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Grammatiklernen und -lehren im universitären DaF-Unterricht Taiwans

Eine empirische Studie zu didaktischen, sprachlichen und kulturellen Aspekten

0422
2015
978-3-8233-7951-5
978-3-8233-6951-6
Gunter Narr Verlag 
Mei-Wu Chou

Diese theoretisch fundierte empirische Studie untersucht die Probleme des Grammatiklernens und ­lehrens im universitären DaF­Unterricht Taiwans. Die Gestaltung erfolgreichen L2­Unter­richts hängt von vielen Faktoren ab. Aus der Analyse der erhobenen Daten wird deutlich, dass für einen erfolgreichen Lehr­Lernprozess die Berücksichtigung der sprachlichen und kulturellen Aspekte ebenso relevant ist wie angemessene Unterrichtsmethoden, Vorgehensweisen und Materialien. Dies zu erkennen, ist sowohl für muttersprachliche als auch für nicht mutter ­sprachliche DaF­Lehrkräfte wichtig. Aufgrund der Analyseergebnisse werden Verbesserungs­vor schläge bzw. Alternativen für die Unterrichts ­praxis herausgearbeitet, die einen Beitrag zur qualitativen Verbesserung des DaF­Unterrichts an den taiwanischen Universitäten leisten sollen. Dieses Buch richtet sich an DaF­ Lehrkräfte im asiatischen Raum, die bei der Grammatikvermitt­lung auf Probleme gestoßen sind oder einfach ihren Grammatikunterricht noch erfolgreicher gestalten möchten.

<?page no="0"?> Mei-Wu Chou Grammatiklernen und -lehren im universitären DaF-Unterricht Taiwans Eine empirische Studie zu didaktischen, sprachlichen und kulturellen Aspekten Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik <?page no="1"?> Grammatiklernen und -lehren im universitären DaF-Unterricht Taiwans <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Mei-Wu Chou Grammatiklernen und -lehren im universitären DaF-Unterricht Taiwans Eine empirische Studie zu didaktischen, sprachlichen und kulturellen Aspekten <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-6951-6 <?page no="5"?> 5 Danksagung Die Promotion in Deutschland ist für mich ein langer Lernprozess, bei dem man ständig an der eigenen Motivation arbeiten muss. Sie ermöglicht es mir aber, mich sowohl wissenschaftlich als auch persönlich weiter zu entwickeln. Für meine Doktorarbeit schulde ich sehr vielen Menschen einen herzlichen Dank. An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dietmar Rösler bedanken. Nicht nur, dass er bei den Fragen und Schwierigkeiten immer seine Hilfe und Unterstützung gegeben hat, auch hat er mir immer Vertrauen, Verständnis sowie Geduld entgegengebracht und den Gedanken nicht aufgegeben, dass ich diese Arbeit schaffen werde. Durch kritisches Hinterfragen verhalf er mir zu einer durchdachten Fragestellung und durch seine Betreuung wurde ich in vieler Hinsicht weiter entwickelt. Ebenso möchte ich von Herzen meiner Freundin, Ursula Grütter, danken. Sie war meine Deutschlehrerin und ist auch eine meiner besten Freundinnen. Sie hat mich bereits seit dem ersten Tag meines Aufenthalts in Deutschland mit dem Fachwissen sowie mit der seelischen und körperlichen Unterstützung begleitet. Ihre Ermunterung hat mir immer bei der Frustration neue Kraft gegeben. Ohne ihre hilfreichen Anregungen und ihr mühsames Korrekturlesen hätte ich es nicht so weit geschafft. Ein besonderer Dank gilt auch meiner Freundin, Regina Baron. Während des Endspurts und im schwierigen Moment hat sie mir mit ihren Lehrerfahrungen als Schullehrerin den wertvollen Gedankenimpuls für die Arbeit gegeben und auch viel Zeit in die Korrektur meiner Arbeit investiert. Außerdem möchte ich mich bei allen beteiligten Lehrer- und Lernerprobanden herzlich bedanken. Ohne sie und ihren Unterricht wären nicht so wertvolle Videodateien und Daten für diese empirische Studie erhoben worden. Für die praktische Hilfe und Unterstützung danke ich vor allem Frau Tzu- Hui Huang und Pei-Fen Yao jeweils an den Abteilungen Deutsch und Französisch der Chinese Culture University, da sie mir während der Unterrichtsbeobachtungen bei der Anwendung der technischen Einrichtungen hilfsbereit zur Verfügung standen. Und für die freundliche Unterstützung gilt meinen Freunden Achim Rehberger, Dorothea Kopp, Heuy-Lan Tzeng, Jan Kreutz, Kyu-Hyun Park sowie Michael Schön ebenso mein herzlicher Dank. An dieser Stelle möchte ich meinen Eltern und meiner Schwester dafür danken, dass sie mich während der Anfertigung dieser Arbeit in vieler Hinsicht bedingungslos unterstützt haben und emotional für mich da waren. Meine Schwester, Yu-Yu Chou, hat mir bei der Anfertigung der Bilder sehr große Hilfe gegeben, ohne ihre Fach- und Medienkompetenz wären die <?page no="6"?> 6 Bilder weder in dieser Arbeit gut illustriert eingebettet noch in der passenden Form präsentiert. Ganz besonders möchte ich meinem Mann, Ham-Ping Ruan, danken. Ihm danke ich für alles, was er mir in dieser Zeit entgegengebracht hat. Ohne seine selbstlose Unterstützung sowie seine liebvolle Fürsorge könnte ich nicht in der Lage sein, die Schwierigkeiten in allen schwierigen Phasen zu überwinden. Diese Arbeit wäre auch nicht einmal zum Werk geworden, wie es nun ist. Dafür danke ich ihm ganz herzlich. <?page no="7"?> 7 Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ 11 Tabellenverzeichnis ..................................................................................................... 13 Verzeichnis für Auszüge UT ...................................................................................... 15 Verzeichnis für Auszüge IT ........................................................................................ 17 Einleitung ...................................................................................................................... 18 Teil I: Theoretischer Rahmen ....................................................................24 1 Theoretische Grundlagen des Sprachenlernens und lehrens .................. 26 1.1 Grammatiklernen und -lehren: Explizit vs. Implizit ................................. 26 1.2 Methoden des Fremdsprachenlehrens ........................................................ 31 1.2.1 Die Grammatik-Übersetzungs-Methode......................................... 31 1.2.2 Die direkte Methode ........................................................................... 35 1.2.3 Kommunikativer Ansatz .................................................................... 39 1.2.4 Interkultureller Ansatz ....................................................................... 45 1.2.5 Sozialformen ........................................................................................ 50 1.3 Theoretische Grundlagen der Fehlerkorrektur .......................................... 56 1.3.1 Fehlerbegriff......................................................................................... 56 1.3.2 Fehlerursachen und -klassifikationen .............................................. 57 1.3.3 Fehlerkorrektur im Unterricht.......................................................... 59 1.4 Kontrastivität................................................................................................... 64 1.5 Lernstrategien ................................................................................................. 70 1.6 Übungen und Aufgaben ................................................................................ 75 2 Lernervariablen.......................................................................................... 80 2.1 Sprachlernerfahrungen .................................................................................. 80 2.2 Motivation ....................................................................................................... 90 2.3 Lerneinstellung ............................................................................................... 99 3 Deutsch als zweite Fremdsprache in Taiwan .......................................... 103 3.1 Fremdsprachenlernen in Taiwan ............................................................... 103 3.2 Deutsch als zweite Fremdsprache an Senior High Schools .................... 106 3.3 Germanistikstudium an Universitäten und Hochschulen...................... 114 3.3.1 Taiwanisches Germanistikstudium im Wandel ........................... 115 3.3.2 Rahmenbedingungen und Curriculumorganisation ................... 122 <?page no="8"?> 8 3.3.3 Grammatikvermittlung im Rahmen des Germanistikstudiums 131 4 Linguistische und kulturelle Hintergründe ............................................ 134 4.1 Unterschiede der Sprachstrukturen von Chinesisch und Deutsch ....... 134 4.1.1 Morphologie ...................................................................................... 136 4.1.2 Syntax.................................................................................................. 143 4.2 Lerntradition und Lerngewohnheiten im chinesischen Sprach- und Kulturraum.................................................................................................... 156 4.2.1 Konfuzius und seine Lehre .............................................................. 158 4.2.2 Auswirkungen des Konfuzianismus auf Lerntradition und Lerngewohnheiten ............................................................................ 163 4.2.3 Bisherige Forschungsergebnisse zum Thema DaF-Lernen im chinesischen Sprach- und Kulturraum.......................................... 171 Teil II: Forschungs- und Erhebungsdesign .............................................177 5 Datenerhebung und aufbereitung ......................................................... 178 5.1 Ausgangsfragen............................................................................................. 178 5.2 Quantitative und qualitative Forschung: Leistungen und Grenzen ...... 181 5.2.1 Die quantitative und qualitative Methode..................................... 181 5.2.2 Das Laut-Denken .............................................................................. 186 5.3 Forschungsdesign: Triangulation............................................................... 188 5.4 Probanden ..................................................................................................... 191 5.5 Datenerhebung und Analyseverfahren...................................................... 192 5.5.1 Unterrichtsbeobachtung .................................................................. 193 5.5.1.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten ............................ 193 5.5.1.2 Fakten zur Unterrichtsbeobachtung ................................ 195 5.5.1.3 Aufbereitung der Videodaten: Transkription................. 196 5.5.1.4 Auswertungsverfahren ....................................................... 198 5.5.2 Lernerfragebogen (1) - während der Unterrichtsbeobachtung 198 5.5.2.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten ............................ 198 5.5.2.2 Fakten zum Lernerfragebogen (1) .................................... 201 5.5.2.3 Auswertungsverfahren ....................................................... 201 5.5.3 Grammatiktest................................................................................... 202 5.5.3.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten ............................ 202 5.5.3.2 Fakten zum Grammatiktest............................................... 203 5.5.3.3 Auswertungsverfahren ....................................................... 203 <?page no="9"?> 9 5.5.4 Lernerfragebogen (2) - nach der Unterrichtsbeobachtung ........ 204 5.5.4.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten ............................ 204 5.5.4.2 Fakten zum Lernerfragebogen (2) .................................... 204 5.5.4.3 Auswertungsverfahren ....................................................... 205 5.5.5 Lehrerfragebogen .............................................................................. 205 5.5.5.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten ............................ 205 5.5.5.2 Fakten zum Lehrerfragebogen .......................................... 206 5.5.5.3 Auswertungsverfahren ....................................................... 206 5.5.6 Abschlussinterview mit den Lehrenden ........................................ 207 5.5.6.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten ............................ 207 5.5.6.2 Fakten zum Lehrerinterview ............................................. 207 5.5.6.3 Probleme bei der Auswertung .......................................... 207 5.5.6.4 Auswertungsverfahren ....................................................... 208 Teil III: Darstellung und Interpretation der Ergebnisse ........................209 6 Institutionelle Rahmenbedingungen als Probleme im Lern- und Lehrkontext .............................................................................................. 210 6.1 Große Klassen ............................................................................................... 210 6.2 Infrastrukturelle Probleme .......................................................................... 213 6.3 Lern- und Lehrdruck durch institutionelle Regelungen ......................... 214 7 Lernprobleme........................................................................................... 216 7.1 Lernerbezogene Probleme ........................................................................... 216 7.1.1 Lerntechnische/ -strategische Probleme ......................................... 217 7.1.2 Motivation.......................................................................................... 232 7.2 Kulturbedingte Lernprobleme .................................................................... 240 7.2.1 Prüfungs- und Leistungsfokussierung ........................................... 241 7.2.2 Lerneinstellungen und -gewohnheiten .......................................... 245 7.2.3 Das hierarchische Lehrer-Schüler-Verhältnis............................... 256 7.3 Sprachliche Probleme und Ursachen......................................................... 264 7.3.1 Grammatikalische Unklarheiten..................................................... 264 7.3.2 Interferenzen ..................................................................................... 275 7.3.3 Wortschatzdefizite und Verständnisschwierigkeiten .................. 296 7.4 Fehlende Anwendungsmöglichkeiten ....................................................... 300 <?page no="10"?> 10 8.1 Didaktische Kompetenz............................................................................... 305 8.1.1 Mangel an Fachwissen...................................................................... 305 8.1.2 Erklärungsschwierigkeiten .............................................................. 309 8.1.3 Beispielauswahl ................................................................................. 334 8.1.4 Diskussion.......................................................................................... 336 8.2 Methodische Probleme ................................................................................ 341 8.2.1 Probleme bei Präsentation und Vermittlung ................................ 345 8.2.2 Methodische Probleme der Übungsgestaltung ............................. 362 8.2.3 Probleme bei der Korrektur............................................................. 387 8.2.4 Diskussion.......................................................................................... 392 8.3 Sozialformen.................................................................................................. 398 8.4 Unterrichtsmaterialien................................................................................. 410 8.4.1 Mangel an kontextuellen bzw. interkulturellen Inhalten ............ 413 8.4.2 Mangel an visuellen Mitteln ............................................................ 418 8.4.3 Didaktische Alternative.................................................................... 421 8.5 Unterrichtsreflexion ..................................................................................... 435 8.6 Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften ............... 443 Schluss und Ausblick ..................................................................................... 450 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 456 Anhang .......................................................................................................... 477 Anhang 1: Lernerfragebogen (1) - Deutsch ........................................................... 477 Anhang 2: Lernerfragebogen (1) - Chinesisch (Originalfragebogen)................ 482 Anhang 3: Grammatiktest ........................................................................................ 486 Anhang 4: Lernerfragebogen (2) - Deutsch ........................................................... 488 Anhang 5: Lernerfragebogen (2) - Chinesisch (Originalfragebogen)................ 489 Anhang 6a: Lehrerfragebogen - Deutsch (Originalfragebogen)......................... 490 Anhang 6b: Lehrerfragebogen - Chinesisch (Originalfragebogen).................... 493 Anhang 7: Tabelle 3-2................................................................................................ 495 Anhang 8: Tabelle 3-3................................................................................................ 497 8 Didaktische Probleme.............................................................................. 304 <?page no="11"?> 11 Abbildungsverzeichnis Abb. 1-1: Überblick: CLT-Liste von Richards und die lokalen Bedingungen in Taiwan ................................................................................................................. 44 Abb. 1-2: Einführender Überblick mit Definitionen des Frontalunterrichts ............. 51 Abb. 2-1: Strichfolge des chinesischen Schriftzeichens hao .......................................... 84 Abb. 2-2: Übungsheft .......................................................................................................... 84 Abb. 2-3: Kontinuum der Selbstbestimmung zum Lernen ........................................... 94 Abb. 2-4: Motivieren und Motivation .............................................................................. 96 Abb. 3-1: Überblick über die Entwicklung zweiter Fremdsprache an Senior High Schools in Taiwan ............................................................................................ 109 Abb. 3-2: Die Entwicklung der Deutsch- und Spanischlerner im Zeitraum von 1999 bis 2012..................................................................................................... 111 Abb. 4-1: Vergleich der Pronomina im Deutschen und im Chinesischen................ 139 Abb. 4-2: Vergleich der Wortstellung im Chinesischen und im Deutschen............. 144 Abb. 4-3: Vergleich der Passivkonstruktion im Deutschen und im Chinesischen .. 147 Abb. 4-4: Kontrast der Grundform und würde-Form im Konjunktiv II ................. 150 Abb. 4-5: Konstruktion des Satzgefüges für die konditionale oder hypothetische Beziehung im Deutschen und Chinesischen ................................................ 152 Abb. 7-1: Ergebnisse des Lernerfragebogens (2) zu Fragen 1.1, 2.1 und 3.1 in (%) 218 Abb. 7-2: Antworten auf Frage 13 des Lernerfragebogens (1) in (%) ........................ 223 Abb. 7-3: Antworten auf Frage 14 des Lernerfragebogens (1) in (%) ........................ 223 Abb. 7-4: Antworten auf Frage 15 des Lernerfragebogens (1) in (%) ........................ 224 Abb. 7-5: Antworten auf Frage 23 des Lernerfragebogens (1) in (%) ........................ 227 Abb. 7-6: Ausgangsmotivation zum Deutschlernen..................................................... 234 Abb. 7-7: Motivationsquellen zum Deutschlernen in (%) ........................................... 236 Abb. 7-8: Hauptmotivationsquellen der einzelnen Gruppen im Unterricht ............ 237 Abb. 7-9: Demotivationsfaktoren beim Deutschlernen in (%) ................................... 238 Abb. 7-10: Übungstypen zum Deutschlernen in (%) ................................................... 253 Abb. 7-11: Ursachen für grammatikalische Unklarheiten bei Zustandspassiv und Konjunktiv II................................................................................................... 268 Abb. 8-1: Beispielsätze zum Zustandspassiv von Lehrperson C ................................ 321 Abb. 8-2: Tafelbilder von Lehrperson E ........................................................................ 331 Abb. 8-3: Unterrichtsmaterial zur Passivstruktur von Gruppe F ............................... 349 <?page no="12"?> 12 Abb. 8-4: Tafelbeispiele zum Konjunktiv II von Gruppe B ......................................... 354 Abb. 8-5: Arbeitsblätter zum Konjunktiv II von Gruppe F ......................................... 357 Abb. 8-6: Übungsmaterialien zum Konjunktiv II von Gruppe A............................... 363 Abb. 8-7: Von der Lehrperson erstelltes Arbeitsblatt „Gefühle und Stimmungen“ von Gruppe D ................................................................................................... 368 Abb. 8-8: Arbeitsblatt „Über andere sprechen“ zum Rollenspiel von Gruppe D..... 372 Abb. 8-9: Arbeitsblatt „Bildbeschreibung mit Konjunktiv II“ von Gruppe E .......... 378 Abb. 8-10: Arbeitsblatt „Verben mit Präpositionen“ von Gruppe F.......................... 385 Abb. 8-11: Von der Lehrperson korrigierte Verschriftlichung .................................. 387 Abb. 8-12: Korrekturarten auf Fragen 41 und 42 in (%).............................................. 391 Abb. 8-13: Tafelbeispiele als Lehrmaterial zum Passivgebrauch von Gruppe B ...... 414 Abb. 8-14: Übungsmaterial zum Passiv von Gruppe A ............................................... 415 Abb. 8-15: Lehrmaterial zu den Präpositionen mit Dativ oder Akkusativ................ 420 Abb. 8-16: Präpositionen mit Akkusativ ........................................................................ 422 Abb. 8-17: Modale Präpositionen ................................................................................... 423 Abb. 8-18: Ich interessiere mich nicht für die Liebe..................................................... 423 Abb. 8-19: Verben mit festen Präpositionen ................................................................. 424 Abb. 8-20: Übungsbeispiel................................................................................................ 424 Abb. 8-21: Aktiv-Passiv in Optimal A2 ......................................................................... 425 Abb. 8-22: Aktiv-Vorgangspassiv-Zustandspassiv in Moment mal 3 ........................ 425 Abb. 8-23: Version 1 - Aktivtext von Schmenk (2011, 107) ....................................... 427 Abb. 8-24: Version 2 - Passivtext von Schmenk (2011, 107) ...................................... 427 Abb. 8-25: Übungsmaterial zu Passivstrukturen von Gruppe F ................................. 428 Abb. 8-26: Übungsmaterial zum Zustandspassiv von Gruppe E ................................ 430 Abb. 8-27: Konjunktiv II in Schritte Übungsgrammatik ............................................. 431 Abb. 8-28: Konjunktiv II in Schritte Plus 5 .................................................................... 432 Abb. 8-29: Kontextübungen zum Konjunktiv II in Schritte Übungsgrammatik....... 433 <?page no="13"?> 13 Tabellenverzeichnis Tabelle 1-1: Arten und Funktionen von Lernstrategien ................................................ 71 Tabelle 1-2: Überblick über die Merkmale von Übungen und Aufgaben ................... 76 Tabelle 3-1: Projektphasen für den Unterricht in einer zweiten Fremdsprache im Oberschulbereich ......................................................................................... 107 Tabelle 3-4: Collegestufen und ihre Studienschwerpunkte ......................................... 127 Tabelle 3-5: Vollzeit- und Teilzeitlehrkraft in jeder Deutschabteilung ..................... 128 Tabelle 4-1: Überblick über das Lernen und Lehren im asiatischen und westlichen Kulturraum ................................................................................................... 172 Tabelle 5-1: Informationen zu den Untersuchungsgruppen....................................... 191 Tabelle 5-2: Überblick über die Rohdaten und deren Sorten...................................... 193 Tabelle 7-1: Beispiele für Lernprobleme zur Frage 1.1 des Lernerfragebogens (2) bei den Präpositionen.................................................................................. 219 Tabelle 7-2: Lerngewohnheiten innerhalb und außerhalb des Kurses bei den einzelnen Gruppen in (%)........................................................................... 248 Tabelle 7-3: Übersicht über die Lerngewohnheiten in (%).......................................... 250 Tabelle 7-4: Anzahl falsche Antworten bei den Präpositionen ................................... 277 Tabelle 7-5: Anzahl der Antworten auf Frage 4 ............................................................ 278 Tabelle 7-6: Anzahl der Antworten auf Frage 6 ............................................................ 278 Tabelle 7-7: Anzahl der Antworten auf Frage 7 ............................................................ 279 Tabelle 7-8: Anzahl der Antworten auf Frage 9 ............................................................ 280 Tabelle 7-9: Anzahl der Antworten auf Frage 10 .......................................................... 281 Tabelle 7-10: Anzahl falsche Antworten beim Zustandspassiv................................... 283 Tabelle 7-11: Fehlerarten und deren Anteil bei Aufgabe 1 in Prozent ...................... 284 Tabelle 7-12: Fehlerarten und deren Anteil bei Aufgabe 4 in Prozent ...................... 286 Tabelle 7-13: Anteil der falschen Antworten beim Konjunktiv II.............................. 288 Tabelle 7-14: Fehlerarten und deren Anteil bei  der Aufgabe 4 in Prozent........... 289 Tabelle 7-15: Fehlerarten und deren Anteil bei  der Aufgabe 4 in Prozent........... 291 Tabelle 7-16: Fehlerarten und deren Anteil bei  der Aufgabe 5 in Prozent........... 292 Tabelle 7-17: Fehlerarten und deren Anteil bei  der Aufgabe 5 in Prozent........... 293 Tabelle 8-1: Gesamtergebnisse des Lernerfragebogens (2) zu Fragen 1.2, 2.2 und 3.2 in Prozent ................................................................................................ 326 <?page no="14"?> 14 Tabelle 8-2: Verteilung der didaktischen Vorschläge bei den Lehrergruppen in Prozent........................................................................................................... 326 Tabelle 8-3: Ursachen für die Schwierigkeiten beim Grammatiklernen ................... 328 Tabelle 8-4: Nachteile bei den muttersprachlichen Lehrkräften in der Grammatikstunde ....................................................................................... 328 Tabelle 8-5: Nachteile bei den taiwanischen Lehrkräften in der Grammatikstunde ........................................................................................ 328 Tabelle 8-6: Didaktisierung des semantischen Netzwerks von über .......................... 338 Tabelle 8-7: Unterrichtsverlauf und -gestaltung im Überblick ................................... 343 Tabelle 8-8: Überblick und Vergleich der Unterrichtsmethoden und -gestaltung 344 Tabelle 8-9: Lernerfolg beim Zustandspassiv bei nicht-muttersprachlichen und muttersprachlichen Lehrergruppen in (%) .............................................. 345 Tabelle 8-10: Methodenunterschied und Lernerfolg beim Zustandspassiv .............. 346 Tabelle 8-11: Lernerfolg beim Zustandspassiv nach einzelnen Lehrergruppen in (%) ................................................................................................................ 347 Tabelle 8-12: Lernerfolg beim Konjunktiv II bei nicht-muttersprachlichen und muttersprachlichen Lehrergruppen in (%) ........................................... 362 Tabelle 8-13: Verlauf der Unterrichtsstunden von Gruppe D .................................... 403 Tabelle 8-14: Überblick über die verwendeten Materialien und ihre Gestaltung .... 411 Tabelle 8-15: Antworten auf Frage 3.2 im Lernerfragebogen (2) ............................... 440 <?page no="15"?> 15 Verzeichnis für Auszüge UT Auszug UT 7-1: Unterrichtsszene von Gruppe E ......................................................... 225 Auszug UT 7-2: Unterrichtsszene von Gruppe F.......................................................... 228 Auszug UT 7-3: Gruppe C - Unterrichtsgeschehen..................................................... 242 Auszug UT 7-4: Gruppe A - Unterrichtsgeschehen..................................................... 257 Auszug UT 7-5: Gruppe B - Unterrichtsgeschehen ..................................................... 259 Auszug UT 7-6: Gruppe E - Fehlerkorrektur................................................................ 265 Auszug UT 7-7: Gruppe F - Fehlerbeispiel (1) ............................................................. 266 Auszug UT 7-8: Gruppe F - Fehlerbeispiel (2) ............................................................. 266 Auszug UT 7-9: Gruppe F - Fehlerbeispiel (3) ............................................................. 267 Auszug UT 7-10: Gruppe F - Fehlerbeispiel (4) ........................................................... 267 Auszug UT 7-11: Gruppe F - Fehlerbeispiel ................................................................. 269 Auszug UT 7-12: Gruppe F - Fehlerbeispiel ................................................................. 270 Auszug UT 7-13: Gruppe F - Fehlerbeispiel ................................................................. 271 Auszug UT 7-14: Präpositionalgruppe „fehlen an“ ...................................................... 296 Auszug UT 7-15: Präpositionalgruppe „fragen nach“.................................................. 298 Auszug UT 8-1: Gruppe A - Korrekturphase zur Testaufgabe .................................. 305 Auszug UT 8-2: Gruppe B - Vermittlung des Zustandspassivs ................................. 307 Auszug UT 8-3: Gruppe B - Problemlösen zur Testaufgabe ...................................... 308 Auszug UT 8-4: Gruppe A - Lehreraussage im Unterricht......................................... 310 Auszug UT 8-5: Gruppe E - Behandlung der Präpositionen ..................................... 310 Auszug UT 8-6: Gruppe F - Präsentation der Präpositionen .................................... 311 Auszug UT 8-7: Gruppe A - Problemlösen zur Testaufgabe ..................................... 313 Auszug UT 8-8: Gruppe B - Problemlösen zur Testaufgabe ...................................... 313 Auszug UT 8-9: Gruppe C - Problemlösen zur Testaufgabe ..................................... 313 Auszug UT 8-10: Gruppe F - Problemlösen zur Testaufgabe .................................... 314 Auszug UT 8-11: Gruppe A - Behandlung der Präpositionen ................................... 317 Auszug UT 8-12: Gruppe B - Vermittlung des Passivs ............................................... 318 Auszug UT 8-13: Gruppe C - Wiederholung des Passivs ........................................... 319 Auszug UT 8-14: Gruppe C - Behandlung des Passivs................................................ 322 Auszug UT 8-15: Gruppe C - Lehreraussage ................................................................ 325 Auszug UT 8-16: Gruppe D - Problemlösen zur Testaufgabe.................................... 330 <?page no="16"?> 16 Auszug UT 8-17: Gruppe E - Behandlung des Zustandspassivs ................................ 332 Auszug UT 8-18: Gruppe A - Vermittlung des Konjunktiv II ................................... 335 Auszug UT 8-19: Gruppe A - Behandlung des Konjunktiv II.................................... 335 Auszug UT 8-20: Gruppe F - Wiederholung des Passivs ............................................ 349 Auszug UT 8-21: Gruppe B - Vermittlung des Konjunktiv II.................................... 354 Auszug UT 8-22: Gruppe F - Wiederholung des Konjunktiv II ................................ 359 Auszug UT 8-23: Gruppe A - Einüben des Konjunktiv II .......................................... 364 Auszug UT 8-24: Gruppe D - Arbeitsanweisung zum Dialogvorspiel ..................... 369 Auszug UT 8-25: Dialog „Gefühle und Stimmungen“ von Juliana und Simon ....... 370 Auszug UT 8-26: Dialog „Gefühle und Stimmungen“ von Judith und Ekke ........... 370 Auszug UT 8-27: Dialog „Gefühle und Stimmungen“ von unbekannter Gruppe ... 371 Auszug UT 8-28: Dialog „Über andere sprechen“ von Angelika und Natalie ......... 373 Auszug UT 8-29: Dialog „Über andere sprechen“ von Tanja und Sonja .................. 373 Auszug UT 8-30: Dialog „Über andere sprechen“ von Ameli, Berlinda und Klara. 374 Auszug UT 8-31: Gruppe E - Bildbesprechung im Plenum ....................................... 380 Auszug UT 8-32: Gruppe E - Einüben des Konjunktiv II .......................................... 382 Auszug UT 8-33: Gruppe B - Problemlösen zur Testaufgabe .................................... 389 Auszug UT 8-34: Gruppe C - Fehlerbehandlung zur Testaufgabe ............................ 389 Auszug UT 8‒35: Gruppe A - Vorgehensweise der Passivübung (1) ....................... 400 Auszug UT 8‒36: Gruppe A - Vorgehensweise der Passivübung (2) ....................... 401 Auszug UT 8-37: Gruppe D - Anfangsphase der Partnerarbeit ................................. 405 Auszug UT 8-38: Gruppe D - Während der Partnerphase ......................................... 406 <?page no="17"?> 17 Verzeichnis für Auszüge IT Auszug IT 1: Aussagen von Lehrperson A..................................................................... 211 Auszug IT 2: Aussagen von Lehrperson F ..................................................................... 212 Auszug IT 3: Aussagen von Lehrperson F ..................................................................... 226 Auszug IT 4: Aussagen von Lehrperson E ..................................................................... 241 Auszug IT 5: Aussagen von Lehrperson B ..................................................................... 244 Auszug IT 6: Aussagen von Lehrperson F ..................................................................... 244 Auszug IT 7: Aussagen von Lehrperson D..................................................................... 246 Auszug IT 8: Aussagen von Lehrperson A..................................................................... 438 Auszug IT 9: Aussagen von Lehrperson B ..................................................................... 438 Auszug IT 10: Aussagen von Lehrperson C................................................................... 438 Auszug IT 11: Aussagen von Lehrperson E ................................................................... 439 Auszug IT 12: Aussagen von Lehrperson A................................................................... 439 <?page no="18"?> 18 Einleitung Ausgangssituation und Erkenntnisinteresse In den letzten 40 Jahren sind zahlreiche Studien im Bereich des Fremdsprachenlehrens und -lernens erschienen, die der Frage nachgehen, auf welche Weise die Lernenden Deutsch als Fremdbzw. Zweitsprache erfolgreich erlernen und die Lehrenden den Unterricht in geeigneter Weise gestalten können. Auf der Suche nach Antworten wurden der kulturspezifische Hintergrund sowie die damit verbundenen Lern-/ Lehrtraditionen verschiedener Länder oder Kulturkreise erst zögerlich berücksichtigt und auf neue Entwicklungen in einzelnen Ländern wenig eingegangen. Kulturell orientierte Unterrichtsmethoden sind jedoch für die ausländischen DaF- Lehrkräfte und den DaF-Unterricht im In- und Ausland sehr hilfreich, da sich die Arbeit mit den „importierten“ Methoden oft als problematisch erweist. Auch für Taiwan, das Land, aus dem ich komme, fehlen zurzeit noch entsprechende Studien, und die Lernenden sind aufgrund ihrer kulturellen Herkunft mit Schwierigkeiten konfrontiert. Daher möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme und allgemein zur qualitativen Verbesserung des DaF-Unterrichts an taiwanischen Universitäten leisten. Der DaF-Unterricht in Taiwan, der im Fokus dieser Arbeit steht, trifft auf eine Lehr- und Lerntradition, die aufgrund der konfuzianischen Kultur bestimmte Bedingungen, Motivationen, Umgangsweisen im Unterricht zwischen Lehrenden und Lernenden sowie Lehr- und Lernstile ausgeprägt haben. Als Deutschlernende taiwanischer Herkunft kenne ich die besonderen Schwierigkeiten, die sich aus dieser Konstellation ergeben. Insbesondere beim Umgang mit der Grammatik an taiwanischen Universitäten ist es eine Herausforderung für die Lehrkräfte unterschiedlicher Herkunft, den Lehr- und Lernprozess erfolgreich zu gestalten. Jedoch birgt die interkulturelle Begegnung im Unterricht auch ein hohes Potenzial an Lernchancen, von denen alle Beteiligten profitieren können. Die Grammatik und deren Vermittlung stellen einen elementaren Baustein beim Erwerb einer Fremdsprache dar, obwohl sie nur eine Teilfertigkeit und ein Mittel für die Entwicklung der weiteren Sprachfertigkeiten darstellt. Im DaF-Unterricht nimmt sie auch heute einen großen Teil der Unterrichtszeit in Anspruch, vor allem für Lernende mit Muttersprachen aus nicht verwandten Sprachgruppen wie z.B. Chinesisch. Trotzdem führt das erlernte Grammatikwissen nicht unbedingt dazu, dass die Lernenden die Formen und Gebrauchsweise einem bestimmten Kontext angemessen verwenden oder sich in der Zielsprache ausdrücken können. Als Deutschlernende habe ich mich selbst oft genug in dieser Situation befunden, und aus <?page no="19"?> 19 diesen Gründen habe ich mich entschieden, das Grammatiklernen und -lehren im universitären DaF-Unterricht Taiwans zu dem zentralen Forschungsgegenstand meiner Arbeit zu machen. Dafür wurden drei Grammatikphänomene Präpositionen, Zustandspassiv und Konjunktiv II als Untersuchungsgegenstände ausgewählt, weil sie besondere Schwierigkeiten bereiten. Auch wenn dasselbe Phänomen mehrmals in verschiedenen Lernkontexten von den taiwanischen oder muttersprachlichen Lehrkräften behandelt wurde, sind die Studierenden doch nicht wirklich in der Lage, die Formen und Gebrauchsweisen strukturell und funktional klar voneinander zu unterscheiden und situationsadäquat anzuwenden. Die Unzufriedenheit mit den eigenen Sprachfertigkeiten und meiner Lernsituation veranlasste mich dazu, die Ursachen dieser Probleme zu erkunden und Lösungen zu suchen. Die Fragen, die mich interessieren, sind folgende:  Warum sind diese drei Phänomene für viele Lernende mit chinesischer Muttersprache besonders schwierig? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?  Warum gestalten die muttersprachlichen und taiwanischen Lehrenden den Unterricht anders? Warum verhalten sich im Unterricht von muttersprachlichen bzw. taiwanischen Lehrkräften sowohl die Lehrkräfte als auch die Studierenden jeweils anders? Welche Rollenmuster oder Rollenerwartungen stecken dahinter?  Welche methodischen Vorgehensweisen können den Lernenden dabei helfen, ihren Lernprozess zu den drei Grammatikthemen erfolgreich zu gestalten? Vorstellungen, Konzepte und Vorgehensweise spielen beim Lehr- Lernprozess eine tragende Rolle. Häufig bringen die Lehrkräfte die Lehr- und Lernerfahrungen aus der Herkunftskultur in den L2-Unterricht mit, diese beeinflusst mehr oder weniger ihre Rolle, Funktion sowie Tätigkeit. Doch ohne die lokale Lernkultur und -bedingungen zu beachten, können die Bedürfnisse der Lerngruppe aus dem Blick geraten. Die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten und Probleme beim Deutschlernen und -lehren sollen durch genaue Beobachtung von Unterrichtssituationen und -verlauf erfasst werden. Im Fokus der Unterrichtsbeobachtungen stehen die didaktisch-methodischen Vorgehensweisen der Lehrenden bei der Behandlung der drei untersuchten Grammatikthemen sowie die damit verbundenen Lernprobleme, die im eigentlichen Unterrichtsgeschehen in Erscheinung treten. <?page no="20"?> 20 Laut in der L2-Forschung gewonnener Erkenntnisse sowie meinen Erfahrungen mit dem Deutschlernen beeinflussen folgende Bereiche, die den Rahmen meiner folgenden Überlegungen bilden, den Unterrichtsprozess:  Kulturbedingte Lehr- und Lerntraditionen  Sprache bzw. Grammatik als Lerngegenstand  Didaktisch-methodische Vorgehensweise  Institutionelle Bedingungen des Unterrichtsprozesses Diese Bereiche bilden den Hintergrund für den L2-Unterricht und bestimmen seinen Erfolg. Sie hängen eng miteinander zusammen und bedingen sich auch gegenseitig. Zielsetzung Ziel dieser Arbeit ist es, die beim Grammatiklernen und -lehren entstehenden Probleme zu identifizieren und deren Ursachen möglichst hinreichend zu analysieren. Im Idealfall sollen alternative Vorgehensweisen und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Die vorliegende Arbeit versucht nicht nur eine Hilfe für die DaF-Lehrkräfte in Taiwan zu sein, sondern auch für Lehrende aus anderen Ländern, die Interesse an kulturspezifischen Unterrichtssituationen bzw. regionalspezifischer Didaktik und Methodik im DaF-Unterricht haben. In der Begegnung mit muttersprachlichen Deutschlehrkräften werden sie häufig mit anderen Vorstellungen konfrontiert und möglicherweise gewinnen sie dadurch einen neuen Zugang zum Lehren. Mehr Verständnis könnte die Grundlage dafür sein, dass der Unterricht erfolgreicher gestaltet werden kann. Aufbau der Arbeit Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht das Lehr- und Lernverhalten im DaF-Unterricht, der Ort des fremdsprachlichen, didaktischen und interkulturellen Handelns ist und zugleich Ort, an dem die Lehr- und Lernprobleme entstehen. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile: Theoretischer Rahmen (Teil I), Forschungs- und Erhebungsdesign (Teil II) sowie Gesamtdarstellung und Interpretation der Ergebnisse (Teil III). Teil I beinhaltet vier Kapitel und stellt die theoretischen Grundlagen der vorliegenden Arbeit dar. Auf dieser Basis werden die Probleme beim Umgang mit dem Grammatiklernen und -lehren im empirischen Teil diskutiert. In Kapitel 1 werden die Theorieansätze des L2-Unterrichts in Bezug auf das Grammatiklernen und -lehren vorgestellt sowie ihre Kritikpunkte diskutiert. Sie dienen als Bezugsrahmen für die empirische Forschung und beziehen sich auf explizite und implizite Verfahren, L2-Didaktik, Fehlerkorrektur, die Rolle der Kontrastivität, Lernstrategien sowie Übungstypologien. Auf dieser <?page no="21"?> 21 Grundlage kann dann die Frage beantwortet werden, mit welchen Aspekten die Schwierigkeiten beim Umgang mit den ausgesuchten Grammatikthemen Präpositionen, Zustandspassiv und Konjunktiv II im universitären DaF- Unterricht Taiwans verknüpft sind. Kapitel 2 beschreibt die Rolle der Lernervariablen, also die Merkmale der Lernerpersönlichkeit und deren Einfluss auf das Deutschlernen sowie den Lehrbzw. Lernprozess. Dabei sind die Variablen Sprachlernerfahrungen, Motivation und Lerneinstellung von größter Bedeutung, sie sind wesentlich von dem lernenden Individuum und dessen soziokulturellem Hintergrund geprägt. In Kapitel 3 geht es um die Situation des Fremdsprachenlernens in Taiwan, wobei der Fokus vor allem auf dem institutionellen Deutschlernen und -lehren liegt. Dies bildet den Hintergrund zur Interpretation des empirischen Datenmaterials. Dabei wird ein Überblick über die Entwicklung und Problemstellung des Unterrichts in den zweiten Fremdsprachen (insbesondere Deutsch) an Oberschulen gegeben. Ferner werden die gegenwärtige Situation des Germanistikstudiums sowie deren Veränderungen aufgezeigt und es wird Frage nachgegangen, welche Rolle die Grammatikvermittlung im Rahmen des Germanistikstudiums einnimmt. In Kapitel 4 werden die linguistischen und kulturellen Hintergründe vorgestellt, wobei es um den Sprachkontrast sowie die Lerntradition im chinesischen Sprach- und Kulturraum geht. Ein zusammenfassender Überblick über die sprachstrukturellen Unterschiede von Chinesisch und Deutsch in Bezug auf den morphologischen und syntaktischen Bereich soll helfen, die dadurch entstehenden Schwierigkeiten für die taiwanischen Lernenden mit Chinesisch als Muttersprache beim Grammatiklernen oder -lehren zu identifizieren sowie zu erörtern. Das bisherige Prüfungssystem und die konfuzianisch geprägten Lerntraditionen bilden den soziokulturellen Hintergrund, auf dem die damit verbundenen Probleme beim Lern- und Lehrprozess erfasst und hinreichend aufgezeigt werden können. Kapitel 5 (Teil II) leitet von der Theorie zum empirischen Teil über und beinhaltet das Forschungsdesign. Im Fokus stehen die Ausgangsfragen, die Probanden und die methodischen Verfahren zur Datenerhebung, -aufbereitung sowie -analyse. Die Gütekriterien empirischer Forschung werden in Hinsicht auf die Angemessenheit zu den untersuchten Gegenständen und der Fragestellung näher erörtert. Dabei werden die Kritikpunkte der eingesetzten Auswertungsmethoden wie z.B. quantitative Analyse, Laut-Denken etc. auch hinterfragt, weil jedes methodische Verfahren seine Grenzen hat. Als Instrumente wurden in der vorliegenden Studie Unterrichtsbeobachtung (mit Videoaufzeichnungen), Fragebögen, Grammatiktest und Interviews ausgewählt. Durch qualitative und quantitative Analyse <?page no="22"?> 22 wurden die daraus gewonnenen Daten trianguliert und zueinander in Beziehung gesetzt sowie für die Interpretation bereitgestellt. Im dritten Teil der Arbeit folgt die Gesamtdarstellung und Interpretation der Ergebnisse. Die empirisch gewonnenen Ergebnisse werden detailliert dargestellt. Mit Hilfe dieser lassen sich die für die Fragestellungen relevanten Aspekten identifizieren, um die Problemfelder beim Grammatiklernen und -lehren im DaF-Unterricht aufzuzeigen und zu diskutieren. So beschäftigt sich Kapitel 6 mit den Problemen im gegebenen Lehr- und Lernkontext, die vor allem durch die institutionellen Rahmenbedingungen verursacht werden und sich ungünstig auf das institutionelle Deutschlernen und -lehren sowie das Unterrichtsklima auswirken. Im Anschluss daran liegt der Schwerpunkt von Kapitel 7 auf den Lernproblemen und ihren Ursachen auf der Lernerseite. Die verfügbaren Lernstrategien, Lerntechniken und die Motivation entscheiden darüber, wie der Lernprozess gestaltet wird und ob er erfolgreich ist. Zum anderen bestehen die Lernprobleme auch auf der sprachlichen und kulturellen Ebene. Aufgrund grammatischer Unklarheiten, Interferenzen sowie Verständnisschwierigkeiten und Wortschatzdefiziten ergeben sich häufig sprachliche Probleme, die sich in unterschiedlichen Anwendungssituationen zeigen. Das kulturbedingte Lernverhalten und das Lehrer-Schüler-Verhältnis stehen im Zusammenhang mit dem Prüfungssystem sowie der konfuzianischen Lehre und Tradition. Sie wirken sich nicht nur auf den Lernerfolg aus, sondern auch auf Rollenverteilung, Rollenerwartung sowie die unterrichtliche Interaktion zwischen Lehrern und Lernern in Hinsicht auf ihre Herkunftskultur und Erfahrungen mit dem Unterricht. Ein weiteres Problem, das diskutiert werden soll, sind die fehlenden Möglichkeiten zur Anwendung der Zielsprache. In Kapitel 8 folgt dann eine Untersuchung der Probleme, die durch die didaktischen und methodischen Entscheidungen bei der Unterrichtsgestaltung verursacht werden. Je nach fachlichem Kenntnisstand und didaktischer Kompetenz des Unterrichtenden verläuft der Unterricht mehr oder weniger problemlos. Für erfolgreichen Unterricht sind die Auswahl und Entwicklung angemessener Materialien für den erfolgreichen Unterricht auch von großer Bedeutung. Außerdem bildet die Reflexion der eigenen Lehrtätigkeit eine wichtige Teilkompetenz der Lehrenden und erlaubt ihnen nicht nur, die Stärken und Schwächen ihrer einzelnen Kompetenzen zu erkennen sowie ihr didaktisches Handeln weiter zu entwickeln, sondern auch je nach Situation die Lernmöglichkeiten für ihre Lernenden zu verbessern. Zuletzt steht die Lehrqualifikation im Mittelpunkt: die Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung. Sie ermöglichen den Lehrenden, sich als Lehreinsteiger beruflich zu qualifizieren oder als erfahrene Lehrperson ihre einzelnen Kompetenzen <?page no="23"?> 23 und Repertoires weiter zu entwickeln sowie neue Impulse für ihre eigene Lehrtätigkeit zu bekommen. <?page no="24"?> 24 Teil I: Theoretischer Rahmen Der erste Teil beschäftigt sich mit Theorieansätzen der L2-Didaktik, der Situation des Deutschlernens in Taiwan sowie den sprachkulturellen Hintergründen der Lernergruppe mit Blick auf das Grammatiklehren und -lernen im DaF-Unterricht. Hier soll die theoretische Grundlage für den nachfolgenden empirischen Teil gelegt werden. Ausgegangen wird von der Frage, mit welchen Variablen die Probleme bei Behandlung bzw. Erwerb der untersuchten Grammatikthemen Präpositionen, Zustandspassiv und Konjunktiv II im universitären DaF-Unterricht Taiwans besonders eng verknüpft sind. Dadurch soll einerseits ein Überblick über die verschiedenen Einflussfaktoren beim Grammatiklehren und -lernen gegeben werden, andererseits werden in diesem Kapitel theoretische Erkenntnisse der einschlägigen Lehr- und Lernforschung dargestellt, die später bei der Gesamtdarstellung der Ergebnisse (also Teil III) in die Diskussion miteinbezogen werden. Die im Lehr- und Lernprozess auftretenden Probleme lassen sich unter didaktischen, lernerbezogenen, linguistischen und soziokulturellen Aspekten betrachten bzw. dadurch begründen. Die didaktischen Aspekte wie Vermittlungsweise und Fehlerbehandlung im Grammatikunterricht bzw. in der Grammatikstunde werden im Zusammenhang mit den damit verbundenen Lehrtheorien bzw. -ansätzen vorgestellt sowie didaktische und methodische Kritikpunkte in Bezug auf die Vorgehensweise, den Umgang mit Fehlerkorrektur sowie die Kontrastanalyse diskutiert. Was die lernerbezogenen Aspekte angeht, bezieht sich dies auf die Merkmale der Lernerpersönlichkeit und deren Einfluss auf das Deutschlernen sowie den Lehrbzw. Lernprozess. Dabei sind die Variablen Sprachlernerfahrungen, Motivation und Lerneinstellung von großer Bedeutung. Sie sind wesentlich von dem lernenden Individuum und dessen soziokultureller Lerntradition geprägt. Die linguistischen und soziokulturellen Aspekte beziehen sich jeweils auf die kontrastive Analyse Chinesisch-Deutsch sowie die Lerntradition im chinesischen Sprach- und Kulturraum. Linguistisch gesehen gehören Chinesisch und Deutsch zu unterschiedlichen Sprachsystemen und besitzen somit verschiedene Sprachmerkmale und -strukturen. Um die dadurch entstehenden Lernprobleme bzw. -schwierigkeiten für die Deutschlernenden mit Chinesisch als Muttersprache beim Grammatiklernen zu erläutern, soll hier ein Überblick über die Unterschiede der Sprachstrukturen von Chinesisch und Deutsch im morphologischen und syntaktischen Bereich gegeben werden. Auf der soziokulturellen Ebene wirkt sich der Konfuzianismus bis heute immer noch tiefgehend auf die sozialen Wertvorstellungen zum Lernen im <?page no="25"?> 25 chinesischen Sprach- und Kulturkreis aus. In Taiwan spielen die konfuzianisch geprägten Unterrichtstraditionen und das bisherige Prüfungssystem nach wie vor eine bedeutende Rolle beim L2-Lernen und beeinflussen die Lehrer- und Lernerrolle, die Lerneinstellung, das Lernverhalten sowie die Lernweise im L2-Unterricht. Um diesen Zusammenhang als Hintergrund darzustellen, sollen hier das Prüfungssystem und die Auswirkungen des Konfuzianismus vorgestellt und die damit verbundenen Probleme beim Deutschlernen und -lehren aufgezeigt werden. Im folgenden Teil I werden der Stand der Forschung und offene Stellen zum DaF-Lernen und -Lehren aufgezeigt und in die vorliegende Arbeit eingeordnet, die aufgrund der ausgewählten Probleme im Bereich der Grammatikvermittlung insbesondere die Rolle der Sprachkontrastivität hervorheben möchte. <?page no="26"?> 26 1 Theoretische Grundlagen des Sprachenlernens und -lehrens Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sind zahlreiche Theorien und Methoden über das Fremdsprachenlernen und -lehren entstanden, die sich entweder aus linguistischen, pädagogischen, psychologischen oder aus soziokulturellen Perspektiven entwickelten und die bis heute noch großen Einfluss auf den Fremdsprachenunterricht ausüben. In diesem Kapitel werden die Unterrichtsmethoden und der jeweilige theoretische Hintergrund kurz vorgestellt, die beim Unterricht der Probanden eine Rolle spielen und deshalb für diese Arbeit relevant sind. 1.1 Grammatiklernen und -lehren: Explizit vs. Implizit Das Begriffspaar In der Wissenschaft und Forschung wird das Begriffspaar explizit und implizit je nach Fachbzw. Anwendungsgebieten anders definiert. Generell unterscheiden sich die beiden Begriffe durch Vorgehensweise, Verarbeitungsweise, Funktionsweise, Verwendungsweise, Lern-/ Lehrweise der Lerninhalte bzw. Präsentationsformen von Wissen etc. In der Fremdsprachendidaktik und -erwerbsforschung bezieht sich das Begriffspaar explizit und implizit auf den Bewusstheitsgrad des Lern- und Lehrprozesses sowie des Lern- und Lehrgegenstandes. Was den Anwendungsbereich betrifft, beschränken sich die beiden Begriffe und die dazugehörigen theoretischen Annahmen nicht mehr nur auf die Grammatikarbeit, sondern sie beziehen sich auch auf Wortschatzarbeit sowie Landeskunde (vgl. Raupach 2002, 101f.). Im Prinzip kann das Begriffspaar beim Grammatiklernen und -lehren unter den zwei folgenden Aspekten betrachtet und so zugleich differenziert werden: die methodischen Vorgehensweisen (d.h. explizites vs. implizites Lernen und Lehren) und die Repräsentationsformen vom Sprachwissen (d.h. explizites vs. implizites Regelwissen). Vor der Beschäftigung mit der Unterscheidung explizit/ implizit von Vorgehensweisen und Wissensrepräsentationen soll zuerst ein Überblick darüber gegeben werden, wie diese Begriffe im Bereich des Fremdsprachenlernens und -lehrens meist verstanden werden. Dies kann aus den zwei folgenden Perspektiven betrachtet werden: Erstens, was die wörtliche Auslegung betrifft, bedeutet das Wort explizit „deutlich, direkt, ausdrücklich“; dagegen bedeutet das Wort implizit „eingeschlossen bzw. inbegriffen, aber nicht direkt ausgedrückt“. Werden diese Bedeutungen auf die Beschreibung der Wissenstypen bzw. -formen sowie der Verfügbarkeit <?page no="27"?> 27 der Wissensbestände übertragen, bedeutet das, dass ein bestimmter Wissensbestand in einer der beiden Formen repräsentiert wird und deshalb die entsprechenden Merkmale hat. Zweitens bezeichnet man in der Kognitionspsychologie mit dem Begriff explizit grundsätzlich eine innere Bewusstseinslage des Menschen, die sich bewusst bzw. gesteuert im Handlungsprozess abzeichnet. Hingegen ist der Begriff implizit durch Eigenschaften wie unbewusst, ungesteuert, automatisch oder unabsichtlich charakterisiert. In der Fremdsprachendidaktik bezieht sich dies darauf, in welcher Art und Weise der Sprachlern-/ lehrprozess stattfindet bzw. welche Rolle die Bewusstheit im Sprachlern-/ lehrprozess spielt. Lernen und Lehren im Unterricht: explizit oder implizit? Die Diskussion um die Abgrenzung des Begriffspaars explizit und implizit hat sich lange Zeit auf zwei Bereiche beschränkt: zum einen auf das explizite/ implizite Lernen und Lehren in der Fremdbzw. Zielsprache, zum anderen auf die Definition zur Rolle des expliziten/ impliziten Wissens beim Sprachlernen. Beide Bereiche beeinflussen sich teilweise gegenseitig und hängen theoretisch miteinander zusammen. Unter explizitem/ implizitem Lernen und Lehren versteht man im didaktischen Kontext sowohl einen Prozess als auch eine Methode und eine Strategie, durch die das Sprachwissen bewusst oder unbewusst angeeignet und gesteuert oder ungesteuert vermittelt wird (vgl. Ellis 1994b, 359f.; Schlak 1999, 6f.). Nach dem explizitem Prinzip sollen die Lernenden Grammatikregeln bzw. -phänomene bewusst (also durch Bewusstmachung) und präzise erlernen und das diesbezügliche Wissen systematisch aufbauen. Auf der Lehrseite sollen die Lehrenden die Inhalte Schritt für Schritt gesteuert, also deduktiv, vermitteln. So fokussiert die ganze Instruktion eigentlich auf das Regelwissen und die sprachlichen Formen. Dadurch ist die Grammatik-Übersetzungs-Methode (also GÜM) charakterisiert (vgl. 1.2.1). Nach dem impliziten Prinzip hingegen sollen die Lernenden zunächst die zu vermittelnden Grammatikregeln und -phänomene unbewusst wahrnehmen und danach durch selbständiges Denken lernen. Das ist eine induktive Vorgehensweise. Das heißt, die grammatischen Regeln und Strukturen (also die Lern-/ Lehrinhalte) sind kontextabhängig und werden entweder in einen Text oder in eine Gebrauchssituation eingebettet präsentiert. Durch entdeckendes Lernen sollen die Lernenden die Regeln bzw. Strukturen aus diesem Kontextzusammenhang allmählich selbst erschließen sowie begreifen. Erst zuletzt fassen die Lehrenden sie zusammen, um sie den Lernenden ganz bewusst und klar zu machen, wie z.B. bei der direkten Methode (vgl. 1.2.2). Zur Differenzierung von explizitem und implizitem Lernen sind unterschiedliche theoretische Auffassungen bzw. hypothetische Überlegungen formuliert worden, bisher ist noch keine einheitliche Definition gefunden <?page no="28"?> 28 worden. Nach Krashen (1982) wird darunter das Erlernen (learning) und Erwerben (acquisition) verstanden, also je nach Bewusstheitsgrad von grammatischen Strukturformen bzw. der Abhängigkeit von Regelkenntnissen in der konkreten Sprachanwendung. Außerdem steht das explizite / implizite Lernen auch in engem Zusammenhang mit der Entstehung des expliziten/ impliziten Sprachwissens. Dies beschreibt Raupach (2002, 103) anhand der L2-Erwerbstheorie Krashens in seiner Abhandlung wie folgt: „Learning, verstanden als das explizite Lernen von Grammatikregeln, führt zu explizitem Regelwissen, das in der Sprachverwendung typischerweise auf den Einsatz eines Monitors angewiesen ist; implizites Lernen - gemeint ist acquisition im bedeutungsvollen, kommunikativen Kontext - führt zu implizitem Wissen und zu weithin monitorfreier spontaner Sprachverwendung.“ Die Differenz zwischen Lernen und Wissen besteht laut Ellis (1994b, 359f.) und Schlak (2000, 120f.) darin, dass das Lernen sich auf den Lernprozess bezieht, in dem das Sprachwissen angeeignet wird. Das Wissen ist also das sich aus dem Lernprozess ergebende Produkt. Besonders wichtig ist dabei, in welcher Form und auf welche Weise das Wissen gespeichert und repräsentiert wird. Das explizite Lernen geschieht normalerweise im Unterricht, wo der Schwerpunkt auf dem bewussten Erlernen der L2-Strukturen liegt. Hingegen kann das implizite Lernen in einer natürlichen L2-Umgebung bzw. im einsprachigen Sprachunterricht stattfinden. In beiden Kontexten geschieht das Lernen unbewusst, wie bei Kindern, die ihre Erstbzw. Muttersprache erwerben. Aber von der Funktion her haben diese zwei Lernformen trotzdem unterschiedliche Charakteristika für die L2-Lerner, nämlich im Bezug auf das Erlernen der L2-Regeln/ -Strukturen und das Verstehen der übermittelten L2-Informationen. Beim expliziten Lernen liegt der Fokus im unterrichtlichen Kontext auf dem (Regel-)Lernen. Die Merkmale des explizit angeeigneten Wissens beschreibt Edmondson (2002, 57) in seinem Artikel wie folgt: „Explizites Wissen kann bewusst abgerufen und eingesetzt werden: man weiß, dass man dieses Wissen besitzt und in der Lage ist, es zu artikulieren, d.h. darüber zu sprechen.“ Unter explizitem Wissen versteht man das Wissen, das man mit der Sprache zum Ausdruck bringen kann. Es wird laut Raupach (2002, 110f.) als artikulierbares Wissen definiert und zugleich mit verbalisierbarem, deklarativem Wissen (d.h. knowing that) gleichgesetzt, weil man damit eine Tatsache (hier Regel) erklärt und weiß, ob sie tatsächlich so ist oder nicht. Im Vergleich dazu ist das implizite Lernen vorläufig und sehr vom Kontext abhängig. Es zielt hauptsächlich darauf ab, die jeweiligen Gesprächsinhalte und Informationen zu verstehen. Beim impliziten Wissen geht es nach Krashen <?page no="29"?> 29 zum einen um das unbewusst angewendete Regelwissen, das in der Sprachproduktion bzw. -rezeption vorkommt (vgl. Schlak 2000, 121). Zum anderen handelt sich es um das Können bzw. die Anwendungsfähigkeit von verfügbarem Regelwissen, „man zeigt nur durch sein Verhalten, dass ein solches implizites Wissen vorliegt“ (Edmondson 2002, 57). Darüber hinaus ist das implizite Wissen dadurch gekennzeichnet, dass es nicht artikulierbar ist. Generell kann das implizit angeeignete Wissen länger im Kopf behalten werden und wird nicht leicht aus dem Gedächtnis gelöscht. Was die Repräsentation des Wissens betrifft, wird das implizite Wissen häufig mit prozedurellem Wissen (d.h. knowing how) in Verbindung gebracht. Im Allgemeinen können erwachsene Lernende aber eine Fremdsprache nur sehr schwer wie Kinder implizit durch den natürlichen Sprachlernprozess erlernen. Dies lässt sich auf zwei Faktoren zurückführen: das Alter und die Kontakte (also die Anwendungsmöglichkeiten) zur Fremdbzw. Zielsprache. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Pubertät angesichts der Gehirnentwicklung des Menschen nämlich eine wichtige Grenze für den Fremdsprachenerwerb. Unser Gehirn ist so eingerichtet, dass man nur vor der Pubertät die Möglichkeit hat, eine Fremdsprache unbewusst zu erlernen und ein muttersprachliches Niveau darin zu erreichen (Huneke / Steinig 2010, 14f.). Deshalb ist das explizite Sprachlernen und -wissen besonders wichtig für die L2-Lernenden, die nach der Pubertät erst mit einer Fremdsprache beginnen und mangels zielsprachlicher Lernumgebung wenige Anwendungsmöglichkeiten haben, die ihren L2-Erwerb unterstützen könnten. Die taiwanischen Deutschlernenden befinden sich genau in einer solchen Situation, deshalb lernen sie das Grammatikwissen normalerweise explizit, bewusst im Unterricht. Dann soll das explizite Sprachwissen (also Regelwissen) durch die starke Interface-Position 1 durch ständige Einübung und aktive Anwendung im Gedächtnis automatisiert und zuletzt langsam unbewusst in implizites Sprachwissen überführt werden. Aufgrund dieser Ursachen kann es zu Interferenzen bzw. Fehlern kommen (vgl. 7.3.2). Dies solle den L2-Erwerb bzw. die Entwicklung des impliziten Wissens begünstigen. Die Gründe dafür beschreibt Schlak (2000, 125) nach Ellis´Ansichten folgendermaßen: „Fokussierung auf die sprachliche Form führt zum Aufbau von explizitem Wissen, vertieft wird explizites Wissen über „formales Üben“, d.h. „bewußte“ Lernaktivitäten und Versuche, explizites Wissen zu automatisieren (Ellis 1994b: 357). Kommunikative Sprachverwendung ist notwendig, um implizi- 1 Bialystok und McLaughlin werden als Vertreter der „starken Interface-Position“ angesehen. Sie gehen davon aus, dass explizites Wissen und implizites Wissen miteinander verbunden sind, weil sie beide gegenseitig interagieren können und sich auch gegenseitig in einander umwandeln lassen. <?page no="30"?> 30 tes Wissen zu bilden, „funktionales Üben“, d.h. Bemühungen der Lernenden, über Kommunikation ihren Kontakt mit der Zielsprache zu maximieren (Ellis 1994b: 356f.), festigt es.“ In Anlehnung an Krashen wird das Regelwissen, das man in expliziter Weise im Unterricht erlernt und während der konkreten mündlichen Sprachverwendung tatsächlich einsetzen kann als sehr begrenzt betrachtet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass einerseits das im Unterricht erlernte, explizite L2-Regelwissen z.B. wegen der limitierten Unterrichtsstunden sowieso sehr beschränkt ist; andererseits geht laut Schlak (2000,121) Krashen davon aus, „dass das erlernte, explizite Wissen, (z.B. im unterrichtlichen Kontext auswendig gelernte Grammatikregeln) nicht zu erworbenem, implizitem Wissen (in der Sprachproduktion bzw. -rezeption unbewußt eingesetztes Regelwissen) werden kann. Der Aufbau expliziter Wissensbestände und damit das explizite Unterrichten von Grammatik wird als sehr eingeschränkt nützlich erachtet, da dieses Wissen insbesondere in der mündlichen Sprachverwendung nicht zugänglich bzw. auf die Verwendung sehr einfacher Regularitäten beschränkt sei.“ Außerdem lässt sich dies noch unter zwei Aspekten betrachten. Zum einen braucht man in der mündlichen Kommunikation tatsächlich eher das implizit erworbene Sprachwissen, um die Kommunikation reibungslos zu gestalten. Denn man hat nicht so viel Zeit wie beim Schreiben, die richtigen verfügbaren Regeln abzurufen bzw. darauf zu achten. Deshalb können nach Krashen im mündlichen Bereich nur leichte Regeln explizit eingesetzt werden. Zum anderen zielt das explizite Lehren/ Lernen von L2-Wissen hauptsächlich darauf, den Lernenden die grundlegenden Oberflächenstrukturen in der Zielsprache klar und verständlich zu machen. Z.B. wird den Lernenden gesagt, dass die deutschen Präpositionen den Kasus des dazugehörigen Wortes bestimmen und zusammen mit Nomen, Verben oder Adjektiven eingesetzt werden. Man kennt dann zwar diese Regeln, aber nicht alle konkreten Anwendungsmöglichkeiten je nach Kontext, da die zum Üben vorgesehene Zeit kaum ausreicht (vgl. 7.3.1). Nach meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen zum Sprachenlernen kann das erlernte Sprachwissen nicht unbedingt mit dem erworbenen, verfügbaren und anwendbaren Wissen gleichgesetzt werden. Das heißt, man lernt zwar das Regelwissen, aber das Gelernte steht für die tatsächliche Anwendung nicht unbedingt zur Verfügung. Nur wenn das explizit erlernte L2-Wissen durch Üben sowie kontrollierte Verarbeitung automatisiert und dann in der konkreten Sprachverwendung problemlos abgerufen und ausgedrückt werden kann, gehört es zum implizit erworbenen L2-Wissen. Ohne implizites Lernen, also die Anwendung in konkreten Kontexten, kann das explizit erlernte L2-Regelwissen weder durch das Weiterlernen noch die aktive Anwendung in verschiedenen <?page no="31"?> 31 Situationen implizit werden. Natürlich gilt auch das Umgekehrte. Das explizite und implizite Lernen/ Lehren sollen für das Grammatiklernen als gleich wichtig angesehen werden, denn beide Formen dienen dem L2-Lerner sowohl zum Aufbau als auch zur Verknüpfung sowie Umwandlung von explizitem und implizitem Regelwissen im Lernprozess. Die Frage, ob das Sprachwissen explizit oder implizit vermittelt werden soll, hängt mit vielen damit verbundenen Faktoren zusammen, nämlich:  welches Lernziel soll erreicht werden  welche Grammatikphänomene sind zu vermitteln  das Alter und Sprachniveau der L2-Lerner etc. Deshalb sollte dieses Begriffspaar bei der Grammatikvermittlung unbedingt mit berücksichtigt werden. Im Übrigen benötigen die L2-Lerner in jedem Fall noch eine zielsprachliche Lernumgebung und aktive Kontakte mit der Zielsprache, um das explizit bzw. implizit Gelernte zu vertiefen und zu automatisieren, damit der Lernprozess erfolgreich verläuft (vgl. 7.4). Beide Prozesse finden parallel statt und sollten entsprechend berücksichtigt und gefördert werden. 1.2 Methoden des Fremdsprachenlehrens Im DaF-Unterricht spielen unterschiedliche Konzepte und Methoden eine tragende Rolle. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick, um später aufzeigen zu können, wo hier die möglichen Ursachen für Probleme liegen. 1.2.1 Die Grammatik-Übersetzungs-Methode Historische Hintergründe Die Grammatik-Übersetzungs-Methode (GÜM), sozusagen die erste Unterrichtsmethode der Fremdsprachenvermittlung, entstand etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in Europa und prägte bis Mitte des 19. Jahrhunderts den europäischen Sprachenunterricht vorherrschend. 2 Am Anfang wurde sie im sog. altsprachlichen Unterricht (Latein, Griechisch) eingesetzt, damit die Lernenden die berühmte Literatur der Antike im Original lesen, verstehen sowie übersetzen konnten. Darüber hinaus sollte diese formale Geistesschulung einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit der Lernenden ausüben. Es ist belegt, dass die GÜM Ende 19. Jahrhundert auch an öffentlichen Schulen (Gymnasien) im Englisch- und Französischunter- 2 Vgl. Kniffka/ Siebert-Ott 2007, 76. <?page no="32"?> 32 richt praktiziert wurde. Man orientierte sich beim neusprachlichen Unterricht am Vorbild des altsprachlichen Unterrichts und übernahm die Zielsetzungen und Unterrichtsmethoden direkt. Didaktisch-methodische Prinzipien Die GÜM, wie schon der Name besagt, legt ihre didaktischen Schwerpunkte hauptsächlich auf das Erlernen der Grammatikregeln und deren Anwendung auf die Übersetzung geschriebener Zielsowie Ausgangssprachentexte. Wie bereits erwähnt steht dies in einem engen Zusammenhang mit der Auffassung über das Sprachenlernen und dem Bildungsideal des 18. und 19. Jahrhunderts. Aus diesem Grund gelten die Grammatikkenntnisse in der GÜM sowohl als elementarste Bausteine zum Erlernen der Zielsprache als auch als wichtiges Mittel zum Leseverständnis, zur Hin- und Rückübersetzung sowie Entwicklung des schriftlichen Ausdrucks (vgl. Neuner/ Hunfeld 1993, 21ff.). Die Grammatik dominiert im Unterricht und wird explizit, deduktiv in der Muttersprache des Lernenden vermittelt sowie mit Beispielsätzen eingeführt. 3 Dabei spielt das Vokabellernen dabei eine nicht zu vernachlässigende Rolle, denn das richtige Verständnis des Wortschatzes sowie die Beherrschung der Grammatikregeln sind eng miteinander verbunden und bestimmen darüber, ob man Probleme mit dem Textverständnis hat, die Texte oder Sätze sinngetreu aus der Muttersprache in die Zielsprache und umgekehrt übersetzen kann, den Wortschatz beim Gebrauch angemessen auswählt bzw. die Sätze sowohl syntaktisch als auch semantisch ohne Fehler bildet etc. Deshalb ist der Erwerb von Sprachwissen das hauptsächliche Lehr- und Lernziel der GÜM sowie die wichtigste Voraussetzung für Sprachkönnen. Die Kenntnis von Regeln und Vokabeln wird als notwendige Grundlage zur praktischen Sprachanwendung verstanden. In der GÜM bestehen die Lerninhalte also vorwiegend aus Regel- und Vokabellernen sowie Textübersetzung. Die ersteren werden durch einen kognitiven Prozess auswendig gelernt und später in unterschiedlichen Anwendungsbereichen, z.B. für Lesen, Übersetzen sowie Schreiben, abgerufen. Die Textübersetzung wird auch mit Hilfe der Regel- und Vokabelkenntnis intensiv in Form von Einzelsätzen bzw. (literarischen) Texten eingeübt, die in Bezug auf das jeweilige behandelte Grammatikphänomen stehen. Deshalb gilt das Übersetzen sozusagen als Methode zum Üben gelernter Grammatikregeln und Vokabeln. Folgende Übungsformen zur Regelanwendung und 3 Hier bedeutet „deduktiv“, dass Lernende beim Sprachenlernen von den zielsprachlichen Einzelteilen ausgehen und dadurch ihr ganzes Sprachwissen Schritt für Schritt aufbauen. Durch die Verknüpfung neuer Grammatiklehrstoffe mit den bereits bekannten einzelnen Regeln wird die Zielsprache erlernt (vgl. Neuner/ Hunfeld 1993, 30). <?page no="33"?> 33 Übersetzung sind besonders typisch (vgl. Heyd 1991, 26; Neuner/ Hunfeld 1993, 27):  Satzbildung bzw. -umschreibung nach vorgegebenem Muster  Ergänzen der Lückentexte  Frage-Antwort-Übungen  Übersetzen zielsprachlicher (literarischer) Texte in die Muttersprache der Lehrenden bzw. umgekehrt  Lesen zielsprachlicher (literarischer) Texte  Schriftliche Aufgaben, z.B. Aufsatzschreiben mit Stichwörtern bzw. Grammatikanweisungen, Zusammenfassung bzw. Nacherzählung von Textvorlagen, Diktat etc. Der Erwerb der zwei Sprachfertigkeiten Lesen und Schreiben steht bei der GÜM im Vordergrund. Im Vergleich dazu wird nur geringer oder gar kein Wert auf die Sprech- und Hörfertigkeit gelegt. Wie bereits angesprochen, fokussiert der Unterricht in der GÜM vor allem auf die Regelvermittlung. Die Lehrenden werden deswegen als Wissensvermittler und -experten angesehen und stehen im Mittelpunkt des Unterrichts. Im Gegensatz dazu wird die Rolle der Lernenden eher als passivrezipierende Wissensempfänger definiert. Unter diesen Umständen ist der Unterricht sehr lehrerzentriert und wird allgemein in der Form von Frontalunterricht gestaltet. Darin spiegelt sich auch die Lehrerautorität im Unterricht wider. Kritikpunkte der GÜM Was die Kritik an der GÜM anbetrifft, bezieht sich diese vor allem auf die Lernziele, Lerninhalte sowie Lehr- und Lernmethoden. Hauptargument ist dabei, dass die menschliche Sprache lebendig ist und sich dauernd verändert, deshalb kann es nicht das Lernziel des Sprachunterrichts sein, nur die Grammatikregeln in der Zielsprache zu beherrschen, über bestimmten Wortschatz zu verfügen bzw. (literarische) Texte anhand von erlernten Regeln und Wörtern in die Muttersprache sowie die Zielsprache zu übersetzen. Wie Henrici (1986, 123f.) beschrieben hat, können nämlich viele sprachliche Phänomene überhaupt nicht mit den bekannten Regeln bzw. Wörtern erfasst werden. Außerdem sind Hör- und Sprechfertigkeit beim Erlernen von lebenden Sprachen gleich wichtig wie Lese- und Schreibfertigkeit, weil die Sprachkompetenz des Menschen und dessen Kommunikation im Alltag normalerweise aus Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben bestehen. Von daher sollen diese vier grundlegenden Sprachfertigkeiten gleichzeitig im Sprachlernprozess entwickelt und auch erworben werden. <?page no="34"?> 34 Im lehrerzentrierten Unterricht gibt es zu wenige Möglichkeiten zur aktiven und authentischen Anwendung des sprachlichen Lehrstoffs. Die Sprachanwendung beschränkt sich wesentlich auf die von der Lehrperson geleitete Durchführung von Übungen, so dass Kommunikationsfähigkeit, Initiative und Selbständigkeit wenig entwickelt werden (vgl. 8.2.2). Häufig werden Grammatikphänomene und Wortschatz an isolierten Beispielsätzen ausgeführt bzw. durch mechanisches Lernen (also Auswendiglernen) eingeübt, wie die Unterrichtsbeobachtungen zeigen (vgl. 8.2.1 und 8.2.2). Dieses Lernen ohne Kontextzusammenhang und aktive Sprachanwendung hat zur Folge, dass das Gelernte nicht lange im Gedächtnis behalten werden kann und später auch nicht für die tatsächliche Anwendung zur Verfügung steht. Da Lernerfolge ausbleiben, lässt sich so also weder die Motivation der Lernenden steigern noch deren Kreativität und Interesse am L2-Lernen erwecken. Aus diesen skizzierten Schwachstellen der GÜM ergab sich ca. 1870 eine didaktische Reformbewegung im Fremdsprachenunterricht, die sich von der GÜM distanzierte und neue Unterrichtsmethoden für die Vermittlung von Fremdsprachen herausfinden wollte. Daraus entstand die direkte Methode, die später als Hauptvertreter zahlreicher anderer Lehrtheorien angesehen wurde. Darauf werde ich in folgendem Kapitel 1.2.2 noch näher eingehen. Zusammenfassung Die GÜM, die schon seit langem von Sprachwissenschaftlern und -lehrenden kritisiert wird, ist heute noch in vielen Länder der Welt im DaF- Unterricht von entscheidender Bedeutung, insbesondere in asiatischen Ländern wie z.B. China, Japan, Korea, Vietnam etc. Auch an Hochschulen in Taiwan wird sie weiterhin praktiziert. In modifizierter Form, also unter Berücksichtigung didaktischer Nachteile und Schwächen, wird sie weiter verbreitet und im erwachsenen bzw. universitären Fremdsprachenunterricht angewendet (vgl. Neuner/ Hunfeld 1993, 127; Edmondson/ House 2006, 115). D.h., die Schwerpunkte des Unterrichts liegen nicht mehr nur auf Übersetzung, Lesen und Schreiben, sondern auch auf Sprechen und Hörverstehen. Die Lehr-/ Lernziele sind vielseitiger geworden. An Unterrichtsinhalten stehen die klassischen literarischen Texte der Zielkultur nicht mehr im Vordergrund, sondern die Alltagskultur bzw. -situationen des Zielsprachenlandes. Was bleibt, ist, dass die Fremdbzw. Zielsprache und deren Grammatikregeln in der Muttersprache der Lernenden vermittelt wird, und die Lernenden wenden die in ihrer Muttersprache explizit gelernten Regeln an, um Sätze zu bilden, Texte zu verstehen und zu produzieren. Außerdem gewinnt die Übersetzung heute im Fremdsprachenunterricht wieder an Bedeutung. <?page no="35"?> 35 1.2.2 Die direkte Methode Hintergründe für die Entstehung der direkten Methode Die direkte Methode (DM), die in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts aus der sog. Reformbewegung 4 der Sprachendidaktik entstand, gilt als bedeutsamste Ersatzvertreterin für die GÜM und auch als Vorgängerin der audiolingualen Methode. Die Ursachen für die Entstehung der direkten Methode stehen allerdings in einem unauflösbaren Zusammenhang mit den Schwachstellen der GÜM und lassen sich auf 1.2.1 zurückführen. Wilhelm Viëtor (1882), wichtigster deutscher Kritiker der GÜM, stellte deshalb in seiner Streitschrift „Der Sprachunterricht muss umkehren“ Vorschläge für die Umorientierung der neusprachlichen Vermittlungsinhalte und -methoden auf. Dies wird als Beginn der Reformbewegung für den fremdsprachlichen Unterricht in Deutschland gesehen und zielte darauf ab, eine Reflexion über die traditionellen Methoden im altsprachlichen Unterricht anzuregen und dann ein neues Unterrichtskonzept für die Vermittlung der lebenden Fremdsprachen, die aktiv angewendet werden sollen, zu entwickeln. Dabei spielten die damals in Deutschland immer wichtiger werdenden politischen und wirtschaftlichen Kontakte mit anderen Nachbarländern auch eine entscheidende Rolle, denn durch direkte Sprachkontakte zwischen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen wurde die Aufmerksamkeit auf das mündliche Sprachkönnen gelenkt, das im Vergleich zum schriftlichen Sprachwissen (Beherrschung der Grammatik und Kenntnis der berühmten klassischen Literaturwerke) an Wichtigkeit gewann (vgl. Apelt 1991, 145f.; Neuner/ Hunfeld 1993, 34). Vor diesem Hintergrund wurden die mündliche Sprachfähigkeit, also die Ausdrucksfähigkeit und der praktische mündliche Sprachgebrauch, in den Mittelpunkt des Sprachunterrichts gerückt. Seitdem haben auch die früher ignorierten didaktischen Aspekte der Phonetik wie z.B. Ausspracheschulung, Artikulation, Lautschrift etc. an Bedeutung im Fremdsprachenunterricht gewonnen. Didaktisch-methodische Prinzipien Die direkte Methode übernahm aufgrund ihrer konzeptionellen Überlegungen viele Elemente aus der Reformpädagogik 5 und ging wesentlich von Auf- 4 Die Reformbewegung ging sowohl von subjektiven Perspektiven der jeweiligen Reformer als auch von folgenden interdisziplinären Fächern aus: Linguistik, Psychologie, Pädagogik und Landeskunde. Ziel war es, den Sprachunterricht lebenspraktisch und dem naturgemäßen Lernen entsprechend zu gestalten (vgl. Apelt 1991, 147f.). 5 Die Reformpädagogik, die hier eine historische Epoche im Zeitraum von ca. 1890 bis 1933 bezeichnet, bezieht sich auf die gezielten theoretischen und praxisbezo- <?page no="36"?> 36 fassungen wie „natürliches Lernen“, „konkret, anschaulich und praktisch lernen“, „entdeckendes Lernen“ etc. aus. Natürliches Lernen bedeutet, beim Sprachlernen sollte möglichst eine natürliche Sprachumgebung geschaffen werden, in der die Lerner durch ständiges Zuhören und Imitieren lernen, genauso wie Kinder ihre Mutterbzw. Erstsprache erwerben. Daher ist die Einsprachigkeit des Unterrichts von großer Bedeutung. Sie ist sowohl das grundlegende Unterrichtsprinzip als auch das Hauptmerkmal der direkten Methode. Die direkte Methode betont, dass die Zielsprache und deren Lehr-/ Lerninhalte ohne Umweg über die muttersprachliche Übersetzung direkt, aber stufenweise durch natürlichen Umgang und aktiven Sprachgebrauch vermittelt sowie erlernt werden sollen. Dabei wird vor allem Wert auf die sinnliche, auditive und visuelle Sprachwahrnehmung gelegt, die Inhalte sollen konkret und anschaulich vermittelt werden (vgl. Apelt 1991, 110ff.). Darüber hinaus entwickelte sie im Vergleich zur GÜM ganz andere didaktische und methodische Prinzipien. Die Sprachbeherrschung in der direkten Methode bedeutet, dass der Lernende die Fremdbzw. Zielsprache sowohl beim mündlichen Ausdruck sowie beim Hörverstehen problemlos anwenden kann. Bei der direkten Methode wird der didaktische Schwerpunkt vorwiegend auf die Beherrschung der mündlichen Sprachkompetenz gelegt. Die zielsprachliche Sprech- und Hörfertigkeit stehen im Mittelpunkt, Lesen und Schreiben sind weniger wichtig. Fokussiert wird vor allem auf die Alltags- und Umgangssprache. Analog zum kindlichen Spracherwerbsprozess soll sprachliche Kompetenz durch den direkten Kontakt mit der zielsprachlichen Umgebung unbewusst erworben werden. Wiederholtes Hören und Nachsprechen werden hierbei wie bereits angesprochen als die zwei wichtigsten Lernmethoden angesehen. Dieses Training soll den Lernenden helfen, ein Sprachgefühl in der Zielsprache zu entwickeln, um die Regeln ohne gedankliche Überlegungen intuitiv zu erschließen und die mündlichen Sprachkenntnisse aktiv im Alltagsleben anzuwenden. Deshalb stellt das Gespräch in der Zielsprache die essenzielle Unterrichtsform dar. Es dient als wichtigstes Mittel sowohl zur Vermittlung der Sprachlehrstoffe als auch zum Sprachlernen. Einerseits werden die Lerninhalte wie mündliche Ausdrucksformen, Wortschatz, Grammatik etc. in Alltagssituationen eingebettet und in Dialogform präsentiert. Einfache authentische Texte wie Geschichten, Märchen, Lieder, Reime etc. werden zur mündlichen Wiedergabe bzw. zur Einübung der häufig auftretenden Satzmodelle oder Redewendungen eingesetzt. Außerdem ergeben sich aus dem Gespräch folgende typische Übungsformen: Frage-Antwort, Nachspielen von Dialogen, Vorlesen, Ausspracheschulung, genen Veränderungen im Rahmen der Pädagogik, nämlich die Lehre, Erziehungsziele, Bildungsideale, Schul- und Unterrichtspraxis etc. <?page no="37"?> 37 Übungen zum Nachsprechen, Fragen zum Text, Memorieren von Liedern und Reimen etc. (vgl. Duszenko 1994, 70). Je nach Aufgabe werden sie in den entsprechenden Sozialformen im Unterricht durchgeführt, also Einzel-, Partnerbzw. Gruppenarbeit. Es gibt noch ein weiteres wichtiges Vermittlungsprinzip in der direkten Methode, nämlich die Anschaulichkeit. Darunter versteht man, dass der Stoff möglichst konkret (v.a. visuell) präsentiert wird. So sollen die Lehrenden bei der Wortschatzvermittlung je nach Situationen verbale oder nonverbale Handlungsweisen sowie didaktische Hilfsmittel, etwa Situationsbilder, als Ergänzung zur Wortbzw. Begriffserklärung anwenden, damit die Bedeutung noch klarer wird und die Lerner sie noch besser mit ihrem Vorwissen vernetzen können. Je nach Eigenschaft des zu erklärenden Wortes sowie dem Sprachniveau der Lernenden entscheidet der Unterrichtende, auf welche Art und Weise die Bedeutung möglichst anschaulich dargestellt werden kann, wie z.B. mit Hilfe von Körperbewegungen (Mimik und Gestik), Umformulierungen (Synonyme, Antonyme, Beispielsätze etc.), im Klassenzimmer existierenden Gegenständen, Zeichnungen an der Tafel, Bildmaterialien, Kontexten etc. Was die Lehrerrolle im Unterricht anbetrifft, dient die Lehrperson im Lernprozess sowohl als sprachliches Vorbild als auch als Partner(in). Zum einem wird sie sprachlich von den Lernenden quasi imitiert und soll aus diesem Grund die Zielsprache möglichst so gut wie ein Muttersprachler beherrschen. Deshalb sind die sprachlichen Herausforderungen an den Unterrichtenden in diesem Konzept höher als in der GÜM. Zum anderen wird der Lehrende dabei weder als Autoritätsperson noch als Alleswisser oder Wissenspauker betrachtet, sondern vielmehr als Partner. In dieser Rolle sollte er aus pädagogischer Sicht den Lernenden im Unterrichtsverlauf je nach Situationen angemessenes Lob erteilen bzw. sie rechtzeitig ermutigen anstatt sie zu bestrafen oder ihre Leistung auf Fehler zu überprüfen. Grammatikvermittlung Bei der direkten Methode wird zwar besonderer Wert auf die gesprochene Sprache gelegt. Aber das bedeutet nicht, dass man das Grammatiklernen für überflüssig hält und deshalb ganz aus dem Unterricht ausschließen kann. Grammatik wird allerdings durch mündliche Texte mittels induktiver Vorgehensweisen gelehrt und präsentiert. So werden die zu erlernenden grammatischen Regeln bzw. Phänomene nicht schon am Anfang einer Unterrichtseinheit explizit erläutert, sondern es wird von Einzelfällen, Beispielsätzen, Anwendungen bzw. kontextgebundenen Texten ausgegangen und daraus werden von den Lernenden selbst langsam durch das aus der Imitation entwickelte Sprachgefühl Schritt für Schritt neue Elemente oder Regelhaftigkeiten entdeckt. Erst am Ende der Unterrichtseinheit werden sie <?page no="38"?> 38 vom Unterrichtenden zusammengefasst und erklärt. Dies ist sog. entdeckendes Lernen und erlaubt, den Lernenden während des Lernprozesses die Regeln und den Gebrauch der Zielsprache selbst durch Ausprobieren, Selbstbeobachtung sowie -überprüfung zu finden und zu formulieren. Dieser eigene Denkprozess hinterlässt tiefere Spuren im Gedächtnis, das Gelernte kann besser behalten werden, weil es dadurch mit dem bereits erworbenen Wissen verknüpft wird. Lückentexte und Einsetzübungen sind bei der direkten Methode als besonders geeignete schriftliche Grammatikübungen anzusehen. Kritikpunkte der direkten Methode Die Probleme der direkten Methode liegen vorwiegend in der praktischen Umsetzbarkeit. Sie lassen sich auf die aus dem didaktischen und methodischen Prinzip abgeleitete Einsprachigkeit zurückführen und können unter folgenden Aspekten betrachtet werden: 1. Höhere Anforderungen an die Lehrkraft Aufgrund der Einsprachigkeit im Unterricht müssen die Lehrenden über annähernd muttersprachliche Kompetenz der Zielsprache verfügen, d.h., sie müssen während der Vermittlung fließend und ohne Akzent sprechen, denn die Lehrenden gelten als zielsprachliches Vorbild, das nachgeahmt werden soll. In der Realität stehen aber oft nicht genügend solche Lehrkräfte zur Verfügung (vgl. Richards / Rodgers 1992, 10; Yu 2000, 177f.). 2. Institutionelles Problem - Klassengröße Die Anzahl der Lernenden in einer Lerngruppe kann bei der Umsetzung der Einsprachigkeit auch eine Schwierigkeit darstellen, und zwar vor allem für den kommunikativ orientierten Unterricht. Dies hängt in der Realität häufig mit den institutionellen Rahmenbedingungen zusammen und auch mit der Infrastruktur in Bezug auf die Raumgestaltung (vgl. 6.2). Generell wird eine Klasse im universitären DaF-Unterricht Taiwans in 2-3 Gruppen zu ca. 20 bis 30 Lernenden unterteilt, um die grundlegenden Sprachfertigkeiten auszubilden. 6 Dies ist aber für das Training mündlicher Sprachfertigkeiten und die damit verbundenen Aktivitäten nicht sehr günstig, worauf ich später in Kap. 8.3 noch näher eingehen werde. In der Kleingruppe (optimal ca. 15 Lernende) kann die Lehrperson besser auf die Lernbedingungen, Lernbedürfnisse und Lernsituation der einzelnen Kursteilnehmer bzw. von der gesamten Gruppe eingehen. In einer großen Klasse hingegen ist das im Allgemeinen nicht möglich, z.B. können die Aussprache, der Regelgebrauch, Schwierigkeiten bei der 6 Ausführlich siehe in 3.3.2. <?page no="39"?> 39 mündlichen Formulierung etc. schon rein aus Zeitgründen nicht immer im Einzelnen beachtet werden. Die mit dieser Methode zusammen verbundenen Unterrichtsaktivitäten sind ohnehin eher für Kleingruppen geeignet. Obwohl bei der Großgruppe die Lernenden in mehrere Kleingruppen, die gemeinsam eine Gruppenarbeit bzw. Aufgabe bearbeiten, unterteilt werden können, kann der Lernerfolg nicht garantiert werden, denn er hängt mit sehr vielen Faktoren zusammen, wie z.B. Kreativität, didaktischer und methodischer Vorgehensweise des Lehrenden, Aufgabenstellung, Anzahl der Unterrichtsstunden, Lernbereitschaft und Motivation der Lernenden etc. (vgl. 8.2.2 und 8.3). 3. Sprachniveau der Lernenden Bei der Wortschatz- und Grammatikvermittlung ist das Sprachniveau der Lernenden von großer Bedeutung. Denn die Lehrenden dürfen nicht in die Muttersprache der Lernenden übersetzen, obwohl es in der Tat oft leichter ist und schneller geht, die Bedeutung neuer Vokabeln und die Grammatikregeln in der Muttersprache zu erläutern (vgl. Richards / Rodgers 1992, 10f.). Von daher sollten die Lernenden bereits gewisse Vokabelsowie Grammatikkenntnisse in der Zielsprache besitzen, um die darauf aufbauenden Lerninhalte verstehen und aufnehmen zu können. Bei der direkten Methode muss somit das Sprachniveau der jeweiligen Lerngruppe mit berücksichtigt werden und je nach Lernziel, Lerngegenstand und Lernphase das Anschauungsmaterial als Hilfsmittel ausgewählt sowie passende Hilfestellung angeboten werden, um den Lernprozess zu unterstützen - vor allem beim kommunikativ orientierten Unterricht (vgl. 8.3). Deshalb ist die direkte Methode eigentlich eher für Fortgeschrittene geeignet als für die Anfänger ohne jede Grundkenntnisse, auf die sie aufbauen können. 1.2.3 Kommunikativer Ansatz Hintergründe für die Entstehung des kommunikativen Ansatzes Jede Methode des Fremdsprachenunterrichts hat ihren spezifischen Hintergrund aufgrund dessen sie entstanden ist. Der kommunikative Ansatz entstand etwa Mitte der 1970er Jahre zu einem Zeitpunkt, an dem durch den immer intensiver werdenden Austausch der einzelnen Staaten in Politik, Wirtschaft und Kultur eine große Nachfrage an Spezialisten bestand, die über gute Kenntnisse in verschiedenen Fremdsprachen verfügten. Die Anzahl der L2-Lernenden wuchs deshalb schnell, sie kamen aus verschiedenen sozialen Schichten bzw. Berufsbereichen und jeder brachte unterschiedliche Lernvoraussetungen in Bezug auf Erfahrungen, Vorkenntnisse, Lernziele sowie Ansprüche an den Sprachunterricht mit. Dies führte dazu, dass man <?page no="40"?> 40 die damals verbreitete audiolinguale Methode kritisch zu betrachten begann, da diese Methode die äußerst verschiedenen lerngruppenspezifischen Bedürfnisse kaum befriedigen konnte. Zum anderen übte die Pragmalinguistik auch einen großen Einfluss auf den kommunikativen Ansatz aus. Sie fasst Sprache laut Austin (1962) als eine menschliche Handlung auf und nicht nur als ein System von Strukturen und Regeln. Mit Hilfe von Analyse der sprachlichen Handlungen werden laut Searle (1969) Sprechabsichten und Sprachfunktionen in einer jeweiligen Kommunikationssituation unterschieden (vgl. Henrici 1986, 145). Durch diesen Ansatz ist die Entwicklung der kommunikativen Sprachkompetenz der L2-Lerner in den Blick der Didaktik gerückt. Neuner (2003, 231) formuliert das wie folgt: „Die pragmatische Orientierung beschäftigt sich mit Fragen des gesellschaftlichen Fremdsprachenbedarfs und des individuellen bzw. zielgruppenspezifischen Bedürfnisses von Lernenden hinsichtlich des Fremdsprachengebrauchs (Analyse von Alltagskommunikation bzw. berufssprachlicher Kommunikation in relevanten Rollen, Situationen, Themen, Sprechintentionen, Textsorten etc. ...)“ Außerdem werden interkulturelles Wissen und interkulturelle Kompetenz hervorgehoben. Lernende sollen beim Fremdsprachenlernen ihre Weltanschauungen und Erfahrungen durch die Begegnung der eigenen Kultur mit der zielsprachlichen Kultur erweitern. Die oben dargestellten Aspekte, die auf den gesellschaftlichen Wandel, die Pragmalinguistik oder pädagogische Konzeptionen zurückzuführen sind, wurden als neue Impulse zum Fremdsprachenlernen angesehen und dann in die didaktisch-methodischen Konzepte des Fremdsprachenunterrichts integriert. Darin treten zwei Schwerpunkte in den Vordergrund, nämlich der lernerorientierte Unterricht und die Entwicklung bzw. das Fördern der alltäglichen kommunikativen Kompetenz 7 . Außerdem unterscheidet man innerhalb des kommunikativen Ansatzes zwei Entwicklungsphasen, die verschiedene Konzepte hervorgebracht haben: das pragmatisch-funktionale Konzept und das interkulturelle Konzept. Der sogenannte „interkulturelle Ansatz“ ist eigentlich vom interkulturellen Konzept abgeleitet und dann weiterentwickelt worden, darauf werde ich im nächsten Kapitel noch ausführlicher eingehen. Hier soll zuerst ein Überblick über das pragmatisch-funktionale Konzept gegeben werden, insbesondere in Hinsicht auf dessen didaktisch-methodische Prinzipien im Fremdsprachenunterricht allgemein sowie bei der Grammatikvermittlung. 7 Der Begriff kommunikative Kompetenz, der von Hans-Eberhard Piepho (1929- 2004) im Bereich von DaF im Jahr 1974 geprägt wurde, bezieht sich in der L2- Didaktik auf die Befähigung zur aktiven und flexiblen Sprachverwendung in der zielsprachigen Alltagskommunikation (vgl. Mairose-Parovsky 1997, 16f.). <?page no="41"?> 41 Didaktisch-methodische Prinzipien des pragmatisch-funktionalen Konzepts Im pragmatisch-funktionalen Konzept orientieren sich die didaktischmethodischen Prinzipien des Fremdsprachenunterrichts an den Bedürfnissen der Lernenden und an der Kommunikationssituation. Ziel ist es, dass die Lernenden durch die Ausbildung „kommunikativer Kompetenz“ die passenden Anwendungen in der Zielsprache finden und in den alltäglichen Kommunikationssituationen ohne inhaltliche Verständigungs- oder Verstehensprobleme zurechtkommen. Dies beschreiben Neuner und Hunfeld (1993, 88) wie folgt: „ (...) Ziel dieses Konzepts ist die möglichst rasche und zuverlässige Anwendung des im Unterricht Gelernten auf Kommunikationssituationen des Alltags.“ Kommunikationsorientierung bedeutet also zum einen, dass der Unterricht den Lernenden durch die Vermittlung der vier grundlegenden Sprachfertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben zur deutschsprachigen Alltagskommunikation befähigen soll. Zum anderen soll ihnen ein der jeweiligen Situation angemessener Sprachgebrauch vermittelt werden. Daher ist der Unterricht im Gegensatz zur GÜM vorwiegend am Lernenden und am Lernprozess orientiert. Die Lerninhalte und Unterrichtsziele berücksichtigen die Lernvoraussetzungen, Interessen und Bedürfnisse der jeweiligen Lernergruppe. Dabei werden Themen aus dem Alltagsleben bzw. unterschiedlichen Lebensbereichen unter Einsatz möglichst authentischer Textsorten behandelt. Solche sprachlichen Unterrichtsmaterialien sollen der Sprechakttheorie entsprechend eine bestimmte Mitteilungsabsicht haben und werden in passende kommunikative Aufgabenstellungen und Übungsformen eingebettet (vgl. Mairose-Parovsky 1997, 16). Darüber hinaus sind Unterrichtsaktivitäten wie Rollenspiele, Simulationen, Diskussion, Planspiele usw. von großer Bedeutung und werden durch verschiedene Sozialformen (Einzel-, Partner-, und Gruppenarbeiten etc.) in dialogischem Sprechen eingesetzt. Die Lernenden sollen dadurch simuliert lernen und dann in der Lage sein, ihre Zielsprache und deren situationsabhängigen Gebrauch kreativ, bewusst und angemessen anzuwenden. Diese Lernerfahrungen und die dadurch erworbenen kommunikativen Fähigkeiten sollen ihnen später bei der konkreten Sprachverwendung im realen Alltagsleben helfen, also z.B. während des Aufenthalts im Zielsprachenland (vgl. Heyd 1991, 30). Auch die Rolle der Lehrenden wird anders definiert als bei den früheren Ansätzen. Sie werden nicht mehr nur als Wissensvermittler angesehen, sondern vielmehr als Wissensprüfer und Lernhelfer. Das heißt, sie müssen ihren Lernenden neben der Wissensvermittlung noch Hilfe anbieten, wenn im Laufe des Unterrichts Inhalts- oder Verstehensprobleme auftreten. So verlieren einerseits die Lehrenden teilweise ihre Dominanz im Unterrichtsgesche- <?page no="42"?> 42 hen, aber andererseits übernehmen die Lernenden eine höhere Selbstverantwortung fürs Lernen. Außerdem ist im kommunikativen Ansatz die korrekte Anwendung sprachlicher Regeln nicht mehr zentral. Fehler werden toleriert, wenn sie die laufende Kommunikation nicht stören. Sie werden als natürlicher und sinnvoller Teil des Lernprozesses betrachtet, weil das Bewusstwerden von Fehlern eine Gelegenheit darstellt, den bereits vorhandenen Wissensbestand des Lernenden nochmals umzubauen, zu vertiefen und zu erweitern. Grammatikvermittlung Im kommunikativen Ansatz ändert sich auch der Stellenwert der Grammatik. Das Erlernen von Grammatikregeln gilt nicht mehr als Selbstzweck, sondern die Grammatik dient als Mittel zur zweckmäßigen Kommunikation, um bestimmte Sprechabsichten bzw. Funktionen verwirklichen zu können (vgl. Kniffka / Siebert-Ott 2007, 96). Das bedeutet, dass der Grammatikunterricht situationsorientiert gestaltet und an den Sprechabsichten orientiert sein soll. Die Grammatikregeln und -strukturen, die dem jeweiligen Themenschwerpunkt zugeordnet sind, werden anhand alltagsbezogener Situationen eingeführt und geübt. Die sprachlichen Regeln sollen sich die Lernenden dadurch grundsätzlich selbst erschließen. Das Ziel ist, dass die Lernenden durch den situations- und realitätsbezogenen Kontext das jeweils behandelte Grammatikphänomen verstehen und auch lernen, zu welchem Zweck sowie in welchem Zusammenhang dieses sehr häufig gebraucht wird. Zentral ist auch, welche Ausdrucksformen in welcher bestimmten Kommunikationssituation möglich und passend sind, und zwar abgestuft nach gesteigerter Komplexität der sprachlichen Formulierungen. Denn es gibt ja für einen bestimmten kommunikativen Kontext vielfältige Versprachlichungsmuster, die entweder mit einfacheren oder komplizierteren Sprachstrukturen gebildet werden können. So entsteht im Unterricht eine zyklische Progression sowohl der Grammatikstrukturen als auch Sprechabsichten. Durch diese sinnvolle Progression wird es möglich, dass sich die Zielsprache in einer realitätsnah simulierten Situation flexibel, kreativ, produktiv sowie rezeptiv durch Ausprobieren anwenden lässt. Als didaktische Hilfsmittel werden meistens visuelle und grafische Mittel wie z.B. Farben, Graphiken, Bilder, Symbole, Medien zur Veranschaulichung der eingeführten Grammatikthemen eingesetzt. Zusammenfassend ist zu sagen, dass aus der pragmatisch-funktionalen Sicht nicht das Erlernen der korrekten sprachlichen Formen (z.B. Perfekt, Konjunktiv II etc.) Ziel des kommunikativ orientierten Grammatikunterrichts ist, sondern die intentions- und situationsadäquate Anwendung dieser Mittel durch den Lernenden (vgl. Götze 1993, 4). <?page no="43"?