erforschen, arbeiten auch Bellingrodt (2011: 280), Fink (2010: 297) und Kolb (2007: 325) als weiterführende Forschungsdesiderata aus ihren Untersuchungen heraus. Diesem Bereich kommt nicht nur deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil Lehrende ebenfalls vor hohe Anforderungen gestellt werden, über die noch zu wenig bekannt ist. Darüber hinaus ist die Gestaltung der Portfolioarbeit durch die Lehrenden ausschlaggebend für die Wahrnehmung und die Arbeitsweise der Lernenden, so dass die beiden Sicht- und Vorgehensweise nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können (vgl. Fink 2010: 293). Ein Grund für die mangelnde Berücksichtigung der Perspektive der Lehrenden kann darin liegen, dass die überwiegende Zahl der bisher durchgeführten Studien von Lehrenden selbst in Aktionsforschung durchgeführt wurden oder die Forscher/ innen die Lehrenden beratend sowie mit der Erstellung eines für die jeweilige Zielgruppe geeigneten Konzepts begleiteten (vgl. z. B. Bellingrodt 2011, Fink 2010, Flächer 2011, Kara 2007, Kiernan 2002, Kolb 2007). Dadurch ist nicht nur die Erfassung der Lehrendenperspektive schwer möglich bzw. von den Vorstellungen der Forscherin/ des 72 Eine Ausnahme bildet die Studie von Kristmanson et al. (2011). <?page no="133"?> 5.2 Präzisierung der Fragestellung 133 Forschers beeinflusst, sondern die Unterrichtsgestaltung zeichnet sich auch in hohem Maße durch die eingebrachte Expertise aus. Darüber hinaus handelt es sich bei den Lehrenden, die sich auf Portfolioarbeit und außerdem auf Begleitforschung einlassen, ohnehin um Lehrende „deren Unterricht auf den gefragten Qualitäts- und Selbststeuerungsdimensionen bereits weiter entwickelt“ ist (Häcker 2007: 270) und sich dadurch auszeichnet, dass er „hoch strukturiert, effektiv, medial aufbereitet usw.“ ist (ebd. 271). Mit einer Beschreibung der Umsetzung der Portfolioarbeit ist ein erster Schritt zur dichten Beschreibung der Rahmenbedingungen getan, die unerlässlich ist, um die Wirkungsweise von Portfolioarbeit zu erfassen. So halten Martinez-Lirola und Rubio (2009: 97) fest: „Although most studies report positive results of portfolio use, much research is still needed, especially contextualizing the fields where particular learning experiences may occur.“ Daher besteht zunächst ein hoher Bedarf an Forschung, die nicht das Ziel verfolgt, die Wirksamkeit zu beweisen, sondern Portfolioarbeit besser zu verstehen (vgl. Graves 1992: 3, zitiert nach Häcker 2007: 102). 5.2 Präzisierung der Fragestellung Aufgrund der noch eher defizitären Forschungslage zu Portfolioarbeit und zu Schreibportfolios im Besonderen, entschied ich mich für eine explorativinterpretative Annäherung an das Thema. Von besonderem Interesse war die Begleitung realen Unterrichtsgeschehens, in dem die Lehrperson insofern unbeeinflusst blieb, als dass ihr kein ausgearbeitetes Portfoliokonzept vorgelegt wurde und sie keine Schulung erhielt. Davon erhoffte ich mir einen tieferen Einblick in die Vorgehensweisen von Lehrenden bei der ersten Auseinandersetzung mit Portfolioarbeit, die sie selbstständig wählen und die sich aus ihren handlungsleitenden Kognitionen ergibt (vgl. Kap. 8.1). Die Erforschung der Portfolioarbeit im universitären Kontext halte ich deshalb für wichtig, weil dazu bisher nur wenige Forschungsergebnisse vorliegen und die Ergebnisse aus den Studie aus dem schulischen Unterricht nur eingeschränkt auf die Zielgruppe erwachsener, lern- und schreiberfahrener Studierender und auf Unterricht mit einer entsprechenden Kurs- oder Seminarstruktur übertragbar sind. Zunächst sollte im Mittelpunkt der Untersuchung die Frage stehen, wie Akteur/ innen - Lehrende und Lernende - die Arbeit mit einem Schreibportfolio wahrnehmen und damit umgehen. In der Pilotierung wurde deutlich, dass die Einschätzungen nicht zu erfassen sind, ohne die Erläuterungen, Anleitungen und Arbeitsweisen der Lehrenden im Detail zu betrachten. So kam ich zu der Entscheidung, zunächst die Gestaltung der Portfolioarbeit <?page no="134"?> 5 Zwischenfazit und Präzisierung der Fragestellung 134 und die zugrundeliegenden Annahmen der Lehrerin zu betrachten (Teilstudie A), um anschließend die Wahrnehmung der Lernenden zu erfragen und aus der Perspektive der Lehrerin und der Lernenden gemeinsame Gelingensbedingungen für die Arbeit mit einem Schreibportfolio im Fremdsprachenunterricht herauszuarbeiten (Teilstudie B). Die Lehrerin, deren Unterricht ich begleitete (vgl. Kap 6.3.2, 7.3), war erfahren und sehr engagiert, aber im Gegensatz zu den Lehrenden in der Mehrzahl der zuvor zitierten Studien hatte sie bisher mit Portfolioarbeit nur wenig Erfahrung sammeln können. So konnte ich mit meiner Studie das geplante Ziel verfolgen, sie bei der Annäherung an die Portfolioarbeit zu begleiten. Ergebnisse in diesem Bereich sind nicht nur deshalb bedeutsam, weil dazu kaum Forschungsergebnisse vorliegen, sondern auch, weil diese Konstellation im Unterrichtsalltag vermutlich verbreiteter ist als die der umfassend dafür geschulten Lehrenden, denen ein maßgeschneidertes Konzept zur Verfügung gestellt wird. 73 Insgesamt wählte ich das Vorgehen einer dichten Beschreibung und Begleitung, um die folgenden Forschungsfragen zu beantworten (vgl. Abb. 5- 6). 73 Stork (2010) beschreibt es in ihrer Studie zu Lerntagebüchern ebenfalls als vorteilhaft, Lehrende bei der Arbeit mit ihren eigenen Konzepten zu begleiten statt als Forscher/ in eine Vorgehensweise vorzuschlagen, das die Lehrenden dann umsetzen sollen. Dadurch entstehe kein zusätzlicher Druck für die Lehrenden (vgl. ebd. 317). <?page no="135"?> 5.2 Präzisierung der Fragestellung 135 Abb. 5-6: Präzisierung der Fragestellung Fragestellung der Teilstudie B: 1) Wie wird Portfolioarbeit von den Lernenden wahrgenommen? 2) Welche Faktoren können aus Sicht der Lernenden und der Lehrerin förderlich oder hemmend für das Gelingen von Portfolioarbeit sein? Frage 2: Einflüsse auf das subjektiv wahrgenommene Gelingen von Portfolioarbeit dichte Beschreibung der Portfolioarbeit im Schreibunterricht Unter welchen Bedingungen wird Portfolioarbeit von den Akteur/ innen positiv wahrgenommen? Fragestellung der Teilstudie A: Wie setzt die Lehrerin Portfolioarbeit ein? Gestaltung und Erläuterung durch die Lehrerin Welche Zielsetzungen verbindet die Lehrperson mit dem Einsatz von Portfolios? Wie wird Portfolioarbeit eingeführt? Wie wird im fremdsprachlichen Schreibunterricht von Seiten der Lehrperson mit Portfolios gearbeitet? Frage 1: Wahrnehmung und Attribuierung Wie nehmen die Lernenden Portfolioarbeit insgesamt wahr? Welche Funktionen schreiben die Akteur/ innen der Portfolioarbeit zu? Wie werden einzelne Elemente der Portfolioarbeit beurteilt? <?page no="136"?> 5 Zwischenfazit und Präzisierung der Fragestellung 136 Mit der Beantwortung dieser Forschungsfragen möchte ich zu einem verbesserten Verständnis der Abläufe bei der Arbeit mit einem Schreibportfolio und der Wahrnehmung der Akteur/ innen beitragen. Die Sequenzierung in Teilstudie A und B ist deshalb notwendig, weil die Wahrnehmung der Akteur/ innen bei der Portfolioarbeit nur zu verstehen ist, wenn die Vorannahmen, didaktischen Entscheidungen und Handlungen der Lehrerin erkennbar sind. Die Ergebnisse der Teilstudie A stellen daher einen Bezugspunkt für die in der Teilstudie B dar, in der die Perspektive aller Akteur/ innen und insbesondere ihre Wahrnehmung gelingensförderlicher und -hemmender Bedingungen herausgearbeitet werden. Da in der Teilstudie A nur die Perspektive der Lehrerin berücksichtigt werden kann, ist allerdings keine theoretische Sättigung zu erwarten, was jedoch das Ziel der Teilstudie B darstellt (vgl. Kap. 6.5.7). <?page no="137"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung Ziel dieser empirischen Untersuchung ist es, die Portfolioarbeit aus der Perspektive der Lehrerin und der Lernenden zu erfassen sowie mögliche Einflussfaktoren auf die Arbeit mit Portfolios besser zu verstehen. Dieses Kapitel dient der Darstellung der methodischen Vorgehensweise für die empirische Untersuchung, die im Anschluss dargestellt wird. Zur Einordnung in den forschungsmethodischen Rahmen stelle ich zunächst allgemeine Überlegungen zum Forschungsprojekt dar (Kap. 6.1). Es folgt die Verortung innerhalb der Grounded Theory Methodologie, an der diese Studie ausgerichtet ist (Kap. 6.2). Die darauffolgenden Kapitel zeichnen den Forschungsprozess nach und beschreiben die Annäherung an das Forschungsfeld (Kap. 6.3), das Vorgehen bei der Datengenerierung (Kap. 6.4) sowie bei der Datenaufbereitung und -interpretation 74 (Kap. 6.5). 6.1 Allgemeine Überlegungen zum Forschungsprojekt Die Forschungsfragen, aber auch das grundsätzliche Verständnis des Forschungsfeldes sind entscheidend für die Ausrichtung einer empirischen Studie. Zur Einordnung der Studie und des methodischen Vorgehens werden im Folgenden die Verortung der Studie im Kontext der Sprachenlehr- und -lernforschung (Kap. 6.1.1. und 6.1.2), Überlegungen zu den Gütekriterien (Kap. 6.1.3) sowie Fragen der Forschungsethik (Kap. 6.1.4) diskutiert. 6.1.1 Ausrichtung der Studie Fremdsprachenunterricht zeichnet sich durch seine Faktorenkomplexion, seine soziale, institutionelle und politische Einbettung sowie seine Diskontinuität und Individualität aus (vgl. Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 1996: 148; Grotjahn 2006: 248; Grotjahn 2003: 493; Riemer 2010: 359). Die Sprachenlehr- und -lernforschung, an die die Forderung gestellt wird, vielfältige Fragestellungen aus der Praxis aufzugreifen und relevante Erkenntnisse für diese zu schaffen (vgl. Riemer 2014: 16; Riemer 2006b: 74 Ich bevorzuge in dieser Arbeit den Begriff der Dateninterpretation vor dem der -auswertung, da der Auswertungsbegriff eine Objektivität und Neutralität suggeriert, die aus konstruktivistischer Sicht beim Umgang mit dem Datenmaterial nicht möglich ist. <?page no="138"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 138 238), 75 hat daher die Aufgabe, aus verschiedenen methodologischen Möglichkeiten, die für die jeweilige Fragestellung geeignete auszuwählen. Die Gegenstandangemessenheit ist ein wesentlicher Anspruch und gleichzeitig ein Gütekriterium (vgl. Grotjahn 2006: 247; Willig 2001: 21). Der Fokus meiner Studie liegt auf der Portfolioarbeit aus der Sicht der individuellen Akteur/ innen. Dabei gehe ich von Individuen in einem veränderlichen Kontext sowie vom Zusammenspiel von individuellen Faktoren aus, die Prozesse und Wahrnehmungen beeinflussen können (vgl. Gibbs 2007: 5), so dass ich Fremdsprachenlernen allgemein und Portfolioarbeit im Besonderen als durch die Akteur/ innen immer wieder interpretier- und modifizierbar begreife. Ziel der Studie ist nicht die Entwicklung eines universal gültigen Konzepts oder Erklärungsmodells für Portfolioarbeit, das es nach diesem Verständnis gar nicht geben kann, sondern das Herausarbeiten von Einflussfaktoren, die unter bestimmten Bedingungen auf Portfolioarbeit wirken, und dadurch auch gelingensförderliche oder -hemmende Bedingungen darstellen zu können. Mit den in Kapitel 5.1 dargestellten Forschungsfragen betrachte ich Fremdsprachenlernen als einen „dynamischen, vielschichtigen und kontextgebundenen Komplex[...], dem affektive, kognitive und sozialkommunikative Prozesse zugrunde liegen“ (Riemer 2006a: 452) und bei dem insbesondere individuelle Faktoren zum Tragen kommen. Für diese Art der Fragestellung bietet sich ein deskriptiver, erklärender, longitudinaler Ansatz an. Untersucht wird damit ein Gegenstandsbereich mit wandelbaren Strukturen, d. h. „Strukturen begrenzter Reichweite“ (Kelle 2007a: 63). Mit dem Fokus auf der Portfolioarbeit ist diese Studie im methodischdidaktischen Forschungsfeld (vgl. Riemer 2011: 199) angesiedelt und folgt einer qualitativen Ausrichtung. 7677 Kennzeichnend dafür sind nach Mayring (2003: 20), Settinieri (2012: 250f.) und Riemer (2014: 21): 75 Rounds spricht in Bezug auf ethnographische Zugänge zum Feld davon, dass die Interessen der Beforschten zum Forschungsinteresse werden können („what those you study want to know becomes an issue“) (vgl. Rounds 1996: 57). 76 Für Forschung mit dieser Ausrichtung verwendet Grotjahn (vgl. z. B. 2003: 296) die Bezeichnung explorativ-interpretativ. 77 Mit Settinieri (2012: 250) verstehe ich quantitativ und qualitativ als Extrempole eines Kontinuums, weshalb in dieser Arbeit nicht die Rede von der quantitativen und der qualitativen Ausrichtung ist. <?page no="139"?> 6.1 Allgemeine Überlegungen zum Forschungsprojekt 139 das Ziel der Exploration und des Verstehens, die Fokussierung auf das Subjekt sowie auf individuelle Unterschiede, um ein möglichst vollständiges Bild des Untersuchungsgenstandes zu zeichnen, eine holistische Betrachtungsweise des Untersuchungsgegenstandes, die detaillierte Beschreibung des Gegenstandsbereichs als Ausgangspunkt der Analyse sowie das Verständnis, dass der Untersuchungsgegenstand kontextgebunden ist und auch im Kontext untersucht werden muss. 6.1.2 Grundannahmen Für jede Form der Forschung, insbesondere aber für eine qualitativ ausgerichtete Studie, gilt die erkenntnistheoretische Maxime der Offenheit in alle denkbaren Richtungen (vgl. Gabriel 1993: 10) und der „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ (Flick 1995: 150), durch die das Ziel verfolgt wird, vorgefertigte Meinungen zu überwinden und zu einem besseren Annehmen von Unerwartetem beizutragen. Diese Offenheit und eine Freiheit von Bewertungen und Vorannahmen ist allerdings in der Form gar nicht möglich, so dass die Gefahr, „des Operierens mit impliziten Hypothesen“ (ebd. 151) besteht. Daher wird der Begriff der reflektierten Offenheit bevorzugt, für die Reflexion und Dokumentation kennzeichnend sind (vgl. Breuer, F. 2009: 29). Deshalb sind neben der Offenheit auch die Prinzipien Transparenz und Reflexivität bedeutsam (vgl. Schmelter 2014: 42). Transparenz bezieht sich auf die Sichtbarmachung des Forschungsprozesses und einzelner Entscheidungen, vor allem vor dem Hintergrund der Iterativität und der möglichen Fokusverschiebung oder Entwicklung neuer Teilfragen im Laufe der Studie (vgl. Aguado 2000: 121). Zur Transparenz gehört ebenso die Offenlegung von Kompromissen, die im Laufe der Studie eingegangen werden mussten (vgl. ebd. 128). Reflexivität in der Wissenschaft bedeutet in den Worten Härtels, „universalistische Ansprüche, hierarchische Zuschreibungen bzw. die mehr oder minder machtvolle Konstruiertheit oder Perspektiviertheit auch der eigenen Erkenntnisse in Frage stellen und diskutieren zu können“ (Härtel 2005: 343). Härtel konstatiert in Anlehnung an Bourdieu, dass es nicht das Ziel sein kann, die eigene Subjektivität zu minimieren, sondern „eher davon auszugehen und daran ‚haften‘ zu bleiben“ (ebd. 353). Das bedeutet, dass ich darauf abziele, neben meiner Vorgehensweise auch meine subjektiven Annahmen offenzulegen und produktiv damit umzugehen (vgl. Aguado 2000; Breuer, <?page no="140"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 140 F. 2009: 21; Scholz 2005: 392). Bei der Durchführung dieser Studie dienten ein Forschungstagebuch und die Memos im Sinne der Grounded Theory der Bewusstmachung und Explikation subjektiver Vorstellung (vgl. Kap. 6.5.3). Im Sinne einer aus erkenntnistheoretischer Sicht notwendigen Offenlegung des Verhältnisses von erkennendem Subjekt und erkanntem Phänomen (vgl. Gabriel 1993: 21) stellt sich die Frage, welches Verständnis von Sprache, Lernen und Verstehen sowie von Menschen dieser Arbeit zugrunde liegt. Sprache verstehe ich als komplexes Konstrukt (vgl. Hu 2001: 22), das im Rahmen dieser Untersuchung vorrangig Lerngegenstand, darüber hinaus Kommunikationsmittel, Instrument zur akademischen und sozialen Teilhabe im Zielsprachenland und ein die Identität beeinflussendes Element 78 ist (vgl. Königs 1986: 41). Lernen von Sprachen wird vor dem Hintergrund eines gemäßigt konstruktivistischen Verständnisses als ein individueller Prozess verstanden, der durch die Subjektivität Einzelner mit jeweils individuellen Erfahrungen und Wissensschätzen geprägt und bestimmt ist (vgl. Vetter 2007: 98; Wolff 2002). Ich teile allerdings die Kritik an verschiedenen Formen des Konstruktivismus, die ihm eine Vernachlässigung der Interaktion, der sozialen Einbettung und der Emotionen vorwirft, denn weder Sprache noch Kultur sind als statische Konstrukte zu verstehen (vgl. Schmelter 2004: 55-64). Daher lege ich dieser Arbeit ein sozialkonstruktivistisches Wirklichkeitsverständnis zugrunde, nach dem ich davon ausgehe, dass Wissen und Bedeutung gesellschaftlich konstruiert und in der Interaktion von Individuen ausgehandelt werden (vgl. Berger/ Luckmann 1966/ 1991). Besondere Berücksichtigung finden die Überlegungen des kommunikativen Konstruktivismus, der als Weiterführung des Sozialkonstruktivismus verstanden werden kann und der die Rolle der Kommunikation in den Aushandlungsprozessen aufwertet (vgl. Knoblauch 2013: 26). Durch meine methodische Anlehnung an die Grounded Theory ist diese Studie außerdem vom Symbolischen Interaktionismus beeinflusst, dem die Grounded Theory verbunden ist und der Menschen und Handlungen als sozial eingebunden und historisch gewachsen versteht (vgl. dazu Denzin 2012). Handlungen basieren demnach vor allem auf den individuellen Bedeutungszuschreibungen der Akteur/ innen. Entsprechend dem oben angeführten Verständnis beziehe ich mich dabei insbesondere auf die konstruktivistische Ausprägung des Symbolischen Interaktionismus. 79 Ziel der Studie ist es daher nicht, eine allgemeingültige, bestehende Wahrheit zutage zu fördern. Es geht vielmehr um den Versuch, verschiedene 78 Zur Rolle von Sprache und Identität vgl. beispielsweise Kramsch (2009). 79 Zu den möglichen Ausprägungen des Symbolischen Interaktionismus vgl. Denzin (2012: 144). <?page no="141"?> 6.1 Allgemeine Überlegungen zum Forschungsprojekt 141 mögliche Perspektiven zu verstehen (vgl. Glesne 2011: 47) und diese sinnvoll und konsistent in Verbindung zu bringen. Nach dieser Auffassung sind die Akteur/ innen im Feld von zentraler Bedeutung. Daran anknüpfend ist es sinnvoll, das dieser Arbeit zugrunde liegende Menschenbild offenzulegen (vgl. z. B. Breuer, F. 2009: 11; Groeben/ Erb 1991: 2), da dies zum Verstehen der Studie notwendig ist. 80 Schmelter (2004) konstatiert: Verbleiben Menschenbilder bzw. Subjektmodelle implizit, können weder Forscher noch Rezipienten in direktem Zugang den Einfluss dieser weitgehend nicht verifizierbaren Vorannahmen auf die jeweilige Forschung, ihre Methoden sowie ihre Ergebnisse reflektieren. Folglich können sie die Reichweite der gewonnen Ergebnisse nur bedingt auf ihre Angemessenheit hin einschätzen (Schmelter 2004: 49). Dieser Arbeit liegt ein phänomenologisches Menschenbild zugrunde (vgl. Groeben/ Erb 1991), das eine „historisch, sozial, moralisch, sprachlich und kulturell verortete und sich stets neu verortende Person“ (Hu 2001: 21) beschreibt, die mit Verantwortlichkeit, Identität und Intentionalität, Emotionen sowie Rationalität ausgestattet ist (vgl. ebd.). 81 Diese Haltung bringt mit sich, dass nicht das Agieren einer Person von außen beschrieben wird, sondern dass der schrittweise Nachvollzug des Handelns mit den jeweiligen Beweggründen geschieht, womit eine Abkehr von „Bedingungs-Ereignis“- Gefügen („wenn-dann“) und eine Hinwendung zu „Prämissen-Begründungs“-Ansätzen („weil-deshalb“) verbunden ist (vgl. Schmelter 2004: 76). Eine praktische Konsequenz dieser Sicht ist die Betrachtung der Akteur/ innen als Untersuchungspartner/ innen, mit denen ich zum Erkenntnisgewinn interagiere (vgl. Aguado 2000: 126; Rounds 1996: 52; 56). Damit erklärt sich außerdem mein Ansatz, bei dem die subjektiven Perspektiven der Akteur/ innen auf Portfolioarbeit im fremdsprachlichen Schreibunterricht im Mittelpunkt stehen und im Verlauf eines Semesters im Wandel betrachtet werden. Die Studie ist so angelegt, dass Daten von der ersten Sitzung bis zur Bewertung der Portfolios erhoben wurde, was in diesem Fall drei Monaten entsprach. Sie ist als longitudinal zu bezeichnen, weil sie den Prozess von der Annäherung an das Portfoliokonzept bis hin zur Abgabe der Portfolios nachzeichnet. 80 Zu anthropologischen Kernannahmen in der Sprachlehr- und -lernforschung vgl. die umfassende Darstellung bei Schmelter (2004: 49-83). 81 Vgl. dazu auch Breuers Ausführungen zur sozial- und kulturwissenschaftlichen Orientierung (vgl. Breuer, F. 2000: 20f.) und die Erläuterungen zur phänomenologischen Lebensweltanalyse (vgl. Hitzler/ Eberle 2012). <?page no="142"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 142 6.1.3 Gütekriterien Bei dem komplexen Verständnis des Untersuchungsgegenstandes sind Prinzipien unerlässlich, die für Orientierung sorgen und zur Sicherung der Qualität herangezogen werden können. Diese Funktion kommt den Gütekriterien zu, die nicht als Garantie für gute Forschung zu verstehen sind, sondern Hilfestellung bei der Durchführung von Forschungsprojekten sowie bei der Beurteilung von Ergebnissen bieten (vgl. Strübing 2008: 79). Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass das Erreichen eines Kriteriums nicht durch objektive Indikatoren beurteilt wird, sondern der subjektiven Einschätzungen unterliegt (vgl. Schmelter 2014: 43). Dennoch sind die Benennung von Kriterien und die Diskussion ihrer Erfüllung unerlässlich. Es gibt einige Kriterien, die für quantitative und qualitative Forschungen gleichermaßen gelten. Hier seien nach Steinke (2007: 181f.) die folgenden genannt, die weit verbreitet sind: Nutzen der Studie: Relevanz der Fragestellung; Beitrag zu Problemlösung bzw. Wissensentwicklung, Angemessenheit des Vorgehens: Passung der Methoden und des Samplings zum Untersuchungsgegenstand und zur Fragestellung, Dokumentation des methodischen Vorgehens: Transparenz zur Gewährleistung von Nachvollziehbarkeit und Bewertbarkeit, ethisches Vorgehen (vgl. Kap. 6.1.4). Darüber hinaus gelten für verschiedene Bereiche weitere Kriterien. Im Folgenden orientiere ich mich an den für qualitative Forschung vorgeschlagenen Gütekriterien 82 (vgl. Grotjahn 2000; Grotjahn 2006: 258-259; Lamnek 2005: 146f.; Mayring 2002: 142-148; Schmelter 2014; Schmelter 2004: 352-366; Steinke 2007: 182f.). 82 Zur Diskussion der Eignung von Gütekriterien für quantitativ ausgerichtete Forschungsprojekte für qualitative Forschung vgl. z. B. Mayring (2002: 140) und Steinke (2007: 182) <?page no="143"?> 6.1 Allgemeine Überlegungen zum Forschungsprojekt 143 Nähe zum Gegenstand/ Gegenstandsangemessenheit: 83 Für eine gegenstandsnahe, gegenstandsangemessene Studie wählt der Forscher/ die Forscherin zunächst einen relevanten Gegenstand aus, nähert sich dem Forschungsfeld in respektvoller und angemessener Weise (z. B. über eine ernsthafte Aushandlung von Rollen und mit größtmöglicher Transparenz für die Untersuchungspartner/ innen; vgl. Kap. 6.3.3) und trifft in Bezug auf das Sampling, die Datengenerierung, -aufbereitung und -interpretation eine Wahl, durch die der Gegenstand in bestmöglicher Weise beleuchtet und die Fragestellung beantwortet werden kann. Dabei wird der Gegenstand oder das Subjekt als Ganzes im Kontext betrachtet (vgl. Mayring 2002: 24). intersubjektive Nachvollziehbarkeit: Der Anspruch der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit ist es, den Leser/ innen einen Zugang zum Verständnis der Vorgehensweise sowie der Ergebnisse zu ermöglichen (Verfahrensdokumentation). Während der Arbeit an dieser Studie diente die Diskussion des Datenmaterials mit anderen Forscher/ innen im Rahmen einer Interpretationswerkstatt und in Forschungs- und Doktorand/ innenkolloquien der Einhaltung dieses Kriteriums, bei der Verschriftlichung wird eine größtmögliche Transparenz in der Beschreibung angestrebt (vgl. dazu z. B. Breuer, F. et al. 2011: 441). Die Forderung nach einer detaillierten Dokumentation gerät allerdings dort in Konflikt mit ethischen Überlegungen, wo die Anonymität der Untersuchungspartner/ innen nicht mehr gewährleistet wäre, beispielsweise durch die Veröffentlichung von Audio- und Videomaterial. Reflektierte Subjektivität: In Anlehnung an die oben erwähnt Reflexivität verlangt eine reflektierte Subjektivität einen bewussten und reflektierten Umgang mit der eigenen Subjektivität der Forscherin. Diesem Kriterium wird vor allem durch die Offenlegung von Vorannahmen entsprochen. Verdeutlichung der Reichweite: Während beispielsweise Grotjahn und Schmelter von Limitation der Ergebnisse sprechen (vgl. Grotjahn 2006: 258-259; Schmelter 2004: 365), wenn sie die Grenzen der Verallgemeinerbarkeit einer Theorie beschreiben, so entscheide ich mich 83 Steinke führt statt der Gegenstandsangemessenheit die Indikation der Methoden als Gütekriterium auf, die ebenso wie die Gegenstandsangemessenheit darauf abzielt, auf den Untersuchungsgegenstand optimal abgestimmte Methoden zu wählen (Steinke 2007: 182). Ich wähle den Begriff der Gegenstandsangemessenheit, da durch die offenere Formulierung auch Kontextfaktoren wie die Wahl des Settings etc. eingeschlossen sind, während der Methodenbegriff stärker einschränkend ist. <?page no="144"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 144 für die Formulierung der Verdeutlichung der Reichweite, weil eine Limitation jeder Form von Forschung, ob qualitativ oder quantitativ, inhärent und somit nicht explizit ein Gütekriterium qualitativer Forschung ist. In diesem Sinne meine ich damit sowohl die ökologische Validität, 84 nach der die gewonnenen Erkenntnisse im Alltag Bestand haben, als auch die Begrenztheit der Übertragbarkeit, die wiederum durch eine detaillierte Beschreibung der Kontexte und Bedingungen verdeutlicht wird. Die Kriterien der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, der reflektierten Subjektivität und der Verdeutlichung der Reichweite der Ergebnisse haben alle gemein, dass sie die detaillierte Beschreibung der Vorannahmen und des Verfahrens verlangen (vgl. Mayring 2002: 21). Ich lehne mich hierbei an die dichte Beschreibung nach Geertz (1973) an, die eine intensive und tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand („thick description“ (Geertz 1973: 6; Ponterotto 2006) 85 zum Ziel hat. Dichte Daten beinhalten eine detaillierte Beschreibung der sozialen Interaktionen, die Berücksichtigung von Gedanken und Gefühlen der Beteiligten, die Zuschreibung von Motivationen und Intentionen sowie die Darstellung der Untersuchungsumgebung (vgl. Ponterotto 2006: 542f.). Die dichte Beschreibung ist selbst kein Gütekriterium, stellt aber die Grundlage für intersubjektive Nachvollziehbarkeit, reflektierte Subjektivität und die Verdeutlichung der Reichweite der Ergebnisse dar. 6.1.4 Forschungethische Fragen Darüber hinaus sind die Einhaltung forschungsethischer Fragen und der respektvolle Umgang mit den Untersuchungspartner/ innen wichtige Prinzipien empirischer Forschung. Die drei zentralen Merkmale sind a) Informationen über die Vertraulichkeit und Anonymität, b) die Bereitstellung ausreichender Informationen durch die Forschenden sowie c) das Erlangen eines „informed consent“ (Kvale/ Brinkmann 2009: 71; Mackey/ Gass 2005: 27). Zu beachten ist bei der Datengenerierung außerdem, dass es sich um ein komplexes Machtverhältnis handelt, bei dem alle Beteiligten eigene Interessen verfolgen (vgl. Rounds 1996: 56), von der Beantwortung von Forschungsfragen bis hin zur positiven Selbstdarstellung bei der Beantwortung 84 Das Prinzip der ökologischen Validität, das in qualitativen Forschungsansätzen Anwendung findet, „bezieht sich darauf, ob die Ergebnisse einer Untersuchung auch unter den komplexen Interaktionsbedingungen der sozialen Alltagswelt Bestand haben“ (Kvale 1995: 428). 85 Mackey/ Gass sprechen auch von „rich description“ als Merkmal qualitative Forschung (Mackey/ Gass 2005: 162). <?page no="145"?> 6.1 Allgemeine Überlegungen zum Forschungsprojekt 145 von Fragen. Hier ist es notwendig, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen und einen respektvollen Umgang mit den Untersuchungspartner/ innen zu pflegen (vgl. ebd.). In vielen Verbänden (z. B. in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie) werden derzeit Ethikkodices erlassen (vgl. Flick 2012: 57f.). In Ländern mit stärkerer institutioneller Kontrolle von Forschungsethik, beispielsweise in den USA, achten Gremien auf die Einhaltung ethischer Kriterien. Folgende Punkte werden von den meisten Institutional Review Boards genannt und können daher als gemeinsamer Kern betrachtet werden (Glesne 2011: 163): 1. Research subjects must have sufficient information to make informed decisions about participating in a study. 2. Research subjects must be able to withdraw, without penalty, from a study at any point. 3. All unnecessary risks to a research subject must be eliminated. 4. Benefits to the subject or society, preferably both, must outweigh all potential risks. 5. Experiments should be conducted only by qualified investigators. Problematisch ist nach Flick allerdings nicht primär, dass über die Regeln keine Einigkeit besteht, sondern dass die Einhaltung der Regeln nicht kontrolliert wird. Forscher/ innen sind daher dazu angehalten, die eigene Studie entsprechend verantwortungsvoll zu überwachen (vgl. Flick 2012: 59). In der Umsetzung meiner Studie bedeutete dies, dass die Daten anonymisiert und vertraulich behandelt wurden. Zu Beginn der Untersuchung holte ich die schriftliche Einverständniserklärung der Untersuchungspartner/ innen ein. Da sie Deutsch als Fremdsprache sprachen, erstellte ich ein umfassendes, aber dem Sprachniveau angemessenes Informationsblatt, welches ich im Kurs gemeinsam mit den Studierenden las und ihnen auch mit nach Hause gab, mit der Bitte, es gründlich zu sehen und zu prüfen. Es stellt sich aber schon durch die Kriterien der Offenheit und Transparenz die schwierige Frage, wie offen die Ziele einer Datengenerierung kommuniziert werden können, ohne die Untersuchungspartner/ innen zu stark zu beeinflussen und einen starken Hawthorne-Effekt 86 hervorzurufen. In meiner Studie entschied ich mich aus diesem Grund dazu, den Studierenden mitzuteilen, dass der Fokus meiner Untersuchung auf der Schreibförde- 86 Der Hawthorne-Effekt bezieht sich darauf, dass das Bewusstsein, interviewt zu werden, das Verhalten im Interview beeinflusst (vgl. Silvester 1993: 42). Von einem starken Hawthorne-Effekt ist demnach zu sprechen, wenn große Abweichungen zwischen Verhalten und Äußerungen in den Interviewsituationen und außerhalb vorliegen. <?page no="146"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 146 rung liege, obwohl eigentlich die Portfolioarbeit im Mittelpunkt stand. Anlass dafür sah ich deshalb gegeben, weil die Studierenden in der Pilotierungsphase Portfolioarbeit auf das Führen ihrer Mappe bezogen, Selbsteinschätzungsaktivitäten und peer feedback aber beispielsweise in den Interviews nur bei direkten Fragen berücksichtigt wurden. Auch der Lehrperson gegenüber wurden nicht alle Forschungsziele transparent gemacht, um den Druck von ihr zu nehmen. So wurde kommuniziert, dass die Unterrichtsbeobachtung das Ziel habe, das Unterrichtsgeschehen allgemein aufzuzeichnen, während es doch auch um die Gestaltung der Portfolioarbeit durch die Lehrerin ging. Nach Abschluss der Studie wurde sie darüber informiert. Somit herrschte keine vollständige Transparenz und die Fokussierung der Studie bzw. der Unterrichtsbeobachtungen wurde nicht kommuniziert. Jedoch waren in beiden Fällen die eigentlichen Untersuchungsziele in den angegebenen Zielen enthalten, so dass die Darstellung aus einer forschungsethischen Perspektive zu verantworten ist. Drei Kriterien, die den Vorenthalt von Informationen begleiten, waren erfüllt (vgl. Mackey/ Gass 2005: 30; Rounds 1996: 53): 1. Die Informationen wurden nur vorenthalten, um die Forschungsziele zu erreichen, 2. den Untersuchungspartner/ innen wurden keine Informationen über Risiken vorenthalten, und 3. sie erhielten nach Abschluss der Datengenerierung einen Einblick in die detaillierteren Untersuchungsfragen. Bei der Interpretation von Daten gerät man als Forscherin zuweilen ebenfalls in Situationen, in denen ethische Prinzipien und formale Richtlinien nicht ausreichen, um eine Lösung zu finden (vgl. Bach/ Viebrock 2012: 27f.; Rubin/ Rubin 1995: 96). So ist es auf der Basis der Datenlage manchmal leicht, sich allzu kritisch mit dem Handeln und den Einstellungen der Untersuchungspartner/ innen auseinanderzusetzen. Hier war es oft notwendig, innezuhalten, von einer einzelnen Aussage Abstand zu nehmen, den Menschen und den Kontext als Ganzes nicht aus dem Blick zu verlieren und jedem zuzugestehen, dass er oder sie sich - zumal in einer Interviewsituation - nicht immer präzise ausdrückt. 6.2 Methodologische Verortung: Grounded Theory als Rahmenprogramm Für eine interpretative Studie, für die sich aufgrund weniger empirisch verankerter Vorkenntnisse eine datenkonzentrierte Vorgehensweise mit hohen <?page no="147"?> 6.2 Methodologische Verortung: Grounded Theory als Rahmenprogramm 147 Anteilen einer induktiven Kategorienbildung eignet, bietet sich die Arbeit mit der Grounded Theory Methodologie an. Dieses forschungsmethodische Programm wurde in den 1960er Jahren von Anselm Strauss und Barney Glaser entwickelt (vgl. Glaser/ Strauss 1967) und kann als Reaktion auf die zu dieser Zeit vorherrschende hypothetisch-deduktive Theoriebildung verstanden werden. Ziel dieses Programms war es, die Theoriebildung gegenüber der bisher vorherrschenden Theorieüberprüfung aufzuwerten, da die Hypothesengenerierung ohne solide Datenbasis als Schwäche des hypothetiko-deduktiven Forschungsparadigmas galt (vgl. Kelle 2007b: 33). Die ursprüngliche Orientierung der Grounded Theory am radikalen Induktivismus im Sinne von Francis Bacon, David Hume oder John Locke blieb aus gutem Grund nicht erhalten (vgl. Kelle 2007b: 34; Kap 6.2.1). Geblieben ist eine systematische Vorgehensweise zur Erarbeitung eines Phänomens mit einer engen Anlehnung an die Daten. In der deutschen Übersetzung von Grounded Theory ist die Rede von gegenstandsnaher, gegenstandsverankerter oder empirisch begründeter Theoriebildung. Da Theoriebildung immer den Anspruch haben sollte, gegenstandsverankert und empirisch begründet zu sein, verzichte ich auf eine Übersetzung und behalte die englische Terminologie bei, die allerdings ebenfalls nicht unproblematisch ist. Da der Begriff der Grounded Theory sowohl die methodische Vorgehensweise als auch als Ergebnis entstehende Theorie beschreibt, werde ich zwischen der entwickelten Grounded Theory (GT) und der Grounded Theory Methodologie (GTM) unterscheiden (zum Theoriebegriff vgl. Kap. 6.2.2). Im Folgenden (Kap. 6.2.1) werde ich die Besonderheiten der GTM schildern, bevor ich in Kapitel 6.2.2 diese Arbeit innerhalb des Programms verorte. Vorab umreiße ich kurz die Gründe für die Wahl der GTM. Induktive Kategorienbildung: Während beispielsweise Verfahren wie die Mayring‘sche Inhaltsanalyse mit einer deduktiven Kategorienbildung arbeiten und somit konkrete Erwartungen an das Datenmaterial voraussetzen, bietet es sich bei bisher kaum empirisch erforschten Themen wie bei der Arbeit mit Portfolios im Schreibunterricht ein Verfahren an, das mehr induktive Elemente integriert (vgl. Birks/ Mills 2011: 16; Demirkaya 2014: 218; Mayring 2002: 107). reiche und dichte Daten: Wie in Kapitel 6.1.3 in Bezug auf die Gütekriterien beschrieben, ist es bei der Erkundung der Wahrnehmungen und Einflussfaktoren sinnvoll, reiche und dichte Daten zu erheben. Beim Umgang mit diesen Daten wird bei der GTM enger am Datenmaterial gearbeitet als beispielsweise bei der Mayring‘schen Inhaltsanalyse, die Zusammenfassungen durch die Forscherin vorsieht. Gleichzeitig wird <?page no="148"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 148 stärker vom Text abstrahiert als bei der Objektiven Hermeneutik. Mit der GTM besteht die Möglichkeit, dicht am Datenmaterial zu arbeiten, ohne auf der Wortebene verhaftet zu bleiben. Verfahrensdokumentation als Gütekriterium: Die Bedeutung der Verfahrensdokumentation für diese Studie wurde in Kapitel 6.1.3 diskutiert. Die GTM ist damit kompatibel, da sie die ständige, transparente Verfahrensdokumentation, beispielsweise in Memos, als selbstverständliches Element enthält (vgl. Breuer, F. 2009). 6.2.1 Die Grundlagen der Grounded Theory Methodologie Die GTM ist derzeit “the most widely used and popular qualitative research method across a wide range of disciplines and subject areas” (Bryant/ Charmaz 2010: 1). Sie ist zu verstehen als ein „systematic, inductive, and comparative approach for conducting inquiry for the purpose of constructing theory” (ebd.). Die GTM hat ihre Wurzeln im Pragmatismus, der sich durch eine prozessuale und multiperspektivische Realitätsauffassung auszeichnet (vgl. Strübing 2008: 39), und im darauf basierenden Symbolischen Interaktionismus, nach dem Handlungen auf individuellen Bedeutungszuschreibungen der Handelnden beruhen (vgl. Flick 1996: 29, vgl. Kap. 6.1.2). Dabei ist festzuhalten, dass es sich vielmehr um eine Gruppe von Methoden mit sehr unterschiedlichen Ausrichtungen handelt (vgl. ebd. 11; Strübing 2008: 9). Bei den Hauptströmungen handelt es sich um die GTM nach Glaser (vgl. z. B. Glaser/ Holton 2004), der eine radikal induktivistische Haltung beibehalten hat, und um die GTM nach Strauss, später gemeinsam mit Corbin (vgl. z. B. Strauss/ Corbin 1996), die stärker im Pragmatismus verankert ist und als „die wissenschafts- und methodentheoretisch gehaltvollere“ Ausrichtung gilt (Strübing 2008: 9). Weiterentwicklungen der GTM finden sich in Richtung der reflexiven GTM (vgl. Breuer, F. 2009) und der konstruktivistischen GTM (vgl. Charmaz 2006). Zur Einordnung dieser Arbeit werde ich im Folgenden die Merkmale der GTM erläutern und die Besonderheiten der einzelnen Ausrichtungen umreißen. 6.2.1.1 Radikaler Induktivismus vs. reflektierte Offenheit Ziel der GTM ist es, beruhend auf ihrer induktivistischen Herkunft, Konzepte in den Daten zu erkennen und Aussagen über die Beziehungen dieser Konzepte zu treffen (vgl. Breuer, F. 2009: 13). Dazu sind die Annäherung an das Forschungsfeld und der Zugang dazu von einer größtmöglichen Offenheit gekennzeichnet. Diese Offenheit wird häufig in einer radikalen Form <?page no="149"?> 6.2 Methodologische Verortung: Grounded Theory als Rahmenprogramm 149 eingefordert. So wird beispielsweise an manchen Stellen verlangt, Fachliteratur erst nach der Durchführung der Feldstudie zu konsultieren (vgl. Strauss/ Corbin 1996: 33). Bei dieser Vorgehensweise handelt es sich um den meist diskutierten und vor allem am häufigsten kritisierten Aspekte der GTM. Lamnek konstatiert: „[D]ie naiv-empiristische Tabula-rasa- Vorstellung, wonach zu Beginn einer Untersuchung begrifflich-theoretische Konzepte quasi aus dem Datenmaterial emergieren, wird kritisiert, da es keine Wahrnehmung gibt, die nicht von Erwartungen durchsetzt ist“ (Lamnek 2005: 115). Es besteht Einigkeit darüber, dass eine völlige Freiheit von Vorwissen schlichtweg unmöglich ist und dass Erwartungen und Vorwissen auch dazu nötig sind, um einen Problembereich zu definieren und eine Auswahl aus der Datenmenge zu treffen (vgl. ebd.). Außerdem dient die Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur der theoretischen Verortung der Studie (vgl. Davis 1995: 436). Darüber hinaus können Ergebnisse nicht ohne Interpretation und Konstruktion durch die Forscherin/ den Forscher aus den Daten emergieren. Deren/ dessen Rolle sollte also nicht unterschätzt werden. Allerdings ist die angeführte Kritik nicht präzise, denn Glaser und Strauss fordern das Ignorieren von Vorwissen nicht konsequent. Sie wählten zwar in der Präsentation der GTM eine scharfe Rhetorik, um sich auf radikale Weise von der vorherrschenden hypothetisch-deduktiven Theoriebildung abzugrenzen und eine Rückbesinnung auf die Daten einzufordern, und schlugen mit dem Appell für einen radikalen Induktivismus eine unangemessene und nicht umsetzbare Vorgehensweise vor (vgl. z. B. Kelle 1994). In Kelles Terminologie handelt es sich dabei um das viel diskutierte „induktivistische Selbstmissverständnis“ der GTM (vgl. ebd. 32; Kelle 2007b: 34). Allerdings stellen Glaser und Strauss schon in ihren frühen Arbeiten heraus, dass sie nicht davon ausgehen, dass Forscher/ innen ohne Vorwissen in das Feld eintreten: „Of course, the researcher does not approach reality as a tabula rasa. He must have a perspective that will help him see relevant data and abstract significant categories from his scrutiny of the data” (Glaser/ Strauss 1967: 3). Darüber hinaus ist die vorgeschlagene Umsetzung des Verfahrens nicht durchgängig induktiv, sondern enthält auch deduktive und abduktive Elemente, so dass Rhetorik und Praxis nicht immer übereinstimmen (vgl. Bendassolli 2013). Auf die Kritik reagierten Glaser und Strauss mit unterschiedlichen Verfahren. Glaser erfand den Prozess des theoretischen Kodierens, Strauss entwickelte einen im Pragmatismus verankerten Kodierrahmen, 87 der eine theo- 87 Bei Strauss und Corbin ist die Rede von einem Kodierparadigma (vgl. z. B. Corbin/ Strauss 2008: 89). Ich verwende die Bezeichnung nur in Zitaten und <?page no="150"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 150 riegeleitete Vorgehensweise bei der Verbindung verschiedener Kategorien unterstützt (vgl. Kelle 2007b: 41f.; Kelle 1994: 39). Durch diese Entwicklungen manifestierte sich die Spaltung der GTM in zwei Ausrichtungen (vgl. Kap. 6.2.1.2). Der gemeinsame erste Schritt bleibt das offene Kodieren, bei dem aus dem Datenmaterial induktiv Kategorien gebildet werden. Der Kodierrahmen bei Strauss (vgl. Kap. 6.5.5) dient der Dimensionalisierung der durch das offene Kodieren und das Zusammenfassen gewonnenen Kategorien. Hier werden Typen von Phänomenen, Handlungskontexte, kausale und intervenierende Bedingungen, Handlungs- und Interaktionsstrategien sowie deren Konsequenzen herausgearbeitet (vgl. Kelle 1994: 43; Strübing 2008: 23-26). Glasers Konzept des theoretischen Kodierens ergänzt das des offenen Kodierens. Die theoretischen Codes, über die Forscher/ innen a priori verfügen, sollen dabei helfen, die gegenstandsbezogenen Codes zu einem Modell zusammenzufügen. Unter theoretische Codes fasst Glaser grundlegende Begriffe der Erkenntnistheorie, z. B. Ursachen, Kontexte, Konsequenzen und Bedingungen (vgl. Glaser 1978: 40). Somit ähnelt das theoretische Kodieren dem Kodierrahmen, ist aber weniger strukturiert und damit sowohl im positiven Sinne offener als auch im negativen Sinne willkürlicher. Insgesamt ist festzuhalten, dass ein reiner Induktivismus und die Emergenz einer Theorie aus den Daten nicht möglich und auch nicht wünschenswert sind. Stattdessen ist es angemessen, das Feld mit Vorwissen und durch die Lektüre der Fachliteratur sensibilisiert zu betreten. Eine vorab entwickelte Liste von möglichen Kategorien ist hingegen nicht im Sinne der GTM. Stattdessen wird von theoretischer Sensibilität ausgegangen. Kelle erklärt: Theoretische Sensibilität bedeutet die Verfügbarkeit brauchbarer heuristischer Konzepte, die die Identifizierung theoretisch relevanter Phänomene im Datenmaterial ermöglichen. Eine wesentliche Grundlage für diese heuristischen Konzepte bilden leitende Annahmen und zentrale Konzepte großer Theorien. Dabei zeigt sich, dass eine begriffliche Analyse solcher Annahmen und Konzept für die empirisch begründete Theoriebildung von ebenso großer Bedeutung ist wie eine empirische Untersuchung der damit bezeichneten Phänomene (Kelle 2007b: 38). Dem Verständnis der emergierenden Erkenntnisse steht demnach das eines theoretisch sensibilisierten und informierten Forschers gegenüber (vgl. Kelle 2007b: 36), bei dem Vorwissen keinesfalls ignoriert oder vernachlässigt wähle in meinen eigenen Ausführungen den Begriff des Kodierrahmens, da der Paradigmenbegriff, z. B. nach Kuhn (1976), m.E. unpassend ist. <?page no="151"?> 6.2 Methodologische Verortung: Grounded Theory als Rahmenprogramm 151 wird. Ziel ist es vielmehr, offen und kritisch mit vorhandenem Wissen umzugehen (vgl. Strübing 2008: 58). 6.2.1.2 Verschiedene Ausrichtungen der GTM Die unterschiedlichen Reaktionen auf die Kritik an der ursprünglichen Form der GTM prägten die Weiterentwicklung in unterschiedliche Richtungen maßgeblich. Während Glasers Ausrichtung weiterhin dogmatisch auf ein Ausblenden von Vorwissen beharrt, berücksichtigte Strauss dieses stärker. Die Hauptunterschiede der GTM sensu Strauss und Corbin in Abgrenzung zu der nach Glaser ist die Integration von nicht-prekärem Vorwissen, das Verständnis von Perspektivität als Voraussetzung jeder Erkenntnis sowie die Betrachtung von Methoden als pragmatische Heuristik, im Gegensatz zu Glasers „methodologische[m] Rigorismus“ (vgl. Strübing 2008: 54). Glaser warf Strauss daraufhin eine Verfälschung der GTM vor, da aus seiner Sicht durch die Anwendung des Kodierrahmens den Daten Konzepte aufgezwungen würden. Prinzipiell ist dieser Einwand ernst zu nehmen, da das Vorgehen die Offenheit einschränkt. Der von Strauss und Corbin vorgeschlagene Kodierrahmen stelle allerdings kein „präzises Hypothesenbündel, sondern […] ein hochgradig allgemeines Konzept [dar], mit dessen Hilfe sich alle möglichen Handlungen theoretisch beschreiben lassen“ (Kelle 2007b: 45). 88 Es gibt weitere Strömungen und Weiterentwicklungen der GTM, von denen zwei größere Verbreitung erreicht haben. Auf der Basis der Kritik, dass in den beiden vorherrschenden Varianten reflexive Anteile sehr gering seien, entstand die reflexive GTM (vgl. Breuer, F. et al. 2011; Breuer, F. 2000), in der die Bedeutung der Reflexion betont und die der GTM eigenen ausgiebige Dokumentation für diese Zwecke genutzt wird. Auch die konstruktivistische GTM nach Charmaz ist als Weiterentwicklung hin zu mehr Reflexivität zu verstehen ist (vgl. Willig 2001: 45). Im Gegensatz zu der stärker im Positivismus verankerten GTM, vor allem nach Glaser, die von neutralen und gleichzeitig im Thema informierten Beobachter/ innen ausgeht, die bestehende Wirklichkeiten aufdecken, ist die konstruktivistische GTM einer relativistischen Epistemologie verpflichtet. Vor diesem Hintergrund wird von „multiplen Wirklichkeiten“ ausgegangen. Daten und Wirklichkeiten werden somit aus der Interaktion von Beobachter/ innen und Beobachteten konstruiert (vgl. Charmaz 2011: 192). 88 Zum Verlauf des Methodenstreits zwischen Glaser und Strauss vgl. z. B. Eaves (2001), Kelle (1994: 43-46) und Strübing (2008: 65-78). <?page no="152"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 152 Die konstruktivistische GTM […] versteht Wissen als sozial hergestellt, anerkennt [sic! ] multiple Standpunkte sowohl der Forschungsteilnehmer/ innen als auch der Forscher/ innen und nimmt eine reflexive Haltung gegenüber unseren Handlungen, gegenüber Situationen und Teilnehmenden im Forschungs-Setting und auch gegenüber unseren eignen analytischen Konstruktionen ein“ (ebd. 184). Charmaz (2006: 178) nennt folgende Merkmale von Forschung nach konstruktivistischer GTM: 1. The grounded theory research process is fluid, interactive, and openended. 2. The research problem informs initial methodological choices for data collection. 3. Researchers are part of what they study, not separate from it. 4. Grounded theory analysis shapes the conceptual content and direction of the study; the emerging analysis may lead to adopting multiple methods of data collection and to pursuing inquiry in several sites. 5. Successive levels of abstraction through comparative analysis constitute the core of grounded theory analysis. 6. Analytic direction arises from how researchers interact with and interpret their comparisons and emerging analyses rather than from external prescriptions. Diese Aussagen bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen und bieten verschiedene Ansatzpunkte. Die Beschreibung des Forschungsprozesses als fließend, interaktiv und ergebnisoffen (a) weist Merkmale der GTM, aber auch qualitativer Forschungsparadigmen allgemein auf. Die Ausrichtung methodischer Entscheidungen auf die Fragestellung (b) ist noch weiter gefasst, denn sie gilt sowohl für qualitative als auch für quantitative Untersuchungen. Mit der Feststellung, dass die Forscher/ innen Teil der Studie sind (c), verortet sich Charmaz im Konstruktivismus, obwohl es ebenso allgemeiner verstanden werden könnte. Das Verständnis, dass das Ergebnis den Prozess beeinflusst (d), ist der GTM mit ihrer Prozessualität eigen, ebenso wie das Verfahren des ständigen Vergleichs (e). Die Betonung der Bedeutung von Interaktion für die Interpretation von Daten zeugt von einer deutlichen Verortung im Sozialkonstruktivismus. Die Wiederholung des Begriffs „emerging“ weist eine größere Nähe zu einer GTM nach Glaser auf, wobei dieser eine konstruktivistische GTM klar ablehnt (vgl. Glaser 2002). Festzuhalten bleibt, dass eine konstruktivistische GTM nach Charmaz sich „nicht an den radikalen Subjektivismus und individuellen Reduktionismus an[schließt], der im Konstruktivismus teilweise vertreten <?page no="153"?> 6.2 Methodologische Verortung: Grounded Theory als Rahmenprogramm 153 wird, wenn individuelles Bewusstsein alles erklären soll (Charmaz 2011: 188). Sie weist darauf hin, dass diese Sichtweise „soziale Positionen, kulturelle Traditionen und interaktionale und situationale Kontingenzen“ übersehe (vgl. ebd.). In der konstruktivistischen GTM stehen vielmehr die Überzeugungen und Handlungen der Akteur/ innen, die Motivation für ihr Handeln - oder für das Nicht-Handeln - im Mittelpunkt. Ziel ist es, die Perspektive der Forschungsteilnehmer/ innen zu verstehen und sie innerhalb des Feldes zu verorten. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei der Interaktion im Feld zu (vgl. ebd. 185, 191). Trotz zahlreicher Publikationen und obwohl die praktische Umsetzung der GTM vergleichsweise detailliert beschrieben wurde, bleiben in allen Ausrichtungen Fragen offen, die teilweise mit erkenntnistheoretischen Ungereimtheiten zusammenhängen. An erster Stelle ist das „induktivistische Selbstmissverständnis“ (Kelle 1994: 341) zu nennen. Aber auch Charmaz‘ konstruktivistische GTM, die sich an Glasers Induktivismus anschließt, ist nicht konsistent. Ein Widerspruch entsteht durch den Fokus auf die Emergenz von Theorie bei gleichzeitigem Verständnis von der Konstruktion von Wissen durch Subjekte, wobei letzteres in Charmaz‘ Schriften eine dominante Rolle einnimmt und daher in meiner Interpretation als Kern dieser Variante der GTM verstanden wird. 6.2.1.3 Kriterien für die GTM Die Beschreibung eines gemeinsamen Kerns der GTM ist bei den vielfältigen möglichen GTM-Ansätzen hilfreich, um die wesentlichen Elemente zu verdeutlichen. Die GTM-Community zeigt große Bestrebungen, durch eine klare Definition von Kriterien einer sich entwickelnden Unschärfe der Merkmale von GTM vorzubeugen. Es bestehen hohe Legitimationsanforderungen, und ganze Beiträge beschäftigen sich ausschließlich mit der Begründung dafür, dass eine bestimmte Studie nicht den Kriterien der GTM entspricht (vgl. bspw. Hood 2010). Häufig werden in stark normativer Manier Kernelemente definiert, so z. B. zusammengestellt bei Bryant und Charmaz (2010: 12f.), die erfüllt sein müssen, um von GTM zu sprechen. Außerdem werden zahlreiche Studien als GTM-basiert abgelehnt, weil als zentral geltende Kriterien nicht eingehalten werden. Kennzeichen, die häufig genannt werden, sind folgende (vgl. Eaves 2001: 656): <?page no="154"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 154 theoretisches Sampling, 89 ständiger Vergleich der Daten, Fokus auf die Entwicklung einer Theorie durch die theoretische Sättigung von Kategorien, Gleichzeitigkeit von Datengenerierung, Dateninterpretation und Theoriebildung, Verfassen von Memos, klare und nachvollziehbare Verfahrens- und Interpretationsdokumentation. Etwas abstrakter sind die Vorschläge Charmaz‘, die für eine offenere Auslegung der GTM plädiert. Sie nennt Kriterien, die eher an allgemeine Gütekriterien erinnern (Charmaz 2006: 182). credibility: Dichte der Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes sowie die Sinnhaftigkeit der aus der Analyse getroffenen Schlüsse, originality: Anforderung, neue Einsichten anzubieten und theoretisch bedeutungsvoll zu sein; Anfechten bestehender Meinungen und Überzeugungen, resonance: Widerspiegeln des Untersuchungsgegenstandes in seiner Ganzheit, usefulness: erkennbarer Nutzen der Studie und der daraus gewonnenen Erkenntnisse für das Untersuchungsfeld. Charmaz trägt damit kaum dazu bei, GTM klarer zu definieren und Trennschärfe zu anderen Verfahren herzustellen. Allerdings ermöglicht sie es Forscher/ innen durch diese Offenheit, die GTM auf den Untersuchungsgegenstand zuzuschneiden und eine gegenstandsangemessene Variante auszuwählen (vgl. Thomas/ James 2006: 768), was bis zu einem gewissen Grad sinnvoll und wünschenswert ist, um sich nicht einem „Diktat der Methode“ beugen zu müssen, sondern die Methode als Hilfsmittel zum Erkenntnisgewinn nutzen zu können. 6.2.2 Verortung innerhalb der Methode Meine Gründe für die Anlehnung an die GTM habe ich bereits zu Beginn des Kapitels genannt: Ein Verfahren mit Kategorienbildung eignet sich für die Systematisierung großer Datenmenge und die tendenziell induktive Ka- 89 Dabei handelt es sich um eine der GTM eigene, prozessorientierte Samplingstrategie, die Auswahlkriterien im Prozess festlegt und ggf. verändert und die auf die theoretische Sättigung abzielt. <?page no="155"?> 6.2 Methodologische Verortung: Grounded Theory als Rahmenprogramm 155 tegorienbildung (die nicht mit einem radikalen Induktivismus zu verwechseln ist), das Interesse an reichen und dichten Daten, die Entwicklung von Erklärungsansätzen und die Verfahrensdokumentation als Gütekriterium. Die GTM gilt als geeignet für wenig erforschte Phänomene und für tiefe Einblicke (vgl. Dörnyei 2007: 262), weshalb sie für eine dichte Analyse von Portfolioarbeit im fremdsprachlichen Schreibunterricht angemessen ist. Orientiert man sich aber an den normativen Kriterienliste für GT- Studien, würde diese Studie vermutlich einer kritischen Überprüfung nicht uneingeschränkt standhalten. Die Gründe hierfür liegen darin, dass ich einige Kriterien aus forschungspraktischen Gründen nicht einhalten konnte, andere aufgrund eine abweichenden wissenschaftstheoretischen Verständnisses nicht berücksichtigen wollte. Diese Studie ist geprägt durch die GTM nach Strauss und Corbin und durch Charmaz‘ Darlegungen zur sozialkonstruktivistischen GTM. Damit distanziere ich mich von der strikt induktivistischen und dogmatischen GTM nach Glaser (2002; Glaser/ Holton 2004). Die Arbeit ist vor dem Hintergrund eines sozialkonstruktivistischen Verständnisses von Wissen und Verstehen zu sehen. Wissen entsteht durch soziale Konventionen und in der Interaktion von Menschen und ist interpretier- und modifizierbar. Das bedeutet, dass auch in dieser Studie Wissen durch das Zusammenspiel von Forscherin und Akteur/ innen im Feld konstruiert wird und es nicht aus den Daten emergiert. Um diese Prozesse nachvollziehbar und nutzbar zu machen, sind eine ausführliche Verfahrensdokumentation und eine Reflexion der Rolle der Forscherin unumgänglich. Vor diesem grundlegenden Verständnis stelle ich nun dar, wie ich mit einzelnen Aspekten der Methode umgegangen bin. Zunächst schließe ich mich der Kritik am Induktivismus (vgl. Kap. 6.2.1.1, vgl. dazu Thomas/ James 2006: 768) und konkret am geringen Stellenwert der Forschungsliteratur (vgl Allan 2003) an und bin dem begegnet, indem ich selbstverständlich vorab Forschungsliteratur konsultiert, mich intensiv damit auseinandersetzt und darüber hinaus meine Vorannahmen expliziert habe, so dass ich trotz theoretischen Vorwissens mit einem hohen Maß an Offenheit an die Daten herantreten konnte (vgl. Kap. 6.2.1.1). Auch die teilweise geforderte Parallelität von Datengenerierung und Dateninterpretation (vgl. z. B. Charmaz 2006: 100) war bei der Begleitung eines Sprachkurses nicht möglich, weil zwischen einzelnen Terminen zu wenig Zeit zur Dateninterpretion blieb. Es ist allerdings zu bedenken, dass es sich bei dieser Forderung um ein verbreitetes Missverständnis der Arbeiten von Strauss handelt (vgl. Demirkaya 2014: 223), da eine Datengenerierung „auf Vorrat“ (vgl. Strübing 2008: 31f.) durchaus eine legitime Möglichkeit darstellt, die lediglich weniger ökonomisch ist als die oben be- <?page no="156"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 156 schriebene Parallelität (vgl. Bortz/ Döring 2006: 333; Corbin/ Strauss 2008: 150; Strübing 2008: 31f.; Willig 2001). Die Entscheidung für eine Anpassung einzelner Aspekte der GTM wird auch von Strübing (2008: 7) unterstützt, der darstellt, dass es sich bei der GTM um kein präskriptives Verfahren handelt. Sie ist vielmehr zu verstehen „als eine konzeptuell verdichtete, methodologisch begründete und in sich konsistente Sammlung von Vorschlägen, die sich für die Erzeugung gehaltvoller Theorien über sozialwissenschaftliche Gegenstandsbereiche als nützlich erwiesen haben“ (ebd.). 6.2.3 Theoriebegriff Anders als bei anderen Verfahren der Qualitativen Datenanalyse stehen am Ende einer GTM-Studie keine Kategorienliste und keine Typenbildung, sondern es soll, wie der Name sagt, eine Theorie entstehen. Sehr allgemein stellt Kron (1999: 75) heraus: „Unter einer Theorie kann […] ein nach wissenschaftlichen Regeln entstandenes Ergebnis oder Produkt theoretischer und/ oder empirischer Erkenntnisse verstanden werden, das in Begriffen und Sätzen ausgedrückt wird.“ Zu betonen ist in jedem Fall die Bedeutung der Versprachlichung und die Abhängigkeit der Erkenntnisse von den Forschenden. Durch Theorien kann man Daten abbilden, ihnen „eine Gestalt geben, Beziehungen stiften, hin zu neuen Einsichten führen und neue Fragen und Probleme entdecken“ (Wiedemann 1995: 440). Sie machen Ergebnisse und Erkenntnisse greifbar. Kritisiert wird vor allem der inflationäre Gebrauch des Theoriebegriffs, denn bei den als Theorie beschriebenen Ergebnissen handele es sich nicht um große, allumfassende Theorien, sondern vielmehr um kohärente, eingebettete Erklärungen eines Phänomens (vgl. Dörnyei 2007: 260). Auch Misco lehnt es ab, von einer „grounded theory“ zu sprechen, da er Theorien so versteht, dass sie nur eine einzige Sichtweise einnehmen und zulassen und damit ebenfalls zu eng sind (vgl. Misco 2007: 5). Als Konsequenz führt er den Begriff der „grounded understandings“ ein, der auf die Übertragbarkeit auf zukünftige Situationen abzielt (vgl. ebd. 6). Selbst wenn diese Kritik nachvollziehbar ist, werde ich den Theoriebegriff in dieser Arbeit beibehalten, denn er kann durchaus differenziert betrachtet werden. In Anlehnung an den soziologischen Sprachgebrauch unterscheide ich zwischen formalen oder großen Theorien (grand theories) und gegenstandsbezogenen Theorien mittlerer Reichweite, die unter klar beschriebenen Zuständen und nur temporär gültig sind (vgl. Wiedemann 1995: 440). Ich lehne mich an den Theoriebegriff der GTM an, bei dem <?page no="157"?> 6.2 Methodologische Verortung: Grounded Theory als Rahmenprogramm 157 die kontinuierlichen Prozesse des Theoretisierens in den Vordergrund gerückt und ‚Theorien‘ als temporär-vergängliche Reifikationen aus diesem Prozess betrachtet werden, die im Moment ihrer Formulierung bereits wieder Ausgangspunkt neuen Theoretisierens sind (Strübing 2008: 10). Dieses Verständnis einer veränderlichen Theorie weicht von einem Theoriebegriff, der sich auf die Beschreibung von konstanten, vorhandenen und erkennbaren Beziehungen zwischen Phänomenen bezieht, deutlich ab (vgl. Charmaz 2006: 125). Einen Schritt weiter geht die konstruktivistische Auffassung von Theorien, die den Fokus auf das Verstehen eines Phänomens statt auf die Erklärung legt. Das Verstehen wird als abstrakt und interpretativ betrachtet und entsteht aus der Interpretation der Forschenden, die wiederum durch deren Erfahrungen und Beziehungen beeinflusst wird (vgl. ebd. 126; 130). Strübing führt aus: Weil Theorien nicht Entdeckungen (in) einer als immer schon gegeben zu denkenden Realität, sondern beobachtergebundene Rekonstruktionen repräsentieren, bleiben auch sie der Prozessualität und Perspektivität der empirischen Welt unterworfen (Strübing 2008: 39). Die Verallgemeinerbarkeit von Theorien, sowohl kontextuell als auch temporal, ist zwar ein häufig gefordertes Anliegen (vgl. z. B. Geertz 1973: 26), vor dem Hintergrund der erwähnten Prozessualität und Perspektivität sowie der Faktorenkomplexion von Fremdsprachenunterricht aber in absoluter Form nur schwer erreichbar. Larsen-Freeman konstatiert: I would question […] whether generalizability has ever been attainable in classroom research. […] And now with our newly won awareness concerning the influence of diverse contexts and multiple contributors to research agendas, generalizing from a single study to all contexts seems an even more remote goal. Ultimately, though, I think we researchers would all agree that the fruits of our research should be useful outside of the particular context in which they were generated (Larsen-Freemann 1996: 164). Trotz der Problematik der Verallgemeinerbarkeit ist ein Verzicht auf Erklärungen nicht wünschenswert. Eine mögliche Lösung bieten die oben skizzierten Theorien mittlerer Reichweite, die hinsichtlich der Situationen, aber auch der zeitlichen Gültigkeit detailliert beschrieben sind und deren Gültigkeit für weitere Bereiche davon ausgehend geprüft werden können (vgl. Mayring 2002: 24). <?page no="158"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 158 6.3 Annäherung an das Forschungsfeld Im Folgenden werde ich meine Kontakte mit dem Forschungsfeld und den Akteur/ innen im Feld beschreiben. Dabei geht es nicht nur um rein forschungstechnische Fragen bei der Auswahl des begleiteten Sprachkurses und um das Sampling, sondern im Sinne einer reflektierten Offenheit auch um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln (vgl. Breuer, F. 2009: 21). Von besonderer Bedeutung sind das Selbstverständnis im Feld und die Rollenaushandlungen mit den Akteur/ innen. 6.3.1 Pilotierung und Zugang zum Forschungsfeld Der Zugang zum Forschungsfeld basierte teilweise auf einer zufälligen Begegnung, teilweise auf gezielten Vorbereitungen. Eine Lehrerin an einem Sprachenzentrum erzählte mir, dass sie in einem Schreibkurs auf dem Niveau B1-B2 (UNIcert II) 90 mit Portfolios arbeiten wollte. Schon an dieser Stelle begann eine gegenseitige Einflussnahme, denn durch ihre Erzählungen weckte sie mein Interesse an ihrem Vorgehen, und mein Interesse bestärkte die Kollegin wiederum darin, Portfolioarbeit in ihrem Kurs zu erproben. Sie fragte mich, ob ich den Kurs mit ihr gemeinsam leiten wolle. Ich sagte zu, da ich zu diesem Zeitpunkt noch in Erwägung zog, einen Kurs zu erforschen, in dem ich selbst unterrichtete. Durch die Zusammenarbeit im Kurs, in dem wir abwechselnd unterrichteten, blieb die Lehrerin selbstverständlich nicht völlig unbeeinflusst hinsichtlich ihres Umgangs mit dem Portfolio. Da sie allerdings in den Sitzungen, die ich unterrichtete, selbst nicht anwesend war und ihr Vorgehen im folgenden Kurs völlig anders war als meine, handelt es sich um eine zu berücksichtigende, aber begrenzte Beeinflussung. Das Sprachniveau war deshalb besonders interessant, weil es sich um Studierende handelt, die schriftsprachliche Deutschkenntnisse zur Bewältigung ihres Studiums benötigen, deren Sprachkenntnisse aber zum wissenschaftlichen Schreiben meist nicht vollständig ausreichen. Daher ist es eine Zielgruppe mit einem großen Interesse an der Verbesserung der Schreibkompetenz und gleichzeitig ein typisches Klientel für Kurse dieser Art, was die Möglichkeit zur Übertragung der Untersuchungsergebnisse auf andere Kontexte verbessert. In einer Pilotierungsphase hatte ich die Gelegenheit, den Kurs Schreiben im Studium ein Semester lang im Wechsel mit der Kollegin zu leiten und mit sechs Studierenden jeweils ein Interview und mit einer Studentin zwei Inter- 90 Vgl. http: / / www.unicert-online.org/ de (01.03.2015), vgl. Kap. 7.1. <?page no="159"?> 6.3 Annäherung an das Forschungsfeld 159 views zu führen. Die Rolle einer solchen Pilotierung ist nicht zu unterschätzen. Glesne stellt fest: A pilot study is useful for trying out many aspects of your proposed research. It can help you learn whether the concept of interest to you is of interest to participants. It can assist in clarifying research statements and questions. It can begin to challenge and uncover some of your assumptions about your proposed topic and context. Finally, a pilot study is an important place to try out research methods (Glesne 2011: 56). Neben einer Annäherung an die Thematik und an die von Glesne genannten Aspekten stand für mich die Frage im Mittelpunkt, wie ich die Interaktion mit den Untersuchungspartner/ innen am besten gestalten konnte. Besonders schwierig erschienen mir zunächst folgende Fragen: 1. Wie können Lernende auf dem Niveau B1 bis B2 ein Gespräch in der Zielsprache führen, das sich sehr stark auf einer Meta-Ebene bewegt? 2. Welche Rolle sollte ich als Forscherin einnehmen, um in der Interviewsituation und auch bei den Beobachtungen im Klassenraum auf möglichst große Offenheit zu stoßen? 3. In welchem Maße sind die Untersuchungspartner/ innen bereit, offen über ihre Haltung zu einem Instrument zu sprechen, das von der Lehrperson eingesetzt wurde und so ggf. indirekt Kritik an ihr zu üben? 4. Welche Abstände zwischen den einzelnen Zeitpunkten der Datengenerierung sind geeignet, um die Entwicklung möglichst engmaschig zu begleiten, gleichzeitig die Untersuchungspartner/ innen nicht durch zu viele Termine zu überfordern? Die Pilotierung diente dazu, den Kursverlauf zu beobachten, relevante Fragestellungen herauszuarbeiten und schließlich einen Interviewleitfaden zu entwickeln, Interviewtechniken zu erproben und auch technische Geräte zu testen. Insgesamt konnte ich Erkenntnisse gewinnen, die dabei halfen, ein durchführbares Unterrichtsdesign zu erstellen (vgl. dazu Ballweg 2012b). Die Erkenntnisse dieser Pilotierungsphase, die als Annäherung an das Untersuchungsfeld und zur Auswahl geeigneter Datengenerierungsverfahren zu verstehen ist, werden im Folgenden kurz zusammengefasst: 1. Portfolioarbeit ist Lehrperson und Lernenden eher nicht vertraut und stößt auf unterschiedliche Reaktionen. Daher ist eine explorative Herangehensweise sinnvoll. Erste Eindrücke aus den Interviews zeigen, dass die Lernenden bei der Bewertung der Portfolioarbeit vielfältige Themen ansprachen. Diese Themen genauer herauszuarbeiten, ist ein Ziel der Untersuchung. <?page no="160"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 160 2. Während der Fokus der Untersuchung zunächst auf der Wahrnehmung aller Akteur/ innen insgesamt liegen sollte, fand im endgültigen Design eine Aufteilung in zwei Schritte statt, da sich abzeichnete, wie stark die Wahrnehmungen Anweisungen und den zugrundeliegenden Annahmen der Lehrperson beeinflusst wurden. Dadurch fiel die Entscheidung, die Gestaltung der Portfolioarbeit in der Teilstudie A zu untersuchen und darauf aufbauend der Frage der Wahrnehmung der Lehrenden und Lernenden nachzugehen. 3. Die Lernenden auf dem Niveau B1-B2 können sich trotz erkennbarer Einschränkungen auch über abstrakte Themen äußern und scheinen so der Interviewsituation in der Fremdsprache gewachsen. Ihre Äußerungsmöglichkeiten verbessern sich, wenn ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Da es mir in dieser Untersuchung nicht möglich ist, die Lernenden in der jeweiligen Herkunftssprache zu befragen, ist es also zu verantworten, die Interviews in der Zielsprache durchzuführen. Statt langer narrativer Passagen sollte eine leichte Strukturierung durch die Interviewerin auch dazu dienen, die Interviewpartner/ innen zu entlasten. 4. Beim ersten Zeitpunkt der Datengenerierung zeigte sich, dass eine wöchentliche Befragung der Lernenden einige Nachteile aufweist. Alle Lernenden erklärten, dass ein wöchentlicher Termin für sie eine zeitliche Überforderung darstellten. Außerdem hatten sie nicht das Gefühl, nach einer Woche etwas Neues berichten zu können. So wurde für die Datengenerierung über die Kursdauer ein Abstand von zwei bis drei Unterrichtssitzungen festgelegt. 5. Die Überlegung, den eigenen Unterricht zu erforschen (vgl. dazu z. B. Abendroth-Timmer 2005), wurde nach dem Erprobungssemester verworfen, was eine unvermeidbare Konsequenz der Aufwertung der Lehrenden-Perspektive war. Außerdem zeigte sich, dass eine Vermischung der Rolle als benotende Instanz und Interviewerin die Untersuchungspartner/ innen in ihren Äußerungen sehr zurückhaltend werden ließ, gerade da die Portfolioarbeit zu sehr großen Irritationen führte und ich als Co- Dozentin diese Irritationen mitverantwortet hatte. Eine klare Trennung der Rollen war sinnvoller. Auch die Hauptuntersuchung wurde in der Veranstaltung Schreiben im Studium am Sprachenzentrum einer deutschen Universität durchgeführt. Die Veranstaltung fand an neun Terminen mit einer Dauer von je 135 Minuten statt. Ziel des Kurses war es, die Studierenden auf die Schreibanforderungen im Studium vorzubereiten, was die Erarbeitung verschiedener Textsorten, die Bewusstmachung des Schreibprozesses sowie die Vermittlung von Schreibtechniken beinhaltete (vgl. Kap. 7.1). <?page no="161"?> 6.3 Annäherung an das Forschungsfeld 161 In der Sozialforschung werden vor allem die Schwierigkeiten in der Phasen der Annäherung an das Untersuchungsfeld und beim Ausstieg diskutiert (vgl. z. B. Lamnek 2005: 600). 91 In meiner Studie stellten diese beiden Phasen keine einschneidenden Ereignisse im Kursverlauf dar, da ich die Datengenerierung zu Kursbeginn aufnahm und mit Kursende abschloss, ich also Teil der Entstehung des Feldes war. Darüber hinaus sind Hospitationen im Fremdsprachenunterricht nicht ungewöhnlich, so dass sich sowohl die Lehrerin als auch die Lernenden auf entsprechende Vorerfahrungen mit fremden Personen im Unterricht beziehen konnten. Dennoch achtete ich auf eine angemessene Annäherung an das Feld zu Kursbeginn. Mit der Lehrerin besprach ich vorab mein Vorgehen sehr ausführlich. Wir nutzten dann einen Teil des ersten Veranstaltungstermins, um mich den Studierenden vorzustellen, für Akzeptanz meiner Studie zu werben und die Lernenden kennenzulernen, um unter ihnen Forschungspartner-/ innen zu gewinnen. Die Bereitschaft der Lehrerin, mit mir zusammenzuarbeiten, war eine große Erleichterung beim Zugang zum Feld. Sie nahm sich die Zeit, mich vorzustellen und gab mir die Gelegenheit, selbst das Wort zu ergreifen. So wurde ich den Teilnehmer/ innen als selbstverständlicher Teil des Kurses präsentiert. 6.3.2 Auswahl der Untersuchungspartner/ innen Die erste Kurswoche diente allen Beteiligten zur Orientierung. Die Studierenden wurden über die Studie informiert, füllten den Vorab-Fragebogen aus und lasen das Informationsblatt zur Studie. Ich hatte im Gegenzug auf der Basis des Fragebogens die Gelegenheit und im persönlichen Gespräch, die Teilnehmer/ innen kennenzulernen und mögliche Untersuchungspartner/ innen auszuwählen. Das Vorgehen und die Auswahlkriterien stelle ich im Folgenden vor. Die GTM sieht ein Vorgehen vor, bei dem zunächst in einem offenen Verfahren Untersuchungspartner/ innen ausgewählt werden (= offenes Sampling). Dabei spielt das Zufallsprinzip ebenso eine Rolle wie das zielgerichtete, theoriegeleitete purposive sampling nach ersten vorhandenen Kriterien (vgl. Miles/ Huberman 1994: 27). In meiner Studie wählte ich zunächst einen Kurs aus, in dem Portfolioarbeit in der Schreibförderung eingesetzt wurde, und den eine Lehrerin leitete, die zur Teilnahme an der Studie bereit war. Auch bei der Auswahl der Studierenden spielte im ersten Schritt die Freiwilligkeit eine zentrale Rolle. 91 Als Phasen der Feldforschung gelten die Annäherung, die Orientierung, die Initiation, die Assimilation und der Abschluss. <?page no="162"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 162 Bei der GTM folgt die Datengenerierung und -interpretation dem theoretical sampling, 92 wobei nach jedem ausgewerteten Datensatz entschieden wird, welcher Datensatz als nächstes einbezogen wird (vgl. Bortz/ Döring 2006: 333). In der Regel erfolgt jeweils eine Rückkehr ins Feld, was dazu führt, dass nur die benötigten Daten erhoben werden, indem sukzessiv relevante Fälle hinzugezogen werden, um eine theoretische Sättigung zu erreichen, d. h. einen Zustand zu erreichen, bei dem auch bei der Berücksichtigung weiterer Fälle keine neuen Eigenschaften einer Kategorie mehr aufkommen (vgl. Strübing 2008: 33). Diese Vorgehensweise ist bei der Begleitung eines Kurses nicht möglich, weil dessen Voranschreiten die Rückkehr ins Feld erschwerte. Daher besteht die Möglichkeit der Datengenerierung „auf Vorrat“ (vgl. Kap. 6.2.2). Um dabei möglichst zielgerichtet vorzugehen und keine zu großen Datenmengen zu produzieren (vgl. Lamnek 2005: 115), ist eine Antizipation des theoretical sampling und der Dateninterpretation sinnvoll, bei der zunächst Fälle mit großer Ähnlichkeit bearbeitet werden („minimaler Vergleich“), so dass die Relevanz einer entstehenden Theorie bestätigt wird. Später werden Fälle mit relevanten Unterschieden herangezogen („maximaler Vergleich“), um die Heterogenität und Vielfalt abzubilden und die Reichweite der Theorie zu prüfen (vgl. Lamnek 2005: 191; Miles/ Huberman 1994: 28). Daraus ist abzuleiten, dass auch bei der Datengenerierung auf Vorrat vorab nach Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten gesucht werden kann. Beim Kennenlernen der Gruppe stellte sich heraus, dass vor allem Unterschiede hinsichtlich des Herkunftslandes, der Erstsprachen, der Deutschkenntnisse, der Studiendauer in Deutschland und der Studienziele, aber auch bezüglich der Vorerfahrungen mit Portfolioarbeit sowie der Einstellung dazu bestanden. Allen gemeinsam war selbstverständlich, dass sie Studierende an derselben Universität waren und aufgrund eines ähnlichen Ergebnisses in einem Einstufungstest und einer persönlichen Entscheidung am selben Kurs teilnahmen. Als Studierende an einer Technischen Universität ergab es sich, 92 Obwohl in der GTM der Begriff des Samplings verwendet wird, so möchte ich in Anlehnung an Flick (2007: 25) bezweifeln, dass er in einer qualitativ ausgerichteten Studie angemessen ist, da er in Anlehnung an quantitative Verfahren eher stichprobentheoretische Überlegungen und das Ziel der Repräsentativität impliziert statt auf eine detaillierte Beschreibung abzuzielen (vgl. Lamnek 2005: 384). Zur Eindeutigkeit beim Bezug auf feststehende Begriffe (purposive sampling, offenes Sampling, theoretical sampling) werde ich den Begriff beibehalten. In meinen eigenen Ausführungen bevorzuge ich es aber, von der Auswahl der Untersuchungspartner/ innen zu sprechen. <?page no="163"?> 6.3 Annäherung an das Forschungsfeld 163 dass alle Studierenden im Kurs zumindest einen Teil ihres Studiums in einem technischen Fach absolvierten. 93 Da die Auswahl von Untersuchungspartner/ innen primär am Phänomen, nicht alleine an statistischen Merkmalen orientiert sein sollte (vgl. Flick 2007: 27), waren die Erfahrungen mit der Portfolioarbeit ebenso wie die Vorstellungen, die Studierende davon hatten, ein zentrales Kriterium. Darüber hinaus wurden die Lernziele im Kurs und die Einstellung zum Schreiben sowie die Selbsteinschätzung der Schreibkompetenz berücksichtigt. Ausschlaggebend waren sowohl Ähnlichkeiten als auch Gemeinsamkeiten in diesen Bereichen. Die Forderung, „relevante Fälle“ auszuwählen und Verzerrungen zu vermeiden (vgl. Trautmann 2012: 222), klingt in diesem Zusammenhang selbstverständlich, stellt Forscher/ innen aber vor eine große Herausforderung. Schon die Anzahl der Untersuchungspartner/ innen ist schwer zu bestimmen. Kvale und Brinkmann (2009: 113) empfehlen zwischen 5 und 25, je nach Anlage der Studie und rät eher zu einer kleineren Zahl, dafür aber zu einer detaillierten Erforschung. Er erläutert, dass es bei einer zu kleinen Anzahl schwierig ist, Aussagen zu treffen, bei zu großen Gruppen aber schnell der Tiefgang bei der Betrachtung eines Phänomens verloren geht (vgl. ebd. 113). Die Anzahl der Untersuchungsteilnehmer/ innen wird aber keinesfalls durch Empfehlungen aus der Literatur bestimmt, sondern daraus, was zur Beantwortung der Forschungsfrage nötig ist. In der vorliegenden Studie wurden die Daten von einer Lehrerin und sieben Lernenden erhoben. Bei der Dateninterpretation zeigte sich, dass nach sechs Lernenden bereits eine Sättigung erreicht war. Dies liegt am unteren Ende der von Kvale/ Brinkmann (2009) empfohlenen Zahlen, durch die longitudinale Ausrichtung der Studie mit 24 Interviews und ca. 20 Stunden Beobachtungen von Unterricht und Portfoliogesprächen stand aber auch bei dieser kleinen Zahl von Untersuchungspartner/ innen eine breite Datengrundlage zur Verfügung. Die Angaben, die die Studierenden im Fragebogen machten, werden in Tabelle 6-3 zusammengefasst: 93 Durch den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen gibt es eine Gruppe von Studierenden mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium mit technischer Fachrichtung (z. B. Maschinenbau, Bauingenieurwesen, Elektrotechnik). <?page no="164"?> Verständnis von Portfolioarbeit und Einstellung zu Kursbeginn Lernziele im Kurs Wahrnehmung des eigenen Schreibens in der L1 und auf Deutsch Aline (Frankreich) besser als Klausur Gestaltungsfreiheit eigene Fehler erkennen keine konkrete Vorstellung verschiedene Textsorten Korrekturen von der Lehrperson erhalten L1: sehr gerne, sehr gut D: sehr gerne, recht gut Atena (Iran) geringer Nutzen Entwicklung erkennen keine objektive Bewertung / L1: sehr gerne, sehr gut D: eher ungern, eher schlecht Laure (Frankreich) Ordnung Fehler erkennen / L1: sehr gerne, recht gut D: recht gern, eher schlecht Nilesh (Indien) Erklärungen nicht verstanden vermutlich alle Texte sehen verschiedene Textsorten Schreiben wie ein Deutscher L1: recht gerne, sehr gut D: recht gerne, recht gut Qian (China) Erklärungen nicht verstanden Texte schreiben L1: recht gerne, sehr gut D: eher ungern, eher schlecht Renato (Brasilien) viel Mühe gute Möglichkeit, umd das Schreiben zu üben Wortschatz und Grammatik verbessern L1: sehr gerne, eher gut D: recht gerne, eher schlecht Tom (Australien) hoher Zeit-/ Arbeitsaufwand Korrekturen durch die Lehrerin wichtig Gelegenheit, auf Deutsch zu schreiben L1: recht gerne, eher schlecht D: recht gerne, eher schlecht Tabelle 6-3: Übersicht über die Untersuchungspartner/ innen (Studierende) 6 Methoden der empirischen Untersuchung 164 <?page no="165"?> 6.3 Annäherung an das Forschungsfeld 165 Alle Studierenden gaben im Fragebogen an, keine Erfahrungen mit Portfolioarbeit zu haben. Daher rückten die anderen Aspekte bei der Auswahl in den Vordergrund. So fiel beispielsweise bei Aline 94 auf, dass sie dem Portfolio sehr positiv gegenüberstand, während Atena es sehr kritisch betrachtete. Tom nannte schon im Fragebogen Bedingungen, unter denen er Portfolioarbeit positiv bewerten würde. Da alle Studierenden, die ich nach dem ersten Kennenlernen und nach der Durchsicht ihres Fragebogens befragen wollte, ihre Bereitschaft zur Mitarbeit signalisierten, waren keine Adaptionen im Konzept notwendig. Als ich aber nach drei Kurswochen feststellte, dass eine Studentin, Qian, viel größere Mühe mit der Portfolioarbeit und somit mit dem gesamten Kurs hatte als die anderen Studierenden, beschloss ich, sie nachträglich um ihre Beteiligung zu bitten, um eine weitere Perspektive zu gewinnen. Dazu war sie bereit. Diese Hinzunahme eines Falles zu einem späteren Zeitpunkt führte dazu, dass mit Qian nur zwei Interviews geführt wurden, während es bei allen anderen Studierenden drei waren. Im ersten Interview mit Qian wurden daher Fragen zusammengeführt, die bei den anderen Studierenden auf die ersten beiden Interviews verteilt wurden. Da Qian zu dem Zeitpunkt noch keine Vorstellung davon hatte, was ein Portfolio ausmacht, wiesen ihre Antworten zu dem späteren Zeitpunkt allerdings große Ähnlichkeiten mit denen auf, die andere Studierende zu Kursbeginn gaben. Die Gründe für die Beteiligung der einzelnen Personen an der Studie waren unterschiedlich. Die Lehrerin war der Sprachenlehr- und -lernforschung gegenüber sehr aufgeschlossen und sah einen zentralen Nutzen für die Verbesserung ihres eigenen Unterrichts sowie für den Unterricht anderer. Außerdem war sie insgesamt sehr hilfsbereit. Auch bei den Studierenden erhielt ich Einblicke in einige ihrer Gründe: Vor dem ersten Interview kündigte ich an, dass ich ihnen als Gegenleistung nach Ende des Kurses zu einem individuellen Beratungsgespräch zum Thema Schreibfertigkeit zur Verfügung stehe. Da nach Kursende niemand das Beratungsgespräch in Anspruch nahm, gehe ich davon aus, dass es nicht das zentrale Motiv für die Teilnahme war, sondern eher die Hilfsbereitschaft im Vordergrund stand. Nach dem ersten Interview informierte ich die Teilnehmer/ innen, dass die Beteiligung an allen drei Interviews mit einer Aufwandsentschädigung von 30 € bedacht würde. Dies war ein Mittel zur Bindung der Untersuchungspartner/ innen, wurde aber erst nachträglich bekannt gegeben, da es 94 Bei den verwendeten Namen handelt es sich um Pseudonyme, die ich sowohl den Studierenden als auch der Lehrerin zur Anonymisierung zugewiesen habe. Die Pseudonyme sind zufällig gewählt, sollen aber das Geschlecht und das Herkunftsland der Untersuchungspartner/ innen erkennen lassen. <?page no="166"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 166 nicht der Grund für die Teilnahme sein sollte. Die Bindung war aber notwendig, weil bei der begrenzten Kursgröße auch die Zahl der potenziellen Interviewpartner/ innen begrenzt war, und das Ausscheiden einzelner Personen die Aussagekraft der Ergebnisse beeinflusst hätte. Die Alternative wäre gewesen, die Beteiligung an der Studie im Rahmen der Kursteilnahme verpflichtend zu gestalten und so einen ausreichend großen Pool zur Verfügung zu haben. Diese Vorgehensweise halte ich jedoch für bedenklich. Über diesen allgemeinen Anreiz hinaus hatten die Studierenden auch individuelle Motive, die sie zum Teil äußerten. Aline sagte mir, sie helfe gerne, weil sie ebenfalls auf die Kooperationsbereitschaft anderer hoffe, wenn sie sie für ihre eigene Dissertation brauche. Atena hatte Interesse am Thema Schreibförderung, Renato hatte das primäre Ziel, mehr darüber zu erfahren, wie er seine Deutschkenntnisse verbessern konnte und Tom wollte die Gelegenheit nutzen, Deutsch zu sprechen. Es bleibt festzuhalten, dass die Motive zur Teilnahme vielfältig waren. Diese kurze Auflistung ist lediglich als Beispiel für die Vielfalt zu verstehen, nicht aber als vollständiger Überblick. Überlegungen dazu, was gute Interviewpartner/ innen auszeichnet, wurden beim Sampling nicht berücksichtigt. Es gibt dazu deutliche Stellungnahmen, wie beispielsweise von Kvale und Brinkmann (2009: 165): Good interviewees are cooperative and well motivated; they are eloquent and knowledge-able. They are truthful and consistent; they give concise and precise answers to the interviewer’s questions; they provide coherent accounts and do not continually contradict themselves; they stick to the interview topic and do not repeatedly wander off. Good subjects can give long and lively descriptions of their life situation, they tell capturing stories well suited for reporting. Ein solcher Gesprächspartner ist selbstverständlich wünschenswert, die Reduktion auf Gesprächspartner/ innen mit diesen Merkmalen würde aber zu einer Verzerrung führen, wenn weniger bereitwillige oder weniger eloquente Personen ausgeschlossen wären. Während Kvale und Brinkmann (ebd. 165) weiter feststellt, dass es den idealen Interviewpartner nicht gibt, möchte ich lieber festhalten, dass jede Interviewpartner/ jeder Interviewpartner insofern ideal und eine Bereicherung für die Studie ist, als dass er Bekanntes bestätigen oder widerlegen, Neues anführen kann, unabhängig davon, ob er in das Bild einer guten Gesprächspartnerin/ eines guten Gesprächspartners passt oder nicht. <?page no="167"?> 6.3 Annäherung an das Forschungsfeld 167 6.3.3 Rollenaushandlung Die Überlegungen zur Rolle der Forscherin im Feld waren zentral bei der Vorbereitung der Untersuchung, da davon abhängt, zu welchen Informationen die Forscherin/ der Forscher Zugang erhält (vgl. Flick 1995: 154). Darüber hinaus beeinflussen ihr/ sein Verhalten sowie die Fragen, die sie/ er stellt, die Interaktion im Feld und damit die Frage (vgl. Glesne 2011 47). Die Rollenaushandlung beginnt mit der Art, in der das Feld betreten wird, mit der Frage, auf wessen Vermittlung das geschieht und wie gut der Forscherin die Regeln im Feld bekannt sind (vgl. Breuer, F. 2009: 32). In diesem Fall setzte sich der Kurs neu zusammen, so dass wir gemeinsam die Regeln festlegten und meine Rolle beim Kennenlernen ausgehandelt wurde. Ich begleitete die Lehrerin in den Unterricht, war daher für die Studierenden keine unabhängige Beobachterin, obwohl ich auf Augenhöhe mit ihnen interagieren wollte. Der Lehrerin wollte ich als Kollegin begegnen, die Rolle einer Co- Dozentin lehnte ich allerdings ab. Diese Distanzierung war intendiert, um den Unterricht oder die Unterrichtsplanung nicht mehr zu beeinflussen, als das durch meine Anwesenheit und die Interviews ohnehin der Fall war. Der Lehrerin fiel dies schwer, was daran zu erkennen war, dass in ihren Ausführungen aus „ich“ immer wieder „wir“ wurde (z. B. Äußerungen wie „Wir haben folgenden Kursplan entwickelt.“, wenn sie das alleine getan hatte). Darüber hinaus nahm die Lehrerin mich auch als Forscherin wahr, insbesondere in der ersten Interviewsituation. Den Studierenden, die selbst im Studium meist weit fortgeschritten waren, begegnete ich als Doktorandin auf einer ähnlichen Ebene und bot ihnen an, dass wir uns duzen könnten. Durch meine Rolle als Mitarbeiterin an der Universität bestand aber doch eine Asymmetrie. Diese wurde dadurch verstärkt, dass die Lehrerin mich im Unterricht stärker als Co-Dozentin präsentierte. Ich explizierte meine Rolle in mehreren Interviews mit den Studierenden, betonte, dass ich keine Informationen an die Lehrerin weitergab, und nahm eine Grundhaltung ein, die Breuer als „unwissend und harmlos, aber höflich, interessiert und lernbereit“ (Breuer, F. 2009: 34) beschreibt. Im Laufe der Datengenerierung fand eine aktive Rollenaushandlung statt, indem ich in Gesprächen immer wieder auf die Trennung von Kursleitung und Datengenerierung hinwies. Die Rolle war also gekennzeichnet durch den Wunsch nach einer engen Einbindung ins Kursgeschehen und Nähe zu den Untersuchungspartner/ innen, aber gleichzeitig auch durch Distanzierungsversuche. Mein Versuch, Distanz zu schaffen, äußerte sich darin, dass ich die Studierenden bei organisatorischen Fragen an die Kursleiterin verwies, obwohl ich die Auskünfte ebenfalls hätte geben können. Dass im Laufe der <?page no="168"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 168 Zeit immer ein Rollenwandel stattfindet (vgl. Breuer, F. 2009: 34), kam mir in diesem Fall sehr entgegen, da die Studierenden mir immer freier von ihren Einschätzungen berichteten und die Lehrerin mich im Laufe des Kurses weniger als Co-Dozentin, aber weiterhin als Kollegin betrachtete. 6.4 Vorgehen bei der Datengenerierung 95 Zur Beantwortung der Forschungsfragen mussten vielfältige Daten von unterschiedlichen Personen gewonnen werden. In dieser Studie habe ich Beobachtungen im Feld mit Interviews kombiniert (vgl. Flick 2004: 8) und diese Daten durch die Aufzeichnung von Portfoliogesprächen und den Einblick in die Portfolios der Lernenden ergänzt. Es handelt sich dabei um eine Datentriangulation von Interviewdaten und Beobachtungsdaten sowie eine Perspektiventriangulation der Sichtweisen der Lehrerin und der Lernenden (vgl. ebd. 12-14). Von einer Triangulation ist aber nur an den Stellen zu sprechen, an denen die Daten gleichberechtigt nebeneinander stehen und sich auf denselben Gegenstand beziehen (vgl. ebd. 26). Bei den aufgezeichneten Portfoliogesprächen und bei den Lernendenportfolios handelt es sich um Sekundärdaten, die bei Bedarf und in der Phase des axialen und selektiven Kodierens herangezogen werden. Diese Unterscheidung war deshalb angemessen, weil die Daten nicht maßgeblich zur Beantwortung der Fragestellung beitrugen und die Gewichtung half, bei einer zu großen Datenmenge nicht den Fokus zu verlieren. 6.4.1 Überblick über die Instrumente zur Datengenerierung Eine Vielfalt von Zugängen ist nicht mit Beliebigkeit gleichzusetzen. Vielmehr verstehe ich darunter „ein[en] sehr methodenkritische[n] Auswahlprozess für die verwendeten Methoden und eine kontinuierliche Überprüfung von methodischen Entscheidungen und ihrer Angemessenheit” (vgl. Flick 2004: 16). Die Instrumente zur Datengenerierung wurden in der Pilotierungsphase erprobt und dann mit Bezug zu einzelnen Aspekten der Fragestellung eingesetzt (vgl. Tab. 6-4). 95 Ich wähle den Begriff der Datengenerierung, weil nach meinem Verständnis Wissen in der Interaktion zwischen Forscherin und Untersuchungspartner/ innen ausgehandelt wird. Formulierungen wie „Datenerhebung“ implizieren, dass allgemein gültige Informationen bereitliegen und durch die Forscherin gesammelt werden, ohne dass deren Einfluss auf das Feld und deren Subjektivität berücksichtigt werden. <?page no="169"?> Art der Daten Anzahl Bezug zur Fragestellung Vorabbefragung Fragebogen 7 Fragebögen Generierung schreibbiographischer Daten Schreibgewohnheiten, Lernziele und Selbsteinschätzung Erfahrungen mit Portfolioarbeit Erwartungen an Portfolioarbeit Kerndaten Interviews mit Lernenden jeweils drei mit 6 Lernenden Wahrnehmung der Portfolioarbeit Zuschreibung von Funktionen Bewertung einzelner Aspekte der Portfolioarbeit eigene Beschreibung des Umgangs mit dem Instrument interindividuelle Unterschiedene für das Gelingen förderlichen oder hemmenden Faktoren aus der Sicht der Lernenden 2 mit einer Lernerin Interviews mit der Lehrperson 4 Zielsetzungen der Lehrperson hinsichtlich der Portfolios eigene Beschreibung des Einsatzes des Portfolio für das Gelingen förderlichen oder hemmenden Faktoren aus der Sicht der Lehrerin Unterrichtsbeobachtungen (Videografie) 7x 3 Unterrichtsstunden Präsentation der Portfolioarbeit durch die Lehrerin Umsetzung der Portfolioarbeit Reaktionen und Fragen der Lernenden Sekundärdaten Portfoliogespräche 4 Gespräche in Gruppen Portfolios 7 Portfolios Tabelle 6-4: Übersicht über die Instrumente zur Datengenerierung 6.4 Vorgehen bei der Datengenerierung 169 <?page no="170"?> 28.Okt. I_LP I (18: 38 Min) I_Tom I (26: 21 Min) 29.Okt. I_Atena I (14: 35 Min) 30.Okt. I_Nilesh I (17: 53 Min) I_Renato I (19: 29 Min) 4. Nov I_Aline I (16: 22 Min) I_Laure I (16: 00 Min) Abb. 6-7: Überblick über die generierten Daten und über den Verlauf ihrer Generierung Portfoliogespräche I: 27: 31 Min, II: 16: 30 Min III: 24: 06 Min, IV: 20: 13 Min 26.Nov. I_Atena II 09: 11 Min 02.Dez. I_Aline II 17: 48 Min I_Laure II 13: 03 Min I_Qian I/ II 21: 19 Min 09.Dez. I_Nilesh II 14: 47 Min I_Tom II 22: 35 Min I_LP II 25: 27 Min 13.Dez. I_Renato II (11: 32 Min) 16.Dez. I_LP III 31: 50 Min I_Tom III 08: 02 Min 21. Okt UB 1 3 UE 28. Okt UB 2 3 UE 11. Nov UB 4 3 UE 18. Nov UB 5 3 UE 25. Nov UB 6 3 UE 09. Dez UB 8 3 UE 16. Dez UB 9 3 UE 13.Dez. I_Renato II 11: 32 Min 18.Dez. I_Aline III (24: 51 Min) I_Laure III (14: 19 Min) I_Nilesh III (11: 03 Min) I_Qian III (18: 19 Min) 26.Jan I_LP IIIV 31: 42 Min 6 Methoden der empirischen Untersuchung 170 <?page no="171"?> 6.4.2 Überblick über das Feld Zur Beantwortung der Forschungsfragen und um einen tiefen Einblick in die Wahrnehmung der Akteur/ innen zu gewinnen, war das Gespräch mit ihnen die wichtigste Form der Datengewinnung. Die Unterrichtsbeobachtungen dienten darüber hinaus dazu, herauszufinden, wie die Lehrerin die Portfolioarbeit präsentierte und umsetzte. Zur Vorbereitung auf die Interviews mit den Studierenden nutzte ich einen Kurzfragebogen, der in der ersten Sitzung ausgefüllt wurde. Die Unterrichtsbeobachtungen und der Kurzfragebogen sollen im Folgenden kurz umrissen werden. 6.4.2.1 Die Unterrichtsbeobachtungen Die Beobachtungen des Unterrichts begannen in der ersten Kurswoche und wurden bis zum Ende des Kurses fortgeführt. Die Ziele waren es, 1. das Feld zu erkunden, 2. Anknüpfungspunkte für die Interviews zu finden, 3. die Aussagen der Lernenden und der Lehrerin zur Portfolioarbeit im Unterricht zu kontextualisieren und vor allem 4. den Umgang der Lehrerin mit dem Instrument zu erfassen. Beobachtungen haben den Vorteil, dass das Handeln der Akteur/ innen im Feld sichtbar wird und weniger durch die Eigendarstellung gefärbt ist als im Interview. Sie eignen sich daher gut zum Perspektivabgleich, aber auch zum Kennenlernen des Untersuchungsfeldes. Allerdings sollte man sich der Nachteile bewusst sein, der vor allem durch eine mögliche Beeinflussung durch die eigene Anwesenheit entsteht (vgl. Robson 1993: 191f.). 96 Es ist grundsätzlich zwischen verdeckter und offener, zwischen teilnehmender und nicht-teilnehmender sowie zwischen strukturierter und unstrukturierter Beobachtung zu unterscheiden (vgl. Schnell et al. 2005: 391). In der hier vorliegenden Untersuchung wurde eine offene Beobachtung gewählt, bei der die Forscherin offen als solche in Erscheinung trat (vgl. Lamnek 2005: 560), was allerdings nicht zwangsläufig bedeutete, dass alle Ziele der Beobachtung offengelegt wurden (vgl. ebd. 561). Das Ziel der Kontextualisierung wurde kommuniziert, die Beobachtung des Umgangs mit dem Portfolio durch die Lehrerin wurde hingegen nicht mitgeteilt. 96 Darüber hinaus wird der hohe Zeitaufwand beim Zugang zum Feld häufig als Nachteil genannt (vgl. Robson 1993: 191f.). 6.4 Vorgehen bei der Datengenerierung 171 <?page no="172"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 172 Insbesondere in Hinblick auf die teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobachtung sowie auf die strukturierte und unstrukturierte Beobachtung ist nicht von jeweils zwei Varianten auszugehen, sondern es handelt sich um ein Kontinuum mit diesen beiden Polen (vgl. Lamnek 2005: 562). Diese Studie bewegt sich hinsichtlich der Strukturiertheit im Mittelfeld mit Tendenz zur Offenheit, da zwar vorab Beobachtungsfragen und Beschreibungsdimensionen festgelegt wurden (vgl. Mayring 2002: 81f.; Robson 1993: 200), 97 insgesamt aber eine offene Erkundung des Feldes das vorrangige Ziel war. Außerdem war die Art der Beobachtung eher nicht-teilnehmend, da ich als Beobachterin ohne aktive Interaktion mit dem Feld auftrat (vgl. Lamnek 2005: 584). Ich übernahm weder Aufgaben, die die Lernenden erledigten, noch trat ich als Lehrperson auf. Gleichzeitig war ich durch die Teilnahme am Unterricht doch in den Kurs eingebunden, es wurden in Interviews und Gesprächen gemeinsame Bezüge vorgenommen, so dass dennoch eine Involviertheit bestand. Um Beobachtungslücken zu schließen (vgl. ebd. 555) und einen Abgleich für die subjektive Wahrnehmung der Beobachterin zu bieten, wurden die Veranstaltungen aufgezeichnet. Auch wenn nur die Audiodaten relevant waren, wurden audiovisuelle Daten erhoben, um die einzelnen Sprecher/ innen leichter zuordnen zu können. Die Aufzeichnungen wurden später gesichtet und teilweise transkribiert (vgl. Kap. 6.5.1.). Während der Beobachtung selbst wurden Notizen angefertigt. 98 Zur Aufzeichnung wurde eine Kamera statisch in einer Ecke platziert und ich verhielt mich bei den Aufnahmen möglichst unauffällig, um die Invasivität und den Kameraeffekt zu reduzieren (vgl. Lamnek 2005: 621; Petko et al. 2003: 270). Die Gründe für die Präsenz der Kamera wurden in der ersten Sitzung erklärt und schon nach der ersten Stunde waren erste Zeichen einer Gewöhnung an die Kamera zu erkennen, beispielsweise dass die Studierenden sich vor Redebeiträgen nicht mehr zur Kamera wandten. Obwohl Kameraeffekte zu berücksichtigen sind, so sind sie häufig weniger schwerwiegend als erwartet. Außerdem wird davon ausgegangen, dass zumindest Lehrende, auch wenn sie ihr Verhalten leicht anpassen, ihren Unterrichtstil nur aufgrund der Kamerapräsenz gar nicht dauerhaft und grundlegend ändern können (vgl. Petko et al. 2003: 270). 97 Hierbei handelte es sich beispielsweise um die Funktionen, die dem Portfolio zugewiesen wurden sowie die Art und Häufigkeit der Erwähnung. 98 Zur videobasierten Unterrichtsforschung vgl. Schramm (2014). <?page no="173"?> 6.4 Vorgehen bei der Datengenerierung 173 6.4.2.2 Der Kurzfragebogen Im Kurzfragebogen wurden schreibbiographische Daten erhoben ebenso wie erste Vorstellungen von der Portfolioarbeit, auf die bei der Erstellung des ersten Interviewleitfadens zurückgegriffen werden konnte. In diesem Sinne ist der Kurzfragebogen als Phase Null des Interviews zu verstehen (vgl. Lamnek 2005: 365). Eine Beschränkung auf diese Funktion würde dem Instrument jedoch nicht gerecht werden. Die schreibbiographischen Daten, die Einschätzung der eigenen Schreibkompetenz in der Erstsprache sowie auf Deutsch und die ersten Eindrücke der Portfolioarbeit konnten in der Dateninterpretation ergänzend herangezogen werden. An den Stellen, an denen es um die Erfragung detaillierter Informationen ging, wurden geschlossene Items gewählt (vgl. Schnell et al. 2005: 27), beispielsweise bei der Frage, welche Textsorten die Studierenden schreiben. Dies reduzierte den Arbeitsaufwand für die Studierenden ebenso wie die generierte Datenmenge und half durch die Vorgaben, ein breites Spektrum an Antwortmöglichkeiten aufzuzeigen, das die Studierenden selbst vermutlich nicht produziert hätten. Bei allen geschlossenen Fragen gab es aber die Möglichkeit, weitere Anmerkungen oder einen Kommentar zu ergänzen. Auch die Fragen zu Einschätzung der eigenen Schreibkompetenz in der Erst- und Fremdsprache waren als geschlossene Items formuliert, um eine klare Stellungnahme zu einzufordern. Dabei wurde eine 4stufige Likert- Skala gewählt, um zu vermeiden, dass aus Gründen der mangelnden Entschlossenheit die mittlere Antwort angekreuzt wird. Mit geschlossenen Fragen zu den Schreiberfahrungen, die sich ebenfalls auf die Freizeit bezogen, sollte ein einfacher und gleichzeitig interessanter Einstieg geschaffen werden (vgl. ebd. 343, Abb. 6-8). Abb. 6-8: Einstieg in den Kurzfragebogen <?page no="174"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 174 Darüber hinaus wurden hauptsächlich offene Fragen genutzt, insbesondere bei der Beschreibung des eigenen Schreibverhaltens und bei den Erwartungen an die Portfolioarbeit und an den Kurs. Hier hätten vorgegebene Kategorien die Antwortmöglichkeiten zu sehr eingeschränkt (vgl. Kirchhoff 2001: 27). Besondere Beachtung fand die verständliche Formulierung der Fragen (vgl. ebd.; Schnell et al. 2005: 347), was auch bei erstsprachigen Untersuchungspartner/ innen relevant ist, aber noch viel mehr bei Personen, die den Fragebogen in einer Fremdsprache ausfüllen. So wurde beispielsweise statt des Begriffs der Erstsprache der in der Alltagssprache gebräuchlichere der Muttersprache verwendet. Suggestive und stereotype Formulierungen wurden vermieden, ebenso wie die Verwendung unklarer oder doppeldeutiger Begriffe (vgl. Kirchhoff 2001: 21). Vor der Durchführung der Datengenerierung wurde der Fragebogen mit fünf Personen mit dem Sprachniveau B1 bis C1 erprobt und dabei auf mögliche Schwierigkeiten, die Verständlichkeit, Effekte der Frageanordnung, das Interesse und die Aufmerksamkeit der Befragten und die Art und Bandbreite der Ergebnisse geachtet (vgl. Schnell et al. 2005: 347). Dieser Pretest erfolgte mit dem Verfahren des Lauten Denkens und hatte zum Ergebnis, dass die Art und die Anordnung der Fragen beibehalten werden konnten, einige aber syntaktisch und lexikalisch vereinfacht wurden. Die Durchführung erfolgte dann im Kurs am Ende der ersten Sitzung. Es waren bis zu 30 Minuten dafür eingeräumt. Allerdings genügten allen Teilnehmer/ innen weniger als 20 Minuten. 6.4.3 Gespräche mit den Akteur/ innen: Interviews Das wichtigste Instrument zur Generierung von Daten waren Interviews mit Lehrenden und Lernenden. Ein Interview weist einige Merkmale eines Alltagsgesprächs auf, wobei die Erarbeitung von Wissen im Mittelpunkt steht: The research interview is based on the conversations of daily life and is a professional conversation; it is an inter-view, where knowledge is constructed in the inter-action between the interviewer and the interviewee (Kvale/ Brinkmann 2009: 2). Diese Art der Interaktion und der kollaborativen Wissensgenerierung ist das Kernstück des Interviews (vgl. Charmaz 2006: 27). Zentral ist außerdem der Charakter einer hochgradig komplexen Kommunikationssituation (vgl. Helfferich 2011: 9). Ähnlich wie ein Alltagsgespräch ist auch ein Interview nicht losgelöst vom Kontext zu betrachten. Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es aber zahlreiche Merkmale eines Interviews, die es deutlich von einem Alltagsgespräch abgrenzen. Dies betrifft vor allem die vorhergehende <?page no="175"?> 6.4 Vorgehen bei der Datengenerierung 175 Verabredung, die Rollenasymmetrie und die Einseitigkeit des Informationsflusses, was dadurch bedingt ist, dass mit einem Interview immer ein Ziel verfolgt wird (vgl. ebd. 47). Fontana und Frey (2005: 695) stellen heraus „that it [interviewing, SB] is inextricably and unavoidably historically, politically, and contextually bound”. Daher verstehe ich ein Interview nicht als Alltagsgespräch, sondern schließe mich Friebertshäuser und Langner (2010: 438) an: Als Interview bezeichnen wir eine verabredete Zusammenkunft, in der Regel eine direkte Interaktion zwischen zwei Personen, die sich auf der Basis vorab getroffener Vereinbarungen und damit festgelegter Rollenvorgaben als Interviewende und Befragte begegnen. Die jeweiligen Interviewtechniken dienen der Erhebung von Auskünften und Erzählungen der Befragten, sodass sich das Interview durch einen zumeist einseitigen Informationsfluss auszeichnet. Durch die Bedeutung der Konstruktion und die Aushandlung der Inhalte muss den Rollenerwartungen in einem komplexen Gefüge (vgl. Kruse et al. 2012: 31) ebenso besondere Aufmerksamkeit zukommen wie der möglichen Asymmetrie zwischen den Gesprächspartner/ innen (vgl. Kvale/ Brink-mann 2009: 33f.). Die Gesprächsführung erfolgt durch die Forscherin, die auch die Fragen stellt, dabei wenig von sich preisgibt, während die Interviewpartner/ innen vieles offenlegen müssen. Es ist also eine Direktionalität des Informationsflusses erkennbar (vgl. Lamnek 2005: 332). Ebenso ist schon zu Beginn festgehalten, dass die Forscherin über ein Interpretationsmonopol verfügt. Die Interviewpartner/ innen haben gleichzeitig die Möglichkeit und damit das Machtinstrument, das Gespräch zu beeinflussen, indem sie auswählen, welche Informationen sie geben und welche sie zurückhalten. In der vorliegenden Studie kam bei den Interviews mit den Studierenden noch ein weitere Aspekte hinzu, die eine Rollenasymmetrie verstärkten: Da die Interviews auf Deutsch geführt waren, was für die Studierenden eine Fremdsprache war, wurden sie vor eine besondere Herausforderung gestellt (vgl. Klippel 2011: 83). Deutsch war also die dominante Sprache und geleichzeitig die Sprache der Forscherin, wodurch die Machtverhältnisse beeinflusst wurden (vgl. dazu z. B. Foucault 1972/ 2003). Ashcroft et al. halten fest: Language becomes the medium through which a hierarchical structure of power is perpetuated, and the medium through which conceptions of ‘truth’, ‘order’, and ‘reality’ become established (Ashcroft et al. 1989: 7). Diese Konstellation konnte nicht verhindert werden, da es nicht möglich war, die Interviews kompetent und ohne entsprechende Nachteile in sechs <?page no="176"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 176 verschiedenen Erstsprachen zu führen bzw. führen zu lassen. 99 Daher wurden die Interviews auf Deutsch geführt, in der Interviewsituation selbst die Situation aber entsprechend berücksichtigt, indem den Interviewpartner/ innen ausreichend Zeit zur Verfügung stand, um sich geeignete Formulierungen zurechtzulegen, und Hilfsmittel in Form eines Online- Wörterbuchs angeboten wurden. Dennoch war das Verständnis nicht immer im ersten Versuch vollständig gewährleistet, weshalb ich als Interviewerin Nachfragen stellte, aber auch das Gesagte paraphrasierte, es in „eine standardsprachliche Variante übersetzt(e)“ (Klippel 2011: 84). Während dieses Vorgehen in Interviews in der Erstsprache aufgrund einer möglichen Beeinflussung als problematisch gilt, hilft es in Interviews in Fremdsprachen bei der Verständnissicherung (vgl. ebd.). Klippel weist darauf hin, „dass die Angst vor Interviewereffekten zugunsten des Primats einer „conversational partnership“ (Rubin/ Rubin 1995: 93) zurückgenommen werden sollte“ und „normativ anmutende Hinweise zur Durchführung von Interviews aus den sozialwissenschaftlichen Bezugswissenschaften“ bei dem Ziel der Verständigung und der gemeinsamen Bedeutungsaushandlung neu betrachtet werden müssen (vgl. Klippel 2011: 89). Auch bei der Dateninterpretation muss berücksichtigt werden, dass manche Aussagen u. a. auf die mangelnde Verfügbarkeit besserer Formulierungen zurückzuführen sind. Verfahren, die den Wortlaut in den Vordergrund stellen, wie beispielsweise die Objektive Hermeneutik, sind für die Interpretation dieser Daten insgesamt weniger gut geeignet. Darüber hinaus ist bei jeder anderen Form der Dateninterpretation ebenfalls zu berücksichtigen, dass die mangelnde Auswahl an alternativen Formulierungen einen verzerrenden (v.a. verstärkenden oder abschwächenden) Effekt haben kann. Neben der sprachlichen kommt in den Interviews auch die kulturelle Dimension zum Tragen, z. B. die Bereitschaft, über bestimmte Themen zu sprechen (vgl. Kvale/ Brinkmann 2009: 144). Zudem weisen die Denk-, Wahrnehmungs-, Erzähl- und Argumentationsstrukturen kulturspezifische Besonderheiten auf (vgl. Kruse et al. 2012]: 55). Allerdings sind kulturelle Differenzen und sprachliche Hindernisse in einem Interview nicht per se ein Nachteil, solange ihnen mit großer Offenheit und hoher Amiguitätstoleranz begegnet wird. Vielmehr kann es häufig als gewinnbringend für eine Interviewsituation wahrgenommen, wenn Interviewerin und Interviewte kulturelle und sprachliche Differenzen durch Explikationen und intensivierte Aus- 99 Zur Problematik der Beeinflussung und Verzerrung durch Dolmetscher, Gatekeeper und andere Helfende im Kontext der Datengenerierung in einem fremdsprachigen Umfeld vgl. Kruse et al. (2012). <?page no="177"?> 6.4 Vorgehen bei der Datengenerierung 177 handlungsprozesse überbrücken müssen (vgl. Rubin/ Rubin 1995: 111). 100 101 In der vorliegenden Studie erfolgte nach der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit Interviews als Möglichkeit der Datengenerierung die Entscheidung für eine Interviewform und für die Ausgestaltung der Interviews. Mit Bezug zur Zielsetzung der Arbeit, ein breites und tiefgehendes Bild von Portfolioarbeit zu zeichnen, waren Offenheit und Flexibilität zentrale Merkmale der Interviews. Durch die Bezugspunkte aus den Unterrichtsbeobachtungen und aus der Forschungsliteratur bot sich aber eine Teilstrukturierung an, die es ermöglichte, gezielt subjektive Einschätzungen und Wahrnehmungen zu erfragen (vgl. Helfferich 2011: 38; 179). Diese Form des halbstrukturierten Gesprächs kam den Studierenden beim Sprechen in der Fremdsprache entgegen, da lange narrative Passagen möglich, aber nicht notwendig waren. Kürzere Redebeiträge auf konkrete Fragen hatten sich schon in der Pilotierung als die sinnvollere Variante erwiesen. Die Interviews mit der Lehrerin waren ebenfalls teilstrukturiert. Sie folgten allerdings stärker dem Muster „gemeinsam an etwas Arbeiten“ (vgl. ebd. 43), bei dem ich als Interviewerin eigene Impulse und Perspektiven aus der Forschungsliteratur einbrachte und die Lehrerin zu ihrer Meinung danach fragte (vgl. ebd. 43f.). Diese Art des Inputs wurde in den Interviews mit den Studierenden nicht bereitgestellt. Halb- oder teilstrukturierte Interviews sind Gespräche, in denen vorbereitete Fragen den Gesprächsverlauf lenken. Auch wenn die Fragen in einer freien Abfolge bearbeitet werden sollten, so sind doch in allen Gesprächen die vorbereiteten Themenkomplexe abzuarbeiten und die Formulierungen zu verwenden (vgl. Schnell et al. 2005: 322). Das hat den Vorteil, dass in allen Gesprächen dieselben Themen besprochen werden und dass nicht allzu unterschiedliche Formulierungen unterschiedliche Reaktionen bei den Interviewpartner/ innen auslösten. In der vorliegenden Studie wurden die Leitfäden für die Interviews jeweils vor den Interviews entwickelt. Dabei dienten Hinweise aus der Forschungsliteratur und Beobachtungen aus dem Unterricht als Grundlage für die Gestaltung des Leitfadens. Die ersten Interviews 100 Zum meist positiven Verlauf von Interviews mit einer schwierigen Aushandlungsphase vgl. auch Helfferich (2011: 141). 101 Ähnliche Unterschiede wie bei Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen können auch bei Interviewsituationen mit Männern und Frauen entstehen. Hierbei sind vor allem die Art und Weise der Erklärung, die Länge von Pausen und die Selbstdarstellung relevante Dimensionen (vgl. Rubin/ Rubin 1995: 112). Hier ist ebenfalls ein sensibler Umgang notwendig, wobei eine Stereotypisierung vermieden werden sollte. <?page no="178"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 178 mit den Studierenden hatten daher alle einem ähnlichen Muster. Da in einer longitudinal angelegten Studie die Prozesshaftigkeit berücksichtigt werden sollte, wurden in den folgenden Interviews Fragen integriert, die sich auf das vorhergehende Interview bezogen. So hatten die späteren Interviews zwar jeweils einen gemeinsamen Kern, waren aber zum Teil auch individualisiert. Um flexibel agieren zu können, stellte ich die Fragen in einer Reihenfolge, in der sie in den Gesprächsverlauf passten (vgl. Merton/ Kendall 1993: 185). Außerdem formulierte ich im Leitfaden lediglich Beispielfragen (vgl. Kvale/ Brinkmann 2009: 130), die ich im Interview der Situation und dem Sprachstand der Interviewpartner/ innen anpassen konnte, wobei ein Kern der Formulierungen nach Möglichkeit beibehalten wurde (vgl. Helfferich 2011: 181), beispielsweise um auf die Nennung von Konzepten zu verzichten. Im ersten Interview fragte ich daher in Bezug auf das Lerntagebuch, das ich als Begriff vermeiden wollte: Am Ende der letzten Sitzung solltest du aufschreiben, was du gelernt hast. Wie war das für dich? Bei der Erstellung des Leitfadens wurde darauf geachtet, ihn nicht zu umfangreich zu gestalten, um allen Aspekten noch genügend Aufmerksamkeit schenken zu können (vgl. Hopf 1995: 181), und ihn übersichtlich anzuordnen (vgl. Helfferich 2011: 181). Einstellungs-, Meinungs- und Verhaltensfrage (vgl. Schnell et al. 2005: 326) bildeten den Kern des Leitfadens. Zu Beginn standen aber Fragen, die das Gespräch eröffneten, einen leichten Einstieg ermöglichen, bei den meisten Studierenden einen Erzählfluss erzeugten und die mir einen Überblick über Studium, Sprachlernerfahrung und Schreiberfahrung gaben. Insbesondere die Fragen zu den Deutschlernerfahrungen wurden meist gerne und ausführlich beantwortet. Im Gesprächsverlauf selbst wurden häufig follow-up questions und probing questions eingesetzt, um angesprochene Aspekte zu vertiefen und Beispiele sowie weitere Erklärungen zu erfragen (vgl. Kvale/ Brinkmann 2009: 135f.). In der Umsetzung wurde darauf geachtet, die Fragen nicht abzulesen, den Leitfaden nur als Gedächtnisstütze zu verwenden und die Fragen an den natürlichen Argumentationsfluss anzupassen (vgl. Helfferich 2011: 180). Eine besondere Herausforderung war es, unter Zeitdruck und spontan eine angemessene Formulierung zu finden (vgl. ebd. 12), und ein Gleichgewicht zwischen Offenheit mit möglichst geringem Eingreifen einerseits und ausreichender Steuerung und Strukturierung andererseits zu halten (vgl. ebd. 156; Kvale/ Brinkmann 2009: 131). Die Interviews fanden an der Universität statt, die für alle Beteiligten ein vertrauter Ort war (vgl. Lamnek 2005: 388). Ein leer stehendes Büro wurde als möglichst neutraler Interviewort gewählt. Durch das gemeinsame Betre- <?page no="179"?> 6.4 Vorgehen bei der Datengenerierung 179 ten zu Beginn sollte ein „Heimvorteil“ vermieden werden. Nur die Interviews mit Tom wurden jeweils nach dem Unterricht im Kursraum geführt, nachdem die anderen Teilnehmer/ innen gegangen waren, weil ihm dieser Zeitpunkt am besten passte und der Kursraum eine schnelle und für Tom angenehme Lösung darstellte. In allen Fällen wurden Störungen durch ein Telefon ausgeschlossen und nur in einem Fall klopfte jemand an die Tür. Es wurde ausreichend Zeit eingeplant (vgl. Trautmann 2012: 223), und nach der Anfangsnervosität in den ersten Interviews herrschte in allen Gesprächen eine gelöste Atmosphäre. Die Gespräche wurden aufgezeichnet, was eine präzise Erfassung des Gesprächs ermöglichte (vgl. Lamnek 2005: 390). Die Interviewpartner/ innen gaben an, sich dadurch nicht gestört zu fühlen. Auf die Forschungsfrage bezogene Bemerkungen, die nach dem Ausschalten des Aufnahmegeräts gemacht wurden, wurden handschriftlich notiert. Deren Umfang war allerdings sehr gering. Nicht nur an gute Interviewpartner/ innen werden hohe Anforderungen gestellt (vgl. Kap. 6.3.2). Auch die Erwartungen, die an gute Interviewer/ innen gestellt werden, sind vielfältig: Sie verfügen über die zuvor genannte Offenheit, Ambiguitätstoleranz und kulturelle Sensibilität, sind darüber hinaus gebildet, im Thema informiert, strukturierend, klar, freundlich, sensibel, offen, steuernd, kritisch, aufmerksam und erinnern sich an bereits Gesagtes (vgl. Kvale/ Brinkmann 2009: 166f.). Es wird allerdings ebenfalls deutlich, dass diese hohen und zum Teil widersprüchlichen Anforderungen nicht erfüllt werden können (vgl. Helfferich 2011: 11). Vielmehr sind Fehler in der Interviewführung, z. B. unklare Fragen, zu geschlossene Fragen, fehlende Nachfragen an einzelnen Stellen, unvermeidbar (vgl. ebd. 158; Hoffmeyer-Zlotnik 1992: 3). Auch ich hätte zweifelsohne einige Fragen im Nachhinein anders formuliert oder an manchen Stellen noch einmal nachgehakt. Die Stärken meiner Interviewführung waren die Gestaltung einer positiven, empathischen Gesprächsatmosphäre, die Formulierung offener Fragen und das genaue Zuhören, wobei mir meine Ausbildung zur und Tätigkeit als Schreibberaterin zugutekamen. Als Schwäche ist es zu sehen, dass ich an den Stellen, die den Interviewpartner/ innen unangenehm schienen, zu wenig nachhakte und sie zu wenig mit aufgedeckten Widersprüchen konfrontierten. Trotzdem brachten vor allem die Interviews interessante und aussagekräftige Daten hervor, die in Verbindung mit den anderen Daten betrachtet werden können. <?page no="180"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 180 6.4.4 Weitere Daten: Portfolios und Portfoliogespräche Während die Daten aus den Interviews den Kern des Datenmaterials bilden, vorbereitet und ergänzt durch Unterrichtsbeobachtungen und einen Fragebogen, dienten zwei weitere Datenquellen zur Vervollständigung des entwickelten Ergebnisses: die Aufzeichnung der Portfoliogespräche und der Einblick in die Portfolios. Diese Daten wurden in der Phase des selektiven Kodierens hinzugezogen (vgl. 6.5.6), um Zusammenhänge und Interpretationen zu bestätigen oder um Abweichungen aufzudecken. Die Portfoliogespräche führte die Lehrerin kurz vor Kursende mit allen Studierenden (vgl. Kap 7.2). Dabei wurden Kleingruppen mit bis zu vier Studierenden gebildet. Aufgrund der kleinen Gruppen und der intendierten vertraulichen Atmosphäre entschied ich mich, in den Gesprächen nicht anwesend zu sein, sondern nur ein Aufnahmegerät bereitzustellen, das die Lehrerin in meinem Auftrag bediente. Das hatte zwar den Nachteil, dass die Eindrücke von Interaktion und Stimmungen, die man bei der persönlichen Anwesenheit hat, nur über die Aufzeichnungen transportiert wurden. Der Vorteil, nicht durch die Anwesenheit zu stören, war aber ungleich größer. Darüber hinaus stellten mir die Studierenden eine Kopie ihrer Portfolios zur Verfügung. Sie wurden in der Phase des selektiven Kodierens ebenfalls hinzugezogen. Insbesondere die Lerntagebücher und die Reflexionen des Unterrichts und der Texte sollten genutzt werden. Allerdings ergaben sich aus den Portfolios im Gegensatz zu den Portfoliogesprächen beim selektiven Kodieren (vgl. Kap. 6.5.6) keine erweiternden Erkenntnisse. 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation Im Anschluss an die Generierung der Daten erfolgte deren Aufbereitung. Anschließend wurden in den Daten Zusammenhänge, Bedeutungen und Strukturen gesucht. Diese Interpretation erfolgte in Anlehnung an das dreischrittige Kodierverfahren nach Strauss und Corbin. Charmaz (2006: 3) konstatiert: „Coding distills data, sorts them, and gives us a handle for making comparisons with other segments of data”. Beim offenen Kodieren geht es um die Erfassung der Datenlage in der Breite. Das axiale Kodieren hat das Erfassen der Zusammenhänge zum Ziel, und beim selektiven Kodieren werden Lücken geschlossen, Erkenntnisse bestätigt oder widerlegt. (vgl. Strübing 2008: 31). Im Sinne eines hermeneutischen Zirkels verlief der Interpretationsprozess iterativ im Wechsel zwischen einer detaillierten Analyse einzelner Datenausschnitte und einer distanzierteren Betrachtung des gesamten Datenma- <?page no="181"?> 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation 181 terials unter Berücksichtigung der Fragestellung und theoretischer Konzepte. Trotzdem sind sieben wesentliche Schritte erkennbar (vgl. Abb. 6-9): Abb. 6-9: Ablauf der Dateninterpretation Im Folgenden wird das Vorgehen bei der Datenaufbereitung vorgestellt (Kap. 6.5.1), bevor die Schritte der Dateninterpretation nachgezeichnet werden (Kap. 6.5.4-6.5.6). Auch die Nutzung einer Software zur Dateninterpretation (Kap. 6.5.2) sowie die Rolle von Memos und Forschungstagebuch im Forschungsprozess (Kap. 6.5.3) stelle ich dar. 6.5.1 Vorgehen bei der Datenaufbereitung Auf die Datengenerierung folgte die Aufbereitung der Daten, die mehr als eine bloße Verschriftlichung ist, und vielmehr einen Zwischenschritt zwischen der Gewinnung der Daten und deren Aufbereitung darstellt (vgl. Mayring 2002: 85). Das zentrale Ziel ist die Nachvollziehbarkeit der Daten (vgl. ebd.), die bessere Archivierbarkeit, die Möglichkeit zur computergestützten Weiterverarbeitung und die Anonymisierung. Bildung einer gegenstandverankerten Theorie mittlerer Reichweite selektives Kodieren: Suche nach Belegen und Widersprüchen axiales Kodieren: Herstellen von Verbindungen Verdichtung der Codes (und Code-Memos )zu Kategorien offenes Kodieren erste Durchsicht der Daten Datenaufbereitung selektives Ko Wide axia Verdic f erste Durchsicht ten rten Th ach Belegen und hen en orien der Daten <?page no="182"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 182 Bei der Aufbereitung der Fragebogendaten war der Eingriff in die Daten vergleichsweise gering, da die Antworten lediglich in eine Datei übertragen wurden. Fehler wurden nicht bereinigt, um die Authentizität zu wahren. In allen Fragebögen war die Handschrift gut zu lesen, so dass keine Rückfragen meinerseits aufkamen. Der Schwerpunkt der Aufbereitung lag auf der Transkription der Interviews sowie der Unterrichtsbeobachtungen. Zu bedenken ist, dass die Transkription keine Abbildung der Interview- oder Unterrichtswirklichkeit darstellt. Vielmehr finden im Transkriptionsprozess Reduktionen, Selektionen und Interpretationen statt (vgl. Kowal/ O'Connell 2012: 440), beispielsweise durch die Entscheidung, bestimmte Merkmale zu transkribieren und andere nicht, oder eher unbewusst Anpassungen vorzunehmen, wenn etwa die Transkribierende, ein akustisch schwer verständliches Wort in der Rekonstruktion auf die eine und nicht auf die andere Weise verstehen. Auch Wortabbrüche oder Versprecher, die automatisch beim Hören korrigiert werden, gehören dazu (vgl. Kowal/ O'Connell 2012: 444). Dörnyei beschreibt die Transkription daher völlig zu recht als den ersten Schritt der Dateninterpretation (vgl. Dörnyei 2007: 246). Die Transkription erfolgte über mehrere Monate in einem Transkriptionsdurchgang und vier vollständigen Korrekturdurchgängen und wurde mit Hilfe der Software EXMARaLDA Partitur-Editor umgesetzt. Der erste Schritt war es, die Transkriptionsweise festzulegen. Dabei wurden folgende Teilschritte gegangen (vgl. Kowal/ O'Connell 2012: 439): 1. Auswahl der zu transkribierenden Verhaltensmerkmale 2. Auswahl der Notationszeichen 3. Auswahl des Transkriptionsformats Ausschlaggebend für die Wahl eines Transkriptionsverfahrens war die Fragestellung (vgl. Kvale/ Brinkmann 2009: 186). Häufig wird empfohlen, konsequent nur das zu transkribieren, was auch analysiert werden soll (vgl. Kowal/ O'Connell 2012: 444). Dieser Hinweise ist sinnvoll in Hinblick auf die Begrenztheit von Ressourcen. Trotzdem ist es wichtig, den Leser/ innen einen Eindruck von den Gesprächen zu vermitteln, was durch Sonderzeichen und eine detailliertere Transkription erreicht werden kann. Diese grundsätzlichen Überlegungen zu Aufwand und Nutzen begleiteten die Entscheidung für ein geeignetes Transkriptionsverfahren. Es stand fest, dass lediglich auditive Daten benötigt werden. Bei der Transkription der Unterrichtsbeobachtungen konnten die audio-visuellen Daten hinzugezogen werden, um die einzelnen Redebeiträge leichter den Sprecher/ innen zuzuordnen. Hinweise zu Gestik, Mimik und Bewegung im Raum hätten bei der vorliegenden Fragestellung wenig Mehrwert gebracht. <?page no="183"?