> 43 Kritikpunkte des kommunikativen Ansatzes und Diskussion Im kommunikativen Ansatz rücken der Lernende und die Alltagskommunikation zwar in den Mittelpunkt des Unterrichts, aber der kulturelle Kontext der Lernenden sowie die Behandlung literarischer Texte finden wenig Berücksichtigung (vgl. Rösler 2012, 81). Die Anzahl der Lernenden in einer Lerngruppe 8 kann ein Problem für den Unterricht sein, da die kommunikativen Aktivitäten wie Rollenspiele, Simulationen, Projekte etc. in den Sozialformen Partnerbzw. Gruppenarbeit stattfinden. Je größer die Lerngruppe ist, desto schwerer ist es für die Lehrperson, die Aktivitäten sinnvoll zu unterstützen und zu kontrollieren. Außerdem erfordert der kommunikative Ansatz prinzipiell mehr Lernerautonomie, Eigenverantwortung sowie sprachliche Interaktion zwischen den Kursteilnehmern. Das heißt, dass ein erfolgreicher Einsatz der kommunikativen Methode von den äußeren Bedingungen und dem soziokulturellen Hintergrund der jeweiligen Lernergruppe beeinflusst wird. Im universitären DaF-Unterricht Taiwans werden die kommunikativen Methoden von den muttersprachlichen Lehrkräften häufig für das Training der mündlichen und schriftlichen Ausdrucksfähigkeit bzw. das Lösen kommunikativer Aufgaben eingesetzt. Problematisch dabei ist, dass die Überprüfung bzw. Anleitung des Lernprozesses aufgrund der zu großen Klasse (ca. 20-35 Lernende) und der beschränkten Unterrichtszeit auf wenige Stunden schwierig ist. Die Problematik zeigt sich auch in den Unterrichtsbeobachtungen (vgl. 8.3). Im Zusammenhang damit stehen neben dem Sprachstand der Lernenden (Sprechfertigkeit) auch die Lernbereitschaft (Sprechwilligkeit) und die Autonomie. Dies rückt die vorhandenen Unterrichtstraditionen und den soziokulturellen Hintergrund in den Blick. Tatsache ist, dass die taiwanischen DaF-Studierenden wie von Fischer (2006, 130) beschrieben in einem formalen und autoritären Bildungssystem aufgewachsen und eher an Frontalunterricht gewöhnt sind. Der kommunikative L2-Unterricht und seine Methoden können somit eine Quelle von Schwierigkeiten für die Lernenden und für den Lernprozess sein. In der Studie „The failure of Communicative Language Teaching in Taiwan“ hat Daly (2009) darauf hingewiesen, dass drei sich gegenseitig verstärkende Schlüsselfaktoren den Erfolg der kommunikativen Methode in Taiwan verhindern, nämlich die Prüfungsorientierung des gesamten Bildungssystems (exam based education), die zentrale Position der Lehrerautorität (teacher centeredness) in der konfuzianischen Tradition sowie das ergebnisorientierte Sprachlernen (product focused language practice). Diese drei entsprechen den in dieser Arbeit genannten relevanten Aspekten wie Vorerfahrungen mit dem schulischen (Englisch)lernen und den kulturbedingten Lerntraditionen in Bezug auf das Prüfungssystem, die konfuzianische Hierarchie im 8 Also, wie bei der direkten Methode (vgl. 1.2.2). <?page no="44"?> 44 Lehrer-Schüler-Verhältnis sowie die Wertvorstellung zum Lernen (vgl. 2.1 und 4.2.1). Folge der o.g. Bedingungen im kulturellen Kontext Taiwans ist es, dass nur wenige der Grundvoraussetzungen zum erfolgreichen Arbeiten mit den kommunikativen Methoden gegeben sind, wie Daly (ebd., 32) in der Tabelle darstellt (Abb. 1-1): Abb. 1-1: Überblick: CLT-Liste von Richards und die lokalen Bedingungen in Taiwan Table 2.: Summary of Richards’ CLT list and local constraints CLT more Assumptions Contextual constraints 1. Learners should be engaged in interaction and meaningful communication  Class size, product-based drills 2. Students negotiate meaning, notice how language is used, enter in meaningful interpersonal exchange  Not necessary for preparation for grammatical competence exams 3. Meaningful communication that is relevant, purposeful, interesting, and engaging  Not necessary for exam preparation 4. Use of several language skills or modalities  Focus on reading, grammar, vocabulary 5. Inductive learning of underlying rules of language, as well as analysis and reflection  Teacher-centered class is deductive 6. Creative use of language, trial and error… be able to use the new language both accurately and fluently  Controlled drills to learn grammar and vocabulary; focus on receptive skill of reading 7. Learners have different routes to and rates of language learning, and different needs and motivations  Needs and rates are homogenized according to exam contents 8. Effective learning and communication strategies  Communication is unnecessary for exam Taking 9. Teacher is a facilitator  Teacher explains in L1, gives content and practice for tests 10. Classroom is a community where learners learn through collaboration  Learning is individual and competitive for exams CLT: Communicative Language Teaching <?page no="45"?> 45 Darüber hinaus ist ohne Lernerautonomie ein kommunikativer Unterricht in diesem Fall für die muttersprachlichen Lehrenden schwierig zu gestalten, auch wenn sie langjährige praktische Erfahrungen als Lehrende haben. Denn der kommunikative Unterricht kann nur dann erfolgreich sein, wenn er in einem angemessenen Rahmen stattfindet und die Bedingungen gegeben sind, so dass sich weder die Lernenden noch die Unterrichtenden in einer für sie überfordernden Situation wiederfinden. 1.2.4 Interkultureller Ansatz Hintergründe für die Entstehung des interkulturellen Ansatzes In der späteren Entwicklungsphase des kommunikativen Ansatzes, also etwa Mitte der 80er Jahre, rückte das Konzept Interkulturelles Lernen und Lehren in den Mittelpunkt. Dieses Konzept war eigentlich eine Erweiterung des kommunikativen Ansatzes und ging davon aus, dass Fremdsprachenlernen nicht nur Erlernen der sprachlichen Regelmäßigkeit und des situationsadäquaten Sprachgebrauchs in der Zielsprache bedeutet, sondern zugleich auch als Begegnung mit einer fremden Welt und Kultur angesehen werden kann. Durch diese Begegnung ergeben sich Kontakte und Kommunikation, in denen zumindest zwei verschiedene Kulturen aufeinander treffen und das Fremdverstehen daher von großer Bedeutung ist. Solche interkulturelle Situationen und Kenntnisse über angemessene Verhaltensweisen darin hatte der zuvor angesprochene pragmatisch-funktional ausgerichtete Fremdsprachenunterricht, also der kommunikativ orientierte Fremdsprachenunterricht, nicht in Betracht gezogen. Doch Sprache, Gesellschaft und Kultur sind untrennbar miteinander verbunden. Dies beschreibt Bredella in seiner Abhandlung (1999, 88) sehr zutreffend: „Wenn wir unsere Muttersprache lernen, lernen wir sie in einem sozialen bzw. kulturellen Kontext. Sprache und Kultur bedingen sich daher gegenseitig. Ohne Sprache könnten wir soziale Handlungen nicht ausführen und ohne Teilhabe an einer bestimmten Kultur könnten wir den sprachlichen Phänomenen keine Bedeutung zuschreiben. Linguistische und soziale bzw. kulturelle Kompetenz verweisen somit aufeinander. Kommunikative Kompetenz bedeutet auf diesem Hintergrund, daß man in einer Kultur sozialisiert worden ist und dabei gelernt hat, wie man sich in bestimmten Situationen linguistisch und sozial richtig verhält.“ Der Fremdsprachenunterricht wird folglich nicht nur als Ort für das Sprachenlernen sowie den Erwerb kommunikativer Kompetenz betrachtet, sondern auch als Ort der interkulturellen Kontakte sowie für das Ausbilden der <?page no="46"?> 46 „interkulturellen Kompetenz“ 9 . Diese soll durch Kontrastierung von sprachlichen bzw. kulturspezifischen Kontexten und ihrer Verschiedenheit erworben werden. Dies ist das sog. interkulturelle Konzept des Fremdsprachenunterrichts und bedeutet, dass die Lernenden zunächst mit Hilfe der Zielsprache die Zielkultur aus dem eigenen soziokulturellen Kontext heraus erkennen. Dann sollen sie durch diesen Lernprozess ( interkulturelles Lernen ) zum Nachdenken über die kulturbedingten Unterschiede zwischen dem Eigenen und Fremden wie z.B. Sitten, Traditionen, Gewohnheiten, Einstellungen, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen usw. angeregt werden, um diese Differenzen zu entdecken, sie zu verstehen sowie zu respektieren. Am Ende sollen die Lernenden sowohl sprachlich auch gedanklich zur interkulturellen Kommunikation befähigt werden. Didaktisch-methodische Prinzipien Das Ziel des interkulturell orientierten Fremdsprachenunterrichts ist didaktisch neben der Vermittlung der Alltagskultur der Zielsprache bzw. deren Landeskunde noch darauf gerichtet, dass die Lernenden durch das Fremdsprachenlernen den Horizont ihres Kultur- und Sprachwissens erweitern, ein neues Weltbild gewinnen sowie ihre interkulturelle Kompetenz entwickeln. Denn zum einen gilt der Fremdsprachenunterricht selbst als Ort, an dem das interkulturelle Handeln und Aushandeln stattfinden kann, also Sprachenlernen, Gedankenaustausch, Sichtwechsel etc. (vgl. Bredella 1999, 115). Zum anderen zielt dies auf das Vermeiden kommunikativer Hindernisse ab, die sich voraussichtlich aus den Sprachbzw. Verständigungsproblemen in den interkulturellen Kontakten ergeben. Von daher ist vor allem die Auswahl der kulturellen und landeskundlichen Inhalte von großer Bedeutung, natürlich unter Berücksichtigung von Sprachniveau, Interessen bzw. Bedürfnissen der jeweiligen Lernergruppe. Dies lässt sich unter folgenden zwei Aspekten, die seit den 90er Jahren gleich wichtig für das kulturbezogene Sprachlehren und -lernen sind, betrachten: 1) Aspekt der Kulturvermittlung Inhaltlich sollen die ausgewählten Themen, Inhalte bzw. Texte einerseits den Lernenden einen Einblick in die Kultur des Zielsprachenlandes ermöglichen und später auch hilfreich sein, um interkulturelle Konflikte 9 Unter interkultureller Kompetenz versteht man beim Fremdsprachenlernen sowohl die Fähigkeiten als auch die Fertigkeiten sowie Strategien zum Umgang mit fremden Kulturen und Gesellschaften. Dadurch soll man dazu befähigt werden, im interkulturellen Handlungsprozess Missverständnisse vermeiden und aufklären zu können und gemeinsame Problemlösungen zu kreieren, die von allen beteiligten Personen akzeptiert und produktiv genutzt werden können (vgl. Gilzmer 1995, 214f.; Thomas 2003, 14; Volkmann 2002, 12f.). <?page no="47"?> 47 sowie Missverständnisse in konkreten Situationen zu vermeiden, und zwar durch kulturkontrastive Prozesse. Andererseits sollen auch aktuelle Themen und Diskussionen in der zielsprachigen Alltagswelt mit einbezogen werden. Dadurch sollen die Lernenden an ihre eigenen Lebenserfahrungen und ihr bisheriges soziokulturelles Vorwissen anknüpfen und so ein integrativ neues Bild für die Fremd- und Eigenkultur gewinnen können. Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht kann also als Training von Fertigkeiten und Fähigkeiten zum Kulturverstehen 10 wie z.B. Sichtwechsel, Toleranz, Empathie, Identität, Sensibilität, Reflexibilität etc. gesehen werden (vgl. Bettermann 2001, 1221ff.). 2) Aspekt der Sprachvermittlung Sprachlich sollen die vermittelten kulturellen bzw. landeskundlichen Themen und Inhalte dazu beitragen, dass die Lernenden den Wortschatz angemessen in den zielkulturellen Situationen anwenden können und fähig sind, die Wahrnehmungen und Gedanken ihrer eigenen Welt zu formulieren (vgl. Häussermann / Piepho 1996, 399ff.). Das bedeutet, dass die sprachlich-landeskundliche Progression bei der Auswahl von Themen, Inhalten und Texten mit berücksichtigt werden muss. Es geht darum, die sprachliche Progression (Grammatik- und Wortschatzarbeit) in die thematische Progression der zu vermittelnden landeskundlichen Inhalte einzubetten. Vor allem spielt die Bedeutungserklärung bzw. Interpretation von Wörtern und Begriffen zum Textverständnis eine wichtige Rolle. Denn die Wörter und Begriffe, die in einer Kultur gebraucht werden, sind durch eine lange Entwicklung kulturspezifisch geprägt, sie enthalten typische Denkmuster und Verhaltensweisen einer bestimmten Kultur und zeigen dem Lerner diese auf. So sollten die Lernenden im Sprachunterricht durch sprachkontrastive Prozesse für interkulturelle Unterschiede sensibilisiert werden. Sie sollten schließlich in der Lage sein, auf der Grundlage des Kulturverstehens ihr sprachliches und außersprachliches Wissen in der Zielsprache zu erweitern. Beim Einsatz methodischer Unterrichtsmittel ist das interkulturelle Konzept dem kommunikativ-pragmatischen Konzept ziemlich ähnlich, besonders in Bezug auf Unterrichtsaktivitäten und den Medieneinsatz. Im Unterricht nach dem interkulturellen Konzept werden auch Rollenspiele, Diskussionen, Simulationen und Projektarbeit durchgeführt. Je nach Unterrichtsaufgaben werden unterschiedliche Medien zum Fremdverstehen eingesetzt, wie z.B. authentische Lese- und Hörtexte, Bilder, Film, DVD, VCD etc. 10 Laut Gilzmer (1995, 214) bedeutet Kulturverstehen also ganz allgemein, Elemente der eigenen und der fremden Kultur sinnvoll in Beziehung zu setzen. <?page no="48"?> 48 Anregungen zur Grammatikarbeit und Sprachdidaktik Beim interkulturellen Konzept wird im Unterricht der Schwerpunkt wie bereits angesprochen hauptsächlich auf Themen, Inhalte sowie Wortschatzarbeit gelegt. Die Grammatikarbeit bzw. -vermittlung wird im interkulturellen Ansatz eigentlich nicht besonders hervorgehoben. Im Prinzip sollen die zu vermittelnden Grammatikphänomene je nach Lernziel und kulturspezifischem Sprachgebrauch interkulturell behandelt und dargestellt werden, also in sprach- und kulturkontrastiver Weise. Dafür hat Roche (2001, 138) einige Prinzipien und Anregungen gegeben: „Grammatik sollte interkulturell vermittelt werden durch die Verwendung kultureller Konzepte wie Linearität und Nicht- Linearität der Zeit durch Aufbauen auf bereits bekanntem Wissen über die eigene und die fremde Sprache durch Verwendung von grammatischen Kategorien und kulturellen Konzepten, die möglichst nahe am Lerner / an der Lernersprache sind durch Konzentration auf die spezifischen Verwendungszwecke statt abstrakter oder generischer Regeln.“ Unter diesen 4 Punkten Roches bezieht sich allerdings eigentlich nur Punkt 1 direkt auf (interkulturelle) Grammatikvermittlung. Denn unter den Punkten 2 und 3 wird nur gesagt, dass die zu vermittelnden Grammatikphänomene durch sprachkontrastive Analyse in Bezug auf interkulturelle Konzepte durchgenommen werden sollen, also zur Begünstigung von Kommunikation und Verständigung zwischen Ausgangs- und Zielkultur. Und Punkt 4 bezieht sich eigentlich auf die lernerbezogene Grammatik oder Lernergrammatik. Dies bedeutet, dass die Lehrenden bei der Vermittlung grammatischer Phänomene bzw. Strukturen dem Sprachniveau, Lernziel, Bedürfnis bzw. Wunsch der jeweiligen Lerngruppe entsprechen sollen. Als Beispiel hat Roche (ebd., 143ff.) das Verb im Deutschen angeführt. Bei der Linearität und Nicht-Linearität der Zeit geht es um grammatische Kategorien des Verbs (also Konjugation des Verbs je nach Person, Numerus, Tempus, Modus, Genus) und dessen zusammengesetzten Formen je nach Sprechsituationen und -intentionen, wie z.B. (modale) Hilfsverben mit Infinitiv / Partizip. Diese Formen sind für Deutschlernende, deren Muttersprache keine dem Deutschen verwandte Sprache (wie z.B. Chinesisch) ist, problematisch. Für sie ist die Konjugation (oder Flexion) im Deutschen sozusagen neu und sogar noch komplizierter als im Englischen. Denn es ist überhaupt keine Flexion im Chinesischen vorhanden, und die Zeitform wird entweder durch Zeitangaben oder Singalwörter für Vergangenheit, Gegen- <?page no="49"?> 49 wart und Zukunft ausgedrückt. Darauf werde ich in Kap. 4.1 noch ausführlicher eingehen. Durch solche sprachkontrastiven Prozesse sind die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Ausgangs- und Zielsprache zwar leicht zu differenzieren. Aber ob dies beim Deutschlernen tatsächlich hilfreich für die Lerner mit Chinesisch als Muttersprache ist, ist noch eine offene Frage. Auf der morphologischen Ebene etwa stellt die sprachkontrastive Analyse nur eine begrenzte Hilfe dar, da das Chinesische eine nichtflektierende Sprache, das Deutsche hingegen eine flektierende Sprache ist und außer diesem Unterschied eigentlich nicht viel anderes festzustellen ist. Hier wäre es sinnvoller, einen Vergleich mit dem strukturell dem Deutschen näher stehenden Englischen vorzunehmen, da die Deutschlernenden im chinesischen Sprachraum ja im Allgemeinen Vorkenntnisse in Englisch mitbringen. Auf der syntaktischen Ebene hingegen könnte die kontrastive Analyse zwischen Chinesisch und Deutsch teilweise zum besseren Verstehen beitragen, denn das Chinesische und das Deutsche weisen teilweise ähnliche Strukturen auf. Ob die kontrastive Analyse beim Grammatiklernen tatsächlich hilfreich für die Deutschlernenden beim Grammatiklernen ist, hängt unter anderem also mit folgenden Faktoren zusammen: welche Sprachen werden miteinander verglichen, welche Grammatikphänomene bzw. welche syntaktischen Strukturen zwischen den Ausgangs- und Zielsprachen werden miteinander verglichen etc.? Aufgrund der oben dargestellten und vieler weiterer Faktoren (kulturelle Unterschiede, geografische Entfernung etc.) ist es für die im chinesischen Sprachraum unterrichtenden Deutschlehrenden viel wichtiger, wie die sprachlichen 11 und kulturbezogenen Lerninhalte miteinander sinnvoll kombiniert werden, d.h., entscheidend für das interkulturelle Verstehen ist die interkulturell orientierte Unterrichtsgestaltung in Bezug auf sprachliche und kulturbezogene Vermittlungsinhalte sowie die Themenauswahl (vgl. dazu Wang 2004, 20ff.). Es gibt auf dem Markt zahlreiche Deutschlehrwerke, die größtenteils in Deutschland für die Deutschlerner auf der ganzen Welt publiziert werden. Manche orientieren sich an verschiedenen sprachdidaktischen Methoden bzw. Ansätzen, andere vermischen unterschiedliche methodische Elemente daraus miteinander. Unter diesen Methoden bzw. Elementen stellt der interkulturelle Ansatz im Moment die Hauptströmung dar. In diesen interkulturell orientierten Lehrwerken 12 wird aber auch nicht 11 Die sprachlichen Lerninhalte beziehen sich hier nicht nur auf Grammatikarbeit, sondern auch auf Wortschatz, Rechtschreibung, Aussprache, Lesetexte, Hörtexte, Text- und Schreibarbeiten etc., nämlich die gesamten sprachlichen Lehrmaterialien. 12 Z.B. Sprachbrücke (neu), Sichtwechsel, Passwort, Studio Deutsch, Lagune, em etc. <?page no="50"?> 50 alles berücksichtigt, wie z.B. die kulturspezifischen Hintergründe verschiedener Lernergruppen, die sprachlichen Unterschiede zwischen Ausgangs- und Zielsprache, die Lern- und Lehrtraditionen verschiedener Regionen bzw. Kulturkreise etc. Denn grundsätzlich gehen diese Lehrwerke von Fremdperspektiven aus, um das Bild von Deutschland bzw. die Landeskunde der deutschsprachigen Länder in verschiedenen Vermittlungskontexten in Bezug auf unterschiedliche Sprachfertigkeiten einzuführen und zu präsentieren. Die Integration der sprachlichen und kulturbezogenen Lern-/ Lehrinhalte stellt also noch eine wichtige Aufgabe für die Sprachlehrer dar, die sich mit dem interkulturellen Konzept beschäftigen. 1.2.5 Sozialformen Zum Begriff der Sozialformen Mit dem Begriff Sozialformen bezeichnet man in der Didaktik die im Lehr- und Lernprozess stattfindenden Unterrichtsformen. Von der Funktion her gesehen sind sie die Zusammenarbeits-, Kommunikations- und Interaktionsformen, die zwischen den Lernenden einerseits und zwischen Lehrenden und Lernenden andererseits ablaufen. Es können vier Grundformen unterschieden werden: Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit und Frontalunterricht (vgl. Schwerdtfeger 2003, 247). Diese Sozialformen sind an sich noch keine Methoden, sondern beziehen sich lediglich auf die Organisation des Unterrichts. Entscheidungen der Lehrkraft über die im Unterricht eingesetzten Sozialformen gehören aber dennoch zu den methodischen Überlegungen (vgl. Gudjons 2007, 37f.). Für die vorliegende Arbeit sind der Frontalunterricht und die Partnerarbeit besonders relevant, da sie die zwei in den Unterrichtsbeobachtungen am häufigsten praktizierten Sozialformen sind. Im Folgenden werden sowohl ihre Charakteristika beim L2-Unterricht dargestellt als auch die damit verbundenen Vorzüge und Schwächen diskutiert sowie ihre Rolle als Ursache von Lernschwierigkeiten. Frontalunterricht Der DaF-Unterricht Taiwans wird von nicht-muttersprachlichen Lehrkräften häufig in der Form des lehrerzentrierten Frontalunterrichts mit der GÜM gestaltet. Dies war auch bei den Unterrichtsbeobachtungen der Fall, so beträgt z.B. bei den Gruppen A und C der Redeanteil der Lehrperson 3/ 4 der Unterrichtszeit und der der Lernenden 1/ 4, in der Gruppe B beträgt der Anteil der Lehrerredezeit beinahe 100% (vgl. 8.2 und 8.3). Der Frontalunterricht ist laut Surkamp (2010, 266) terminologisch nicht ganz trennscharf von Klassen- und Plenarunterricht abgegrenzt und die Begriffe werden oft vermischt. Er ist im Wesentlichen durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Die Lehrperson steht vorne und dominiert den Unterricht, und der Unter- <?page no="51"?> 51 richt findet entweder in Form von Lehrervortrag (also durch darbietende Verfahren) oder in Form von Lehrerfragen bzw. -impulsen (also durch fragend-entwickelnde Verfahren) statt. Im darbietenden Verfahren stellt der Lehrervortrag aber nicht die einzige Möglichkeit für die Vermittlung der Lerninhalte dar, so z.B. kann er auch in Form des Lernerreferats gestaltet werden. Mit anderen Worten: Eine frontale Situation entsteht auch dann, wenn ein Lernender bzw. eine Lernergruppe die Lenkung des Unterrichts als Lehrperson übernimmt (vgl. ebd.). Im fragend-entwickelnden Verfahren steht das lehrergesteuerte Unterrichtsgespräch im Vordergrund. Dies wird auch als Plenum bezeichnet, wenn das Gespräch in der hufeisenbzw. kreisförmigen Sitzordnung stattfindet und die Lehrperson als Gesprächsleiter fungiert oder als gleichberechtigter Gesprächspartner in den Sitzkreis integriert ist, wie z.B. beim Meinungsaustausch (vgl. Schramm 2010, 1183). Durch das folgende Diagramm (Abb. 1-2) wird der Unterschied zwischen den beiden Verfahren in Hinsicht auf die Handlungsmuster veranschaulicht. Abb. 1-2: Einführender Überblick mit Definitionen des Frontalunterrichts * Dieses Verfahren kann auch in Form einer lernerseitigen Präsentation (z.B. Referat) stattfinden, um etwas darzustellen oder zu präsentierten. Sie wird entweder allein von dem einzelnen Lerner oder von einer Lernergruppe durchgeführt. Aus den o.g. sprachlichen Handlungsmustern ist ersichtlich, dass die Lehrperson beim Frontalunterricht das Unterrichtsgeschehen organisiert, steuert und kontrolliert sowie den Lernenden das Rederecht erteilt (vgl. Walter 2003, 251). Die dabei im Unterrichtsverlauf entstehenden Probleme werden in der Regel als Nachteile dieser Unterrichtsform gesehen und sind bereits sehr intensiv diskutiert worden. 13 Sie wurden im hier vorliegenden Zusammenhang nicht nur anhand der Unterrichtsbeobachtungen 14 deutlich, sondern auch im didaktischen Handeln in den dokumentierten Unterrichtsaus- 13 Vgl. z.B. Storch 1999, Walter 2003, Gudjons 2007, Schramm 2010 etc. 14 Siehe 7.1 (Lernerbezogene Probleme) und 7.2 (Kulturbedingte Lernprobleme). Arbeitsformen Lehrtätigkeit Verfahren Unterrichtsform Frontalunterricht fragend-entwickelnd (also Plenum) Lehrkraft agiert als gleichberechtiger Gesprächspartner Diskussion lehrergeleitetes Unterrichtsgespräch Lehrerfragen bzw. -impulsen darbietend* lehrerzentrierte Präsentation Lehrervortrag <?page no="52"?> 52 zügen erkennbar (vgl. 8.1 und 8.2). Für die vorliegende Arbeit besonders zentral sind davon die folgenden:  Die Entwicklung der Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit zum Lernen wird behindert  Ignorieren der Kooperations- und Teamfähigkeit  Passiv-rezeptive Lernerrolle  Hohe Redeanteile des Lehrenden  Hervorhebung der Lehrerautorität Frontalunterricht begünstigt und festigt somit in dem vorliegenden Forschungskontext vor allem die kulturbedingten Lerntraditionen wie z.B. Passivität, rezeptives Lernen, Lehrerorientierung etc., an die sich die taiwanischen DaF-Lernenden im Laufe ihrer schulischen Sozialisation bereits gewöhnt haben (vgl. 4.2.2 und 4.2.3). Dies hat negative Auswirkungen auf die Entwicklung der produktiven Fertigkeiten vor allem im mündlichen Bereich, denn die aktive Sprachverwendung und die Interaktion zwischen den Lernenden sind aus Sicht des Fremdsprachenlehrens und -lernens eine wesentliche Voraussetzung dafür, werden in den Frontalphasen aber wenig gefördert (vgl. Storch 1999, 306f.). Aufgrund der dominanten und führenden Stellung des Lehrenden wird außerdem die Entwicklung von Selbständigkeit, Selbstverantwortung, Sozialfertigkeiten und autonomem Lernen - also Verhaltensweisen, die aus der Sicht der heutigen Pädagogik besonders wichtig sind - behindert. Abgesehen von den o.g. Nachteilen ist der Frontalunterricht aus didaktischer Sicht geeignet für die Vermittlungs-, Erklärungsbzw. Korrekturphase, die vorwiegend auf reine Wissensbzw. Informationsvermittlung abzielt. Ziel solcher Unterrichtsphasen ist es, dass allen Lernenden die gleichen Informationen zur Verfügung gestellt werden und diese sich nur auf das Zuhören und Mitdenken konzentrieren, um den zu behandelnden Lehr-/ Lerngegenstand zu verstehen und zu absorbieren, oder um durch Lehrerkorrektur und -erklärung sprachliche Korrektheit (Fehler erkennen) und gedankliche Einsicht (Fehlerursachen erkennen) zu fördern (vgl. Walter 2003, 252f.). Aus dieser Sicht stellt der Frontalunterricht die geeignete Sozialform für die Vermittlung theoretischer Grammatikkenntnisse dar und eignet sich auch aus arbeitsökonomischen und organisatorischen Gründen für große Klassen, wie es z.B. beim DaF-Unterricht in Taiwan der Fall ist. Wichtig ist nur, dass die Lehrperson sich darüber im Klaren ist und nicht aus dem Blick verliert, welches Lehrbzw. Lernziel in welcher Unterrichtsphase jeweils erreicht werden soll. Denn zum einen erfüllt keine Sozialform eine Allzweck-Funktion oder kann allein als „Allzweckwaffe“ im Unterricht genutzt <?page no="53"?> 53 werden. Zum anderen sind die Stärken des Frontalunterrichts aber zugleich dessen Schwachstellen, denn es besteht ein innerer Widerspruch, den Gudjons (2007, 47) wie folgt beschreibt: „Damit ist genau die innere Ambivalenz des Frontalunterrichtes markiert: Seine Stärken sind: die vom Lehrer gesteuerte kognitive Wissensvermittlung („man lernt da wenigstens was“), die Orientierung über größere Zusammenhänge, das Zeigen und Erklären, die Verknüpfung und Vernetzung von Einzelwissen etc. Aber hier liegt zugleich seine Schwäche: Er ist einseitig sprachlich-kognitiv ausgerichtet, vernachlässigt die für tiefere Verstehensprozesse zentrale Ebene individuellen Verarbeitens, ist durch Routinen oft langweilig, betont Wissensvermittlung statt selbstständiges und selbstorganisiertes Lernen und macht Lernen von der Lehrkraft abhängig.“ Deshalb sollte der Frontalunterricht je nach angestrebtem Lehr-/ Lernziel und jeweiliger Unterrichtsphase begrenzt sowie sinnvoll mit anderen lernerzentrierten Sozialformen bzw. Methoden kombiniert im DaF-Unterricht eingesetzt werden, um die Effizienz des Lehr- und Lernprozesses zu steigern. Dann können sowohl der Aufbau von Sprachwissen, das autonome Lernen, die Entwicklung der Sprach- und Sozialfertigkeiten als auch die Lernmotivation gefördert werden. Obwohl in der Realität die institutionellen Rahmenbedingungen wie Klassenstärke, Unterrichtsraum bzw. Sitzordnung etc. nicht immer günstig für einen so modifizierten Frontalunterricht sind (siehe in Kap. 6), stellt die sinnvolle, funktionale Integration unterschiedlicher Unterrichtsformen bzw. der Wechsel der Sozialformen eine bedeutsame Aufgabe für die DaF-Lehrkräfte bei der Unterrichtsorganisation und -gestaltung dar. Dies bezieht sich auch auf die im Folgenden charakterisierte Sozialform der Partnerbzw. Gruppenarbeit. Partner- und Gruppenarbeit Als Partnerarbeit und Gruppenarbeit versteht man eine Form der Zusammenarbeit, bei der zwei Lernende oder drei bis sechs Lernende durch kooperatives Lernen in einem dynamischen Lernprozess gemeinsam nach Antworten bzw. Lösungen suchen mit dem Ziel, einen Arbeitsauftrag zu erledigen. Im L2-Unterricht dient dieses Arrangement sowohl zur Förderung der Sprach- und Sozialkompetenz als auch der Sprech- und Handlungsbereitschaft, weil durch die Verknüpfung mit den Arbeitsaufträgen, die in den Paaren oder Gruppen kommunikativ sowie kooperativ bearbeitet werden, sprachliches und soziales Lernen ermöglicht wird (vgl. Schwerdtfeger 2003, 254f.). Die Lernenden können sich Wissen und Kompetenzen aneignen und die Lernmotivation steigern. Hinsichtlich dieser Vorteile sowie der konzeptionellen Überlegungen ist die Partnerarbeit bzw. Gruppenarbeit laut Storch (1999, 307ff.) beim L2-Unterricht vor allem für die münd- <?page no="54"?> 54 lichen Übungen sowie auch für das Aufgabenbzw. Problemlösen geeignet, das durch gemeinsame Denkprozesse und Meinungsaustausch mit dem/ den Lernpartner(n) innerhalb der Gruppe erfolgen soll (zielorientierte Kooperation und Kommunikation). Dies formuliert Schramm (2010, 1185) nach den Ansichten von Storch (ebd., 309f.) in Bezug auf die Partnerarbeit entsprechend zusammenfassend wie folgt: „ (...) eignet sich die Partnerarbeit im DaF-/ DaZ-Unterricht insbesondere für „natürliche Zweieraktivitäten“ wie die gemeinsame Vorbereitung oder Einübung eines Dialogs, dialogische sprechbezogene Übungen sowie auch für das gemeinsame Problemlösen beim Erarbeiten grammatikalischer Regularitäten, bei Verstehensstrategien beim Leseverstehen, bei Aufgaben zum Klassifizieren und Ordnen, bei der Fehlerbearbeitung und bei der kooperativen Produktion schriftlicher Texte.“ Die Partnerarbeit wird im universitären DaF-Unterricht Taiwans häufig zur Entwicklung der produktiven Fertigkeiten (Sprechen und Schreiben) bzw. zu partnerschaftlichen Lernaufgaben vor allem von muttersprachlichen Lehrkräften eingesetzt. Didaktisch stellt sich das kooperative Lernen für die DaF-Lernenden im nicht-deutschen Sprachraum wie z.B. in Taiwan, in dem Möglichkeiten der authentischen zielsprachlichen Anwendung weitgehend fehlen, als Lernmöglichkeit dar, die zugleich Anteile sowohl der Einzelarbeit als auch der Gruppenarbeit verbindet. Die Lernenden beschäftigen sich innerhalb einer bestimmten Zeit intensiv mit den Lernstoffen bzw. -aufgaben eigenständig bzw. kooperativ sowie kommunikativ, je nach Komplexität (vgl. Mattes 2009, 30). Hierbei sind die Lernhaltung (also Engagement) und die didaktische Gestaltung sowie Organisation von großer Bedeutung. Bei der Partnerarbeitsphase wird die Lehrerdominanz reduziert und durch die Interaktion innerhalb der Gruppe ersetzt, so dass der Redeanteil und das Engagement des einzelnen Lernenden erhöht werden, da diese Mitverantwortung für die Gruppe und für das Gelingen der gemeinsamen Arbeit tragen (vgl. Storch 1999, 307f.). Theoretisch kann dies zwar die Sprechfähigkeiten und Handlungen der Lernenden fördern, die Voraussetzung ist jedoch, dass die Lernenden beim Aufgabenbzw. Problemlösen mitmachen wollen und die zielsprachliche Kommunikation innerhalb der Gruppe tatsächlich stattfindet. Die didaktische Gestaltung und Organisation betrifft einerseits die Form der Übungen und andererseits die institutionellen Rahmenbedingungen wie die Klassenstärke und die Sitzordnung im Unterrichtsraum. Diese Faktoren sind relevant für den erfolgreichen Einsatz der Partnerarbeit beim kommunikativ orientierten L2-Unterricht und haben somit einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Lernmotivation, das Lernklima etc. Findet die Partnerarbeit so z.B. im universitären DaF- Unterricht Taiwans generell in einer eher großen Klasse (mit über 20 Pers.) <?page no="55"?> 55 im frontal ausgerichteten Unterrichtsraum statt, hat dies zur Folge, dass die Lehrenden den Lernprozess aller Gruppen während der Partnerphase nur eingeschränkt im Blick haben und nicht immer auf die sich dabei ergebenden Probleme der einzelnen Gruppen eingehen können (vgl. 6.1, 6.2 und 8.3). Die unterschiedlichen Stärken der einzelnen Studierenden können jedoch in Gruppen genutzt werden und das Lernen voneinander und miteinander hilft bei der Entwicklung von Lernerautonomie. Loo (2009, 122ff.) weist in ihrer Studie darauf hin, dass die Gruppenarbeit vor allem in der großen Klasse entsprechend angeleitet und eingeübt werden muss, soll sie erfolgreich von den Studierenden selbständig durchgeführt werden. So sind z.B. Regeln für die Zusammenarbeit unerlässlich ebenso wie eine geeignete Aufgabenbzw. Fragestellung. Zusammenfassung Für einen erfolgreichen DaF-Unterricht ist es bei der Auswahl der Sozialformen von grundlegender Bedeutung, ob diese sowohl dem Gegenstand als auch dem Lernziel der Lernergruppe angemessen sind und in der entsprechenden Unterrichtsphase sinnvoll ausgewählt werden (vgl. 8.3). Die hier charakterisierten Sozialformen können nur dann ihre Funktion erfüllen, wenn alle diese Faktoren bei der Planung berücksichtigt werden. Wichtig ist dabei allerdings, dass bei jeder Lehr- und Lernsituation der kulturelle Kontext von Lehrenden und Lernenden eine Rolle spielt und reflektiert werden muss, da aus den Unterschieden oft interkulturelle Probleme entstehen, wie z.B. die Rollenverteilung bzw. -erwartung der Lehrperson und der Lernenden im konfuzianisch geprägten Kulturraum (Taiwan, China, Japan, Korea etc.). Die eingesetzten Methoden und Sozialformen spielen eine entscheidende Rolle im Unterricht und sie müssen grundsätzlich die Voraussetzungen kultureller Art berücksichtigen, die die Beteiligten mitbringen. Sie sind mit bestimmten Konzepten und Vorstellungen verbunden und nicht grundsätzlich übertragbar, sondern in jeder Situation zu überprüfen. Es ist wichtig zu betonen, dass jede Methode und Vorgehensweise ihre eigene Berechtigung hat und dass sie je nach Unterrichtsphase und Lerngegenstand lernergerecht eingesetzt werden müssen. Wie wir in Teil III sehen werden, beschränkt sich die Vorgehensweise einiger Unterrichtenden auf bestimmte Methoden und Vorgehensweisen, die nicht immer den Lernenden und dem Gegenstand angemessen sind. Diese Beschränkung steht in einem ursächlichen Zusammenhang mit vielen Lern- und Lehrproblemen. <?page no="56"?> 56 1.3 Theoretische Grundlagen der Fehlerkorrektur Die angemessene Art der Fehlerkorrektur ist eine wichtige Frage beim L2- Lehren und -Lernen, die einen entscheidenden Beitrag zum erfolgreichen Lernen leistet. Es folgt ein Überblick über die aktuelle Diskussion der Forschung. 1.3.1 Fehlerbegriff Aus lernpsychologischer Perspektive werden Fehler als natürliche und unvermeidliche Begleiterscheinung des L2-Erwerbsprozesses angesehen. Sie sind von zentraler Bedeutung und haben beim Fremdsprachenlernen und -lehren eine bestimmte Funktion. Es gibt zwar zahlreiche Ursachen für das Entstehen von Fehlern im L2-Lernprozess, aber nach Untersuchungen zu diesem Thema ist die Rolle von Fehlern in der Fremdsprachendidaktik neu zu interpretieren und zu definieren. Als Fehler bezeichnet man beim L2-Lernen hauptsächlich den Verstoß gegen zielsprachliche Normen. Die Norm, also das Kriterium, wonach die Korrektheit einer Äußerung beurteilt wird, wird je nach Gesichtspunkten bzw. Intentionen, die in einer bestimmten Lernbzw. Lehrsituation besonders wichtig sind, unterschiedlich definiert. Deshalb müssen Fehler erst als solche identifiziert werden, und dabei soll man zugleich die zielsprachliche Akzeptabilität, die linguistische Korrektheit sowie die situative Angemessenheit in Betracht ziehen. Dies beschreibt Kleppin (1998, 22) im folgenden Abschnitt sehr klar: „Die Identifizierung von Fehlern setzt einen Begriff von Korrektheit voraus, der ... sehr unterschiedlich verstanden wird. Kriterien, ob etwas grammatisch korrekt (Grammatikalität), sprachlich üblich (Akzeptabilität) und einer Situation angemessen ist (Angemessenheit) spielen ... eine mal mehr, mal weniger entscheidende Rolle. “ Was den Stellenwert von Fehlern anbetrifft, sind die Fehler als bedeutsame Indikatoren sowohl für Lernende beim L2-Lernen als auch für Lehrende beim Unterrichten anzusehen. Sie besitzen also einen diagnostischen Wert, denn durch sie wird nicht nur der aktuelle Sprachstand der Lernenden in der Zielsprache angezeigt, sondern auch deren Lernstand, d.h. die auftretenden Lernschwierigkeiten und die Entwicklung der individuellen Lernersprachen (vgl. Lindemann 1995, 93f.; Schmidt 2001, 331f.). Allerdings können Fehler den L2-Erwerb auch fördern, wenn die Lernenden eine positive Einstellung zu Fehlern haben und die Fehler als Lernchance sehen, d.h. aus Fehlern lernen und Reflexionen über ihre zielsprachlichen Äußerungen anstellen. <?page no="57"?> 57 1.3.2 Fehlerursachen und -klassifikationen Je nach Bereich und Anlass gibt es verschiedene Erklärungsmodelle für die Entstehung von Fehlern und danach lassen sich die unterschiedlichen Fehlerarten einordnen. Aufgrund sprachlicher und struktureller Phänomene werden die Fehler in der L2-Produktion eines Lernenden nach den unterschiedlichen Sprachebenen klassifiziert. So unterscheidet man in DaF etwa zwischen Aussprachfehlern, Rechtschreibfehlern, Grammatikfehlern (morphosyntaktischen Fehlern), lexikalischen Fehlern, pragmatischen Fehlern, inhaltlichen Fehlern bzw. Mischfehlern aus allen obengenannten Kategorien etc. Diese Arbeit fokussiert vor allem auf Grammatikfehler, deren Ursachen und den Umgang damit, sie stützt sich hauptsächlich auf die aufgenommenen Unterrichtsvideos sowie den durchgeführten Grammatiktest (vgl. 7.3.1 und 7.3.2). In der Tat sind die Ursachen grammatischer Fehler sehr oft nicht leicht zu erkennen, denn die Gründe dafür können vielfältig sein und zugleich auf mehrere Störfaktoren zurückgeführt werden. Im Folgenden werden zunächst die Fehlerursachen klassifiziert, die für die vorliegende Arbeit relevant sind, und zwar nach den Kriterien außersprachlich, sprachlich, lernerbedingt und umweltbedingt. 1) Außersprachliche Fehlerursachen Es handelt sich um den Einfluss von geistigen, psychischen bzw. körperlichen Faktoren auf den Erwerb der Fremdbzw. Zielsprache. Beispielsweise können Angst, Stress, Nervosität, Müdigkeit, Lustlosigkeit oder andere psychische Belastungen die mündlichen bzw. schriftlichen Äußerungen der Lernenden beeinträchtigen und deswegen Fehler bewirken. 2) Sprachliche Fehlerursachen Je nach Charakteristika der Lernersprache und sprachlichem Transfer können die Fehler, die aufgrund sprachlicher Ursachen entstehen, in folgende Kategorien unterteilt werden: a. Kompetenzfehler (engl. errors) Sie entstehen, weil der L2-Lerner noch Wissenslücken in einem bestimmten Bereich des zielsprachlichen Systems hat. Das heißt, der L2- Lerner hat die betreffenden Regeln und Strukturen der Zielsprache entweder noch nicht erworben oder nur teilweise verstanden und kann deswegen die Fehler nicht selbst erkennen. b. Performanzfehler (engl. mistakes) Sie beziehen sich meistens auf die Verstöße gegen die Normen der Zielsprache. Es handelt sich um Fälle, wo der L2-Lerner die Regeln zwar bereits erworben hat, aber deren Anwendung ihm noch Proble- <?page no="58"?> 58 me bereitet. In der Regel kann der L2-Lerner solche Verstöße identifizieren und möglicherweise selbst korrigieren, wenn er sich über die Fehler klargeworden ist (vgl. Kleppin 1998, 41). c. Interlinguale Fehler Sie kommen vor, wenn der L2-Lerner die sprachlichen Phänomene (z.B. Regeln, Strukturen, Lexeme etc.) aus der Muttersprache bzw. der zuvor gelernten anderen Sprache auf die Fremdbzw. Zielsprache überträgt. d. Intralinguale Fehler Durch Unsicherheit bei der Anwendung der Zielsprache werden diese Fehler vom L2-Lerner verursacht, also unter dem Einfluss der Zielsprache auf den Erwerb der Zielsprache. So entstehen drei häufig auftretende Fehlertypen, nämlich:  Übergeneralisierung: der Lernende wendet ein bereits erlerntes zielsprachliches Phänomen auf einen neuen Fall an, für den es situativ nicht geeignet oder nicht normgerecht ist.  Regularisierung: das bezieht sich auf die falsche Analogiebildung. Z.B. bei Verben wird Regelmäßiges zu Unregelmäßigem gemacht und umgekehrt auch.  Simplifizierung: der Lernende verzichtet bei seinen Äußerungen auf gewisse sprachliche Phänomene, die für die Zielsprache notwendig sind. Das heißt, die Vereinfachungen werden verwendet, um z.B. die komplizierten Strukturen der Zielsprache zu vermeiden. 3) Lernstrategisch bedingte Fehler Fehler entstehen hier durch die vom L2-Lerner bewusst angewandten Strategien, nämlich die Lern- und Kommunikationsstrategien. Die ersteren zielen sowohl auf den Ausgleich bzw. die Verdeckung zielsprachlicher Wissenslücken als auch auf das Weiterlernen. Wenn der Lernende die L2-Regeln/ Strukturen noch nicht beherrscht oder sich beim Lernen fast ausschließlich auf den L2-Input stützt, versucht er, Hypothesen darüber zu bilden. Dies kann zwar das Sprachenlernen fördern, aber nur unter der Bedingung, dass die aufgrund der Hypothesen entstandenen Äußerungen auch als „Ausprobieren“ identifiziert und entsprechend korrigiert werden. Im Unterschied dazu zielen Kommunikationsstrategien darauf ab, das Auftreten von Fehlern möglichst zu vermeiden. Aber dies kann deshalb auch als Lernhindernis betrachtet werden und z.B. zu Fossilisierungen führen. 4) Umweltbedingte Fehler Die umweltbedingten Fehler hängen einerseits mit falschem Input und andererseits mit der Unterrichtssituation zusammen. Falscher Input ent- <?page no="59"?> 59 steht z.B., wenn im Unterricht durch Kommilitonen falschen L2-Regeln und Strukturen aufgeschnappt werden. Die unterrichtlich bedingten Fehler können durch Übungstransfer 15 , Verständnisprobleme bzw. ungenügende Erklärung der Lehrperson etc. entstehen. 1.3.3 Fehlerkorrektur im Unterricht Im unterrichtlichen Kontext stehen die Art und Weise sowie der Zeitpunkt der Fehlerkorrektur in unlösbarem Zusammenhang mit den folgenden internen und externen Faktoren. Zu den internen Faktoren zählen z.B.  die Übungstypen: schriftliche oder mündliche Sprachaufgaben?  die Zielsetzungen: Lernfortschritt oder Leistungsmessung?  die Wirkungen: sprachliche Korrektheit oder kommunikative Angemessenheit etc.? Zu den externen Faktoren gehören:  die institutionellen Bedingungen: Klassenstärke, Unterrichtsstunden etc.  die Lernervariablen: Sprachniveau, Sprachkenntnisse, Lernertypen und -wünsche etc. Die oben genannten Faktoren sind entscheidend für die Fehlerbewertung, -gewichtung und das Korrekturverhalten der Lehrenden. Denn die Fehler, die sich zugleich auf zu viele verschiedene Sprachebenen beziehen, können auch je nach Unterrichtsphasen 16 unterschiedliche Korrekturprobleme verursachen, z.B. muss entschieden werden, in welcher Abfolgen die Korrektursequenzen erfolgen, wie detailliert oder durch wen die Fehlertherapie durchgeführt werden soll etc., und das sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Korrekturprozess. Im Übrigen können nicht-muttersprachliche und muttersprachliche L2-Lehrer beim Umgang mit Fehlern auf sehr unterschiedliche didaktische und methodische Schwierigkeiten stoßen, worauf in Kap. 8.2.3 (Probleme bei der Korrektur) noch näher eingegangen wird. Im Folgenden werde ich noch näher darauf eingehen, worauf sich die schriftliche und mündliche Korrektur von Fehlern (insbesondere Gramma- 15 Der Begriff Übungstransfer wurde von Kleppin (1998, 137) wie folgt definiert: „Die Übertragung aus einem Übungskontext auf andere Übungskontexte oder Situationen. Ein Übungstransfer kann entstehen, wenn z.B. ein grammatisches Phänomen so intensiv geübt wurde, dass es dann auch in Zusammenhängen verwendet wird, in denen es nicht vorkommt.“ 16 Dabei geht es um die kommunikativen Phasen und die sprachbezogenen Vermitt lungs- und Übungsphasen wie z.B. Besprechung von Sprachtests bzw. Hausaufgaben, mündliche Übungsphase etc. <?page no="60"?> 60 tikfehlern) jeweils konzentriert sowie welche oben erwähnten Faktoren den Unterrichtenden dabei Probleme bereiten könnten. Schriftliche Korrektur Im Fremdsprachenunterricht gibt es laut Kleppin (1998, 53) zwei Arten von schriftlicher Fehlerkorrektur, die sich je nach Zweck und Wirkung unterscheiden, nämlich die prüfungsorientierte Korrektur und die aufgabenorientierte Korrektur. Die erste legt ihren Schwerpunkt eher auf die Messung der Lernleistung als auf den Lernfortschritt, und die grammatische sowie lexikalische Korrektheit der Zielsprache ist deswegen von großer Bedeutung. Die letztere hingegen setzt ihren Schwerpunkt hauptsächlich darauf, dass Fehler und deren Korrekturprozess den Lernfortschritt von L2-Lernern fördern. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zwecke sowie Übungsformen verwenden die Lehrenden verschiedene Korrekturmöglichkeiten für schriftliche Fehler, nämlich durch Fehlermarkierung (also Anstreichen), verschiedene Korrekturzeichen, etc. Diese zwei Arten sollen eine Hilfe für die Selbstkorrektur darstellen, ob eine solche Korrektur aber sinnvoll ist, hängt davon ab, auf welcher sprachlichen Ebene die Fehler auftreten und ob die Lernenden sie auf ihrem jeweiligen Sprachniveau tatsächlich selbst korrigieren können. Bloße Fehlermarkierung oder Korrekturzeichen z.B. bei morphosyntaktischen Fehlern haben andererseits den Vorteil, dass die Lernenden durch bewussten Umgang mit den eigenen Fehlern selbst zur Fehleridentifikation und dann zur Selbstkorrektur befähigt werden. Liegen die grammatischen Fehler bei schriftlichen Aufgaben auf der Wort- und Satzebene (also Wortwahl und Ausdruck), können die Lehrenden sie entweder global markieren oder dazu die richtigen bzw. angemessenen Formen am Rande aufschreiben, was eine direkte Korrektur durch den Lehrenden selbst darstellt. Zwar zieht der Lehrende bei der Fehler(be)handlung immer das individuelle Sprachniveau der Kursteilnehmer, die Lernertypen bzw. die Bedürfnisse der Lernergruppe etc. in Erwägung, aber er kann trotzdem nicht alle Fehler im Unterricht besprechen bzw. noch genauer darauf eingehen. Nur Fehler, die typisch für eine bestimmte Lernergruppe sind und häufiger vorkommen, werden sinnvollerweise in einer gemeinsamen Nachbesprechung und durch entsprechende Übungen behandelt, damit die Lernenden sich über unklare Fehlerstellen klar werden. Mündliche Korrektur Im Vergleich zur schriftlichen Korrektur fällt auf, dass der Lehrende in kommunikativen Unterrichtsphasen nicht so viel Zeit zu überlegen hat, wie die mündliche Korrektur durchgeführt werden soll. Er muss meistens sofort entscheiden, ob und wie er einen Fehler bei der Lerneräußerung korrigieren bzw. verbessern soll oder unter welchen Umständen er zu tolerieren ist (vgl. <?page no="61"?> 61 Timm 1992, 7). Diese Korrekturhandlung hängt immer mit den Unterrichtsphasen, der jeweiligen Einstellung zum Fehler und den bereits gesammelten Unterrichtserfahrungen zusammen. Ein wichtiges Grundprinzip bei den mündlichen Korrekturen besteht darin, dass man sich zuerst darüber klar werden muss, welche Rolle die Fremdbzw. Zielsprache im unterrichtlichen Kontext spielt. Wenn sie nur als Medium der sozialen Interaktion benutzt wird und die laufende Kommunikation nicht behindert, dann sollten die auftretenden sprachlichen Fehler nicht sofort korrigiert bzw. einfach übergangen werden (vgl. Rösler 1994, 137). Aber dies bedeutet auf keinen Fall, dass die Lehrerkorrekturen dabei keine große Rolle spielen oder die jeweiligen Lerneräußerungen sprachlich korrekt sind, sondern man stellt in kommunikativen Phasen andere Anforderungskriterien und Korrekturprinzipien für die Korrektheit als in der Schriftsprache auf. Denn im mündlichen Bereich ist es viel wichtiger, dass die Lerneräußerungen inhaltlich sowohl sinnvoll als auch verständlich und situationsadäquat sind. Aus diesem Grund sollte der Lehrende erst eine schwerpunktmäßige Korrektur vornehmen, nachdem der Lernende seine Äußerung bzw. sein Gespräch beendet hat. Dies zielt zum einen darauf, dass der Redefluss nicht unterbrochen wird. Zum anderen kann laut Storch (1999, 318) der Lernende beim Sprechen seine Aufmerksamkeit nicht auf alle zielsprachlichen Phänomene lenken, mit denen er noch Probleme hat. Wird ein Lernender während einer kommunikative Aufgabe in zu vielen verschiedenen Bereichen korrigiert, hat dies aus interaktiver Perspektive möglicherweise zur Folge, dass er die Lust am Kommunikatonsversuch verliert, da er eigentlich etwas äußern und nicht über Sprache reflektieren wollte. Aus affektiver Perspektive werden die Fehler außerdem meist als peinlich wahrgenommen und die Korrekturen deshalb auch oft als unangenehm empfunden (vgl. Havranek 2002, 52ff.). Dabei gibt es zu viele Faktoren (wie Korrekturverhalten, Motivation, Selbstwertgefühl des Lernenden, Klassenklima, Ängste, kulturell bedingte Unterschiede etc.), die sich negativ auf die affektive Einstellung der L2-Lerner auswirken und daher zu Problemen bei der Fehlerkorrektur führen. Z.B. empfinden Ostasiaten Korrekturen als besonders unangenehm, weil „für sie das öffentliche Begehen von Fehlern traditionell eine Schande darstellt (Koutiva/ Storch 1989, 418).“ Von daher ist laut Kleppin und Königs (1993, 87f.) in diesem kulturellen Kontext affektiv positive Korrektur als sehr wichtig anzusehen, denn die Fehlerkorrektur hinterlässt aufgrund der autoritären Lehrer-Schüler-Verhältnisse im chinesischen Sprach- und Kulturgebiet besonders tiefe Eindrücke oder gar Verletzungen bei den Lernenden, wie in Kap. 4.2.2 noch weiterführend gezeigt wird. Außerdem sollen hier noch zwei Arten vom Korrekturverhalten des Lehrenden in mündlichen Korrekturphasen unterschieden werden, nämlich die <?page no="62"?> 62 explizite und implizite Fehlerkorrektur. Diese Unterscheidung bezieht sich auf die Deutlichkeit der Korrektur. Zugleich wird das Begriffspaar auch oft mit der direkten und indirekten Korrektur gleichgesetzt. Als explizite Lehrerkorrektur bezeichnet man den Fall, wo der Lehrende direkt auf die Fehler in seiner Äußerung hinweist, den Fehler bewusst macht bzw. den Lernenden korrigiert (siehe Auszug UT 8-33 in 8.2.3). Unter impliziter Lehrerkorrektur hingegen versteht man laut Storch (1999, 316) eine verborgene Korrektur, die in eine Äußerung eingebettet ist und vom Lehrenden über einen Umweg, also in indirekter und unbewusster Weise, vorgenommen wird (siehe Auszug UT 8-34 in 8.2.3). Bei einer impliziten Korrektur kann der Lehrende als z.B. die inkorrekte Äußerung entweder in fragendem Ton berichtigt wiederholen oder in Form einer Nachfrage korrigierend weiterführen. Je nach Fehlerarten und Lernergruppen (Anfänger bzw. Fortgeschrittene) werden unterschiedliche Korrekturarten im Unterricht eingesetzt, z.B. ist die explizite Lehrerkorrektur eher für den Anfängerunterricht geeignet, wenn die Korrektur z.B. die Aussprache oder grundlegenden Grammatikfehler betrifft. Denn solche Fehler sind im Vergleich zu freien Äußerungen noch ziemlich leicht zu berichtigen. Handelt es sich um freie Lerneräußerungen im fortgeschrittenen Unterricht, dann ist die implizite Lehrerkorrektur geeigneter, denn in dieser Phase ist die Lernersprache sowohl auf syntaktischer Ebene als auch auf inhaltlicher Ebene schon sehr komplex geworden und eine explizite Fehleranalyse bzw. -korrektur würde oft sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Darüber hinaus ist die Ermittlung der tatsächlichen Äußerungsabsicht des Lernenden besonders bei der impliziten Korrektur von großer Bedeutung. Korrekturprobleme Im institutionell organisierten Unterricht sind die Probleme mit der schriftlichen und mündlichen Fehlermeldung unter den drei folgenden Aspekten zu betrachten, nämlich in Hinsicht auf die Lehrenden, die L2-Lerner und die institutionellen Rahmenbedingungen. Diese Aspekte wirken sich alle mehr oder weniger auf die Korrekturleistung aus. Dabei spielen noch drei weitere Faktoren eine zentrale Rolle, nämlich Sprachkompetenz, Korrekturfähigkeit sowie Unterrichtserfahrungen. Sie sind eng miteinander verbunden und stellen zugleich auch Ursachen für die Entstehung von Problemen bei der Fehlerbehandlung dar. „Zu oft wurde hohe Sprachkompetenz mit gut entwickelten Korrekturfähigkeiten gleichgesetzt“ hat Demme (1993, 164) beobachtet. Dies gilt sowohl für die Lehrenden (vor allem nicht Zielsprachler) als auch für die L2-Lerner bei der Selbstkorrektur. Außerdem kann die Korrekturfähigkeit der Lehrperson zwar durch die praktischen Unterrichtserfahrungen trainiert werden, aber trotzdem weisen Forschungsarbeiten in diesem Bereich seit langem darauf hin, dass sich selbst erfahrene Lehrkräfte <?page no="63"?> 63 bei den Fehlerkorrekturen auch nicht in ihrem Element fühlen und die Korrekturen deswegen für sie ein ständiges Problem darstellen (vgl. ebd., 163f.; Demme 1997, 431; Kleppin 1998, 112). Im Folgenden werde ich noch genauer auf die oben genannten einzelnen Aspekte in Bezug auf die Fehlerkorrektur im universitären DaF-Unterricht in Taiwan eingehen. 1) Auf der Lehrerseite Sprachkompetenz und Unterrichtserfahrungen haben einen großen Einfluss auf die entwickelte Korrekturfähigkeit, und zwar sowohl bei den einheimischen als auch den ausländischen L2-Lehrern 17 . Was die Sprachkompetenz der einheimischen L2-Lehrer betrifft, geht es vor allem um die Interpretation der Fehler. Das Problem besteht für diese Lehrenden darin, ob sie in der Lage sind, ihren Lernenden je nach Fehlertyp geeignete Erklärungs- und Korrekturmöglichkeiten anbieten zu können. Die ausländischen L2-Lehrer hingegen können bei der Fehlerinterpretation bzw. -korrektur z.B. auf methodische Probleme stoßen. Verfügen sie beispielsweise über keine oder nur geringe Kenntnisse der Ausgangssprache, sind sie nicht dazu fähig, die Fehler in der Muttersprache ihrer Lerner zu erklären, während die Lerner z.B. wegen des niedrigen Sprachniveaus die Fehlerinterpretation in der Zielsprache nicht verstehen. Diese Schwierigkeiten können zu Frustration und mangelder Lernmotivation führen. Von daher ist die didaktische Reflexion über die eigene Korrektur- (be)handlung für die Lehrperson von großer Bedeutung und eine systematische DaF-Ausbildung scheint mir für beide Lehrergruppen 18 notwendig, um die oben beschriebenen Probleme zu lösen (vgl. 8.2.3). 2) Auf der Lernerseite Im schriftlichen und mündlichen Korrekturprozess spielt die Einstellung der Lernenden eine unvernachlässigbare Rolle. Bei der prüfungsorientierten schriftlichen Korrektur etwa kümmern sich die L2-Lerner z.B. in Taiwan mehr um die Noten und weniger darum, was sie aus Fehlern lernen können. Was die Übungen betrifft, die als Hausaufgaben gegeben werden und von den Studierenden anhand des Lösungsschlüssels selbst korrigiert werden sollen, kommt es natürlich zunächst darauf an, ob sie überhaupt gemacht wurden. In der aufgabenorientierten Fehlerbesprechung können dann die von ihnen begangenen Fehler durch Nachfrage diskutiert und erklärt werden. Obwohl dies keine Prüfungssituation ist, 17 Bei den letzteren handelt es sich um die Lehrenden, deren Muttersprache die zu vermittelnde Zielsprache ist. 18 Dabei geht es um die einheimischen und ausländischen L2-Lehrer, die sich nicht im Fach DaF ausgebildet haben und denen deswegen die diesbezüglichen Fachkenntnisse fehlen. Gründe dafür werden in Kap. 3.3.2 erläutert. <?page no="64"?> 64 trauen sich die taiwanischen Studierenden im Unterricht normalerweise nicht, dem Lehrenden die bei den Hausaufgaben aufgetretenen Probleme darzustellen, und zwar aus soziopsychologischen Gründen (z.B. Angst vor Lehrerautorität, Gesichtsverlust etc.) sowie aufgrund der geringen Motivation. Dies spielt auch immer eine Rolle bei den mündlichen Korrekturen. Die Ursachen dafür lassen sich auf die in Kap. 4.2.2 beschriebenen Sachverhalte zurückführen. Darüber hinaus wagen die Lernenden es meistens nicht, darauf zu reagieren bzw. bei den Lehrenden nachzufragen, wenn die mündliche Lehrerkorrektur inhaltlich mit ihrer Äußerungsabsicht nicht übereinstimmt oder sie noch Probleme z.B. mit irgendeinem grammatischen Phänomen haben (vgl. 8.1.1). 3) Institutionelle Rahmenbedingungen Im institutionell organisierten Unterricht sind die Korrekturhandlungen des Unterrichtenden in der Regel auf die ihm zugeteilten Unterrichtsstunden beschränkt und hängen von Klassenstärke sowie Unterrichtsplanung ab (vgl. 6.1). Vor allem in zu großen Klassen (wie im universitären DaF-Unterricht in Taiwan) besteht ein zentrales Problem darin, dass der/ die Unterrichtende nicht auf die individuellen Lernprobleme aller Lernenden eingehen kann, weil Unterrichtsqualität (also Qualität) und Klassenstärke (also Quantität) sehr eng miteinander in Verbindung stehen und nicht gleichzeitig berücksichtigt werden können. Die Lehrperson kann in diesem Fall nur die Fehler, die entweder gerade für den Unterricht relevant sind oder von ihr als besonders wichtig bewertet werden, korrigieren. Fehler gehören zum Lernprozess, sie sind wie bereits erwähnt ein Indikator für den Lernstand und müssen nicht unbedingt jederzeit korrigiert werden, sondern je nach Fehlertypen, Unterrichtsphase sowie Lernsituation muss der Umgang mit ihnen sensibel erfolgen. Schließlich sollen die Lernenden das eigene Sprachenlernen reflektieren und eine positive Lernhaltung entwickeln. Die Angst vor Fehlern ist kontraproduktiv, sie verhindern das freie Sprechen und hier ist eine der Ursachen für Lernprobleme sowie ungenutzte Möglichkeiten zur Sprachanwendung im DaF-Unterricht zu finden. 1.4 Kontrastivität Für die vorliegende Arbeit sind Kontrastivhypothese und Fehleranalyse 19 aufgrund ihrer konzeptionellen Überlegungen besonders relevant. Mit ihrer 19 Vgl. dazu Kap. 1.3 (Theoretische Grundlagen der Fehlerkorrektur). <?page no="65"?> 65 Hilfe können die Ursachen vieler Lernschwierigkeiten erklärt und alternative Vorgehensweisen entwickelt werden. Hintergrund und Definition Das Konzept der Kontrastivität entstand Ende der 1950er Jahre unter dem Einfluss der audiolingualen Methode (ALM) und steht deshalb im Zusammenhang mit dem Strukturalismus, der kontrastiven Linguistik sowie der behavioristischen Lerntheorie. Es befasst sich im Wesentlichen mit dem Vergleich der Unterschiede zwischen zwei oder mehreren Sprachsystemen und mit der Erforschung des Verhältnisses zwischen diesen. Laut Brdar- Szabó (2010, 519) wird das Konzept in der Forschung aber eigentlich nirgends explizit definiert. Unter dem Aspekt der Kontrastivität ergeben sich im Rahmen des Zweit- und Fremdspracherwerbs einige wichtige Hypothesen bzw. Theorien, die sich mit dem Sprachvergleich bzw. dem Verhältnis von L1 (Muttersprache bzw. Erstsprache der Lernenden) und L2 (die zu lernende Fremdsprache) beschäftigen. Dies sind z.B.: Kontrastivhypothese, Identitätshypothese, Interlanguage-Hypothese, Fehleranalyse etc. Durch diese Beispiele wird auch der enge Zusammenhang zwischen den Konzepten der Kontrastivität und Interferenz bzw. Transfer deutlich (vgl. ebd.). Vor der Auseinandersetzung mit diesen Konzepten sowie Fehleranayse damit soll aber zuerst ein Überblick darüber gegeben werden, wie die Begriffe Interferenz und Transfer in der L2-Erwerbsforschung definiert werden. Die Interferenz, die ein sich aus dem Sprachkontakt ergebendes Phänomen ist, bezeichnet die Übertragung unpassender Elemente bzw. Strukturen aus der Muttersprache auf die Zielsprache und wird deshalb auch als negativer Transfer bezeichnet. Transfer bezieht sich einerseits ebenfalls auf die Einflüsse der Muttersprache auf die später zu erlernende Zielsprache, wird aber je nach Forschungskontext auch als Strategie der expliziten bzw. impliziten Bewusstmachung für die Anwendung des bereits vorhandenen Sprachwissens in neuen Lernsituationen angesehen, also je nach Forschungskontext. Dies formuliert Edmondson (2001, 141) kurz und prägnant wie folgt: „Transfer ist Abrufung/ Einsatz vorheriger Sprachlernerfahrungen und/ oder aus anderen Sprachen gewonnenes sprachliches Wissen in einer kognitiven Auseinandersetzung mit Aspekten einer weiteren zu erlernenden Sprache. Abruf/ Einsatz sind nicht unbedingt intentional/ bewußt. Transfer ist daher Strategie oder das ihr zugrundeliegende Prinzip.“ Kontrastive Analyse und Kontrastivhypothese Im Bereich des Fremdsprachenlernens und -lehrens dient die kontrastive Analyse als Methode und Prozess zum Sprachvergleich. Sie vergleicht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Ausgangssprache (L1) und <?page no="66"?> 66 Zielsprache (L2) und erörtert außerdem den Einfluss des Kontakts zwischen L1 und L2 auf den L2-Lernprozess (vgl. Kielhöfer 1995, 35). Die Kontrastivhypothese, die auf Fries (1945) und Lado (1957) zurückgeht, ging davon aus, dass den Lernenden das L2-Lernen umso leichter falle, je ähnlicher die Ausgangssprache der Zielsprache sei. Im Gegenteil dazu falle es ihnen umso schwerer, je unterschiedlicher die Ausgangs- und Zielsprache seien (vgl. Hufeisen / Neuner 1999, 23). Man glaubt also, dass die Muttersprache der Lernenden einen Einfluss auf das L2-Lernen hat. Existieren ähnliche bzw. dieselben Elemente, Strukturen und Regeln in der Muttersprache und Zielsprache, dann entsteht dabei positiver Transfer und die Zielsprache lässt sich leicht und fehlerfrei erlernen; andernfalls bereitet das Lernen Schwierigkeiten und es entstehen Fehler (negativer Transfer bzw. Interferenz). Darüber hinaus können durch den Sprachvergleich von Ausgangs- und Zielsprache mögliche Lernschwierigkeiten vorhergesagt oder Annahmen darüber abgeleitet werden, nämlich Voraussagen über lernersprachliches Verhalten. Dies ist die sogenannt starke Version der Kontrastivhypothese. Schwachstellen der starken Version sind erstens, dass vernachlässigt wurde, dass Lernschwierigkeiten auch durch Ähnlichkeiten zwischen L1 und L2 verursacht werden können; zweitens konnten Fehler empirisch weder einfach vorhergesagt noch ihre Transferprozesse nachgewiesen werden (vgl. Rösler 2000, 892; Boeckmann 2010b, 169). Daraus entstand die schwache Version der Kontrastivhypothese. Diese versucht laut Oksaar (2003, 100) die Fehlerursachen erst nachher durch inter- und intralinguale Transfer / Interferenzen zu begründen, und nicht durch Vorhersagen. Die Interferenzen (also Fehler) besitzen deshalb, wie bereits in 1.3.1 erwähnt, nur eine diagnostische Erklärungsfunktion und keine prognostische. Denn manche Fehler lassen sich zwar durchaus als Tranfererscheinung aus der Muttersprache erklären, aber der Einfluss der Muttersprache ist nur einer von zahlreichen Faktoren, der sich auf den L2-Lernprozess auswirken. Interferenzen sind außerdem nicht unbedingt ausgangsbzw. zielsprachlich bedingt, weil sie auch auf früher gelernte Sprachen, z.B. Englisch, zurückgeführt werden können und nur als ein kleiner Teil des L2-Lernprozesses zu betrachten sind; andererseits sind die beim L2-Lernen auftretenden Probleme bzw. Schwierigkeiten nicht nur durch Fehler bzw. Interferenzen erklärbar und erkennbar (Oskaar 2003, 100; vgl. dazu auch Kap. 7.1.1 und 7.3). Die heutige Rolle der Kontrastivität im Fach DaF Aufgrund der o.g. Kritikpunkte war die Kontrastivhypothese theoretisch nicht haltbar, aber die kontrastive Analyse wird in der L2-Didaktik heute trotzdem zur Erklärung der Lernprobleme und Fehlerursachen in den verschiedenen Sprachebenen eingesetzt, wie es z.B. bei der Analyse der im für <?page no="67"?> 67 die vorliegende Arbeit durchgeführten Grammatiktest auftretenden (kontrastiven) Fehler der Fall ist (vgl. 7.3.2). Außerdem wird sie auch im Rahmen der Pragmatik und Semantik einbezogen, woraus in der L2-Didaktik im Zusammenhang mit interkulturellem Lernen und Lehren ein neues Konzept entstanden ist. Diese Umwandlung im Bereich DaF beschreibt Rösler (ebd. 897f.) wie folgt: „Im Zentrum der Diskussion stehen nicht mehr die ebenfalls weitergeführten Arbeiten im phonetischen und morphosyntaktischen Bereich, stattdessen haben sich, durchaus parallel zur Entwicklung in der Linguistik insgesamt, Überlegungen zur kontrastiven Pragmatik und Semantik in den Vordergrund gedrängt, und seit den 80er Jahren ist mit dem interkulturellen Lernen ein Konzept vorherrschend in der Fremdsprachendidaktik geworden, das dem Vergleich von Ausgangs- und Zielsprache, von Eigen- und Fremdkulturellem, eine hervorragende Bedeutung zuschreibt. Trotz vereinzelter Versuche, interkulturelle Vergleiche auch im grammatischen Bereich anzusiedeln, findet die interkulturelle Auseinandersetzung überwiegend im landeskundlichen Bereich statt.“ Aus dem Zitat wird deutlich, dass der Fokus der Kontrastivitätsforschung heute vorwiegend auf dem landeskundlichen Bereich liegt und in der Grammatik nur sehr selten beachtet wird. Doch ist hier festzuhalten, dass dem Prinzip der Kontrastivität im DaF-Unterricht im Bereich der Fehleranalyse eine wichtige Funktion zukommt. Sie zeigt zum einen den Einfluss der Muttersprache auf die Zielbzw. Lernersprache beim L2-Lernen auf, zum anderen liefert sie wie bereits in 1.3.1 erwähnt auch Informationen über den derzeitigen Lern- und Sprachstand der Lernenden in der Zielsprache, weil die Fehler als Indikator für den Lernprozess betrachtet werden. Außerdem fördert der Sprachvergleich (also die aus Kontrastbzw. Fehleranalyse gewonnenen Erkenntnisse) im Unterricht auch die Sprachbewusstheit der Lernenden, nämlich durch die explizite bzw. implizite Bewusstmachung der Kontrastivität. Dadurch lassen sich nicht nur die Beziehung zwischen Mutter- und Zielsprache unter formalem und funktionalem Aspekt differenzieren, sondern es kann auch auf ihre potentiellen Konfliktpunkte hingewiesen werden (vgl. Hessky 1994, 24; Stickel 1989, 401). Denn das L2-Lernen ist ein Prozess, bei dem man sich durch ständige Aufnahme des auf L2 bezogenen Wissens sowie durch Wissenstransfer allmählich immer mehr an die zielsprachliche Norm annähert. Allerdings muss natürlich mit Brdar-Szabó (2010, 525) eingeräumt werden, dass die Bestimmung des Verhältnisses von Automatisierung und Bewusstmachung von sehr vielen verschiedenen, komplexen Faktoren abhängt: „In der Forschung herrscht Konsens darüber, dass die Bestimmung des Verhältnisses von Automatisierung und Bewusstmachung sowohl im allgemei- <?page no="68"?> 68 nen als auch auf interlinguale Kontrastivität bezogen von einem äußerst komplexen Geflecht diverser Faktoren (Alter und Persönlichkeit der Lerner, Motivation, Lernziele usw.) abhängt und sich von Unterrichtssituation zu Unterrichtssituation jeweils unterschiedlich gestalten kann.“ Darüber hinaus dient die Kontrastivität beim L2-Lehren und -Lernen zugleich als Lehr- und Lernstrategie. Das heißt, didaktisch können die Unterschiede bzw. Ähnlichkeiten jeweils durch Gegenüberstellung oder explizite Hinweise verdeutlicht werden, um negativen Transfer zu vermeiden oder um das relevante und verfügbare Sprachwissen aus der Muttersprache bzw. dem Englischen auf die Zielsprache zu übertragen (positiver Transfer). Was den Sprachvergleich als Lernstrategie anbetrifft, bezieht sich dies auf die implizite Bewusstmachung der Kontrastivität. Dabei geht es darum, ob die Lernenden intentional durch Analogieschluss Hypothesen über den Gebrauch bzw. die Struktur der Zielsprache aufstellen und diese ständig verbessern (vgl. ebd., 526). Hier stellt sich nun aber eine Frage: Durch die Kontrastivität (also die Kontrastanalyse bei Fehlern) können zwar mögliche Fehlerquellen und Lernschwierigkeiten erklärt werden, aber empirisch kann nicht nachgewiesen werden, ob die fehlerhaften Lerneräußerungen bzw. -produkte tatsächlich durch die von den Lernenden eingesetzte Transferbzw. Vermeidungsstrategie verursacht werden. D.h., es kann nicht nachgewiesen werden, ob der Sprachvergleich als Lernstrategie von den Lernenden im Lernprozess zum Problemlösen wirklich eingesetzt wird. Dies ist auch aus der Auswertung des für die vorliegende Arbeit durchgeführten Grammatiktests zu erkennen und hängt mit der Komplexität des L2- Lernprozesses und den daran beteiligten Faktoren (Lerntypen, -motivation, -zielen, -situationen etc.) zusammen (vgl. 7.1). Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung des Sprachvergleichs für DaF im chinesischen Sprachraum Blicken wir auf den Stand der deutsch-chinesischen Kontrastforschung im chinesischen Sprach- und Kulturraum zurück, muss festgestellt werden, dass die Anzahl der diesbezüglichen Arbeiten aufgrund des zeitlichen Rückstandes und der Schwierigkeiten beim deutsch-chinesischen Sprachvergleich noch sehr begrenzt ist, auch wenn sie in den letzten Jahrzehnten ständig zugenommen hat. Laut Zhao (2010, 627) fing die kontrastive Erforschung des Chinesischen viel später (in China erst gegen Ende der 1970er Jahre) an, während sie z.B. in Deutschland bereits Ende der 1960er Jahre intensiv im Gang gebracht wurde. Dies hat einerseits mit der Rangfolge der Beliebtheit der Fremdsprachen im chinesischen Sprach- und Kulturraum zu tun, weil Deutsch erst nach Englisch, Japanisch, Französisch bzw. Koreanisch platziert ist (vgl. ebd. und 3.1); andererseits stellt das einheitliche Beschrei- <?page no="69"?> 69 bungsmodell der chinesischen Grammatik bis heute immer noch ein Problem bei der Sprachforschung dar, und zwar in folgender Hinsicht: „In der Vergangenheit war die Sprachforschung in China lediglich ein Anhängsel der Erforschung der chinesischen Klassiker und beschäftigte sich fast ausschließlich mit Phonologie, Etymologie, Wortbedeutung und Schriftkunde, die Grammatik war nicht als ein Forschungsgebiet etabliert (Lü 1988: 2). Das allgemein anerkannte Geburtsjahr der chinesischen Grammatik war 1898, als das erste chinesische Grammatikbuch Ma Shi Wentong zur Behandlung des klassischen Chinesisch in Anlehnung an traditionelle westliche Grammatiken erschien. Die Grammatikerforschung des modernen Chinesisch fing dagegen erst etwas später im 20. Jahrhundert an (Zhu 1988: 133). Aufgrund dieser fehlenden Tradition werden die Beschreibungsansätze zur chinesischen Grammatik von chinesischen Linguisten bis heute kontrovers diskutiert.“ (Zhao 2010, 627) Die Kontrastanalyse Deutsch-Chinesisch bezieht sich bis heute vorwiegend auf die folgenden Sprachbereiche: Phonetik/ Phonologie: Qiu (1982, 1984), Yen (1992), Wang (1993), Chang (1995) etc. Morphosyntax: Liu (1964), Ma (1984), Qian (1985, 1989, 2001), Li (1991), Schumacher (1991), Schlobinski (1992), Zhou (1992), Chen (1994), Wang (1994), Schmidt (1996, 1999), Wippermann (1996), Zhu (1996, 1999, 2004), Leng (2002), Shue (2007), Ma (2009) etc. Semantik: Zhu (1984), Chen (1994), Chen (1995), Yen (2003) etc. Textlinguistik: Lehker (2001), Wen (2001), Zhao (2008) etc. Alle o.g. Bereiche umfassend: Fluck (Hg.)(1984), Qian (2000) etc. Dabei wird deutlich, dass in den 1990er Jahren vor allem auf die Erforschung der Kontrastivität im Bereich der Morphosyntax großen Wert gelegt wurde, während es weniger Veröffentlichungen in den anderen Bereichen gab. Was die Umsetzung dieser Forschungsergebnisse in der DaF- Unterrichtspraxis betrifft, beschränkt sich die didaktische Anwendung in der Tat eher auf die Erklärung der Fehlerursachen bzw. der möglichen Schwierigkeiten für die Lernenden mit Chinesisch als Muttersprache beim Deutschlernen. Mit anderen Worten: Die mutter- und zielsprachlichen Sprachkenntnisse der Lernenden zur Analyse von lernersprachlichen Pro- <?page no="70"?> 70 dukten einzusetzen, ist das einzige, was didaktisch tatsächlich machbar ist, z.B. bei der Fehlerklassifikation, der Erklärung von Fehlerursachen, Transfererscheinungen bzw. Lernproblemen. Dies wird durch folgende Arbeiten in den Bereichen Phonetik, Grammatik, Wortschatz etc. klar: Xu (1984), Zhang (1982), Gao (1983), Sui (1985), Hachenberg (2003), Chen (2005), Hsu (2006) etc. Was die didaktische Anwendung betrifft, ist laut Zhao (2010, 628) die gegenwärtige Forschung noch unbefriedigend. Genau diese Probleme existieren zugleich auch bei der möglichen didaktischen Anwendung der Forschungsergebnisse „Deutsch nach Englisch“, die angesichts der Besonderheiten der chinesischen Sprache und der strukturellen Unterschiede zwischen Chinesisch und Deutsch von besonders großer Bedeutung sind (siehe in 2.1). Die Grenzen und Möglichkeiten des Sprachvergleichs bei der Grammatikvermittlung für die Lernenden mit Chinesisch als Muttersprache wurden bereits in 1.2.4 dargestellt und werden deshalb an dieser Stelle nicht mehr wiederholt. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Untersuchung möglicher didaktischer Anwendung der Forschungsergebnisse im Rahmen der Kontrastanalysen Deutsch-Chinesisch in Bezug auf Deutsch nach Englisch sowie interkulturelle Lern-/ Lehrinhalte eine wichtige und dringende Aufgabe für die DaF-Lehrkräfte im chinesischen Sprach- und Kulturraum darstellen, und zwar in Hinsicht auf Wissensnutzung und Erfahrungstransfer. 1.5 Lernstrategien Da die Lernstrategien eine entscheidende Rolle für die Selbständigkeit im Lernprozess spielen, folgt ein Überblick über ihre Funktion beim Fremdsprachenlernen. Einige Veröffentlichungen liegen vor, die dieses Thema zum zentralen Gegenstand machen (vgl. Merkelbach 2011). Begriffsklärung Der Begriff Lernstrategien bezieht sich auf die Pläne, die mentale Handlungen darstellen und sich die Lernenden „im Kopf“ vorstellen, um ein Lernziel zu erreichen. Man könnte also von „Handlungsplänen“ sprechen. Bei den Lerntechniken handelt es sich hingegen um die organisatorischen und technischen Fertigkeiten, die die Lernenden beim Lernen benutzen (vgl. Bimmel/ Rampillon 2000, 44f.). Nur die Lernstrategien können sich laut Bimmel (2010, 843f.) auch darauf beziehen, wie die Lernenden ihr Lernen gestalten (also mentales Management des Lernprozesses) oder welche strategischen Lernhandlungen die Lernenden ausführen. Die Begriffe Lernstrategien und Lerntechniken werden in der Fachliteratur oft nicht klar voneinander abgegrenzt (wie z.B. bei Rampillon 2003, 340). Dies steht jedoch nicht im Mittel- <?page no="71"?> 71 punkt der vorliegenden Forschung. Wichtig ist hier, die mit der Strategieanwendung (im oben definierten Sinn) verbundenen Lernprobleme und deren Einfluss auf das Deutschlernen zu verdeutlichen. Im Folgenden wird zunächst die Rolle der Lernstrategien beim Deutschlernen beleuchtet und dann ihre Relevanz für das autonome Lernen dargestellt. Zur Funktion der Lernstrategien Die Lernstrategien, die einer bestimmten Lernsituation entsprechend angewendet werden, können einerseits zum erfolgreichen und effektiven L2- Lernen beitragen. Andererseits fördern die lernstrategischen Kompetenzen zugleich auch das autonome Lernen, das im Sinne der Selbständigkeit und der Übernahme der Verantwortung für das eigene Lernen stattfindet. D.h., die Kenntnis der Lernstrategien versetzt den Lernenden in die Lage, den eigenen Lernprozess selbst zu steuern und zu reflektieren sowie zu revidieren. Je nach Funktion für den Lernprozess werden anhand von O ʼ Malley & Chamot (1990) generell in der Fachliteratur folgende Lernstrategien unterschieden (vgl. Bimmel und Rampillon 2000; Tönshoff 2003): Tabelle 1-1: Arten und Funktionen von Lernstrategien Arten Funktionen  Kognitive Strategien (auch direkte Strategien) Sie haben direkt mit dem Lehr-/ Lernstoff zu tun und ermöglichen, das (neue) Gelernte mit Hilfe von Strukturierung bzw. Verarbeitung später gut behalten und abgerufen zu werden.  Metakognitive Strategien Sie betreffen die Planung, Kontrolle sowie Auswertung des eigenen Lernens und dienen der Regulierung des eigenen Lernprozesses.  Soziale Strategien Sie befassen sich mit der Interaktion bzw. Kooperation mit anderen, um das Gelernte (z.B. hier Deutsch) aktive anzuwenden bzw. die gezielte Hilfe (z.B. Erklärung, Korrektur) zu bekommen.  Affektive Strategien Sie betonen den bewussten Umgang mit den eigenen Gefühlen und Haltungen beim Lernen bzw. Gebrauch der Zielsprache, damit die Lerner sich emotional darauf vorbereiten.  Sprachgebrauchsstrategien (z.B. Kommunikationsbzw. Kompensationsstrategien) Sie werden benutzt, um trotz mangelnder L2- Kenntnisse die Kommunikation nicht abzubrechen oder um die L2-Wissenslücke zu verstecken. Dadurch wird das mangelhafte L2-Wissen ausgeglichen. Nach Bimmel und Rampillon (2000, 64ff.) gehören die kognitiven Strategien zu den direkten Strategien, die sich direkt mit dem L2-Lernstoff beschäftigen <?page no="72"?> 72 und auf dessen Aufnahme, Verarbeitung sowie Speichern abzielen; die metakognitiven Strategien und die sozialen sowie affektiven Strategien hingegen zählen zu den indirekten Strategien, die jeweils auf die Kontrolle und Auswertung des Lernens, auf den Umgang mit eigenen Gefühlen sowie auf die Interaktion bzw. Kooperation mit anderen beim Lernprozess abzielen. Und die Sprachgebrauchsstrategien umfassen zugleich die Kommunikations- und Kompensationsstrategien. Sie werden generell für das Verstehen der Zielsprache bzw. den kommunikativen Zweck eingesetzt. Je nach Sprachbereich bzw. Lernaufgabe stehen die unterschiedlichen Lernstrategien für verschiedene Zwecke (also Sprachenlernen bzw. Sprachgebrauch) zur Verfügung. Nur das strategische Handeln steht im Zusammenhang mit den Lernervariablen, die auf die Motivation, Lernertyp, Lernstil, Vorerfahrungen mit dem Lernen etc. bezogen sind. Sie gehen von den Lernenden aus und üben auch einen Einfluss auf den Erwerb der strategischen Kenntnisse sowie das strategische Handeln im Lernprozess aus. Jedoch ist die Strategiewahl auch durch den soziokulturellen Hintergrund der Lernenden geprägt. Z.B. im chinesischen Sprach- und Kulturraum wirken sich die kognitiven Strategien wie Auswendiglernen, wiederholtes Üben etc. aufgrund der schulischen Lernerfahrungen häufig noch auf das Weiterlernen aus und sind daher von großer Bedeutung (vgl. Huang 1984, Chang 2002). Dies hat seine Wurzel in den Lerntraditionen und hängt mit dem Prüfungssystem zusammen (vgl. 2.1 und 4.2). Strategietraining und -vermittlung Die Strategievermittlung und das gezielte Strategietraining ermöglichen den Lernenden, ihre lernstrategischen Kenntnisse und Kompetenzen zu fördern sowie ihre Autonomie beim Lernen zu entwickeln. Um die Lernstrategien systematisch zu vermitteln bzw. zu trainieren, müssen sie in den Unterricht progressiv integriert sowie mit den Lernaufgaben bzw. Übungen gezielt geübt werden. Als mögliche Progression im Strategietraining empfiehlt Rampillon (2000, 22ff.) folgende Stufen: 20 „Stufen 1: Aufgaben, bei denen die Lernenden Techniken zum selbstgesteuerten Lernen kennen lernen bzw. sich ihrer bewusst werden Stufen 2: Aufgaben, bei denen die Lernenden Lerntechniken sammeln, vergleichen und ordnen und dabei das selbstgesteuerte Lernen vorbereiten Stufen 3: Aufgaben, bei denen die Lernenden mit Lerntechniken experimentieren, ihren Einsatz trainieren, ihre Nützlichkeit bewerten und selbstgesteuertes Lernen erproben 20 Ausführliches siehe Rampillon 2000, S. 22-31. <?page no="73"?> 73 Stufen 4: Aufgaben, bei denen die Lernenden selbstständig lernen“ Dies zielt nicht nur darauf ab, dass die bekannten Lernstrategien bewusst gemacht und die neuen dann in die vorhandenen Vorkenntnisse integriert werden, sondern auch darauf, dass die Lernenden durch geeignete Aufgabenstellungen progressiv trainiert werden, so dass sie die verschiedenen Strategien praktisch erproben und später selbständig lernen können. Vor dem systematischen Training ist aber wichtig, dass die Lerntraditionen der Lernergruppe und der jeweilige Lernkontext in Betracht gezogen werden müssen. Das lernstrategische Handeln bzw. Wissen, das den Lernenden je nach Sprachbereich oder Lernziel zur Verfügung steht, ist individuell unterschiedlich. Aber der Erfolg von Strategietraining bzw. -vermittlung hängt laut Tönshoff (2003, 334) jedoch auch von den Lernervariablen ab, wie z.B. der soziokulturelle Hintergrund, die Lernerfahrungen, die Motivation, die Haltung etc. Von daher sollten die Lehrenden darüber informiert werden,  wie die Lernenden (bisher) Fremdsprache bzw. Deutsch lernen  über welche Strategie die Lernenden bereits verfügen  welche Strategie zum Lösen oder Bearbeiten der (Übungs)aufgaben gewählt wird und wie die Lernenden dazu gekommen sind  in welchem soziokulturellen Lernkontext sich die Lernenden befinden etc. Der letzte Punkt ist für die Lehrkräfte, die aus einem anderen Kulturkontext als die Lernenden kommen, besonders relevant. Darauf wird unten näher eingegangen. Mit Hilfe des Lernerprofils gewinnen die Lehrenden einen Einblick in die bereits vorhandenen Handlungsweisen, den strategischen Kenntnisstand und die mitgebrachten Lernvoraussetzungen von Lernenden. In Hinsicht darauf können sie dann je nach Sprachbereich und Aufgabenstellungen die einschlägigen Lernstrategien gezielt in den Unterricht integrieren und vermitteln, um die strategischen Kenntnisse und Kompetenzen der Lernenden weiter zu entwickeln. Diskussion Die lernstrategischen Kenntnisse und Kompetenzen sind für die taiwanischen Lernenden beim Deutschlernen besonders relevant. Z.B. aufgrund der geografischen Entfernung zu deutschsprachigen Ländern fehlt den Lernenden hier die natürliche Sprachumgebung, um Deutsch im Alltag anzuwenden. Aus diesem Grund stellt der DaF-Unterricht selbst für die meisten die einzige Anwendungsgelegenheit dar. Das Problem ist, ob die Lernenden dies zur Kenntnis genommen haben und dann im Lernprozess bzw. im Unterricht die einschlägigen Strategien zum Deutschlernen bzw. zum Training ihrer Sprachfertigkeiten einsetzen wollen, wie z.B. die sozialen Strategien zur <?page no="74"?> 74 aktiven Sprachanwendung. Es liegen nur wenige Forschungen zum Strategiegebrauch im taiwanischen DaF-Unterricht vor, erwähnenswert sind besonders Chang (2002) und Merkelbach (2011). Aber klar ist, dass der Strategiegebrauch bzw. die Strategieanwendung häufig von der Motivation und Haltung sowie den früheren L2-Lernerfahrungen von Lernenden abhängt, also außer dem eigenen Lernwillen des lernenden Individuums. Darüber hinaus ist die Ausgangssituation der Lernenden in Bezug auf den soziokulturellen Hintergrund, den Lernstil, die Lerngewohnheiten etc. vor allem beim Strategietraining bzw. bei der Strategievermittlung wichtig. Sie sind für den vorliegenden Forschungskontext von großer Bedeutung. Diese Situation beschreibt Rampillon (2000, 33) treffend: „ (...) Gleichermaßen üben vorangegangene Lernerfahrungen einen starken Einfluss auf aktuelle Lernsituationen aus. War man z.B. bisher einen eher fremdgesteuerten Lernprozess gewöhnt, so bedeutet selbstverantwortetes Lernen eine Umstellung und Neuorientierung, die nicht von heute auf morgen stattfinden kann, sondern sich über einen längeren Zeitraum hinzieht. Kommen Lernende gar aus ganz anderen Kulturen, dann kann es vorkommen, dass ihre Vorstellungen über „richtiges“ Lernen im Gegensatz stehen zu Prinzipien von Selbstbestimmung und Autonomie. In solchen Fällen gilt es, ihre Selbstständigkeit behutsam - wenn auch konsequent - anzubahnen und mit ihnen regelmäßig und systematisch über das „neue“ Lernen zu sprechen.“ Die Lernstrategien sind in der Regel zusammen mit dem selbständigen bzw. autonomen Lernen im Unterricht zu trainieren oder zu vermitteln. In Taiwan sind aber die Lernenden einerseits eher an rezipierendes sowie lehrergesteuertes Lernen gewöhnt; andererseits bestehen auch Unterschiede zu den westlich geprägten Lernerkonzepten, in denen der Gedanke der Lernerautonomie durch die stark auf das Individuum ausgerichtete Gesellschaft sehr zentral ist, während im traditionellen Erziehungsprinzip in Taiwan eher die Gemeinschaft im Vordergrund steht (vgl. Chang 2002, 98). Die genannten Lernervariablen müssen bei der Strategievermittlung mit berücksichtigt werden, also außer der systematischen Integration gezielter Lernaufgaben. In dem Fall könnte das autonome und selbstgesteuerte Lernen eine Erfolgschance für die DaF-Lerner in Taiwan sein, aber zugleich auch ein Konflikt. Wie Bimmel und Rampillon (2000, 44) beschrieben haben, üben die vorausgehenden Lernerfahrungen und die Lernkultur einen Einfluss auf die Entwicklung der Lernkompetenzen und die Strategieanwendung der Lernenden aus. Darüber hinaus ist die systematische Einführung in die Lernstrategien bzw. das progressive Strategietraining durch entsprechende Materialien besonders hervorzuheben, also in Hinsicht auf den Sprachbereich, die Aufgabenstellung sowie die Lernkultur. <?page no="75"?> 75 1.6 Übungen und Aufgaben Eng im Zusammenhang mit den Lernstrategien stehen die Übungen und Aufgaben, die entscheidend zu Lernerfolg beitragen können, vorausgesetzt sie werden angemessen ausgewählt und eingesetzt. Begriffsklärung Im L2-Unterricht sind Übungen und Aufgaben zwei Arbeitsformen, die zum Üben eines bestimmten Lerngegenstands (Aussprache, Grammatik, Wortschatz) bzw. zur Förderung bestimmter Fertigkeiten (Sprechen, Schreiben, Lesen, Hören) sowie Strategien eingesetzt werden. Generell sind die Übungen eher auf die geschlossenen und formorientierten Aktivitäten bezogen, wobei der Fokus auf den formalen Aspekten der Sprache liegt; dagegen sind die Aufgaben eher mit offenen und mitteilungsbezogenen Aktivitäten verbunden und legen den Schwerpunkt auf das kommunikationsorientierte Üben. 21 Die Problematik der Klassifikationsversuche kommentiert Rösler (2003, 8) wie folgt: „Problematisch sind Typologieversuche wie z.B. die von Neuner / Krüger / Grewer 1981 vor allem dadurch, dass sie implizieren, eine Klassifikation auf einer Ebene (…) sei bereits eine Typologie. Klassifizieren lassen sich Übungen und Aufgaben nach Lerngegenständen oder Fertigkeitsbereichen, nach der Art der Einbeziehung von Arbeits- und Sozialformen, danach, ob die Lerneraktivität eher formorientiert oder mitteilungsorientiert ist, und danach, wie geschlossen oder offen die Übung und Aufgabe ist. Letzteres hat im Hinblick auf den unterschiedlichen Grad der Voraussagbarkeit der Antwort vor allen Dingen Konsequenzen für ein möglicherweise programmiertes Feedback bei den Übungen im Internet.“ Beide Begriffe sind auf fachdidaktischer Ebene nicht eindeutig voneinander abzugrenzen und werden häufig aufgrund einer fehlenden Systematik vermischt verwendet. So wird in der L2-Unterrichtspraxis meistens von Übung, in der L2-Forschung hingegen häufiger von Aufgabe gesprochen, in beiden Fällen könnte aber kommunikatives Üben mit eingeschlossen sein (vgl. Börner 2002, 234f.). Häufig sind nach Rösler (2012, 106ff.) viele Aktivitäten im Unterricht nicht ganz eindeutig der Übung oder der Aufgabe zuzuordnen, wenn es sich z.B. formal um eine geschlossene Übung handelt, die Antwort aber ergebnisoffen ist. 22 In Tabelle 1-2 werden die beiden Arbeitsformen in Bezug auf ihre Merkmale, ihre Übungsformate bzw. Aktivitäten sowie die damit verbundenen Lehrmethoden gegenübergestellt. 21 Beispiele dafür siehe in Kap. 8.2.2, wie z.B. die geschlossene Übung in Abb. 8-6, die halboffenen Aufgaben in Abb. 8-7 und 8-8. 22 Ausführlich siehe Rösler 2012, 106-110. <?page no="76"?> 76 Tabelle 1-2: Überblick über die Merkmale von Übungen und Aufgaben 23 Typologien Kategorien Übungen Aufgaben Merkmale  formbezogenes Üben  formorientiert  geschlossen  reproduktiv und mechanisch  vorhersagbare Antwort  teils isoliert, teils kontextuell  mechanisches Üben  eindimensional (sprachlich)  inhaltsbezogene Kommunikation  mitteilungsorientiert  offen  produktiv und kreativ  ergebnisoffen  situativ  Durcharbeiten  mehr dimensional und mehrschichtig (sprachlich, inhaltlich, pragmatisch, interkulturell, soziologisch) Übungsbzw. Aufgabenformate  Lückentexte  Multiple-Choice-Übungen  Umformulierungen  Zuordnungsübungen  Drillübungen  Diktate  Spiele wie z.B. Kreuzworträtsel  Arbeitsauftrag für „Freies Sprechen“  Bildbeschreibung  Themendiskussion  Kreatives Schreiben  Projekte Vertretene Lehrmethoden Grammatik-Übersetzungsmethode Audiolinguale Methode Kommunikativer Ansatz Interkultureller Ansatz Je nach unterschiedlichen Vorgaben der Lehrmethoden in Bezug auf die konzeptionellen Überlegungen und Lernziele werden die verschiedenen Arbeitsformen und die damit verbundenen Sozialformen zum Einüben daraus entwickelt. Für die vorliegende Arbeit sind die geschlossenen Übungen, die halboffenen sowie offenen Aufgaben besonders relevant, da sie die drei in den Unterrichtsbeobachtungen am häufigsten verwendeten Arbeitsformen sind (vgl. Tabelle 8-7 in Kap. 8.2). Im Folgenden werden sowohl ihre Charakteristika in Bezug auf die jeweils vorherrschenden Lehrmethoden dargestellt als auch die damit verbundenen Vorzüge und Schwächen diskutiert. Geschlossene Übungen Die Übungen mit geschlossener Charakter finden nach Rösler (ebd., 108) besonders häufig in Verbindung mit der GÜM und der audiolingualen Me- 23 Vgl. Börner 2002, Rösler (2003, 2012), Bredella 2006. <?page no="77"?> 77 thode Verwendung. Dabei werden sprachliche Formen hauptsächlich mittels Lückentexte, Umformungsübungen, Drillübungen etc. reproduktiv geübt und in den meisten Fällen gibt es nur eine richtige Antwort. Die geschlossenen Übungen eignen sich didaktisch besonders für das formbezogene Einüben im Unterricht oder beim selbst gesteuerten Lernen. Bei deren Einsatz zum formorientierten Üben sollten aber möglichst Kontextlosigkeit und Eintönigkeit vermieden werden, damit die Sätze dabei nicht nur Beispielfunktion für die Grammatikregeln sowie einen Nutzen für deren Erarbeitung haben, sondern es ist sinnvoll, die Grammatikphänomene situativ und kontextuell einzubetten. Im Zusammenhang mit den Gebrauchssituationen ist das gelernte Grammatikwissen leichter abrufbar und kann bei der Anwendung auch leicht assoziiert werden. Halboffene und offene Aufgaben Im Vergleich zu den geschlossenen Übungen finden die halboffenen und offenen Aufgaben ihre Anwendung häufig im kommunikativen und interkulturellen Ansatz. Ziel ist es, die sprachlichen, kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen durch das kommunikationsorientierte Üben bzw. die inhaltsbezogene Kommunikation zu fördern. Die Aufgaben unterscheiden sich sowohl durch ihre reproduktiv-produktiv bzw. produktive Funktion als auch in der Menge der Vorgaben. Bei den beiden Formaten sind individuelle sowie freie Antworten bzw. Lösungen möglich. Geht es dabei um die freie Sprachanwendung, sind viel Kreativität und Engagement auf der Lernerseite gefragt. In halboffenen und offenen Aufgaben werden das Wissen und die Kompetenzen aus unterschiedlichen Bereichen miteinander verknüpft, sie haben laut Rösler (2003, 13) folgende Eigenschaften: „Halboffene und offene Aufgaben erfordern von den Lernenden freiere Reaktionen; sie müssen sprachlich aus dem, was sie schon beherrschen, selbständig auswählen, und sie greifen dabei inhaltlich auf das eigene Weltwissen, eigene Vorstellungen usw. zurück. Halboffene und offene Aufgaben enthalten dabei mehr oder weniger ausgeprägt mitteilungsorientierte Komponenten. Diese können durchaus mit stark steuernden Aufgabenstellungen verbunden sein.“ In Hinsicht darauf müssen die Lehrenden auf angemessenen Schwierigkeitsgrad, die Abfolge von vorbereitenden - aufbauenden - strukturierenden - simulierenden bzw. darstellenden Maßnahmen innerhalb von Sequenzen und klare Anweisungen achten (vgl. Neuner 1996, 15). Offene und halboffene Aufgaben haben vor allem bei der Gestaltung des kommunikativ orientierten Unterrichts eine große Bedeutung, weil mittels der Aufgabenstellung kommunikationsorientiertes Üben stattfinden bzw. die inhaltsbezogene Kommunikation gefördert werden kann. Je nach Sprachstand der jeweiligen <?page no="78"?> 78 Lernergruppe sollten sie durch systematischen Aufbau der Sequenzen und Auswahl der Aufgabenstellung sowie deren inhaltliche Progression von gelenkt nach frei erfolgen. Das Grammatikwissen und der Wortschatz können Schritt für Schritt eingebettet werden, so dass die Lernenden beim Aufgabenlösen die bereitgestellten bzw. zu reaktivierenden Sprachmittel anwenden, sonst kann der Lernprozess aus einem Mangel an notwendigen Lernhilfen gestört werden (vgl. 8.2.2). Offene und halboffene Aufgaben gelten als Teil des Inhaltsplans, aber sind für den Lösungsprozess in Form von sprachlich-kommunikativer Handlung sowie das handlungsorientierte Lernen relevant (vgl. Piepho 2000, 260). In der vorliegenden Arbeit werden die beiden Begriffe Übungen und Aufgaben folgendermaßen verwendet: Die Übungen sind für geschlossene und formbezogene Formate, die eine eindeutige Lösung hat; hingegen sind die Aufgaben mit der halboffenen sowie offenen Formate gemeint, die den Freiraum für Kreativität lässt und mehrere Lösungsmöglichkeiten hat. Zusammenfassung In der L2-Didaktik werden Übungen und Aufgaben unterschiedlich bewertet, wobei die Aufgaben den Übungen gegenüber eher höheren Stellenwert haben auch wenn ihre jeweilige Lernwirksamkeit im Lernprozess und im Lernergebnis empirisch noch nicht nachgewiesen wurde (vgl. Börner 1999; Rösler 2012). Diese Einordnung ist im Zusammenhang des jeweils vertretenen Lernkonzepts und dessen Lernziel zu sehen, wobei die Frage ist, ob dieser Lernprozess analog zu anderen Lernprozessen gesehen wird und ob das Wissen und Können ebenfalls Endziele der zielsprachlichen Kompetenz sind (vgl. Surkamp 2010, 315). In allen Fällen sind Wissen und Können Wege zur zielsprachlichen Kompetenz. Sowohl Übungen als auch Aufgaben haben funktionell jeweils ihre Vorzüge und bei der Unterrichtsgestaltung ist es relevant, sie je nach Lernziel und -phase angemessen sowie sinnvoll einzusetzen. Geht es um formorientiertes Lernen, sind Übungen eher geeignet. Hingegen eignen sich kooperative Aufgabenstellungen eher für die Entwicklung der kommunikativen sowie interkulturellen Kompetenzen. Das heißt, die Auswahl von Übungen oder Aufgaben muss immer in Abhängigkeit von Funktion, Lernziel, Lerngegenstand sowie Sprachniveau der Lernenden ‒ wenn erforderlich ‒ mit geeigneter Hilfestellung erfolgen, um das Lernen zu unterstützen oder um die Lernschwierigkeiten zu vermeiden. Erfolgreiches Spachenlernen verläuft in mehreren Stadien und die Übungssowie Aufgabenformate sollen somit je nach Lernziel und Lernstadien schrittweise erweitert und abgestuft werden. Darüber hinaus ist es in der Unterrichtspraxis wichtig, sie in Hinsicht auf den Sprachstand der Lernenden im Unterricht abwechselnd einzusetzen. <?page no="79"?> 79 Die Auflistung der theoretischen Grundlagen des Sprachenlernens und -lehrens zeigt viele Komponenten und Aspekte des DaF-Unterrichts, die jede für sich eine mögliche Ursache für die Schwierigkeiten und Probleme darstellen. In Teil III der Arbeit werden die genaueren Zusammenhänge veranschaulicht. Zunächst werden im folgenden Kapitel 2 die Lernervariablen beleuchtet, die wiederum den Lern- und Lehrprozess sowohl in positiver als auch in negativer Weise beeinflussen. <?page no="80"?> 80 2 Lernervariablen Es gibt zahlreiche Lernervariablen, die den Erfolg beim L2-Lernen beeinflussen können, z.B. Alter, Begabung, Motivation, Einstellung, Lernstile, Lerntypen, Sprachbewusstheit, Sprachlernerfahrung, Lerntechniken, Lernstrategien etc. Am häufigsten diskutiert werden drei davon, nämlich die Sprachlernerfahrung, die Motivation und die Lerneinstellung. Aber je nach Kulturkreis bzw. Lernkontext (z.B. Fremdsprache oder Zweitsprache), ist der Ausgangspunkt, von dem aus die drei o.g. Themen und deren Auswirkung auf das lernende Individuum bzw. die Zielgruppe diskutiert werden, unterschiedlich. Bei der Auseinandersetzung mit diesen drei Variablen im chinesischen Sprach- und Kulturraum etwa ist auffallend, dass vor allem der historische Aspekt, also die sozialen und kulturellen Traditionen, die stark von der konfuzianischen Lehre geprägt sind und aus denen sich spezifische Lern- und Lehrtraditionen entwickelt haben, im Vordergrund stehen. Hingegen betrachten Studien im westlichen Kulturkreis die genannten Variablen meist zuerst unter soziologischen, psychologischen und pädagogischen Blickwinkeln und dann erst aus historischer Perspektive (vgl. Mitschian 1999a, 52). Vor der Diskussion um die Auswirkung der soziokulturellen Traditionen auf die taiwanischen Lernenden beim (Deutsch)lernen werde ich mich hier zunächst mit den folgenden Aspekten beschäftigen, damit die ursächlichen Zusammenhänge zwischen den drei eben genannten Lernervariablen und den überlieferten Unterrichtstraditionen etwas klarer werden, nämlich:  Die Rolle der früheren Sprachlernerfahrungen für die DaF-Studierenden in Taiwan, also in Hinsicht auf die Sprachvorkenntnisse und die methodischen Lernerfahrungen  Motivationsarten und Einflussfaktoren auf die Motivation beim Deutschlernen  Lerneinstellung und deren Einfluss auf den universitären DaF-Unterricht in Taiwan 2.1 Sprachlernerfahrungen Begriffsklärung Als Sprachlernerfahrungen bezeichnet man im Rahmen der Fremdsprachendidaktik und -erwerbsforschung die bereits vorhandenen Sprachlernerfahrungen, die ein Lernender vorher sowohl durch den Erstbzw. Mutter- <?page no="81"?> 81 spracherwerb (L1) als auch durch das Erlernen der ersten Fremdsprache (L2) gewonnen hat. Selbstverständlich umfassen sie zugleich auch die diesbezüglichen Sprachkenntnisse, Lernstrategien, Lerntechniken und Lernvoraussetzungen, die mit dem L1-Erwerb und L2-Lernen einhergehen und später in den Lernprozess der zweiten (L3) bzw. weiteren Fremdsprache (Ln, n ≥ 3) eingebracht werden. Kurz: Die Sprachlernerfahrungen beschäftigen sich im Bereich des Lernens und Lehrens der fremden Sprachen hauptsächlich mit dem Transfer der früher gemachten Lernerfahrungen sowie mit der Auswirkung der bereits vorhandenen Sprachkenntnisse auf das Erlernen neuer Fremdsprachen. Dabei spielen drei Sprachen und deren Verwandtschaft aus typologischer Sicht eine grundlegende und bedeutende Rolle, nämlich Muttersprache, (erste) Fremdsprache und Tertiärsprache. Generell wird die Muttersprache synonym als Erstbzw. Herkunftssprache verstanden und bildet die Grundlage für das weitere Sprachlernen. Mit der ersten Fremdsprache ist hier Englisch gemeint, denn es wird laut Neuner et al. (2009, 21) heute einerseits wegen seiner Position als Sprache des weltpolitisch führenden Landes (USA) und andererseits aufgrund der politischen, wirtschaftlichen sowie kulturellen Faktoren allgemein als internationales Kommunikationsmittel („Weltverkehrssprache“) anerkannt. Deshalb wird an den Schulen in den meisten Fällen Englisch als erste Fremdsprache gelernt und gelehrt. Und als Tertiärsprache 24 bezeichnen wir hier grundsätzlich die zweite zu lernende Fremdsprache, welche im Kontext dieser Arbeit Deutsch ist. Die Modelle gehen alle davon aus, dass eine Korrelation zwischen gelernten Sprachen und der Sprachbewusstheit besteht. Bestimmte Bedingungen sind die Voraussetzung, z.B. muss der Sprachaneignungsmodus Merkmale des Lernens aufweisen im Gegensatz zum übergeordneten Modus Erwerb (Hufeisen 2003, 1). 