> 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation 183 Dadurch, dass in dieser Studie die Wahrnehmung der Akteur/ innen im Vordergrund stand, war die Aussprache der Forschungspartner/ innen nicht relevant für die Ergebnisgewinnung. Aus diesem Grund wurde auf eine aufwändigere phonetische Transkription, die den Nachteil der schlechten Lesbarkeit 102 mit sich bringt, verzichtet. Insgesamt lehnte ich mich in dieser Studie an die Empfehlungen des Instituts für Deutsche Sprache und die DIDa-Transkriptionsrichtlinien (Diskurs-Datenbank des Instituts für Deutsche Sprache) an (vgl. Institut für deutsche Sprache 2004), die sich einer literarischen Umschrift bedienen und die Partiturschreibweise empfehlen. Die hier gewählte Vorgehensweise liegt zwischen der literarischen Umschrift und der Übertragung in reguläres Schriftdeutsch. Die literarische Umschrift zeichnet sich dadurch aus, dass auf Groß- und Kleinschreibung sowie auf Satzzeichen verzichtet wird und auch Dialekte deutlich wiedergegeben werden. 103 Der Vorteil ist, dass die Leser/ innen einen besseren Eindruck von den Äußerungen erhalten und durch die Transkription nicht schon zu viele Interpretationen vorgenommen werden, vor allem durch die Ergänzung von Satzzeichen. Ein wesentlicher Nachteil ist die schlechte Lesbarkeit (vgl. Mayring 2002: 91). Die Übertragung in die Standardschreibweise hat den Vorteil einer sehr guten Lesbarkeit (vgl. Riemer 2006b: 119), da Interpunktion sowie Groß- und Kleinschreibung eingefügt und dialektale Besonderheiten, Satzbaufehler und stilistische Auffälligkeiten geglättet werden (vgl. Mayring 2002: 91). Dieser Eingriff in die Daten war m. E. zu groß, aber jede Besonderheit in der Aussprache der Studierenden zu kennzeichnen, hätte die Lesbarkeit stark eingeschränkt. Daher orientierte ich mich an der literarischen Umschrift, glättete diese aber in Hinblick auf die Aussprache. Darüber hinaus wurden typische Erscheinungen der Mündlichkeit wie Verschleifungen (mach=n) geglättet. Gekennzeichnet wurden solche Besonderheiten nur dann, wenn sie vom sonstigen Sprachgebrauch abwichen, da diese Veränderungen ein Indikator für wichtige Stellen im Datenmaterial darstellen können. Bei den Transkriptionszeichen wich ich von den DIDa-Richtlinien ab und nutzte das übersichtliche System von Riemer (2006b: 118f.), bei dem ich lediglich einzelne Symbole ersetzte, um eine höhere Kompatibilität mit der genutzten Software zu erzielen. Die Intonationszeichen wurden sparsam 102 Gute Lesbarkeit ist allerdings keine empirisch begründete Größe (vgl. Kowal/ O'Connell 2012: 444), sondern beruht auf subjektivem Empfinden. 103 Es finden sich allerdings auch abweichende Konzepte von literarischer Umschrift. So versteht Bellingrodt (2011b: 138 f.) darunter ein Verfahren, bei dem dialektale Färbungen geglättet und die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zeichensetzung der Standardsprache übernommen wurden. <?page no="184"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 184 verwendet, um den Lesefluss nicht zu stören. Bei Fremdsprachensprecher/ innen ist die Prosodie in der Interpretation auch deshalb nur schwer zu berücksichtigen, weil sie nicht immer im Einklang mit der Äußerungsabsicht bewusst eingesetzt wird, sondern gelegentlich durch die Erstsprache und den Sprachstand bedingt ist. Daher wurden vor allem Fragen (‘), aber auch ein Absenken der Stimme zum Ende eines Redebeitrags (,) sowie eine gleichbleibende Tonhöhe in Andeutung dessen, dass der Redebeitrag fortgesetzt werden soll (-), angezeigt. In Anlehnung an die DIDa-Empfehlungen wählte ich für Unterrichtsbeobachtungen, Interviews und für die Portfoliogespräche die Partiturschreibweise (vgl. Abb. 6-9) und schließe mich Riemer an, wenn sie konstatiert: „Die Partiturschreibweise erachte ich als notwendige Voraussetzung für die Einsicht in die Dynamik von Gesprächen“ (Riemer 2006b: 188). So können Sprecherwechsel, Unterbrechungen, Pausen, Selbstkorrekturen und Überlappungen der Redebeiträge besser erkennbar werden. Der Nachteil dieser Darstellung ist, dass die Leser/ innen etwas Zeit benötigen, um sich daran zu gewöhnen, und dass sie viel Raum einnimmt. Ein besonderes Format in der Ausgabe war außerdem notwendig, um die Kompatibilität mit der Software zur Qualitativen Datenanalyse MAXQDA zu erhöhen. . . 34 [02: 04.0] 35 [02: 07.4] I [v] okay mh Aline [v] i mm e r we i t e r aber in frankreich haben wir [28] . . Aline [v] ein sys/ system da=nicht sehr gut für die sprache [29] . . 36 [02: 11.0] 37 [02: 13.6] I [v] mhm Aline [v] i s t . mu s s i c h s a g e n # Abb. 6-10: Beispiel für die Partiturtranskription Um die Datenmengen von ca. 25 Stunden Audio- und Videomaterial übersichtlich zu gestalten und bearbeitbar zu machen, wurden die Interviews vollständig, die Unterrichtsbeobachtungen und Portfoliogespräche als Kontextdaten aber nur partiell transkribiert (vgl. Dörnyei 2007: 249). Dazu wurden die Stellen ausgewählt, in denen die Portfolioarbeit und damit verbundene Aktivitäten (Lerntagebuch, Selbsteinschätzung, peer feedback) zum Tragen kamen. Die Vorstellungsrunde, die Besprechung von Arbeitsaufträgen und die Klärung organisatorischer Fragen wurden jeweils kurz zusammengefasst, so dass ein vollständiges Bild von der jeweiligen Sitzung erhalten blieb. <?page no="185"?> 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation 185 6.5.2 Computergestützte Dateninterpretation mit MAXQDA Während vor einigen Jahren der Einsatz von Programmen zur computergestützten Dateninterpretation noch deutlich kritischer diskutiert wurde (vgl. Klippel 2013: 101), sind sie inzwischen weit verbreitet und ein selbstverständlicher Teil der qualitativen Forschung geworden, was eine kritische Betrachtung der Vor- und Nachteile allerdings nicht überflüssig macht. In dieser Studie war das Ziel, mit der Software die Verarbeitung einer großen Datenmenge zu erleichtern und die Übersichtlichkeit sowie die Nachvollziehbarkeit einzelner Analyseschritte bei mehreren Kodierdurchgängen zu erhöhen (vgl. Dörnyei 2007: 265). Nach der Arbeit mit verschiedenen Demoversionen und der Durchsicht der Literatur mit unterschiedlichen Katalogen mit Auswahlkriterien (z. B. Flick 2012: 459-465; Mühlmeyer- Mentzel/ Schürmann 2011), kamen drei Programme in die engere Auswahl: MAXQDA, atlas.ti und NVivo, wobei sowohl bei der Anwendung als auch in der Darstellung von Mühlmeyer-Mentzel/ Schürmann (2011) der Eindruck entstand, dass die aktuellen Versionen dieser Programme - im Gegensatz zu älteren Versionen - nur noch geringfügige Unterschiede aufweisen. Daher waren für mich die individuell empfundene Benutzerfreundlichkeit, der verfügbare Support durch die Entwickler sowie die Verwendung durch Kolleg/ innen (und damit die Möglichkeit zur Zusammenarbeit bei anderen und zukünftigen Projekten) ausschlaggebend. Deshalb entschied ich mich für die Arbeit mit MAXQDA. 104 Ich verstehe das Programm als Werkzeug, das ich den aktuellen Bedürfnissen im Interpretationsverfahren anpassen kann. In der Dateninterpretation nutzte ich das Programm vor allem zum offenen Kodieren sowie zum Aufzeichnen der Code-Memos. Beim axialen und selektiven Kodieren bewegte ich mich ständig zwischen dem Programm und den ausgedruckten Daten hin und her, da ich so nach subjektivem Empfinden einen guten Überblick behielt und die Vorteile beider Verfahren optimal nutzen konnte. 6.5.3 Umgang mit Memos und Forschungstagebuch Ein wichtiger Dokumentationsschritt stellt das Anfertigen von Memos dar, was die GTM begleitend zum Kodieren vorsieht. Dabei handelt es sich um Ideen, Gedanken, Beschreibungen und Interpretationen, die im Forschungsprozess entstehen. Ebenso unterschiedlich wie diese Gedanken können auch die Memos sein. Es entstehen beispielsweise theoretische Memos, Code- 104 Für eine Übersicht über Programme zu qualitativen Datenanalyse und möglichen Entscheidungskriterien vgl. Mühlmeyer-Mentzel/ Schürmann (2011). <?page no="186"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 186 Memos, methodische Memos, beschreibende Memos, interpretative Memos, analytische Memos oder spekulative Memos (vgl. Dörnyei 2007: 254; Kvale/ Brinkmann 2009: 202; Wiedemann 1995: 444) Memos werden in der GTM begleitend in jeder Phase des Forschungsprozesses verfasst und dienen als Zwischenschritt zwischen der Forschung und der Verschriftlichung der Studie (vgl. Charmaz 2006: 72; Corbin/ Strauss 2008: 88; Dörnyei 2007: 254). Strübing (2008: 34) spricht vom „Schreiben als methodische[m] Mittel der Theoriegenese,“ was auch andere Autor/ innen unterstreichen (vgl. z. B. Watt 2007: 84). 105 Memos tragen zur guten Dokumentation des Forschungsprozesses bei und weisen damit eine große Ähnlichkeit mit der von Flick geforderten Dokumentation des Forschungsprozesses in Forschungstagebüchern auf (vgl. Flick 1995: 171), 106 wobei in dieser Studie beides zum Einsatz kam und der Übergang fließend verliefen. Ein Forschungstagebuch ist eine regelmäßig geführte Dokumentation und Reflexion des Forschungsprozesses, das Beobachtungen, Gedanken, Gedankenfragmente und auch Pläne enthält. Im beschreibenden Teil sind Annäherungsprozesse an das Feld, Erlebnisse und Probleme im Feld oder mit den Untersuchungspartner/ innen sowie Gedanken zur Methode sowie zur Ergebnisinterpretation enthalten (vgl. Flick 2012: 377). Die Stärken eines Forschungstagebuchs sind, ebenso wie die des Memo-Schreibens, die Kontinuität (vgl. Altrichter/ Posch 1998: 27), die Konservierung von sonst flüchtigen Gedanken sowie die Dokumentation von Wahrnehmungen und Eindrücken. Das Prozess begleitende Schreiben verhindert den Verlust analytisch wertvoller Ideen, die in der Materialbearbeitung ‚aufblitzen‘, und zwingt durch das Moment der Explizierung im Schriftlichen zu einer größeren gedanklichen Präzision und Konsistenz - zwei Eigenschaften, die für die weiter Integration zu einer schlüssigen Theorie ebenso wichtig sind wie für die rechtzeitige Korrektur von analytischen Fehlentwicklung im Projektverlauf (Strübing 2008: 88). In der vorliegenden Studie habe ich das Forschungstagebuch besonders intensiv in der Phase des Feldkontakts geführt. Hier boten v.a. die Unterrichtsbeobachtungen Anlass zu zahlreichen, umfangreichen Einträgen in handschriftlicher Form. In der Interpretationsphase wurde das Forschungs- 105 Nicht zuletzt wird in Anlehnung an Kleist auf die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben verwiesen (vgl. Strübing 2008: 34 in Bezug auf Kleist 1964). 106 Zur Verwendung des Forschungstagebuchs in dieser Studie vgl. Ballweg (2012b). <?page no="187"?> 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation 187 tagebuch zunehmend durch Memos ersetzt, und das Notizbuch wich dem PC. 6.5.4 Offenes Kodieren Die erste Auseinandersetzung mit den Daten erfolgt durch eine oberflächliche Durchsicht, gefolgt von einer langen Phasen des offenen Kodierens. Das bezeichnet den „Prozeß des Aufbrechens, Untersuchens, Vergleichs, Konzeptualisierens und Kategorisierens von Daten“ (Strauss/ Corbin 1996: 43), um Phänomene zu identifizieren und sie zu benennen. Dazu wird der Text Zeile für Zeile durchgegangen, den Textstellen werden Bezeichnungen zugewiesen, wobei zwei grundlegende analytische Verfahren genutzt werden (vgl. ebd.): 1. Vergleiche anstellen, 2. Fragen stellen. Als Fragen eignen sich alle W-Fragen, aber auch die Frage nach den Bedingungen, Konsequenzen des Auftretens bestimmter Phänomene sowie die begleitenden (Inter)Aktionen und Emotionen (vgl. Birks/ Mills 2011: 96). Beim Vergleichen werden verschiedene Phänomene innerhalb eines Datensatzes und darüber hinweg verglichen. Dabei werden Einzelfälle berücksichtigt, spielen aber eine untergeordnete Rolle, da nicht auf eine Typenbildung hingearbeitet wird Beim offenen Kodieren werden die einzelnen Textstellen mit Codes versehen, die nah am Text formuliert sind und dadurch wenig Interpretation enthalten. Gut eignen sich auch In-vivo-Codes. 107 Alle Codes werden mit Code-Memos kommentiert, um die Eindrücke der Forscherin festzuhalten und die Codes näher zu beschreiben (vgl. ebd.). Die Code-Memos beinhalten Gedanken, Interpretationen und Annahmen, die expliziert und mit Datum versehen werden, was die Transparenz des Forschungsprozesses bei Bedarf nach außen, aber auch für die Forscherin selbst, deutlich erhöht. In Charmaz’ konstruktivistischem Konzept von GTM folgt auf das offene Kodieren (hier: initial coding) das focused coding: “Focused coding means using the most significant and/ or frequent earlier codes to sift through large amounts of data. Focused coding requires decisions about which initial codes make the most analytic sense to categorize your data incisively and completely” (Charmaz 2006: 57). Ob dieser Begriff nun verwendet wird 107 In-vivo-Codes bezeichnen Formulierungen oder Halbsätze, die als wörtliche Zitate aus dem Datenmaterial übernommen werden (vgl. z. B. Birks/ Mills 2011: 93). <?page no="188"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 188 oder nicht: Dem offenen Kodieren muss eine Bündelung der zahlreichen Codes folgen, wozu eine Unterscheidung zwischen Wesentlichem und weniger Wichtigem nötig ist. Hinweise für bedeutsame Textstellen ergeben sich auch aus repetitiven Mustern (vgl. Simon 2006: 116), aus Brüchen und Veränderungen in der Narration, aus Betonungen und Hervorhebungen sowie aus Anknüpfungspunkten zur Fachliteratur. Der Vorgang der Bündelung der Codes ist in der Forschungsliteratur weniger klar beschrieben. So ist beispielsweise bei Birks und Mills (2011: 96) die Rede davon, dass das offene Kodieren (oder hier: initial coding) dann endet, wenn sich Kategorien entwickeln. An dieser Stelle herrscht eine terminologische Vielfalt. In dieser Arbeit beschränke ich mich auf die Begriffe des Codes und der Kategorie. Darunter verstehe ich Folgendes: 108 Codes bezeichnen Wörter oder Phrasen, die als Kennzeichnung für eine oder mehrere Textstellen verwendet wird. Codes zeichnen sich dadurch aus, dass sie nah am Datenmaterial formuliert sind, häufig auch als Invivo-Codes, und dass sie möglichst wenig Interpretation enthalten. Kategorien sind abstraktere thematische Gruppen mit gemeinsamen Eigenschaften (vgl. Corbin/ Strauss 2008: 159), die durch das Gruppieren und Hierarchisieren der Codes entstehen. Im Laufe der Analyse entwickeln sich einige Kategorien zu Rand-, andere zu zentralen Kategorien und eine oder sehr wenige zu Kernkategorien. Nach der Entwicklung der Kategorien gilt es, ihre Merkmale und ihre Grenzen zu definieren, die jeweils auf einem Kontinuum zwischen zwei Polen angeordnet sind. Daher wird dieser Vorgang in der GTM Dimensionalisierung genannt (vgl. Strübing 2008: 26). In dieser Arbeit nutze ich stattdessen allerdings die verbale Explikation aller Kategorien, nicht nur, weil das Verständnis für die Leser/ innen erhöht wird, sondern auch, weil der Verschriftlichungsprozess zur intensiveren Beschäftigung mit den Daten beigetragen hat. Diese Darstellungen vereinen Eigenschaften der Kategorien mit Überlegungen, Assoziationen und Textstellen und können unterschiedliche Schwerpunkte haben. 108 Es findet sich der Begriff des Konzepts. Konzepte sind abstrakter als Codes und dienen dazu, einzelnen Ereignissen oder Phänomenen Bezeichnungen zuzuweisen. Wenn diese Gemeinsamkeiten aufweisen, können sie zu einer Kategorie zusammengefasst werden (vgl. Strübing 2008: 43). Kategorien sind demnach Konzepte auf einem höheren Abstraktionsniveau und mit einer höheren Reichweite (vgl. Corbin/ Strauss 2008: 159). Diese Begrifflichkeiten, die auch bei verschiedenen Autoren unterschiedlich verwendet werden, möchte ich in dieser Arbeit vermeiden. Daher verzichte ich auf den Begriff des Konzepts. <?page no="189"?> 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation 189 Zunächst erfolgte in der Teilstudie A die offene Kodierung der Interviews mit der Lehrerin sowie der Unterrichtsbeobachtungen. Anschließend wurden die Portfoliogespräche kodiert. Daraus entwickelte ich Kategorien, bevor das axiale und das selektive Kodieren folgten. Erst danach kodierte ich im Rahmen der Teilstudie B die 20 Interviews mit den Lernenden und erneut die Unterrichtsbeobachtungen. Dazu wählte ich zunächst alle drei Interviews von Atena aus, die mir wegen ihrer ambivalenten Einstellung der Portfolioarbeit gegenüber aufgefallen war. Der Strategie des minimalen Vergleichs folgend (vgl. Strübing 2008: 32; Wiedemann 1995: 443), betrachtete ich danach zunächst die Datensätze von Qian, die in Hinblick auf eine Veränderung in ihre Einstellung zum Portfolio viele Ähnlichkeiten zu Atena aufwies. Es folgten die Daten von Nilesh, Aline und Tom. Bei der Durchsicht der Datensätze von Laure fiel auf, dass wenige neue Aspekte genannt wurden und sich Anzeichen einer theoretischen Sättigung einstellten (vgl. ebd. 32f.; Wiedemann 1995). Trotzdem habe ich ihre Datensätze vollständig einbezogen. Anschließend berücksichtigte ich erneut die Portfoliogespräche und verdichtete die Codes zu Kategorien. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Bildung von Kategorien einerseits sehr geordnet, andererseits aber auch willkürlich ist. Muckel fasst treffend zusammen: Die Zuordnung von Codes zu einer Kategorie ist „durch wissenschaftliche Theorien und professionelle Erfahrungen geschult, aber zugleich auch unbestimmt, intuitiv und biographisch begründet“ (Muckel 2007: 219). 6.5.5 Axiales Kodieren Im zweiten Interpretationsschritt wurden die Daten axial kodiert. Ziel dieses Verfahrens ist es, Verbindungen zwischen den entwickelten Kategorien herzustellen (vgl. Strauss/ Corbin 1996: 75). Ein wesentlicher Schritt ist das erneute Zusammenfügen der Daten, die beim offenen Kodieren segmentiert wurden (vgl. Charmaz 2006: 60; Strauss/ Corbin 1996]: 78, 86, 92), wodurch gleichzeitig eine Abstraktion erreicht wird (vgl. Strübing 2008: 27). Die Gegenstandsverankerung, die dem Verfahren den Namen gibt, entsteht dabei nach Strauss und Corbin durch „ein konstantes Wechselspiel zwischen Aufstellen und Überprüfen“ (vgl. Strauss/ Corbin 1996: 89). Um das axiale Kodieren möglichst systematisch gestalten zu können, entwickelten Strauss und Corbin einen Kodierrahmen (auch: Kodierpara- <?page no="190"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 190 digma), 109 der Anhaltspunkte für die Art der Beziehung zwischen den Kategorien liefert (vgl. Abb. 6-11). Hier werden Bedingungen, Kontext, Handlungs- und interaktionalen Strategien und Konsequenzen benannt (vgl. Kelle 2007b: 43). Strübing (2008: 27) vergleicht diese Art des Fragens mit den „6 Ws“ des Journalismus, also allgemeinen Fragen, die zur Beschreibung und zur Einordnung eines Phänomens beitragen. Dabei wird jeweils von einer Prozesshaftigkeit ausgegangen (vgl. Strauss/ Corbin 1996: 118-131). Abb. 6-11: Kodierrahmen nach Strauss/ Corbin (nach Strübing 2008: 28) Strauss/ Corbin (1996: 75) definieren die einzelnen Bereiche des Kodierrahmens wie folgt: Phänomen: Die zentrale Idee, das Ereignis, Geschehnis, der Vorfall, auf den eine Reihe von Handlungen oder Interaktionen gerichtet ist, um ihn zu kontrollieren oder zu bewältigen oder zu dem die Handlungen in Beziehung stehen. 109 Wie in Kapitel 6.2.1.1 dargestellt ersetze ich den Begriff des Kodierparadigmas durch den eines Kodierrahmens, um den Unterschied zum Paradigmenbegriff zu verdeutlichen. Welches sind die Ausprägungen für die aktuelle Fragestellung? Bedingungen für Strategien? Was führt zum untersuchten Phänomen? P HÄNOMEN (Worum geht es? Worauf bezieht sich der Text? ) Strategien intervenierende Bedingungen Ursachen Konsequenzen Kontext Welches sind die generellen (kult., geograph., biograph, etc.) Vorbedingungen für Strategien? Wie gehen die Akteure mit dem Phänomen um? Worin resultieren die auf das Phänomen bezogenen Handlungen/ Strategien? <?page no="191"?> 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation 191 Ursächliche Bedingungen: Ereignisse, Vorfälle, Geschehnisse, die zum Auftreten oder der Entwicklung eines Phänomens führen. Kontext: Die spezifische Reihe von Eigenschaften, die zu einem Phänomen gehören. Intervenierende Bedingungen: Die strukturellen Bedingungen, die auf die Handlungs- und interaktionalen Strategien einwirken, die sich auf ein bestimmtes Phänomen beziehen. Sie erleichtern oder hemmen die verwendeten Strategien innerhalb eines spezifischen Kontexts. Handlung/ Interaktion: Strategien, die gedacht sind, um ein Phänomen unter einem spezifischen Satz wahrgenommener Bedingungen zu bewältigen, damit umzugehen, es auszuführen oder darauf zu reagieren. Konsequenz: Ergebnisse oder Resultate von Handlung und Interaktion. An diesem Rahmen wird deutlich, dass die Stärke der Grounded Theory Methode in der Rekonstruktion von Bedingungen und der Herausarbeitung von Bedingungsgefügen liegt (vgl. Konecki 1997: 144) und damit zur Entwicklung der in Kapitel 6.2.1 beschriebenen Bedingungs-Ereignis-Gefügen beträgt. Der Kodierrahmen basiert auf einem handlungstheoretischen und mikrosoziologischen Verständnis und ist „eine Explikation dessen, was sowohl in weiten Teilen der Sozialwissenschaften als auch im Alltagssprachgebrauch unter einer intentionalen Handlung verstanden wird“ (Kelle 1994: 45). Durch diese Offenheit ist es möglich, das Modell auf die Sprachenlehr- und -lernforschung anzuwenden. Allerdings habe ich einige kleinere Änderungen vorgenommen: Da unter dem Kontext die „spezifische Reihe von Eigenschaften“ des Phänomens zu verstehen sind, bevorzuge ich statt „Kontext“ den Begriff „Eigenschaften“ und ordne sie direkt der Kernkategorie zu. Darüber hinaus empfinde ich die Beschreibung der intervenierenden Bedingungen unzulänglich und unklar, da damit Bedingungen gemeint sein sollen, die das Phänomen beeinflussen (vgl. Strauss/ Corbin 1996: 75). Ich spreche daher hier stattdessen von „Einflussfaktoren“. Im Sinne einer Spezifizierungen wurden auch die Fragen leicht angepasst. Zur besseren Übersicht wurden darüber hinaus die Pfeile in der Darstellung reduziert. Ich habe mich auf ein Minimum an Pfeilen entschieden, die die Leserichtung vorgeben. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass sich alle Bereiche gegenseitig beeinflussen: <?page no="192"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 192 Abb. 6-12: Abgewandelter Kodierrahmen für die vorliegende Studie Dieser Kodierrahmen wurde auf alle beobachteten Phänomene angewandt. Das Ziel war allerdings nicht, alle Bereiche auszufüllen, sondern er soll lediglich eine Orientierung bieten, um Verbindungen zwischen einzelnen Kategorien zu erkennen. So ist es beispielsweise möglich, mehrere Schritte darzustellen und auch Ursachen der Ursachen sowie Konsequenzen der Konsequenzen aufzeigen. Darüber hinaus wird auch die Möglichkeit, Rekursivität eines Phänomens deutlich zu machen, erleichtert. Bei Strauss und Corbin ist in dieser Phase die Rede vom „Sampling von Beziehungen und Variationen“ (vgl. Strauss/ Corbin 1996: 148). Während es zunächst darum geht, die Breite des Feldes zu erfassen und viele Kategorien zu generieren, ist in diesem Schritt vielmehr die Dichte und Sättigung der Kategorien mit dem Ziel der Konsistenz von Bedeutung (vgl. ebd. 150). 6.5.6 Selektives Kodieren und Theoriebildung Nachdem beim axialen Kodieren Kategorien verbunden wurden, dient das selektive Kodieren der Fortsetzung des Kodierungsprozesses auf höherem Abstraktionsniveau (vgl. ebd. 95). Ziel ist es, eine Kernkategorie auszuwählen, die das zentrale Phänomen darstellt und um die alle anderen Kategorien gruppiert sind. Diese wird mit anderen Kategorien in Beziehung gesetzt, einzelne Kategorien werden aufgefüllt, verfeinert und validiert (vgl. ebd.; P HÄNOMEN Worin resultieren die auf das Phänomen bezogenen Handlungen/ Strategien? Konsequenzen Strategien Ursachen Einflussfaktoren Wie gehen die Akteur/ innen mit dem Phänomen um? Was beeinflusst das Phänomen? Was begünstigt sein Erscheinen (indirekt)? Was führt zu dieser Wahrnehmung/ Handlung? Was beeinflusst die Veränderung? <?page no="193"?> 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation 193 94). Hierzu wird das diskriminierende Sampling verwendet, bei dem die story line in den Daten herausgearbeitet werden soll (vgl. ebd. 148). Zu diesem Zweck wird ein großer Teil des Materials erneut durchgesehen (vgl. Strübing 2008: 20). Durch das Herausarbeiten von Unterschieden und Abweichungen soll außerdem besser sichtbar werden, inwiefern Erklärungen haltbar sind und unter welchen Umständen sie Bestand haben. Die Auswahl der Kernkategorie(n) 110 ist der zentrale Schritt in dieser Phase, denn es stellt sich die Frage, welche der Kategorien „appears to have greatest explanatory relavance and highest potential for linking all of the other categories together“ (vgl. Corbin/ Strauss 2008: 104). Die Kernkategorie hat demnach nicht nur einen verbindenden Charakter, sondern auch ein hohes Maß an erklärenden Eigenschaften. Corbin und Strauss (vgl. ebd. 105) definieren folgende Merkmale einer Kernkategorie. 1. Sie muss abstrakt sein, so dass ihr alle anderen Kategorien untergeordnet werden können. 2. Sie muss häufig in den Daten vorkommen und in vielen Codes verwurzelt sein. 3. Sie muss logisch und konsistent mit den Daten sein. 4. Sie sollte durch die Verbindung mit den einzelnen Kategorien an Tiefe gewinnen. Das Finden der Kernkategorie ist bereits ein Teil der Theoriebildung. Allerdings ist in der Praxis sehr unterschiedlich, was in GT-Studien als finale Theorie präsentiert wird. Die Ergebnisse reichen von empirischen Verallgemeinerungen über Kategorienlisten und das Aufzeigen von Tendenzen bis hin zu Prozessexplikationen, Beziehungen zwischen Variablen, Erklärungen, abstraktem Verständnis und Beschreibungen (vgl. Charmaz 2006: 133). Ziel der GTM ist es, über Kategorienlisten und reine Beschreibungen hinauszugehen und stattdessen Prozesse mit ihren Einflussfaktoren und Einschränkungen zu erklären und auf andere Kontexte übertragbare Erklärungen zu generieren (vgl. Strübing 2008: 85). Obwohl die in der GTM ursprünglich zentrale Induktion eine große Rolle spielt (vgl. Kap. 6.2.1), werden bei der Entwicklung der Erklärungsansätze auch deduktive Verfahren angewandt. Während diese beiden Verfahren des logischen Schließens vor allem dazu dienen, das Bekannte und Beobachtete sichtbar zu machen, ist es die Abduktion, die auf die Generierung neuer Ideen abzielt (vgl. Reichertz 2003: 8, 34, 60). Unter Abduktion versteht man ein hypothesengenerierendes Verfahren, bei dem durch Kreativität 110 Es wird empfohlen, nicht mehr als zwei Kernkategorien herauszuarbeiten, wenn diese haltbar sein sollen (vgl. Wiedemann 1995: 444). <?page no="194"?> 6 Methoden der empirischen Untersuchung 194 ein überraschendes, mit den bisherigen Ansätzen nicht erklärbares Phänomen erklärt werden soll (vgl. Ernst 2007: 23; Kelle 2011: 248; Reichertz 2003: 34). Die durch die Abduktion entstandenen Hypothesen müssen dann, ebenfalls durch selektives Kodieren, am Datenmaterial überprüft werden. Eine Abduktion kann nicht systematisch herbeigeführt werden, tritt auch nicht in jeder Untersuchung auf, wird aber durch einige Faktoren begünstigt (vgl. Dirks 2007: 45; Reichertz 2003: 37): Bewusstsein und Sensibilität zu Beginn des Forschungsprozesses, Explikation von Vorannahmen, Dokumentation von Gedankengängen, Wissen über die Regelhaftigkeit der Welt (umfassende Bildung), Fähigkeit, Merkmale detailliert zu identifizieren (Beobachtungsgabe). Diese kurze Zusammenstellung der Bedingungen, die die Abduktion begünstigen, zeigt, dass ein Teil der Ergebnisfindung nicht nur systematisch und kriteriengeleitet verlaufen kann, sondern dass auch Kreativität und Zufall eine Rolle spielen. Eine reflektierte Haltung sowie die Explikation und Dokumentation von Vorannahmen, Abläufen und Gedankengängen, z. B. durch Memos, kann aber entscheidend dazu beitragen, auch kreative Prozesse bei der Interpretation der Daten nachvollziehbar zu gestalten. 6.5.7 Qualität und Reichweite der Ergebnisse Nicht nur das Verfahren (vgl. Gütekriterien in Kap. 6.1.3), sondern auch die Ergebnisse sollten kriteriengeleitet sein und kritisch überprüft werden. Dabei beziehe ich mich auf das Verständnis einer Theorie mittlerer Reichweite (vgl. Kap. 6.2.3). Das Kriterium der theoretischen Sättigung ist ein wichtiger Orientierungspunkt, wobei zu bedenken ist, dass es sich jeweils um eine subjektive Entscheidung handelt, die einen hohen Legitimations- und Begründungsdruck mit sich bringt (vgl. Strübing 2008: 34). Daher sind weitere Leitfragen sinnvoll. Dazu knüpfe ich an die Darstellungen von Charmaz 2006: 18; Corbin/ Strauss 2008: 7, 39; Strauss/ Corbin 1996: 214-222 und Strübing 2008: 34, 61-91) an: Macht die Theorie das Phänomen besser begreifbar? Ist die entstandene Theorie intern widerspruchsfrei? Ist die entstandene Theorie relevant für das Feld, d. h. trägt sie zur verbesserten Handlungsfähigkeit der Akteur/ innen im Untersuchungsbereich bei? Verfügt die Theorie über eine Erklärungs- und Prognosefähigkeit? <?page no="195"?> 6.5 Vorgehen bei der Datenaufbereitung und -interpretation 195 Besteht eine plausible, gut erklärte Verknüpfung zwischen Theorie und Daten? Ist die Theorie in einer ausreichenden Menge an Daten verankert? Sind die Kategorien detailliert beschrieben? Sind die Verbindungen zwischen den Kategorien nachvollziehbar dargestellt? Wird das Erreichen der theoretischen Sättigung plausibel beschrieben? Wurden Abweichungen und Widersprüche ausreichend berücksichtigt? Wird die Theorie kontextualisiert, d. h. werden die Bedingungen beschrieben, unter denen sie gültig ist? Wird die Vorgehensweise nachvollziehbar beschrieben, z. B. auch bei widerlegten Annahmen über die Beziehungen zwischen Kategorien? Diese Fragen sollten positiv beantwortet werden, um von qualitativ hochwertigen Ergebnissen zu sprechen. Allerdings hat die entstandene Theorie trotzdem keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ziel ist nicht die statistische, sondern nach Strübing die „konzeptionelle Repräsentativität“ (Strübing 2008: 34), also das Wiederfinden der Theorie in den Daten. Dennoch muss auch immer bewusst sein, dass es sich lediglich um Näherungswerte handeln kann, weil Lern- und Arbeitsprozesse sowie affektive Aspekte ebenso wenig vorhersagbar sind wie soziale Abläufe (vgl. ebd. 62). <?page no="197"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis Nachdem die forschungsmethodischen Entscheidungen dargelegt wurden, dient dieses Kapitel der näheren Beschreibung des Feldes und ist damit als Teil der angestrebten dichten Beschreibung zu verstehen (vgl. Kap. 6.3.1, vgl. Ponterotto 2006: 546). Um einen Einblick in die Abläufe der Portfolioarbeit und in ihre Einbettung zu bieten, stelle ich zunächst die Rahmenbedingungen des Kurses und den Kursverlauf (Kap. 7.1) sowie die Portfoliogespräche (Kap. 7.2) dar, bevor die Untersuchungspartner/ innen vorgestellt werden (Kap 7.3). Abschließend beschreibe ich im Sinne der reflexiven GTM (vgl. Kap. 6.2.1) meine Eindrücke vom Feld (Kap. 7.4). 7.1 Beschreibung des Kurses Mit der Beschreibung des Kurses Schreiben im Studium verfolge ich nicht das Ziel, alle Abläufe detailliert darzustellen, sondern lediglich einen Eindruck von Inhalten, Arbeitsweisen und Abläufen zu vermitteln, um vor diesem Hintergrund die Ergebnisdarstellung anzuschließen. Der Fokus liegt daher auf der Verwendung des Portfolios. Dazu skizziere ich kurz die Rahmenbedingungen des Kurses (Kap. 7.1.1), den Einsatz des Portfolios im Kurs insgesamt (Kap. 7.1.2) sowie in den einzelnen Sitzungen (Kap. 7.1.3). 7.1.1 Rahmenbedingungen des Kurses Die empirische Studie wurde in einem Deutschkurs am Sprachenzentrum einer hessischen Universität durchgeführt. Der Kurs war auf dem Niveau UNIcert II 111 angesiedelt, was etwa dem Niveau B2 des GER entspricht. 112 Da das UNIcert II-Zertifikat kumulativ erworben werden kann, war der Kurs unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass keine kursübergreifende Prüfung bevorsteht, sondern die kursinternen Anforderungen zum Erwerb des Zertifikats zu bestehen sind. Inhaltlich war der Kurs darauf ausgerichtet, die Studierenden auf die schriftsprachlichen Anforderungen des Studiums vorzubereiten, indem Arbeits- und Schreibtechniken sowie Kenntnisse zu studi- 111 Das UNIcert-Zertifikatssystem ist ein Programm der hochschulspezifischen Sprachenausbildung. Für weitere Informationen zum UNIcert-System vgl. http: / / www.unicert-online.org/ de (16.03.2015). 112 Bei der Nennung des Erhebungszeitraums könnte die Wahrung der Anonymität der Lehrerin nicht gewährleistet werden. <?page no="198"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 198 enspezifischen Textsorten vermittelt werden. Daher wurden entweder Texte behandelt, die die Studierenden im Studienalltag benötigen, wie etwa Mitschriften in Vorlesungen, oder solche, die auf das wissenschaftliche Schreiben vorbereiten, wie Zusammenfassungen und Erörterungen. Der Kurs fand über neun Wochen hinweg mit einem Umfang von drei Unterrichtsstunden à 45 Minuten (=135 Minuten) statt. Die Lehrerin hat sich für diese Zeiteinteilung entschieden, um durch die längeren Unterrichtsblöcke mehr Zeit für Schreibaufgaben im Unterricht zur Verfügung zu haben. Es hatten sich 23 Studierende angemeldet, von denen unter der Berücksichtigung der Reihenfolge der Anmeldung 16 zugelassen wurden. Zwölf Studierende schlossen den Kurs ab, was die Lehrerin mit einer in diesem Rahmen üblichen Fluktuation erklärt. Der Kurs ist durch eine hohe sprachliche und kulturelle Heterogenität geprägt. Die Teilnehmer/ innen sind zwar alle Studierende derselben Universität, Unterschiede bestehen aber in Hinblick auf Herkunftsländer, Erstsprachen, Studienfächer, Status als Austausch- oder Regelstudierende, der Sprache ihrer Studiengänge (Englisch oder Deutsch), der Deutschlernerfahrungen sowie natürlich bezüglich zahlreicher individueller Faktoren. Trotz eines C-Tests zur Einstufung in diesen Kurs zeigt sich, dass der Sprachstand sehr unterschiedlich ist. Sowohl in der mündlichen Kommunikation als auch bei der Betrachtung der Texte der Studierenden entsteht der Eindruck, dass sich das Niveau zwischen B1 und C1 bewegt, was die Studierenden bei der Arbeit mit den Selbsteinschätzungsbögen auch bestätigen. 7.1.2 Einsatz des Portfolios im Kurs In diesem Kurs wird das Portfolio sowohl als begleitendes Entwicklungsinstrument als auch als Instrument der Leistungsfeststellung eingesetzt. Der Wechsel vom Entwicklungsinstrument zum Beurteilungsinstrument vollzieht sich mit der Abgabe der Portfolios. Insgesamt macht die Lehrerin wenige Vorgaben zu Inhalten und zur Strukturierung, so dass eine geringe Standardisierung des Portfolios vorliegt. Sie erklärt lediglich, dass neben den Texten auch ein Lerntagebuch enthalten sein müsse. Auch zur medialen Umsetzung gibt es keine Vorgaben. Eine Portfoliosoftware steht nicht zur Verfügung, aber den Studierenden steht es sowohl im Kursverlauf als auch bei der Endabgabe frei, Texte oder das gesamte Portfolio digital oder gedruckt vorzulegen. Alle Studierenden entscheiden sich sowohl zu Hause als auch im Unterricht für die Arbeit am Computer. Die Lehrerin kommentiert die Texte digital und schickt sie per eMail zurück. Zum Kursende reicht lediglich Aline ein Printportfolio ein. <?page no="199"?> 7.1 Beschreibung des Kurses 199 An diesen Abläufen werden bereits einige Besonderheiten deutlich: Im Kursverlauf sind durch Selbsteinschätzungsaktivitäten, peer feedback und auch ein bis zwei Korrekturen der Lehrerin Elemente der formativen Beurteilung und Selbstbeurteilung enthalten. Am Kursende steht schließlich die summative Beurteilung durch die Lehrerin. Verortet man das verwendete Portfolio mit seinen beiden Ausprägungen im Kursverlauf und am Ende in den in Kapitel 2.2.2.1 beschriebenen Dimensionen (vgl. Abb. 2-1.), so ergibt sich folgendes Bild (vgl. Abb. 7-13): Fokus auf Prozess Fokus auf Produkt Fokus auf Entwicklung Fokus auf erbrachte Leistungen Fokus auf formative (Selbst-)Beurteilung Fokus auf summative (Selbst-)Beurteilung Langzeitportfolio Kurzzeitportfolio große Reichweite (z. B. fächerübergreifend) geringe Reichweite (z. B. fachgebunden) Entscheidungsgewalt und Zugriffsrechte liegen bei den Lernenden Entscheidungsgewalt und Zugriffsrechte liegen bei anderen Instanzen Entwicklungsportfolio im Kursverlauf Bewertungsgrundlage nach Kursende Abb. 7-13: Anwendung der Dimensionen zur Beschreibung von Portfolios auf das im Kurs verwendete Konzept geringe Standardisierung hohe Standardisierung <?page no="200"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 200 Hierbei handelt es sich lediglich um eine vereinfachte Einordnung mit dem Ziel der Veranschaulichung. Dennoch wird daraus deutlich, dass der Fokus zunächst auf dem Prozess liegt und bei der Beurteilung die Rolle des Produkts aufgewertet wird. Da Texte in verschiedenen Überarbeitungsstadien eingereicht werden, bleibt der Prozesscharakter dennoch sichtbar, ebenso wie die Entwicklung. Bei einem Kursverlauf über neun Wochen ist nicht von einem Langzeitportfolio zu sprechen, doch es wird eine komplette Lernphase von Kursbeginn bis zum Kursende mit dem Portfolio begleitet. Die Reichweite der Portfolioinhalte ist insofern gering, als dass sich das Portfolio auf das Schreiben beschränkt. Durch die Empfehlung, auch Texte aus anderen Unterrichtskontexten und aus dem Alltag in das Portfolio zu integrieren, wurde die Reichweite allerdings erweitert. Die größten Unterschiede zwischen den beiden Verwendungsweisen liegen in der Art der Beurteilung und bei den Zugriffsrechten. Darüber hinaus verschiebt sich der Fokus leicht von einer Prozesszu einer Produktorientierung sowie von der Betrachtung der Entwicklung hin zur Betrachtung der Leistung. 7.1.3 Kursverlauf Aus der Darstellung im letzten Abschnitt wird bereits deutlich, dass im Unterricht Texte verfasst und überarbeitet werden, darüber hinaus aber auch Reflexionsaktivitäten wie das Führen eines Lerntagebuchs vorbereitet oder durchgeführt werden. Im Unterrichtsalltag räumt die Lehrerin Zeit für organisatorische Fragen bezüglich der Portfolioarbeit ein und hält die Studierenden dazu an, ihr Portfolio regelmäßig zu führen. Dabei nimmt die Portfolioarbeit in den einzelnen Sitzungen unterschiedlich viel Raum ein. Den Ablauf der einzelnen Sitzungen skizziere ich im Folgenden, wobei die dritte und siebte Sitzung nicht aufgeführt werden, weil sie wegen der Erkrankung der Lehrerin ausfielen. 1. Sitzung In der ersten Sitzung werden organisatorische Fragen zum Portfolio geklärt und ein Partnerinterview zur Schreibbiografie geführt. Darüber hinaus werden die Ziele der einzelnen Teilnehmer/ innen sowie ihre Erwartungen abgefragt. Die Hausaufgabe besteht in einer Textproduktion, in der die Studierenden ihr eigenes Schreibverhalten aus der Sicht ihres Schreibtisches beschreiben sollen. 113 113 Die Aufgabe „Mein Schreibtisch berichtet“ wird in den Interviews und im Unterricht auch oft als „Schreibtischtext“ bezeichnet. <?page no="201"?> 7.1 Beschreibung des Kurses 201 Die Arbeit mit dem Portfolio besteht in dieser Sitzung vor allem in der Vorstellung des Instruments. Die Studierenden geben zunächst an, keine Erfahrungen mit der Portfolioarbeit zu haben. Renato und Tom scheinen damit dennoch vertraut zu sein und beantworten die Frage der Lehrerin, wie man damit arbeite, mit dem Hinweis, dass man darin Texte sammle und so den eigenen Fortschritt sichtbar mache. Die Lehrerin führt die Portfolioarbeit so ein, dass sie insbesondere die Offenheit und Individualisierbarkeit des Instruments sowie die Entscheidungsfreiheit der Studierenden in den Vordergrund stellt (vgl. Kap. 8.2.2.2). So erklärt sie beispielsweise: Lehrperson [v] s i e [153] .. Lehrperson [v] e n t s c h e id e n n a t ür li c h g a n z a ll e i n e wa s [154] .. Lehrperson [v] i n i h r p o r t f o l i o " r e i n k o m m e n s o l l . (UB 1, 152-154) In der ersten Sitzung stellt die Lehrerin außerdem einige Beispielportfolios zur Ansicht zur Verfügung. Dabei weist sie darauf hin, dass nicht alle Portfolios gut gelungen sind (vgl. UB 1, 153-154). Sie erläutert, dass das Gelingen des Portfolios von der investierten Energie abhängt und gibt den Studierenden zu bedenken, dass die Portfolios benotet werden und ihnen auch „in einem Jahr noch weiterhelfen“ sollen (ebd.). Damit spricht sie sowohl das Leistungsmotiv als auch die Nützlichkeit an. Die Lehrerin erklärt, dass eine „persönliche Note“ wichtig sei und dass im Portfolio etwas über die Studierenden selbst stehen müsse (UB 1, 246- 248). Zur Gestaltung der Portfolioarbeit im Kurs erläutert sie, dass im Unterricht regelmäßig Zeit dafür eingeräumt werde, dass sie aber auch ein großes Maß an Selbstständigkeit und Eigeninitiative außerhalb des Unterrichts erwarte (UB 1, 289-300). Die Studierenden verhalten sich insgesamt sehr zurückhaltend, geben auf die gestellten Fragen nur zögerlich Antworten und stellen auch keinerlei Fragen. Es bleibt an dieser Stelle unklar, ob ein mangelndes Verständnis der Portfolioarbeit vorliegt oder Kommunikationsprobleme zwischen der Lehrerin und den Lernenden besteht (UB 1, 291-340). 2. Sitzung Die zweite Sitzung steht im Zeichen des peer feedback, wobei sich die Studierenden gegenseitig Rückmeldungen zu den als Hausaufgabe verfassten Texten geben. Im weiteren Verlauf der Sitzung folgen Aktivitäten zu Kon- <?page no="202"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 202 nektoren sowie eine Einführung in die Textsorte Beschreibung. Abschließend leitet die Lehrerin die Studierenden dazu an, ein Lerntagebuch anzulegen. Zunächst erfragt sie, was sie in dieser Sitzung gelernt haben, worauf niemand antwortet. Sie schließt die Frage an, was ihnen Spaß gemacht habe. Als wiederum niemand antwortet, verteilt sie ein Arbeitsblatt zum Erstellen eines Lerntagebuchs, 114 bittet die Lernenden, zu jeder Sitzung einen Eintrag zu verfassen und weist darauf hin, dass die Einträge unterschiedlich lang sein können (vgl. UB 2, 131-142). Die Hausaufgabe besteht darin, Einträge im Lerntagebuch sowie den Hauptteil einer Beschreibung anzufertigen, zu der eine Einleitung vorgegeben wird. In dieser Sitzung wird das Portfolio wenig explizit thematisiert, aber die Lehrerin stellt eine Verbindung zwischen den Unterrichtsaktivitäten und dem Portfolio her, indem sie beispielsweise darauf hinweist, dass die Überarbeitungen ins Portfolio einfließen sollen und das Lerntagebuch in das Portfolio integriert werden kann (vgl. UB 2, 55-60). Bei den portfoliobezogenen Aktivitäten im Plenum verhalten die Studierenden sich auch in dieser Sitzung eher zurückhaltend. Kennzeichnend dafür ist, dass sie zunächst nicht auf Fragen antworten, obwohl die Lehrerin diese mehrfach paraphrasiert und wiederholt. 4. Sitzung Auch in der vierten Sitzung spielen Rückmeldungen zu den Texten eine wichtige Rolle, denn neben peer feedback liegt zu diesem Zeitpunkt auch eine erste Rückmeldung der Lehrerin zu einem Text der meisten Lernenden vor. Sie hält die Studierenden dazu an zu überlegen, wie sie mit Rückmeldungen umgehen wollen und beantwortet Verständnisfragen zu ihren Korrekturen. Darüber hinaus thematisiert sie mögliche Vorgehensweisen bei der Überarbeitung und regt die Studierenden zu einem kritischen, reflektierten Umgang mit fremden Rückmeldungen an. Der größte Teil dieser vierten Sitzung ist für die selbstständige Arbeit an den Texten reserviert. Die Studierenden sollen sich in Einzelarbeit an Computerarbeitsplätzen mit den Rückmeldungen der Lehrerin auseinandersetzen und ihre Texte überarbeiten. Später wird erneut die Textsorte Beschreibung besprochen. Die Hausaufgabe lautet, einen Schlussteil zu der bereits begonnenen Beschreibung zu verfassen. In dieser Sitzung wird das Portfolio nur einmal explizit thematisiert, nämlich beim Verweis, dass wichtige Erkennt- 114 Es handelt sich dabei um ein Blatt, auf dem die Begriffe „Spaß“, „Positives“, „Negatives“, „Gründe“, „alte Ziele“, „neue Ziele“, „neu entdeckt“ und „Methoden & Techniken“ zu finden sind. <?page no="203"?> 7.1 Beschreibung des Kurses 203 nisse sowie die Reflexion der Lernwege über das Lerntagebuch Eingang ins Portfolio finden können. 5. Sitzung In der fünften Sitzung wird ebenfalls vornehmlich an den bereits verfassten Texten gearbeitet. Während in den Sitzungen zuvor Rückmeldungen in Partner- und Einzelarbeit gegeben werden, findet die Besprechung der Texte nun im Plenum statt. Anschließend wird die Textsorte Zusammenfassung eingeführt. Es folgen Schreibaufgaben dazu sowie die Vorbereitung auf das Schreiben einer dialektischen Erörterung, die die Hausaufgabe darstellt. Abschließend befragt die Lehrerin die Studierenden zum Stand der Portfolioarbeit. Sie antworten sehr vage, ein Student gibt an, „ein bisschen“ damit gearbeitet zu haben (UB 5, 32-41). Die Lehrerin stellt weitere Fragen zu den Vorstellungen der Teilnehmer/ innen, worauf diese nicht eingehen und stattdessen zunächst um Beispielportfolios zur Ansicht bitten (UB 5, 45-46). Die Lehrerin gestaltet diese Unterrichtsphase so, dass sie ihre Fragen mit Vorschlägen für mögliche Portfolioinhalte verbindet. So erwähnt sie beiläufig, dass die eigenen Lernziele, die individuellen Stärken und Schwächen sowie die eigene Schreibbiografie in die Einleitung des Portfolios aufgenommen werden können (UB 5, 46-70). Abschließend verteilt sie einen Bogen zur Selbsteinschätzung für die Schreibfertigkeit, der sich an den Kann-Beschreibungen des (GER) orientiert und aus einer Version des ESP stammt (UB 5, 70-77). Sie beschreibt den Nutzen dieses Bogens wie folgt: Lehrperson [v] das ganze soll ihnen einfach so=n [76] .. Lehrperson [v] bisschen helfen i"deen zu bekommen (UB 5, 75-76) Eine weitere Erläuterung oder Diskussion findet zu diesem Zeitpunkt nicht statt. Die Studierenden werden lediglich dazu angehalten, sich bis zur nächsten Sitzung zu Hause damit zu beschäftigen. 6. Sitzung Diese Sitzung beginnt mit der Besprechung des Selbsteinschätzungsbogens, der in der Woche zuvor verteilt worden war. Allerdings haben sich nur drei von dreizehn anwesenden Studierenden damit beschäftigt. Nach der Feststellung dieses Sachverhalts bittet die Lehrerin diese drei Studierenden, von <?page no="204"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 204 ihrer Arbeit damit zu berichten. Anschließend erhalten alle den Auftrag, ihren eigenen Kenntnisstand einschätzen und sich weitere Ziele für den Kurs zu setzen. Diese Aktivität wird in Bezug zur Portfolioarbeit gesetzt, indem die Lehrerin erklärt, dass ein Selbsteinschätzungsbogen zu Kursbeginn und einer zu Kursende ausgefüllt und dem Portfolio beigefügt werden könne. Dann räumt sie selbst ein, dass schon deutlich mehr als die Hälfte des Kurses vorbei ist und die geplante Vorgehensweise nicht mehr umgesetzt werden kann. Im weiteren Verlauf werden die verfassten Zusammenfassungen erneut aufgegriffen und die Erörterungen besprochen. Darüber hinaus wird die Textsorte einer Stellungnahme vorbereitet. Eine solche sollen die Studierenden zu Hause verfassen. In der letzten Phase der Sitzung verteilt die Lehrerin Themen für eine Kurzpräsentation an Gruppen von drei bis vier Studierenden. Sie haben die Gelegenheit, kurz im Internet zu recherchieren, bevor die ersten zwei Gruppen kurze Präsentationen halten. 8. Sitzung Die achte Sitzung beginnt mit den noch ausstehenden Kurzpräsentationen und deren Nachbesprechung. Im Anschluss daran werden die Merkmale guter Präsentation sowie die Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache besprochen. Im zweiten Teil der Sitzung verfassen die Studierenden eine kreative Geschichte. Ein Thema wird nicht vorgegeben, aber der Auftrag lautet, mindestens fünf Wörter aus einer vorgegebenen Liste zu verwenden. Der letzte Teil der Sitzung wird zum Austausch über die Portfolioarbeit sowie zur Terminvereinbarung für die Portfoliogespräche genutzt. Die Lehrerin verspricht, bei dem Termin individuelle Rückmeldungen zu den Texten zu geben. Eine weitere inhaltliche Erklärung der Portfoliogespräche liefert sie zunächst nicht. Vielmehr stehen die Rahmenbedingungen und die organisatorischen Fragen im Vordergrund: Gruppen von zwei bis drei Studierende sollen sich am Samstag für die Dauer von jeweils 30 Minuten mit der Lehrerin treffen. Anschließend wird das Ziel der Gespräche noch einmal aufgegriffen. Neben der Besprechung der Texte nennt die Lehrerin nun auch die Präsentation des gesamten Portfolios: Lehrperson [v] und sie [31] .. Lehrperson [v] b r i n g e n z u m e i n e n i h r p o r t" f o li o mi t d a s <?page no="205"?> 7.1 Beschreibung des Kurses 205 [32] .. Lehrperson [v] h e iß t wir kö n n e n n o c h m a l " d a r üb e r r e d e n - [33] .. Lehrperson [v] sie können schon mal zeigen was sie [34] .. Lehrperson [v] g e " m a c h t h a b e n u n d d a s a n d e r e wä r e wi r [35] .. Lehrperson [v] geh=n noch ma diesen "text durch oder [36] .. Lehrperson [v] o d e r s i e ä h s c h a u e n s ic h d a s a n . we n n s i e [37] .. Lehrperson [v] n o c h n e fr a g e h a b e n d a n n fr a g e n s i e we n n [38] .. Lehrperson [v] "nicht "nicht . (UB 8, 30-38) Aus diesen Aussagen lassen sich drei Funktionen der Gespräche ableiten, nämlich erstens eine Form der Berichterstattung über das Geleistete (sie können schon mal zeigen was sie ge“macht haben- UB 8, 33-34), zweitens die Besprechung der Texte und drittens die Möglichkeit, Fragen zu klären (ebd.). Die Besprechung der individuellen Entwicklung, die häufig der Zweck eines Portfoliogesprächs ist (vgl. Kap. 2.3.3), findet in den Erläuterungen keine Berücksichtigung. Im Anschluss wird der Stand der Portfolioarbeit thematisiert. Während einige Studierende noch nicht damit begonnen hatten, geben andere an, regelmäßig Texte abzuheften. Nur wenige Studierende äußern sich in dieser Phase. Im nächsten Schritt teilt die Lehrerin die Studierenden in Kleingruppen ein, in denen sie sich über den Stand ihrer Portfolios und über ihre Fragen austauschen sollen. Beispielportfolios werden zur Anschauung herumgereicht, und die Lehrerin beantwortet organisatorische Fragen. Die Hausaufgabe lautet, sich weiter mit den Portfolios zu beschäftigen und Fragen für das Portfoliogespräch vorzubereiten (z. B. zum Aufbau des Portfolios) (UB 8, 70-80). 9. Sitzung Die letzte Sitzung ist der Arbeit an Bewerbungen und Lebensläufen gewidmet. Abschließend wird Zeit für die Klärung organisatorischer Fragen eingeräumt, die vor allem die Abgabe des Portfolios betreffen. Das Portfolio wird in dieser Sitzung nicht weiter thematisiert. <?page no="206"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 206 Nach Kursende Der Abgabetermin für die Portfolios liegt drei Tage nach dem letzten Unterrichtstermin. Die Studierenden schicken ihre Portfolios per eMail direkt an die Lehrerin oder geben sie in ausgedruckter Form im Sekretariat ab. Sie erhalten ca. vier Wochen später die Rückmeldung in Form einer Ziffernnote und einer verbalen Beurteilung. 7.2 Portfoliogespräche Die Portfoliogespräche finden am Samstag zwischen der vorletzten und der letzten Sitzung in Gruppen mit zwei bis vier Studierenden statt. Sie wurden kurzfristig am Dienstag zuvor anberaumt. Der Verlauf der vier Portfoliogespräche und die jeweilige Schwerpunktsetzung sind in den einzelnen Gesprächen unterschiedlich. Im vierten Gespräch wird deutlich, dass die Studierenden einander zuhören, ihre Äußerungen gegenseitig ergänzen und auch im Vorfeld schon miteinander gesprochen haben, um Fragen zu klären. In den anderen Gesprächen sind es jeweils vielmehr Dialoge zwischen der Lehrerin und einzelnen Studierenden, während die anderen Teilnehmer/ innen zuhören. Im Kurs wurden vorab mehrere Funktionen der Portfoliogespräche genannt. In der Umsetzung der Portfoliogespräche werden weitere Funktionen erkennbar, so dass die oben aufgeführte Liste der Funktionen ergänzt werden kann: 1. Hilfestellung bei der Portfoliogestaltung, 2. Berichterstattung über das Geleistete, 3. Möglichkeit, individuelle Fragen zu klären, 4. Besprechung individueller Entwicklungen, 5. Besprechung einzelner Texte, 6. Einholen von Rückmeldungen zum Kurs. Diese Funktionen entsprechen weitgehend auch den in der Literatur genannten, wobei dort der vierte Punkt, die Besprechung der individuellen Entwicklung, im Vordergrund steht (vgl. Kap. 2.3.3). Im Folgenden werde ich anhand dieser Liste darstellen, welche Schwerpunkte in den einzelnen Gesprächen gesetzt wurden. Portfoliogespräch I Am ersten Portfoliogespräch nehmen Nilesh und Qian teil. Nilesh stellt sein Portfolio vor und erklärt, welche weiteren Arbeitsschritte er geplant hat. Wie auch in den anderen Gesprächen bezieht sich die Berichterstattung vornehm- <?page no="207"?> 7.2 Portfoliogespräche 207 lich auf die Quantität (Anzahl der Texte, Anzahl der Überarbeitung, Anzahl der Seiten) sowie auf die formale Gestaltung (Aufteilung etc.). Inhaltliche Entscheidungen werden nur am Rande erwähnt, aber nicht ausgeführt oder aufgegriffen. Qian verhält sich sehr zurückhaltend, was sich u.a. daran zeigt dass sie im gesamten Gespräch nur 18 Wörter äußert. Die Lehrerin stellt ihr weniger Fragen als Nilesh und fordert sie nicht auf, ihr Portfolio zu zeigen. Die dadurch für Nilesh großzügig zur Verfügung stehende Zeit wird für die Besprechung einer seiner Texte genutzt, zu dem er eine Rückmeldung wünscht. Auch die Zufriedenheit mit der Kursgestaltung und in Ansätzen auch Nileshs individuelle Entwicklung sind Teil des Gesprächs. Qian erhält abschließend noch Informationen für die Weiterarbeit an ihrem Portfolio (vgl. PG I, 118-120). Insgesamt werden in diesem ersten Gespräch alle der sechs genannten Funktionen zumindest teilweise erfüllt, wenngleich nicht für alle Studierenden: Hilfestellung bei der Portfoliogestaltung Berichterstattung über das Geleistete Möglichkeit, individuelle Fragen zu klären Besprechung individueller Entwicklungen (teilweise) Besprechung einzelner Texte Einholen von Rückmeldungen zum Kurs Portfoliogespräch II Das zweite Portfoliogespräch führt die Lehrerin mit Aline und Atena. Hier ist es Aline, die in einen stärkeren Dialog mit der Lehrerin tritt, während sich Atena eher zurückhält. Die Lehrerin fordert die beiden Studentinnen auf, ihre Portfolios vorzustellen. Aline und Atena haben die Möglichkeit, individuelle Fragen zu stellen und erhalten Anregungen zur Weiterarbeit. Außerdem fragt die Lehrerin sie nach Rückmeldungen zum Kurs. Fünf der zuvor genannten Funktionen werden zumindest teilweise erfüllt: Hilfestellung bei der Portfoliogestaltung Berichterstattung über das Geleistete Möglichkeit, individuelle Fragen zu klären Besprechung individueller Entwicklungen (teilweise) - Besprechung einzelner Texte Einholen von Rückmeldungen zum Kurs <?page no="208"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 208 Portfoliogespräch III An Portfoliogespräch III sind Laure sowie drei weitere Studierende beteiligt, die nicht an der Studie teilnahmen und deren Daten daher nicht berücksichtigt werden. In diesem Gespräch lässt die Lehrerin die einzelnen Portfolios ausführlich vorstellen. Dabei gibt sie Hilfestellungen und beantwortet individuelle Fragen. Sie ermöglicht es den Studierenden außerdem, Rückmeldungen zur Kursgestaltung zu geben, wovon besonders Laure Gebrauch macht. Insgesamt sind die Gesprächsanteile recht ausgeglichen. In diesem Gespräch wurden vier der sechs Funktionen erfüllt: Hilfestellung bei der Portfoliogestaltung Berichterstattung über das Geleistete Möglichkeit, individuelle Fragen zu klären - Besprechung individueller Entwicklungen - Besprechung einzelner Texte Einholen von Rückmeldungen zum Kurs Portfoliogespräch IV Die Teilnehmer/ innen am vierten Portfoliogespräch sind Renato und zwei weitere Studierende. Auch Tom hätte dabei sein sollen, nimmt den Termin jedoch nicht wahr. Auch in diesem Gespräch ist die Vorstellung der Portfolios ein wesentliches Element. Hilfestellungen bei der weiteren Arbeit haben alle drei Studierenden kaum nötig. Dafür geben sie ausführlich Rückmeldungen zur Kursgestaltung und äußern weitere Wünsche. Damit finden drei der sechs Funktionen Anwendung: - Hilfestellung bei der Portfoliogestaltung Berichterstattung über das Geleistete Möglichkeit, individuelle Fragen zu klären - Besprechung individueller Entwicklungen - Besprechung einzelner Texte Einholen von Rückmeldungen zum Kurs 7.3 Die Untersuchungspartner/ innen Um die Ergebnisse der folgenden Dateninterpretation besser einordnen zu können, ist es hilfreich auch die Akteur/ innen, die Lehrerin sowie die sieben Studierenden, vorzustellen. 115 115 Die Beschreibung der sieben an der Studie beteiligten Studierenden erfolgt auf Basis der Selbstangaben in den Kurzfragebögen und der Interviewdaten. Die Informationen über die Lehrerin entstammen den Interviews. <?page no="209"?> 7.3 Die Untersuchungspartner/ innen 209 Die Lehrerin Frau Wagner ist zum Zeitpunkt der Durchführung der Studie am Sprachenzentrum im Bereich Deutsch als Fremdsprache beschäftigt. Sie verfügt über ein zweijähriges Zusatzstudium im Bereich DaF sowie über mehrjährige Unterrichtserfahrung in verschiedenen Kontexten und für alle Niveaustufen. Von Portfolioarbeit hat sie im Studium gehört, sie aber nicht in der Praxis erfahren. Die erste praktische Erfahrung damit hat sie im Semester zuvor ebenfalls im Kurs Schreiben im Studium gesammelt, wobei ich sie im Rahmen der Pilotierung begleiten konnte (vgl. Kap. 6.3.1). Aline Aline ist zum Zeitpunkt der Untersuchung 22 Jahre alt und Austauschstudentin im Fach Maschinenbau. Sie kommt aus Frankreich. Im Unterricht, aber auch in den Interviews und Portfoliogesprächen fällt sie mir als besonders fleißige, engagierte, pflichtbewusste und hilfsbereite Studentin auf. Aline schätzt ihre Schreibkompetenz in ihrer Erstsprache als gut, im Deutschen als recht gut ein. Ein Portfolio hat sie bis zum Kursbesuch noch nicht geführt. Sie gibt bereits im Fragebogen an, dass sie ein Portfolio besser und persönlicher finde als eine Klausur, auch weil es zur Vermeidung alter Fehler führe. Die Freiheiten und den Umgang mit den Fehlern bewertet sie positiv, Zeit- und Arbeitsaufwand sowie die Unklarheit der Aufgabe eher negativ. Vom Kurs erwartet Aline, verschiedene Textsorten kennenzulernen, von der Lehrerin wünscht sie sich vielfältige Themenvorschläge und vor allem Korrekturen. Die Interviews verlaufen aufgrund Alines zugewandter Art offen und kooperativ. Kleine Impulse genügen, um längere Redebeiträge anzuregen. Sie ist sprachlich die stärkste der Untersuchungspartner/ innen und gleichzeitig diejenige, die dem Portfolio gegenüber am positivsten eingestellt ist. Atena Atena ist Iranerin und 24 Jahre alt. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews lebt sie seit 1½ Monaten in Deutschland und studiert im englischsprachigen Masterprogramm Electrical Power Engeneering. Sie hat bereits sieben Jahre zuvor begonnen, im Iran Deutsch zu lernen, es nach einem Semester wieder abgebrochen. Acht Monate vor ihrem Deutschlandaufenthalt hat sie das Deutschlernen erneut aufgenommen. Sie beschreibt ihre schriftsprachlichen Kenntnisse auf Deutsch als eher schlecht, auf Farsi als sehr gut. Atena gibt an, die von Lehrenden korrigierten Texte normalerweise gründlich anzuschauen, um die gemachten Fehler in der Zukunft zu vermeiden. Vom Kurs erhofft sie sich die Korrektur von Texten durch die Lehrerin. <?page no="210"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 210 Mit Portfolios hat sie bisher keine Erfahrung gemacht. Sie fragt sich, ob es ihr etwas nützen wird, was für eine eher skeptische Haltung spricht. Sie erkennt die Funktion des Portfolios, damit die eigene Entwicklung nachzuvollziehen und einen Überblick über die im Kurs erbrachten Leistungen zu erbringen, merkt allerdings an, dass die Gestaltung eines Portfolios weniger mit Sprachkenntnissen, als vielmehr mit Organisationsfähigkeit und persönlichem Geschmack zu tun habe. Sie bezweifelt, dass die Kursleiterin das Portfolio angemessen beurteilen kann (vgl. FB Atena). In den Interviews besteht durch ihre guten mündlichen Deutschkenntnisse eine solide kommunikative Basis. Sie versteht die Fragen, und in den wenigen Fällen, in denen ihr ein Wort nicht bekannt ist, teilt sie das mit, so dass sich Verständnisprobleme durch Paraphrasierungen auflösen lassen. Die Atmosphäre in den Interviews ist schnell gelöst. Vorsichtig, aber doch deutlich formulierte sie Kritik am Unterricht und legt ihre Zweifel offen. Laure Laure studiert ebenfalls Elektrotechnik, ist 22 Jahre alt und eine französische Austauschstudentin. Ihre Schreibfähigkeit beschreibt sie sowohl auf Französisch als auch auf Deutsch mit 12 von 20 Punkten. Auch Laure hat keine Erfahrungen mit Portfolioarbeit. Sie gibt im Fragebogen an: „Es ist eine gute Idee, alle Texte zu sammeln und dann viele ordentliche Texte zu haben“ (FB Laure). Sie sieht darin den Vorteil, Fehler erkennen und vermeiden zu können. Negative Aspekte nennt sie zu Beginn nicht, ebenso wenig wie Erwartungen an den Kurs und an die Lehrerin. Auch die Interviews mit Laure verlaufen problemlos und erkenntnisreich. Sie kommuniziert auf eine sehr klare und direkte Art. Ihre Einschätzungen zeichnen sich durch sachliche Beschreibungen aus, z.B. bei der Benennung der Vor- und Nachteile von Portfolioarbeit. Auch bei der Einschätzung ihrer eigenen Stärken und Schwächen fällt diese Vorgehensweise auf. Nilesh Nilesh ist 23 Jahre alt, studiert im englischsprachigen Masterprogramm Electrical Power Engeneering und kommt aus Indien. Er schreibt vor allem auf Englisch, eMails auch auf Tamil und auf Deutsch. Auch er hat bisher noch nicht mit einem Portfolio gearbeitet und weiß nach der ersten Sitzung nicht, ob er korrekt verstanden hatte, was ein Portfolio ausmacht. Er gibt jedoch an, dass es ein Vorteil sei, dass man alle Texte sehen könne. Vom Kurs erwartet er, verschiedene Textsorten kennenzulernen und seine schriftsprachlichen Fähigkeiten zu verbessern. Von der Lehre- <?page no="211"?> 7.3 Die Untersuchungspartner/ innen 211 rin wünscht er sich Anleitung, Rückmeldungen, Hilfen bei der Portfolioarbeit und das Zeigen von Mustertexten. In den Interviews zeigt sich Nilesh zugewandt, interessiert und engagiert. Auch im Unterricht ist diese Haltung erkennbar. So bringt er sich ein, beantwortet Fragen der Lehrerin, setzt Aufgaben regelmäßig um und sucht den direkten Kontakt zur Lehrerin. Qian Qian kommt aus China und studiert Wirtschaftsingenieurwesen als Regelstudentin. Ihr Alter hatte sie im Fragebogen nicht angegeben, berichtet aber, dass sie Anfang 20 sei. Im Kurs will sie ihre Schreibfähigkeit verbessern und erwartet, viele Texte zu schreiben. An die Lehrerin hatte sie keine expliziten Erwartungen. Sie wird als siebte Studierende in die Studie aufgenommen, als auffällt, dass sie auch zur Kursmitte noch nicht verstanden hat, was ein Portfolio ist, und sie sich durch ihre sehr zurückhaltende Art im Unterricht von den anderen Studierenden unterscheidet (vgl. Kap 6.3.2). Sie ist sehr still und scheint deutliche sprachliche Verständigungsschwierigkeiten zu haben, so dass sie auch Mühe mit den Aufgaben hat, insbesondere beim peer feedback, beim Lerntagebuch und bei der Selbsteinschätzung. In den Interviews und im Fragebogen bestätigt sich, dass sie nach dem fünften Veranstaltungstermin noch keinerlei Vorstellung davon hat, worin die Aufgabe besteht, und entsprechend stark verunsichert ist. Im Fragebogen schreibt sie „Ich verstehe nicht, was ich muss machen“ (FB Qian). Sie ist in den Interviews sehr höflich und gesichtswahrend, gibt beispielsweise an, für die Portfolioarbeit mehr Zeit zu benötigen, bekundet nach mehrmaligem Nachfragen schließlich doch, dass es kein Zeitproblem sei, sondern dass sie die Aufgabe nicht verstehe und ablehne (I_Qian I/ II, 55-60). Qian hat das Gefühl, auf kulturelle Schwierigkeiten zu stoßen, denn sie traut sich nicht, die Lehrerin auf ihre Verständnisschwierigkeiten anzusprechen, um weitere Erklärungen zu erbitten (I_Qian I/ II, 223-232). Im Gegensatz zur Unterrichtssituation ist die Kommunikation in den Interviews keineswegs durch Verständnisprobleme gekennzeichnet. Qian versteht die Fragen gut und ist bereit, darauf zu antworten. Die monologischen Passagen sind nicht so lang wie beispielsweise bei Aline oder bei Nilesh, aber doch so lang, dass ein angenehmer Gesprächsverlauf entsteht. Es fällt auf, dass Qians Einschätzungen häufig allgemein gehalten und positiv sind, auf Nachfragen, was sie damit meine, aber auch kritischere Äußerungen entstehen. <?page no="212"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 212 Renato Renato ist 24 Jahre alt und kommt aus Brasilien. Auch er studiert Elektrotechnik. Er schreibt regelmäßig auf Portugiesisch und auf Englisch sowie auf Deutsch. In der Erstsprache beschreibt er seine Schreibfähigkeit als sehr gut, auf Deutsch als nicht so gut (vgl. FB Renato). Renato verbringt im Rahmen eines Dual Degree Programms ein Jahr in Deutschland. Er lernt zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren Deutsch und ist auch nach eigenem Empfinden einer der schwächsten Lerner im Kurs. Auch in den Interviews kommt es häufig zu Verständigungsschwierigkeiten, die Wiederholungen und erneute Erläuterungen notwendig machen. Er ist einer der wenigen Studierenden, die mit der Portfolioarbeit bereits vertraut sind. In der Vorbereitung auf die Schulabschlussprüfungen hatte er eine Nachhilfelehrerin, die zur Verbesserung seiner Schreibfähigkeit auf Portugiesisch ein Portfolio mit ihm anlegte. Daher hat er eine Vorstellung davon, was auf ihn zukommt und schreibt in der ersten Sitzung im Fragebogen „Ich glaube, dass ein Portfolio zu machen kann ein bisschen mühsamen zu erstellen, aber dieses ist ein gut Weg für schreiben auf deutsch üben.“ (FB Renato). Später betont er, dass das Portfolio als Instrument der Leistungsfeststellung insbesondere ihm als schwächerem Lerner zugutekomme. Tom Tom ist 23 Jahre alt und Australier. Sein Vater ist Deutscher, doch in der Familie wird kein Deutsch gesprochen. Auch Tom studiert Elektrotechnik und verbringt nur ein Semester in Deutschland. Er nimmt am Kurs teil, weil seine Schreibfähigkeit auf Deutsch nach eigenen Angaben nicht gut ist. Im Fragebogen gibt Tom an, bisher kein Portfolio geführt zu haben (vgl. FB Tom), im ersten Interview sagt er allerdings, dass er glaube, „so ein Ding“ schon einmal gemacht zu haben (vgl. I_Tom I, 111-116). Er will vor allem Texte schreiben und diese von der Lehrerin korrigieren lassen. Diese Erwartung wird allerdings nicht voll erfüllt, so dass er sehr unzufrieden ist (vgl. I_Tom I, 99-101, II, 121-134). Als Untersuchungspartner ist Tom gerade wegen seiner ablehnenden Haltung eine Bereicherung. 7.4 Eindrücke der Forscherin Vor der Ergebnisdarstellung gebe ich an dieser Stelle im Sinne einer Reflexiven Grounded Theory einen Einblick in meine subjektiven Eindrücke vom Kurs. Das Ziel ist es, durch die Explizierung bewusster mit vorhandenen Eindrücken umzugehen und gleichzeitig den Leser/ innen zu verdeutlichen, vor welchem Hintergrund die Dateninterpretation zu verstehen ist. <?page no="213"?> 7.4 Eindrücke der Forscherin 213 Die angestrebte dichte Beschreibung erforderte eine große Nähe zum Untersuchungsfeld. Da ich die Lehrerin schon im Semester vor der Datengenerierung und im Rahmen der Pilotierung dieser Studie begleitet hatte, gewann ich einen Einblick in ihre Situation und konnte ihre Perspektive gut nachvollziehen. Sie ließ mich mit großer Offenheit an ihrem Experiment Portfolioarbeit teilhaben, wovon ich sehr profitierte. Gleichzeitig hatte ich einige Mal den Gedanken, dass die Portfolioarbeit anders gestaltet werden könnte. In diesen Situationen geriet der Wunsch, authentischen Unterricht zu beobachten, in Konflikt mit dem Wunsch nach „perfektem“ Unterricht. Das hängt vor allem damit zusammen, dass es aus der Beobachterrolle und vor allem durch die Interviews für mich manchmal leichter war, Probleme zu erkennen, beispielsweise wenn die Studierenden den Nutzen von Portfoliogesprächen oder die Aufgabenstellungen zunächst nicht verstanden. Auch die Unsicherheiten der Lehrerin nahm ich deutlich wahr, wenn sie nicht wusste, wie sie mit dem Portfolio arbeiten oder die Leistungsbeurteilung gestalten sollte. Auch wenn ich sehr oft versucht war, einzugreifen, so bin ich nicht in die Situation gekommen, in der ich mich aus ethischen Gründen dazu verpflichtet gesehen hätte, weil ich durch das Wissen aus den Interviews Missverständnisse hätte aufklären müssen. So hatte ich das Glück, einen Kurs beim Experimentieren mit Portfolioarbeit begleiten und allen Akteur/ innen in die Karten blicken zu dürfen. Meine Eindrücke von den Studierenden waren vielfältig. Zunächst fiel auf, dass sie alle Vorgaben überraschend bereitwillig annahmen, beispielsweise einen kurzfristig anberaumten, zusätzlichen Termin an einem Samstag. Die Mitarbeit selbst war sehr unterschiedlich, von sehr fleißigen, engagierten Studierenden (z. B. Aline) über Studierende, die die Vorgaben kaum verstanden (z. B. Qian) bis hin zu Studierenden, die wenig interessiert schienen (z. B. Tom). Im Kursverlauf kam mir häufig der Gedanke, dass ich diese unterschiedlichen Haltungen aus meiner Perspektive als Forscherin anders beurteilte als ich es in meinem eigenen Unterricht getan hätte, in dem ich Tom gegenüber vermutlich weniger positiv eingestellt gewesen wäre. Die Einblicke in die Beweggründe der Studierenden machten ihr Handeln leicht nachvollziehbar, und ihre unterschiedlichen Haltungen waren eine Bereicherung für die Daten. Gelegentlich haderte ich mit manchen Gegebenheiten, nicht zuletzt mit dem Ausfall zweiter Termine und der verpassten Chance, mehr Portfolioarbeit zu erleben, auch wenn dieser Ausfall selbstverständlich keinesfalls der Lehrerin anzulasten war. Es wurde allerdings auch immer wieder deutlich, <?page no="214"?> 7 Kontext der Studie - Portfolioarbeit in der Praxis 214 dass all die Hindernisse Teil des Feldes und des Unterrichtsalltags waren, die ich in meiner Studie kennenlernen wollte. <?page no="215"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A Zu Beginn des Kurses und damit der Datengenerierung war Portfolioarbeit den meisten Studierenden unbekannt. Daher entwickelte sich ihr Verständnis davon hauptsächlich auf der Grundlage der Erläuterungen und Handlungen der Lehrerin. Aber auch diejenigen Studierenden, die zuvor schon mit Portfolios gearbeitet hatten, richteten ihre Vorstellung von Portfolioarbeit auf der Basis der gegebenen Erklärungen und des Agierens der Lehrerin neu aus. Aus diesem Grund betrachte ich in Teil A der Ergebnisdarstellung die Unterrichtsgestaltung sowie das zugrundeliegende Verständnis der Lehrerin von Portfolioarbeit, das sowohl direkt im Unterricht als auch in den Interviews erkennbar wird (vgl. Abb. 8-14). Abb. 8-14: Fragestellung der Teilstudie A 8.1 Datengrundlage und Relevanz der Teilstudie A Das Datenkorpus der Teilstudie A setzt sich aus den vier Interviews mit der Lehrerin, den videografierten Unterrichtsmitschnitten von sieben dreistündigen Sitzungen sowie den Aufzeichnungen aus den vier Portfoliogesprächen zusammen (vgl. Kap. 6.4.1). Mit diese Auswertung wird nicht das Ziel verfolgt, allgemeine Erkenntnisse über Portfolioarbeit zu gewinnen und eine Theorie mittlerer Reichweite im Sinne der GTM zu entwickeln (vgl. 6.2.3), denn bei der Interpretation der Daten von nur einer Person kann im vorliegenden Fall keine theoretische Sättigung erreicht werden. Angestrebt ist vielmehr eine dichte Beschreibung der Anleitung zur Portfolioarbeit durch Fragestellung der Teilstudie A: Wie setzt die Lehrerin Portfolioarbeit ein? Gestaltung und Erläuterung durch die Lehrerin Welche Zielsetzungen verbindet die Lehrperson mit dem Einsatz von Portfolios? Wie wird Portfolioarbeit eingeführt? Wie wird im fremdsprachlichen Schreibunterricht von Seiten der Lehrperson mit Portfolios gearbeitet? <?page no="216"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 216 die Lehrerin im begleiteten Kurs, die über die reine Beschreibung des Sichtbaren hinausgeht und Verbindungen zwischen Phänomenen herstellt. Auch wenn hier keine Theorie im Sinne der GTM entwickelt wird, so sind die vorliegenden Ergebnisse, die die Annahmen und Handlungen der Lehrerin beleuchten und offenlegen, doch fest im Datenmaterial verankert. Damit bilden sie eine Basis für die Teilstudie B, in der ich untersuche, wie Portfolioarbeit von den Studierenden wahrgenommen wird und welche Faktoren das subjektive Empfinden von Gelingen aller Akteur/ innen beeinflussen. Die Rolle der Lehrenden in der Unterrichtsgestaltung und die Beeinflussung durch individuelle Wissensbestände und Überzeugungen fasst Schmotz (2009: 13) wie folgt zusammen: Vor dem Hintergrund theoretischer Überlegungen zu Unterricht und Schule kommt der individuellen Lehrperson eine entscheidende Bedeutung zu. Die konkrete Gestaltung des Unterrichts und damit ebenso die Qualität des Unterrichts können stark von der individuellen Lehrperson beeinflusst werden. In welcher Weise die Lehrperson eine Unterrichtsstunde plant und durchführt, hängt entscheidend davon ab, wie ihr Wissen strukturiert ist und auf welche Überzeugungen und Handlungsroutinen sie zurückgreifen kann. Hieran wird deutlich, dass die Individualität der Lehrenden prägend für die Ausgestaltung des Unterrichts ist und ihre individuellen Überzeugungen und Handlungsroutinen ihr Agieren im Unterricht bestimmen. 116 Schmotz (2009) stellt weiter dar, dass dem Handeln von Lehrenden kognitive Strukturen zugrunde liegen, die eine Steuerungsfunktion übernehmen und daher als handlungsleitende Kognitionen bezeichnet werden können (vgl. ebd.). 117 An dieses Verständnis schließe ich mich im Folgenden an. Die Bezeichnung ist im Kontext dieser Studie dem verwandten und ebenfalls verbreiteten Konstrukt der Subjektiven Theorien vorzuziehen, da er nicht zwangsläufig ein kohärentes Theorienkonstrukt verlangt und auch punktuelle Annahmen über Überzeugungen zulässt. Die subjektiven handlungsleitenden Kognitionen der Lehrerin sind deshalb von besonderem Interesse, weil Lehrerhandlungen im Unterricht nicht primär „vom Wissen des Lehrers über Erkenntnisse der Allgemeinen Didaktik, der Fachdidaktik und Sozialisationstheorien [abhängen]“ (Koch-Priewe 1986: 225). Zentral ist vielmehr die Sinnzuschreibung, die Lehrende aus subjektiver Sicht bezüglich ihres Unterrichts und der zu vermittelnden Inhal- 116 Den Einfluss der Subjektiven Theorien von Lehrenden und Lernenden auf die konkrete Unterrichtsgestaltung arbeitet auch Morkötter (2005: 314) in ihrer Studie zu Language Awareness deutlich heraus. 117 Zur Handlungsleitung von Kognitionen vgl. z. B. auch Koch-Priewe 1986; Mandl/ Huber 1982; Müller 2004; Viebrock 2010 und Wahl 2000. <?page no="217"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 217 ten vornehmen (vgl. ebd.). Versteht man Portfolioarbeit als unbekannte und komplexe Situation, helfen die subjektiven Überzeugungen der Lehrerin dabei, die entstehenden Unterrichtssituationen zu vereinfachen, einzuordnen und zu bewältigen (vgl. Fussangel 2008: 73). Die Betrachtung der handlungsleitenden Kognitionen sowie des konkreten Agierens der Lehrerin im Unterricht geschieht vor dem Hintergrund des Verständnisses, dass das intendierte und das tatsächliche Handeln nicht deckungsgleich sein müssen (vgl. z. B. Haag/ Mischo 2003: 37), sondern vielmehr von einem interaktiven Verhältnis von Handeln und Überzeugungen auszugehen ist (vgl. Fussangel 2008: 75). Dass manchmal Überzeugungen und intendierte Handlungen in der Unterrichtspraxis nicht umgesetzt werden, sieht Koch-Priewe (1986: 225) vor allem im fehlenden Wissen der Lehrenden, beispielsweise über Unterrichtsmethoden und deren Wirkung, begründet. Das stellt allerdings eine sehr reduzierte Sichtweise auf handlungsleitende Kognitionen einerseits und komplexes Handeln andererseits dar. Vielmehr liegen im Lehrberuf Antinomien und Paradoxien vor, die Helsper (2000) als die Herausforderung beschreibt, „ständig entscheiden zu müssen, dies legitimerweise aber nur zu dürfen, wenn abgesicherte Begründungen vorliegen, die häufig - zumindest situativ - (noch) nicht gegeben sind“ (ebd. 145). Einige handlungsleitende Kognitionen können auch aus diesem Grund aus der Außenperspektive ungewöhnlich und wenig nachvollziehbar wirken. Für die Lehrerin sind sie aber ein Mittel zur Bewältigung von neuen und komplexen Herausforderungen (vgl. Böhle 2013: 287). Aufgabe der Dateninterpretation ist daher nicht die Bewertung des Handelns der Lehrerin, sondern dessen verstehender Nachvollzug, vor dem Hintergrund, dass Handeln oft intuitiv und spontan ist und sein muss. 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ Nach dem offenen Kodieren des Datenmaterials für die Teilstudie A bestanden 17 Kategorien, die durch das In-Beziehung-Setzen beim axialen Kodieren überarbeitet wurden. Die entstehenden Verbindungen der einzelnen Kategorien um die Kernkategorie wurden bei einer erneuten Durchsicht des Datenmaterials (selektives Kodieren) bestätigt oder widerlegt. Die Ergebnisse dieses Interpretationsschrittes werden im vorliegenden Kapitel vorgestellt. <?page no="218"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 218 8.2.1 Beschreibung der Kernkategorie Im Datenmaterial tauchen die Motive der Offenheit in der Unterrichtsgestaltung und der Zurückhaltung der Lehrerin wiederholt auf. Auch die Übergabe der Verantwortung an die Lernenden ist zentral. Diese Aspekte stehen in einer engen Verbindung mit einer Unsicherheit sowie mit Unbestimmtheit, Vagheit und Widersprüchlichkeiten in der Unterrichtsgestaltung. Für die Lehrerin ist die Arbeit mit dem Portfolio ein Ausprobieren der verschiedenen Möglichkeiten, wodurch sie sich für den zukünftigen Einsatz des Instruments einen sichereren Umgang erhofft. LP [v] dass "mir aber vielleicht auch so=n bisschen klarer [422] .. LP [v] wird wenn ich so=n kurs nochmal gebe . ähm wie ich [423] .. LP [v] das von anfang an vielleicht anders "angehen kann mit [424] .. LP [v] dem "portfolio . (I_LP II, 421-424) Als verbindendes Moment im Datenmaterial kann die Suche der Lehrerin nach einem geeigneten Umgang mit dem Instrument Portfolio verstanden werden. Das heißt nicht, dass die Portfolioarbeit problematisch oder misslungen ist. Es kann Aspekte geben, für die die Lehrerin eine bessere Lösung sucht. Darüber hinaus ist diese suchende Haltung aber auch und vor allem der Tatsache geschuldet, dass ihr die Portfolioarbeit bislang noch fremd ist. Auch wenn davon auszugehen ist, dass es keine richtige Vorgehensweise bei der Anleitung zur Portfolioarbeit gibt, sondern Entscheidungen von vielfältigen Faktoren wie Lehr- und Lernzielen, institutionellen Rahmenbedingungen, dem persönlichen Lehrstil und von den individuellen Bedürfnissen der Lernenden abhängen (vgl. Kap. 2.3), so wird doch die handlungsleitende Kognition der Lehrerin deutlich, durch Ausprobieren eine Form der Anleitung zur Portfolioarbeit zu finden, die geeignet ist. Kennzeichnend für die suchende Haltung der Lehrerin sind 1. ihre Unsicherheit und das In-Frage-Stellen der eigenen Vorgehensweise, 2. die Offenheit der Unterrichtsgestaltung und die Übergabe von Verantwortung an die Lernenden sowie 3. Widersprüchlichkeiten in verschiedenen Bereichen des Portfolioeinsatzes. <?page no="219"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 219 8.2.2 Verbindung der Kategorien Die Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise stellt die Kernkategorie der Teilstudie A dar. Nach dem Vorgehen der GTM (vgl. Kap.) dient die Verbindung mit anderen Kategorien dazu, die Kernkategorie näher zu beschreiben, sie zu kontextualisieren und ihr Tiefe zu verleihen. Insbesondere die drei oben genannten Merkmale (vgl. Kap. 8.2.1) dienen der Erläuterung. Mit diesem Abschnitt verfolge ich das Ziel, die handlungsleitenden Kognitionen der Lehrerin zu verdeutlichen und die Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung aufzuzeigen. 8.2.2.1 Unsicherheit und In-Frage-Stellen der eigenen Vorgehensweise Die Unsicherheit der Lehrerin, die sie bei der Anleitung der Studierenden zeigt, ist im gesamten Kursverlauf und über das ganze Datenmaterial sichtbar und kann als Ausdruck der Reflexion ihres eigenen Handelns verstanden werden. Die Lehrerin benutzt selbst Formulierungen, die sich auf diese Unsicherheit beziehen, beispielsweise dass sie nicht sicher ist, sich nicht entscheiden kann oder nicht weiß, wie sie zur Portfolioarbeit anleiten kann. Auch hinsichtlich der Bewertung der Portfolios expliziert sie ihre Unsicherheit. An drei Stellen in den Interviews benutzt die Lehrerin sogar das Wort Angst mit Bezug zur Anleitung der Studierenden. 118119 LP [v] und ja ich hatte ja gerade so am [653] .. LP [v] a n f a n g d i e b e f ü r c h t u n g d i e " a n g s t d a s s i c h d e n e n z u [654] .. LP [v] vi e l e i n f o s g e b e a l s o h a b i c h li e b e r we n i g e r g e g e b e n (I_LP IV, 652-654) In zwei Situationen bezieht sich die Angst darauf, dass sie nicht weiß, wie viele Vorgaben sie machen soll. Im dritten Interview äußert sie die Angst, dass ein Student es nicht schafft, sein Portfolio zu erstellen, weil er die Aufgabe Portfolioarbeit noch nicht verstanden hat. Hier besteht ebenfalls ein Zusammenhang zu der Anleitung durch die Lehrerin, und es wird eine ge- 118 Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden Kategorien jeweils mit zahlreichen Belegen aus dem Datenmaterial präsentiert. Um den Lesefluss nicht zu behindern, nehme ich die Verweise im Folgenden in die Fußnoten auf. 119 vgl. I_LP I, 143, I_LP III, 268, I_LP IV, 653 <?page no="220"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 220 ringe Lehrer-Selbstwirksamkeitserwartung deutlich. 120 Die Lehrerin äußert wiederholt Zweifel diesbezüglich: LP [v] vielleicht hab ich das nicht deutlich genug [29] .. LP [v] gemacht vielleicht hätten die mehr anleitung [30] .. LP [v] gebraucht oder .. (.h) ähm . man hätte das besser [31] .. LP [v] erklären müssen . ähm . (I_LP III, 28-31) Trotz dieser Zweifel und Verunsicherungen ist die Unsicherheit der Lehrerin insgesamt nicht im Sinne einer mit Gefahr, Bedrohung oder Angst verbundenen Unsicherheit zu verstehen (vgl. Auhagen 2003: 251). Vor diesem Hintergrund suche ich nach einer geeigneten Bezeichnung der Kategorie, die diesen Zustand beschreibt. Da der Begriff der Angst zu stark wirkt und nur einen Bereich ihrer Suche beschreibt, wähle ich den Begriff der Unsicherheit, der mit dem In-Frage-Stellen einher geht. Die Unsicherheit ist insofern gegenstandsbezogen, als dass die Lehrerin nicht ihre gesamte Handlungskompetenz in Frage stellt, sondern lediglich bei der Portfolioarbeit in ihrem Handeln und bei den zu treffenden didaktischen Entscheidungen unsicher ist. Die Besonderheiten der Unsicherheit werden besser verständlich, wenn man Erklärungsansätze aus der wirtschaftswissenschaftlichen Entscheidungstheorie heranzieht, nach der Entscheidungen unter Unsicherheit dann gegeben sind, wenn die Konsequenzen nicht bekannt oder absehbar sind (vgl. Scholz. et al. 2003), was bei der komplexen und für die Lehrerin fremden Portfolioarbeit zutrifft. In der Sozioökonomie werden Unsicherheit und Ungewissheit auch als unvermeidbare Elemente der Postmoderne gesehen, die durch kontinuierlichen Wandel hervorgerufen werden (vgl. Böhle 2013: 281). Es wird aufgezeigt, dass das - wenig erfolgreiche - Bestreben, Unsicherheit und Ungewissheit zu reduzieren, durch verändertes, unsicherheitstolerantes Handeln im Sinne des Ausprobierens abgelöst wird, nämlich durch die Auflösung starrer Planungs-Handlungsabfolgen, die ohnehin nur dann möglich sind, wenn Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten absehbar 120 Unter Lehrer-Selbstwirksamkeit wird die subjektive Überzeugung von Lehrer/ innen verstanden, mit ihrer Arbeit etwas bewirken zu können, beispielsweise bei der Vermittlung des Stoffes auch unter schwierigen Bedingungen erfolgreich zu sein (vgl. Mietzel 2007: 20f.). <?page no="221"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 221 sind (vgl. ebd. 287f.). Dies greift die in Kapitel 8.1 dargestellte Problematik auf, im Unterricht ständig Entscheidungen treffen zu müssen, die begründbar sind, ohne im jeweiligen Moment über entsprechende abgesicherte Begründungen zu verfügen. Das Verständnis, dass Lehrerhandeln durch Antinomien und Paradoxien geprägt ist (vgl. Helsper 2000: 19), beispielsweise bei der Leistungsbewertung im Spannungsfeld zwischen curricularen Vorgaben und der Berücksichtigung individueller Entwicklungen, erklärt die mögliche Unsicherheit von Lehrenden. Im universitären DaF-Unterricht sind zahlreiche Ungewissheiten auszumachen, denn Lehrende sind in mehrerlei Hinsicht heterogenen Lerngruppen mit Lernenden mit unterschiedlichen Herkunftssprachen, Lernkulturen, Lernzielen, Fachkulturen, Aufenthaltsdauern im Zielsprachenland etc. konfrontiert. Aktuelle Tendenzen in der Fremdsprachendidaktik setzen ebenfalls auf Vielfalt, was die Komplexität wiederum erhöht. In diesem Kontext ist die Portfolioarbeit zu nennen, die neben der kognitiven Ebene ebenso die metakognitive sowie die affektive einschließt und Binnendifferenzierung sowohl ermöglicht als auch notwendig macht. Somit entsteht eine Vielzahl von nicht zu kontrollierenden Einflussfaktoren, aus der sich die Konsequenz des Handelns unter Unsicherheit ergeben kann. Insgesamt ist die Lehrerin bei portfoliobezogenen Aktivitäten und Erklärungen sowie bei Fragen zu ihren Unterrichtskonzepten eher unsicher, wohingegen sie bei sprachbezogenen Arbeitsanweisungen, beim Einsatz von vorbereiteten Erklärungen oder bei der Klärung organisatorischer Fragen sicherer wirkt. 121 Belege hierfür sind beispielsweise, dass sie ihre Unsicherheit bei der Portfolioarbeit expliziert, aber auch, dass sich die Unterrichtspassagen in der sprachlichen Gestaltung stark unterscheiden (s.u.). 122 Bei der Unsicherheit der Lehrerin handelt sich demnach nicht um ein Persönlichkeitsmerkmal oder um eine Unsicherheit, die sich auf das gesamte Unterrichtshandeln bezieht, sondern um eine auf die Portfolioarbeit bezogene Unsicherheit, 123 die sich im Laufe des Kurses durch eine schwankende Intensität 124 auszeichnet. 121 vgl. bspw. I_LP III, 104-119 122 vgl. z. B. I_LP 192-196; I_LP II, 373-377; I_LP III, 85-484; UB 1, 120-146; UB 8, 37-74, 75-79; PG III, ab 250 123 vgl. I_LP I, 47-62, 140-146, 183-190; I_LP II, 74-79 124 vgl. für die Unsicherheit I_LP II, 425-426; I_LP III, 28-31, 267-270, 539-572; I_LP IV, 213-217; UB 1, 1-58 und für die Sicherheit beispielsweise I_LP 192- 196; I_LP II, 373-377; I_LP III, 85-484; UB 1, 120-146; UB 8, 37-74, 75-79; PG III, ab 250 <?page no="222"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 222 Dieses Schwanken der Intensität ist themen- und situationsbedingt. Die Unsicherheit hat einen Höhepunkt im dritten Interview, in dem die Lehrerin ihr Handeln ausdrücklich in Frage stellt. Dies steht im Zusammenhang damit, dass kurz vor Kursende noch nicht alle Lernenden die Aufgabe begriffen haben. Diese sich verändernde, im Kursverlauf nicht stetig abnehmende Intensität weist darauf hin, dass es sich nicht um eine anfängliche Nervosität bei der Konfrontation mit einer neuen Aufgabe handelt, sondern vielmehr um eine anhaltende Unsicherheit, die durch verschiedene Einflüsse verstärkt oder gemindert wird. Die Stellen im Datenmaterial, in denen die Unsicherheit deutlich wird, zeichnen sich durch rhetorische Besonderheiten aus, nämlich durch den Einsatz abschwächender Modalpartikeln und Ausdrücke, besonders durch so=n bisschen (UB 5, 47). Darüber hinaus sind Wortabbrüche, Vermeidungen und Ausweichhandlungen sowie vage Erklärungen symptomatisch. Lehrperson [v] wir [49] .. Lehrperson [v] hatten ja die erste sitzung . ähm . mit den [50] .. Lehrperson [v] drei fragen . wir ham "ziele und "wünsche [51] .. Lehrperson [v] aufgeschrieben . die sie an den kurs hier [52] .. Lehrperson [v] ham ... haben sie sich "darüber vielleicht [53] .. Lehrperson [v] nochma gedanken gemacht' ähm . wie sie [54] .. Lehrperson [v] das in ihr portfolio einbauen' was ihre [55] .. Lehrperson [v] persönlichen ziele und wünsche sind' (snl) [56] .. Lehrperson [v] bezüglich des schreibens * aber auch des [57] .. Lehrperson [v] kurses' ... dass sie also das durchaus in [58] .. Lehrperson [v] ihrem portfolio einbauen (UB 5, 48-58) Betrachtet man diesen Ausschnitt aus den Unterrichtsaufzeichnungen sowie andere Stellen im Datenmaterial, so fällt sofort ins Auge, dass der Lehrerin <?page no="223"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 223 die Erklärung der Portfolioarbeit Mühe bereitet und sie an einzelnen Stellen gar in Erklärungsnot gerät. Diese Erklärungsnot 125 ist gleichermaßen Ausdruck und Folge der Unsicherheit und verstärkt diese wiederum. Die Mühe bei den Erklärungen bezieht sich ausschließlich auf die Portfolioarbeit und ist bei der Klärung organisatorischer Fragen und bei der Anleitung zu Wortschatz- oder Grammatikaktivitäten nicht zu beobachten. Die Lehrerin expliziert ihre Sorgen und Zweifel, ob sie den Lernenden die Portfolioarbeit näherbringen kann, bereits im ersten Interview. 126 Sie hat Bedenken, Portfolioarbeit nachvollziehbar erklären zu können. Beispiele für die Erklärungsnot finden sich sowohl in den Unterrichtsmitschnitten 127 als auch in den Interviews. Im ersten Interview erklärt sie beispielsweise, was sie unter einem Portfolio versteht: I [v] wenn du jetzt einem nichtdidaktiker erklären würdest [48] .. I [v] was ein portfolio ist- . wo würdest du ansetzen- oder [49] .. 38 [02: 30.2] I [v] wie würdest du das machen' LP [v] mh . mh (snl) das ist [50] .. LP [v] schwierig * ich würde das erst mal auf so ne stufe [51] .. LP [v] runterbrechen dass/ also damit anfangen dass es/ es [52] .. LP [v] so/ so/ sozusagen ne sammelmappe ist, ne [53] .. LP [v] sammelmappe von . (.h) dingen=erfahrungenwie [54] .. LP [v] auch immerdie man ähm "macht äh: m . quasi auch [55] .. LP [v] so=n bisschen chronologisch n/ ne [56] .. LP [v] aufarbeitung=einfach eben so=n/ wie ich das gestern [57] .. LP [v] erklärt hab mit dem foto..album . ähm ... und dass es [58] .. LP [v] einen so=n bisschen schärfen soll .. für das was man 125 vgl. I_LP I, 47-62, 94-98, 119-124, 244-260; UB 1, 16-19, 173-176, 258-263; UB 5, 46-70, 75-76 126 vgl. I_LP I, 244-260 127 vgl. z. B. I_LP I, 119-122 <?page no="224"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 224 [59] .. 39 [03: 01.3] I [v] mh LP [v] macht also dass man vielleicht auch mal lernt [60] .. LP [v] einzuschätzen was kann ich gu: twas kann ich nicht [61] .. LP [v] so gutwas muss ich vielleicht noch ü: ben (ls) oder [62] .. 40 [03: 01.3] 41 42 [03: 20.2] I [v] okay LP [v] machen * also so/ so in die richtung (I_LP I, 47-62) Hieran wird nicht nur deutlich, dass ihr die Erklärung nicht leicht fällt, sondern sie erklärt durch den Verweis auf das Herunterbrechen außerdem, dass sie Portfolioarbeit als komplex empfindet und die Vereinfachung für notwendig hält. Im Unterricht erläutert sie die Funktion eines Portfolios so: Lehrperson [v] also so=n portfolio soll [174] .. Lehrperson [v] wirklich auch dazu dienen dass sie lern/ [175] .. Lehrperson [v] ich sag mal "lern/ "lern"ideen [176] .. Lehrperson [v] lern"erfolge sammeln . (UB 1, 173-176) Bei den Erklärungen nennt die Lehrerin einige zentrale Aspekte von Portfolioarbeit, umgeht aber eine klare Definition. Ihre Erklärungsnot zeigt sich an verschiedenen Merkmalen: Verbalisierung, dass die Erklärung schwierig ist, Einsatz abschwächender Modalpartikeln und Ausdrücke (einfach, eben, so=n bisschen, also so in die richtung) , 128 Wortabbrüche/ Satzabbrüche, die zeigen, dass die Erklärungen bzw. die Vorstellungen der Lehrerin nicht stabil sind, sondern gerade ausgehandelt werden, 129 128 vgl. z. B. I_LP I, 119-122 129 vgl. z. B. I_LP I, 119-122 <?page no="225"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 225 Vermeidungen und Ausweichhandlungen (hier: beispielsweise in I_LP I, 139-149, wo sie auf die Frage nach einem Lehrportfolio nicht antwortet oder Situationen, in denen sie einige Stichpunkte nennt und auf einen späteren Zeitpunkt verweist, an dem eine detailliertere Erklärung folgen soll, was aber meist nicht geschieht), 130 Erklärung in zurechtgelegten Mustern, wie dem Vergleich mit dem Fotoalbum. 131 Neben dieser Unsicherheit bei den Erklärungen gibt es auch eine zentrale inhaltliche Unsicherheit, nämlich das Instruktionsdilemma, 132 das der stärkste Ausdruck ihrer Suche ist. Dieses Dilemma der Lehrerin besteht darin, dass sie zu Kursbeginn eine größtmögliche Offenheit in den Erklärungen wählt, sich zu Kursmitte und -ende hingegen fragt, ob die Lernenden nicht eine engere Anleitung gebraucht hätten. 133 Allerdings ist sie sich schon im ersten Interview bewusst, dass die große Offenheit an Grenzen stoßen kann: LP [v] ich "will=s erst mal so ... va: ge wie [113] .. 53 [05: 40.6] LP [v] möglich haltenmit den vorgabenwenn ich aber [114] .. LP [v] merken solltedass die damit überhaupt nicht [115] .. LP [v] "klarkommen . oder auch immer wieder nachfrage n [116] 54 [05: 40.6] I [v] mhm LP [v] dann denk ich . muss ich=s detaillierter beschreiben, (I_LP I, 112-116) Es handelt sich dabei um die Suche nach einem geeigneten Maß an Erklärungen. Eine naheliegende Konsequenz dieser Suche, die sich sowohl in Handlungen als auch in Erklärungen äußert, ist allerdings die Verunsicherung der Lernenden. 134 Durch diese Unsicherheit seitens der Lernenden wird die der Lehrerin wiederum verstärkt, wodurch eine gegenseitige Beeinflus- 130 vgl. z. B. UB 1, 16-24; 102-113 131 Die Lehrerin erklärt in der ersten Sitzung, dass ein Portfolio ähnlich funktioniere wie ein Fotoalbum. Diese Metapher stammt aus Porter/ Cleland (1995: 86). Im untersuchten Kurs ist der Vergleich wenig tragfähig, denn sie beschreibt ein Produktportfolio, das nach Abschluss einer Arbeitsphase zusammengestellt wird, während die Lehrerin mit einem begleitenden Prozessportfolio arbeitet. 132 vgl. I_LP I, 102-113; 112-116, I_LP II, 95-105 133 vgl. I_LP II, 425-426, I_LP III, 29-30 134 vgl. I_LP II, 11-13; I_LP III, 222; I_LP IV, 169-174 <?page no="226"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 226 sung entsteht und das gesamte Unterrichtsgeschehen von der Unsicherheit aller Akteur/ innen geprägt ist. Ein Beispiel hierfür sind die Verständnisprobleme der Lernenden, die bis zur vorletzten Sitzung anhalten. 8.2.2.2 Offenheit und Versuch der Verantwortungsübergabe Das Instruktionsdilemma der Lehrerin ist nicht nur durch die Unsicherheit und das In-Frage-Stellen des eigenen Handelns geprägt, sondern auch durch die Überzeugung, dass Vorgaben nur in geringem Maße, bei Nachfragen oder in Ausnahmefällen sinnvoll sind (wenn die Lernenden damit überhaupt nicht “klarkommen, (s.o.)). Sie erklärt ihre Gründe: LP [v] (.h) ich . äh . [75] .. LP [v] hatte so=n bisschen die befürchtung wenn ich denen [76] .. LP [v] gleich am anfang sage was was "ich unter dem [77] .. LP [v] portfolio verstehe oder denen "zu viel input gebe [78] 56 [03: 08.1] 57 [03: 16.4] I [v] mhm LP [v] dass die sich nicht mehr selber da dran setzen [79] .. LP [v] .. sondern dass die das .. wie ne ganz normale übung (I_LP II, 74-79) Die handlungsleitende Kognition, die ihrer zurückhaltenden Rolle und der Offenheit in der Gestaltung der Portfolioarbeit zugrunde liegen, ist die Überzeugung, durch Vorgaben und Erklärungen die Motivation der Studierenden zu mindern. Die Lernenden haben nach den Vorstellungen der Lehrerin vielmehr die Aufgabe, sich selbstständig mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen, die Portfolioarbeit bietet, und so mit dem Instrument zu arbeiten, dass es für sie gewinnbringend ist. Die Übertragung von Verantwortung auf die Lernenden 135 ist aus der Erwartung an deren Autonomie und dem Wunsch nach einer großen Offenheit abzuleiten. Gleichzeitig entsteht für die Lehrerin durch dieses Vorgehen nicht der Bedarf, klare Anweisungen und Erklärungen zu geben. Sie erwartet von den Lernenden vielmehr, dass sie selbst Fragen formulieren, dadurch selbst für das Verstehen 135 vgl. I_LP I, 119-124, 295-313, 306-313; I_LP III, 145-152; I_LP IV, 63-73 <?page no="227"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 227 der Aufgaben sorgen und so die Portfoliogespräche und den Unterricht inhaltlich gestalten. In den videografierten Unterrichtsmitschnitten zeigt sich, dass mit der Offenheit auch eine Vagheit und eine reduzierte Komplexität der Erklärungen zu finden sind. 136 Sie erklärt beispielsweise in der ersten Sitzung Portfolioarbeit folgendermaßen: Lehrperson [v] ... aber wichtig ist [259] .. Lehrperson [v] dass das hier sozusagen ihre [260] .. Lehrperson [v] per"sönliche .. sammel- .. reflexions- .. [261] .. Lehrperson [v] ähm . was auch immer mappe ist . ja' .. [262] .. Lehrperson [v] "sie gestalten die und "sie sammeln die [263] .. 36 [100: 47.0] Lehrperson [v] dinger und heften die ab (UB 1, 258-263) Nach einem offenen Beginn in der Passage folgt eine Reduktion der Portfolioarbeit auf das Sammeln und Abheften, obwohl die an anderen Stellen explizierten Anforderungen weit darüber hinausgehen. Die Komplexitätsreduktion zeigt sich auch an einer Erklärung zu den Zielen der Reflexion im Unterricht, bei der die Lehrerin zuerst global über das Reflektieren spricht und anschließend Beispiele auf der kognitiven und schließlich auf der affektiven Ebene gibt. Es sind eine abnehmende Komplexität und gleichzeitig eine zunehmende Konkretheit erkennbar, mit der die Lehrerin jedoch keine Handlungsanweisung gibt, sondern die Ziele der Aktivitäten skizziert: Lehrperson [v] und dass sie vielleicht so=n [194] .. Lehrperson [v] bisschen selbst lernen zu "reflektieren- [195] .. Lehrperson [v] dass sie ihre texte selbst besser [196] .. Lehrperson [v] "einschätzen könnendass sie besser 136 vgl. I_LP I, 120-121, UB 1, 194-206, UB 2, 24-33 <?page no="228"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 228 [197] .. Lehrperson [v] einschätzen können wo sie sich hilfe [198] .. Lehrperson [v] herholen können dass sie merken okay [199] .. Lehrperson [v] bei der grammatik hapert=s noch=n [200] .. Lehrperson [v] bisschen aber wie mach ich das wie [201] .. Lehrperson [v] kann ich übungen finden die dazu [202] .. Lehrperson [v] passen oder wo find ich informationen [203] .. Lehrperson [v] zu "themen die ich bearbeitet habe [204] .. Lehrperson [v] vielleicht einfach auch nur mal [205] .. Lehrperson [v] aufschreiben ob denn ne übung "spaß [206] .. Lehrperson [v] gemacht hat . ob ein "text ihnen spaß [207] .. Lehrperson [v] gemacht hat ob das "thema spaß [208] .. Lehrperson [v] gemacht hat . (UB 1, 193-208) Kennzeichnen für die hier beschriebene Offenheit ist außerdem die Spontaneität, mit der die Lehrerin den Unterricht gestaltet. So reagiert flexibel, und verhält sich zunächst zurückhaltend. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass sie kaum Arbeitsblätter nutzt, sich kaum Abläufe und Erklärungen vorab festlegt und sich dann in den jeweiligen Situationen für eine Vorgehensweise entscheidet. 137 138 Die Spontaneität drückt sich beispielsweise darin aus, dass sie nach der ersten Sitzung, als sie bereits die ersten Aktivitäten zur Reflexion durchgeführt hat, noch nicht über ihr grundsätzliches Vorgehen entschieden hat: 137 vgl. I_LP I, 120-124 138 Eine Ausnahme bildet die oben erwähnte Metapher vom Fotoalbum, die sie in der ersten Sitzung nutzt. <?page no="229"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 229 I [v] reflexionhast du da noch ideenwie du die .. 59 [05: 54.6] I [v] da heranführst' LP [v] ja das ist so/ ich denk wir werden viel .. LP [v] über reflexion erst mal im unterricht so in .. LP [v] kleingruppen erst mal vielleicht/ (I_LP I, 120-123) In den folgenden Interviews wird dieses ebenfalls Vorgehen sichtbar. Auf die Frage, welche weiteren Schritte zur Textarbeit geplant sind, antwortete die Lehrerin damit, dass sie das halt einfach "sehen müsse. 139 Offenheit, Zurückhaltung und Unbestimmtheit sind Begriffe, die auch die Lehr- und Kursziele der Lehrerin beschreiben. Hier ergibt sich ein potenzielles Spannungsfeld zwischen der Offenheit und einerseits der Übergabe der Verantwortung an Lernende, die der Lehrerin wichtig ist und andererseits den möglichen Erwartungen der Lernenden, die eine Strukturierung des Unterrichts und der Portfolioarbeit durch die Lehrerin erwarten könnten. Die Lehrerin erklärt, dass sie ihre zentrale Aufgabe darin sieht, den Lernenden den Nutzen von Portfolioarbeit nahezubringen. Dabei handelt es sich um ihr übergeordnetes Kursziel, dem sie andere Ziele unterordnet. In ihrer Antwort finden an dieser Stelle die Wissensvermittlung, die Textkompetenz, die Vermittlung von Schreibfertigkeit und andere in einem DaF-Kurs zur Verbesserung der Schreibfähigkeit zu erwartende Aspekte keine Berücksichtigung. Im weiteren Gesprächsverlauf erwähnt sie aber auch Lernziele in diesem Bereich, wobei es vor allem um die Kenntnis von Textsorten 140 , die Fähigkeit, Textqualität zu beurteilen 141 und das „Gefühl für Texte“ 142 geht. Zudem werden auf den Schreibprozess bezogene Ziele genannt, allerdings nur in der ersten Unterrichtssitzung und eher unspezifisch. 143 Sprachliche Ziele (Wortschatz, Grammatik und Stil 144 ) werden lediglich am Rande erwähnt. Ihnen stehen zahlreiche Ziele auf der metakognitiven Ebene gegen- 139 vgl. I_LP II, 437-443 140 vgl. z. B. I_LP I, 220-124, 200-214, I_LP III, 513-516, UB 1, 28-29, 141 vgl. I_LP III, 33-38 142 vgl. I_LP III, 513-516 143 Ziele „schreiben“, „den eigenen Schreibprozess besser kennen“: UB 1, 29-34; Ziel „überarbeiten“: UB 1, 263-277 144 vgl. I_LP I, 202-218 <?page no="230"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 230 über, 145 beispielsweise das Lernen zu strukturieren, sich selbst sowie die eigenen Texte einschätzen zu lernen und eigene Fortschritte zu erkennen. Auch die Bewertungskriterien bleiben eher unbestimmt und werden flexibel festgelegt. Dies wird dadurch deutlich, dass die Lehrerin in unterschiedlichen Kontexten (Unterricht und Interview) und zu unterschiedlichen Zeitpunkten jeweils andere Kriterien nennt. Die Veränderung ist keine lineare Weiterentwicklung der Kriterien, sondern es sind vielmehr mehrere Wechsel in verschiedene Richtungen erkennbar. Während die Lehrerin im dritten Interview (nach der letzten Sitzung, aber vor der Abgabe der Portfolios) die Texte und den Umgang damit als das wichtigste Beurteilungskriterium bezeichnet, 146 spielt dieses im vierten Interview keine Rolle mehr. Obwohl sie angibt, die Kriterien erst bei der Bewertung festzulegen, werden im Kursverlauf nebenbei immer wieder Kriterien genannt, wenn es die Situation zulässt oder erfordert. Zentrale Kriterien, die wiederholt angeführt werden, sind Mühe und Sorgfalt. 147 Auch eine „individuelle Note“ 148 wird genannt. Die detaillierten Kriterien werden dann im vierten Interview vorgestellt, 149 nachdem die Bewertung der Portfolios abgeschlossen ist: Mühe und Sorgfalt, Gestaltung, eine individuelle Note, Erkennbarkeit von Fortschritten, Zielsetzung und Diskussion der eigenen Leistung, Reflexion. Diese Kriterien verlangen zwar verschiedene Fähigkeiten, sind aber weder sprachnoch schreibbezogen. Zudem sind sie schwer operationalisierbar. Insbesondere der Aspekt der Erkennbarkeit von Fortschritten bleibt vage, da die Textqualität zum Ende als Beurteilungskriterium ausgeschlossen wird (vgl. Kap. 8.2.2.3). Die Lehrerin setzt unterschiedliche Schwerpunkte und entscheidet sich meist eher zu Gunsten der Lernenden. 150 145 vgl. UB 1, 29-47; 204-217; 251-253; I_LP I, 154-171; 203-223; I_LP II, 214- 233; I_LP III, 33-38; UB 4 102-106 146 vgl. I_LP III 683-685 147 vgl. UB 1, 237, I_LP 4, 163-165 148 vgl. UB 1, 246-249 149 vgl. I_LP IV 127-147 150 vgl. I_LP IV, 234-239 <?page no="231"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 231 8.2.2.3 Widersprüchlichkeiten Die Offenheit und Flexibilität in der Unterrichtsgestaltung und bei der Leistungsfeststellung bringen Widersprüchlichkeiten mit sich, beispielsweise wenn Bewertungskriterien zunächst angedeutet und anschließend verändert werden. Ein weiterer zentraler Widerspruch entsteht daraus, dass die Lehrerin im Kursverlauf die Reflexion und den Einsatz von Lernstrategien immer weiter in den Vordergrund rückt, die Studierenden aber nicht zuletzt aufgrund der in der Veranstaltungsankündigung genannten Kursziele der Verbesserung der Schreibfähigkeit in der Fremdsprache Deutsch eher Spracharbeit erwarten. Dies wird nicht nur bei der Beurteilung der Portfolios und bei den Erläuterungen der Lehrerin zu den Kurszielen deutlich, sondern tritt in der gesamten Unterrichtsgestaltung zutage. Die Fokusverschiebung auf Reflexionen und Portfolioarbeit 151 im Unterricht expliziert die Lehrerin: LP [v] .. ähm . für viele braucht=s [336] .. 227 [14: 57.6] I [v] mhm LP [v] noch so=n anstoß . selber zu reflektieren, [337] 228 [15: 04.7] LP [v] (lgs) deswegen hab ich dann mal versucht * die [338] .. 229 [15: 04.7] I [v] mhm LP [v] textschreiberei ein bisschen kürzer zu fassen [339] 230 [15: 09.7] LP [v] dass sie das zu "hause gemacht haben und mir zum [340] .. LP [v] beispiel gemailt haben für die nächste sitzung und [341] .. LP [v] dass wir ein bisschen mehr über die texte "reden (I_LP II, 335-341) Das Schreiben wird als Hausaufgabe ausgelagert, so dass im Unterricht mehr Raum für die Besprechung der Texte entsteht. Während die Aussage der Lehrerin (dann mal) impliziert, dass die Studierenden zu Kursbeginn Texte im Unterricht verfassten und Schreibaufgaben später als Hausaufgaben vergeben wurden, gestaltet es sich in der Umsetzung so, dass in der 1., 2., 4. und 6. Sitzung Texte oder Textteile zu Hause, in der 5., 8. und 9. Sitzung im Kurs geschrieben wurden. Im zeitlichen Ablauf wird das Schreiben 151 vgl. I_LP II, 8-14, 335-341; I_LP IV 234-239, 301-313; UB 9, 26-29 <?page no="232"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 232 also eher in den Kurs geholt als ausgelagert. Trotzdem nimmt die Lehrerin es anders wahr. Auch in den Portfoliogesprächen fällt auf, dass lediglich bei einem Studenten ein Text besprochen wurde, 152 während es sonst stärker um die Gestaltung der Portfolios, Layout, organisatorische Fragen und Feedback zum Kurs geht. An diesen Anpassungen wird wiederum deutlich, dass die Lehrerin weiterhin nach einer geeigneten Vorgehensweise sucht. Nicht nur in der Kursgestaltung insgesamt, sondern auch in konkreten Unterrichtssituationen entstehen durch das Ausprobieren Unstimmigkeiten. So erklärt die Lehrerin zu Beginn, dass die Studierenden am Ende jeder Sitzung Zeit zur Arbeit an ihren Portfolios haben werden. 153 Das kann allerdings bis zur vorletzten Sitzung nicht umgesetzt werden. Ein weiteres Beispiel ist eine Selbsteinschätzungsaktivität, die in der fünften bzw. sechsten von neun Sitzungen durchgeführt wird. Die Lehrerin fordert die Lernenden auf, eine solche Selbsteinschätzung zu Kursbeginn und zu Kursende durchzuführen und in ihr Portfolio zu integrieren und merkt gleichzeitig selbst an, dass der Kursbeginn schon mehrere Wochen zurückliegt. 154 Ferner kommt es hinsichtlich der Erwartungen zu Widersprüchlichkeiten. Die Ausgangssituation stellt sich aus der Perspektive der Lehrerin so dar, dass die Lernenden mit Portfolioarbeit nicht vertraut sind, 155 dass sie eher unmotiviert sind und die Sprachkurse nicht gerne besuchen. 156 Alles in allem hat die Lehrerin eine eher kritische Haltung dem Kurs gegenüber: 157 LP [v] also hört sich jetzt vielleicht [195] .. LP [v] . gemein an dem kurs gegenüber dass ich denen [196] .. LP [v] nicht so viel zugetraut hab (.hh) aber ich hab/ ich [197] .. LP [v] hatte am ende wirklich die befürchtung dass die [198] .. LP [v] mehrheit nicht wirklich damit umgehen kann (I_LP IV, 194-198) 152 vgl. PG I, 13-51 153 vgl. I_LP I, 306-310 154 vgl. UB 6, 16-21 155 vgl. UB 1, 89-100, 300-305; I_LP I, 62-87; 102-116, 193-196, 280-293, I_LP IV, 197-200 156 vgl. I_LP II, 536-543, I_LP I, 74-76 157 I_LP II, 536-543, I_LP IV, 149-152, 189-198 <?page no="233"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 233 Das Handeln der Lehrerin ist aber gleichzeitig von der Annahme geprägt, dass Selbststeuerung lernbar ist, 158 und sie erwartet diese Fähigkeit von den Studierenden. 159 Das Stellen von Fragen ist in ihren Augen ein Zeichen für die Vorbereitung auf Unterricht und Portfoliogespräche. Werden keine Fragen formuliert, sind die Studierenden zumindest teilweise unvorbereitet. 160 Obwohl sie Zweifel an der Selbstständigkeit hat, berücksichtigt sie nicht, dass die Studierenden eventuell gar keine Fragen formulieren können, was nach den zuvor geäußerten Bedenken an den Fähigkeiten der Lernenden durchaus möglich wäre: LP [v] * ( . h h ) i c h h a b j a [181] . . LP [v] vorher mal gesagt sie sollen sich fragen überlegen [182] . . LP [v] oder wenn sie irgendwelche anmerkungen haben [183] . . LP [v] s o ll e n s i e a ll e s mi t b rin g e n ( . h) o d e r a u c h fr a g e n z u m [184] . . LP [v] t e x t o d e r s o wa s . ä h m . . u n d d a n n k a m e n h a l t we l c h e [185] . . 159 [08: 26.3] LP [v] d i e wa r e n i n d e r b e z i e h u n g nic ht vo r b e r e it e t (I_LP III, 180-185) Es entsteht der Eindruck einer zwiespältigen Haltung der Lehrerin, die einerseits davon ausgeht, dass die geforderten metakognitiven Handlungen lernbar sind, die das andererseits dieser Lernendengruppe aber nur eingeschränkt zutraut. Eine Explikation der Erwartungen und eine gezielte Vorbereitung finden sich im Kurs nicht. Diese Haltung der Lehrerin impliziert gleichzeitig, dass es einen „richtigen“ Umgang der Lernenden mit dem Portfolio gibt, der im Widerspruch zu einem offenen Portfoliokonzept steht, in dem die Lernenden das Portfolio in einem radikalen Maße individuell interpretieren und nutzen (vgl. Kap 8.2.2.2). Sie erwartet, dass die Lernenden die Portfolioarbeit, die als Bewertungsgrundlage eine Pflicht ist, gleichzeitig freiwillig erledigen. 161 Ihre Erwartungen an die Eigeninitiative der Lernenden ist hoch und die Aufgabe ist kaum erfüllbar: Die Lernenden sollen autonom und intrinsisch motiviert 158 I_LP I, 130-133 159 vgl. I_LP I, 158-162 160 vgl. z. B. I_LP III, 180-185 161 vgl. z. B. I_LP I, 102-113 <?page no="234"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 234 agieren sowie gleichzeitig ein bislang unbekanntes didaktisches Instrument mit Bedeutung füllen und für sich nutzbar machen. Dies setzt ein hohes Maß an Selbststeuerung voraus. Gleichzeitig können auch Schwierigkeiten entstehen, wenn die Vorstellungen der Lernenden, die sie zunächst frei entwickeln können, denen der Lehrerin entgegenstehen, die wiederum spätestens bei der Beurteilung zum Tragen kommen. Ebenso zwiespältig wie die Erwartungen an die Lernenden sind die wechselnden Rollen, die die Lehrerin selbst einnimmt. 162 Eine große Bandbreite an Rollen ist bei der Portfolioarbeit nicht ungewöhnlich (vgl. Kap. 2.3.3). Durch eine große Offenheit in der Gestaltung und durch die unklaren Erwartungen an die Lernenden ist die Rollenvielfalt der Lehrerin im begleiteten Kurs besonders groß. Sie reicht von einer sehr zurückhaltenden Position, wenn sie von den Lernenden verlangt, sich den Sinn von Portfolioarbeit selbst zu erschließen, über die Lernbegleiterin bis hin zur Prüferin, die alleine die Bewertungskriterien kennt, welche am Ende des Kurses Anwendung finden. Besonders in den Portfoliogesprächen werden die vielfältigen und wechselnden Rollen sichtbar: LP [v] . ähm ... also in ähm manchen gesprächen [311] .. 262 I [v] mhm LP [v] . gerade so in den ersten "beiden gesprächen [312] 263 [14: 33.9] LP [v] ähm .. war fühl/ hab ich mich nicht so sehr als "lehrer [313] .. 264 [14: 33.9] 265 [14: 37.8] I [v] mhm LP [v] gefühlt sondern eher so als jemand dem man [314] .. 266 [14: 37.8] 267 268 [14: 41.1] I [v] mhm mhm LP [v] bericht erstattet . ähm dem man einfach mal so [315] .. 269 [14: 41.1] 270 [14: 45.7] LP [v] erzählt was man gemacht hat, (I_LP III, 310-315) Die Lehrerin beschreibt ihre Rolle nicht so sehr als “lehrer, sondern sieht sich vielmehr als jemand dem man bericht erstattet. Während die Vorstellung, jemandem Bericht zu erstatten, ein Hinweis auf die Kontrollfunktion und damit auf die Rolle der Lehrerin als Kontrollinstanz ist, meint die Leh- 162 vgl. I_LP III, 220-223; 279-282; 310-315 <?page no="235"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 235 rerin den unterstützenden Austausch und das kumpelhaft[e] Gespräch. 163 Diese Begegnung auf Augenhöhe und die Möglichkeit, sich zurückzunehmen, wenn die Lernenden sich untereinander austauschen und sich gegenseitig weiterhelfen, entsprechen aus Sicht der Lehrerin der Idealvorstellung eines solchen Gesprächsverlaufs. 164 Eine zurückhaltende Rolle bei der Anleitung steht hier einer kontrollierenden Rolle gegenüber. Es entsteht der Eindruck, dass die Lehrerin nicht glaubt, diese Rollen aktiv einzunehmen, sondern sich vielmehr durch das Verhalten der Lernenden hineingedrängt fühlt. 165 Das kann als Ausdruck einer geringen erwarteten Selbstwirksamkeit und einer Unsicherheit in Bezug auf die eigene Rolle verstanden werden. 8.2.2.4 Die suchende Haltung: Ursachen und Einflüsse Verschiedene Einflüsse wirken auf die Haltung der Lehrerin. Als zwei Ursachen werden die Distanzierung von einem zuvor eingesetzten Konzept sowie die mangelnde Erfahrung mit Portfolioarbeit erkennbar. Sie erklärt, dass sie im Semester zuvor bereits ein Schreibportfolio eingesetzt und mit einem Portfoliovordruck gearbeitet hat, womit sie nicht die erwünschten Resultate erzielte, denn die Lernenden füllten lediglich die Vordrucke aus, setzen sich aber wenig mit dem Gelernten auseinander. Aus diesem Grund ist ein wichtiges Ziel der Lehrerin die Distanzierung vom Kurskonzept des vorherigen Semesters. 166 Sie legt nach dem Versuch mit engen Vorgaben nun großen Wert auf Offenheit. 163 vgl. I_LP III, 220-223 164 vgl. I_LP III, 279-282 165 vgl. I_LP III, 220-315 166 vgl. I_LP II, 74-79; I_LP III, 540-546 LP [v] äh: m .. weil in den allerersten kurs wo ich das [541] .. LP [v] portfolio einge/ also benutzt hatte war=s ja so dass es [542] .. 460 [24: 53.9] 461 [25: 04.9] LP [v] n vordruck war ja' .. und "jetzt in dem kurs [543] .. LP [v] hatt ich ja am anfang gesagt ich will nicht zu "viel [544] .. 462 [25: 04.9] I [v] Mhm LP [v] vorgaben geben weil es soll ein individuelles ding sein [545] .. LP [v] und nicht unbedingt das was der "lehrer jetzt sehen <?page no="236"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 236 (I_LP III, 540-546) Die Lehrerin spricht darüber hinaus die mangelnden Erfahrung mit Portfolioarbeit 167 als Ursache für ihre Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise an. Sie erwähnt, dass sie bisher noch keine Erfahrung mit Portfolioarbeit hat und dass sie beim nächsten Mal mehr Sicherheit haben wird. 168 Diese beiden Gründe stehen in einer engen Verbindung und in einem scheinbaren Widerspruch zueinander, denn obwohl die Lehrerin schon mit einem Portfolio gearbeitet hat, wenngleich nach ihrem Empfinden nicht zufriedenstellend, gibt sie in den Interviews an, dass es der erste Einsatz von Portfolioarbeit ist. 169 Die vorhandenen Erfahrungen, zumal mit einem standardisierten Portfolio, scheinen für sie weniger schwer zu wiegen als das Gefühl der Fremdheit. Sie sucht nach einer geeigneten Vorgehensweise und hat sie auch durch die bereits gesammelten Erfahrungen noch nicht gefunden. Gleichzeitig hat dieser Verweis auf die geringe Erfahrung auch die Funktion, sie vor zu hohen Erwartungen seitens der Lernenden oder im Rahmen der durchgeführten Studie zu schützen. Neben diesen Ursachen für ihre Suche finden sich im Datenmaterial auch Faktoren, die diese verstärkend oder mindernd beeinflussen. Eine Ressource ist die große Unterrichtserfahrung, auf die die Lehrerin zurückgreifen kann. 170 Keine der oben beschriebenen Unsicherheiten, Vagheiten und Widersprüchlichkeiten zeigt sie z. B. bei der Wortschatzarbeit oder bei Grammatikerklärungen, so dass anzunehmen ist, dass sie in diesen vertrauten Situationen sicherer agiert. Dass die Lehrerin ihrer eigenen Erfahrung eine große Rolle beimisst und sie als Ressource begreift, wird auch daran deutlich, dass sie in den Interviews viel Wert auf die Konstruktion eines professionellen Selbstbildes legt. Beispiele hierfür sind ihre Selbstvorstellung im ersten Interview, in der sie ihre breite Unterrichtserfahrung betont, und die Frage nach den für die Portfolioarbeit vorteilhaften Eigenschaften von Lehrenden, bei der sie keine faktenorientierte Antwort wählt, sondern vielmehr ihre eigene berufsbiografische Erfahrung in den Vordergrund stellt. 171 Als erfahrene Lehrerin ist sie mit der Leistungsbeurteilung vertraut. Bei der Portfolioarbeit ist dies allerdings ein Bereich, in dem sich ihre suchende 167 vgl. I_LP I, 36-37, 70-77; I_LP II, 421-424 168 vgl. I_LP II, 421-424 169 vgl. I_LP I, 66 170 vgl. I_LP I, 9-30, 260-276 171 vgl. z. B. I_LP I, 9-30, 260-276 [546] .. 463 464 [25: 12.2] LP [v] will <?page no="237"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 237 Haltung besonders zeigt. Sie ist unsicher, wie sie die Portfolios bewerten soll, weil sie befürchtet, eher die Person als die Leistung zu bewerten. 172 In ihren Ausführungen wird deutlich, dass sie die Texte der Lernenden nicht bewerten kann oder will. LP [v] (.h) also ich hab schon bei denen bei [268] .. LP [v] denen die texte extrem gut waren . und das waren [269] .. LP [v] s c h o n a u c h e in ig e b e i d e n e n ma n g e m e r kt h a t d a s s d i e [270] .. LP [v] b e i m s c hr e ib e n v e r s u c ht h a b e n a b we c h s l u n g s r e ic h z u [271] . . 206 [12: 33.6] I [v] mhm LP [v] schreiben und wortschatz besser einzusetzen da hab [272] . . 207 208 [12: 50.7] I [v] ah ja okay LP [v] ic h d a n n " p lu s p u n kt e g e g e b e n also das hab [273] .. LP [v] ich schon gemacht . aber ich hab jetzt zum beispiel [274] .. LP [v] keine minuspunkte verteilt weil er jetzt zum beispiel . [275] .. LP [v] einen schlechten text hatte . also in "meinen augen [276] . . 