25 Somit haben je nach Sprachverwandtschaft von L1-L2-L3 die Muttersprache der jeweiligen Lernenden und deren ersten Fremdsprache (also Englisch) unterschiedliche Auswirkungen auf das Erlernen der zweiten Fremdsprache, etwa in Hinsicht auf den Transfer der sprachlichen Vorkenntnisse und der methodischen Lernerfahrungen. Außer 24 Laut Lay (2006, 464) wird der Fachbegriff Tertiärsprache im deutschsprachigen Raum ursprünglich für die dritten schulischen Fremdsprachen verwendet, d.h., nach Englisch wird grundsätzlich Latein bzw. Französisch als zweite schulische Fremdsprache gelernt, und Italienisch, Spanisch bzw. Russisch erst als dritte Schulfremdsprachen. 25 Das Faktorenmodell betont bei den lernerinternen Faktoren als entscheidenden Aspekt das Lernen der L2, „Mit dem Lernen einer ersten Fremdsprache wird die Grundlage für eine Fremdsprachenlern / Erwerbskompetenz gelegt, die weder beim L1-Erwerb noch mit Beginn des L2-Lernens vorhanden ist“ (Hufeisen 2003, 5). Sie wird erst mit dem L2-Lernen angelegt, ausgebildet und erhöht sich mit jeder weiteren. <?page no="82"?> 82 der Sprachverwandtschaft von L1-L2-L3 ist dies noch im Zusammenhang mit den folgenden Fragen zu sehen, nämlich:  Welche vorhandenen Sprachkenntnisse von L1 und L2 sind für welche Sprachebenen des L3-Lernens verfügbar, nutzbar, übertragbar und vergleichbar? Also z.B. im Bereich der Phonetik, der Grammatik, der Wortschatzarbeit oder der Textarbeit?  Wie wirken sich die Lernmethoden bzw. Lernstrategien, die mit dem L1- Erwerb und dem L2-Lernen einhergehen und mit denen die Lernenden bereits vertraut sind, auf das L3-Lernen aus? Zur Diskussion um die Konstellation „Deutsch nach Englisch“ Unter den oben genannten Umständen wird laut Neuner (1999, 15) und Hufeisen (2001, 648) Deutsch deshalb häufig als zweite Fremdsprache nach Englisch gelernt. Im Fokus dieser Sprachlernforschung und im Zusammenhang mit der Konstellation „Deutsch nach Englisch“ wird diskutiert,  welchen Einfluss die vorher gemachten Erfahrungen beim Mutterspracherwerb und dem Englischlernen sowie die dadurch erworbenen Sprachkenntnisse auf das Deutschlernen haben.  wie diese sprachlichen Vorkenntnisse sowohl im Hinblick auf die Erfahrungswelt der Lernenden als auch aus der didaktisch-methodischen Perspektive für das Deutschlernen und -lehren sinnvoll aktiviert, verknüpft und genutzt werden können.  welche Rolle Sprachbewusstheit bei der Lernkonstellation „Deutsch nach Englisch“ spielt?  aufgrund welcher didaktischen und methodischen Überlegungen sich die Lehrmaterialien für „Deutsch nach Englisch“ entwickeln sollen. Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem oben genannten Fragenkomplex ist einerseits die Annahme, dass die Lernenden beim Deutschlernen bewusst auf ihre bereits im Kopf gespeicherten Sprachkenntnisse (also das explizite Wissen) und Lernerfahrungen mit der Muttersprache sowie dem Englischlernen zurückgreifen können; aber andererseits können sie auch unbewusst diese vorhandenen Sprachkenntnisse (also das implizite Wissen) dabei einsetzen oder darauf übertragen (vgl. Lutjeharms 1999, 7- 11). Dies beeinflusst nicht nur die sprachliche Wissenserweiterung der Lernenden in diesem L3-Lernprozess, sondern auch die Erweiterung und Entwicklung ihrer Sprachlernerfahrungen, nämlich in Bezug auf die sprachliche Ebene (z.B. Transfer, Interferenz) sowie die methodische Ebene (z.B. Lernstrategien, Lerntechniken). Daraus wird zum einen abgeleitet, dass die Nutzung der vorhandenen Englischkenntnisse beim Deutschlernen und -lehren (also im Unterricht Deutsch als zweite Fremdsprache) von großer Bedeu- <?page no="83"?> 83 tung ist, weil sie das Erlernen der deutschen Sprache unterstützen kann. Zum anderen gehen die Modelle davon aus, dass sich die Übertragung der früheren Sprachlernerfahrungen auf den DaF-Unterricht auswirkt. D.h., die Wissensnutzung und der Erfahrungstransfer können dabei lernfördernde Wirkung haben und sie können beim Lernen und Lehren des Deutschen vor allem dann als Brücke eingesetzt werden, wenn die Muttersprache der jeweiligen Lerngruppen (wie z.B. Chinesisch als L1) und Deutsch (L3) nicht verwandt sind. Englisch (L2) und Deutsch hingegen sind relativ nahe verwandt und deshalb existieren zwischen den beiden Sprachen z.B. im Bereich von Aussprache, Grammatik, Wortschatz etc. viele Parallelen, die als Kontrast zum besseren Verstehen gegenübergestellt werden können. Aber dies bedeutet auf keinen Fall, dass die Englischkenntnisse andauernd im gesamten Deutschunterricht genutzt werden sollen, sondern zielgerichtet je nach Sprachebenen bzw. von Fall zu Fall (vgl. Hufeisen 1994, 5ff.). Dies zielt darauf ab, dass die Lernenden mit Hilfe der verwandten Sprache (also durch den Sprachvergleich zwischen Englisch und Deutsch) das Deutsche besser verstehen können und so den Lernweg von der jeweiligen Muttersprache zum Deutschen zu vereinfachen und zu verkürzen. Somit umfassen die Sprachlernerfahrungen wie oben bereits erwähnt sowohl die sprachliche Ebene (also die Sprachkenntnisse) als auch die methodische Ebene (also Methodenbzw. Technikwissen zum Sprachlernen). In der Auseinandersetzung mit diesem Thema wird zwar anerkannt, dass die aus dem L1-Erwerb übernommenen und auf den L2-Erwerb übertragenen Lernmethoden im Laufe der schulischen Sozialisation oft schon zu festen Lerngewohnheiten geworden sind. Bei der Diskussion wird aber oft vernachlässigt:  welchen Einfluss diese Lerngewohnheiten auf das weitere Fremdsprachenlernen ausüben können, wenn die Zielsprache z.B. mit der Ausgangssprache (überhaupt) nicht verwandt ist  ob die methodischen bzw. strategischen Lernverfahren durch die Eigenschaften der zu lernenden Zielsprache bestimmt werden  welche der kulturspezifisch geprägten Lernmethoden bzw. -strategien auch für die aktuelle Fremdsprache zur Verfügung stehen können, also in Hinsicht auf die Besonderheiten der zu lernenden Sprache und die verschiedenen Sprachbzw. Fertigkeitsbereiche Die im chinesischen Sprach- und Kulturraum aufgewachsenen Deutschlernenden haben sich aufgrund der Besonderheiten der chinesischen Sprache und Schrift bei deren Erwerb an eher „mechanische“ Lernverfahren wie Auswendiglernen, reproduktive Lernweise (rein wiederholendes Üben) und Tafelabschrift gewöhnt, da sie sich u.a. die Strichfolge, in der jedes einzelne <?page no="84"?> 84 Schriftzeichen geschrieben wird, exakt einprägen müssen. 26 Als Beispiel wird hier gezeigt, wie das chinesische Schriftzeichen hao (Deutsch: schön, gut, in Ordnung etc.) geschrieben wird: Abb. 2-1: Strichfolge des chinesischen Schriftzeichens hao Abb. 2-2: Übungsheft 27 Der traditionelle Sprachunterricht ist wie folgt strukturiert: Die Schüler in Taiwan erhalten während der Grundschule (also von der ersten bis sechsten Klasse) täglich verschiedene Arten von (Haus)aufgaben für den Schrifterwerb (Schriftzeichen mit deren Lautschrift 28 und Bedeutung). Außerdem wird in der Regel jede Woche eine neue Lektion im Lehrwerk für den Chinesischunterricht durchgenommen, deshalb müssen die Schüler als Hausaufgabe während der Woche zuerst das neu gelernte Vokabular zu Hause 8-12mal im Übungsheft nachschreiben, dann die Bedeutungen auswendig lernen und ebenfalls abschreiben, danach einzelne Wortgruppen im Text auch mehrmals abschreiben und später deren Verwendung und Satzbildung üben. Zuletzt folgt meist eine Abschrift des ganzen Lehrbuchtexts. Diese streng strukturierte Unterrichts- und Lernfolge ist zum großen Teil schon in den Lehrwerken vorgegeben und wird bis heute in der Regel eingehalten. 29 26 Eine ausführliche Erklärung des Erwerbsprozesses von Schreiben und Lesen im Chinesischen siehe in Kap. 2.1 und 4.2.2. 27 Quelle aus http: / / store.pchome.com.tw/ doliec/ M01119336.htm (25.01.2009) 28 In China wird Lautumschrift mit lateinischen Buchstaben (also Alphabet) verwendet, aber in Taiwan benutzt man spezielle Lautzeichen (Zhuyinfuhao), z.B. (ㄅ) für [b] und (ㄆ) für [p] etc. 29 Z.B. es werden in erster Klasse im Fach Chinesisch insgesamt 7 Hefte des Hanlin-Verlags ( 翰林 ) für 2. Halbjahr verwendet: 1. Guoyu 國語 (Chinesisch, Textheft), 2. Guoyu Xizuo 國語習作 (Chinesisch Übungen), 3. Guoyu Zuoyebu 國 語作業簿 (Chinesisch Hausaufgabenheft), 4. Shengzibu 生字簿 (Chinesisch Schriftzeichenheft, leer), 5. Shengzibu 生字簿 (Chinesisch Schriftzeichenheft, leer), 6. Shengzi Ciyu Lianxibu Jiaben/ Yiben 生字詞語練習簿 甲本/ 乙本 (Übungsheft Schriftzeichen und Wörter Nr. 1 und 2), 7. Shengzibu 生字簿 (Schriftzeichenheft, für Tests verwendet). <?page no="85"?> 85 Die Lernenden im chinesischen Sprach- und Kulturkreis lernen deshalb ihre erste Fremdsprache Englisch auch in der o.g. gewohnten Weise, d.h., beim Englischlernen wird besonderes Gewicht auf den Erwerb der schriftlichen Sprachfertigkeit gelegt. Außerdem wird dabei das (elektronische) Wörterbuch bzw. der elektronische Translator als eines der wichtigsten Lernwerkzeuge angesehen und entsprechend oft eingesetzt (vgl. 4.2.2). Diese eben genannten Lernmethoden bzw. Lerntechniken übertragen sich häufig vom Mutterspracherwerb und vom Englischlernen auf das spätere Deutschlernen und begleiten dann dessen ganzen Lernprozess (vgl. 4.2.3). Außer den soziokulturellen Faktoren haben auch die Eigenschaften der chinesischen Schrift einen großen Einfluss auf die Lernmethoden und -techniken, weil das chinesische Schriftbild mit dem Lautbild und der Bedeutung untrennbar zusammenhängt und somit parallel erworben werden muss. Da sich die Aussprache im Chinesischen weder aus dem Schriftbild noch der Schreibweise ergibt, wie es normalerweise bei der Buchstabenschrift z.B. Deutsch, Französisch etc. der Fall ist, kann man nicht (oder kaum) von der Aussprache eines chinesischen Schriftzeichens auf dessen Schreibweise schließen. Deshalb muss generell jedes chinesische (bzw. fremde) Zeichen, inkl. seine Bedeutung, seine Schreibweise und seine Aussprache, in einem langwierigen Prozess einzeln erarbeitet werden. Die Kenntnis der Schriftzeichen steht im Zentrum des chinesischen Spracherwerbs und muss speziell geschult werden, da sie sich stark auf die Entwicklung der späteren Lese- und Schreibkompetenz auswirkt. Im Vergleich dazu besteht dieses Problem beim Erlernen europäischer Fremdsprachen (z.B. Deutsch, Spanisch, Französisch, Holländisch etc.) nicht, denn die Grapheme sind alphabetischer Buchstabenschriften und den Lernenden schon vom Englischlernen her vertraut (vgl. Guder 2009, 829). Es treten dabei aber andere Lernprobleme aufgrund sprachstruktureller Unterschiede der Zielsprache gegenüber der Ausganssprache auf, wie z.B. Deutsch gegenüber Chinesisch. Darüber hinaus ist die „Reflexion über Strategien beim Gebrauch der Muttersprache (und beim Lernen und Gebrauch anderer Fremdsprachen) sowie über Transfermöglichkeiten auf die aktuelle Fremdsprache (Tönshoff 2003, 333)“ von zentraler Bedeutung. So stellen die Vermittlung der Lernstrategien und Arbeitstechniken sowie deren gezieltes Üben, die den Lernenden beim Erwerb der verschiedenen Sprachfertigkeiten in der Zielsprache dienen, eine wichtige Aufgabe vor allem für die fremdsprachlichen Unterrichtenden im asiatischen Kulturraum dar (vgl. Zeilinger 2006, 7). Der Fremdsprachenunterricht (also Englischunterricht) in Taiwan bietet unter dem Aspekt der Sprachlernstrategien wenige Ansatzpunkte zum Vernetzen oder Anknüpfen im weiteren Fremdsprachenerwerb (vgl. Merkelbach 2003, 546). Er hat „hinsichtlich der Vermittlung von Fremsprachen- <?page no="86"?> 86 lernstrategien versagt“ (Merkelbach 2011, 137). Vielmehr fördert der DaF- Unterricht selbst eine Erweiterung der Lernstrategien, Methoden und Techniken, die die taiwanischen Lernenden von ihrem eigenen Sprachunterricht nicht kennen. Außerdem ist auf das erstaunliche Ergebnis von Merkelbachs empirischer Studie in Taiwan hinzuweisen, wonach „beim Erwerb einer L3 die Lernstrategien eher von der Tatsache abhängen, wie viele Muttersprachen die Lernenden zu Hause sprechen“ (ebd.). In Taiwan ist ja von einem mehrsprachigen Kontext auszugehen, d.h., in der Regel sprechen die Taiwaner mehr als eine L1. Diese zwei Aspekte, also die mehrsprachige Gesellschaft und das Fehlen von durch Englischunterricht vermittelten Sprachlernstrategien, zeigen Parallelen zur Situation Indiens. Indien ist auch eine multilinguale Gesellschaft wie Taiwan. Da ist laut Chaudhuri (2009, 97) aufgrund des natürlichen mehrsprachigen Erwerbskontexts und der Situation der Fremdsprachen in sehr seltenen Fällen eine L2 vorhanden, und das schulischen Erlernen von Sprachen entspricht nicht der Vorstellung, dass neue Lernstrategien und Lernerfahrungen hinzukommen. Das im europäischen Kontext entwickelte Faktorenmodell, das von der Annahme ausgeht, dass der Unterricht in der ersten Fremdsprache modellbildend ist und dass Lernende sich dadurch sowohl unbewusste als auch bewusste allgemeine Sprachlernstrategien aneignen, die als relevante Größen beim multiplen Spracherwerb und beim gezielten Sprachenlernen gelten, ist somit im Kontext von Taiwan und Indien nur eingeschränkt transferierbar. Im Folgenden wird vor der Auseinandersetzung mit der Sprachkonstellation „Deutsch nach Englisch in Taiwan“ zuerst ein kurzer Überblick über die Sprachenvielfalt in Taiwan gegeben. Überblick über die Sprachvielfalt und deren Erwerb in Taiwan Taiwan ist eine mehrsprachige Insel. Dies hat historische und politische Gründe und lässt sich vor allem auf die Aussiedlung der Kuomintang (KMT) von China nach Taiwan im Jahr 1949 zurückführen. 30 Denn seit diesem Zeitpunkt leben vier große ethnische Hauptgruppen auf dieser Insel zusammen, nämlich Taiwaner (72%), Hakka 31 (12%), Festland-Chinesen (14%) und Ureinwohner 32 (2%). Im Prinzip werden alle ihre Herkunftsspra- 30 Eine ausführliche Erklärung des historischen und politischen Hintergrunds, der zur Mehrsprachigkeit Taiwans geführt hat, siehe Chen (2005, 23-25) und Lay (2009, 2f.). 31 Man nennt die Sprache dieser ethnischen Gruppe auch Hakka. 32 In Taiwan gibt es insgesamt zwölf Hauptgruppen von Ureinwohnern, nämlich Amis, Atayal, Bunun, Kavalan, Pinuyumayan, Rukai, Paiwan, Saisiyat, Thao, <?page no="87"?> 87 chen, also Taiwanisch, Hakka, Chinesisch und austronesische Sprachen, als Muttersprache definiert. Aber aus politischen Gründen wurde Chinesisch 1949 zur Amtssprache Taiwans erklärt und im gesamten Bildungswesen eingesetzt. Die anderen drei Sprachen zählen zwar auch zu den Landessprachen Taiwans, aber erst seitdem die DPP (Demokratisch Progressive Partei) im Jahr 2000 das erste Mal an die Regierung kam, wurde großer Wert auf die schulische Vermittlung der Dialekte ( 鄉土語言 ) gelegt. Sie wurden deshalb 2001 offiziell vom Erziehungsministerium ins Grund- und Mittelschulcurriculum aufgenommen. Auf dem eben genannten soziokulturellen Hintergrund und wegen der Sprachenpolitik des Landes werden Taiwanisch (Minnanyu), Chinesisch, Hakka und austronesische Sprachen generell entweder als Muttersprache oder als Zweitsprache in unterschiedlicher Chronologie natürlich erworben, also je nach individuellem Familienhintergrund bzw. Erwerbskontext. Aber prinzipiell wächst der Großteil der Einwohner mit Taiwanisch und Chinesisch in einer natürlichen zweisprachigen Sprachumgebung auf, nur in unterschiedlicher Erwerbsreihenfolge, d.h. entweder zuerst Taiwanisch und dann Chinesisch oder umgekehrt (vgl. Lay 2006, 465f.). Die Situation ist vergleichbar mit anderen multilingualen Gesellschaften wie z.B. Indien (vgl. Chaudhuri 2009, 34ff.). Allerdings wird in Taiwan in der Regel Chinesisch als Erstsprache (L1) angesehen, weil es wie schon erwähnt einerseits die Amtssprache von Taiwan ist und andererseits als allgemeine Schrift- und Unterrichtssprache verwendet wird. Deutsch nach Englisch in Taiwan Wie in den meisten Ländern der Welt wird auch in Taiwan Englisch als erste Fremdsprache (L2) an den Schulen gelehrt und gelernt. Ein genauer Überblick darüber wird in 3.1 gegeben. Deutsch wird deshalb grundsätzlich als zweite Fremdsprache nach Englisch im institutionell gesteuerten Kontext gelernt, wie z.B. an den Oberschulen, Universitäten bzw. an außer(hoch)schulischen Institutionen. Aber den didaktischen und methodischen Aspekten der Lernkonstellation „Deutsch nach Englisch“ wird laut Merkelbach (2003, 541) im Rahmen des taiwanischen DaF-Unterrichts noch keine große Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl die Berücksichtigung der Probleme, die durch das Lernen und Lehren des Englischen im Deutschunterricht entstehen, eine bedeutende Hilfe für die Entwicklung der Deutschdidaktik in Taiwan darstellen könnte. Die Forschung in diesem Bereich bezieht sich bis heute vorwiegend auf die sprachlichen Transfererscheinungen von L1 (Chinesisch) und L2 (Englisch) auf L3 (Deutsch), 33 die Nachwirkungen der stei- Truku, Tsou und Yami (vgl. Chen 2005, 24). Sie sprechen z.T. sehr verschiedene austronesische Sprachen. 33 Siehe dazu die Arbeit von Ying-Hui Chen (2005). <?page no="88"?> 88 genden L3-Kompetenz auf L2-Performanz, 34 die Rolle der Sprachbewusstheit beim L3-Lernprozess 35 sowie die didaktischen Überlegungen zum lernstrategisch bedingten Einfluss von L1 und L2 auf L3, also auf die mit dem früheren Chinesischerwerb und Englischlernen einhergehenden (Fremd-) sprachenlernstrategien 36 . Im Hinblick auf die Lehrmaterialentwicklung wurden zwar in den letzten Jahren drei Lehrwerke 37 für Deutsch als zweite Fremdsprache an Senior High Schools publiziert, aber bei deren Konzeption wurde die Lernkonstellation „Deutsch nach Englisch“ auch nicht in Betracht gezogen. Was den Einfluss der früheren Sprachlernerfahrungen auf das universitäre Deutschlernen in Taiwan angeht, lässt sich dies aus zwei Perspektiven betrachten, nämlich aus der Perspektive der Sprachwissenschaft sowie aus der Perspektive der Sprachlernerfahrungen und -strategien. 1) Perspektive der Sprachwissenschaft Hier geht es um das bereits vorhandene bzw. verfügbare Sprachwissen der Lernenden. Zwar dient die Mutterbzw. Erstsprache generell als Basis für das Erlernen weiterer Sprachen, aber für die Deutschlernenden mit Chinesisch als Muttersprache (L1) wird sie zur Hilfssprache für das Verstehen von Vokabeln und Regeln in der Zielsprache, sie fungiert also als Instrument zum Lernen und Verstehen der Zielsprache. Denn die bereits vorhandenen Chinesischkenntnisse stellen in der Anfangsphase des Deutschlernens wegen der verschiedenen Sprachstrukturen keine große Hilfe dar (vgl. 4.1.1). Der Einfluss des Chinesischen auf das Deutsche manifestiert sich häufig in Form von Interferenzen auf der semantischen und syntaktischen Ebene (also Wortwahl und Wortfolge). Hingegen spielen die vorhandenen Englischkenntnisse, die Sprachbewusstheit (also explizites Wissen) und die Reflexion eine positive Rolle im Lernprozess. Das heißt, zum einen könnte das Englische aufgrund der engen Verwandtschaft mit dem Deutschen durch den Sprachvergleich einen lernfördernden Effekt haben, und zwar je nach Lernphasen und Sprachebenen in Bezug auf die Aktivierung und das Anknüpfen an die relevanten Englischkenntnisse. Wie bereits in 1.2.4 erwähnt, kann der Unterrichtende z.B. bei der Grammatikarbeit auf ähnliche bzw. gleiche Strukturen hinweisen, also im morphologischen Bereich (z.B. Flexion je nach Wort- 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Siehe dazu die Abhandlungen von Chris Merkelbach (2000, 2003, 2004). 37 Diese drei Lehrwerke sind Deutsch für Schulen in Taiwan (Chang et al. 2000), Guten Morgen, Deutschland! (Chen et al. 1999) und Willkommen (Lai et al. 2000). <?page no="89"?> 89 klassen) und teilweise im syntaktischen Bereich (z.B. Satzstellung: Relativsatz, Imperativ, W-Fragesatz etc.); zum anderen können aber durch die nähere Sprachverwandtschaft zwischen Englisch und Deutsch auch Interferenzen entstehen und lernbehindernd wirken (vgl. Hufeisen 1994, 5-6, 26-38.). Was dann wirklich passiert, hängt außer von der Unterrichtsgestaltung auch davon ab, ob die Lernenden tatsächlich über genügende Englischkenntnisse verfügen. Das Englischniveau der jeweiligen Lernergruppe ist deshalb von großer Bedeutung und muss bei der Unterrichtsgestaltung mit berücksichtigt werden. Aber generell sollten diese sowohl durch das Chinesische als auch das Englische verursachten Interferenzen durch das Fortschreiten der Deutschkenntnisse vermindert bzw. ausgeglichen werden. 2) Perspektive der Sprachlernerfahrungen und -strategien Abgesehen von individuellen Einflussfaktoren haben die Lernerfahrungen und -strategien einerseits mit der schulischen (Fremd)Sprachendidaktik (also Chinesisch und Englisch) und andererseits mit dem ganzen sozialen Lehr- und Lernumfeld zu tun. Es ist unumstritten, dass das schulische (Fremd)Sprachenlehren und -lernen in Taiwan generell prüfungsorientiert und lehrerabhängig ist und der Unterricht sich wegen der begrenzten Unterrichtsstunden überwiegend auf Vermittlung der prüfungsrelevanten Inhalte richtet. Unter diesen Umständen wird oft ignoriert oder nicht mit berücksichtigt, dass angemessene Lernstrategien und Arbeitstechniken in den Unterricht integriert und vermittelt sowie geübt werden sollten. Dies hat zur Folge, dass die Lernenden in Taiwan mangels gezielten Trainings nur über ungenügende Kenntnisse und Fähigkeiten in diesem Bereich besitzen, und diese später (nach der allgemeinen Schulbildung) beim weiteren Fremdsprachenlernen (z.B. hier beim Deutschlernen) dementsprechend auch nicht angemessen angewendet werden können. Außerdem fehlt den Lernenden infolge des prüfungsorientierten und lehrerabhängigen Lernens generell die Fähigkeit, selbstverantwortlich und selbstständig zu lernen. Dies zeichnet sich laut Chang (2002, 92) später im Unterrichtsverhalten der DaF-Studierenden ab, während die Unterrichtenden neue Lernmethoden im Unterrichtsverlauf zu vermitteln oder einzuführen versuchen. Sie beschreibt diesen kausalen Zusammenhang in ihrer Arbeit wie folgt: „Die Lernenden haben in der Schule nie gelernt, Fragen zu stellen oder ihre Meinung zu äußern. Es fällt ihnen noch schwerer, dies in der Fremdsprache zu tun. Dieses Verhalten der Lerner ist auch dort festzustellen, wo die Lehrer neue Lernmethoden einführen möchten, die eine größere Selbstständigkeit der Studierenden erfordern. Dadurch sehen sich die Lehrer wiederum ge- <?page no="90"?> 90 zwungen, weiterhin ihre leitende Rolle im Unterricht zu übernehmen, auch wenn sie dies eigentlich nicht mehr wollten.“ (Chang 2002, 92) Dies hat seine soziokulturellen Wurzeln (vgl. 4.2.2), und die daraus gewonnenen Lernerfahrungen und -methoden (z.B. Auswendiglernen, Lernen mit dem Wörterbuch bzw. Translator, mechanisches Lernverfahren 38 etc.) haben somit immer noch tiefgehende Auswirkungen auf die Deutschlernenden und äußern sich in bestimmten Lernverhalten (z.B. Einstellungen, Lerngewohnheiten etc.) sowie Lernweisen (z.B. Lerntechniken, Lernstrategien etc.). Sie werden in nicht wenigen wissenschaftlichen Arbeiten diskutiert, wie z.B. bei Kleppin (1987), Hess (1992), Lohmann (1996), Mitschian (1997), Chang (2002), Merkelbach (2003), Chen (2005), Zeilinger (2006), Tian (2008) etc. 2.2 Motivation Motivationsbegriffe Die Motivation spielt eine große Rolle beim L2-Lernen und wird laut Dörnyei (2001, 1) als der wichtigste Einflussfaktor beim L2-Lernprozess betrachtet. Diese Einschätzung stützt sich auf die Beobachtung, dass sich die Motivation im Laufe des L2-Lernprozesses verändern kann und dies auch den Lernerfolg, das Verhalten innerhalb und außerhalb des Unterrichts etc. beeinflusst. Obwohl die Motivation beim L2-Lernen bereits seit langem intensiv erforscht worden ist, stimmen die Forscher in der Begriffsklärung bzw. Definition dieses Ausdrucks nicht überein. Ich folge hier der Auffassung von Schiefele (1978, 28f.), der die Motivation sowohl als Prozess der Motivaktivierung als auch den daraus resultierenden vorläufigen psychischen Zustand darstellt. Dieser Zustand, in dem man zu einem bestimmten Verhalten bereit ist, wird durch verschiedene Motive verursacht (vgl. Karppinen 2005, 3). Deshalb wird die Motivation auch als Verhaltensbereitschaft bezeichnet. Und die Motive werden im Prinzip definiert als die inneren Antriebskräfte bzw. die Beweggründe, die den Menschen zu einer konkreten Bewegung bringen, also Handlungen in Gang bringen. Was die beiden obengenannten Begriffe im Bereich des Fremdsprachenlernens anbetrifft, bezieht sich die Motivation auf die Lernbereitschaft, die sich durch aktive, zielgerichtete Aufmerksamkeit sowie Anstrengung in einem beobachtbaren Lernzustand abzeichnet, wie z.B. Anstrengungen zum Erlernen der Zielsprache zu unternehmen (vgl. Rost-Roth 2001, 714f.; Storch 1999, 327). Bei den 38 Das mechanische Lernverfahren ist ein Lernvorgang, in dem Lernende das Gelernte kleinschrittig nach bestimmten Formen ständig imitieren und wiederholt einüben müssen. <?page no="91"?> 91 Motiven handelt sich es um die Gründe bzw. Faktoren, die den Menschen zum L2-Lernen veranlassen bzw. ihn dabei steuern. Überblick über die Konzeptionen und Arten der Motivation Hier soll ein Überblick über die von verschiedenen Theorieansätzen ausgehenden und besonders häufig diskutierten Motivationsarten gegeben werden, die für die vorliegende Arbeit relevant sind. Ziel ist es, eine Kategorisierung der Motivationen der untersuchten Lernergruppen herauszuarbeiten (vgl. 7.1.2). Zunächst lassen sich zwei Motivationsmodelle, die unterschiedlich empirisch untersucht und belegt worden sind, voneinander differenzieren, nämlich die instrumentelle vs. integrative Motivation und die intrinsische vs. extrinsische Motivation. Die Unterscheidung zwischen den ersten zwei Arten wurde von Gardner und Lambert (1972) aufgestellt und geht vorwiegend von der sozialpsychologischen sowie sozialedukativen Perspektive aus. 39 Ein instrumentell Motivierter lernt eine Fremdsprache, wenn er ihre Nützlichkeit für die Praxis erwägt, wie z.B. bessere Arbeitsmöglichkeiten, berufliche Anforderungen, der Wunsch, in die Zielsprachenländer zu reisen oder dort zu studieren etc. Im Gegensatz dazu lernt der L2-Lernende mit integrativer Motivation eine Fremdsprache aus persönlichem Interesse für Menschen, Gesellschaft und Kultur der Zielsprache, weil er sich mit den Zielsprachlern identifizieren, Kontakt mit Zielsprachlern aufnehmen oder sich in die soziokulturelle Umgebung der Zielsprache integrieren möchte. Diese beiden Motivationsarten von Gardner und Lambert (ebd.) wurden in einem zweisprachigen Lernkontext in Kanada untersucht und danach verallgemeinert bzw. auf weitere Lernkontexte ausgedehnt. Genau dies ist einer der Kritikpunkte an diesem Motivationsmodell, es wird moniert, dass die in diesem zweisprachigen Lernkontext entwickelte Dichotomisierung der Motivationen sehr einseitig und beschränkt ist. In Wirklichkeit kommen beim L2-Lernen nämlich vielfältige Motivationsfaktoren („Multikausalkomplex“ genannt) ins Spiel, die aber je nach Lernkontexten unterschiedlich ins Gewicht fallen. Die Dichotomisierung ist also aufgrund des beschränkten Gel- 39 Die sozialpsychologische und sozialedukative Konzeption von Gardner und Lambert (1972) geht davon aus, dass die Lernmotivation eng mit der Einstellung bzw. Orientierung gegenüber (oder dem Kontakt zu) der Zielsprache, dem Zielsprachenland, der Zielkultur sowie den Zielsprachensprechern etc. verbunden ist und dadurch bestimmt wird (vgl. Rost-Roth 2001, 714ff.; Kirchner 2004, 2). Denn durch die soziokulturell bedingten Einflüsse besteht eine Wechselwirkung zwischen Motivation und Lernerfolg sowie Lerneinstellung. Das heißt, dass sich die Motivation sowohl auf den Lernerfolg beim L2-Lernen bzw. -Erwerb als auch auf die Lerneinstellung während des L2-Lernprozesses auswirkt. Von daher wird sie nicht nur als ein entscheidender Faktor zum Lernerfolg angesehen, sondern auch als ein Antrieb für das L2-Lernen. <?page no="92"?> 92 tungsbereichs und der beschränkten Anwendbarkeit umstritten, d.h., sie ist auf andere Lernsituationen nicht unbedingt übertragbar, z.B. in einer nicht zielsprachigen Umgebung, im institutionell gesteuerten Kontext etc. Ein anderes Problem besteht laut Kleppin (2001, 221) darin, dass sich dasselbe Motiv (z.B. ins Zielland fahren) manchmal sowohl unter „instrumentell“ als auch „integrativ“ einordnen lässt. Zum anderen können zwei verschiedene Motivationsarten auch gleichzeitig bei ein- und demselben Lerner vorhanden sein. Trotz dieser Kritik hat das Modell von Gardner et al. 40 einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der späteren L2-Motivationsforschung geleistet, weil dadurch klar wurde, dass der Einfluss des soziokulturellen Kontextes auf die Motivation eines Lerners nicht zu unterschätzen ist, obwohl er natürlich nicht den einzigen Einflussfaktor darstellt, der für Stärke und Schwankung der Motivation verantwortlich ist. Das zweite Modell, also die intrinsische vs. extrinsische Motivation, ist sozusagen eine Erweiterung des ersten, denn es hat einige Elemente des ersten in sich aufgenommen. Z.B. semantisch ist „identified“ gleich wie instrumentell, und „integrated“ gleich wie integrativ. (s.u.) Die Dichotomie von intrinsischer und extrinsischer Motivation geht auf die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1985) in Bezug auf das selbst bestimmte und regulierte Lernen (also Verhalten) zurück. Die intrinsische Motivation äußert sich in Handlungen, die man freiwillig entweder aus eigenem Interesse an etwas oder aus einem inneren Bedürfnis nach Selbstentwicklung und -verwirklichung spontan durchführt, wie z.B. Interesse am Lerngegenstand (also an der Sprache selbst), Spaß am Lernen und an der Lernaktivität, Erfolgserwartung, intellektuelle Neugier etc. Dabei sind das Gefühl der Selbstbestimmung und das Gefühl der eigenen Tüchtigkeit sehr bedeutsam, denn dies bezieht sich nicht nur auf einen hohen Grad der Selbstbestimmung, sondern bezeichnet auch eine selbst gewählte und gewollte Herausforderung an die eigenen Fähigkeiten (vgl. Kleppin 2001, 222; Riemer 2006, 39). Hingegen liegt die extrinsische Motivation dann vor, wenn die Handlung durch äußere Anreize bzw. Einflüsse zu instrumentellen Zwecken bestimmt ist (z.B. Belohnung, Druck, soziale Anerkennung, Lernkonkurrenz zwischen Mitstudenten, gute Zeugnisse etc.). Die extrinsische Motivation kann durch vier von Deci u.a. (1991) unterschiedene Arten der Regulation in Hinsicht auf den zunehmenden Grad der Selbstbestimmung verursacht werden, nämlich: 40 Also, z.B. Gardner/ Lambert (1972), Lukmani (1972), Düwell (1979), Gardner/ Tremblay (1994a, 1994b), Oxford/ Shearin (1994) etc. <?page no="93"?> 93 1) external regulation Dies bezieht sich auf die äußeren Faktoren bzw. Bedingungen, die Auswirkungen auf den Lernenden haben, wie z.B. Lob, Anerkennung, soziales Umfeld, Prüfungen, gute Noten, Vermeiden von Konflikten mit Lehrperson bzw. Eltern etc. Im Vergleich zu den unten angeführten drei Arten ist der Grad der Selbstbestimmung dabei ziemlich niedrig. 2) introjected regulation Mit diesem Begriff bezeichnet man eine Handlung, die durch äußeren Druck verursacht und aus einem Pflichtgefühl zur Vermeidung von Schuldgefühlen heraus ausgeführt wird, wie z.B. Hausaufgaben erledigen, pünktliches Erscheinen beim Unterricht (vgl. Riemer 2006, 39). 3) identified regulation Damit ist gemeint, dass der Lernende die Nützlichkeit der zu erlernenden L2-Sprache und deren Werte erkennt, wie z.B. bessere Arbeitschancen, Studium bzw. Weiterbildung in den Zielsprachenländern etc. Deshalb wird mit einem höheren Grad an Selbstbestimmung gelernt. 4) integrated regulation Diese Motivationsart geht von eigenem Interesse und Bedürfnis des Lernenden aus und erfordert den höchsten Grad an Selbstbestimmung, wie z.B. Interesse an Sprache und Kultur des Ziellands etc. Deswegen wird laut Riemer (ebd.) hier die Lernaktivität (oder die Motivation) als Teil der eigenen Persönlichkeit und als Ausdruck eines eigenen Bedürfnisses angesehen. Mit anderen Worten: Die intrinsische und extrinsische Motivation hängt mit dem abgestuften Kontinuum der selbstbzw. fremdbestimmten Regulierung zusammen. Kirchner (2004, 3) interpretiert die von Deci und Ryan unternommene Kategorisierung dahingehend, „dass intrinsische Motivation grundsätzlich mit einem hohen Maß an Selbstbestimmung verbunden ist. Extrinsische Motivationstypen hingegen ordnen sie entlang des oben genannten Kontinuums in Typen, die gar nicht oder nur wenig selbstbestimmt sind, bis hin zu Motivationsausprägungen, die stark selbstbestimmt sind.“ Durch das folgende modifizierte Diagramm (Abb. 2-3) nach Bles (2002, 239) wird das Verhältnis zwischen den beiden Motivationsarten in Hinsicht auf den Grad an Selbstbestimmung veranschaulicht. <?page no="94"?> 94 externalisierte Regulation Abb. 2-3: Kontinuum der Selbstbestimmung zum Lernen hoch niedrig Zusammenfassend lässt sich die Motivation beim L2-Lernen, die durch sehr verschiedene Motive (also Gründe bzw. Faktoren) bestimmt wird, aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität unter unterschiedlichen konzeptionellen Aspekten betrachten. Die Motive für das L2-Lernen können darüber hinaus soziokultureller, psychischer bzw. kognitiver Art sein und stehen in einem unauflösbaren Zusammenhang z.B. mit den individuellen Persönlichkeitsvariablen (also etwa Vorerfahrungen mit anderen Fremdsprachen), den soziokulturell bedingten Einflüssen (also Einstellungen und Kontakte zum Zielsprachenland, zur Zielsprache und -kultur), der Lernsituation bzw. unterrichtsbezogenen Aspekten etc. Die Frage, welche Art der o.g. Motivationen sich günstiger auf das L2-Lernen auswirkt als die anderen und somit zu größerem Lernerfolg führt, hängt einerseits davon ab, in welchem sozialen und kulturellen Kontext das L2-Lernen stattfindet, wie z.B. in einem monolingualen, bilingualen, institutionellen Kontext bzw. in einer natürlichen zielsprachigen Sprachumgebung. Außerdem kommt es selbstverständlich noch darauf an, welche Rolle die individuellen Unterschiede (also Lernervariablen) dabei spielen und wie sie in verschiedenen Erklärungsansätzen interpretiert werden. Man ist sich in der Forschung über manche dieser Punkte noch nicht ganz klar und einig, weil die einzelnen Lernerbzw. Persönlichkeitsvariablen schwierig erfassbar, nachweisbar 41 oder wegen der methodischen Unterschiede bei der Auswertung nicht vergleichbar sind. 41 Wie z.B. ob eine positiv Einstellung tatsächlich L2-Lernerfolg bewirkt? (vgl. Kniffka/ Siebert-Ott 2007, 64). intrinsisch motiviertes Lernen extrinsisch motiviertes Lernen integrated regulation identified regulation introjected regulation external regulation internalisierte Regulation <?page no="95"?> 95 Trotzdem ist insgesamt zu bemerken, dass der affektive Faktor Motivation nicht isoliert (also aus einer Sichtweise allein) betrachtet werden kann und möglichst mit anderen Einflussfaktoren aus unterschiedlichen Sichtweisen gemeinsam berücksichtigt werden muss. Deshalb werde ich im Folgenden noch genauer auf diese Einflussfaktoren eingehen, und zwar in Bezug auf die Lernmotivation bei den Deutschstudierenden an taiwanischen Universitäten. Einflussfaktoren auf die Motivation beim L2-Lernen In der neueren Motivationsforschung zum L2-Lernen wird der Schwerpunkt nicht mehr auf die Unterscheidung zwischen den o.g. Motivationsarten, sondern vielmehr auf die beobachtbaren Phänomene von Motivation, die Analyse der Motivations- und Persönlichkeitsvariablen sowie deren Zusammenhang gelegt, und zwar in Hinsicht auf die verschiedenen L2- Lernsituationen. Im Wesentlichen 42 lassen sich die Faktoren (also Gründe), die die Motivation beim L2-Lernen bzw. im Lauf des Lernprozesses beeinflussen und so deren Stärke bestimmen, unter drei folgenden Blickpunkten betrachten, nämlich in Bezug auf 1. Allgemeine Rahmenbedingungen - Familiärer Einfluss - Offizielle und private Kontakte zum Zielsprachenland und zu Zielsprachlern - Soziale Stellung der Zielsprache - Einstellungen der Gesellschaft gegenüber der Zielsprache, dem - Zielsprachenland, der Zielkultur sowie den Zielsprachensprechern etc. 2. Individuelle Persönlichkeitsvariablen - Lernerfahrungen mit anderen Fremdsprachen - Einstellungen zum L2-Lernen - Erfolgserwartungen - Interesse an Wissensaneignung - Kurzfristige und langfristige Ziele 3. Unterrichtskontext - Lehrperson - Unterrichtsmaterial - Unterrichtsgestaltung 42 Vgl. Dörnyei (1994, 1998), Kleppin (2001, 223), Storch (1999, 327f.), Riemer (2006, 36f.). <?page no="96"?> 96 - Unterrichtsaspekte, z.B. Lehrer-Schüler-Beziehung, Lernklima etc. Diese drei Punkte stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Lernmotivation und wirken durch ihre Wechselwirkungen zueinander auf die aktuelle Motivation und Einstellung zum Lernen des Individuums ein. Dies verdeutlicht Storch (1999, 327) durch die folgende Abb. 2-4 (Motivieren und Motivation) in seinem Buch: Abb. 2-4: Motivieren und Motivation Denn die Motivation ist, wie angesprochen, einerseits eine affektive Variable, aber sie wirkt immer je nach soziokulturellen Bedingungen bzw. Kontexten mit kognitiven, attitudinalen und anderen affektiven Variablen 43 zusammen. Deshalb beziehen sich die allgemeinen Rahmenbedingungen hier 43 Die kognitiven Faktoren beziehen sich z.B. auf Sprachbegabung, Intelligenz, Sprachlernerfahrungen etc. Die attitudinalen und anderen affektiven Faktoren enthalten z.B. die Einstellung zur Zielsprache bzw. -kultur und Angst, Empathie, Interesse etc. ihr gegenüber. <?page no="97"?> 97 auf die soziokulturell und politisch bedingten Einflüsse. Dabei sind drei Faktoren für die vorliegende Arbeit besonders relevant. Erstens, der Faktor familiärer Einfluss (z.B. Eltern, Verwandte) ist in Taiwan, wo die Gesellschaft konfuzianisch geprägt ist, bei der Studienwahl oder während des Studiums nicht zu unterschätzen. Denn die Eltern werden im konfuzianisch geprägten Sprach- und Kulturraum aufgrund der Autoritätsgläubigkeit und des hierarchischen Denkens auch wie Lehrer als Autoritätspersonen respektiert und haben deshalb einen bestimmten Einfluss auf den Lernprozess und die Lerneinstellung ihres Kindes (vgl. 4.2). Die Beziehung (oder Wechselwirkung) zwischen dem Elternmotiv und dem (Deutsch)Lernen wird später in 7.1.2 noch eingehender erörtert. Zweitens, die Kontakte zum Zielsprachenland und zu Zielsprachlern werden auch als ein wichtiger, unübersehbarer Einflussfaktor angesehen. Im Fall der taiwanischen Studierenden fehlen oft diese Kontakte sowie eine geeignete Sprachumgebung, was zu mangelnder Motivation führt. Laut Lay (2008, 24f.) ist das Deutschlernen in Taiwan deshalb für viele Studierende ein isolierter Lernprozess. Tamm und Ibitz (2007, 164f.) beschreiben dies in ihrem Aufsatz wie folgt: „Eine erhebliche geographische und kulturelle Distanz zum Zielsprachenland, wie es besonders für Taiwan zutrifft, behindert die Aufnahme von Kontakten zu deutschen Zielsprachlern und erschwert damit die außerschulische Sprachanwendung.“ Drittens kann sich die soziale Stellung der Zielsprache in einem Land entweder fördernd oder hemmend auf die Lernmotivation und den Lernwillen auswirken. In Taiwan stehen Deutsch und die anderen europäischen Sprachen (z.B. Französisch, Spanisch etc.) aufgrund der realen Bedingungen und der oben genannten Gründe (also geografische, kulturelle Distanz und mangels alltäglicher Anwendungsmöglichkeit bzw. authentischer Kommunikationssituationen) hinter dem Englischen und Japanischen (vgl. Kap 3). Die genaueren Daten dazu werden in Kap. 7.1 (Lernerbezogene Probleme) vorgestellt. Bei den Persönlichkeitsvariablen werden zwei Punkte berücksichtigt, die in der vorliegenden Arbeit von besonderer Bedeutung sind, nämlich Lernerfahrungen mit anderen L2 und Einstellungen zum L2-Lernen. Die Lernenden bringen ja ihre früheren Lernerfahrungen mit der ersten Fremdsprache (z.B. Englisch) und die damit einhergehenden Einstellungen beim Erlernen der zweiten Fremdsprache (z.B. Deutsch) mit. Es geht hier also um den Einfluss der Erfahrungsübertragung, d.h., wie sich die Vorerfahrungen mit der ersten Fremdsprache auf die spätere Einstellung beim Erlernen der zweiten Fremdsprache auswirken. Im Wesentlichen wird laut Chang (2002, 90f.), Tamm und Ibitz (2007, 177ff.) die Motivation zu lernen bei den taiwanischen Lernenden fast nur durch die Prüfungsdruck bestimmt. Dieses Leis- <?page no="98"?> 98 tungsdenken gehört zu den Auswirkungen des Konfuzianismus auf Lerntradition und Lerngewohnheiten (vgl. 4.2.2) und existiert deshalb in vielen konfuzianisch geprägten Ländern Asiens. Dies hat natürlich einen unvermeidbaren und nachhaltigen Effekt auf die Einstellung gegenüber dem Deutschlernen und dem Unterricht, es könnte laut Dörnyei (1994, 275f.) zur Reduzierung der intrinsischen Motivation führen. Im L2-Erwachsenenunterricht wird die Motivation als steuernder Faktor angesehen, deshalb spielt die Lehrperson in diesem unterrichtlichen Kontext eine sehr große Rolle: Mit ihrem Verhalten kann sie die Motivation der Lernenden verstärken oder verringern. Es hängt zum Teil auch von der Lehrperson ab, ob der Unterricht zu einem Lernerfolg führt oder nicht, und dies hängt alles von verschiedenen methodischen, didaktischen und unterrichtspraktischen Elementen ab, also Unterrichtsmaterial, Unterrichtsgestaltung, Lehrer-Schüler-Beziehung, Lernklima im Klassenzimmer etc. Alle diese Elemente bestimmen die Stärke der Lernmotivation (also Zunahme bzw. Abnahme an Motivation), die Motivation wird deshalb als Ergebnis des Zusammenspiels dieser Komponenten angesehen. Im Folgenden sollen nun noch ein paar Anregungen für einen motivierenden L2-Unterricht gegeben werden, und zwar in Bezug auf die für die vorliegende Arbeit relevanten Faktoren. Das Unterrichtsmaterial bzw. die dadurch zu vermittelnden Inhalte und Themen sollte sowohl das Interesse und die Neugier des Lernenden wecken als auch die Anwendbarkeit mit berücksichtigen, denn sonst kann es auch zur Demotivation führen (vgl. Düwell 1983a; 1983b). Deshalb ist es auf die Wahl motivierender, aktueller, geeigneter sowie authentischer Materialien zu achten. Was die Unterrichtsgestaltung (Unterrichtsplanung und -durchführung) anbetrifft, soll der Lehrende den Unterricht möglichst abwechslungsreich gestalten, wie z.B. durch Wechsel der Sozialformen, kooperative Arbeitsformen, den Einsatz digitaler Medien, verschiedene Übungs- und Spielformen etc. (vgl. Storch 1999, 335; Dörnyei 1994, 279). Wenn sich die Lehrer-Schüler-Beziehung als ein hierarchisches Verhältnis darstellt, wie z.B. in Taiwan, könnte es sein, dass die Lernenden deswegen im Unterricht leichter Angst vor der Lehrperson haben. Die so entstehende Angst und Ehrfurcht fördern jedoch nicht unbedingt das L2-Lernen, weil es generell verschiedene Lerntypen in einer Klasse gibt und jeder dieselbe Unterrichtssituation anders empfindet. Laut Kleppin (2002, 28) und Krenn (2002, 39) wird die Lehrperson häufig als die entscheidende Motivationskraft bezeichnet, denn sie hat im interaktiven Unterricht direkten Einfluss auf die Motivation ihrer Lernenden. D.h., die Einstellungen der Lehrperson den Lernenden gegenüber und die Einstellung der Lernenden ihr gegenüber üben einen großen Einfluss auf die Motivation und die unterrichtliche Interaktion aus. Deshalb ist eine positive und har- <?page no="99"?> 99 monische Lehrer-Schüler-Beziehung für die Lernmotivation und den Lernerfolg im konfuzianisch geprägten unterrichtlichen Kontext von zentraler Bedeutung. 2.3 Lerneinstellung Begriffserklärung Die Einstellung der Lernenden zum (Fremdsprachen)lernen wird generell als einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf den Lernerfolg bzw. die Lernleistung angesehen und deshalb in der Fremdsprachendidaktik und -erwerbsforschung häufig mit weiteren Lernvariablen z.B. Motivation, Sprachlernerfahrungen etc. zusammen untersucht und zur Diskussion gestellt. 44 Mit dem Begriff Einstellung bezeichnet man die Attitüde oder die innere Haltung des Menschen gegenüber Personen bzw. Dingen, die sich durch die Wahrnehmung und Bewertung gemachter Erfahrungen ausdrückt. Deswegen beschreibt die Lerneinstellung nicht nur die Nachwirkungen der früheren Lernerfahrungen auf das aktuelle Erleben und Lernverhalten und insbesondere auf die Wahrnehmung der aktuellen Lernkonstellation, sondern beinhaltet auch die Bereitschaft zu einer bestimmten Handlung (vgl. Tewes / Wildgrube 1992, 76). Diese Bereitschaft zeigt sich in der Handlung und fungiert als Orientierung und Motivierung. Einflussfaktoren auf die Einstellung zum L2-Lernen Beim L2-Lernen wirken die obengenannten lernerbezogenen Faktoren je nach Korrelation mehr oder weniger stark aufeinander ein, und sie können sich auch je nach Lernkontext (also etwa Fremdsprache bzw. Zweitsprache) unterschiedlich auf die Lernenden auswirken (vgl. Edmondson / House 2006, 203). Für die vorliegende Arbeit ist vor allem die Lerneinstellung im fremdsprachlichen Lernkontext von Bedeutung, weil die DaF-Studierenden in Taiwan das Deutsche genau in dieser Konstellation lernen. Die positive bzw. negative Lerneinstellung zur Zielsprache kann sowohl durch externe als auch lernerinterne Faktoren entstehen und dann das Lernverhalten beeinflussen. Bei den externen Faktoren geht es hier um die umweltbedingten und soziokulturellen Ursachen, die von der Außenwelt an den Lernenden herangetragen werden. Die lernerinternen Faktoren hingegen beziehen sich auf die affektiven und kognitiven Reaktionen des Individuums, die durch Emotionen, Ansichten, Vorstellungen, Wahrnehmung etc. zustandekommen. Aus soziopsychologischer Sicht steht die Lerneinstellung mit der sozialen Umwelt und dem lernenden Individuum in einem ursächlichem Zusam- 44 Z.B. Gardner/ Lambert (1972), Gardner (1985), Dörnyei (2001), Dörnyei/ Schmidt (2001) etc. <?page no="100"?> 100 menhang, denn die Gedanken und die Haltung des Menschen werden von der soziokulturellen Umwelt geprägt, und dies hat zweifellos auch Einfluss auf das menschliche Lernverhalten. Das heißt, die Lerneinstellung wird als ein sich durch die Interaktion zwischen dem gesellschaftlichen Umfeld und den individuellen affektiven sowie kognitiven Faktoren ergebendes Produkt betrachtet. Hier wird in erster Linie die Bedeutung des soziokulturellen Hintergrunds der Lernenden hervorgehoben, da er eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Lerneinstellung spielt. Jeder Kulturkreis hat seine eigene Lernkultur (also kulturspezifische Lerntradition) und eine eigene soziale Werteorientierung, die im Laufe der schulischen Sozialisation die Lernweise und den Lernprozess der dort aufgewachsenen Lernenden prägt. Dies wird oft nicht bewusst wahrgenommen, sondern diese soziokulturellen Einflüsse werden verinnerlicht und spiegeln sich unvermeidbar im Lernverhalten und in der Lerntätigkeit (z.B. Gewohnheiten, Einstellungen der Lernenden zum Lernen generell) sowie in den Lernperspektiven (also kognitive Aspekten des Lernens) wider. Erst so werden sie beobachtbar. Außerdem spielen die Lernerfahrungen und deren Nachwirkungen an dieser Stelle auch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn aus psychologischer Sicht lässt sich die Lerneinstellung auf die früheren gemachten Lernerfahrungen zurückführen, da sie sich wie bereits erwähnt daraus ergibt und dadurch organisiert. In einer konfuzianisch geprägten Gesellschaft wie Taiwan steht die Lerneinstellung mit den historischen und soziokulturellen Hintergründen sowie den daraus resultierenden Lernerfahrungen in einem sehr engen ursächlichen Zusammenhang. In Taiwan geht es hauptsächlich um die soziokulturelle Prägung in Bezug auf die mit der konfuzianischen Gedankenwelt - insbesondere der Beamtenprüfung - zusammenhängenden Lern- und Lehrtraditionen (vgl. 4.2). Aus diesem Grund werde ich im Folgenden den Fokus darauf legen, welche Einstellungen der Deutschlernenden zum Lernen sich in Taiwan generell aus der eben erwähnten Situation ergeben bzw. dadurch stark beeinflusst werden. Allgemeine Einstellungen zum Lernen in Taiwan Die von den spezifischen soziokulturellen Bedingungen geprägten Lerneinstellungen, die sich im Laufe der schulischen Sozialisation in gewissem Maße bereits unbewusst befestigt haben, äußern sich während des DaF- Unterrichts konkret in einem charakteristischen Lernverhalten, das wie folgt beschrieben werden kann: 45 45 Vgl. Shr (1994), Lohmann (1996), Mitschian (1999a), Chang (2002) etc. <?page no="101"?> 101  prüfungs- und leistungsorientiert  lehrerabhängig und rezipierend  passiv und zurückhaltend Manche Forscher sind sogar der Ansicht, dass man diese Verhaltensweisen sogar als „mentalitätsbedingt“ betrachten kann (vgl. Sprenger 1974, 186; Chang 2002, 92). Die oben angeführten Merkmale können sowohl als externe Manifestation der Lerneinstellungen als auch als Lernphänomen angesehen werden. Sie haben hier zwar einen bestimmten Einfluss auf den Lehr- und Lernprozess im DaF-Unterricht, aber ihr Verhältnis zum Lernerfolg ist trotzdem nicht unbedingt direkt proportional. Den Grund dafür beschreiben Lightbown und Spada (2006, 63) folgendermaßen: „ (...), it is difficult to know whether positive attitudes produce successful learning or successful learning engenders positive attitudes, or whether both are affected by other factors. “ Trotzdem ist unumstritten, dass die Lerneinstellungen der Lernenden zu einem bestimmten Grad nicht nur die Lernergebnisse beeinflussen, sondern zugleich auch die Lehrmotivation, die Aktivitäten der Lehrperson während des Unterrichts, die Unterrichtsinteraktion, das Unterrichtsgeschehen allgemein und das Klassenklima. Diese Konstellation wird durch folgende Aussage der im empirischen Teil untersuchten Lehrperson F bestätigt: „ (...) an der Uni habe ich oft das Gefühl, ich sei ein Pferd, das einen schweren Wagen zieht, auf dem alle Studenten sitzen (...) Sie sitzen nur passiv, still darauf und keiner hilft mit, ihn zu schieben! Das ist manchmal wirklich frustrierend und enttäuschend. Die meisten Studenten interessieren sich nur dafür, was in der Prüfung geprüft wird und ob sie eine genügende bzw. gute Note erhalten. Wie soll man da lernerzentrierten Unterricht machen, wenn von den Studenten her einfach nichts kommt? “ Obwohl der Lernerfolg und ein erfolgreicher Unterricht in der Realität von vielen unterschiedlichen Variablen 46 abhängig sind, kann man doch sagen, dass für den universitären DaF-Unterricht in Taiwan die Lerneinstellung der Lernenden von besonderer Bedeutung ist. Die durch die konfuzianische (Unterrichts)tradition und die konfuzianisch geprägte Lehrer-Schüler- Beziehung (vgl. 4.2.2 und 4.2.3) entstandenen Einstellungen der Lernenden zum Lernen haben nach vielen DaF-Wissenschaftlern 47 generell einen weniger förderlichen Einfluss auf das aktuelle Lernverhalten und Unterrichtsge- 46 Z.B. Lernmotivation, Kenntnis von Lernstrategien, Verhaltensweise des Lehrenden, Unterrichtsgestaltung, -durchführung, -stoffe etc. 47 Siehe dazu Sprenger (1974), Mitschian (1991, 1992, 1997, 1999a), Chang (2002), Kärchner-Ober (2009) etc. <?page no="102"?> 102 schehen im chinesischen Sprach- und Kulturraum sowie in anderen südbzw. ostasiatischen Länder (z.B. Vietnam, Malaysia, Japan, Korea etc.), und zwar in Bezug auf Lernwillen, Lernmotive, selbstständiges Lernen, aktive Mitarbeit etc. Wie Mitschian (1999a, 53) bemerkt, besteht ein wesentliches Problem darin, dass das Wissen für den Großteil der ostasiatischen Lernenden vielmehr als Mittel zum Zweck des Zertifikaterwerbs als zur Erweiterung des eigenen Wissenshorizonts und zum Erwerb von Fachkompetenzen dient. Darüber hinaus werden diese Einstellungen zum Deutschlernen, wie Chan (1995, 42) bereits im singapurischen Lernkontext erkannt hat, noch durch die große geografische Entfernung zum Zielsprachenland begünstigt, weil ihnen in der Lernumgebung die Möglichkeiten zur authentischen zielsprachlichen Anwendung bzw. Kommunikation fehlen. Die DaF-Lehrkräfte und -Forscher in Taiwan haben dieses Problem zwar auch seit langem erkannt, aber es wird ohne eine didaktische und methodische Reform des Schulsystems und entsprechende gesellschaftliche Veränderungen als fast unlösbar angesehen. Im Verlauf der Arbeit soll weiter erforscht und erklärt werden, welche Probleme durch die gesellschaftlich und kulturell bedingte Lerneinstellung verursacht werden und hemmend auf das Grammatiklernen und -lehren im universitären DaF-Unterricht wirken. <?page no="103"?> 103 3 Deutsch als zweite Fremdsprache in Taiwan Im vorliegenden Kapitel steht die Entwicklung des Deutschunterrichts in Taiwan an Oberschulen (Senior High School), Universitäten und berufsbildenden Hochschulen im Mittelpunkt. Schwerpunkte bilden dabei nicht nur die Rahmenbedingungen, das Curriculum, die Lehrkräfte sowie die Infrastruktur, sondern auch die bisherigen Schwierigkeiten und die Diskussion um die curriculare Reform in der taiwanischen Germanistik 48 . Anschließend wird auf die Grammatikvermittlung im Rahmen des Germanistikbzw. Deutschstudiums eingegangen, und zwar in Bezug auf die Unterrichtsplanung und das faktische Unterrichtsgeschehen. Zunächst aber wird ein Überblick über die generelle Situation des Fremdsprachenlernens in Taiwan gegeben. 3.1 Fremdsprachenlernen in Taiwan In Taiwan ist erste Fremdsprache das Englische, das als Pflichtfach in den Mittelschulen (Junior High School) und in den Oberschulen (Senior High School) insgesamt sechs Jahre lang unterrichtet wird. Im Jahr 2001 wurde die taiwanische Bildungspolitik, die Englischunterricht erst ab der Junior High School vorsah, geändert. Ein Grund dafür war, dass taiwanische Schüler im Vergleich zu Schülern in anderen Ländern zu spät mit Englisch anfingen, nämlich erst in der Junior High School, also mit 12 Jahren. Außerdem hielt das taiwanische Erziehungsministerium es für nötig, die Englischkenntnisse der taiwanischen Bürger zu verbessern, damit Taiwan in einer globalisierten Welt konkurrenzfähig bleiben kann. Deshalb „wurde Englischunterricht nach dem offiziellen Curriculum, den General Guidelines of Grade 1-9 Curriculum of Elementary and Junior High School Education ( 國民 中小學九年一貫課程綱要 ), seit 2001 gleichzeitig im fünften und sechsten Grundschuljahr als Pflichtfach eingeführt, und seit 2005 ist der Besuch des 48 Unter Germanistik versteht man hier die sog. Auslandsgermanistik, die nicht identisch mit der Germanistik in Deutschland ist. Sie betrifft zwar die germanistische Sprach- und Literaturwissenschaft als Bezugswissenschaft, aber umfasst zugleich auch die Vermittlung der grundlegenden Sprachkenntnisse und berufssowie praxisbezogener Inhalte. <?page no="104"?> 104 Englischunterrichts auch im dritten und vierten Grundschuljahr obligatorisch“ 49 . Nach Englisch steht Japanisch auf dem zweiten Platz der beliebtesten Fremdsprachen (vgl. Chen 2005; auch Lay 2009). Das hat historische Gründe und hängt auch mit den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Taiwan und Japan zusammen. 1895 musste China nach der Niederlage im Jiawu-Krieg die Insel Taiwan, die seit 1683 chinesisches Staatsgebiet gewesen war, an Japan abtreten. So wurde Taiwan eine japanische Kolonie und blieb es fünfzig Jahre lang, bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. In dieser Periode der Kolonialherrschaft durften Taiwaner in der Öffentlichkeit nur Japanisch miteinander sprechen; Taiwanisch, Hakka 50 , Chinesisch und austronesische Sprachen 51 hingegen waren gesetzlich verboten. Außerdem wurden in den Schulen alle taiwanischen Schüler in japanischer Sprache und Schrift unterrichtet. Japan wollte durch die südostasiatische Kolonialherrschaft ein großes ostasiatisches Imperium aufbauen. Deshalb bemühte es sich, Japanisch in Taiwan zur Muttersprache zu machen. Aus diesem Grund können viele ältere Taiwaner, die während der japanischen Kolonialzeit die Schule besuchten, bis heute noch Japanisch. Auf der wirtschaftlichen Ebene hat Taiwan wegen der günstigen geografischen Lage seit langem sehr enge Handelsbeziehungen mit Japan, es ist nach der Handelsstatistik des taiwanischen Wirtschaftsministeriums 52 immer noch einer der wichtigsten Handelspartner Taiwans. Hauptsächlich aus diesen zwei Gründen ist Japanisch heute neben Englisch die meistgelernte Fremdsprache in der taiwanischen Gesellschaft. Andere Faktoren, die Japanisch so beliebt machen, sind die vielen sprachlichen Inputs durch Medien, z.B. japanische Fernsehsendungen und insbesondere Serien, die Tag für Tag in Taiwan ausgestrahlt werden; außerdem sind Aussprache und Schriftzeichen des Japanischen für Taiwaner nicht schwer zu erlernen, da sie der chinesischen bzw. taiwanesischen Sprache teilweise ähnlich sind. Auch darf man nicht vergessen, dass die japanische Kultur große Anziehungskraft auf die modernen Taiwaner hat. 49 Original: 根據「國民中小學九年一貫課程」,為因應國際化的趨勢,國小五、六年級自 90 學年度同步實施英語教學,國小三、四年級自 94 學年度起同步實施英語教學。 (Quelle: http: / / www.tpde.edu.tw/ ap/ law_list.aspx) 50 Hakka ist eine der ethnischen Gruppen in Taiwan, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt 13%. Ihre Sprache nennt man auch Hakka. 51 Austronesische Sprachen, die von taiwanischen Ureinwohnern wie z.B. Bunun, Paiwan etc. gesprochen werden. 52 Aus der Pressemitteilung des taiwanischen Wirtschaftsministerium: Zollamtlicher Import- und Exporthandel im September 2006 - Überblick und zusätzliche Erklärungen (http: / / www.mof.gov.tw/ ct.asp? xItem=32324&ctNode=657&mp=1#) <?page no="105"?> 105 Nach Japanisch wurden früher die europäischen Sprachen Französisch, Deutsch und Spanisch am häufigsten als zweite Fremdsprache gelernt. In der letzten Zeit hat sich dies etwas geändert, weil die Zahl der Koreanischlerner ständig ansteigt. 53 Dies lässt sich einerseits auf die vielen koreanischen Fernsehserien, Schauspieler, High-Tech-Produkte, Autos etc. zurückführen, die im taiwanischen Alltagsleben bereits einen wichtigen Platz einnehmen; andererseits werden auf dem Arbeitsmarkt zurzeit Leute, die bereits über Koreanischkenntnisse verfügen, wegen der schnellen Entwicklung der IT- Industrie in Korea und der engen Handelsbeziehung mit Korea dringend gebraucht (vgl. Kuo 2006 und Yu 2006). Aufgrund der erwähnten Situation gibt es immer mehr taiwanische Arbeitnehmer und Studierende, die koreanische Sprachkurse an privaten Instituten besuchen und Koreanisch als studienbegleitendes Fach an den Universitäten belegen. Sie brauchen Koreanisch entweder aus beruflichen Gründen oder interessieren sich für die koreanische Kultur. Im Jahr 2004 entschlossen sich einige High Schools aufgrund dieser Tendenz, Koreanisch neu als zweite Fremdsprache im Wahlfach anzubieten (vgl. 3.2). Aufgrund der starken wirtschaftlichen Kontakte sind Französisch 54 , Deutsch und Spanisch die drei am häufigsten von Taiwanern gelernten europäischen Sprachen. Der Grad der Beliebtheit dieser drei Sprachen und die jeweilige Anzahl der taiwanischen Fremdsprachlerner schwanken. Dies hängt vor allem mit Außenhandelsbeziehungen, kulturellen Kontakten und auch den jeweiligen diplomatischen Beziehungen zu den Zielsprachenländern zusammen, z.B. war Spanischlernen früher aufgrund enger wirtschaftlicher Kontakte zu dem Zeitpunkt am populärsten, als Taiwan diplomatische Beziehungen zu den lateinamerikanischen Staaten aufnahm. Ebenfalls sind der von den Lernern erwartete Schwierigkeitsgrad einer Sprache und deren Anwendungsmöglichkeiten für die Rangfolge der Beliebtheit dieser drei europäischen Sprachen entscheidend. Die Taiwaner lernen diese drei Sprachen meistens aus beruflichen Gründen und nur teilweise aus persönlichem Interesse. Alle drei Sprachen werden an privaten Sprachinstituten angeboten, man kann sie aber auch an Universitäten als Studienfach studieren. Im nächsten Abschnitt gehe ich genauer auf die Gründe ein, warum Deutschland und dessen Sprache in der taiwanischen Gesellschaft als wichtig erachtet werden: 53 In dem Tagungsbericht von Yu (2006, 4) wird erwähnt, dass die Anzahl der Koreanischlernenden Anfang 2005 auf 23 % stieg − im Vergleich zum Jahr 2004. 54 Abgesehen von wirtschaftlichen, kulturellen und diplomatischen Faktoren ziehen Taiwaner Französisch im Vergleich zu Deutsch und Spanisch aufgrund des schönen Sprachklangs vor (vgl. Lay 2004, 345-369 und Chen 2005, 27). <?page no="106"?> 106 1) Deutschland ist seit vielen Jahren größter Handelspartner Taiwans in Europa. 2) Die Leistungen der Deutschen in Naturwissenschaft, Ingenieurwesen, Medizin und Justiz sind in Taiwan allgemein bekannt. 55 3) Aufgrund des hohen wissenschaftlichen Niveaus einiger Fächer in Deutschland müssen taiwanische Studierende, die zum Studium der Medizin, Rechtswissenschaft bzw. Naturwissenschaft zugelassen sind, auch Deutsch als studienbegleitendes Fach belegen. Weitere Fremdsprachen wie z.B. Italienisch, Arabisch, Türkisch, slawische Sprachen (z.B. Russisch, Tschechisch, Polnisch etc.), Latein, Portugiesisch, Vietnamesisch, Thailändisch, Malaysisch etc. sind wesentlich weniger populär in Taiwan. Nur Italienisch, Russisch, Arabisch und Türkisch werden sowohl an universitären Sprachzentren als auch als Studienfach angeboten. Die anderen genannten Fremdsprachen werden nur an manchen privaten Sprachzentren oder am hochschulischen Sprachzentrum angeboten - außer Tschechisch und Polnisch, man kann es als Wahlkurs im Studienfach Slawische Sprachen an der Chengchi-Universität besuchen. 56 3.2 Deutsch als zweite Fremdsprache an Senior High Schools In Taiwan spielt der Außenhandel mit vielen Ländern seit langem eine große Rolle in der Wirtschaftsentwicklung. Sowohl in der Gegenwart als auch in Zukunft braucht die Insel sehr dringend Fachleute aus allen Bereichen, die mehr als eine Fremdsprache (außer Englisch) beherrschen. Die Ausbildung in der zweiten Fremdsprache ist deswegen eine dringende und wichtige erziehungspolitische Aufgabe in Taiwan und sollte schon während der Schulzeit anfangen. Das Erziehungsministerium hat das zwar schon früh erkannt 57 , doch erst 1999 wurden offiziell vier ausgewählte Fremdsprachen (Japanisch, Französisch, Deutsch und Spanisch) als zweite Fremdsprache an Senior High Schools eingeführt - sehr spät im Vergleich zu Nachbarländern wie Japan und Korea. Jede Senior High School kann sich laut Erziehungsministerium aber abhängig von den Bedürfnissen der Schüler selbst entscheiden, ob sie ihren Schülern den Wahlunterricht in den genannten (und auch noch weiteren) zweiten Fremdsprachen anbieten will. Im Folgenden wird ein Überblick über die bisherige Entwicklung der Ausbildung in einer zwei- 55 Vgl. Chen (ebd.). 56 Also, z.B. foreign language center for university in north Taiwan. 57 Laut Lin (1995, 14) und Chang (2002, 78) ist dies bereits seit Herbst 1974 von der Regierung diskutiert worden. <?page no="107"?> 107 ten Fremdsprache gegeben und deren schwierige Situation vor allem in Bezug auf den Deutschunterricht an den Senior High Schools aufgezeigt. Tertiärsprache und ihre Probleme im Oberschulbereich Bevor der Unterricht in der zweiten Fremdsprache im Jahr 1999 offiziell an den Senior High Schools eingeführt wurde, führte das Erziehungsministerium bereits im Jahr 1996 ein dreijähriges Pilotprojekt an einigen Senior High Schools durch (vgl. Lay 2009, 10f.). Die Vermittlung einer zweiten Fremdsprache an Senior High Schools wird bisher durch Fördermittel des Erziehungsministeriums 58 unterstützt und lässt sich in folgende Projektphasen unterteilen (vgl. Tabelle 3-1). Tabelle 3-1: Projektphasen für den Unterricht in einer zweiten Fremdsprache im Oberschulbereich Zeitraum Projektphasen und Gegenstand 1996-1999 Dreijähriges Pilotprojekt mit Japanisch bzw. Französisch (1996-1998) Dreijähriges Pilotprojekt mit Deutsch (1997-1999) 1999-2004 Erster Fünfjahresplan für den Unterricht in der zweiten Fremdsprache mit Japanisch, Französisch, Deutsch und Spanisch 2005-2009 Zweiter Fünfjahresplan für den Unterricht in der zweiten Fremdsprache - zusätzlich zu den o.g. vier Fremdsprachen noch Koreanisch, Lateinisch, Russisch, Vietnamesisch und Indonesisch 2010-2014 Dritter Fünfjahresplan für den Unterricht in der zweiten Fremdsprache - zusätzlich zu den o.g. neu Fremdsprachen noch Italienisch Die Planung und letztendlich der Unterricht in den zweiten Fremdsprachen lief in mehreren Phasen ab und das Unterrichtsangebot wurde sukzessive erweitert. Daher werden seit 2010 im oberschulischen Bereich insgesamt 10 Fremdsprachen angeboten. Seither befindet sich die Planung und Einführung zweiter Fremdsprachen in der vierten Phase, dem sog. dritten Fünfjahresplan. Im Rahmen des dreijährigen Pilotprojekts in der zweiten Hälfte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde laut Chang (2002, 78) Deutsch nach Japanisch und Französisch bereits 1997 als Wahlkurs angeboten. Während der Durchführung des ersten Fünfjahresplan (1999-2004) wurde auch 58 Siehe unter http: / / www.edu.tw/ pages/ detail.aspx? Node=3006&Page=8432&Index=3&WID= 1112353c-88d0-4bdb-914a-77a4952aa893 <?page no="108"?> 108 Spanisch neben Japanisch, Französisch und Deutsch offiziell angeboten. Seitdem wurden die weiteren Fremdsprachen sukzessive in das oberschulische Fremdsprachenangebot aufgenommen: seit dem Sommerhalbjahr 2004 fingen einige Senior High Schools an, auch Koreanischunterricht anzubieten. Dem folgten Latein und Russisch seit dem Sommerhalbjahr 2005, Vietnamesisch und Indonesisch seit dem Winterhalbjahr 2009/ 10 sowie Italienisch seit dem Winterhalbjahr 2010/ 11. Abbildung 3-1 zeigt die Entwicklung der einzelnen Fremdsprachen. <?page no="109"?> 109 Abb. 3-1: Überblick über die Entwicklung zweiter Fremdsprache an Senior High Schools in Taiwan (W: Winterhalbjahr, S: Sommerhalbjahr) Quelle: http: / / www.2ndflcenter.tw/ class_detail.asp? classid=1 (11.11.2013) <?page no="110"?> 110 Abbildung 3-1 gibt einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung der zweiten Fremdsprachen an Senior High Schools in Taiwan, wobei die Anzahl der Kursteilnehmer angegeben wird. Die Tendenz ist im Zeitraum von 1999 bis 2012 deutlich steigend, wenn man die Teilnehmerzahl für einzelne Fremdsprache zwischen aufgenommenen Schulsemester und dem Winterhalbjahr 2012 vergleicht. Nach der o.g. Statistik ist Japanisch seit 1999 die beliebteste zweite Fremdsprache für taiwanische Oberschüler, denn im Vergleich zu den anderen zweiten Fremdsprachen sind die Werte in allen drei genannten Kategorien für das Japanische am höchsten und steigen auch am schnellsten weiter. 59 Dies ist auf die in 3.1 erwähnten Faktoren zurückzuführen. Danach folgen die europäischen Sprachen wie Französisch, Deutsch bzw. Spanisch. Blicken wir auf die Lernerzahlen in den letzten Jahren (2010-2012) zurück, lernten pro Semester durchschnittlich ca. 72% der teilnehmenden Oberschüler Japanisch als zweite Fremdsprache. Der Anteil von Französisch betrug immer zwischen 11% bis 13%, also im Durchschnitt 12,09%. Danach folgen Deutsch mit durchschnittlich 6,58% und Spanisch mit 6,14%. Beiden Sprachen stehen seit 2007 in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Darauf wird im folgenden Abschnitt noch näher eingegangen. Die Anzahl der Teilnehmer am Koreanischunterricht beträgt zwischen 2% bis 4% und erhöht sich von Jahr zu Jahr, diese Tendenz steht mit der derzeitigen allgemeinen Beliebtheit des Koreanischen im engen Zusammenhang (vgl. 3.1). Die weiteren Fremdsprachen wie Latein, Russisch, Vietnamesisch und Indonesisch wurden nur von einem geringen Teil der Oberschüler gewählt und ihr Anteil betrug jeweils durchschnittlich nicht mehr als 1%. Auffallend ist hierbei, dass die Anzahl der Vietnamesischlerner in einem kurzen Zeitraum deutlich gestiegen ist. Die Vermutung liegt nahe, dass die erhöhte Zahl der Einwanderung aus Vietnam nach Taiwan aufgrund binationaler Ehen mit vietnamesischen Frauen eine Rolle für diesen Anstieg spielt. Italienisch wurde erst seit dem Winterhalbjahr 2011 angeboten, dessen Entwicklung ist zurzeit noch nicht erkennbar und wird hier deshalb vorerst ausgeklammert. 59 Ausführlich siehe unter http: / / www.2ndflcenter.tw/ class_detail.asp? classid=1(11.11.2013) <?page no="111"?> 111 Abb. 3-2: Die Entwicklung der Deutsch- und Spanischlerner im Zeitraum von 1999 bis 2012 60 Abbildung 3-2 zeigt die bisherige Entwicklung der Lernerzahlen für Deutsch und Spanisch an den Senior High Schools. Deutsch lag im Zeitraum von 1999 bis 2007 (außer der Schuljahr 2004) immer auf dem dritten Platz, wurde aber in den Jahren 2008 und 2009 von Spanisch überholt (vgl. Lay 2009, 10f.). Seit 2010 schwankt die Anzahl der Deutsch- und Spanischlerner. Das Schuljahr 2008 ist sozusagen ein entscheidender Zeitpunkt, wobei die Anzahl der Deutschlerner seitdem prinzipiell stetig zunimmt, aber von da an verliert Deutsch (außer im Schuljahr 2010) auch merklich seinen Status als dritte beliebteste Fremdsprache. Spanisch hat Deutsch seitdem auf Rang vier verdrängt. Dies hat Lay (ebd.) in seiner Studie bereits vorhergesehen und das deckt sich auch mit der Meinung Gerbigs (2007, 312), der das Fehlen des von staatlicher Seite organisierten Deutschunterrichts und das Fehler finanzieller Unterstützung zur Durchführung privater Projekte als Hauptursachen darstellt. Seitdem der Unterricht in einer zweiten Fremdsprache seit 2010 im regulären Oberschulcurriculum als Wahlkurs erfasst wird, verzeichnen Deutsch 60 Es werden immer die Zahlen vom Sommerhalbjahr angegeben, im letzten Jahr sind die Zahlen vom Winterhalbjahr 2012, da diese für das Sommerhalbjahr noch nicht vorliegen. <?page no="112"?> 112 und die anderen Fremdsprachen wie Japanisch, Französisch, Spanisch, Koreanisch, Vietnamesisch etc. deutliche Zuwächse (vgl. Abb. 3-1). Die Tendenz ist pro Semester stabil steigend. Es gab im Zeitraum von 1999 bis 2008 aber generell in den Sommerhalbjahren weniger Teilnehmer an den Sprachkursen als in den Winterhalbjahren. 61 Mangels empirischer Untersuchungen bleiben die Ursachen dafür unklar. Vor der Aufnahme der zweiten Fremdsprachen in das reguläre Oberschulcurriculum wurden laut Lay (2009, 11) die Kurse weder als Wahlnoch Pflichtkurse angeboten, so dass Lerninhalte und -ziele beträchtlich voneinander abwichen. Das heißt, die zweiten Fremdsprachen wurden weder als Schulfach im laufenden Semester überprüft noch wurde die Note im Fachkompetenz-Test angerechnet. Dies, so vermuteten Chang (2002, 79) und Wu (2005, 129) aufgrund langjähriger Erfahrungen mit dem Deutschunterricht an Senior High Schools, könnte der Grund für das mangelnde Interesse und fehlende Lernmotivation vieler Oberschüler gewesen sein, die bei der Vorbereitung auf den Fachkompetenz-Test 62 ( 學科能力測驗 ) unter hohem Leistungsdruck standen. Auch kann man das mit der taiwanischen Fremdsprachenpolitik innerhalb der Senior High Schools begründen, da ein didaktisch verbindliches Konzept für den Unterricht in der zweiten Fremdsprache noch nicht gibt bzw. ein solches bisher noch nicht auf wissenschaftlicher Basis entwickelt wurde. Erst seit 2010 wird der Unterricht in der zweiten Fremdsprache im regulären Oberschulcurriculum als Wahlkurs erfasst und nur bei den Bewerbungsverfahren an einigen Elite-Universitäten wird die Note angerechnet. Somit ist zurzeit noch offen, wie sich die Situation in Bezug auf den Stellenwert des Unterrichts und des Fremdsprachenlernens entwickeln wird. Die Probleme vor 2010 lassen sich nach San-Lii Chang (2005, 113ff.), Ko-An Wu (2005, 121ff.) und Hsuan-Chen Chang (2002, 78ff.) wie folgt beschreiben: 61 Die ausführliche amtliche Statistik ist unter http: / / www.2ndflcenter.tw/ class_detail.asp? classid=1 (11.11.2013) zu finden. 62 Der sogenannte „Fachkompetenz-Test“ ist im Grunde nur die alte Hochschulaufnahmeprüfung mit einem neuen Namen. Der Name wurde wegen des neuen Prüfungsverfahrens geändert. Die meisten Oberschüler gelangen durch dieses Verfahren an die Hochschule oder Universität. Dieser Test wird durch das „Zentrum für die Hochschulaufnahmeprüfung“ organisiert, und er wird insgesamt zweimal für die Schüler im dritten Oberschuljahr durchgeführt, das erste Mal im Februar, das zweite Mal im Juli. Je nach der erzielten Gesamtpunktzahl dieser beiden Tests können sie ihr bevorzugtes Studienfach auf ihrer Wunschliste eintragen. Die Gesamtpunktzahl des Tests beträgt 500 Leistungspunkte. Je mehr man davon erzielt, desto größer ist die Möglichkeit, an einer staatlichen Universität und in dem gewünschten Studienfach zugelassen zu werden. <?page no="113"?> 113 1. Mangel an finanziellen Mitteln Bei manchen Senior High Schools sind nicht genügende Lehrkräfte für den Unterricht in der zweiten Fremdsprache angestellt. Grund dafür ist die mangelnde finanzielle Unterstützung seitens des Erziehungsministeriums. Dies führt dazu, dass die Klassen zu groß sind oder der Unterricht in einer zweiten Fremdsprache nicht angeboten werden kann. 2. Problematische Organisation des Curriculums Das Erziehungsministerium hat zwar curriculare Richtlinien für den Unterricht in der zweiten Fremdsprache an Senior High Schools verfasst, aber diese sind im Unterricht nicht leicht zu verwirklichen und werden nur als Ideal betrachtet. Z.B. gibt es zu wenige Unterrichtsstunden für den Unterricht in der zweiten Fremdsprache. Nach den curricularen Richtlinien der Senior High Schools sollte der Unterricht in allen drei Schuljahren angeboten werden und pro Semester 2 bis 4 Wochenstunden umfassen, aber in der Tat wird er meist nur im ersten und zweiten Schuljahr angeboten, aber im dritten Jahr nicht. Viele Senior High Schools führen den Unterricht in der zweiten Fremdsprache nur während zwei bzw. vier Wochenstunden durch, die Stundenzahl variiert stark je nach Schule. Außerdem wird für den Unterricht in den zweiten Fremdsprachen generell die ungünstige Unterrichtszeit ausgewählt. In den meisten Fällen findet er von 16 bis 18 Uhr nach den Pflichtkursen statt, also in der Zeit, die eigentlich für Freizeitaktivitäten der Schüler reserviert ist. Dies führt dazu, dass die Schüler im Fremdsprachenunterricht müde und unmotiviert sind. Auch das Fehlen administrativer Unterstützung und notwendiger Ressourcen stellt ein Problem dar, da die Lehrkräfte z.B. die Mediothek nicht benutzen und die Hilfsmittel wie Kopierer, CD/ VCD- Player, Projektor etc. nach Schulschluss nicht ausleihen können. Weiterhin stehen auch keine einheitlichen Lehrwerke zur Verfügung, obwohl es z.B. für den Deutschunterricht drei Lehrwerke 63 gibt, die von einheimischen Deutschlehrkräften verfasst wurden. Trotzdem benutzt jede Lehrkraft Lehrwerke ihrer Wahl, darunter auch einsprachige Werke wie z.B. Sowieso, Pingpong, Passwort Deutsch, genial@ etc. 3. Prekäre Situation der Lehrkräfte In früheren Jahren wurde der oberschulische Unterricht in den zweiten Fremdsprachen mangels qualifizierter Lehrkräfte oft von Lehrenden, die die Fremdsprache bereits an einer Universität lehrten, unterrichtet. In der letzten Zeit gibt es zwar nicht wenige Hochschulabsolventen, die Fremdsprachen studiert haben und sich durch die von den Universitäten 63 Diese drei Lehrwerke sind Deutsch für Schulen in Taiwan, Guten Morgen, Deutschland! und Willkommen. <?page no="114"?> 114 angebotenen pädagogischen Veranstaltungen als Fremdsprachenlehrende qualifiziert haben, aber wegen der schwankenden Anzahl von Wochenstunden und Kursteilnehmern, der ungünstigen Unterrichtszeiten und der geringen Einkünfte wollen sie nicht mehr unterrichten und verlassen die Schulen. Den Fremdsprachenlehrkräften wird außerdem prinzipiell erst nach Semesterbeginn mitgeteilt, ob sie im laufenden Semester noch unterrichten können, was diese Arbeitssituation sehr unsicher macht. 4. Einbeziehung der Note in die Gesamtleistungen an der Oberschule Aufgrund der großen Konkurrenz sowie des Aufstiegs- und Leistungsdrucks wird den schulischen Leistungen von taiwanischen Schülern und deren Eltern sehr großer Wert beigemessen. Wenn die Note der zweiten Fremdsprache weder ins Zeugnis des laufenden Semesters noch in die Note des Fachkompetenz-Tests einbezogen wird, nehmen die Senior High Schools und deren Schüler dieses Fach überhaupt nicht ernst und betrachten es als unwichtig. Die oben erwähnten eng miteinander zusammenhängenden Probleme können also nur durch eine zielgerichtete und realistische Zweitsprachenpolitik gelöst werden, die einen Rahmen für den DaF-Unterricht bietet. Die Finanzierung, die Lehrerausbildung und -anstellung, der Stellenwert der Zweitfremdsprache im Schul- und Prüfungswesen sowie die Weiterentwicklung von Curricula und Unterrichtsdidaktik ist eine unerlässliche Voraussetzung für eine Verbesserung der Unterrichtsqualität und die Überwindung der Probleme (vgl. Chang 2005, 110). 3.3 Germanistikstudium an Universitäten und Hochschulen In Taiwan gibt es zurzeit insgesamt acht Universitäten, an denen Deutsch als Studienfach angeboten wird. Fünf davon liegen in Taipei (Nordtaiwan), zwei in Kaohsiung (Südtaiwan) und eine in Chang-Hua (Zentraltaiwan). Außer der NKFUST 64 und der Chengchi-Universität sind alle 65 privat. Zurzeit zeichnet sich eine neue Tendenz ab: An manchen Universitäten wurden zwecks Ausbildung und Forschung zu europäischen Sprachen und zur europäischen Kultur spezielle Abteilungen dafür gegründet. Seit August 2004 64 „NKFUST“ ist die Abkürzung für National Kaohsiung First University of Science and Technology. In den folgenden Kapiteln werde ich diese Abkürzung weiter verwenden. 65 Das sind: Fu-Jen-Universität, Wen-Hua-Universität (auch Chinese Culture University), Tamkang-Universität, Soochow-Universität, Da-Yeh-Universität und Wenzao Ursuline University of Languages. <?page no="115"?> 115 existiert an der Da-Yeh Universität die Abteilung für europäische Sprachen, die aus den zwei Fachrichtungen Deutsch und Französisch besteht. 66 Im August 2006 wurden an der Chengchi Universität die Abteilung für europäische Sprachen und Kulturen sowie ein dazugehöriges Graduierteninstitut gegründet. 67 An dieser Abteilung werden neben Deutsch auch Französisch und Spanisch unterrichtet. 68 Bis heute gibt es in Taiwan nur Bachelor- und Masterstudiengänge für Deutsch bzw. Germanistik, es existiert noch keine Promotionsmöglichkeit. Taiwanische Oberschüler haben inzwischen die Wahl zwischen mehreren Zulassungsverfahren zum Studium, das Bestehen des Fachkompetenz-Tests ist nicht mehr der einzige Weg (vgl. 3.3.2). In den folgenden Abschnitten werde ich zunächst die bisherigen Veränderungen im Deutsch- / Germanistikstudium erörtern und dann darauf eingehen, welche Rahmenbedingungen es zum Bachelor- und Masterstudiengang Deutsch / Germanistik gibt und wie die Situation der einzelnen Deutschabteilungen in Bezug auf curriculare Schwerpunkte, Lehrkräfte, Einrichtungen etc. aussieht. Am Schluss soll der gegenwärtige Grammatikunterricht im Rahmen des Germanistikbzw. Deutschstudiums vorgestellt werden, um einen Überblick über die Grammatikvermittlung und deren Probleme zu gewinnen. 3.3.1 Taiwanisches Germanistikstudium im Wandel Probleme und gegenwärtige Situation In den 1990er Jahren bestand das Curriculum des Germanistikstudiums nebst dem Erwerb der sprachlichen Grundlagen aus den vier Teilen Literatur, Sprachwissenschaft, Landeskunde und praxisorientierte Kurse 69 . Aufgrund der rapiden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung Taiwans scheint dieses Curriculum allmählich weder den Bedürfnissen der Studierenden zu entsprechen noch sie genügend auf eine zukünftige Erwerbstätigkeit vorzubereiten. In seiner Abhandlung über die Reform der Germanistik in Ostasien hat Timmermann diese Probleme bereits erkannt: 66 Die Studierenden, die als Fachrichtung entweder Deutsch oder Französisch wählen, müssen daneben Englisch als allgemeines Pflichtfach besuchen und während des 2. Jahrganges eine Sprachprüfung in diesem Fach ablegen. 67 Das Graduierteninstitut für europäische Sprachen und Kulturen wurde aber mit Beginn des Studienjahres 2012/ 13 abgeschafft. 68 Die Studierenden, die als Fachrichtung eine der drei oben genannten europäischen Sprachen wählen, müssen daneben Englisch und europäische Literatur und Kultur als allgemeine Pflichtfächer besuchen. 69 Vgl. Jahr (1993, 33ff.), Lai (1996, 86f.) und (2003, 161ff.). <?page no="116"?> 116 „ […] daß die mangelnde praktische Orientierung des Studiums einen wesentlichen Anstoß für die Reformdiskussion bildet, hat zwei Gründe: Zum einen erweist sich der Berufseinstieg für die Bakkalaurei als immer schwieriger, was zu Unzufriedenheit und Demotivation der Studierenden führt; zum anderen muß das Fach versuchen, durch Ausbildung interessanter Qualifikationsstrukturen offensiv die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu beeinflussen, um so die Präsenz des Deutschen zu stärken und um damit selbst im Universitätsbetrieb konkurrenzfähig zu bleiben“ (Timmermann 1999, 482). Das Germanistikstudium in Taiwan befindet sich in genau dieser Lage. Absolventen der Germanistik haben sich tatsächlich schon über die Curriculumstrukturen und die damit in Zusammenhang stehenden schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt beschwert, und die Germanisten haben immer wieder Reformen angestrebt und auch umgesetzt (vgl. Hess 2001, 1584f.; Pause-Chang 2006, 3ff.). Die Probleme sehen im Einzelnen wie folgt aus. Früher lagen die curricularen Schwerpunkte des Germanistikstudiums in Taiwan auf deutscher Sprache und Literatur, doch aufgrund der Interessen der Studierenden und der Praxisorientiertheit hat sich dies in den vergangenen Jahren geändert. Generell haben die meisten Deutschstudierenden geringes Interesse an deutscher Literatur und Linguistik, denn sie wissen nicht, wie man davon später im Arbeitsleben profitieren kann. Deshalb betrachten sie die Vorlesungen dieser beiden Fachgebiete als nutzlos. Außerdem können die von den Lehrkräften verwendeten Materialien und Methoden das Interesse der Studierenden nicht immer wecken. Als eine der Ursachen dafür gilt, dass dem Großteil der Lehrkräfte die fachdidaktische Ausbildung fehlt (vgl. Wei 2000, 275; Lohmann 1994, 23). Sie sind zwar sehr gut qualifizierte Germanisten, aber die Umsetzung ihrer fachlichen Erkenntnisse in die Unterrichtspraxis stellt für sie eine große Schwierigkeit dar. In der Auswertung der Lernerfragebögen (1) wird man sehen (siehe Tabelle 7-7), dass Unterrichtsstil und Unterrichtsmaterial die zwei wichtigsten Faktoren sind, die die Motivation der Studierenden zum Lernen beeinflussen. Die fehlende Motivation der Studierenden wiederum verursacht Frustration bei den Lehrkräften und beeinflusst gleichzeitig deren Lehrverhalten. Eine weitere Ursache für das geringe Interesse an deutscher Literatur und Linguistik liegt darin, dass dem Großteil der Studierenden überhaupt jede Motivation zum Deutschlernen fehlt. 70 Es gibt zwar Universitäten, an denen die Studierenden aus persönlichem Interesse an Fremdsprachen Germanistik als Studienfach ausgesucht haben. Aber für den Großteil der Studierenden ist Germanistik aufgrund der erzielten (mangelhaften) Noten im Fach- 70 Vgl. Lin (1993, 4), Shr (1994, 28), Plank (1992, 33), Lohmann (1996, 88ff.), Chang (2002, 75f.) und Chen (2005, 28f.). <?page no="117"?> 117 kompetenz-Test die einzig mögliche oder noch die beste Wahl. Die Fächerwahl ist in Taiwan nicht frei, sondern um ein bestimmtes Fach studieren zu können, muss man im Fachkompetenz-Test eine bestimmte Note erzielen. Weil das Studienfach Germanistik zu den in Taiwan wenig beliebten Geisteswissenschaften gehört und auch nicht im Ranking der Fremdsprachenfächer gut platziert ist, ist die Mindestnote für die Zulassung generell ziemlich tief. Die meisten Studierenden kommen daher oft mit unklaren Vorstellungen zum Germanistikstudium. Außerdem sind sie laut Pause-Chang (1993, 15) meistens weder die Besten noch die am schnellsten Lernenden. Um die o.g. Probleme zu lösen, haben die meisten Deutschabteilungen in den letzten Jahren entweder ihr Curriculum verändert oder sich zu einer anderen Studienrichtung entwickelt. Generell vermehren die älteren Abteilungen die praxisbezogenen Kurse oder versuchen, das Studium interdisziplinär zu gestalten 71 , während die jüngeren Abteilungen ihre curricularen Schwerpunkte überwiegend auf den Erwerb berufsorientierter Kenntnisse und Fertigkeiten legen, also auf Übersetzen/ Dolmetschen, DaF-Didaktik, Handelsdeutsch, europäische Kulturwissenschaft etc. (vgl. 3.3.2). Sie hoffen, dass die im Studium erworbenen Sprach- und Fachkenntnisse nicht nur die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen, sondern im zukünftigen Beruf direkt von Nutzen sind. Der Wissensstand der Studienanfänger ist aber auch eine der Ursachen für die Curriculumreform. In den 1990er Jahren wurden im Zuge der Hochschulbildungsreform immer mehr Colleges (學院 ), Berufsfachhochschulen ( 職業專科學校 ) und technische Hochschulen ( 技術學院 ) vom Erziehungsministerium als selbstständige Hochschule bzw. Universität anerkannt, 72 so dass zurzeit jährlich über 90% der Oberschulabsolventen zum Studium an den Universitäten und Hochschulen zugelassen werden, vor rund 20 Jahren waren es lediglich knapp 40%. Ziel dieser Hochschulreform war ursprünglich eine Verringerung des Konkurrenz- und Leistungsdruckes für Oberschüler und deren Eltern. Die Reform hat die zuvor existierenden Probleme nicht nur nicht gelöst, sondern sogar neue Probleme nach sich gezogen. Das wohl Wichtigste davon ist, dass auch für ein Studium absolut ungeeignete Schüler durch die Erhöhung der Zulassungsquote zum Studium zugelassen 71 Praxisbezogene Kurse sind z.B. DaF-Didaktik, Übersetzen, Dolmetschen, Handels- und Wirtschaftsdeutsch, Praktikum in der Bürokommunikation, deutschsprachige Landeskunde und Europakunde etc. Interdisziplinäre Bereiche sind z.B. Politikwissenschaft, Philosophie, Pädagogik und Wirtschaft etc. mit Bezug auf Europa. 72 Nach der Statistik des Erziehungsministeriums gab es im Jahr 2012 insgesamt 160 Hochschulen in Taiwan. Zum Vergleich: Die Bevölkerung Taiwans betrug Ende Januar 2013 insgesamt 23,315,822 Personen (Quelle: Department of Household Registration Affairs, Ministry of the Interior). <?page no="118"?> 118 werden. Deutschabteilungen, deren Mindestnote für die Zulassung besonders tief ist, nehmen zum größten Teil also Studierende dieses Lernertyps auf. Deswegen kann man beobachten, dass das Niveau der Sprachkenntnisse der meisten Studierenden im Vergleich zu früher allgemein gesunken ist. Doch auch die anderen Deutschabteilungen, deren Mindestnote für die Zulassung höher ist, sind, wenn auch in geringerem Maße, betroffen: Wie sollen Studierende, denen es schon Mühe bereitet, solide sprachliche Grundlagen zu erwerben, Fachkurse in Literatur und Linguistik bewältigen? Aus diesem Grund werden die oben genannten Fachkurse an manchen Abteilungen nicht mehr im Bachelor-Studiengang angeboten, sondern nur im Master-Studiengang. Im Bachelor-Studiengang bleiben lediglich zwei Vorlesungen übrig, wie z.B. Literaturgeschichte und Einführung in die Linguistik. Taiwanische Germanisten haben diese Probleme natürlich auch längst erkannt. An der 15. Jahrestagung 73 des taiwanischen Germanisten- und Deutschlehrerverbandes gab es bereits eine öffentliche Diskussion über die curriculare Reform. Die folgenden Punkte wurden zur Debatte gestellt: 1. Nachdenken über den Arbeitsmarkt und die Jobaussichten der Deutschabsolventen 2. Anpassung des Angebots an das Lerninteresse der Studierenden 3. Anpassung des Angebots an das Sprachniveau der Studierenden Nach mündlichen Angaben der Diskussionsteilnehmer wurde auch darüber diskutiert, ob das taiwanische Germanistikstudium aufgrund der Curriculumbzw. Fachreform in ein Deutschstudium umgewandelt werden soll. Das würde unter anderem bedeuten, dass der Unterricht sprach-, praxis- und berufsorientiert wäre und Literatursowie Linguistikunterricht nicht mehr als Pflichtfächer anzubieten wären. Zu diesem Punkt konnte noch keine Einigung erzielt werden. Trotzdem fällt es beim Betrachten aktueller Stundenpläne auf, dass Kurse in Literatur(wissenschaft) und Linguistik von manchen Abteilungen entweder reduziert oder nicht mehr angeboten werden, die praxisbezogenen und landeskundlichen Kurse hingegen vermehrt sukzessive werden. Jede Abteilung hat nur eine fest zugeteilte Anzahl Unterrichtsstunden pro Studienjahr. Wenn ein neuer Kurs innerhalb der festgelegten Unterrichtsstunden angeboten wird, muss auf einen anderen Kurs verzichtet werden. Generell geht die gegenwärtige Entwicklungstendenz des Curriculums dahin, praxis- und berufsorientierte Kurse stärker als die sprach- und kulturwissenschaftlichen zu betonen. 73 Die Jahrestagung wurde am 21. und 22. Oktober 2006 an der Chinese Culture University durchgeführt. <?page no="119"?> 119 Insgesamt betrachtet haben sich die Schwerpunkte des Curriculums im Rahmen des Germanistikstudiums in Taiwan verschoben, da das Interesse der Studierenden an deutscher Literatur und Linguistik schwindet. Sie interessieren sich eher für praxisorientierte Fächer wie z.B. Wirtschaftsdeutsch, Übersetzen, Didaktik etc. Weiterhin ist das Sprachniveau der Studierenden allgemein gesunken, da sie in der Regel nach dem Bachelorabschluss nicht über ausreichende Deutschkenntnisse für den Arbeitsmarkt in Taiwan bzw. das Alltagsleben in Deutschland verfügen. Daraus kann man schlussfolgern, dass das Curriculum dem heutigen Stand und den gegenwärtigen Anforderungen der Studierenden nicht mehr angemessen ist. Verhältnis European Studies − Germanistik Die zugrunde liegende Idee der European Studies ging nach Kussler und Kaewwipat (2010, 1523ff.) von interkulturell ausgerichteten Landeskunde- Konzepten 74 aus, die als ein wichtiger Teil in der außereuropäischen Germanistik angesehen werden und zunehmend an Bedeutung gewinnen. Sie beschäftigen sich nicht nur mit den europäischen Sprachen, Kulturen und Literaturen, sondern auch mit interdisziplinären Regionalstudien im Rahmen der Geschichte, Wirtschaft, Soziologie, Politik, Bildung etc. Im chinesischen Sprach- und Kulturraum richtet sich der Studiengang European Studies generell nach den Erfordernissen des Arbeitsmarkts. Aufgrund der Globalisierung und der Internationalisierung wächst die Zahl der direkten Beziehungen und Kooperationen zwischen asiatischen Ländern und der Europäischen Union in vielen Bereichen, so dass die Nachfrage nach Spezialisten mit interkultureller Kompetenz sowie mit europarelevanten Kenntnissen in Sprachen, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft, Geschichte etc. steigt. 75 Die Studiengänge European Studies stellen in der Regel einen Verbund verschiedener europäischer Sprachen in Verbindung mit interdisziplinären und praxisnahen Veranstaltungen dar. Die während des Studiums erworbene Kompetenz ermöglicht den Studierenden die Vorbereitung auf die Erfordernisse des Arbeitsmarkts. Bei der Curriculumgestaltung in den verschiedenen Kulturräumen und in Taiwan auch innerhalb der Hochschulszene sind die Ausgangslagen unterschiedlich und die Entwicklung verschieden. 74 Im Folgenden vgl. Buttjes (1995, 142); Kussler/ Kaewwipat (2010, 1523f.); Prokop (1996, 35). Als Landeskunde versteht man ursprünglich im Rahmen Germanistik alle Bezüge auf die Gesellschaft(en) in der Zielsprache und -kultur, aber heutzutage werden dabei auch alle Gesellschaft(en) in der Ausgangssprache und -kultur einbezogen. In dieser Hinsicht werden die Begriffe Interkulturalität, Interdisziplinarität, Lernerorientierheit etc. in Verbindung gesetzt und zusammengeführt, damit man sich auf die eigene Kultur und Gesellschaft im Vergleich mit der fremden besinnt. 75 Siehe ausführlich in Hess (1999). <?page no="120"?> 120 Darüber hinaus gibt es keine verbindliche Theorie, die zur Orientierung dient. Auch Kussler und Kaewwipat (ebd., 1525) haben die Feststellung von Lützeler (1987, 685) unverändert wiederholt: „Eine Theorie von German Studies gibt es nicht“ und dies ist auf die European Studies übertragbar. Die Orientierung an der deutschen Germanistik wie sie z.B. in Taiwan lange praktiziert wurde, ist nicht mehr möglich. Um ein verbindliches Curriculum für den DaF-Unterricht in Taiwan zu entwickeln, müssten alle Beteiligten eine entsprechende Diskussion führen. Der Reformprozess ist noch nicht abgeschlossen, wie ich bereits weiter oben erwähnt habe. Das ist die Schwierigkeit bei der Gestaltung dieser Studiengänge, sowohl in Taiwan als auch an allen anderen Orten, an denen DaF- Unterricht stattfindet. Und letztlich muss die Lösung immer auf die jeweilige Situation des Lernortes bezogen werden und kann nur über eine Anpassung des Ansatzes an die Gegebenheiten im jeweiligen Kulturkreis beantwortet werden. In Taiwan gibt es zurzeit zwei Abteilungen für europäische Sprachen und Kulturen, diese bieten nur einen Bachelorstudiengang an. Deren konzeptionellen Überlegungen sind zwar den eben genannten European Studies ähnlich, aber es gibt keine klare curriculare Strukturierung. Es werden zwar Ausbildungsziele benannt: interdisziplinäre Fachleute für die EU zu qualifizieren, Übersetzer, Dolmetscher sowie Lehrkräfte für die europäischen Sprachen auszubilden etc. Die Frage ist allerdings, inwiefern die dafür notwendigen Ressourcen vorhanden sind und wie das Curriculum strukturiert ist, um diese Ziele umzusetzen. Außerdem könnte das Entstehen dieses Studiengangs für alle Deutsch-, Französisch- und Spanischabteilungen von großem Einfluss sein, denn die European Studies bieten nicht nur ein Sprachstudium an, sondern ein integriertes Fachstudium. Die Ursachen für diesen Trend können wir aus verschiedenen Perspektiven beurteilen. Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der Deutschabteilungen in den letzten zehn Jahren aus curricularer Sicht, sind die Bachelorstudiengänge für einzelne europäische Sprachen in Taiwan immer weniger auf Wissenstiefe und Wissensbreite ausgerichtet, sondern überwiegend auf die Beherrschung der Zielsprache. Aus praxisbezogener Sicht stellt die Kompetenz in der Fremdsprache nur eine Zusatzfähigkeit dar, d.h. als Plus oder als Werkzeug für den späteren Berufsalltag. Eine Sprache allein reicht also nicht, es fehlt die Fachqualifikation. Langfristig sollten nicht nur Sprachkenntnisse vermittelt werden, sondern auch berufsbezogene Fachkenntnisse wie z.B. über internationale Angelegenheiten und die Zusammenhänge zwischen europäischer Politik, Wirtschaft und Kultur, denn Taiwans Wirtschaft ist in großem Maße von Export und Import abhängig, und Europa ist seit langem einer der wichtigsten Handels- <?page no="121"?> 121 partner Taiwans. Zudem gewinnt die Europäische Union mit ihrem laufend erweiterten Kreis von Partnerländern immer mehr an Bedeutung auf der Welt. In dieser Hinsicht sind qualifizierte Europaspezialisten natürlich besonders wichtig, und ihre Ausbildung sollte in Taiwan unverzüglich beginnen. Wenn die berufliche Ausbildung, also die für eine spätere Arbeit gebrauchten Fachkenntnisse, in das Studium integriert werden kann, ist es später möglich, das im Studium Gelernte in die Praxis des Berufsfelds umzusetzen. Von daher hätten Absolventen einer Abteilung für europäische Sprachen und Kulturen natürlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dies ist, den bisher vorhandenen Materialien zufolge, wahrscheinlich die grundlegende Idee, die zur Entstehung der Abteilungen für europäische Sprachen und Kulturen geführt hat. Ob dies ein zukunftsweisender Trend ist, wird sich zeigen. Die Existenz der Abteilungen für europäische Sprachen und Kulturen wird für einzelne Sprachabteilungen an nichtstaatlichen Universitäten, deren bisherige Curriculumgestaltung nicht dem aktuellen gesellschaftlichen Trend entspricht, wohl kaum eine ernsthafte Bedrohung sein, sondern eher Anregung zum Nachdenken über die zukünftige Richtung des Fachs oder zur Reflexion über die bisherigen. Natürlich spiegelt die Entstehung der Abteilung für europäische Sprachen einerseits die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt wider, andererseits aber auch die Tatsache, dass sich die Absolventen geisteswissenschaftlicher Studienfächer Gedanken über ihre zukünftigen Arbeitschancen machen. Denn aus der Perspektive des Arbeitsmarktes sind in Taiwan die Aussichten für Absolventen eines traditionellen Studiums einer europäischen Sprache eher schlecht. Aufgrund des Zulassungsverfahrens nehmen in Taiwan die staatlichen Universitäten und Hochschulen nur die besten Studierenden auf (vgl. 3.3.2). Außerdem werden sie durch das Erziehungsministerium finanziell am stärksten unterstützt, d.h., die Studierenden kommen in den Genuss von mehr und besseren Leistungen in Bezug sowohl auf die Lehrveranstaltungen als auch auf die technischen Einrichtungen. Die Absolventen staatlicher Universitäten sind somit bei der Arbeitssuche bereits prinzipiell im Vorteil gegenüber den Absolventen privater Institutionen. Unter diesen Umständen ist es umso wichtiger, dass sich die bereits existierenden Sprachabteilungen an privaten Universitäten über ihre zukünftige Entwicklung im Klaren sind und sich ein adäquates Ziel setzen, um ihre Studierenden so auszubilden, dass sie auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig sind. An den meisten Deutschabteilungen bestehen bis heute keine klaren Zielvorstellungen, und den Studierenden wird ein curricularer Mix aus Literatur, Linguistik, Landeskunde und praxis- und berufsorientierten Kursen <?page no="122"?> 122 vorgesetzt, dem es wegen dieser Breite oft an Tiefe mangelt. Es ist in dieser Situation unbedingt erforderlich, dass an diesen Abteilungen im Rahmen der ihnen zugeteilten Unterrichtsstunden ein klares Lehr- und Lernziel für die Zukunft gesetzt wird. Denn die Fachleute, die jeweils für den Arbeitsmarkt berufsqualifizierend und für die traditionelle wissenschaftliche Germanistik nötig sind, sollten separat im Bachelor- und Masterstudiengang ausgebildet werden. Der Großteil der Deutschstudierenden kommt gleich nach dem Studium in das Berufsleben, und für sie sind die während des Studiums erworbenen praxis- und berufsorientierten Sprachkenntnisse und deren Fachkenntnisse dabei am hilfreichsten. Nur sehr wenige Studierende davon wollen sich danach aus persönlichem Interesse bzw. in Hinblick auf den zukünftigen Berufseinstieg weiterbilden, und zudem beginnt die traditionelle wissenschaftliche Germanistikausbildung in Taiwan tatsächlich erst ab dem Graduiertenstudium. Das Graduierteninstitut dient also eher als Ort für die wissenschaftliche Qualifikation der Germanisten, die sich für deutsche Literatur und Sprachwissenschaft sowie deren Fachdidaktik interessieren und während des Bachelorstudiums bereits solide Deutschkenntnisse erworben haben. Dies wird als einer der Lösungsansätze zu der gegenwärtigen Curriculumreform des taiwanischen Germanistikstudiums betrachtet (vgl. Liu 2000, 261f.; Timmermann 1999, 481ff.). 3.3.2 Rahmenbedingungen und Curriculumorganisation Zulassungsverfahren Der Leistungs- und Konkurrenzdruck auf taiwanische Schüler jeden Alters ist sehr groß. Früher vor rund 20 Jahren bestanden wie bereits erwähnt lediglich knapp 40% der Oberschulabsolventen die zentrale Hochschulaufnahmeprüfung. Seitdem diese zentrale Aufnahmeprüfung durch die Hochschulbildungsreform im Jahr 2001 abgeschafft wurde, können in jedem Studienjahr immer mehr Oberschulabsolventen an den Universitäten und Hochschulen studieren, zurzeit jährlich über 90 Prozent. Dadurch entstehen nicht nur neue Probleme für die Studierenden, die nicht so lernbegabt sind, sondern diese Situation führt auch zu Vermittlungsproblemen auf der Seite der Unterrichtenden. Zurzeit gibt es drei Zulassungsverfahren zum Studium an einer taiwanischen Universität oder Hochschule. Die Oberschüler können: 1) sich durch Empfehlung ihrer Schule um einen Studienplatz bei den Universitäten bzw. Hochschulen bewerben. Voraussetzung dafür ist, dass sie in allen Schulfächern sehr gute Noten aufweisen bzw. für einen bestimmten Bereich wie z.B. Sprache, Geistwissenschaft, Naturwissenschaft etc. besonders begabt sind. <?page no="123"?> 123 2) sich selber direkt bei den Universitäten und den Hochschulen bewerben und dazu entsprechende Zeugnisse, Unterlagen und Empfehlungsbriefe einreichen. 3) sich durch einen Fachkompetenz-Test für ein Studium qualifizieren. Studierende, die entweder durch eigene Bewerbung oder den Fachkompetenz-Test zum Studienfach Germanistik zugelassen sind, müssen keine Vorkenntnisse in Deutsch haben. Das Studium dauert insgesamt 4 Jahre (Bachelorstudiengang) und danach weitere 3 bis 4 Jahre für den Erwerb des Master-Titels. Im Folgenden werden die Bachelor- und Masterstudiengänge Deutsch bzw. Germanistik an den taiwanischen Universitäten durch die Tabellen 3-2 (Anhang 7) und 3-3 (Anhang 8) kurz vorgestellt. Bachelorstudiengang und curriculare Schwerpunkte Im BA-Studiengang setzt jede Deutschabteilung unterschiedliche Schwerpunkte. Die älteren Universitäten wie Fu-Jen, Wen-Hua und Tamkang legen ihre curricularen Schwerpunkte zwar eher auf Spracherwerb und Literatur, aber praxisorientierte Deutschkurse wie Übersetzen, Wirtschaftsdeutsch, DaF-Didaktik etc. werden auch angeboten, damit ihre Studierenden in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig bleiben können. An den neueren Universitäten wie NKFUST oder Da-Yeh stehen der Erwerb der berufsbezogenen Fertigkeiten (Übersetzen, Dolmetschen, DaF-Didaktik) und die Ausbildung von diesbezogenen Fachleuten im Mittelpunkt. Die Wenzao- Universität gehört auch zu dieser Gruppe. Das Institut für deutsche Sprache und Kultur der Soochow Universität beschäftigt sich mit interdisziplinärer Ausbildung auf den Gebieten Literatur, Philosophie, Pädagogik, Wirtschaft und Politikwissenschaft. Die Abteilung für europäische Sprachen und Kulturen der Chengchi-Universität legt ihre Schwerpunkte hauptsächlich auf die Ausbildung in einer der drei ausgewählten europäischen Sprachen (Französisch, Deutsch oder Spanisch), Übersetzen sowie europäische Literatur und Kultur. 76 Jede Abteilung für Deutsch bzw. für europäische Sprachen bietet in der Regel insgesamt 60 Studienplätze pro Studienjahr an, inklusive den Plätzen für die Studienbewerber, die sich individuell oder auf Empfehlung ihrer Schule bewerben. Die Abteilungen für europäische Sprachen an der Da-Yeh- Universität und der Chengchi-Universität nehmen jeweils 30 bzw. 20 Studienanfänger für ihre Fachrichtung Deutsch auf. Aufgrund der Unterschiede 76 Neben dem Sprachunterricht in den einzelnen Sprachfachrichtungen und den allgemeinen Kursen in europäischer Literatur und Kultur bietet diese Abteilung auch eine interdisziplinäre Ausbildung an. Das heißt, dass Fachgebiete wie Pädagogik, Medienwissenschaft, Diplomatie, ökonomische Wissenschaft oder Literatur etc. auf Wunsch der Studierenden in ihr Studium integriert werden können. <?page no="124"?> 124 in der Anzahl der angebotenen Kurse (sowohl in fachbezogenen Kursen als auch in fachfremden Kursen) 77 müssen die Studierenden für den Abschluss bestimmte Leistungspunkte 78 erbringen, deren Höhe von den jeweiligen Universitäten festgelegt wird. Das Germanistikbzw. Deutschstudium wird in Taiwan in der Regel in Grund- und Hauptstudium unterteilt, die je 2 Jahre dauern. 79 In den ersten zwei Studienjahren werden vorwiegend Grundkenntnisse und Sprachfähigkeiten in der deutschen Sprache vermittelt. Dies geschieht durch Kurse in Grammatik, Konversation, Leseverstehen, Hörverstehen und Aufsatz. Gleichzeitig werden aber auch kulturwissenschaftliche Kurse wie Landeskunde, Kulturgeschichte, Kinder- und Jugendliteratur, Geografie, europäische Literatur und Kultur etc. angeboten. Die im Grundstudium erworbenen Fertigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben) bilden die Grundlage für fachbezogene Kurse im Hauptstudium, wobei fachbezogene Kenntnisse und praxisbezogene Fertigkeiten je nach o.g. Curriculumschwerpunkten jeder Universität vermittelt werden - also Literatur, DaF-Didaktik, Linguistik, Übersetzen, Dolmetschen, Handels- und Wirtschaftsdeutsch etc. Bei den Kursen Grammatik, Hörverstehen, Lesen, Konversation und Aufsatz wird Klasse üblicherweise in 2-3 Gruppen zu ca. 20 bis 30 Personen aufgeteilt. Dies ist je nach Universität unterschiedlich. In der Regel werden Kurse wie Hörverstehen, Konversation und Aufsatz von muttersprachlichen Lehrkräften unterrichtet, Grammatik, Landeskunde, Kulturgeschichte, Linguistik, Literatur, DaF, Übersetzen etc. hingegen von taiwanischen Lehrkräften. 80 Das Studium europäischer Sprachen und Kulturen schließt zwar Sprachunterricht auf der Grundstufe ein und das Curriculum sieht auch ähnlich wie im Germanistikstudium aus, aber der Schwerpunkt liegt doch eher auf 77 Allgemeinbildende Pflichtkurse müssen alle taiwanischen Studierenden abhängig von den angeordneten bzw. angebotenen Veranstaltungen jeder Abteilung besuchen. Sie umfassen folgende Wissensgebiete: Englisch, Chinesisch, Politik, Soziologie, BWL, Pädagogik, Kunst, Technologie etc. 78 In Taiwan spricht man von Credits oder Punkten. 79 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist mit dem Grundstudium das erste und zweite Studienjahr gemeint, dessen Lehrinhalte sich auf die Vermittlung der Grundkenntnisse beschränken. Hauptstudium meint das dritte und vierte Studienjahr, bei dem der Fokus auf der Vertiefung und Erweiterung der Fachkenntnisse liegt. Speziell in Taiwan existiert zwischen dem Grund- und Hauptstudium keine Zwischenprüfung, wie es z.B. in Deutschland der Fall ist bzw. war. 80 Manche Deutschabteilungen wie z.B. an Fu-Jen und Soochow erhalten mehr Unterrichtsstunden von ihrer Universität zugeteilt als die anderen Universitäten, so können sie auch mehr Kurse (z.B. Übersetzen, Literatur etc.) in kleinere Gruppen aufteilen. <?page no="125"?> 125 europäischer Kulturwissenschaft. Es präsentiert sich also eher wie ein Integrationsstudium für europäische Sprachen und Kulturen. Neu ist, dass die Studienordnungen mancher Abteilungen sogar vorschreiben, dass ihre Studierenden eine Sprachprüfung, also entweder Goethe-Zertifikat (ursprünglich Zertifikat Deutsch) oder Zertifikat Deutsch für den Beruf (ZDfB), auf Niveau B1 bzw. B2 ablegen müssen, bevor sie ihr Studium abschließen können. Das Ziel ist erhöhte Qualifikation und einheitliche Bewertung der Studierenden. Außerdem haben die meisten Deutschabteilungen seit langem Austauschprogramme mit Partneruniversitäten in den deutschsprachigen Ländern. Da es in Taiwan sehr schwierig ist, intensiven Kontakt mit Sprechern der deutschen Sprache zu pflegen, wird den Studierenden meistens im dritten Jahrgang durch Teilnahme an Austauschprogrammen mit zwei Auslandssemestern ermöglicht, ihre Deutschkenntnisse und auch das Verständnis für die deutsche Kultur zu erweitern. Außer an der Wen-Hua Universität, an die pro Studienjahr etwa 10 im Studiengang Sinologie eingeschriebene Studierende von der Karl-Ruprecht-Universität aus Heidelberg kommen und zwei Semester Chinesisch lernen, bleiben die Austauschprogramme an den anderen Universitäten nur einseitig. Masterstudiengang und Curriculumorganisation Vor dem Jahr 2000 gab es in Taiwan nur zwei Graduierteninstitute, an denen sich die Absolventen des Bachelorstudiengangs in Germanistik weiterbilden konnten. Nachdem NKFUST und Soochow-Universität im Jahr 2000 bzw. 2002 ihre germanistischen Graduierteninstitute gegründet hatten, wurde an vier Universitäten (Fu-Jen, Wen-Hua, Soochow und NKFUST) ein Masterstudiengang für Germanistik angeboten. Die Bachelorabsolventen werden durch individuelle Bewerbung bzw. Aufnahmeprüfung zum Germanistikstudium an einem Graduierteninstitut zugelassen, das bis zum Masterabschluss normalerweise 3-4 Jahre dauert. Die Studienplätze sind zwar nicht sehr zahlreich - also je nach Universität ca. 7-14 Plätze pro Studienjahr. Aber es gibt nicht genügend Bewerber, die sich für das Weiterstudium interessieren. Aus diesem Grund hat z.B. Wen-Hua-Universität seit Studienjahr 2009/ 2010 ihre Graduierteninstitute abgeschafft. Jedes Graduierteninstitut legt generell seine curricularen Schwerpunkte auf die gleichen Fachrichtungen wie im Bachelorstudiengang, und was die Abschlusskredits anbelangt, gibt es auch unterschiedliche Anforderungen. Im Übrigen ist außer dem Fertigstellen einer Masterarbeit auch das Bestehen bestimmter Sprachprüfungen - entweder Deutsch oder Englisch - Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss des Masterstudiums. An der Fu- Jen-Universität und der Wen-Hua-Universität stehen bzw. standen eher Literatur und Linguistik im Mittelpunkt des Curriculums, obwohl auch Seminare in DaF-Didaktik und Übersetzen angeboten werden. An der Fu- <?page no="126"?> 126 Jen-Universität müssen insgesamt 33 Punkte vorgewiesen werden. Hingegen müssen die Studierenden im Masterprogramm an der Soochow-Universität insgesamt 30 Punkte erreichen und noch Deutschkenntnisse auf dem Niveau des TestDaF (TDN 4) nachweisen. Außerdem ist das Masterstudium der Soochow anders ausgerichtet: um interdisziplinäre Fachleute in Bezug auf deutsche Kultur zu qualifizieren, liegen die Schwerpunkte nicht nur in den vier Hauptbereichen Literatur, Pädagogik, Philosophie und Politikwissenschaft, sondern auch in den zwei Nebenbereichen Linguistik und Soziologie. 81 Die NKFUST konzentriert sich überwiegend auf zwei Fachrichtungen, nämlich Übersetzen und DaF-Didaktik. Ihre Studierenden müssen insgesamt 36 Punkte (inkl. 6 Punkte durch die Masterarbeit) erwerben und vor der Zulassung zur Abschlussprüfung auch eine der deutschen Sprachprüfungen ablegen, wie z.B. TestDaF auf dem Niveau TDN3, ZDfB auf dem Niveau B1 etc. Zurzeit bietet nur die Fu-Jen-Universität ein Austauschprogramm für die MA-Studierenden an, wobei sie mit der Interkulturellen Germanistik der Universität Bayreuth zusammenarbeitet. Dadurch besteht für die MA- Studierenden die Möglichkeit, einen Doppelabschluss beider Universitäten zu erlangen. Die Deutschabteilung an der Wenzao University und deren Curriculum Die Deutschabteilung der Wenzao-Universität 82 , die es bereits seit 1966 gibt, bot früher lediglich eine 5-jährige Ausbildung für Mittelschulabsolventen an. Seit 1998 ist sie durch drei weitere Collegestufen erweitert worden, nämlich durch ein 4-jähriges und ein 2-jähriges College für die Tagesschule und durch ein 4 jähriges College für die Abendschule. 83 Durch diese Erweiterung bietet die Deutschabteilung der Wenzao den Absolventen des 5-jährigen Junior Colleges und den Oberschulbzw. Berufsoberschulabsolventen weitere Studienmöglichkeiten, also das 2-jährige und das 4-jährige Collegestudium, an. Es gibt pro Studienjahr 100~110 Studienplätze für das 5-jährige 81 Studierende, die zum Masterstudium für Germanistik an der Soochow Universität zugelassen sind, müssen ein Hauptfach aus den vier oben genannten Fachbereichen und ein Nebenfach aus den zwei oben genannten Nebenbereichen auswählen. 82 Die Wenzao-Universität, ursprünglich eine 5-jährige Fachoberschule für Fremdsprachen (also Wenzao Ursuline Junior College of Foreign Languages), wurde im Jahr 1966 gegründet und im Jahr 1999 vom Erziehungsministerium als akademische Einrichtung (also Wenzao Ursuline College of Languages) anerkannt. Seit dem 01.08.2013 lautet der Name in Wenzao Ursuline University of Languages. 83 Das 4-jährige College für die Tagesschule und die Abendschule nimmt im wesentlichen Oberschul- und Berufsoberschulabsolventen auf; das 2 jährige College nimmt nur die Absolventen des 5-jährigen Junior Colleges auf. <?page no="127"?> 127 College (zwei Klassen mit jeweils maximal 55 Schülern), 50 für das 4-jährige College und 35 für das 2-jährige College. Im Hinblick auf eine bessere Voraussetzung für die berufliche Zukunft ihrer Studierenden bietet die Wenzao-Universität auch eine zweisprachige Ausbildung an. Die Deutschlernenden der Wenzao-Universität müssen außer Deutsch als Hauptfach noch Englisch als Nebenfach belegen. Die Schwerpunkte des Curriculums sind, außer dem Erwerb der grundlegenden Deutschkenntnisse (Grammatik, Lesen, Konversation und Hörverstehen), überwiegend in vier Bereiche eingeteilt: Übersetzen, Kultur und Gesellschaft, Wirtschaft und Tourismus. Studienschwerpunkte in den Fachkursen jeder Collegestufe werden in Tabelle 3-4 dargestellt. Tabelle 3-4: Collegestufen und ihre Studienschwerpunkte Collegestufen Studienschwerpunkte 5-jähriges Junior College Grundlagenwissen über deutschsprachige und europäische Kultur, Landeskunde, Übersetzung, Wirtschaft, Technik, Medien und Tourismus 4-jähriges College Grundlagenwissen und Fachkenntnisse über deutschsprachige und europäische Kultur, Europäische Union, Deutsch als Fremdsprache, Wirtschaft, Tourismus und Hotellerie 2-jähriges College Grundlagenwissen und Fachkenntnisse über deutschsprachige und europäische Kultur, Übersetzung, Deutsch als Fremdsprache und Wirtschaft Aus: Chang, Shoou-Huey / Parchwitz, Jörg-A. (2006): Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation, am Beispiel des Wenzao Colleges, 65f. Vor Abschluss ihres Studiums müssen die Studierenden an der Wenzao- Universität seit 2002 auch die externe Sprachprüfung Zertifikat Deutsch auf Niveau B1 des europäischen Referenzrahmens mit Erfolg bestehen. 84 Weitere externe Prüfungen, die während des Studiums an der Wenzao-Universität abgelegt werden können, sind FLPT 85 , BULATS 86 (mit B1), ZDfB (mit B2) etc. 84 Nach Aussagen der Lehrperson D wurde ab Sommersemester 2007 ein Nachhilfekurs für Studierende eingerichtet, die die Prüfung nicht bestanden haben. Aber selbst wenn der Nachhilfekurs durch Prüfung erfolgreich abgeschlossen wird, wird trotzdem im Abschlusszeugnis vermerkt, dass die deutschen Sprachkenntnisse nicht ausreichend sind. 85 FLPT: Foreign Language Proficiency Test mit mindestens 150 Punkten (schriftlich) und auf dem Niveau S2 (mündlich). <?page no="128"?> 128 Im Unterschied zu den anderen Deutschabteilungen bietet die Wenzao- Universität pro Semester nur 13 Studierenden, die durch Bewerbung und Interview ausgewählt werden, die Teilnahme an einem Austauschprogramm (1 Semester) mit den Partneruniversitäten (Mainz und Leipzig) bzw. -hochschule (Westsächsische Hochschule Zwickau) an. Deutschlehrkräfte 87 an Universitäten Die Lehrkörper aller Deutschabteilungen setzen sich aus Vollzeit- und Teilzeitlehrkräften zusammen. In Tabelle 3-5 wird die Anzahl der Vollzeit- und Teilzeitlehrkraft in jeder Deutschabteilung dargestellt. Tabelle 3-5 : Vollzeit- und Teilzeitlehrkraft in jeder Deutschabteilung Vollzeitlehrkräfte Teilzeitlehrkräfte einheimisch ausländisch einheimisch ausländisch Fu-Jen-Universität 8 1 6 2 Wen-Hua-Universität 5 2 1 2 Tamkang-Universität 5 3 10 1 Soochow-Universität 9 2 6 5 NKFUST 7 2 1 2 Da-Yeh-Universität 5 3 6 0 Chengchi-Universität 88 1 2 1 1 Wenzao Ursuline University of Languages 13 4 13 4 Stand: Studienjahr 2013/ 2014 86 BULATS: Business Language Testing Service. 87 An den Universitäten und Hochschulen Taiwans werden die Lehrkräfte nach dem Muster der USA in 4 Kategorien eingeteilt, nämlich Professor, Associate Professor, Assistenzprofessor und Dozent. Früher war nur ein Masterabschluss für die Anstellung als Dozent notwendig. Zurzeit erhält man aber ohne Doktortitel keine Festanstellung mehr an Universitäten und Hochschulen. Mit dem Doktorgrad wird man zuerst Assistenzprofessor und danach durch Habilitation weiter hochgestuft. Wer eine Promotion oder eine Habilitation vorweisen kann, hat die Möglichkeit, sowohl an Graduierteninstituten als auch an Fachabteilungen der Universitäten zu unterrichten. Ohne diese Voraussetzungen (als Dozent) kann man nur in den Fachabteilungen lehren. 88 Dabei gibt es drei Sprachfachrichtungen, nämlich Französisch, Deutsch und Spanisch. Für Deutsch sind zurzeit nur zwei Lehrpersonen fest angestellt. Lehrkräfte Universitäten <?page no="129"?> 129 Bei beiden Gruppen ist (außer an der Chengchi-Universität) der Anteil an einheimischen Deutschlehrenden in der Regel viel höher als der Anteil muttersprachlicher Lehrender. Das zahlenmäßige Verhältnis von einheimischen / ausländischen Lehrkräften ist in beiden Gruppen je nach Universität unterschiedlich, weil dies hauptsächlich davon abhängt, wie viele Unterrichtsstunden der Abteilung von der Universität zugeteilt werden. Früher wurden die die einheimischen Deutschlehrenden während ihres Auslandsstudiums bzw. ihres Masterstudiums in Taiwan meistens in den Fachgebieten Literaturwissenschaft, Germanistik, Linguistik und Philosophie ausgebildet. Hingegen kamen die ausländischen Deutschlehrenden meistens aus so unterschiedlichen Fachbereichen wie Sinologie, Philosophie, Soziologie, Erziehungswissenschaft, Geschichte etc. und wurden aufgrund ihrer muttersprachlichen Kompetenz angestellt, obwohl ihr Forschungsbereich nicht direkt mit Germanistik bzw. DaF-Unterricht zu tun hatte. An den meisten Deutschabteilungen waren nur wenige an Universitäten ausgebildete DaF- Fachkräfte tätig, außerdem hatten nur einzelne die Möglichkeit, durch ein Stipendium am Goethe-Institut eine Lehrerausbildung für Deutsch als Fremdsprache absolvieren zu können. In den letzten Jahren ist die Zahl der qualifizierten DaF-Lehrkräfte zwar gestiegen, aber ihr Anteil ist im Vergleich zu den Lehrkräften aus anderen Fachgebieten wie Germanistik, Literatur und Linguistik noch ziemlich niedrig. Dieser Zustand hat sich also bis heute nicht wesentlich verändert. Die Gründe dafür sind wohl, dass es einerseits nicht so viele auf DaF spezialisierte ausländische Lehrkräfte in Taiwan und auch nicht so viele Lehrerstellen für sie gibt. Andererseits spielt die Promotion eine sehr große Rolle: Wie bereits in Anmerkung 87 erklärt, entscheidet sie darüber, ob man an einer Universität als Vollzeit- oder Teilzeitkraft angestellt wird. Als Vollzeitkraft angestellt zu sein, bedeutet eine feste Anstellung mit Monatsgehalt (und meist auch Bonus am Jahresende sowie eine Rentenzahlung), eine Teilzeitkraft hingegen wird für höchstens 6 Wochenstunden eingestellt und erhält (in der Regel während 11 Monaten pro Jahr) ein Stundenhonorar. Taiwanische Lehrkräfte, die in Deutschland ihren Magister bzw. Master in DaF gemacht haben, können deswegen nicht mehr fest angestellt werden. Da sie von dem geringen Verdienst einer Teilzeitstelle nicht leben können, wandern sie in andere Berufe ab. Auch für die muttersprachlichen DaF- Lehrkräfte, die nicht promoviert sind, stellt dies ein Problem dar. Für sie bestehen an den meisten Universitäten keine speziellen Lektoratsstellen. 89 89 Ausländer können prinzipiell auch ohne Promotion angestellt werden. Aber die Universitäten bevorzugen promovierte Lehrkräfte, weil das beim Universitätsranking bzw. bei der turnusmäßigen Evaluation universitärer Lehre besser bewertet wird. <?page no="130"?> 130 Als Teilzeitangestellte können sie zwar eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für Taiwan bekommen, jedoch bevorzugen die Universitäten Lehrkräfte mit einer Promotion. So können eigentlich nur Ausländer unterrichten, die sich entweder aus einem anderen Grund (z.B. Heirat) in Taiwan niederlassen dürfen oder eben promoviert und deshalb eine feste Stelle gefunden haben. In diesem Zusammenhang wäre es wichtig, in Zukunft auch in Taiwan eine systematische didaktisch-methodische Ausbildung im Fach DaF (bis zur Promotion) anzubieten. Einrichtungen In den letzten Jahren haben alle Deutschabteilungen aus Konkurrenzgründen für die vom Erziehungsministerium durchgeführte universitäre Evaluation nicht nur vermehrt Fachliteratur angeschafft (sowohl einzelne Veröffentlichungen als auch Zeitschriften) und den wissenschaftlichen Output erhöht, sondern auch ihre technische Ausstattung verbessert. Früher war das taiwanische Germanistikstudium auf Literatur und Linguistik ausgerichtet, so gab es vor allem dazu Fachliteratur. Doch in den letzten Jahren sind die Fachbereiche DaF und Übersetzungswissenschaft immer populärer geworden, und so steht auch mehr Fachliteratur dazu in den Bibliotheken. Zurzeit stehen moderne High-Tech-Produkte wie z.B. Satellitenfernsehen, Computer, Multimedia-Projektoren, Flachbild-Projektoren, All-in-one-Rekorder, VCD/ DVD-Player, Fernseher etc. und auch gut ausgestattete Mediotheken mit verschiedener Lernsoftware, Filmen, VCDs und DVDs in der Zielsprache fast an allen taiwanischen Deutschabteilungen für den Unterricht zur Verfügung. Laut Pause-Chang (1993, 27) war der computergestützte Unterricht vor einigen Jahren wegen der hohen Kosten, ungenügender Hard- und Software und Platzproblemen schwer einzuführen. Heute ist die Einführung eines computergestützten Unterrichts zwar nicht mehr nur ein Traum, aber die Anforderungen an den Benutzer dieser Technik steigen ständig und stellen neue Probleme für die Unterrichtenden dar. Im Allgemeinen hat sich die Lernumgebung für Deutschlernende in den letzten 10 Jahren aber sehr verbessert. Heute können die Studierenden an allen Deutschabteilungen durch Satellitenfernsehen aktuelle Nachrichten und Sendungen aus Deutschland empfangen und auch geeignete DaF-Software entweder zum Selbstlernen oder zum Üben aus der Mediothek ausleihen. Das größte Problem ist dabei wohl die Frage, wie viele Studierende diese Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse denn auch wirklich wahrnehmen wollen oder können. <?page no="131"?> 131 3.3.3 Grammatikvermittlung im Rahmen des Germanistikstudiums Grammatikkenntnisse werden als wichtiger Baustein beim Erwerb einer Fremdsprache betrachtet. In Taiwan ist die Grammatik-Übersetzungs- Methode (GÜM) im universitären L2-Unterricht bis heute von großer Bedeutung. Nach dieser Methode erklären die Lehrenden ihren Lernenden zielsprachliche Grammatikregeln in der Muttersprache, und die Lernenden wenden dann die gelernten Regeln an, um Sätze zu bilden, Texte zu produzieren etc. Diese Unterrichtsmethode übt heute immer noch einen Einfluss auf den L2-Unterricht aus, wobei sie in Taiwan sowie in anderen asiatischen Ländern wie China, Japan, Korea, Indien etc. zur Grammatikvermittlung am häufigsten eingesetzt wird (vgl. dazu 1.2.1). Im Folgenden werde ich näher darauf eingehen, wie die Planung des Grammatikunterrichts an den meisten Deutschabteilungen aussieht und welche Rolle er in jedem Jahrgang spielt. Zur Planung und Rolle des Grammatikunterrichts Wie bereits zuvor in 3.3.1 erwähnt zählt der Grammatikunterricht zum Grundstudium, generell wird er in den ersten 2 Studienjahren von nichtmuttersprachlichen Lehrkräften in Chinesisch durchgeführt und sollte am Ende des Grundstudiums abgeschlossen sein. Im ersten Studienjahr sind dafür 4 Wochenstunden, im zweiten 2 oder 4 Wochenstunden vorgesehen. Der Erwerb der grundlegenden Grammatikkenntnisse gilt dabei als Lernziel und soll dem Aufbau der anderen relevanten Fertigkeiten wie Hören, Sprechen und Lesen dienen. Die Grammatikkenntnisse werden wie die anderen Bereiche für sich bewertet und der Grammatikunterricht spielt eine gleichberechtigte Rolle. Im dritten und vierten Studienjahr (also im Hauptstudium) wird meist kein Grammatikunterricht mehr angeboten, wobei die Grammatik als Verstehensmittel für die Fachkurse wie Literatur, Linguistik, Didaktik etc. dient und nur je nach Unterrichtskontext schwerpunktmäßig wiederholt wird. An den meisten Deutschabteilungen werden für den Deutschunterricht aus Deutschland importierte Lehrwerke verwendet. Die Grammatikprogression folgt dem verwendeten Lehrwerk. In der Regel wird der Unterricht vorwiegend nach der GÜM und in Form von lehrgesteuertem Frontalunterricht gestaltet. Die zu vermittelnden Grammatikphänomene werden häufig durch die isolierten Einzelsätze an der Tafel präsentiert und erklärt. An diese methodische Vorgehensweise sind die Studierenden aus dem schulischen Kontext des Englischunterrichts gewöhnt. Von daher lernt der Großteil davon im Unterricht wie zuvor in den Schulen weiterhin als passivrezeptierende Zuhörer, und macht höchstens Notizen darüber, was die Lehrperson gerade unterrichtet hat. Die meisten Studierenden wagen es auch nicht, Fragen unmittelbar an die Lehrenden zu stellen, wenn sie wäh- <?page no="132"?> 132 rend des Unterrichts Verständnisprobleme haben oder auf Lernschwierigkeiten stoßen. Aufgrund des stark ausgeprägten hierarchischen Verhältnisses zwischen Lehrenden und Studierenden oder aus Angst vor Gesichtsverlust fragen sie meistens lieber ihre Kommilitonen bzw. sie suchen andere Möglichkeiten, ihre Probleme zu lösen (vgl. 7.2.2 und 7.2.3). Dieses nicht initiative Lernverhalten, die passiven Gewohnheiten und der lehrgesteuerte Unterricht sind nicht nur im DaF-Unterricht beobachtbar, sondern auch ganz allgemein im universitären Unterricht. Diese oben erwähnte Lehr- und Lernsituation hat die Verfasserin dieser Arbeit über einen Zeitraum von 15 Jahren selbst erfahren, sie wurde auch bei Chang (2002, 91f.) nachgewiesen. Probleme im Grammatikunterricht Der Erwerb der grammatischen Grundlagen sollte zwar am Ende des 2jährigen Grundstudiums bereits abgeschlossen sein, aber diese Kenntnisse reichen weder für die sprachliche Bewältigung der Fachkurse im Hauptstudium noch für die Alltagskommunikation aus. Dies kann auf viele Faktoren zurückgeführt werden, doch die Hauptursache liegt m.E. darin, dass der Großteil der Studierenden die gelernten grammatischen Phänomene und deren unterschiedlichen situativen Gebrauch nicht richtig verstanden hat und deshalb nicht wirklich beherrscht. Laut Pause-Chang (1993, 25ff.) wissen die meisten Studierenden, dass ihre Grammatikkenntnisse weder solide genug noch ausreichend sind, und sie hoffen, dass im Hauptstudium immer noch Grammatikunterricht angeboten wird. Weil aber die Studierenden das im Grundstudium Gelernte mangels praktischer Anwendungsmöglichkeiten bzw. Wiederholung sehr schnell wieder vergessen haben, können die Unterrichtenden nicht darauf aufbauen und müssen in zeitraubender Wiederholungsarbeit ständig die Grundlagen auffrischen, wodurch jeder weiterführende Unterricht verzögert wird. Natürlich sind in den sprachstrukturellen Unterschieden zwischen dem Chinesischen und Deutschen und dem daraus resultierenden Transfer ebenfalls wichtige Ursachen für das Auftreten von Lernschwierigkeiten zu suchen (vgl. 7.3.2). Aber im Vergleich zu den anderen Sprachfertigkeiten sind die Deutschstudierenden beim Grammatiklernen erfolgreicher. Denn sie sind bereits vom Englischunterricht an den Mittel- und Oberschulen gewöhnt, sich auf den Erwerb von Grammatikkenntnissen zu konzentrieren. Wie Shr (1994, 27f.) erwähnt, bedeutet das Beherrschen einer Fremdsprache für viele taiwanische Studierende lediglich, Hunderte von zielsprachlichen Grammatikregeln auswendig zu lernen und dann im Kopf zu behalten. Sie betrachten Grammatikkenntnisse und die damit verbundenen Schreibfertigkeit als am wichtigsten, denn diese waren in ihrer Schulzeit für das Bestehen der endlosen Klausuren immens hilfreich. Deshalb vernachlässigen die Studierenden häufig die anderen Sprachfertigkeiten. Dies führt dazu, dass der Großteil der <?page no="133"?> 133 Studierenden sich nach dem vierjährigen Deutschbzw. Germanistikstudium selbst im Alltag nicht auf Deutsch verständigen kann. Außerdem können die erworbenen Grammatikkenntnisse nicht richtig in Satz- und Situationskontexten angewendet werden, obwohl in deren Erwerb - im Vergleich zu anderen Sprachfertigkeiten - während des Studiums besonders viel Zeit und Mühe investiert wurde. Kapitel 3 zeigt die Bedingungen des DaF-Lehrens und -Lernens in Taiwan, die den Hintergrund für den Grammatikunterricht und seine spezielle Rolle im Rahmen eines Deutschbzw. Germanistikstudiums bilden. Auch die Einstellung zum Lernen und die Motivation der Beteiligten sowie die Lern- und Lehrprobleme im Grammatikunterricht sind nicht ohne diesen Hintergrund zu verstehen. Bei der Ursachensuche muss dieser Hintergrund genauso berücksichtigt werden wie bei der Entwicklung von möglichen Alternativen. Im folgenden Abschnitt stehen die linguistischen und kulturellen Aspekte im Mittelpunkt, die weiterhin zum Verständnis der Schwierigkeiten beitragen können. Sie sollen nun genauer untersucht und analysiert werden, um darauf basierende Lösungsansätze zur Behebung dieser Problematik zu finden (siehe Teil III). <?page no="134"?> 134 4 Linguistische und kulturelle Hintergründe Lernende, deren Muttersprache Chinesisch ist, haben große Schwierigkeiten beim Erwerb der deutschen Sprache, insbesondere im Bereich Morphologie und Syntax (vgl. Zhang 1982, 44ff.; Liu 1982, 36ff.; Gao 1983, 44ff.; Dai 1995, 15ff.). Dafür gibt es linguistische und kulturelle Gründe. Aus linguistischer Sicht sind Chinesisch und Deutsch keine verwandten Sprachen, denn Chinesisch gehört zur sino-tibetischen Sprachfamilie, Deutsch ist eine indoeuropäische Sprache. Darüber hinaus weisen die beiden Sprachen bereits auf der Ebene der Sprachstruktur sehr unterschiedliche Merkmale auf. Aus kultureller Sicht ist die große Distanz zwischen dem deutschen und dem chinesische Sprach- und Kulturraum (v.a. China, Taiwan und Hongkong) zu beachten. Die kulturellen Unterschiede zwischen Osten und Westen, insbesondere die verschiedenen Lerntraditionen und -gewohnheiten, spielen auch eine bedeutsame Rolle. Chinesischsprachige Lernende verhalten sich aufgrund der konfuzianischen Lerntradition im Unterricht oft weder aktiv noch kreativ. Dies wird als eine der wichtigen Ursachen für deren Lernprobleme betrachtet. In den folgenden Unterkapiteln (4.1 und 4.2) werde ich zunächst die sprachstrukturellen Unterschiede zwischen Chinesisch und Deutsch im Bereich Morphologie und Syntax aufzeigen und danach näher darauf eingehen, welche der konfuzianischen Lerntradtionen und -gewohnheiten besonders starken Einfluss auf die taiwanischen Lernenden im Deutschunterricht ausüben. 4.1 Unterschiede der Sprachstrukturen von Chinesisch und Deutsch Hauptmerkmale des Chinesischen und des Deutschen Charakteristische Merkmale des Chinesischen sind Tonalität, Einsilbigkeit, Nicht-Flektierbarkeit und die Schriftzeichen. Im Chinesischen kann jede Silbe in vier verschiedenen sogenannten „Tönen“ ausgesprochen werden. Je nachdem, ob ein Laut mit gleichbleibender, steigender, tief aufsteigender oder abfallender Tonlage 90 gesprochen wird, verändert sich seine Bedeutung, und diesen verschiedenen Bedeutungen werden wiederum verschiedene 90 Im Chinesischen wird die gleichbleibende Tonlage als der erste Ton (Zeichen: „- “), die steigende Tonlage als der zweite Ton („ ˊ “), die tief aufsteigende Tonlage als der dritte Ton („ˇ“) und die abfallende Tonlage als der vierte Ton („ ˋ “) bezeichnet. <?page no="135"?> 135 Schriftzeichen zugeordnet, die nicht unbedingt der gleichen Wortart angehören. Wählen wir als Beispiel die chinesische Silbe „wen“. In gleichbleibender Tonlage bedeutet der Laut „warm“ (Schriftzeichen: 溫 ), in steigender Tonlage „Mücke“ ( 蚊 ), in tief aufsteigender Tonlage heißt er „Kuss“ ( 吻 ) und in abfallender Tonlage „fragen“ ( 問 ). Aufgrund der Einsilbigkeit der chinesischen Morpheme oder Grundwörter existieren im Chinesischen viele Homonyme, z.B. kann der Laut „wen“ im ersten Ton je nach Kontext in der Bedeutung „warm“ oder „Seuche“ ( 瘟 ) vorkommen. Aber mit der Zeit hat sich das Chinesische von einer einsilbigen Sprache zur zwei- oder mehrsilbigen Sprache entwickelt, und so besteht der Großteil der heutigen Wörter aus zweibzw. mehrsilbigen Zusammensetzungen (vgl. Lin-Huber 2001, 188f.; Denninghaus 1995, 348). Außerdem wird das Chinesische als analytische und isolierende Sprache bezeichnet. Das heißt, dass im Chinesischen keine Flexionsformen wie in den indoeuropäischen Sprachen existieren. Die chinesischen Wörter aller Wortarten haben nur eine einzige Form und verändern sich nicht durch Flexion (d.h. Deklination und Konjugation). Deshalb bestehen die Sätze des Chinesischen aus einer Folge unveränderlicher Wörter bzw. Wortstämme. Dagegen ist die Wortstellung im Chinesischen sehr streng geregelt. Die chinesische Schrift besteht nicht aus Buchstaben oder anderen Zeichen für Laute, sondern ursprünglich aus Piktogrammen 91 . Die Wörter setzten sich meist aus mehreren Zeichen zusammen. Es gibt keine genauen Angaben darüber, wie viele Schriftzeichen insgesamt im Chinesischen vorhanden sind. Aber man schätzt, dass rund 80000 Schriftzeichen 92 existieren und fürs Alltagsleben ca. 3500 - 5000 davon verwendet werden. Im Gegensatz zum Chinesischen ist das Deutsche eine flektierende und synthetische Sprache. Es besitzt eine Menge von flektierbaren Wortklassen, nämlich Artikel, Substantive, Verben, Pronomen, Adjektive und Numeralien. Außerdem regieren die Präpositionen, die in verschiedenen Kategorien 93 unterteilbar sind, in verschiedenen Fällen bzw. Kontexten je einen anderen Kasus des Bezugswortes bzw. einer Nominalgruppe. Denn im Deutschen erlangen die Wörter durch verschiedene Präpositionen unterschiedliche Bedeutung. Kennzeichen der deutschen Sprache ist, dass die morpholo- 91 Piktogramme sind Bildzeichen, die konkrete Gegenstände oder abstrakte Begriffe grafisch darstellen (vgl. Chao/ Kunig/ Sabban (Hrsg.) 1976, XVf.; Denninghaus 1995, 349; Lin-Huber 2001, 192ff.). 92 Das in China erschienene größte Zhung-Hua-Lexikon ( 中華辭海 ) beinhaltet rund 80000 Schriftzeichen aus allen Bereichen. 93 Nämlich Präpositionen mit Akkusativ, Dativ, oder Genitiv, Wechselpräpositionen mit Akkusativ oder Dativ, Temporale Präpositionen, Präpositionen mit Nomen, Präpositionen mit Verben und Präpositionen mit Adjektiven. <?page no="136"?> 136 gischen, syntaktischen und semantischen Strukturen stark voneinander abhängig sind. Im Folgenden werde ich tiefer auf die Unterschiede der beiden Sprachen eingehen und Beispiele anführen, die den sich im chinesischen Sprach- und Kulturraum befindenden DaF-Lernenden hinsichtlich des in 1.4 dargestellten kontrastiven Sprachvergleichs auf den Ebenen von Morphologie und Syntax Schwierigkeiten bereiten. 4.1.1 Morphologie Chinesisch und Deutsch, deren Wortarten mit einigen wenigen Ausnahmen 94 fast symmetrisch vorhanden sind, haben trotzdem ihre Besonderheiten. Wie bereits erwähnt, verfügt das Deutsche über ein kompliziertes Flexionssystem, ganz im Gegensatz zum Chinesischen. Im Deutschen werden die Funktionen der Flexion je nach Wortart entweder durch Deklination oder durch Konjugation realisiert. Im Folgenden werden die Unterschiede zwischen grammatischen Morphemen der beiden Sprachen nach Wortarten aufgezeigt. 1) Substantiv Im Deutschen besitzt ein Substantiv folgende Eigenschaften: Großschreibung, Genus, Kasus und Numerus. Es wird besonders darauf hingewiesen, dass der Kasus, der vorwiegend durch das Kasus-Zeichen am Artikelwort bzw. Adjektiv erkennbar ist, nach unterschiedlichen Positionen im Satz dekliniert wird. Dagegen spielt das chinesische Substantiv eine „unsichtbare“ Rolle. Das heißt, es verfügt über keinerlei grammatische Morpheme. Außer dessen Numerus, der in bestimmten Fällen entweder durch Zahlwörter, Demonstrativpronomen oder durch „ mēn “ ( 們 ) bei bestimmten persönlichen Nomen erkennbar ist, hat es keine besonderen äußerlichen Merkmale. Beispiele: „Apfel“ und „Mitschüler“ 94 Zähleinheitswort ( 量詞 ), Hilfswort ( 助詞 ) und Modalhilfswort ( 語助詞 ) sind nach Ma (1984, 32f.) die drei einzigen Wortarten, die nur im Chinesischen existieren. Das Zähleinheitswort, das zwar im Deutschen in manchen Fällen auch gebraucht wird, betrachtet man im Chinesischen eher als Maßeinheit für das chinesische Substantiv. Speziell ist, dass es ein fest dazugehöriges Zähleinheitswort zu jedem Substantiv gibt. Das Hilfswort wie z.B. de ( 的 ) steht normalerweise nach Attributen (Substantiv, Pronomen, Adjektiv) und verbindet das jeweilige Attribut und das dazugehörige Bezugswort. Das Modalhilfswort hat im Chinesischen zwei Funktionen. Es kann sowohl als eine Fortführung zu der jeweiligen Handlung bzw. Zustand ausdrücken als auch als eine hervorgehobene Modalpartikel für Zweifel, Anraten, Einverständnis etc. am Satzende stehen (vgl. Lí 2007, 153ff.). <?page no="137"?> 137 Genus und Numerus Singularform Im Deutschen Im Chinesischen der Apfel Ø 95 蘋果 (píngguǒ) der Mitschüler Ø 同學 (tóngxué) Pluralform Im Deutschen Im Chinesischen die Äpfel Ø 96 蘋果 (píngguǒ) die Mitschüler Ø 97 同學們 (tóngxuémēn) Trotzdem kann man dem Satzbau bzw. der Satzbedeutung entnehmen, welche grammatischen und semantischen Funktionen des Kasus (Nominativ, Akkusativ, Dativ, Genitiv) das chinesische Substantiv besitzt. Beispielsatz: Kasus Deutsch: Ich habe gerade (einen) Apfel / Äpfel gekauft. Chinesisch: Gānggāng wǒ mǎile píngguǒ 剛剛我買了蘋果 gerade ich habe gekauft Apfel Im obigen Beispielsatz erkennt man an der Stellung, dass pínggu ǒ ein Objekt ist, und man erkennt auch, dass es ein direktes Objekt ist, weil es nicht mit der Silbe gěi ( 給 ) 98 , mit der man z.B. das Vollverb bezeichnet und indirekte Objekte markiert sind, eingeleitet wird. Das Wort an sich bleibt unverändert, ebenso bei den anderen Fällen. Artikel sowie Genus existieren nicht. 2) Verben Im Deutschen unterteilen sich die Verben in trennbare und untrennbare sowie regelmäßige und unregelmäßige Verben. Es gibt insgesamt sechs Zeitformen von einem Verb, also Plusquamperfekt, Präteritum, Perfekt, Präsens, Futur I und Futur II. Die Verben werden abhängig von Person, Tempus, 95 Ø: Null-Morphem 96 Ø: Null-Morphem. Hier sind lediglich Zusätze wie Zahlen und Demonstrativpronomen möglich. 97 Ø: Null-Morphem. Hier sind lediglich Zusätze wie Demonstrativpronomen möglich. 98 Das Wort „ gěi “ ( 給 ) kann je nach Kontext im Chinesischen sowohl als Präposition als auch als Vollverb oder als „Bestandteil einer komplexen Verbfügung“ genutzt werden (vgl. Bisang 1992, 176f.). Dies ist z.B. durch die folgenden angeführten Beispielsätzen (1) und (2) noch deutlicher zu sehen. <?page no="138"?> 138 Numerus und Modus konjugiert. Dagegen verändern sich die Verben des Chinesischen überhaupt nicht, weder in Tempus, Numerus Person, noch im Modus. Sie bleiben gleich in allen Formen. Die Zeiten werden entweder durch zusätzliche Zeitangaben wie zuótiān ( 昨天 ) ‘gestern’, jīntiān ( 今天 ) ‘heute’, míngtiān ( 明天 ) ‘morgen’ und xiànzài ( 現在 ) ‘jetzt’ etc. oder durch die Signalwörter ‘le’ ( 了 ) oder ‘guò’ ( 過 ) für die Vergangenheit, ‘zhèng’ ( 正 ), ‘zài’ ( 在 ) bzw. ‘zhèngzài’ ( 正在 ) für die Gegenwart und ‘jiāng’ ( 將 ), ‘yào’ ( 要 ) bzw. ‘jiāngyào’ ( 將要 ) für die Zukunft ausgedrückt. 99 Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt darin, dass das Verb im Deutschen den Satz regiert. Es bestimmt die Komponenten, also Ergänzungen, die in einem Satz obligatorisch sind, und bestimmt auch, in welchem Kasus diese stehen. Eine Gemeinsamkeit beider Sprachen ist es, dass zwischen transitiven und intransitiven Verben differenziert wird. 3) Pronomen Pronomen bedeutet „Fürwort“, also ein Wort, das ein anderes ersetzen kann. Im Deutschen existieren viele verschiedene Pronomenarten, die in Abb. 4-1 aufgeführt sind. Je nach Kontext werden die oben genannten Pronomina durch entsprechende deklinierte Formen ersetzt. Im Chinesischen hingegen gibt es lediglich einige unflektierte Pronomenformen, nämlich Personal-, Possessiv-, Demonstrativ-, Interrogativ- (Indefinit-), Präpositions- und Sonderpronomen. Sie bleiben unabhängig vom jeweiligen Kontext und der jeweiligen Satzstruktur immer gleich, sowohl als Laut wie als Schriftzeichen. Deswegen kann man sie nur durch die Wortstellung im Satz als Subjekt oder Objekt differenzieren. 99 (Im Folgenden vgl. Li und Cheng 1993, 429ff.) In manchen Literaturen werden die Signalwörter auch als Aspektpartikel ( 動態助詞 ) bezeichnet. Sie drücken die verschiedenen Zustände einer Handlung aus. Z.B. bei ‘le’ ( 了 ) geht um es die Vollendung einer Handlung, und die Grundform ist: S + V (Prädikat) + le + (Objekt); ‘guò’ ( 過 ) verwendet man zur Angabe einer gewissen Erfahrung in der Vergangenheit, die Grundform ist: S + V (Prädikat) + guò + (Objekt); Die Wörter ‘zhèng’ ( 正 ), ‘zài’ ( 在 ) bzw. ‘zhèngzài’ ( 正在 ) geben an, dass die Handlung im Gang ist. Die Grundform ist: S + zhèng, zài bzw. zhèngzài + V (Prädikat) + (Objekt); ‘jiāng’ ( 將 ) bezieht sich auf eine Handlung, die bald bzw. in Zukunft geschehen wird. Die Grundform ist: (S) + jiāng, yào bzw. jiāngyào + V (Prädikat) + (Objekt) + le ( 了 ). Zu beachten ist hier, dass die genannten Signalwörter zwar die befindlichen Zustände der Handlung angeben, aber zeigen nicht, wann genau die Handlung passiert. Die Zeit ist im Chinesischen vorwiegend durch Adverbien, Zeitangaben bzw. Substantive zu übermitteln. <?page no="139"?> 139 Abb. 4-1: Vergleich der Pronomina im Deutschen und im Chinesischen Pronomenarten Im Deutschen Im Chinesischen 1. Personalpronomen ich, du, er, es, sie/ Sie, wir, ihr, sie/ Sie, mich, dich, ihn, es, sie/ Sie, uns, euch, sie/ Sie mir, dir, ihm, ihr/ Ihr, uns, euch, ihnen/ Ihnen 我 (wǒ)-ich 你 (nǐ)-du 他/ 她/ 它 (tā)-er/ sie/ es 您 (nín)-Sie 我們 (wǒmēn)-wir 你們 (nǐmēn)-ihr 他們/ 她們/ 它們 (tāmēn)-sie 您們 (nínmēn)-Sie 2. Possessivpronomen mein-, dein-, sein-, unser-, euer-, ihr- 我的 (wǒdē)-mein 你的 (nǐdē)-dein 他的/ 她的/ 它的 (tādē)-sein/ ihr/ sein 您的 (níndē)-Ihr 我們的 (wǒmēndē)-unser 你們的 (nǐmēndē)-ihr 他們的/ 她們的/ 它們的 (tāmēndē)-euer/ ihr/ euer 您們的 (nínmēndē)-Ihr 3. Demonstrativpronomen dies-, solch-, jen-, derselbe, dasselbe, dieselbe, der, die, das, den, dem, selbst, selber etc. 這個 (zhègè)-dies- 這些 (zhèxie)-solch- 那個 (nàgè)-jen- 那些 (nàxie)-jen- 4. Indefinitpronomen man, kein-, ein-, jemand-, niemand-, irgend-, manch-, all-, etwas, nichts etc. 哪一個 (nǎigè)-irgendein 誰 (shúi)-irgendwer 什麼 (shénme)-irgendetwas 哪裡 (nǎlǐ)-irgendwo 有人 (yǒurén)-jemand 5. Relativpronomen der, die, das, den, dem, denen, dessen, deren, welchetc. nicht vorhanden 6. Reflexivpronomen mich, dich, sich, uns, euch etc. nicht vorhanden 7. Präpositionspronomen woran, wofür, wobei, darin, damit, davon etc. 對此 (duìcǐ)-dazu, hierfür, darüber, dafür usw. 8. Interrogativpronomen wer, was, wen, wem, was für ein/ eine/ eins etc. sehr ähnlich wie Indefinitpronomen 9. Sonderpronomen es, das 什麼…,就…什麼 (shénme..., jiù..shénme) was.., das.. 哪兒…,就…哪兒 (nǎer..., jiù...nǎer) - wo..., dort... 4) Adjektive Adjektive gibt es zwar auch in beiden Sprachen, aber die Adjektive des Deutschen sind viel komplizierter als diejenigen im Chinesischen. Denn im Deutschen werden sie in den meisten Fällen dekliniert, wenn sie als Attribut zu einem Nomen stehen. Deren flektierte Form muss mit dem Genus, Kasus <?page no="140"?> 140 und Numerus des Nomen übereinstimmen. Außerdem muss man bei bestimmten Wendungen bzw. in manchen Fällen sogar darauf achten, welchen Kasus das betreffende Adjektiv regiert (Beispiel: Er ist seinem Vater ähnlich.) bzw. welche Präpositionalergänzung zu einem bestimmten Adjektiv verlangt wird. Im Chinesischen spielen solche Faktoren keine Rolle, das Adjektiv tritt einfach in der Form „Adjektiv+Nomen“ ohne Deklination auf. Beispiel: Chinesisch: 美麗的 (měilìdē) + 花 (huā) = Adjektiv + Nomen schön Blume Deutsch: die schönen Blumen Übrigens liegt eine Gemeinsamkeit der beiden Sprachen darin, dass die meisten Adjektive gesteigert werden können, allerdings auf verschiedene Art und Weise. Im Deutschen wird die Steigerung des Adjektivs durch die Komparativ- und Superlativform markiert. Im Chinesischen wird die Steigerung aber durch die Ergänzungen b ǐ jiào ( 比較 ) und zuì ( 最 ) plus Adjektiv ausgedrückt. Beispiel: schnell (chinesisch: kuài 快 ) Deutsch: Komparativ → schneller Superlativ → am schnellsten Chinesisch: Komparativ → 比較快 (bǐjiào kuài) Superlativ → 最快 (zuì kuài) 5) Präpositionen Die deutschen Präpositionen stellen für die Lernenden, deren Muttersprache Chinesisch ist, ein besonderes Problem dar. Denn einerseits sind die deutschen Präpositionen sehr vielfältig und können andererseits auch viele verschiedene Beziehungen aufzeigen, nämlich lokale, temporale, modale, kausale, finale und konzessive. Deshalb kommt es sehr oft vor, dass die gleiche Präposition je nach Kontext eine unterschiedliche Bedeutung erhält. Die Präpositionen im Deutschen sind zwar unflektierbar, aber sie bestimmen je nach Inhalt den Kasus dazugehörigen Wortes und werden zusammen mit Nomen, Verben oder Adjektiven gebraucht. Im Vergleich dazu spielen die Präpositionen im Chinesischen aufgrund der geringen Anzahl und deren Unflektierbarkeit keine so wichtige Rolle, obwohl sie wie im Deutschen je nach Funktion verschiedene Verhältnisse zwischen den Sachverhalten ausdrücken. Außer der Unflektierbarkeit liegt noch ein weiterer Unterschied darin, dass manche Präpositionen im Chinesischen wie z.B. b ǐ ( 比 ), gěi ( 給 ), yóu ( 由 ), w ǎ ng ( 往 ), tōngguò ( 通過 ) etc. sogar je nach Situation noch als Verben genutzt werden (vgl. Lí 2007, 133ff.). Nehmen wir hier gěi ( 給 ) als Beispiel: <?page no="141"?> 141 Beispielsatz (1): gěi als Präposition Chinesisch: Wǒ gěi tā mǎile yījiàn yángzhuāng 我給她買了一件洋裝 ich für sie habe besorgt ein Kleid Deutsch: Ich habe für sie ein Kleid besorgt. Beispielsatz (2): gěi (+ Anfügen le) als Resultativ-Verb* Chinesisch: Wǒ gěile tā yījiàn yángzhuāng 我給了她一件洋裝 ich habe gegeben sie ein Kleid Deutsch: Ich habe ihr ein Kleid gegeben. * Vgl. Bisang (1992, 176ff.) Oft werden gar keine Präpositionen verwendet, z.B. bei Zeitangaben. Die sehr oft gebrauchte Präposition zài ( 在 ) ist für die chinesischen Muttersprachler meistens Andeutung genug, um verschiedenste Lageangaben bzw. irgendeine Beschäftigung auszudrücken (vgl. Zhang 1982, 53f.; Gao 1983, 44f.). Beispielsatz (3): Zeitangabe ohne Präposition Deutsch: Wann fährst du in den Urlaub? → Am fünfzehnten Oktober. Chinesisch: Nǐ shénmeshíhòu qù dùjià? ( 你什麼時候去度假? ) → Shí yuè shíwǔ hào ( 10 月 15 號 ) du wann fahren zum Urlaub Oktober fünfzehnter Beispielsatz (4): zài bezeichnet eine Lageangabe Deutsch: Wo bist du jetzt? → Ich bin im Supermarkt. Chinesisch: Nǐ zài nǎlǐ? ( 你在哪裡? ) → Wǒ zài chāoshì ( 我在超市 ) du Lage wo ich Lage Supermarkt Beispielsatz (5): zài drückt eine laufende Beschäftigung (LB) aus Deutsch: Was macht deine Mama? → Sie ist am Kochen. Chinesisch: Nǐ māmā zài zuò shénme? ( 你媽媽在做什麼? ) → Tā zài zhǔfàn. ( 她在煮飯 ) dein Mama LB machen was sie LB kochen Überlegungen zum Morphologieerwerb im DaF-Unterricht In Hinblick auf die Kontrastivhypothese deuten die oben dargestellten Unterschiede der grammatischen Morphemen zwischen Deutsch und Chinesisch also darauf hin, dass das Flexion- und Tempussystem des Deutschen den DaF-Lernenden mit Muttersprache als Chinesisch bestimmte Lernprobleme und -schwierigkeiten bereitet, da Chinesisch keine flektierende Sprache darstellt und die Interferenzen somit dadurch entstehen können. So kommen Abweichungen häufig im Nominalbereich (z.B. im Genus und Kasus) sowie im Verbalbereich (z.B. in der Zeitform, Verendung, Partizipbildung, <?page no="142"?> 142 und SV-Kongruenz) vor. Dies wird bereits in nicht wenigen wissenschaftlichen Arbeiten 100 diskutiert und auch in der vorliegenden Arbeit durch die Unterrichtsbeobachtungen und den durchgeführten Grammatiktest empirisch bestätigt (vgl. 7.3.1 und 7.3.2). Darüber hinaus sind hier die Vorerfahrungen der Lernenden mit Englischlernen besonders von großer Bedeutung, und zwar in Bezug auf Wissensnutzung und Erfahrungstransfer. Aufgrund der engen Sprachverwandtschaft gibt es z.B. im Bereich von Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik etc. viele Ähnlichkeiten zwischen Englisch und Deutsch, so dass Englisch je nach Sprachebenen bzw. Zusammenhang als funktionale Brücke beim Deutschlernen und -lehren möglich ist (vgl. dazu 1.2.1). Z.B. hier beim Grammatikbzw. Morphologieerwerb finden sich die vergleichbaren Ähnlichkeiten in den Kategorien von Personalpronomen, regelmäßigen und unregelmäßigen Verben, Adjektiv- Komparation, Satzbau mit Modalverben, Tempus, Modus etc. (vgl. Kursiša / Neuner 2006; Hall 2010, 550ff.). Dies ist vor allem für die Lernenden, deren Muttersprache mit Deutsch nicht eng verwandt ist, in der Anfangsphase des Deutschlernens sehr hilfreich, wie z.B. hier für die DaF-Lernenden mit Chinesisch als Muttersprache. Wie bereits in 1.2.1 dargestellt wird mit Hilfe der Aktivierung vorhandener Englischkenntnisse einerseits der Lernweg zum Deutschen erleichtert, also wenn man seine bekannten sprachlichen Phänomene und Strukturen vom Englischen aktiviert und nutzt. Andererseits wird das Sprachbewusstsein der Lernenden zugleich auch durch den Sprachvergleich zwischen Englisch und Deutsch gefördert sowie entwickelt. Die Nutzung von Vorwissen und Vorerfahrungen begründen Kursiša / Neuner (2006, 4) mit dem L2-Lernkontext „Deutsch nach Englisch“ wie folgt: „Wenn man dieses breite gemeinsame Sprachpotenzial der beiden Sprachen (im Bereich der Grammatik und vor allem im Wortschatzbereich) aktiviert, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für einen schnellen Zugang zum Deutschen! Mit seiner Hilfe kann man vor allem im Anfangsunterricht im Verstehensbereich schnell, unaufwändig und effizient elementare Grammatikkenntnisse aktivieren, einen relativ großen Grundwortschatz des Deutschen aufbauen und Verfahren zur Entfaltung des Textverständnisses entwickeln.“ 100 Also z.B. bei Zhang (1982), Gao (1983), Xu (1984), Sui (1985), Dai (1995), Jahr (2004), Chen (2005) etc. <?page no="143"?> 143 4.1.2 Syntax Syntaktische Merkmale des Chinesischen und des Deutschen Jede Sprache der Welt hat ihre eigenen sprachstrukturellen Besonderheiten. Im Chinesischen sind diese: das Fehlen eines Flexionssystems, die spezielle Wortstellung und die elliptische Ausdrucksweise. 101 Diese Besonderheiten sind zugleich auch Unterschiede zwischen der Syntax des Chinesischen und des Deutschen. Ein chinesischer Satz besteht laut Zhang und Xu (1985, 216) hauptsächlich aus den Satzteilen Subjekt, Verb (Prädikat), Objekt, Adverbialbestimmung, Attribut sowie Komplement, und die Wortfolge lautet grundsätzlich: Subjekt-Verb-Objekt (SVO). Auf der Grundlage dieses Satzmodells werden die Sätze variiert und erweitert. Die Reihenfolge jedes Satzgliedes ist festgelegt, und aufgrund des Mangels der chinesischen Sprache an morphosyntaktischen Merkmalen dient diese feste Stellung als syntaktisches Mittel, um eine bestimmte sprachstrukturelle Beziehung eines Satzteils zu einem anderen zu markieren. Wie Qian (1985, 25ff.) bereits in seiner Arbeit dargestellt hat, steht am Satzanfang in der Regel das Subjekt. Dann folgt das Prädikat, das im Chinesischen aus einem Verb, einem Substantiv oder einem Adjektiv bestehen kann. Hinter dem Prädikat steht erst das Objekt. Die adverbiale Bestimmung steht grundsätzlich vor dem Prädikat, und das Attribut steht immer vor dem Substantiv, auf das es sich bezieht. Problematisch sind laut Tang (1984, 261f.) z.B. die Nominalergänzungen der Satzstruktur „Subjekt + Prädikat (Verb) + Objektiv“, denn in chinesischen Sätzen ist mangels Deklination nicht erkennbar, ob ein Substantiv Subjekt (im Nominativ) oder Objekt (im Akkusativ) ist. Von daher ist die Satzstellung von Subjekt und Objekt nicht beliebig veränderbar, d.h., das Subjekt bzw. Agens muss immer vor dem Prädikat stehen, und das Objekt bzw. Patiens hinter dem Prädikat (vgl. dazu Abb. 4-2). Hingegen lassen sich Subjekt und Objekt im Deutschen durch die Flexion ganz leicht unterscheiden, auch wenn deren Wortstellung im Satz wechselt. Denn wie bereits erwähnt, sind die morphologischen und syntaktischen Strukturen in der deutschen Sprache untrennbar miteinander verbunden. Deshalb ändert sich die Satzbedeutung nicht wegen der Umstellung. Im Chinesischen ist das hingegen nicht der Fall. Wenn man z.B. die Stellung von Subjekt und Objekt vertauscht, dann geht die ursprüngliche Satzbedeutung entweder verloren oder der Satz wird sinnlos und unverständlich. Beispielsätze (vgl. Tang 1984, 262.): 101 Vgl. Chao/ Kunig/ Sabban (Hrsg.) (1976, XIIff.), Lin-Huber 2001, 191ff. <?page no="144"?> 144 Abb. 4-2: Vergleich der Wortstellung im Chinesischen und im Deutschen Im Chinesischen Im Deutschen Bàbà mà wǒ (Papa schimpft mich) Subjekt Verb Objekt Wǒ mà bàbà (Ich schimpfe Papa) Subjekt Verb Objekt Papa schimpft mich. Subjekt Verb Objekt Mich schimpft Papa. Objekt Verb Subjekt Tā dǎ lánqiú (Er spielt Basketball) Subjekt Verb Objekt Lánqiú dǎ tā („Der Basketball schlägt ihn“: Unsinn! ) Subjekt Verb Objekt Er spielt Basketball. Subjekt Verb Objekt Basketball spielt er. Objekt Verb Subjekt Deswegen ist laut Qian (1985, 24f.) die Satzgliedstellung im Chinesischen nicht so flexibel wie im Deutschen. Ein weiteres syntaktisches Merkmal des Chinesischen ist die Ellipse. Im Chinesischen existieren Sätze, in denen man einen Satzteil, z.B. Subjekt, Verb, Präposition, Konjunktion etc. einfach weglassen kann. Trotzdem ist der Sinn des Satzes klar aus dem Kontext erschließbar. Dasselbe ist im Deutschen aber unzulässig. Nehmen wir als Beispiel einen subjekt- und verblosen Satz: Chinesisch Jīntiān hěn lěng (今天很冷) Heute sehr kalt Deutsch Heute (ist) es sehr kalt. Die Gegenüberstellung der beiden Sätze zeigt, dass der chinesische Satz von der Bedeutung her vollständig ist, obwohl Subjekt und Verb fehlen. Der elliptische Satz wird als völlig korrekt empfunden und ist es nach den Regeln der chinesischen Syntax auch. Während die semantischen Beziehungen zwischen den einzelnen Satzteilen und die logische Einbettung in den Kontext im Chinesischen eine bedeutende Rolle spielen, steht im Deutschen das Verb im Mittelpunkt, was besonders gut aus der Valenz- und Dependenzgrammatik ersichtlich wird. Das Verb bestimmt durch seine Wertigkeit die Zahl der Grundbestandteile eines Satzes, also der obligatorischen und fakultativen Ergänzungen, und deren dazugehörigen Kasus. Außerdem muss es in Aussagebzw. W-Fragesätzen nicht wie das chinesische Verb unbedingt an zweiter Stelle stehen. 102 Es kommt darauf an, in welchem Zusammenhang bzw. Satztyp das Verb steht. 102 Im Deutschen tritt das Verb in der zweiten Position meistens in Aussagesätzen und W-Fragesätzen auf. Im Chinesischen steht das Verb in den Aussage- und Fragesätzen immer auf dem zweiten Platz. Denn die Satzstellung sagt nichts darüber aus, ob es ein Fragesatz ist oder nicht. Als Marker für Fragen steht am Satzende lediglich die Fragepartikel ma ( 嗎 ). <?page no="145"?> 145 W zài w nglùshàng dìng dē xi oshuō S-V-de=Attributiv Substantiv In den Ja-Nein-Fragen und Imperativsätzen steht es am Satzanfang, und in den eingeleiteten Nebensätzen (z.B. Konjunktional-, Relativ-, Ausrufesätze) und indirekten Fragesätzen am Satzende. Im Allgemeinen sehen die einfachen bzw. erweiterten einfachen Satzstrukturen in den beiden Sprachen ähnlich aus. Denn sie stimmen fast wörtlich miteinander überein und bestehen meist aus einfachen Prädikatsformen. Der große strukturelle Unterschied zwischen den beiden Sprachen liegt vorwiegend in den zusammengesetzten Sätzen, nämlich den koordinierten und subordinierten Sätzen (Satzverbindung und Satzfüge). Bei diesen Sätzen existiert eine entsprechende Ausdrucksweise nicht immer in beiden Sprachen parallel. Z.B. gibt es den Relativsatz nur im Deutschen. Er wird im Chinesischen nicht als Nebensatz, sondern lediglich durch eine der Ausdruckformen „Attributiv-Suffix de (的) “ 103 ausgedrückt. Beispielsatz: Deutsch Der Roman, den ich online bestellt habe, ist bereits angekommen. Chinesisch yǐjīng jìlái le 104 Adverb Verb Das Attribut wird mit dem Suffix de ( 的 ) zusammen gebildet und kann entweder aus Pronomen, Substantiv, Adjektiv oder einer Subjekt-Verb- Konstruktion etc. bestehen (vgl. Liu 1964, 214f.; Qian 1985, 146ff.; Loh-John 1995, 162ff.). Die Konstruktion „Attributiv+Substantiv“ wird dabei als Subjekt des obigen chinesischen Satzes bezeichnet. Darüber hinaus können deutsche Relativsätze im Chinesischen auf viele verschiedene Arten formuliert werden. Im Deutschen existieren natürlich noch viele Satztypen, die im Chinesischen mit anderen sprachlichen Mitteln zum Ausdruck gebracht werden, diese alle vorzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deswegen werde ich in den folgenden Absätzen nur noch zwei Themen bearbeiten, die mit der vorliegenden Arbeit in besonders engem Zusammenhang stehen, nämlich Zustandspassiv und Konjunktiv II. Funktionen des Passivs Vor der Beschäftigung mit dem Zustandspassiv soll zunächst ein Überblick über die Funktionen des Passivs im Deutschen und Chinesischen gegeben werden. Denn das Zustandspassiv geht aus dem Vorgangspassiv hervor, und die beiden stehen in einem ursächlichen Zusammenhang. Das Passiv unter- 103 Vgl. Liu 1964, 214 ff. Das Suffix de (的) kann nach Loh-John (1995, 162ff.) hier auch als Attributivpartikel bezeichnet werden. 104 Chinesisch: 我在網路上訂的小說已經寄來了 <?page no="146"?> 146 teilt sich je nach Kommunikationsbzw. Mitteilungszweck in Vorgangs- und Zustandspassiv, die beiden Formen werden wegen ihrer syntaktischen Funktion jeweils auch als werden-Passiv und sein-Passiv benannt. Das Vorgangspassiv vermittelt eine Handlung oder einen Prozess, der nicht abgeschlossen und dessen handelnde Person entweder unwichtig oder unbekannt ist. Dagegen beschreibt das Zustandspassiv einen abgeschlossenen und statischen Zustand, der das Resultat einer vorausgehenden Handlung bzw. eines Prozesses ist. Dagegen hat das chinesische Passiv zwar auch ähnliche syntaktische und semantische Funktionen wie im Deutschen aufzuweisen. Aber dessen Anwendungsbereich sieht anders aus, und dies wurde von Reichardt (1990, 195) bereits ausführlich in seinem Buch dargestellt: „Traditionell wurde diese Satzform hauptsächlich verwendet, wenn das Prädikat eine für das logische Objekt nachteilige, unerwünschte, negative Handlung ausdrückt, und war vornehmlich auf Tätigkeiten beschränkt, die auf die Vergangenheit bezogen und bereits vollendet sind. Jedoch werden diese Einschränkungen vor allem in der geschriebenen und offiziellen Stilform der Sprache, nicht zuletzt unter Einfluß der europäischen Übersetzungsliteratur, zusehends abgebaut.“ Im Alltag gebraucht man das chinesische Passiv eigentlich selten, man drückt es meist durch einen Aktivsatz aus, der durch den Situationskontext passivische Bedeutung erhält (vgl. Liu 1964, 182ff.; Tian 1989, 575f.). Generell wird die Konstruktion der chinesischen Passivsätze durch die Wörter bèi (被) , ràng (讓) oder jiào (叫) etc. als Anschlussmittel in der folgenden Satzstruktur repräsentiert: 105 Subjekt - bèi (被) , ràng (讓) bzw. jiào (叫) - Agens - Verb - le (了) Die oben genannten drei Wörter bèi (被) , ràng (讓) und jiào (叫) , die zwar eine passive Bedeutung ausdrücken (werden von) und deswegen als Passiv- Signalwörter bezeichnet werden, unterscheiden sich in ihrem Gebrauch. Das heißt, alle drei Morpheme sind zwar als Passiv-Hilfsverben zu verstehen (vgl. Liu 1964, 182ff.; Qian 1985, 192f.; Reichardt 1990, 195ff.; Wang 2007, 18f.). Aber vor allem das Wort bèi (被) ist speziell, weil es aus syntaktischer Sicht in der chinesischen Passivkonstruktion eine Doppelfunktion hat, die man im Deutschen überhaupt nicht durch ein Wort ausdrücken kann. Das heißt, es repräsentiert sowohl einen Prädikatsteil als auch ein Anschlussmit- 105 Im Chinesischen gibt es noch andere Morpheme, die passivische Bedeutung beinhalten, z.B. gěi ( 給: geben). Der Satz mit gěi, das als vollwertiges Passiv- Hilfsverb werden von bezeichnet wird, kann in Passivsätzen nur für die Vergangenheit verwendet werden und muss nicht unbedingt mit Urheber verwendet werden (vgl. Liu 1964, 185). <?page no="147"?> 147 tel (Präposition) wie von, durch, mit, über etc. des deutschen Passivs (vgl. Wang 2007, 19f.). Temporal kann es nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in Präsens sowie Futur angewendet werden. Aus semantischer Sicht kann man bèi (被) mit bzw. ohne Handelnde, also Urheber, bei passivischen Ausdrücken benutzen, wenn man die passivische Bedeutung aus dem Zusammenhang erschließen kann. Im Vergleich dazu besitzen ràng (讓) und jiào (叫) auf der syntaktischen und semantischen Ebene eher starke modale Funktion und werden deswegen als Modalbzw. Kausativverben in chinesischen Passivsätzen angesehen. Außerdem darf der Handelnde beim Gebrauch von ràng (讓) und jiào (叫) nie weggelassen werden. Zustandspassiv im Deutschen und Chinesischen Im Deutschen wird das Zustandspassiv mit Hilfe von sein und dem Partizip Perfekt des Verbs gebildet. Beim sein-Passiv gibt es nur zwei Zeitformen des Verbes sein, nämlich Präsens und Präteritum. Das Chinesische hat für das Zustandspassiv sowohl syntaktisch als auch semantisch sehr ähnliche Funktionen wie im Deutschen. Die Satzstruktur sieht so aus: Subjekt (Patiens) - transitives Verb - le (了) (Partikel als Zusatz) Im Unterschiede zum Deutschen wird dieselbe Konstruktion mit der Partikel le (了) am Satzende fast immer für die Vergangenheit auch von Aktivsätzen verwendet. In beiden Sprachen stellt das Zustandspassiv aber einen abgeschlossenen Zustand dar, weshalb das Agens, also der Handelnde oder die Ursache des Geschehens dabei gar keine große Rolle spielt. Umgekehrt steht das Patiens, also das Ziel der Handlung, dabei im Zentrum. Außerdem gilt das sein-Passiv laut Wang (2007, 19ff.) in beiden Sprachen als eine vom werden-Passiv abgeleitete Form. Diese Umwandlung wird in den folgenden Beispielsätzen (Abb. 4-3) gezeigt. Abb. 4-3: Vergleich der Passivkonstruktion im Deutschen und im Chinesischen Vorgangspassiv = werden-Passiv Zustandspassiv = sein-Passiv Deutsch Die Vase ist von ihm zerschlagen worden. Sub.= Patiens Obj.= Agens Die Vase ist zerschlagen. Sub.= Patiens Chinesisch Huāpíng bèi tā dǎpò le 花瓶 (被 他) 打破 了 Vase bei er schlagen kaputt le Sub.= Patiens Ansch. Obj.= Agens Huāpíng pò le 花瓶 破 了 Vase kaputt le Sub.= Patiens Anmerkung: Ansch. = Anschlussmittel <?page no="148"?> 148 Hier muss kurz erklärt werden, warum die chinesischen Verben in obigen Beispielssätzen nicht identisch sind. Das chinesische Verb wird ja nicht konjugiert, der Grund ist also auf der semantischen Ebene zu suchen: d ǎ pò ( 打破 : zerschlagen) ist noch aktionsbezogen, hingegen drückt pò ( 破 ) mit Hilfe des Partikels le ( 了 ) einen bereits abgeschlossenen Zustand bzw. das Resultat einer vorausgegangenen Handlung aus. Und die chinesische Präposition bèi ( 被 ) und die deutsche Präposition von dürfen in den Zustandspassivsätzen nicht auftreten. Aus den angeführten Beispielen wird deutlich, ohne Präposition (oder Anschlussmittel) und Agensangabe sind die Passivsätze in beiden Sprachen nicht mehr als Handlung (bzw. Prozess) zu verstehen, sondern als Zustand oder als Ergebnis einer vorausgegangenen Handlung. Ein Unterschied liegt aber darin, dass man das Anschlussmittel bèi ( 被 ) und die Agensangabe Tā ( 他 ) hier im Chinesischen aussparen kann, wenn das Satzsubjekt kein menschliches Wesen darstellt (vgl. ebd.). Im Deutschen hingegen setzt laut Helbig und Buscha (2005, 155) das Zustandspassiv immer ein entsprechendes Vorgangspassiv (und Aktiv) voraus, d.h., nur wenn auch ein entsprechendes Vorgangspassiv bildbar ist, ist auch das Zustandspassiv möglich. Ist dies nicht der Fall, dann kann es sich um eine dem Zustandspassiv ähnliche Satzform handeln. Dies wird unten anhand der Beispiele von Helbig und Buscha (ebd., 157ff.) verdeutlicht, nämlich: 1) Adjektivisches Prädikativ - „ Der Man ist begabt.“ 2) Perfekt Aktiv - „ Die Frucht ist gereift (= reif).“ 3) Zustandsreflexiv - „ Das Mädchen ist verliebt.“ 4) Allgemeine Zustandsform - „ Milch ist in der Flasche enthalten.“ In Hinsicht auf die für die vorliegende Arbeit relevanten Phänomene werde ich hier auf die genannte Problematisierung verzichten. Eine ausführliche Darstellung dazu ist im Buch von Helbig und Buscha (2005) zu finden. Viel wichtiger ist hier, dass das Zustandspassiv (Präsens) beim Lernen leicht mit dem Vorgangspassiv (Perfekt) zu verwechseln ist. Dies lässt sich auf die formale Ähnlichkeit zwischen den beiden Satzformen zurückführen. Das heißt, „dass das Präsens des Zustandspassivss aus dem Perfekt des Vorgangspassivs, das Präteritum des Zustandspassivss aus dem Plusquamperfekt des Vorgangspassivs durch die Reduzierung um worden formal entsteht“ (Helbig/ Buscha 2005, 155). Wenn man die beiden Satzformen strukturell nicht klar voneinander unterscheiden kann, bedeutet das, dass man den Gebrauch vom Zustands- und Vorgangspassiv nicht wirklich verstanden hat. Außer der Satzstruktur stellen noch die Konjugation und die Tempusformen, die sich zeitlich auf die <?page no="149"?> 149 bestimmten semantischen Bedeutungen beziehen, auch ein Problem für die DaF-Lernenden mit Muttersprache Chinesisch dar. Im Chinesischen ist wie bereits genannt keine Verbflexion vorhanden und die Zeitformen werden vorwiegend durch die Zeitangaben, Signalwörter etc. ausgedrückt. Dadurch ist es teilweise erklärbar, warum die Lernenden hier Probleme im Umgang mit der Konjugation sowie dem Tempus haben und warum die intralinguale Interferenz dabei eine Rolle spielt (vgl. 7.3.2). Was die kontrastive Analyse angeht, stellt die deutsch-chinesische Gegenüberstellung nicht unbedingt eine Hilfe für die Lernenden dar. Sie kann höchstens das Verständnis der funktionalen Unterschiede zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv erleichtern. Mangels Deklination und Konjugation zeigen die in Abb. 4-3 angeführten chinesischen Passivsätze durch Partikel le ( 了 ) eigentlich nur, dass die Handlung vollendet wird, aber die Zeit der vollendeten Handlung wird nicht angegeben. Wie bereits in 4.1.1 dargestellt, lässt sich nur anhand der verwendeten Zeitadverbien erkennen, wann der Sachverhalt geschieht bzw. geschehen ist, also in der Gegenwart (Präsens) oder in der Vergangenheit (Präteritum). Deshalb stellt die Anwendung der Zeiten immer eins der Lernprobleme für die DaF-Lernenden mit Chinesisch als Muttersprache dar (vgl. 7.3.2). Außerdem gibt es noch viele Varianten, die man bei der Behandlung der kontrastiven Passivkonstruktion beachten muss. Eine ausführliche Darstellung zum Vergleich der deutschchinesischen Passivkonstruktion ist z.B. in der Arbeit von Wang (2007) zu finden. Konjunktiv II im Deutschen und im Chinesischen Der Konjunktiv ist neben Indikativ und Imperativ die dritte Aussageweise (Modus) des Deutschen. Er wird in zwei Formen eingeteilt, nämlich Konjunktiv I und Konjunktiv II. Den Konjunktiv I benutzt man in der indirekten Rede für die meinungsneutrale Wiedergabe von Aussagen Dritter. Im Gegensatz dazu verwendet man den Konjunktiv II zum Ausdruck von z.B. Irrealität, irrealen Bedingungen, unrealisierbaren Wünschen, möglichen Vorstellungen und Vermutungen oder höflichen Bitten. Dies ist immer an die Perspektive des Sprechers und an bestimmte Bedingungen gebunden. Syntaktisch wird der Konjunktiv II oft in Bedingungs-, Konzessiv-, Exzeptiv- und Konsekutivsätzen verwendet. Im Chinesischen gibt es nur zwei Modi, man unterscheidet zwischen indikativischen und konjunktivischen Sätzen. Die beiden haben fast dieselbe semantische Funktion wie im Deutschen und tauchen auch ebenfalls mit bestimmten Konnektoren sowie Adverbien auf, wie unten in Abb. 4-5 veranschaulicht wird. Der Indikativ ist die Wirklichkeitsform und beschreibt, was tatsächlich in der Realität geschieht bzw. dem Sprecher als wirklich erscheint. Hingegen ist der Konjunktiv die Möglichkeitsform und drückt aus, <?page no="150"?> 150 was vom Sprecher nur als möglich, vermutlich und hypothetisch etc. angesehen wird. Der exakte Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Modi ergibt sich im Chinesischen erst aus dem jeweiligen Zusammenhang, weil der Modus nicht wie im Deutschen aus morphosyntaktischen Merkmalen wie z.B. der Modusform des Verbs ablesbar ist. Grundsätzlich kann ein konjunktivischer Satz im Chinesischen wie der deutsche Konjunktiv II zwar auch durch verschiedene Konnektoren die unterschiedlichen modalen Bedeutungen wie Wunschtraum, irreale Situationen und hypothetische Vergleiche etc. ausdrücken. Aber man benutzt ihn öfter für die Bedingungssätze bzw. hypothetischen Sätze. Die Unterschiede zwischen der Möglichkeitsform des Deutschen und des Chinesischen liegen also einerseits in deren Gebrauch und andererseits in deren syntaktischer Struktur, worauf ich nun kurz eingehen werde. Gebrauch In der Duden Grammatik (2006, 523ff.) untergliedert sich der Konjunktiv II des Deutschen in zwei Satzformen, nämlich die sogenannt „einfache Form“, die sich auf die Gegenwart oder die Zukunft bezieht (Konjunktiv II der Gegenwart) und die „umschreibende“ Form des Konjunktiv II der Vergangenheit. Außerdem existiert noch der Ersatz dieser beiden Formen durch das würde-Gefüge, das sich inhaltlich und funktional aber nicht von den ursprünglichen Konjunktivformen unterscheidet. Die würde-Form (d.h. „würden + Infinitiv“; „würden + Partizip II + haben/ sein“) benutzt man sinngleich mit der Grundform (d.h. Konjunktiv II Präteritum bzw. Perfekt), wie es unten in Abb. 4-4 veranschaulicht ist (vgl. Duden Grammatik 2006, 523). Abb. 4-4: Kontrast der Grundform und würde-Form im Konjunktiv II* Vergangenes („Vergangenheit“) er hätte gekauft → er würde gekauft haben er wäre gekommen → er würde gekommen sein Nichtvergangenes („Gegenwart oder Zukunft“) er kaufte → er würde kaufen er käme → er würde kommen * Tabelle erstellt auf der Grundlage der Informationen in Duden Grammatik (2006, 523) Auf der semantischen Ebene ist bei den Bedingungssätzen mit Konjunktiv II insbesondere der unterschiedliche Grad der Realisierbarkeit zu beachten: Während Sätze mit der einfachen Form, die sich auf die Gegenwart beziehen, ausdrücken, dass ein Geschehen „mit einem geringen Grad von Wahrscheinlichkeit“ realisierbar sind (sog. Potentieller Bedingungssatz), stellt der <?page no="151"?> 151 Konjunktiv II der Vergangenheit ein „nicht mehr realisierbares ... Geschehen“ dar (irrealer Bedingungssatz) (vgl. Helbig / Buscha 1996, 73). Im Vergleich dazu existiert im Chinesischen keine so exakte semantische Differenzierung zwischen den konjunktivischen Sätzen, denn es geht lediglich um reale bzw. irreale sowie hypothetische Situationen zum Ausdruck von Wunsch, Bedingung etc. Der Grad der Realisierbarkeit ist im Chinesischen mangels Konjunktivform des Verbs nur durch den dazugehörigen Gesprächsbzw. Textinhalt erkennbar. Chinesisch: Rúguǒ wǒ míngtiān bùyòng shàngbān, wǒ jiù péinǐ qù kànyīsheng 106 如果 我 明天 不用 上班, 我 就 陪你 去 看醫生。 Wenn ich morgen nicht müssen arbeiten, ich dann mit du gehen besuchen Arzt. (Wenn ich morgen nicht arbeiten muss / müsste, werde / würde ich mit dir zum Arzt gehen.) Aus diesem Satz allein ist nicht ersichtlich, ob es für den Sprecher tatsächlich möglich ist, dass er am nächsten Tag frei hat, oder ob es sich lediglich um einen irrealen Wunsch handelt. Der Kontext wird also als Prüfstein betrachtet und informiert darüber, ob sich die Aussagen auf die Wirklichkeit beziehen oder nicht. Außerdem wird der Konnektor dabei als das wichtigste formale Erkennungszeichen und auch als das lexikalische und semantische Zeichen für den chinesischen konjunktivischen Satz angesehen, obwohl man manchmal ohne ihn dennoch aus der Kontextsituation die hypothetische oder fiktive Bedeutung entschlüsseln kann, wenn das Verhältnis zwischen dem Haupt- und Nebensatz klar ist. Unterschiedliche syntaktische Struktur Im Deutschen sind die Satzformen des Konjunktiv II durch Tempus und Modus erkennbar, die dabei sowohl syntaktisch als auch semantisch von Bedeutung sind. Temporal sind nur zwei Zeitformen, also Gegenwart und Vergangenheit, für den Konjunktiv vorhanden. In der Gegenwart wird die Verbform des Konjunktiv II vom Präteritum abgeleitet. Aber wenn dessen schwache (regelmäßige) Verben dem Indikativ Präteritum entsprechen, werden sie üblicherweise mit der Ersatzform würden + Infinitiv gebildet. Außerdem gibt es bei der Bildung der Konjunktivform einen Unterschied zwischen starken (unregelmäßigen) Verben und Mischverben. Bei den starken Verben werden die Stammvokale (a, o, u) umgelautet und die Konjunktivendungen angefügt (z.B. kommen - kam - ich käme). Aber bei einigen speziellen Verben geht man bei der Bildung des Konjunktiv nicht vom Indikativ Präteritum aus, und der Vokal wird auch nicht umgelautet, wie z.B. 106 Deutsch: Wenn ich morgen nicht zur Arbeit gehen müsste, würde ich dich zum Arzt begleiten. Oder: Wenn ich morgen nicht zur Arbeit gehen muss, begleite ich dich zum Arzt. <?page no="152"?> 152 nennen - ich nennte (nicht nannte bzw. nännte). Man benutzt also ausnahmsweise die schwache Verbform für den Konjunktiv II. In der Vergangenheit steht für den Konjunktiv II die Form wäre- / hätte- + Partizip II. Das Spezielle daran ist, dass die Modalverben ihre Vergangenheitsform durch haben und zwei Infinitive (eines Voll- und eines Modalverbs) ausdrücken. Während man bei der Bildung von Konjunktiv-II-Sätzen im Deutschen sorgfältig auf die grammatischen Varianten und die Stellung der Satzteile achten muss, sind im Chinesischen nur die Konnektoren und die dazugehörigen Adverbien sowie deren semantische Beziehung zum Kontext von Bedeutung. Es sind zahlreiche Konnektoren als Konjunktionen für den chinesischen Konjunktiv vorhanden, wie z.B. rúgu ǒ ( 如果 ), ji ǎ rú ( 假如 ), ji ǎ sh ǐ ( 假 使 ), t ǎ ngruò ( 倘若 ), zh ǐ yaò ( 只要 ), yaòshì ( 要是 ), zh ǐ y ǒ u ( 只有 ), chúfēi ( 除非 ) etc. Außerdem gibt es zwei verschiedene Adverbien, nämlich jiù (就) und cái (才) . Sie werden häufig sowohl im hypothetischen Satz als auch im Bedingungssatz verwendet, also je nachdem Zusammenhang. Die beiden Wörter drücken ein Resultat in einer hypothetischen, fiktiven Situation bzw. unter einer angegebenen Bedingung aus. Abb. 4-5: Konstruktion des Satzgefüges für die konditionale oder hypothetische Beziehung im Deutschen und Chinesischen Nebensatz Hauptsatz Deutsch (1) Konnektor - Subjekt - ~ ~ ~ - Verb, (2) Verb - Subjekt - ~ ~ ~ , Verb - Subjekt - ~ ~ ~ . Verb - Subjekt - ~ ~ ~ . Chinesisch (1) 107 Konnektor - Subjekt - Prädikat, (2) 108 Subjekt - Prädikat, (Subjekt) - jiù ( 就 ) - Prädikat Subjekt - cái ( 才 ) - Prädikat Aus den Konstruktionen in Abb. 4-5 ist ersichtlich, dass auf syntaktischer Ebene die grundlegende Konstruktion des Konjunktionalsatzes in den beiden Sprachen wegen der Wortstellung ein bisschen anders aussieht, obwohl sie sich im Deutschen und im Chinesischen aus Haupt- und Nebensatz zusammensetzt und auch von einer bestimmten Konjunktion wie z.B. wenn, falls, als ob, als dass, als wenn etc. am Anfang des Nebensatzes eingeleitet wird. Aber wie bereits erwähnt, kann das Prädikat in der obigen Konstruktion des Chinesischen aus einem Verb oder einem Adjektiv bestehen. Außerdem ist die Stellung von Haupt- und Nebensatz auch ohne Bedeutungsver- 107 Dieses Satzmodell wird hier als gleich wie „ wenn..., dann... “ im Deutschen ange sehen. 108 Dieses Satzmodell ist mit der Satzstruktur „ wenn..., erst dann... “ oder „ erst wenn..., dann... “ im Deutschen identisch. <?page no="153"?> 153 änderung verstehbar. Trotzdem legen diese zwei Sprachen ihre strukturellen Schwerpunkte beim Konjunktionalsatz jeweils auf unterschiedliche Satzteile. Nehmen wir als Beispiel den Bedingungssatz: rúgu ǒ ( 如果 ) ist eine chinesische Konjunktion, die inhaltlich und funktional gleichwertig ist wie wenn im Deutschen. Chinesisch: Rúguǒ wǒ míngtiān bùyòng shàngbān, (wǒ) jiù péinǐ qù kànyīshēng Konj. Sub. Verbalprädikat, Sub. Verbalprädikat Deutsch: Wenn ich morgen nicht zur Arbeit gehen müsste, würde ich dich zum Arzt begleiten. Konj. Sub. Verb, Verb Sub. Im Chinesischen werden der Zusammenhang des Satzgefüges und dessen semantische Beziehung zum Kontext eher hervorgehoben, während die Modusform des Verbs im Deutschen im Mittelpunkt steht. Die obige Gegenüberstellung zeigt die Unterschiede von Subjekt und Verb bzw. Prädikat in den beiden Satzstrukturen. Im Chinesischen stehen Subjekt und Prädikat (Verb bzw. Adjektiv) eigentlich nebeneinander im von rúgu ǒ ( 如果 ) eingeleiteten Nebensatz, und dazwischen können selbstverständlich auch die weiteren Satzteile z.B. Negation oder Adverbialbestimmung etc. wie im Deutschen eingefügt werden. Im Hauptsatz steht prinzipiell das Subjekt vor dem Verb, aber das Subjekt kann man auch weglassen, wenn die Subjekte im Satzgefüge gleich sind bzw. wenn dies aus dem Kontext klar ist (vgl. Li / Cheng 1993, 673ff.). Außerdem kann die Stellung von Haupt- und Nebensatz im Satzgefüge vertauscht werden, aber die Wortstellung innerhalb des Satzteils (Subjekt und Verb) bleibt im Hauptsatz gleich, egal, ob dieser vorangestellt ist oder nicht. Anders ist dies im Deutschen: Falls der Hauptsatz wie im obigen Beispielsatz nach dem Nebensatz steht, muss im Hauptsatz das Verb vor das Subjekt gestellt werden. Lautet die Reihenfolge aber Hauptsatz - Nebensatz, ist dies umgekehrt. Im Nebensatz hingegen bleibt die Stellung von Subjekt und Verb unveränderlich: das Subjekt steht immer direkt hinter der Konjunktion wenn, das Verb ganz am Satzende. Lernschwierigkeiten beim Konjunktiv II Aus den o.g. Sachverhalten wird deutlich, dass der Konjunktiv II in den beiden Sprachen syntaktisch und situativ in gewissem Maße ähnlich ist. Die Schwierigkeiten hier lassen sich auf die sprachstrukturellen Unterschiede zwischen Chinesisch (L1) und Deutsch (L2) zurückführen und treten somit generell bei der Anwendung von Zeitformen, Verbflexion, Satzstruktur und Gebrauch (z.B. Modus) auf (vgl. 7.3.2). Vor allem in Bezug auf Modalität und Modusgebrauch stellt hier die (nicht ganz unumstrittene) Definition und Klassifikation deutscher Bedingungssätze funktional oft ein Problem für <?page no="154"?> 154 die Lernenden bei der Verwendung dar. Die Begründung dafür beschreibt Han (1989, 426f.) wie folgt: „Die Modusformen Indikativ und Konjunktiv stellen nicht immer das Unterscheidungsmerkmal dar. So werden z.B. offene Hypothesen mit beiden Modi bezeichnet, und der Konjunktiv (einfache oder zusammengesetzte Form) bringt nicht nur Irrealität zum Ausdruck.“ Dies verursacht häufig Verwirrung bei der Anwendung und der Unterscheidung dieser zwei Modi. Denn in hypothetischen Bedingungssätzen werden laut Hsu (2006, 242) im Chinesischen bevorzugt tatsächliche Sachverhalte ausgedrückt, dies verursacht leicht Abweichungen bei der Anwendung der Bedingungssätze im Indikativ sowie Konjunktiv II und stellt somit ein Problem für die Lernenden mit chinesischer Muttersprache dar. Diese Problematik wird durch das Beispiel von Han (1989, 430) sehr deutlich aufgezeigt: „Der Sprecher hat keine Gewißheit darüber, ob die angenommene Bedingung erfüllt werden kann oder nicht, also handelt es sich dabei um eine offene Erfüllbarkeit von Bedingung und Folge. Meistens meint man damit zeitlich ausstehende Sachverhalte. Dieser Typ kann sich aber auch auf die Gegenwart oder Vergangenheit beziehen. Was die Modusformen anbelangt, so kommen sowohl der Indikativ wie auch der Konjunktiv II in Frage. Der »reale Konditionalsatz« in der traditionellen Grammatik meint eigentlich den offenen Konditionalsatz. Im folgenden sei der offene Konditionalsatz mit Beispielen vorgestellt: Der Nebensatz-Sachverhalt bezieht sich auf die Zukunft: Wenn sie uns nicht hilft, sind wir verloren. Wenn sie uns nicht helfen würde, wären wir verloren. Bedingungen und Folgen in beiden Sätzen sind vom Sprecher angenommen. Zeitlich stehen sie noch aus. Der Sprecher weiß nicht, ob die von ihm angenommene Bedingung und deren Folge in Erfüllung gehen können oder nicht. Die Erfüllbarkeit ist offen. Der Modus (Indikativ und Konjunktiv) gibt keine Auskunft über die Erfüllbarkeit, wie es die traditionelle Grammatik behauptet.“ Diskussionen mit verschiedenen native speakers des Deutschen haben ergeben, dass diese Aussagen von Han problematisch sind, denn ob der Satz einen Sachverhalt mit Gewissheit oder Ungewissheit ausdrückt, hängt vom jeweiligen Kontext ab. Den zweiten Satz sagt man, wenn man sich vorstellt, „was wäre, wenn sie nicht helfen würde“. Das heißt mit anderen Worten, dass „sie jetzt tatsächlich hilft“ oder man wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit annimmt, dass „sie helfen wird“. Wenn sie aber noch nicht hilft, dann ist nur der erste Satz sinnvoll. Die Wahl von Konjunktiv bzw. Indikativ hängt also vom jeweiligen Kontext oder von der Absicht des Sprechers ab. Natürlich kann der Sprecher <?page no="155"?> 155 nie absolut sicher sein, was in Zukunft wirklich passieren wird, der Ausgang des Sachverhaltes ist in jedem Fall offen. Beim 2. Satz lässt der Konjunktiv aber darauf schließen, dass der Sprecher die Wahrscheinlichkeit, dass „sie helfen wird“, als größer betrachtet, man kann sagen, dass der Sprecher mit ziemlicher Sicherheit annimmt, dass „sie helfen wird“. Das Zitat von Han und die beiden Sätze zeigen gut auf, wie komplex die Überlegungen sind, die hinter der Moduswahl der deutschen Bedingungssätze stehen. Dass dies den Lernern dieser Sprache Schwierigkeiten bereitet, ist demnach auch recht naheliegend. Für die Grammatikarbeit bedeutet dies, dass die isolierte Behandlung von Beispielsätzen hier nicht sehr sinnvoll ist, sondern immer in einen textuellen bzw. situationsabhängigen Kontext eingebettet sein muss, damit die Lernenden ihr Sprachgefühl entwickeln können. Methodisch sollte die Vorgehensweise möglichst induktiv sein, d.h., die Lernenden finden anhand eines Textes die Strukturen sowie die diesbezogene Gebrauchssituation. Bei der Anwendung und Satzbildung wird ihnen die Verwendung einer Form für beide Modi situativ, funktional und strukturell klar werden. Die Sätze von Han zeigen das Problem, das entsteht, wenn versucht wird, aus isolierten Sätzen Bedeutung abzuleiten. Dies führt nicht nur zu Unklarheit in Bezug auf die Grammatik, sondern auch dazu, dass die Lernenden den betreffenden Sprachgebrauch funktional und situativ nicht klar auseinander halten können (vgl. 7.3.1 und 7.3.2). Ohne kontextbezogene Auseinandersetzung mit der semantischen Beziehung und dem Sprachgebrauch in der Ausgangssprache (Chinesisch) und Zielsprache (Deutsch) fällt es den Lernenden mit chinesischer Muttersprache schwer, die realen und irrealen Bedingungssätze voneinander zu unterscheiden und situativ richtig anzuwenden. Eine ausführliche Darstellung dazu ist z.B. bei Han (1989) und Hsu (2006) zu finden. Darüber hinaus ist es für die Lernenden wichtig zu erkennen, wann sie welche Form verwenden müssen, wenn sie offene und ungewisse Aussagen machen möchten. Zusammenfassung Die sprachstrukturellen Unterschiede zwischen Ausgangssprache (L1) und Zielsprache (L2) können den DaF-Lernenden mit chinesischer Muttersprache im Lernprozess zwar gewissen Schwierigkeiten bereiten, aber diese sind nicht unüberwindlich. Dabei spielen z.B. die biologischen bzw. individuellen Faktoren auch eine Rolle, nämlich Alter, Motivation, Lerntyp etc. Die linguistischen Faktoren sind bei weitem nicht der einzige Einflussfaktor, der den Erfolg des L2-Lernens bestimmt. Insgesamt betrachtet ist die deutschchinesische Kontrastanalyse hier aufgrund der sprachstrukturellen Unterschiede nur in begrenzten Fällen (also eher in einfachen Sätzen) möglich, obwohl die beiden Sprachen in den Passivsätzen sowie den konjunktivischen <?page no="156"?> 156 Bedingungssätzen teilweise Ähnlichkeiten in Bezug auf die Strukturen und Gebrauchsweisen aufweisen. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob die Kontrastanalyse Chinesisch - Deutsch tatsächlich eine lernfördernde Funktion für die Lernenden beim Deutschlernen hat. Die Forschung hat darauf noch keine abschließende Antwort gefunden, sodass die Kontrastanalyse bisher nur so eingesetzt wird, dass sie zum besseren Verstehen beitragen oder zur Erklärung von Fehlerursachen, Transfererscheinungen und möglichen Lernschwierigkeiten eingesetzt werden kann (vgl. dazu 1.2.4 und 1.4). Wichtig ist, dass einerseits die aus dem Sprachvergleich L1-L2 gewonnenen Forschungsergebnisse noch besser erforscht werden, damit diese später für die didaktische Anwendung zur Verfügung stehen; andererseits soll die Lehrkraft ihre didaktisch-methodischen Konzepte und Vorgehensweisen in Hinsicht darauf je nach Grammatikthema angemessen variieren. 4.2 Lerntradition und Lerngewohnheiten im chinesischen Sprach- und Kulturraum Seit vielen Jahrhunderten wird die Gesellschaft Ostasiens 109 und deren Kultur stark von Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus geprägt. Dieser Einfluss ist auf verschiedene Weise in allen sozialen Lebensbereichen spürbar und spiegelt sich in den Denk- und Verhaltensweisen der Ostasiaten wider. Buddhismus und Taoismus sind Religionen, 110 im Unterschied dazu gehört der Konfuzianismus in den Bereich der Ethik. Diese Lehre wurde vom chinesischen Philosophen Konfuzius (551-479 v. Chr.) begründet. Durch dessen Anhänger und Nachfolger entwickelte sie sich weiter, schriftliche Quellen sind seit der Han-Dynastie (206 v. Chr.−220 n. Chr.) überliefert. Danach hat sich der Konfuzianismus allmählich über ganz Ostasien verbreitet. Für das Thema Erziehung und Bildung ist der Konfuzianismus von besonderer Bedeutung, deshalb geht die vorliegende Arbeit im Folgenden speziell darauf ein. Die im chinesischen Altertum überlieferte konfuzianische Lehre übt auch heute nicht nur einen großen Einfluss auf Erziehungswesen, Unterrichtstradition und das Lernverhalten der Schüler bzw. Studierenden im chinesischen Sprach- und Kulturraum aus, sondern auch in den bereits erwähnten Ländern Ostasiens (vgl. Mitschian 1991, 116ff.; Lohmann 1996, 63ff.; Grü- 109 Unter Ostasien verstehe ich hier die Länder China, Taiwan, Hongkong, Japan, Korea, Vietnam etc. 110 Der Buddhismus wurde von Indien aus in China und dann weiter in den anderen asiatischen Ländern verbreitet, der Taoismus ist auf chinesischem Boden entstanden. <?page no="157"?> 157 nert 2001, 1575ff.; Zeilinger 2006, 5ff.; Schart/ Schütterle 2007, 83ff.). Dies hat dazu geführt, dass das Lernverhalten ostasiatischer Lernender auch heute noch einige gemeinsame Charakteristika aufweist. Diese sollen hier dargestellt werden, wobei in Hinblick auf die Kontroverse um „Kulturstandards“ u. Ä. gleichzeitig darauf hingewiesen werden muss, dass diese Charakteristika nicht überbetont werden sollten und als „kulturelle Unterschiede“ zur Abgrenzung gegenüber anderen Kulturen führen sollten. Es wird hier keineswegs behauptet, dass alle Lernenden aus dem chinesischen Sprach- und Kulturkreis diese Charakteristika aufweisen, es gibt bisher auch kaum empirische Forschungsarbeiten, die diese durch quantitative Daten belegen könnten. 111 In der Forschung werden diese Charakteristika meist als kulturbedingtes Lernverhalten sowie als Ergebnis der schulischen Sozialisation aufgefasst, worauf ich im Folgenden noch näher eingehen werde. Die Heterogenität innerhalb einer Lernergruppe darf nie aus dem Blick geraten, ebenso wenig wie die Tatsache, dass es neben diesen Unterschieden noch viele Gemeinsamkeiten mit den Lernenden beispielsweise der Zielkultur gibt. Außerdem soll ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die hier dargestellten Charakteristika nicht unveränderlich, sondern wie alle kulturellen Prozesse dynamisch sind. Kulturelle Phänomene verändern sich im Zuge von gesellschaftlichem Wandel, Globalisierung sowie den zunehmenden internationalen Kontakten. Massenmedien und Internet gelten heute als wichtigste kommunikative Medien zum Informations- und Meinungsaustausch mit der Welt. Dies ermöglicht, dass sich die Menschen verschiedener Herkunft über die eigen- und fremdkulturellen Denkweisen und Handlungsmuster informieren sowie reflektieren, so dass sich verschiedene Kulturen auf verschiedensten Ebenen gegenseitig beeinflussen. Aufgrund der globalen Vernetzungen und Überlappungen sind die Kulturen auf komplexe Weise miteinander verbunden und können somit gar nicht so genau voneinander abgegrenzt werden. Deshalb ist es gut möglich, dass Verhaltensweisen und Wahrnehmungsmuster verschiedener Kulturkreise koexistieren bzw. in den anderen Kulturen wieder zu finden sind. Die hier erwähnten Lerngewohnheiten, die ein kulturelles Phänomen darstellen, sind zwar kulturbedingt, könnten aber in Zukunft auch durch die kulturellen Vernetzungen und Kontakte, die Globalisierung, die Internationalisierung, die Medienentwicklung etc. beeinflusst werden und sich wandeln. Nicht zuletzt der Fremdsprachenunterricht bietet eine 111 Nur bestimmte Zielgruppen wurden in einigen Forschungsarbeiten in Bezug auf ihr Lernverhalten untersucht, wie z.B. bei Han (2006), Zhao/ Stork (2007), Stork/ Zhao (2009) etc. die (DaF-)Lernenden mit chinesischer Muttersprache in Deutschland, bei Zeilinger (2006) die ostasiatischen Studierenden in Deutschland etc. <?page no="158"?> 158 Möglichkeit, diese Lerngewohnheiten durch Kontakt mit Lehrkräften und Lernenden aus anderen Kulturen zu verändern. Diese Tendenz bzw. Veränderung ist im Augenblick allerdings (noch) nicht bemerkbar, es wäre wünschenswert, dass die Weiterentwicklung dieser Lerngewohnheiten langfristig zu mehreren Zeitpunkten durch empirische Stichproben untersucht und weiterverfolgt wird (vgl. Liu 2010, 226f.). Vor der Diskussion der Charakteristika der ostasiatischen Lernenden soll hier noch ein kurzer Überblick über Konfuzius und seine Lehre gegeben werden, damit auch dem westlichen Leser, der mit diesem Hintergrund nicht vertraut ist, die Zusammenhänge zwischen dieser Lehre und den überlieferten Lerntraditionen etwas klarer werden. 4.2.1 Konfuzius und seine Lehre Die Darstellung von Konfuzius und seiner Lehre, die in diesem Unterkapitel gegeben wird, stützt sich hauptsächlich auf die regulären taiwanischen Schulbücher, („Geschichte für die Oberschulen in Taiwan“, Band 1~4), die seit 1984 im staatlichen Lehrmittelverlag 112 ( 國立編譯館 ) erschienen sind und bis vor der Abschaffung der einheitlichen Hochschulaufnahmeprüfung im Jahr 2001 an allen Oberschulen als Pflichtlehrmittel für den Geschichtsunterricht verwendet wurden. Mit anderen Worten wird hier ganz bewusst die in Taiwan allgemein verbreitete Interpretation der konfuzianischen Lehre vorgestellt. Konfuzius Konfuzius stammte aus einer armen Adelsfamilie im Fürstenstaat L ǔ 113 ( 魯 國 ) und lebte in einem chaotischen Zeitalter 114 , in dem die politische und soziale Lage sehr unruhig war. Nach dem Zerfall des Feudalreiches (Zhou- Dynastie) waren viele Kleinstaaten (Fürstentümer) entstanden. In diesen Kleinstaaten aber war die Stellung der Fürsten oft nicht sehr stabil, die staatliche Herrschergewalt zerfiel und gebieterische Höflinge übten schließlich die eigentliche Macht aus. Mit diesen politischen Missständen gingen auch gesellschaftliche Probleme einher, insbesondere der Verfall der ethischen Anschauungen und klassischen Riten der Zhou-Dynastie. Konfuzius begann bereits mit 15 seine politische Laufbahn als Regierungsbeamter im Staat L ǔ 112 Dieser Verlag ist eine der staatlichen Organisationen des taiwanischen Erziehungsministeriums. Er ist für alle regulären Schulbücher, die von der Grundschule bis zur Oberschule in unterschiedlichen Kursen eingesetzt werden, verantwortlich. 113 Der Staat L ǔ liegt heute in der chinesischen Provinz Shāndōng. 114 Im Chinesischen nennt man dies Chūnqiūzhàngguó-Zeit ( 春秋戰國時代 ), „Frühlings- und Herbstperiode“ und „Zeit der Streitenden Reiche“. <?page no="159"?> 159 und war mit 51 Jahren sogar zum Minister aufgestiegen. In dieser Position versuchte er die bereits genannten sozialen Probleme durch politische Reformen zu lösen. Es gelang ihm allerdings nicht, denn seine Ansichten über Politik und Gesellschaft wurden vom damaligen Herrscher des Staats L ǔ nicht akzeptiert. Deswegen gab er sein Amt auf und reiste mit seinen Anhängern durch unterschiedliche Staaten in China, um dort seine Ideen zu verbreiten und umzusetzen. Trotz seiner Anstrengungen wurde Konfuzius’ Lehre zu seinen Lebzeiten nicht besonders beachtet. Nach einem 14-jährigen Wanderleben kehrte er wieder in sein Heimatland zurück und verbrachte seinen Lebensabend mit der Weiterentwicklung seiner Lehren, dem Erstellen seines staatlichen Jahrbuchs und der Redigierung der aus dem Altertum überlieferten Werke. Erst etwa dreihundert Jahre nach seinem Tod begann man damit, Konfuzius aufgrund seiner pädagogischen Grundsätze als „obersten Lehrmeister“ und sogar als „Heiligen“ zu verehren, es entwickelte sich ein Kult um seine Person. Bis heute steht er in hohem Ansehen. Die Lehren des Konfuzius Politische Unruhe und gesellschaftlicher Sittenzerfall bilden also den Hintergrund für die konfuzianische Lehre. Deshalb stehen in ihrem Mittelpunkt das Streben nach einer moralischen, harmonischen sowie die althergebrachten „Riten“ achtenden Gesellschaft und der Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung. Dies alles kann laut Konfuzius aber nur durch Erziehung verwirklicht werden. Sein Gedankengut kann in folgende drei Kategorien aufgeteilt werden: Lebensphilosophie, politische Philosophie und Pädagogik. Für die zwei ersten Kategorien sind zwei Begriffe sehr bedeutsam, nämlich Rén ( 仁 ) und L ǐ ( 禮 ). Rén ist der wichtigste Kernbegriff des Konfuzianismus und umfasst mehrere Bedeutungen, nämlich Humanität, Menschenliebe, Nächstenliebe, Gutherzigkeit und Güte etc. Er bezeichnet die innere Einstellung eines Menschen und kommt laut Konfuzius in folgenden alltäglichen Tugenden zum Ausdruck: Aufrichtigkeit, Loyalität, Gegenseitigkeit, Rechtschaffenheit, Ehrfurcht, Pietät, Bruderliebe (oder Brüderlichkeit), Weisheit usw. 115 Dies beschreibt Lin-Huber (2001, 39) sehr treffend in ihrem Buch: „Ren - gleichzusetzen mit Menschenliebe, Güte, Wohlwollen - ist der innere Geist der Sittlichkeit. Ren ist das angeborene Empfinden für Moral und das Basisprinzip für persönliches wie zwischenmenschliches Benehmen. Es be- 115 Rén enthält eigentlich alle oben bereits erwähnten Tugenden, aber wie oder durch welche Tugend man Rén im täglichen Leben verwirklichen soll, ist individuell verschieden. Konfuzius gab nämlich je nach Situation und Charakter jedes einzelnen Schülers unterschiedliche Interpretationen für Rén, wenn er mit dem Schüler über die Frage diskutierte, wie man Rén in die Praxis umsetzten könne (vgl. Gernet 1979, 83f.; Gespräche des Konfuzius). <?page no="160"?> 160 ruht auf der Grundgesinnung der Ehrfurcht, die verlangt, jeden Menschen wie „einen geehrten Gast“ (Tugend der Gastlichkeit) zu behandeln. Ren ist die höchste sittliche Norm, die vor allem die gegenseitige Liebe betont: ‚Ein Mensch ohne Menschenliebe, was helfen ihm die Sitten’ (Lún-yǔ ‚Gespräche mit Konfuzius’)“ Darüber hinaus ist Rén aus konfuzianischer Sicht sowohl die Summe aller oben genannten Tugenden als auch die höchste moralische Verhaltensnorm, denn nur durch sie lässt sich tugendhaftes Verhalten der vollkommenden Menschen verwirklichen. Dieses Verhalten kann mit der konfuzianischen Maxime der Nächstenliebe sehr treffend zusammengefasst werden, sie lautet auf Deutsch: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ (J ǐ su ǒ bù yù, wù shī yú rén: 己所不欲,勿施於人) 116 L ǐ ist ein Sammelbegriff für Riten, Etikette, Bräuche und Ehrfurcht vor allen Dingen in der Welt und dient als Mittel zur Bewahrung der Weltordnung. Im Gegensatz zu Rén gilt es eher als Norm für das äußere Verhalten des Menschen. Jeder muss sein alltägliches Verhalten den im Buch L ǐ jì 117 aufgeschrieben Verhaltensnormen anpassen, um das harmonische Zusammenleben der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Rén und L ǐ sollen auch in die politische Praxis umgesetzt werden. Der ideale Herrscher soll also durch Rén und L ǐ seinen Staat regieren, und sein Verhalten soll auch als ethisches Vorbild für das Volk dienen. Außerdem fordert Konfuzius politisch die Richtigstellung der Namen, also Zhèngmíng ( 正名 ). Das bedeutet, dass eine bestimmte Bezeichnung der bezeichneten Sache auch tatsächlich entsprechen muss. Die Menschen sollen sich also ihrem Stand oder ihrer Rolle gemäß verhalten, damit die „Bezeichnung“ stimmt: z.B. soll sich der Herrscher wie ein Herrscher verhalten, der Beherrschte aber wie ein Beherrschter usw. In der oben skizzierten Lebens- und Politikphilosophie des Konfuzius, die vor allem auf die Erhaltung der Sozialordnung nach dem traditionellen Ritensystem zielt, sind fünf zwischenmenschliche Grundbeziehungen von zentraler Bedeutung, nämlich die Beziehungen (1) zwischen Herrscher und Untertan, (2) zwischen Vater und Sohn, (3) zwischen älterem und jüngerem Bruder, (4) zwischen Ehemann und Ehefrau sowie (5) zwischen Freund und Freund. In jeder dieser hierarchischen Beziehungen gibt es bestimmte Rechte und Pflichten, außerdem gibt es jeweils ein die Beziehung bestimmendes Prinzip: die Untertanen sollen dem Herrscher mit Treue oder Loyalität gegenübertreten, die Kinder den Eltern mit Pietät und Gehorsamkeit, die Geschwister sollen sich gegenseitig brüderlich behandeln, die Ehefrau soll dem Ehemann mit Gehorsamkeit begegnen sowie der Jüngere dem Älteren mit 116 Der Spruch ist zitiert aus Lúny ǔ , also Gespräche des Konfuzius, Yan Yuan- Kapitel, Spruch Nr. 2. 