209 [12: 50.7] LP [v] s c hl e c ht e n te x t (I_LP IV, 267-276) Ausgehend von diesem Verständnis wird die Textqualität kaum berücksichtigt. Stattdessen rückt die Portfoliogestaltung in den Vordergrund. Auch die darauf bezogene handlungsleitende Kognition, die im letzten Zitat anklang, wird expliziert: Die Lehrerin glaubt nicht, dass die Textqualität beurteilbar ist. LP [v] aber ich denk schreiben ist [302] .. LP [v] halt so=n persönliches ein pers/ eine sehr persönliche [303] .. 223 224 I [v] mhm LP [v] sache einfach ja' und ich finde das immer sehr 172 vgl. I_LP IV, 213-216 <?page no="238"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 238 [304] .. LP [v] schwierig zu bewerten . also dem einen gefällt der [305] .. 225 226 LP [v] text dem andern gefällt er halt nicht (I_LP IV, 301-313) Obwohl dieser letztgenannte Aspekt nicht mit einem Unsicherheitsgefühl der Lehrerin verbunden ist, liegt doch eine Unsicherheit in dem Sinne vor, dass sie nicht sicher mit dem Unterrichtsgegenstand Schreiben umgeht, 173 denn diese Haltung, nicht beurteilen zu können oder zu wollen, steht dem institutionellen Beurteilungszwang entgegen. Da die Lehrerin schon zuvor Kurse zum Schreiben unterrichtet hat, ist sie auch dort in der Situation, Texte von Lernenden zu beurteilen, sowohl Rückmeldungen um im Lernprozess zu geben als auch zur abschließenden Benotung. Während sie in den vertrauten Unterrichtssituationen über Bewältigungsstrategien verfügt, treten durch die Portfolioarbeit Schwierigkeiten an die Oberfläche, beispielsweise wenn Lernende sie auffordern, Bewertungskriterien zu benennen, die sie nicht hat. Es stellt sich auch die Frage, ob auch das Untersuchungsdesign die Unsicherheit der Lehrerin beeinflusst und damit die suchende Haltung verstärkt hat, denn durch die Interviews wird ihre Aufmerksamkeit auf mögliche Unstimmigkeiten gelenkt. Einen Nachweis gibt es in den Daten nicht, aber ein verstärkender Einfluss ist durchaus denkbar. Die Offenheit, mit der die Lehrerin auch problematische Themen unaufgefordert anspricht, und die ungezwungene Atmosphäre in den Interviews, spricht allerdings dafür, dass sie die Interviewsituationen nicht als besonders hemmend wahrnimmt. 8.2.2.5 Funktionenvielfalt des Portfolios Die Suche der Lehrerin nach einer geeigneten Vorgehensweise ist auch mit der Funktionenvielfalt des Portfolios verbunden, denn die Möglichkeit und der Zwang zur Auswahl zwischen zahlreichen Möglichkeiten, führen zu Unsicherheit, In-Frage-Stellen des eigenen Handelns und zu einer andauernden Suche. Die Lehrerin legt sich nicht eindeutig auf eine Funktion fest, die das eingesetzte Portfolio erfüllen soll, so dass die verschiedenen Funktionen nebeneinander existieren und sich zum Teil gegenseitig behindern. Sie verfügt über ein vielfältiges, aber stabiles Verständnis von Portfolioarbeit, das in verschiedenen Situationen (Interviews und Unterricht) und 173 vgl. I_LP I, 183-190; I_LP III, 22-26, 676-684; I_LP IV, 301-313 <?page no="239"?> 8.2 Kernkategorie „Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise“ 239 über den Kursverlauf immer gleich beschrieben wird. 174 Im Mittelpunkt stehen die Funktionen als Sammelmappe und Nachschlagewerk, aber auch als Reflexionsinstrument, als Entwicklungsinstrument, in dem die Lernenden ihre eigenen Entwicklungen erkennen können, 175 und das ihnen hilft, die eigenen Leistungen einzuschätzen. 176 I [v] was sind [39] .. I [v] denn so die ersten "begriffedie dir einfallenwenn [40] .. I [v] du portfolio hörstalso du hast gerade schon gesagt [41] .. I [v] so eine art sammelmappewas sind sonst noch die [42] .. 36 [01: 59.8] I [v] assoziationen ' LP [v] ähm . "fortschritt- . also "hoffentlich [43] .. LP [v] fortschritt- . ähm . na: chschla: ge . werk so=n bisschen [44] .. LP [v] ... (lgs) ja . ich glaub das wären so die ersten "drei .. [45] .. 37 [01: 59.8] LP [v] sachendie mir so einfallen würden (I_LP I, 38-45) Gleichzeitig spricht sie auch die Dokumentationsfunktion nach außen an, was sie häufig wiederholt, so dass von einer großen subjektiven Bedeutung auszugehen ist. 177 LP [v] und in so nem portfolio [509] .. LP [v] kann man so kon"stant . drüber berichten "was man [510] .. LP [v] gelernt hat "wie man gelernt hat (I_LP III, 508-510) 174 vgl. I_LP I, 38-45, 47-63, 82-87, 102-113; I_LP II, 375-377; I_LP III, 399- 407, 508-510; UB 1, 119-148, 159-163, 173-182, 187, 195-198, 258-273; UB 2, 61-68; UB 4, 21-26, 40-48; UB 8, 31-34 175 vgl. z. B. I_LP I 55-63, UB 1, 119-148, 165-172, 189-196 176 vgl. UB 1, 195-198 177 vgl. z. B. I_LP III, 399-407, 508-510, UB 4, 21-26; UB 8, 31-34 <?page no="240"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 240 Obwohl sie es selbst nicht expliziert, gehe ich aufgrund der Verwendung des Portfolios dennoch davon aus, dass sie es als Entwicklungsinstrument versteht, in dem die Lernenden ihre eigenen Entwicklungen erkennen und die eigene Leistung einschätzen können. 178 Gleichzeitig spricht sie aber auch die Dokumentationsfunktion an, denn sie erwartet im Unterricht und in den Portfoliogesprächen eine Präsentation des Geleisteten. 179 Das Konzept des Nachschlagewerks, das an sechs Stellen in den Interviews und in der ersten Unterrichtsstunde genannt wird, ist ungewöhnlich, weil einem Portfolio diese Funktion selten zugeschrieben wird. In den Erläuterungen wird deutlich, dass sie darunter eine sorgfältige Dokumentation der Kursinhalte versteht, auf die Lernende zu einem späteren Zeitpunkt zurückgreifen können. Es ist zudem interessant, welche Funktion nicht oder kaum in den Daten vorkommt: Die Lehrerin spricht nur wenig davon, dass Texte in verschiedenen Versionen gesammelt werden, um individuelle Fortschritte und die Entwicklung der Texte sichtbar zu machen, obwohl es sich dabei um die Hauptfunktion eines Schreibportfolios handelt (vgl. Kap. 4.3) und diese Funktion auch im Kurs eine Rolle spielt. 180 Die Verbindung zur Suche der Lehrerin nach einer geeigneten Vorgehensweise besteht darin, dass sie eine Festlegung aufgrund der Unsicherheit und dem Wunsch nach Offenheit vermeidet. Die kaum bewältigbare Vielfalt und die Widersprüchlichkeiten sind wiederum Faktoren, die die Unsicherheit aller Akteur/ innen verstärken. 8.3 Die Ergebnisse der Teilstudie A im Überblick Die Unterrichtsgestaltung der Lehrerin ist geprägt von ihrer Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise, die sich in Unsicherheit und im In-Frage- Stellen ihrer Entscheidungen, in der Offenheit des Unterrichts und der Übergabe von Verantwortung an die Lernenden sowie in Widersprüchlichkeiten ausdrücken. Dies ist als Reaktion auf eine neue, fremde und komplexe Situation zu verstehen, die die Portfolioarbeit für die Lehrerin darstellt. Sie muss die Erwartungen und Fähigkeiten der Lernenden antizipieren und Kompromisse eingehen. Dazu probiert sie verschiedene Möglichkeiten aus und erzeugt durch das Ausprobieren und durch Wechsel im Vorgehen Widersprüchlichkeiten. Auffällig ist der scheinbare Widerspruch zwischen der mangelnden Erfahrung der Lehrerin mit Portfolioarbeit und ihrer Bezug- 178 vgl. UB 1, 119-148, 165-172, 189-198, I_LP I 55-63 179 vgl. z. B. UB 4, 21-26. UB 8, 31-34, I_LP III, 399-407, 508-510 180 vgl. UB 2, 61-68; UB 4, 40-48 <?page no="241"?> 8.3 Die Ergebnisse der Teilstudie A im Überblick 241 nahme auf das zuvor verwendete Konzept. Dieser zeigt, dass die Lehrerin selbst die vorhandene Erfahrung als gering wahrnimmt und ihr wenig Wert beimisst. Gleichzeitig wird daraus die Bedeutung von Unterrichtserfahrung im Allgemeinen deutlich, die die Unsicherheit der Lehrerin minimiert und die größte Ressource für sie darstellt. Lediglich die Erfahrungen mit Portfolioarbeit scheinen noch nicht in einer Form vorzuliegen, in der sie als Ressource genutzt werden können. Vermutlich sind ein größerer Umfang an Erfahrungen und entsprechende Erfolgserlebnisse notwendig, um zur Reduktion der Unsicherheit beizutragen, ebenso wie die Unterrichtserfahrung insgesamt Sicherheit vermittelt. Aber auch die Schutzfunktion der Aussage, dass es der erste Einsatz der Portfolioarbeit sei, ist zu berücksichtigen: So werden keine hohe Erwartungen an die Lehrerin gestellt. Doch selbst dieser Gedanke ist Ausdruck der Unsicherheit, die das Bedürfnis nach einem solchen Selbstschutz erst weckt. Die folgende Darstellung (vgl. Abb. 8-15) hat die zusammenfassende Beschreibung der Suche der Lehrerin nach einer geeigneten Vorgehensweise zum Ziel, wobei gezeigt wird, wie sie sich äußert und welche Ursachen und Einflüsse darauf wirken. Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kategorien sind nicht als linear zu verstehen. So führt die suchende Haltung der Lehrerin zur Unsicherheit der Lernenden, welche die Lehrerin wahrnimmt, so dass ihre eigene Unsicherheit wiederum weiter wächst. Ein wichtiger Teilaspekt ist der, dass die Lernenden die an sie übergebene Verantwortung von sich weisen, weil sie andere Erwartungen an die Rolle einer Lehrperson haben. Verschiedene Handlungsmuster beeinflussen und bedingen sich gegenseitig, beispielsweise wenn die ausbleibende Festlegung der Lehr- und Kursziele unklare Bewertungskriterien zur Folge hat. Die vorliegende Abbildung kann diese Komplexität nur in Ansätzen wiedergeben. Die hellgrauen Pfeile stellen deshalb dar, dass eine gegenseitige Beeinflussung vorliegt und auch Rückkopplungen möglich sind. Der weiße Pfeil zwischen dem Suchen der Lehrerin und der fehlenden Festlegung ist lediglich eine Vermutung, die im Datenmaterial nicht eindeutig nachzuweisen ist. <?page no="242"?> Abb. 8-15: Kernkategorie Die Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise im Kontext der Daten Unsicherheit der Lernenden, Reaktionen auf die versuchte Verantwortungsabtretung Merkmale der suchenden Haltung im Unterricht S UCHE NACH EINER GEEIG- NETEN V ORGEHENSWEISE Ursachen &Einflüsse Unterrichtserfahrung als Ressource E ETEN V ORG zahlreiche mögliche Funktionen von Portfolioarbeit vielfältige, unklare und zum Teil widersprüchliche Funktionen des eingesetzten Portfolios fehlende Festlegung Unsicherheit & In- Frage-Stellen der eigenen Vorgehensweise gegenstandsbezogene Unsicherheit bei didaktischen Entscheidungen und bei der Anleitung zur Portfolioarbeit Erklärungsnot Instruktionsdilemma Unsicherheit bzgl. des Unterrichtsgegenstands Schreiben Widersprüchlichkeiten unklare Erwartungen an die Lernenden wechselnde Rollen der Lehrerin Fokusverschiebung: Portfolioarbeit als Kursinhalt mangelnde Erfahrung mit Portfolioarbeit Distanzierung vom zuvor eingesetzten Konzept zur arbeit emma Ku Re EHENSWEIS Offenheit & Übergabe der Verantwortung Reduktion & Vagheit Verantwortungsübergabe an Lernende wenig spezifische Vorbereitung offene und vielfältige Lehr- und Kursziele offene Bewertungskriterien w L ktionen auf Verantwortun g im V abe it 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 242 <?page no="243"?> 8.4 Anknüpfungspunkte für die Teilstudie B 243 8.4 Anknüpfungspunkte für die Teilstudie B Die in Kapitel 8.1 dargestellte Relevanz des Agierens der Lehrerin zeigt sich bereits innerhalb der Teilstudie A, da die Anleitung der Lehrerin von ihrer Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise geprägt ist und sie damit bei den Lernenden Unsicherheit auslöst. Da die Teilstudie A in erster Linie die Funktion hat, die Ergebnisse des Teils B besser verständlich zu machen, sollen die Aspekte im Vordergrund stehen, die mögliche Anknüpfungspunkte bieten. An erster Stelle sind die vielfältigen und zum Teil widersprüchlichen Funktionen des Portfolios zu nennen, die den Unterricht nachhaltig beeinflussen und den Lernenden gleichzeitig einen großen Spielraum für eine eigene Auslegung und Interpretation der Portfolioarbeit lassen. Mit den verschiedenen Funktionen werden unterschiedliche Ziele verfolgt, so dass als Adressat/ innen des Portfolios sowohl die Lernenden als auch die Lehrerin zu nennen sind. Unterschiedliche Bedürfnisse der Lernenden finden in dieser Vorgehensweise Platz. Es ist eine Fokusverschiebung vom Schreiben hin zur Gestaltung des Portfolios erkennbar. Insgesamt ist das Agieren der Lehrerin bezüglich der Portfolioarbeit durch Zurückhaltung, große Offenheit in der Gestaltung und die Übergabe der Verantwortung an die Lernenden gekennzeichnet. Auch bei konkreten Aktivitäten gibt sie wenig Anleitung, z. B. beim peer feedback, das vielen Lernenden noch nicht vertraut ist. Sie erklärt bewusst möglichst wenig und wartet Nachfragen ab, bevor sie Erklärungen zum Umgang mit dem Portfolio gibt (vgl. Kap 8.2.2.2). Darüber hinaus hat die Lehrerin hohe Erwartungen an die Lernenden. Sie geht vom Ideal der autonomen Lernenden aus und sieht Selbststeuerung als Ziel ihres Unterrichts. Gleichzeitig setzt sie die Fähigkeit, den eigenen Lernprozess zu planen, zu gestalten und zu reflektieren, voraus. Eine spezifische Vorbereitung der Lernenden findet sich nicht. Die Lehrerin geht außerdem davon aus, dass das Zusammenwirken von Freiwilligkeit, Begeisterung und Selbstständigkeit die gewinnbringendsten Konstellationen für gelungene Portfolioarbeit sind. Diese Grundannahme beeinflusst ihre Unterrichtsgestaltung maßgeblich. Ihre Erwartungen werden in der Unterrichtsrealität teilweise enttäuscht, was erneut die Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise verstärkt (vgl. Kap 8.2.2.3). Für die Wahrnehmung der Studierenden von Portfolioarbeit und die von ihnen genannten Gelingensbedingungen ist daher zu berücksichtigen, dass die Unsicherheit, Offenheit und Widersprüchlichkeiten den Unterricht prägen, die Lehrerin eher die Rolle einer zurückhaltenden, abwartenden Lernbegleiterin einnimmt und von den Lernenden ein hohes Maß an Eigenstän- <?page no="244"?> 8 Darstellung der Ergebnisse: Teil A 244 digkeit erwartet. Die Lernenden tragen eine große Verantwortung, die Portfolioarbeit mit eigenen Ideen und eigenverantwortlichem Arbeiten zu füllen. Gleichzeitig stehen ihnen umfangreiche Handlungsspielräume zur Ausgestaltung zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der Teilstudie B in Kapitel 9 zu betrachten. <?page no="245"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B Nach den Ergebnissen der Teilstudie A folgt in diesem Kapitel der zweite Teil der Ergebnisse. Zunächst zeige ich, auf welchem Datenmaterial die Auswertung basiert (Kap. 9.1). Es folgt in Kapitel 9.2 die Darstellung der Wahrnehmung der Portfolioarbeit durch die Akteur/ innen. Kapitel 9.3 schließt sich die Darstellung möglicher gelingensförderlicher und gelingenshemmender Faktoren bei der Portfolioarbeit an. 9.1 Vorgehen und Datengrundlagen in der Teilstudie B Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden alle vorliegenden Daten herangezogen: Im Mittelpunkt stehen die 20 Interviews mit den Studierenden sowie die vier Interviews mit der Lehrerin. Während die Daten aus den Portfoliogesprächen ergänzend genutzt werden konnten, ergaben sich aus der Durchsicht der Fragebögen und der Portfolios weder ergänzenden Erkenntnisse noch solche, die die Interpretation widerlegt hätten. Die Mitschnitte aus 21 Unterrichtsstunden, die in Kapitel 8 zentral waren, lieferten in diesem Auswertungsschritt ebenfalls keine neuen Informationen. Aus dem offenen Kodieren waren 104 Kategorien entstanden, die in der weiteren Auswertung berücksichtigt wurden. Sie veränderten sich im Laufe der Datenauswertung, beispielsweise durch die Aufspaltung einer Kategorie in zwei Teile, durch das Zusammenfassen von zwei oder mehr Kategorien oder durch deren Umbenennung. Im Zuge des selektiven Kodierens wurden sie ergänzt. 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden Ein zentrales Anliegen dieser Studie ist es, herauszuarbeiten, wie die Studierenden Portfolioarbeit wahrnehmen (vgl. Abb. 9-16). Unter Portfolioarbeit verstehe ich nicht nur solche Aktivitäten, die auf das Anlegen des Portfolios ausgerichtet sind, sondern auch die Unterrichtsaktivitäten, die darauf abzielen, wie beispielsweise Aktivitäten zur Reflexion und peer feedback (vgl. Kap. 2.2.1). Daher analysiere ich, welche Funktionen der Portfolioarbeit insgesamt zugewiesen werden und wie die Studierenden Selbsteinschätzung, Lerntagebuch, Portfoliogespräche sowie peer feedback wahrnehmen. <?page no="246"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 246 Abb. 9-16: Frage 1 der Teilstudie B: Wahrnehmung und Attribuierung Da die Wahrnehmung der Akteur/ innen im Fokus der Studie steht, soll zunächst der zugrundeliegende Wahrnehmungsbegriff geklärt werden. Unter Wahrnehmung verstehe ich die Kombination von Perzipieren und Kognizieren, was die Bewertung, Beurteilung und Einordnung des Perzipierten beinhaltet und von Stimmungen, Motiven und subjektiven Vorstellungen geprägt ist (vgl. Wiswede 2004: Stichwort „Wahrnehmung“). Durch das Kognizieren, die individuelle Prägung der Wahrnehmung sowie deren Selektivität (vgl. Wendt 2014: 22) gehe ich in Anlehnung an eine konstruktivistische Sicht nicht von einer veridikalen, d.h. realitätsgetreuen, Beziehung zwischen dem äußeren Geschehen und den Wahrnehmungsinhalten aus, sondern von einer Wahrnehmung, die von individuellen Voraussetzungen und Gegebenheiten bestimmt wird. Die individuelle Wahrnehmung ist wiederum entscheidend für die Steuerung des eigenen Handelns (vgl. ebd. 12-14). Vor diesem Hintergrund basieren meine Überlegungen auf der Annahme, dass alle Akteur/ innen aufgrund unterschiedlicher individueller Bedingungen unterschiedliche Wahrnehmungen haben, die aber in allen Fällen von großer Bedeutung sind, weil sie ihr Handeln bestimmen. Die Perspektive der Studierenden auf Portfolioarbeit ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass diese für sie eher neu und fremd ist. 181 Nach der Betrachtung der Fragebögen war lediglich davon auszugehen, dass Renato schon mit einem Portfolio gearbeitet hatte. 182 Im ersten Interview stellte sich heraus, dass auch Tom schon ein Portfolio geführt hatte. 183 Einige andere erkannten Parallelen zu bekannten Formaten, beispielsweise zu Künstlerportfolios, 184 andere betonten die Fremdheit: 181 vgl. I_Laure I, 80-82, I_Nilesh I, 186-188, 202-206, I_LP II, 7-20 182 vgl. FB_Renato 183 vgl. I_Renato I, 53-53, I_Tom I, 197-210 184 vgl. I_Aline II, 82-90 Frage 1: Wahrnehmung und Attribuierung Wie nehmen die Lernenden Portfolioarbeit insgesamt wahr? Welche Funktionen schreiben die Akteur/ innen der Portfolioarbeit zu? Wie werden einzelne Elemente der Portfolioarbeit beurteilt? <?page no="247"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 247 Qian [v] wir wir machen in mein kurs in china gar [166] .. Qian [v] nicht . gar nicht wie "so ... ich . "niemals gemacht [167] 185 [12: 54.4] 186 [12: 54.4] Qian [v] s o ic h h a b e k e i n e e rfa hr u n g # (I_Qian I/ II, 165-167) Auch die einzelnen Elemente der Portfolioarbeit sind den Lernenden fremd. Das gilt gleichermaßen für das Lerntagebuch, 185 die Selbsteinschätzungsbögen 186 , peer feedback 187 und Reflexionsaufgaben. 188 9.2.1 Zuschreibung von Funktionen Aus den Erklärungen der Lehrerin gehen zahlreiche Funktionen der Portfolioarbeit hervor, die sich ergänzen, sich teilweise aber auch widersprechen. Darüber hinaus werden vereinfachte Funktionen, wie die der Sammelmappe oder des Nachschlagewerks präsentiert (vgl. Kap. 8.2.2.5). Diese vielfältigen Funktionen finden sich auch in den Darstellungen der Studierenden wieder, wobei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden, beispielsweise als Nachschlagewerk oder zur Organisation der Unterlagen. 189 Die Studierenden nennen aber auch Funktionen, die in den Erläuterungen der Lehrerin nicht vorkommen. Laure betont beispielsweise den Prozesscharakter und führt aus, dass das Portfolio regelmäßiges Arbeiten erfordere, was eine Voraussetzung für erfolgreiches Fremdsprachenlernen sei. 190 Für einige Studierende steht im Vordergrund, dass die eigenen Texte immer wieder gelesen und analysiert werden. Das Portfolio leite dazu an, Texte zu überarbeiten und Fehler nicht zu wiederholen. 191 Betont werden die Reflexion des Lernens und sowie die metakognitive Steuerung. 192 Führt man alle Funktionenzuschreibungen der Lehrerin und der Studierenden zusammen, ergibt sich ein sehr komplexes Bild (vgl. Abb. 9-17): 185 vgl. I_Aline I, 248-252, I_Laure II, 91, I_Nilesh I, 154-157, I_Qian I/ II, 144- 145, I_Renato I, 190-193 186 vgl. I_Aline II, 142-144, I_Laure II, 90-104 187 vgl. I_LP III, 49-52 188 vgl. I_Laure I, 115-118 189 vgl. I_Atena I, 81-97, I_Qian III, 169-177 190 vgl. I_Laure I, 100-109, I_Laure III, 76-82 191 vgl. I_Aline I, 109-124, I_Atena I, 101-109, I_Atena III, 84-93 192 vgl. I_Aline III, 10-15, I_Atena I, 101-110 <?page no="248"?> Abb. 9-17: Funktionen der Arbeit mit Schreibportfolios aus Sicht der Akteur/ innen Grundtätigkeiten Notieren * sammeln * abheften * überarbeiten * dokumentieren * kommentieren * begründen Form/ Merkmale * Sammelmappe * über längere Zeit * ergänzend zum Unterricht Adressat/ innen: Lernende Adressat/ innen: Lehrende Funktionen auf der Produktebene Dokumentation von Lernergebnissen Nachschlagewerk Funktionen auf der Unterrichtsebene Ersatz für ein Lehrwerk Klammer für das Unterrichtsgeschehen Funktionen bezüglich der Steuerung des Lernprozesses Reflexion Selbsteinschätzung lernen Entwicklungsinstrument das eigene Lernen besser verstehen „chronologische Aufarbeitung“ der Kursinhalte schreibbezogene Funktionen Überarbeitungsprozesses sichtbar machen Funktionen mit Nutzen für die Lehrperson Rückmeldung für die Lehrperson/ für die Institution Funktionen im Bereich der Förderung und Beurteilung Grundlage für Fördergespräche Grundlage für die Leistungsfeststellung <?page no="249"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 249 Beschrieben wird zunächst, welche grundlegenden Tätigkeiten die Arbeit mit einem Schreibportfolio auszeichnen, wobei das Notieren, Sammeln, Abheften, Überarbeiten, Dokumentieren, Kommentieren und Begründen genannt wird. Diese Tätigkeiten bilden bereits ab, dass der Schreib- und Lernprozess im Vordergrund steht. Das zeigt sich auch bei den Funktionen, bei denen die Steuerung des Lernprozesses den größten Raum einnimmt. Darüber hinaus finden sich auf der Produktebene Funktionen, die die Organisation der Arbeitsmaterialien und Artefakte betreffen, sowie Funktionen auf vielen verschiedenen Ebenen, beispielsweise solche, die das Schreiben in den Blick nehmen. Aber auch bei der Unterrichtsgestaltung sowie beim Fördern und Beurteilen kann das Portfolio nützlich werden, ebenso wie es Lehrenden eine zusätzliche Möglichkeit bietet, Rückmeldungen zum Unterricht zu erhalten. Die Offenheit der Lehrerin bei der Gestaltung der Portfolioarbeit spiegelt sich darin wider, dass dem Instrument zahlreiche Funktionen gleichzeitig zugeschrieben werden können und die Studierende weitere ergänzen. Einige dieser Funktionen adressieren Lehrende, andere Lernende, wodurch es zu Irritationen kommen kann. Die entstehen auch, wenn die einzelnen Akteur/ innen unterschiedliche Schwerpunkte setzen oder innerhalb eines Unterrichtskontexts zu viele Funktionen parallel relevant werden. Ein klares Verständnis von Portfolioarbeit ist eine Voraussetzung für die Zuweisung von Funktionen. Zu Kursbeginn erklären viele Studierenden, dass sie Portfolioarbeit nicht verstehen. 193 Nur wenige Studierende haben bis zum ersten Interview schon erfasst, was von ihnen erwartet wird, 194 einige können es sich ungefähr vorstellen. 195 Zu Kursmitte werden es mehr, aber es sind auch dann noch immer nicht alle Lernenden. 196 Andere Studierende können schon zu Kursbeginn detailliert beschreiben, wie das Portfolio zum Sammeln von Artefakten, zum Berichten über den Lernfortschritt und zum Kommentieren der eigenen Leistung genutzt wird: 197 Tom [v] ein "bisschen jaich habe ja mal so ein ding gemacht [113] .. 181 [06: 48.5] 182 [06: 58.0] I [v] mhm Tom [v] glaub=ich fürja aber es war ganz anders 193 vgl. I_Atena I, 81-97, I_Nilesh I, 163-175, I_Qian I/ II, 96-138 194 vgl. I_Aline I, 82-97, I_Tom I, 197-210 195 vgl. I_Laure I, 84-88 196 vgl. I_Nilesh II, 148-167, I_Qian I/ II, 133-138 197 vgl. I_Atena I, 113-115, I_Nilesh I, 168-175 <?page no="250"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 250 [114] .. Tom [v] glaub=ich aber ich "glaube ich muss nur meine [115] .. Tom [v] meine "hausaufgaben und meine "aufgabe äh [116] .. 183 184 [07: 09.0] I [v] (ls) mhm* Tom [v] "sammeln und dann ich muss für jede ja [117] .. Tom [v] ein bisschen überschreiben (snl) ja ich äh vielleicht [118] .. 185 [07: 09.0] 186 [07: 15.1] I [v] mhm Tom [v] habe ich das "nicht so gut gemacht oder [119] .. 187 [07: 17.4] 188 [07: 22.3] I [v] Mhm mhm Tom [v] vielleicht habe ich es "prima gemacht ich weiß nicht [120] .. 189 [07: 22.3] 190 [07: 23.8] Tom [v] und dann ich muss es "sammeln* und dann [121] .. Tom [v] ich glaube es ist am "wichtigsten . ähm sie zu [122] .. 191 [07: 26.7] 192 [07: 28.6] I [v] ja mhm mhm Tom [v] "ordnen (ls) weil* am anfang am ende dann kann ich [123] .. 193 [07: 32.1] I [v] mhm Tom [v] alles sehen wie viel for/ fortschritt ich gemacht [124] .. 194 [07: 34.9] I [v] okay mhm Tom [v] habe "das ich glaub ist (lgs) der ziel einer portfolio* (I_Tom I, 111-124) Allerdings führt das Verstehen nicht zwangsläufig zu Akzeptanz, wie das Beispiel von Tom zeigt. 198 Hierbei wird häufig mit dem mangelnden Nutzen für das eigene Vorankommen argumentiert, und hervorgehoben, dass die Studierenden selbst am besten wissen, wie sie erfolgreich lernen können, so dass dafür kein Steuerungsinstrument und auch keine Dokumentation benötigen. Es entsteht der Eindruck, dass sie sich durch diese Art des Arbeitens bevormundet fühlen. Sie empfinden das Portfolio als wenig nützlich und fühlen sich in ihrer Selbstbestimmtheit eingeschränkt. 199 198 vgl. auch I_Tom II, 324-328 199 vgl. I_Atena III, 26-29, 134-135, I_Tom III, 46-47 <?page no="251"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 251 Tom [v] wenn ich lernen dann lerne ich einfach (lgs) ich muss [47] .. Tom [v] * mir nicht selbst zeigen was ich gelernt habe (I_Tom III, 46-47) Sie erklären, ein Portfolio ähnele einem Lebenslauf und sei höchstens für die Präsentation von Eckdaten nach außen nützlich. 200 Einen Nutzen für sich selbst zweifeln einige Studierende besonders zu Kursbeginn an. 201 Gewinnbringend sei das Portfolio lediglich für die Lehrerin oder die Institution, um einen Einblick in typische Fehler und Probleme von Studierenden zu erhalten. 202 Hiermit werden die unklaren Adressat/ innen erneut deutlich. Das Portfolio wird von einigen Studierenden als zusätzliche Aufgabe wahrgenommen, die sich von der gewohnten Arbeitsweise unterscheidet (vgl. Kap. 9.3.2.5). Für die Studierenden, die der Portfolioarbeit selbst keine sinnvollen Funktionen zuschreiben können, ist es arbeitsaufwendige Aufgabe, die sie ablehnen, 203 und die sie keinesfalls als die Kursarbeit begleitendes Element wahrnehmen. 9.2.2 Wahrnehmung einzelner Elemente von Portfolioarbeit Schon bei der Zuschreibung von Funktionen wird deutlich, wie die Studierenden Portfolioarbeit wahrnehmen. Dies wird im Folgenden vertieft, indem zunächst die Sicht der Studierenden auf vier Elemente eines Schreibportfolios herausgearbeitet wird, nämlich auf die Selbsteinschätzung, das Lerntagebuch, die Portfoliogespräche und auf peer feedback. 9.2.2.1 Wahrnehmung der Selbsteinschätzungsaktivitäten Die Lehrerin teilt in der fünften Sitzung einen Bogen zur Selbsteinschätzung aus dem ESP aus, den die Studierenden zu Hause bearbeiten sollen. In der sechsten Sitzung erfolgt die Nachbesprechung. Die Aktivität zielt darauf ab, den Studierenden, durch die Selbsteinschätzung und die Orientierung am Muster ein „Gefühl“ (I_LP I, 87) für das autonome Lernen zu vermitteln: LP [v] […] autonomes lernen und da ist das glaub=ich dann [85] .. LP [v] schon ganz hilfreich . wenn man mal so=n bisschen n 200 vgl. I_Tom II, 378-382 201 vgl. I_Atena I, 81-97, I_Tom III, 52-57 202 vgl. I_Atena II, 105-108 203 vgl. I_Qian I/ II, 104-138, I_Tom II, 211-212, 222-248, 348-363 <?page no="252"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 252 [86] .. LP [v] (.h) "raster hatein "muster wo man sich einschätzen [87] .. LP [v] kann und kriegt da vielleicht eher so=n gefühl für, (I_LP I, 84-87 204 ) Die Studierenden sind mit der Arbeit mit den Selbsteinschätzungsbögen noch nicht vertraut, und auch die auf dem Bogen genannten Items sind neu: Atena [v] ja: das war .. dinge die ich überhaupt [80] .. 74 [04: 42.4] I [v] mhm Atena [v] nicht über nachgedacht hatte also: . "ganz neu [81] 75 [04: 42.4]76 [04: 44.6] I [v] mhm Atena [v] ja: .. und .. irgendwie fand ich "gut weil .. [82] 77 [04: 44.6]78 [04: 56.2] I [v] mhm Atena [v] j a e s gibt d in ge u nd ic h s e h d a s u nd "j a : d a s [83] . . Atena [v] will ic h . ic h . "l e r n e d a s u n d " d a : mi t k a n n ic h d a s [84] . . 79 [04: 56.2]80 [05: 01.1] I [v] okay Atena [v] u n d d a s u n d " d a s ma c h e n - und das ist gut . [85] . . 81 [05: 01.1] Atena [v] j a . u nd d a r üb e r ha tte ic h nicht na c h ge d a c h t (I_Atena II, 79-85) Während für Atena das Aufzeigen neuer Teilfertigkeiten aufschlussreich ist und sich dadurch neue mögliche Ziele ergeben, glaubt sie doch nicht an einen Nutzen. Außerdem bestehen Bedenken bezüglich der Korrektheit der eigenen Selbsteinschätzung, also daran, ob das eigene Bild dem tatsächlichen Leistungsstand entspricht: Atena [v] also ich "weiß das was ich kann und was ich [135] .. 142 143 [07: 55.0] Atena [v] lernen will * es gibt mir natürlich ein gutes 204 vgl. zur Zielsetzung auch I_LP II, 24-30, als die Lehrerin darstellt, dass Lernanreize geschaffen und Möglichkeiten geboten werden sollen <?page no="253"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 253 [136] .. 144 [07: 59.3] I [v] Mhm Atena [v] gefühl das konnte ich nicht . aber wenn ich etwas [137] .. 145 [07: 59.3] I [v] (ls) okay * Atena [v] "schreiben will das hilft mir nicht . was ich damals [138] .. 146 147 [08: 14.8] I [v] okay mhm Atena [v] nicht konnte und jetzt kann aber dass ich [139] .. Atena [v] das jetzt geschrieben hab das zeigt nicht . dass ich [140] .. Atena [v] bin so weit gegangen (I_Atena III, 134-140) Obwohl deutlich wird, dass ein positiver Effekt auf der affektiven Ebene wahrgenommen wird (es gibt mir natürlich ein gutes gefühl), überwiegt doch eine kritische Haltung. Auch andere Studierende finden die Selbsteinschätzung wenig hilfreich oder völlig unwichtig und setzen sich daher nicht damit auseinander. 205 Der Zusammenhang zwischen Selbsteinschätzung und Portfolioarbeit ist ihnen wenig ersichtlich. 206 Die Bearbeitung des Bogens ist ohne die Erklärungen der Lehrerin nur schwer möglich, weil sich ihr Sinn nicht erschließt und die Items schwer verständlich sind. 207 Erst bei tiefem Verstehen kann der Selbsteinschätzungsbogen für die Organisation des eigenen Lernprozesses genutzt werden: Nilesh [v] zuerst war das ein bisschen "stressig für mich [112] 137 [07: 138 [07: 24.9] I [v] mhm Nilesh [v] weil ich finde das äh: . ich habe keine [113] . . Nilesh [v] ahnung über . äh ob es ist wichtig für mich äh ode r [114] . . 139 140 [07: 33.7] Nilesh [v] nicht i c h m ö c h t e : b i s s c h e n ä h m " n a c h d e n k e n [115] 141 [07: 142 [07: 39.3] I [v] mhm Nilesh [v] und . äh: m aber wenn sie hat eine 205 vgl. I_Qian I/ II, 144-145, I_Tom II, 169-172 206 vgl. I_Qian I/ II, 153-155 207 vgl. I_Renato II, 140-149 <?page no="254"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 254 [116] . . Nilesh [v] erklärung gemacht . in die nächste äh vorlesung [117] 143 [07: 144 [07: 44.4] I [v] mhm Nilesh [v] ä h : s i e h a t e r kl ä r t d a s ä h f u n k t i o ni e r t wi e [118] . . Nilesh [v] die se . ich habe keine a hnung frühe r . d a nn habe [119] . . 145 [07: 54.0] I [v] Okay Nilesh [v] ich das gut gefunden das war sehr gut . und dann [120] . . 146 [07: 57.1] 147 [07: 59.1] I [v] m h m o k a y Nilesh [v] habe ich richtig gemacht und jetzt ist es [121] Nilesh [v] "klar . vielleicht nächste woche . am "ende . ich [122] . . 148 [07: 59.1] I [v] mhm Nilesh [v] möchte das äh: m . äh: wieder . nachgucke n [123] 149 [08: 07.4] Nilesh [v] u: nd ja . überarbeiten und wieder überlegen . [124] . . Nilesh [v] welche sind meine äh: welche sind wichtig für [125] . . 150 [08: 16.3] Nilesh [v] m i c h (I_Nilesh II, 111-125) Auch andere Studierende finden die Selbsteinschätzung hilfreich, 208 und nutzen die Bögen für die Formulierung eigener Lernziele, 209 auch im wörtlichen Sinne, wenn der Wortlaut aus dem Vordruck für das Portfolio übernommen wird. 210 Die Selbsteinschätzung löst durch die Bewusstmachung des Erreichten ein positives Gefühl aus, 211 sorgt aber gleichzeitig auch für Frustration angesichts des noch nicht Gelernten. 212 Es liegt auf der Hand, dass Studierende, die eher faktenorientiert, wissensbasiert Sprachen lernen, einen schlechteren Zugang zu Selbsteinschätzungsaktivitäten haben als solche, die immer großen Wert auf die Re- 208 vgl. I_Aline II, 144-158, I_Nilesh II, 111-138 209 vgl. I_Atena II, 81-85, vgl. I_Qian I/ II, 149-151, I_Tom II, 159-161 210 vgl. I_Qian III, 37-38 211 vgl. I_Aline II, 165-175, I_Atena III, 131-138, 149-150 212 vgl. I_Aline II, 144-158 <?page no="255"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 255 flexion und Steuerung des eigenen Lernens legen. So erklären sich auch unterschiedliche Haltungen zum zukünftigen Einsatz des Selbsteinschätzungsbogens: Während es für einige Lernende eine einmalige Aktivität ist, 213 möchten sich andere selbstständig in einem Jahr noch einmal damit auseinandersetzen. 214 Die Studierenden merken noch an, dass von der sechsten Sitzung bis zum Kursende wenig Veränderungen erkennbar sind, die sich in der Selbsteinschätzung niederschlagen und dass der Einsatz des Selbsteinschätzungsbogens schon zu Kursbeginn sinnvoller gewesen wäre, 215 was auch der Lehrerin selbst aufgefallen war. Gewinnbringende Erkenntnisse sind in diesem Bereich kaum zu finden, denn es bleibt die Frage offen, wie die Studierenden mit der Selbsteinschätzung umgegangen wären, wenn es eine Anleitung gegeben hätte und wenn sie vor allem auf konkrete Arbeitsschritte und -produkte abgestimmt gewesen wäre, so dass eine Selbstüberprüfung stattfinden kann. 9.2.2.2 Wahrnehmung des Lerntagebuchs Zum Lerntagebuch äußern sich die Studierenden jeweils nur kurz und auch hierzu wieder unterschiedlich: Während beispielsweise Nilesh das Erstellen des Lerntagebuchs zu Kursbeginn als besonders schwierig beschreibt 216 und damit noch keine weitere Wertung vornimmt, verurteilt Tom diese Aktivität sehr scharf als sinnlos und unnötig, wobei sich herausarbeiten lässt, dass auch bei ihm die große Schwierigkeiten bei der Erstellung im Vordergrund stehen. 217 Die meisten Studierenden setzen die Portfolioarbeit letztendlich so um, dass sie in Stichpunkten die Lerninhalte der jeweiligen Sitzung auflisten oder schlichtweg Vokabellisten erstellen, wie die Durchsicht der Portfolios zeigt. Ein Rückgriff auf die Erstsprache (vgl. Kap. 4.3.1) findet sich außer in diesen Übersetzungen weder in den Lerntagebüchern noch im Rest der Portfolios, wobei die Lehrerin auch nicht explizit dazu auffordert. Einen anderen Umgang mit dem Lerntagebuch demonstriert Aline, die sich das neue Instrument zu eigen macht und es zur Textüberarbeitung nutzt: Aline [v] mein lernjournal . also äh: wenn ich äh also ja das [78] .. Aline [v] ist ein bischen # schwierig zu verstehen . abe: r . 213 vgl. I_Atena III, 149-150 214 vgl. I_Laure II, 90-104 215 vgl. I_Laure II, 91-104 216 vgl. I_Nilesh I, 159-162 217 vgl. I_Tom I, 320-334 <?page no="256"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 256 [79] .. Aline [v] also für jeden text äh schreibe ich immer- . äh vor [80] .. 75 76 [04: 30.6] I [v] mhm Aline [v] der korrektion die ich mache schreibe ich [81] .. 77 [04: 34.8] I [v] ah ja mhm Aline [v] immer was gut war . was nicht gut genug war und [82] .. Aline [v] so . dang dang dang dack . dann habe ich meine [83] .. 78 [04: 38.4] I [v] mhm Aline [v] liste . und dank dieser liste kann ich also die [84] .. 79 [04: 38.4] 80 [04: 41.2] I [v] ah: okay Aline [v] korrektion machen ich mache ich mache so [85] .. Aline [v] u: nd da ich alles geschrieben hatte ich habe noch [86] .. Aline [v] ein etwas die schriftlich ist und weil ich weiß dass [87] 81 [04: 50.5] 82 [04: 55.1] I [v] ja mhm ja mhm Aline [v] im kopf wir vergessen viele sache also ich schreibe [88] .. Aline [v] es immer wenn wir die korrektion machen oder so . [89] .. Aline [v] und und das das hal/ das schreibe ich schon im/ in [90] .. 83 [05: 00.9] 84 [05: 05.5] Aline [v] mein lernjournal (I_Aline II, 77-90) Diese verschiedenen Ansätze der Studierenden zeigen, dass die Arbeit mit einem Lerntagebuch ein breites Spektrum an Reaktionen hervorrufen kann und dass es verschiedene Möglichkeiten zum Umgang mit einem als fremd wahrgenommenen Instrument gibt, deren Realisierung von individuellen Faktoren abhängt. Auf die Verunsicherung reagiert Nilesh, indem er sie stehen lässt und damit umgeht, während sie bei Tom Ärger und Ablehnung hervorruft. Welche Voraussetzungen notwendig sind, um Studierende zu einem selbstbewussten, individuellen Umgang damit zu ermutigen (vgl. Aline), wird in Kapitel 9.3.2.5 aufgegriffen werden. <?page no="257"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 257 9.2.2.3 Wahrnehmung der Portfoliogespräche Die Portfoliogespräche fanden am Samstag vor dem letzten Kurstermin in Gruppen von bis zu vier Studierenden gemeinsam mit der Lehrerin statt. Sie erfüllten jeweils unterschiedliche der von der Lehrerin erwähnten sechs Funktionen, wobei die zentralen Funktionen 4 und 5 nur in jeweils einem einzelnen Fall genutzt wurden (vgl. Kap. 7.2). 1. Hilfestellung bei der Portfoliogestaltung 2. Berichterstattung über das Geleistete 3. Möglichkeit, individuelle Fragen zu klären 4. Besprechung individueller Entwicklungen 5. Besprechung einzelner Texte 6. Einholen von Feedback zum Kurs In der Wahrnehmung der Studierenden steht im Vordergrund, dass in Portfoliogesprächen vor allem oder ausschließlich organisatorische Fragen bearbeitet werden. Die eigenen Texte sind nicht Thema der Portfoliogespräche, 218 sondern es bietet sich vielmehr die Gelegenheit, zu klären, was ein Portfolio ist, wie es strukturiert werden kann und welche möglichen Inhalte aufgenommen werden können. 219 Daher dienen die Gespräche der Bestätigung für das eigene Vorgehen, aber nicht, um neuen Impulse zu erhalten. 220 Weit aufschlussreicher als die Inhalte des Gesprächs ist die Interaktion, die in diesem Rahmen stattfindet. So nutzen manche Studierende das Gespräch, um sich mit Kommiliton/ innen zu vergleichen, was zum Abbau von Unsicherheit dienen könnten, bei einer fehlenden Einordnung und Moderation durch die Lehrerin aber auch zu Frustration führen kann: Atena [v] (lgs) ja * ja ich ähm ich also war ein [112] .. Atena [v] bisschen spät . aber ihre portfolio war sehr "schick [113] 120 121 122 123 I [v] # mhm Atena [v] und sehr gut eingerichtet . ja und ich [114] .. Atena [v] glaube sie hat ein sehr systematisches struktur und 218 vgl. I_Laure III, 22-37, I_Qian III, 128-130 219 vgl. I_Atena III, 98-104, I_Laure III, 22-37, I_Qian III, 124-127, I_Renato III, 107-114 220 vgl. z.B. I_Atena III, 117-118 <?page no="258"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 258 [115] .. 124 [06: 33.7] 125 126 [06: 49.8] Atena [v] meines ist so mh einfach # (I_Atena III, 111-115) Eher als einen Vergleich wünscht sich die Lehrerin jedoch die Interaktion zwischen den Studierenden, was zu ihrem Bedauern aber nur in geringem Maße stattfindet, 221 auch deshalb, weil die Lehrerin mit der Aufforderung, zur Vorbereitung Verständnisfragen zu formulieren (vgl. Kap. 8.2.3.2), 222 Rollenerwartungen weckt, nämlich dass die Studierenden als Hilfesuchende bei der Lehrerin Rat finden. Außerdem unterbinden ihre Anweisungen die gewünschte Interaktion teilweise: Lehrperson [v] wir gehen [120] .. Lehrperson [v] vi e ll e ic ht e r s t = ma l s o d ie p o rtfo lio s d ur c h u n d [121] .. Lehrperson [v] äh (snl) damit es nicht so* durcheinander [122] .. Lehrperson [v] w i r d (PG III, 119-122) Trotzdem entsteht in den Portfoliogesprächen eine Möglichkeit zur Interaktion, die die Studierenden als sehr hilfreich wahrnehmen: das Privileg einer besonderen Kommunikation mit der Lehrerin. Die Kommunikationssituation ist insofern verändert, als dass die Gespräche in einem deutlich kleineren Kreis stattfinden als im regulären Unterricht. Einige Studierende, die auch im Unterricht Fragen stellen, nutzen diese Gelegenheit noch einmal verstärkt. 223 Besonders wichtig ist die Gelegenheit zur Interaktion aber für Studierende, die im Unterricht oder am Rande des Unterrichts nicht mit der Lehrerin kommunizieren können. Das betrifft beispielsweise Qian, die sich im Unterricht nicht traut, die Lehrerin anzusprechen und dafür selbst kulturelle Gründe anführt. 224 . Im kleineren Rahmen des Portfoliogesprächs wagt sie es, der Lehrerin Fragen zu stellen und versteht erstmals im Kursverlauf die Anforderungen. 225 Auch Atena, die im Unterricht enorme Kommunika- 221 vgl. I_LP III, 296-303 222 vgl. I_LP I, 306-313 223 vgl. I_Laure III, 22-37 224 vgl. I_Qian I/ II, 227-257 225 vgl. I_Qian III, 124-127 <?page no="259"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 259 tionsschwierigkeiten mit der Lehrerin wahrnimmt, 226 hat im Portfoliogespräch den Eindruck, dass die Kommunikation reibungsloser funktioniert. 227 Festzuhalten bleibt, dass die inhaltlichen Erwartungen an ein Portfoliogespräch in diesem Fall nicht erfüllt werden, dass aber wertvolle Kommunikationsmöglichkeiten entstehen, die allerdings begleitet und moderiert werden müssen, besonders um den Vergleich mit Kommiliton/ innen einzuordnen. Es wird deutlich, dass Ankündigungen und Arbeitsaufträge nicht nur dazu beigetragen, die Erwartung der Studierenden zu steuern, sondern durch die geweckten Rollenerwartungen auch den Verlauf der Gespräche selbst maßgeblich zu beeinflussen. 9.2.2.4 Wahrnehmung des peer feedback Die angeregte Interaktion zwischen den Studierenden, die die Lehrerin in den Portfoliogesprächen anstrebt, wird auch im peer feedback erwartet. Der Unterricht ist so konzipiert, dass die Studierenden die zu Hause geschriebenen Texte im Kurs mit Mitlernenden besprechen. Die Studierenden schreiben dem peer feedback unterschiedliche Eigenschaften zu. Tom erklärt, dass es zeitaufwendig und wenig gewinnbringend sei. 228 Er hätte gerne weniger dieser Phasen, ebenso wie die meisten anderen Studierenden. 229 Als positiv werten die Studierenden die Möglichkeit, die Texte der Kommiliton/ innen kennenzulernen und sich daran in der Funktion von Positiv- und Negativbeispielen zu orientieren. 230 Auch der niedrigschwellige Austausch mit den Mitlernenden, bei dem sie leicht Fragen stellen und aus den Erfahrungen anderer lernen können, wird als wertvoll wahrgenommen. 231 Nilesh beschreibt auch, wie die Zusammenarbeit mit den Kommiliton/ innen zum Nachdenken anregt und Verstehensprozesse initiiert, die darauf beruhen, dass die Kommiliton/ innen als interessierte Leser/ innen Fragen stellen. 232 Die Vorteile des peer feedbacks liegen demnach im informellen Austausch, bei dem eine geringe Hemmschwelle besteht, Fragen zu stellen, und durch interessierte Nachfragen Anregungen zur Weiterarbeit gegeben werden. 226 vgl. I_Atena I, 129-136, 148-149, I_Atena III, 111-115 227 vgl. I_Atena III, 98-104 228 vgl. I_Tom II, 13-26 229 vgl. I_Tom II, 69-78, I_LP III, 13-32 230 vgl. I_Atena, 120-125, I_Qian I/ II, 70-74, 197-204, I_Qian III, 220-232, I_Renato I; 155-159 231 vgl. I_Aline II, 17-25 232 vgl. I_Nilesh I, 147-154 <?page no="260"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 260 Der Einblick in fremde Texte stellt für die Studierenden eine Vergleichssituation dar, die Laure beispielsweise als Bereicherung empfindet. 233 Für Atena, die mit ihren eigenen Texten immer eher unzufrieden ist, ist sie vielmehr belastend. 234 Atena [v] ja . ihr text war sehr schön, # ich hab mich [130] .. Atena [v] nicht so wohl gefühlt weil mein text war sehr . ähm [131] .. Atena [v] .. ihre text war hat wirklich eine hohere niveau [132] 137 138 [08: 07.5] I [v] mhm Atena [v] ich konnte das merken . und ich war . oh [133] .. 139 [08: 07.5] I [v] # ach nein Atena [v] mein gott gib mir mein text zurück # [134] 140 [08: 23.2] Atena [v] weil . mein text hat nicht fehler aber ich weiß dass [135] .. Atena [v] dass er ein nicht eine ho/ hohe niveau hat . [136] .. Atena [v] vielleicht wie ein deutsches kind . so zum beispiel (I_Atena I, 129-136) Dass die Studierenden sich unwohl fühlen, drückt sich auch darin aus, wie sie selbst Rückmeldungen geben. Sie halten sich zurück, um niemanden zu verletzen. 235 Das Geben von Rückmeldungen zu den Texten der Kommiliton/ innen ist aber auch aus anderen Gründen schwierig. Nicht nur die Angst, jemanden zu verletzen, führt zu Zurückhaltung. Darüber hinaus haben die Studierenden auch Mühe mit Rückmeldungen, u. a. weil sie selbst ihre Sprachkenntnisse nicht als ausreichend empfinden, um fremde Texte zu verstehen und sich ein Urteil darüber zu bilden 236 oder auch, um die eigene Meinung auf Deutsch zu formulieren. 237 Außerdem befürchten sie, den anderen Studierenden den eigenen Stil aufzudrängen. 238 Tom erklärt seine 233 vgl. I_Laure II, 47-60 234 vgl. I_Atena I, 61-63, 148-149 235 vgl. I_Atena II, 55-63 236 vgl. I_Atena I, 174-179, I_Renato II, 40-48 237 vgl. I_Laure I, 55-60, I_Tom I, 237-244 238 vgl. I_Nilesh I, 87-103 <?page no="261"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 261 Schwierigkeit, Texte kriteriengeleitet zu analysieren, denn er kann ein positives oder negatives Globalurteil abgeben, dieses aber nicht begründen und auch keine konstruktiven Verbesserungsvorschläge machen: Tom [v] ja weil "ja [212] . . Tom [v] ich (snl) ich ich* "kann etwas lesen und sagen ja: [213] . . Tom [v] das=isdas=ist gut das ist scheiße . aber ich kann [214] . . 312 [12: 58.9] 313 [12: 58.9] 314 [13: 01.3] I [v] (.h) mhm Tom [v] nic ht g e n a u s a g e n "wa s ist g ut was ist nicht [215] . . 315 [13: 01.3] 316 [13: 02.8] I [v] mhm Tom [v] so gut so deshalb kann ich schreiben ja . [216] . . 317 [13: 06.1] I [v] mhm Tom [v] nicht so g u t aber dann wenn ich ein bisschen mehr [217] . . 318 [13: 06.1] 319 [13: 09.8] Tom [v] (lg s ) b e sc hr e ib e n mu s s * (I_Tom I, 211-217) Die Schwierigkeiten der Studierenden liegen demnach in verschiedenen Bereichen. Neben den sprachlichen Schwierigkeiten und der Angst, die anderen zu verletzen, fehlen ihnen auch Kriterien für die Einschätzung der Texte. Entsprechend wird auch die Qualität der Rückmeldungen als eher schwach empfunden. Alle Studierenden berichten, kaum kritisches, sondern beinahe ausschließlich positives und vor allem globales, d.h. unspezifisches, Feedback erhalten zu haben. 239 Dieses positive Feedback wird zwar als motivierend wahrgenommen, 240 aber gleichzeitig sind die Studierenden selbstkritisch und wünschen sich Verbesserungsvorschläge für ihre Texte. 241 Dieses Ausbleiben von kritischem Feedback hat Folgen, weil im Kurskonzept durch das peer feedback die Grundlage für die Überarbeitung der Texte gelegt werden soll. Die Studierenden erhalten keine substanziellen 239 vgl. I_Aline I, 13-172, I_Atena I, 151-152, I_Laure I, 69-72, I_Nilesh I, 104- 108, I_Nilesh II, 61-67, I_Tom I, 237-244, I_LP II, 304-311 240 vgl. I_Qian III, 220-232, I_Aline I, 163-172 241 vgl. I_Aline I, 200-201, I_Atena I, 144-147, 167-168, I_Atena II, 62-63, I_Renato II, 48-50, I_Tom I, 248-251 <?page no="262"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 262 Rückmeldungen, die sie in ihrer Überarbeitung umsetzen könnten. 242 Die Studierenden merken unter anderem an, dass die Deutschkenntnisse der Kommiliton/ innen nicht ausreichend und nicht besser als die eigenen sind. 243 Sie wünschen sich vielmehr Rückmeldungen von Erstsprachler/ innen. 244 Die negativen Beurteilungen beruhen damit auf nicht erfüllten Erwartungen: Die Studierenden erwarten Korrekturen durch die Lehrerin, weisen auf die Unterschiede zum peer feedback hin und nehmen letzteres im Vergleich als defizitär wahr. 245 Die beiden Formen der Rückmeldung unterscheiden sich nicht nur durch die Sprachkompetenz der Gesprächspartner/ innen, sondern auch in ihrem Charakter. Während die Kommiliton/ innen eher Vorschläge und Fragen formulieren, nimmt die Lehrerin Korrekturen vor. Qian sagt und dann frau wagner macht richtig, was die Stärke des Eingriffs der Lehrerin und der Akzeptanz des Vorschlags der Lehrerin als Norm zeigt. 246 Die vorgenommenen Korrekturen durch die Lehrerin beschreiben die Studierenden als hilfreich, da sie sowohl als kompetente Sprecherin der Zielsprache als auch als Expertin für Aufbau und Struktur der Texte normorientierte Rückmeldungen geben kann. 247 Sie erklären, dass sie durch die Korrekturen von Lehrenden viel lernen 248 und dass diese gleichzeitig die Grundlage für die geforderte Überarbeitung der Texte bilden, die ihnen bei den Rückmeldungen der Kommiliton/ innen fehlt. 249 Lehrendenkorrekturen werden nicht nur für die Verbesserung einzelner Texte gewünscht, sondern ihre Bedeutung ist sogar so groß, dass die Anmerkungen der Lehrerin als zentraler Indikator für die Qualität eines Textes angesehen wird. Gibt es im Laufe des Kurses weniger Anmerkungen der Lehrerin, so ist es ein Zeichen, dass die Textqualität sich verbessert hat. 250 Dabei wird außer Acht gelassen, dass Texte beispielsweise auch bei geringerer Komplexität weniger Fehler aufweisen können. Im Unterricht haben die Studierenden den Eindruck, dass die beiden Formen der Rückmeldung nicht komplementär sind, sondern dass die Lehrendenkorrektur durch peer feedback ersetzt wird. 251 Da sie ein hohes Maß 242 vgl. I_Aline I, 187-194, I_Atena I, 154-168, I_Laure I, 74-75, I_Nilesh I, 125- 132, I_Tom I, 278-293 243 vgl. I_Nilesh I, 125-132, I_Qian I/ II, 74-76 244 vgl. I_Atena III, 341-350, I_Nilesh II, 61-76, I_Qian III, 65-74 245 vgl. z.B. I_Qian III, 65-74, I_Renato I, 166-172 246 vgl. I_Qian III, 57-71 247 vgl. I_Aline I, 173-183, I_Atena III, 352-354, I_Nilesh II, 71-76 248 vgl. I_Nilesh, 35-39, I_Qian I/ II, 59-60, 122-124, I_Tom I, 225-233 249 vgl. I_Renato III, 123-133 250 vgl. I_Atena III, 84-93 251 vgl. I_Nilesh I, 125-132, I_Qian I/ II, 62-66 <?page no="263"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 263 an Lehrendenkorrekturen gewohnt sind, meist sogar auf alle schriftlichen Arbeiten 252 , erwarten sie das auch in diesem Kurs. 253 Allerdings werden im Kurs nur maximal zwei Texte von der Lehrerin kommentiert, was die Erwartungen der Studierenden enttäuscht. 254 Mit großer Eindeutigkeit ist festzuhalten, dass die Studierenden peer feedback nicht als Ersatz für Rückmeldungen von der Lehrerin akzeptieren. Ferner ist erkennbar, dass Studierende, die sich primär oder ausschließlich sprachlich verbessern wollen, peer feedback als weniger hilfreich empfinden (vgl. z.B. Tom und Atena) als diejenigen, die auch Ziele und Erwartungen auf der metakognitiven Ebene des Lernens haben oder entwickeln können (z.B. Aline, Laure und Nilesh). Studierende aus der letzteren Gruppe bitten im weiteren Kursverlauf die Lehrerin, Kommiliton/ innen oder auch Mitbewohner/ innen und Eltern selbstständig um Rückmeldungen zu ihren Texten. 255 Die Lehrerin stellt selbst fest, dass die Studierenden teilweise mehr oder genauere Erklärungen und Anleitungen benötigt hätten, um das peer feedback positiver zu beurteilen: LP [v] vielleicht hab ich das nicht deutlich genug [29] .. LP [v] gemacht vielleicht hätten die mehr anleitung [30] .. LP [v] gebraucht oder .. (.h) ähm . man hätte das besser [31] .. LP [v] erklären müssen . ähm . was diese feedbackrunden [32] .. 21 22 [01: 28.3] I [v] mhm LP [v] eigentlich .. sollen das/ das ist mir so=n [33] .. LP [v] bisschen aufgefallen dass da .. da also sag ich mal bin [34] .. LP [v] ich mit meinem ziel das ich hatte dass sie nämlich 252 vgl. I_Aline I, 259-269, I_Atena I, 81-87, I_Atena III, 292-296, I_Laure I, 178- 193, I_Renato I, 86-93 253 vgl. I_Laure II, 154-162, I_Qian I/ II, 57-60, 104-112, I_Tom I, 225-233; I_Tom II, 59-66 254 vgl. I_Atena III, 337-338, I_Nilesh I, 127-130, I_Nilesh II, 104-105, I_Qian I/ II, 57-59, 106-108, I_Tom III, 108-114 255 vgl. I_Aline I, 187-194 <?page no="264"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 264 [35] .. LP [v] lernen andere texte ein bisschen einschätzen zu lernen [36] .. LP [v] und dadurch dann auch den eigenen text einschätzen [37] .. 23 24 25 I [v] mhm (ls) LP [v] lernen .. nicht so richtig hingekommen [38] .. 26 [01: 39.9] I [v] verstehe * LP [v] es gab vielleicht "einzelne bei denen es [39] .. LP [v] funktioniert hat die das zum beispiel auch in [40] .. LP [v] portfoliogesprächen gesagt haben aber die mehrheit [41] .. LP [v] war doch auch eher so eingestellt dass das war "nett [42] .. LP [v] aber .. sie hätten lieber mehr korrekturen von "mir [43] .. 27 [01: 56.5] LP [v] gehabt, (I_LP III, 28-43) 256 9.2.3 Gesamtwahrnehmung von Portfolioarbeit Nicht nur die Wahrnehmung der einzelnen Elemente der Portfolioarbeit, sondern auch die der gesamten Portfolioarbeit ist sehr unterschiedlich. Die Wahrnehmung, die Einflüsse, die darauf wirken, und die Entwicklungen, die sie durchläuft, stehen im Mittelpunkt der Betrachtungen in diesem Kapitel. 9.2.3.1 Wandel der Wahrnehmung Die Wahrnehmung der Studierenden ist nicht statisch, sondern unterliegt im Kursverlauf einem Wandel. In den vorliegenden Fällen handelt es sich dabei am häufigsten um einen Wandel von einer ablehnenden Haltung hin zu einer positiveren Einschätzung, bei der das Portfolio als hilfreich empfunden 256 Neben den inhaltlichen Bedenken werden auch Umsetzungsprobleme vorgebracht, beispielsweise dass beim Feedback im Plenum die vorgelesenen Texte sowohl akustisch als auch inhaltlich schwer zu verstehen sind ( vgl. I_Qian I/ II, 76-78) und dass Studierende sich in der Partnerarbeit keine Rückmeldungen geben, sondern stattdessen die fremden Texte am Computer korrigieren (vgl. I_Qian III, 220-232). <?page no="265"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 265 wird. Das ist allerdings kein linearer Prozess, denn auch bei einer insgesamt positiveren Wahrnehmung gibt es im späteren Verlauf kritische Äußerungen. Andere Verläufe, beispielsweise von einer positiven zu einer eher negativen Einstellung, sind nicht zu erkennen, dafür aber eine gleichbleibend positive oder negative Haltung. Atena stellt zu Kursende dar, wie sich ihre Einstellung verändert hat, auch wenn die Lernerträge nicht ihren Erwartungen entsprechen. Die Erwartungen lagen im sprachlichen Bereich, wohingegen sie den tatsächlichen Zugewinn eher im Bereich des selbstständigen Lernens verortet: Atena [v] also . ja es . ich . am [4] .. 4 [10.2] I [v] mhm Atena [v] anfang war ich ein bisschen pessimistisch # [5] 5 [17.2] Atena [v] ja und ich glaube ich bin jetzt froh dass ich es [6] .. 6 [17.2] 7 [24.2] I [v] okay Atena [v] gemacht hab ja also ich hab nicht "alles hier [7] .. Atena [v] gelernt ich ich . es war natürlich . es wäre für mich [8] .. 8 [24.2] 9 I [v] mhm Atena [v] besser wenn ich "mehr gelernt hab aber . jetzt [9] .. Atena [v] glaub ich dass es . es "hilft mir vielleicht von [10] Atena [v] manchen sachen "selbst zu lernen (Atena III, 3-10) Auch Qian beschreibt, wie sich ihre Haltung zum Portfolio verändert hat und wie sie es nun als nützlich empfindet: Qian [v] dann . am anfang ich denke die portfolio ist . wir [132] . . Qian [v] wir brauchen nicht . wir nur schreiben . und dann [133] . . Qian [v] i c h d a c h / i c h n o c h e i n m a l n a c h n a c h i c h h a b e d a s [134] . . 126 [09: 36.1] Qian [v] p ortfolio ge ma cht ich d e nke e s ist . se hr gu t .. wir <?page no="266"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 266 [135] . . 127 [09: 38.4] Qian [v] brauche n wir br a uc h e n die s e p ortfolio (Qian III, 131-135) Zu Kursende erkennen also beide Studentinnen, dass die Art des Arbeitens auch hilfreich sein kann, während Tom bei seiner oben beschriebenen ablehnenden Haltung bleibt. 9.2.3.2 Wahrnehmung als hilfreich und angenehm Auf die Frage, wie die Lernenden Portfolioarbeit wahrnehmen, werden zwei Dimensionen deutlich, in denen sich alle Antworten bewegen. Die eine ist der Nutzen von Portfolioarbeit, die andere, wie angenehm oder unangenehm Portfolioarbeit sich für sie gestaltet. Daher lässt sich die Wahrnehmung der Lernenden von Portfolioarbeit auf zwei Kontinua beschreiben: hilfreich - nicht hilfreich und angenehm - unangenehm. Unter „hilfreich“ verstehe ich nützlich in dem von den Studierenden subjektiv zugeschriebenen Sinn. Dabei gehe ich davon aus, dass etwas dann als nützlich empfunden wird, wenn es zum Erreichen persönlicher Ziele beitragen kann. Diese sind im Fall der Studierenden sehr unterschiedlich, wenngleich sie sich alle auf die Verbesserung der Deutschkenntnisse beziehen. Der Begriff „angenehm“ ist in diesem Kontext als Sammelbegriff für positive und erfreuliche Gefühle zu verstehen, die im Kontext der Portfolioarbeit von den Studierenden wahrgenommen werden. Abb. 9-18: Kernkategorie Kontinua hilfreich - nicht hilfreich; angenehm - unangenehm nicht hilfreich hilfreich angenehm unangenehm <?page no="267"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 267 Atena und Qian, deren sich verändernde Einstellung ich in Kapitel 9.2.3.1 dargestellt habe, bewegen sich, ebenso wie Nilesh, im Laufe des Kurses auf dem Kontinuum von weniger hilfreich zu eher hilfreich, 257 wobei beide die Portfolioarbeit anfangs als eher unangenehm beurteilen, später jedoch auch Zufriedenheit und Stolz empfinden. 258 Aline findet das Portfolio von Beginn an hilfreich und die Arbeitsweise angenehm, ebenso wie Laure, 259 wobei Laures positive Einschätzung im Kursverlauf auch wieder einbricht, als sie das Gefühl hat, durch den Fokus auf die Gestaltung der Portfolioarbeit nur wenig zu lernen. 260 Renato beurteilt Portfolioarbeit als hilfreich, aber nicht angenehm. 261 Tom nimmt es als unangenehm und wenig hilfreich wahr. 262 Damit bewegen sich die Wahrnehmungen der Studierenden in den Quadranten „angenehm und hilfreich“, „unangenehm und nicht hilfreich“ und „unangenehm, aber hilfreich“. Eine Wahrnehmung von Portfolioarbeit als nicht hilfreich, aber angenehm findet sich nicht. Das ist allerdings nur als eine grobe Orientierung zu verstehen, bei der es in einzelnen Situationen oder in Bezug auf einzelne Elemente des Portfolios zu Abweichungen kommt. In dieser Kernkategorie Kontinua hilfreich - nicht hilfreich; angenehm - unangenehm finden sich auch die Wahrnehmungen der einzelnen Elemente wieder (vgl. Kap. 9.2.2). Die Arbeit mit dem Selbsteinschätzungsbogen wird als unterschiedlich hilfreich und wichtig beschrieben. Das Spektrum auf der affektiven Ebene reicht bei der Selbsteinschätzung von positiven Gefühlen darüber, was man schon erreicht hat, bis hin zur Frustration, dass man so vieles noch nicht kann. Interessant ist, dass auch hier sich die Wahrnehmung im Kursverlauf mit dem Verstehen und Anwenden von wenig hilfreich hin zu eher hilfreich verändert. Beim Lerntagebuch ist die durchgängige Einschätzung aller Studierenden, dass das Instrument unnötig und wenig hilfreich ist. Die Portfoliogespräche werden als mittelmäßig gewinnbringend eingestuft, das peer feedback eher als unangenehme Vergleichssituation, die mit Unsicherheit verbunden und weniger ertragreich ist. 9.2.3.3 Kontinuum hilfreich - nicht hilfreich Als Beurteilungsmaßstäbe dafür, wie hilfreich die Portfolioarbeit ist, werden die Erfüllung persönlicher Erwartungen sowie individuell wahrgenommene 257 vgl. I_Nilesh I, 159-186, I_Nilesh II, 6-7, 16-26, I_Nilesh III, 34-48, I_Qian I/ II, 133-138, I_Qian III, 134-135 258 vgl. I_Atena III, 160-163, I_Qian III, 160-161 259 vgl. I_Aline I, 106-116, I_Aline III, 10-15; I_Laure 100-109 260 vgl. I_Laure II, 11-17 261 vgl. z.B. FB Renato 262 vgl. I_Tom I, 132, 138-139, 147-148, 242-244 <?page no="268"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 268 oder potenzielle Lernzuwächse 263 angelegt. Dabei wird erkennbar, wie schwierig es ist, die Zufriedenheit mit der Portfolioarbeit und die mit dem Unterricht insgesamt voneinander zu trennen. 