117 L ǐ jì wird meist als „Buch der Riten“ übersetzt. <?page no="161"?> 161 Respekt. Auch die für die vorliegende Arbeit besonders wichtige Lehrer - Schüler - Beziehung wird in diesem Rahmen gesehen, als ein hierarchisches, durch ganz bestimmte Rechte, Pflichten und Prinzipien bestimmtes Verhältnis. Dies werde ich im folgenden Unterkapitel 4.2.2 noch näher beschreiben. Was die Erziehung betrifft, war Konfuzius überzeugt, dass alle Menschen das Recht auf Erziehung haben, egal aus welcher sozialen Schicht sie kommen und in welcher finanziellen Lage sie sich befinden. In seiner Zeit hatten grundsätzlich nur die Adligen Gelegenheit, die Schule zu besuchen. Deshalb sammelte Konfuzius mit 30 Jahren bereits seine eigenen Schüler um sich und gründete die erste chinesische Privatschule. Er unterrichtete seine Schüler in Lyrik, im Verfassen von Essays, sowie in Riten und Musik. Bei der Vermittlung ging Konfuzius von zwei Grundsätzen aus. Erstens soll die Unterrichtsgestaltung auf die Begabung und Persönlichkeit der Schüler abgestimmt werden. Zweitens muss der Lehrende die Schüler zum Nachdenken anregen, sie sollen durch eigenes Entdecken lernen. Für den Wissenserwerb sind die Aufnahme neuer Informationen und das denkende Verarbeiten derselben gleich wichtig. Ein berühmter Spruch besagt nämlich, dass „Lernen“ (d.h. Informationsaufnahme) ohne „Denken“ (gedankliche Verarbeitung) verwirrt und deshalb vergeblich ist. Umgekehrt sei es gefährlich, wenn man immer nur „denke“ (d.h. sich innerhalb der eigenen gedanklichen Grenzen bewegt), ohne zu „lernen“ (d.h. ohne auch neue Gedanken von außen aufzunehmen). 118 Diese pädagogischen Grundsätze haben im Vergleich zu Konfuzius’ Lebens- und Sozialphilosophie aber weniger starke Auswirkungen auf das heutige Bildungssystem und die Lerngewohnheiten, obgleich die konfuzianische Methodik, also die „Lehr-Lern-Methode“, eigentlich als geradezu ideal zum Erlernen einer Fremdsprache erscheint. Die Ursachen dafür sind vielfältige, miteinander zusammenhängende Faktoren, wie z.B. die längst in der Gesellschaft etablierten allgemeinen Wertvorstellungen bezüglich des Lernens, der einseitig auf Prüfungen ausgerichtete Unterricht, das kulturell geprägte Lernverhalten etc. Darauf werde ich im Unterkapitel 4.2.2 noch näher eingehen. Konfuzianische Schriften Im Allgemeinen 119 werden die Gespräche des Konfuzius (Lúny ǔ 論語 ), und die Fünf Klassiker ( 五經 ) als die wichtigsten und für die konfuzianische Lehre repräsentativen Dokumente angesehen. Das Buch Lúny ǔ , das von Schü- 118 Chinesisch: 學而不思則惘,思而不學則殆。 119 Vgl. Geschichte für die Oberschule in Taiwan (Band 1) 1996, 51; Brockhaus- Enzyklopädie 1990, 251f.; Morton, W. Scott/ Lewis, Charlton M. 1995, 32f.; Störig 2003, 99f.; Volpi (Hrsg.) 2004, 849f. <?page no="162"?> 162 lern des Konfuzius nach mündlicher Überlieferung aufgeschrieben und dann editiert wurde, ist eine Sammlung von Gesprächen zwischen Konfuzius und seinen Schülern. Es enthält zwar unterschiedlichste Anschauungen von Konfuzius über Politik, Ethik, Bildung, Pietät, Musik etc., aber im Zentrum stehen die oben bereits erwähnten moralischen und politischen Gedanken des Konfuzius. Unter Fünf Klassiker versteht man die folgenden fünf klassischen Bücher: 1) Yìjīng 易經 (Buch der Wandlungen): Das Buch ist die älteste und bedeutsamste Schrift in China, in der das antikchinesische Verständnis des Kosmos dargestellt wird. Ursprünglich wurde es als Orakelbuch verwendet. Es gibt nach diesem Buch acht Urzeichen (Trigramme genannt), mit deren Verknüpfung miteinander die Veränderungen der Welt und des Menschenlebens erklärt werden (vgl. Störig 2003, 98f.). 2) Shījīng 詩經 (Buch der Lieder): Dieses Buch ist die erste chinesische Gedichtsammlung, die hundert ausgewähnte Volkslieder enthält und bereits vor der Zeit des Konfuzius entstanden ist. Außerdem ist es auch das erste wichtige Werk der chinesischen Literatur. 3) Shūjīng 書經 (Buch der Urkunden): Dieser Klassiker ist eine Sammlung von Gesetzen, Hoferlassen und Reden zwischen Herrschern und Untertanen etc., die bereits vor der Qin- Dynastie (246-207 v. Chr.) entstanden sind. 4) L ǐ jì 禮記 (Buch der Riten): In diesem Buch werden „Riten“, d.h. die Normen, Sitten und Gebräuche dargestellt, nach denen man sich je nach Status benehmen soll. 5) Chūnqiū 春秋 (Frühlings- und Herbstannalen): Im diesem Buch geht es um die Chronik des Staates Lu (von 722-480 v. Chr.), also dem Heimatstaat von Konfuzius. Außer dem Chūnqiū, dem wahrscheinlich einzigen von Konfuzius selbst verfassten Werk, sind alle anderen von seinen Schülern redigiert und überliefert worden. Außer den fünf Klassikern bilden die vier Bücher ( 四書 ), die vom Neokonfuzianer Zhū Xī ( 朱熹 ) in der Südlichen Song-Dynastie (960-1279 n. Chr.) zusammengestellt wurden, einen wichtigen Teil der konfuzianischen Philosophie. Darin wird neben den gesammelten Aussprüchen von Konfu- <?page no="163"?> 163 zius und Mencius noch die damals gleichzeitig herausgebildete Lehre dargestellt, die sich auf Rationalismus, Moralismus und Metaphysik bezieht (vgl. Gernet 1979, 296). Die vier Bücher sind: Dàxué (Großes Lernen), Zhōngyōng (Maß und Mitte), Lúny ǔ (Gespräche des Konfuzius) sowie Mèngz ǐ (Mengzi). Der Konfuzianismus wurde erst in der Han-Dynastie als Staatslehre anerkannt, und seitdem wurden auf dieser Grundlage offiziell kaiserliche Beamtenprüfungen 120 ( 科舉 : kējǔ) durchgeführt. Die vier Bücher und fünf Klassiker waren von der Song-Dynastie bis zum Jahr 1905, also gegen Ende des letzten chinesischen Kaiserreichs der Qing (1644-1912), die reguläre Pflichtlektüre für die Vorbereitung auf die kaiserlichen Beamtenprüfungen. 4.2.2 Auswirkungen des Konfuzianismus auf Lerntradition und Lerngewohnheiten Historischer Rückblick: Kaiserliche Beamtenprüfungen und Lerntradition Die seit langem im chinesischen Sprach- und Kulturraum überlieferten Lerntraditionen und -gewohnheiten stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Entwicklung der konfuzianischen Lehre. Seit dem Altertum bedeutet das Eintreten in den Staatdienst eine große Ehre, weil es mit sozialem Aufstieg verbunden ist. Dies hat sich bis heute grundsätzlich nicht verändert. In der antiken Gesellschaft existierte eine dem konfuzianischen Denken entsprechende, sehr deutliche Klassifikation für die Angehörigen verschiedener Berufsstände. Diese Rangordnung beschreibt Nagel- Angermann (2007, 174) wie folgt: „An der Spitze sah man die Dienstadeligen bzw. Gelehrtenbeamten (shi), während der Staat auf der Arbeitskraft der Bauern (nong) basierte. Ihnen folgten die Handwerker (gong) und ganz unten waren die Kaufleute (shang) angesiedelt, da sie nur von der Produktivität anderer lebten. In der Realität hingegen rangierten die Bauern und die Handwerker oftmals ganz unten. Arm, ungebildet und häufig abhängig von Großgrundbesitzern galten sie nichts.“ Die Position an der Spitze dieser gesellschaftlichen Ständeordnung beeinflussten auch die innere Einstellung und Motivation der Buchgelehrten zum Lernen für die Beamtenprüfung. Der Beamtenstatus bedeutete Ruhm, Reichtum, Wohlstand, und vor allem wurde er als sozialer Aufstieg der Familie 120 Die kaiserlichen Beamtenprüfungen wurden zwar schon in der Han-Dynastie eingeführt, aber deren Funktion als System zur Beamtenauswahl wurde erst in der Sui-Dynastie (581-618 n. Chr.) und Tang-Dynastie (618-907 n. Chr.) fest etabliert. Eine ausführliche Darstellung des chinesischen Prüfungssystems und der Prüfungsform vgl. die Dissertation von Mitschian (1991, 126-135) und Lohmann (1996, 63-71). <?page no="164"?> 164 angesehen (vgl. Lohmann 1996, 68ff.; Chang 2002, 89f.; Nagel-Angermann 2007, 176f.). Im Übrigen genossen Beamte noch gewisse Privilegien wie z.B. Befreiung vom Militärdienst, Steuererlass bzw. -ermäßigung etc. Um Gelehrtenbeamter 121 am Kaiserhof zu werden, war das Bestehen der kaiserlichen Beamtenprüfungen der einzige Weg. Aus diesem Grund schickten die Eltern, die sich das Schulgeld leisten konnten, ihre Kinder schon früh zur privaten Einklassenschule ( 私塾 ), damit sie für ihre Zukunft bessere Voraussetzungen hatten. So wurden die chinesischen Kinder bereits von ihrer Kindheit an mit den Schriftzeichen und der klassischen chinesischen Schriftsprache 122 konfrontiert. Die Schriftzeichen mussten in strenger Disziplin geübt und die Schriften auswendig gelernt werden, wobei auf ein tiefergehendes Verständnis der Bedeutung der gelernten Schriftzeichen oder des Inhalts der gelesenen Werke kein Wert gelegt wurde. Wie Mitschian (1991, 129f.) in seiner Arbeit erwähnt, sah der Unterrichtsverlauf folgendermaßen aus: Die Schüler saßen an den Tischen und sprachen die vom Lehrenden vorgelesene Textstellen nach. Danach lasen sie diesen Absatz mehrmals laut vor, bis sie mit ihm ganz vertraut waren und ihn dann fließend ohne zu überlegen hersagen konnten. Außerdem verhielten sie sich im Unterricht passiv und gehorsam, denn sie mussten dem Lehrenden auf diese Weise Respekt erweisen. Mit der Zeit konnten sie allmählich den Sinn der Wörter bzw. der Sätze aus dem Textzusammenhang erschließen. Um an der kaiserlichen Beamtenprüfung teilnehmen zu können, (in der Regel ungefähr mit 15 Jahren), mussten sie die vier Bücher und die fünf Klassiker auswendig beherrschen. Außerdem wurde während der Prüfungsvorbereitung besonderer Wert auf die Schreibfertigkeit gelegt, denn diese bildete, zusammen mit der Kenntnis der genannten klassischen Literatur, den Hauptschwerpunkt der chinesischen Beamtenprüfung. Bei der Bewertung dieser schriftlichen Arbeiten spielte der literarische Stil eines Kandidaten eine entscheidende Rolle. So investierten alle angemeldeten Buchgelehrten viel Energie und Zeit in den Erwerb eines vollkommenden Schreibstils, um bei der Beamtenprüfung ihre Aufsätze möglichst elegant formulieren zu können. Während der Ming-Dynastie (1368-1644) und Qing-Dynastie entstand eine neue Textform für die Beamtenprüfung, nämlich der „achtgliedrige Aufsatz“ ( 八股文 ). Er bestand, wie dem Namen zu entnehmen ist, aus acht Textabsätzen, und für jedes Teilstück waren bestimmte Textstrukturen vor- 121 Im chinesischen Kaiserreich teilte man die Beamten in zwei Kategorien, nämlich die Gelehrten- und Kriegsbeamten. Zu beiden Kategorien hatten nur Männer Zugang. 122 Gelesen wurden Werke wie z.B. der Drei-Zeichen-Klassiker ( 三字經 ), Hundert Familiennamen ( 百家姓 ), Tausend-Zeichen-Schatz ( 千字文 ) etc. Alle Satzzeilen in diesen drei Büchern reimen sich (vgl. Mitschian1991, 128). <?page no="165"?> 165 geschrieben, 123 außerdem gab es strenge Formvorschriften in Bezug auf Anzahl der Sätze und Wörter, Reim-, Symmetriesowie Versmaßregeln usw. Charakteristisch für diesen Aufsatzstil ist, dass er auf eine prachtvolle, formelhafte äußere Form abzielt, ohne inhaltlich viel auszusagen (vgl. Gernet 1979, 426f.; Mitschian 1991, 130; Lohmann 1996, 64f.). Das Thema der Prüfung kam zwar aus den Vier Büchern und Fünf Klassikern, aber der zu schreibende Kommentar sollte sich hauptsächlich auf das von Zhū Xī (1130- 1200) verfasste neokonfuzianische Sammelwerk, nämlich „Kommentar zu den vier Büchern“ 124 , berufen. Darüber hinaus durften die Prüfungsteilnehmer ihre eigenen Gedanken zu dem Thema nicht frei formulieren. Diese Umstände führten schließlich dazu, dass sich die Kandidaten ihr Wissen durch mechanisches Lernen anzueignen versuchten, ohne ihre Fähigkeit zu selbständigem Denken und Urteilen zu entwickeln. Die seit der Han-Zeit überlieferte Beamtenprüfung wurde im Laufe der Zeit formalisiert, und diese Tendenz erreichte in der Ming- und Qing- Periode ihren Höhepunkt. (Zum Folgenden vgl. Gernet 1979, 372.; Lohmann 1996, 68f.; Nagel-Angermann 2007, 122ff.) Die Prüfung legte größten Wert auf formalistische Übungen sowie gepflegten Stil, nicht aber auf den Inhalt. Außerdem hatte sich auch ihre Funktion verändert: Anfangs war sie ein Mittel des Kaisers, unter den Nichtadligen fähige und tugendhafte Beamte zu rekrutieren. Später wurde sie vor allem auch als Mittel zum Erreichen von materiellem Wohlstande und zum sozialen Aufstieg der jeweiligen Familie betrachtet. Erst am Ende der Qing-Dynastie, 125 als die Regierung gegen die ausländischen Aggressionen nicht mehr ankämpfen konnte, erkannt man, dass die durch das alte Prüfungssystem ausgewählten Beamten überhaupt nicht für die zu dieser Zeit sehr dringend gebrauchte Erneuerung geeignet waren. Das Land war isoliert und rückständig, während sich die westlichen Länder schnell und hoch kapitalisiert entwickelten. Nach dem Misserfolg im Opiumkrieg stellte man erst Reflexionen über den Fortschritt ausländischer Waffen sowie Technologie, die Mängel inländischer Bildung und des Prüfungssystems etc. an. Schließlich wurde die traditionelle Beamtenprüfung im Jahr 1905 vom Qing-Kaiser Guāngxù (1871-1908) abgeschafft und dann 123 Kurz: Man sollte beim Abfassen jedes Abschnittes eines achtgliedrigen Aufsatz folgende Schritte beachten: Einleitung, Exposition des jeweiligen Themas, Entwurf einer Antithese und Zusammenfassung. 124 Chinesisch: 四書章句集注 125 Nachdem die Qing-Regierung von 1840 bis 1842 zwei Misserfolge im sogenannten Opiumkrieg gegen Großbritannien hinnehmen musste, erkannte sie erst ihre eigene Schwäche und Rückständigkeit. <?page no="166"?> 166 durch ein modernisiertes Bildungssystem nach ausländischem Muster ersetzt. Prüfungssystem und Einfluss der konfuzianischen Tradition auf das Lernen Die kaiserlichen Beamtenprüfungen waren zwar abgeschafft, aber deren Nachwirkungen sowie die damit verbundene konfuzianische Tradition spielen heute immer noch eine unvernachlässigbare Rolle beim Lernen im chinesischen Sprach- und Kulturraum. Dies spiegelt sich sowohl im Prüfungssystem als auch in den sozialen Wertvorstellungen zum Lernen in diesem Kulturkreis wider. Außerdem steht die Lehrer-Schüler-Beziehung auch unter dem Einfluss der konfuzianischen Beziehungslehre. Im Folgenden werde ich auf diese Aspekte insbesondere auf Taiwan ausführlicher eingehen. 1) Prüfungssystem Die heutigen Prüfungen auf den verschiedenen Stufen des taiwanischen Bildungssystems, z.B. die einheitlichen Prüfungen für den Oberbzw. Hochschulzugang, haben sich aus den Beamtenprüfungen entwickelt. Sie werden als „Nachfolger der früheren kaiserlichen Beamtenprüfungen“ angesehen (vgl. Mitschian 1992, 6ff.). Grund für diese Ansicht sind Ähnlichkeiten in Funktion und Struktur der heutigen Aufnahmeprüfungen und der früheren Beamtenprüfungen. Was die Funktion betrifft, dienen beide der staatlichen Auslese für die Bildungsmeritokratie und werden auch als sehr wichtiges Medium zum Zweck des sozialen Aufstieges betrachtet. Aus struktureller Sicht kann man bei den Prüfungen mehrere Ebenen unterscheiden, je nach Hierarchie des Verwaltungsbezirkes bzw. den jeweiligen Bildungsphasen. Im alten China etwa gliederte sich das System der Beamtenprüfung bis zur Qing-Dynastie in drei Stufen, deren Hierarchie von der untersten Stufe zur obersten - sieht folgendermaßen aus (vgl. Mitschian 1991, 130-132; Lohmann 1996, 69f.): 1. Prüfung in der Präfektur (Bezirksprüfung, Präfekturprüfung und Prüfung im Amtssitz des Präfekten), 2. Prüfung in der Provinzhauptstadt (Provinzprüfung) und 3. Prüfung in der Reichshauptstadt (Hauptstadtprüfung des Kaiserreiches und Palastprüfung). Heute wird die standardisierte Aufnahmeprüfung des chinesischen Sprach- und Kulturraums nach Bildungsphasen hauptsächlich auf zwei Ebenen unterteilt, nämlich Aufnahmeprüfung für Oberschulen (in Taiwan: basis academic attainment test) und Aufnahmeprüfung für Hochschulen (in Taiwan: Fachkompetenz-Test). Sie werden aufgrund der großen Bewerberzahl vom Erziehungsministerium einheitlich organisiert <?page no="167"?> 167 und durchgeführt. Außerdem gibt es noch die Zulassungsprüfungen für Graduierteninstitute auf Master- oder Promotionsstufe. Wegen der niedrigeren Bewerberzahl werden sie sowohl in Taiwan als auch in China von der einzelnen Universität bzw. Hochschule eigenständig organisiert und durchgeführt. Die Prüfungen, die heute in den Schulen des chinesischen Kulturraums stattfinden, unterscheiden sich von denjenigen in den europäischen Schulen. Z.B. gibt es in Taiwan einen feststehenden Prüfungskalender pro Schulsemester. Nach diesem Kalender werden dreimal pro Semester standardisierte schriftliche Prüfungen für alle Klassen einer Schule durchgeführt. Geprüft werden alle Schulfächer, auf die sich Schüler später bei der Teilnahme an der Aufnahmeprüfung für die Oberbzw. Hochschule vorbereiten müssen. Ausgenommen sind nur Fächer wie z.B. Kunst, Musik, Sport, Haushalt etc. Außerdem finden üblicherweise vor jeder Semesterprüfung noch mehrere kleine, in ihrem Umfang beschränkte Kontrolltests je nach Lektionseinheit des Lehrwerkes bzw. Wochenplan in den Prüfungsfächern statt. Bemerkenswert ist auch, dass nach jeder Semesterprüfung die Rangfolge der ganzen Klasse veröffentlicht wird, womit jeder weiß, wer die beste oder die schlechteste Leistung erbracht hat. Wer die besten Prüfungsnoten erzielt hat, bekommt dafür eine Auszeichnung. Das ist eine der Ursachen, warum die taiwanischen Studierenden und deren Eltern, die vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund aufgewachsen sind und unter andauerndem Aufstiegs- und Leistungsdruck stehen, seit der Schulzeit fast ausschließlich Wert auf Prüfungsergebnisse legen. 2) Soziale Wertvorstellungen in Bezug auf das Lernen Im chinesischen Sprach- und Kulturraum kommt die soziale Wertvorstellung zum Lernen im folgenden chinesischen Sprichwort deutlich zum Ausdruck: „Nur Bildung und Gelehrsamkeit zählen, alles andere ist ohne Wert.“ 126 Dies lässt sich auf die oben erwähnten traditionellen Wertvorstellungen, die aus der konfuzianischen Tradition und dem System der Beamtenprüfungen entstanden sind, zurückführen. Man glaubt fest daran, dass man mit höherem Bildungsgrad bessere Berufsaussichten und einen höheren gesellschaftlichen Status hat. Diese Einstellung ist, wie Timmermann (1999, 483) bemerkt, in der ostasiatischen Gesellschaft weit verbreitet: „Traditionell fungiert (formale) akademische Bildung in Ostasien primär als Mittel gesellschaftlicher Statuszuweisung, weniger als Ort der beruflichen Qualifikation.“ 126 Chinesisch: 萬般皆下品,惟有讀書高。 <?page no="168"?> 168 Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die im chinesischen Kulturraum aufgewachsenen Studierenden in ihrer Schullaufbahn wie oben unter Punkt 1) erwähnt zahllose Prüfungen machen und danach noch die wichtigste einheitliche Aufnahmeprüfung für die Ober- und Hochschulen bewältigen (vgl. Mitschian 1991, 281ff; Chang 2002, 89f.). Die gesamte Gesellschaft dieses Kulturraums ist deshalb prüfungsorientiert, und die Schulleistungen bestimmen im Wesentlichen die zukünftige Entwicklung des Individuums. Denn gute schulische Leistungen sind sowohl notwendige Voraussetzung auch als Garantie für ein erfolgreiches Studium bzw. den Zugang dazu. Unter diesen Umständen beginnt die Lernkonkurrenz bereits in der Grundschule. In Taiwan ist der Aufwand für die Schule allgemein viel größer als in europäischen Staaten. Ein Vergleich zeigt, dass z.B. ein taiwanischer Grundschüler durchschnittlich 50 Stunden pro Woche für die Schule arbeitet (inkl. Unterricht), während ein finnischer Schüler nur 30 Stunden für Unterricht, Hausaufgaben etc. aufwendet (vgl. Hsiao 2008, 131). Außerdem müssen die meisten taiwanischen Schüler vor allem als Mittel- und Oberschüler außerhalb des regulären Unterrichts noch Nachhilfekurse in den Prüfungsfächern z.B. in Mathe, Englisch, Physik, Chemie etc. besuchen. 3) Lehrer-und Schülerrolle und Lehrer-Schüler-Beziehung Seit Konfuzius gilt der/ die Lehrende als hochgeachtete Person und genießt hohes soziales Ansehen. Dies hat seine Wurzel in der konfuzianischen Beziehungslehre, auf die die soziale Rangordnung der Berufsstände zurückzuführen ist. Denn aus konfuzianischer Perspektive muss man der älteren Generation, den älteren Geschwistern, dem höher gestellten Vorgesetzten, dem dienstälteren Kollegen usw. Respekt erweisen, genau wie die Kinder sich den Eltern gegenüber den Regeln (Etikette) entsprechend verhalten. Dies gilt ebenso für den Lehrenden, der in der hierarchischen Ordnung höher als der Schüler gestellt ist. Wegen seines hohen Bildungsniveaus hat der Lehrerstand außerdem im Vergleich zu anderen Berufsständen einen höheren gesellschaftlichen Status. Im Übrigen wird in der chinesischen Tradition die Lehrperson für ihre Schüler nicht nur als Wissensvermittler angesehen, sondern auch als Erzieher, der für die Bildung einer tugendhaften Schülerpersönlichkeit verantwortlich ist. Nach traditioneller Auffassung gilt der Lehrer deshalb als ein Mensch von moralischer Vollkommenheit, und sein Verhalten muss für die Schüler vorbildlich sein. Er erzieht die Schüler durch seine eigene Verhaltensweise. Dies gilt auch als eine der wichtigsten Ursachen für die im chinesischen Sprach- und Kulturraum besonders auffällige Autorität des Lehrers. Im folgenden chinesischen Sprichwort werden die zwei oben erwähnten Punkte, also die Lehrerautorität sowie das hierarchische Ver- <?page no="169"?> 169 hältnis zwischen Lehrenden und Schülern, sehr deutlich zusammengefasst: „Ist jemand für einen Tag dein Lehrer, muss du ihn als deinen eigenen Vater lebenslang respektieren“ 127 . In Hinsicht auf das Lernen verlangt die konfuzianische Tradition, dass der Schüler vor dem Lehrenden und seinem Wissen Ehrfurcht haben soll. Diese Ehrfurcht zeigt sich klar sowohl in der Lehrer-Schüler- Beziehung als auch im Unterrichtsverhalten des Lernenden. Sowohl im Unterricht als auch außerhalb des Unterrichts muss sich der Schüler dem Lehrenden gegenüber gehorsam und respektvoll verhalten, um ihn als absolute Autorität zu anerkennen. Dieser Respekt überträgt sich von der Person auch auf die Gelehrsamkeit des Lehrenden (vgl. Rössler 1984, 58- 63; Hess 1992, 507; Mitschian 1999a, 49f.). Diese Verhaltensnormen führen dazu, dass der Lernende zu einer passiven, zurückhaltenden Haltung gezwungen wird und dem Lehrenden nicht widerspricht. Auch wenn er mit dem Unterrichtsinhalt Probleme hat, versucht er, diese selbständig und durch eine den Unterricht nicht störende Verhaltensweise zu lösen bzw. er fragt lieber die Kommilitonen (vgl. 7.2.3). Kulturspezifisches Lernverhalten und Lerngewohnheiten im Unterrichtsverlauf Kennzeichen des kulturbedingten Lernverhaltens, die im chinesischen Kulturkreis und ebenso in anderen ostasiatischen Ländern wie Japan und Korea beobachtbar sind und häufig in wissenschaftlichen Arbeiten diskutiert wurden, sind rezipierendes Lernen, Auswendiglernen, Passivität, Sprachlosigkeit und Kritiklosigkeit. 128 Dies ergibt sich aus den oben in den Punkten 1), 2) und 3) dargestellten Aspekten. Denn in Japan und Korea üben die Lehre des Konfuzius, die konfuzianische Tradition sowie die früher aus China übernommene Beamtenprüfung noch einen großen Einfluss auf das soziale Leben und das Lernverhalten im Unterricht aus, und sie bewirken, dass die ganze Gesellschaft und der Unterricht an Schulen und Hochschulen sich an Prüfungen und dem damit verbundenen sozialen Aufstieg orientieren (vgl. Volpi 2004, 850; Schart / Schütterle 2007, 83f.; Grünert 2001, 1575). Solche Merkmale stehen einerseits, wie oben bereits erwähnt, unter dem Einfluss verschiedener soziokultureller Kontexte, andererseits resultieren sie auch aus der spezifischen Lernumgebung, die ein bestimmtes Lernverhalten hervorbringt. Im chinesischen Sprach- und Kulturraum lassen sich Passivität, Sprachlosigkeit und Kritiklosigkeit auf die Angst vor Fehlern und Gesichtsverlust, die oben beschriebene Autorität der Lehrenden und das damit ver- 127 Chinesisch: 「 一日為師,終生為父 」Die deutsche Übersetzung dazu vgl. Chang 2002, 93 und Grütter-Lin 2004, 206. 128 Vgl. Shr 1994, 27f.; Mitschian 1999a, 46ff.; Wei 2000, 275ff.; Chang 2002, 89f.; Zeilinger 2006, 1ff.; Schart / Schütterle 2007, 83ff. <?page no="170"?> 170 bundene rezipierende Lernen zurückführen. Das Auswendiglernen hat mit den früheren Beamtenprüfungen und dem Bildungssystem, der soziokulturell geprägten Unterrichtstradition sowie den Eigenschaften der chinesischen Sprache zu tun. 129 Gründe dafür sind: a. Die früheren Beamtenprüfungen ließen eigentlich keine Kreativität zu. Alle Lernmaterialien mussten nur auswendig gelernt und dann nach einem ganz bestimmten Schema wiedergegeben werden. b. Aus der Sicht soziokultureller Entwicklung erscheint Wissen wie bereits erwähnt nur als Mittel zum Erwerb eines möglichst hohen akademischen Grades und zum sozialen Aufstieg. (Zum Folgenden vgl. Mitschian 1999a, 53f.; Chang 2002, 92) Daraus resultiert einerseits, dass die Lernenden weniger intrinsisches Interesse an Wissenserwerb und -erweiterung haben, andererseits bewirkt es, dass sich der Unterricht nur noch auf Prüfungen ausgerichtet ist. Deshalb halten die Lernenden ihr Wissen nur insofern für wichtig, als es zum Bestehen von Prüfungen oder zum Erreichen guter Noten bzw. eines Zeugnisses notwendig ist. Unter starkem Lern- und Prüfungsdruck müssen sie das Gelernte bzw. Vermittlungswissen möglichst schnell im Kurzzeitgedächtnis behalten, auch wenn es gedanklich noch nicht wirklich verarbeitet ist und dann nach der Prüfung wieder schnell vergessen wird. Trotzdem sind für diese Zwecke die traditionellen Lernstrategien, insbesondere das Auswendiglernen, besonders geeignet und hilfreich. c. Die Besonderheiten der chinesischen Sprache spielen dabei auch eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Wie bereits in 4.1 erwähnt, wird in der chinesischen Schrift je ein Laut mit einer Bedeutung zu einem Zeichen verknüpft. (Zum Folgenden vgl. Schlenker 1988, 115-118; Mitschian 1991, 96-113; Hess 1992, 500ff.) So müssen die in diesem Kulturraum aufwachsenden Kinder, wenn sie Lesen und Schreiben lernen, zuerst jedes einzelne Schriftzeichen mit dem Lautzeichen, der komplizierten Strichfolge sowie der Bedeutung gleichzeitig lernen und sich so eine große Zahl von Schriftzeichen einprägen und voneinander unterscheiden. Um ein einzelnes Schriftbild und dessen Bedeutung im Kopf zu behalten, werden diese nach der traditionellen Unterrichtsmethode den Schülern ohne jede assoziative Lernhilfe o.ä. einfach eingepaukt, man muss sie durch wiederholtes Nachschreiben und Lesen auswendig lernen. Erst dann werden die 129 Bis jetzt gibt es keine konkreten Nachweise dafür, welche Ursachen das oben beschriebene Lernverhalten hervorgebracht haben. Die Wissenschaftler Kleppin (1987, 253ff.), Hess (1992, 501ff.), Mitschian (1999a, 52ff.), Zeilinger (2006, 6ff.), die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, gehen von unterschiedlichen Erklärungsansätzen aus. <?page no="171"?> 171 Lernenden mit zusammenhängenden Texten konfrontiert, erst dann müssen sie die Bedeutung eines Zeichens innerhalb eines bestimmten Kontextes verstehen. Diese Lernerfahrungen mit der chinesischen Schrift sind für viele Lernende prägend und beeinflussen auch ihr späteres Lernverhalten sowie ihre Lernweise. Weiterhin spielt in der chinesischen Lerntradition auch der Fleiß eine bedeutsame Rolle. Grund dafür ist einerseits, dass man damit einen Mangel an lösungsorientiertem Denken kompensieren kann und so immer noch konkurrenzfähig bleibt, andererseits gehört es zu den tief verwurzelten Ansichten der Chinesen, dass Fleiß eine wichtige Tugend sei, so ähnlich wie dies die deutschen Redensarten „Übung macht den Meister“ und „Ohne Fleiß kein Preis“ ausdrücken. Dass Lernerfolg nicht nur von Fleiß allein, sondern auch von den richtigen Lernstrategien abhängig ist, wird hingegen kaum beachtet. Dies beschreibt Zeilinger (2006, 7) in seinem Abhandlung wie folgt: „ (...) Auch ist bei asiatischen Studierenden das Bewusstsein verschiedene Lernstrategien einzusetzen nicht stark ausgeprägt. Dies rührt daher, dass sie nicht gelernt haben, ihr eigenes Lernverhalten zu reflektieren, sondern davon ausgehen, dass Fleiß der entscheidende Faktor für erfolgreiches Lernen ist (...)“ Die oben genannten Sachverhalte wirken sich während der Sozialisation nicht nur tiefgehend auf das Lernverhalten und den Lernprozess aus, sondern auch auf den Lernerfolg. Im folgenden Kapitel wird das unterrichtliche Lernen und Lehren im asiatischen und westlichen Kulturraum kontrastiv gegenübergestellt und miteinander verglichen, um einen Überblick über die Unterschiede zu gewinnen. 4.2.3 Bisherige Forschungsergebnisse zum Thema DaF-Lernen im chinesischen Sprach- und Kulturraum Charakteristika des DaF-Unterrichts im konfuzianischen Kulturraum Als konfuzianischen Kulturraum bezeichnet man häufig die Länder, die sich in Süd- und Ostasien befinden und kulturell durch konfuzianische Lehre und Traditionen geprägt sind, wie z.B. Singapur, Malaysia, Vietnam etc. in Südostasien und Taiwan, China (inkl. Hongkong), Korea, Japan in Ostasien. Diese Länder besitzen aufgrund der gemeinsamen konfuzianischen Traditionen und der ähnlichen Prüfungssysteme fast gleiche Lern- und Lehrtraditionen, und darauf wird bereits in nicht wenigen Forschungsarbeiten hinge- <?page no="172"?> 172 wiesen. 130 Diese Arbeiten kommen insgesamt zu ähnlichen Ergebnissen, sie haben auch bereits aus westlicher Sicht die wichtigsten Charakteristika des DaF-Unterrichts in den oben genannten asiatischen Ländern herausgearbeitet. Darin sind die beiden Aspekte Lernen und Lehren zu betrachten. Das Lernen bezieht sich hier auf die sozial und kulturell geprägten Lerngewohnheiten, das Lernverhalten und die Lernweise. Das Lehren hingegen befasst sich mit der Rolle des Lehrenden und der Unterrichtsgestaltung in Bezug auf die Lehrmethoden und Sozialformen. Unter diesen zwei Aspekten werden die Merkmale, die oft im asiatischen Unterrichtskontext zu beobachten sind, mit denjenigen im westlichen Kontext verglichen und in Tabelle 4-1 dargestellt. Tabelle 4-1: Überblick über das Lernen und Lehren im asiatischen und westlichen Kulturraum Kontexten Kategorien Asiatischer Kulturraum 131 Westlicher Kulturraum 132 Lernen  prüfungs- und notenorientiert  passiv, rezipierend und reproduktiv  lehrerabhängiges Lernen  individuell-isolierte Lernweise  selten aktive mündliche Beteiligung am Unterricht bzw. an der Diskussion etc.  Kritiklosigkeit  beschränkte Methodenkenntnis  Auswendiglernen, Memorisierungstechniken  Wissens- und Fähigkeitenerwerb  aktiv und kreativ  selbstständiges Lernen  gruppenorientiertes Lernen  Besprechung, Diskussion  Weiterfragen  Kritikfähigkeit und Nachdenken sowie Reflexion über die Unterrichtsinhalte Lehren  Grammatik-Übersetzungs- Unterricht  Lehrerzentrierung  Frontalunterricht  Lehrer vor allem als Wissensvermittler und -autorität  kommunikativ orientierter Unterricht  Lernerzentrierung  Einsatz lerneraktiver Unterrichtsformen  Lehrer sowohl als Wissensvermittler als auch als Lernhelfer und berater 130 Siehe dazu Mitschian (1991, 1992, 1997), Hess (1992), Zhao / Stork (2007), Hunold (2009) und Tian (2008) über China, Chan (1995) über Singapur, Wannagat (1999) über Hongkong, Lohmann (1996) und Chang (2002) über Taiwan, Hayashi-Mähner (2003) und Boeckmann (2003, 2006) über Japan, Mitschian (1999a) und Zeilinger (2006) über Ostasien, Kärchner-Ober (2009) über Malaysia, Rhie (1999) und Ahn (2010) über Korea etc. 131 Mit asiatischem Kulturraum werden hier vorwiegend die oben zusammengefassten Regionen bezeichnet. 132 Mit westlichem Kulturraum hingegen ist hier die europäisch-westliche Welt (inkl. USA) gemeint. <?page no="173"?> 173 Aus Sicht der westlichen (DaF)-Wissenschaftler sind die oben aufgelisteten Lerngewohnheiten und das Lernverhalten asiatischer Lernenden wesentlich ungeeigneter für das Fremdsprachenlernen und werden sogar als Problemfelder bzw. Hindernis für dessen Erfolg angesehen, obwohl allgemein Respekt vor kulturspezifischen Lerntraditionen gefordert wird. Aber Tatsache ist, dass der L2-Unterricht mehr aktive Kommunikation und Unterrichtsinteraktion zwischen der Lehrperson und den Lernenden erfordert. Aus den Forschungsarbeiten ist auch ersichtlich, dass die Lerngewohnheiten und das Unterrichtsverhalten, die sich im asiatischen Raum herausgebildet haben, tatsächlich nicht leicht und schnell zu verändern sind. Zeilinger (2006) und Zhao/ Stork (2007) weisen in ihren Studien über die Situation und Probleme ostasiatischer Studierender in Deutschland nach, dass diese aus der schulischen Sozialisation gewohnte Lern- und Verhaltensweisen immer noch nachwirken, d.h., die einmal erworbenen Lerngewohnheiten sind auch noch bei Erwachsenen während des Studiums in Deutschland zu beobachten, wie z.B. Lehrerzentrierung, Passivität, Kritiklosigkeit, Mangel an aktiver Teilnahme an Diskussionen etc. Abgesehen von sprachlichen Problemen, die auch ein Grund für die obengenannten Verhaltensweisen sein können, kann also festgestellt werden, dass sich die aus den o.g. asiatischen Ländern kommenden Studierenden an die im Zielsprachenland bzw. in der westlichen Welt eingesetzten Unterrichts-, Lehr- und Lernformen nicht so schnell gewöhnen können, da sie aufgrund mangelnder Erfahrung sowohl mit dem kommunikativ orientierten Unterricht als auch mit den interaktiven Methoden wenig vertraut sind. Was das Lehren betrifft, wird der traditionelle DaF-Unterricht in Südbzw. Ostasien vorwiegend nach der Grammatik-Übersetzungs-Methode und als Großgruppe in Form von lehrerzentriertem sowie lehrergesteuertem Frontalunterricht gestaltet. Die Rolle des Lehrenden wird eher als Wissensvermittler und -autorität definiert, d.h., die Lehrperson steuert sowohl die Unterrichtsaktivitäten als auch den Lehrsowie Lernprozess, ihre Hauptaufgabe ist es, den Lernenden den Unterrichtsstoff bzw. die zu erwerbenden Kenntnisse in der dazu vorgesehenen Zeit zu vermitteln. Der Status des Lehrers bezeichnet hier zugleich auch seine Wissensautorität (also fachliche Kenntnisse und Kompetenz), und dies ist auf die zuvor in 4.2.2 beschriebene Lehrer- und Schülerrolle sowie Lehrer-Schüler-Beziehung zurückzuführen. Es wäre aber zu kurz geschlossen, die Ähnlichkeit der Unterrichtssituationen in den o.g. asiatischen Regionen allein auf den kulturellen Hintergrund zurückzuführen. Andere Einflussfaktoren, die möglicherweise zu dieser Ähnlichkeit führen, müssen auch mit berücksichtigt werden, wie z.B. die (institutionellen) Rahmenbedingungen wie Klassenstärke, Art und Weise des Zertifikaterwerbs, oder die Motivation der Lernenden, die Anwendungs- <?page no="174"?> 174 möglichkeit der Deutschkenntnisse etc. Boeckmann (2006, 26f.) weist in seiner Arbeit schon darauf hin, dass der ausschließlich kulturelle Erklärungsansatz nicht immer zutreffend sei, da sich die o.g. südbzw. ostasiatischen Länder trotzdem infolge der Lokalkultur, der historischen Entwicklung bzw. der Bildungspolitik in verschiedene Richtungen entwickelt haben und der Unterricht jeweils unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt ist, obwohl sie gleichfalls im konfuzianischen Kulturkreis situiert sind. Zeilinger (2006, 6) kommentiert die Lern-und Lehrsituation in Ostasien wie folgt: „So gibt es also zwischen Ostasiaten weniger Gemeinsamkeiten als man in westlichen Ländern annimmt, aber gleichzeitig mehr Gemeinsamkeiten als man in ostasiatischen Ländern erwartet.“ Lernstil der DaF-Lernenden im chinesischen Sprach- und Kulturraum In einigen Studien wurden drei Lerngewohnheiten herausgearbeitet, die innerhalb des chinesischen Sprach- und Kulturraums besonders häufig beobachtet wurden. Diese wurden auch in den für die vorliegende Arbeit durchgeführten Unterrichtsbeobachtungen sowie in der Auswertung der Fragebögen nachgewiesen, es sind dies: 1. Lernen mit dem (elektronischen) Wörterbuch bzw. dem elektronischen Translator 2. Lernen durch Fragen an Kommilitonen 3. Unterrichtsmitschriften bzw. Abschriften von der Tafel Wie Kleppin (1987, 253ff.), Mitschian (1997, 399f.), Hayashi-Mähner (2003, 208) und Zeilinger (2006, 9) in ihren Aufsätzen darstellen, wird das Wörterbuch sowohl in chinesischem Kulturkreis als auch in den anderen ostasiatischen Ländern als eines der wichtigsten Hilfsmittel zum Deutschlernen angesehen. Die Lernenden schlagen während des Unterrichts aus Angst vor Gesichtsverlust lieber im Wörterbuch nach oder fragen die Kommilitonen nebenan, als sich an die Lehrenden zu wenden, wenn sie den Wortschatz nicht kennen oder auf Verständigungsprobleme stoßen. Was Notizen bzw. Abschriften von der Tafel angeht, ist dies auf die Unsicherheit der Lernenden zurückzuführen. Laut Kleppin (ebd., 255) glauben viele Lernende, dass sie schon etwas vom Unterricht gelernt haben, wenn sie das Gelernte bzw. Gehörte notiert und abgeschrieben haben. Lernen wird hier also als bloßes Rezipieren aufgefasst. Aktuelle (Lern)Situation des DaF-Unterrichts im asiatischen Raum Die Forschungsarbeiten über den DaF-Unterricht im o.g. asiatischen Raum haben also gezeigt, dass sich die sich aus dem gesellschaftlichen Kontext ergebenden bildungspolitischen und institutionellen Rahmenbedingungen in Hinsicht auf die Prüfungsorientierung, Unterrichtsform, Klassengröße <?page no="175"?> 175 etc. grundsätzlich nicht wesentlich verändert haben und dadurch die Qualität des DaF-Unterrichts in den betreffenden Ländern immer noch beeinträchtigt wird. 133 Aus heutiger didaktischer Sicht ist der Erwerb von Sprachwissen (z.B. Grammatikwissen, Wortschatz etc.) nicht das alleinige Lernziel des Fremdsprachenunterrichts, sondern es wird vor allem auf die Entwicklung von Sprachkönnen (also Umsetzbarkeit der erworbenen Sprachkenntnisse) sowie das Ausbilden von interkultureller Kompetenz hingearbeitet. Ein Grund dafür ist: „Fremdsprachliches Wissen gewinnt seine Berechtigung dadurch, dass es für das Können verfügbar ist“ (Storch 1999, 35). Außerdem intensivieren sich die internationalen Kontakte bzw. der kulturelle Austausch zwischen Ländern aufgrund der wachsenden Globalisierung und Internationalisierung, und der Entwicklung der interkulturellen Kompetenz kommt daher eine immer wichtigere Rolle beim L2-Unterricht zu (vgl. 1.2.4). Jedoch verweisen nicht wenige Studien darauf, dass die Lernenden im südbzw. ostasiatischen Kontext ein anderes Verständnis von (Sprachen)- Lernen (d.h. hier Deutschlernen) haben. Für sie ist das Lernen von Grammatikregeln und Wortschatz aufgrund der früheren Lernerfahrungen mit dem Englischen sowie fehlender authentischer Sprachanwendung von zentraler Bedeutung. Im Gegensatz zu dem in Europa vorwiegend praktizierten kommunikativen Englischunterricht sind die Lernerfahrungen der Studierenden anders geprägt und nicht unbedingt gleichzusetzen mit denen der europäischen Lernenden. Insofern müssen die Annahmen, die von einem bestimmten Bild ausgehen, modifiziert werden (vgl. Hufeisen 2003). Für den DaF-Unterricht bedeutet dies, dass die Lernerfahrungen der Studierenden in einer anderen Weise berücksichtigt werden müssen, da sie sich eher hemmend auf den Erwerb von Sprachfähigkeiten auswirken können. Das heißt, für sie ist der Erwerb vom Sprachwissen (also Grammatik- und Vokabelwissen) in der Zielsprache aufgrund der früheren Lernerfahrungen mit dem Englischen sowie mangels der Möglichkeiten zur authentischen Sprachanwendung im Lernumfeld von viel zentralerer Bedeutung als die Entwicklung von Sprachkönnen. Außerdem wird der Lernerfolg im asiatischen Lernkontext eher als Prüfungserfolg, d.h. gute Noten erzielen, definiert. Deshalb wird beim Deutschlernen immer noch großen Wert auf die Aneignung der prüfungsrelevanten Inhalte und die diesbezügliche schriftliche Sprachkompetenz gelegt. Zwar versuchen, wie Boeckmann (2006) in seiner Arbeit über den Deutschunterricht in Japan berichtet, die Muttersprachler unter den Deutschlehrkräften im asiatischen Raum sehr häufig, 133 Siehe dazu z.B. die Sammelbände über Deutsch als zweite Fremdsprache in Ostbzw. Zentralasien in Fluck / Gerbig (1999), Wannagat / Gerbig / Bucher (2003), Schilling / Miyazaki (2007, 107f.) etc. <?page no="176"?> 176 den Unterricht nach dem aus dem Westen importierten Modell kommunikativ zu gestalten. Aber der kommunikativ orientierte L2-Unterricht ist laut Boeckmann (ebd.) und Daly (2009, 13ff.) ihren Beobachtungen zufolge sowohl im japanischen als auch im taiwanischen Lernkontext schwer zu verwirklichen, denn das Problem ist, dass die kommunikative Unterrichtsform da dem traditionellen Grammatik-Übersetzungs-Unterricht gegenübersteht und in der Tat für die meisten Lerner eine ungewohnte Lehr- und Lernform darstellt. Daraus ergeben sich didaktische Schwierigkeiten beim Einsatz dieser Methode sowie kulturelle Lernkonflikte z.B. beim Erwerb der mündlichen Fertigkeiten. Sie sind für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit relevant und werden nachher in Kap. 8.2.1 weiter erörtert sowie erklärt. Zusammenfassung über das DaF-Lernen auf Taiwan Taiwan steht aus kultureller Sicht in untrennbarem Zusammenhang mit China, und deshalb üben das konfuzianische Gedankengut und die in Kap. 4.2.2 dargestellten soziokulturellen Faktoren auch heute noch einen nicht vernachlässigbaren Einfluss auf das Lernen aus. Aus diesen Gründen strebt fast jede(r) Taiwaner(in) einen möglichst hohen akademischen Grad an und dies gilt auch für die Deutschstudierenden. Sie lernen meistens vor allem für Klausuren und nicht für sich selbst bzw. um ihre zielsprachlichen Kenntnisse oder ihre fachlichen Fähigkeiten zu erweitern. Ihr Hauptziel besteht darin, in vier Jahren den Bachelor-Titel zu erlangen. 134 Dies steht mit dem oben beschriebenen Lernverhalten und den Lerngewohnheiten in untrennbarem Zusammenhang. Weitere Ursachen dafür sind laut meinen Versuchslehrpersonen und den Arbeiten von Shr (1994, 28ff.), Wei (2000, 275) und Chang (2002, 90ff.) auch die Unterrichtsmethoden und die mangelnde Motivation etc. Wie vorhergehend aufgezeigt wurde, können die Vorteile der Situation „Deutsch nach Englisch“ für das DaF-Lehren und -Lernen insofern genutzt werden, als dass die Sprachkenntnisse der Studierenden im Englischen sehr wohl zum besseren Verständnis der neuen Zielsprache Deutsch beitragen und die Ähnlichkeiten der Strukturen genutzt werden können in Bezug auf Wissensnutzung und -transfer (vgl. 1.4). Eine große Problematik besteht jedoch darin, dass sich die Sprachlernerfahrungen der taiwanischen Studierenden in Bezug auf die erste Fremdsprache Englisch eher hemmend auf die Entwicklung der Sprachfähigkeiten auswirken. Im Teil III der Arbeit folgt eine genaue Analyse der Bedingungen und Voraussetzungen sowie ihrer Auswirkungen auf den DaF-Unterricht. 134 Laut meinen Versuchslehrpersonen und Jahr (1993, 33f.), Shr (1994, 28), Timmermann (1999, 483), Chang (2002, 90ff.) und Wei (2006, 26ff.). <?page no="177"?> 177 Teil II: Forschungs- und Erhebungsdesign Wie die Darstellung der bisherigen Forschungsschwerpunkte zum DaF- Unterricht in Taiwan gezeigt hat, bezog sich das Interesse der Forschung sowohl auf die Gewohnheiten der taiwanischen DaF-Lernenden, die Bedingungen des Lehrens und Lernens sowie das Verständnis von Fremdsprachenunterricht und die daraus entstehenden Haltungen der taiwanischen Lernenden. Die Kontrastivitätsforschung berücksichtigt die sprachliche Ebene bzw. untersucht die Lernschwierigkeiten, die aufgrund der sprachstrukturellen Unterschiede zwischen Ausgangssprache (L1) und Zielsprache (L2) entstehen können. Die L2-Lehr-Lernforschung untersucht die interkulturellen Probleme und die Voraussetzungen der DaF-Lernenden in den Bereichen der Lernstrategien aufgrund ihrer Lerntradition sowie durch die didaktisch-methodischen Vorgehensweise im Unterricht. Viele Fragen und Probleme des DaF-Unterrichts in Taiwan konnten von der bisherigen Forschung allerdings bisher nicht beantwortet bzw. gelöst werden, wie z.B.: Welche didaktischen Aspekte sind für den DaF-Unterricht im chinesischen Sprach- und Kulturraum besonders relevant? Welche didaktischen Entscheidungen im DaF-Unterricht führen in demselben kulturellen Kontext oft nicht zum gewünschten Resultat? Hier sollen die Unterrichtsbeobachtungen und Bedingungsanalysen helfen, genauere Kenntnisse über die Ursachen zu gewinnen und alternative Vorgehensweisen zu finden sowie erfolgreicheres Handeln zu initiieren. Meine Annahme lautet, dass es möglich ist, zu den herkömmlichen Vorgehensweisen Alternativen zu finden, um erfolgreicher zu unterrichten und Schwierigkeiten abzubauen bzw. nicht entstehen zu lassen. Daher sollen durch die Beobachtungen problematische Vorgehensweisen identifiziert und Konsequenzen daraus abgeleitet werden − unter Berücksichtigung der generell unterschiedlichen Vorstellungen von Fremdsprachenlernen. <?page no="178"?> 178 5 Datenerhebung und aufbereitung In diesem Teil werden das Forschungsdesign und die eingesetzte Erhebungsmethode der vorliegenden Untersuchung vorgestellt. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Gesichtspunkte und Fragen: 1. Forschungsgegenstand: Was und wer werden untersucht? 2. Erhebungsmethode: Mit welchen Methoden bzw. Instrumenten werden die Daten gesammelt? 3. Ausführung der Untersuchung: Wie wird die Untersuchung durchgeführt und in welcher Reihenfolge? 4. Datenaufbereitung: Wie werden die Daten analysiert und ausgewertet? Außerdem werden noch methodische Probleme der Untersuchung behandelt, die Einfluss auf Aussagekraft und Glaubwürdigkeit der gesammelten Daten haben könnten. 5.1 Ausgangsfragen In der vorliegenden Arbeit steht die Suche nach erfolgreicher Grammatikvermittlung im Mittelpunkt und die Frage, welche Lehr- und Lernprobleme dazu führen, dass die DaF-Lernenden an taiwanischen Universitäten bestimmte Grammatikphänomene in der Praxis weder mündlich noch schriftlich beherrschen, obwohl die entsprechenden Regeln Gegenstand des Unterrichts waren. Grund für die Auswahl der drei Grammatikthemen Präpositionen, Zustandspassiv und Konjunktiv II ist, dass deren Beherrschung und Anwendung für die DaF-Lernenden an Universitäten in Taiwan nach Aussagen von Lehrenden mit langjähriger Erfahrung ein großes Problem darstellt, und zwar unabhängig davon, in welchem Studienjahr sie durchgenommen werden. Diese allgemeinen Aussagen vieler DaF-Unterrichtenden zu den Lernproblemen stellen den Ausgangspunkt meiner Forschung dar. Zunächst sollte überprüft werden, inwiefern diese Einschätzung mit dem Lernstand der Probanden übereinstimmt. Es wurde zwar kein Eingangstest zu den drei untersuchten Grammatikthemen durchgeführt. Die Auswertung des durchgeführten Grammatiktests bestätigt jedoch die Aussagen der Lehrenden (vgl. 7.3.2), obwohl alle drei Grammatikphänomene vor dem Gram- - <?page no="179"?> 179 matiktest nochmal bei allen sechs Gruppen kurz behandelt bzw. eingeübt worden waren. 135 Mit Hilfe der folgenden Leitfragen sollen die das Thema betreffenden Bereiche sinnvoll fokussiert werden. Diese Bereiche sind: der Lerngegenstand, die Lernenden und ihre Bedingungen sowie die Lehrkräfte und ihre Bedingungen. Die Auflistung der Leitfragen beginnt bei den Voraussetzungen und Bedingungen der am Lernprozess beteiligten Elemente und wird jeweils kurz erläutert:  Welche Konzepte, Vorstellungen, Haltungen, Gewohnheiten, Vorwissen und -erfahrungen der am Lehr-Lernprozess Beteiligten (Lernende und sowohl taiwanische Lehrkräfte als auch muttersprachliche) spielen beim erfolgreichen DaF-Unterricht eine Rolle? Welche Elemente davon verursachen Probleme? In welcher Form und Intensität wirken sie sich aus? Die didaktischen Überlegungen zum Lehr-/ Lerngegenstand sind zwar davon abhängig, welche Konzepte die Lehrkraft zur Vermittlung einsetzt. Dies hat aber auch mit den vorhandenen Voraussetzungen und Bedingungen der einzelnen Lehrkraft zu tun, wie z.B. Ausbildung, Fachwissen, Lehrerfahrung, Lehrerrolle etc. Die Motivation, die Einstellung, die Lerngewohnheiten und das Lernverhalten sind sog. Lernervariablen, die einen Einfluss auf die Lern- und Lehrqualität der L2 haben. Diese werden teils wie in 2.1 dargestellt durch die Vorerfahrungen der Lernenden mit dem (Sprachen)lernen bestimmt, aber teils auch durch die Zielgruppe und deren soziokulturelle Hintergründe. In Taiwan stehen sie in einem engen Zusammenhang mit dem bisherigen Prüfungssystem, den konfuzianisch geprägten Unterrichtstraditionen und den sozialen Wertvorstellungen (vgl. 4.2). Dies bereitet auch Lernprobleme beim Fremdsprachenerwerb. Bezogen auf den Lerngegenstand, die Sprache, ist folgende Leitfrage:  Welche Probleme sind sprachlich bedingt? Welche linguistischen Phänomene sind für den Grammatikerwerb von Bedeutung? Welche Interferenzphänomene spielen eine Rolle? Je nach Grammatikphänomen gibt es verschiedene Erklärungsmodelle für die Entstehung von Fehlern und Lernschwierigkeiten (vgl. 1.3 und 1.4). Dies 135 Die Lernsituation war die Folgende: Zwei von den sechs Lernergruppen hatten bereits alle drei Grammatikthemen durchgenommen, und bei den anderen vier wurden bis dahin nur Präpositionen behandelt. Das Zustandspassiv und der Konjunktiv II wurden ihnen im Zeitraum der Unterrichtsbeobachtung vermittelt. <?page no="180"?> 180 ist unabhängig davon, ob die Ausgangssprache (z.B. L1=Chinesisch) mit der Zielsprache (z.B. L2=Deutsch) überhaupt verwandt ist. Die Ursachen für die Fehler und Lernschwierigkeiten können vielfältig sein und zugleich auf mehrere Störfaktoren zurückgeführt werden, wie z.B. Interferenzen, die sprachstrukturelle Verschiedenheit zwischen Chinesisch und Deutsch, linguistische Faktoren etc. Mit Hilfe der Analyse der schriftlichen und mündlichen Lernerproduktionen (z.B. Grammatiktest, Präsentation etc.) sowie der Lehrerbefragung sollen sie je nach dem jeweiligen Kontext untersucht und erläutert werden. Erfolgreicher Unterricht hängt damit zusammen, wie der Unterricht gestaltet wird und ob die Lehrperson ihre didaktischen Entscheidungen zu dem Lerngegenstand sinnvoll und angemessen trifft. Von daher ist die Wahl der dem jeweiligen Gegenstand entsprechenden didaktisch-methodischen Vorgehensweise von großer Bedeutung, wie z.B. in Bezug auf die Präsentation, das Material, die Methoden, die Sozialformen etc. Diese Wahl ist zwar abhängig vom Lernziel und dem Lehrstil der einzelnen Lehrkraft, aber auch von deren Fachwissen sowie ihren didaktischen Kompetenzen. Diese Faktoren üben einen Einfluss auf den Lernerfolg und die Lernmotivation aus. Das erfolgreiche didaktische Handeln ist - neben den fachlichen und didaktischen Kompetenzen der Lehrkraft - auch von den institutionellen Rahmenbedingungen abhängig, wie z.B. Klassengröße, Klassenraum etc. Daraus ergeben sich weiter folgende Leitfragen:  Welche Methode ist für die jeweiligen Unterrichtsgegenstände und -phasen sinnvoll? Welche Vorteile und Nachteile gibt es jeweils?  Welche didaktisch-methodischen Vorgehensweisen werden von taiwanischen und muttersprachlichen Lehrkräften bevorzugt, und welche Auswirkungen hat dies, oder welche Probleme sind damit verbunden?  Welche Rahmenbedingungen wirken sich ungünstig auf den universitären DaF-Unterricht in Taiwan aus? Der erste Fragenkomplex soll mit Hilfe von Unterrichtsbeobachtung, Grammatiktest und Lernerfragebogen (2) beantwortet werden, weil die methodische Angemessenheit jeweils im Zusammenhang mit dem Lerngegenstand und der Lernphase beobachtet und durch die am Unterricht Beteiligten sowie deren Lernerfog bewertet werden kann. Diese Aspekte sollen zugleich aus der Lehr- und Lernperspektive betrachtet werden, um die damit verbundenen Lehr- und Lernprobleme zu erfassen und zu erkennen. Um den zweiten Fragenkomplex beantworten zu können, werden alle Datenmaterialien wie Unterrichtsvideos, Lernerfragebogen (1) und (2), Lehrerfragebogen und -interview sowie Grammatiktest bei der Analyse triangu- <?page no="181"?> 181 liert. Das didaktische Konzept und Handeln der Lehrkraft steht oft im Zusammenhang mit den Lehrerfahrungen, dem eigenen Lehrstil, der Erkenntnis aus L2-Lernerfahrungen etc. Dies und seine Auswirkungen auf das Lernen bzw. den Lernprozess lassen sich nur durch das Lehr- und Lernverhalten sowie den Lernerfolg beobachten. Es soll durch die Betrachtung der Lehrer- und Lernerperspektive objektiv dargestellt werden, ob die didaktisch-methodische Vorgehensweise der einzelnen Lehrkräfte für das behandelte Grammatikthema jeweils tatsächlich sinnvoll ist und auf das Deutschlernen motivierend wirkt, so dass dadurch auch tatsächlich Lernerfolg erzielt wird. Es ist aber auch nicht zu übersehen, dass die Lernenden dabei eine große Rolle spielen, weil ihr Lernverhalten sowie ihre Lernhaltung auch einen Einfluss auf die Lehr- und Lernqualität ausüben. Um objektive Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ist es erforderlich, das Lehr- und Lernverhalten, die Lerner- und Lehrerbefragung sowie die Lernerproduktion trianguliert zu erfassen und zu analysieren. Mit der dritten Frage werden die institutionellen Rahmenbedingungen, die als Probleme im vorliegenden Forschungskontext gelten, untersucht, wie z.B. Klassengröße, Regelungen, Infrastrukturen etc. Anhand der Unterrichtsbeobachtungen, des Lehrerfragebogens sowie -interviews soll diese Frage beantwortet werden. Bei der Gestaltung des handlungsbzw. lernerorientierten Unterrichts, der den Einsatz interaktiver bzw. kooperativer Sozialformen erfordert, müssen die Klassengröße und der Klassenraum immer mit berücksichtigt werden, weil sie sich nicht unbedingt günstig auf solchen Unterricht auswirken. Durch die Lehrerbefragung sollen die sich daraus ergebenen Probleme dargestellt und Vorschläge für Alternativen gefunden werden, um den DaF-Unterricht in Taiwan zu verbessern. Die Gründe, die zur Wahl der genannten Forschungsmethoden geführt haben, werden in Kap. 5.3 (Forschungsdesign: Triangulation) noch ausführlich erläutert. Im folgenden Kapitel werden zunächst die möglichen Erhebungsmethoden zur Gewinnung von Datenmaterial gegenüber gestellt und die ausgewählten Verfahren und Vorgehensweisen zur Datenverarbeitung vorgestellt. 5.2 Quantitative und qualitative Forschung: Leistungen und Grenzen 5.2.1 Die quantitative und qualitative Methode Problemaufriss Empirische Forschung kann grundsätzlich in quantitative und qualitative Forschung eingeteilt werden. Diese beiden Ansätze gehen jeweils von unter- <?page no="182"?> 182 schiedlichen Richtlinien und Kriterien aus, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Problematisch ist dabei, dass sie zum einen in Hinsicht auf Aufbereitung und Analyse nicht völlig exakt voneinander abzugrenzen sind, worauf ich in den folgenden Abschnitten noch näher eingehen werde. Zum anderen gibt es in der Forschung bisher immer noch keinen Konsens über die Adäquatheit der Gütekriterien zur Bewertung qualitativer Forschung. Denn es bestehen Zweifel darüber, ob die quantitativen Kriterien (also Validität und Reliabilität) tatsächlich auf die qualitative Forschung übertragen werden können, auch wenn sie nach einer Reformulierung 136 in der Tat seit langem als klassische Gütekriterien zur Messung und Überprüfung von qualitativen Forschungsergebnissen dienen. Die Gütekriterien müssen jedoch sowohl für die verwendeten Methoden als auch für den untersuchten Gegenstand sowie die Fragestellung geeignet sein. Gründe dafür sind, dass jeder qualitative Ansatz sein eigenes methodisches Verfahren für einen bestimmten Gegenstand und die dazugehörigen Fragestellungen hat. Dies kann offensichtlich nicht alles zusammen mit gleichen Kriterien bewertet werden. Außerdem stehen die Validität und Reliabilität einer Forschung mit der Methodenwahl in einem ursächlichen Zusammenhang, da alle Forschungsmethoden ihre konzeptionellen sowie technischen Vor- und Nachteile haben. Darüber hinaus ist die Angemessenheit der Methoden von zentraler Bedeutung und hat einen großen Einfluss auf die Forschungsergebnisse und deren Glaubwürdigkeit. Für die vorliegende Arbeit sind deshalb die methodisch angemessenen Gütekriterien in Bezug auf den gesamten Forschungsprozess (also Erhebung, Aufbereitung und Auswertung) entwickelt worden und beziehen sich auf die verwendeten Verfahren Triangulation, analytische Induktion 137 , kommunikative Validie- 136 Zum Folgenden vgl. Mayring 2002, 141f.; Flick 2002, 322-330; Chaudhuri 2009, 210f. Bei den klassischen Kriterien qualitativer Forschung bedeutet Validität, dass die verwendete Methode tatsächlich das bewertet, was bewertet werden sollte; Reliabilität meint die Messgenauigkeit und die Konsistenz des Ergebnisses, d.h., die verwendete Methode liefert bei wiederholter Bewertung genau das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis. Bei den neuen Kriterien hingegen werden die beiden Begriffe anders definiert und eher als methodenangemessene Gütekriterien zur Beurteilung qualitativer Forschung verstanden. Die Validität wird laut Flick (2002, 329) dabei als Herstellung von Transparenz über den Forschungsprozess aufgefasst. Die Reliabilität bezieht sich auf die „Prüfung der Verlässlichkeit von Daten und Vorgehensweisen, die sich aus der Spezifik qualitativer Methoden heraus begründen lässt“ (ebd., 322). 137 Analytische Induktion bedeutet die Analyse von abweichenden bzw. negativen Fällen, um die gewonnenen Theorien abzusichern bzw. um die Hypothese adäquat zu modifizieren. <?page no="183"?> 183 rung 138 (vgl. Mayring 2002, 142ff.; Steinke 2008, 326ff.). Durch diese Kriterien soll nicht nur die Glaubwürdigkeit qualitativer Forschung und ihrer Ergebnisse gewährleistet bzw. erhöht werden, sondern es soll damit auch geprüft werden, ob die methodischen Verfahren der Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung angemessen sowie zuverlässig sind. Quantitative und qualitative Auswertungsverfahren Je nach Typen und Eigenschaften der Daten werden unterschiedliche Verfahren zur Datenauswertung eingesetzt. Prinzipiell unterscheidet man bei der Datenauswertung zwei Analyseverfahren, nämlich quantitative und qualitative Analysen. Bei der quantitativen Analyse handelt es sich zum einen um Datentypen wie z.B. Fragebögen, Tests etc., die man sowohl durch statistische Zahlen erfassen als auch durch Tabellen bzw. Grafiken, also deskriptive bzw. beschreibende Statistiken, übersichtlich darstellen und ordnen kann. Zum anderen kann man von den im Fragebogen gewonnenen Zahlenangaben, die sich aus einer Auswahl der Untersuchungseinheiten ergeben, auf die untersuchten Gegenstände bzw. Fragestellungen schließen, um deren Beziehung zu ermitteln und zu beurteilen. Dies wird Inferenzstatistik 139 genannt, d.h. induktive bzw. schließende Statistik. Mit der Methode der deskriptiven und induktiven Statistik wurden die entsprechenden Daten (hier Fragebogen der Lernenden und der Grammatiktest) zwar quantitativ bearbeitet, aber auch qualitativ analysiert. Dies zielt z.B. beim Fragebogen der Lernenden darauf ab, dass man Informationen über die Lernsituation der Lernenden (z.B. Lerngewohnheiten und Lernverhalten im Unterricht) erhält. Mit der Methode der Inferenzstatistik wird außerdem der Einfluss der Lerngewohnheiten und des Lernverhaltens auf das Deutschlernen erkannt. Kurz: Die aus der deskriptiven Statistik gewonnenen Zahlen zeigen die proportionale Verteilung der Fragen, und durch die Inferenzstatistik kann man aus den Zahlen Rückschlüsse auf die ganzen erforschten Fragestellungen ziehen. Bei der qualitativen Analyse lassen sich die Daten normalerweise nicht durch Zahlen erfassen, deshalb stützt sich deren Auswertung auch hier im 138 Kommunikative Validierung bezieht sich auf die Daten, Interpretationen oder Aussagen, die durch die Probanden selbst erzielt werden. Dies zielt darauf, eine Rückbindung der im Forschungsprozess entwickelten Theorie an die Probanden zu ermöglichen (vgl. Steinke 2008, 329). 139 Die Inferenzstatistik beschäftigt sich mit der Frage, welche Zusammenhänge es zwischen Stichprobe (Teilmasse) und Grundgesamtheit gibt. Denn die Stichprobe wird als Teil der Grundgesamtheit angesehen. Deshalb liegt die Inferenzstatistik ihren Schwerpunkt darauf, wie man die von der Stichprobe gewonnenen Ergebnisse direkt auf die Grundgesamtheit übertragen oder darauf zurückschließen kann. <?page no="184"?> 184 Wesentlichen auf eine qualitative Inhaltsanalyse. Als qualitative Inhaltsanalyse bezeichnet Mayring (2002, 114) ein Auswertungsverfahren, das das Textmaterial systematisch nach zuvor festgelegten Regeln analysiert bzw. aus dem Material schrittweise diesen Regeln entsprechende Kategorien entwickelt. Diese Kategorien, die aus Hintergrundtheorien abgeleitet sind, spielen dabei eine große Rolle. Denn laut Mayring geht die qualitative Inhaltsanalyse davon aus, dass das Material durch die inhaltsanalytischen Verfahren schrittweise mit einem theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriensystem bearbeitet wird (ebd.). Bei der qualitativen Inhaltsanalyse unterscheidet man drei Verfahrensweisen, nämlich: 1) Zusammenfassung Das erhobene Material wird durch dieses Verfahren so reduziert, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, aber ein überschaubarer Kurztext entsteht (vgl. Mayring 2008, 472f; 2002, 115). 2) Explikation Diese Verfahrensweise zielt darauf ab, dass die einzelnen unklaren bzw. fragwürdigen Textstellen (Begriffe, Sätze...) durch Zusatzmaterial erläutert werden, um diese Stellen verständlich zu machen (vgl. ebd.). 3) Strukturierung Grundgedanke dieser Analyse ist, dass man bestimmte Aspekte aus dem Material herausfiltert, um unter vorher festgelegten Kriterien einen Querschnitt des Materials zu erhalten oder um das Material anhand bestimmter Kriterien einzuschätzen (vgl. ebd.). Dabei müssen die Kategorien eindeutig definiert werden, damit man die herausgefilterten Aspekte darunter einordnen kann. Für die qualitative Datenaufbereitung und -analyse, auf deren Details ich in Kap. 5.5 eingehen werde, sind in dieser Arbeit die Verfahrensweisen Zusammenfassung und Strukturierung von zentraler Bedeutung. Für die Fehleranalyse des Grammatiktests wurde angesichts der bereits festgelegten Kategorien die Form der Strukturierung verwendet. Bei der Analyse der Unterrichtsvideos und bei der Auswertung der Lehrerbefragung (halboffener Lehrerfragebogen 140 , Abschlussinterview 141 ) sowie des retrospektiven offenen Lernerfragebogens 142 wurde die Form der Zusammenfassung eingesetzt. Dies zielt darauf ab, das Material auf bedeutungsvolle Inhalte zu reduzieren und die Antworten zu kategorisieren. Hier wurde vorwiegend untersucht, welche Störfaktoren zu den Lern- und Lehrproblemen im Umgang 140 Siehe in Kap. 5.5.5 und Anhang 6a und 6b. 141 Siehe in Kap. 5.5.6. 142 Siehe in Kap. 5.5.4 und Anhang 5: Lernerfragebogen (2). <?page no="185"?> 185 mit den drei ausgewählten Grammatikphänomenen geführt haben, und zwar jeweils aus der Sicht des Lernenden und des Lehrenden. Deshalb wurde je nach Kontext bzw. Auskunft eine entsprechende Kategorie konstruiert. D.h., die dazu passenden Kategorien, die von dem Material ausgehen, werden sowohl induktiv gebildet als auch entwickelt. In diesem Zusammenhang sind die Selektionskriterien, die anhand von Hintergrundtheorien, Fragestellungen und Vorannahmen festgelegt wurden, von großer Bedeutung. Häufig werden quantitative und qualitative Analyseverfahren als Gegensätze angesehen und verstanden. Aber in der vorliegenden Arbeit sind sie teilweise eng miteinander verbunden. So wurden z.B. beim retrospektiven offenen Lernerfragebogen (vgl. 5.5.4) die gleichen Aussagen einer bestimmten Kategorie zugeordnet und quantitativ ausgewertet, zugleich zeigt eine Übersicht, welche Kategorien am häufigsten auftraten und kodiert wurden (vgl. Mayring 2002, 117). Quantitative und qualitative Analyse kann sich je nach Forschungskontext ergänzen. Überblick über die empirische Fremdsprachenforschung Ziel der empirischen Forschung im Bereich Fremdsprachenlehren und -lernen ist es, die Unterrichtspraxis anhand geeigneter Methoden und Kriterien zu untersuchen und zu verbessern. In diesem Fall handelt es sich beim Forschungsgegenstand um den Fremdsprachenunterricht, der äußerst komplex ist und viele unterschiedliche Phänomene und Ebenen beinhaltet (vgl. Edmondson / House 2006, 28). Laut Riemer (2010, 89) sind diese Phänomene in Bezug auf die unterrichtliche Wirklichkeit dadurch charakterisiert, „dass das Lernen und Lehren von Fremd- und Zweitsprachen durch eine Vielzahl sich wechselseitig beeinflussender Faktoren bestimmt wird (→ Faktorenkomplexion), dass Lehr- und Lernprozesse innerhalb eines zu bestimmenden sozialen Milieus und ggf. innerhalb von Institutionen stattfinden, dass man es sowohl mit Produkten als auch mit Prozessen zu tun hat und dass diese Prozesse des Lehrens und Lernens dynamisch sind und von individuellen Unterschieden zwischen Lernenden und durch Instabilität der Lernprodukte geprägt sind.“ In der empirischen Fremdsprachenforschung dürfen diese Überlegungen keinesfalls außer Acht gelassen werden, wenn man die Adäquatheit von Forschungsmethoden und -kriterien bewertet. Die Verknüpfung quantitativer und qualitativer Verfahren bzw. Methoden ist bei den Analysebzw. Auswertungsverfahren empirischer Forschung in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht besonders relevant. Denn mit ihrer Hilfe ist es möglich, den untersuchten Gegenstand aus unterschiedlichen Sichtweisen und auf unterschiedliche Weise anzugehen. Bevor ich auf diese als Triangulation bezeichnete Vorgehensweise eingehe, soll zunächst die Methode des Laut-Denkens <?page no="186"?> 186 erörtert werden, welche häufig in der L2-Erwerbsforschung verwendet wird, aber im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gegenstand problematisch ist. 5.2.2 Das Laut-Denken Funktion des lauten Denkens Das Laut-Denk-Protokoll ist eine Methode zur Erforschung der Denkvorgänge, die im Innern des Lehrenden bzw. Lernenden während des Lehr-/ Lernprozesses ablaufen. Sie wird im Rahmen der L2-Erwerbsforschung bzw. -Didaktik zunehmend verwendet. 143 Wie zuvor bereits erwähnt, ist das Laut- Denk-Protokoll ein introspektives Verfahren, das in Form von verbalen Daten vorliegt. Der Begriff bezieht sich in der wissenschaftlichen Forschung einerseits auf das methodische Verfahren der Verbalisation und andererseits auf die Erhebungsmethode der Daten in verbalisierter Form. Ziel ist es, die kognitive Aktivität 144 bzw. die mentalen Prozesse der Informationsverarbeitung, die während der Problemlösephase im Gehirn ablaufen und von außen eigentlich nicht beobachtbar sind, zu versprachlichen. 145 Die Laut-Denk- Protokolle gewinnen in der Fremdsprachenlehr- und -lernforschung immer mehr an Bedeutung und dienen als wichtiges Hilfs- und Informationsmittel zur Erforschung und Analyse des kognitiven Denkprozesses (also Denken), das sich im Lehrbzw. Lernverhalten (also Handeln) spiegelt, während der 143 Siehe Aguado 2004, Chaudhuri 2009, Heine 2005, Würffel 2006. 144 Also z.B. Gedanken, Wahrnehmungen, Haltungen etc. 145 Zum Folgenden vgl. Würffel (2001, 166f.), Arras (2007, 140ff.) und Chaudhuri (2009, 199f.). Es gibt zwei Gedächtnistypen, die für die Menschen beim Abruf von Information zur Verfügung stehen, nämlich kurzzeitiges und langzeitiges Gedächtnis. Entsprechend unterscheiden Ericsson und Simon (1993, 226ff.) drei Verbalisierungsmodelle beim Laut-Denk-Verfahren, also talk-aloud-procedure , think-aloud-procedure und retrospective procedure . Bei der talk-aloud-procedure werden die zum Problembzw. Aufgabenlösen gebrauchten Informationen, die im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden, direkt ohne komplizierte Verarbeitungsprozesse verbalisiert. Bei der think-aloud-procedure werden die Informationen zwar auch aus dem Kurzzeitgedächtnis erfasst, aber der Unterschied liegt darin, dass die Versuchsperson beim Problemlöseverfahren noch andere Gedanken mit berücksichtigt bzw. über ihre eigenen Aussagen (also Verhalten) nachdenkt, weil sie diese verbalisieren bzw. erklären möchte. Bei der retrospective procedure geht es um verzögerte Retrospektion, bei der die Informationen wegen des zeitlichen Abstandes z.B. nach ein paar Stunden oder Tagen später aus dem Langzeitgedächtnis erfasst werden. In diesem Fall wird die Versuchsperson möglicherweise über ihre zuvor verbalisierten Gedankeninhalte bzw. ihr auftretendes Verhalten reflektieren, um die aktuellen Gedanken damit in Verbindung zu bringen. Die Gedanken werden deshalb weiter umstrukturiert. <?page no="187"?> 187 Lehrende oder Lernende in einer bestimmten Lehr-/ Lernsituation ein Problem bzw. eine Aufgabe löst. Ausführung zum Laut-Denken Das Laut-Denk-Verfahren ermöglicht die Untersuchung der inneren Dimension eines Lehr-/ Lernprozesses und macht die Äußerungen der Handelnden über eigene Erfahrungen, Strategien, Motivationen, Urteile usw. zum Forschungsgegenstand (vgl. Borneto 2000, 54f.). Aus diesem Grund wird diese Methode des (retrospektiven) Laut-Denkens hier für die Erforschung des in der Grammatikstunde auftretenden kognitiven Verarbeitungsprozesses eingesetzt, also in Bezug auf den Lehrprozess und das Lehrverhalten (vgl. 5.5.6). Das heißt, die Gedanken zu Unterrichts- und Methodenkonzepten, die der einzelnen untersuchten Lehrperson damals während des Vermittlungs- oder Problemlöseprozesses durch den Kopf gegangen sind, werden hier als entscheidende Einflussfaktoren für ihr Verhalten und für die Beantwortung der Leitfragen dieser Arbeit angesehen und sollen somit nachher erklärt werden. Auch die ausgeführten Handlungen sollten von den Lehrerprobanden selbst kommentiert und eingeschätzt werden. Obwohl die Methode der Laut-Denk-Protokolle auch für die Untersuchung des Lernprozesses sowie -verhaltens geeignet ist, konnte ich sie aufgrund der zu großen Klassen zum Zeitpunkt der Unterrichtsbeobachtung nur schwer bei der Erforschung des individuellen Aufgabenlösebzw. Lernprozesses zu den drei o.g. Grammatikthemen anwenden, also mit jedem Lerner einzeln darüber sprechen. Ein weiteres Problem ist jedoch die Glaubwürdigkeit der Probandenaussagen, die kaum überprüft werden kann. Die Methode des Lauten Denkens erlaubt zwar Einsichten in die kognitiven Denk- und Verarbeitungsprozesse der Lehrpersonen bei der Untersuchung bzw. Analyse ihres Lehrprozesses, bestimmte Effekte können jedoch die Objektivität sowie das Ergebnis der Auswertung erheblich beeinträchtigen. Sie werden deshalb an dieser Stelle kurz erläutert. Zum einen können bei der Unterrichtsbeobachtung Beobachtereffekte mehr oder weniger einen Einfluss auf das Lehrverhalten haben. Denn es ist im Fall normal und gut möglich, dass die Lehrperson den Unterricht in Anwesenheit eines Beobachters anders als sonst gestaltet. Dieser Effekt ist in den für die vorliegende Arbeit durchgeführten Unterrichtsbeobachtungen häufig spürbar und wird in 5.5.1 thematisiert. Zum anderen spielt die Interaktion zwischen den Forschenden und den Versuchspersonen bei den Interviews eine große Rolle und beeinflusst die Auswertungsobjektivität (vgl. Würffel 2006, 142). Schließlich kann kaum überprüft werden, ob die Interviewpartner tatsächlich ihre jeweils wahren inneren Zustände beschreiben. Darüber hinaus laufen die kognitiven Verarbeitungsprozesse während des Gesprächs weiter und es kommt zur permanenten Neubewertung der Planungs- und Unter- <?page no="188"?> 188 richtssituation. Unvermeidlich hat dies zur Folge, dass die Versuchspersonen ihre Gedankeninhalte weiter strukturieren und zugleich andere Erklärungsmöglichkeiten bzw. neue Interpretationen der vergangenen Situationen suchen. Dies lässt sich auf den Einfluss subjektiver Theorien über Zusammenhänge von Situationen, Handlungen, Ergebnissen und deren Bewertungen zurückführen, wie sie von Huber und Mandl (1994, 26) beschrieben werden. Aus diesen Gründen stütze ich meine Analyse auch auf einen Grammatiktest (vgl. 5.5.3) und eine retrospektive schriftliche Lernerbefragung (vgl. 5.5.4), durch die die Lehreraussagen ergänzt bzw. überprüft werden können. 5.3 Forschungsdesign: Triangulation Mehr-Methoden-Ansatz und Triangulation Die Methoden der Datenerhebung und deren Durchführung sind in erster Linie vom Forschungsgegenstand und den sich daraus ergebenden Leitfragen abhängig. In der vorliegenden Studie wird für die Datenerhebung ein Mehr-Methoden-Ansatz gewählt, d.h., verschiedene Daten und Methoden werden zur Untersuchung der Leitfrage dieser Forschungsarbeit angewendet (vgl. Henrici 2000, 36). Dies gilt auch für die Daten- und Methodentriangulation, ein Begriff, der oft synonym mit Mehr-Methoden-Ansatz verwendet wird. Durch die Triangulation wird die sogenannte „Hierarchie der Glaubwürdigkeit“ durchbrochen. Dies beschreibt Aguado (2004, 25) sehr ausführlich in ihrer Abhandlung wie folgt: „Typisch für eine mehrmethodische Vorgehensweise ist es, dass Theorien, Konzepte und Interpretationen von Forschenden durch Wahrnehmungen, Perspektiven und Deutungen der Befragten ergänzt werden. Im vorliegenden Zusammenhang zentral ist, was Altrichter & Posch (1998) die „Hierarchie der Glaubwürdigkeit“ nennen. Damit meinen sie „die tief verwurzelte Annahme, dass der jeweils Höhergestellte glaubwürdiger ist als die rangniedrigere Person“ (Altrichter & Posch 1998: 166). Die Triangulierung bietet eine Möglichkeit, diese Hierarchie aufzubrechen, indem die Perspektiven der verschiedenen Beteiligten gleichwertig nebeneinander gestellt werden. So können die mittels komplementär eingesetzter Verfahren gewonnenen Ergebnisse sowohl der Erhöhung der Validität (vgl. Matsumoto 1994: 372 oder Grotjahn 2003) als auch der Perspektivenerweiterung um die Binnensicht der Befragten dienen.“ Je nach Forschungskontext bezeichnet Triangulation die Kombination verschiedener Methoden, Forschungsansätze, Theorien, Datensorten, Probanden bzw. Forscher etc. in einer Untersuchung. Was die Datentriangulation hier anbetrifft, bezieht sie sich auf die Einbeziehung unterschiedlicher Da- <?page no="189"?> 189 tenquellen (also z.B. Unterrichtsvideos, verbale Daten und Laut-Denk- Protokolle) oder auf verschiedenartige Daten aus derselben Quelle (d.h. von denselben Versuchspersonen). Bei der Methodentriangulation hingegen handelt es sich um die verschiedenen methodischen Zugänge für die Datensammlung, nämlich Introspektion, Befragung, Grammatiktest, teilnehmende Unterrichtsbeobachtung etc. Damit wird darauf abgezielt, die aus verschiedenen Quellen bzw. derselben Quelle erhobenen Daten unter objektiven Bedingungen zu vergleichen, gegenseitig zu überprüfen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Gemeinsame Merkmale der so erhobenen Daten sind, dass es sich einerseits sowohl um qualitative 146 als auch um verbale bzw. verbalisierte Daten handelt; andererseits stützen sie sich vorwiegend auf introspektive Verfahren. Mit dem Begriff „introspektiven Verfahren“ und deren Wirkung im Bereich der Fremdsprachenlern- und -lehrforschung beziehe ich mich nach Aguado (2004, 26) auf „ ... all diejenigen Verfahren, bei denen die untersuchten Personen sich selbst beobachten, in sich selbst hineinsehen, über interne Zustände oder Prozesse nachdenken und darüber Auskunft erteilen (vgl. dazu auch die Ausführungen von Faerch & Kasper 1987). ... Introspektive Verfahren werden sinnvollerweise so eingesetzt, dass sie andere Datenerhebungsinstrumente ergänzen und auf diese Weise eine Perspektivenvielfalt ermöglichen, die eine bestmögliche Annäherung an den Untersuchungsgegenstand bietet (vgl. Flick 1995: 250f).“ Aussagekraft der Daten aus der Triangulation In der qualitativ bzw. empirisch orientierten Forschung gewinnt die Triangulation angesichts ihrer Anwendungsweisen immer mehr an Bedeutung und hat deswegen ihren eigenen Stellenwert. Für die vorliegende Studie gilt die Triangulation sowohl als Methode als auch als Validierungsstrategie sowie zur Gewinnung zusätzlicher Erkenntnisse, also je nach Verwendungszweck. Denn methodisch wurde sie sowohl zur Datensammlung als auch zur Kombination verschiedener Datensorten und Methoden mit den theoretischen Perspektiven eingesetzt und betrifft von daher drei der vier von Denzin (1989, 237f.) definierten Anwendungstypen, nämlich Daten- Triangulation, Theorien-Triangulation und methodologische Triangulation. 147 Dies zielt hier vorwiegend darauf ab, dass durch die multiple Triangu- 146 Zu den qualitativen Daten gehören z.B. verbale Daten (also Fragebögen, Interviews, Lehrerbzw. Lernertagebücher, geschriebene und gesprochene Texte etc.), Lautes Denken, Beobachtungsdaten, Dokumente, Zeugnisse, Beschreibungen, Gruppendiskussionen, Erzählungen etc. 147 Zum Folgenden vgl. Flick 2002, 330-332; Chaudhuri 2009, 211. Wie bereits erwähnt, geht es bei der Daten-Triangulation um die Einbeziehung unterschiedlicher Datenquellen in Bezug auf Zeit, Raum und Personen. Als Theorien- <?page no="190"?> 190 lation, in der die oben genannten einzelnen Triangulationstypen mehrfach kombiniert und verwendet werden, möglichst noch breitere, tiefere Einblicke in den untersuchten Gegenstand gegeben werden sollen. Die Schwächen einzelner methodischer Verfahren auszugleichen (vgl. Aguado 2004, 25) war hingegen bei der vorliegenden Studie nicht das Ziel. Bei der Validierungsstrategie und der Gewinnung zusätzlicher Erkenntnisse geht es jeweils um die Konvergenz und Divergenz der Ergebnisse in der Untersuchung. Dies erläutert Flick (2006, 162) prägnant wie folgt: „Wird Triangulation zu Validierungszwecken eingesetzt, wird damit nach konvergenten Ergebnissen bei der Anwendung verschiedener Methoden (oder Datenformen etc.) gesucht. Triangulation als Erkenntnisstrategie ist besonders aufschlussreich, wenn sie zu divergenten Ergebnissen durch die verschiedenen Methoden führt, die nach neuen Erklärungen (für die Divergenz) verlangen.“ Die Vorteile der Triangulation lassen sich kurz zusammenfassen: Erstens bietet die Triangulation die Möglichkeit, eine Fragestellung unter verschiedenen Aspekten zu betrachten und dafür unterschiedliche Lösungsbzw. Erklärungswege zu finden; zweitens werden auch die Ergebnisse verschiedener Sichtweisen durch die Triangulation verglichen und thematisiert, um den untersuchten Gegenstand bestmöglich zu erfassen sowie zu interpretieren. Deshalb wurden in dieser Studie die Kriterien der (methodologischen) Triangulation innerhalb der Methode und durch Einsatz verschiedener Methoden zur Datenerhebung und -auswertung verwendet. Das heißt, einerseits wurden die Daten zum gleichen Zeitpunkt innerhalb der Triangulation durch Kombination verschiedener Versuchsprobanden, Unterrichtsorte, Datensorten sowie Instrumente erhoben, um ihre Übereinstimmung zu gewährleisten (siehe Tabelle 5-1 und 5-2). Andererseits geht es bei der Datenauswertung wie schon in 5.2 erwähnt um die Integration quantitativer und qualitativer Analyseverfahren innerhalb der Triangulation, nämlich statistischer und inhaltsanalystischer Verfahren. Dadurch sollen glaubwürdige Erkenntnisse hervorgebracht werden, um die Aussagekraft der Daten zu steigern und die Zuverlässigkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Bevor ich noch näher auf die Datenerhebung und Analyseverfahren eingehe, werde ich im Folgenden (Kap. 5.4) zuerst kurz die Probanden meiner Studie vorstellen. Triangulation bezeichnet Flick (2002, 331) nach Denzin (1989, 237-241) eine Annäherung an die Daten unter Einbeziehung verschiedener theoretischer Sichtweisen bzw. Hypothesen. Methodologische Triangulation bedeutet, dass Triangulation innerhalb einer Methode (within-method) und zwischen verschiedenen Methoden (between-Method) z.B. zur Datenerhebung verwendet wird. <?page no="191"?> 191 5.4 Probanden Probandensuche Für meine empirische Untersuchung zu den drei o.g. Grammatikthemen brauchte ich aufgrund der kulturell bedingten didaktisch-methodischen Unterschiede insgesamt sechs Lehrpersonen als Probanden, jeweils drei taiwanische und drei deutsche Lehrkräfte, bei denen ich das Unterrichtsgeschehen während ihrer Grammatikstunde beobachten konnte. Deshalb kontaktierte ich vor Beginn der Studie durch E-Mail bzw. persönlichen Besuch einige Lehrpersonen, die Deutsch an verschiedenen Universitäten bzw. Hochschulen unterrichten und sich für mein Forschungsprojekt interessierten. So habe ich zunächst vier Probanden gefunden, weitere zwei wurden mir durch eine meiner ehemaligen Professorinnen, Frau Prof. Dr. Li-show Lai, empfohlen. Informationen zu den Probanden Folgende Lehrpersonen und ihre jeweiligen Klassen waren Versuchspersonen für die vorliegende Studie und wurden in sechs dazugehörige Untersuchungsgruppen A bis F eingeteilt, wie in der untenstehenden Tabelle aufgezeigt (Tabelle 5-1): Tabelle 5-1: Informationen zu den Untersuchungsgruppen (Stand: Studienjahr 2004/ 2005) Untersuchungsgruppen Kursarten Lehrerfahrung Anzahl der KT Sem. Niveau Nichtmuttersprachliche Lehrkraft A Grammatik 31 Jahre 37 3 Sem. A2 B Grammatik 33 Jahre 23 3 Sem. A2 C Übersetzen 24 Jahre 21 3 Sem. A2 Muttersprachliche Lehrkraft D Konversation 2 Jahre 47 5 Sem. A2 E Aufsatz ca. 6 Jahre 25 3 Sem. A2 F Konversation 8 Jahre 24 7 Sem. B1 Abkürzung: KT: Kursteilnehmer Sem.: Semesterzahl Die Tabelle 5-1 zeigt die Kursarten, die Lehrerfahrung der Unterrichtenden, die Anzahl der Kursteilnehmer in den einzelnen Klassen, die Semesterzahl und das Sprachniveau 148 nach dem gemeinsamen europäischen Referenz- 148 Diese Einteilung erfolgte gestützt auf das damals verwendete Lehrwerk bzw. die Bewertung der unterrichtenden Lehrperson. <?page no="192"?> 192 rahmen. Das Alter der Lernenden in den sechs Gruppen betrug 18 bis 22 Jahre. Die sechs Untersuchungsgruppen untergliedern sich wieder in zwei Lehrergruppen, nämlich die nicht-muttersprachliche und muttersprachliche Lehrergruppe. Zu der nicht-muttersprachlichen Lehrergruppe gehören die Gruppen A, B und C, während D, E, F von muttersprachlichen Lehrkräften unterrichtet werden. 5.5 Datenerhebung und Analyseverfahren In diesem Kapitel stehen die Datenerhebung und deren Aufbereitung sowie die Datenauswertung im Mittelpunkt. Wie bereits in 5.3 erwähnt, wurde die Triangulation in der vorliegenden Studie auch als Methode zur Erhebung der Daten eingesetzt, d.h., verschiedenartige Daten wurden sowohl aus derselben Quelle als auch aus unterschiedlichen Quellen erhoben. Dies zielt darauf ab, den Untersuchungsgegenstand aus verschiedenen Blickpunkten zu beobachten und zugleich die Schwächen bzw. Mängel einzelner Datenerhebungsverfahren auszugleichen. Aus diesem Grund wurden hier vier Instrumente (Fragebögen, Grammatiktest, Interview und Videoaufnahme) je nach Erhebungsziel in bestimmter Reihenfolge und auf unterschiedliche Weise angewendet sowie später miteinander kombiniert. Für die vorliegende empirische Arbeit standen insgesamt 177 Lernerprobanden und 6 Lehrerprobanden zur Verfügung. Durch sie und ihre Unterrichtsaktivitäten wurden die in der folgenden Tabelle 5-2 aufgeführten Lerner-, Lehrer- und Unterrichtsdaten erhoben. Je nach Instrument und quantitativer bzw. qualitativer Eigenschaft der Daten sollen sie im folgenden Unterkapitel detailliert beschrieben werden mit dem Ziel, den Leser mit Erhebungsmethode, Analyseverfahren, den Fakten sowie den Erhebungsbzw. Auswertungsproblemen vertraut zu machen. Bevor ich noch näher auf das Erhebungsdesign eingehe, wird zuerst ein Überblick über die Rohdaten, die von Lerner- und Lehrerprobanden erhoben wurden, in Bezug auf deren Quellen, Sorten, Gesamtzahl und Rücklaufquote gegeben. <?page no="193"?> 193 Tabelle 5-2: Überblick über die Rohdaten und deren Sorten Datenquellen Datensorten Gesamtzahl Rücklaufquote in Prozent (%) Anmerkungen Lernerdaten Lernerfragebogen (1) 176 99,44 1 abwesend* Grammatiktest 161 90,96 16 abwesend* Lernerfragebogen (2) 140 79,10 28 abwesend* 9 nicht zurückerhalten** Lehrerdaten Lehrerfragebogen 6 100 - Abschlussinterview 6 - - Unterrichtsdaten Hospitation (Videodaten) 52 - ca. 53 Stunden - : Keine Angabe * Abwesenheit im Unterricht während der Datenerhebung ** nicht zurückerhaltene Umfragen 5.5.1 Unterrichtsbeobachtung 5.5.1.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten Die Unterrichtsbeobachtung fand im WS 2004/ 2005 149 in allen sechs Klassen statt. Im Mittelpunkt dieser teilnehmenden Beobachtung für den empirischen Teil meiner Studie stehen hauptsächlich Phänomene im Unterrichtsverlauf, die das Lernen und Lehren der drei o.g. Grammatikthemen beeinträchtigen. Sie manifestieren sich nicht nur im beobachtbaren Verhalten (z.B. Grammatikerklärung, Lernweise etc.), sondern umfassen auch nicht beobachtbare kognitive Aktivitäten wie z.B. Problemlöseprozesse. Deshalb erfolgte die Unterrichtsbeobachtung in zwei Arbeitsschritten, also Vorbereitungsphase und Videoaufzeichnung der gezielten Beobachtung. Die Probleme bzw. Faktoren, die sich negativ auf das Grammatiklernen und -lehren im universitären DaF-Unterricht in Taiwan auswirken, konnten in erster Linie durch die gezielten Beobachtungsaspekte herausgearbeitet und analysiert werden. Im Folgenden werde ich noch näher auf die zwei oben genannten Schritte eingehen, und zwar jeweils in Bezug auf die Überlegungen zur Vorbereitungsphase und zu den Beobachtungsaspekten. Vorbereitungsphase Um genauere Informationen über die Rahmenbedingungen, die Lernergruppe und die Unterrichtsplanung zu den drei o.g. Grammatikthemen zu erhalten, führte ich vor Beginn der Unterrichtsbeobachtung mit den Lehrpersonen jeweils ein Gespräch, welches protokolliert wurde. Danach begann 149 Die Unterrichtsbeobachtungen wurden vom 16.09.2004 bis zum 07.01.2005 durchgeführt, also während des ganzen Wintersemesters. <?page no="194"?> 194 die Vorbereitungsphase, nämlich die Hospitationen. Dies zielte einerseits darauf ab, das Vertrauen der Zielgruppe zu gewinnen und den Beobachtereffekt zu verringern, indem ich die Gruppen vorher an meine Anwesenheit gewöhnte. Andererseits wollte ich dadurch auch selbst das gesteuert globale Beobachten einüben und herausfinden, wie man bei der Videoaufzeichnung optimal vorgeht sowie auf welche technischen Aspekte man dabei achten muss. Bei der ersten Hospitation wurden den Klassen das Projekt und die Intention der Beobachtungen entweder durch mich oder durch die Lehrperson vorgestellt, damit die Lernenden meine Anwesenheit in der Klasse verstehen und sich an diese neue Situation gewöhnen konnten. In allen Versuchsgruppen dauerte die Hospitation in der Vorbereitungsphase insgesamt vier bis sechs Beobachtungsstunden. Je nach Gruppen und Unterrichtsplanung der Lehrkraft war das aber unterschiedlich. Das Unterrichtsgeschehen wurde bei den Hospitationen protokolliert. Videoaufzeichnung der gezielten Beobachtung Für die vorliegende Arbeit stehen die Behandlung der drei o.g. Grammatikthemen und das jeweilige Unterrichtsverhalten im Mittelpunkt. Von daher fokussierte ich bei der Videoaufnahme in der Grammatikstunde auf zwei Beobachtungsaspekte, nämlich: 1) Die Phasen Präsentation, Einübung und Problemlösung Bei der Präsentationsphase können zwei Situationen unterschieden werden: Erstens, wie führt die Lehrperson das einzelne untersuchte Grammatikphänomen ein, wenn es noch völlig unbekannt ist? Zweitens, welche Möglichkeiten der Übung und Wiederholung bietet die Lehrperson den Lernenden an, falls das Phänomen bereits eingeführt wurde? Diese Unterscheidung ist notwendig, weil die Grammatikprogression der einzelnen Deutschabteilungen, wie bereits in 3.3.2 erwähnt, je nach Universität sehr unterschiedlich ist. 150 In der Einübungsphase ist zu unterscheiden, wie das unbekannte bzw. bekannte Phänomen geübt wird und inwiefern die dabei angewendeten Methoden für die einzelnen Phänomene geeignet sind. Was die Problemlösungsphase anbetrifft, geht es zum einen um die Korrektur im Unterricht und zum anderen um die Besprechung der Fehler nach dem Test. Dabei liegt der Schwerpunkt darauf, 150 Außer Gruppe F, die vor meiner Unterrichtsbeobachtung bereits alle drei o.g. Grammatikphänomene gelernt hatte, wurden den anderen fünf entweder nur die Präpositionen oder die Präpositionen und das Zustandspassiv vermittelt. Der Konjunktiv II bzw. das Zustandspassiv wurde während des Zeitraums der Unterrichtsbeobachtung als neuer Stoff vermittelt. <?page no="195"?> 195 wie die unkorrekte Verwendung von grammatikalischen Formen im Unterricht bzw. im Test von den Lehrenden korrigiert und erklärt wird. 2) Das Lehr- und Lernverhalten im Klassenzimmer In der Grammatikstunde liegt außer dem Lehrverhalten bei den verschiedenen Phasen noch das Lernverhalten im Fokus. Wichtig war dabei, wie sich die Studierenden in diesen drei Phasen verhalten und welche Rolle ihr gewohntes Lernverhalten (wie in 4.2.2 erwähnt) beim Fremdsprachenerwerb spielt. Die Beobachtungen in den drei o.g. Unterrichtsphasen konnten dazu beitragen, zwischen den methodischen Verfahrensweisen der einzelnen Lehrerprobanden zu unterscheiden und den Einfluss des jeweiligen Lehr- und Lernverhaltens auf den Grammatikerwerb näher zu analysieren. Funktion der aufgenommenen Unterrichtsvideos Die aufgezeichneten Unterrichtsvideos stellen die Datenbasis für den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit dar und haben folgende Funktionen: 1) Videotranskription als Datenmaterial für die Analyse Die Unterrichtsvideos wurden zunächst angeschaut und dann schwerpunktmäßig transkribiert sowie analysiert, um die relevanten Informationen zu den Fragestellungen der vorliegenden Arbeit zu extrahieren. Die entnommenen Informationen werden hier nicht nur als Befunde angesehen, sondern sie sollen für die Analyse des Unterrichtsgeschehens zur Verfügung stehen, d.h., sie sollen mit den weiteren relevanten verbalen Daten trianguliert und verglichen werden sowie dazu beitragen, die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit zu beantworten. 2) Videodateien als Basis des retrospektiven Laut-Denkens Die Videoaufnahmen werden als wichtige Datenquelle betrachtet, in der die authentischen Unterrichtssituationen bestmöglich erfasst werden können. Mit Hilfe dieser Aufnahmen können die Informationen beim Laut-Denk-Verfahren leicht abgerufen werden, egal ob sie im Langezeit- oder im Kurzzeitgedächtnis gespeichert sind. D.h., durch die Videodateien können sich die Lehrerprobanden beim retrospektiven Abschlussinterview an ihr eigenes Lehrverhalten erinnern und begründen, warum sie damals so gehandelt haben und nicht anders. 5.5.1.2 Fakten zur Unterrichtsbeobachtung Im Unterrichtsverlauf ist es schwierig alle diese o.g. Aspekte gleichzeitig zu beobachten, deshalb wurden die Grammatikstunden jeweils mit zwei Digi- <?page no="196"?> 196 tal-Videokameras 151 (DV) aufgenommen. Eine DV konzentrierte sich dabei auf die Lehrperson, die andere DV auf die Lernenden. Dafür hatte ich einige Hilfskräfte gesucht, die zu der jeweiligen Untersuchungsgruppe passten und die mir bei der Aufnahme helfen konnten. Vor der Videoaufnahme hatte ich gemeinsam mit ihnen die Bedienung der Digital-Videokamera geübt und ihnen erklärt, worauf sie in welcher Unterrichtsphase fokussieren sollten. Anhand der o.g. gezielten Beobachtungsaspekte wurden insgesamt ca. 53 Unterrichtsstunden bei den sechs Versuchsgruppen aufgenommen und ca. 22 Stunden davon ausgewertet. Ein unvermeidliches Problem bei diesen Beobachtungen waren Beobachtereffekte. Während der Unterrichtsbeobachtung war es spürbar, dass die Beobachtereffekte das Lehrverhalten beeinflussten oder sogar störten. Wie bereits in 5.2.2 erwähnt, ist es gut möglich, dass die Lehrerprobanden ihren Unterricht anders als sonst gestaltet haben. 5.5.1.3 Aufbereitung der Videodaten: Transkription An dieser Stelle soll die Aufbereitung der Videodaten kurz dargestellt werden. Die Prinzipien und Arbeitstechniken dazu gelten auch für die Aufbereitung der verbalen Daten zu Laut-Denk-Protokollen (vgl. dazu Kap. 5.5.6 Abschlussinterview mit den Lehrenden). Die Gespräche, die hier aus den Unterrichtsvideos entnommen wurden, mussten vor der Analyse zunächst wortwörtlich in deutsche Schriftzeichen transkribiert werden. Bei der Unterrichtsaufnahme sprachen die sechs Lehrpersonen jeweils in ihrer Muttersprache, also entweder Chinesisch oder Deutsch. Die Unterrichtsgespräche in chinesischer Sprache wurden ohne phonetische Umschrift nach dem internationalen phonetischen Alphabet (IPA) zuerst auf Chinesisch transkribiert und dann unmittelbar ins Deutsche übersetzt. Denn Schwerpunkt bilden die Gesprächsinhalte, die Sprache bzw. Lautschrift ist nebensächlich. Die Inhalte stellen eine wichtige Interpretationsquelle für die in dieser Arbeit relevanten Fragestellungen dar und sollen außerdem noch aufschlussreiche Informationen dafür liefern. Bei der Herstellung von Transkripten wurde die Zeilenschreibweise als Transkriptionsformat verwendet. Aufeinanderfolgende Äußerungen fangen immer mit einer neuen Zeile an und die Transkripte der Unterrichtsvideos werden auf Schwerpunkte reduziert und leserfreundlich dargestellt. Dies und einige Arbeitstechniken für die Transkription werden im Folgenden an Beispielen gezeigt sowie erläutert: 151 Die zwei DVs wurden von der Deutsch- und Französischabteilung der Wen- Hua-Universität, also meine ehemalige Universität, für ein Semester ausgeliehen. Während der Zeit der Unterrichtsbeobachtung hat meine ehemalige Universität mich in technischen Belangen für die empirische Untersuchung der vorliegenden Arbeit unterstützt. <?page no="197"?> 197 I: Was meinen Sie, welche didaktischen Faktoren wirken sich negativ auf den taiwanischen DaF-Grammatikunterricht aus? L: (...) Einmal das, also die große Anzahl Studenten, und dann natürlich auch die Gewohnheiten, na, gewisse Gewohnheiten der Studenten, also sie sind ehm ... sehr oft sehr passiv, sie wagen nicht, irgendwelche Fragen zu stellen, und... ja, da merkt der Lehrer natürlich nicht, ob sie was verstanden haben oder nicht. Passivität, was noch... hm...ja, die Gewohnheit, einfach nur das zu machen, was der Lehrer gerade sagt, und sonst selbst eigentlich nichts, oder nicht aktiv zu werden nach der Stunde, nach dem Unterricht. Beispiel  ‒ Unterrichtstranskription (vgl. Auszug UT 7-3) 152 L: ... bei dieser Prüfung konnte man (insgesamt) 25 Punkte erreichen, keiner hat alle Fragen richtig beantwortet... Die höchste erreichte Punktzahl ... hm ...wie viele waren das? (schaut sich in der Klasse um--------------------) S1: Neunzehn L: 只有19個對,有沒有21個對的啊? <Nur 19 richtige Antworten, hat jemand z.B. 21 Fragen richtig beantwortet? > S: ... (schauen sich in der Klasse um) L: 最多只有19個對,有沒有21個對的?哪一位21啊?有沒有21點對的啊? (看著學生再次確認---------------------) < Maximal nur 19 richtige Antworten, hat jemand z.B. 21 Fragen richtig beantwortet? Wer? Hat jemand 21 Punkte bekommen? (schaut sich in der Klasse um, um ganz sicher zu sein)> Beispiel  ‒ Interviewtranskription von Gruppe F (vgl. Auszug IT 3) Erläuterungen zur Transkription S: Student(in), Studenten L: Lehrperson I: Interviewerin KT: Kursteilnehmer <Spitze Klammer>: <Übersetzung ins Deutsche> (...): Auslassung eines an anderer Stelle schon angegebenen Ausdrucks ( ): Unverständliche Laute, Wörter etc. (Wörter): Vermutete Bedeutung (kursiv): Beschreibung von nicht-verbalem Verhalten 152 Die Auszüge aus den Unterrichtstranskripten werden nach Kapitel gezählt. <?page no="198"?> 198 Fettdruck: Relevantes Datenmaterial GROSSSCHREIBUNG: Prosodische Einheiten (z.B. DOMPTEUR) Unterstreichung: Wichtige Informationen zu Fragestellungen der vorliegenden Studie ... : Denkpause hm, mhm, mh: Pausenfüller, Rezeptionssignal 5.5.1.4 Auswertungsverfahren Für die Analyse und Auswertung der Unterrichtsvideos wählte ich die in 5.2.1 erwähnte Form einer Zusammenfassung aus. Dadurch konnte die Materialfülle reduziert werden mit dem Hauptziel, die für die Arbeit relevanten Ausschnitte bzw. Inhalte aus den Unterrichtsvideos zu extrahieren. Je nach herausgefilterten Ausschnitten wurden die dazu passenden Kategorien induktiv gebildet. An dieser Stelle wurde untersucht, in welcher Art und Weise die drei untersuchten Grammatikthemen präsentiert, eingeübt und erklärt wurden. Der Fokus liegt vor allem darauf, welche didaktischen und methodischen Unterschiede es zwischen den taiwanischen und muttersprachlichen Lehrerprobanden gibt. Die gewonnenen Einzelergebnisse wurden zuerst verglichen und sortiert. Danach wurden die ähnlichen Kategorien integriert, um zu vereinheitlichen und zu einem Gesamtergebnis zusammenzufassen. Dadurch konnten die kulturell bedingten didaktisch-methodischen Unterschiede aufgezeigt werden. 5.5.2 Lernerfragebogen (1) - während der Unterrichtsbeobachtung 5.5.2.