264 Die individuellen Maßstäbe sind abhängig von den Erwartungen der Studierenden an den Kurs, und ihre Gründe für die Teilnahme sind vielfältig. Die Teilnahmegründe und Erwartungen reichen vom Kursbesuch aus reinem Interesse 265 über die Verbesserung der unbeliebten und im Auslandsstudium auch vernachlässigte Fertigkeit Schreiben 266 und das [S]chreiben wie eine [D]eutsche 267 bis zur Verbesserung der Sprachkompetenz als Möglichkeit zur Integration in Deutschland. 268 Besonders wichtig ist allen die Verbesserung der Sprachkompetenz insgesamt 269 und eine Vielzahl an Schreibanlässen mit anschließenden Korrekturen durch die Lehrerin, 270 wohingegen für die Verbesserung von Grammatikkenntnissen und das Wissen über Textsorten ein unterschiedlicher Bedarf besteht. 271 Bei dieser Vielfalt an Erwartungen ist es naheliegend, dass nicht alle erfüllt werden konnten. Dazu kommt, dass einige Studierende keine spezifischen Erwartungen haben, sondern den Kurs nur besuchen, weil für sie zum Erlangen des UNIcert-Zertifikats in einzelnen Fällen keine Wahlmöglichkeit besteht. 272 Die Studierenden betonen zum Teil explizit die Subjektivität ihrer Einschätzungen und den Zusammenhang der Zufriedenheit mit individuellen Erwartungen und Bedürfnissen. 273 Insgesamt sind die Studierenden ent- 263 vgl. I_Aline II, 8-17, I_Atena III, 292-300, I_Nilesh II, 6-16, I_Tom II, 6-26 264 Als Hintergrundinformation ist es deshalb hilfreich, die Haltung der Studierenden zum Unterricht zu kennen. Zentral ist, dass sie die große Mühe und das Engagement der Lehrerin anerkennen (vgl. I_Tom II, 191-198). Trotzdem finden sie den Unterricht eher „langweilig“ (vgl. I_Nilesh I, 213-216, I_Tom II, 31-41) und hadern mit der Aufbereitung der Unterrichtsinhalte (vgl. I_Atena I, 138- 144, I_Atena II, 23-28, I_Atena III, 177-186). Enttäuschung äußern alle Studierenden vor allem darüber, dass der Unterricht häufig ausfiel (vgl. I_Aline III, 110-111, 390-400, I_Laure III, 10-17, 134-135, I_Nilesh III, I_Renato II, 21- 25, I_Renato III, 161-167). 265 vgl. I_Aline I, 74-76, I_Tom III, 85-88 266 vgl. I_Aline I, 59-76, I_Atena I, 49-51, I_Nilesh I, 33-39 267 vgl. I_Qian I/ II, 34-36, I_Tom I, 81-97 268 vgl. I_Atena I, 45-49 269 vgl. I_Qian I/ II, 29-31, I_Renato I, 29-42 270 vgl. I_Laure II, 154-162, I_Qian I/ II, 57-60, 104-112, I_Tom I, 225-233; I_Tom II, 59-66 271 vgl. I_Qian I/ II, 38-42, I_Nilesh I, 40-44 I_Tom I, 355-362, I_Tom II, 32-38, I_Tom III, 5-9 272 vgl. I_Nilesh I, 50-54, I_Qian I/ II, 19-25 273 vgl. I_Nilesh III, 64-68 <?page no="269"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 269 täuscht, nicht mehr gelernt zu haben, wobei sie sich vor allem auf die Verbesserung ihrer allgemeinen Deutschkenntnisse beziehen. 274 Eine Interviewpassage mit Tom verdeutlicht zum einen diese Enttäuschung und zum anderen auch die Verbindung von individuellen Erwartungen und Zufriedenheit: Tom [v] es =war*/ es ist es immer sehr langweilig und dann [33] 33 34 [02: 00.4] I [v] mhm Tom [v] diese texte von andere leute zu hören und [34] .. Tom [v] dann nur zu hören wie man eine zusammenfassung [35] .. Tom [v] schreibt weil ich interessiere/ siere mich "gar nicht [36] .. 35 [02: 08.7] Tom [v] dafür weil ich bin (ls) ich* "ich bin in dieser in [37] .. Tom [v] diesem kurs äh "deutsch zu lernen nicht [38] .. Tom [v] zusammenfassungen und solche dinge zu schreiben (I_Tom II, 32-38) Tom hat eine eher sprachpraktische Ausrichtung erwartet und ist entsprechend unzufrieden. 275 Andere Studierende schätzen den Ansatz der Lehrerin: 276 Aline [v] also oh # äh: m wir haben schon äh . ähm ich finde: . [9] .. Aline [v] ich finde dieses kurs interessant . weil ich habe [10] .. Aline [v] schon . äh . "damals ähm viele . viele sache auf [11] .. 7 [32.4] 8 [45.4] Aline [v] deutsch geschrieben aber hier haben wir immer [12] .. 9 [45.4] 10 [51.0] Aline [v] thema- und wir machen also die: die sache [13] .. 11 [54.6] Aline [v] aber ganz gut das heißt wenn wir eine beschreibung 274 vgl. I_Atena III, 3-10, I_Nilesh III, 3-21, I_Qian III; 106-108, I_Tom II, 6-12 275 vgl. dazu auch I_Tom II, 6-12, 121-134 276 vgl. I_Aline III, 5-9, vgl. I_Laure III, 4-9, I_Nilesh I, 230-240 <?page no="270"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 270 [14] .. Aline [v] machen wissen wi/ wissen wir "wie wir müssen es [15] .. 12 [57.9] I [v] (ls) okay * Aline [v] machen also einleitung hauptteil und so weiter . also [16] .. Aline [v] deshalb war es schon gut und ich glaube . mh ich [17] .. 13 [57.9] 14 [01: 06.8] Aline [v] habe schon fortschritt gemacht # (I_Aline II, 8-17) Auch den Lernerfolg beurteilen sie unterschiedlich. Den größten Zugewinn sehen die Lernenden und auch die Lehrerin darin, dass die Lernenden Texte nun besser strukturieren können 277 und Textsorten (besser) kennen. 278 Darüber hinaus haben sie den subjektiven Eindruck, besser und leichter zu schreiben. 279 Einige Studierende stellen - anders als Tom - Verbesserungen bei Wortschatz und Grammatik fest. 280 Neben der Einschätzung anhand der tatsächlichen Lernzuwächse findet auch eine in Bezug auf potenzielle Lernzuwächse statt. Die Studierenden stellen sich beim Vergleich von Portfolioarbeit und Klausur die Frage, bei welcher Prüfungsform sie besser und mehr lernen. Während einige Studierende annehmen, dass Portfolioarbeit nicht zu ernsthaftem Lernen zwingt und damit meinen, dass sie dafür keine Inhalte auswendig lernen, 281 empfinden andere die regelmäßige Arbeitsweise als nachhaltiger 282 und geben an, bei der Portfolioarbeit Inhalte nicht wieder so schnell zu vergessen. Die Einflüsse, die dafür sorgen, dass die Studierenden Portfolioarbeit als mehr oder weniger hilfreich und als gelingensförderlich wahrnehmen, und die ebenfalls Berücksichtigung in Kapitel 9.3 finden, lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Abb. 9-19): 277 vgl. I_Laure II, 11-17, I_Nilesh II, 47-53, I_Renato II, 9-12, I_LP III, 8-11, 516-518 278 vgl. I_Nilesh I, 230-239, I_Renato II, 15-18, I_LP III, 8-11 279 vgl. I_Aline II, 48-52, I_Aline III, 18-27, I_Nilesh III, 69 280 vgl. I_Nilesh II, 18-28, I_Renato II, 19-20 281 vgl. I_Nilesh III, 113-127, I_Tom I, 139-149 282 vgl. I_Aline I, 106-124, I_Aline III, 232-236, I_Laure I, 100-109, I_Laure III, 76-82 <?page no="271"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 271 Abb. 9-19: Einflüsse auf die Wahrnehmung auf dem Kontinuum hilfreich - nicht hilfreich 9.2.3.4 Kontinuum angenehm - unangenehm Bei der Gesamtwahrnehmung der Portfolioarbeit überwiegen quantitativ die Äußerungen der Studierenden auf dem Kontinuum angenehm - unangenehm über die zum Nutzen. Es wird deutlich, dass die Portfolioarbeit sowohl negative als auch positive Gefühle hervorruft. Die negativen Gefühle reichen von einer allgemeinen Empfindung als etwas Unangenehmes 283 über die Sorge, dass die Portfolioarbeit sehr arbeits- und zeitaufwendig ist, 284 bis hin zu Zweifeln, ob man die Aufgabe bewältigen kann. 285 Tom gehört zu den Studierenden, die ihre Ablehnung sehr deutlich formulieren. Er führt die Begründung an, dass das Portfolio zum Erreichen seiner Ziele nicht förderlich ist (vgl. Kap. 9.2.3.3) und zeigt so eine Verbindung zwischen den beiden Kontinua auf, denn durch die fehlende Berück- 283 vgl. I_Qian I/ II, 56, I_Tom I, 131-139, I_Tom I, 184-185 284 vgl. I_Nilesh II, 148-167, I_Renato I 105-111 285 vgl. I_Qian I/ II, 158-160 nicht hilfreich hilfreich Erfüllung der Erwartungen an den Kurs vielfältige Erwartungen Erwartungen vor allem bzgl. der Verbesserung des Sprachniveaus wahrgenommene Lernzuwächse, v.a. Metawissen über Texte und Textsorten Lern- und Schreibstrategien unterschiedliche Wahrnehmung von sprachl. Verbesserungen potenzielle Lernzuwächse mit dem Portfolio nachhaltiger bzw. weniger ernsthaft lernen als für eine Klausur <?page no="272"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 272 sichtigung seiner Lernziele und den geringen Nutzen entwickelt er eine aversive Einstellung gegenüber der Portfolioarbeit: Tom [v] ja ich "möchte/ "eigentlich möchte ich nicht [185] .. Tom [v] portfolio hier machen sondern "ja lernen (I_Tom I, 184-185) Die unangenehmen Gefühle, die aus den gewonnenen Daten ersichtlich werden, gehen weit über diese allgemeine Ablehnung hinaus. Konkret wird beispielsweise die Irritation genannt, die besonders mit Aktivitäten zur Reflexion einher geht, beispielsweise bei der Arbeit mit dem Lerntagebuch oder bei einer Schreibaufgabe, in der die Studierenden ihren Schreibprozess aus der Perspektive ihres Schreibtischs beschreiben sollen. Hier knüpft auch das Gefühl der Bevormundung an (vgl. Kap. 9.2.1), wenn die Studierenden darauf hinweisen, dass sie keine Lerntipps benötigen, weil sie selbst am besten wissen, wie sie lernen können. Das Ziel der Bewusstmachung eigener Schreibgewohnheiten wird nicht von allen als solches wahrgenommen. Vielmehr wirkt die Vorgehensweise auf sie geradezu infantilisierend: Atena [v] ja: . ja: ich habe ein [190] .. Atena [v] bisschen das gefühl es ist wie in der schule . ähm . [191] .. Atena [v] äh . unsere "hausaufgabe .. dass ich musste [192] .. Atena [v] schreiben .. ich bin der strei/ schreibtisch von . aber [193] .. Atena [v] realität ist dass mein "deutsch ist wirklich wie ein [194] .. 190 191 [12: 00.3] I [v] mhm Atena [v] kind so also es ist wie wie mich behandeln [195] .. Atena [v] in dem . kurs ist .. weil ich mein deutsch . [196] .. 192 193 [12: 13.6] I [v] mhm Atena [v] entwickeln muss und so machen sie das mit [197] .. 194 195 [12: 17.9] I [v] mhm Atena [v] kinder .. und so muss das sein es/ es fühlt <?page no="273"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 273 [198] .. Atena [v] mich manchmal nicht so: gut aber . es ist richtig, [199] .. Atena [v] ich denke es ist ... sie irgendwelche . eine andere [200] .. Atena [v] methode . vielleicht benutzen können . geht nicht . (I_Atena II, 189-200) Atena leidet im Prozess der Portfolioarbeit darunter, wie ein Kind behandelt zu werden. Auch als Endprodukt löst das Portfolio negative Gefühle aus, die von Aufregung darüber, dass die Portfolios gelesen und benotet werden, 286 über die Sorge, ob das Portfolio für gut befunden wird, 287 bis zu einer massiven Angst vor dem Scheitern reichen. Besonders bei Qian wird die Verbindung zwischen mangelndem Verstehen der Anforderungen und der Angst vor dem Scheitern und damit dem Nicht-Bestehen des Kurses deutlich. 288 Es zeigen sich Auswirkungen auf den Arbeitsprozess, beispielsweise bei Nilesh, der Texte immer wieder löscht und neu schreibt. 289 Aufgrund der im Portfolio enthaltenen persönlichen Elemente fühlen sich die Studierenden teilweise besonders verletzlich, wenn sie es zur Leistungsfeststellung einreichen. 290 Atena [v] . ähm ... also ich weiß [154] .. Atena [v] nicht . also . zum ersten mal ver"steh ich warum [155] .. Atena [v] frau wagner ähm . sie hat immer gefragt fühlen sie [156] .. Atena [v] sich nicht so gut wenn jemand das kritisiert und so [157] .. 164 165 [09: 17.6] I [v] mh Atena [v] und es war mir egal und okay (lt) aber jetzt [158] .. 166 [09: 17.6] I [v] okay Atena [v] ist es wirklich mein "produkt * # jetzt wenn ich eine 286 vgl. I_Aline II, 281-289, I_Atena III, 219-225, 163-165 287 vgl. I_Aline III, 281-289, I_Atena III, 277-286, 48-52, I_Renato III, 48-49 288 vgl. I_Qian I/ II, 157-164, 192-193 289 vgl. I_Nilesh I, 159-162 290 vgl. auch I_Aline II, 281-289 <?page no="274"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 274 [159] .. Atena [v] schlechte note bekomme ist es vielleicht ja: . nicht [160] .. 167 168 [09: 33.3] Atena [v] so es fühlt sich nicht so gut (I_Atena III, 153-160) Da Atena schon zu Kursbeginn erklärt hat, dass das Portfolio etwas Persönliches ist (ich glaube es ist “meine sache 291 ) und in Frage stellt, inwiefern das Portfolio beurteilt werden kann, wird deutlich, dass die Rolle des Portfolios als Instrument zur Leistungsfeststellung nicht geklärt ist. Da auch die Beurteilungskriterien unklar bleiben (vgl. Kap. 8.2.2.2), wird die Unsicherheit und Verletzbarkeit beim Einreichen verstärkt. 292 Mit dieser Unsicherheit gehen die Studierenden unterschiedlich um. Aline hat bei aller Unsicherheit Vertrauen, dass ihre Mühe Anerkennung findet und die Überarbeitungen im Vordergrund stehen. 293 Aline [v] ich hätte gern dass jemand [282] .. 286 [15: 33.8] Aline [v] mein portfolo äh: liest oder . um zu sagen ja hier [283] .. 287 [15: 39.3] Aline [v] klappt es nicht oder so weil . ich schreibe immer [284] .. 288 289 [15: 43.7] Aline [v] viel viel viel und ich weiß nicht wir werden [285] .. Aline [v] unser portfolio "geben . und dann . klappt was [286] .. 290 291 I [v] okay mhm Aline [v] klappt # klappt oder nicht klappt ja also . [287] .. 293 294 [15: 55.6] Aline [v] aber (ls) ja ist gut * # (ls) es macht nicht . das [288] .. 295 [15: 55.6] 296 [15: 58.4] Aline [v] ist auch ein "spiel # * .. wir werden [289] .. 297 [16: 01.8] Aline [v] sehen damit (I_Aline II, 281-289) 291 vgl. I_Atena I, 90-97 292 vgl. I_Aline III, 250-253, I_Atena III, 238-241, I_Laure III, 101-102, I_Nilesh, 175-188, I_Nilesh III, 126-130 293 vgl. I_Aline III, 250-269 <?page no="275"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 275 Atena hingegen ist pessimistischer und hat Zweifel an der Gerechtigkeit der Leistungsfeststellung. 294 Aus den Andeutungen von Beurteilungskriterien im Unterricht gewinnt Atena den berechtigten Eindruck, dass die Gestaltung des Portfolios stärker gewichtet wird als die Textqualität (vgl. 8.3.2.1). Aus ihrer Darstellung wird außerdem deutlich, dass sie die Beurteilung als stark durch die Vorlieben der Lehrerin geprägt empfindet: Atena [v] aber irgendwie hab ich das gefühl [232] .. Atena [v] dass vielleicht mein mein struk "tur die struktur [233] .. 218 [13: 55.2] Atena [v] diese portfolio "gefällt meine lehrerin nicht [234] 219 [14: 03.2] Atena [v] und dann bekomme ich eine schlechte note aber es [235] .. Atena [v] gibt jemand der die "schlechter schreibt als ich [236] .. Atena [v] aber . "weißt wie das alles schön in eine struktur zu [237] .. Atena [v] bringen und dann . das ist ein bisschen nicht fair (I_Atena III, 231-237) Im Gegensatz zu einer Klausur finden die Studierenden ein Portfolio als Prüfungsform weniger berechenbar. Mit Klausuren hingegen sind sie vertraut, sie können sich darauf vorbereiten und leichter und zuverlässiger gute Noten erreichen. 295 Während das Portfolio als Prüfungsform auf dem Kontinuum hilfreich - nicht hilfreich eher günstig verortet wird (vgl. Kap. 9.2.3.3), ist die Einschätzung auf dem Kontinuum angenehm - unangenehm negativer. Es wird allerdings ersichtlich, dass das Portfolio als Instrument der Leistungsfeststellung als eher angenehm empfunden wird, wenn: die Benotung transparent und berechenbar ist, der Arbeitsaufwand bei der Portfolioerstellung als nicht zu hoch empfunden wird, 296 wobei die Einschätzungen der Studierenden dazu, was hoher Arbeitsaufwand ist, völlig unterschiedlich sind, 294 vgl. I_Atena III, 277-286 295 vgl. I_Atena III, 219-225, I_Tom I, 139-149, I_Tom II, 301-304, I_Tom III, 63-65 296 vgl. I_Aline I, 134-143, I_Nilesh I, 179-184, I_Nilesh II, 175-188, I_Tom II, 294-303 <?page no="276"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 276 bei der Textproduktion ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um gute Texte zu produzieren, die entsprechend gut beurteilt werden, 297 das Portfolio Leistungen abbildet, die über einen längeren Zeitraum erbracht wurden 298 und die Individualität der Lernenden bei der Leistungsfeststellung berücksichtigt wird. 299 I [v] warum Renato [v] da für mich das ist gut äh weilo [114] .. 164 [06: 40.8] I [v] mhm Renato [v] äh wenn äh in ein in ein vorlesung aus aus hier [115] .. I [v] Renato [v] aus die (? ...? ) äh ist besser wenn de/ der lehr/ der [116] .. Renato [v] lehrerin kennt die: äh . (h) die . äh (engl. evolution) [117] .. 165 [06: 40.8] 166 167 I [v] mhm mhm Renato [v] (ls) #* die (engl. evolution) von de/ von de [118] .. 168 169 170 I [v] mhm mhm Renato [v] student sehen und (? ...? ) so, mit ein portfolio [119] .. 171 172 [06: 54.6] Renato [v] glaub ich ist=e besser ist=e besser für (? ...? ) [120] 173 [06: 54.6] 17 4 175 I [v] also so die entwicklung von von der ersten Renato [v] ja von der anfang [121] .. 176 177 [07: 01.9] I [v] stunde mhm Renato [v] von der anfang zu der abschluss [122] .. 179 180 [07: 09.3] I [v] mhm Renato [v] ja ist besser mit ein portfolio (I_Renato II, 113-122) 297 vgl. I_Atena III, 229-231, I_Renato II, 122-128 298 vgl. I_Aline III, 208-227, I_Renato I, 122-126 299 vgl. I_Renato I, 117-122, I_Renato II, 113-122, I_Qian I/ II, 141-153 <?page no="277"?> 9.2 Wahrnehmung von Portfolioarbeit durch die Studierenden 277 Während die Wahrnehmung der Portfolioarbeit zu Kursbeginn und auch zum Kursende von Unsicherheit gekennzeichnet ist, kommen am Ende zahlreiche positive Gefühle zur Sprache, die durch die Portfolioarbeit hervorgerufen werden. An erster Stelle ist die Zufriedenheit mit den eigenen Texten und mit dem eigenen Lernprozess zu nennen. 300 Eng damit verbunden ist das Gefühl von Stolz auf die eigenen Texte 301 sowie darauf, die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden zu haben. 302 Atena [v] also . die [161] .. Atena [v] erörterung die wir geschrieben haben das war zum [162] .. Atena [v] "ersten mal dass ich stolz war auf meine eigene [163] .. Atena [v] text (I_Atena III, 160-163) Auch die Entwicklung von Motivation durch die Portfolioarbeit wird von den Studierenden genannt. 303 Weiterführend ergibt sich eine im Vergleich zu vorher positivere Einstellung zum Schreiben: ich "mag jetzt auf deutsch zu schreiben. 304 Obwohl gerade Atena zu Kursende einige positive affektive Aspekte der Portfolioarbeit nennt, ist ihr das Endprodukt nicht wichtig. Das äußert sich darin, dass sie ihr Portfolio zu Kursende wegwerfen und nur die Arbeitsblätter der Lehrerin behalten möchte. 305 Auf die Frage, ob sie ihr Portfolio jemandem zeigen wolle, antwortet sie: Atena [v] also ich "kenne wirklich niemanden der zeit [266] .. 248 [15: 48.3] Atena [v] hast um mein portfolio zu lesen (I_Atena III, 265-266) 300 vgl. I_Atena III, 84-93, I_Qian III, 118-121, I_Nilesh III, 34-48 301 vgl. I_Atena III, 160-163, 173-176 302 vgl. I_Qian III, 157-161 303 vgl. I_Atena III, 93-95, 138-143, 149-150 304 vgl. I_Atena III, 93-95 305 vgl. I_Atena II, 124-126 I_Atena III, 126-128 <?page no="278"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 278 Das Endprodukt Portfolio hat offensichtlich einen geringen Stellenwert für sie. Das verhält sich bei allen Studierenden unterschiedlich. Tom möchte ebenfalls nur einzelne Texte behalten und wird den Rest des Portfolios wegwerfen. 306 Die anderen Studierenden planen hingegen, die Portfolios Eltern, Mitbewohner/ innen oder Freund/ innen zu zeigen 307 und würden sich auch eine Präsentation der Portfolios im Kurs wünschen, um das eigene vorzustellen, vielmehr aber noch, um die der Kommiliton/ innen zu sehen. 308 Dieser Überblick zeigt, dass die affektive Ebene bei der Einschätzung von Portfolioarbeit durch die Studierenden viel Raum einnimmt und sowohl negative als auch positive Gefühle hervorgebracht werden. Die geforderte und intendierte Berücksichtigung der affektiven Dimension bei der Portfolioarbeit (vgl. 3.2.1.2) führt nicht nur zu einer Ganzheitlichkeit und Motivation, sondern bringt ein großes Spektrum an unterschiedlichen affektiven Reaktionen der Lernenden hervor, die auch Verletzbarkeit und Ängste einschließt. Darüber hinaus weckt die Konfrontation mit dem neuen Instrument die Angst vor dem Scheitern. Zeitlich verorten lassen sich Ängste und Unsicherheiten eher zu Kursbeginn, wobei sie bezogen auf das Portfolio als Grundlage zur Leistungsfeststellung auch zu Kursende noch eine Rolle spielen. Eine affektiv positive Beurteilung von Portfolioarbeit tritt erst nach der Erledigung der Portfolioarbeit auf. Allerdings kommt es im Prozess auch zu weiteren negativen Gefühlen. Besonders hervorheben möchte ich Atenas eindrückliche Schilderung, dass sie sich durch die Reflexionsaufgaben und durch die Unterrichtsgestaltung wie ein Kind behandelt fühlt. Dabei handelt es sich im Datenmaterial zwar um einen Einzelfall, aber an diesem Beispiel wird deutlich, wie die Portfolioarbeit bei den Studierenden andere Eindrücke auslösen kann als intendiert, nämlich statt der Förderung von Selbstständigkeit eher das gegenteilige Gefühl der Infantilisierung. Die Gründe hierfür liegen darin, dass die Vorgehensweise ungewohnt ist und dass gleichzeitig die Ziele der Portfolioarbeit unklar bleiben. 309 Die Einflüsse auf das Kontinuum angenehm - unangenehm werden in der folgenden Übersicht zusammengefasst (vgl. Abb. 9-20). Dazu abstrahiere ich aus den Faktoren, die im Datenmaterial als positiv oder negativ genannt werden und die dazu führen, dass Lernende Portfolioarbeit als angenehm wahrnehmen. Aspekte, die im Datenmaterial als negative Einflüsse 306 vgl. I_Tom II, 348-363 307 vgl. I_Aline III, 135-136, I_Laure III, 166-169, I_Nilesh III, 70-80, 334-338, I_Renato III, 142-148 308 vgl. I_Aline III, 372-380, I_Nilesh III, 86-98, I_Qian III, 205-212 309 vgl. I_Atena II, 189-200, I_Atena III, 26-29, 134-135 <?page no="279"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 279 genannt wurden, werden hier zur leichteren Lesbarkeit umformuliert und vereinheitlicht. Wenn beispielsweise mangelnde Transparenz der Beurteilungskriterien als negativ wahrgenommen wird, beziehe ich mich auf die Rolle der Transparenz und Klarheit bei der Wahrnehmung von Portfolioarbeit. Abb. 9-20: Merkmale des Kontinuums angenehm - unangenehm 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse Aus der Gesamtwahrnehmung der Lernenden wird bereits deutlich, dass viele Einflüsse auf das Gelingen von Portfolioarbeit wirken. Besonders die Einflüsse, die auf die Kontinua hilfreich - nicht hilfreich bzw. angenehm - unangenehm wirken, sind in dieser Hinsicht aufschlussreich. Ziel dieses Kapitels ist es, die Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen Portfolioarbeit von den Akteur/ innen positiv und als gelungen wahrgenommen wird. Der Begriff des Gelingens beschreibt damit die subjektive Wahrnehmung der Akteur/ innen als erfolgreich, gewinnbringend und/ oder angenehm. Daangenehm unangenehm Einflüsse auf ein angenehmes Erleben von Portfolioarbeit klar transparent ausprobieren zu bewältigender Arbeitsaufwand individueller Nutzen ernst genommen werden Berücksichtigung der Individualität Erfolgserlebnisse Aussicht auf Erfolg berechenbare Beurteilung Zeitliche Verortung & möglicher Wandel allgemeine Ängste zu Kursbeginn Ängste bzgl. Leistungsfeststellung Zufriedenheit und Stolz eher zu Kursende Ursachen für die zentrale Bedeutung der affektiven Dimension Ungewissheit verursacht Angst vor dem Scheitern persönliche Inhalte machen verletzlich <?page no="280"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 280 mit beantworte ich die zweite Forschungsfrage der Teilstudie B (vgl. Abb. 9-21), wobei die Perspektiven von Studierenden und Lehrerin gleichermaßen berücksichtigt werden. Eine Trennung zwischen den Akteur/ innen nehme ich nur dann vor, wenn die Datensätze sich widersprechen oder es sich um Einzelmeinungen handelt. Abb. 9-21: Frage 2 der Teilstudie B: Einflüsse auf das Gelingen von Portfolioarbeit Zunächst wird die Kernkategorie Kompatibilität vorgestellt und die herausgearbeiteten Einflüsse auf das Gelingen werden in Bezug zur Kernkategorie gruppiert. Zuvor umreiße ich das Verständnis der gelingensförderlichen und -hemmenden Einflüsse. 9.3.1 Verständnis der gelingensförderlichen und -hemmenden Einflüsse Der Begriff des Gelingens könnte in einem engen Verständnis so verstanden werden, dass er sich auf das Erreichen eines maximalen Lernertrags, besonders die Verbesserung der Sprach- und der Schreibfertigkeit, bezieht. In der vorliegenden Studie und insgesamt im Fremdsprachenunterricht greift diese Sichtweise allerdings zu kurz, denn damit könnte man einem phänomenologischen Menschenbild und einem konstruktivistischen Verständnis von Lernen kaum gerecht werden (vgl. Kap. 6.1.2). Vielmehr ist beim Gelingensbegriff davon auszugehen, dass alle Akteur/ innen das Gelingen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Voraussetzungen, Erwartungen, Vorlieben und Gewohnheiten unterschiedlich beurteilen. Zudem könnte der Komplexität der Portfolioarbeit mit einem engen Verständnis von Gelingen nur schwer Rechnung getragen werden, da durch sie nicht nur die Sprach- und Schreibfertigkeit gefördert werden soll, sondern auch metakognitive und affektive Aspekte (vgl. Kap. 2), die zwar zunächst Zeit kosten und nicht unmittelbar Frage 2: Einflüsse auf das subjektiv wahrgenommene Gelingen von Portfolioarbeit Unter welchen Bedingungen wird Portfolioarbeit von den Akteur/ innen positiv wahrgenommen? <?page no="281"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 281 zur Verbesserung des Sprachstands und der Schreibfertigkeit beitragen, das aber mittelfristig tun sollen. Ein zentrales Ziel dieser Studie ist es daher, unter Berücksichtigung der Individualität der Akteur/ innen herauszuarbeiten, welche Einflüsse auf Portfolioarbeit wirken und ein subjektives Empfinden von Gelingen und Erfolg hervorrufen, um daraus übergreifende Faktoren zu benennen, die Portfolioarbeit begünstigen. Gelingen im weitesten Sinne und aus der subjektiven Sicht der Akteur/ innen beinhaltet demnach das Erreichen derer individueller Ziele sowie eine als zufriedenstellend empfundene Gestaltung des Prozesses. In den gewonnenen Daten finden sich verschiedene Indikatoren für subjektiv empfundenes Gelingen, z.B. Wahrnehmung der Portfolioarbeit oder einzelner Elemente als erfolgreich, nützlich, sinnvoll, ertragreich, gewinnbringend etc., positive Beurteilung der Abläufe der Portfolioarbeit oder einzelner Elemente, beispielsweise als reibungslos, positive affektive Beurteilung der Portfolioarbeit oder einzelner Elemente. Es werden sowohl Stellen im Datenmaterial berücksichtigt, in denen die Akteur/ innen explizit erläutern, unter welchen Bedingungen sie Portfolioarbeit für sinnvoll und erfolgreich halten, als auch solche, in denen implizit mögliche Einflüsse auf das Gelingen erkennbar sind. 9.3.2 Ebenen der Kernkategorie Kompatibilität Als Kernkategorie dieser Teilstudie B ließ sich der Begriff der Kompatibilität herausarbeiten. Es ist sicher keine neue Erkenntnis, dass im Fremdsprachenunterricht die eingesetzten Methoden und Instrumente zu den Lernenden passen müssen, so dass der Begriff der Kompatibilität alleine wenig aussagekräftig ist. Die Erkenntnis besteht vielmehr in der Beschreibung dieser Kompatibilität mit ihren verschiedenen Teilbereichen und Facetten. Den Begriff der Kompatibilität definiere ich in erster Linie allgemeinsprachlich als Vereinbarkeit (vgl. Häcker, H./ Stapf 1998: Stichwort: Kompatibilität) oder „Verträglichkeit verschiedener Objekte oder Sachverhalte“ (Springer Gabler Verlag: Stichwort: Kompatibilität). Durch dieses breite Verständnis von Kompatibilität ist es möglich, darunter die Vereinbarkeit von sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, Zielsetzungen und Bedingungen zu fassen. Definitionen aus einzelnen Fächern, beispielsweise aus den Wirtschaftswissenschaften, legen den Fokus auf die Vereinbarkeit unterschiedlicher Zielsetzungen (vgl. ebd.), was im untersuchten Kontext nur einen Teil der Kompatibilität ausmacht. <?page no="282"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 282 In dieser Studie ist mit Kompatibilität die Vereinbarkeit von Besonderheiten der Portfolioarbeit mit anderen Merkmalen und Eigenschaften der Lernenden und des Unterrichts gemeint. Ich gehe davon aus, dass eine vollständige Kompatibilität nicht erreichbar ist. Eine hohe Kompatibilität bedeutet, dass günstige Voraussetzungen für die Portfolioarbeit bestehen. Gleichzeitig impliziert eine geringe Kompatibilität nicht das Scheitern der Portfolioarbeit, sondern weist darauf hin, dass Lehrende und Lernende mehr Aufwand betreiben müssen, um die Portfolioarbeit erfolgreich durchzuführen. Unter der Kernkategorie fasse ich verschiedene Formen der Kompatibilität zusammen. Die Kompatibilität von Portfolioarbeit mit Zielen und Erwartungen (vgl. Kap. 9.3.2.1) beinhaltet die Vereinbarkeit der Eigenschaften der Portfolioarbeit mit den individuellen Lernzielen und Erwartungen, mit denen die Studierenden den Kurs besuchen. Darüber hinaus betrachte ich, inwiefern Portfolioarbeit mit unterschiedlichen Vorkenntnissen und Eigenschaften der Lernenden in Einklang zu bringen ist (vgl. Kap. 9.3.2.2). In Kapitel 9.3.2.3 liegt der Fokus auf der Kompatibilität von Portfolioarbeit mit gewohnten und bevorzugten Arbeitsweisen der Lernenden. Der Unterschied zwischen den beiden letztgenannten Kapiteln liegt darin, dass es sich einmal um persönliche Eigenschaften wie Kreativität, und einmal um Lerngewohnheiten und individuelle Vorlieben für Arbeitsweisen handelt, wie regelmäßiges Arbeiten oder das Einholen von Rückmeldungen zu eigenen Texten. Eine vierte Form der Kompatibilität ist die zwischen Portfolioarbeit und institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten, womit allgemein die Form des Unterrichts gemeint ist, an die die Studierenden gewöhnt sind (vgl. Kap. 9.3.2.4). Darüber hinaus gibt es zwei Möglichkeiten, die Kompatibilität zu erhöhen, nämlich zum einen die Möglichkeit der Lehrerin, den Unterricht und die Portfolioarbeit auf die Lernenden abzustimmen (vgl. Kap. 9.3.2.5) und zum anderen die Fähigkeit der Lernenden, sich auf die Portfolioarbeit einzustellen (vgl. Kap. 9.3.2.6), die ebenfalls näher beschrieben werden. 9.3.2.1 Ziele & Erwartungen der Lernenden Schon aus den vorherigen Darstellungen wird deutlich, dass die Lernziele und Erwartungen der Lernenden ausschlaggebend für ihre Wahrnehmung von Portfolioarbeit und damit für das subjektiv empfundene Gelingen sind. Tatsächliche und potenzielle Lernzuwächse ebenso wie die Erfüllung der Erwartungen an den Kurs beeinflussen, ob Portfolioarbeit als hilfreich erlebt wird (vgl. Kap. 9.2.3.3). Der individuelle Nutzen führt außerdem dazu, dass Portfolioarbeit als angenehmer wahrgenommen wird (vgl. Kap. 9.2.3.4.). <?page no="283"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 283 Im untersuchten Kurs sind die Ziele und Erwartungen vielfältig, so dass sie nicht alle gleichermaßen erfüllt werden konnten (vgl. Kap. 9.2.3.3). Studierenden, die sehr fokussiert sprachliche Ziele verfolgen, empfinden die Portfolioarbeit als überflüssig, besonders die Reflexion der eigenen Leistung und die Planung des weiteren Lernprozesses (vgl. Kap. 9.2.3.2). 310 Die Unzufriedenheit tritt vor allem dann ein, wenn die Studierenden den intendierten Nutzen nicht erkennen können und sie ihre persönlichen Ziele nicht im Fokus der Aktivitäten sehen: Tom [v] ah ein "paar leute sagen auch [325] .. Tom [v] dass (lgs) sie sehen keine grund warum wir so ein* [326] .. 432 433 [18: 18.6] Tom [v] portfolio schreiben sie . ja sie verstehen auch [327] .. 434 435 [18: 22.3] 436 437 [18: 24.9] I [v] mhm mhm Tom [v] nicht so so viel warum es es f/ es gut ist oder/ (I_Tom II, 324-327) Eine weitere Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Lernenden und der Umsetzung der Portfolioarbeit liegt in der Inputorientierung der Studierenden, d.h. in die Erwartung, dass Inhalte durch die Lehrerin präsentiert und vermittelt werden. Dies wird im Unterricht nicht erfüllt, denn die Lehrerin legt stattdessen großen Wert auf die Selbstständigkeit der Studierenden und auf die eigene Erarbeitung. 311 Auch das peer feedback nimmt viel Raum ein. Die Studierenden wünschen sich hingegen Input von der Lehrerin, beispielsweise zu Wortschatz und zur Struktur von Texten. 312 Das Ausbleiben dieses Inputs führt zu dem Gefühl, nichts gelernt zu haben: Tom [v] aber ich ich finde es [344] .. 494 Tom [v] schwer zu sagen was wir gelernt habe weil s/ sie [345] .. Tom [v] hat nicht gesagt okay das ist es geht so wie es geht so 310 vgl. I_Atena III, 134-135, I_Tom III, 46-47 311 vgl. I_LP III, 370-376 312 vgl. I_Atena II, 39-45; I_Atena III, 329-335. 357-358, I_Nilesh II, 42-46, 95- 101 <?page no="284"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 284 [346] .. 496 497 [21: 20.0] I [v] mhm (ls) Tom [v] wie wir haben nur ja etwas geschriebt [347] .. I [v] mh* Tom [v] "selbst aber (lgs) wir haben nicht von äh von "ihr [348] .. 499 500 501 502 503 [21: 34.1] I [v] mhm mhm ja Tom [v] gelernt* mein ich so verstehst du [349] .. 504 [21: 34.1] Tom [v] ja so (I_Tom I, 343-319) Hier besteht eine große Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der Lehrerin von einem eher konstruktivistisch orientierten Unterricht und denen der Studierenden, die sich die Vermittlung von Inhalten durch die Lehrerin wünschen. Die Kompatibilität ist in diesem Fall sehr gering, und es sind große Anstrengungen auf beiden Seiten notwendig, um sich aufeinander zuzubewegen. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine starke Fokussierung auf ein Lernziel oder hohe Erwartungen in einem bestimmten Bereich durch die fehlende Offenheit für andere Wege und Ziele eher gelingenshemmend wirkt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass folgende Faktoren auf eine hohe Kompatibilität zwischen Portfolioarbeit und den Zielen und Erwartungen der Lernenden hinweisen (vgl. Abb. 9-22). Abb. 9-22: Kompatibilität von Portfolioarbeit und Zielen & Erwartungen Kompatibilität von Portfolioarbeit und Zielen & Erwartungen • vielfältige Ziele und Erwartungen der Lernenden sowie Offenheit diesbezüglich • Erkennbarkeit & Sichtbarmachung tatsächlicher wie potenzieller Lernzuwächse • Berücksichtigung der Erwartung der Lernenden bezüglich der Unterrichtsgestaltung und schrittweise Heranführung an neue Lernformen • Fokus auf Spracharbeit, Begleitung durch metakognitive Elemente <?page no="285"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 285 9.3.2.2 Vorkenntnisse & Eigenschaften der Lernenden Im Datenmaterial werden außerdem einige Vorkenntnisse und Eigenschaften der Lernenden deutlich, die förderlich für die Portfolioarbeit sind. Dies betrifft persönliche Stärken und Dispositionen ebenso wie Vorerfahrungen mit dem Lernen von Fremdsprachen. Als angenehmer wird Portfolioarbeit unter anderem dann empfunden, wenn individuelle Stärken und Bedürfnisse berücksichtigt werden können (vgl. Kap. 9.2.3.4). 313 Für die Portfolioarbeit hilfreiche Eigenschaften sind Selbstbewusstsein und ein positives Selbstbild der Lernenden. Einige Studierende (Atena, Qian und Tom) gehen immer sehr selbstkritisch mit ihren Leistungen und Texten um 314 und stoßen bei der Portfolioarbeit auf Probleme: Die Möglichkeiten des Vergleichs mit Kommiliton/ innen werden als sehr unangenehm wahrgenommen, und durch das Ausbleiben von Lehrendenkorrekturen sehen sie kaum Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Leistungen. Sie lehnen Portfolioarbeit daher ab. 315 Aline hingegen, die Portfolioarbeit positiv bewertet und auch mit ihrem Portfolio hinsichtlich der Leistung und der Gestaltung zufrieden ist, beurteilt ihre Leistungen insgesamt immer eher positiv. 316 Ihre hohe Selbstwirksamkeitserwartung zeigt sich auch daran, dass sie zuversichtlich ist, dass sie durch Mühe und regelmäßiges Arbeiten zu einem guten Portfolio gelangen kann, das anderen (v.a. der Lehrerin als beurteilender Instanz) gefällt. 317 Bedenkt man, dass Aline in besonderem Maße und Laure in einer schwächeren Form der Portfolioarbeit gegenüber positiv eingestellt sind, 318 ist das ein Hinweis darauf, dass Selbstbewusstsein, ein positives Selbstbild und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung einen positiven Zugang zu Portfolioarbeit begünstigen. Das ist auch deshalb naheliegend, weil die Darstellung des eigenen Könnens ein wichtiger Teil der Portfolioarbeit ist. Studierende, die mit ihren Leistungen prinzipiell zufrieden sind und glauben, dass sie durch Anstrengungen gute Leistungen erzielen können, stellen sie gerne dar. Aline, Nilesh, Renato und Laure, die zu dieser Gruppe zu zählen 313 vgl. I_Qian I/ II, 141-153 314 vgl. I_Atena I, 134-140, I_Qian III, 157-161, I_Tom I, 305-311 315 vgl. I_Atena I, 226-230, I_Atena II, 104-122, I_Qian III, 158-160, I_Tom II, 32-38, I_LP II, 165-168 316 vgl. I_Aline I, 194-197 317 vgl. I_Aline III, 183-194 318 vgl. I_Aline I, 106-116, I_Aline II, 10-15, I_Laure I, 100-109 <?page no="286"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 286 sind, haben den Wunsch, ihr Portfolio Mitbewohner/ innen, Freund/ innen und den Eltern zu zeigen. 319 I [v] wirst du [71] .. I [v] dein portfolio jemandem "zeigen wenn es fertig ist' [72] 70 71 [05: 01.8] I [v] zum korrigieren oder einfach so . zum spaß' Nilesh [v] ja . [73] 72 [05: 05.5] 73 [05: 09.6] I [v] mhm . gibt Nilesh [v] nicht korrigieren . einfach zum spaß # [74] .. I [v] es eine bestimmte person der du es zeigen willst' [75] 74 [05: 11.8] Nilesh [v] freunden . und auch ich habe eine "deutsche [76] .. 75 76 [05: 19.3] Nilesh [v] mitbewohner . und ich zeige ihm also so . [77] .. 77 [05: 22.1] I [v] um zu zeigen was du gemacht hast' Nilesh [v] schon geplant . [78] 78 [05: 24.4] 79 [05: 26.5] I [v] und mit was für Nilesh [v] ja . das alles hab ich gemacht [79] .. 80 [05: 29.4] I [v] einem gefühl zeigst du es' Nilesh [v] ja: . mit eine gefühl dass [80] .. 81 [05: 31.7] Nilesh [v] ich kann auch äh: . gut schreiben . so: (I_Nilesh III, 70-80) Die Studierenden, die mit ihren Leistungen nicht zufrieden sind und die Portfolioarbeit eher ablehnen, möchten das Portfolio nach Kursende wegwerfen. 320 Ein weiteres Merkmal, das der Portfolioarbeit zuträglich ist, ist ein hohes Maß an Selbstständigkeit und die Fähigkeit, selbstbewusst eigene Entscheidungen zu treffen, was die Lehrerin als „Unabhängigkeit von fremden Mei- 319 vgl. I_Aline III, 135-136, I_Laure III, 166-169, I_Nilesh III, 70-80, I_Renato III, 142-148 320 vgl. I_Atena II, 124-126, I_Atena III, 126-128, I_Tom II, 348-363 <?page no="287"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 287 nungen“ beschreibt. 321 Das schließt auch einen selbstbewussten Umgang mit dem eigenen Text und mit kritischem Feedback ein. 322 Der Unterricht ist auf diese Selbstständigkeit ausgerichtet, beispielsweise wenn die Lehrerin die Portfoliogespräche nicht vorbereitet, sondern erwartet, dass die Lernenden selbst Fragen formulieren. 323 Die Lehrerin begrüßt auch insgesamt, wenn die Studierenden selbstständig mit Fragen auf sie zukommen oder ihr Texte zur Kommentierung zuschicken. 324 Darüber hinaus findet sie es förderlich, wenn die Studierenden auch außerhalb des Kurses Hilfe suchen, so wie Nilesh, der seine Texte von seinem Mitbewohner korrigieren lässt und auch die Lehrerin anspricht, wenn er Rückmeldungen wünscht. 325 Gleichzeitig geht sie davon aus, dass die Lernenden autonomes Lernen eher nicht gewohnt sind. 326 Das trifft teilweise für einige Studierende zu, die beispielsweise angeben, die Korrekturen von Erstsprachler/ innen immer direkt zu übernehmen, ohne sie zu hinterfragen, oder die auf Anweisungen warten. 327 Andere Lernenden beschreiben sich hingegen eher als selbstständig. 328 Ebenso wie bei der Selbstständigkeit unterscheiden sich die Studierenden auch in ihrem Umgang mit Fehlern. Während beispielsweise Atena versucht, Fehler zu vermeiden 329 und die Qualität eines Textes an der Anzahl der Fehler misst, 330 nimmt Aline Fehler als selbstverständlich wahr und erkennt ihr Potenzial für die eigene Weiterentwicklung. 331 Es gibt keine Hinweise im Datenmaterial, dass die eine oder andere Vorgehensweise Portfolioarbeit erleichtert, doch betrachtet man die Merkmale von Portfolioarbeit (vgl. Kap. 2.3), das Potenzial von Fehlern für das weitere Lernen (vgl. z.B. Tönshoff 2005: 3f.) sowie Alines positiven Umgang mit dem Portfolio, ist zu vermuten, dass ihr offener Umgang mit Fehlern eher förderlich ist als ein zu großes Bestreben, Fehler zu vermeiden. Gleichzeitig muss auch die Lehrerin offen mit Fehlern umgehen, um die Reflexionen der Lernenden nicht zu behindern. Bei Kreativität als gelingensförderlichem Einfluss sind sich Studierende und Lehrerin einig. Für sie alle ist Kreativität wichtig bei der Gestaltung des 321 vgl. I_LP I, 288-291 322 vgl. I_LP II, 155-161 323 vgl. I_LP III, 180-189 324 vgl. I_LP II, 105-115, 184-196 325 vgl. I_LP III, 54-61, I_Nilesh I, 202-208 326 vgl. I_LP I, 73-75, 83-84 327 vgl. UB 4, 76-93 328 vgl. I_Nilesh III, 150-154, I_Tom II, 213-222 329 vgl. I_Atena II, 99-108; I_Atena III, 45-51). 330 vgl. I_Atena III, 84-93 331 vgl. I_Aline III, 359-364 <?page no="288"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 288 Portfolios, 332 was einigen Studierenden leichter fällt als anderen. 333 Allerdings erscheint ihnen diese Eigenschaft zumindest teilweise lernbar: Tom [v] ich ich kann das nicht so gut [164] .. 251 252 [10: 14.0] I [v] mhm Tom [v] machen - "krea"tiv .. ja aber vielleicht werde [165] Tom [v] ich ein bisschen kreativität lernen (I_Tom I, 163-165) Eine weitere Eigenschaft, die lernbar ist und außerdem auf Vorerfahrungen aufbaut, ist die Reflexionsfähigkeit. Die Lehrerin empfindet die Erfahrungen der Studierenden mit Reflexion als hilfreich, wenn sie beschreibt, unter welchen Bedingungen ihnen Portfolioarbeit leichter gelingt: LP [v] (.hh) aber ich merke also ich würde das [471] .. LP [v] so=n bisschen daran festmachen . wie sehr die vorher [472] .. 322 323 I [v] mhm LP [v] schon reflektiert haben also . egal in welchem [473] .. 324 325 I [v] mhm LP [v] fach jetzt oder oder oder über welche dinge .. (I_LP I, 470-473) Neben diesen von den Akteur/ innen selbst angeführten Aspekten wie Selbstständigkeit, Kreativität und Reflexionsfähigkeit ist im Datenmaterial auch eine weitere Eigenschaft auffällig, die das Gelingen von Portfolioarbeit begünstigen kann, nämlich eine hohe Sprachlernbewusstheit. Die Lernenden müssen in der Lage sein, ihr Sprachenlernen ständig zu analysieren, kritisch zu reflektieren und ihr Lernen selbstständig zu organisieren. Obwohl diese Studierenden auf sehr gute Voraussetzungen zurückgreifen können, 334 treten auch hier stellenweise Schwierigkeiten auf, beispielsweise wenn die Studierenden im Lerntagebuch nicht benennen können, was sie gelernt haben: 332 vgl. I_Aline I, 124-129, I_LP I, 283-285, I_LP II, 465-467, PG II, 12-16 333 vgl. I_Renato I, 131-132 334 vgl. z.B. FB_Aline, I_Aline II, 268-279, I_Atena I, 155-158, I_Atena III, 84- 93, I_Tom I, 131-139 <?page no="289"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 289 Tom [v] mh: "glaub nicht weil ich ich kann nur "denken [324] .. 463 464 [19: 34.9] I [v] mhm Tom [v] das das möcht ich lernen oder und dann ich [325] .. 465 [19: 34.9] 466 [19: 37.0] I [v] okay mhm Tom [v] muss nicht alles schreiben "aber ich ich ich [326] .. Tom [v] "finde es ein bisschen äh "sehr un/ unhilfreich wenn [327] .. 467 468 [19: 44.6] Tom [v] ja sie fragt zu dies/ (lgs) zu den klass* zu der [328] .. 469 [19: 46.8] Tom [v] klass und sie sagt ah ja "was habt ihr heute gelernt' [329] .. 470 [19: 54.5] I [v] mhm Tom [v] und niemand sagt etwas weil "solche frage find ich [330] .. 471 [19: 58.9] 472 [20: 01.2] I [v] ja mhm mhm Tom [v] auch schwer was was kann ich sagen und die anderen [331] .. 473 474 [20: 03.6] Tom [v] leute glauben das auch "ich glaube dass sie [332] .. 475 [20: 03.6] 476 [20: 07.4] I [v] mhm Tom [v] nicht scheu sind (lgs) sondern . wir haben [333] .. 477 [20: 07.4] 478 [20: 10.1] Tom [v] nichts zu sagen* ja (lgs) weil wir "es nicht äh [334] .. 479 [20: 13.0] 480 [20: 13.0] 481 [20: 20.2] I [v] mhm ja mhm Tom [v] beschreiben . können* soaber ja (I_Tom I, 323-334) Den Lernenden sind keine Kategorien bekannt, in denen sie Lernfortschritte beschreiben können, so dass ihnen Reflexionsaufgaben schwerfallen. Zusammenfassend lassen sich folgende Bereiche identifizieren, anhand derer die Kompatibilität zwischen Portfolioarbeit und Vorkenntnissen und persönlichen Eigenschaften beschrieben werden kann (vgl. Abb. 9-23): <?page no="290"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 290 Abb. 9-23: Kompatibilität von Portfolioarbeit und Vorkenntnissen & persönlichen Eigenschaften 9.3.2.3 Gewohnte & bevorzugte Arbeitsweisen Aus den bisherigen Darstellungen ist bereits hervorgegangen, dass die Studierenden im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Lerngewohnheiten und Vorlieben für bestimmte Arbeitsweisen entwickelt haben, was sie auch so formulieren. 335 Gemeinsam ist allen, dass sie alle auf ihre Art planvoll und strukturiert vorgehen, 336 was eine Eigenschaft ist, die im Studium, besonders in einem ingenieurwissenschaftlichen Studiengang, erwartet bzw. gefördert wird. 337 Die Lernenden sind sich ihrer bevorzugten Arbeitsweisen bewusst und handeln dementsprechend: Aline [v] aber ob ich nicht genug zeit dafür habe . ab [275] .. 279 [15: 12.4] Aline [v] das gefällt es mir nicht mehr . also ich kenne "mich [276] .. Aline [v] . deshalb also lieber ein bischen früher als . zu spät [277] .. 280 [15: 12.4] 281 [15: 18.5] Aline [v] # ja das ist wie: ich [278] .. 282 283 [15: 21.7] Aline [v] funktioniere also ich kenne "mich und . [279] .. Aline [v] lieber so # (I_Aline I, 274-279) 335 vgl. I_Tom I, 401-404 336 vgl. I_Atena III, 45-51, I_Nilesh II, 143-147 337 vgl. I_Aline I, 234-239 Kompatibilität von Portfolioarbeit und Vorkenntnissen & persönlichen Eigenschaften • Selbstbewusstsein & positives Selbstbild • hohe Selbstwirksamkeitserwartung • Selbstständigkeit • offener Umgang mit Fehlern bei Lernenden und Lehrenden • Kreativität • Sprachlernbewusstheit <?page no="291"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 291 Dieses Bewusstsein ist eine für die Portfolioarbeit positive Voraussetzung, besonders wenn die bevorzugte Arbeitsweise mit der Portfolioarbeit kompatibel ist. Trotz aller Unterschiede zwischen den Arbeitsweisen der Lernenden gibt es auch Gemeinsamkeiten. Aline, Atena, Laure und Nilesh geben an, dass sie gerne regelmäßig arbeiten und sich rechtzeitig auf Prüfungen vorbereiten. 338 Aline und Nilesh ist weiterhin gemeinsam, dass sie gewöhnlich unabhängig vom Unterricht Rückmeldungen zu den von ihnen verfassten Texten einholen. 339 Auch Tom und Qian zeigen einige Gemeinsamkeiten. Beide stellen das Portfolio erst kurz vor der Abgabe zusammen, wie sie es auch bei anderen Aufgaben im Studium tun. Bei Tom ist das eine bewusste Entscheidung, 340 bei Qian liegt es daran, dass sie erst im Portfoliogespräch eine Woche vor der Abgabe versteht, wie sie das Portfolio gestalten kann. 341 Beide geben an, Texte üblicherweise nicht zu überarbeiten oder das nur nach einer expliziten Korrektur durch die Lehrerin zu tun. 342 Obwohl allen Studierenden die Rückmeldungen der Lehrerin viel bedeutet, ist der Fokus auf die Lehrerin doch bei Tom und Qian stärker ausgeprägt als bei anderen. Sie legen keinen Wert auf Selbstkorrektur, auch nicht ergänzend zur Korrektur durch die Lehrerin. 343 Darüber hinaus arbeitet Tom gewöhnlich mit geschlossenen, stark wiederholenden Übungen. 344 Bei diesen von Tom und Qian dargestellten Arbeitsweisen handelt es sich um solche, die nicht typisch für die Portfolioarbeit sind (vgl. Kap 2.3). Hier kann ein Indiz dafür vorliegen, dass die erste Gruppe der Studierenden sich besser mit der Portfolioarbeit arrangieren kann als die zweite (vgl. Kap. 9.3.3). Für die Beschreibung der Kompatibilität der Arbeit mit Schreibportfolios und der gewohnter/ bevorzugter Arbeitsweise der Studierenden können demnach die drei folgenden Aspekte berücksichtigt werden: 338 vgl. I_Aline II, 57-68, 253-258, 268-279, I_Aline III, 201-204, I_Atena I, 84- 90, I_Laure II, 80-82, I_Nilesh III, 139-150, auch genannt von der Lehrerin: vgl. I_LP II, 230-236 I_LP III, 558-572 339 vgl. I_Aline III, 329-330, I_Nilesh II, 30-33, 111-123; vgl. auch I_Renato II, 90-98 340 vgl. I_Tom I, 131-139 341 vgl. I_Qian III, 124-131 342 vgl. I_Qian I/ II, 86-94, I_Tom I, 278-298 343 vgl. I_Qian I/ II, 122-128, I_Tom I, 225-233 344 vgl. I_Tom II, 266-282 <?page no="292"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 292 Abb. 9-24: Kompatibilität von Portfolioarbeit und der gewohnten/ bevorzugten Arbeitsweise 9.3.2.4 Institutionell sowie kulturell geprägte Lerngewohnheiten Unter diesem Überbegriff der institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten fasse ich das, was die Akteur/ innen selbst als Lerntradition beschreiben. Darunter zählen Dinge, die die Studierenden ihrer eigenen Nationalkultur zuschreiben, aber auch Gewohnheiten und Gepflogenheiten im Unterricht, die beispielsweise typisch für eine bestimmte Institution sind. Die Studierenden weisen selbst deutlich auf die Unterschiede zum Unterricht im Heimatland hin, 345 besonders darauf, dass in ihrem jeweiligen Heimatland im Gegensatz zum Kurs Schreiben im Studium alle Fertigkeiten integrativ unterrichtet wurden. 346 Hierbei handelt es sich allerdings um keine Unterschied zwischen dem Unterricht in Deutschland und in anderen Ländern, sondern um die Besonderheiten eines speziellen Kursformats. Den größten Unterschied sehen die Studierenden aber darin, dass bisher im Unterricht das Schreiben eher eine Hausaufgabe war 347 und die Lehrenden gewöhnlich alle Texte kommentierten und korrigierten. 348 Tom beschreibt seine Wahrnehmung, dass in Deutschland deutlich weniger Regeln vermittelt werden 349 und Atena nimmt eine größere Distanz zur Lehrerin wahr als in ihrem Heimatland. 350 Hiermit sind auch die oben dargestellte Inputorientierung sowie die Fokussierung auf die Lehrenden verbunden. Die Rückmeldungen der Lehrerin sind der Orientierungspunkt, wie 345 vgl. I_Renato I, 234-235 346 vgl. I_Aline I, 259-269, I_Atena I, 210-211, I_Laure I, 178-193, I_Qian I/ II, 173-186 347 vgl. I_Aline I, 269-272, I_Laure I, 178-193, I_Renato I, 234-241 348 vgl. I_Aline I, 259-269, I_Atena I, 81-87, I_Atena III, 292-300, I_Laure I, 178- 193, I_Renato I, 86-93 349 vgl. I_Tom I, 374-396 350 vgl. I_Atena I, 212-214 Kompatibilität von Portfolioarbeit und der gewohnten/ bevorzugten Arbeitsweise • Bewusstsein über bevorzugte Arbeitsweisen • Ähnlichkeiten zwischen gewohnten und portfoliotypischen Arbeitsweisen, z.B. regelmäßiges Arbeiten und Einholen von Rückmeldungen <?page no="293"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 293 Qian beschreibt: und dann frau wagner macht richtig. 351 Auch sonst wird die Lehrerin als autoritäre Instanz wahrgenommen, obwohl sie sich immer wieder auch in die Rolle einer Lernbegleiterin begibt (vgl. Kap. 8.2.2.3). Die Studierenden gestalten das Portfolio nach Hinweisen der Lehrerin 352 und erwarten von ihr die Vermittlung von Lerninhalten. Neben diesen Gewohnheiten aus früheren Unterrichtssituationen kommt auch immer wieder die Idee der institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten auf. Die Lehrerin beschreibt beispielsweise, welche Eigenschaften sie für förderlich hält und bei welchen Studierenden sie das am deutlichsten sehen kann. Sie greift die zuvor ausgeführte offene Herangehensweise, die Kreativität und das Arbeiten ohne strikte Vorgaben auf und sieht das bei den Studierenden aus Frankreich am deutlichsten. Damit sind nicht nur Laure und Aline gemeint, sondern auch ein weiterer Student, der nicht an der Studie teilnahm. LP [v] als o . d e s ist . j a vielleicht s o ist [457] .. LP [v] vi e ll e i c ht s c hwi e rig z u e rkl ä r e n ( s nl) i c h will d a a u c h [458] .. LP [v] k e i n e s t e r e o t yp e h e r vo r h o l e n o d e r s o * a b e r ic h m e r k [459] .. LP [v] es schon dass es .. vielleicht auch aufgrund von [460] . . 309 [20: 52.4] LP [v] b e s timmt e n l e r ntr a ditio n e n we il j e t z t z u m b e i s p i e l d i e [461] .. LP [v] b e i d e n e n = s r i c h t i g g u t l ä u ft s i n d a u s fr a n k r e i c h s a g [462] . . 310 [20: 52.4] 311 LP [v] ich j e tzt mal ' d a s s die d a a uch scho n a nd e r s a n [463] . . 312 313 LP [v] d i e s a c h e r a n g e h e n o ffe n e r und die die aus ner [464] .. LP [v] a n d e r e n l e r n t r a d i t i o n k o m m e n v / . ä h m . w o = s m e h r [465] . . 314 315 I [v] m h m LP [v] vor ga b e n gib t j a ' die haben da probleme mehr [466] . . 316 317 LP [v] probleme mit kreativ ranzuge he n o d e r ü b e r h a u p t 351 vgl. I_Qian III, 64-65 352 vgl. I_Atena III, 106-107, I_Qian III, 46-48, I_Renato III, 49-53 <?page no="294"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 294 [467] . . 318 319 LP [v] ne idee dafür zu bekomme n (I_LP II, 456-467) Auch Qian weist auf ländertypische Merkmale hin, wenn sie Vergleiche zum Unterricht in China zieht und damit ihre Schwierigkeiten begründet. Sie nimmt einen Konflikt zwischen ihren Lerngewohnheiten und dem Unterricht im untersuchten Kurs wahr und stellt die Situation in ihrem Heimatland aus ihrer Sicht so dar, dass dort im Unterricht Diskussionen unüblich sind, keine Fragen gestellt werden und dass Probleme immer alleine bewältigt werden, um die Lehrerin nicht zu stören. Sie nimmt den Unterricht in Deutschland als sehr fremd wahr. Sie weiß, dass sie sich an Diskussionen beteiligen und die Lehrerin wegen der Schwierigkeiten bei der Portfolioarbeit ansprechen sollte, aber ihr fehlt der Mut. Sie beschreibt, dass sie sich unfähig fühlt, ihre Gewohnheiten hinter sich zu lassen. 353 Qian [v] # ( s nl) " wir " wir * gl a u b e n . e s s tör t [224] . . 240 [17: 36.6] Qian [v] die lehrerin . u n d d e s h a lb wir " s e lt e n fr a g e n in kur s [225] 241 [17: 41.0] I [v] ic h v e r s te h e . u n d d u me rk s t d a s s e s in d e ut s c hl a nd [226] . . 242 [17: 44.5] 243 [17: 44.5] I [v] anders ist' wie ist d a s für dich ' Qian [v] ( snl) ja a nd er s * # es [227] . . 245 [17: 49.4] I [v] fragst du manchmal auch eine lehrerin' Qian [v] geht gut # [228] 246 [17: 49.4] 247 [17: 52.2] I [v] okay # "würdest du manchmal gerne Qian [v] # niemals [229] . . 248 [17: 54.4] 249 [17: 55.1] I [v] fragen' # Qian [v] ic h pro b ie r e n . ic h h a b e ke in e mut # [230] 250 [18: 00.9] Qian [v] vi ell eic ht .. wir ha b e n z wa nz ig j a hr d ie kur s " so " s o [231] . . 251 [18: 04.4] 252 [18: 04.4] I [v] mhm Qian [v] lernen und . es ist schwer für mich .. zu 353 vgl. I_Qian I/ II, 209-232 <?page no="295"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 295 [232] . . 253 [18: 10.6] Qian [v] ändern (I_Qian I/ II, 223-232) Es wird deutlich, dass Qian nicht den Mut hat, die Lehrerin anzusprechen, um ihre Fragen zu klären. Gleichzeitig fällt in der Darstellung auf, dass sie auch die Unterrichtsgestaltung in diesem Kurs anders wahrnimmt als den bisher besuchten Unterricht und dass Qian die Diskussionen der Studierenden untereinander, die die Lehrerin wünscht, nicht gewohnt ist. I [v] mhm Qian [v] dis ku s sio n e n gibt e s nic ht so vie l e und es [239] . . 261 [18: 39.8] I [v] (ls) ah ja okay * Qian [v] gib t keine s t ud e nte nfr a g e n . se lte n [240] 262 [18: 43.3] Qian [v] sie sie immer wenn sie habe fragen . sie immer [241] . . 263 [18: 47.5] I [v] ah mhm . das Qian [v] d e nk e n u n d vi ell e ic ht n a c h d e m kur s [242] . . 264 [18: 51.7] I [v] ist wir klic h inter e s s a n t Qian [v] äh: . sehr .. äh . [243] . . 265 [18: 56.7] I [v] j a . d a s s ti m mt . u n d d e s h a lb k a n n s t Qian [v] u nt e r s c hi e d lic h [244] . . I [v] d u d i e l e h r e r i n a u c h n i c h t fr a g e n wa s e i n p o r t f o li o [245] . . 266 [19: 04.4] I [v] ist od er ' Qian [v] # j a . ic h k a n n nic ht . ic h a u c h d e n k e n . wi e [246] . . Qian [v] wie wie kann ich machen . ich weiß nicht . mit [247] . . Qian [v] p o r t f o li o . i c h h a b e g a r . i c h h a b e k e i n e m e i n u n g . [248] . . Qian [v] u n d d a n n ic h h a b e k e i n e mu t d i e l e h r e r i n z u fr a g e n (I_Qian I/ II, 215-225) <?page no="296"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 296 Auch wenn es innerhalb einzelner Länder Gemeinsamkeiten in den Lerngewohnheiten gibt, so sind Verallgemeinerungen doch nicht zielführend, vor allem nicht, wenn sie auf Nationalkulturen bezogen werden. Viel stärker wird allerdings deutlich, dass ausnahmslos alle Akteur/ innen eine Tendenz genau dazu aufweisen und damit eigene Erklärungsansätze schaffen. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass es in Ländern, aber auch an Institutionen und auch bei einzelnen Lehrenden Vorgehensweisen gibt, an die Lernende gewöhnt sind und die mehr oder weniger gut auf Portfolioarbeit vorbereiten. Das bedeutet allerdings nicht, dass nur Studierende aus den Kontexten, in denen ähnlich gearbeitet wurde, erfolgreich sein können. Andere Studierende benötigen evtl. andere Hilfestellungen, um in die ungewohnte Arbeitsweise hineinzufinden. Folgende Gewohnheiten erleichtern den Zugang zur Portfolioarbeit (vgl. Abb. 9-25): Abb. 9-25: Kompatibilität von Portfolioarbeit und institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten 9.3.2.5 Erhöhung der Kompatibilität durch die Lernenden Neben den vier konkreten Formen der Kompatibilität beinhaltet die Kernkategorie auch zwei Möglichkeiten, die Kompatibilität zu erhöhen. In diesem Kapitel geht es um die Bemühungen, die die Lernenden unternehmen können, um die Kompatibilität zu steigern. Das beinhaltet ihre Fähigkeit und ihre Anstrengungen, sich auf neue Lernwege einzulassen, sich anzupassen und Brücken zu schlagen, um alte und neue Arbeitsweisen zu vereinbaren. Hierunter sind sowohl Anstrengungen zu fassen, die die Studierenden ungeachtet ihrer Voraussetzungen und persönlichen Eigenschaften unternehmen können, als auch Fähigkeiten, die vorausgesetzt werden, die aber auch gefördert werden können. Um sich auf die fremde Arbeitsweise einzustellen und Anpassungen vorzunehmen, sind Mühe und Fleiß hilfreich. Dabei handelt es sich um einen Kompatibilität von Portfolioarbeit und institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten • regelmäßige Reflexionsaktivitäten • Offenheit & Selbstständigkeit • angstfreie Interaktion mit Lehrenden • Interaktion mit anderen Lernenden <?page no="297"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 297 gelingensförderlichen Einfluss, 354 der nicht leistungsgebunden und nicht an Vorbedingungen geknüpft ist, sondern von allen Lernenden erbracht werden kann. Ihnen ist bewusst, dass es negative Konsequenzen für sie haben wird, z.B. in Form von schlechten Noten, wenn sie sich nicht viel Mühe geben. 355 Aus Sicht der Lehrerin ist auch eine tiefe Auseinandersetzung „mit Sachen“ wichtig, um mit Portfolioarbeit gut zurechtzukommen. 356 Mit was genau die Auseinandersetzung geschehen soll, wird nicht weiter ausgeführt, daher ist anzunehmen, dass damit sowohl eine Offenheit gegenüber neuen Inhalten und Vorgehensweisen 357 als auch die Bereitschaft zur Reflexion gemeint ist, die auch an anderen Stellen genannt wird. 358 LP [v] also dass da erst=mal so eine grundsätzliche [239] .. LP [v] bereitschaft da ist und . ähm . dass man natürlich auch [240] .. 100 [11: 57.5] LP [v] nicht so eingeschränkt "denktalso dass man [241] .. LP [v] wirklich . "ja dass man sich mit sachen wirklich [242] .. LP [v] auseinandersetzt, . und dadurch dass man halt einfach [243] .. LP [v] "denken, "nachdenken, . (I_LP I, 238-243) Auch die Bereitschaft zur Interaktion wird als Erfolgsfaktor angeführt. 359 Einige Studierende haben großes Interesse daran, voneinander zu lernen und erleben es als förderlich, besonders wenn die Kommiliton/ innen sprachlich stärker sind. 360 Eine weitere Gruppe von gelingensförderlichen Einflüssen ist nicht vollständig von den Lernenden zu steuern. Dabei handelt es sich um deren Motivation, sich mit dem Portfolio auseinanderzusetzen, 361 die wiederum die Mühe beeinflusst, die man sich damit gibt. 362363 354 vgl. I_Aline III, 188-190, I_LP II, 230-236; I_LP IV, 76-83, I_Tom I, 152-153 355 vgl. I_Tom II, 205-208 356 vgl. I_LP I, 239-243 357 vgl. I_LP I, 227-228, I_LP II, 474-476 358 vgl. I_LP I, 227-228; I_LP II, 372-378 359 vgl. I_LP I, 230-233, 309-310 360 vgl. I_Atena I, 120-125 361 vgl. I_LP I, 239-244 362 vgl. I_Tom I, 147-149 <?page no="298"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 298 Darüber hinaus nennt die Lehrerin Freiwilligkeit als weiteres Kriterium, was allerdings bei einem verpflichtenden Teil des Unterrichts, der gleichzeitig die Leistungsvorlage darstellt, paradox erscheint. Betrachtet man die Darstellung genauer, ist darunter eher intrinsische Motivation und Begeisterungsfähigkeit zu verstehen: LP [v] klar soll das auch [26] .. LP [v] was . "freiwilliges sein und dann bringt=s ja auch [27] .. LP [v] glaub ich am meisten was wenn die sich da wirklich [28] .. LP [v] "gerne hinsetzen . und gerne dran weiterarbeiten (snl) [29] .. LP [v] und so weiter * (I_LP VI, 25-29) Eng damit verbunden ist die von der Lehrerin genannte Bedingung, einen Nutzen oder Sinn in der Portfolioarbeit zu sehen, was die Studierenden nur in Abhängigkeit von der Sinnzuschreibung der Lehrerin vornehmen können. 364 LP [v] (lt) also ich hatte den eindruck* .. ähm ... (lgs) je [179] .. LP [v] konkreter die ne vorstellung davon haben wie ihr [180] .. LP [v] portfolio aussehen solldesto mehr sehen die einen [181] .. LP [v] sinn da/ darin in den texten die sie schreibenwie sie [182] .. LP [v] die überarbeitendenn ich bekomm jetzt [183] .. LP [v] interessanterweise auch "mehr texte zugeschickt, (I_LP II, 178-183) 363 Dabei gehe ich davon aus, dass Motivation nicht von einer Person alleine erzeugt werden kann, sondern aus einem Zusammenspiel von Motiv und Anreiz entsteht und damit situativ eingebunden ist (vgl. Rheinberg 2004: 32). 364 vgl. I_LP II, 178-183, I_LP III, 558-572 <?page no="299"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 299 Dieses Verständnis der Aufgabe ist die Hauptvoraussetzung für erfolgreiche Portfolioarbeit. Hieran schließt sich eine Fähigkeit an, die eine zentrale Kategorie im Datenmaterial darstellt und unerlässlich ist, um Kompatibilität herzustellen. Es ist die Fähigkeit, sich die Portfolioarbeit zu eigen zu machen, was beinhaltet, eine eigene Sinnzuschreibung vorzunehmen und die von der Lehrerin offen konzipierte Portfolioarbeit nach den eigenen Zielen, Stärken und Bedürfnissen 365 auszugestalten. Es handelt sich um einen Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Beispiele für die Aneignungsprozesse sind Atenas mehrfaches Überarbeiten, weit über das Geforderte hinaus, oder Alines Gestaltung des Portfolios und besonders des Lerntagebuchs, um es an ihre Arbeitsweise anzupassen. Aline [v] also: ich glaube [230] .. Aline [v] diese lernjournal aber nicht die die selbe form und [231] .. 229 [13: 45.6] Aline [v] so weiter . ich werde es ein bischen andere machen [232] .. 230 231 Aline [v] . werde mein portfolio also sein (I_Aline I, 229-232) Sie beschreibt ihre Reflexion des Gelernten und die selbstständige Weiterarbeit, mit der sie sich selbst als individuelle Lernerin und Expertin für ihr eigenes Lernen ins Zentrum rückt. Aline [v] wenn wir zum beispiel . äh also ich habe . in eine [63] .. Aline [v] texte viele fehler gemacht mit ähm . mit der deklin/ [64] .. 70 71 [03: 38.4] Aline [v] mit der deklination und also ich habe mir [65] .. 72 [03: 43.0] Aline [v] gesagt okay ich muss etwas dafür machen [66] 73 [03: 43.0] Aline [v] und ich habe in dieser portfolio eine [67] .. 74 75 [03: 46.3] 76 [03: 48.3] I [v] ah: mhm . Aline [v] deklinationsta"belle wiede: r gemacht um es 365 vgl. I_Aline I, 94-95, I_Aline II, 306-310; I_Aline III, 53, I_Atena III, 49-51 <?page no="300"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 300 [68] .. 77 78 [03: 53.4] I [v] atena hat das auch glaube ich oder' Aline [v] okay ich habe es nich/ ja ja ja sie hat auch ein [69] .. Aline [v] große . und ich habe auch ein kleine gemacht für [70] .. Aline [v] mich weil das ist schrecklich wir machen immer [71] .. 79 80 [03: 59.5] I [v] mhm Aline [v] fehler damit also . wir müssen nicht "nur [72] .. 81 82 [04: 03.1] Aline [v] methoden die wir im . im vorlesung äh [73] .. Aline [v] gemacht haben oder oder gelernt haben . in dieser [74] .. 83 [04: 08.1] I [v] mhm Aline [v] portfolio äh zeigen sondern auch . was "wir [75] 84 [04: 08.1] Aline [v] also gemacht auch haben (I_Aline III, 62-75) Aline erkennt Handlungsbedarf bezüglich der Deklinationen und nimmt eine Tabelle in das Portfolio auf. Sie geht selbstbewusst mit dem Portfolio um und gestaltet es individuell. Auch bei der Einschätzung ihres eigenen Lernzugewinns stellt sie ihr subjektives Empfinden, dass ihre Texte besser geworden sind, in den Vordergrund. 366 Von allen Studierenden ist es Aline, die die Portfolioarbeit am stärksten an ihre eigenen Bedürfnisse anpasst, aber auch Laure, Tom, Qian und Renato 367 tun es, allerdings aus unterschiedlichen Gründen: Laure sucht ähnlich wie Aline das aus, was ihr wichtig erscheint. 368 Tom erklärt, dass er sich nicht viel Mühe bei der Portfolioarbeit geben wird, sondern nur die Teile des Portfolios gestaltet, die für ihn persönlich sinnvoll sind. In seinem reduktionistischen Vorgehen individualisiert aber auch er die Portfolioarbeit. Er legt den Fokus auf die eigenen Bedürfnisse statt auf die vermuteten Erwartungen der Lehrerin: 366 vgl. I_Aline III, 352-353 367 vgl. I_Renato I, 117-122, I_Renato II, 113-122 368 vgl. Laure II, 102-104 <?page no="301"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 301 Tom [v] auf jeden fall aberich werde nicht so vi/ [206] .. 249 250 251 252 [11: 39.7] Tom [v] viele mühe darüber machen nur was ich/ ich [207] .. Tom [v] werde machen was ich fühle was "ich fühle was [208] .. Tom [v] wichtig ist (I_Tom II, 205-208) Es ist nicht ersichtlich, ob Tom bewusst ist, dass die Selektion und Schwerpunktsetzung im Interesse der Lehrerin ist. Trotzdem handelt er entsprechend. Auch Qian verhält sich so, allerdings eher aus der Not heraus, die Anforderungen auch gegen Kursende noch nicht vollständig verstanden zu haben. Sie ist also darauf angewiesen, sich auf ihre eigene Einschätzung zu verlassen und hat eine wertvolle Strategie zur Verfügung, die Aufgabe zu bewältigen. Qian [v] ich weiß nicht wie kann ich . wie kann ich gut [4] . . Qian [v] machen . dann ich mache wie . wie ich glaube ich . [5] . . 6 [16.6] Qian [v] (ls) muss machen * (I_Qian III, 3-5) Indem die Studierenden sich die Portfolioarbeit zu eigen machen, eigene Schwerpunkt setzen und Arbeitsprozesse anpassen, stellen sie eine Kompatibilität her, nämlich zwischen ihren eigenen Bedürfnissen, Zielen und Arbeitsweisen einerseits und den Besonderheiten der Portfolioarbeit andererseits. Auch neben den anderen Eigenschaften und Anstrengung (vgl. Abb. 9- 26) ist diese von besonderer Bedeutung. Abb. 9-26: Fähigkeit der Lernenden, Kompatibilität herzustellen Fähigkeit der Lernenden, Kompatibilität herzustellen • Bereitschaft zur Reflexion • Bereitschaft zur Interaktion • Mühe & Fleiß • Motivation • Fähigkeit, sich die Portfolioarbeit zu eigen zu machen <?page no="302"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 302 9.3.2.6 Anpassung an individuelle Bedürfnisse Dass der Unterricht auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden abgestimmt sein sollte, gilt selbstverständlich nicht nur im portfoliogestützten Unterricht. Die Verständnisschwierigkeiten (vgl. Kap. 9.2.1) und Wahrnehmung von Portfolioarbeit als wenig hilfreich und unangenehm (vgl. Kap. 9.2.3) macht es jedoch umso notweniger, die Maßnahmen zu diskutieren, mit denen die Lehrerin zum Gelingen der Portfolioarbeit beitragen kann. Ein zentraler Aspekt ist die Gestaltung der Rahmenbedingungen, die die Portfolioarbeit handhabbar machen. Dazu zählen einige der in Kapitel 9.2.3.4 zusammengefassten Einflüsse, nämlich der subjektiv als zu bewältigend wahrgenommene Arbeitsaufwand, ausreichend Zeit für die Textproduktion und die Gelegenheit, Portfolioarbeit schrittweise und angeleitet kennenzulernen. Die Organisation des zeitlichen Rahmens ist wichtig, denn für die portfoliobasierte Unterrichtsgestaltung muss Unterrichtszeit aufgewendet werden, und auch für die Gewöhnung der Lernenden an die Portfolioarbeit wird Zeit benötigt. 369 Die Studierenden weisen auch darauf hin, dass der Kurs sich über die komplette Vorlesungszeit erstrecken sollte, weil eine kurze Kursdauer keine Möglichkeit für Entwicklungen gibt, die die Lernenden im Portfolio aufzeigen können. 370 Entsprechend scharf kritisieren sie auch die Unterrichtsausfälle. 371 Zur angemessenen Gestaltung der Portfolioarbeit zählen die Studierenden darüber hinaus die Handhabbarkeit der praktischen Arbeit und heben besonders die Vorteile eines digitalen Portfolios hervor, womit sie sich auf die Zusammenstellung digitaler Artefakte beziehen. 372 Eine wichtige Aufgabe der Lehrerin ist es, Ziele und Arbeitsweisen des Portfolioeinsatzes verständlich zu machen. Die Studierenden, die schon früh eine klare Vorstellung von den Anforderungen und den Gestaltungsmöglichkeiten haben, Aline und Renato, sind diejenigen, die im Kursverlauf weitgehend zufrieden sind und ihre Arbeit als erfolgreich erleben. 373 Qian und Atena, die viel Mühe mit dem Verstehen der Portfolioarbeit bzw. deren Zielen haben, erleben auch die Portfolioarbeit zunächst als weniger zufriedenstellend. 374 Tom bildet eine Ausnahme. Um die Anforderungen besser zu 369 vgl. I_Qian I/ II, 53-55, I_LP IV, 93-96, 179-182 370 vgl. I_Laure III, 134-135, I_Nilesh III, 113-116 371 vgl. I_Aline III, 110-111, 390-400, I_Laure III, 10-17, 134-135, I_Nilesh III, I_Renato II, 21-25, I_Renato III, 161-167 372 vgl. I_Aline III, 165-171, I_Qian III, 169-174, I_Nilesh III, 31-32 373 vgl. Aline I, 240-246, I_Renato III, 37-44 374 vgl. I_Atena I, 104-121, I_LP II, 254-256, I_LP III, 253-252, I_Qian I/ II, 133- 138 <?page no="303"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 303 verstehen, fordern die selbstständigeren Studierenden die Lehrerin auf, Beispielportfolios zur Verfügung zu stellen. 375 Im Unterricht, der in der Zielsprache stattfindet, ist das Verstehen auch an die Sprachkenntnisse gebunden, so dass die Studierenden mit besseren Deutschkenntnissen die Erklärungen besser verstehen können, wobei am Beispiel von Renato, der schwächere Kenntnisse hat, sich aber dennoch gut zurechtfindet, deutlich wird, dass hier kein kausaler Zusammen besteht. Die Lehrerin sieht es ebenfalls als ihre Aufgabe, die Studierenden im Verständnis und im Prozess anzuleiten. Sie erklärt, dass sie „Hilfestellungen“, „Anschub“, „Anstoß“ und „Anleitung“ 376 benötigen und führt das darauf zurück, dass die Studierenden Mühe mit der ihnen fremden Portfolioarbeit haben, sie eine kleinschrittige und transparente Anleitung benötigen. Das kommt dem Wunsch nach Hilfestellungen der Studierenden entgegen. 377 Dieser Aspekt knüpft an die klare und transparente Darstellung aus Kapitel 9.2.3.4 an, aber auch an ganz konkrete Aktivitäten, beispielsweise die Bewusstmachung möglicher Lernziele über Beispiele von Selbsteinschätzungsbögen (vgl. Kap. 9.2.2.1), die aber auf die Zielgruppe abgestimmt sein sollten. Im Gegensatz dazu steht, dass die Lehrerin einen gelingensförderlichen Einfluss dann gegeben sieht, wenn den Studierenden Freiheiten gelassen werden. Daher möchte sie sie „nicht in eine bestimmte Richtung drängen“. 378 Im Laufe des Kurses verlagert sich die Gewichtung. Die Freiheiten nehmen zugunsten einer Aufwertung der Hilfestellungen ab, die sich für die Lernenden als wichtiger erweisen. Die gegebenen Freiheiten bedeuten gleichzeitig, dass die Lehrerin eine zurückhaltende Rolle einnimmt (vgl. Kap. 8.2.2.3). Auf die Lernenden hat dies unterschiedliche Wirkungen, denn sie nehmen eine positive Atmosphäre wahr und geben gleichzeitig an, dass sie verunsichert sind: Atena [v] na also das ist das [278] .. Atena [v] "gutes also ich hab das gefühl im kurs ist sie immer [279] .. Atena [v] sie will "höflich sein sie will nicht uns da/ zu [280] .. Atena [v] etwas ähm zwingen sprechen sie sie "mussen 375 vgl. I_Laure III, 117-121, I_LP II, 122-129 376 vgl. I_LP I, 256-260, 280-283, I_LP II, 335-336, 370-374, 383-385, I_LP III, 200-209, 558-572, I_LP IV, 32-35, 93-96, 179-182 377 vgl. I_Nilesh I, 88-89, 159-162, 173-175, I_Tom I, 343-319 378 vgl. I_LP I, 256-260 <?page no="304"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 304 [281] .. Atena [v] antwort geben oder sie "mussen was schreiben, das [282] .. 262 263 [17: 06.8] I [v] mhm Atena [v] ist ... ergendwie gutwir "fühlen uns gut- [283] .. Atena [v] wir sind nicht nervös aber ergendwie ist es/ ich [284] .. Atena [v] "will .. ein kommentar kriegen ich will wissen was [285] .. 264 [17: 06.8] 265 [17: 09.0] I [v] ah ja okay Atena [v] sie von mir will ich/ ich hab kein gefühl [286] .. 266 [17: 11.1] Atena [v] dafür (I_Atena III, 277-286) Die Zurückhaltung löst bei den Studierenden Unsicherheit aus, die die Portfolioarbeit beeinträchtigt. Auch die Konfrontation mit neuen Elementen der Portfolioarbeit im Unterricht hat eine verunsichernde Wirkung. Qian fühlt sich beispielsweise durch die Qualität der vorgelegten Beispielportfolios eingeschüchtert und glaubt nicht, das selbst auch leisten zu können. 379 Auch die Vergleichssituation in peer feedback und Portfoliogespräch wird als verunsichernd wahrgenommen (vgl. Kap. 9.2.2.3, 9.2.2.4). 380 Unsicherheit verursachen außerdem verschiedene Abläufe im Unterricht, beispielsweise Kommunikationsprobleme zwischen Lehrerin und Studierenden. 381 Diese ergeben sich vor allem dann, wenn die Lehrerin die Portfolioarbeit erklärt. Es fallen Passagen auf, in denen sie lange Erklärungen mit einer hohen Informationsdichte anbietet, auf die die Lernenden aufgrund von Verständnisschwierigkeiten nicht reagieren. 382 Die Verunsicherung reicht bis zu Selbstzweifeln, ob man im Kurs oder gar in Deutschland sein sollte. 383 Unsicherheit ist damit als ein zentraler störender Einfluss auf die Portfolioarbeit und deren Empfinden durch die Studierenden zu benennen. Die Aufgabe der Lehrerin ist es, den Lernenden Sicherheit zu vermitteln. 379 vgl. I_Qian I/ II, 100-102 380 vgl. I_Atena I, 129-136, 148-149, I_Atena III, 111-115 381 vgl. I_Aline I, 216-229, I_Nilesh I, 139-141, 217-223 382 vgl. z.B. UB 1, 298-334, I_Atena II, 138-144, I_Atena III, 177-186, 200-209, I_Renato I, 199-203 383 vgl. I_Atena II, 4-32 <?page no="305"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 305 Dazu zählt es auch, sie ernst zu nehmen und eine berechenbare, faire Leistungsfeststellung zu gewährleisten (vgl. Kap. 9.2.3.4). Auch die Unterrichtsgestaltung kann dazu beitragen, Kompatibilität herzustellen (vgl. Kap. 9.3.2.6). Darüber hinaus erweist es sich aber auch als zielführend, wenn die Portfolioarbeit und die Unterrichtsgestaltung eng verbunden sind bzw. es ist gelingenshemmend, wenn das nicht der Fall ist. Diese fehlende Verbindung wird sichtbar, wenn die Studierenden die Unterschiede zwischen der gewünschten Arbeitsweise und der Portfolioarbeit betonen. Tom erläutert, dass er einige Texte in verschiedenen Versionen sammeln und aufbewahren möchte, um sie später noch einmal anzusehen. Er sagt, er mache das, weil es für ihn sinnvoll sei, grenzt sich aber gleichzeitig entschieden von der Portfolioarbeit ab. 384 Diese Ablehnung und Unterscheidung wird an mehreren Stellen deutlich. Obwohl sich die gewohnte Arbeitsweise kaum von der geforderten unterscheidet, empfinden die Studierenden die Portfolioarbeit als zusätzlich, überflüssig und unangenehm. 385 Qians Beschreibung ihrer üblichen Arbeitsweise ist der Portfolioarbeit sogar so ähnlich, dass ich als Interviewerin zunächst nicht sicher bin, wovon sie spricht. Zunächst stellt sie dar, was sie sich wünscht, nämlich das Schreiben, Feedback darauf und die Reflexion, die sie üblicherweise sogar verschriftlicht: Qian [v] ich ich ich . ich will die [106] . . Qian [v] schreibung . die die text schreibung und die leh/ [107] . . 116 [08: 27.9] 117 [08: 27.9] I [v] ( l s ) m h m * Qian [v] le hr e rin korrigie r t und dann ich ich [108] . . Qian [v] n a c h s e h e n " w o i s t d i e p r o b l e m u n d d a n n i c h h a b e [109] . . Qian [v] al/ alle .. dann ich habe eine papier oder ein äh: . [110] . . Qian [v] buch . und ich schreiben diese ist mein problem [111] 118 [08: 43.5] 119 [08: 43.5] Qian [v] d i e p r o b l e mz u s a m m e n fa s s u n g . a n . . a u f d i e [112] . . 120 [08: 49.5] 121 [08: 49.5] I [v] mhm Qian [v] p a p i e r v i e l l e i c h t e i n e w o c h e v i e l l e i c h t j e d e 384 vgl. I_Tom II, 348-363 385 vgl. z.B. I_Qian I/ II, 104-113, I_Tom II, 211-212, 222-248 <?page no="306"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 306 [113] .. Qian [v] z we i wo c h e a l s o a ll e e i n m a l o d e r z we i wo c h e n u n d [114] .. Qian [v] ich ich . vorsehen . und dann verbesser ich die [115] . . 122 [08: 59.1] 123 [08: 59.1] I [v] o k a y . mh m Qian [v] s c h r e ib u n g ic h gl a u b e s o ko s t e t f ür mic h [116] . . Qian [v] nicht so viel zeit und äh und kann auch . die [117] Qian [v] s c hr e ib u n g . v e r b e s s e r n (I_Qian I/ II, 105-117) Es folgt eine Passage, in der ich das Gesagte spiegle, um das Verständnis zu sichern und Qian bestätigt, dass sie den Prozess genauso sieht. Auf meine Frage, ob es sich dabei um ihr normales Vorgehen handelt oder ob sie Portfolioarbeit beschreibt, antwortet sie, dass es ihre normale Arbeitsweise sei. I [v] u n d d a s i s t wi e d u e s n o r " m a l e r w e i s e m a c h s t o d e r [130] . . I [v] wie du es jetzt für das "portfolio machen sollst' [131] 143 [10: 01.2] 144 [10: 01.2] I [v] a h o k a y mh m . u n d ä h : m . wa s s o ll s t Qian [v] n o r m a l e r we i s e [132] . . I [v] du dann für das portfolio machen' was ist für das [133] . . 145 [10: 12.3] I [v] p ortfo lio a nd er s ' Qian [v] . (ls) portfolio # .. portfolio für [134] . . 146 [10: 12.3] 147 [10: 19.4] I [v] mhm Qian [v] mic h i s t s c h we r z u m a c h e n # # ich ich # * .. [135] 148 [10: 21.5] 149 [10: 27.3] I [v] gla ub st du e s ko ste t viel zeit ' Qian [v] .. zur zeit ich habe [136] . . 150 [10: 32.7] 151 [10: 34.9] Qian [v] k e in e k e in e " me in u n g wir klic h "wie . "wie [137] . . 152 [10: 37.2] I [v] ah okay . es ist dir noch nicht Qian [v] ge ht e s mit p ortfoli o <?page no="307"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 307 [138] . . 153 [10: 39.1] I [v] ga nz kla r ' Qian [v] j a nicht ga nz kla r . nicht so kla r (I_Qian I/ II, 129-138) Auf die Frage, was diese Vorgehensweise von der Portfolioarbeit unterscheide, wird deutlich, dass weder die Zielsetzung der Portfolioarbeit insgesamt noch der konkrete Arbeitsauftrag verstanden wurde. Das Portfolio wird nicht als etwas betrachtet, was organisch aus dem Kursgeschehen und der täglichen Arbeit entsteht und den Arbeitsprozess unterstützt, sondern etwas, das zusätzlich und davon losgelöst besteht (vgl. Kap. 9.2.1). Die Lehrerin wählt im Unterricht zwei verschiedene Erklärungsansätze zur Verbindung von Portfolioarbeit und Unterricht: Einerseits erklärt sie, dass das Portfolio eine begleitende Funktion hat und die Materialien aus dem Unterricht genutzt werden können. 386 An anderen Stellen verdeutlicht sie den Mehrwert des Portfolios aber mit der Erklärung, dass im Kurs nicht nur das Schreiben gelernt und Textsortenwissen erworben wird, sondern dass die Studierenden durch das Portfolio den eigenen Schreibprozess besser verstehen und eigene Texte einschätzen lernen sollen. 387 Diese Darstellung kann so verstanden werden, dass das Portfolio und die metakognitiven Lernziele zusätzlich zum Kurs angeboten werden. Auch die Betonung der selbstständigen Arbeit verstärkt den Eindruck, dass es eine zusätzliche Aufgabe ist, beispielsweise wenn der Selbstschätzungsbogen nach der sechsten Sitzung alleine bearbeitet werden soll (vgl. Kap. 7.1.3.2). Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Anpassung der Portfolioarbeit an die Bedürfnisse der Lernenden durch die Lehrenden in sechs verschiedene Bereiche unterteilt werden kann (vgl. Abb. 9-27): 386 vgl. UB 1, 17, 154-156, 176-177, I_LP II, 41-48 387 vgl. UB 1, 29-35 <?page no="308"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 308 Abb. 9-27: Anpassung der Portfolioarbeit an Bedürfnisse der Lernenden 9.3.3 Kernkategorie Kompatibilität im Überblick Zusammenfassend lassen sich die gelingensförderlichen und gelingenshemmenden Einflüsse, die auf Portfolioarbeit wirken, also unter der Kernkategorie Kompatibilität zusammenfassen. Darunter fallen vier Formen der Kompatibilität, nämlich die der Portfolioarbeit mit a) den Zielen und Erwartungen der Lernenden, b) ihren Vorkenntnissen und persönlichen Eigenschaften, c) ihrer bevorzugten Arbeitsweise und d) der Art des Unterrichts, den sie gewohnt sind. Darüber hinaus können zwei Wege zur Erhöhung der Kompatibilität herausgearbeitet werden, die sich einmal auf das Handeln der Lehrenden und einmal auf das Handeln der Lernenden beziehen, wobei auch hier von einer wechselseitigen Beeinflussung auszugehen ist. Die Lehrenden brauchen Hinweise von den Lernenden, um die Portfolioarbeit und den Unterricht insgesamt auf ihre Bedürfnisse abzustimmen. Die Lernenden benötigen wiederum Anleitung dabei, sich das Portfolio zu eigen zu machen, um offen und engagiert damit zu arbeiten. Der Begriff der Kompatibilität ist deshalb treffend, weil er genau dieses Aufeinander- Zubewegen vor Augen führt. Eine Besonderheit der gelingensförderlichen Einflüsse ist die, dass Portfolioarbeit dann als erfolgreicher wahrgenommen wird, wenn verschiedene Faktoren zusammenspielen. Liegen in einigen Bereichen eher ungünstige Voraussetzungen vor, müssen von den Akteur/ innen größere Anstrengungen unternommen werden, um die Vereinbarkeit zu verbessern. Eine allgemein günstige Unterrichtsgestaltung ist besonders dann gegeben, wenn die Portfolioarbeit eng auf den Unterricht abgestimmt ist, mit einer großzügigen Zeitplanung und einer handhabbaren Form des Portfolios (z.B. als digitales Portfolio), die Rahmenbedingungen angenehm sind und eine detaillierte Anleitung sowie ausreichend Hilfestellungen gegeben werden. Außerdem sollte die Lehrerin die Unsicherheit der Lernenden, die Anpassung der Portfolioarbeit an Bedürfnisse der Lernenden • großzügige Zeitplanung • technische Handhabbarkeit • ausreichend Hilfestellungen • Verständnis sicherstellen • Abbau von Unsicherheiten • enge Abstimmung von Unterricht und Portfolioarbeit <?page no="309"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 309 durch die Konfrontation mit einem neuen Instrument entsteht, auffangen. Es ist dieses Entgegenkommen der Lehrenden und das Ernstnehmen der Lernenden, was zu einer Wahrnehmung als eher hilfreich und angenehm führt (vgl. Kap. 9.2.3). Eine hohe Vereinbarkeit von Portfolioarbeit mit den individuellen Zielen und Erwartungen der Lernenden ist zu erwarten, wenn eine Vielzahl von unterschiedlichen Zielen und Erwartungen im portfoliogestützten Unterricht Platz finden, wie es auch im untersuchten Kurs der Fall ist. Da Portfolioarbeit nicht nur auf die Verbesserung der Sprachfertigkeit, sondern auch auf die Entwicklung metakognitiver Fähigkeiten abzielt, ist es günstig, wenn die Lernziele der Studierenden sich nicht auf eine Ebene beschränken, wie es beispielsweise bei Tom der Fall ist, der sich sprachlich verbessern und seine Sprachkenntnisse anwenden möchte, aber kein Interesse am Erlernen von Strategien oder Wissen über Textsorten hat. Gleichzeitig muss in der Portfolioarbeit ein sinnvolles Verhältnis von Spracharbeit und metakognitiven Elementen erkennbar sein, wobei die Verbesserung der Sprachkenntnisse jeweils das übergeordnete Ziel ist. Ein sinnvolles Verhältnis ist auch beim lehrerseitigen Input und bei den selbstständigen Erarbeitungsphasen der Lernenden wünschenswert. Darüber hinaus gilt, dass die Lernzuwächse für die Lernenden sichtbar sein müssen, wofür das Portfolio gut geeignet ist. Aber auch die Möglichkeiten für die Weiterentwicklung, vor allem in Bereichen, die bisher nicht im Fokus der Lernenden lagen (Stichwort: potenzielle Lernzuwächse), müssen deutlich erkennbar sein. Darüber hinaus verlangt Portfolioarbeit einige Vorkenntnisse und persönliche Eigenschaften, über die die Lernenden im Idealfall schon vorab verfügen. Dazu gehören Kreativität, Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und ein positives Selbstbild, Sprachlernbewusstheit und eine offene Haltung gegenüber Fehlern, die oft mit dem Selbstbewusstsein einher geht. Selbstbewusste Lernende können die Unsicherheit, die durch die Fremdheit der Portfolioarbeit entsteht, besser kompensieren, haben eine größere Bereitschaft, ihr Portfolio zu präsentieren und in den Austausch mit anderen zu treten und sehen häufig auch Fehler eher als einen notwendigen Teil des Lernprozesses und als Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Als selbstständige, sprachlernbewusste und kreative Lernende können sie das Portfolio leichter gestalten und die Freiheiten, die der portfoliogestützte Unterricht lässt, für ihre Bedürfnisse nutzen. Gleichzeitig handelt es sich bei der Selbstständigkeit und bei der Sprachlernbewusstheit auch um Fähigkeiten, die durch die Portfolioarbeit entwickelt werden sollen. <?page no="310"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 310 Hieran schließen sich verschiedene bevorzugte Arbeitsweisen der Lernenden an, die mehr oder weniger gut zur Portfolioarbeit passen. Für die Reflexionen, aber auch für die Gestaltung der Portfolioarbeit ist es förderlich, wenn die Lernenden sich ihrer bevorzugten Arbeitsweisen bereits bewusst sind. Wenn sie ohnehin gerne regelmäßig arbeiten und sich gerne Rückmeldungen von anderen einholen, ist in diesem Bereich keine große Anpassung an die Portfolioarbeit nötig. Neben den individuellen Lerngewohnheiten gibt es auch institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten oder Lernsozialisationen, die die Lernenden beeinflussen. Wenn der in der Vergangenheit erfahrene Unterricht dem portfoliogestützten Unterricht ähnelt, sind geringere Anstrengungen bei der Anpassung zu erwarten. Dazu zählen Vorerfahrungen mit der Reflexion, ein offener Unterricht, der selbstständiges Handeln verlangt, die Zusammenarbeit und Interaktion mit den Mitlernenden sowie eine bedarfsorientierte Interaktion mit den Lehrenden, anders als beispielsweise bei Qian, die es nach eigenen Angaben nicht gewohnt ist, der Lehrerin Fragen zu stellen oder sie um Hilfe zu bitten. Es ist davon auszugehen, dass die Kompatibilität in diesen Bereichen bei allen Lernenden unterschiedlich hoch ist und sich auch die einzelnen Bereiche stark unterscheiden. Unabhängig davon haben alle Lernenden die Möglichkeit, die Kompatibilität zu erhöhen, wenn sie über die Bereitschaft zur Reflexion und zur Interaktion verfügen, Mühe und Fleiß investieren und motiviert sind. Die wichtigste Möglichkeit, um die Kompatibilität herzustellen, besteht allerdings darin, sich die Portfolioarbeit zu eigen zu machen, indem eigene Schwerpunkte gesetzt werden und das Instrument an die individuellen Bedürfnisse angepasst wird. Ein Beispiel für eine hohe allgemeine Kompatibilität zeigt Aline. Ihre gewohnten Arbeitsweisen passen gut zur Portfolioarbeit, und sie ist aus ihrem vorherigen Unterricht selbstständiges Arbeiten und die Reflexion des eigenen Lernens gewohnt. Sie verfügt über Kreativität und ist sich ihres eigenen Lernverhaltens bewusst. Ihre Erwartungen an den Kurs werden nicht voll erfüllt, 388 aber sie begegnet der Situation mit einer großen Offenheit und zieht für sich den größtmöglichen Nutzen daraus, beispielsweise indem sie Feedback von der Lehrerin einfordert, wenn es ihr hilfreich erscheint, oder indem sie das Lerntagebuch auf eine Art und Weise gestaltet, die deutlich von den Vorgaben abweicht, aber für sie sinnvoll ist. Sie nutzt die gegebenen Möglichkeiten, und auch die Lehrerin weiß dieses Vorgehen zu schätzen. 389 Laure und Nilesh weisen Eigenschaften auf, die gut mit der 388 vgl. FB_Aline 389 vgl. I_LP III, 146-248, I_LP IV, 387-390 <?page no="311"?> 9.3 Gelingensförderliche und -hemmende Einflüsse 311 Portfolioarbeit zu vereinbaren sind, lassen sich auf neue Vorgehensweisen ein und sind relativ zufrieden mit der Portfolioarbeit. In Toms Fall ist die Kompatibilität sowohl bei den Lernzielen als auch bei den bevorzugten Arbeitsweisen gering. Auch seine persönlichen Eigenschaften beschreibt er als nicht gut zu vereinbaren (z.B. wenig Kreativität). Er bleibt unzufrieden mit der Portfolioarbeit und mit dem Kurs insgesamt. Qian hat bis zur letzten Kurswoche große Mühe, sich damit zu arrangieren, kommt aber abschließend zu einer positiven Beurteilung. Für sie ist es aufwendiger, ihre Arbeitsweise anzupassen, aber es gelingt ihr. An Atenas Fall wird deutlich, dass es notwendig ist, in allen Bereichen ein Minimum an Vereinbarkeit herzustellen. Während ihre persönlichen Arbeitsweisen sehr passend erscheinen und sie auch sonst über viele günstige Voraussetzungen verfügt, sind ihre Lernziele mit der Portfolioarbeit nicht gut zu vereinbaren, weil ihr Fokus auf der sprachlichen Entwicklung, der der Lehrerin auch auf Reflexion und den Erwerb von Metawissen über Texte sowie von Strategiewissen ausgerichtet ist. Atena schafft es, sich soweit auf die Portfolioarbeit einzustellen, dass sie die gelernten Strategien als Zugewinn betrachtet und am Ende auch positive Gefühle mit der Portfolioarbeit verbindet. Im Vergleich zu Aline ist sie allerdings weniger selbstbewusst und weniger fehlertolerant. Bei Atena gelingt es der Lehrerin außerdem nicht, die Unsicherheit aufzufangen, sondern durch ihr Handeln fühlt sich Atena sogar behandelt wie ein Kind, hat Angst vor einer ungerechten Beurteilung und das Gefühl, dass die Kommunikation mit der Lehrerin nicht gelingt. Die Gewichtung der einzelnen Bereiche ist demnach individuell unterschiedlich, und weitere persönliche Faktoren können selbstverständlich die subjektive Wahrnehmung beeinflussen. Dazu zählen persönliche Befindlichkeiten der Akteur/ innen, aber beispielsweise auch die mehr oder weniger große Sympathie zwischen Lernenden und Lehrenden oder Lernenden untereinander. Dennoch bietet die Zusammenstellung zur Kernkategorie Kompatibilität einen Überblick über die zentralen Einflüsse, die auf die subjektive Wahrnehmung des Gelingens von Portfolioarbeit wirken. <?page no="312"?> Fähigkeit der Lernenden, Kompatibilität herzustellen Kompatibilität von Portfolioarbeit und Zielen & Erwartungen vielfältige Ziele & Erwartungen, Offenheit Erkennbarkeit tatsächlicher wie potenzieller Lernzuwächse Berücksichtigung der Erwartung bzgl. Unterrichtsgestaltung Fokus auf Spracharbeit, Begleitung durch metakognitive Elemente Kompatibilität von Portfolioarbeit und Vorkenntnissen & persönlichen Eigenschaften Selbstbewusstsein & positives Selbstbild hohe Selbstwirksamkeitserwartung Selbstständigkeit offener Umgang mit Fehlern bei Lernenden und Lehrenden Kreativität Sprachlernbewusstheit Kompatibilität von Portfolioarbeit und der gewohnten & bevorzugten Arbeitsweise Bewusstsein über bevorzugte Arbeitsweisen Ähnlichkeiten zwischen gewohnten und portfoliotypischen Arbeitsweisen, z.B. regelmäßiges Arbeiten und Einholen von Rückmeldungen Kompatibilität von Portfolioarbeit und institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten regelmäßige Reflexionsaktivitäten Offenheit & Selbstständigkeit angstfreie Interaktion mit Lehrenden Interaktion mit anderen Lernenden Bereitschaft zur Reflexion Bereitschaft zur Interaktion Mühe & Fleiß Motivation Fähigkeit, sich die Portfolioarbeit zu eigen zu machen Anpassung der Portfolioarbeit an Bedürfnisse d. Lernenden (hilfreich & angenehm) großzügige Zeitplanung technische Handhabbarkeit ausreichend Hilfestellungen Verständnis sicherstellen Abbau von Unsicherheit enge Abstimmung von Unterricht & Portfolio 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 312 Abb. 9-28: Gelingensförderliche Einflüsse auf Portfolioarbeit <?page no="313"?> 9.4 Ergebnisse der Teilstudie B im Überblick 313 9.4 Ergebnisse der Teilstudie B im Überblick Die Ergebnisse der Teilstudie B sind vor dem Hintergrund derer der Teilstudie A zu betrachten. Die Gestaltung der Portfolioarbeit ist vor allem durch die oben beschriebene Suche der Lehrerin nach einer guten portfoliobasierten Unterrichtsgestaltung geprägt, was sich im In-Frage-Stellen des eigenen Vorgehens, in der Offenheit und Übergabe von Verantwortung an die Lernenden sowie in Widersprüchlichkeiten ausdrückt. Sie präsentiert das Portfolio in vielen, zum Teil widersprüchlichen Funktionen, so dass zu erwarten ist, dass die Verständlichkeit leidet, die Studierenden gleichzeitig aber dadurch die Möglichkeit haben, eigene Schwerpunkte zu setzen. Dazu kommen die zurückhaltende Rolle der Lehrerin bei der Anleitung und die wenigen Vorgaben. Auch die Fokusverschiebung vom Lerngegenstand Schreiben hin zur Gestaltung des Portfolios ist zu nennen. Die Lehrerin hat hohe Erwartungen an die Lernenden und setzt Freiwilligkeit, Begeisterung und Selbstständigkeit voraus. Das beeinflusst ihre Unterrichtsgestaltung maßgeblich (vgl. Kap. 8). Diese Besonderheiten finden sich auch in der Wahrnehmung der Studierenden wieder. Sie sind ebenfalls unsicher, haben Mühe, die Portfolioarbeit zu verstehen und bedauern vor allem, dass die sprachlichen Inhalte und die Fertigkeit Schreiben zugunsten des organisatorischen Aufwands und der Reflexionsaktivitäten vernachlässigt werden, zumal ihre Erwartungen besonders in diesem Bereich lagen. Aus diesem Grund beurteilen sie die Aktivitäten zur Selbsteinschätzung und das Lerntagebuch eher kritisch: Sie haben Mühe, die Anforderungen zu erfassen und sehen keinen direkten Nutzen für ihr sprachliches Vorankommen. In den Portfoliogesprächen bestätigt sich die Fokusverschiebung hin zu organisatorischen Fragen, weshalb dieser Teil als wenig nützlich beurteilt wird. Gewinnbringend hingegen sind sie bezüglich der Möglichkeit zur Interaktion mit der Lehrerin, die den Lernenden wenig erreichbar erscheint 390 und im Portfoliogespräch Fragen beantwortet und für die nötige Klarheit sorgt. Das peer feedback wird ebenfalls unterschiedlich wahrgenommen. Positiv ist der informelle Austausch mit den Mitlernenden, kritisch ist wiederum die geringe Möglichkeit zur sprachlichen Entwicklung, zumal diese Form der Rückmeldung nicht komplementär zu den Rückmeldungen der Lehrerin eingesetzt werden, sondern diese ersetzen. Gleichzeitig ist aber auch festzuhalten, dass die Offenheit bei der Gestaltung der Portfolioarbeit den Lernenden ermöglicht, dem Portfolio eine 390 vgl. I_Atena I, 212-214 <?page no="314"?> 9 Darstellung der Ergebnisse: Teil B 314 für sie sinnvolle Bedeutung zuzuschreiben und einen eigenen Zugang zu wählen. Schon an der Beurteilung der Einzelelemente wird deutlich, was auch für die Gesamtbeurteilung gilt: Die Einschätzung der Lernenden orientiert sich am Nutzen für ihr eigenes Vorankommen und daran, wie angenehm oder unangenehm die Aktivitäten wahrgenommen werden. Neben der geschlossenen Kritik an der Vernachlässigung des Lerngegenstands ist die Einschätzung der Portfolioarbeit insgesamt sehr unterschiedlich. Studierende, die die Vermittlung von Textsortenwissen und die metakognitiven Elemente im Unterricht schätzen, nehmen Portfolioarbeit eher positiver wahr als andere Studierende, weil hier eine hohe Kompatibilität zwischen Erwartungen und Unterrichtsgestaltung vorliegt. Die Beurteilungen als angenehm hängen vor allem davon ab, wie gut es der Lehrerin gelingt, Sicherheit zu vermitteln und die individuellen Anliegen der Studierenden zu berücksichtigen. Darüber hinaus weicht die anfängliche Ablehnung der Portfolioarbeit alleine durch das Kennenlernen. Dass der Nutzen der Lernenden und der Umgang mit ihren Ängsten bei der Herausarbeitung der subjektiv als gelingensförderlich empfundenen Einflüsse eine zentrale Messgröße ist, leitet sich daraus ab. Um Portfolioarbeit möglichst zufriedenstellend gestalten zu können, ist es vorteilhaft, wenn sie gut mit den Zielen, den persönlichen Eigenschaften, den bevorzugten sowie den gewohnten Arbeitsweisen der Lernenden zu vereinbaren ist. Deshalb ist es notwendig, dass sowohl die Lehrenden als auch die Lernenden Maßnahmen ergreifen, um die Kompatibilität in allen vier Bereichen zu erhöhen. <?page no="315"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse Die Ergebnisse dieser Studie zeigen die Komplexität der Arbeit mit einem Schreibportfolio im Fremdsprachenunterricht und die zahlreichen Einflüsse, die darauf wirken. Mit der detaillierten Analyse der Arbeitsweisen der Akteur/ innen bei der Portfolioarbeit und deren Wahrnehmungen habe ich das Ziel verfolgt, zu einem tieferen Verständnis der Portfolioarbeit im Kontext der Schreibförderung beizutragen. Vor diesem Hintergrund werde ich im Folgenden die in den Kapiteln 8 und 9 dargestellten Ergebnisse miteinander sowie mit dem theoretischen Rahmen in Verbindung setzen (Kap. 10.1). Es folgen Überlegungen zur Reichweite der Ergebnisse (Kap. 10.2) sowie zur Bedeutung für die Unterrichtspraxis (Kap. 10.3). 10.1 Diskussion der Ergebnisse Die in der Einleitung aufgeführte Frage, mit der ich mich dem Thema annäherte, bezog sich darauf, wie Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht bei der Schreibförderung eingesetzt und von den Akteur/ innen wahrgenommen wird. Im weiteren Verlauf wurden die Forschungsfragen präzisiert (vgl. Kap. 5.2). Diese Fragen sind auch leitend für die folgende Diskussion der Ergebnisse: Wie setzt die Lehrerin Portfolioarbeit ein? Wie nehmen Lernende Portfolioarbeit wahr? Welche Einflüsse wirken aus der Sicht der Lehrerin und der Lernenden auf das subjektiv wahrgenommene Gelingen von Portfolioarbeit? Die Ergebnisse der Teilstudie A (vgl. Kap. 8) gruppieren sich um die Kernkategorie Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise, die beschreibt, wie sich die Lehrerin der Portfolioarbeit annähert und sie umsetzt. Kennzeichnend ist ihre Betonung der Lernendenautonomie und die große Offenheit, mit der sie die Portfolioarbeit gestaltet. In der Teilstudie B steht zunächst im Mittelpunkt, wie die Lernenden die Arbeit mit einem Schreibportfolio und dessen einzelne Elemente wahrnehmen, wie ihre Wahrnehmung im Kursverlauf Veränderungen unterliegt und wie sie auf den Kontinua hilfreich - nicht hilfreich und angenehm - unangenehm zu verorten ist. Als Voraussetzung für die subjektiv als gelungen empfundene Portfolioarbeit konnte die Kompatibilität zwischen Portfolioarbeit und Unterrichtsgestaltung einerseits und <?page no="316"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 316 den individuellen Faktoren, Erwartungen und Vorerfahrungen der Lernenden andererseits herausgearbeitet werden (vgl. Kap. 10.1.4). Ferner konnte gezeigt werden, dass sowohl Lehrende als auch Lernende Maßnahmen ergreifen können, um die gegebene Kompatibilität zu erhöhen. Diese Ergebnisse werde ich im Folgenden diskutieren und mit dem in den Kapiteln 2 bis 4 dargestellten theoretischen Rahmen in Verbindung setzen. Dazu beziehe ich mich auf die Bereiche, die hinsichtlich der Forschungsfragen relevant sind, und hebe Aspekte hervor, die im Datenmaterial eine besondere Rolle einnehmen. Bei den Bereichen, die ich vorstelle, handelt es sich deshalb um die Funktionen von Portfolioarbeit (Kap. 10.1.1), die Möglichkeiten und Herausforderungen, die Portfolioarbeit für Lehrende und für Lernende bietet (Kap. 10.1.2 und 10.1.3), Kompatibilität als Gelingensbedingung (Kap. 10.1.4), Portfolioarbeit im Kontext der Schreibförderung (Kap. 10.1.5), portfoliobasierte Leistungsbewertung (Kap. 10.1.6), Selbststeuerung und Autonomie (Kap. 10.1.7), den Umgang mit affektiven Aspekten (Kap. 10.1.8) sowie die Interaktion im Rahmen von Portfolioarbeit (Kap. 10.1.9). 10.1.1 Funktionen der Portfolioarbeit In Tabelle 2-2 (Kap. 2.2.1) wurden die Funktionen dargestellt, die Portfolios in verschiedenen Definitionen und Beschreibungen zugeschrieben werden. Dabei ist unter anderem eine operative Ebene zu identifizieren, die beispielsweise die Sammlung von Artefakten sowie die Dokumentation von Lernprozessen, Lernergebnissen und individuellen Entwicklungen zum Ziel hat. Auf der Basis dieses umfassenden Bildes von der Leistung der Lernenden kann Portfolioarbeit zwei grundsätzlich unterschiedliche Ausrichtungen verfolgen: Als Entwicklungsinstrument dient sie der Reflexion des eigenen Lernens, dessen weiterer Planung sowie langfristig der Entwicklung von Lernendenautonomie. Als Instrument der Leistungsfeststellung bietet das Portfolio eine umfassende Beurteilungsgrundlage und ermöglicht die Berücksichtigung von Lern- und Entwicklungsprozessen. Die Kombination dieser beiden Funktionen ist möglich, wobei sie jeweils unterschiedlichen, klar definierten Phasen zugeordnet werden müssen, um für alle Beteiligten Transparenz darüber zu schaffen, wann Lehrende als „Arzt“ oder „Richter“ auftreten (vgl. Ruf/ Gallin 2005: 1f., vgl. Kap. 2.3.2). All die genannten Aktivitäten und Funktionen von Portfolioarbeit finden sich in dieser Studie in den Darstellungen der Akteur/ innen wieder (vgl. Abb. 9-28). Die Steuerung des Lernprozesses nimmt in den Schilderungen am meisten Raum ein, aber auch zahlreiche andere Ebenen werden themati- <?page no="317"?> 10.1 Diskussion der Ergebnisse 317 siert. Hervorzuheben ist die Rolle des Portfolios als Nachschlagewerk, die die Lehrerin in ihren Ausführungen als Hauptfunktion vorschlägt (vgl. Kap. 8.2.2.5) und die die Lernenden aufgreifen (vgl. Kap. 9.2.1). Das steht in einem engen Zusammenhang mit der Vorstellung der Lehrerin, dass Portfolioarbeit vor allem in einem Kurs sinnvoll ist, in dem kein Lehrwerk eingesetzt wird und in dem das Portfolio einen Teil dessen Aufgaben übernehmen kann (vgl. I_LP IV, 564-568). Demnach handelt es sich dabei um die Verwendung eines Portfolios als „Organizer“, was das tiefere Verstehen des Instruments nicht voraussetzt (vgl. Häcker 2007: 275). Ob die Lehrerin sie wählt, weil ihr die anderen Möglichkeiten weniger gut vertraut sind, oder ob sie sich bewusst dafür entscheidet, diese Funktion in den Mittelpunkt zu stellen, um in einem Kurs ohne Lehrwerk eine Lücke zu schließen, wird aus den Daten nicht ersichtlich. Im Vorgehen der Lehrerin könnte der Versuch erkennbar sein, mit dem von Rösler beschriebenen Spannungsverhältnis umzugehen, das zwischen dem Wunsch, selbstbestimmtes Lernen zu ermöglichen, und dem Bedarf, den systematischen Erwerb der Sprache zu unterstützen, besteht (vgl. Rösler 2013: 152). Trotz dieser Schwerpunktsetzung werden im untersuchten Kurs zahlreiche Funktionen parallel genannt und genutzt. Die beschriebene notwendige Auswahl und Anpassung des Portfoliokonzepts (vgl. Inglin 2007: 80) praktiziert die Lehrerin in dieser Form nicht. Die Offenheit, die dadurch entsteht, erweist sich in der Umsetzung als problematisch (vgl. Häcker 2007: 282, Kap. 3.4.2), weil die Lernenden im Kursverlauf lange Zeit große Mühe haben, das Konzept und die damit verbundenen Anforderungen zu verstehen. Gleichzeitig ist es eben diese Offenheit, die es den Lernenden ermöglicht, das Portfolio im Sinne einer konstruktivistischen Didaktik zu individualisieren (vgl. Kap. 2.3.2). So können sie ihre für das Gelingen von Portfolioarbeit zentrale Fähigkeit nutzen, sich diese zu eigen zu machen, indem sie individuelle Sinnzuschreibungen vornehmen und gegebene Gestaltungsspielräume entsprechend ihrer Bedürfnisse nutzen (vgl. Kap. 9.3.2.5). Es bleibt also festzuhalten, dass ein gewisses Maß an Offenheit und ausreichende Wahlfreiheiten bei der Gestaltung der Portfolioarbeit durch die Lehrerin notwendig sind, um Lernenden eine individuelle Aneignung zu ermöglichen. Insofern ist die Funktionenvielfalt zielführend. Allerdings muss es eine sinnvolle Form der Offenheit sein. Darüber hinaus wären Maßnahmen sinnvoll, die die Unsicherheit der Lernenden und Widersprüchlichkeiten bezüglich der Funktionen reduzieren. <?page no="318"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 318 10.1.2 Möglichkeiten und Herausforderung für die Lehrerin Mit der Auswahl und Ausgestaltung eines geeigneten Portfoliokonzepts wird bereits die erste Herausforderung genannt, der sich die Lehrerin stellen muss. Hier kommt besonders der als Instruktionsdilemma beschriebene Zwiespalt der Lehrerin zum Tragen, der zwischen dem Wunsch, möglichst wenige Vorgaben zu machen, und der Feststellung, dass die gegebenen Informationen nicht ausreichen, um das Verständnis der Studierenden zu sichern, besteht. Ausschlaggebend für diesen Zwiespalt ist die handlungsleitende Kognition der Lehrerin, nach der zu viele Vorgaben die Motivation der Lernenden mindern (vgl. Kap. 8.2.2.1). Verstärkt wird der Zwiespalt dadurch, dass ihr Versuch, den Lernenden Verantwortung für ihr Lernen zu übertragen, von diesen teilweise zurückgewiesen wird. Die Lernenden tragen im Gegenzug vielmehr die Erwartung an die Lehrerin heran, dass sie Lerninhalte vermittelt, Texte korrigiert und sie damit „richtig macht“ sowie am Ende die Beurteilung vornimmt (vgl. Kap. 9.3.2.4). Während die Lehrerin diese Erwartungen bezüglich der Erklärungen und der Hilfestellungen ablehnt, wird sie ihnen bei der abschließenden Leistungsbeurteilung doch gerecht, wobei das Machtgefälle dadurch anwächst, dass sie alleine die Beurteilungskriterien kennt (vgl. Kap. 8.2.2.3). Der Umgang mit ihrer Doppelrolle stellt sie vor Schwierigkeiten, und es treten die in der Literatur häufig beschriebenen Spannungsverhältnisse und Paradoxien zutage, die entweder zuvor schon bestanden, aber nicht erkennbar waren, oder durch die Portfolioarbeit erst ausgelöst werden (vgl. Bräuer 2002; Breuer, A. 2009: 307; Häcker 2012: 230). Der Spagat zwischen kaum zu vereinbarenden Rollen ist nur einer von vielen, den die Lehrerin leisten muss. Darüber hinaus bestehen Missverhältnisse zwischen den durch die Portfolioarbeit geprägten didaktischen Ansätzen und den Erwartungen der Lernenden sowie zwischen ihren Lerngewohnheiten und institutionellen Vorgaben (vgl. Kap. 2.3.1). Neben diesen Spannungen, für die die Lehrerin zwar sensibilisiert sein kann, die sie aber nicht aufzulösen vermag, werden auch Probleme erkennbar, die im Unterricht einer einzelnen Lehrperson verankert sein können. In der vorliegenden Studie zählt hierzu die Ablehnung der Lehrerin, die Textqualität zu beurteilen, die entweder schon immer bestanden hat oder durch die bei der Portfolioarbeit entstandene Unsicherheit hervorgerufen wird (Kap. 8.3.2.4). Auch wenn das Vorgehen der Lehrerin zuvor womöglich schon dasselbe war, so wird es doch erst durch die Portfolioarbeit sichtbar, denn die Studierenden erfragen die für sie unbekannten Rahmenbedingungen und tragen dadurch zur Unsicherheit der Lehrerin bei. Was hier einen Aspekt des Handelns einer einzelnen Lehrerin betrifft, könnte durchaus auch in anderen Situationen und <?page no="319"?> 10.1 Diskussion der Ergebnisse 319 für andere Handlungsbereiche gelten. Durch die hohen Anforderungen, die bei der Portfolioarbeit auf allen Ebenen an Lehrende gestellt werden, können Schwierigkeiten zum Tragen kommen, die zuvor im Unterrichtsalltag unproblematisch waren. Unsicherheiten werden durch die geforderte Transparenz und den Zwang zur Explikation verstärkt. Diese Unsicherheiten und Probleme vollständig beheben zu wollen und auf die Verantwortung der einzelnen Lehrenden hinzuweisen, würde bedeuten, ein Idealbild von Lehrenden zu kreieren, nach dem sie jederzeit über alle fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und pädagogischen Erkenntnisse informiert sind und dieses Wissen auch umsetzen können. Da das kaum möglich ist, 391 muss das Ziel vielmehr lauten, bewusst mit Spannungen umzugehen und zielgerichtet Lösungen für die Probleme zu suchen, die identifiziert werden können. Hier knüpft die Erkenntnis an, dass sich Lehrende auf die Umsetzung von Portfolioarbeit im Unterricht in der Regel nicht (nur) durch die Aneignung theoretischen Wissens vorbereiten, sondern die Gestaltungsmöglichkeiten vielmehr durch das Ausprobieren verschiedener Vorgehensweisen erkunden. Das Vorgehen wird im Laufe der Zeit mit der Entwicklung von handlungsleitenden Kognitionen untermauert, die Kristmanson et al. (2011) als philosophical stance bezeichnen und die sich vor allem durch die Betonung von Lernendenautonomie auszeichnen (vgl. ebd. 59; Kap. 3.4.2). Die in Kapitel 8 meiner Arbeit dargestellte Suche der Lehrerin nach einer geeigneten Vorgehensweise ist damit gut erklärbar: Sie nähert sich der Portfolioarbeit ebenfalls durch das Ausprobieren verschiedener Vorgehensweisen und stellt ihr eigenes Handeln ständig in Frage, um es optimieren zu können. Die Betonung der Offenheit und das Ziel der Förderung der Lernendenautonomie sind in ihrem Fall aber schon vorab handlungsleitend und entwickeln sich nicht erst im Laufe des Kurses. Vor diesem Hintergrund ist auch die Verlagerung von Lerninhalten und von inhaltlichen Bewertungskriterien hin zu methodischen und organisatorischen Fragen zu sehen, die sie vornimmt. Sie sucht nach einem geeigneten Weg und muss sich zunächst mit der Bewältigung organisatorischer Probleme und der Anleitung zu den für die Lernenden neuen Arbeitsweisen beschäftigen. Dieses Phänomen findet sich auch bei Grittner (2009: 181; Kap. 3.3.2). 391 Für den Bereich der Schreibforschung zeigten Hubert und Bonzo (2010) beispielsweise, dass sich nur 27 % der befragten Fremdsprachenlehrenden an USamerikanischen Universitären gelegentlich über neue Erkenntnisse in der Schreibforschung informieren, wobei auch die Frage aufgeworfen wird, inwiefern das vorhandene Wissen überhaupt Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung hat (vgl. Hubert/ Bonzo 2010: 523f.). <?page no="320"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 320 10.1.3 Möglichkeiten und Herausforderung für die Lernenden Ähnliche Such- und Aushandlungsprozesse durchlaufen die Lernenden. Wie in allen zuvor durchgeführten Untersuchungen bereits dargestellt wurde (vgl. Kap. 3.4.1), haben die Lernenden zu Beginn der Portfolioarbeit enorme Mühe, die Arbeitsweisen, Ziele und an sie gestellten Anforderungen zu erfassen (vgl. Kap. 9.2.1). In dieser Phase sind aufgrund dieser Verständnisschwierigkeiten Verunsicherung und Ablehnung zu erkennen, wobei bei Qian beispielsweise sogar eine große Angst vor dem Scheitern entsteht. Einige Studierende, beispielsweise Tom und Renato, haben schon zuvor Portfolios geführt und verstehen die Anforderungen leichter, wobei nicht deutlich wird, ob sie tatsächlich die Anforderungen der Lehrerin verstehen oder vielmehr ihre Vorkenntnisse eines anderen Konzepts auf den neuen Kontext übertragen. Letzteres kann dann problematisch werden, wenn es sich um unterschiedliche Ausrichtungen der Portfolioarbeit handelt. Während Lam und Lee (2009) und Kara (2007) von einer hohen Akzeptanz bei der Einführung des Portfolios berichten, bietet sich in dieser Studie ein anderes, differenzierteres Bild: Aline, Renato und Laure sind zu Beginn grundsätzlich positiv eingestellt, erkennen aber auch Nachteile und nennen Einschränkungen. So weiß Renato um den Nutzen der Portfolioarbeit, fürchtet aber den Zeitaufwand. Tom und Atena lehnen Portfolioarbeit ab, weil sie ihnen für das Erreichen ihrer Lernziele nicht geeignet erscheint, Qian spricht sich dagegen aus, weil sie sie nicht versteht und Nilesh ist sich hinsichtlich seiner Einschätzung noch nicht sicher. Während bei den meisten Lernenden im Laufe des Kurses Veränderungen erkennbar sind, besonders dahingehend, dass sie in irgendeiner Form einen Nutzen in der Portfolioarbeit erkennen bzw. ihn sich selbst schaffen, bleibt Tom im gesamten Kursverlauf bei seiner radikal ablehnenden Haltung (vgl. Kap. 9.2.3.2). Daran ist erkennbar, dass die Wahrnehmungen jeweils individuell unterschiedlich sind und von zahlreichen Faktoren abhängen. Die Ergebnisse meiner Studie sind insofern anschlussfähig an die von Häcker (2007: 240) und Flächer (2011: 122), als dass auch diese die Wahrnehmung eines individuellen Nutzens als zentrales Kriterium für eine positive Bewertung der Portfolioarbeit herausarbeiteten. Hilfreich ist sie aus der Perspektive der Lernenden dann, wenn die Erwartungen an den Kurs erfüllt werden oder wenn tatsächliche oder potenzielle Lernzuwächse wahrgenommen werden (vgl. Kap. 9.2.3.3). Die Beurteilung des Nutzens und die Orientierung an den eigenen Erwartungen wird beispielsweise deutlich, wenn Atena erklärt, dass die Selbsteinschätzungsaktivitäten zwar motivierend, bei der Bewältigung von konkreten Schreibaufgaben aber nicht hilfreich seien. Sie weist ein wissensbasiertes, faktenorientiertes Verständnis <?page no="321"?> 10.1 Diskussion der Ergebnisse 321 von Lernen auf, in dem die Planung und Steuerung einen geringen Stellenwert einnehmen. Als kompetente Schreiberin sieht sie sich, wenn sie konkrete Schreibanlässe bewältigen kann, wozu sie aus ihrer Sicht sprachliches Wissen benötigt. Bei einem solchen Verständnis von Lernen kann Portfolioarbeit mit der Ausrichtung auf Reflexion und kognitive Steuerung nur schwer als nützlich empfunden werden. Neben der Beurteilung des Nutzens wurde in dieser Studie ein zweiter Bereich sichtbar, in dem die Studierenden die Portfolioarbeit einschätzen. Dabei handelt es sich um die Beurteilung als angenehm oder unangenehm, d. h. um die Einschätzung auf der affektiven Ebene. Während die Wahrnehmung insgesamt sehr unterschiedlich ist, zeichnet sich doch die Tendenz ab, dass die Lernenden zu Kursbeginn unsicher reagieren und befürchten, den Anforderungen nicht gerecht werden zu können. Einen zweiten Höhepunkt der Unsicherheit und Angst ist zum Zeitpunkt der Beurteilung zu verzeichnen, wobei ausschlaggebend ist, dass den Lernenden die Beurteilungsform fremd ist, sie ihre Leistung nach den neuen, ihnen unbekannten Kriterien selbst nicht einschätzen können und sie Versagensängste erleben (vgl. Kap. 9.2.3.4). Ausgehend von diesen Erkenntnissen könnten deutliche Erklärungen zu Beginn der Portfolioarbeit, ausreichend Hilfestellungen und Transparenz bei der Leistungsbeurteilung die Unsicherheit der Lernenden mindern. Außerdem erweist es sich als hilfreich, wenn Lernende die Gelegenheit haben, Portfolioarbeit auszuprobieren und kennenzulernen, denn am Ende des Kurses waren auch sehr deutliche positive Affekte wie Stolz und Zufriedenheit zu verzeichnen. Allerdings zeigen sich in allen Aspekten auch Unterschiede zwischen den Lernenden. Während Aline den Unsicherheiten mit Zuversicht begegnet, leiden Atena und Qian deutlich stärker darunter (vgl. ebd.). Die die Wahrnehmung der Lernenden sowie die Ausgestaltung des Lernens erweisen sich als hochgradig individuell. Dies geschieht auf der Basis der Lerngewohnheiten und Vorerfahrungen der Lernenden sowie zahlreicher anderer Einflüsse, so dass erneut an die Einzelgänger-Hypothese von Riemer (1997) angeknüpft werden kann (vgl. Kap. 2.2.3). Trotz dieser Individualität gibt es einige Gemeinsamkeiten, beispielsweise bei den fünf von Fink (2010) beschriebenen Prozessen, die er bei der Arbeit mit dem ePortfolio beobachtet, mit denen alle Studierende ähnlich umgehen. Fink (2010: 269-277, vgl. Kap. 3.2.2.2) beschreibt, dass sich die Lernenden bei der Portfolioarbeit 1. mit anderen vergleichen, 2. ihre Arbeitsweise und ihre Arbeitsprodukte prüfen und verändern, 3. ihr Portfolio inhaltlich strukturieren und ordnen, <?page no="322"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 322 4. die Artefakte auch bezüglich des Layouts arrangieren und optimieren und 5. sich durch die Einblicke in andere Portfolios anregen lassen und so neue Perspektiven gewinnen. Der Vergleich mit den Mitlernenden ist vielen Studierenden sehr wichtig, vor allem Atena. Typische Vergleichssituationen stellen das peer feedback und die Portfoliogespräche dar (vgl. Kap. 9.3.2.6). Das Prüfen der eigenen Leistung wird durch das Hinzufügen von Kommentaren angeregt, und das Layout wird in der Regel vor der Abgabe arrangiert und optimiert. Anregungen und fremde Perspektiven sind zwar ebenfalls in den Feedback- Phasen und bei den Portfoliogesprächen möglich, die Lernenden beklagen jedoch, hierbei nicht in ausreichendem Maße Rückmeldungen zu erhalten (vgl. Kap. 10.1.9). Das Strukturieren und Ordnen findet im hier begleiteten Kurs kaum statt, weil es keine Texte gibt, unter denen Studierenden auswählen können. Im Unterricht werden zu wenige Texte verfasst, um eine Auswahl treffen zu können, wenn nicht aus anderen Kontexten Arbeitsprodukte eingebracht wurden (vgl. Murphy/ Smith 1992: 27; Tierney et al. 1991: 71, Kap. 4.1). Dadurch besteht kaum die Möglichkeit zur Auswahl und daran anschließend zur Reflexion der Qualität sowie zur Entwicklung eines Qualitätsbewusstseins in diesem Rahmen. Damit ist festzuhalten, dass die Arbeitsweisen der Lernenden trotz ihrer hohen Individualität stets stark von den gegebenen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen geprägt sind. Obwohl diese Rahmenbedingungen für alle Studierenden gelten, stellt sich die Frage, welche Studierenden besonders gut damit umgehen können (vgl. Kap. 10.1.4). Es wird häufig kritisiert dass in der Fremdsprachenforschung und bei der Entwicklung didaktischer Neuerungen vor allem Lernende mit fortgeschrittenen Kenntnissen der Zielsprache und für insgesamt leistungsstärkere Lernende in den Blick genommen werden (vgl. Pollari 1997: 43; Rösler 2013: 155). Bezüglich der Sprachenkenntnisse zeigt sich auch am Beispiel des hier begleiteten Kurses, dass zumindest dann, wenn die komplette Portfolioarbeit in der Zielsprache stattfindet, sprachlich stärkere Studierende weniger Verständnisschwierigkeiten haben. Renato und Qian, die sprachlich schwächeren Lernenden, haben Mühe, die für die Portfolioarbeit notwendigen Erklärungen und Anweisungen zu verstehen. Darüber hinaus zeigt sich in ihren Portfolios, dass ihre Reflexionstexte und Kommentare auf Deutsch sehr kurz gehalten sind. Aline hingegen, die sprachlich deutlich stärker ist, hat in beiden Bereichen keine Probleme. Allerdings haben auch stärkere Lernende Schwierigkeiten bei der Verwendung <?page no="323"?> 10.1 Diskussion der Ergebnisse 323 der Metasprache, z.B. bei der Formulierung von Lernziele (I_Tom I, 323- 334). In Hinblick auf die Leistungsfeststellung wird häufig davon ausgegangen, dass die Portfolioarbeit zu mehr Chancengleichheit beitragen kann (vgl. z. B. Pollari 1997: 43). Breuer, A. (2009: 316) hält fest: Auch wenn bislang […] keine deutliche Verbesserung der Chancengleichheit nachgewiesen werden konnte, bin ich ungeachtet dessen der festen Überzeugung, dass das Portfolio stärker als andere Verfahren der Leistungsbeurteilung dazu beitragen kann, wenn die Lernkultur entsprechend - interaktionistisch-konstruktivistisch ausgestaltet ist. In meiner Studie zeigen sich diesbezüglich unterschiedliche Haltungen der Studierenden: Während Renato als schwächster Lerner in der Gruppe davon überzeugt ist, dass die portfoliobasierte Beurteilung mit einer individuellen Bezugsnorm ein Vorteil für ihn ist und zu einer größeren Chancengleichheit führt (vgl. Kap. 9.2.3.4), befürchtet Atena Willkür und Ungerechtigkeit, die sich teilweise auch bestätigen (vgl. ebd.). Daher liegt die Vermutung nahe, dass nicht die Portfolioarbeit selbst zu einer größeren Chancengleichheit beiträgt, sondern dass zwar vor allem durch die individuelle Bezugsnormorientierung gute Möglichkeiten bestehen, letztendlich aber das Vorgehen der Lehrenden bei der Beurteilung ausschlaggebend ist. Für die genderspezifischen Besonderheiten bei der Arbeit mit einem Portfolio, die sich aus Häckers (2007: 240) und Pollaris (1997: 46, Kap. 3.4.1) Ergebnissen ablesen lassen und die einen leichteren und positiveren Zugang bei den befragten Schülerinnen sehen, gibt es auch in dieser Studie leichte Anhaltspunkte. Während besonders Aline lange Texte verfasst und ihr Portfolio kreativ und aufwändig gestaltet, erklärt Tom, dass er nicht kreativ sei und fasst sich kurz (vgl. Kap. 9.2.2.2). Auch Laure und Qian gelingt die Gestaltung leichter als Tom. Bei Nilesh, Atena und Renato finden sich keine Ergebnisse, die diese Tendenz untermauern oder widerlegen. Der Sprachstand, die Leistungsstärke und das Geschlecht sind als Einflussfaktoren auf die Portfolioarbeit also zu bedenken, müssten allerdings noch näher erforscht werden. 