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten Der Lernerfragebogen (1) 153 wurde als erstes Instrument zur Erhebung der Lernerdaten eingesetzt. Denn zum einen bietet er eine gute Gelegenheit, einen Einblick in das Sprachprofil, die Motive, die Lernsowie Lehrsituation der sechs Versuchsgruppen zu gewinnen. Aber er diente nicht nur zum Einholen von Informationen, sondern ging auf die Vorannahmen ein und half dabei, Probleme herauszufinden und andere aufschlussreiche Informationen zu liefern (vgl. Albert / Koster 2002, 24). Zum anderen sollten sich die Befragten als L2-Lernende durch introspektive Verfahren in den gestellten Fragen selbst beobachten und beurteilen, d.h., sie sollten über ihren eigenen Kenntnisstand, ihre Lernprozesse und die Unterrichtssituation nachdenken. Darüber hinaus wurden die untersuchten Lernenden über vier folgende Themenbereiche befragt, nämlich: 153 Siehe im Anhang 1 ‒ Lernerfragebogen (1): Informationen zu den Lernenden und zur Unterrichtsstunde. <?page no="199"?> 199 1) Fremdsprachenlernerfahrung Sie bezieht sich vorwiegend auf die Lernbiografie des lernenden Individuums im Bereich Fremdsprachen, erfasst wurden Informationen über das frühere Fremdsprachenlernen und die schulischen Lernerfahrungen mit Englisch. Z.B. 1. Ist Ihre Erstfremdsprache Englisch? Falls nein, welche Sprache? (1)Ja (2)Nein, . 5. Welche Sprachfertigkeiten waren für Sie früher beim Englischlernen in der Mittel-und Oberschule besonders anspruchsvoll? (1)Hörfertigkeit (2)Sprechfertigkeit (3)Lesefertigkeit (4)Schreibfertigkeit (5)Andere, ________________________ 2) Lernmotivation Dieser Teil beschäftigt sich mit den folgenden Schwerpunkten:  Ausgangsmotivation zur Wahl des Germanistikbzw. Deutschstudiums,  unterrichtsbezogene Faktoren, die Motivationsschwankungen hervorrufen,  allgemeine Motivationsfaktoren beim Deutschlernen. Hier sind zwei Fragen besonders wichtig: Erstens, wie sieht die gruppenspezifische Verteilung der Ausgangsmotivation und der allgemeinen Motivationsfaktoren beim Deutschlernen aus? Bestehen Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen den einzelnen untersuchten Lernergruppen? Zweitens, wie sieht die gruppenspezifische Verteilung bei den unterrichtsbezogenen Beweggründen aus? An dieser Stelle mussten die Befragten jeweils drei Antworten auf die Frage auswählen, welche Faktoren sie im unterrichtlichen Kontext für motivierend und demotivierend halten. Z.B. <?page no="200"?> 200 7. Was hat Sie dazu veranlasst, Deutsch zu studieren? (1)Interesse an Fremdsprachen (2)Karriere (3)Interesse an Landeskunde der deutschsprachigen Länder (4)Aussicht auf eine Ausbildung in Deutschland (5)War die einzig mögliche Wahl aufgrund der Noten der Hochschulaufnahmeprüfung (6)Andere, _______ 8. Welche Faktoren steigern Ihre Motivation, im Unterricht Deutsch zu lernen? Wählen Sie die drei wichtigsten davon aus. (1)Lehrwerk (2)Unterrichtsstil von Lehrenden (3)Lernklima im Klassenzimmer (4)Leistungsüberprüfung (5)Wissensdurst (6)Andere, ___ 3) Lerngewohnheiten Hier wurden die persönlichen Lerngewohnheiten der Befragten zum Deutschlernen in drei vorgegeben Kontexten untersucht, nämlich während des Kurses, bei der Vor- und Nachbereitung des Kurses sowie das Lernverhalten im Allgemeinen. Mit dem „Kurs“ ist hier der beobachtete Unterricht gemeint. Der Fokus dieses Teils liegt darauf,  wie die Lernenden mit den Problemen im Unterricht umgehen,  ob die Lernenden Selbstverantwortungen für das Deutschlernen übernommen haben und welche Auswirkungen dies auf ihr Lernverhalten hat. Als Beispiele: 14. Wen fragen Sie, wenn Sie mit dem Unterrichtsinhalt Probleme haben? (1)den/ die Lehrende(n) (2)Mitstudenten (3)Niemanden (4)nichts (5)andere, _______________________________________ 21. Wieviel Zeit verwenden Sie pro Woche auf Deutschlernen außerhalb des Unterrichts? (1)unter 7 Stunden (2)7~14 Stunden (3)15~21Stunden (4)über 21 Stunden 4) In der Grammatikstunde In diesem Teil wurden folgende Punkte aus der Lernerperspektive erforscht, nämlich:  Problemerklärungen und Korrekturtechniken in der Grammatikstunde,  Lernverhalten während der Erklärungs- und Korrekturphase,  Vorteile und Nachteile von taiwanischen und muttersprachlichen Lehrkräften bei der Grammatikvermittlung. <?page no="201"?> 201 Als Beispiele: 5.5.2.2 Fakten zum Lernerfragebogen (1) Der Lernerfragebogen (1) wurde während der Unterrichtsbeobachtung bei allen sechs Versuchsgruppen durchgeführt, insgesamt wurden 176 Fragebögen im Unterricht ausgefüllt. 154 5.5.2.3 Auswertungsverfahren Mit Hilfe des Fragebogens wurden die Daten statistisch erfasst und ausgewertet, d.h., die Antworten zu einer Frage wurden jeweils mit 1 (für Ja) und 2 (für Nein) am Computer kodiert und dann durch Zahlen erfasst. Die gewonnenen Resultate wurden nach Gruppen unterteilt, in Prozent dargestellt und in Tabellen präsentiert, um zu erfassen, ob bzw. welche Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ergebnissen bestehen. Diese Verfahren zur Auswertung lassen sich auf die in 5.2.1 erwähnte deskriptive und induktive Statistik zurückführen. Was die daraus resultierenden Ergebnisse angeht, werde ich den Teil der Betroffenen später anhand der Fragestellungen im empirischen Teil (siehe im Teil III) integrieren und interpretieren. 154 Dabei fehlte noch ein Fragebogen, da bei der Gruppe C ein Studierender während der Datenerhebung nicht anwesend war (vgl. Tabelle 5-2). 29. Was machen die meisten Lehrenden, wenn Sie bei Grammatikübungen einen mündlichen Fehler gemacht haben? (1)Sie korrigieren meistens den Fehler und sagen mir den richtigen Gebrauch. (2)Sie lassen mich erstmal selber überlegen, wo ich Fehler gemacht habe. Falls ich ihn nicht herausfinde, sagen sie erst die korrekte Lösung. (3)Sie fragen die anderen Kommilitonen und lassen uns alle zusammen darüber nachdenken, wo der Fehler ist und wie man ihn korrekt äußern soll. (4)Sie korrigieren manchmal den Fehler, aber manchmal nicht. (5)Sie vernachläßigen sehr oft den Fehler, wenn er nicht so schlimm ist. (6)Andere, __________________________________________ 33. Was machen Sie, wenn der/ die Lehrende einen Grammatikfehler eines Kommilitonen korrigiert oder erklärt? (1)Ich höre genau zu, wie der/ die Lehrende das erklärt. (2)Ich höre zuerst zu, worum es geht. Wenn die Frage ein Thema betrifft, mit dem ich selbst Probleme habe, höre ich genau zu, was der/ die Lehrende sagt. Falls ich damit keine Probleme habe, höre ich nicht weiter zu. (3)Ich höre nicht zu, ganz gleich, ob ich bei dem angesprochenen Thema selbst auch Probleme habe oder nicht. (4)Andere, __________________________________________ <?page no="202"?> 202 5.5.3 Grammatiktest 5.5.3.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten Der Grammatiktest (Anhang 3) wurde nach der Präsentation aller drei oben genannten Grammatikthemen im Unterricht durchgeführt. Diese Testdaten dienten nicht nur zur Überprüfung der Thesen und zum Antworten auf die Fragestellungen, sondern sie sind auch die Produktdaten 155 für die empirische Untersuchung. Mit Hilfe des Tests sollen folgende Fragen beantwortet werden:  Haben die universitären DaF-Lernenden in Taiwan tatsächlich große Probleme bei dem Erwerb bzw. der Anwendung der drei untersuchten Grammatikthemen, unabhängig von Sprachniveau oder Studiensemester?  Wenn der Erwerb bzw. die Anwendung dieser drei Grammatikthemen für sie ein großes Problem darstellt, welche sprachlichen und didaktischen Störfaktoren spielen dabei eine große Rolle? Bei der empirischen Untersuchung dieser Fragestellung wurde kein Eingangstest zum Lernstand der Studierenden in Bezug auf die drei untersuchten Grammatikthemen durchgeführt, weil der Schwerpunkt hier nicht auf der Überprüfung des Lernfortschritts liegt, sondern auf dem Lernerfolg und der Feststellung des Sprachstandes. Dieser spiegelt sich nämlich in der korrekten Sprachverwendung wider, die wesentlich nur durch den erfolgreichen Wissenstransfer (also explizit  implizit) sowie die Nachhaltigkeit des Lernens ermöglicht wird. Mit anderen Worten: Erfolgreiches Lernen ist dann erkennbar, wenn das Grammatikwissen durch Üben sowie aktive Anwendung automatisiert wird und später jederzeit in unterschiedlichen Situationen problemlos abgerufen und korrekt benutzt werden kann (vgl. dazu 1.1). Dabei spielen auch andere Wissensquellen eine Rolle, die außerhalb des Unterrichts liegen. Die Anwendung kann sowohl in einer authentischen Situation stattfinden, in der die Lernenden die Zielsprache verwenden, als auch in freier Form ohne vorgegebene Struktur innerhalb des Unterrichts oder in Form eines schriftlichen Tests. Ist der Lernende nicht in der Lage, das Wissen korrekt anzuwenden, dann wurde das explizite Wissen noch nicht in implizites Wissen im Sinne eines erfolgreichen Wissenstransfers überführt. Daher spiegeln die Testergebnisse wider, inwiefern jemand die grammatikalischen Strukturen und das Wissen anwenden kann und welche 155 Unter Produktdaten versteht man die schriftlichen Arbeiten (z.B. Texte, Tests, schriftliche Übungen etc.), die von Lernenden während des Lernprozesses erstellt werden. <?page no="203"?> 203 Fehlerursachen es gibt. Je besser ein Lernender die Grammatik beherrscht und je höher der Sprachstand ist, desto weniger Fehler sollten im Test generell auftreten. Die sprachlichen Störfaktoren (also Interferenzen), die die Lernenden zu Fehlern führen, können jedoch mit Hilfe eines Grammatiktests identifiziert werden. Die Fragen im Test sind teilweise geschlossen (z.B. bei Präpositionen) und teilweise halboffen (z.B. beim Zustandspassiv und Konjunktiv II), um die möglichen Probleme der Studierenden im Zusammenhang mit den einzelnen Grammatikphänomen zu erkennen. Darüber hinaus konnten diese Testdaten auch für die Analyse der didaktischen Störfaktoren verwendet werden. D.h., es konnte untersucht werden, wie die Lehrenden mit den im Test aufgetretenen Grammatikfehlern umgehen und welche didaktischen Probleme mit dem Verhalten bei der Fehlerbesprechung verbunden sind. 5.5.3.2 Fakten zum Grammatiktest Der Grammatiktest wurde insgesamt bei 162 Lernerprobanden im Unterricht durchgeführt (vgl. Tabelle 5-2). An dieser Stelle spielte Abwesenheit während der Testdurchführung eine große Rolle, da sie unmittelbar die Höhe der Rücklaufquote der Testdaten bestimmt. Bei dieser Erhebungsphase waren 15 Lernerprobanden im Unterricht abwesend und haben deshalb nicht an diesem Grammatiktest teilgenommen. 156 5.5.3.3 Auswertungsverfahren Die aufgetretenen Grammatikfehler wurden zunächst quantifiziert und dann durch die entsprechende Fehleranalyse klassifiziert. D.h., die Antworten zur Frage wurden zuerst jeweils mit 1 (für Richtig) und 2 (für Falsch) am Computer kodiert und dann statistisch erfasst, um die Testergebnisse (also Anzahl der Fehler) bei den einzelnen Gruppen zu zeigen und um später für die Analyse der Fehlerursachen zur Verfügung zu stehen. Bei der Fehleranalyse wurde die in 5.2.1 vorgestellte Form Strukturierung verwendet. So wurden die relevanten Informationen zur Frage herausgefiltert, welche sprachlichen Fehlerursachen (siehe in 1.3.2) als Störfaktoren für die taiwanischen DaF- Studierenden angesehen werden können und daher eine große Rolle beim Erwerb der drei untersuchten Grammatikphänomene spielen. Das bedeutet, die Kategorien für die sprachlichen Fehlerursachen wurden bereits vorher definiert und festgelegt. Je nach Fehlertypen fällt die Fehlerursache unter eine bestimmte Kategorie. Die lernersprachlichen Erscheinungen werden 156 Die Zahl der Abwesenden betrug: 3 bei Gruppe A, 5 bei Gruppe B, 5 bei Gruppe D und 2 bei Gruppe F. <?page no="204"?> 204 durch die Fehlerklassifikation später in Kap. 7.3.2 (Interferenzen) interpretiert. 5.5.4 Lernerfragebogen (2) - nach der Unterrichtsbeobachtung 5.5.4.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten Nach dem Grammatiktest und dessen Nachbesprechung gab es noch eine retrospektive Phase, in der von den Versuchsgruppen ein Lernerfragebogen (2) (Anhang 5) über Lernprobleme bei den drei untersuchten Grammatikthemen und didaktisch-methodische Verbesserungsvorschläge ausgefüllt werden musste. Dies zielte darauf ab, dass die Lernerprobanden mittels introspektiver Verfahren rückblickend ihren Lernprozess und die erlebte Unterrichtssituation in Bezug auf die Unterrichts- und Methodenkonzepte der Unterrichtenden beurteilen. Deshalb enthielt der Fragebogen (2) nur offene Fragen, bei denen die Befragten ihre Antworten ganz frei äußern konnten, da die offenen Fragen generell für das Abfragen von individuellen Meinungen, Anregungen etc. sehr geeignet sind. Dadurch wurden aus Lernersicht neue Erkenntnisse für die Analyse der Lern- und Lehrprobleme zu diesen drei Grammatikthemen geliefert. 5.5.4.2 Fakten zum Lernerfragebogen (2) Der Lernerfragebogen (2) wurde nach der gezielten Unterrichtsbeobachtung (also letzte Phase der Hospitation) bei allen sechs Gruppen durchgeführt. Insgesamt wurden 149 Fragebögen im Unterricht ausgeteilt, aber nur 140 davon zurückerhalten. Hier gab es einige Erhebungsprobleme, die teils auf Abwesenheit im Unterricht, teils auf die Teilnahmebereitschaft der Befragten (also Rückgabeproblem) zurückzuführen sind. Sie sind in Tabelle 5-2 bei den Lernerdaten erkennbar und führten dazu, dass die Rücklaufquote dieses retrospektiven Lernerfragebogens (2) vor allem im Vergleich zu derjenigen beim Lernerfragebogen (1) und beim Grammatiktest viel niedriger ist. Dies ist vor allem auf Gruppe F zurückzuführen, obwohl bei den anderen Gruppen während dieser Erhebungsphase auch nicht alle Lernerprobanden anwesend waren. 157 Bei Gruppe F waren erstens drei der insgesamt 24 Lernerprobanden abwesend, und zweitens wurden 9 von insgesamt 21 ausgeteilten Fragebögen nicht zurückgegeben. Deshalb kam schließlich nur die Hälfte (also 12) aller Fragebögen (also 24) zurück. Dies hatte wohl vor allem mit der ungünstigen 157 Insgesamt 28 von 177 Lernerprobanden waren während der Erhebungsphase abwesend. Die Zahl der Abwesenden betrug: 11 von Gruppe A, 8 von Gruppe B, 6 von Gruppe C sowie 3 von Gruppe F. <?page no="205"?> 205 Unterrichtszeit (von 16 bis 18 Uhr) als auch mit der Teilnahmebereitschaft der Befragten zu tun. Die Situation war die Folgende: Der Fragebogen (2) wurde bei Gruppe F gleich vor den Winterferien, in der vorletzten Sitzung des Semesters ausgeteilt. Nach dem Unterricht wollten alle gleich nach Hause gehen, obwohl manche ihre Fragebögen innerhalb der vorgegebenen Zeit (also ca. 25 Min. vor Unterrichtsschluss) noch nicht fertig ausgefüllt hatten. Aus diesem Grund nahmen diese Lernerprobanden ihre Fragebögen mit nach Hause. Viele vergaßen dann aber, diese in der letzten Sitzung vor Semesterschluss noch mitzubringen. Dieser vorgehenstechnische Mangel der vorliegenden Studie hatte unvermeidlich eine niedrige Rücklaufquote des retrospektiven Lernerfragebogens (2) zur Folge. 5.5.4.3 Auswertungsverfahren Bei der Auswertung dieses offenen Fragebogens (2) wurden die Form Zusammenfassung für die induktive Kategorienbildung eingesetzt. Die Antworten zu den einzelnen Fragen wurden zuerst nach inhaltlicher Zugehörigkeit geordnet, um die dafür geeigneten Antwortkategorien induktiv zu entwickeln. Dann wurden die daraus erzielten Ergebnisse nach Themenbereichen quantifiziert und tabellarisch präsentiert. Diese Verfahren zielen darauf ab, einen genauen Gesamtüberblick über die Lernprobleme und didaktischmethodische Anregungen zu den drei untersuchten Grammatikthemen zu gewinnen, die proportionale Verteilung bei den einzelnen Antwortkategorien aufzuzeigen und die Ergebnisse der einzelnen Versuchsgruppen miteinander zu vergleichen. Die gesamten Ergebnisse des Lernerfragebogens (2), die aufgrund ihrer Aussagekraft mit den anderen verbalen Daten trianguliert und ergänzt wurden, stehen später im Teil III für die Analyse und Beantwortung der diesbezüglichen Fragestellungen zur Verfügung. 5.5.5 Lehrerfragebogen 5.5.5.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten Der Lehrerfragebogen (Anhang 6a / 6b) wurde am Ende der Unterrichtsbeobachtungen 158 bei allen sechs Lehrerprobanden individuell durchgeführt, um Informationen über die institutionellen Rahmenbedingungen, die didaktisch-methodischen Überlegungen der Lehrerprobanden und ihre bereits vorhandenen Lehrerfahrungen zu gewinnen. Aus diesem Grund sind die Fragen im Fragebogen teilweise geschlossen und teilweise offen entworfen. 158 Also am Ende des Wintersemesters 2004/ 2005. <?page no="206"?> 206 Bei den geschlossenen Fragen wurden Informationen über Lehrerfahrung 159 , Lehrkräfte, Anzahl der Studierenden, Zulassungsbedingungen, Studiendauer, Inhaltsschwerpunkt des Studiums, Fachliteratur, Einrichtungen, Übungsweise und Medieneinsatz in der Grammatikstunde etc. gesammelt. Bei den offenen Fragen hingegen geht es um Meinungsbefragungen, es wurde deshalb zunächst nach den didaktischen und methodischen Konzepten der drei erforschten Grammatikthemen gefragt, und weiterführend wurden die damit verbundenen Lehr- und Lernprobleme in der Grammatikstunde ermittelt. Die Fragebogendaten sollten vor allem dazu beitragen, aus Lehrersicht neue Perspektiven für die Analyse der Probleme beim Lehren und Lernen dieser drei Grammatikthemen zu gewinnen. 5.5.5.2 Fakten zum Lehrerfragebogen Die Erhebung des Lehrerfragebogens ist ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen. Alle sechs Lehrerprobanden erhielten den Fragebogen, aus Gründen der Leserfreundlichkeit je nach Gruppe entweder in Deutsch oder Chinesisch. Insgesamt wurden sechs Fragebögen ausgeteilt und zurückerhalten. Nur die Lehrperson D und E hatten damals am Semesterende noch viel für die Uni zu tun und konnten ihren Fragebogen innerhalb des vorgegebenen Zeitraums nicht ausfüllen. Deswegen wurden mir diese zwei Fragebögen zwei Wochen später per E-Mail zugeschickt. 5.5.5.3 Auswertungsverfahren Hier wurden die erhobenen Informationen über die institutionellen Rahmenbedingungen als Performanzdaten 160 zunächst induktiv aufbereitet und dann je nach Reziprozität in theoretisch relevanten Kapiteln (vgl. dazu Kap. 3.3) dargestellt sowie präsentiert. Die Rückmeldungen zu den didaktischmethodischen Konzepten der Lehrpersonen und zu den Lehr- und Lernproblemen aus ihren Lehrerfahrungen mit den drei Grammatikthemen wurden nach den Antwortkategorien geordnet. Diese Ergebnisse wurden mit anderen diesbezüglichen Daten trianguliert und zusammengefasst, um die sich daraus ergebenden Lehr- und Lernprobleme unter verschiedenen Betrachtungsaspekten zu diskutieren und später ausführlich in Unterkapiteln von Teil III darzustellen. 159 Mit der Lehrerfahrung ist an dieser Stelle die Anzahl Jahre, die eine Person als DaF-Lehrkraft gearbeitet hat, gemeint. 160 Unter Performanzdaten versteht man in der L2-Erwerbsforschung die Sachverhalte bzw. Handlungen der Versuchspersonen, die man deutlich wahrnehmen bzw. sehen kann. <?page no="207"?> 207 5.5.6 Abschlussinterview mit den Lehrenden 5.5.6.1 Überlegungen zur Auswahl der Daten Nach der in 5.5.5 dargestellten schriftlichen Befragung (Lehrerfragebogen) erfolgte das retrospektive Abschlussinterview, das kurz vor den Winterferien bei allen sechs Lehrerprobanden einzeln stattfand. Es handelt sich um ein Leitfadeninterview und bezieht sich auf die gesamte Reflexion des Unterrichtsgeschehens mit Fokus auf bestimmte Problemstellungen in den einzelnen Unterrichtsphasen. Die Fragen waren zuvor aufgrund der Analyse der Unterrichtsaufnahme und der durchgeführten Testergebnisse herausgearbeitet worden. Im Interview sollten die befragten Lehrpersonen das jeweilige Unterrichtsgeschehen, Unterrichtsverhalten bzw. ihre Gedanken zu didaktisch-methodischen Konzepten während des Unterrichtsverlaufs verbalisieren. Diese Gespräche wurden mit einem MP3-Player aufgenommen und dienten als zusätzliche Ergänzungen zu den Beobachtungsdaten. 5.5.6.2 Fakten zum Lehrerinterview Insgesamt wurden sechs Abschlussinterviews für die vorliegende empirische Forschung durchgeführt. Zwei davon fanden in Form des retrospektiven Lauten-Denkens statt: Die Unterrichtsvideos wurden von den Lehrpersonen D und F angeschaut sowie kommentiert. In vier weiteren klassischen Leitfrageninterviews haben die Lehrpersonen ihre Eindrücke zum Unterrichtsgeschehen insgesamt formuliert, ohne konkret auf Stellen im aufgezeichneten Unterricht Bezug zu nehmen. Der Grund dafür ist, dass bei den Lehrpersonen A und C die Zeit, die sie zur Verfügung stellen konnten, beschränkt war (ca. 40 Min.), da sie noch anderen Termin hatten. Aufgrund einer Augenoperation konnte die Lehrperson B das Video auch nicht gemeinsam anschauen. Bei E wurden die Unterrichtsbeobachtungen als letzte abgeschlossen, und das Unterrichtsgeschehen in den letzten zwei Sitzungen, bei denen viele Probleme zu beobachten waren, hatte ich noch gut im Gedächtnis. Deshalb wurde die retrospektive Verbalisierung mittels des Leitfrageninterviesws durchgeführt. Diese sechs Interviews liegen in sechs Audiodateien (MP3) vor, aber bei Lehrperson C wurden aufgrund einer technischen Panne nur knapp zwei Minuten des Interviews aufgenommen. Außerdem wurde Lehrperson D, bei der wir in der betreffenden Zeit keinen Termin bekommen konnten, viel später als die anderen fünf Lehrerprobanden interviewt. 5.5.6.3 Probleme bei der Auswertung Mittels des retrospektiven Laut-Denkens bzw. Leitfrageninterviews werden die Überlegungen der Lehrkraft während des Vermittlungsbzw. Prob- <?page no="208"?> 208 lemlöseprozesses beim Planen und Unterrichten deutlich. Umstritten sind bei diesem Verfahren die Beobachtereffekte, die sich wie bereits erwähnt auswirken können und bei der Auswertung berücksichtigt werden müssen (vgl. 5.2.2). Z.B. kann sich die Anwesenheit des Forschenden während des Interviews auf die Aussagen der Lehrerprobanden auswirken. Während des Verfahrens der retrospektiven Verbalisierung ist es möglich, dass die Lehrerprobanden versuchen, ihren Unterricht möglichst günstig zu interpretieren und zu verhindern, dass ihr Image als Lehrer Schaden nimmt (vgl. Chen 2005, 57). Dies war während des retrospektiven Abschlussinterviews schon merkbar. 5.5.6.4 Auswertungsverfahren Die im Interview aufgenommenen Audiodateien wurden zunächst nach den in 5.5.1.3 erwähnten Prinzipien und Arbeitstechniken vollständig transkribiert. Beim Lesen der einzelnen Transkripte lagen vorwiegend die Fragestellungen im Fokus, d.h., bei der Auswertung wurde nur das für die Forschungsfragen relevante Korpus aufgenommen und nach Lehrpersonen unterteilt in einer verkürzten Fassung dargestellt. Hier wurden die in den Interviews gefundenen einzelnen Aspekte nicht nur dem Zusammenhang der vorliegenden Forschungsfragen zugeordnet, sondern wurde noch darauf geachtet, welche neuen Ansichten bzw. vernachlässigten Themen in den Interviewtexten vorkommen (vgl. Schmidt 2008, 449). Die daraus gewonnenen Ergebnisse sollten im Teil III zur Analyse der Lernprobleme und der didaktischen Lehrprobleme beitragen. <?page no="209"?> 209 Teil III: Darstellung und Interpretation der Ergebnisse Der vorliegende Teil gibt eine detaillierte Zusammenschau der Untersuchungsergebnisse und zeigt die Problemfelder beim Grammatiklernen und -lehren im universitären DaF-Unterricht Taiwans auf. Die aus der empirischen Untersuchung in Form von Unterrichtsbeobachtungen, Befragungen, Grammatiktest sowie Interviews gewonnenen Ergebnisse werden zunächst trianguliert und dann mit den relevanten theoretischen Aspekten sowie der Forschungsliteratur in Verbindung gebracht. Die daraus abgeleiteten Themenkategorien sind zentraler Gegenstand von Teil III. Die Darstellung, Interpretation und Diskussion der Gesamtergebnisse lässt sich in drei thematische Teile gliedern. Im ersten Teil werden die Rahmenbedingungen als Probleme im Lern-/ Lehrkontext dargestellt. Im zweiten Teil sind die Lernprobleme Gegenstand der Darstellung und schließlich in Teil drei die didaktischen Probleme. Die drei Dimensionen dienen als Untersuchungsaspekte, aber deren Unterteilung ist nur eine künstliche Trennung für die im Unterricht auftretenden Probleme, da die Lern- und Lehrprobleme in der Unterrichtspraxis sehr oft eng miteinander verbunden und somit nur schwer zu trennen sind. Mit Hilfe dieser drei Dimensionen, über die sich die Problematik des universitären DaF-Unterrichts in Taiwan erstreckt, sollen die in der Unterrichtspraxis auftretenden Schwierigkeiten und ihre Ursachen für das Grammatiklernen und -lehren aufgezeigt werden, aber auch die Verbesserungsbzw. Alternativvorschläge. Aus diesem Grund beginne ich zunächst in Kap. 6 mit den Bedingungen des DaF-Unterrichts und des Kontextes, in dem die Erhebung stattgefunden hat. Sie bilden die Grundlage für die Dateninterpretation und beziehen sich auf die Rahmenbedingungen im institutionellen Kontext, wobei die sich daraus ergebenden Probleme in die Diskussion miteinbezogen werden. Anschließend beschäftigt sich das Kapitel 7 mit der Darstellung und Präsentation der Lernprobleme. Aus den Daten werden folgende Aspekte als zentrale Gegenstände ermittelt: lerner-, kultur- und sprachbezogene Ursachen sowie die Möglichkeit zur Sprachanwendung außerhalb des Unterrichts. Zuletzt konzentriere ich mich in Kap. 8 auf die durch die Datenanalyse herausgearbeiteten didaktischen Probleme, diese werden aus der Perspektive der Unterrichtsplanung, -gestaltung, -reflexion und der Lehrqualifikation betrachtet sowie interpretiert. <?page no="210"?> 210 6 Institutionelle Rahmenbedingungen als Probleme im Lern- und Lehrkontext Erfolgreicher L2-Unterricht hängt zwar sowohl mit der Bereitschaft der Lernenden als auch mit den didaktisch-methodischen Kompetenzen der Lehrkräfte zusammen, aber auch die institutionellen Rahmenbedingungen beeinflussen die Lehr- und Lernqualität. Gemeint sind damit z.B. die Klassengröße, die Raumgestaltung, Regelungen etc. Diese Faktoren können für die Lehrkräfte bei der Unterrichtsgestaltung, z.B. beim Wechseln der Sozialformen oder beim Darstellen von Materialien, Probleme darstellen. Diese sollen hier nun erörtert werden. Die Einflüsse dieser grundsätzlich organisatorisch bedingten Aspekte können zwar nicht direkt aus den erhobenen Daten hergeleitet werden, sollen aber angesichts ihrer Relevanz für die vorliegende Arbeit als Hintergrund (Kontext) diskutiert werden. 6.1 Große Klassen Große Klassen sind eines der besonderen Merkmale des L2-Unterricht in Taiwan. Die Klassengröße lässt sich laut Loo (2009, 116) in vier Kategorien klassifizieren: Kleine Klassen (ca. 25-35 Studierende), mittlere Klassen (ca. 50), große Klassen (60-80) und extra große Klassen (80-150 und mehr). Für den L2-Unterricht sind laut Buhlmann und Fearns (2000, 160) Klassen mit ca. 15 Teilnehmern optimal, damit die Unterrichtsqualität gesichert werden kann. Denn in einer kleinen Klasse kann die Lehrperson die Situation besser kontrollieren und auch den im Lern- und Lehrprozess auftretenden Bedürfnissen und Problemen eher gerecht werden, während die Situation in einer mittleren oder großen Klasse zwangsläufig Disziplinsowie Kontrollprobleme verursacht und konzentriertes Lernen oft praktisch unmöglich macht (vgl. 8.3). Somit ist eine klare Strukturierung des Unterrichts, die sich vor allem auf Regel- und Rollenklarheit, Methodenvielfalt, Gestaltung sinnvoller Aufgabenstellungen als Lernaktivität oder Gruppenarbeit, echte Lernzeit für die Lernenden etc. bezieht, erforderlich (vgl. Kap. 1.2.5, Loo 2009, Meyer 2003). Im universitären DaF-Unterricht Taiwans, der auf den Erwerb der grundlegenden Sprachfertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben abzielt, werden die Klassen wie in 3.3.2 erwähnt in den meisten Fällen in 2-3 Gruppen zu ca. 20 bis 30 Lernenden aufgeteilt. Die Klassengröße stellt nicht nur einen Belastungsfaktor für die Lehrkräfte bei der Unterrichtsgestaltung (z.B. bei der Fehlerkorrektur, beim Wechseln der verschiedenen Sozialfor- <?page no="211"?> 211 men 161 etc.) dar, sondern auch ein großes Problem für den kommunikativen Unterricht sowie die Entwicklung der mündlichen Fertigkeiten in der Zielsprache. Insbesondere bei den Gruppen der muttersprachlichen Probanden stand in den untersuchten Kursen die Ausbildung der produktiven Sprechbzw. Schreibfertigkeit im Mittelpunkt (vgl. 3.3.2 und 5.4). Dies wurde aber durch die Klassengröße (bei Gruppen D und F im Konversationskurs jeweils 47 und 24 Studierende und bei E im Aufsatzunterricht 25 Studierende) gar nicht begünstigt, 162 wobei sehr häufig die Lernaktivitäten wie Dialogvorspiel, Rollenspiel, (Gruppen)präsentation etc. vor der Klasse durchgeführt werden. Unter diesen Umständen war es äußerst schwierig, die didaktischen Prinzipien der kommunikativ orientierten Methoden praktisch umzusetzen, lernerorientiert zu unterrichten und z.B. während der Korrektur-, Partnerbzw. Gruppenphase näher auf die einzelnen Studierenden einzugehen. Diese Problematik wird in 8.2 und 8.3 noch genauer untersucht. Außerdem war die Sprechzeit pro Person z.B. bei Gruppenpräsentation, Rollenspiel etc. stark eingeschränkt. Damit hängen auch die in Kap. 8 dargestellten didaktischen Probleme zusammen. Für die Lehrkräfte A, D und F ist die zu große Klassengröße mit starkem Leistungsgefälle eine der Ursachen dafür, warum die didaktisch-methodischen Vorgehensweisen auf einige reduzieren oder die Studierenden den Lehr-Lernprozess als nicht so effizient einstufen (laut den Antworten auf Frage 27 im Fragebogen). Die Interviewaussagen der Lehrkräfte A (Auszug IT 1) und F (Auszug IT 2) verdeutlichen dies. Auszug IT 1: Aussagen von Lehrperson A 161 Siehe Kap. 8.3 (Sozialformen). 162 Bei Gruppe D wurde die Klasse nicht in zwei kleine Gruppen unterteilt, wie es z.B. bei den Gruppen A, B, E und F der Fall war. Nur bei C wurde die Klasse in drei Gruppen (mit je 20 Pers.) unterteilt. L: (…) Sprachlabor 有三組,共 90 個人;文法課有兩組,各40幾個人左右。如果我每 一組每隔一個禮拜給他們做一次練習的話,那我就要花一整個晚上或一整天,去修 改這些東西。這就是第一個原因了嘛!東西很多,我會花費很多時間在那上面。第 二、若我自己拿回來改個半死,然後發還給學生,台灣從小學到大學,你就可以看 出來,發回去怎麼樣。好學生在意那幾分,爛學生的話…(嘆氣),根本就擺到一邊去 了。(…) 若我考完之後,馬上現場訂正,把答案拿出來,大家核對一下,就等於馬 上把錯誤檢討了一遍。答得好的人,他可以看到別人的錯誤在哪裡;答得爛的人, 他也應該知道自己錯的好兇。 <Der Kurs Hörverstehen wird in drei Gruppen unterteilt bei insgesamt 90 Studenten; beim Kurs Grammatik gibt es zwei Gruppen mit jeweils ca. 40 Studenten. Wenn ich alle zwei Wochen mit ihnen üben will, dann muss ich den ganzen Abend oder den ganzen Tag Zeit für die Korrektur aufwenden. Das ist der erste Grund! Wegen der großen Lerneranzahl gibt es viel zu korrigieren und ich muss <?page no="212"?> 212 Auszug IT 2: Aussagen von Lehrperson F Große Gruppen beeinträchtigen die unterrichtliche Lehr- und Lernqualität. Hier wird die Gruppengröße als auf verschiedenen Ebenen problematisch angesehen, wie z.B. bei der Fehlerbehandlung, der Wahl der Sozialformen, beim Anteil der Redezeit im Unterricht etc. (vgl. 8.2 und 8.3). Das Problem der zu großen Klassengröße kann grundsätzlich nur durch die Verwaltung der jeweiligen Institutionen gelöst werden. Ob dies geschieht oder nicht, hängt natürlich immer davon ab, ob Kleingruppen von 15 Personen finanziell und organisatorisch überhaupt im Rahmen des Möglichen liegen. Darauf weist Lehrperson D im Interview hin: „ (...), es gibt kleine Gruppen aber nur in den ersten Klassen (also im ersten Jahrgang). Wir haben es noch nicht geschafft, die zu teilen. (...) das hat verwaltungstechnische Gründe. Also das wäre ein Projekt, das man machen könnte, aber das ist irgendwie nicht finanzierbar von der Verwaltung. (...) in der dritten Klasse sind es immer noch so viele. Dann ist es schwer, Konversation zu machen. (...) wenn man das vom internationalen Standard her ansieht, ist das praktisch ... sind wir da noch ein Entwicklungsland. Also das sind zu viele Studenten in einer Klasse. Die müssten geteilt werden, wirklich. Aber die Verwaltung sagt nein, das ist organisatorisch nicht möglich, dazu brauchen wir zu viele Lehrer und kostet zu viel Geld.“ (Lehrperson D) Die eben angesprochenen organisatorischen und finanziellen Probleme sind im Hochschulbereich weit verbreitet. Deshalb sollten sie und ihre Auswirkung auf den Lern- und Lehrprozess von den zuständigen Stellen reiflich überlegt werden. Denn es geht ja nicht nur darum, ob die einzelnen Studierenden genug Gelegenheiten haben, sich sprachlich und fachlich in den viel Zeit dafür aufwenden. Der zweite Grund ist - Sie kennen das auch gut aus Ihren Erfahrungen von Grundschule bis zum Studium auch wenn ich alles korrigiere und dann an die Studenten zurückgebe, machen sich nur die besseren Studenten etwas aus der Note, die schlechteren ... (seufzt) werden den Ergebnissen gar keine Aufmerksamkeit schenken. (...) Wenn die Korrektur aber nach dem Test sofort in der Klasse stattfindet und wir gemeinsam über die Fehler sprechen, dann haben wir die Fehler gleichzeitig erklärt und erläutert. Die Studenten, die wenige Fehler machen, können auch von den Fehlern ihrer Kommilitonen profitieren; denjenigen, die viele Fehler machen, soll auch bewusst werden, welche Fehler sie gemacht haben.> L: (...) Hm ... welche didaktischen Faktoren ... ja ... Also, einerseits sicher die große Anzahl der Studenten. Es gibt ... in unserer Klasse ist es nicht so schlimm im Moment, ja ... 25, 28, das geht. Aber es gibt doch sehr viele Kurse, in denen viel mehr Studenten sitzen, dreißig, vierzig, sogar fünfzig, und bloß ein Lehrer, und das wirkt sich (didaktisch) natürlich negativ aus. <?page no="213"?> 213 Deutschunterricht einzubringen, sondern auch um die Förderung sprachlich qualifizierter Nachwachskräfte in einem Land. 6.2 Infrastrukturelle Probleme Bei den infrastrukturellen Problemen handelt es sich vorwiegend um die Sitzordnung und den Unterrichtsraum. Für den kommunikativ orientierten L2-Unterricht sind diese zwei externen Bedingungen besonders während der Einübungsphase relevant, denn sie haben einen großen Einfluss auf das handlungsorientierte Lernen und die kommunikativ orientierten Lernaktivitäten, die durch verschiedene Sozialformen in dialogischem Sprechen durchgeführt werden, wie z.B. Simulationen, Rollenspiele, Diskussionen, Planspiele etc. (vgl. 1.2.3). In den Unterrichtsbeobachtungen ist aber zu bemerken, dass eine kreisförmige Sitzordnung bzw. ein hufeisenförmigen Stuhlkreis (also die U-Form) aufgrund der zu große Klassenstärke (bei Gruppe D) und der frontal ausgerichteten Sitzreihen (bei D und F) bzw. des ungünstigen Unterrichtsraums (bei E) 163 entweder schwer möglich ist oder mit dem Zeitaufwand verbunden ist. Diese Raumbedingungen erschweren den kommunikations-, handlungs- und lernerorientierten Unterricht und begünstigen das in 4.2.2 und 4.2.3 genannte passiv-rezipierende und lehrerabhängige Lernverhalten, weil die Studierenden aufgrund ihrer Lerntradition und Sozialisation bereits daran gewohnt sind, die Lehrperson als den Mittelpunkt des Unterrichts anzusehen und die Kommunikation über sie laufen zu lassen (vgl. Buhlmann/ Fearns 2000, 160). Dies betrifft aufgrund der ähnlichen Sitzordnung auch die Gruppen A, B und C, obwohl der Unterricht bei ihnen grundsätzlich nicht kommunikationsbzw. handlungsorientiert war. Die oben genannten infrastrukturellen Probleme erschweren einerseits die Lern- und Lehrtätigkeit im DaF-Unterricht und wirken sich andererseits negativ auf die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz sowie des autonomen Lernens aus. Bei der frontal ausgerichteten Sitzordnung haben die Lernenden keinen Blickkontakt miteinander und kommen auch schwer miteinander ins Gespräch, da ihre Blickrichtung vorwiegend auf die Lehrperson fokussiert ist. Bei der Gestaltung von Unterrichtsräumen sollte deshalb in Zukunft darauf geachtet werden, dass die Sitzordnung je nach Anforderungen der einzelnen Kurse bzw. den Lernaktivitäten in verschiedenen 163 Bei der Gruppe E fand der Aufsatzunterricht in einem Computerraum statt, in dem die Tische gar nicht verschoben werden können und die Sitzordnung also gar nicht verändert werden konnte. In diesem Fall hatten die Studierenden nur vor der Tafel Platz, wenn sie irgendwelche Unterrichtsaktivitäten vor der Klasse ausführen mussten. <?page no="214"?> 214 Formen verändert werden kann. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zu einem lernerzentrierten, lernfördernden und abwechslungsreichen L2-Unterricht. 6.3 Lern- und Lehrdruck durch institutionelle Regelungen Unter den institutionellen Regelungen an taiwanischen Universitäten, die Lern- und Lehrdruck verursachen, sei zuerst eine Vorschrift über Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Kurses erwähnt. Dies ist ein Einzelfall und betrifft nur Gruppe F: Da musste die Lehrkraft zum Zeitpunkt der Untersuchungen eine bestimmte Prozentzahl der Kursteilnehmer in der Klasse durchfallen lassen (d.h. eine ungenügende Schlussnote geben), auch wenn von der Leistung her gesehen eigentlich alle bestanden hätten. Ansonsten hatte die Lehrkraft mit Sanktionen zu rechnen, die bei Teilzeitlehrkräften bis zur Entlassung gehen konnten. Ziel dieser Regelung war es, die Studierenden anzuspornen und so zu fördern. Die Studienordnung an der betreffenden Universität besagt außerdem, dass Studierende zwangsexmatrikuliert werden, wenn sie zwei Semester hintereinander in der Hälfte oder mehr als der Hälfte der Fächer keine ausreichende Note erreichen. 164 Sowohl Lehrperson F und ihre Studierenden standen also während des Lehr- und Lernprozesses beide unter dem Druck dieser Regelungen. Der Lehrperson fiel es angesichts ihrer Berufsethik schwer, unabhängig von den tatsächlichen Leistungen, Entwicklungen und Fortschritten eine bestimmte Prozentzahl von Kursteilnehmern durchfallen zu lassen. Auf der Lernerseite herrschte eine dauernde Angst davor, trotz aller Bemühungen den Kurs nicht zu bestehen, nur weil man beim Notendurchschnitt an letzter Stelle rangiert. Dies wirkte sich laut Interviewaussagen von Lehrkraft F negativ auf das Unterrichtsklima aus, bewirkte leicht Demotivation und Frustration und hatte möglicherweise auch zur Folge, dass die Einstellung der Studierenden zum (Deutsch)lernen noch stärker prüfungs- und leistungsorientiert wurde. Im WS 2010/ 11 stritt die Leitung der betreffenden Universität zwar offiziell ab, dass eine Vorschrift darüber, dass ein bestimmter Prozentsatz von Teilnehmern eines Kurses nicht bestehen dürften, je in ihrem offiziellen Regelwerk festgeschrieben worden sei. 165 Tatsache ist jedoch laut Lehrkraft 164 Die Bestimmungen zur Exmatrikulation sind in Taiwan nicht einheitlich, sondern an allen Universitäten bzw. Hochschulen anders. Aber in den meisten Fällen wird man zwangsexmatrikuliert, wenn man in einem Semester in der Hälfte aller Fächer oder mehr eine ungenügende Note hat. 165 In der Wochenzeitung der Wenhua-Universität vom 23.12.2010 steht, es habe an der Wenhua nie eine offizielle Regelung betreffend "Durchfallquote" gegeben. Einzelne Fakultäten oder Institute hätten zwar während der Amtszeit der letzten Rektorin solche Regelungen eingeführt, aber diese sei auf gesamtuniversitärer <?page no="215"?> 215 F, dass jeder Lehrer klar über die damit verbundenen Sanktionen orientiert war. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft die Auswirkungen solcher institutioneller Rahmenbedingungen auf den Lehr- und Lernprozess besser überdacht werden. Die bisher dargestellten Sachverhalte bilden hier den Hintergrund für die Analyse der unterrichtlichen Lern- und Lehrprobleme auf den verschiedenen Ebenen, die z.B. lerner-, kultur- oder sprachbezogen bzw. didaktischer, methodischer oder institutioneller Art sind und in den folgenden Kapiteln noch näher diskutiert werden. Ebene nie schriftlich verankert worden. Im Artikel wird betont, dass auch diese inoffiziellen Regelungen betreffend "Durchfallquote" schon der Vergangenheit angehören. Allerdings wird den einzelnen Fakultäten oder Instituten freigestellt, solche zu erlassen. <?page no="216"?> 216 7 Lernprobleme Die Lernprobleme beim Grammatikerwerb/ -lernen im taiwanischen DaF- Unterricht, die im Fokus des dritten Kapitels stehen, haben verschiedene Ursachen. Im Folgenden konzentriere ich mich hauptsächlich auf die lernerbezogenen Probleme, kulturbedingte und sprachlich bedingte Probleme sowie fehlende Anwendungsmöglichkeiten. Diese Bedingungen sind für den Lernerfolg von besonderer Bedeutung und stehen eng im Zusammenhang sowohl mit den Lernervariablen, der Sprachverwandtschaft zwischen L1 (Chinesisch) und L2 (Deutsch) als auch dem Lernhintergrund der Lernenden. Der Erfolg beim L2-Lernen hängt sowohl von den früheren Lernerfahrungen, der Motivation und der Einstellung zum Lernen ab, aber auch vom Grad der Beherrschung der Zielsprache und von den Möglichkeiten zur Sprachanwendung. Diese Faktoren können nur formell getrennt werden, im Lernprozess selbst sind sie voneinander abhängig. So wirken mit den früheren Lernerfahrungen beim Deutschlernen auch die methodischen Kenntnisse (Lernmethoden bzw. -strategien), die Lerngewohnheiten und die Motivation hinein und beeinflussen neben den vorhandenen Sprachkenntnissen den Lernprozess. Dieser ist zwar individuell ausgeformt, wird aber auch vom gegebenen soziokulturellen Hintergrund geprägt und beeinflusst wiederum die Lernmotivation und -bereitschaft. Während die sprachstrukturellen Unterschiede zwischen L1 und L2 sowie die Möglichkeiten zur Sprachanwendung in der Umgebung eine der Ursachen für die Schwankung der Motivation darstellen, sind die Möglichkeiten zur Anwendung auch für das Ausgleichen zielsprachlicher Defizite von zentraler Bedeutung. Die o.g. Einzelfaktoren haben nicht nur Auswirkungen auf den Lernprozess, sondern auch auf das unterrichtliche Lehren. Die Probleme werden zugleich aus der Lern- und Lehrperspektive betrachtet, um sie und die möglichen Ursachen zu erfassen. 7.1 Lernerbezogene Probleme Die durch die Befragung ermittelten lernerbezogenen Probleme werden hier unter zwei Aspekte zugleich aus der Lern- und Lehrperspektive dargestellt. In Kap. 7.1.1 stehen zunächst lerntechnische/ -strategische Probleme im Fokus. Sie werden mit Hilfe der Unterrichtsvideos, der betreffenden Abschnitte im Lernerfragebogen (1) und (2) sowie der Interviewaussagen der Lehrkräfte ermittelt, um die Lerner- und Lehrerperspektive erfassen zu können. Anschließend wird in Kap. 7.1.2 aufgeklärt, warum die Motivation als <?page no="217"?> 217 ursächlich für wenig Erfolg bzw. Misserfolg beim Deutschlernen anzusehen ist und welche Faktoren damit verbunden sind. Diese Fragen werden anhand der Fragebogen- und Interviewdaten analysiert und erörtert. 7.1.1 Lerntechnische/ -strategische Probleme In diesem Abschnitt geht es um die Auswahl der Lerntechniken und -strategien, die zu den Lernervariablen beim Lernprozess gehören. Wie bereits in 1.5 erwähnt wurde, sind die Lernstrategien zugleich die Handlungspläne und Prozesse, die die Lernenden zum Erreichen des Lernziels bzw. zum Management des eigenen Lernprozesses ausführen. Hingegen sind mit Lerntechniken die einzelnen Teilfertigkeiten gemeint. Das Wissen um Lerntechniken und -strategien ermöglicht den Lernenden selbst gesteuertes Lernen innerhalb und außerhalb des Unterrichts. Es gilt als Voraussetzung für effektives Lernen und auch für die Ausführung strategischer Lernhandlungen. Die Frage hier ist nur, ob die Deutschlernenden über genügende Kenntnisse in diesem Bereich verfügen und die Lerntechniken bzw. Strategien für das Erreichen ihres Lernziels angemessen verwenden, wie z.B. für die Übungsaufgaben, kommunikative Zwecke etc. Im Folgenden werden die Ursachen, die zu den lerntechnischen und -strategischen Problemen führen, durch quantitative und qualitative Analyse ermittelt. Sie werden wie oben angesprochen aus der Lerner- und Lehrerperspektive sowie auf dem Hintergrund des jeweiligen Lernkontextes betrachtet. Aus der Analyse soll hervorgehen, warum welche Lerntechniken bzw. -strategien einen Einfluss auf das Grammatiklernen der taiwanischen DaF- Studierenden ausüben. Aus den subjektiven Darstellungen zu Fragen 1.1, 2.1 und 3.1 des Lernerfragebogens (2) lassen sich die Lernprobleme, auf die die Lernerprobanden am häufigsten bei den drei untersuchten Grammatikthemen stoßen, erfassen und in drei Kategorien einteilen: grammatikalische Unklarheiten, fehlende Strategiekenntnisse und andere Faktoren. Je nach Problemfeld werden diese herausgefundenen Ursachen separat in Kap. 7 und 8 präsentiert und dargelegt. Zunächst ist es hier aber notwendig, auf die Problematik der fehlenden Strategiekenntnisse, die bei den einzelnen Versuchsgruppen deutlich wurden, einzugehen. Anschließend werden noch die seltene Verwendung von sozialen Strategien und die Internetrecherche für den Unterricht als Lernprobleme dargestellt. Als Grundlage für eine Analyse ziehe ich die Lernerbefragung, die Interviewaussagen der Lehrkräfte sowie die Unterrichtsbeobachtungen heran. <?page no="218"?> 218 Begrenzte Kenntnis von Lerntechniken/ -strategien Abb. 7-1 bildet die Häufigkeit der studentischen Lernprobleme beim Grammatiklernen bezogen auf die unterschiedlichen Themen ab: Frage 1.1: Auf welche Probleme sind Sie beim Lernen der Präpositionen am häufigsten gestoßen? Frage 2.1: Auf welche Probleme sind Sie beim Lernen des Konjunktiv II am häufigsten gestoßen? Frage 3.1: Auf welche Probleme sind Sie beim Lernen des Zustandspassivs am häufigsten gestoßen? Abb. 7-1: Ergebnisse des Lernerfragebogens (2) zu Fragen 1.1, 2.1 und 3.1 in (%) Die abgebildeten Lernprobleme werden hier anhand der studentischen Darstellungen im Fragebogen (2) erfasst und thematisiert. Als Beispiel dafür werden die klassifizierten Antworten auf Frage 1.1 zu den Präpositionen angeführt: 75,0 63,6 61,4 21,4 15,7 12,9 3,6 20,7 25,7 Präpositionen Konjunktiv II Zustandspassiv N=140 Grammatikalische Unklarheiten Lerntechnische/ -strategische Probleme Andere <?page no="219"?> 219 Tabelle 7-1: Beispiele für Lernprobleme zur Frage 1.1 des Lernerfragebogens (2) bei den Präpositionen Klassifizierung Anzahl der Probanden Beispiele aus Lerneräußerungen Grammatikalische Unklarheiten 51 (1) „不知什麼時候該用什麼介系詞,分不清楚正確用法“ <Ich weiß nicht, wann welche Präposition gebraucht werden soll. Und ich kann sie nicht korrekt anwenden.> 28 (2) „常不知道何時該用那個介詞及接那個格位 Akkusativ, Dativ 或 Genitiv“ <Ich weiß oft nicht, wann welche Präpositionen mit welchem Kasus gebraucht werden, wie z.B. die Präpositionen mit Akkusativ, Dativ oder Genitiv.> 26 (3) „特定(介詞)詞組搭配,用時常會搭配不起來,例如: 動詞及名詞加特定介詞“ <Bei den Präpositionalgruppen gelingt mir die korrekte Verbindung von Verb oder Substantiv mit der geforderten Präposition oft nicht.> Lerntechnische/ -strategische Probleme 7 (1) „背完之後,過一段時間容易忘記,用時會搞混“ <Nachdem ich die Präpositionen auswendig gelernt habe, geht das Gelernte nach einer Weile wieder verloren und ich verwechsle die Präpositionen bei der Anwendung dauernd.> 5 (2) „(介系詞)有固定詞組搭配,數量多且複雜,不易理 解,須要強記或只能死背,但常會記錯“ <Die Präpositionalgruppen sind zahlreich und kompliziert sowie so schwer fassbar, man muss sie intensiv auswendig lernen, aber nachher verwechselt man sie doch wieder häufig miteinander.> 8 (3) „不知道要用什麼方法來學習介系詞,只能死背“ <Ich weiß nicht, mit welcher Methode man die Präpositionen lernen soll. Es gibt wohl nichts anderes, als sie auswendig zu lernen.> 4 (4) „動詞加介詞詞組較難聯想,且容易搞混,死背後容易 忘記“ <Es ist ziemlich schwer, Verben mit Präpositionen gedanklich in Verbindung zu bringen, man bringt sie leicht durcheinander. Und man vergisst sie auch leicht wieder, nachdem man sie auswendig gelernt hat.> 6 (5) „介系詞沒有系統,不知如何整合運用“ <Die Präpositionen sind unsystematisch und auch leicht zu verwechseln. Ich weiß nicht, wie man System in diese Sache bringen kann.> <?page no="220"?> 220 Andere 3 (1) „沒有問題“ <Ich habe keine Probleme mit den Präpositionen.> 1 (2) „不知道(問題在那)“ <Ich weiß nicht.> 1 (3) „無作答“ <Keine Angabe> Durch die angeführten Beispiele zur Kategorisierung Lerntechnische / Lernstrategische Probleme wird deutlich, dass ein Teil der Studierenden Schwierigkeiten hat, das Regelwissen im Langzeitgedächtnis zu speichern, auch wenn sie sich Mühe gegeben haben, die verschiedenen Formen und deren Gebrauch auswendig zu lernen. Ursachen dafür können darin liegen, dass die Studierenden einerseits zu wenig Zeit für das Selbststudium aufwenden, wie z.B. Wiederholung, Üben etc. Denn aus Fragebogen (1) bei Frage 21 geht hervor, dass 52,3% der Befragten nur 7-14 Stunden pro Woche und 41,5% davon unter 7 Stunden mit Deutschlernen außerhalb des Unterrichts verbringen. D.h., insgesamt lernen 93,8% der Studierenden außerhalb des Unterrichts im Durchschnitt weniger als 2 Stunden pro Tag Deutsch, was nach den Forschungsresultaten von Chen (2005) 166 auch generell zu wenig ist. Eine weitere mögliche Ursache können fehlende Lernstrategien bzw. Arbeitstechniken sein, die zur Bewältigung der Aufgaben beitragen und helfen, sich das Regelwissen anzueignen. Das steht in Zusammenhang mit der Problematik des Strategietransfers und zeigt sich, wenn die Lernenden aus unterschiedlichen Bereichen Aufgaben lösen müssen. Obwohl dies nicht im Mittelpunkt der Forschungsarbeit steht, zeigen die folgenden Interviewaussagen von Lehrperson D und F die studentischen Probleme sowohl in Bezug auf die Textarbeit als auch auf die Vorbereitung auf eine mündliche Prüfung: „ (...) es fehlen ihnen zum Beispiel Lernstrategien. Lernstrategien heißt, wie lernen sie Vokabeln, und solche Sachen, dass man ihnen das erklärt, Lesestrategien erklärt, das ist wichtig. Also dass man ihnen nicht nur Texte gibt, sondern auch erklärt, wie sie da rangehen. (...) Dass sie z.B. bei einem 166 In der empirischen Forschung von Chen (2005, 156ff.) wurde der Zusammenhang zwischen Lernzeit und Leistung in Deutsch von 139 taiwanischen DaF- Studierenden untersucht. Von den Probanden lernen 10,3% (mehr als) 3 Stunden am Tag zu Hause Deutsch, 16,9% 2 bis 3 Stunden pro Tag, 31,6% 1 bis 2 Stunden pro Tag, 30,1% bis zu 1 Stunde pro Tag, und 11% gaben an, „kaum“ zu Hause Deutsch zu lernen. Es gab zwar eine schwache Korrelation zwischen Lernzeit und Lernerfolg (0,252), aber insgesamt betrachtet wendete die Mehrheit der DaF-Studierenden (72,7%) fürs Deutschlernen nicht sehr viel Zeit auf, und dies, ist wie Chen erwähnt, für „Vollzeit-Studenten“ relativ wenig. <?page no="221"?> 221 Lesetext nicht alles zu verstehen brauchen, erst mal gucken ... Meistens übersetzen sie nämlich beim Lesen Wort für Wort, aber das ist ja nicht die richtige Strategie, sondern sie sollen praktisch den nächsten Satz weiter lesen und die Schlüsselwörter raussuchen, damit sie zumindest den Inhalt verstehen. Ich merke das noch in den höchsten Klassen (...). Die lernen immer noch auswendig (...). Ja, wirklich, das ist so. Ich stelle Fragen zu einem Text, den sie gelesen haben, und ich merke, wenn ich nach Vokabeln, nach einzelnen Vokabeln frage, dann wissen sie diese Vokabeln überhaupt nicht. Weil sie lernen das auswendig, sprechen das auch, aber die haben nichts verstanden.“ (Lehrperson D) „ (...) das war auch so z.B. bei der Vorbereitung auf die mündlichen Prüfungsaufgaben. Ich habe verschiedene Themen an die Studierenden gestellt, und ein Thema, da mussten sie ziemlich frei irgendwas über das Thema Traditionen erzählen. Und also wirklich fast die Hälfte hat den Text, den sie im Internet gefunden haben, auswendig gelernt und dann so bei der Prüfung präsentiert. Und ich glaube, sie haben es vielleicht nicht mal ganz verstanden und nur einfach auswendig gelernt. Das finde ich sehr, sehr traurig ...“ (Lehrperson F) Die Herangehensweise der Lernenden ist sowohl auf den soziokulturellen Hintergrund als auch auf die früheren Sprachlernerfahrungen zurückzuführen. Diese sind geprägt vom prüfungs-, leistungsorientierten und lehrerabhänigen Lernen sowie den Lernmethoden, die sie sich im Chinesisch- und Englischunterricht angeeignet haben (vgl. 4.2 und 2.1). Diese Erfahrungen wirken sich stark auf die Vorgehensweise beim Deutschlernen aus und stehen von daher in einem engen Zusammenhang damit. Generell spielt das Auswendiglernen, eine den Studierenden mindestens seit der Einschulung bereits vertraute Strategie, eine besonders große Rolle. Es kann als eine traditionelle Lerntechnik im chinesischen Sprach- und Kulturraum angesehen werden und wird deshalb am häufigsten von den Lernenden verwendet. Dies lässt sich hauptsächlich auf den Erfolgsdruck zurückführen, denn die Lernenden haben in der Schule die Erfahrung gemacht, dass das Auswendiglernen für das Bestehen der Prüfungen bzw. für das Erreichen guter Noten am effektivsten ist (vgl. ebd.). Die Interviewaussagen der Lehrkräfte deuten darauf hin, dass der Großteil der Lernenden in verschiedenen Lernkontexten oder bei verschiedenen Aufgabenstellungen immer dieselben Lernstrategien des Auswendiglernens nutzt, die jedoch nicht zum erfolgreichen Sprachenlernen führt. Das auswendig gelernte Wissen kann zu einem bestimmten Zweck aus dem Kurzzeitgedächtnis abgerufen werden, wie z.B. hier zum Bestehen der Prüfungen bzw. zum Erreichen eines Testziels. Es trägt jedoch nicht zur Sprachfähigkeit bei, wenn es nicht verstanden und noch gedanklich verarbeitet wird. Durch <?page no="222"?> 222 mechanisches Auswendiglernen kann das Gelernte (also hier Grammatikwissen) zwar kurzzeitig behalten werden, aber mittel- und langfristig nicht leicht wieder abgerufen werden. Den Lernenden fehlen an dieser Stelle die Verknüpfung der gelernten Regeln sowie deren Gebrauch durch gedankliche Verarbeitung und Assoziationen mit dem Vorwissen. „Da rein mechanisch Gelerntes nicht in die Informationsstruktur des semantischen Gedächtnisses eingeordnet werden kann, kann man sich erfahrungsgemäß schon nach sehr kurzer Zeit nicht mehr daran erinnern; zusätzlich besteht die Gefahr, dass man das so Gelernte nicht verstanden hat“ (Storch 1999, 39). Aus lernpsychologischer Sicht kann nur dann ein besserer Behaltenseffekt erzielt werden, wenn die Lernenden selber den Lernstoff inhaltlich bzw. semantisch tief verarbeiten und dadurch assoziative Verbindungen zu dem vorhandenen Wissen und dem neuen Lerninhalt hergestellt werden. Dann kann das neue Wissen auf dem Vorwissen aufgebaut sowie in das vorhandene Wissen integriert werden. Dazu ist aber die Wiederholung bzw. der wiederholte Gebrauch auch erforderlich, denn ohne sie wird das gewonnene Wissen weder gefestigt noch vertieft. Nur so ist es möglich, die Gedächtnisleistung (Aufnahmefähigkeit und Behalten) zu erhöhen sowie das Gelernte später auf die anderen Fälle übertragen und anwenden zu können. Das Behalten vom Wissen ist davon abhängig, ob sich das aufgenommene Wissen ins Langzeitgedächtnis überführen lässt und dadurch zu implizitem Wissen werden kann oder umgekehrt (vgl. dazu 1.1). Unter diesen Umständen sind die systematische Vermittlung und das Training der entsprechenden Lernstrategien zu Aufnahme und Behalten von Wissen von großer Bedeutung, und zwar in allen Sprachbereichen wie z.B. beim Lesen, Hören, Wörter-, Grammatiklernen etc. Dies soll dazu beitragen, dass die Studierenden selbstständig und effektiv Deutsch lernen können. Fehlende Verwendung von sozialen Lernstrategien Die sozialen Lernstrategien sind hier vorwiegend im Zusammenhang mit der aktiven Sprachanwendung der Lernenden im Kontakt mit Kommilitonen und Lehrkräfte in der Lernumgebung zu sehen. Sie gehören zu den indirekten Strategien, bei denen die Planung, Überwachung und Auswertung des eigenen Lernens im Mittelpunkt stehen, damit das Lernen durch ihre Anwendung indirekt gefördert wird (vgl. Bimmel / Rampillon 2000, 196). Die sozialen Lernstrategien werden auch als eines der Lernprobleme angesehen und dies äußert sich sowohl innerals auch außerhalb des Unterrichts. Da die natürliche Sprachumgebung der Zielsprache fehlt, sollen die DaF- Studierenden in Taiwan möglichst alle Gelegenheiten für aktive Sprachanwendung nutzen, diese bietet vorwiegend der DaF-Unterricht selbst. Ohne natürliche Sprachumgebung und ohne aktive Sprachanwendung in der Lernumgebung kann das explizit gelernte (Grammatik - )Wissen weder gut im <?page no="223"?> 223 Langzeitgedächtnis behalten noch implizit aktiviert werden. Obwohl die aktive Sprachanwendung teils von der Lernmotivation abhängt, manifestiert sie sich aber darin, ob das lernende Individuum freiwillig und aktiv soziale Lernstrategien in seiner Lernumgebung anwenden will, wie z.B. im Unterricht Fragen an die Lehrperson stellen, Meinungen äußern, mit den anderen kooperativ lernen etc. Frage 13: Was machen Sie, wenn Sie den Wortschatz nicht kennen? Abb. 7-2: Antworten auf Frage 13 des Lernerfragebogens (1) in (%) * Insgesamt N=176, hier 1 ungültige Antwort Frage 14: Wen fragen Sie, wenn Sie mit dem Unterrichtsinhalt Probleme haben? Abb. 7-3: Antworten auf Frage 14 des Lernerfragebogens (1) in (%) * Insgesamt N=176, hier 3 ungültige Antworten 9,7 23,4 65,1 0,6 1,1 0 0 20 40 60 80 100 den/ die Lehrende(n) fragen Mitstudenten fragen im Wörterbuch nachschlagen in den fachlich relevanten Büchern… nichts Andere Items N=175 28,3 65,9 4,6 0,6 0,6 0 20 40 60 80 100 den/ die Lehrende(n) Mitstudenten Niemanden Ich tue nichts Andere Items N=173 <?page no="224"?> 224 Frage 15: Stellen Sie den Lehrenden unaufgefordert Fragen? Abb. 7-4: Antworten auf Frage 15 des Lernerfragebogens (1) in (%) * Insgesamt N=176, hier 2 ungültige Antworten Betrachten wir zuerst die Gesamtverteilung bei Fragen 13 (Abb. 7-2) und 14 (Abb. 7-3) des Lernerfragebogens (1): Nur jeweils 9,7% (Frage 13) und 28,3% (Frage 14) der befragten Studierenden wenden sich an die Lehrperson, wenn sie im Unterricht Verständnisschwierigkeiten oder andere Probleme mit dem Inhalt des Unterrichts haben. Außerdem zeigt die Auswertung der Frage 15 auch, dass insgesamt 25,3% der Studierenden „sehr oft“ bis „oft“ im Unterricht unaufgefordert Fragen an die Lehrperson stellen. Diese Ergebnisse deuten zum Teil darauf hin, dass die aktive Sprachanwendung als soziale Lernstrategie zum Deutschlernen bzw. Problemlösen von dem Großteil der Studierenden generell nicht bevorzugt wird. Dies hängt außer mit den beschränkten zielsprachlichen Kenntnissen vor allem mit den kulturbedingten Lerntraditionen und der Lehrerrolle, die vom Konfuzianismus stark geprägt ist, untrennbar zusammen und wird später in 7.2.2 (Lerneinstellungen und -gewohnheiten) sowie 7.2.3 (Das hierarchische Lehrer-Schüler-Verhältnis) noch näher betrachtet. Anhand des Unterrichtsgeschehens in Auszug UT 7-1 (bei E) und der Lehreraussagen im Interview (siehe unten Auszug IT 3) ist auch ersichtlich, dass im Unterricht oder während der Partnerbzw. Gruppenarbeit die meisten Studierenden in der Tat selten aktiv Deutsch sprechen und auch zu wenig Feedback an die Lehrenden geben, wenn der Unterrichtende nicht gerade daneben steht bzw. ihren Namen nicht aufgerufen und sie zum Sprechen aufgefordert hat. 167 Und dies, obwohl der Unterricht im Prinzip für den 167 Ähnliches sieht in Auszügen UT 8-23 (bei A, S. 364), 8-38 (bei D, S. 406) etc. 6,3 19,0 46,0 20,1 8,6 0 20 40 60 80 100 sehr oft oft manchmal selten nein Items N=174 <?page no="225"?> 225 Großteil der Studierenden wegen der geografischen Entfernung zu deutschsprachigen Ländern fast die einzige Möglichkeit zur authentischen, freien mündlichen Verwendung der erlernten Deutschkenntnisse darstellt. Trotzdem bleiben die Studierenden im Unterricht eher still, passiv und haben auch keine Lust, durch Anwendung der sozialen Lernstrategien ihr Deutsch zu üben und zu verwenden bzw. zu verbessern. Einige Belege dafür: Auszug UT 7-1: Unterrichtsszene von Gruppe E (31.12.2004, ca. 25: 57) L: ... ok, wir wiederholen nochmal, wo können wir im Brief das Zustandspassiv finden? Angela, waren Sie in der letzten Stunde da, ja ne? Was haben Sie in der letzten Stunde unterstrichen? Waren Sie da? (zeigt mit dem Finger auf das Blatt) S: ... (senkt den Kopf) L: (Entschieden) Angela, ja oder nein? Ich hab´ das jetzt nicht im Kopf. (etwas hastig ------------------) Waren Sie da oder waren Sie krank? S: ... (schaut die Nachbarin und murmelt) L: Angela, Sie, nicht Natascha. (hebt die Stimme und schaut weiter die Studentin) Waren Sie da letzte Stunde, Angela? S: ... (ca. 5 Sek. später), ja. L: Ja. (Kopfnicken) Ok. Angela, sagen Sie uns doch mal, letzte Stunde, was haben wir da unterstrichen? Was ist die erste Form vom Zustandspassiv? S: ... (sehr langes Schweigen, ca. 25 Sek.) L: Was ist das Problem, Angela? (mit verwirrtem Gesichtsausdruck) Haben Sie das nicht mitgemacht, letzte Stunde? S: ... ja (zögernd und leise). L: Ja! (sieht erleichtert aus) Letzte Stunde haben wir doch den Text gelesen und darin unterstrichen, wo finden wir das Zustandspassiv, ne? Angela, haben Sie Ihren Zettel von letzter Stunde oder nicht? (zweifelnd) S: ... (antwortet mit Kopfnicken) L: Ja (bestätigend). Haben Sie da etwas unterstrichen? S: ... (antwortet mit Kopfschütteln) <?page no="226"?> 226 L: Nee! Ok, dann macht´s nichts. Ok. (an die anderen KT gerichtet) Wer hat das noch unterstrichen von letzter Stunde? Matina? Analyse: In der Unterrichtssituation zeigen das Verhalten der Studentin und ihre Reaktion auf die Frage der Lehrperson, dass es ihr schwer fällt, die Entscheidungsfrage zu beantworten. Obwohl es dabei nur um eine sachliche Frage geht. Mögliche Ursachen dafür könnten darin liegen, dass Verständnisprobleme vorliegen oder die Vorerfahrungen der Studentin dazu führen, dass sie aus Angst nicht zugeben möchte, trotz ihrer Anwesenheit in der letzten Stunde die Aufgabe nicht bearbeitet zu haben. Auszug IT 3: Aussagen von Lehrperson F Die unterstrichenen Lehreraussagen in Auszug IT 3 beschreiben das passive und lehrerorientierte Lernverhalten im Unterricht sowie die dadurch verursachten didaktischen Probleme. Was die aktive Sprachanwendung außerhalb des Unterrichts anbetrifft, zeigen die Ergebnisse aus dem Lernerfragebogen (1) bei der Frage 24, dass sich der Großteil der Lernerprobanden selten an Aktivitäten außerhalb des Unterrichts, bei denen ihr Deutsch verbessert werden kann, beteiligt: 40,9% der Studierenden tun dies „manchmal“, 27,3% nur „selten“. 168 Bei Frage 25 nutzen 39,2% der Studierenden „manchmal“ und 22,2% davon „selten“ die Gelegenheit zum Deutschlernen (z.B. spontan ein Gespräch auf Deutsch führen), wenn sie Deutsch-Muttersprachler treffen. 169 Die übrigen, also 18,2% (Frage 24) beziehungsweise 17,6% (Frage 25) der Lernerprobanden haben noch nie an den deutschbezogenen Aktivitäten außerhalb des Unterrichts teilgenommen und nutzen die außerschulischen Gelegenheiten zum Deutschlernen gar nicht. 168 Bei Frage 24: N=176, 0 ungültige Antworte n 169 Bei Frage 25: N=176, 0 ungültige Antworte n I: (...) Welche didaktischen Faktoren wirken sich negativ auf den taiwanesischen DaF-Grammatikunterricht aus? L: (...) Einmal das, also die große Anzahl Studenten, und dann natürlich auch die Gewohnheiten, na, gewisse Gewohnheiten der Studenten, also sie sind ehm ... sehr oft sehr passiv, sie wagen nicht, irgendwelche Fragen zu stellen, und ... ja, da merkt der Lehrer natürlich nicht, ob sie was verstanden haben oder nicht. Passivität, was noch ... hm ...ja, die Gewohnheit, einfach nur das zu machen, was der Lehrer gerade sagt, und sonst selbst eigentlich nichts, oder nicht aktiv zu werden nach der Stunde, nach dem Unterricht. <?page no="227"?> 227 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktive Verwendung der Zielsprache zu den sozialen Lernstrategien gehört, von den Probanden der vorliegenden Untersuchung aber selten innerhalb und außerhalb des Unterrichts verwendet wird, obwohl sie in gewissem Maße das Deutschlernen fördern kann. Dies hat zur Folge, dass das explizit im Unterricht gelernte Grammatikwissen weder gefestigt noch in implizites Wissen überführt werden kann. Diese Automatisierung geschieht, wie bereits in 1.1 genannt durch Üben sowie kontrollierte Verarbeitung, so dass es dann später in der konkreten Sprachverwendung problemlos abgerufen werden kann. Suchstrategien als Lernproblem: Internetrecherche für den Unterricht Als Internetrecherche verstehen wir hier eine Suchstrategie, die man z.B. zur gezielten Materialsuche für die unterrichtliche Arbeit oder zum Erledigen eines Arbeitsauftrages einsetzt. Heute wird das Internet zwar als Informationsquelle angesehen, aber für den (Fremdsprachen)Unterricht gilt es zugleich als Chance und Problem. Dies wurde bereits in den vergangenen Jahren von der Forschung intensiv untersucht und diskutiert, wie z.B. bei Mitschian (1999b, 2004a, 2004b), Roche (Hrsg.)(2007), Rösler (2004), Würffel (2004, 2006), Legutke/ Rösler (Hrsg.)(2003), Rösler/ Würffel (Hrsg.)(2010), Schneider/ Würffel (Hrsg.)(2007) etc. Der Vorteil dabei ist, mittels Internet und PC können der herkömmliche L2-Unterricht und das L2-Lernen in einem virtuellen Raum, in dem es Zugang zur Zielsprache gibt, stattfinden, und zwar in verschiedensten computerbzw. internetgestützten Lernformen. Abb. 7-5: Antworten auf Frage 23 des Lernerfragebogens (1) in (%) * Insgesamt N=176, hier 0 ungültige Antworten 5,1 14,2 27,8 22,2 36,4 16,5 62,5 6,3 13,6 0 20 40 60 80 100 Zeitung Zeitschrift Sendungen im Radio hören Kassette CD VCD bzw. DVD Internet Satellit Andere Items N=176 <?page no="228"?> 228 In Abb. 7-5 wird gezeigt, welche Medien von den Studierenden beim Deutschlernen häufig eingesetzt wurden. Das Internet gilt als das am häufigsten von Studierenden eingesetzte Medium (62,5%). Durch das Internet entstehen aber auch Probleme beim Lernen. Dies wird durch die folgenden Interviewaussagen von Lehrperson F verdeutlicht: "... immer, wenn ich früher irgendwelche Aufgaben gegeben habe, über irgend ein Thema irgendwelche Informationen zu suchen und ein Referat zu halten, da sind die Studenten vielleicht zu mir gekommen und haben gesagt, ach, wir finden nichts, könnten Sie uns nicht einen Text geben, oder irgendwas. Oder sie sind selber in die Bibliothek gegangen und haben vielleicht ein oder zwei Texte gesucht. Und daraus haben sie dann ihr Referat gemacht. Aber heute, wenn man irgendeine kleine Aufgabe gibt (...), da gehen alle sofort ins Netz. (...) und dann finden sie irgendwas, einen Text vielleicht, der viel zu schwer ist, und von dem sie nicht ganz begreifen, was der jetzt soll (...). Und dann lernen sie diesen Text auswendig, ja, und präsentieren den so im Unterricht. Früher haben sie viel mehr versucht, selbst etwas zu formulieren. Weil sie eben nicht so viele Informationen hatten, haben sie viel mehr selbst überlegt, selbst formuliert." (Lehrperson F) Ein konkretes Beispiel dafür ist der studentische Vortrag in Auszug UT 7-2. Dabei geht es um eine Bildbeschreibung, der präsentierte Inhalt über den Trevi-Brunnen lässt aber aufgrund des verwendeten Wortschatzes, der nicht dem Niveau der Studentin entspricht, vermuten, dass von einer Internetseite abgeschrieben und auswendig gelernt wurde. Auch dass die Sätze strukturell und semantisch häufig unvollständig und unklar produziert wurden, deutet darauf hin, wie unten an den fettgedruckten Sätzen zu sehen ist. Ohne zusätzliche Erläuterungen von der Lehrerseite ist die so entstandene Präsentation aber nur sehr schwer verständlich. Auszug UT 7-2: Unterrichtsszene von Gruppe F (29.11.2004, ca. 20: 40) S: Das ist Trevi-Brunne (zeigt das projizierte Bild auf die Leinwand) L: Der Trevi-Brunnen, soll ich's anschreiben? Der Trevi-Brunnen (schreibt an die Tafel und wiederholt) S: Er liegte in Rom. Der Trevi-Brunnen ist der größte und bekann...bekannteste Brunnen Roms. L: ... Roms, ja. ( ) S: Er ist barocke Brunnen. Der Name kommt über...über von drei Becken, von den drei Becken L: Von den drei Öffnungen sagen Sie, ah... Es gibt drei Öffnungen, wo das Wasser heraus kommt. Ehm also, das bedeutet drei. <?page no="229"?> 229 S: ( ) der Trevi-Brunnen wurde ... wurde mit des ... zehn Jahre fest ... und ... und ... von Nicola Salvi an der Stelle eines älteren Brunnens erbaut. L: Da war schon ein älterer Brunnen und dann hat dieser Architekt diesen Brunnen an die Stelle gebaut. Hm... (S stellt das projizierte Bild näher ein) Ach, da sieht man ihn näher. S: In der Mitte des Foto ist der Gott der Fluten. L: Aha, Gott der Fluten. Fluten, das ist Wasser, Wellen, ja? Meer, Meergott, Meeresgott. S: Am linken Rand sieht man die Nische ... die Nische, die Statue des Überflusses. L: Aha, Statue des Überflusses. S: In der rechten, in der rechten...in der rechten...Nische ist die Statue der...der Heilkraft. (schaut das Blatt in der Hand an------------) L: Der Heilkraft, können Sie vielleicht zeigen, wo die ist. Wo ist die Göttin der Heilkraft, rechts oder links? Ich hab's nicht ganz gehört, nicht ganz verstanden. S: Heilkraft 是右邊的, ( ) ... hier ist sie. (schaut auf die Leinwand) Es gibt Überflusse, es gibt ein ... eine Römer, die werfen eine Münze mit der ... mit der rechten Hand über die linke ... linke (L sagt Schulter) linke Schulter in den Brunnen, eine Münze, ein Münze, eine Münze für man zu ... führ man zu Rückkehr nach Rom...Rom. <Heilkraft steht auf der rechten Seite, ( ) ... hier sind sie. (...)> L: Also ehm, man wirft eine Münze über die linke Schulter. Können Sie's mal vormachen? (S macht das vor) Ja, genau, also so, genau. Ich werfe die Münze dahinten ins Wasser, in den Brunnen, und das heißt, dass man wieder nach Rom zurückkommt, aha! S: Zwei Münze ist sich in eine Römer oder eine Römerin ... zu verlieben. L: In was, zu verlieben? S: 就是會跟羅馬人 < Man wird sich in Römer oder Römerin verlieben.> L: Römer, aha im Römer oder in einer Römerin. Gut, wenn man zwei Münzen ins Wasser wirft, dann verliebt man sich. S: Drei Münzen, drei Münzen würde zu einer Heirat ... mit der entsprechenden Person ... 就是,如果丟三個(硬幣)的話,會 ... <Drei Münzen, (...). Also wenn man drei Münzen ins Wasser wirft, sollte man ... > <?page no="230"?> 230 L: Mit dem Römer oder der Römerin? S: 它說,就是好像人會嫁到羅馬去。 <Im Buch steht, dass man mit Römer oder Römerin heiraten wird.> L: ... ja genau, dann wird man einen Römer oder eine Römerin heiraten. Und dann? S: Ich hoffe ... ich hoffe, dass ich eines Tages nach Rom gehe und das ist alles. L: Gut. Jessica, wieviele Münzen würden Sie dann in den Trevi-Brunnen werfen? S: Ich habe keine Ahnung. L: Aha, keine Ahnung. Ich würde nicht zu viele reinwerfen, lieber nur eine, glaub ich. ... das ist ganz interessant, diese Bräuche, Traditionen. Genau darüber wollen wir jetzt auch noch sprechen. Im vorliegenden Fall ist ersichtlich, dass die Internetrecherche als einfache Lösungsstrategie den Lernerfolg behindern kann, wenn die Lernenden die Verantwortung für ihr eigenes Lernen nicht übernehmen und keine Eigeninitiative aufbringen. Ferner ist auch darauf hinzuweisen, dass die Studierenden vermutlich überfordert sind mit der Menge und dem Schwierigkeitsgrad der Texte im Internet. Abgesehen vom zu niedrigen Sprachstand haben sie die entsprechende Medienkompetenz noch nicht, um die mit der Aufgabe zusammenhängenden Inhalte auszusortieren. Außerdem könnte mangelndes Selbstbewusstsein die Ursache dafür sein, dass sie die Einstellung verinnerlicht haben, selbst keine guten Texte schreiben zu können, so dass sie Texte aus dem Internet immer besser einschätzen als ihre eigenen. Diskussion Die oben dargestellten Ergebnisse machen deutlich, dass bei den beobachteten Lernenden die Lerntechniken/ -strategien nur unzureichend angewendet wurden und im Unterricht eingeübt werden sollten. Ein Lernstrategietraining wäre sinnvoll, um sowohl ihre Lernkompetenz als auch erfolg-reiches Deutschlernen zu fördern. Denn die von den Lernenden ausgewählten Lerntechniken/ -strategien (z.B. im Wörterbuch nachschlagen, Auswendiglernen, die Mitstudenten fragen etc.), die im Laufe der Schulzeit beim L1-Erwerb (Chinesisch) und dem L2-Lernen (Englisch) erworben wurden, reichen hier den Lernenden offensichtlich nicht aus, um ihnen in verschiedenen Lernkontexten zu helfen bzw. sie zum Erfolg beim Deutschlernen zu führen. Dies alles hängt mit den soziokulturellen Hintergründen zusammen und steht mit den Lerntraditionen, dem Prüfungssystem und den Formen zur Leistungsbewertung in einem ursächlichen Zusammenhang (vgl. dazu 4.2). Es ist andererseits auch eine der Ursachen für die zuvor angesprochene Lehrerorientierung, Passivität etc. und deshalb als zyklischer Prozess zu sehen, <?page no="231"?> 231 denn es hat nicht nur eine Wirkung auf das (unterrichtliche) Lernverhalten, sondern auch auf das zukünftige Lernen. In Hinsicht darauf ist besonders wichtig, dass die Lernenden möglichst unterschiedliche Lerntechniken/ -strategien und ihre Funktionen kennenlernen, so dass sie sich ihren eigenen Lernprozess bewusst machen, darüber reflektieren und nicht zuletzt ihr Lernen selbständig revidieren können. Diese Selbständigkeit versetzt sie in die Lage zu entscheiden, welche Lerntechniken und -strategien sie in welchem Lernkontext bzw. Sprachbereich zum Lernen einsetzen können oder wie sie selber am liebsten dabei vorgehen möchten (vgl. Rampillon 2000, 10f.). Von der Funktion her könnte die lerntechnische bzw. strategische Kenntnis den Lernenden nicht nur im Lernprozess bei der Aufnahme bzw. Verarbeitung von Lerninhalten helfen, sondern zugleich ist sie auch die Voraussetzung für die Förderung der Lernkompetenz, wie z.B. selbständiges Lernen, Auswahl passender Strategien je nach Lernaufgaben, Integration der Lerntechniken in den eigenen Lernprozess etc. Deshalb sollen die Lerntechniken und Lernstrategien in den Unterrichtsprozess integriert und evtl. durch entsprechende Materialien eingeführt sowie trainiert werden. Und die Fragen, wie der Unterricht darauf gerichtet sein soll bzw. wie die Lerntechniken und -strategien sinnvoll in die Materialien integriert werden sollen, hängen didaktisch nicht nur lediglich von den Sprachbereichen bzw. Aufgabenstellungen ab, sondern der diesbezügliche Kenntnisstand der Lehrkräfte spielt dabei auch eine bedeutende Rolle. Die Lehrkräfte müssten fachdidaktisch entsprechend ausgebildet werden, denn es gibt zwar vielfältige Lernzugänge beim L2-Lernen, aber auch verschiedene Hindernisse. 170 Laut Rampillon (ebd., 13f.) fehlt den Lehrenden oft eine klare Vorstellung davon und sie gehen häufig von den eigenen Lern-, Lehrerfahrungen bzw. Lernstrategien aus, die sie wiederum vermitteln - die Notwendigkeit einer bestimmten Auswahl abgestimmt auf die jeweilige Lerngruppe ist auf diese Weise leicht zu übersehen. Wichtig ist laut Raappana (1997, 128), „dass effektive Lernstrategien nicht durch die Erklärung alleine vermittelt werden können, sondern dass die Lerner durch die Anwendung der Strategien lernen, diese zu beherrschen“ (Chang 2002, 101). Zu beachten sind bei der Strategievermittlung wie zuvor in 1.5 erwähnt noch die Lernervariablen, die hier vor allem auf die kulturelle Dimension, den Lern-/ Lehrstil, die Lernmethoden und die Einstellungen etc. bezogen sind. Sie sind für den vorliegenden Forschungskontext relevant, da sich die vorangegangenen Lernerfahrungen stark auf die aktuelle Lernsituation auswirken. Selbstverantwortliches Lernen bedarf einiges an Übung und Zeit, vor allem, wenn die Lernenden bisher den fremdgesteuerten Prozess gewohnt waren oder sogar ihre Vorstellungen von Lernen im Gegensatz dazu 170 Vgl. dazu Hufeisen 2003, 11. <?page no="232"?> 232 stehen. Sie brauchen daher die Unterstützung und Anleitung durch die Lehrenden (vgl. Rampillon 2000, 33). Die Vermittlung der Lerntechniken, das Strategietraining und die Strategieanwendung stehen eng im Zusammenhang mit dem autonomen Lernen. Dies erfordert in der Tat viel Selbständigkeit und Selbstverantwortung von der Lernerseite und könnte ein Konflikt für die taiwanischen DaF- Lernenden darstellen, da sie sich im Laufe der Schulzeit an den lehrergesteuerten Unterricht gewohnt haben. Wie bereits in 1.5 erwähnt wurde, üben die vorausgehenden Lernerfahrungen und die Lernkultur einen Einfluss auf den Lernstil und die Strategieanwendung der Lernenden aus. Daher fällt es den Lernenden nicht leicht, alte Gewohnheiten aufzubrechen und neue Lernwege zu gehen. Um das gewohnte Lernverhalten zu verändern, müssten das lerntechnische und strategische Wissen sowie das autonome Lernen in den Unterricht integriert werden, damit die Lernenden sich mit den neuen Strategien in den verschiedenen Lernkontexten auseinandersetzen und diese erproben. D.h. hier sollten den Lernenden im Unterricht verschiedene Lernzugänge oder Aufgaben, die progressiv aufgebaut sind, angeboten werden, um das lernstrategische Wissen aufzubauen und um das lernstrategische Können zu entwickeln. 171 7.1.2 Motivation Sowohl die Stärke als auch die Art und Weise der Motivation spielen beim Deutschlernen eine bedeutende Rolle und werden aus Sicht der Lehrenden als wichtige Ursache für geringen Lernerfolg bzw. Misserfolge betrachtet. Aus den folgenden Auswertungen der Fragebögen und Interviews der Lehrenden wird deutlich, dass die Studierenden generell zu wenig motiviert sind, um Deutsch zu lernen. Dies zeigt sich wie bereits in Kap. 7.1.1 erwähnt zugleich in ihrem Lernverhalten und in ihrer Sprachanwendung, und zwar inner- und außerhalb des Unterrichts. Die Ursachen für die geringe bzw. mangelnde Motivation zum Deutschlernen sind vielfältig und auch individuell unterschiedlich. Sie können hier anhand der gewonnenen Daten 172 und der jeweiligen Lernkontexte im Hinblick auf die zuvor im Theorieteil dargestellten allgemeinen Rahmenbedingungen, die individuellen Persönlichkeitsvariablen und den Unterrichtskontext betrachtet werden, nämlich 173 : 171 Ausführliches siehe Rampillon 2000, S. 22-31. 172 Mit den gewonnen Daten sind hier Lernerfragebogen (1), Lehrerfragebogen und -interview gemeint. 173 Siehe in Kap. 2 (Lernervariablen) und 3.3 (Germanistikstudium an Universitäten und Hochschulen). <?page no="233"?> 233  Ausgangsmotivation zur Wahl des Germanistikbzw. Deutschstudiums vs. Familiärer Einfluss  Kontakte zum Zielsprachenland  Einstellung zum Deutschlernen  Unterrichtsbezogene Einflussfaktoren Auf den dritten Faktor, die Einstellung zum Deutschlernen, werde ich später in Kap. 7.2.2 noch genauer eingehen. Hier konzentriere ich mich zuerst auf die anderen drei Aspekte. Ausgangsmotivation zum Germanistikbzw. Deutschstudium: Deutsch kein Wunschstudienfach Die Motivation gilt als steuernder Faktor im L2-Lernprozess, ist jedoch nicht direkt von außen beobachtbar. Sie ist die innere Lernbereitschaft der Lernenden und hängt immer eng mit vielen verschiedenen Variablen zusammen, wie z.B. Interesse, Intelligenz, Material, Lehrperson, Lernumgebung, Lernerfahrungen, Einstellung zur Zielsprache und -kultur etc. (vgl. 2.2). Die Motivation kann nur durch beobachtbare Erscheinungen beim Lernprozess untersucht werden. Aufgrund des ähnlichen Forschungskontextes der empirischen Studie von Tamm und Ibitz (2007) ist hier die Übernahme der dort verwendeten Motivationskategorien hilfreich, um die Arten von Ausgangsmotivation zum Germanistikbzw. Deutschstudium zu unterscheiden. Sie basieren auf der in 2.2 genannten „Selbstbestimmungstheorie“, nämlich:  intrinsisch (intrinsic motivation and integrated regulation)  extrinsisch (identified regulation)  extern-extrinsisch (external regulation) (vgl. Tamm / Ibitz 2007, 173) Die intrinsische Motivation geht von eigenem Interesse oder Bedürfnis der Lernenden aus. Hingegen ist die extrinsische Motivation instrumentell orientiert (zweckorientiert). Unter extern-extrinsischer Motivation versteht die Situation, in der sich äußere Faktoren auf die Motivation auswirken. <?page no="234"?> 234 Abb. 7-6: Ausgangsmotivation zum Deutschlernen * Insgesamt N=176, 4 (2,3%) Befragte machten hier keine Angabe (bzw. gaben ungültige Antworten) Die Abb. 7-6 zeigt, aufgrund welcher Ausgangsmotivation die Studierenden Germanistik bzw. Deutsch als Studienfach gewählt haben. Diese Grafik wurde auf der Grundlage von Frage 7 im Lernerfragebogen (1) erstellt. Abgesehen von anderen Faktoren 174 (2,3%) zeigt die Abb. 7-6 deutlich, dass insgesamt 52,3% der Studierenden intrinsisch motiviert sind (jeweils 49,4% aus Interesse an Fremdsprachen und 2,9% aus Interesse an Landeskunde der deutschsprachigen Länder) und 7,6% der Befragten aus Gründen der Nützlichkeit extrinsisch motiviert sind (4,1% mit Rücksicht auf die Karriere und 3,5% mit Aussicht auf eine Ausbildung in Deutschland). Bei 37,8% der Studierenden muss die Motivation allerdings als extern-extrinsischen angesehen werden (36% aufgrund der ungenügenden Punktzahl beim Fachkompetenz-Test 175 , wodurch das Germanistikbzw. Deutschstudium die einzig mögliche Wahl war, 1,2% aufgrund von Einfluss anderer Personen und 0,6% mit Rücksicht auf die günstigeren Studiengebühren von staatlichen Universitäten). Daraus ist ersichtlich, dass etwa die Hälfte der Befragten (also 52,3%) anfangs aus intrinsischer Motivation zum Germanistikbzw. Deutschstudium gekommen ist. D.h. zu Beginn war der Lernprozess eher selbstbestimmt und vom eigenen Interesse am Lerngegenstand motiviert. Aber offensichtlich 174 Mit „andere Faktoren“ sind hier die Antwort (0,6% „weiß nicht“) und die für die Motivation nicht relevanten Angaben (1,7% Fehler beim Ankreuzen des Fächerwunsches) gemeint. 175 Mit dem „Fachkompetenz-Test“ ist hier die frühere Hochschulaufnahmeprüfung gemeint (vgl. Kap. 3.2). intrinsisch 52,3% extrinsisch 7,6% externextrinsisch 37,8% Andere 2,3% N=172 <?page no="235"?> 235 wird die intrinsische Motivation der Studierenden während des Lernprozesses reduziert und dann gewandelt. Dies äußert sich auf verschiedenen Ebenen des Lernens, wie z.B. in ihrem Lernerfolg und Lernverhalten sowie in ihrer Einstellung zum Deutschlernen. Jedoch kann sich Interesse am Sprachenlernen bzw. an den zielsprachigen Ländern als alleiniges Interesse in der Tat nicht langfristig fördernd auf das Deutschlernen auswirken. Denn es ist sowohl normal als auch unvermeidlich, dass man im Laufe des Lernprozesses auf Lernschwierigkeiten stößt, wenn man eine Fremdsprache lernt. Durch Frustration können Schwankung der Motivation hervorgerufen werden. Außerdem könnte ein Grund dafür noch darin liegen, dass die Studierenden aufgrund der ungenügenden Note bei dem Fachkompetenz-Test zu den anderen fremdsprachlichen Studienfächern (z.B. Anglistik, Japanisch, Koreanisch, Französisch) nicht zugelassen werden, da die Mindestnote für die Zulassung im Durchschnitt höher ist als für Deutsch. Sie müssen also wohl oder übel mit Deutsch Vorlieb nehmen, auch wenn sie eigentlich lieber eine andere Sprache studieren möchten. Beim extern-extrinsischen Bereich sieht man noch deutlicher, dass etwa 38% der Probanden aufgrund externer Zwänge Deutsch studieren müssen, da der Großteil davon aufgrund ihrer Ergebnisse beim Fachkompetenz-Test keine andere Wahl hat. Das kann laut Lohmann (1996, 91ff.) und Aussagen von Lehrerprobanden zu geringer oder sogar ganz fehlender Motivation zum Deutschlernen führen. Ein weiterer, oft gar nicht wahrgenommener Zwang bei der Wahl des Studienfachs geht von der Familie aus. In der konfuzianisch geprägten Gesellschaft Asiens hat die Familie wegen der Autoritätsgläubigkeit und des hierarchischen Denkens einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Studienwahl der Kinder und auf deren Lernprozess (vgl. dazu 2.2 und 4.2.2). Diese Korrelation lässt sich aufgrund des begrenzten Datenmaterials nicht konkret nachweisen, da die familiärbzw. fremdbedingten Einflüsse auf die Studienwahl offensichtlich entweder nicht wahrgenommen oder nicht zugegeben werden. Aus den Ergebnissen des Fragebogens (1) bei Frage 10 wird jedoch deutlich, in welchem Maße der Faktor „Ermutigung von Eltern“ einen Einfluss auf die Motivation der Studierenden während des Lernprozesses ausübt, denn etwa über 30% der Befragten bei den Gruppen A, C, D und E halten diesen Faktor für „wichtig“ bis „besonders wichtig“, bei den Gruppen B und F hingegen sind dies weniger als 20%. D.h., für einen Teil der Probanden ist die Motivation zumindest während des Lernprozesses tatsächlich familiär bestimmt. Kontakte zum Zielsprachenland Im Zusammenhang mit der Frage nach der Motivation werden die geringen bzw. völlig fehlenden persönlichen Kontakte zu den Zielsprachenländern und Zielsprachlern als eine der Ursachen für die geringe Motivation angese- <?page no="236"?> 236 hen, berichteten die muttersprachlichen Lehrerprobanden D, E und F im Interview bzw. im Fragebogen (Frage 27). Kontakte zwischen Taiwan und den deutschsprachigen Ländern beinhalten auf offizieller Ebene die diplomatischen Beziehungen, wobei Taiwan aus politischen Gründen offiziell keine diplomatischen Beziehungen zu den deutschsprachigen Ländern Europas unterhält. Bei den privaten Kontakten handelt es sich hauptsächlich um Außenhandelsbeziehungen, doch obwohl viele taiwanische Unternehmen bzw. Firmen Handelskontakte mit diesen Ländern haben, ist auf dem Arbeitsmarkt die Nachfrage nach Fachleuten, die Deutsch können, dem Angebot gegenüber nicht direkt proportional, da es jedes Jahr viele DaF- Absolventen gibt (die Mehrheit aus Bachelorstudiengängen, eine Minderheit aus Masterstudiengängen). Auf die Tatsache, dass den Lernenden in der Realität die zielsprachliche Lernumgebung und Möglichkeiten zur authentischen zielsprachlichen Anwendung fehlen, obwohl dies nicht unbedingt allein durch die geografische Entfernung verursacht wird, werde ich später in Kap. 7.4 noch näher eingehen. Unterrichtsbezogene Einflussfaktoren Die unterrichtsbezogenen Einflussfaktoren, die als Ursache für Stärke und Schwankung der Lernmotivation zu betrachten sind, werden hier zunächst aus der Lernerperspektive anhand des Fragebogens (1) bei Fragen 8 und 9 analysiert. Danach erläutere ich die daraus gewonnenen Perspektiven zusammenfassend. Abb. 7-7: Motivationsquellen zum Deutschlernen in (%) * Insgesamt N=176, 12 (6,8%) Befragte machten hier keine Angabe Aus der Auswertung von Frage 8 in Abb. 7-7 fallen drei Faktoren, die die Studierenden im Unterrichtskontext für motivierend halten, besonders auf. 54,3 90,9 80,5 30,5 41,5 1,8 0 20 40 60 80 100 Unterrichtsmaterial Unterrichtsstil von Lehrenden Lernklima im Klassenzimmer Leistungsüberprüfung Wissensdurst Andere Items N=164 <?page no="237"?> 237 Zunächst ist dies mit 90,9% Zustimmung der Unterrichtsstil von Lehrenden, dann das Lernklima im Klassenzimmer mit 80,5% und schließlich das Unterrichtsmaterial mit 54,3%. Schauen wir die Verteilung dieser drei Hauptmotivationsquellen in den einzelnen Gruppen an, ist unten in Abb. 7-8 deutlich zu sehen, dass diese drei Faktoren fast bei allen Versuchsgruppen als ungefähr gleich wichtig bewertet werden. Nur bei Gruppe D weicht das Resultat etwas ab. Die ersten zwei Faktoren sind zwar etwa gleich wie bei den anderen Gruppen. Jedoch an dritter Stelle wird dann „Wissensdurst“ an Stelle von „Unterrichtsmaterial“ genannt, wie die Abb. 7-8 unten veranschaulicht. Außerdem ist es auffällig, dass die Gruppen B und E die Faktoren „Unterrichtsstil von Lehrenden“ und „Lernklima im Klassenzimmer“ als gleich wichtig bewerten. Abb. 7-8: Hauptmotivationsquellen der einzelnen Gruppen im Unterricht Im Vergleich dazu sind die drei demotivierendsten Faktoren (Frage 9) bei allen Gruppen zwar teilweise ähnlich, stehen aber in verschiedener Reihenfolge. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Items (2) „Unterrichtsstil von Lehrenden“, (3) „Lernklima im Klassenzimmer“ sowie (5) „Mangelndes Interesse am Stoff“ als die drei wichtigsten Quellen für Demotivation im Unterricht angesehen werden und deshalb eine bedeutende Rolle dabei spielen, wie unten in Abb. 7-9 zu erkennen ist. Die Verteilung sieht im Einzelnen wie folgt aus: Unterrichtsstil von Lehrenden 74,8%, mangelndes Interesse am Stoff 64,9% und Lernklima im Klassenzimmer 60,9%. <?page no="238"?> 238 Abb. 7-9: Demotivationsfaktoren beim Deutschlernen in (%) * Insgesamt N=176, 25 (14,2%) Befragte gaben hier keine Angabe Aus den bisher vorgestellten Auswertungen wird deutlich, dass für die Lernenden die Bedingungen und Faktoren, die sie motivieren, ebenso Demotivationsquellen sein können. So schätzen sie z.B. die Faktoren „Lehr- / Lernstoffe“, „Unterrichtsstil von Lehrenden“ und „Lernklima im Klassenzimmer“ fast gleichwertig sowohl als Motivations- und auch als Demotivationsquellen ein. Die studentischen Angaben in Bezug auf das Unterrichtsmaterial und auf das mangelnde Interesse am Stoff weisen auf ihre Probleme mit dem Lehr-/ Lernstoff hin, nur werden sie innerhalb der Fragebögen anders gewichtet. Die Gründe dafür könnten zum einen in der Erhebungsmethode liegen, da die Fragen 8 und 9 hintereinander gestellt wurden. Zum anderen betreffen sie die Lehrmethoden und Vermittlungsinhalte und stehen somit im Zusammenhang mit den didaktischen und methodischen Kompetenzen des Unterrichtenden. Konkret stellt sich die Frage, ob durch die verwendeten Lehr-/ Lernstoffe das Interesse und die Neugier der Studierenden geweckt werden kann und wie die Lehrperson den Unterricht gestaltet. Außerdem ist besonders zu erwähnen, dass „mangelndes Interesse am Soff“ als einer der demotivierenden Faktoren angesehen wird. Dies spielt bei der Kritik an den Unterrichtsstoffen bzw. Lehrwerken eine Rolle, da deren Lehr-/ Lerninhalte oder Texte möglicherweise von den Studierenden als uninteressant oder langweilig empfunden werden. Diskussion Die Auswertung der Fragebögen (1) deutet darauf hin, dass die Motivation zum Deutschlernen während des Lernprozesses vorwiegend durch die oben genannten unterrichtsbezogenen Faktoren bestimmt ist, die einen externen Anreiz bieten. Daneben wirken sich die Möglichkeiten der L2-Lernenden 51,7 74,8 60,9 46,4 64,9 4,0 0 20 40 60 80 100 Unterrichtsmaterial Unterrichtsstil von Lehrenden Lernklima im Klassenzimmer Leistungsüberprüfung Mangelndes Interesse am Stoff Andere Items N=151 <?page no="239"?> 239 zum persönlichen Kontakt mit dem Zielsprachenland auf die Motivation aus. Damit die Motivation im Laufe des Lernens stabilisiert wird oder sich hin zu einer intrinsischen entwickelt, können die Lernenden durch bestimmte positive Bedingungen im Unterricht zum Weiterlernen angeregt werden (vgl. Riemer 2010, 168ff.). Die drei herausgearbeiteten Faktoren deuten darauf hin, dass die Entscheidungen der Lehrperson in Bezug auf ihr didaktisches Konzept, auf die Auswahl von Lehr-/ Lernstoffen sowie Lehrstil und die Unterrichtsgestaltung sowohl die Motivation bzw. Lernbereitschaft wecken als auch ein gutes Lernklima schaffen. Mit anderen Worten: Der Unterricht trägt in hohem Maße dazu bei, dass sich die Motivation und Lernhaltung im L2-Lernprozess im positiven oder im negativen Sinne entwickelt (vgl. Berndt 2002, 14). Die genannten Faktoren stellen daher große Motivierungschancen für den Grammatikunterricht dar, wenn sie so genutzt werden, dass die Lernenden sich gerne in angemessener Weise mit den zu lernenden bzw. zu übenden sprachlichen Phänomenen auseinander setzen, auf die ich im Folgenden eingehen werde. Eine Möglichkeit ist hier die Einbettung der Grammatikarbeit in entsprechend gestaltete Materialien (vgl. 8.4). Die Kompetenz der Lehrperson ist in diesem Kontext von großer Bedeutung, da sie Lehr-/ Lernmaterialien, Themen und Aufgaben auswählt, die inhaltlich und gestalterisch dem Bedürfnis, Interesse und Sprachstand der Lernenden angepasst sein sollen. Weiterhin sind, wie die Unterrichtsbeobachtungen gezeigt haben, die Überprüfung des Lehrstils und die Anpassung von Methode und Inhalt notwendig (vgl. Kap. 8). Übliche Vorgehensweisen, die sich im Fremdsprachenunterricht etabliert haben, müssen hinterfragt werden. Außerdem sollten die Lernerfahrung und die Lerntradition der Zielgruppe mit berücksichtigt werden und der Lehrstil flexibel sein. Zu betonen ist an dieser Stelle, dass die Regeln und ihre Terminologie klar und deutlich formuliert und je nach Situation der Lerngruppe in der Zielsprache bzw. in der Muttersprache der Lernenden mitgeteilt werden müssen. Bei der Grammatikvermittlung ist laut Krenn (2002) noch Folgendes zu beachten: „wichtige Elemente des Grammatikunterrichts, wie die systematische Darstellung des Lehrstoffes, klar definierte Teillernziele, die damit verbundene Komplexitätsreduktion und das intensive Wiederholen und Einüben ausgewählter sprachlicher Strukturen, scheinen auf manche Lerner durchaus motivierende Wirkung zu haben.“ (Krenn 2002, 34) Neben den eben genannten Aspekten wirken die soziokulturellen Rahmenbedingungen des jeweiligen Landes auf den Unterricht und das Lernklima im Klassenzimmer ein. Da das Bildungssystem Taiwans und die sozialen Wertvorstellungen zum Lernen generell prüfungssowie leistungsorientiert sind, bringen die Lernenden beim Sprachenlernen aufgrund ihrer Sozialisa- <?page no="240"?> 240 tion bestimmte Erwartungen und Lernhaltungen mit (vgl. dazu 4.2 und 7.2.1). Das Lernen ist daher vielmehr auf das Erreichen von sozialen Aufstiegsmöglichkeiten ausgerichtet und weniger auf Bildungsziele. Das bedeutet, dass das Lernen der Studierenden vorwiegend extrinsisch motiviert ist, was sich auf die Eigenaktivität und Selbständigkeit auswirkt. Die soziokulturelle Umgebung bzw. die Erwartungen der Eltern verhindern durch den Erfolgsdruck selbstbestimmtes Handeln und somit die Entwicklung intrinsischer Motivation. In diesem Zusammenhang wird die Rolle der Lehrperson im chinesischen Sprach- und Kulturraum aufgrund des hierarchischen Verhältnisses eher als Wissensvermittler und Autoritätsperson angesehen, was eher hemmend auf den Aufbau eines harmonischen Verhältnisses sowie auf die Entwicklung des autonomen Lernens wirken könnte. Dies stellt ein Problem für die Lernenden dar, deren Motivation teilweise davon abhängt, ob sie ein harmonisches bzw. positives Verhältnis zur Lehrperson haben. Es ist wichtig, die aufgrund der Lehrerautorität auftretenden Probleme zu thematisieren. Denn besonders hier nimmt die Lehrperson eine Schlüsselrolle ein. Der Fremdsprachenunterricht könnte dazu beitragen, das hierarchische Lehrer-Schüler-Verhältnis abzubauen und neue Unterrichtsstrukturen zu etablieren sowie die Methodenkompetenz der Lehrkräfte zu erweitern; wovon wiederum die taiwanischen Lehrkräfte profitieren können, wenn sie die Selbständigkeit der Lernenden auch in ihrem Unterricht fördern und erweitern möchten. Dass die Lehrenden aus einem anderen Kulturkreis sich darüber bewusst werden müssen, welche Vorerfahrungen und Rollenerwartungen die Lernenden mitbringen, ist evident und ich werde später in Kap. 7.2.3 (Das hierarchische Lehrer-Schüler-Verhältnis) auf diesen Faktor noch näher eingehen. 7.2 Kulturbedingte Lernprobleme In diesem Kapitel liegt der Fokus auf den Lernproblemen, die im Zusammenhang mit dem Prüfungssystem, der konfuzianischen Lehre und Tradition sozusagen kulturbedingt entstehen (vgl. 4.2). Anhand der Lerner- und Lehrerdaten 176 können die Ursachen dafür hinsichtlich dieser soziokulturellen Hintergründe unter folgenden Aspekten erläutert und diskutiert werden: Prüfungs- und Leistungsfokussierung, Lerneinstellungen und Lerngewohnheiten sowie Lehrer-Schüler-Verhältnis. 176 Die Lerner- und Lehrerdaten beziehen sich hier auf Lernerfragebogen (1), Lehrerfragebogen und Lehreraussagen im Interview. <?page no="241"?> 241 7.2.1 Prüfungs- und Leistungsfokussierung Die Prüfungs- und Leistungsfokussierung ist ein allgemeines Phänomen und Problem, das in der konfuzianisch geprägten Gesellschaft (Süd)ostasiens allgemein vorhanden ist. Wie bereits zuvor in 4.2 und 4.3 erwähnt wurde, ist sie ein Produkt aus vielen zusammenwirkenden Faktoren wie z.B. dem Konfuzianismus, dem Prüfungssystem, den das Lernen betreffenden sozialen Wertvorstellungen, den früher gemachten Lernerfahrungen etc. Hier lässt sich laut Lehrerprobanden die Fokussierung auf die Prüfungen und Noten als Ursache für Lernprobleme bzw. -hindernisse ansehen, da die meisten Studierenden nur für die Prüfungen und zum Erreichen guter Noten lernen, ohne Prüfungsdruck aber nicht. D.h., sie nehmen die Prüfungen und Noten viel ernster. Dies formuliert die Lehrperson E im Interview wie folgt: „ (...) also ich wünschte, (...) die Studenten wären selbständiger und wüssten mehr, dass sie aus Interesse und Motivation lernen, aber ich hab´ das Gefühl, das ist auch so das ganze System, in dem die Studenten stecken. Ja. Das fängt schon so früh an, dass sie irgendwie so... immer wieder die Erfahrung machen, es ist wichtig, für Prüfungen zu lernen. Prüfungen sind wichtig. Und das hat sich so verankert bei ihnen, Prüfungen sind wichtig, dass sie das einfach so glauben, irgendwie.“ Das bisherige Prüfungssystem und Vorerfahrungen mit Englischlernen Abgesehen von den eben genannten soziokulturellen Einflüssen können die Gründe dafür einerseits darin liegen, dass die Studierenden während ihrer Schullaufbahn bereits erkannt haben, dass Wissen für sie nur als Mittel zum Erlangen eines möglichst hohen akademischen Grades und zum sozialen Aufstieg dient. Die meisten Eltern und Lehrenden auf der Primar- und Sekundarstufe legen aufgrund der starken Lern- und Lehrkonkurrenz großen Wert auf die Prüfungen und deren Ergebnisse, der Lernprozess an sich wird vernachlässigt (vgl. 4.2.2). Dies wird hier durch die Interviewaussagen von Lehrperson E (Auszug IT 4) und durch das unterrichtliche Lehrerverhalten (Auszug UT 7-3) bei Gruppe C verdeutlicht. Auszug IT 4: Aussagen von Lehrperson E I: (...) meinst du, dass die Studenten zu Hause nicht selbst lernen? L: Das stelle ich tatsächlich oft fest, weil ich dann merke, dass die Sachen, die ich im Unterricht erklärt habe, die wir vielleicht auch geübt haben, wenn ich dann ´nen Test mache oder eine Hausaufgabe, dann ist ganz oft... also hab´ ich oft erst ein schlechtes Ergebnis gehabt. So dass ich dann manchmal dafür keine Noten gegeben habe weil´s so schlecht war. Und dann hab´ich das zurückgegeben und dann musste man das quasi nochmal machen, noch ´ne neue Aufgabe. Und ich merke, die Studenten, also, ehm... so unter Druck, und für Zensuren, dann strengen sie sich mehr an. Zum Beispiel jetzt eben in der Abschlussklausur, die war wirklich <?page no="242"?> 242 Beim folgenden Transkript geht es um die Nachbesprechung des für die vorliegende Arbeit durchgeführten Sprachtests. An den fettgedruckten Sätzen ist zu merken, dass die Lehrperson mit den Testergebnissen nicht sehr zufrieden war und ihr Fokus auf den erzielten Punkten lag, weil in ihrer Aussage die Enttäuschung über die höchste Punktzahl, die dabei erreicht wurde, zum Ausdruck kommt. Dadurch ist die Leistungsfokussierung auf der Lehrerseite deutlich bemerkbar. Auszug UT 7-3: Gruppe C - Unterrichtsgeschehen (21.12.2004, ca. 19: 36) L: …bei dieser Prüfung konnte man (insgesamt) 25 Punkte erreichen, keiner hat alle Fragen richtig beantwortet... Die höchste erreichte Punktzahl ... hm ...wie viele waren das? (schaut sich in der Klasse um----------) S1: Neunzehn. L: 只有19個對,有沒有21個對的啊? <Nur 19 richtige Antworten, hat jemand z.B. 21 Fragen richtig beantwortet? > S: ... (schauen sich in der Klasse um) L: 最多只有19個對,有沒有21個對的?