10.1.4 Kompatibilität als Gelingensbedingung Es liegt auf der Hand, dass Portfolioarbeit dann besser gelingen kann, wenn sie sich gut in den Unterricht einfügt und auf die Bedürfnisse der Lernenden ausgerichtet ist. Die Bereiche dieser gegenseitigen Passung habe ich in Kapitel 9.3 mit den vier Formen der Kompatibilität und den zwei Möglichkei- <?page no="324"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 324 ten zur Erhöhung der Kompatibilität herausgearbeitet. Es handelte sich dabei um die Kompatibilität von Portfolioarbeit mit Zielen & Erwartungen der Lernenden, mit ihren Vorkenntnissen & persönlichen Eigenschaften, mit ihren gewohnten und bevorzugten Arbeitsweisen sowie mit ihren institutionell und kulturell geprägten Lerngewohnheiten. Diese Ergebnisse bestätigen einzelne Aspekte aus anderen Studien. Besonders über die Notwendigkeit regelmäßigen Arbeitens, die auch in dieser Untersuchung als Gelingensbedingung herausgearbeitet werden konnte, besteht Einigkeit (vgl. Bellingrodt 2011b: 254; Flächer 2011: 118f.; Koҫoğlu 2008: 4; Martinez Lirola et al. 2009: 100). Außerdem wird häufig ein sinnvolles Verhältnis beim Einsatz von Reflexion und Strategientraining empfohlen und vor Extremen gewarnt (vgl. Königs 2010c: 112). Diese Empfehlung lässt sich durch die Ergebnisse dieser Studie untermauern, denn aus der Sicht der Lernenden nehmen sowohl die Reflexionen als auch das peer feedback zu viel Raum im Unterricht ein. Die Fokusverschiebung weg vom Unterrichtsgegenstand wird auch in den Portfoliogesprächen und bezüglich der Leistungsbeurteilung heftig kritisiert, denn die Lernenden haben den Eindruck, so weniger zu lernen. Sie würden stattdessen die Vermittlung von Inhalten und ein deutlich höheres Maß an Spracharbeit bevorzugen (vgl. Kap. 9.2.2.4, Kap. 9.3.2.1). Im Umkehrschluss ist es allerdings ebenfalls hilfreich, wenn die Erwartungen und Bedürfnisse der Lernenden breit gefächert sind. Liegen ihre Erwartungen wie in Toms Fall nur in einem Bereich, nämlich auf der Spracharbeit im morphosyntaktischen und lexikalischen Bereich, bleiben die Kompatibilität und die Möglichkeiten zur Anpassung gering. Überraschend ist im Datenmaterial die Betonung von Unterschieden in der kulturellen Prägung der Lerngewohnheiten, die sowohl die Studierenden als auch die Lehrerin vornehmen und sich dabei auf Nationalkulturen berufen. Atena erklärt, dass im Iran eine geringere Distanz zwischen Lehrenden und Lernenden bestehe und man leichter kommunizieren könne. Tom hebt unterschiedliche Vermittlungsansätze heraus und stellt fest, dass in Deutschland weniger Grammatik unterrichtet werde. Laure betont, dass in Frankreich das Schreiben nicht losgelöst von anderen Fertigkeiten gelernt werde. Qian weist nicht nur auf die Unterschiede zwischen Deutschland und China hin, sondern begründet ihre Mühe, mit der Lehrerin zu kommunizieren und ihr Fragen zu stellen mit ihrer eigenkulturellen Prägung. Auch die Lehrerin nutzt diesen Erklärungsansatz, wenn sie feststellt, dass Lernende aus Frankreich besser mit dem Portfolio zurechtkommen, weil sie es offensichtlich gewohnt sind, ihr Lernen zu reflektieren, was ihrer Ansicht nach für Atena <?page no="325"?> 10.1 Diskussion der Ergebnisse 325 als Iranerin oder für Qian als Chinesin fremder ist (vgl. Kap. 9.3.2.4). Sicher wären diese Unterscheidungen in der Form bei genauerer Betrachtung nicht aufrecht zu erhalten, da es auch innerhalb einer Nationalkultur erhebliche Unterschiede gibt und die genannten Unterschiede darüber hinaus von zahlreichen weiteren Faktoren bedingt werden. Dennoch scheint es ein Erklärungsansatz zu sein, der für alle Akteur/ innen naheliegend ist. Die Offenlegung der Zielsetzung durch die Lehrerin und der Austausch über individuelle Arbeitsweisen könnten zu einer differenzierteren Betrachtungsweise beitragen, um durch diese Art der Stereotypisierung und Übergeneralisierung nicht die Arbeit mit dem Instrument zu behindern, aber dennoch Raum für die Berücksichtigung jeder Art von kultureller Prägung bestehen zu lassen. 392 Die Offenlegung von Zielen und Hintergründe scheint bei der Arbeit mit Studierenden, die in der Regel an kognitive Herausforderungen wie diese gewöhnt sind, ein probates Mittel. Sie fordern Informationen ein und tauschen sich mit Mitlernenden über organisatorische Fragen - anders als über inhaltliche - gerne aus (vgl. UB VIII). In der transparenten Kommunikation besteht demnach eine gute Möglichkeit, die hier beschriebene Kompatibilität zu erhöhen. Gleichzeitig wird die Gefahr minimiert, dass Lernende sich bevormundet fühlen (vgl. Kap. 9.2.1). Neben der Transparenz ist es zur Erhöhung der Kompatibilität sinnvoll, die Portfolioarbeit eng auf den Unterricht abzustimmen (vgl. Kap. 9.2.3.6). Durch gemeinsame Überlegungen zur Vorgehensweise und zur Zielsetzung einzelner Aktivitäten wird die Gelegenheit zur individuellen Sinnkonstruktion und Ausgestaltung geschaffen. Dazu zählt beispielsweise die von der Lehrerin praktizierte gemeinsame Besprechung der individuellen Lernziele, aber auch eine gemeinsame Ausarbeitung von Beurteilungskriterien. Diese Fähigkeit zur Individualisierung und Aneignung der Portfolioarbeit durch die Lernenden bedeutet gleichzeitig, dass sie unter den gegebenen Umständen den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen. Zwei Beispiele aus den Daten zeigen, wie es Studierenden gelingt, im vorgegebenen Rahmen autonom zu handeln. Atena ist in der Lage, ihre Erwartungen an die gegebenen Lerngelegenheiten anzupassen: Wie auch die meisten anderen Lernenden verfolgte sie ursprünglich das Ziel, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Durch die Verschiebung des Fokus auf die Reflexion und auch auf die Organisation der Portfolioarbeit bleibt für die Spracharbeit im Kurs weniger Zeit. Atena nutzt 392 Vgl. dazu Hu (1999: 297), die darstellt, dass die Vorstellung von abgrenzbaren und objektiv beschreibbaren Kulturen ebenso fest im menschlichen Denken verankert ist wie das Bedürfnis nach kultureller Verortung und kultureller Identität. <?page no="326"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 326 dementsprechend verstärkt die Möglichkeit der Reflexion, um ihr Schreibhandeln zu verbessern. Ihr eigentliches Ziel verfolgt sie selbstständig weiter, beispielsweise indem sie eine Übersichtstabelle zu den Adjektivdeklinationen in ihr Portfolio aufnimmt. Auch Aline nimmt Anpassungen vor, wobei sie eher das Portfolio bzw. das Lerntagebuch nach ihren Bedürfnissen umgestaltet statt ihre Erwartungen anzupassen, indem sie die Aufzeichnungen im Lerntagebuch als Checkliste zur Textüberarbeitung verwendet. Auch die Lehrenden können die Kompatibilität durch einige Maßnahmen erhöhen, besonders durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen und die Bereitstellung von Unterstützungsangeboten. Während die Aufforderungen, Kompatibilität herzustellen, für Lehrende und für Lernende gleichermaßen gilt, ist es dennoch die Aufgabe der Lehrenden, ihren Wissensvorsprung zu nutzen, um Transparenz zu schaffen, den Lernenden die verschiedenen Möglichkeiten der Nutzung und Individualisierung der Portfolioarbeit aufzuzeigen und ihnen Hilfestellungen zu geben. Wie wichtig eine gezielte Vorbereitung auf neue Vorgehensweise im Unterricht ist, zeigt sich in verschiedenen Studien, Aziz (1995) für den Einsatz von kognitiven und metakognitiven Strategien beim Schreiben (vgl. Kap. 4.4.2), Kamimura (2006) und Rahimi (2013) für die Vorbereitung auf peer feedback und Cresswell (2000) für die Fähigkeit von Lernenden, gezielt und selbstständig Rückmeldungen einzufordern (vgl. Kap. 4.4.3.2). Nicht nur in diesen Bereichen, sondern auch bezüglich der Reflexion (vgl. Kleppin 2005: 110; Volkwein 2008: 153) ist es sinnvoll, die Lernenden zu schulen und sie anzuleiten. Im Sinne der Autonomieförderung halte ich dabei das Vorgehen von Cresswell (2000) für besonders zielführend, denn anzustreben sind nicht nur Kenntnisse über die Anwendung verschiedener Strategien, Techniken und Verfahren, sondern vor allem die Fähigkeit zu entscheiden, was in einzelnen Situationen benötigt wird. Zusammenfassend bedeutet das, dass Lernende ihren Anteil an der Erhöhung der Kompatibilität nur dann erbringen können, wenn sie um diese Möglichkeit wissen und über das notwendige Handwerkszeug verfügen. 10.1.5 Portfolioarbeit im Kontext der Schreibförderung Eine zentrale Eigenschaft von Schreibportfolios ist die Abbildung des Schreibprozess (vgl. Kap. 4.3). Im untersuchten Kurs stand die Überarbeitung im Vordergrund, da die Texte in zwei bis drei Versionen abgeheftet werden sollten. Zwischenschritte aus der Planungsphase wurden nicht berücksichtigt. Die Ausrichtung der Portfolioarbeit folgt im vorliegenden Kurs allerdings nicht ausschließlich einer prozessorientierten Schreibdidaktik. <?page no="327"?> 10.1 Diskussion der Ergebnisse 327 Vielmehr ergänzt die Lehrerin die Elemente der Prozessorientierung durch die Beschäftigung mit Textsorten, Textstrukturen und weiterem Metawissen über Texte (vgl. Badger/ White 2000, Kap. 4.4.1). Die Überarbeitungen nehmen dennoch eine zentrale Rolle ein. Sie sollen auf dem erhaltenen peer feedback und gelegentlich auch auf den Rückmeldungen der Lehrerin basieren, was aber insofern schwierig ist, als dass die Studierenden die erhaltenen Rückmeldungen von den Mitlernenden nicht als ausreichende Grundlage für die nächsten Überarbeitungsschritte wahrnehmen (vgl. Kap. 10.1.9). Die zum Teil mehrfache Überarbeitung von Texten, die in Schreibportfolios so vorgesehen ist, führt dazu, dass diesem Schritt viel Zeit im Unterricht und bei den Hausaufgaben gewidmet wird. Ein Nachteil dieser Vorgehensweise ist allerdings, dass nur eine geringe Anzahl an Texten entsteht, aus denen die Lernenden bei der Portfolioerstellung auswählen können (vgl. Kap. 10.1.3). Diese Problematik besteht besonders in einem Kurs wie diesem, in dem effektiv nur sieben dreieinhalbstündige Sitzungen stattfinden und entsprechend wenig Zeit zur Textproduktion gegeben ist (vgl. Kap. 7). Während in der Portfolioliteratur auf diese Problematik hingewiesen wird (vgl. ebd.), wurden hierfür noch keine eingängigen Lösungsvorschläge entwickelt. Es muss jedoch bedacht werden, dass ohne die fehlende Wahlmöglichkeit und dem damit verbundenen Entscheidungszwang ein wichtiger Reflexionsschritt der Portfolioarbeit wegfällt (vgl. Kap 2.2.1). Eine weitere Möglichkeit von Schreibportfolios kommt bei dem in dieser Studie begleiteten Portfolioeinsatz nicht zum Tragen. Dabei handelt es sich um die Vorteile des freien Schreibens in Portfolio und Lerntagebuch für die Entwicklung der Sprach-, Schreib-und Textkompetenz, die besonders Aydin (2010), Bonzo (2005) und Uhlir (1995) hervorheben (vgl. Kap. 3.5). Im eingesetzten Portfolio gehen alle Studierenden schon früh dazu über, in ihrem Lerntagebuch in Stichpunkten aufzulisten, welche Themen in einer Sitzung behandelt werden und welche neuen Wörter sie gelernt haben. Bei einigen Studierenden handelt es sich ausschließlich um Vokabellisten. Die Lernenden nutzen auch hier das Portfolio und das Lerntagebuch nicht so, wie die Lehrerin es vorschlägt, sondern wählen eine eigene Vorgehensweise, die weniger aufwendig, für sie selbst in der Situation evtl. aber hilfreich ist. Hieran wird deutlich, dass die Möglichkeit zum freien Schreiben im Lerntagebuch nicht automatisch angenommen wird, sondern angeleitet und im weiteren Verlauf begleitet werden sollte. Es fällt außerdem auf, dass die Lernenden ohne eine explizite Aufforderung nicht auf die Erstsprache zurückgreifen. <?page no="328"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 328 10.1.6 Portfoliobasierte Leistungsbeurteilung Im Laufe des Kurses erhält die Lehrerin nur Einblick in die Teile des Portfolios, die ihr die Lernenden selbstständig und unaufgefordert zeigen. Daher weiß sie bis zum Kursende auch nicht, wie die Lerntagebücher und andere Teile des Portfolios geführt werden. Den Lernenden wird die Verantwortung und Selbstständigkeit abverlangt, die benötigten Hilfestellungen und Rückmeldungen einzufordern. Tun sie das nicht, ist es möglich, dass die Lehrerin das komplette Portfolio erst zum Zeitpunkt der Beurteilung sieht. Im Vorfeld der Beurteilung sind die Lernenden stark verunsichert, was das Vorgehen und die nicht genannten Kriterien der Lehrerin angeht. Während Aline darauf vertraut, dass sie durch ihre Leistung und Mühe sowie durch das regelmäßige Arbeiten keine schlechte Note zu befürchten hat, ist Atena ängstlicher und ahnt eine ungerechte Beurteilung, weil Fleiß, Mühe und Layout relevanter werden könnten als die Textqualität. Atenas Befürchtungen erweisen sich als begründet, denn die Lehrerin steht genau vor diesem Problem, wodurch sich Grittners (2009: 181) Erkenntnis bestätigt, dass bei der Portfolioarbeit eine Tendenz besteht, die Sachkompetenz zu vernachlässigen. Die fehlende Transparenz bezüglich der Kriterien macht nicht nur die Selbstbeurteilung der Lernenden schwer (vgl. Brunner et al. 2008b: 181), sondern erschwert auch die Beurteilung durch die Lehrerin. Die Ursache für den veränderten Fokus liegt in der Befürchtung der Lehrerin, auf der Basis des Portfolios nicht die Leistung der Lernenden zu beurteilen, sondern die Person. Eine Erklärung dafür findet sich bei Yancey (1998), die erläutert, wie die persönlichen Elemente im Portfolio dazu führen, dass Lehrende nicht mehr den geschriebenen Text, sondern vielmehr die Schreiber/ innen sehen und diese auch fiktionalisieren, d.h. durch die persönliche Darstellung ein eigenes Bild kreieren (vgl. ebd. 150). Mit den Daten aus der vorliegenden Studie bestätigt sich die bei Breuer, A. (2009: 207) beschriebene Tendenz, die Abbildung der Leistung im Portfolio als etwas Größeres, Vollständigeres zu begreifen. Allerdings nähert sich die Lehrerin in diesem Fall dieser Leistungsdarstellung nicht mit größerem Vertrauen in die Validität des sich bietenden Bildes, wie es Breuer darstellt, sondern ist in ihrem Vorgehen im Gegenteil eher zögerlich. Auch einige weitere der in Kapitel 3.2.2 herausgearbeiteten Schwierigkeiten bei der portfoliobasierten Leistungsbeurteilung kommen bei der Umsetzung im Untersuchungsfeld zum Tragen, besonders das ungeklärte Verhältnis von Selbstbeurteilung und Fremdbeurteilung sowie das von Schreibprozess und Textprodukt. Die Lehrerin entscheidet sich dafür, die Selbstbeurteilung unberücksichtigt zu lassen. Inwiefern sie tatsächlich den Schreibprozess einbezieht, geht aus ihren Darstellungen nicht hervor. <?page no="329"?> 10.1 Diskussion der Ergebnisse 329 10.1.7 Selbststeuerung und Autonomieförderung Das Vorgehen bei der Leistungsbeurteilung, in der die Lehrerin eine traditionelle Rolle einnimmt, stellt einen Gegensatz zu der zurückhaltenden Rolle als Lernbegleiterin dar, die sie im Kursverlauf inne hat, in der sie kaum Vorgaben machen möchte und die Verantwortung an die Lernenden übergibt. Diese Verantwortungsübergabe erkennen die Lernenden nicht als solche, u. a. weil sie nicht kommuniziert wird. Da sie zudem nicht mit ihren Erwartungen zu vereinbaren ist, sind sie irritiert und nehmen sie zunächst nicht an (vgl. Kap. 9.3.2.6). Erst im weiteren Verlauf ist eine zweigeteilte Haltung zu erkennen, indem sie einerseits immer wieder die Verantwortung an die Lehrerin zurückgeben und beispielsweise um Anleitung und Korrekturen bitten, gleichzeitig aber auch der oben dargestellte Aneignungsprozess beginnt. Da beide Haltungen parallel vorhanden sind, ist auch zu erklären, dass der Rollenwechsel der Lehrerin zum Zeitpunkt der Beurteilung von den Lernenden nicht als problematisch wahrgenommen wird. Vielmehr ist es für die Studierenden in ihrem Verständnis von Unterricht selbstverständlich, dass die Leistungen zu Kursende durch die Lehrerin beurteilt werden. Die Lehrerin hat den Unterricht und die Portfolioarbeit so angelegt, dass sich darin zahlreiche Elemente des Autonomiemodells von Tassinari (2010: 203, vgl. Kap. 3.2.1.1) finden. So erhalten die Studierenden die Möglichkeit, die entsprechenden Fähigkeiten zu entwickeln, um sich dem autonomen Lernen anzunähern. Dazu zählt die Strukturierung von Wissen mithilfe des Portfolios, die Evaluation und Planung des Lernens sowie die Kooperation mit Mitlernenden und mit Lehrenden, beispielsweise im peer feedback. Verortet man die Arbeitsweise im Kurs auf dem Stufenmodell des selbstorganisierten Lernens von Büser (2003: 30f., vgl. Kap. 3.2.1.1), so bewegt sich diese meist zwischen dem selbstgesteuerten Lernen, das metakognitiv kontrolliert ist, und dem selbstbestimmten Lernen, bei dem sich Lernende eigene Ziele setzen. Dazu werden sie in der ersten Sitzung auch explizit aufgefordert. Allerdings bereitet den Studierenden das freie Formulieren von Lernzielen ohne konkrete Anleitung große Mühe. Es entstehen Schwierigkeiten dabei, realistische und konkrete Ziele zu formulieren, so dass einige Lernende angeben, am Ende des Kurses schreiben zu wollen „wie ein Deutscher“ (vgl. Kap. 9.3.2.1). Im weiteren Verlauf spielen die Lernziele insofern eine Rolle, als dass die Lehrerin die Studierenden aufforderte, ihre Ziele in das Portfolio zu integrieren. Bei der Arbeit mit dem Selbsteinschätzungsbogen verweist sie erneut auf die Möglichkeit, eigene Ziele zu formulieren und diese im Portfolio zu thematisieren. Bezüglich der weiteren Ausgestaltung liegt die Verantwortung bei den Lernenden. <?page no="330"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 330 Es lässt sich also festhalten, dass der Unterricht in der Anlage in einem hohen Maß auf autonomes Lernen vorbereitet, dies aber gleichzeitig auch voraussetzt. In der Umsetzung fühlen die Lernenden sich besonders zu Beginn überfordert und haben Mühe, einen Sinn in den Aktivitäten zu erkennen. Sie verstehen die Anforderungen nicht und neigen in einigen Fällen dazu, sie in diesem Zuge abzulehnen. Allerdings fallen interindividuelle Unterschiede auf. So gehen vor allem Aline, Nilesh und Laure positiv mit den Gestaltungsspielräumen um und machen sich die Portfolioarbeit zu eigen. Auch Renato nutzt die Möglichkeiten, ebenso wie Atena, die sich allerdings nur ungern von ihren sprachlichen Lernzielen verabschiedet. Tom macht sich die Portfolioarbeit zu eigen, ohne es wirklich zu merken. Mit seiner Entscheidung, sich auf das für sich Wesentliche zu konzentrieren, geht er genau diesen Weg. Qian ist hingegen eher verunsichert und geht bei ihren Anpassungen zögerlicher vor, vermutlich hauptsächlich, weil sie Portfolioarbeit noch nicht so gut verstanden hat, um sie ausgestalten zu können. Aus diesen Beispielen aus dem Datenmaterial wird deutlich, dass die interindividuellen Unterschiede auch die Vorerfahrungen der Lernenden und zahlreiche andere Einflussfaktoren zurückgehen. Prinzipiell gilt allerdings auch, dass das Bedürfnis nach Instruktion bzw. nach Selbstständigkeit von individuellen Präferenzen abhängig: „Je nach Typ überwiegt die Tendenz zum selbstbestimmten Lernen oder die dahingehende Tendenz, ein Stück weit geführt und gesteuert zu werden“ (Mayrberger 2011: 277). 10.1.8 Der Umgang mit der affektiven Dimension Die Verunsicherung, die bei einigen Studierenden bezüglich der Portfolioarbeit erkennbar ist, hat jeweils eine unterschiedliche Intensität. Während Aline zuversichtlich ist, die neue Herausforderung zu bewältigen, ist Qian gelegentlich sehr resigniert und hat Angst vor dem Scheitern. Sie erklärt sehr deutlich, welche Auswirkungen ihre Verständnisprobleme bei der Portfolioarbeit auf das Bestehen des Kurses und auf ihren weiteren Studienverlauf haben (vgl. I_Qian I/ II, 192-193). Neben den Verständnisschwierigkeiten können auch verschiedene Diskrepanzen, beispielsweise zwischen unterschiedlichen Arbeitsweisen oder auch Einstellungen, die aufeinandertreffen, zu Unsicherheiten und Ängsten führen (vgl. Oxford 1999: 65f.). In dieser Studie betreffen solche Diskrepanzen nicht nur den Grad der gewünschten und forcierten Selbststeuerung, sondern beispielsweise auch die Erwartungen an die vermittelten Inhalte: Tom, Aline und Qian erwarten von der Lehrerin, dass sie Inhalte vermittelt, <?page no="331"?> 10.1 Diskussion der Ergebnisse 331 wobei Tom kategorisch zwischen Lernen und Reflexion sowie zwischen Lernen und der Vermittlung von Metawissen über Texte unterscheidet. Für ihn, wie auch für Atena, bedeutet Lernen der Erwerb sprachlichen Wissens sowie dessen Anwendung. Alle anderen Aktivitäten gelten nicht als Lernen, sondern reduzieren sogar die wertvolle Lernzeit. Durch die Reflexionsaktivitäten fühlt Atena sich behandelt „wie ein Kind“. Sie fragt sich, ob die Lehrerin keine andere Methode hätte wählen können. Auch Tom fühlt sich bevormundet (vgl. Kap. 9.2.1), so dass festzuhalten ist, dass Portfolioarbeit nicht nur positive Gefühle wie Stolz und Zufriedenheit hervorruft, die mit der Fertigstellung verbunden sind (vgl. Kap. 9.2.3.4), sondern auch intensive negative Gefühle. Diese werden auch durch die persönliche Ebene hervorgebracht, die im Portfolio adressiert wird. Besonders Atena expliziert diesen Zusammenhang: Schon zu Kursbeginn äußert sie, dass das Portfolio etwas Persönliches darstelle, wodurch sie sich verletzlich fühle. Dabei handelt es sich um ein Gefühl, das sich im Laufe des Kurses wider ihr Erwarten intensiviert, so dass sie sich angesichts der bevorstehenden Benotung unwohl fühlt (vgl. I_Atena III, 153-160). Damit bestätigen sich im Fall Atenas und auch der anderen Studierenden (vgl. Kap. 9.2.3.4) Bellingrodts Ergebnisse, nach denen die Lernenden bei der Portfolioarbeit eine persönliche und affektive Ebene des Lernens erreichen (vgl. Bellingrodt 2011b: 257, Kap. 3.2.2.2). Diese wird prinzipiell als wichtig für das weitere Lernen angesehen (vgl. Hoffmann 2012a: 122; Marx 2008: 21), allerdings darf angesichts der vorliegenden Ergebnisse, dass sich Lernende bei der Portfolioarbeit unter den gegebenen Umständen bevormundet, infantilisiert und verunsichert fühlen können, die Grundannahme nicht lauten, dass die Berücksichtigung der affektiven Ebene vorteilhaft ist, weil sie das Lernen günstig beeinflusst. Vielmehr bedeutet die Berücksichtigung der affektiven Ebene, dass positive Gefühle ebenso zutage treten können wie negative. Das ist nicht per se problematisch, denn ein gewisses Maß an Unsicherheit ist bei der Begegnung mit einem neuen Instrument sicher nicht zu vermeiden. Handelt es sich jedoch um Ängste und Gefühle der Bevormundung, müssen Wege gefunden werden, um diese zu reduzieren. Lehrende müssen sich bewusst sein, welche Gefühle sie mit der Portfolioarbeit bei Lernenden auslösen können und darauf vorbereitet sein, damit umzugehen. 10.1.9 Interaktion im Rahmen der Portfolioarbeit Insgesamt sind bei der Portfolioarbeit im untersuchten Rahmen zwei Formen von Interaktion relevant: Die Portfoliogespräche in Kleingruppen sowie das peer feedback. Ausgangspunkt sind die Überlegungen, dass im Rahmen <?page no="332"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 332 von Portfolioarbeit eine individuelle Förderung durch häufige Rückmeldungen vorgesehen ist und Reflexionstätigkeiten einen Dialog voraussetzen, durch den die Lernenden eine neue Perspektive auf ihr Handeln gewinnen. Bezüglich des peer feedbacks zeigt sich in den Daten, dass die Lernenden zunächst eine große Bereitschaft dazu zeigen, es aber insgesamt als zeitintensiv sowie eher wenig hilfreich wahrnehmen, wobei einzelne Lernende einen größeren Nutzen daraus ziehen können als andere. Dabei knüpfe ich an die Ergebnisse von Hu und Ren (2012) an (vgl. Kap. 4.4.3.2): Diejenigen Lernenden, die peer feedbacks als komplementär zu den Rückmeldungen der Lehrerin begreifen, können ihm einen eigenen Sinn zuschreiben und nehmen es dementsprechend als hilfreich wahr. So wird Nilesh dadurch angeregt, eine neue Perspektive einzunehmen und beginnt, seine Mitbewohner um Rückmeldungen zu seinen Texten zu bitten. Auch Aline bittet die Lehrerin um die Korrektur zusätzlicher Texte, was diese gerne tut, weil sie genau diese Selbstständigkeit von den Lernenden erwartet. Die Lehrerin stellt fest, dass die Studierenden mehr Erklärungen und Anleitungen benötigt hätten, um peer feedback zu akzeptieren und gewinnbringend zu nutzen. Ihre Einschätzung wird durch die Ergebnisse von Kamimura (2006) und Rahimi (2013) bestätigt, die den positiven Effekt von Schulungen nachwiesen, um Lernende auf peer feedback vorzubereiten. Mit einer solchen Vorbereitung hätte sich möglicherweise ein zentrales Problem beheben lassen können, das sich aus der Sicht der Akteur/ innen ergibt. In der praktischen Umsetzung reichen die positiv-zurückhaltenden und globalen Rückmeldungen der Mitlernenden als Grundlage für die geforderten weiteren Überarbeitungen nicht aus (vgl. Kap. 9.2.2.4). Diese Überarbeitungsschritte auf der Basis von peer feedback, die bei der Arbeit mit Schreibportfolios verbreitet ist, setzt fundierte, konstruktive Rückmeldungen von den Mitlernenden voraus und stellt die Lernenden damit vor eine große Herausforderung, zumal sie das Geben kritischer Rückmeldungen als unangenehm wahrnehmen. Damit einher geht ihre Befürchtung, selbst keine hilfreichen Rückmeldungen geben zu können, wobei sie den Sprachstand als zentrales Kriterium für hilfreiche Rückmeldungen anlegen und Rückmeldungen sich häufig auf die Textoberfläche beziehen. Dieses Ergebnis bestätigt die Erkenntnisse von Rollinson (2005) und Amores (1997; vgl. Kap. 4.4.3.2). Aber auch die Möglichkeiten zur Erfassung und Beschreibung der Textqualität fehlen den Lernenden. Tom erklärt beispielsweise, dass er sich eine Meinung bilden, diese aber nicht begründen kann. Darüber hinaus sind die Feedback-Situationen stark affektiv besetzt. Das beinhaltet die Angst, andere mit Kritik zu verletzen, aber auch das Gefühl, im Vergleich nicht bestehen zu können (vgl. Kap. 9.2.2.4). <?page no="333"?> 10.2 Reichweite der Ergebnisse & Diskussion der Methoden 333 Die Rückmeldungen der Lehrerin erfüllen eine deutlich andere Funktion als die der Mitlernenden. Bei ihren Kommentaren berücksichtigt sie verschiedene Ebenen und greift stärker in die Texte ein. Für die Lernenden sind ihre Rückmeldungen der Maßstab, an dem sie ihre Texte ausrichten. Daher beklagen sie auch, dass die Lehrerin nicht alle Texte liest. Mit Portfoliogesprächen, in denen sie noch ausstehende Rückmeldungen nachholen möchte, soll diese Lücke teilweise geschlossen werden. Die Gespräche werden daher zunächst als Möglichkeit zur Besprechung der Texte angekündigt. Das kann allerdings nur in einem von vier Gesprächen umgesetzt werden. Auch andere sinnvolle Funktionen von Portfoliogesprächen (vgl. Kap. 9.2.2.3) wurden nicht immer erfüllt, und die Schwerpunktsetzung ist jeweils unterschiedlich (vgl. Kap. 7.2), wodurch das Potenzial der Kommunikationsform nicht voll ausgeschöpft wird. Überraschend bereitwillig sind die Studierenden bereit, zu einem kurzfristig anberaumten Termin an einem Wochenende zu erscheinen. Sie berichten anschließend einhellig, dass sie in den Gesprächen nichts Neues gelernt haben, sondern es in erster Linie als eine Bestätigung ihres Vorgehens empfanden. Zur Klärung der Anforderungen und vor allem als sehr persönliche Kommunikationssituation waren sie allerdings wertvoll. 10.2 Reichweite der Ergebnisse & Diskussion der Methoden Die in Kapitel 10.1 diskutierten Ergebnisse basieren auf der Begleitung eines Kurses, in dem neben Unterrichtsmittschnitten und Aufzeichnungen aus Portfoliogesprächen die Perspektiven der Lehrerin sowie sieben Lernender erhoben wurden. Um diese Ergebnisse in ihrer Reichweite einordnen zu können, erörtere ich eben diese im folgenden Abschnitt (Kap. 10.2.1), bevor ich die Eignung der methodischen Vorgehensweise zur Beantwortung der Forschungsfragen diskutiere (Kap. 10.2.2). 10.2.1 Reichweite der Ergebnisse Ziel dieser Studie war die Entwicklung einer gegenstandbezogenen Theorie mittlerer Reichweite (vgl. Kap. 6.2.3). Dabei beziehe ich mich auf den Theoriebegriff der (sozialkonstruktivistischen) GTM, nach dem sie als „temporär-vergängliche Reifikationen“ (Strübing 2008: 10) wiederum den Ausgangspunkt neuer Theoriebildung bilden und durch Prozessualität und Perspektivität geprägt sind. Insofern haben die vorliegenden Ergebnisse nur für diesen Kurs mit den spezifischen Besonderheiten und Verhaltensweisen der Akteur/ innen zu dem gegebenen Zeitpunkt unmittelbare und uneinge- <?page no="334"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 334 schränkte Gültigkeit. Durch die Erhebung dichter Daten und durch die detaillierte Beschreibung der Rahmenbedingungen und der Gestaltung der Portfolioarbeit sowie durch die erreichte konzeptionelle Repräsentativität, d.h. die Verankerung der Theorie in den Daten, und die theoretische Sättigung ist allerdings die Übertragung der Ergebnisse gut möglich. Das Erreichen der theoretischen Sättigung zeigt sich daran, dass nach der Auswertung der Datensätze von Atena, Aline, Qian, Renato und Tom schon bei Nileshs Daten kaum noch eine Erweiterung der Kategorien zu erkennen war und die Daten von Laure zu überhaupt keinen Ergänzungen mehr führten. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Konstrukte wie die konzeptionelle Repräsentativität und die theoretische Sättigung lediglich Näherungswerte darstellen können, die aufgrund einer subjektiven Entscheidung und vor dem Hintergrund nicht vorhersagbarer affektiver Aspekte und sozialer Prozesse getroffen werden (vgl. Kap. 6.5.7). Dennoch gehe ich davon aus, unter den herrschenden Bedingungen eine Sättigung erreicht zu haben. Ferner nehme ich an, dass die Ergebnisse insofern eine hohe Reichweite haben, als dass ich Studierende mit vielfältigen Voraussetzungen und Erwartungen als Untersuchungspartner/ innen gewinnen konnte, die je unterschiedliche sprachliche Niveaus repräsentierten. Auch im Engagement und in den gewohnten Arbeitsweisen unterscheiden sich die Studierenden stark. Eine große Möglichkeit zur Übertragung ist vor allem gegeben, wenn ähnliche Bedingungen wie im Untersuchungskontext herrschen, also mit einem Schreibportfolio mit offener Gestaltung gearbeitet wird, eine Kursstruktur mit wöchentlichen Sitzungen über einen begrenzten Zeitraum vorliegt, eine regelmäßige Arbeit am Portfolio oder für das Portfolio stattfindet (Schreibaktivitäten, Selbsteinschätzungen, peer feedback etc.), die Zielgruppe Studierende sind und Lehrende wie Lernende in der Portfolioarbeit eher unerfahren sind. Die Ergebnisse sind nicht auf Deutsch als Fremdsprache begrenzt, da bei der Fragstellung nicht der Spracherwerb oder sprachenspezifische Überlegungen im Mittelpunkt standen sind. Sie beziehen sich auf Studierende mit einem Sprachstand von etwa B1 bis C1. Bei einem Sprachniveau unter B1 wäre zu prüfen, inwiefern Tätigkeiten wie das peer feedback, das Führen des Lerntagebuchs sowie die Kommentierung der verfassten Texte in der Zielsprache möglich sind. Eine Übertragung der Ergebnisse auf andere Fertigkeiten oder auf ein allgemeines Sprachenportfolio ist denkbar, denn auch dabei sind peer feedback, Portfoliogespräche und Selbsteinschätzungen integriert. Die <?page no="335"?> 10.2 Reichweite der Ergebnisse & Diskussion der Methoden 335 an Vordrucken orientierte Arbeitsweise im ESP unterscheidet sich allerdings stark von denen in einem offenen Portfolio, so dass hier die Möglichkeit zur Übertragung geringer ist. Bei der Frage nach der Zielgruppe ist besonders zu bedenken, dass studentische oder andere erwachsene Lernende sich durch langjährige Lebenserfahrung, einen hohen Wissensstand, ein tiefes Bedürfnis nach Selbstorganisation und Eigenverantwortung auszeichnen, und bei ihnen aufgrund eben dieser Lebenserfahrung häufig die interindividuellen Unterschiede ausgeprägter sind als bei Kindern oder Jugendlichen (vgl. z.B. Erpenbeck/ Heyse 1999: 97f.). Aus diesem Grund sind die vorliegenden Ergebnisse im schulischen Kontext bei jüngeren Lernenden und anderen Rahmenbedingungen vermutlich nur begrenzt gültig, wohingegen in Sprachenkursen für Erwachsene, die an eine Kursstruktur gebunden sind, durchaus Ähnlichkeiten und damit Übertragungsmöglichkeiten erwartet werden können, sofern es sich um ein ähnlich lernerfahrenes Klientel handelt wie Studierende. 10.2.2 Diskussion der methodischen Vorgehensweise Zur Diskussion der methodischen Vorgehensweise und der Qualität der Ergebnisse insgesamt greife ich auf die in Kapitel 6.5.7 formulierten Leitfragen zurück. Der entwickelte Erklärungsansatz der Kompatibilität dient dazu, die Arbeit mit Schreibportfolios unter den oben beschriebenen Umständen in seinen Facetten und Einflussfaktoren besser zu begreifen, wobei besonders die Berücksichtigung der Perspektiven der Lehrerin und der Lernenden zum Verständnis der ablaufenden Prozesse beiträgt. Bei der Interpretation der Daten habe ich auf eine enge Verankerung der Ergebnisse im Datenmaterial geachtet. Zur besseren Nachvollziehbarkeit trägt die Kategoriendokumentation bei. Durch die Begleitung nur einer Lehrerin war eine dichte Beschreibung der Geschehnisse im Kurs möglich. In anderen Kursen und bei anderen Lehrenden können allerdings andere Arbeitsweisen zu finden sein, die sich wiederum auf die Wahrnehmung und auf das Handeln der Lernenden auswirken. Eine weitreichende Prognosefähigkeit meiner Ergebnisse ist dennoch unter den in Kapitel 10.2.1 beschriebenen Umständen gegeben, zumal davon auszugehen ist, dass es viele Lehrende gibt, die sich der Portfolioarbeit zum ersten Mal und durch Ausprobieren nähern, wie es auch Kristmanson et al. (2011) beschreiben. Es war mein Ziel, die methodische Vorgehensweise nicht nur nachvollziehbar darzustellen, sondern sie auch kritisch zu reflektieren. Daran möchte ich bei den folgenden Ausführungen anknüpfen. Zunächst kann ich zusammenfassen, dass das methodische Vorgehen insgesamt dem Gegenstand <?page no="336"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 336 angemessen war. Dennoch gab es Situationen, in denen ich mich im Nachhinein anders entschieden hätte, oder in denen ich mir andere Rahmenbedingungen gewünscht hätte. Besonders betraf das die Unterrichtsausfälle, denn bei sieben statt neun Sitzungen mit jeweils drei Unterrichtsstunden stand für die Portfolioarbeit, aber auch für Schreibaufgaben, weniger Zeit zur Verfügung als zunächst geplant. Allerdings habe ich mit meiner Studie das Ziel verfolgt, die praktische Anwendung von Portfolioarbeit kennenzulernen, wozu auch Unterrichtsausfälle gehören. Kritik an meinem eigenen Handeln betrifft vor allem die Ausführung: Im Nachhinein gibt es Fragen, die ich in den Interviews anders hätte stellen können, vor allem aber fielen mir bei der Auswertung einige Stellen auf, bei denen ich gerne genauer nachgefragt hätte. Allerdings bin ich mir auch bewusst, dass eine perfekte Interviewführung schlichtweg nicht möglich ist (vgl. Kap. 6.4.3). Auch auf der technischen Ebene würde ich mit meinem heutigen Wissen eine andere Entscheidung treffen: Zu spät habe ich festgestellt, dass die Partitur-Transkriptionssoftware EXMaRALDA und die Software zur Qualitativen Datenanalyse MAXQDA nicht problemlos zu kombinieren sind. Hier wäre es sinnvoll gewesen, EXMaRALDA durch ein anderes Programm zu ersetzen. Als angemessen erwiesen sich die Auswahl der Zugänge zum Feld sowie die Verbindung verschiedener Daten, Perspektiven und Handlungssituationen, die entscheidend zur Erarbeitung eines umfassenden Bildes beitrug. Nicht nur die Kombination der Perspektiven der Lehrerin und der Lernenden, sondern auch die Ergänzung der Interviewdaten durch die Unterrichtsbeobachtungen und die Aufzeichnungen aus den Portfoliogesprächen war zielführend, um gezieltere Fragen für die Interviews entwickeln und die Informationen einordnen zu können und um insgesamt ein vollständigeres Bild der Portfolioarbeit zeichnen zu können. Die Grounded Theory Methodologie zeigte sich für diese Studie als sehr gut geeignet. Auf der Basis des bisherigen Standes der Forschung wäre es kaum möglich gewesen, deduktiv tragfähige Kategorien zu bilden, so dass eine eher induktive Kategorienbildung auf der Basis des Datenmaterials zielführend war. Daraus ergab sich allerdings die große forschungspraktische Schwäche der GTM, denn durch die induktive Kategorienbildung lagen nach dem Schritt des offenen Kodierens ca. 1.400 Codes vor, die weit über 2.000 Textstellen zugeordnet waren. Während diese Codes ein gutes Abbild der Datenlage darstellten, war diese Menge kaum mehr zu bearbeiten. Insgesamt stellt der Dreischritt des offenen, axialen und selektiven Kodierens jedoch eine sinnvolle Abfolge dar, die Orientierung im Forschungsprozess <?page no="337"?> 10.3 Implikationen für die Unterrichtspraxis 337 bietet, ohne die Handlungsfreiheiten zu beschneiden. Eine besondere Stärke des Vorgehens ist die Arbeit mit dem Kodierrahmen beim axialen Kodieren (vgl. Kap. 6.5.5), durch das die Verbindungen der Kategorien herausgearbeitet werden. Die Entwicklung einer Kernkategorie fordert ferner dazu auf, Verbindungen zwischen den Kategorien zu suchen und diese Verbindungen am Datenmaterial zu begründen oder zu überdenken, wodurch eine tiefe Auseinandersetzung mit den Daten und mit dem Phänomen angeregt wird. Mit den drei herausgearbeiteten Kernkategorien zu den drei Forschungsfragen, nämlich der Suche nach einer geeigneten Vorgehensweise der Lehrerin, der Verortung der Wahrnehmung der Studierenden auf den Kontinua hilfreich - nicht hilfreich; angenehm - angenehm sowie der Kompatibilitätstheorie ist eine Orientierung im Thema gut möglich. Allerdings ist es dringend notwendig, die Ergebnisse nicht auf diese Kernkategorien zu reduzieren, sondern das komplexe Gesamtbild zu berücksichtigen. 10.3 Implikationen für die Unterrichtspraxis Der Rückbezug der Ergebnisse auf die Unterrichtspraxis ist ein zentrales Ziel der Sprachenlehr- und -lernforschung (vgl. Riemer 2014: 16; Riemer 2006b: 238). In der Tat lassen sich aus den erarbeiteten Ergebnissen Handlungsempfehlungen für die Praxis ableiten, die ich im folgenden Abschnitt darstelle. Herunterbrechen des Portfoliokonzepts Im Datenmaterial zeigt sich deutlich, dass das ehrgeizige Vorhaben, ein umfassendes Portfoliokonzept mit Lerntagebüchern, Selbsteinschätzungen, Strategievermittlung, peer feedback und selbstgesteuertem Lernen in einem nur neunwöchigen Kurs alle Akteur/ innen vor unlösbare Probleme stellt. Fremdheit, Unsicherheiten, Ängste und Ablehnung gehen damit einher. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoller, schrittweise an die Portfolioarbeit heranzuführen, statt alle Elemente gleichzeitig einzuführen. Dabei ist das Label der Portfolioarbeit deutlich weniger wichtig als die kennzeichnenden Arbeitsweisen. Wenn Lehrende zunächst Selbsteinschätzungsaktivitäten, peer feedback oder die Arbeit mit Textversionen erproben, stehen sie nicht unter dem Druck, ein vollständiges Portfoliokonzept entwickeln und umsetzen zu müssen. Sie können die einzelnen Aspekte erproben und ausarbeiten, um sie vielleicht später auch kombiniert einzusetzen. So können beispielsweise Anleitungen zur Arbeit mit den Selbsteinschätzungsbögen entwickelt und erprobt werden, die dann auch im Kontext eines umfassenden Portfoliokonzepts genutzt werden können. <?page no="338"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 338 Gerade im universitären Kontext, in dem Sprachkurse häufig nur auf ein Semester angelegt sind, stellt sich die Frage, wie schnell Studierende an neue Arbeitsweisen herangeführt werden können oder müssen. Ausschlaggebend für die Wahl des Konzepts muss dessen Nutzen zum Erreichen der Ziele sein, wobei sprachliche Ziele im Fremdsprachenunterricht immer eine zentrale Rolle spielen sollten, ohne dass andere Möglichkeiten vernachlässigt werden. Daran kann das Portfoliokonzept ausgerichtet werden, das viele Möglichkeiten bietet, aber kein Selbstzweck ist. In einem weiteren Schritt ist dann auch über die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen nachzudenken. Dazu zählen eine großzügige Zeitplanung und eine gute technische Handhabbarkeit des Portfolios. Berücksichtigung der Vorbedingungen (Kompatibilität): Um Portfolioarbeit besser planen und auf die jeweilige Zielgruppe anpassen zu können, besteht die Möglichkeit die Vorbedingungen anhand der vier Kompatibilitätsbereiche (vgl. Kap. 9.3) zu überprüfen. Folgende Leitfragen bieten beispielsweise Orientierung: Mit welchen Zielen besuchen die einzelnen Lernenden den Kurs? Welche Erwartungen haben sie an die Unterrichtsgestaltung? Welche Eigenschaften zeichnen die einzelnen Lernenden aus? Sind sie eher selbstbewusst, selbstständig, offen im Umgang mit Fehlern, kreativ und mit einer ausgeprägten Sprachlernbewusstheit ausgestattet? Wie bewusst sind sie sich über ihre bevorzugten Arbeitsweisen? Inwiefern sind sie es gewohnt, Rückmeldungen zu selbst verfassten Texten einzuholen? Wie gehen sie mit Rückmeldungen um? Wie begreifen die Lernenden die Rolle der Lehrenden? Welche Vorerfahrungen haben die Lernenden mit der Reflexion ihres Sprachenlernens? Welche Instrumente haben sie dazu schon genutzt (Lerntagebuch, Selbsteinschätzungsbögen o.a.)? Inwiefern sind die Lernenden an offene Unterrichtskonzepte gewöhnt? Wie interagieren sie normalerweise mit Mitlernenden und Lehrenden? Vermutlich ist es nicht in allen Kontexten einfach, diese Informationen zu erfragen, denn eine oberflächliche Angabe, z.B. eines Lernziels, genügt nicht, zumal die Lernenden Ziele, Erwartungen und Vorerfahrungen in der Regel nicht spontan explizieren können. Daher bietet sich ein intensives, vielleicht auch individuelles Portfoliogespräch schon zu Kursbeginn an, um eine gute Arbeitsbeziehung herzustellen und vor allem, um die genannten Aspekte zu erfragen, aber auch zur Klärung der Anforderungen und Arbeitsweisen. Die Antworten auf diese Fragen geben Lehrenden dann Hin- <?page no="339"?> 10.3 Implikationen für die Unterrichtspraxis 339 weise darauf, wo die Lernenden stehen und in welchen Bereichen sie besondere Hilfestellungen benötigen. Hilfestellungen Es zeigt sich, dass Studierende umfassende und gezielte Hilfestellungen benötigen, um die vielfältigen Anforderungen erfüllen zu können, die durch die Portfolioarbeit an sie gestellt werden. Ein klares, in sich schlüssiges Konzept und dessen verständliche Vermittlung sind die erste Voraussetzung. Darüber hinaus müssen alle weiteren Aktivitäten wie Selbsteinschätzungen und peer feedback angeleitet werden, indem ihr Sinn und Nutzen verdeutlicht wird, die Arbeitsweise erklärt wird und eine Phase zum Einüben eingeplant wird. Auch an die Reflexion müssen die Lernenden herangeführt werden, wobei neben einer allgemeinen Anleitung aller Studierenden auch der individuelle Unterstützungsbedarf berücksichtigt werden muss. Es ist daher sinnvoll, in verschiedenen Formen zu entlasten, beispielsweise durch die Bereitstellung von Beispielen, die Durchführung von ersten einfachen Aktivitäten im Plenum und durch individuelle Gespräche. Auch hier müssen Aufwand und Nutzen in einem sinnvollen Verhältnis stehen, das auch für die Lernenden als solches erkennbar ist. Lernenden helfen, sich die Portfolioarbeit zu eigen zu machen Ein großes Potenzial, das erwachsene, lernerfahrene Lernende mitbringen, ist ihre Fähigkeit, die Portfolioarbeit nach ihren Bedürfnissen und Zielen individuell auszugestalten, sie sich zu eigen zu machen. Dazu ist ein schlüssiges Portfoliokonzept notwendig, das Freiräume für die individuelle Ausgestaltung lässt, ohne die Lernenden durch die Notwendigkeit zu vieler Entscheidungen zu verunsichern. Hierbei ist es notwendig, die Freiräume als solche zu benennen und die Lernenden zu deren Nutzung anzuleiten. Zunächst sind daher beispielsweise folgende Fragen zu klären: Welche Lernziele sind vorgegeben? Welche eigenen Lernziele könnten die Studierenden einbringen? In welchem Verhältnis stehen eigene und fremde Zieler? Was wird hinsichtlich der Arbeitsweise von den Lernenden erwartet? Welche Arbeitsweisen passen zu einzelnen Studierenden? Was bedeutet das für den Portfolioprozess? Was muss im Portfolio enthalten sein? Was kann enthalten sein? Was davon wird bei einer Beurteilung berücksichtigt? Welche Hilfestellungen stehen zur Verfügung? Wie können diese Hilfen in Anspruch genommen werden? Welche Vorbereitung benötigen sie, um Hilfestellungen gezielt und zum passenden Zeitpunkt einzufordern? <?page no="340"?> 10 Diskussion und Einordnung der Ergebnisse 340 Vermittlung von Sicherheit und Berücksichtigung der affektiven Ebene Bei der persönlichen Gestaltung des Lernens und der Berücksichtigung der affektiven Dimension werden nicht nur Motivation und positiv belegte Affekte wie Stolz oder Zufriedenheit begünstigt, die mit der Fertigstellung des Portfolios verbunden sind, sondern auch massive Ängste, Unsicherheiten, Zweifel und das Gefühl der Bevormundung. Lehrende müssen auf den Umgang mit den negativen Gefühlen ebenso vorbereitet sein wie auf den mit den positiven. Mit persönlichen Informationen und Reflexionen im Portfolio ist es durchaus möglich, eine Vielzahl an Gefühlen hervorzurufen. Damit gilt es verantwortungsvoll umzugehen, beispielsweise schon bei der Aufgabenstellung, und realistisch einzuschätzen, was Lehrende gegebenenfalls auffangen könnten und wo ihre Grenzen liegen. Darüber hinaus müssen Studierende in unangenehmen Situationen begleitet werden. Unsicherheiten und Versagensängste können durch Transparenz und regelmäßige Rückmeldungen reduziert werden, das Gefühl der Bevormundung erfordert einen sensiblen Umgang mit Arbeitsweisen und Machtverhältnissen im Klassenraum und Ängste in Vergleichs- und Konkurrenzsituationen bedürfen einer angenehmen, angstfreien Atmosphäre in der Lerngruppe sowie ggf. die Orientierung an einer individuellen Bezugsnorm. Insgesamt wird hieran deutlich, dass Portfolioarbeit nicht ein Bündel von Techniken und Aktivitäten ist, die in den Unterricht getragen werden, sondern dass sie auch in der Interaktion und damit auf der Beziehungsebene stattfindet, die daher besonders berücksichtigt werden muss. Bewusster Umgang mit Spannungsverhältnissen Portfolioarbeit fördert zwangsläufig bestehende Spannungsverhältnisse zutage und lässt neue entstehen. Dazu zählen z. B. folgende: das Setzen eigener Lernziele im Verhältnis zu vorgegeben Zielen; Aufforderung zu Selbststeuerung und Heranführung an Autonomie bei vorgegebenen Rahmenbedingungen; Aufforderung zur Selbstbeurteilung bei der Portfolioarbeit und deren fehlende Berücksichtigung bei der abschließenden Fremdbeurteilung. Sie lassen sich nicht immer auflösen, aber es ist dringend notwendig, dass Lehrende sich ihrer bewusst sind, sich dazu positionieren und sie mit den Studierenden als mündige Partner/ innen diskutieren, da nur so eine Manifestation und Verstärkung vorherrschender Machtverhältnisse vermieden und eine Demokratisierung des Unterrichts begünstigt werden kann. Allerdings kann diese Thematik nicht im Kursraum alleine diskutiert werden, sondern muss in die Institution getragen und dort geführt werden, um langfristig nachhaltige Veränderungen in der Lernkultur zu bewirken. <?page no="341"?> 11 Fazit und Ausblick Im ersten Teil dieser Arbeit habe ich den Stand der Forschung zur Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht aufgearbeitet, wobei festzustellen war, dass es fundierte konzeptionelle Arbeiten gibt, in denen die Möglichkeiten der Portfolioarbeit aufgezeigt werden. Der Stand der empirischen Forschung im Sinne eines gesicherten, umfassenden Verständnisses von Portfolioarbeit ist hingegen als eher defizitär zu beschreiben, obwohl einzelne aufschlussreiche Studien vorliegen. Ergebnisse liegen vor allem zum Portfolio als Reflexionsinstrument sowie als Instrument der Autonomieförderung und der Leistungsfeststellung vor. Darüber hinaus finden sich Studien, die die Implementierung und Akzeptanz von Portfolioarbeit in den Blick nehmen. Besonders die Portfolioarbeit in der Schule ist gut erforscht. In Bezug auf Schreibportfolios liegen in Studien aus dem universitären Englischunterricht aus der Türkei (vgl. Aydin 2010) und aus dem Iran (vgl. Khodadady/ Khodabakhshzade 2012) Ergebnisse vor, die darauf hindeuten, dass durch das regelmäßige Schreiben und die metakognitive Steuerung die Schreibfertigkeit und die Autonomie der Lernenden gefördert werden. Den Ausgangspunkt meiner Studie bildete die von mir wahrgenommene Diskrepanz zwischen den portfolioenthusiastischen Publikationen einerseits, zu denen auch einige der empirischen Studien zählen, und den kritischen Argumenten von Lehrenden in der Praxis andererseits, die Berührungsängste zu haben scheinen oder gar schon portfoliomüde sind. Mein Ziel war es, die subjektive Wahrnehmung der an der Portfolioarbeit beteiligten Akteur/ innen zu untersuchen und gelingensförderliche-und -hemmende Bedingungen herauszuarbeiten. Dazu war es mir wichtig, eine Lehrerin zu begleiten, die der Portfolioarbeit weder sehr zugewandt noch extrem abgeneigt gegenüberstand, sondern die sich ihr offen und auf ihre individuelle Weise näherte. Da bisher noch keine Studien aus dem universitären Fremdsprachenunterricht mit sprachlich und kulturell heterogenen Lernendengruppen vorlagen, setzte ich an dieser Stelle an. Dabei erwies es sich als sinnvoll, die Unterrichtsgestaltung der Lehrerin und ihre handlungsleitenden Kognitionen als Rahmen für die Wahrnehmung aller Akteur/ innen zu analysieren. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen deutlich, dass in diesem Fall die Wirklichkeit zwischen den beiden Extrempositionen der Portfolioenthusiast/ innen und der Portfoliogegner/ innen liegt. Portfolioarbeit hat das Potenzial, Unterricht zu reformieren und Lernendenorientierung zu unterstützen. Die volle Entfaltung dieses Potenzials würde allerdings perfekte <?page no="342"?> 11 Fazit und Ausblick 342 Rahmenbedingungen, hervorragend geschulte Lehrende mit großen Zeitreserven sowie autonome, motivierte und jederzeit interessierte Lernende voraussetzen. In den Worten Häckers steht Portfolioarbeit in Verbindung mit dem „Idealbild einer [sic! ] perfekten, weil ständig lernwilligen und interessierten Schüler/ in“ - und darüber hinaus mit einem ebensolchen Idealbild von Unterricht und von Lehrenden -, welche der Arbeit mit Portfolios als „implizite ‚Betriebsprämisse‘“ zugrunde liegen (Häcker 2007: 281). Vor dem Hintergrund dieser Erwartungen kann Portfolioarbeit nur scheitern, wodurch auch das vorhandene Potenzial verloren geht. Das Ziel dieser Arbeit war daher, eine dichte Beschreibung von Portfolioarbeit zu erstellen, so dass ihre Chancen ebenso sichtbar werden wie ihre möglichen Einschränkungen. Durch die Entwicklung der vier Kompatibilitätsbereiche und der Maßnahmen, die Lehrende und Lernende zur Erhöhung der Kompatibilität ergreifen können (vgl. Kap. 9.4), liegt eine detaillierte Darstellung der Einflussfaktoren vor, die das Verstehen der Portfolioarbeit und ihre praktische Umsetzung erleichtern kann. Es wird allerdings auch deutlich, dass bezüglich der Arbeit mit Portfolios, besonders mit Schreibportfolios, im Fremdsprachenunterricht weitere Forschung nötig ist. Forschungsdesiderata, die im Laufe dieser Studie identifiziert werden konnten, zeige ich im Folgenden auf. Elemente der Portfolioarbeit In dieser Studie wurde deutlich, dass die Studierenden Lerntagebüchern, Selbsteinschätzungsaktivitäten und peer feedback, die alle als Teil der Portfolioarbeit zu verstehen sind, eher ablehnend gegenüberstehen und in vielen Fällen keinen Nutzen für ihr eigenes Lernen darin erkennen können. Im Anschluss an diese Ergebnisse zur subjektiven Wahrnehmung und Sinnzuschreibung der Lernenden zur Portfolioarbeit und allen zugehörigen Elementen wären Untersuchungen wünschenswert, die die einzelnen Elemente und die Vorgehensweisen der Lernenden in den Blick nehmen, um die Gründe besser zu verstehen, die zu einer ablehnenden Haltung, zum Gefühl der Bevormundung (vgl. Kap. 9.2.3.2) oder des geringen Nutzens (vgl. Kap. 9.2.3.2) führen können. Dringender Forschungsbedarf besteht bezüglich der Zielsetzung, der Durchführung und der Wahrnehmung von Portfoliogesprächen. Hierzu liegen meines Wissens bisher keine Untersuchungen vor. Die Ergebnisse dieser Studie bieten allerdings Anknüpfungspunkte, indem deutlich wird, dass Portfoliogespräche in der gegebenen Ausgestaltung als Kommunikationssituation geschätzt werden und hilfreich sind, die Gespräche inhaltlich aber als nicht nützlich wahrgenommen werden. <?page no="343"?> 11 Fazit und Ausblick 343 Portfolioarbeit aus Sicht der Lehrenden In dieser Studie zeigte sich, dass Lehrende bei der Portfolioarbeit vor enormen Herausforderungen stehen. In der Teilstudie A wurde die Annäherung der Lehrerin an der Portfolioarbeit nachgezeichnet, wobei sich ähnliche Vorgehensweisen zeigten wie bei Kristmanson et al. (2011). Es bleiben Fragen offen, die die beschriebene Suche der Lehrerin nach einer geeigneten Vorgehensweise betreffen. Diese Art der Annäherung an das Instrument sollte bei Lehrenden in unterschiedlichen Kontexten untersucht werden, sowohl an Schulen als auch an außerschulischen Einrichtungen. Damit schließe ich mich den Forderungen von Bellingrodt (2011b: 280), Fink (2010: 297) und Kolb (2007: 325) uneingeschränkt an. Viele der Herausforderungen, die die Lehrerin im begleiteten Kurs bewältigen musste, sind vermutlich nicht ausschließlich bei der Portfolioarbeit zu finden, sondern gehen mit der Hinwendung zu einem lernendenorientierten Unterricht einher. Diese Art des Unterrichts verlangt Lehrenden ab, verschiedene Rollen einzunehmen und jederzeit flexibel und binnendifferenzierend zu arbeiten. Gleichzeitig treten Spannungen zwischen diesen Ansätzen und den vorherrschenden Formen und Vorstellungen von Unterricht und Leistung(sfeststellung) auf, die ebenfalls dringend weiterer Forschung bedürfen. Bezüglich der Anforderungen, die an Lehrende gestellt werden, ist zu untersuchen, wie Lehrende mit diesen umgehen und schließlich auch, was die Lehrendenbildung zur besseren Vorbereitung auf diese Anforderungen leisten muss. Anleitung der Studierenden Im hier begleiteten Kurs verzichtete die Lehrerin auf eine detaillierte Vorbereitung der Studierenden auf Reflexions- und Selbsteinschätzungsaktivitäten, auf peer feedback und auf die Portfolioarbeit insgesamt. Gleichzeitig fiel auf, dass die Studierenden Verständnisprobleme hatten, sich in einigen Fällen überfordert fühlten und, wie oben erwähnt, Mühe hatten, diesen Aktivitäten einen Sinn zuzuschreiben. Hieran schließt sich die Frage an, ob es einen Zusammenhang zwischen einer geringen Steuerung und diesen Ergebnissen gibt bzw. welche Auswirkungen eine Anleitung haben kann. Auch verschiedene Möglichkeiten der Anleitung gilt es zu erforschen, wobei jeweils die Individualität der Lernenden berücksichtigt werden muss. Umgang mit Mehrsprachigkeit Bei der Arbeit mit Sprachenportfolios, besonders beim ESP, wird immer wieder die Möglichkeit zur Förderung von Mehrsprachigkeit hervorgehoben (vgl. z. B. Schneider 2003: 257). Auch wenn die Lernenden in der in dieser <?page no="344"?> 11 Fazit und Ausblick 344 Studie begleiteten Portfolioarbeit dazu aufgefordert wurden, ihre Sprachenlernbiografie in das Portfolio zu integrieren, wurde die Mehrsprachigkeit jedoch nicht weiter berücksichtigt. Forschungsbedarf besteht daher bezüglich der Integration der individuellen Mehrsprachigkeit insgesamt, aber auch in Hinblick auf die Möglichkeiten, Schreiberfahrungen in anderen Sprachen einzubeziehen und sie für das Schreiben in der Zielsprache nutzbar zu machen. Darüber hinaus ist auch der Umgang mit der Erstsprache oder mit anderen Sprachen im Portfolio dringend zu untersuchen. In dieser Studie hat sich gezeigt, dass die Lernenden ohne eine explizite Aufforderung zwar gelegentlich bei Notizen und Hilfstexten auf die Erstsprache oder auf Englisch zurückgreifen, sie aber im Portfolio sehr konsequent meiden. Ergebnisse zum Umgang Lehrender wie Lernender mit der Erstsprache und anderen Fremdsprachen im Portfolio sind besonders im Rahmen von Schreibportfolios wünschenswert. Insgesamt zeigt sich, dass Portfolioarbeit noch zahlreiche Fragen aufwirft. Die verschiedenen Formate der Portfolioarbeit, vom Europäischen Sprachenportfolio über Schreibportfolios bis hin zu ganzen Schulzeitportfolios führen dazu, dass sich die Anzahl der Fragen multipliziert. Ihre Beantwortung ist allerdings wichtig, um Lehrenden Entscheidungshilfen dabei zu geben, ob und wie Portfolioarbeit eingesetzt werden kann und um einen differenzierten Umgang mit dem Portfolio zu ermöglichen, das alle Akteur/ innen vor enorme Herausforderungen stellt, aber auch ein großes Potenzial für den Unterricht und für die Hinwendung zu einer neuen Lern- und Leistungskultur bietet. <?page no="345"?> Literaturverzeichnis Abendroth-Timmer, Dagmar (2005). 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Sprache (? chin.? ) unverständlicher Redebeitrag in chinesischer Sprache Kommentierung des folgenden Redebeitrags: (snl) schnell (lgs) langsam (ls) leise (lt) laut (zögernd) zögernd (lachend) lachend * Ende des kommentierten Redebeitrags # lacht kurz ## lacht (r) räuspern (.h),( .hh) einatmen, je nach Dauer (h), (hh) ausatmen, je nach Dauer [steht auf] Sprecher/ in steht auf in Anlehnung an IdS (2004) und Riemer (2006b: 118f.) <?page no="383"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG www.narr.de JETZT BES TELLEN! Gabriela Marques-Schäfer Deutsch lernen online Eine Analyse interkultureller Interaktionen im Chat ISBN 978-3-8233-6733-8 JETZTT <?page no="384"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! Eva Burwitz-Melzer / Frank G. Königs / Claudia Riemer (Hrsg.) Perspektiven der Mündlichkeit Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik 272 Seiten €[D] 48,00 / SFR 61,80 ISBN 978-3-8233-6924-0 Mündlichkeit scheint - verfolgt man die methodischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte - für den Fremdsprachenunterricht selbstverständlich zu sein. Bisweilen ist vom Primat des Mündlichen die Rede, und man könnte den Eindruck gewinnen, als seien damit zahlreiche Probleme gelöst, die man dem traditionellen Fremdsprachenunterricht mit seiner Fokussierung der Schriftlichkeit vorgehalten hatte. Dass dem nicht so ist, zeigen die 26 Beiträge des vorliegenden Bandes, in dem sich Vertreter der deutschen Fremdsprachendidaktik aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Rolle der Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht auseinandersetzen. Dabei entsteht ein Kaleidoskop unterschiedlicher Sichtweisen auf Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht, das Anregungen sowohl für die weitere Forschung auf diesem Gebiet als auch für die unterrichtliche Praxis enthält. <?page no="385"?> Portfolios werden häufig im Fremdsprachenunterricht eingesetzt. Sie sollen u.a. den Lernprozess unterstützen, lebenslanges Lernen ermöglichen und eine neue Form der Leistungsfeststellung darstellen. Erste empirische Studien aus dem schulischen Kontext zeigen das Potenzial des Instruments, geben gleichzeitig aber auch Hinweise auf Bedingungen, die für die erfolgreiche Umsetzung der Portfolioarbeit erfüllt sein müssen. Im Fokus dieser Studie steht die Arbeit mit einem Schreibportfolio im universitären DaF-Unterricht. Die Ergebnisse zeigen, wie die Lehrenden und die Studierenden mit dem Instrument arbeiten, wie sie es wahrnehmen und welche Gelingensbedingungen gelten. Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