哪一位21啊?有沒有21點對的啊? (看著學生再次確認---------------------) < Maximal nur 19 richtige Antworten, hat jemand z.B. 21 Fragen richtig beantwortet? Wer? Hat jemand 21 Punkte bekommen? (schaut sich in der Klasse um, um ganz sicher zu sein)> S: ... (einige schauen sich gegenseitig an, einige schauen auf den Prüfungsbogen) ganz gut, muss ich tatsächlich sagen, da hab´ich richtig gemerkt, dass sie nochmal alles wiederholt haben, was wir gemacht haben, und dann geht´s auch. Und ich finde das ganz erstaunlich, also, weil wenn man die Texte liest, die die da geschrieben haben, ohne Wörterbuch, ohne Grammatik, denn in der Abschlussklausur da hatten die keine Hilfsmittel, ja. Die Texte waren wirklich gut, die konnte man als Deutscher gut verstehen, einige schwierige Wörter. Und da seh´ich, aha, die können schon einiges im Kopf speichern und so, ja. Aber während des Unterrichts war das Ergebnis nur bei einzelnen so gut, es gab einige motivierte Studenten, die schon während des Unterrichts all das umgesetzt haben, was ich ihnen beigebracht hab´, aber ich hatte das Gefühl, viele Studenten, die sich nicht die Mühe gemacht haben, wirklich mit den Arbeitsblättern zu arbeiten, wirklich zu gucken, also was hab´ich denn da geschrieben, also ich jetzt als Lehrerin, ah ja, O.K., die Lehrerin hat hier ´nen Beispielsatz und dies und jenes, also da kann ich das jetzt so und so schreiben. Merk´ich haben viele nicht gemacht, aber andere haben´s auch gemacht, daran konnt´ich auch sehen, aha, es geht, also, es ist schon möglich, ja, aber... also ich glaub´ tatsächlich, ehrlich gesagt, dass da bei einigen die Motivation und der Fleiß fehlte. <?page no="243"?> 243 L: 也沒有啊!(最多)19點是不是? (略顯訝異-----) <Gar keiner! (scheint etwas überrascht) Die höchste Punktzahl, die erreicht wurde, sind 19 Punkte, ja? > S: ... (einer nickt mit dem Kopf, die anderen schauen sich gegenseitig an) L: Oh, mein Gott! 好吧,好吧!(有些無奈)...那就把考卷收回來吧! (有些學生在笑--) Ich bin ein bisschen enttäuscht... <Oh, mein Gott! Na gut, na gut! (resigniert) Na, dann geben Sie die Prüfungsbögen wieder zurück! (Einige S lachen) Ich bin ein bisschen enttäuscht...> S: ... (geben den Prüfungsbogen zurück und unterhalten sich) L: ... 跟你們講過了啊,老師的喜樂哀樂完全掌握在你們的手中!你們是要看我笑臉迎人, 還是一副凶神惡煞的樣子?( ) 我的臉部…面部表情,完全是要看你們的反應耶! <... ich habe euch schon mal gesagt, mein psychisches Wohlbefinden hängt völlig von euch ab. Wollt ihr mich lieber mit einem lachenden Gesicht vor euch sehen oder mit einem bösen Gesicht? ( ) Meine Mimik ist völlig von eurer Reaktion (auf meinen Unterricht) abhängig! > Die hier klar ersichtliche Prüfungs- und Leistungsfokussierung hat unvermeidlich zur Folge, dass das Bestehen der Prüfungen und das Erreichen guter Noten als oberstes Lernziel für die Studierenden gelten und daher besonders hervorgehoben wird. Auch wenn das Bestehen der Prüfungen oft nicht mit tatsächlicher Sprachkompetenz gleichgesetzt werden kann. Zum anderen hat die Fokussierung auf Prüfungen und Noten auch damit zu tun, dass die Prüfungsergebnisse oft als Indikator für den Lernerfolg bzw. misserfolg betrachtet werden, weil die (schriftliche) Prüfung innerhalb des bisherigen Prüfungssystems seit der Schulzeit fast das einzige Mittel zur Überprüfung des Lernerfolges ist. Außerdem ergibt sich daraus noch ein weiteres Lernproblem, nämlich dass die DaF-Studierenden in Taiwan aufgrund ihrer Vorerfahrungen mit dem traditionellen (Englisch)Unterricht größeres Gewicht auf den Erwerb der Lese- und Schreibfertigkeiten als auf den der Hör- und Sprechfertigkeiten legen (vgl. 2.1). Dies stellt nicht nur ein Problem für die Entwicklung der mündlichen Fertigkeiten des lernenden Individuums dar, sondern auch für den kommunikativ orientierten DaF- Unterricht. Konkurrenz und Angst vor Nichtbestehen eines Kurses Auch die Konkurrenz zwischen den Kommilitonen in der Klasse spielt eine bedeutende Rolle, wie die Lehrperson D im Interview berichtet: „ (...) ich hab´ gedacht, früher, als ich nach Asien kam, die Studenten arbeiten zusammen. Die würden so miteinander in Gruppen arbeiten... aber das <?page no="244"?> 244 ist nicht so. Alles ist ´ne Konkurrenz, immer ist es jeder gegen jeden. Also so in diesen Klassenräumen... Konkurrenz ist sehr stark, ja genau. Und es ist, wie gesagt, eine starke Prüfungsorientierung, wenn man nicht Druck macht, lernen die... machen die eigentlich nichts mehr. “ Viele Studierende haben immer Angst davor, dass sie bei der Prüfung durchfallen und deshalb die Veranstaltung und die damit verbundene Prüfung nochmal nachholen müssen. Das könnte zur Folge haben, dass sie ihr Studium nicht innerhalb der regulären Studienzeit (vier Jahre) abschließen können. In Taiwan gibt es diesbezüglich eine Menge institutioneller Regelungen, die Druck auf die Lernenden und Lehrenden ausüben. Darauf werde ich später in Kap. 6.3 (Lern- und Lehrdruck durch institutionelle Regelungen) noch genauer eingehen. Die Fokussierung auf die Noten äußert sich noch auf andere Weise, wenn irgendein Arbeitsauftrag wie z.B. Bildbeschreibung, Dialogerstellung zu einem bestimmten Thema etc. für den Unterricht erledigt werden muss oder bei Hausbzw. Übungsaufgaben. Nur wenn diese im Unterricht überprüft bzw. durch Noten bewertet werden, empfinden die Studierenden solche Arbeitsaufträge als sinnvoll und nehmen sie ernst. Mit anderen Worten: die Noten spielen beim Lernprozess eine entscheidende Rolle, denn sie stellen innere Antriebskräfte bzw. die Motivation zum Deutschlernen dar und steuern die Studierenden dabei. Ohne Prüfungen und Leistungsbewertung wird das Lernen bzw. die Veranstaltung oftmals von den Lernenden nicht ernst genommen. Die Aussagen von Lehrpersonen B und F im Interview verdeutlichen dies. Auszug IT 5: Aussagen von Lehrperson B Auszug IT 6: Aussagen von Lehrperson F L: 老師指派的作業一定都會做,因為會登記分數嘛! < Die Hausaufgaben, die vom Lehrer vorgegeben werden, machen die Studenten auf jeden Fall, weil sie durch Noten bewertet werden.> L: Also meine Überzeugung ist, dass eben der Unterricht aus vielen verschiedenen Phasen bestehen sollte. (...) also, ich kann vielleicht noch sagen, warum. Ich habe auch schon Kurse gemacht, früher, in denen es überhaupt keine solchen intensiven Trainingsphasen gab. Alles nur offen, und praktisch von den Studenten selbst gestaltet und so weiter, aber ich habe dann gemerkt, dass einfach, also dass das Resultat sehr enttäuschend war. (...) gerade hier brauchen sie irgendwie auch eine Art Druck, ne, sowas, wo man sagen kann, da machen wir nachher eine Prüfung, das müsst ihr lernen und so weiter. Sonst funktioniert es überhaupt nicht, ne, sonst sitzen die oft nur da und hören zu oder machen was anderes und sind dann <?page no="245"?> 245 In den oben dargestellten Fällen interessieren sich die Studierenden nur dafür, was in der Prüfung geprüft wird bzw. wie sie bessere Noten erreichen könnten. Hingegen wird dem Wissenserwerb, der Wissenserweiterung und der Steigerung der Kompetenzen in der Zielsprache keine große Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. 4.2.2). Zusammenfassung Als Schlussfolgerung kann gesagt werden, dass die Vorstellungen der Studierenden zum Deutschlernen offensichtlich durch den betreffenden soziokulturellen Kontext, das Prüfungssystem sowie die früheren Lernerfahrungen geprägt sind. Sie bestimmen natürlich auch die Lerneinstellungen im Lernprozess (vgl. 7.2.2). Obwohl diese umweltbestimmten Bedingungen sich nur schwer verändern lassen, hat die Lehrkraft einen Einfluss darauf und kann eine Schlüsselrolle dabei einnehmen. D.h., mit Rücksicht auf die vorgegebenen Lernhintergründe kann die Lehrkraft die Lernenden im Lauf des Lernprozesses dazu anleiten, lernfördernde Einstellungen zu erkennen und zu etablieren. Nur stellt sich hier die Frage, inwiefern die muttersprachlichen DaF-Lehrkräfte ihr didaktisches und methodisches Repertoire an die vorgegebenen soziokulturellen Kontexte anpassen oder die nicht-muttersprachlichen ihre herkömmliche Lehrerrolle (d.h. Autoritätsperson und Lehrmeister) je nach Unterrichtsphase verändern können. Dies wird in 7.2.3 besonders mit Blick auf die Herkunftskultur der taiwanischen Studierenden und das Lehrer-Schüler-Verhältnis weiter diskutiert. Zunächst beleuchte ich die Einstellung der Lernenden und ihre Lerngewohnheiten. 7.2.2 Lerneinstellungen und -gewohnheiten Aus der Auswertung der Lehrerdaten und des Lernerfragebogens (1) wird deutlich, dass Probleme mit den Lerneinstellungen und -gewohnheiten einerseits in gewissem Maße gesellschaftlich und kulturell bedingt, andererseits aber auch vom lernenden Individuum abhängig sind. Wie bereits in Kap. 2.3 erwähnt wurde, stehen hier die Lerneinstellungen der Studierenden mit den soziokulturellen Wertvorstellungen und dem schulischen Prüfungssystem in einem sehr engen ursächlichen Zusammenhang und weichen deshalb nicht von den daraus resultierenden Lernerfahrungen ab. Dies übt unmerklich Einfluss auf das Lernverhalten aus und äußert sich somit in der Lerntätigkeit, so dass die hier durch persönliche Lerngewohnheiten verursachten Probleme beim Deutschlernen in der Auswertung des Fragebogens (1) erkennbar sind. nicht mehr aufmerksam genug. <?page no="246"?> 246 Im Folgenden werden die Lernprobleme, die sich aus den Lerneinstellungen und -gewohnheiten der Studierenden ergeben, anhand der diesbezüglichen Daten unter den drei folgenden Aspekten betrachtet und dargelegt: utilitaristische (zweckorientierte) Lerneinstellungen, mangelnde Selbstverantwortung und Selbständigkeit sowie Fokus auf den Erwerb der schriftlichen Fertigkeiten. Utilitaristische Lerneinstellungen Als utilitaristische Lerneinstellungen bezeichnen wir hier die Lernhaltungen, die auf kurzfristigen praktischen Nutzen abzielen. Sie können auf das Lernverhalten der Studierenden zurückgeführt werden und spiegeln sich sowohl in der Prüfungs- und Leistungsorientierung als auch im Wunsch nach Erlangung des höchsten akademischen Grades wider (vgl. 7.2.1). Lehrperson E (beim Fragebogen auf Frage 27) beschreibt die studentischen Einstellungen zum Deutschlernen wie folgt: „Für den späteren Beruf ist nur ein Abschluss wichtig, aber der Inhalt des Studiums scheint den Studierenden vielleicht für die Berufspraxis unwichtig.“ Das treffe zwar nicht für alle zu, aber im Unterricht habe man immer den Eindruck, dass sich nicht wenige Studierende eigentlich immer nur so „durchwursteln“ („muddle through“) und nicht wirklich auf das Deutschlernen einlassen wollen, berichtete Lehrperson D im Interview (Auszug IT 7). Eine Ursache ist, dass nach dem Abschluss des Germanistikbzw. Deutschstudiums in Taiwan schwer eine gute Arbeitsstelle zu bekommen ist, denn die im Studium erworbenen Fachkenntnisse und Sprachkompetenzen entsprechen nicht unbedingt den im Beruf geforderten Fähigkeiten (vgl. Pause-Chang 2006, 6ff.). Auszug IT 7: Aussagen von Lehrperson D Dies führt zu Lerngewohnheiten und -haltungen, wie sie Lehrperson F im Fragebogen (Frage 27) nennt: „ (...) z.B. das Gefühl, dass es reicht, zum Unterricht zu gehen und man nichts selbständig zu Hause lernt.“ Dies haben die Lehrpersonen E und F beide aufgrund ihrer langjährigen Lehrerfahrun- I: Also, ich meine, zum Beispiel mit den Studenten im Wenzao, ne? Meinst du, ist das sehr typisch, also sie lernen nur für die Prüfung, und nicht für sich? L: Ja, das ist ... sicherlich zum großen Teil stimmt das, es ist so ein gewisses Interesse da, aber man hat den Eindruck, die wollen sich immer so (durchwursteln), auf Englisch nennt man das „muddling through“. Also das heißt, durchzukommen, irgendwie, ohne wenig Arbeit. I: Aha... L: Ja, das ist so die Lernhaltung, die viele haben, dass sie eigentlich immer durchkommen wollen. <?page no="247"?> 247 gen bemerkt. Es hat zur Folge, dass die meisten Studierenden beim Lernen nicht so engagiert sind, außer wenn es um Prüfungen geht (siehe Auszüge IT 3 und 4). Mangelnde Selbstverantwortung und Selbständigkeit beim Lernen Aus der Auswertung der Fragen 15, 16, 17, 18, 19 und 20 bei Fragebogen (1) lässt sich das Problem mit dem selbstverantwortlichen und selbständigen Lernen erkennen. Bei den Fragen 16, 17 und 18 ist unten in Tabelle 7-2 deutlich zu sehen, dass die Ergebnisse bei den einzelnen Gruppen im Großen und Ganzen ungefähr gleich sind. <?page no="248"?> 248 Tabelle 7-2: Lerngewohnheiten innerhalb und außerhalb des Kurses bei den einzelnen Gruppen in (%) Fragen Gruppe A (N=37) Gruppe D (N=47) jedes Mal sehr oft oft manchmal selten nein Gesamt jedes Mal sehr oft oft manchmal selten nein Gesamt 15. Stellen Sie den Lehrenden unaufgefordert Fragen? ‒ 2,8 27,8 38,9 25,0 5,6 100 ‒ 10,9 26,1 37,0 15,2 10,9 100 16. Bereiten Sie sich auf den Unterricht vor? 0,0 0,0 10,8 51,4 27,0 10,8 100 2,2 6,5 6,5 28,3 19,6 37,0 100 17. Wiederholen Sie den Unterrichtsinhalt nach den Unterricht? 5,4 10,8 29,7 40,5 10,8 2,7 100 2,2 4,4 15,2 32,6 21,7 23,9 100 18. Suchen und lesen Sie zusätzliche Materialien zum Unterricht, die Ihnen beim Deutschlernen helfen können? ‒ 0,0 32,4 46,0 16,2 5,4 100 ‒ 8,5 19,2 34,0 21,3 17,0 100 19. Machen Sie die Hausaufgabe, wenn der/ die Lehrende Ihnen eine gegeben hat? 17,1 25,7 37,1 17,1 2,9 0,0 100 23,9 21,7 32,6 15,2 2,2 4,4 100 20. Lesen Sie die Texte, die von Lehrenden korrigiert wurden, nochmals durch? 8,1 16,2 46,0 29,7 0.0 0,0 100 15,2 17,4 37,0 15,2 8,7 6,5 100 Gruppe B (N=23) Gruppe E (N=25) jedes Mal sehr oft oft manchmal selten nein Gesamt jedes Mal sehr oft oft manchmal selten nein Gesamt 15. Stellen Sie den Lehrenden unaufgefordert Fragen? ‒ 4,4 4,4 34,8 26,1 30,4 100 ‒ 4,0 8,0 64,0 20,0 4,0 100 16. Bereiten Sie sich auf den Unterricht vor? 4,4 0,0 8,7 34,8 17,4 34,8 100 0,0 4,0 12,0 72,0 4,0 8,0 100 17. Wiederholen Sie den Unterrichtsinhalt nach den Unterricht? 4,4 4,4 8,7 60,9 21,7 0,0 100 0,0 8,0 24,0 44,0 24,0 0,0 100 18. Suchen und lesen Sie zusätzliche Materialien zum Unterricht, die Ihnen beim Deutschlernen helfen können? ‒ 4,6 18,2 50,0 18,2 9,1 100 ‒ 8,0 12,0 64,0 12,0 4,0 100 19. Machen Sie die Hausaufgabe, wenn der/ die Lehrende Ihnen eine gegeben hat? 47,8 26,1 17,4 8,7 0,0 0,0 100 44,0 24,0 28,0 4,0 0,0 0,0 100 <?page no="249"?> 249 20. Lesen Sie die Texte, die von Lehrenden korrigiert wurden, nochmals durch? 39,1 13,0 21,7 26,1 0,0 0,0 100 36,0 24,0 20,0 20,0 0,0 0,0 100 Gruppe C (N=20) Gruppe F (N=24) jedes Mal sehr oft oft manchmal selten nein Gesamt jedes Mal sehr oft oft manchmal selten nein Gesamt 15. Stellen Sie den Lehrenden unaufgefordert Fragen? ‒ 15,0 25,0 45,0 15,0 0,0 100 ‒ 0,0 12,5 66,7 20,8 0,0 100 16. Bereiten Sie sich auf den Unterricht vor? 25,0 15,0 5,0 40,0 5,0 10,0 100 0,0 8,3 12,5 41,7 29,2 8,3 100 17. Wiederholen Sie den Unterrichtsinhalt nach den Unterricht? 10,0 0,0 35,0 40,0 15,0 0,0 100 0,0 4,2 16,7 58,3 20,8 0,0 100 18. Suchen und lesen Sie zusätzliche Materialien zum Unterricht, die Ihnen beim Deutschlernen helfen können? ‒ 10,0 15,0 65,0 10,0 0,0 100 ‒ 0,0 4,2 58,3 33,3 4,2 100 19. Machen Sie die Hausaufgabe, wenn der/ die Lehrende Ihnen eine gegeben hat? 50,0 35,0 15,0 0,0 0,0 0,0 100 25,0 41,7 25,0 8,3 0,0 0,0 100 20. Lesen Sie die Texte, die von Lehrenden korrigiert wurden, nochmals durch? 30,0 45,0 15,0 10,0 0,0 0,0 100 37,5 29,2 16,7 16,7 0,0 0,0 100 -: Bei Frage 18 war diese Antwort nicht vorgesehen. <?page no="250"?> 250 Tabelle 7-3: Übersicht über die Lerngewohnheiten in (%) Fragen Gruppen N=176 jedes Mal sehr oft oft manchmal selten nein ungültig Gesamt 15. Stellen Sie den Lehrenden unaufgefordert Fragen? A ‒ 0,6 5,7 8,0 5,1 1,1 0,6 21,0 B ‒ 0,6 0,6 4,5 3,4 4,0 0,0 13,1 C ‒ 1,7 2,8 5,1 1,7 0,0 0,0 11,4 D ‒ 2,8 6,8 9,7 4,0 2,8 0,6 26,7 E ‒ 0,6 1,1 9,1 2,8 0,6 0,0 14,2 F ‒ 0,0 1,7 9,1 2,8 0,0 0,0 13,6 Gesamt ‒ 6,3 18,8 45,5 19,9 8,5 1,1 100,0 16. Bereiten Sie sich auf den Unterricht vor? A 0,0 0,0 2,3 10,8 5,7 2,3 0,0 21,0 B 0,6 0,0 1,1 4,5 2,3 4,5 0,0 13,1 C 2,8 1,7 0,6 4,5 0,6 1,1 0,0 11,4 D 0,6 1,7 1,7 7,4 5,1 9,7 0,6 26,7 E 0,0 0,6 1,7 10,2 0,6 1,1 0,0 14,2 F 0,0 1,1 1,7 5,7 4,0 1,1 0,0 13,6 Gesamt 4,0 5,1 9,1 43,2 18,2 19,9 0,6 100,0 17. Wiederholen Sie den Unterrichtsinhalt nach den Unterricht? A 1,1 2,3 6,3 8,5 2,3 0,6 0,0 21,0 B 0,6 0,6 1,1 8,0 2,8 0,0 0,0 13,1 C 1,1 0,0 4,0 4,5 1,7 0,0 0,0 11,4 D 0,6 1,1 4,0 8,5 5,7 6,3 0,6 26,7 E 0,0 1,1 3,4 6,3 3,4 0,0 0,0 14,2 F 0,0 0,6 2,3 8,0 2,8 0,0 0,0 13,6 Gesamt 3,4 5,7 21,0 43,8 18,8 6,8 0,6 100,0 18. Suchen und lesen Sie zusätzliche Materialien zum Unterricht, die Ihnen beim Deutschlernen helfen können? A ‒ 0,0 6,8 9,7 3,4 1,1 0,0 21,0 B ‒ 0,6 2,3 6,3 2,3 1,1 0,6 13,1 C ‒ 1,1 1,7 7,4 1,1 0,0 0,0 11,4 D ‒ 2,3 5,1 9,1 5,7 4,5 0,0 26,7 E ‒ 1,1 1,7 9,1 1,7 0,6 0,0 14,2 F ‒ 0,0 0,6 8,0 4,5 0,6 0,0 13,6 Gesamt ‒ 5,1 18,2 49,4 18,8 8,0 0,6 100,0 <?page no="251"?> 251 jedes Mal sehr oft oft manchmal selten nein ungültig Gesamt 19. Machen Sie die Hausaufgabe, wenn der/ die Lehrende Ihnen eine gegeben hat? A 3,4 5,1 7,4 3,4 0,6 0,0 1,1 21,0 B 6,3 3,4 2,3 1,1 0,0 0,0 0,0 13,1 C 5,7 4,0 1,7 0,0 0,0 0,0 0,0 11,4 D 6,3 5,7 8,5 4,0 0,6 1,1 0,6 26,7 E 6,3 3,4 4,0 0,6 0,0 0,0 0,0 14,2 F 3,4 5,7 3,4 1,1 0,0 0,0 0,0 13,6 Gesamt 31,3 27,3 27,3 10,2 1,1 1,1 1,7 100,0 20. Lesen Sie die Texte, die von Lehrenden korrigiert wurden, nochmals durch? A 1,7 3,4 9,7 6,3 0,0 0,0 0,0 21,0 B 5,1 1,7 2,8 3,4 0,0 0,0 0,0 13,1 C 3,4 5,1 1,7 1,1 0,0 0,0 0,0 11,4 D 4,0 4,5 9,7 4,0 2,3 1,7 0,6 26,7 E 5,1 3,4 2,8 2,8 0,0 0,0 0,0 14,2 F 5,1 4,0 2,3 2,3 0,0 0,0 0,0 13,6 Gesamt 24,4 22,2 29,0 19,9 2,3 1,7 0,6 100,0 Anmerkung: Bei Fragen 15 und 18 war die Antwort „jedes Mal“ nicht möglich. Sehen wir uns dann die Gesamtverteilung aller untersuchten Gruppen an, ist die Anzahl der Studierenden, die sich „jedes Mal“ bis „oft“ vor dem Kurs vorbereiten und den Unterrichtsinhalt nach dem Kurs wiederholen sowie freiwillig zusätzliche Materialien zum Unterricht suchen, im Vergleich zu denjenigen, die dies „manchmal“ bis „überhaupt nicht“ unternehmen, offensichtlich viel geringer, außer bei den Gruppen A und C. Es ist auffallend, dass bei Gruppe A noch etwa 46% der Befragten den Unterrichtsinhalt nach dem Unterricht wiederholen, und bei Gruppe C machen noch 45% der Befragten die Vor- und Nachbereitung für den Unterricht. Gründe sind vermutlich, dass bei Gruppe A in der folgenden Unterrichtsstunde der Stoff der letzten Stunde immer mündlich überprüft wurde; bei Gruppe C geht es um eine in Gruppenarbeit angefertigte Übersetzung: jede Gruppe erhält einen Arbeitsauftrag, nämlich gemeinsam die Übersetzung für den verteilten Text zu erarbeiten und dann im Unterricht zu präsentieren. Bei den anderen Studierenden in der Klasse wird durch die im Text beigefügten Übungen mündlich kontrolliert, ob sie den Text auch vorbereitet haben. Außerdem werden die in der letzten Stunde vermittelten Inhalte (z.B. Grammatikwissen) auch immer am Unterrichtsanfang von Lehrperson C abgefragt, um sich über den Lernstand der Studierenden zu informieren. Zusammenfas- <?page no="252"?> 252 send lässt sich sagen, dass der Großteil der Studierenden bei den einzelnen Gruppen die Selbstverantwortung für das Deutschlernen nicht übernommen hat, und dies wird durch die Gesamtverteilung in der Tabelle 7-3 noch deutlicher aufgezeigt. Ein Grund dafür kann laut Aussagen von allen Lehrerprobanden darin liegen, dass die Studierenden es nicht gewohnt sind, sich selbst intensiv und selbständig mit dem Stoff auseinanderzusetzen, wie z.B. das Gelernte nach dem Unterricht zu Hause zu vertiefen, die notwendigen Lernschritte selber zu planen und umzusetzen. Darüber hinaus reflektieren die Studierenden ihr eigenes Lernen natürlich auch nicht, obwohl die Generation der heutigen Studierenden im Vergleich zu früher schon selbstbewusster ist. Doch selbstbewusst bedeutet nicht immer, dass man schon wirklich selbständig ist, wie Lehrperson E bemerkt. Dementsprechend weisen die Ergebnisse von Fragen 15, 19 und 20 nach, dass die DaF-Studierenden in Taiwan beim Lernen tatsächlich wie zuvor in Kap. 2.3 erwähnt lehrerabhängig, passiv und rezipierend sind, d.h. ein Verhalten aufweisen, das sie seit der Schulzeit gewohnt sind. Dies spiegelt nicht nur das Problem mit dem selbständigen Lernen wider, sondern die Lehrerautorität spielt dabei auch eine große Rolle. Betrachten wir zunächst die Verteilung nach Gruppen bei Frage 15 in der Tabelle 7-2: Insgesamt nicht über 40% der Befragten der einzelnen Gruppen stellen in dem beobachteten Unterricht unaufgefordert Fragen, obwohl die Tabelle 7-2 zeigt, dass die Werte bei „sehr oft“ bis „oft“ bei den Gruppen A, C und D mit 30,6%, 40% sowie 37% eigentlich hoch sind. Aber dies stimmt nicht mit der beobachteten Situation überein. Denn auf den Unterrichtsvideos verhalten sich die Studierenden dieser drei Gruppen im Unterrichtsverlauf eher still, passiv und geben dem Lehrenden gegenüber nicht so spontan Feedback, außer wenn der Unterrichtende gerade daneben steht bzw. sie zum Sprechen aufgefordert hat. Bei den Fragen 19 und 20 in Tabelle 7-3 besteht nur ein unbedeutender Unterschied zwischen den Gesamtergebnissen aller Gruppen und den einzelnen Ergebnissen bei den einzelnen Gruppen. Bei Frage 19 machen insgesamt 85,9% der Befragten die vom Lehrenden gegebene Hausaufgabe „jedes Mal“ bis „oft“, und zwar jeweils 31,3% davon „jedes Mal“, 27,3% „sehr oft“ und 27,3% „oft“. Und bei Frage 20 lesen insgesamt 75,6% der Befragten „jedes Mal“ bis „oft“ die Texte, die von Lehrenden korrigiert werden, nochmals durch: jeweils 24,4% davon „jedes Mal“, 22,2% „sehr oft“ und 29% „oft“. Abgesehen davon, dass die gegebene Aufgabe bzw. der korrigierte Text später im Unterricht überprüft wird, könnte ein weiterer Grund für dieses Verhalten darin liegen, dass in der konfuzianisch geprägten Gesellschaft die Dinge, die mit der Lehrperson zu tun haben oder von ihr verlangt werden, ebenfalls eine Art Autorität bilden. Daraus ist ersichtlich, dass die Rolle der <?page no="253"?> 253 Lehrerautorität dabei wie in Kap. 4.2 erwähnt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat und einen gewissen Einfluss auf das Lernen bei den DaF- Studierenden in Taiwan ausübt. Durch die Gesamtauswertung der Fragen 15 bis 20 ergibt sich folgendes Bild: der Großteil der Lernerprobanden macht nur, wozu sie von der Lehrperson aufgefordert werden, selbständig eigentlich nichts, viele Studierende sind rezipierend und lehrerorientiert. Fokus auf den Erwerb der schriftlichen Fertigkeiten In Abb. 7-10 wird anhand der Gesamtergebnisse bei Frage 22 in Fragebogen (1) gezeigt, welche Übungen zum Selbstlernen von Studierenden am meisten gemacht werden. Abb. 7-10: Übungstypen zum Deutschlernen in (%) Die Verteilung sieht wie folgt aus: Grammatikübungen (59,7%), Übungen zum Leseverstehen (50,6%) und zum Wortschatz (45,5%). Im Vergleich dazu betragen die Sprechübungen nur 29,5% und die Übungen zum Hörverstehen 30,7%. Das bedeutet, beim selbständigen Deutschlernen außerhalb des Unterrichts legt der Großteil der Studierenden den Fokus vorwiegend auf das Grammatikwissen und das Leseverstehen, den Hör- und Sprechfertigkeiten hingegen wird während des Lernprozesses keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Dies hat vor allem mit den Vorerfahrungen, die im traditionellen Englischunterricht gemacht wurden, zu tun. Denn in den Schulen wird Englisch generell mit Hilfe von schriftlichen Sprachübungen durch mechanische Lernverfahren gelernt und auch in schriftlicher Form überprüft, da bei der Aufnahmeprüfung für die Oberschulen und die Hochschulen immer nur die schriftlichen Fertigkeiten getestet werden. Darüber hinaus werden die mündlichen Fertigkeiten beim schulischen Englischlernen kaum beachtet. Dies stellt nicht nur ein Problem für die Entwicklung der 34,1 59,7 50,6 30,7 45,5 29,5 17,0 0 20 40 60 80 100 Aussprache Grammatik Leseverstehen Hörverstehen Wortschatz Sprechen Schreiben Items N=176 <?page no="254"?> 254 mündlichen Fertigkeiten des lernenden Individuums dar, sondern auch für den kommunikativ orientierten Deutschunterricht. Außerdem spielt hier das Fehlen der zielsprachlichen Sprachumgebung auch eine große Rolle. Denn das führt indirekt dazu, dass die meisten Studierenden größeres Gewicht auf den Erwerb der schriftlichen Fertigkeiten als auf den der mündlichen legen. Zusammenfassung Insgesamt betrachtet üben die Vorerfahrungen, die soziokulturellen Hintergründe und das Prüfungssystem hier einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Lerngewohnheiten und -einstellungen der Lernenden im Lernprozess aus. Von daher wird hier besonders hervorgehoben, dass der Großteil der Lernenden im Lauf der schulischen Sozialisation eine bestimmte Vorstellung und Einstellung zum Lernen entwickelt hat, die lehrerorientiert und -abhängig ist, wie bereits zuvor in 7.2.1 erwähnt wurde. Dies stellt hier zweifelsfrei ein Hindernis für das selbständige Lernen und den Lernprozess dar. Das heißt also, dass selbstgesteuertes sowie -verantwortliches Lernen durch geeignete lerntechnische Maßnahmen gefördert werden sollte. Außerdem ist an dieser Stelle die kulturspezifische Lern- und Lehrkultur bei der Unterrichtsgestaltung zu beachten. Je nach Kulturraum stellt sich wie in 4.2.3 dargestellt die Bedeutung des Lernens und Lehrens für den Unterricht ganz anders dar, wie z.B. gerade hier bei dem asiatischen und westlichen Kulturraum. Sowohl die Lernenden als auch die Lehrkräfte haben bestimmte Vorstellungen von sich selbst und Erwartungen an den Unterricht. Das Problem ist laut Boeckmann (2010a, 954) aber, „Lernende sind mit kulturspezifischen Lehr- und Lernformen aufgewachsen und so ist die Konfrontation mit für sie neuen Methoden und Materialien eine interkulturelle Erfahrung“, wobei es zu Konflikten mit ihren gewohnten Lern-/ Lehrweisen kommen kann, was ein Hindernis im Lernprozess darstellen kann. Dies betrifft hier auch die Lehrkräfte, weil sie Methoden, Inhalte, Lehrziel, Lehrmittel, Arbeits-, Übungs- und Prüfungsformen etc. immer aus der eigenen Lern- und Lehrkultur auswählen (vgl. Eßer 2006, 8). D.h., die muttersprachlichen DaF-Lehrkräfte, die im nicht-westlichen Raum Deutsch unterrichten, verhalten sich und gestalten den Unterricht anders als diejenigen, die im chinesischen Sprach- und Kulturraum aufgewachsen sind. Also z.B. die deutschen Lehrkräfte reden weniger und fragen mehr im Unterricht, das Umgekehrte gilt für die taiwanischen Lehrkräfte. Und sie haben laut Eßer (ebd.) bestimmte Erwartungen von den Lehr- und Lernformen: „D.h., sie gestalten hierzulande und heutzutage ihren Unterricht in der Regel kommunikativ und lernerzentriert - und sie erwarten in der Regel ein bestimmtes Verhalten der Lerner: sie sollen interessiert und aufmerksam sein, sie sollen rege am Unterrichtsgeschehen teilnehmen, mitdiskutieren, gerne <?page no="255"?> 255 auch mal etwas kritisch hinterfragen, und ihre Aufgaben möglichst individuell, innovativ und selbstständig lösen.“ Demgegenüber gestalten die taiwanischen Lehrkräfte den Unterricht lehrerzentriert, lehrergesteuert sowie frontal. Sie erwarten auch, dass die Lernenden beim Lernen fleißig sind und immer gute Noten bei den Prüfungen erzielen. Die genannten Sachverhalte werden durch die Unterrichtsbeobachtungen häufig bestätigt. 177 So spielen die kulturspezifischen Lern- und Lehrtraditionen eine nicht zu unterschätzende Rolle im unterrichtlichen Lern- und Lehrverhalten und müssen besonders bei der Gestaltung des interkulturellen Unterrichts berücksichtigt werden. Ohne sich der Unterschiede zwischen der eigenen und fremden Lern-/ Lehrtradtion bewusst zu werden, kann es passieren, dass die vom Unterrichtenden eingesetzten Lern- und Lehrkonzepte, die aus der Eigenkultur stammen, entweder der Zielgruppe kulturell, methodisch oder dem Lerngegenstand unangemessen sind. Dies behindert den Lern-/ Lehrprozess. Darauf werde ich in Kap. 8 (Didaktische Probleme) noch näher eingehen und konkret an Beispielen anführen. Für die Lehrenden ist es aus den oben genannten Gründen also wichtig und notwendig, sich darüber zu informieren, welche kulturellen Elemente gerade im DaF-Unterricht eine Rolle spielen. (Zum Folgenden vgl. Boeckmann 2010a und Eßer 2006) Sie brauchen genaue Informationen über die Lehr- und Lernkultur der Lernenden, zu den üblichen Inhalten, Arbeits- und Übungsformen etc. Von daher ist es notwendig, dass eine offene Atmosphäre im Unterricht die Kommunikation über mögliche beidseitige Befremdlichkeiten erlaubt. Der Erfahrungs- und Meinungsaustausch mit anderen Lehrkräften über Schwierigkeiten und deren Lösung kann helfen, mit den eigenen Ansprüchen und Erwartungen der Lernenden angemessen umzugehen, bzw. diese zu relativieren. Regionale Lehrwerke oder -materialien (d.h. speziell für diese LernerInnen und von gleichkulturellen AutorInnen mitkonzipierte) sowie regionale Unterrichtsformen sollten auch miteinbezogen werden. Auch die Sichtweise, dass sowohl die eigene als auch die fremde Lehr- und Lernkultur nicht statisch, sondern veränderlich ist, kann dazu beitragen, Schwierigkeiten zu überwinden und Hindernisse abzubauen. 177 Siehe z.B. in Kap. 7.2.1 (Auszug UT 7-3, S. 242) und 8.2.2 (Auszug UT 8-23, S. 364). <?page no="256"?> 256 7.2.3 Das hierarchische Lehrer-Schüler-Verhältnis In der vorliegenden Arbeit wird das hierarchische Lehrer-Schüler-Verhältnis als Faktor angesehen, der den Lernprozess stören oder aber auch fördern kann. Im vorliegenden Forschungskontext muss das im Zusammenhang mit dem Konfuzianismus betrachtet werden, da es durch den in Kap. 4.2.1 erwähnten konfuzianischen Einfluss entstanden und von daher im Unterrichtsverhalten bzw. in der Lerntätigkeit beobachtbar ist. Diese Auswirkungen zeigen sich sowohl in der Lehrer-Lerner-Interaktion als auch im unterrichtlichen Lernerverhalten. Je nach Herkunft der Lehrkraft (Muttersprachler oder Nicht-Muttersprachler) können sie jedoch auch unterschiedlich sein sowie dazu führen, dass muttersprachliche Lehrkräfte aufgrund ihrer Herkunft ein eher harmonisches und angstfreies Klassenklima schaffen bzw. von den Lernenden weniger ernst genommen werden, also mit negativen Folgen für ihren Lernprozess. Hingegen kann dieser Einfluss bei den nicht-muttersprachlichen Lehrkräften entweder zu verstärkter Aufmerksamkeit und Schweigsamkeit der Lernenden oder auch zu Angst, Passivität und Lernblockaden führen. Der Unterschied in der unterrichtlichen Lehrer- Lerner-Interaktion ist z.B. bei den nicht-muttersprachlichen Gruppen A (Auszug UT 7-4) sowie B (Auszug UT 7-5) und bei den muttersprachlichen Gruppen D (Auszug UT 8-37) und F (Auszüge UT 7-14 und 7-15) deutlich beobachtbar. An dieser Stelle soll der Einfluss der Lehrerautorität auf das Deutschlernen und den DaF-Unterricht anhand der Auswertung vom Fragebogen (1) und von Aussagen im Lehrerinterview sowie aus den Unterrichtsbeobachtungen erörtert und diskutiert werden. Das hierarchische Lehrer-Schüler-Verhältnis Wie bereits in 7.1.1 präsentiert wurde, zeigt die Auswertung der Fragen 13 und 14 von Fragebogen (1), dass nur jeweils 9,7% (Frage 13) und 28,3% (Frage 14) der Studierenden Fragen an ihren Lehrenden stellen, wenn sie im Unterricht Verständnisschwierigkeiten oder andere Probleme mit dem Inhalt des Unterrichts haben, obwohl die Lehrperson den Lernenden als einzige tatsächlich Hilfe zur Beseitigung der im Unterricht auftretenden Lernprobleme anbieten kann. So wurde in den Abbildungen 7-2 (Frage 13) und 7-3 (Frage 14) dargestellt, dass jeweils 65,1% der Studierenden das Vokabular lieber selber im Wörterbuch nachschlagen und 65,9% sich bei inhaltlichen Problemen im Unterricht auch lieber an ihre Mitstudenten wenden. Dieses Lernerverhalten wurde während der Unterrichtsbeobachtungen häufig beobachtet, wie z.B. in Auszügen UT 7-1 und 8-31 (vgl. 7.1.1 und 8.2.2). <?page no="257"?> 257 Es gibt viele Faktoren, die das genannte Lernverhalten verursachen können. Abgesehen von den individuellen Faktoren der Befragten (also z.B. Schüchternheit, Angst vor Gesichtsverlust etc.) kommen das traditionelle Lehrerbild mit der Lehrperson als Autoritätsfigur und das hierarchische Verhältnis zwischen Lehrenden und Schülern in der konfuzianisch geprägten Gesellschaft als Gründe in Betracht (vgl. dazu 4.2.1). Das hierarchische Lehrer-Schüler-Verhältnis bedeutet in der konfuzianisch geprägten Unterrichtskultur nicht nur, dass sich die Lernenden dem Lehrenden gegenüber während des Lernprozesses respektvoll und gehorsam benehmen müssen, sondern sie sollen die Gelehrsamkeit der Lehrperson auch respektieren. Dies prägt schon im Laufe der Schulzeit das Lernverhalten sowie die Lerntätigkeit tiefgreifend. Die früher gemachten Erfahrungen haben beispielsweise zur Folge, dass die Studierenden mit Vorwürfen der Lehrenden zu rechnen haben, wenn sie Fehler machen oder die von der Lehrperson verlangten Dinge nicht erledigen. Außerdem werden sie dem Lehrenden auch weder widersprechen noch Fragen an ihn stellen, selbst wenn irgendwas im Unterricht falsch erklärt wird oder sie etwas noch nicht verstanden haben. Dies könnte als Kritik oder Zweifel an der Kompetenz der Lehrperson empfunden werden. Einige konkrete Beispiele dafür aus dem Grammatikunterricht bei Gruppen A (Auszug UT 7-4) und B (Auszug UT 7-5) werden nun erörtert. Unterrichtssituation: Die Lehrperson erläutert an der Tafel den Gebrauch und die Verbformen der Modalverben mit Konjunktiv II. Während der Vermittlung merkt eine Studierende, dass die Endung bei manchen Verbformen nicht stimmt. Sie stellt Fragen an die Lehrperson, worauf diese die Fehler an der Tafel korrigiert. Die Reaktion der Lehrkraft sieht im Einzelnen wie folgt aus: Auszug UT 7-4: Gruppe A ‒ Unterrichtsgeschehen (30.09.2004, ca. 21: 55) L: ... wozu braucht man Konjunktiv II von Modalverben? Meistens als Vermutung, Unsicherheit, unsichere ( ). Ist Herr Müller jetzt im Büro? (S unterbricht) S1: 老師,那個 „sollen“ 跟 „wollen“ 的 „Du-Form“ 是不是少寫了個 „t“? <Lehrer, fehlt da nicht noch ein „t“ bei der Du-Form der Verben „sollen“ und „wollen“? > L: .......... 什麼意思我不懂? (schaut die Verbenflexion an der Tafel an ----) < ......... was meinen Sie? Ich verstehe nicht.> S1: 就是 (wollen 的 Du-Form) 不是 „test“ 結尾嗎?為什麼只有 „tes“? <Hat die Du-Form von „wollen“ nicht die Endung „test“? Warum steht hier nur „tes“? > <?page no="258"?> 258 L: ... ich sollte, du solltest, er sollte ... (schaut auf die Tafel und scheint zu überprüfen) S1: ... „test“ (viele sagen es gleichzeitig) L: 啊!這裡 (Sie-Form) ,最後一個 (Sie-Form) 這裡,對不起!這裡少寫了一個 „t“ (schaut die Verbflexion an der Tafel an und fügt „t“ bei Sie-Form hinein---) <Ach ja! Hier bei der Sie-Form. Die Verbendung der Sie-Form stimmt nicht. Entschuldigung! Hier fehlt noch ein „t“> S1: 老師, Du (-Form)? (einige KT sagen es gleichzeitig---) <Lehrer, und die Du-Form? > L: Du solltest (an der Tafel steht „du solltes“) ... 啊,對! (einige KT sprechen „du solltest“ mit) <Du solltest... ach ja, das stimmt! > S1: 還有 „wollen“ ,還有 „müssen“ 的最下面 (Sie-Form 也是少了 „t“) (einige KT sagen es gleichzeitig---------------------) <Und bei der Verbendung von „wollen und „müssen“ fehlt auch noch ein „t“ in der Sie-Form.> L: „Müssen“? Ja ... ich habe zu schnell geschrieben. So, ehm ... wo ist Herr Müller? Weißt du das? (viele KT sagen gleichzeitig „Es fehlt noch ein „t“ in der Sie-Form von „müssen“) Hm... ich weiß nicht genau. Er könnte ... er könnte ... im Büro sein. (wiederholt den Satz nochmal) „could be“ auf Englisch. He could be in the office. Er könnte jetzt im Büro sein, ich weiß aber nicht. S: ... (schauen die Lehrperson an oder an die Tafel) L: 或者是說,現在還是上班時間,下午三點鐘。 Er müsste ,如果我猜想的口氣稍微確定一 點, „Er müsste im Büro sein“。Ja, heute ist Arbeitstag, es ist drei Uhr Nachmittag, er müsste... theoretisch, normalerweise ist er im Büro, er müsste im Büro sein. Also, meistens drückt man eine Vermutung aus oder Unsicherheit... <Oder z.B. jetzt ist noch Arbeitszeit, also drei Uhr nachmittags. Er müsste, wenn meine Vermutung noch ein bisschen wahrscheinlicher ist, (...)> Die Lehrperson streitet die Fehler zwar nicht ab, scheint aber bemüht zu sein, sie zu überspielen, als „Flüchtigkeitsfehler“ abzutun und dann möglichst schnell auf etwas anderes zu sprechen zu kommen. Merkwürdig ist, dass die Fehler in der Du-Form trotz der Hinweise der Studierenden zuerst gar nicht wahrgenommen werden. Ob es sich hier um mangelnde Kompetenz oder ein Konzentrationsproblem der Lehrkraft handelt, bleibe dahingestellt. Jedenfalls möchte die Lehrkraft die Aufmerksamkeit der Studierenden schnell davon ablenken, vermutlich weil die Fehler als peinlich empfunden werden. <?page no="259"?> 259 Unterrichtssituation: Am Anfang der Stunde bespricht die Lehrperson mit der Klasse die häufig im Test auftretenden Fehler. In diesem Fall geht es um die Bedeutung von „sich an etwas erinnern“. Nach einem Erklärungsversuch ist diese einer Studierenden noch nicht klar, deshalb stellt sie Rückfragen. Auszug UT 7-5: Gruppe B ‒ Unterrichtsgeschehen (04.11.2004, ca. 6: 23) S: 可是為什麼不能說我記得,我爸爸媽媽是什麼時候結婚? (有些同學在笑,有些輕聲交談) <Warum darf man hier nicht sagen, ich erinnere mich noch daran, wann meine Eltern geheiratet haben? (einige KT lachen darüber, einige reden leise durcheinander)> L: 你可以說我知道,我爸爸媽媽什麼時候結婚 (提高音量,指著學生說---------) <Du kannst doch sagen, ich weiß, wann meine Eltern geheiratet haben. (hebt die Stimme und zeigt mit dem Finger auf die Studentin)> S: 可是... (被老師打斷---) <Aber... (der Lehrer unterbricht)> L: 那你那個知道,是人家告訴你。我還記得...我還記得(重複的強調) <Was du in dem Fall weißt, hat dir jemand erzählt. Ich kann mich noch daran erinnern... (betont wiederum)> S: 我還有寫 ( ) <Ich habe noch was geschrieben...> L: 你這個 „sich erinnern“ 就是那個意思啊! (有些急及激動------------) 所以,你不了解 „sich erinnern“ 這個動詞的意思 啊!這從內心裡面記憶的系統,把它調出一些。那...那你爸爸媽媽結婚(時),你在哪裡? (看著學生有點強勢的反問) 所以,我問你啊,你在哪裡? <Wie du „sich erinnern“ (im Test) verwendet hast, bedeutet doch genau das! “.(Etwas hastig und aufgeregt) Also hast du nicht begriffen, was „sich erinnern“ eigentlich bedeutet. Das heißt, etwas wird vom Gedächtnis abgerufen. So, wo warst du, als deine Eltern geheiratet haben, frage ich dich. (schaut weiter die Studentin an und wirkt etwas autoritär)> S: 喔!我還沒 ( ) (有些同學在笑) <Oh! Ich war noch nicht ( ) (einige KT lachen)> L: 所以說,那你怎麼知道,你爸爸媽媽什麼時候結婚?那你..你會經歷那個事情嗎?那是人 家後來告訴你的。所以你們說:「我知道我爸爸媽媽什麼時候結婚。」那知道是什麼? 那是人家轉介給你出去,轉介給你這個事實,對不對?(語氣堅定) <Also, woher weißt du, wann deine Eltern geheiratet haben? Kann es sein, dass du das selbst erlebt hast? Die Sache hat dir jemand erzählt. So sagt ihr, ich weiß, wann <?page no="260"?> 260 meine Eltern geheiratet haben. Was heißt hier eigentlich „wissen“? D.h., jemand hat dir davon erzählt, also von den Fakten, ja? (sehr bestimmt)> S: 那我可以說,我記得我爸媽什麼時候生了我嗎? <Kann ich dann sagen, ich erinnere mich daran, wann meine Eltern mich zur Welt gebracht haben? > L: 嗯...那..那我記得..我記得..你還是...那個是人家告訴你的,你還記得這個事情(有些遲疑) <Ehm... ich erinnere mich noch daran (wiederholt), ...diese Sache hat dir jemand erzählt, und du erinnerst dich somit noch daran. (zweifelnd)> S: 那我可以說,人家告訴我,我爸媽什麼時候結婚嗎? <Kann ich dann sagen, jemand hat mir davon erzählt, wann meine Eltern geheiratet haben? > L: 我說 „sich erinnern“ 這個動詞本身,你要了解它的意思啊! (顯得有些煩躁、激動,並用力打著試卷------------------) 從記憶系統裡面去勾引出一些 什麼東西,可是這個是你經歷過的...你假使沒有經歷過,你不能用這個 „sich erinnern“ , 所以反身動詞就是這個意思啊! Ja? <Ich meine, du solltest begreifen, welche Bedeutung das Verb „sich erinnern“ hat! (etwas genervt und aufgeregt, schlägt den Testbogen heftig mit dem Finger) Etwas, das vom Gedächtnis abgerufen wird, hast du selbst erlebt. Du kannst „sich erinnern“ nicht benutzen, wenn du die Sache nicht selbst erlebt hast. Das ist die Bedeutung der reflexiven Verben, ja? > S: ... (schaut die Lehrperson an, die anderen auch) L: 你沒有經歷過,你就不能用。 < Wenn du die Sache nicht selbst erlebt hast, kannst du „sich erinnern“ nicht benutzen.> Diese Frage der Studentin berührt eigentlich höchst interessante philosophische und soziale Aspekte, also z.B. die Frage, ob die Eltern nicht auch erst heiraten können, wenn die Kinder schon groß sind, oder die Frage, wann der Mensch sich seiner selbst eigentlich bewusst wird. Dies alles könnte auf humorvolle Art in die Erklärung der Lehrkraft einfließen und zum besseren Verständnis beitragen. Natürlich ist auch die Erklärung der Lehrkraft völlig korrekt, aber die autoritäre Haltung (mit dem Finger auf die Studentin zeigen, verärgerter Tonfall, „du solltest begreifen“ etc.) scheint nicht gerade dazu geeignet, das Lernklima und die Motivation der Studierenden zu verbessern. Bemerkenswert ist in beiden Situationen (Auszüge UT 7-4 und 7-5) das Lehrerverhalten bzw. die Lehrerreaktion auf die Unterrichtssituation. Die Rückfragen der Studierenden zu Unterrichtsinhalten zeugen davon, dass einige Studierende ihre Aufmerksamkeit tatsächlich auf die vermittelten Inhalte richten und mitdenken. Aber in Übereinstimmung mit den Um- <?page no="261"?> 261 gangsformen der konfuzianisch geprägten Gesellschaft, die den Lernenden keinen Widerspruch gegen die Lehrerautorität und keinen Zweifel an seinem Wissen erlaubt, wird das Korrekturverhalten bzw. Hinterfragen der Studierenden hier von den Lehrkräften als Kritik wahrgenommen, und bringt sie in den Konflikt, auf irgendeine Weise ihre Unaufmerksamkeit oder Unklarheit rechtfertigen oder das Gesicht wahren zu müssen. Auch wenn z.B. die Lehrperson bei A danach zugibt, dass die an der Tafel stehenden Verbflexionen nicht alle korrekt sind, versucht sie es krampfhaft als Flüchtigkeitsfehler abzutun. Und bei B verpasst die Lehrperson aufgrund ihres Autoritätsanspruchs die Gelegenheit, das Potenzial in der „dummen Frage“ einer Studentin kreativ zu nutzen. Diese Situationen zeigen, dass die Ursachen für das passive, rezipierende zurückhaltende und lehrerabhängige Lernverhalten der DaF-Studierenden im Lehrer-Schüler-Verhältnis gesucht und thematisiert werden müssen. Laut Witte und Harden (2010, 1327) wird die Lernmotivation wie folgt durch den Lehrprozess generiert: „Erfolgreiches Lernen setzt eine hohe Motivation des Lerners voraus, die auch durch den Lehrprozess generiert und aufrechterhalten wird, indem Lernende stets zum Hinterfragen angeregt werden, um so ihr Interesse am Lernstoff zu fördern.“ Gleichzeitig fördert dieses hierarchische Verhältnis aber auch in gewissem Maße das Deutschlernen, denn aus Angst und Respekt vor der Lehrperson und aufgrund des von ihr ausgeübten Drucks strengen sich die Studierenden im Unterricht auch an. Bemerkenswert ist außerdem, dass die Studierenden sich einerseits ausländische Lehrkräfte in der Rolle eines Freundes wünschen und nicht als Autorität, andererseits aber bei der Frage nach konkreten Verhaltensweisen dann von der Lehrperson doch Autorität und Druck erwarten, wie Grütter-Lin (2004, 214) in ihrer Studie für ihre Lernergruppe herausgefunden hat. Diese Erwartungen aber stellen nach den Aussagen der muttersprachlichen Lehrerprobanden auch ein Problem für den DaF- Unterricht dar. Die Gründe liegen laut Lehrkräften D und F darin, dass sie von Natur aus kein autoritärer Typ sind, es könnte aber auch damit zu tun haben, dass man in Europa den Autoritäten eher kritisch gegenübersteht. So fällt es ihnen schwer, sich als Lehrer oder Lehrerin wie eine Autorität zu benehmen. Unter diesen Umständen sind die Studierenden aufgrund ihrer herkömmlichen Erfahrungen im Umgang mit den Lehrenden irritiert und wissen nicht, wie sie mit dieser neuen, ungewohnten Unterrichtssituation umgehen sollen. Daher wählen sie häufig die einfachste Strategie − nichts machen, nicht reagieren, sich rezipierend und passiv verhalten − wie es bei den Unterrichtsbeobachtungen der Fall ist. Genau dieses Verhalten der Lernenden wiederum löst bei den muttersprachlichen Lehrenden Irritation aus, die an einer Universität motivierte und aktive Studierende erwarten. <?page no="262"?> 262 Dadurch wird auch die Kommunikation im Unterricht erschwert, und die Lehrperson bleibt deshalb oft im Ungewissen darüber, wo die Lernenden noch Probleme haben, was sie noch nicht verstanden haben, berichtet etwa Lehrperson E. Die Lehrkraft (Muttersprachler) und die Studierenden erfüllen also beide nicht die Rollenerwartungen, die sie aneinander stellen. Und dies führt natürlich dazu, dass das Deutschlehren und -lernen nicht reibungslos abläuft. Zur Diskussion der Lehrerrolle im DaF-Unterricht Die Rolle der Lehrperson ist im L2-Unterricht sowie im DaF-Unterricht von großer Bedeutung für den Lernprozess, da sie das Lernverhalten und die Motivation der Lernenden durch ihr didaktisches Handeln, ihr Fachwissen und ihre Persönlichkeit beeinflusst. Die Lehrenden bringen ein von ihrer Herkunftskultur bestimmtes Lehrerbild und Verständnis von ihrer Rolle und Funktion mit. Wie wir gesehen haben, herrscht im chinesischen Sprach- und Kulturraum eine hierarchisch orientierte Vorstellung vom Lehrer- Schüler-Verhältnis, es ist eher autoritär ausgerichtet und die Lehrperson nimmt die Rolle einer Autorität oder eines Lehrmeisters ein (vgl. dazu 4.2). Im westlichen Kulturraum orientiert sich die Rolle der Unterrichtenden eher an einer Funktion als Wissensvermittler, weiterhin auch als Lernhelfer, Lernberater bzw. Lernpartner. Diese unterschiedlichen Vorstellungen und Lehrerbilder können im interkulturellen Kontext zur widersprüchlichen Erwartung sowohl auf Seite der muttersprachlichen Lehrenden als auch der taiwanischen Lernenden führen und den Unterricht dann auf bestimmte Weise beeinflussen, wie es z.B. beim vorliegenden Forschungskontext der Fall ist. Für die DaF-Lehrkraft bedeutet dies, dass sie sich über die kulturbedingten Erwartungen der Lernenden an sie als Lehrperson klar sein sollte, um eventuelle Schwierigkeiten zu erkennen sowie die Möglichkeiten und Chancen in ihrer Situation nutzen zu können. Was die nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte betrifft, könnte sich ihre Verhaltensweise je nach Lernbzw. Unterrichtsphasen entsprechend wandeln, um ein hierarchiefreieres Lehrer-Lerner-Verhältnis und ein harmonischeres Unterrichtsklima zu schaffen. Eine Veränderung könnte den Lernenden im Lauf der Zeit helfen, das kulturbedingte Unterrichtsverhalten (z.B. Passivität, Zurückhaltung, Angst vor Gesichtsverlust, Achtung von Autorität etc.) zu regulieren oder aufzugeben (vgl. Mitschian 1999a, 45ff.). Die muttersprachlichen Lehrkräfte haben in diesem Kontext eine besondere Rolle, die über die herkömmliche Lehrerrolle hinausgeht, nämlich als Lernberater, Freund, Botschafter einer anderen Kultur, Sachautorität oder auch fremdsprachliches Vorbild (Düwell 2000, 42). Denn als Vertreter der zielsprachlichen westlichen Kultur stehen sie im Spannungsfeld zumindest zweier soziokultureller Lernkontexte (vgl. dazu 1.2.4). Sie müssen sich zu- <?page no="263"?> 263 nächst mit den Vorerfahrungen und Einstellungen der Lernenden zum (Deutsch)lernen vertraut machen, um sich der Differenzen zwischen der Kultur der Lernergruppe und ihrer eigenen Vorstellungen von Unterricht bewusst zu werden. Erst dann können sie angemessene didaktische Entscheidungen treffen und mit Problemen der Lernenden umgehen. Hier fehlen den Muttersprachlern als DaF-Lehrkraft nicht selten ausreichende Informationen über die Lernergruppe und ihre Lern- und Unterrichtskultur sowie unterschiedliche Rollenerwartungen und Bildungsziele. Aufgrund der fehlenden Lehrerfahrungen befinden sie sich häufig in folgender Lehrsituation: „Ohne Kenntnisse in der Landessprache, mit nur geringen Informationen über die Verhältnisse im Land und besonders in der Art des Fremdsprachenunterrichts fehlen die Voraussetzungen, um in der neuen Umgebung so wie Zuhause weiterarbeiten zu können.“ (Mitschian 1999a, 47) Im Hinblick darauf sind das interkulturelle Wissen sowie die fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten der Unterrichtenden hervorzuheben. Nur wenn die L2-Lehrkraft über gute zielsprachliche, fachliche Kenntnisse hinaus auch über eine fundierte soziokulturelle Kompetenz in beiden beteiligten Kulturen verfügt, ist sie in der Lage, die kulturellen Voraussetzungen betreffend Lehrer-Lerner-Verhältnis und Lernerverhalten zu verstehen sowie ihr didaktisch-methodisches Vorgehen je nach Unterrichtsphasen angemessen zu variieren (vgl. Witte / Harden 2010, 1331ff.). Die unterrichtliche Interaktion zwischen Lernenden und Lehrkraft beeinflusst häufig den Lernprozess und die Lernmotivation. Im interkulturellen Kontext hängt die Qualität dieser Interaktion aber von den Vorstellungen, die die Lehrkräfte aus ihrer Herkunftskultur mitbringen, und auch davon, was für ein Lehrerbild die Lernenden haben und welche Erwartungen sie an die Lehrkräfte stellen. Je nach Herkunftskultur der Lehrkraft ergeben sich verschiedene Probleme aufgrund der Erwartungen an die Lehrerrolle, und das Lehrerverhalten hat auch unterschiedliche Auswirkungen. Hierarchisch orientiertes Verhalten der Lehrkräfte kann dazu führen, dass die Lernenden eher passiv und still bleiben anstatt einen konstruktiven Umgang mit Fehlern, Fragen und Unklarheiten zu entwickeln. Dagegen kann das freundschaftliche Lehrverhalten dazu führen, dass die Lernenden aktiv werden und viele Fragen stellen, jedoch ist es notwendig, durch passende Organisationsstrukturen die Aufmerksamkeit der Lerngruppe zu lenken, damit die Lernenden nicht orientierungslos werden und sie die Angebote tatsächlich zum Üben nutzen. <?page no="264"?> 264 7.3 Sprachliche Probleme und Ursachen In diesem Kapitel werden die sprachlichen Probleme erfasst, die sich wie in 5.5.3 erwähnt in den unterschiedlichen Anwendungssituationen zeigen und aufgrund grammatikalischer Unklarheiten der Studierenden, Interferenzen in Form von negativem Transfer sowie Wortschatzdefizite entstehen. Sie sind Störfaktoren bei der Sprachproduktion und wirken sich hemmend sowohl im Lernprozess als auch bei der Sprachverwendung aus. In den folgenden Abschnitten stehen die Probleme im Mittelpunkt, die beim Umgang mit den ausgewählten Grammatikphänomenen entstehen. Die vorliegenden Daten werden in dieser Hinsicht analysiert und interpretiert sowie die Ursachen für die Schwierigkeiten dargestellt. 178 7.3.1 Grammatikalische Unklarheiten Ein unsicherer Wissensstand der Lernenden in Bezug auf die Regeln für Konjugation, Tempus, Deklination, Modus führt zu Unklarheiten und Problemen, so dass sie die relevanten Formen strukturell, funktional und situativ nicht eindeutig auseinander halten können. Aus der Gesamtauswertung der subjektiven Darstellungen zu Fragen 1.1, 2.1 und 3.1 des Lernerfragebogens (2) geht hervor, dass die grammatikalischen Unklarheiten für den Großteil der Studierenden ein Problem beim Lernen oder bei der Anwendung der drei untersuchten Grammatikthemen darstellen, wie Abb. 7-1 zu entnehmen ist (vgl. dazu 7.1.1). Die Verteilung sieht im Einzelnen wie folgt aus: bei den Präpositionen geben 75%, beim Zustandspassiv 61,4% und beim Konjunktiv II 63,6% der Studierenden an, dass grammatikalische Unklarheiten bestehen. Die Ursachen dafür sind je nach Grammatikthema verschieden und werden deshalb separat dargestellt und interpretiert. Präpositionen: situationsabhängiger Gebrauch und Deklination mit Kasus als Probleme Bei den Präpositionen sind nach studentischen Angaben zur Frage 1.1 im Fragebogen (2) der situationsabhängige Gebrauch und die Deklination (Kasus des Bezugswortes, auf das sich die Präposition bezieht) die Hauptprobleme. Das heißt, die Studierenden haben entweder schon während des Lernprozesses Verständnisprobleme oder sind sich bei der Anwendung der grammatikalischen Regeln nicht ganz klar, wann welche Präposition mit Akkusativ oder Dativ verwendet wird. Wie bereits in 4.1.1 erwähnt wurde, können die deutschen Präpositionen ja einerseits je nach Gebrauch in sehr 178 Diesbezügliche Daten sind: Lernerfragebogen (2), Grammatiktest, Lehrerinterview und Unterrichtsvideos. <?page no="265"?> 265 unterschiedlicher Weise auftreten, weil deren Bedeutung je nach Kontext anders ist. Andererseits verlangen die Präpositionen bzw. Präpositionalgruppen (Präposition + Bezugswort) einen bestimmten Kasus, so wird das dazugehörige Bezugswort (Nomen oder Pronomen) entsprechend dekliniert. Vermutlich spielen bei den Problemen die sprachstrukturellen Unterschiede zwischen Chinesisch und Deutsch auch eine Rolle, da die Präpositionen und die anderen Wortarten im Chinesischen wie bereits in 4.1.1 erwähnt unflektierbar sind und auch keine Flexionsformen besitzen. Obwohl die Studierenden bereits im Englischen ähnliche grammatische Phänomene kennen gelernt haben, ist für sie wie in 1.2.4 dargestellt die Flexion im Deutschen noch viel komplizierter. Aus den genannten Gründen fällt es ihnen deshalb schwer, die Präpositionen in den unterschiedlichen Kontexten und Bedeutungen mit dem richtigen Kasus korrekt zu verwenden. Dies lässt sich unten z.B. durch die Lehreraussagen bei Gruppe E (Auszug UT 7- 6) und die freie Anwendung der Lernenden bei F (Auszüge UT 7-7 bis 7-10) verdeutlichen. Auszug UT 7-6: Gruppe E - Fehlerkorrektur (31.12.2004, ca. 0: 05) L: ... und dann welche Fehler es gegeben hat. Fangen wir doch mal an mit Nummer eins, Markus! Wie muss es richtig heißen? Satz Nummer eins. S: Die... L: Könnten Sie mal vorlesen? S: ... (nach 5 Sek.) auf L: Ja, machen Sie den ganzen Satz! Lesen Sie mal! S: Die Wäsche hängt auf der...Wäscheleine. L: Ja, richtig, die Wäsche hängt auf der Wäscheleine. Ehm..einige Studenten haben geschrieben „an“ oder „über“, wir haben gesagt ja, das ist ok. Aber auf Deutsch sagen wir normalerweise „auf“. Wir sagen das so, obwohl natürlich „an“ und „über“ auch nicht falsch ist. Okay, machen dann Nummer 2, Natacha! Unterrichtssituation: Bei Gruppe F müssen alle Kursteilnehmer im Unterricht ein Kurzreferat halten, und zwar in Form einer Bildbeschreibung. Das Bild müssen die Lernenden selbst aussuchen und die Beschreibung zu Hause vorbereiten. So präsentieren pro Sitzung jeweils 2 bis 3 Personen ihr Bild. Bei dieser freien Anwendung der Zielsprache ist häufig zu bemerken, dass Präpositionen, der dazu zählende Kasus sowie Präpositionalgruppen funktional oder situativ falsch gebraucht werden. Im Folgenden werden einige Beispiele präsentiert und analysiert. <?page no="266"?> 266 Auszug UT 7-7: Gruppe F - Fehlerbeispiel (1) (27.09.2004, ca. 16: 31) S1: In diesen Sommerferien bin ich nach Deutschland gefahren und ehm...und ich habe immer noch versucht, das in eine deutsche Film zu sehen...ich habe...aber es gibt nie eine Untertitel in deutsche Film. So...deshalb (L unterbricht) L: Untertitel, ja, was ist das? Das musst du schnell erklären! (schreibt das Wort an die Tafel------------) S1: 字幕 (übersetzt es ins Chinesische) <Das heißt auf Chinesisch „zìmù“.> Analyse: In den oben unterstrichenen Lerneräußerungen lässt sich erkennen, dass die Präpositionsfehler hier nicht nur allein durch falschen Kasus (in deutsche Film* → im deutschen Film) verursacht wurden, sondern auch durch pragmatische Abweichung (z.B. das in eine deutsche Film zu sehen* → einen Film auf Deutsch bzw. in der deutschen Sprache zu sehen). Auszug UT 7-8: Gruppe F - Fehlerbeispiel (2) (11.10.2004, ca. 13: 46) S2: Heute interpretiere ich ein Bild von Jimmy. Das Bild kommt aus…der Buch...kommt...ehm aus dem Buch…„Im U-Bahn“. (L unterbricht) L: Die U-Bahn S2: Auf dem Bild sieht man eine Frau, ( ) graue Treppe zusammen mit zwei Wänden, die ist ein Eingang zu der U-Bahn. L: Also gut, eine graue Treppe, sagen Sie ne. Das ist die Treppe mit Geländern, ja? Der Eingang zur U-Bahn. S2: Und auf der Wand der Treppe kachelt man mit blauen und weißen Kacheln. L: Das sind blaue und weiße Kacheln, genau. Analyse: Außer der falschen Kasuswahl (Im U-Bahn*) weist die Lerneräußerung „ ... auf der Wand der Treppe* kachelt man mit blauen und weißen Kacheln“ noch einen Präpositionsfehler und eine pragmatische Abweichung aufgrund von L1-Interferenz auf. Denn der ganze Satz ist höchstwahrscheinlich eine wörtliche Übersetzung des Chinesischen „zài lóutī de qiángshàng tiēm ǎ n lánsè gēn báisè de cízhuān :在樓梯的牆上貼滿藍色跟白色的瓷磚 “, aber in diesem Fall würde man auf Deutsch etwa sagen: → An der Wand (des Treppenaufgangs) sieht man blaue und weiße Kacheln bzw. → Die Wand ist gekachelt/ gefliest mit blauen und weißen Kacheln. <?page no="267"?> 267 Zu bemerken ist, die Präpositionen auf und an können im Deutschen zwar beide zur Bezeichnung von statischem Kontakt verwendet werden, aber hier ist nur an möglich. Auszug UT 7-9: Gruppe F - Fehlerbeispiel (3) (11.10.2004, ca. 21: 23) S3: Aus dem...auf dem Bilder, man kann sehen...es schneet, es schneit. Auf dem Bild der ( ) gibt es einen Platz, es gibt keine Dinge auf dem Platz. Vom Platz gibt es weniger Gräser. Im Hintergrund gibt es viele Baut...viele Baut (scheint unsicher und schaut L an) L: Bauten, ja die Gebäude, Bauten...hier und hier (zeigt auf das projizierte Bild) Analyse: In diesem Fall wurde der in der Lerneräußerung auftretende Fehler durch die falsche Präposition (also Vom Platz* gibt es weniger Gräser) verursacht. Mit von ist der Satz dann semantisch nicht sinnvoll. Die Präposition von wird verwendet, um eine Richtung oder einen Ausgangspunkt anzugeben. So ist hier aus kontextuellen Gründen nur vor als Lokalangabe möglich, es muss also heißen vor dem Platz. Auszug UT 7-10: Gruppe F - Fehlerbeispiel (4) (18.10.2004, ca. 29: 09) L: (...), zwei Student..en? (zweifelnd, schaut das Bild an) S4: Ja. L: Studentinnen! Ja. (S4 stimmt L zu und sagt auch ja) S4: Und eine liegt im Zimmer legen. Das Foto ist ein Werbung über Ton..Tonikum. 就是 補品 (übersetzt „Tonikum“ ins Chinesische) L: Ja, Tonikum. Das ist eine Werbung für ein Tonikum. Ich schreibe das an. Einen Moment! (schreibt „Tonikum“ an die Tafel) S4: Die Jungen...legen...bauen Hintergrund und stellen seine Arm und...und seine Kopfe auf den Schreibentisch. Außerdem..gibt es eine Buch..auf seine Kopfe bleiben. Und (L unterbricht) L: Ehm..Moment! Ein Buch auf seinem Kopf? S4: Ja. (Kopfnicken) L: Ach ja, er hat ein Buch auf seinen Kopf gelegt. (schaut das Bild an und sagt zu allen KT----) <?page no="268"?> 268 Analyse: Präpositionsfehler und die falschen Ausdrücke werden gleich von der Lehrkraft korrigiert, während die Studentin die Werbung für das Tonikum vorstellt. Z.B. in der Lerneräußerung „Werbung über* Tonikum“ ist die Präposition über für diesen Kontext nicht geeignet, besser ist für, obwohl die Präpositionen über und für beide kausale Funktion haben und zur Bezeichnung des Zwecks oder der Absicht verwendet werden. Als Kausalangabe wird die Präposition über generell von einem Nomen, einem Verb bzw. einem Adjektiv verlangt und ist deshalb bedeutungsneutral bzw. -leer, weil sie ihre eigentliche Bedeutung nicht entfaltet (vgl. Duden 2006, 613). Und die Äußerung „ ... gibt es eine Buch auf seine Kopf bleiben“ weist nicht nur einen Kasusfehler (z.B. auf seine Kopf*) auf, sondern auch eine pragmatische Abweichung. Im Deutschen könnte man außer der oben von der Lehrperson präsentierten Möglichkeit z.B. auch sagen „ ... gibt es ein Buch, das auf seinem Kopf liegt“. Zustandspassiv und Konjunktiv II: Unklarheiten beim Gebrauch und morphosyntaktische Probleme Aufgrund der Ergebnisse der Befragung wird das Lernproblem grammatikalische Unklarheiten bei Zustandspassiv und Konjunktiv II in drei Kategorien unterteilt, nämlich in Schwierigkeiten, die durch Gebrauch, Satzstruktur und Tempus (Zeitformen) bzw. Konjugation (Verbflexion), entstehen. Diese Faktoren werden hier getrennt betrachtet, obwohl sie natürlich miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Verteilung auf die einzelnen Kategorien sieht wie folgt aus. Abb. 7-11: Ursachen für grammatikalische Unklarheiten bei Zustandspassiv und Konjunktiv II 37,1 22,9 3,6 32,1 20,0 9,3 0 10 20 30 40 50 60 70 Gebrauch Konjugation bzw. Tempus Satzstruktur (%) Kategorien Grammatikalische Unklarheiten Zustandspassiv Konjunktiv II N=140 <?page no="269"?> 269 Abbildung 7-11 zeigt eine ähnliche Verteilung der Problemursachen bei den beiden Grammatikthemen. Das Hauptproblem besteht darin, dass dem Großteil der Befragten der Gebrauch des Zustandspassivs und des Konjunktiv II nicht klar ist. An zweiter Stelle kommen morphosyntaktische Unklarheiten, die sich auf die Konjugation, Tempus sowie Satzstruktur beziehen. Nach studentischen Angaben können die verschiedenen Formen situativ oder strukturell nicht klar auseinander gehalten werden oder sind einfach nicht vertraut. Deshalb wissen die Lernenden häufig nicht genau, wann welche Satzform oder welches Tempus gebraucht werden sollte. Außerdem stellt auch die Konjugation an sich schon ein Problem dar. Bei den Passivsätzen existieren einerseits verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten 179 und andererseits aufgrund der verschiedenen Funktionen noch entsprechende Formen, also Vorgangs-, Zustandspassiv und Passiv mit Modalverben. Bei diesen vielen Formen besteht häufig ein großes Durcheinander. Und wegen der fehlenden Übungsbzw. Vertiefungsphase können die Studierenden das Vorgangs- und Zustandspassiv nicht klar voneinander unterscheiden. Wie die Lehrperson F im Fragebogen (Frage 26) nennt, liegt eins der Lernprobleme beim sein-Passiv darin, „wenn die Studenten das selbst anwenden sollen, entsteht ein großes Durcheinander, da sie verschiedene Formen nicht klar genug auseinander halten können“. Das heißt, die Studierenden haben diese zwei Satzformen strukturell, funktional bzw. situativ nicht wirklich verstanden und verwechseln sie bei der Anwendung deshalb sehr häufig. Dies ist anhand der Fehleranalyse vom durchgeführten Grammatiktest deutlich erkennbar (vgl. Tabellen 7-10 und 7-11). Oder der Gebrauch vom Passiv und Aktiv wird verwechselt, wie es unten beim Referat (Auszug UT 7-11) der Fall ist. Auszug UT 7-11: Gruppe F - Fehlerbeispiel (27.09.2004, ca. 16: 11) S: Seitdem ich „Shrek I“ im Kino gesehen habe, ja, mag ich sehr...diesen Film sehr gern. Und dann...danach habe ich gehört, dass „Shrek II“...in den Sommerferien gelaufen wird. Hm... Der Strukturvergleich zwischen Deutsch und Chinesisch könnte eine Verständnishilfe und Lernerleichterung beim Zustandspassiv sein. Denn einerseits hat das Zustandspassiv (sein-Passiv) im Deutschen auf der syntaktischen und semantischen Ebene sehr ähnliche Funktionen wie im Chinesischen; andererseits ist es in den beiden Sprachen als eine vom Vorgangspassiv (werden-Passiv) abgeleitete Form anzusehen (vgl. 4.1.2). Die kontrastive 179 Bei den Passivsätzen gibt es im Deutschen vier Formen, nämlich „werden + Partizip II“, „sich lassen + Infinitiv“, „sein + zu + Infinitiv“ und „sein + -bar/ lich“. <?page no="270"?> 270 Analyse könnte somit zur leichteren Unterscheidung von Vorgangs- und Zustandspassiv und besserem Verständnis von dessen Funktionen und Strukturen beitragen. Die Frage ist nur, inwiefern der Sprachvergleich dabei zur Erleichterung des Grammatikverständnisses beiträgt. Dies sollte in Zukunft noch weiter untersucht werden. Genau die eben genannten Probleme sind auch beim Erlernen des Konjunktiv II vorhanden, wie z.B. der situationsabhängige Gebrauch in Bezug auf Wünsche, Bitten, Ratschläge oder irreale Wünsche, Bedingungen, Vergleiche etc., die funktionale bzw. strukturelle Verwirrung zwischen Konjunktiv I und II, die Probleme mit den verschiedenen Zeitformen etc. Nicht verwunderlich ist, dass 37,1% der Studierenden große Lernprobleme sowohl mit Konjugation und Tempus als auch mit der Anwendung des Konjunktiv II haben. Der Grund dafür könnte in den Abweichungen zwischen Ausgangssprache und Zielsprache liegen, was auf die in 4.1.1 und 4.1.2 besprochenen Aspekte zurückgeführt werden kann. Belege dafür: Auszug UT 7-12: Gruppe F - Fehlerbeispiel (11.10.2004, ca. 53: 28) L: Weiter! Wer hat auch Lust, sein Bild vorzustellen? S: ... (viele senken den Kopf und schauen auf ihr Blatt) L: Wen fragen wir da mal? ... Katja vielleicht! Katja, ja? S: Ich möchte auf den „Yushan“ stehen. L: Stehen, ja! S: Und ich bin ... ZIEGE L: Die Ziege? (scheint unsicher) S: Ich werde ... L: Eine Ziege, wirklich? S: ... (antwortet mit Kopfnicken) L: Eine Ziege. ... Sie möchten als Ziege. (schreibt das an die Tafel-------) S: ... (winkt mit der Hand „nein“) L: Nein? S: SIEGE (produziert nochmal die Laute) L: ... (schreibt „Sieger“ an die Tafel), SIEGER, SIEGER, das? <?page no="271"?> 271 S: SIE, SIE ... (L kommt zu ihr und schaut den Entwurf an) L: Ja, ich habe gesiegt, ich bin Siegerin. Siegerin, die Siegerin. Eine Frau als Siegerin. Ja, Sie haben also sich auf diesen Berg gestiegen und sind deshalb als Siegerin, kann man sagen, ja! S: 就這樣而已! <Das war alles! > L: Gut, das ist alles! Und sagen Sie, was würden Sie denn tragen? Kostüm oder einfach Kleidung ne? Welche Kleidung würden Sie tragen als Bergsteigerin? S: Ich trage weiß ( ) L: Bitte! Weiß? S: Weiß ( ) L: Als Sportkleidung vielleicht? Oder Reisekleidung? Und S: Sportkleidung (spricht ganz leise) Auszug UT 7-13: Gruppe F - Fehlerbeispiel (11.10.2004, ca. 56: 32) L: Sie haben die Hand gehoben S: Ich werde eine DOMP( ) L: Ein Dorf, was? S: ... (zeigt der Nachbarin den Entwurf und murmelt) L: TÜR? S: ...ehm ( ) L: Dann buchstabieren Sie´s! S: (buchstabiert) D-O-M L: Ein bisschen lauter! S: (buchstabiert) D-O-M-P-T-E L: Was nachher? S: (buchstabiert) T-E-U-R L: Ach Dompteur, ja, der Dompteur. Ja. Das ist Französisch. Das ist ja ein bisschen schwierig, das auszusprechen. Dompteur, was ist Dompteur? <?page no="272"?> 272 S: ... (schaut L an, viele andere auch) L: Dompteur ist einer, der wilde Tiere dressiert, z.B. Tiger oder Löwen so, ja? Hm..also gut, Anna will eine Dompteurin werden S: Ich möchte ein Anzug tragen. L: Einen Anzug natürlich. S: Das sieht schön aus. Und..deshalb kann ich im Zirkus... arbeiten. Vielleicht kann ich viel Geld verdienen. L: Also, Sie würden einen sehr schönen Anzug anziehen. Und Sie könnten so viel Geld damit verdienen. Und vielleicht müssten Sie auch einen ziemlich dicken Anzug anziehen, wenn Sie gebissen werden...von dem Tiger. S: Ich glaube nicht. L: Der würde nicht beißen ne! Im Deutschen wird das Tempus durch die Konjugation des Verbs festgestellt und realisiert. Das heißt, die verschiedenen Zeitformen drücken sich durch Formveränderung des betreffenden Verbs aus, so dass die Aussageweise (Modus) z.B. hier beim Konjunktiv II durch morphologische Merkmale des Verbes und syntaktische Regeln (Wortstellung) erkennbar ist. Bei der Anwendung müssen alle eben angesprochenen Regeln mit berücksichtig werden, wohingegen die Verben im Chinesischen mangels Flexionsformen in allen Zeitformen unverändert bleiben. Die Zeiten werden entweder durch zusätzliche Zeitangaben oder durch Signalwörter zum Ausdruck gebracht (vgl. 4.1.1). Der Modus erschließt sich erst aus dem jeweiligen Zusammenhang, deshalb sind die Konjunktivsätze im Chinesischen wie bereits in 4.1.2 erwähnt lediglich durch die Konnektoren, die dazugehörigen Adverbien sowie deren semantische Beziehung zum Kontext als solche erkennbar. Darüber hinaus macht den Studierenden mit Chinesisch als Muttersprache auch die Flexion Probleme, sowohl die von Verben generell, als auch die bei der situativen Anwendung der Zeitformen des Konjunktiv II. Dies wurde bereits in den Arbeiten von Zhang (1982), Sui (1985) und Hsu (2006, 242) diskutiert. Im Chinesischen ist zwar kein Flexionssystem vorhanden, aber es existieren auch konjunktivische Sätze, und diese haben wie genannt z.B. bei den hypothetischen Sätzen bzw. Bedingungssätzen sehr ähnliche lexikalische und semantische Funktionen wie im Deutschen (vgl. 4.1.2). Dies leistet zwar einen Beitrag zum besseren Verstehen des situativen Gebrauchs des Konjunktiv II, weil anhand der sprachkontrastiven Konzepte die Ähnlichkeit oder Gemeinsamkeit zwischen der Ausgangssprache und Zielsprache das L2-Erlernen erleichtert. Das Verstehen des Lerngegenstandes bedeutet aller- <?page no="273"?> 273 dings noch nicht, dass man das Gelernte dann tatsächlich in der Sprachpraxis anwenden kann. Durch den für die vorliegende Arbeit durchgeführten Grammatiktest wurden die bisher genannten grammatikalischen Unklarheiten zu den drei untersuchten Grammatikthemen erkannt und bestätigt. Da die Ursachen zum Teil mit den sprachstrukturellen Unterschieden zwischen Chinesisch und Deutsch zusammenhängen, können sie durch eine Fehleranalyse unter dem Aspekt „Interferenzen“ betrachtet sowie diskutiert werden. Eine solche Analyse der im Grammatiktest aufgetretenen Fehler soll im folgenden Kapitel 7.3.2 durchgeführt werden. Erwähnenswert ist an dieser Stelle aber, dass beim Zustandspassiv und Konjunktiv II die grammatischen Unklarheiten in Bezug auf die Struktur, die Funktion und den Gebrauch vorwiegend durch den durchgeführten Test erwiesen werden können. Dies hat mit der Unterrichtsgestaltung und dem Unterrichtsstil von Lehrkräften zu tun. D.h., die Datenerhebung und -auswertung hängt davon ab, was für eine Art vom Unterricht angeboten wird (also lehrerbzw. lernerzentriert) und was für einen Typ von Übungsaufgaben zum Lerngegenstand eingesetzt wird (also z.B. Übungen oder Aufgaben? Offene, geschlossene oder halbgeschlossene? ). Und der Sprachstand der Lernenden und deren Ausdrucksfähigkeiten stellen dabei auch eins der Einflussfaktoren dar. Konsequenzen für die Unterrichtspraxis Durch die o.g. grammatischen Unklarheiten sind hier nicht nur die Lernschwierigkeiten hervorzuheben, sondern auch die didaktisch-methodischen Probleme. In Hinsicht darauf sollten die didaktisch-methodischen Konzepte der Lehrkraft flexibel und wechselhaft sein, d.h., je nach Besonderheiten der behandelten Grammatikthemen sollte die Lehrkraft didaktisch und methodisch entsprechend variieren, also in Bezug auf die Materialwahl und die Vorgehensweisen. Da die hier genannten grammatischen Unklarheiten teils durch die falsche grammatische Konstruktion (d.h. falsche Regeln z.B. bei Deklination, Verbflexion, Zeitformen etc.) und teils durch das unklare Verständnis von Satzstruktur und Gebrauch verursacht worden sind. Von daher ist auf der Lernerseite wichtig, dass die Lernenden dabei die Regeln gewissenhaft und präzise lernen, um bei der Anwendung darauf zurückgreifen zu können. Auf der Lehrerseite ist didaktisch zu beachten, dass durch den Einsatz der angemessenen Materialien und der Vorgehensweisen die Grammatikphänomenen funktional, strukturell sowie situativ veranschaulicht und ihre Komplexität reduziert werden soll, wie z.B. durch visuelle Hilfsmittel bzw. textuelle Kontexte. Dabei muss aber der Sprachstand der Lernenden und die jeweilige Lernphase immer mit berücksichtigt werden. Hier ist es z.B. bei der Vermittlung bzw. Behandlung der Präpositionen sinnvoll, sie nach den Funktionen (temporal, modal, lokal, kausal sowie <?page no="274"?> 274 neutral 180 ) zu unterscheiden und die gleiche Präposition angesichts deren Multifunktionalität möglichst in verschiedenen Gebrauchssituationen zu behandeln, und zwar in Form von Bild, Text bzw. Dialog. Erst im Anschluss daran wäre eine systematische Zusammenfassung oder ein tabellarischer zusammenfassender Überblick je nach Rektion (z.B. Präpositionen mit Akkusativ, mit Dativ bzw. mit Genitiv etc.) bzw. Präpositionalgruppen (z.B. Adjektive mit Präpositionen, Verben mit Präpositionen etc.) sinnvoll und hilfreich, weil die Lernenden dadurch einen klaren Überblick über die Funktion und die Kasusrektion der Präpositionen gewinnen und auch zur besseren Einsicht kommen könnten. Dies hat sich auch ein Teil der Lernenden (also 27,1 %) bei Frage 3.1 des Fragebogens (1) didaktisch-methodisch erwünscht und vorgeschlagen (vgl. Tabelle 8-1 in Kap. 8.1.2). So trägt die Erforschung von isolierten Einzelsätzen beim Vergleich vom Vorgangs- und Zustandspassiv ohne bildliche Veranschaulichung didaktisch nicht genau zum Verständnis für die richtige Verwendung beider Formen bei, wie in Tabelle 8-10 gezeigt wird (vgl. 8.2.1). Aus diesem Grund ist die Vorgehensweise innerhalb von Unterrichtssequenzen besonders wichtig: Zuerst die bildliche Veranschaulichung, danach die Einübung mit situativen Texten. Beim Konjunktiv II geht es darum, die Formen hinsichtlich der Funktion und Bedeutung in verschiedenen Gebrauchssituationen einzusetzen. Hier ist die Analyse von isolierten Beispielsätzen für das Grammatikverständnis auch nicht hilfreich, sondern verwirrt die Lerner. Da der Konjunktiv II im Deutschen wie bereits in 4.1.2 dargestellt durch die Modusform des Verbs ablesbar ist. Von daher liegen die Lernschwierigkeiten dabei sowohl im morphosyntaktischen Bereich als auch im Modusgebrauch vor. In Hinblick darauf können die Lehrkräfte zum Lernerfolg beitragen, indem sie die angemessenen Materialien zur Veranschaulichung der grammatischen Varianten (also Verb-, Zeit- und Satzform) und des Gebrauchs einsetzen, die zum besseren Verständnis dient, wie z.B. die Situationsbilder, worauf die Beispielsätze in Bezug auf die Regeln und den Gebrauch in einem textuellen und situativen Zusammenhang eingebettet sind (vgl. 8.4). Erwähnenswert ist aber, nach der gelenkten Einübungsphase bzw. bei der Wiederholung wäre didaktisch sinnvoll, eine kreative / inhaltsorientierte Lernphase für das kooperative Lernen im Unterricht gestaltet zu werden. Dies zielt nicht nur darauf ab, dass sich die Lernenden selber durch die gedankliche Verarbeitung und die gemeinsame Bearbeitung mit den vermittelten Inhalten klar auseinander setzen, um ihr L2-Lernen weiter zu entwi- 180 Nach Duden-Grammatik (2006, 613) wird die neutralen (leeren) Präpositionen als Verbindungsglied ohne eigene Bedeutung verstanden, wie es z.B. bei Verben, Nomen bzw. Adjektiven mit festen Präpositionen der Fall ist. <?page no="275"?> 275 ckeln, sondern ermöglicht auch, dass die Lernenden miteinander und voneinander lernen. D.h., das Lernen vom jeweiligen Gegenstand (also z.B. hier Grammatik) wird in der Gruppenarbeit und in Form des aufgabenorientierten Lernens durchgeführt. Dabei wird laut Müller-Hartmann et al. (2005, 2) großen Wert eher auf das Aushandeln und Schaffen der Bedeutungen gelegt und weniger auf das Einüben bzw. die Verwendung des Gelernten (z.B. hier sprachliche Form oder Struktur). Darüber hinaus ist die Art der Aufgabenstellung von großer Bedeutung. Die Aufgabenstellungen und ihre Zielsetzung sollten offen angelegt sowie klar sein. Dies ermöglicht nicht nur, dass sich die Lernenden mit den Lehr-/ Lerninhalten auseinander setzen, sondern auch, dass ihr L2-Lernen durch den bewussten Umgang mit den eigenen Lernproblemen (z.B. hier die grammatischen Unklarheiten) gefördert wird. 7.3.2 Interferenzen Interferenzen entstehen wie bereits in 1.3 dargestellt bei der Übertragung unpassender Sprachelemente bzw. -strukturen. Sie sind nicht nur die Ursache von Lernproblemen bei allen drei untersuchten Grammatikthemen, sondern auch Indikatoren für bestehende Lernschwierigkeiten sowie den Lernstand. Sie wurden zum einen durch die Ergebnisse des Grammatiktests ermittelt, zum anderen auch durch die Lehrerbefragung bestätigt. Die Testergebnisse geben nicht nur einen Überblick über den erreichten Sprach- und Lernstand der Probanden, sondern auch über die möglichen Interferenztypen, die auf den verschiedenen linguistischen Ebenen (also morphologisch, syntaktisch bzw. semantisch) vorkommen. Durch die Fehleranalyse lassen sich einerseits die zuvor in Kap. 7.3.1 dargestellten grammatikalischen Unklarheiten nachweisen und andererseits der Einfluss sprachlicher Interferenzen auf den Erwerb der drei untersuchten Grammatikthemen aufzeigen und erklären. Interlinguale und intralinguale Interferenzen Die interlingualen Interferenzen, d.h. die störenden Einflüsse der Muttersprache auf die Zielsprache, tauchen hier den erhobenen Daten 181 nach zu schließen vor allem auf der lexikosemantischen Ebene auf. Sie zeigen sich in den lexikalischen bzw. semantischen Abweichungen, die vorwiegend durch Übertragung der chinesischen Elemente auf das Deutsche (Übergeneralisierung) verursacht werden, wie z.B. im Fall von „etwas hängt an der Decke“: Auf der Decke* hängt eine Lampe. (falsch) An der Decke hängt eine Lampe. (richtig) 181 Also Grammatiktests. <?page no="276"?> 276 Die Präpositionen auf oder an können im Deutschen beide verwendet werden, um den statischen Kontakt mit etwas anzugeben. Das Chinesische kennt keine Unterscheidung zwischen diesen beiden Bedeutungen, beide können mit der Präposition „ 在...上 (zài ... shàng)“ ausgedrückt werden. Auf wird aus diesem Grund häufig übergeneralisiert. In diesem Beispiel ist im Deutschen aber nur an möglich. Obwohl auf der Decke natürlich grammatikalisch an sich nicht falsch, sondern nur für den genannten Fall nicht geeignet ist. Bei den intralingualen Interferenzen handelt es sich um Ursachen für Fehler, die durch Unklarheit oder Unsicherheit im Gebrauch der Zielsprache entstehen, wie z.B. bei der Verbflexion (Konj. II: ihr häbt* ‒ ihr hättet), Partizipbildung (ist gewascht*/ gewachsen* ‒ ist gewaschen) etc. Gemäß der Auswertung des Grammatiktests kommt dies vor allem auf der morphosyntaktischen Ebene vor und kann auf die Merkmale der Zielsprache zurückgeführt werden. Außerdem hängen die Fehler aber teils auch mit der Form der gestellten Testaufgaben zusammen und sind deshalb bei jedem Grammatikthema etwas anders. Deswegen werden sie später z.B. bei den Themen Zustandspassiv und Konjunktiv II jeweils in folgende drei Kategorien unterteilt: A. Richtige Konstruktion des untersuchten Grammatikphänomens wurde intendiert, aber die Antwort bzw. der Satz ist aus anderen Gründen falsch, wie z.B. falsche Partizipbildung (ist gewascht*), falsche Personalendung (ihr wärte*) etc. B. Falsche Konstruktion des untersuchten Grammatikphänomens, wie z.B. Perfekt statt Passiv (hat* gewaschen), Präteritum statt Konjunktiv II (ihr wart*) etc. C. Falsche Konstruktion des untersuchten Grammatikphänomens und zusätzlich noch Fehler aus anderen Gründen. D.h. außer A und B gehört der Rest zu Mischfehlern, also Fehlern mit mehr als einer Ursache, wie z.B. (hat* gewuscht* ‒ ist gewaschen), (ihr ist* ‒ ihr wärt/ wäret) etc. Die Fehler in den Kategorien A und B zählen zu den Performanzfehlern, die Verstöße gegen die zielsprachlichen Normen sind und von Lernern möglicherweise identifiziert sowie selbst korrigiert werden können; diejenige in der Kategorie C hingegen zählen zu Kompetenzfehlern, die die Lerner wahrscheinlich nur teilweise verstanden haben und somit nicht selbst erkennen bzw. korrigieren können (vgl. 1.3.2). Im Folgenden werden nur die bei mehr als der Hälfte aller Probanden gemachten Fehler und deren Ursachen bei den betreffenden Grammatikthemen ermittelt, dargestellt sowie interpretiert. <?page no="277"?> 277 I. Präpositionen Im Testteil I wurden die Präpositionen getestet, die lokale, modale sowie temporale Funktion haben und mit bestimmten Verben zusammen stehen. Als Testbeispiele:  Für das lokale Verhältnis 1. ( ) Gestern habe ich ein neues Bild bekommen. Es hängt schon ________ Wand. (1) über der (2) an die (3) an der (4) über die  Für das modale Verhältnis 5. ( ) Fährst du heute __________ Bus zur Schule? - Ja, mein Moped ist kaputt. (1) bei (2) bei dem (3) mit (4) mit dem  Für das temporale Verhältnis 6. ( ) Ich gehe jetzt zur Uni und bin zwei Stunden wieder zurück. (1) in den (2) nach den (3) in (4) nach  Für Verben mit fester Präposition 8. ( ) A: Wann wirst du mit dem Studium in Deutschland beginnen? B: Es kommt an, ob ich einen Studienplatz an der Uni bekomme. (1) × (2) davon (3) auf (4) darauf Je nach Verhältnis und Kontext verlangen die Präpositionen einen unterschiedlichen Kasus (also Rektion). Die Bedeutung und Gebrauchsweise davon lassen sich generell aus dem Kontext erkennen. Mit Hilfe des Tests sollen die möglichen sprachlichen Elemente, die dabei als Lernprobleme bzw. schwierigkeiten gelten, ermittelt und analysiert werden. Tabelle 7-4: Anzahl falsche Antworten bei den Präpositionen Fragen Versuchsgruppen insgesamt (%) (N=161) A (N=33) B (N=18) C (N=21) D (N=42) E (N=25) F (N=22) 1. 1 4 2 10 3 6 26 16,1 2. 3 1 4 12 2 3 25 15,5 3. 5 5 7 18 3 4 42 26,1 4. 21 9 18 22 18 14 102 63,4 5. 2 3 2 24 4 4 39 24,2 6. 25 7 9 25 15 14 95 59,0 7. 7 8 9 37 17 11 89 55,3 8. 16 8 11 18 8 12 73 45,3 9. 14 7 14 31 15 13 94 58,4 10. 20 16 13 23 15 8 95 59,0 * Insgesamt N=161, 0 ungültige Antworten <?page no="278"?> 278 Die Auswertung zum Teststeil I (Präpositionen) in Tabelle 7-4 zeigt, dass bei Fragen 4, 6, 7, 9 und 10 die Fehlerquote mehr als der Hälfte aller Probanden beträgt. Diese Fehler sind vorwiegend durch die falsche Auswahl der Präpositionalgruppe verursacht worden, d.h. also, es wurde entweder die Präposition, der davon geforderte Kasus oder beides gleichzeitig falsch gewählt. Als Fehlerursachen können die Interferenzen hier aber je nach dem gestellten Fragenkontext verschieden sein. Als Beispiele: Bei Frage 4: Ich halte eine Uhr Hand. Tabelle 7-5: Anzahl der Antworten auf Frage 4 Antworten Befragte Gruppen und Anzahl der Antworten insgesamt (%) (N=161) A (N=33) B (N=18) C (N=21) D (N=42) E (N=25) F (N=22) (1) an die 7 1 3 4 6 5 26 16,1 (2) an der 11 5 10 10 12 7 55 34,2 (3) in die 3 3 5 8 0 2 21 13,0 (4) in der 12 9 3 20 7 8 59 36,6 Bei den Antworten (1) und (2) wird deutlich, dass eine semantische Abweichung existiert. In dem Fall ist vermutlich das Verb halten mit tragen verwechselt worden bzw. könnten die beiden Verben fälschlicherweise als Synonym betrachtet worden sein. Antwort (1) wird zwar in der Alltagssprache selten verwendet, ist aber theoretisch möglich, wie z.B. bei einem Vergleich im Uhrengeschäft. Bei Antwort (3) ist die Präposition zwar richtig, aber es liegt ein Kasusfehler vor. Dieser Fehler ist also durch intralinguale Interferenz entstanden. Bei Frage 6: Ich gehe jetzt zur Uni und bin zwei Stunden wieder zurück. Tabelle 7-6: Anzahl der Antworten auf Frage 6 Antworten Befragte Gruppen und Anzahl der Antworten insgesamt (%) (N=161) A (N=33) B (N=18) C (N=21) D (N=42) E (N=25) F (N=22) (1) in den 1 1 0 4 5 1 12 7,5 (2) nach den 5 0 2 11 3 3 24 14,9 (3) in 8 11 12 17 10 8 66 41,0 (4) nach 19 6 7 10 7 10 59 36,6 <?page no="279"?> 279 Bei Antwort (1) liegt der Fehler im Kasus. Bei den Antworten (2) und (4) könnten die Ursachen in der Übergeneralisierung der temporalen Präposition nach liegen. Es könnte sein, dass die Studierenden hier die semantischen Merkmale des chinesischen Ausdrucks „li ǎ ng gè xi ǎ oshí hòu 兩個小時後 ( zwei Stunden danach)“, der sowohl in Bezug auf die Zukunft als auch auf die Vergangenheit verwendet werden kann, auf diesen Satz übertragen haben und die Präposition nach somit verallgemeinert haben. Antwort (2) betrifft nicht nur den Transferfehler, sondern auch den Kasusfehler. Deshalb kommen hier sowohl intralinguale als auch interlinguale Interferenzen als Fehlerursache in Frage. Bei Frage 7: Wann ist dieser Autounfall passiert? Tabelle 7-7: Anzahl der Antworten auf Frage 7 Antworten Befragte Gruppen und Anzahl der Antworten insgesamt (%) (N=161) A (N=33) B (N=18) C (N=21) D (N=42) E (N=25) F (N=22) (1) Seit einer Woche 4 2 4 6 7 3 26 16,1 (2) In einer Woche 2 2 1 6 4 3 18 11,2 (3) Während einer Woche 1 0 3 6 3 1 14 8,7 (4) Vor einer Woche 26 10 12 5 8 11 72 44,7 (5) Bevor einer Woche 0 4 1 19 3 4 31 19,3 Bei den Antworten (1), (2) und (3) liegen offensichtlich Verstöße auf lexikalischer Ebene vor, da sie zwar grammatikalisch korrekt, die Präposition für den vorgegebenen Kontext aber nicht geeignet ist. Die Präpositionen seit und während beziehen sich auf eine Zeitdauer (also Beginn in der Vergangenheit und Dauer bis zur Gegenwart) bzw. einen Zeitraum. Die Präposition in kann zwar einen Zeitpunkt anzeigen, dieser liegt aber in der Zukunft. Bei (5) bevor handelt es sich um eine temporale Konjunktion, die Nachzeitigkeit ausdrückt, hier aber fälschlicherweise als Präposition verwendet wird. Hier stellen also vor allem intralinguale Interferenzen, die sich aus den Unklarheiten im Gebrauch der temporalen Präpositionen bzw. Konjunktionen ergeben, die Fehlerquelle für den Großteil der Studierenden dar. <?page no="280"?> 280 Bei Frage 9: In den Winterferien werde ich Sprachkurs in Bremen teilnehmen. Tabelle 7-8: Anzahl der Antworten auf Frage 9 Antworten Befragte Gruppen und Anzahl der Antworten insgesamt (%) (N=161) A (N=33) B (N=18) C (N=21) D (N=42) E (N=25) F (N=22) (1) zu einem 1 2 8 21 6 3 41 25,5 (2) bei einem 6 2 3 5 7 4 27 16,8 (3) an einem 19 11 7 11 10 9 67 41,6 (4) an einen 7 3 3 5 2 6 26 16,1 Hier geht es darum, dass das Verb mit einer bestimmten Präposition verwendet wird, der das Bezugswort in einem bestimmten Kasus folgt, nämlich teilnehmen an + Dativ. Bei (1) und (2) wurde zwar für die Verbindung mit diesem Verb die falsche Präposition gewählt. Aber bei (1) könnte auch eine semantische Übertragung eine Rolle spielen, da die Präposition zu auch für Richtungs- und Zielangaben gebraucht werden kann, was allerdings hier nicht zu dem statischen Verb passt. Aus der Praxis von Lehrperson F sind ähnliche Beispiele bekannt: „Ich möchte nach Deutschland studieren“, sagen viele Studierende, analog zum Chinesischen 我 想 到 德國 念書 W ǒ xi ǎ ng dào déguó niànshū Ich/ möchten/ nach =Richtung/ Deutschland/ studieren Sie übersehen also, dass das statische Verb studieren im Deutschen anders als im Chinesischen nicht mit einer richtungsweisenden Präposition wie zu kombiniert werden kann, sondern dass man nur sagen kann: Ich möchte nach Deutschland reisen und da studieren oder Ich möchte in Deutschland studieren. Bei Antwort (5) wurde der falsche Kasus gewählt. Bei dieser Aufgabe sind die Fehlerursachen also vor allem intralinguale Inferenzen, möglicherweise spielen auch interlinguale mit. <?page no="281"?> 281 Bei Frage 10: Wann fängst du endlich Arbeit an? Es ist schon spät. Tabelle 7-9: Anzahl der Antworten auf Frage 10 Antworten Befragte Gruppen und Anzahl der Antworten insgesamt (%) (N=161) A (N=33) B (N=18) C (N=21) D (N=42) E (N=25) F (N=22) (1) mit der 13 2 8 19 10 14 66 41,0 (2) mit die 0 0 0 0 1 1 2 1,2 (3) zu der 18 16 8 16 14 6 78 48,4 (4) zu 2 0 5 7 0 1 15 9,3 Hier geht es auch um ein Verb mit fester Präposition, nämlich anfangen mit + Dativ. Bei (2) besteht der Fehler in der falschen Kasuswahl. Bei (3) und (4) hingegen ist die lokale Präposition zu in diesem Kontext nicht passend, abgesehen vom Kasusproblem. Einerseits könnte hier die im Unterricht schon gelernte Struktur „anfangen, zu plus Infinitiv“ oder der Ausdruck „zur Arbeit gehen“ eine Rolle spielen, andererseits ist es auch möglich, dass vom Englischen her („begin to work“) überlegt wurde. Interferenzen aus der Zielsprache spielen da also wohl die wichtigste Rolle, außerdem ist anzumerken, dass der Großteil der Probanden sich die Verben mit festen Präpositionen wohl einfach nicht gut genug gemerkt haben bzw. sich über deren Gebrauch nicht im Klaren waren. Aus der oben dargestellten Fehleranalyse geht hervor, dass die Fehler beim Gebrauch der Präpositionen sich zwar eher auf intralinguale Interferenz zurückführen lassen. Doch nach den langjährigen Lehrerfahrungen von Lehrpersonen A und C hat die interlinguale Interferenz trotzdem einen Einfluss auf die Anwendung passender Präpositionen in einem bestimmten Kontext, und zwar in semantischer Hinsicht. D.h., die Interferenz, die durch die wortwörtliche Übertragung des Chinesischen aufs Deutsche entsteht, führt dazu, dass die deutschen Präpositionen nicht korrekt verwendet werden. Als Beispiel: 我 在 火車 上。 W ǒ zài hu ǒ chē shàng. Ich bin auf dem Zug*/ auf der Bahn*. (Richtig: Ich bin im Zug / an der Bahn.) Die chinesischen Präposition „zài ... shàng ( 在...上 )“ bezeichnet hier eine Lageangabe und bedeutet, dass sich jemand bzw. etwas innerhalb eines Raumes befindet (vgl. dazu 4.1.1). Sie kann sich aber auch auf einen statischen Kontakt von oben beziehen, also wie bei der deutschen Präposition auf. Dies hat natürlich mit den zuvor in Kap. 7.3.2 erwähnten grammati- <?page no="282"?> 282 schen Unklarheiten zu tun und lässt sich deshalb auf das explizite und implizite Grammatiklernen zurückführen (vgl. dazu 1.1). II. Zustandspassiv Aus der Auswertung der Aufgaben zum Zustandspassiv (Teil II) wird in Tabelle 7-10 deutlich, dass die Mehrheit der Studierenden mit diesem Thema tatsächlich beträchtliche Schwierigkeiten hatte. Und dies, obwohl entsprechende chinesische Übersetzungen für die zu ergänzenden Sätze im Lückentext vorhanden waren. Die Fehler wurden hauptsächlich durch falsche Passivstrukturen (also Verstoß gegen Regeln des sein-Passivs) verursacht, die sich auf negativen Transfer aus der Zielsprache zurückführen lassen, wie z.B. falsche Verbendung, SV-Kongruenz, Partizipbildung, Tempus, Satzstruktur etc. Bevor ich näher darauf eingehe, wird in nachstehender Tabelle zuerst ein Überblick über die Gesamtergebnisse der Testaufgaben zum Zustandspassiv präsentiert. ► Aufgabe Zustandspassiv Peter ist Student. Er hasst Hausarbeit, seine Wohnung ist immer sehr schmutzig und unordentlich.. Eines Tages sagt seine Freundin zu ihm: „Ich halte das nicht mehr aus... wenn du nicht sofort deine Wohnung aufräumst, mache ich Schluss.“ Dann schreibt sie auf einen Zettel: „Das musst du heute alles machen: 1. Die schmutzige Wäsche waschen. 2. Das Zimmer aufräumen. 3. Das Badezimmer putzen. 4. Den Müll auf dem Küchentisch wegwerfen. 5. Das schmutzige Geschirr spülen.“ Peter geht nach Hause und will sofort mit der Arbeit anfangen. Doch als er die Wohnungstür öffnet, kann er kaum glauben, was er sieht. Alles ist ganz ordentlich und sauber! 1. Die schmutzige Wäsche .................. schon ............................... ( 已經洗好了 ) 2. Das Zimmer ............. schon ............................... ( 已經整理好了 ) 3. Das Badezimmer .................. schon .............................. ( 已經打掃好了 ) 4. Der Müll auf dem Küchentisch ............. schon ........................... ( 已經丟掉了 ) 5. Das schmutzige Geschirr ................ schon .............................. ( 已經洗好了 ) Aber niemand ist in der Wohnung. Wer hat Peter wohl geholfen? ? Aufgabe: Bitte ergänzen Sie in den Sätzen 1-5 das Zustandspassiv der oben angegebenen Verben. Vgl. Anhang 3: Grammatiktest <?page no="283"?> 283 Tabelle 7-10: Anzahl falsche Antworten beim Zustandspassiv Aufgaben Versuchsgruppen Insgesamt (%) (N=159) A (N=33) B (N=18) C (N=21) D (N=42) E (N=25) F (N=22) 1. 31 18 19 41 24 20 153 96,2 2. 29 17 13 38 15 14 126 79,2 3. 30 18 13 39 12 15 127 79,9 4. 28 18 16 41 24 17 144 90,6 5. 30 18 15 40 16 13 132 83,0 * Insgesamt N=161, hier 2 ungültige Antworten In Tabelle 7-10 lässt sich erkennen, dass die Studierenden mit den Aufgaben 2, 3 und 5 etwa gleichgroße Schwierigkeiten hatten. Auffallend ist, dass die Aufgaben 1 und 4 in Höhe von 90% oder mehr falsch beantwortet wurden. Abgesehen vom Problem mit dem Hilfsverb liegen Ursachen dafür noch in der Bildung des Partizip II. Denn bei den Aufgaben 2, 3 und 5 werden (trennbare) schwache Verben (z.B. aufräumen, putzen, spülen) verwendet, bei den Aufgaben 1 und 4 aber muss das Partizip II von starken Verben (z.B. waschen, wegwerfen) gebildet werden. In der Regel ist die Partizipbildung der starken Verben schwerer für die Studierenden als die der schwachen, da es z.B. zum Ablaut des Stammvokals kaum Regeln gibt und die Partizipformen einfach auswendig gelernt werden müssen. Unten werde ich die Aufgaben 1 und 4 als Beispiele anführen, um die Fehler und deren möglichen Ursachen noch genauer zu analysieren und zu erklären. Bei Aufgabe 1: Die schmutzige Wäsche waschen. Die schmutzige Wäsche ..ist.. schon ...gewaschen... .(已經洗好了) <?page no="284"?> 284 Tabelle 7-11: Fehlerarten und deren Anteil bei Aufgabe 1 in Prozent (N=159) Fehlerkategorien Fehlerquellen Beispiele (%) A. Richtige Passivstruktur (sein-Passiv) wurde erkannt und intendiert, aber der Satz ist aus anderen Gründen falsch 1) falsche Verbform (Plural statt Singular) sind* gewaschen 4,4 2) falsche Partizipbildung ist gewascht*/ gewäscht*/ gewuscht*/ gewachsen* 7,5 3) falsches Tempus war* gewaschen 0,0 4) Kombination von 1 und 2 sind*gewascht*/ gewaschet*/ gewachsend* 10,7 B. Falsche Passivstruktur 1) werden-Passiv statt sein-Passiv wird*/ wurde* gewaschen ist* gewaschen worden* 5,0 2) Perfekt statt Passiv hat* gewaschen 3,8 3) Futur I statt Passiv wird* waschen* 0,0 C. Falsche Passivstruktur und zusätzlich noch einen oder mehrere Fehler aus anderen Gründen 1) Kombination aus A und B werde(n)*/ wurden*/ habe(n)* gewaschen wird*/ werde(n)*/ wurden* gewascht* hat*/ hatte*/ habe(n)* gewascht* wurde*/ hat*/ wäre* gewäscht* hat* gewuscht* werden* gewäschen* wird* gewachen* werden*/ hat* gewacht* wurde* gewächt* werden* gewachst* sind*/ hat* gewaschen worden* sind* gewäscht worden* werden*/ wurd* waschen* werden* wachsen* sind*/ war*/ hat*/ hätte* waschen* werden* gewäscht gehabt* hätten* waschte* 63,5 2) Umformen der Satzstruktur was* wäscht* hat er* gewäsche* 1,3 * falsche Antwort In der Tabelle 7-11 lassen sich die Fehler bei Aufgabe 1 in Kategorien A, B und C unterteilen, je nachdem, ob die richtige Passivstruktur erkannt wurde oder nicht. Aus Kategorie A geht hervor, dass insgesamt 22,6% der Studierenden die Struktur des sein-Passivs zwar erkannt und intendiert haben, den Satz dann aber trotzdem falsch formuliert haben. Die Abweichungen betreffen vorwiegend die SV-Kongruenz und die Partizipbildung. Bei der Kongruenz handelt es sich um einen Irrtum, der durch die falsche Numerusanalyse des Subjektes (die Wäsche wurde als Plural verstanden) entstanden ist, obwohl dieses durch den Artikel des Nomens in Verbindung mit der Form des Adjektivs (die schmutzige Wäsche) eigentlich schon klar als Singular gekenn- <?page no="285"?> 285 zeichnet ist. Möglicherweise wurde also einfach die Adjektivendung übersehen bzw. nicht als Singular erkannt. Außerdem liegt eine Schwierigkeit natürlich noch darin, dass die Wäsche als Kollektivbegriff im Singular benutzt wird, obwohl sie vom Sinn her Plural ist. Darüber hinaus ist waschen ein starkes Verb, dessen Partizipbildung nicht einwandfrei beherrscht wurde, bzw. es wurde nicht als starkes Verb erkannt. Dies lässt sich zum einen aus den Übergeneralisierungen erkennen, denn die Studierenden haben entweder die Regel zur Partizipbildung bei schwachen Verben auf waschen übertragen (also z.B. gewascht*) oder die lexikalischen Einheiten aus der Präsens- und Präteritumform von waschen bei der Partizipbildung entlehnt, wie z.B. gewäscht*, gewuscht*. Zum anderen spielt das Verb wachsen dabei auch eine Rolle. Denn die Wort- und Partizipform von waschen und wachsen sehen äußerlich schon ähnlich aus, und dies führt somit bei der Anwendung leicht zu Verwechslungen. Bei der Kategorie B geht es um die Abweichungen von der Passivstruktur, d.h., obwohl die Partizipbildung bzw. Verbendung hier nicht falsch ist, wurden andere Satzstrukturen (also die Formen von Vorgangspassiv, Perfekt und Futur I) mit dem Zustandspassiv vermischt und anstelle des sein- Passivs verwendet. Dies deutet darauf hin, dass die Studierenden bei 1) entweder das Vorgangs- und Zustandspassiv funktionell noch nicht klar unterscheiden konnten, oder dass sie sich dessen grammatikalische Struktur nicht klar genug eingeprägt haben. Bei 2) und 3) sind die Abweichungen aus den in Kap. 7.3.1 dargestellten Unklarheiten zum Passivgebrauch erklärbar. Obwohl ein Fehler wie unter Kategorie 3) in Reinform nicht in den Antworten aufgetaucht ist, also wird waschen, finden wir bei Kategorie C genau diese Fehlleistung in Kombination entweder mit falschen Verbflexionen (werden*/ wurd*...waschen*) oder mit einer falschen Infinitivform (werden*... wachsen*). Bei Kategorie C handelt es sich einerseits um Mehrfachfehler, die bei den meisten Probanden (also 63,5%) vorgekommen sind. Die Studierenden verwendeten hier nicht nur die falsche Passivstruktur, sondern machten zusätzlich noch einen oder mehrere andere Fehler. Die Fehlerursachen lassen sich auf die bereits in den Kategorien A und B definierten Typen zurückführen. Andererseits hatte ein geringer Teil der Studierenden (1,3%) die Sätze im Lücktext beliebig anders umformuliert, d.h., die Passivstruktur wurde durch einen Relativsatz bzw. durch die aktive Perfektform der 3. Person Singular (z.B. ... hat er gewäsche) ersetzt. Die Ursache dafür lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, es kann sein, dass die Probanden die Aufgaben tatsächlich nicht verstanden haben oder einfach absichtlich umformulierten. Zudem ist es möglich, dass sich das Verb wachen aufgrund seiner ähnlichen Wortform in die Partizipbildung gemischt hat. <?page no="286"?> 286 Bei Aufgabe 4: Den Müll auf dem Küchentisch wegwerfen. Der Müll auf dem Küchentisch..ist..schon..weggeworfen... ( 已經丟掉了 ) Tabelle 7-12: Fehlerarten und deren Anteil bei Aufgabe 4 in Prozent (N=159) Fehlerkategorien Fehlerquellen Beispiele (%) A. Richtige Passivstruktur (sein-Passiv) wurde erkannt und intendiert, aber der Satz ist aus anderen Gründen falsch 1) falsche Verbform (Plural statt Singular) sind* weggeworfen 0,0 2) falsche Partizipbildung ist weggewerfen*/ weggewurfen*/ weggewarft*/ weggewirft*/ weggewerft*/ weggewerftet*/ weggewerfet*/ gewegwerft*/ geworfen weg*/ wegworfen*/ wegwerfen*/ wegwerft(e)* 20,1 3) falsches Tempus war* weggeworfen 0,0 4) Kombination von 1 und 2 sind* wegwerft*/ gewegwerfen* 1,3 B. Falsche Passivstruktur 1) werden-Passiv statt sein-Passiv wird*/ wurde* weggeworfen ist* weggeworfen worden* 11,3 2) Perfekt statt Passiv hat* weggeworfen 3,1 3) Futur I statt Passiv wird* wegwerfen* 0,6 C. Falsche Passivstruktur und zusätzlich noch einen oder meherere Fehler aus anderen Gründen 1) Kombination aus A und B werden*/ wurden* weggeworfen wird*/ wurden*/ hat*/ haben*/ war* weggewerfen* wird* weggewarfen* wird* weggewarft* wird* weggewirft* wird*/ war*/ hat*/ haben* weggewerft* hat* weggewerfet* wurd* weggeweft* wird* gewegworfen* hat*/ habe* gewegwerfen* werd*/ hat*/ hatte* gewegwerft* wird*/ hat*/ war*/ hätte* wegwerft* wird* wegwirft* wird*/ hat* wegworfen* werde* wegwerfte* wird* wegwerftet* werden*/ wurd* wegwerfen* war*/ was*/ hat*/ haben*/ hätte* wegwerfen* hat* weggewerft wird* werden* weg* 52,8 2) Umformen der Satzstruktur was* wegwerft* hat er* gewegwerfte* 1,3 * falsche Antwort <?page no="287"?> 287 Bei Aufgabe 4 sehen die grammatischen Abweichungen und deren Verteilung etwa ähnlich aus wie bei Aufgabe 1, also soll das dort Gesagte nicht wiederholt werden. Das Subjekt der Müll ist zwar auch ein Kollektivbegriff wie die Wäsche bei Aufgabe 1, aber es ist durch den Artikel (also der) für die Lernenden unmissverständlich als singularisch erkennbar. So sind die meisten Fehler hier nicht durch den Numerus verursacht worden, sondern vielmehr durch falsche Passivstrukturen und falsche Partizipbildung. Dies ist wohl der Grund dafür, warum der Prozentsatz in den Kategorien B und C bei den Aufgaben 1 und 4 jeweils anders aussieht. Auffallend ist, dass das Wort wegwerfen als unregelmäßiges und trennbares Verb noch größere Schwierigkeiten bereitet als untrennbare unregelmäßige Verben wie z.B. waschen. Wie in Tabelle 7-12 aufgezeigt wird, haben die Studierenden alle möglichen Kombinationen von verschiedenen Verbbildungsregeln vorgenommen, also entweder das Partizip nach den Regeln der regelmäßigen Verben (ge...t) gebildet oder mit einer Präsens-, Präteritum-, bzw. Infinitivform etc. Zusammenfassend lässt sich sagen, die Fehler bzw. die Abweichungen liegen beim Zustandspassiv vor allem im morphologischen Bereich, und zwar bei der Verbflexion. Sie zeigen auf, dass Lernprobleme nicht nur mit dem Gebrauch und der Struktur des Passivs (also sein + Partizip II) zusammenhängen, sondern auch mit dem Tempusgebrauch. Dies lässt auf intralinguale Interferenzen schließen und deutet darauf hin, dass das im Unterricht vermittelte Basis-Grammatikwissen noch nicht in implizites Sprachwissen überführt wurde. Außerdem zeigt diese Auflistung aller möglichen Fehler natürlich auch die Komplexität der grammatischen Regeln und der Formbildung. Bei einer so großen Anzahl möglicher Fehlerquellen scheint es verständlich, dass die Studierenden mit diesem Thema so viele Schwierigkeiten hatten, obwohl den Muttersprachlern die Regeln natürlich einfach erscheinen. Die damit verbundenen didaktischen Aspekte in Bezug auf Darstellungsweisen, Aufgabenstellung etc., die zur Lernschwierigkeit führen, werden später in Kap. 8.2 noch näher diskutiert. III. Konjunktiv II Bei den zwei Testteilen zum Konjunktiv II wird im ersten Teil der einzelnen Aufgaben immer die Verbform abgefragt, und im zweiten Teil wird die Satzstruktur bzw. -form durch die Vorgabe überprüft. Die von mir erstellten Testaufgaben orientieren sich an den herkömmlichen und üblicherweise im Unterricht zu Übungs- oder Prüfungszwecken eingesetzten Übungs- / Testformen. Allerdings wurde den Testaufgaben ein Beispielsatz vorangestellt, um die Aufgaben für die Lernenden leichter verständlich zu machen. <?page no="288"?> 288 In der Gesamtauswertung der Antworten zum Konjunktiv II zeigt sich, dass die Schwierigkeiten nicht nur in der Verbflexion und im Tempus liegen, sondern auch in der Verwendung der richtigen Satzform je nach Kontext. Dies stellt ein Problem für die Studierenden dar − unabhängig vom Studienjahr. Auffallend ist, dass bei den Aufgaben 4 und 5 (mit den Personalpronomen ihr und wir) im Durchschnitt mehr Fehler gemacht wurden (Ausnahme:  der Aufgabe 5) als bei Aufgaben 1, 2 und 3 (mit den oft gebrauchten Personalpronomen ich, er und du), wie in Tabelle 7-13 deutlich zu sehen ist. Tabelle 7-13: Anteil der falschen Antworten beim Konjunktiv II Aufgaben Versuchsgruppen insgesamt (%) (N=161) A (N=33) B (N=18) C (N=21) D (N=42) E (N=25) F (N=22) 1.  3 2 1 31 7 7 51 31,7  4 4 1 6 1 0 16 9,9 2.  1 2 1 9 1 3 17 10,6  4 10 6 25 5 6 56 34,8 3.  5 3 7 18 4 8 45 28,0  6 6 8 19 7 11 57 35,4 4.  16 7 12 33 17 18 103 64,0  17 11 13 18 13 18 90 55,9 5.  10 10 15 36 15 11 97 60,2  8 3 8 13 4 7 43 26,7  : Verbflexion : Satzstruktur Ursachen dafür liegen wohl zum einen darin, dass die Studierenden bei den Aufgaben 4 und 5 mit der Konjunktivform der angegebenen Hilfs- und Modalverben in den Personenen ihr und wir nicht ganz vertraut waren, da diese nicht so häufig zur Anwendung kommen wie die Personalpronomen ich, er und du bei Aufgaben 1, 2 und 3. Zum anderen hatte der Großteil der Studierenden mit der Konstruktion des Konjunktiv II noch Probleme, und zwar unabhängig davon, ob es sich um die Form mit oder ohne würde oder um den Konjunktiv II mit Modalverb handelt. Fehler werden anhand der Aufgaben 4 und 5 erläutert, weil in diesen Sätzen die Fehlerquote höher war und deshalb mehr Varianten vorgekommen sind. Grundsätzlich unterscheiden sich die Ergebnisse aber nicht von denen bei den anderen Aufgabentypen. <?page no="289"?> 289 Aufgabe 4 das Flugzeug nicht verpasst haben (ihr) Wenn ihr ein bisschen früher aufgestanden ____ (sein), _________  wärt/ wäret ,  A. hättet ihr das Flugzeug nicht verpasst B. würdet ihr das Flugzeug nicht verpasst haben Tabelle 7-14: Fehlerarten und deren Anteil bei  der Aufgabe 4 in Prozent (N=161) Fehlerkategorien Fehlerquellen Beispiele (%) A. Richtige Konstruktion des Konjunktiv II wurde intendiert, aber die Antwort ist aus anderen Gründen falsch falsche Personalendung wär*/ wäre*/ wär(e)st*/ wären* wärte*/ wärete*/ wärtet*/ wäretet* 37,3 B. Falsche Konstruktion des Konjunktiv II 1) falsches Verb würde*/ würden*/ würdet* hätte*/ hätten*/ hättet* 5,0 2) Präsens statt Konjunktiv II seid* 0,0 3) Präteritum statt Konjunktiv II wart* 0,6 4) Konjunktiv I statt Konjunktiv II seiet* 0,0 C. Falsche Konstruktion des Konjunktiv II und zusätzlich noch Fehler aus anderen Gründen ist*/ sind*/ hat*/ habtet*/ hate* sei*/ sein*/ seint* wirdet*/ werdet*/ werdt* war*/ ware(n)*/ warst*/ waret*/ warten* 21,1 * falsche Antwort Die Fehler und deren Ursachen bei  der Aufgabe 4 werden hier in die Kategorien A, B und C unterteilt. Tabelle 7-14 zeigt, dass der Großteil der Fehlleistungen (also 37,3%) zur Kategorie A gehört, weil die Endung der Konjunktivform von sein in der 2. Person Plural nicht korrekt war. Aus den Fehlern ist allerdings zu erkennen, dass die betreffende Regelbildung zumindest ansatzweise noch in Erinnerung war und auch intendiert wurde, nämlich die Ableitung vom Präteritum und die Verwendung des Stammvokals a im Präteritum zur Ablautbildung. Das wirft die Fragen auf, ob die Schwierigkeiten der Lernenden damit zusammenhängen, dass sie diese Form nur selten verwenden oder dass sie mit dieser Form so selten konfron- <?page no="290"?> 290 tiert werden, so dass sie in dieser Beziehung kein (erweitertes) Sprachgefühl entwickeln konnten. In der Kategorie B machten 5% bzw. 0,6% der Studierenden ihre Fehler jeweils durch Wahl des falschen Verbs bzw. Tempus, dies lässt sich auf Unklarheiten über die Konstruktion des Konjunktiv II zurückführen. 21,1% hatten sowohl Probleme mit der Konstruktion im Konjunktiv II als auch mit dem Modusgebrauch (also Verwechslung von Konjunktiv und Indikativ). Bei  der Aufgabe 4 gaben insgesamt 44,1% der Studierenden die richtige Antwort, was bemerkenswert ist, wenn man die Komplexität der dahinterstehenden Überlegungen bedenkt. Dabei sind zwei Varianten möglich: hättet ihr das Flugzeug nicht verpasst und würdet ihr das Flugzeug nicht verpasst haben, wobei letztere zwar grammatikalisch nicht falsch ist, aber nach Auskunft der Muttersprachler im Sprachalltag weniger verwendet wird. 14,3% der Probanden wählten die erste Variante, 29,8% die würde-Form. Art und Anzahl der Fehler zeigen einerseits einfach Wissenslücken auf, andererseits haben manche Probanden aber vermutlich einfach die würde- Form aus dem dem Test angefügten Beispielsatz entlehnt bzw. nachzubilden versucht. Die Lernenden haben also vermutlich eine Prüfungsstrategie entwickelt, um ihre eigenen Wissenslücken zu verdecken. Dies wird in den folgenden Abschnitten näher beleuchtet. Daher sollte die Verwendung eines Beispielsatzes zur Unterstützung der Lernenden bei der Bearbeitung der Testaufgaben kritisch hinterfragt werden. Wenn viele Lernende tatsächlich einfach die Struktur des Beispielsatzes kopiert hätten, wäre es nur schwer möglich, mithilfe dieser Testaufgaben zu überprüfen, ob sie die Formbildung des Konjunktiv II tatsächlich beherrschen. Das zeigt, dass unpassende Testbzw. Aufgabenformen irreführend sein und Schaden anrichten können. Vor der weiteren Darstellung der Fehlerursachen wird unten zuerst ein Überblick über die Fehlerarten und deren Verteilung gegeben. <?page no="291"?> 291 Tabelle 7-15: Fehlerarten und deren Anteil bei  der Aufgabe 4 in Prozent (N=161) Fehlerkategorien Fehlerquellen Beispiele (%) A. Richtige Konstruktion des Konjunktiv II Vergangenheit wurde intendiert, aber der Hauptsatz ist aus anderen Gründen falsch 1) falsche Konjugation (Verbendung) hätte*/ häbt* würdt*/ würdet*/ würde(n)*/ würd(e)st* 32,3 2) Auslassung von Satzelement(en) würdet, ihr, nicht etc. 5,6 3) falsche Partizipbildung hättet ihr .... nicht verpassen*/ verppasst* 1,2 4) falsche Reihenfolge der Wörter würdet ihr das Flugzeug verpasst haben nicht 0,0 5) Kombination aus 1-4 hätte* ihr das Flugzeug nicht verpassen* hätte* ihr das Flugzeug (...)* verpassen* hätte* (...)* das Flugzeug nicht verpasst würde* (...)* .... nicht verpasst haben 3,1 B. Falsche Konstruktion des Konjunktiv II Vergangenheit 1) Konjunktiv II Präsens statt Vergangenheit würdet* ihr .... nicht verpassen 1,2 2) Präsens statt Konjunktiv II habt* ihr .... nicht verpasst 0,0 3) Futur II statt Konjunktiv II werdet* ihr .... nicht verpasst haben 0,0 C. Falsche Konstruktion des Konjunktiv II Vergangenheit und zusätzlich noch Fehler aus anderen Gründen -haben*/ hat* ihr .... nicht verpasst. -hätten*/ würdt* ihr .... nicht verpasst gehabt* -wird*/ werde*/ wurde(t)*/ wurdt* ihr .... nicht verpasst haben -hättst*/ hättet* ihr .... nicht verpasst haben* -würdet ihr .... nicht verpasst habe* -würden* ihr .... nicht verpassen* -würde* ihr .... verpasst haben nicht* -würden* ihr .... nicht verpasst -würde*sein* das Flugzeug nicht verpasst haben -würdst* euch* das Flugzeug (...)* verpasst haben 12,4 * falsche Antwort Aus der Tabelle 7-13 geht hervor, dass die Fehlerquote bei  der Aufgabe 4 insgesamt 55,9% beträgt. Der Großteil von Fehlern kann zur Kategorie A gezählt werden und geht meistens auf eine Übergeneralisierung der Konjunktivform zurück. D.h., die Studierenden haben sich zwar an die Konstruktion des Konjunktiv II Vergangenheit erinnert und diese Form intendiert, aber der Hauptsatz ist trotzdem falsch. Grund dafür ist vor allem die falsche Konjugation (Verbendung) mit einem Anteil von 32,3%. Bei der Kategorie B handelt es sich um die Fehler, die durch falschen Tempusbzw. Modusgebrauch verursacht wurden. Bei 1,2 % der Antworten wurde die <?page no="292"?> 292 falsche Tempusform (also der Konjunktiv II Präsens statt Vergangenheit) verwendet. Reine Modusfehler unter 2) und 3) sind zwar bei den Antworten nicht aufgetaucht, sie wurden aber trotzdem als theoretische Versionen in die Tabelle 7-15 aufgenommen, da sich in Kategorie C viele Mischfehler befinden, die sich unter anderem auf diese Fehlerquellen zurückführen lassen. Insgesamt machten 12,4% der Studierenden solche Mischfehler. Dies zeigt vor allem intralingulae Interferenzen, die sich auf der grammatischen und syntaktischen Ebene finden. Aufgabe 5 einen Ausflug zum Kenting-Nationalpark machen können (wir) Wenn wir morgen nicht zur Uni kommen ____ (müssen), ___  _____  müssten ,  könnten wir einen Ausflug zum Kenting-Nationalpark machen Tabelle 7-16: Fehlerarten und deren Anteil bei  der Aufgabe 5 in Prozent (N=161) Fehlerkategorien Fehlerquellen Beispiele (%) A. Richtige Konstruktion des Konjunktiv II wurde intendiert, aber die Antwort ist aus anderen Gründen falsch falsche Konjugation (Verbendung) müsste*/ müßte*/ müste* 8,7 B. Falsche Konstruktion des Konjunktiv II 1) falsches Verb möchten*/ mögen*/ wären* 3,7 2) Präsens statt Konjunktiv II müssen* 23,6 3) Präteritum statt Konjunktiv II mussten*/ mußten* 12,4 C. Falsche Konstruktion des Konjunktiv II und zusätzlich noch Fehler aus anderen Gründen müss*/ müsse*/ muss*/ musst*/ musste*/ mussen* 11,8 * falsche Antwort Aufgabe 5 testet den Konjunktiv II Präsens mit Modalverben. Bei  der Aufgabe 5 machten insgesamt 60,2% der Studierenden Fehler, als Hauptschwierigkeit erwiesen sich die Modalverbformen. Bei 8,7% der Antworten war die Verbendung des Modalverbs im Konjunktiv II nicht korrekt, wie in Kategorie A gezeigt wird. Die Fehler, die unter Kategorie B fallen, wurden <?page no="293"?> 293 teils (mit 3,7%) durch falsche Verben z.B. möchten, mögen, wären etc. verursacht. Aber beim größten Teil der falschen Antworten (36%) wurde das Verb im falschen Modus gebraucht, nämlich Präsens bzw. Präteritum statt Konjunktiv II (müssen* bzw. mussten* statt müssten). 11,8% der Fehler sind in Kategorie C aufgeführt, es handelt sich um Mischfehler, die aus nicht normgerechten Verbformen kombiniert mit fehlerhafter SV-Kongruenz entstanden sind. Der Anteil der korrekten Antworten bei  der Aufgabe 5 beträgt insgesamt 73,3%. Auffallend ist, dass die würde-Form hier von zahlreichen Studierenden (53,4%) zum Lösen der Aufgabe gebraucht wurde (also würden wir einen Ausflug zum Kenting-Nationalpark machen können), und nur 19,9% der Studierenden die Konjunktiv II − Form des Modalverbs können benutzt haben. Der würde-Infinitiv ist zwar grammatikalisch und strukturell nicht falsch, wird aber im alltäglichen Sprachgebrauch kaum verwendet und war in den Unterrichtsmaterialien nirgends vorhanden. Die Ursache dafür liegt vermutlich wie bei Aufgabe 4 in der Verwendung einer Prüfungsstrategie zur Vertuschung von Wissenslücken. Darauf werde ich unten noch näher eingehen. Tabelle 7-17: Fehlerarten und deren Anteil bei  der Aufgabe 5 in Prozent (N=161) Fehlerkategorien Fehlerquellen Beispiele (%) A. Richtige Konstruktion des Konjunktiv II wurde intendiert, aber der Hauptsatz ist aus anderen Gründen falsch 1) falsche Personalendung könnte*/ könnt* 3,1 2) Auslassung von Satzelement(en) könnten (...)* einen Ausflug ... machen könnten wir einen Ausflug ... mache* 1,2 3) Kasusfehler könnten wir eine* Ausflug ... machen 0,6 B. Falsche Konstruktion des Konjunktiv II 1) Präsens statt Konjunktiv II können* wir einen Ausflug ... machen 3,1 2) Präteritum statt Konjunktiv II konnten* wir einen Ausflug ... machen 1,2 C. Falsche Konstruktion des Konjunktiv II und zusätzlich noch Fehler aus anderen Gründen -würde*/ wurden*/ werden*/ würdten* wir ... machen können* -würde(n)* wir eine* Ausflug ... machen können* -würden* einen Ausflug ... machen können* -würden* wir ... machen könnten* -würden* wir ... gemacht können* -würden* wir ... machen -würden* wir ... zum Kenting-Nationalpark -konnte*/ konnen* wir ... machen -konnten* (...)* einen Ausflug ... machen -können* wir ... machen können* 17,4 * falsche Antwort (...)*: Weglassung von Satzelement <?page no="294"?> 294 Bei  von Aufgabe 5 beträgt die Fehlerquote insgesamt 26,7%. Die Abweichungen liegen vorwiegend in der Bildung des Modalverbs können und in dessen Modus sowie in der Satzstruktur. Aus der Tabelle 7-17 geht hervor, dass etwa 5% (also 4,9%) der Studierenden die Konstruktion des Konjunktiv II zwar richtig erinnerte und intendierte, ihr Hauptsatz aber aus anderen Gründen falsch ist, z.B. falsche Verbendung, Auslassung von Satzelementen oder Kasusfehlern. 4,3 % der Studierenden (also Kategorie B) hatten Schwierigkeiten mit dem Modusgebrauch, also der Unterscheidung zwischen Konjunktiv II und Indikativ, und 17,4% (also in Kategorie C) sowohl mit der Verbflexion als auch mit dem Einsatz der konjunktivischen Satzform. Insgesamt zeigt die Analyse zum Konjunktiv II einerseits, dass die würde-Form beim Gebrauch des Konjunktiv II bevorzugt wird. Andererseits weisen Art und Anzahl der Fehler darauf hin, dass die Probanden, wie bereits erwähnt, vermutlich eine Strategie angewendet haben, um ihre Lernschwächen (also die Wissenslücken) zu verdecken. Von daher lässt sich nicht ganz deutlich erkennen, inwieweit die Konstruktion des Konjunktiv II eigentlich beherrscht wird. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Aufgabe 5. Aus dem Nebensatz der Aufgabe 5 (also bei ) sollte eigentlich schon erkannt werden, dass die Modalverben hier direkt im Konjunktiv II konjugiert werden müssen. Schauen wir uns die Auswertung zum Hauptsatz der Aufgabe 5 () an, dann liegt die eben aufgestellte Annahme nahe. Denn daraus ist wie zuvor bereits erwähnt schon ersichtlich, dass insgesamt nur 19,9% der Probanden korrekt die Konjunktivform könnten benutzten, 53,4% hingegen wählten die würde-Form. Insgesamt betrachtet liegen die Fehler im Konjunktiv II vorwiegend im morphologischen und syntaktischen Bereich, haben vor allem mit Übergeneralisierung und Regularisierung zu tun. Sie lassen sich hier somit deutlich auf intralinguale Interferenzen zurückführen, weil die L1 (Chinesisch) morphologisch wie in Kap. 4.1.1 dargestellt in Hinsicht auf die sprachstrukturellen Unterschiede kaum eine Rolle spielt und deren Einfluss auf der syntaktischen Ebene auch aufgrund der Aufgabenform schwierig zu bemerken ist. Trotz allem könnte dies das Deutschlernen (also hier Grammatikerwerb) behindern und zu den Lernschwierigkeiten führen. Die Ursachen für die L2- Interferenzen liegen darin, dass über die Hälfte der Probanden mit den Regeln zur Bildung des Konjunktiv II noch nicht ganz vertraut war und deshalb deren Anwendung nicht beherrschten. Dies bedeutet, der Prozess der Automatisierung der im Unterricht explizit gelernten Regeln für den Konjunktiv II und insbesondere auch der dafür grundlegenden grammatikalischen Kenntnisse (Verbflexion, Partizipbildung) hat noch nicht stattgefunden (vgl. 1.1). Dies hat unvermeidlich zur Folge, dass z.B. der Konjunktiv II mit den indikativischen Formen verwechselt wird, weil finite Verbformen <?page no="295"?> 295 immer nach der Person, dem Modus und dem Tempus bestimmt werden. Dass diese komplexen Phänomene Schwierigkeiten bereiten, hängt auch mit der Vielzahl von Regeln und Ausnahmen zusammen, die schon allein bei der Verbflexion zu beachten sind. Daher ist es auch nicht verwunderlich, welche Vielfalt an Fehlern dabei auftaucht, von der Satzbildung ganz zu schweigen. Da die Verben in den deutschen Sätzen aber eine sehr große, ja entscheidende Rolle spielen, können Fehler in diesem Bereich die Verständlichkeit deutlich beeinträchtigen. Die oben beschriebenen Probleme haben außer der in 1.1 genannten Automatisierung des expliziten Grammatikwissens noch mit der in 4.1 erwähnten sprachstrukturellen Verschiedenheit zwischen L1 und L2 zu tun, also mit der im Chinesischen fehlenden Flexion, die für das Gehirn der Lernenden eine völlig neue, ungewohnte Dimension ist, die offenbar außerordentlich viel Training und Aufmerksamkeit verlangt - vergleichbar wohl mit den vier Tönen der chinesischen Sprache, die für den westlichen Lerner eine besonders große Herausforderung darstellen, die von vielen auch sehr fleißigen Lernenden selbst nach langjährigem Training nie wirklich gemeistert wird. Umgang mit Interferenzproblemen: Diskussion In Hinblick auf die o.g. Interferenzprobleme ist hier die Frage hervorzuheben, wie man als Lerner sowie als Lehrkraft damit umgehen soll, um ihren Einfluss gering zu halten. Aus der Lernersicht ist entscheidend, wie im Lernprozess die Interferenzfehler betrachtet und behandelt werden. Sie können als Lerngelegenheit wahrgenommen werden und das Weiterlernen der Zielsprache fördern, wenn die Lernenden eine positive Vorstellung davon entwickeln und sie ihnen bewusst begegnen. Auf der Lehrerseite ist es didaktisch daher wichtig, die Interferenzfehler je nach Situation und Typ entsprechend zu korrigieren bzw. zu erklären. Wie bereits in 1.3.3 erwähnt, gibt es bei der mündlichen und schriftlichen Korrektur unterschiedliche Kriterien und Prinzipien. Bei der mündlichen Korrektur liegt der Fokus eher auf der kommunikativen Angemessenheit, bei der schriftlichen hingegen eher auf der sprachlichen Korrektheit. So wurden gerade hier im Fall der schriftlichen prüfungsorientierten Korrektur (also im Grammatiktest) die o.g. Interferenzfehler in den meisten Fällen direkt von den Lehrerprobanden korrigiert, d.h., die korrekte Form wurde an der Tafel demonstriert (vgl. 8.2.3). Diese methodische Vorgehensweise bzw. die dahinterstehenden Überlegungen hängen vermutlich u.a. auch mit der Klassengröße, dem Zeitmangel, den fehlenden alternativen Vorgehensweisen etc. zusammen. Weitere Aspekte des Umgangs mit Interferenzproblemen werden später in Kap. 8.2.3 zum Thema Korrektur näher diskutiert. <?page no="296"?> 296 7.3.3 Wortschatzdefizite und Verständnisschwierigkeiten Mit Wortschatzdefiziten sind hier Wortfindungsprobleme bzw. Schwierigkeiten bei der Bestimmung und Verknüpfung der Wortbedeutung gemeint, die durch unzureichendes bzw. lückenhaftes Vokabular verursacht werden. Sie behindern das Sprachverständnis der Studierenden und beeinträchtigen somit auch das Lernen der drei untersuchten Grammatikphänomene bzw. deren praktischen Verwendung, da der Grammatikerwerb in der Tat eng mit dem Wortschatz verbunden ist. Dies wird unten durch konkrete Beispiele beim Gebrauch der Präpositionalgruppen, die häufig in der Gruppe F vorkamen und somit aus deren Unterrichtsvideos entnommen wurden, präsentiert und verdeutlicht. Unterrichtssituation: Bei Gruppe F werden die in Abb. 3-20 aufgelisteten Präpositionalgruppen (Verben mit festen Präpositionen) und deren Gebrauch durch die freie Anwendung wiederholt. Sie sollen in Partnerarbeit vorbereitet werden. So präsentiert pro Sitzung eine Gruppe 5 Präpositionalgruppen jeweils mit zwei Beispielsätzen. Auszug UT 7-14: Präpositionalgruppe „fehlen an“ (27.12.2004, ca. 01: 04) S1: 我們第一個要介紹的單字是 „fehlen“ <Die erste Vokabel, die wir vorstellen wollen, ist „fehlen“.> L: Ja, fehlen. Genau. S1: 這是「缺少」、「找不到」、「缺席」的意思。 <Das bedeutet „mangeln“, „etwas nicht finden“ bzw. „abwesend sein“.> L: Ja. S1: 那這個例句 „Unserer Firma fehlt es an Aufträgen“ 我們公司缺少「使命」 <Das Beispiel „Unserer Firma fehlt es an Aufträgen“ heißt, unserer Firma hat keine Mission.> L: Ehm... Mission... glaube ich nicht. Nein. Das heißt einfach..mhm.. Arbeit. Aufträge sind einfach Arbeit, ne? Also jemand, der möchte, dass wir für sie arbeiten. Wie sagt man das? 「業務」嗎 ? (scheint unsicher und schaut S an) <Ehm... (...)? Wie sagt man das? Geschäfte? > S1: 「業績」? <Geschäftliche Leistungen bzw. Aufträge? > L: 「業績」嗎? (überlegt----) ...ja, genau. Da möchte niemand irgendwas von unserer Firma. Ja, genau. 就是生意不好 < „Geschäftliche Leistungen“ bzw. „Aufträge“? (...) Das heißt einfach, das Geschäft läuft nicht gut.> <?page no="297"?> 297 S1: 我們公司生意不好 <In unserer Firma laufen die Geschäfte nicht gut.> L: Nein, nein. „Fehlen“ ist natürlich richtig! (viele lachen ------------) 「缺少」是沒有問題的 ! Aber „Aufträge“ ist, glaube ich, nicht 「使命」 <(...)! „Fehlen“ war natürlich richtig! Aber Aufträge ist, glaube ich, nicht „Mission“! > S1: 我們公司缺少業績 <Unserer Firma fehlt es an geschäftlichen Leistungen.> L: Ja ja, genau. (bestätigend) Aus dem Auszug UT 7-14 wird deutlich gezeigt, dass die Probandin Schwierigkeiten mit dem Verständnis des Wortes Aufträge im Beispielsatz hatte, auch wenn sie hier eigentlich die Grundbedeutung von der Präpositionalgruppe fehlen an richtig erkannte und den Satz sowohl korrekt als auch verständlich gebildet hatte. Grund dieses Problems ist vermutlich, dass die Studentin das Wort Auftrag im Wörterbuch nachgeschlagen und unter den vielen angegebenen Übersetzungsvarianten die falsche ausgewählt hatte, nämlich Sh ǐ mìng ( 使命 ), Mission. Zum einen entspricht die chinesische Übersetzung Sh ǐ mìng ( 使命 , also Mission) der Bedeutung des deutschen Ausdrucks in diesem Beispielsatz aber gar nicht, und zum anderen ist es tatächlich eine schwierige Frage, welches chinesische Wort in genau diesem Satz dem deutschen Auftrag denn am nächsten komme. Es handelt sich also um ein Übersetzungsbzw. Wortfindungsproblem. Die Probandin stellte zwar eine Rückfrage an die Lehrperson und versuchte mit dem chinesischen Wort Yèjī? ( 業績 ? ) den deutschen Auftrag zu erfassen, aber Yèjī ( 業績 ) bezieht sich eigentlich auf den Umsatz, also die gesamte geschäftliche Leistung, was natürlich indirekt mit den Aufträgen zu tun hat, aber eben dem Wort Auftrag nicht ganz entspricht. In diesem Fall ist es also nicht die perfekte Übersetzung. Für das Wort Auftrag gibt es im geschäftlichen Kontext im Chinesischen noch verschiedene andere Begriffe, nämlich Dìngdān ( 訂單: Bestellung), Dìnghuò ( 訂貨: Warenbestellung) bzw. Wěituō ( 委託: Beauftragung). Davon ist Dìngdān ( 訂單 ) der semantisch weiteste Ausdruck, der in den meisten Fällen für Warenbestellung und Kundenauftrag verwendet wird, er kann somit die anderen zwei Ausdrücke ersetzen, falls keine konkreten und situativen Zusammenhänge vorhanden sind. Nennenswert ist, dass Wěituō ( 委託 ) eher bei Dienstleistungen einer Firma gebraucht wird, wie z.B. einer Anwaltskanzlei. Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, dass die Probanden die Bedeutung des Beispielsatzes situativ nicht richtig verstanden haben, obwohl sie den Bedeutungsspielraum des Verbs mit Präposition korrekt angeben konnten. Dies wird durch das fol- <?page no="298"?> 298 gende Beispiel mit fragen nach (Auszug UT 7-15) noch deutlicher aufgezeigt, weil es sich um ein Problem handelt, das direkt mit dem Komplex Verb plus Präposition zu tun hat. Außerdem zeigt die Situation, dass es ein großes Problem im DaF-Unterricht ist, wenn die Lehrperson Chinesisch nicht als Muttersprache spricht und spontan solche Übersetzungen produzieren sollte. Auszug UT 7-15: Präpositionalgruppe „fragen nach“ (27.12.2004, ca. 05: 14) S2: 第三個單字是 fragen ,是及物動詞 +nach+Dativ 。是「詢問」及「請教」的意思。例 句是 „Er hat schon oft nach meinem Mann gefragt“ ,翻成「他常常向我先生請教」。 <Die dritte Vokabel ist „fragen“, das ist ein transitives Verb mit „nach“ und Dativ. Das heißt „anfragen“ bzw. „jmdn um Rat fragen“. Der Beispielsatz lautet: „Er hat schon oft nach meinem Mann gefragt.“ Die Übersetzung heißt, „er hat schon oft meinen Mann nach Rat gefragt“.> L: Nein, das ist leider nicht richtig. Das ist ganz einfach... 如果是說 „nach einer Person fragen“ ,那就是問他在不在,或是問他好不好的意思。 <Wenn man nach einer Person fragt, dann bedeutet, das, dass man wissen möchte, ob die Person zu Hause ist oder wie es ihr geht.> S2: 所以是他向我先生問好嗎? <Also heißt das, „er lässt meinen Mann grüßen“? > L: Nein, nein. 就是問我先生在不在,或是我先生好不好。或是說,他找我先生也可以啊! 他常常找我先生。 <Nein, nein. Das heißt, jemand fragt, ob mein Mann zu Hause ist oder wie es meinem Mann geht. Er fragt nach ihm. Oder man könnte es auch mit „aufsuchen“, „besuchen“ übersetzen, also jemand sucht meinen Mann oft auf.> S2: 那就是他常常找我先生。 <Also, dann heißt der Satz, „Er besucht meinen Mann oft“.> L: 就是說他可能會來,然後 fragt er, ist mein Mann zu Hause oder vielleicht fragt er, wie geht es ihm. 有這兩種情況。 <Das bedeutet, vielleicht kommt jemand und fragt, ob mein Mann zu Hause ist, oder vielleicht fragt er, wie geht es ihm. Es gibt diese zwei Möglichkeiten.> Aus dem Beispieltext (Auszug UT 7-15) lässt sich erkennen, dass die Probanden trotzdem Schwierigkeiten mit der Vernetzung der Bedeutung von fragen nach in dem Beispielsatz hatten, auch wenn sie die Grundbedeutung wie gezeigt auf Chinesisch richtig erklärten. Das Problem ist, dass die chinesische Übersetzung semantisch dem deutschen Beispielsatz nicht entspricht und die Probanden sich über die Bedeutungen der selbst produzierten Sätze überhaupt nicht im Klaren waren, wie schon aus dem ersten angeführten Beispieltext zu bemerken ist. Gründe dafür liegen laut Lehrperson F zum einen darin, dass die Sätze häufig nicht von den Probanden selbst produziert <?page no="299"?> 299 wurden, sondern aus irgendeinem (Wörter)buch abgeschrieben waren. Denn sie waren einerseits aufgrund von Unklarheiten bezüglich der Grundbedeutung des Wortes bzw. aufgrund von Wortfindungsproblemen nicht in der Lage, selbst sinnvolle Sätze zu produzieren. Andererseits ist das eines der Probleme mit den Lerngewohnheiten und lässt sich auf das in 4.2.3 erwähnte Lernen mit dem Wörterbuch zurückführen. Zum anderen kann dies auf die Wortschatzdefizite zurückgeführt werden und bedeutet, dass die Studierenden nicht über einen ausreichenden Wortschatz verfügten. Dies berichteten die Lehrpersonen C und D auch in den Interviewaussagen in Bezug auf ihre Klassen. Denn die Lernenden erwarten immer eine der Zielsprache entsprechende Wortübersetzung bzw. Erklärung von der Lehrperson, um den Ausdruck in die Muttersprache übersetzen zu können. Das hat häufig auch mit dem folgenden Phänomen zu tun: „ [d]ie Lernenden gehen davon aus, daß Bedeutungen nur einmal (= in einem bestimmten Kontext) gelernt werden. Dadurch können Bedeutungen nicht komplexer werden, sich nicht qualitativ entwickeln (Müller 1994, 48f.).“ Und aus den begrenzten Kenntnissen zum Wortbzw. Begriffsgebrauch können Schwierigkeiten beim Sprachverständnis (also Verständnisdefizite) resultieren, da die Bedeutung eines Wortes bzw. die kulturellen Aspekten eines Begriffs je nach situativen Zusammenhängen anders sind. Darüber hinaus sollten solche Aufgabenstellungen vom didaktischen Standpunkt her mit zusammenhängenden situativen Kontexten zusammen gestaltet werden, damit die Lernenden ein tieferes Verständnis für den Gebrauch der Präpositionalgruppen und für die Wortbedeutungen, die an bestimmte Situationen gebunden sind, gewinnen können. Die damit verbundenen didaktischen Probleme werden im folgenden Kap. 8 noch genauer diskutiert. Diskussion des Lehrerverhaltens In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die Rolle der Lehrperson hervorzuheben. Beim L2-Unterricht sollte die Lehrkraft den Lernenden möglichst viele verschiedene Gebrauchssituationen anbieten bzw. auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten sowie die Offenheit der Sprache hinweisen. Entgegen der Erwartung der Lernenden gibt es häufig keinen eindeutigen Gebrauch der behandelten Begriffe, sondern die Bedeutung ist immer situationsabhängig. Somit müssen nicht nur die Lernenden ihr Bild vom Sprachenlernen und ihre Haltung dazu verändern, sondern die Lehrkräfte müssen sich auch mit der Haltung der Lernenden zum (Sprachen)lernen allgemein auseinandersetzen und auf konstruktive Weise damit umgehen. D.h., die Lehrkraft kann z.B. durch eine gewisse Offenheit in ihrem Verhalten und ihrer Vorhergehensweise den Lernenden zeigen, dass es meist verschiedene Lösungsmöglichkeiten für ein sprachliches Problem gibt, und die Fokussierung auf eine bestimmte Wortbedeutung aufgeben. Schließlich <?page no="300"?> 300 variiert die Wortbedeutung je nach Gebrauchssituation und Kontext. Nur wenn die Lernenden diese Suche nach Eindeutigkeit in der Wortbedeutung und ihre Unsicherheit dem Lerngegenstand gegenüber überwinden, können sie ein Gefühl und Verständnis für die zu lernende Sprache entwickeln. 7.4 Fehlende Anwendungsmöglichkeiten Im folgenden Abschnitt steht die mündliche Kommunikation bzw. Sprachanwendung im Mittelpunkt, die durch Hören und Nachsprechen trainiert wird. Die Möglichkeiten zu Kontakten und Anwendung der Zielsprache in der Lernumgebung sind besonders wichtig, da sie der Vertiefung sowie Automatisierung des expliziten und impliziten Sprachwissens dienen (vgl. dazu 1.1). Die Frage nach den Ursachen der zu selten vorhandenen Anwendungsmöglichkeiten für die Deutschlernenden soll nun anhand der jeweiligen Lernbedingungen analysiert und unter den zwei Aspekten äußeres und institutionelles Lernumfeld betrachtet werden. 1) Äußeres Lernumfeld (bzw. sprachliches Umfeld) Hier geht es darum, ob die Lernenden in ihrer Umgebung Möglichkeiten haben, die Zielsprache in authentischen Kommunikationssituationen zu verwenden. Auf dieses Problem wurde von Lehrperson F auch im Interview hingewiesen: „(...), aber ich denke, es braucht doch auch eine Situation, in der die Studenten sich schon mal vorbereiten können auf eine völlig fremdsprachige Umgebung. Das ist unbedingt notwendig, glaube ich. Und natürlich kriegen die dann vielleicht nicht alles mit, das macht aber auch nichts, es geht nur darum, mal zu erleben, wie es ist, wenn eben jemand immer Deutsch spricht, und nur Deutsch spricht.“ In Taiwan fehlt den DaF-Studierenden aufgrund der großen geografischen Entfernung diese zielsprachliche Umgebung, in der sie außerhalb des Unterrichts jederzeit ihre Deutschkenntnisse anwenden bzw. direkte Kontakte mit deutschen Muttersprachlern aufnehmen können. Dadurch wird die Fokussierung des Erwerbs schriftlicher Sprachfertigkeiten begünstigt, (zu den weiteren Einflussfaktoren wie Prüfungsformen, Vorerfahrungen etc. vgl. 7.2.2), und dem mündlichen Sprachenlernen (also Erwerb der Hör- und Sprechfertigkeiten) wird keine große Aufmerksamkeit geschenkt. So erwirbt der Großteil der Studierenden ihre Deutschkenntnisse vor allem durch Lesen und Schreiben (schriftliches Lernen). Dies wirkt sich ungünstig auf die Entwicklung mündlicher Sprachfertigkeiten und auf die Vertiefung der Deutschkenntnisse durch <?page no="301"?> 301 konkrete Anwendung (z.B. die drei untersuchten Grammatikthemen) aus und ist zugleich auch einer der Gründe dafür, warum die schriftlichen Fertigkeiten der Studierenden im Vergleich zu deren mündlichen allgemein viel besser sind. 2) Institutionelles Lernumfeld Im institutionellen Lernumfeld hat man das Problem der fehlenden Möglichkeiten zur zielsprachlichen Anwendung zwar schon wahrgenommen und versucht, darauf zu reagieren, insbesondere durch zwei Maßnahmen: Austauschprogramme und Curriculumplanung (vgl. zu letzterem auch 3.3.2). Bei genauerer Betrachtung ergeben sich auch bei diesen Maßnahmen einige Schwierigkeiten. Zuerst zum Austauschprogramm: An den meisten Deutschabteilung existieren, wie in 3.3.2 erwähnt, schon seit langem Austauschprogramme mit Partneruniversitäten in den deutschsprachigen Ländern, ausführliche Informationen dazu siehe Tabelle 3-1 (vgl. 3.3.2). Aber außer an der Wen-Hua Universität bleibt das Programm nur einseitig, d.h., taiwanische DaF-Studierende können in Deutschland studieren, aber es kommen keine Deutschen an taiwanische Universitäten. So haben also nur die Studierenden, die sich an einem solchen Austauschprogramm beteiligen wollen und sich das Auslandssemester auch finanziell leisten können, tatsächlich Gelegenheit, ihre in den ersten zwei Studienjahren erlernten Deutschkenntnisse in authentischen Kommunikationssituationen zu verwenden. Demgegenüber stellt für die anderen Kommilitonen der Unterricht fast die einzige Möglichkeit zur authentischen Anwendung der deutschen Sprache und zum Training der Sprechfertigkeit sowie des Hörverstehens dar, und zwar vor allem der Unterricht bei Muttersprachlern. An der Wen-Hua Universität ist das Austauschprogramm zwar beiderseitig, es kommen pro Studienjahr etwa 10 Austauschstudenten aus dem Fach Sinologie der Universität Heidelberg. Das Problem wiederum hier ist, dass die Deutschstudierenden hier diese Chance nicht unbedingt nutzen wollen, um die (mündlichen) Sprachfertigkeiten zu verbessern. Die institutionelle Curriculumplanung wird hier auch als Ursache für die fehlenden Möglichkeiten zur Anwendung der Zielsprache angesehen. Denn im Curriculum des Germanistikbzw. Deutschstudiums Taiwans wird im Allgemeinen größerer Wert auf das schriftliche Lernen gelegt, obwohl das Curriculum eigentlich auch das Erreichen anderer Sprachfertigkeiten als Lehr- und Lernziele setzt. Die Sprech- und Kommunikationsfähigkeit spielt in den meisten Kursen nur eine sehr untergeordnete Rolle und wird nicht ausreichend gepflegt (vgl. Hunold 2009, 58f.). Grund dafür könnte sein, dass es zu wenige Kurse speziell für die Förderung der Sprechfertigkeit gibt. Weiterhin ist die Anzahl der zugeteilten <?page no="302"?> 302 Unterrichtsstunden von finanziellen Faktoren abhängig, die darüber entscheiden, dass mehr Veranstaltungen für das mündliche Sprachlernen angeboten und mehr Kurse in Kleingruppen geführt werden können. Bei der Schulung der mündlichen Sprachfertigkeiten spielen die Klassengröße (möglichst nicht größer als 15 bis 20 Personen) und genügend Unterrichtsstunden v.a. bei Muttersprachlern eine große Rolle. Diese Probleme hängen nicht nur mit den in Kap. 3.3.2 und 6.1 dargestellten institutionellen Rahmenbedingungen zusammen, sondern auch mit der Prüfungsorientierung. In den meisten Kursen werden die Lese-, Hör- und Schreibfertigkeiten in schriftlicher Form (z.B. Klausur bzw. Hausarbeit) überprüft. Einzige Ausnahme ist in der Regel der Kurs Konversation. Dem mündlichen Lernen wird also auch durch die Prüfungsformen weniger großen Wert zugemessen. Zuletzt spielt die Lehrerzentrierung im Unterricht, die wie in 4.2 genannt auf konfuzianische Lehr- und Lerntraditionen zurückgeführt werden kann, auch eine bedeutende Rolle. In den meisten Fällen ist der DaF- Unterricht in Taiwan u.a. aufgrund fehlender Eigeninitiative und passiver Lehrerorientierung der Studierenden eher lehrerzentriert gestaltet, unabhängig von den Unterrichtsarten (also z.B. Sprachkurs, Vorlesung bzw. Seminar) und der Herkunft der Lehrkräfte (also einheimisch bzw. muttersprachlich). Das bedeutet, dass im Unterricht der Lehrende meistens spricht, die Studierenden hingegen wenig. Die Förderung der mündlichen Sprachfertigkeiten bleibt somit aus, wenn das Sprachwissen nicht durch aktive Sprachanwendung (Sprachkönnen) in konkreten Situationen überprüft und gefestigt wird. Wie die Unterrichtsbeobachtungen zeigen, können die Lernenden das eigentlich verstandene Grammatikwissen nicht wirklich anwenden. Diskussion Zur Lösung dieser Probleme könnte eine multimediale Lernumgebung ebenso beitragen wie die digitalen Kommunikationsmedien (z.B. digitale Tandems, Chat in schriftlicher oder mündlicher Form, Austausch in Foren oder sozialen Netzwerken etc.). Diese Kommunikationsformen kennen die Lernenden bereits aus ihrem Alltagsgebrauch, es wird dadurch möglich, Zeit- und Raumgrenzen zu überwinden und die Möglichkeiten zur Kommunikation und Kooperation voll auszuschöpfen (vgl. Rösler 2012, 52f.). Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn der persönliche Kontakt zu Zielsprachlern und zur Zielsprachenkultur aufgrund geografischer Entfernung nicht (immer) möglich ist. Diese digitalen Medien gelten als wichtige Kommunikationsmittel für DaF-Lernen, weil sie auch in Gebieten wie Taiwan einen authentischen Zugang zur Zielsprachenkultur schaffen. Sie übernehmen also eine wichtige Vermittlerrolle. <?page no="303"?> 303 Mit Hilfe des Internets entsteht eine authentische Sprach- und Kulturbegegnung, wobei sowohl eine zielsprachliche Kommunikation zwischen DaF- Lernenden und deutschen Muttersprachlern als auch andere interkulturelle Kontakte ermöglicht werden. So sind z.B. die Chat-Räume besonders für die Überwindung der räumlichen Distanzen von großer Bedeutung. Sie werden konzeptionell eher mündlich genutzt und stellen deshalb eine gewisse Annäherung an Face-to-Face-Konversation dar, denn die Teilnehmenden und Chatpartner müssen dabei gleich auf Äußerungen des Gegenübers reagieren und ihre Beiträge nach der Eingabe abschicken, damit diese dann lesbar werden (vgl. Huneke / Steinig 2010, 215). Dies passiert quasi synchron wie in der echten Gesprächssituation und verlangt eine spontane Reaktion, damit die Kommunikation reibungslos läuft. Der Chat nimmt laut Rösler (2012, 59) dabei unter didaktischen Gesichtspunkten eine interessante Stellung im Hinblick auf die Förderung von quasi-synchroner Kommunikation ein. Im Chat können somit die Sprachfertigkeiten der Lernenden in der Zielsprache gefördert und weiter entwickelt werden, da die gesprochene Sprache spontan zur Anwendung kommt und zusätzlich in der schriftlichen Form gezeigt wird. Zudem findet auch interkulturelles Lernen durch den Gedanken- und Informationsaustausch bzw. die Themadiskussion im Chat statt, gefördert wird also die interkulturelle Kommunikation. Die Frage, inwiefern die mündlichen Sprachfertigkeiten dadurch tatsächlich befördert werden können, wurde durch die Forschung bisher allerdings noch nicht beantwortet und müsste in Zukunft weiter erforscht werden, da man beim Text-Chat im Vergleich zum Voice-Chat in der Regel mehr Zeit zur Überlegung hat. Es ist nun Aufgabe der Lehrkräfte, die digitalen Kommunikationsformen durch sinnvolle Aufgaben in den Unterricht einzubetten und die Lernenden bei der Mediennutzung zu unterstützen. Es ist wichtig, dass sie diese abgestimmt auf das Sprachniveau der Lernenden anleiten und dadurch auch Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit dem Fach DaF in Deutschland schaffen. <?page no="304"?> 304 8 Didaktische Probleme Bevor auf die didaktischen Probleme eingegangen werden kann, die im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen, muss hier zuerst kurz erläutert werden, wie die Begriffe didaktisch bzw. Didaktik und Methodik in der vorliegenden Arbeit verstanden und verwendet werden. Didaktik heißt „Unterrichtslehre“ und bezieht sich im weiteren Sinne auf alle mit dem Unterricht im Zusammenhang stehenden Theorien, Methoden, Lehrinhalte, Forschungen etc. und wird deshalb als der Methodik übergeordneter Begriff angesehen. Das Verhältnis und den Unterschied zwischen Didaktik im engeren Sinne und Methodik beschreibt Krumm (2010b, 55) anhand der Ausführungen von Klafki (1963) und Weniger (1952 / 1960) wie folgt: „Klafki und Weniger bestimmen Didaktik in einer engeren Bedeutung als Theorie der Bildungsinhalte: Didaktik ist die Disziplin, die die Frage nach dem „Was“, nach der Bedeutung des Lernens für das Leben junger Menschen beantworten muss und damit der Methodik, die Fragen des „Wie“ behandelt, übergeordnet.“ In diesem Kapitel geht es vorwiegend um die didaktisch-methodischen Überlegungen der Lehrkräfte sowie die Durchführung und Reflexion des Unterrichts. Unterrichtsbezogene Kompetenzen von Lehrkräften umfassen folgende Bereiche: Didaktisches Können, organisatorische Fähigkeiten sowie Sprach- und Fachwissen. Diese sind nicht nur wichtige Voraussetzungen für das erfolgreiche L2-Lehren, sondern beeinflussen auch die Lernmotivation der Studierenden (vgl. 2.2 und 7.1.2). In den hier beobachteten Fällen hängen viele didaktische Probleme ursächlich mit der Situation der Lehrkräfte in Taiwan (z.B. mit der in 3.3.2 erwähnten Ausbildungssituation, den Möglichkeiten zur Nachqualifikation 182 sowie den Sprachkenntnissen) zusammen, was Auswirkungen hat auf das didaktische Können der Lehrkräfte in Bezug auf die in Kap. 1 dargestellten Aspekte des Sprachlehrens (Methodeneinsatz, Kontrastivität, Übungsgestaltung etc.). In den folgenden Kapiteln sollen auf der Basis der Unterrichtsvideos und der Lehrer- und Lernerbefragung folgende didaktische Probleme behandelt werden: didaktische Kompetenz der Lehrkräfte, Probleme im Bereich Methodik und Sozialformen, Unterrichtsmaterialien, Unterrichtsreflexion sowie Möglichkeiten zur Lehrerausbildung und -weiterbildung. In der Diskussion der genannten Aspekte wird auf die im Theorieteil entwickelten 182 Siehe in Kap. 8.6 (Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften). <?page no="305"?> 305 Fragestellungen Bezug genommen. Die Frage nach den Möglichkeiten zur Lehrerausbildung und -weiterbildung wird hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Erhebungskontext und den in Kap. 3.3.2 aufgezeigten Rahmenbedingungen und der Curriculumorganisation erörtert. 8.1 Didaktische Kompetenz Aus der Analyse von Lehrer- und Lernerdaten sowie der Unterrichtsvideos geht hervor, dass einige Lehrkräfte Probleme mit der sprachdidaktischen Kompetenz haben, und zwar auf zwei Ebenen, nämlich Fachwissen und fachdidaktische Kompetenz. Auf der Ebene des Fachwissens geht es darum, ob die Lehrperson über ausreichende Kenntnisse der Zielsprache verfügt. Ist dies nicht der Fall, stellt es ein Hindernis für den Lernerfolg dar, da der Lernprozess möglicherweise behindert oder ineffizient gestaltet wird (vgl. Hallet 2006, 37). Was die fachdidaktische Kompetenz (also das didaktische Können) anbetrifft, ist zu fragen, welche Verhaltensweisen der Lehrkraft den Lehr-/ Lernprozess erschweren und deshalb didaktische Mängel darstellen. Im Folgenden sollen nun einige konkrete Beispiele für solche didaktische Kompetenzprobleme, die bei der Auswertung und Analyse der diesbezüglichen Daten herausgearbeitet wurden, dargestellt und diskutiert werden. 8.1.1 Mangel an Fachwissen Um die erfolgreiche Wissensvermittlung im L2-Unterricht zu gewährleisten, ist das sichere, jederzeit verfügbare Fachwissen der Lehrperson von grundlegender Bedeutung. Wird im Unterricht z.B. etwas grammatikalisch Falsches vermittelt, beeinträchtigt dies sowohl den Grammatikerwerb als auch die Erweiterung des L2-Wissens. Dafür werden nun einige Beispiele aus dem Unterrichtsgeschehen bei Gruppen A (Auszug UT 8-1) und B (Auszüge UT 8-2 und 8-3) angeführt und diskutiert. Unterrichtssituation: Bei Gruppe A geht es darum, dass eine eher ungewöhnliche Äußerung in den von der Lehrperson selbst erstellten Testaufgaben vorkommt und dabei in der Korrekturphase das Zustandspassiv falsch erklärt wird. Mit dem angegebenen Verb waschen wird das Passiv Perfekt ergänzt, und die Aufgabe sieht wie folgt aus: 4. Früher die Wäscher mit der Hand . (waschen 現在完成式 ) Auszug UT 8-1: Gruppe A - Korrekturphase zur Testaufgabe (07.10.2004, ca. 20: 19) <?page no="306"?> 306 L: Nummer vier, früher ... 這一句要用現在完成式 Perfekt 。 Früher sind die Wäscher... ( 有些遲疑 ) mit der Hand gewaschen worden. „waschen“ 完成式是 ist gewaschen worden ,而 Plural 是 sind gewaschen worden 被動。從前衣服是用手洗的,在 20、30 年前沒有洗衣機的年代。 <Nummer vier, früher ... dieser (Passiv)Satz wird mit dem Perfekt gebildet. Früher sind die Wäsche ... (zögert kurz) mit der Hand gewaschen worden. Die Perfektform von waschen heißt „ist gewaschen worden“. Im Passiv Plural heißt das „sind gewaschen worden“. Früher wurde die Wäsche mit der Hand gewaschen, so vor 20 oder 30 Jahren war das so, als es noch keine Waschmaschinen gab.> S: ... (alle korrigieren dann ihren eigenen Testbogen weiter und geben gar kein Feedback an die Lehrperson) Zu der Testaufgabe und zu Auszug UT 8-1 ist zu bemerken, dass sowohl eine eher ungewöhnliche Ausdrucksweise als auch ein lexikalischer Fehler in der Testaufgabe vorliegen, nämlich der Ausdruck mit der Hand sowie das Substantiv die Wäscher. Der Ausdruck mit der Hand ist zwar grammatikalisch nicht falsch, es handelt sich aber um eine eher ungewöhnliche Ausdrucksweise in der Zielsprache, was auf mangelnde sprachliche Kompetenz der Lehrperson hinweist. Eigentlich sollte es heißen von Hand. Das Nomen die Wäscher bezeichnet Personen und passt somit überhaupt nicht in den Satzkontext. Es handelt sich vermutlich um einen Tippfehler, denn eigentlich ist wohl die Wäsche gemeint. Bei der Besprechung dieser Aufgabe wurde aber die Wäscher bzw. die Wäsche, die wie bereits in 7.3.2 erwähnt als Kollektivbegriff im Singular gebraucht wird, als Plural erklärt. Obwohl die Lehrperson A beim Vorlesen dieses Wortes ganz kurz zögerte, was darauf hindeuten könnte, dass der Fehler wahrgenommen wurde, wurde aber von ihrer Seite nicht darauf eingegangen. Auch die Studierenden verhielten sich still, sie fragten nicht und gaben auch keinerlei sonstiges Feedback an die Lehrperson. Gründe dafür könnten zum einen darin liegen, dass die Studierenden beim (Deutsch)lernen wie in 4.2.3 dargestellt größtenteils rezipierend und lehrerorientiert waren und keinerlei Eigeninitiative im Unterricht zeigten. Zum anderen wurde das in der Problemlösungsphase auftretende Problem vermutlich nicht entdeckt, entweder weil die Studierenden tatsächlich nicht selbständig mitdachten oder weil sie erst zwei Semester Deutsch gelernt hatten und noch nicht in der Lage waren, die vermittelten Inhalte kritisch einzuschätzen. Dies war vermutlich einer der Gründe, weshalb die Studierenden das Grammatikphänomen später nicht erfolgreich anwenden konnten. Bei den Auszügen UT 8-2 und 8-3 geht es bei Gruppe B darum, dass in der Vermittlungsphase der Gebrauch des Zustandspassivs und in der Problemlösungsphase bei Testaufgaben (siehe Anhang 3) die Gebrauchsweise des <?page no="307"?> 307 Konjunktiv II mit Modalverben nicht sehr sicher und auch nicht ganz korrekt erklärt werden. Unterrichtssituation: Bei Gruppe B findet der Unterricht generell lehrerzentriert statt. Anhand von Einzelsätzen wird das Passiv an der Tafel dargestellt und dann in einer situativen Einbettung erläutert. Zuerst beginnt die Lehrperson mit den Aktivsätzen, durch die die Formen und der Gebrauch des Passivs deduktiv vermittelt werden. Danach wird der funktionale Unterscheid zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv verdeutlicht. Auszug UT 8-2: Gruppe B - Vermittlung des Zustandspassivs (30.09.2004, ca. 43: 37) L: (...) „Das Haus wird verkauft“ 這棟房子,屋主他們現在覺得他們留著這棟房子沒甚麼意 思了。因為屋主出生鄉下,(...) 那他現在孩子都長大了,各自成家立業了。所以打算把原 本住的房子賣掉,搬回鄉下。那就找來仲介 (...),倘若這房子已經成交了,那現在要說什 麼? „Das Haus ist verkauft“ 。那假設說,要用比較完整的...比較完整的Passiv的形式,(那 就是) „Das Haus ist verkauft worden“ 。所以 „Das Haus ist verkauft (worden)“ 這個就 是一個 Zustandspassiv 。基本上,它就是一個 Passiv 的句子,可是比較多一點的意思就是 ,這個 verkauft 是來當作主詞的 Ergänzung 。 <(...) „Das Haus wird verkauft.“ Nach Meinung der Hausbesitzer hat es keinen großen Sinn mehr, das Haus weiter zu behalten. Denn sie sind auf dem Land geboren und aufgewachsen, (...) und ihre Kinder sind schon erwachsen und haben auch ihre eigene Familie gegründet. Deshalb haben sie vor, das ursprüngliche Haus zu verkaufen und wieder auf das Land umzuziehen. So haben sie eine Wohnungsvermittlung gesucht (...) Falls für das Haus schon ein Käufer gefunden wurde, wie soll man das ausdrücken? Das Haus ist verkauft. Wenn wir eine vollständigere Passivform anwenden möchten, dann heißt das „Das Haus ist verkauft worden“. So ist „Das Haus ist verkauft (worden)“ ein Zustandspassiv. Im Prinzip ist dieser Satz ein Passivsatz, aber noch wichtiger ist hier, dass „verkauft“ die Subjektsergänzung ist.> S: ... (still und viele machen sich Notizen) In der Unterrichtssituation erscheint problematisch, dass die Lehrperson den Bedeutungs- und Gebrauchsunterschied zwischen Vorgangspassiv im Perfekt und Zustandspassiv im Präsens nicht eindeutig voneinander abgrenzt. Denn hier wurde zwar ein Beitrag zum Verständnis der strukturellen und funktionalen Unterschiede zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv geleistet, indem erklärt wurde, dass das Zustandspassiv eine abgekürzte Form des werden-Passivs ist. Aber warum und wann sie verwendet wird oder wo genau der Bedeutungsunterschied liegt, wurde nicht erläutert. Ursachen für diese fehlende Genauigkeit könnten das hier verwendete Anschauungsmaterial sowie das Fachwissen der Lehrkraft sein, aber auch die unterrichtspraktische Situation wie Zeitdruck, Befinden der Lehrperson, Ablenkung etc. Zum Material ist zu bemerken, dass die inhaltliche Auswahl <?page no="308"?> 308 und Präsentationsweise des Stoffs den Unterrichtserfolg beeinflussen. Auf diesen Aspekt möchte ich in Kap. 8.4 (Unterrichtsmaterialien) noch näher eingehen. In der vorliegenden Situation wurde das Zustandspassiv mit Hilfe isolierter Beispielsätze dargestellt und in einer situativen Einbettung monologisch erklärt. Dies ist insbesondere deshalb problematisch, weil von den Lernenden keinerlei Reaktion kam, also die nicht besonders klare Erläuterung nicht in Frage gestellt wurde. Die Studierenden verhielten sich wie die in 4.2.3 und 7.2.2 erwähnten „typischen“ Lerner lehrerzentriert und ausschließlich passiv-rezipierend (d.h. ohne Nachdenken bzw. Hinterfragen) und übernahmen keine Selbstverantwortung für ihr Lernen (siehe dazu Auszüge UT 8-2 und 8-3), deshalb kam das Problem gar nicht zur Sprache und wurde natürlich auch nicht gelöst. Dies könnte auf die lehrerzentrierte Unterrichtsstruktur zurückgeführt werden. Was das Fachwissen angeht, wird der Lernprozess wie bereits erwähnt behindert, falls die Lehrperson etwas Unklares oder Falsches vermittelt. Der Auszug UT 8-2 deutet jedoch darauf hin, dass sich die Lehrperson über die zwei eben genannten Passivstrukturen anscheinend nicht ganz im Klaren war, da die Erklärungen jedesmal etwas anders sind. Dies ist in Auszug UT 8-12, der später besprochen wird, noch deutlicher zu sehen. Unterrichtssituation: Die Lehrperson bespricht mit der Klasse gemeinsam den für die vorliegende Arbeit durchgeführten Test. Die Testaufgaben werden nacheinander kommentiert, und die Lösungen dafür werden teilweise an die Tafel geschrieben. Auszug UT 8-3: Gruppe B - Problemlösen zur Testaufgabe (23.12.2004, ca. 59: 54) L: 第五題 einen Ausflug zum Kenting-Nationalpark machen können 這個有一個 „Modalverb“ 在這個地方。那這樣的話就是 „Wenn wir morgen nicht zur Uni kommen müssten“ 。因為要用到動詞的 „Präteritum (müssen→ musste → gemusst)“ ,可是 這個 „musste“ 因為有 „u“ ,所以要加 „Umlaut“ 。 ( 把答案 „Wenn wir morgen nicht zur Uni kommen müssten, würden wir einen Ausflug zum Kenting-Nationalpark machen können.“ 寫在黑板上,並念過一遍 ) Haben Sie Fragen? <Bei Aufgabe 5 „einen Ausflug .....“ gibt es ein „Modalverb“, deshalb muss der Satz heißen „Wenn wir .....müssten“. Denn hier wird das Präteritum von „müssen“gebraucht, aber bei „musste“ wird noch der Umlaut hinzugefügt, also wegen dem Vokal „u“. (schreibt dann die folgende Lösung an die Tafel und liest vor) „Wenn wir morgen nicht zur Uni kommen müssten, würden wir einen Ausflug zum Kenting-Nationalpark machen können.“ Haben Sie Fragen? > S: ... (schauen an die Tafel oder in ihren eigenen Testbogen) Das Problem dabei ist, die würde-Form benutzt man wie bereits in 7.3.2 erwähnt im Prinzip nicht beim Konjunktiv II mit Modalverben, und zwar <?page no="309"?> 309 weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit. Die Modalverben müssen direkt konjugiert werden. Die Lehrperson hatte also offensichtlich noch Wissenslücken in diesem Bereich und war deshalb selbst im Gebrauch des besprochenen Grammatikphänomens unsicher, obwohl sie die Konjunktivform von müssen im Nebensatz von Testaufgabe 5 korrekt erläutert und vermittelt hatte. Die Reaktion der Studierenden, die das einfach so hinnehmen und keinerlei Fragen dazu stellen, deutet einerseits darauf hin, dass die theoretischen Regeln wohl noch nicht erfolgreich vermittelt wurden, da der Widerspruch zwischen der gelernten Theorie und der Äußerung der Lehrperson nicht erkannt wurde. Daraus wird deutlich, wie bereits in 1.1 erwähnt, dass das explizit vermittelte bzw. gelernte Grammatikwissen, nicht unbedingt spontan in die Sprachpraxis umgesetzt werden kann, d.h. nicht unbedingt zum Sprachkönnen führt. Andererseits spiegelt dies abgesehen vom Sprachniveau der Studierenden wiederum die Probleme des rezipierenden, lehrerorientierten Lernverhaltens und der Lehrerautorität wider (vgl. 4.2.1 und 7.2.3). 8.1.2 Erklärungsschwierigkeiten Die Kompetenz, etwas klar verständlich, logisch und auf geeignete, gegebenenfalls verschiedene Weise zu erklären, gehört zur didaktischen Diskursfähigkeit und ist die Voraussetzung für das erfolgreiche Lehren (vgl. Hallet 2006, 129f.). Dies muss deshalb von den Lehrenden trainiert werden, sie sollten gegebenenfalls auch auf diesem Gebiet fortbzw. weitergebildet werben, um ihre Lehrkompetenz zu optimieren. Geschieht dies nicht, kann es sein, dass der Lernerfolg ungünstig beeinflusst wird, was als fachdidaktisches Problem angesehen wird. An dieser Stelle sollen die damit verbundenen Schwierigkeiten im Lehrprozess bei den untersuchten Grammatikthemen aufgezeigt und erläutert werden. Präpositionen Im Deutschen existiert eine Anzahl an Präpositionen, die meistens wesentlich mehr als eine Gebrauchsweise und Bedeutung haben, was jedoch nur aus dem jeweiligen Kontext erkennbar ist. Dadurch entsteht ein Erklärungsproblem: „Bei den Präpositionen gibt es häufig keine logische Erklärung, wie oder warum wird eine bestimmte Präposition bzw. Präpositionalgruppe verwendet. Dies ist für die Studenten schon unbefriedigend“, antwortete Lehrperson F auf Frage 25 im Lehrerfragebogen. Ein ähnliches fachdidaktisches Problem trat auch bei Lehrpersonen A und E auf und ist aus folgenden Unterrichtstranskripten (Auszüge UT 8-4 und 8-5) erkennbar: <?page no="310"?> 310 Auszug UT 8-4: Gruppe A - Lehreraussage im Unterricht (07.10.2004, ca. 01: 20: 11) L: ... 德文介系詞是很麻煩的一件事,我們只能講基本的、有規則可循的大原則。 <...die deutschen Präpositionen sind eine mühsame Sache, wir können hier (deshalb) nur die elementaren, logisch nachvollziehbaren Prinzipien dieses Themas behandeln.> Unterrichtssituation: Mit Hilfe von Bildmaterial (Abb. 8-15, S. 420) werden bei Gruppe E die Wechselpräpositionen präsentiert und wiederholt. Sie werden im Zusammenhang mit den Verben wie stellen, stehen, liegen, hängen etc. behandelt. Dabei versucht die Lehrperson zu erklären, warum es „auf der Wäscheleine“ heißt und nicht „über der Wäscheleine“. Auszug UT 8-5: Gruppe E - Behandlung der Präpositionen (03.12.2004, ca. 15: 00) L: ... Hose, genau. Das ist die Wäsche. Die ist gewaschen und deshalb heißt es Wäsche ... etwas, was wir gewaschen haben, ist die Wäsche. Und diese Schnur ist die Wäscheleine. Diese Schnur, wo wir die Wäsche trocknen, ist die Wäscheleine. Und jetzt möchte ich euch noch ganz kurz was, Sie erinnern sich an die letzte Stunde...dann erinnern Sie sich auch an die letzte Stunde, da hatten wir auch schon mal diese Präposition ... weil das hat Tobias auch eben wiederholt. Da haben wir die Stuhllehne (L legt ein Tuch über den Stuhl).Und was macht jetzt mein Tuch? Wo ist das Tuch? S: ... über (einige antworten darauf) L: Über der Stuhllehne, wenn es so hängt (L zeigt S das). Es hängt auf beiden Seiten, es ist über der Stuhllehne. Und schauen Sie mal, warum heißt das nicht „über der Wäscheleine“, das klingt doch logisch, nicht wahr? Über der Wäscheleine hängt die Wäsche, und...ehm und ich habe selbst gefragt, warum sagen wir nicht „über“, weil über der Wäscheleine ist ja richtig. Aber da sehen Sie, manchmal auf Deutsch...ehm gibt es bestimmte Situationen, da benutzen die Leute eine bestimmte Präposition. Das müssen Sie einfach lernen, da kann man gar nicht erklären warum, warum ist es jetzt „auf“ und nicht „über“, ja? Es ist einfach so, die Leute sagen auf der Wäscheleine. Es ist auf der Wäscheleine. „Über“ ist nicht falsch. Die Wäsche hängt über der Wäscheleine, das ist auch richtig, ja? Aber wenn Sie mit den Deutschen sprechen und das hören, dann werden Sie hören, sie sagen immer „auf, auf der Wäscheleine“, ja? Da kann man nicht sagen warum, sondern es ist so. Die Leute sagen auf der Wäscheleine, obwohl man auch sagen könnte über der Wäscheleine. Das ist ganz richtig, ne! ( ) ist ja „über“. Also merken Sie sich die Wäscheleine, dann sagen wir auf der Wäscheleine, typischerweise ne! Sonst ist das hier, der Mann ist auf dem Karton (L zeigt das mit dem Gegenstand). Das ist ganz klar auf, ne. Der ist auf der Karton. Bei der Wäscheleine ist es komisch, weil es ist eigentlich Wäscheleine über, aber wir sagen auf Deutsch „auf“, ein bisschen komisch. Vorsicht, Wäscheleine auf, okay? <?page no="311"?> 311 Hier wird das Problem angesprochen, dass viele sprachliche Phänomene rein konventioneller Art sind und sich jeder Logik und Regelhaftigkeit widersetzen. Dies ist ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass die deutschen Präpositionen für die Lernenden so schwierig sind und oft nichts anderes übrigbleibt, als sie auswendig zu lernen. Die didaktischen Schwierigkeiten mit dem Umgang der Präpositionen hängen hier nicht nur eng mit dem Phänomen der Mehrdeutigkeit (Polysemie) zusammen, sondern auch mit dem sprachstrukturellen Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Chinesischen (vgl. Kap. 4.1 und Auszug UT 8-11). Dies werde ich in den folgenden Abschnitten noch näher diskutieren. Aus den obigen Beispielen geht hervor, dass nicht nur taiwanische, sondern auch Lehrkräfte mit Deutsch als Muttersprache mit der Vermittlung der Präpositionen nicht immer sehr gut zurechtkommen, und das aus Gründen der komplexen semantischen und syntaktischen Merkmale der deutschen Präpositionen. Das größte Problem ergibt sich dadurch, dass die Präpositionen im Deutschen nur zum Teil mit konkreten Beispielen funktional und situativ gut erklärbar sind. In vielen Fällen aber liegt ihre Funktion in der grammatischen Anknüpfung (z.B. zielen auf, schuld an, infolge etc.), wie beim Beispiel in Auszug UT 8-6 183 : Auszug UT 8-6: Gruppe F - Präsentation der Präpositionen (11.10.2004, ca. 05: 12) S: Das zweite Beispiel ist „Bitte hören Sie mit der Untersch...ehm Unterhaltung in fünf Minuten auf! “ (die Lehrperson stimmt zu) 請你們在五分鐘之內停止討論! <Das zweite Beispiel ist „Bitte hören Sie mit der Unterhaltung in fünf Minuten auf! “ (übersetzt den Satz ins Chinesische)> L: Ja...ehm... „ 停止討論 (tingzhi taolun)“...Unterhaltung (überlegend)... Ich würde sagen, Unterhaltung ist eher so plaudern, ja? „ 聊天 (liaotian)“。Unterhaltung ehm... hier würde ich sagen, „ 討論 (taolun)“ ist vielleicht Diskussion. Ja, „mit der Diskussion“ ist viel besser, aber das ( ) ist sehr gut, mit der Diskussion. „Bitte hören Sie mit der Diskussion in fünf Minuten auf! “ (schreibt das an die Tafel) Gut. Wie kann man sich das merken? Wie kann man das sehr gut lernen, dieses „aufhören mit“? Ehm.. Ich habe einen Tipp. Letztes Mal hatten wir anfangen, ja? „anfangen“, „beginnen“, beides mit. „anfangen“ mit, „aufhören“ ist auch „mit“, kann man sehr gut lernen so. OK, weíter! Auch die feinen Bedeutungsunterschiede zwischen einzelnen Präpositionen, vor allem in Bezug auf die übertragenen Bedeutungen, sind nur sehr schwer auf einfache und gut verständliche Weise konkretisierbar. Die Erklärung der Lehrperson E in der Unterrichtssituation (Auszug UT 8-5) spiegelt dies 183 Unterrichtssituation vgl. Auszug UT 7-14 in Kap. 7.3.3. <?page no="312"?> 312 wider. Aufgrund der begrenzten Daten werden die Komplexität und die Schwierigkeiten am Beispiel einer Erklärung zu den kausal verwendeten Raumpräpositionen aus und vor von Di Meola (2004, 230) demonstriert. „In einer aus-Konstruktion (z.B. aus Angst sagte sie kein Wort) wird die Emotion metaphorisch als ein Behälter kategorisiert, aus dem die betreffende Person heraustritt; in einer vor-Konstruktion hingegen ist die Emotion ein plötzliches Hindernis, mit dem sich die Person konfrontiert sieht (z.B. vor Angst sagte sie kein Wort). In Anlehnung an die wörtliche Grundbedeutung der beiden Präpositionen beschreibt somit aus eine kontrollierte/ reflektierte Handlung, vor eine unkontrolliert/ unreflektierte.“ Diese Erklärung zeigt gut, mit welchem intellektuellen bzw. zeitlichen Aufwand für eine vielleicht nur halbwegs einleuchtende Begründung zum Gebrauch einer Präposition verbunden ist. Zu fragen wäre außerdem, ob solche elaborierten Erklärungen grundsätzlich bzw. in welchen Situationen für Lerner überhaupt sinnvoll sind. Dies hängt mit der konkreten Unterrichtssituation zusammen, mit der die Lehrperson konfrontiert ist, sowie mit den jeweiligen Lehr- und Lernzielen, die erreicht werden sollen. Laut Wieland (2010, 345), die sich auf Böttcher und Sitta (1978) bezieht, sollten grammatische Fragen im Unterricht dann erarbeitet werden, wenn sie den Lernenden im Lernprozess bzw. bei der Sprachanwendung Probleme bereiten oder zu Missverständnissen führen. Dabei ist noch darauf zu achten, ob das bereits verfügbare Grammatikwissen der Lernenden für die Lösung des jeweiligen Problems tatsächlich ausreicht. Außerdem sei in diesem Zusammenhang noch die Einsicht von Lehrkraft F erwähnt, die nach der systematischen Wiederholung des Themas Verben mit Präposition anhand einer Liste mit Beispielsätzen zum Schluss kam, diese Art der Grammatikvermittlung sei wenig sinnvoll gewesen und Präpositionen sollten grundsätzlich durch Wortschatzarbeit im Kontext konkreter Texte gelernt werden. Die Schwierigkeiten für die DaF-Lehrkräfte bei der Vermittlung der Präpositionen sind hier offensichtlich und liegen je nach Lehrergruppen auf verschiedenen Ebenen. Bei den taiwanischen DaF-Lehrkräften fehlt zum einen oft das Sprachgefühl, das nötig wäre, um die feinen Unterschiede zwischen bedeutungsnahen Präpositionen funktional und situativ deutlich aufzuzeigen; zum anderen sind sie oft auch nicht - wie muttersprachliche DaF- Lehrkräfte etwa - in der Lage, spontan passende Beispiele für Präpositionen in einer bestimmten Situation zu finden und daraus dann allgemeine Rückschlüsse zu ziehen. In der folgenden Gegenüberstellung einiger Beispiele von Lehrkräften mit Muttersprache Chinesisch (Auszüge UT 8-7, 8-8, 8-9) bzw. Deutsch (Auszug UT 8-10), worin dieselbe Testaufgabe besprochen wird, ist dies deutlich zu sehen. <?page no="313"?> 313 Auszug UT 8-7: Gruppe A - Problemlösen zur Testaufgabe (23.12.2004, ca. 02: 56) L: Nummer drei, meine Freundin reist nächsten Sommer ... Deutschland. (Das Verb) reisen genau wie fahren, gehen. Deutschland, Ortsname. So, welche Präposition? S: ... nach (nur einige antworten darauf) L: Nach. Ortsname immer mit „nach“, also (z.B.) nach Deutschland, nach Danshui, nach Taipei, nach Frankfurt. Aber Ausnahme, in die Schweiz, ja? Oder in die USA. Also, ( ) Staatsname ..ehm mit Artikel „die“ oder Plural „die“, dann die Präposition „in“. In die Bundesrepublik (Deutschland), aber nach Deutschland. OK. Weiter. Auszug UT 8-8: Gruppe B - Problemlösen zur Testaufgabe (23.12.2004, ca. 01: 17) L: 第三, Meine Freundin reist nächsten Sommer ... 這個應該是什麼? Nach Deutschland 。嗯...這個 „nach“ 在這個地方後面可以接一個國家或是一個城市。問題是,這個國 家或是這個城市都不能加冠詞。國家或城市前面要加冠詞,有一個情形就是說,這個國 家或是這個城市前面有一個形容詞,那我們可以加冠詞,像 „das schöne Österreich“, „das romantische Italien“ 這個可以。不是這樣的話,通常我們(用) „nach Deutschland“, „nach Italien“ 或 „nach Rom“, „nach Hamburg“ 。不可以說 „nach dem Rom“, das sagt niemand. 沒有人這樣說的。 < Nummer drei, meine Freundin reist nächsten Sommer ... Was wäre hier die richtige Antwort? Nach Deutschland. Ja... dieses „nach“ wird bei Städten oder Ländern verwendet. Wichtig ist, dass vor dem Namen des Landes oder der Stadt kein Artikel stehen darf. Eine Ausnahme ist der Fall, wenn vor dem Land oder der Stadt ein Adjektiv steht, dann kann ein Artikel stehen, wie z.B. „das schöne Österreich“, „das romantische Italien“, das ist OK. Ansonsten benutzen wir in den meisten Fällen „nach Deutschland“, „nach Italien“, „nach Rom“, „nach Hamburg“ etc., aber „nach dem Rom“ geht nicht, „das sagt niemand“. Niemand sagt sowas.> S: ... (alle sind still und schauen entweder an die Tafel oder machen Notizen) Auszug UT 8-9: Gruppe C - Problemlösen zur Testaufgabe (21.12.2004, ca. 01: 48) L: Nummer drei, XX. (ruft eine Studentin auf) S1: Meine Freundin reist nächsten Sommer nach Deutschland. L: 我的女友下一個夏季時要前往德國。 Sie reist nach Deutschland. 因為(這裡的選項)沒有 „durch“ ,有 „durch“ 的話,當然也可以啊! Sie reist durch Deutschland ,也可以嘛! 她前往嘛! <Meine Freundin reist nächsten Sommer nach Deutschland. Sie reist nach Deutschland. Bei dieser Aufgabe steht „durch“ nicht zur Wahl, sonst könnte man hier natürlich auch „durch“ verwenden. Sie reist durch Deutschland, das geht auch OK. Sie geht hin. > <?page no="314"?> 314 S2: 那 „in“ 呢? <Und was ist mit „in“? > L: 它是未來式,根本就還沒有去啊!對不對?第四題 ... <Das ist die Zukunftsform, d.h., sie ist überhaupt noch nicht dahin gegangen, ja? Nummer vier...> Auszug UT 8-10: Gruppe F - Problemlösen zur Testaufgabe (27.12.2004, ca. 19: 59) L: Nummer drei, meine Freundin reist nächsten Sommer nach Deutschland/ nach Deutschland. (zeigt die Testaufgabe auf der Leinwan------------) Zuerst mal, was heißt dieser Satz? Was heißt das? Wer kann das übersetzen? Meine Freundin reist nächsten Sommer nach Deutschland. Doris, übersetzen Sie mal! S1: 我的女朋友...明年夏天要去德國 <Meine Freundin reist nächsten Sommer nach Deutschland.> L: Ja, genau. Hm ... „reist nächsten Sommer nach Deutschland“ ,就是她明年夏天 ... hm … 要去德國。 „reist nächsten Sommer nach Deutschland“ 並不一定是去旅遊,但是她 會搭飛機到德國去,這整過過程叫做 reisen, reisen 。可能是搭飛機,可能是坐車,可能 是坐船,然後到某一個地方,這個叫做 reisen nach ( ) 。 Hm ... „Sie reist nach Deutschland“ ,那為什麼不是 „nach dem Deutschland“ ? Warum nicht nach dem Deutschland? Weil...(schaut in der Klasse herum) <Ja, genau. Hm ... „reist nächsten Sommer nach Deutschland“ heißt „nächsten Sommer reist sie nach Deutschland“. „reist nächsten Sommer nach Deutschland“ bedeutet nicht unbedingt, dass man Urlaub macht. Aber sie fliegt mit dem Flugzeug nach Deutschland, und diesen ganzen Vorgang nennt man „reisen nach ( )“. Hm... „Sie reist nach Deutschland“, warum heißt es denn nicht „nach dem Deutschland“? Weil...> S1: 國家的名子。 <Ländername> L: Ja, genau. 國家的(名稱),通常都是沒有冠詞。 Und jetzt haben viele Leute da geschrieben „meine Freundin reist nächsten Sommer in Deutschland“. Das geht vielleicht auch, nur ein bisschen komisch für uns. Man könnte es auch sagen. Wenn man schreibt, meine Freundin reist nächsten Sommer in Deutschland, was heißt das dann? Wer hat das geschrieben? Hat jemand „in“ geschrieben? Ich glaube, ziemlich viele Leute, oder? Wer hat das so geschrieben? (schaut in der Klasse herum---) <Ja, genau. Bei Ländernamen benutzt man normalerweise keinen Artikel. Und jetzt (...) Wer hat das so geschrieben? > S: ... (alle bleiben still und schauen entweder in ihren eigenen Testbogen oder machen Notizen) L: 有沒有人選 „in“? Bitte melden Sie sich! <Hat jemand hier „in“ gewählt? Bitte melden Sie sich! > <?page no="315"?> 315 S: ... (einige antworten mit Kopfschütteln) L: Nein! (hebt die Stimme und lacht mit zweifelndem Gesichtsausdruck) Doch, doch! Viele Leute haben „in“ geschrieben. (alle lachen -------------------------------) Irene, haben Sie „in“ geschrieben? S2: Nein (sehr bestimmt). L: Nein! (viele lachen) Wer denn? Hm ... also, das ist ja egal. Aber wenn man das geschrieben hat, was könnte das dann bedeuten? 這樣子的話,那怎麼翻譯這句呢? (schaut die Studenten an------) <Nein! Wer denn? (...), was könnte das dann bedeuten? Wenn man das so schreibt, wie muss man den Satz dann übersetzen? > S3: 她在德國旅遊 <Sie macht eine Reise in Deutschland.> L: Ja... (überlegend) 在德國旅遊, ja ... 不過我們平常如果要表達這個意思的話,應該是不會用 „reisen“ , 而是用 „eine Reise machen“, meistens. „Meine Freundin macht nächsten Sommer in Deutschland eine Reise“ ,這樣會比較好。 <Ja (überlegend)... Sie macht eine Reise in Deutschland, ja ... Aber wenn wir das auf Deutsch ausdrücken wollen, verwenden wir nicht „reisen“, sondern „eine Reise machen“. So ist es besser! > S1: 最主要,動詞不要用 „reisen“ 就好了? <Dann darf man hier also als Verb nicht „reisen“ benutzen, das ist der Punkt, oder? > L: Hm ... 通常我們會用 „eine Reise machen“, oder man kann auch sagen „reist ..hm durch Deutschland“ oder „reist in Deutschland herum“. Das geht auch. Gut. Das ist die Nummer drei, das war eine schwierige Frage, eine etwas zu schwierige Frage, glaube ich. <Hm ... normalerweise benutzen wir hier „eine Reise machen“, (...) glaube ich.> In den Unterrichtssituationen der Auszüge UT 8-7, 8-8 und 8-9 wird aber deutlich, dass sich die nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte eher an klare, feste Regeln halten, also z.B. in Auszug UT 8-7 sagt die Lehrkraft: Ortsname immer mit nach (z.B. nach Deutschland, nach Danshui, nach Taipei etc.), nur wenn ein Artikel da ist mit in (z.B. in die Schweiz, in die USA etc.). Aber sie gehen nicht darauf ein, dass in, wie in Auszug UT 8-10 gezeigt, eigentlich auch möglich wäre, denn es handelt sich dabei um einen sehr feinen Unterschied, der ihnen selbst vermutlich gar nicht klar ist, was der Auszug UT 8-9 („Das ist die Zukunftsform, d.h., sie ist überhaupt noch nicht dahin gegangen, ja? “) beweist. <?page no="316"?> 316 So sind die nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte hier in den meisten Fällen nur in der Lage, sich mit Regularitäten und Grundbedeutungen zu beschäftigen, die eben genannten problematischeren Phänomene liegen außerhalb ihres Kompetenzbereichs. Den Grund dafür beschreibt Wieland (2010, 345f.) wie folgt: „Lehrerinnen und Lehrer, die einen situationsorientierten Grammatikunterricht praktizieren möchten, müssen über ein umfassendes grammatisches Wissen verfügen, denn nur so können sie überhaupt entscheiden, ob eine grammatische Reflexion zur Lösung der in der Situation entstandenen Frage beiträgt.“ Dies kann unter Umständen auch die muttersprachlichen DaF-Lehrkräfte betreffen und hängt sicher auch mit der Frage der sorgfältigen Unterrichtsvorbereitung zusammen. Bei den beobachteten muttersprachlichen Lehrkräften ohne fachliche Ausbzw. Fortbildung waren allerdings eher methodische Schwierigkeiten zu beobachten (vgl. 8.2). Auf das Problem der fachdidaktischen Lehrerausbildung bzw. -weiterbildung werde ich in Kap. 8.6 noch näher eingehen. Erwähnenswert ist hier noch die Frage, ob der Sprachvergleich zwischen Ausgangs- und Zielsprache aus didaktischer Sicht sinnvoll ist. Tatsache ist, dass die kontrastive Darstellung zwischen Chinesisch und Deutsch in Bezug auf das Thema Präpositionen in vielen Fällen keine große Hilfe bietet, obwohl das Sprachbewusstsein der Studierenden in Hinblick auf die Funktion der Präpositionen durch einen Diskurs angeregt werden kann. Grund dafür ist der in 4.1.1 erwähnte sprachstrukturelle Unterschied, also die Unflektierbarkeit der chinesischen Wörter und die Deklination der deutschen. Deswegen kann z.B. die chinesische Präposition „zài...shàng ( 在...上 )“ sowohl temporal, lokal als auch dynamisch und statisch in den verschiedensten Kontexten vorkommen, und die Wörter, die im Zusammenhang damit stehen, bleiben unverändert. Im Deutschen hingegen kann die Präposition semantisch und syntaktisch je nach Kontext durch unterschiedliche funktionelle Entsprechungen realisiert werden, obwohl sie selber eigentlich zu den nicht flektierbaren Wortarten zählt (vgl. dazu 4.1.1). Dies wurde auch von Lehrperson A im Unterricht erwähnt und mit konkreten Beispielen (Auszug UT 8-11) belegt: Unterrichtssituation: Anhand der Beispiele der chinesischen Präposition „zài ... shàng ( 在...上 )“ verdeutlicht die Lehrperson, dass das Deutsche über vielfältige Präpositionen verfügt, aber sie werden nicht semantisch eindeutig gebraucht. Dadurch wird darauf hingewiesen, warum die deutschen Präpositionen didaktisch schwer zu behandeln sind. <?page no="317"?> 317 Auszug UT 8-11: Gruppe A - Behandlung der Präpositionen (07.10.2004, ca. 01: 17: 51) L: 「在屋頂上」 auf dem Dach 、「在地板上」 auf dem Boden ,可是「在天花板上」 an der Decke 跟「在牆壁上」都是用 „an“ 。(老師用手對著黑板做動作) „an der Tafel“ 不 是 „auf der Tafel“ 。... „ Etwas steht an der Tafel, aber etwas steht im Lexikon, im Buch, in der Zeitung.“ 這跟中文的語氣、用法轉換在習慣上是不一樣的,因為中文都叫 「在什麼上」或「在什麼裡」。在「黑板上」、「在地板上」、「在天花板上」,還是 「上」,請問這三個「上」一樣嗎?「在黑板上」、「在書上」、「在天花板上」、 「在地板上」,在德文的介系詞用法上,這是不同的「上」。 „an der Decke“ 天花板上 掛著燈、掛著電扇, „an der Wand“ 牆上,「牆上」和「天花板上」的「上」是一樣 的,但跟「地板上」和「桌上」的「上」是不一樣的。在書裡面要用 „in“ , z.B. „es steht in der Zeitung“ ,但不可以說 „es steht auf der Zeitung“ 。介系詞有很多,是有理 說不清(...)。可是為什麼 „in“ 和 „an“ 這兩個介系詞占很大的篇幅(...),這是因為它們的用 途較廣(...)。德文介系詞是很麻煩的一件事,所以我們只能講基本的、有規則可循的大原 則。 <Zài wūd ǐ ng shàng, auf dem Dach, zài dìb ǎ n shàng, auf dem Boden, aber zài tiānhuāb ǎ n shàng, an der Decke und zài qiángbì shàng, an der Tafel, überall wird die gleiche Präposition „an“ verwendet. (verdeutlicht das Gesagte durch Gesten an der Tafel) „An der Tafel“ ist nicht „auf der Tafel“. „Etwas steht an der Tafel, aber etwas steht im Lexikon, im Buch, in der Zeitung.“ Dies ist mit der Aussageweise und dem Gebrauch im Chinesischen nicht identisch, weil es auf Chinesisch immer heißt „zài shénme shàng“ oder „zài shénme l ǐ “. „Zài hēib ǎ n shàng“, „zài shū shàng“, „zài tiānhuāb ǎ n shàng“, immer benutzen wir „shàng“, aber bedeuten diese drei „shàng“ das gleiche? „Zài hēib ǎ n shàng“, „zài shū shàng“, „zài tiānhuāb ǎ n shang“, „zāi dìb ǎ n shàng“, in diesen Fällen werden im Deutschen andere Präpositionen verwendet. „An der Decke,“ also zài tiānhuāb ǎ n shàng, hängt eine Lampe, ein Ventilator. Das shàng von „an der Wand“, also qiáng shàng, und tiānhuāb ǎ n shàng ist gleich, aber anders als das shàng von dìb ǎ n shàng und zhuō shàng. Wenn wir etwas irgendwo gedruckt sehen, müssen wir „in“ verwenden, z.B. „es steht in der Zeitung“, man darf nicht sagen „es steht auf der Zeitung“. Es gibt sehr viele Präpositionen, deren Bedeutung man nicht immer logisch erklären kann. (...) Aber die Behandlung der zwei Präpositionen „in“ und „an“ nimmt einen sehr großen Platz in Anspruch (...), weil ihre Verwendung sehr vielfältig ist (...). Die deutschen Präpositionen sind eine mühsame Sache, wir können hier (deshalb) nur die elementaren, logisch nachvollziehbaren Prinzipien dieses Themas behandeln.> Anmerkungen: Gegenüberstellung Chinesisch-Deutsch 在黑板上 <zài hēibǎn shàng> an der Tafel 在地板上 <zài dìbǎn shàng> auf dem Boden 在桌子上 <zài zhuōzi shàng> auf dem Tisch 在報紙上 <zài bàozhǐ shàng> in der Zeitung Aus Auszug UT 8-11 ist nochmals sehr klar ersichtlich geworden, warum sprachstrukturelle Unterschiede zwischen L1 und L2 den Probanden schon <?page no="318"?> 318 beim Lernen der Grundbedeutung der deutschen Präpositionen große Schwierigkeiten bereiten und welche Probleme vor allem die taiwanischen Lehrenden bei deren Vermittlung haben. Zustandspassiv Die Probleme beim Zustandspassiv liegen weniger bei der Erklärung von Regeln und Satzstrukturen, sondern vielmehr bei folgenden Fragen:  Auf welche Art und Weise werden die angeführten Beispiele erklärt?  Sind die gewählten Beispiele klar und inhaltlich dazu geeignet, den situativen, funktionalen Unterschied zwischen dem Zustands- und Vorgangspassiv zu verdeutlichen? Die Probleme mit der Gebrauchserläuterung hängen vor allem mit der von einigen Lehrkräften verwendeten Grammatik-Übersetzungs-Methode (GÜM) zusammen. Aus den Unterrichtsbeobachtungen ist besonders bei nicht-muttersprachlichen Lehrkräften zu bemerken, dass die Passivformen und deren unterschiedlicher Gebrauch meist anhand isolierter Beispielsätze an der Tafel in Verbindung mit situativen Einbettungen erklärt wurden, aber eine Veranschaulichung durch Bilder oder eine Aktivierung der Lernenden fand nicht statt. Dies ist unten in den Auszügen UT 8-12 und 8-13 (Gruppen B bzw. C) deutlich zu sehen. Unterrichtssituation: Bei Gruppe B wird das Passiv in progressiver Weise eingeführt, d.h. Aktiv → werden- Passiv → sein-Passiv. Anhand von Einzelsätzen werden die Formen sowie der Gebrauch von Vorgangs- und Zustandspassiv deduktiv an der Tafel vermittelt und in einer situativen Einbettung erklärt (vgl. Auszug UT 8-2). Auszug UT 8-12: Gruppe B - Vermittlung des Passivs (30.09.2004, ca. 39: 28) L: 這個句子(指著黑板) „Der Wagen ist von der Polizei zurückgegeben worden“ 是 „Der Wagen wird von der Polizei zurückgegeben“ 的現在完成式。但是,以被動態句 子來講,若這裡 Polizei 不講(把 von der Polizei 括號起來), „der Wagen ist zurückgegeben worden“ 這就是一個 Zustandspassiv ,說明一個情況,車子已經回到車主的手 中了 。Der Satz beschreibt einen Zustand, ein Resultat.(被動式可說明)Vorgang 或是 Zustand ,但底下的句子是說明 Zustand (指著黑板下方的句子) „Der Wagen wird von der Polizei zurückgegeben“ ,就是說明一個過程。我們知道德文的現在式同時 也是現在進行式,所以這車子/ 這車子現在正在被警察把它交回車主的手中(...)這個過 程,正在交給他,還沒有完全交給他。因為還要叫他到警察局來,帶印章、身分證,可 能還要行照、駕照核對身份。這整個過程,我們一般就用passiv。但現在(車子)已經完全 給他了,就用 Zustandspassiv 。所以要描述 Passiv的 句子,在被動態句子一定只有在描 寫 Zustand 的情況才用 sein ,假設描寫過程一定用 werden 。所以一旦出現 sein 動詞的 話,一定是在說明 Zustand ,說明一個狀況,車子已經交回車主手中了。 < Dieser Satz (zeigt auf die Tafel) „Der Wagen ist von der Polizei zurückgegeben worden“ ist das Perfekt von „Der Wagen wird von der Polizei zurückgegeben“. Aber <?page no="319"?> 319 wenn wir bei Passivsätzen wie diesem „Polizei“ weglassen (setzt das Wort „Polizei“ in Klammern), dann heißt es „der Wagen ist zurückgegeben worden“, das ist ein Zustandspassiv. Es stellt einen Zustand dar, nämlich dass der Wagen wieder in den Händen des Besitzers ist. Der Satz beschreibt einen Zustand, ein Resultat. Das Passiv kann einen Vorgang oder einen Zustand beschreiben, aber der Satz unten (deutet auf den unteren Satz an der Tafel) beschreibt einen Zustand. „Der Wagen wird von der Polizei zurückgegeben“ beschreibt einen Vorgang. Wir wissen schon, dass das Präsens im Deutschen gleichzeitig auch die Verlaufsform ist, also wird der Wagen jetzt gerade von der Polizei dem Besitzer zurückgegeben (...), dies ist ein Vorgang, er wird gerade übergeben, aber die Übergabe ist noch nicht abgeschlossen. Weil der Besitzer noch zur Polizei muss, mit seinem Siegel und seinem Personalausweis, vielleicht muss noch sein Führerausweis mit dem Personalausweis verglichen werden. Dieser ganze Vorgang wird normalerweise im Passiv ausgedrückt, aber sobald das Auto wieder in seinem Besitz ist, verwendet man Zustandspassiv. Also wird bei den Passivsätzen nur „sein“ verwendet, wenn ein Zustand beschrieben wird. Wenn ein Vorgang beschrieben wird, benutzt man „werden“. Sobald also das Verb „sein“ auftaucht, beschreibt es auf jeden Fall einen Zustand, also dass der Wagen wieder in den Händen des Besitzers ist.> S: ... (machen Notizen, ohne weiterzufragen) In Auszug UT 8-12 versuchte die Lehrperson B zwar, den Bedeutungsunterschied zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv anhand von Beispielen in konkreten Situationen zu erklären. Problematisch ist dabei aber einerseits, dass die Erläuterung inhaltlich nicht korrekt ist, also nicht die korrekte Form des sein-Passiv (also sein + Partizip II) präsentiert wurde, obwohl der Gebrauch von Vorgangs- und Zustandspassiv eigentlich theoretisch richtig erläutert wurden. Andererseits stellt die mündliche Erklärung auch ein Problem dar, da dadurch die Unterschiede zwischen dem Vorgangs- und Zustandspassiv nicht veranschaulicht werden können. Auch wenn die Erklärung auf Chinesisch gegeben wird, ist das noch kein Garant dafür, dass den Studierenden die Unterschiede tatsächlich klar sind. Darauf deuten die gesamten Testergebnisse zum „Zustandspassiv“ hin (vgl. Tabelle 7-10). Unterrichtssituation: Während der Wiederholung führt die Lehrperson nach der Regelerklärung zwei Beispielsätze an, und die Studierenden sollen dadurch über den Unterschied zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv nachdenken, und zwar in Bezug auf die Formen und Gebrauchssituationen. Dies wird durch fragend-entwickelnde Verfahren vorgenommen. Auszug UT 8-13: Gruppe C - Wiederholung des Passivs (02.11.2004, ca. 09: 20) L: Wer kann den Unterschied zwischen den beiden Sätzen erklären? (zeigt auf die Sätze an der Tafel) „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt worden“ und „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt“ Wer kann (es) uns sagen? Wer kennt den Unterschied? Zeigen Sie es uns! <?page no="320"?> 320 S: ... (alle sind still, aber scheinen zu überlegen) L: XX ,你說說看這句子 Die Gläser sind in Deutschland hergestellt worden 什麼意思? <XX, was meinst du? Was bedeutet der Satz „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt worden“? > S1: ... (bleibt still, aber mit überlegendem Gesichtsausdruck) L: Ist der Satz Aktiv oder Passiv? S1: Passiv. L: Ja, Passiv. Und Präsens, Präteritum oder Perfekt? (ruft einen anderen Studenten auf) S2: Perfekt. L: Perfekt 完成式。因此這些玻璃杯,是過去完成的嘛,一定不是現在,而是當時是在德國 生產的。這些玻璃杯當時是在德國生產的。這句話呢? Die Gläser sind in Deutschland hergestellt. Ist der Satz im Passiv? 是被動句嗎?還是主動句? ( 再叫另一個學生 ) <Perfekt. So sind die Gläser früher fertig hergestellt worden, also sicher nicht jetzt. Das heißt, sie sind damals in Deutschland hergestellt worden. Und der Satz „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt“? Ist der Satz im Passiv? Ist er ein Aktiv- oder Passivsatz? (ruft einen anderen Studenten auf) > S3: 主動,它是 pp 當形容詞用。 <Das ist ein Aktivsatz, da im Satz Partizip Perfekt als Adjektiv verwendet wird.> L: 這主動啊? ( 有些訝異的反問 )„sein + PP“ 不是完成式,是什麼句型?剛剛才講的啊, 叫什麼 Passiv ? < Was, das soll ein Aktivsatz sein? (etwas erstaunte Rückfrage) Wenn „sein + PP“ nicht Perfekt ist, was für eine Satzform ist das dann? Eben haben wir darüber gesprochen, was für ein Passiv ist das? > S3: ... (schaut die Sätze an der Tafel) L: 叫 Zustandspassiv 。這一句 „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt“ 是狀態被動啊 !(老師指著桌上杯子對學生說)你看,這杯子是德國製的呢!這是狀態被動。那這個 „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt worden“ 是完成式,是說這些杯子當時是 在德國生產的。如果在商店裏面,老闆說 :「Die Gläser sind in Deutschland hergestellt 我跟你們講喔,這些杯子德國製的喔! Sie sind sehr gut. 」那當時,過去式呢?就 是 waren 。意指這些杯子當時是德國製的,可是杯子已經破掉、不在了沒有了。我說我 好想念這些杯子,這些杯子是德國製的,狀態嘛!那完成式就是 (Die Gläser) sind in Deutschland hergestellt gewesen. 如果這樣說,完成式、過去式都會通用。(都是在 說)當時的杯子我好懷念,它們是德國製的。這個句子 Die Gläser sind in Deutschland hergestellt 是現在式,是狀態被動。因為杯子不會製造,是被製嘛。所以我們說,這些 杯子是德國製的。可是這句話 Die Gläser sind in Deutschland hergestellt worden 是過 程被動完成式嘛。而 Die Gläser werden in Deutschland hergestellt 這些杯子是在德國 生產的,不是在法國,不是在英國,它們是在德國生產的。那麼這個產品出來之後,這 些杯子就是德國製的。 < Das ist Zustandspassiv. Und der Satz „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt“ beschreibt hier einen Zustand! (zeigt auf den Becher auf dem Rednerpult und sagt zu <?page no="321"?> 321 den Studenten ---) Schauen Sie mal, dieser Becher ist in Deutschland hergestellt. Das ist Zustandspassiv. Und „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt worden“ ist die Perfektform und bedeutet, diese Gläser wurden damals in Deutschland produziert. Z.B. wir sind in einem Laden, und der Ladenbesitzer sagt, wissen Sie, die Gläser sind in Deutschland hergestellt. Sie sind sehr gut. Und damals, also in der Vergangenheit? Dann wird der Satz mit „waren“ gebildet. Das heißt, die Gläser waren damals hergestellt in Deutschland, aber sind schon kaputt und existieren somit nicht mehr. Dann sage ich, ich vermisse diese Gläser sehr, die waren in Deutschland hergestellt. Dies drückt einen Zustand aus. Und die Perfektform ist (Die Gläser) sind in Deutschland hergestellt gewesen. Um das auszudrücken, kann man sowohl Perfekt als auch Präteritum wählen. Beides hat dieselbe Bedeutung, also die Gläser, die früher existiert haben, vermisse ich sehr. Die waren in Deutschland hergestellt. Und der Satz „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt“ ist im Präsens und bezeichnet das Zustandspassiv. Denn die Gläser können sich nicht selbst herstellen, sondern nur hergestellt werden, oder? Deshalb sagen wir, die Gläser sind in Deutschland hergestellt. Aber „die Gläser sind in Deutschland hergestellt worden“ ist das Vorgangspassiv Perfekt. Und „die Gläser werden in Deutschland hergestellt“ bedeutet, diese Gläser wurden in Deutschland gefertigt und nicht in Frankreich, nicht in England, sondern in Deutschland. Als Fertigprodukt würde man sagen, die Gläser sind in Deutschland hergestellt.> In Auszug UT 8-13 verwendet Lehrperson C eine ähnliche Art und Weise zur Erklärung des Bedeutungs- und Gebrauchsunterschieds zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv wie Lehrperson B in Auszug UT 8-12. Unterschiedlich ist, dass das Zustandspassiv von Lehrkraft C durch drei Tempusformen situativ verdeutlicht wurde, nämlich: Abb. 8-1: Beispielsätze zum Zustandspassiv von Lehrperson C (Präsens) Die Gläser sind in Deutschland hergestellt. (Präteritum) Die Gläser waren in Deutschland hergestellt. (Perfekt) Die Gläser sind in Deutschland hergestellt gewesen. Zwei Probleme sind in Auszug UT 8-13 zu bemerken. Eins davon liegt in der Beispielwahl, auf die ich gleich in den folgenden Abschnitten noch näher eingehen werde. Das andere liegt darin, dass die Studierenden der grammatikalischen Vollständigkeit halber auf einen Schlag sowohl mit dem sein- Passiv Perfekt als auch Präteritum konfrontiert wurden, obwohl ersteres (siehe Abb. 8-1) tatsächlich kaum verwendet wird. Auch der Unterschied zwischen diesen beiden Formen konnte nicht klar erklärt werden. Außerdem handelt es sich trotz des Verweises auf den Becher auf dem Tisch um sehr komplexe Erklärungen auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau, und ohne konkreten situativen Zusammenhang, textuelle Einbettung und visuelle Veranschaulichung fiel es den Studierenden schwer, den Bedeu- <?page no="322"?> 322 tungsunterschied zwischen den angeführten Satzformen zu erfassen. Dies wird durch Auszug UT 8-14 noch deutlicher: Unterrichtssituation: Im Anschluss an die chinesische Erklärung (Auszug UT 8-13) stellt eine Studierende eine Rückfrage an die Lehrperson, da ihr der Gebrauchs- und Bedeutungsunterschied der verschiedenen Tempusformen noch nicht ganz klar war. Auszug UT 8-14: Gruppe C - Behandlung des Passivs (02.11.2004, ca. 13: 37) S4: 那第二句用 waren 的話,可能杯子已經不在。那第一句用 Perfekt 的話,它是製造的時候 在德國,那時杯子已經生產了嗎? <Wenn man den zweiten Satz mit „waren“ bildet, heißt das, die Gläser sind vielleicht nicht mehr da. Aber wird der erste Satz mit Perfekt gebildet, bedeutet das, die Gläser waren in Deutschland, als sie hergestellt wurden. Waren die Gläser zu diesem Zeitpunkt denn schon fertig produziert? > L: 如果是過程被動的話, Die Gläser wurden in Deutschland hergestellt 是講,這些杯子當 時是在德國被生產出來的;可是狀態的話,通常已經存在那邊了,表示這是德國製的。 <Wenn es sich um das Vorgangspassiv handelt, bedeutet der Satz „Die Gläser wurden in Deutschland hergestellt“, dass die Gläser damals in Deutschland produziert wurden. Wenn es um einen Zustand geht, dann existieren die Gläser schon als Fertigprodukte. Und das bedeutet „hergestellt in Deutschland“.> S4: 如果是用 waren 呢? waren in ( ) <Und wenn der Satz hier mit „waren“ gebildet wird? Waren in ( ) > L: 如果是過去式,就是說我本來有一套德國製的杯子,但現在已經破掉了、不見了。那我說 我現在好懷念喔! Ich vermisse die Gläser. Die waren in Deutschland hergestellt. 表示現 在沒有了,不存在了,對不對?它們是當時,已經過去了,是德國製的,可是杯子已經不 在了,已經過去了。 <Mit Präteritum ist gemeint, ich hatte früher ein Gläser-Set, aber die Gläser sind schon kaputt und existieren nicht mehr. Nun habe ich Sehnsucht nach diesen Gläsern, sage ich. Ich vermisse die Gläser. Die waren in Deutschland hergestellt. Das heißt, die Gläser sind derzeit nicht mehr da. Sie wurden damals (also in der Vergangenheit) in Deutschland gefertigt, aber existieren derzeit nicht mehr.> S4: 杯子不在了,喔! <Die Gläser sind nicht mehr vorhanden. Ach so! > Aus Auszug UT 8-14 geht hervor, dass die chinesischen Erklärungen zwar auf theoretischer Ebene zu besserem Verständnis beitragen, aber das bedeutet nicht, dass die Studierenden dadurch das Vorgangs- und Zustandspassiv in situativen Kontexten tatsächlich klar voneinander unterscheiden und vor allem anwenden können. Dies spiegelt sich direkt in den Testergebnissen zum Zustandspassiv wider und ist in Tabelle 8-11 (Lernerfolg beim Zustandspassiv nach einzelnen Lehrergruppen in Prozent, S. 347) deutlich zu <?page no="323"?> 323 sehen, also über die Hälfte der Studierenden (57,1%) bei Gruppe C beherrschte die Struktur (sein + Partizip II) gar nicht. Das Tempus zeigt im Deutschen, wann was geschieht und ob eine Aktion bzw. ein resultativer Zustand gemeint ist. Diese Funktion fehlt in der chinesischen Sprache, was auf die in 4.1.1 dargestellten sprachstrukturellen Unterschiede zwischen Chinesisch und Deutsch zurückzuführen ist. Daher ist die Präsentations- und Darstellungsweise des Unterrichtsgegenstands besonders wichtig. Rein sprachliche, theoretische Erklärungen wirken leicht verwirrend, besonders wenn sie in einer Sprache abgegeben werden, der vergleichbare Strukturen fehlen. Deshalb scheinen die Grammatik-Übersetzungs- Methode und deren charakteristische Übungsformen, auf die ich im folgenden Kapitel 8.2 (Methodische Probleme) noch näher eingehen werde, nicht sehr geeignet. Die Ergebnisse des Grammatiktests spiegeln dies ebenso wider wie die oben präsentierten Auszüge. Konjunktiv II Die Probleme beim Konjunktiv II liegen nicht bei der Erklärung zu dessen Regeln, Strukturen und Gebrauch, sondern vielmehr darin, ob eine tiefgehende Analyse der Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten des Chinesischen und des Deutschen in Bezug auf die Anwendungsbereiche angeboten wird. In den Unterrichtsvideos ist zu beobachten, dass bei der Wiederholung bzw. in der Vermittlungsphase großer Wert auf die Regel- und Strukturerklärung gelegt wurde. Grund dafür ist einerseits, dass die Lehrpersonen aufgrund ihrer langjährigen Lehrerfahrung wissen, dass die Konjugation und das Tempus den Studierenden immer Lernprobleme bereiten. Dies äußert sich klar sowohl in den Testergebnissen zum Konjunktiv II als auch in den studentischen Angaben auf dem Lernerfragebogens (2), wie in Tabelle 7-13 und in Abb. 7-11 verdeutlicht wird (vgl. 7.3.2 bzw. 7.3.1). Andererseits aber spielt der Sprachvergleich zwischen L1 und L2 eine wichtige Rolle, was aber von den taiwanischen Lehrkräften oft außer Acht gelassen wird und bei den Muttersprachlern wegen der sprachlichen Probleme nur schwer durchführbar ist. Dass der Sprachvergleich bei diesem Thema sehr wichtig wäre, stützt sich auf die Beobachtung, dass viele Fehlleistungen der Studierenden außer auf Verbflexion und Tempus auf interlinguale Interferenzen zurückzuführen sind. Sie werden vor allem durch den Gebrauchs- und Bedeutungsunterschied zwischen den chinesischen Konjunktivsätzen und dem deutschen Konjunktiv II verursacht, obwohl die chinesischen Konjunktivsätze, wie in 4.1.2 erwähnt, funktionell eigentlich ähnlich wie der deutsche Konjunktiv II sind. Eine Anwendungsschwierigkeit besteht darin, dass bei den deutschen Konditionalsätzen unterschieden werden muss, ob es sich um eine reale oder <?page no="324"?> 324 eine irreale Bedingung handelt, während dies bei den chinesischen Konditionalsätzen nicht der Fall ist (vgl. dazu 4.1.2): Chinesisch 如果 你 還 沒有 駕照, 就 不要 開車 rúguǒ nǐ hái méiyǒu jiàzhào, jiù bùyào kāichē wenn/ du/ noch/ kein/ haben/ Führerschein dann/ nicht/ dürfen/ fahren/ Auto Der obige chinesische Satz kann von der Bedeutung her aber je nach Kontext zwei verschiedenen Sätzen im Deutschen entsprechen: Deutsch Wenn du noch keinen Führerschein hast, darfst du nicht Auto fahren. Wenn du noch keinen Führerschein hättest, dürftest du nicht Auto fahren. Dies wurde bereits von Hsu (2006, 240) in ihrer Studie bestätigt, und die Studie kommt bei den Konditionalsätzen zu folgenden Ergebnissen: „ (...) die Grammatikstrukturen der chinesischen und deutschen hypothetischen Aussageweise sind ganz anders. Dies bereitet den Lernenden zwar am Anfang Lernschwierigkeiten, aber die sich daraus ergebenden Fehler kann man durch wiederholtes Üben beseitigen. Doch wenn die Fehler, die sich aus den unterschiedlichen Gebrauchssituationen der hypothetischen Aussageweise im Chinesischen und Deutschen ergeben, nicht durch tiefergehende Analyse dieses Unterschieds verständlich gemacht werden und man sich nur auf wiederholtes Einüben der Konjunktiv-II-Formen beschränkt, werden die Lernenden die L1-Interferenzen nicht überwinden können und nicht zu selbständiger, korrekter Anwendung dieser Formen in der Lage sein.“ 184 Den Deutschlernenden mit chinesischer Muttersprache fällt es deshalb schwer, zu unterscheiden, ob bzw. warum nun in einem Konditionalsatz der Konjunktiv verwendet werden soll oder nicht. Eine (intensive) Auseinandersetzung mit dem eben dargestellten L1- Interferenzproblem wurde hinsichtlich des Gebrauchsunterschiedes des Konjunktiv II zwischen Chinesisch und Deutsch in den beobachteten Unterrichtsstunden nicht vorgenommen, und zwar vor allem bei den taiwanischen Lehrerprobanden. Doch „didaktisches Können ist immer an Inhalte gebunden (Hallet 2006, 37)“, d.h., durch die Auswahl der Lehrinhalte und deren Präsentationsweise lassen sich die fachliche und sprachdidaktische Kompetenz schon erkennen. Gründe dafür liegen vermutlich darin, dass die Lehr- 184 「(…) 中、德文間虛擬 (假設) 語氣之語法結構的完全不同,雖然在初期會構成學習者的學 習困境,但此類錯誤只要經過重覆不斷的練習就能有所突破。然而由於中、德文使用虛 擬 (假設) 語氣情境的不同所引發的錯誤,若非深入理解、辨別這兩者間差異的所在,而 僅借助德文虛擬二式的練習,其實無法真正的協助學習者在獨立運用德文時,擺脫母語 的干擾,達到正確運用德文虛擬二式的能力。(徐 2006, 240)」 <?page no="325"?> 325 personen das Problem bereits wahrgenommen haben, aber noch nicht genau wissen, wie sie damit besser umgehen sollten. Aus folgender Lehreraussage während des Unterrichts bei Gruppe C ist dies auch bemerkbar: Auszug UT 8-15: Gruppe C - Lehreraussage (19.10.2004, ca. 02: 10) L: (...) 要將中文的假設語氣翻譯成德文不是很容易,常要看上下文之間的關聯 <...es ist nicht einfach, die Konjunktivsätze des Chinesischen ins Deutsche zu übersetzen. Es kommt immer auf den Kontext an ... > Und die Erklärung bzw. Wiederholung der Regeln, Strukturen und des Gebrauchs nimmt bei den meisten der Lehrkräfte mindestens ein Drittel der Unterrichtszeit in Anspruch (z.B. bei den Gruppen A und B über 1/ 2 der Unterrichtszeit, bei C und E 1/ 3), so dass zu wenig Zeit für eine aktive Auseinandersetzung der Studierenden mit den Inhalten z.B. in Form eines Gebrauchsvergleichs bleibt. Unter diesen oben genannten Umständen ist eine systematische Erklärung bzw. Wiederholung sowie sprachkontrative Darstellung beim Konjunktiv II nur schwer möglich. In den Videos war es zum größten Teil so, dass sich die Grammatikstunde im Prinzip immer auf die Vermittlung bzw. Wiederholung der grammatischen Formen und des grundlegenden Gebrauchs beschränkt, wie z.B. irreale Wünsche und Bedingungen, Ratschläge, höfliche Bitten bzw. Wünsche etc. Die oben genannten Erklärungsprobleme und die sich daraus ergebende Unzufriedenheit der Studierenden mit den drei untersuchten Grammatikthemen sind zugleich sowohl aus den Ergebnissen der Fragen 1.2, 2.2 und 3.2 bei Fragebogen (2) als auch aus der Auswertung der Fragen 35, 37 und 39 bei Fragebogen (1) erkennbar. Aus Abb. 7-11 in Kap. 7.3.1 geht hervor, dass aus der Lernerperspektive Probleme bei der Anwendung als eine der Ursachen für Unklarheiten beim Zustandspassiv (32,1%) und Konjunktiv II (37,1%) angesehen werden. Aus der Gesamtauswertung der Fragen 1.2, 2.2 und 3.2 bei Fragebogen (2) lassen sich die didaktischen Vorschläge zu den drei Grammatikthemen in fünf Kategorien klassifizieren. Die Kategorien (1), (3) und (4) deuten schon indirekt darauf hin, dass die Art und Weise der Erklärung zu Regeln und Gebrauch nicht problemlos ist und warum die Studierenden damit nicht zurechtkommen. Dies wird in Tabelle 8-1 verdeutlicht. <?page no="326"?> 326 Tabelle 8-1: Gesamtergebnisse des Lernerfragebogens (2) zu Fragen 1.2, 2.2 und 3.2 in Prozent (N=140) Angaben zu didaktischen Vorschlägen 1.2 Präpositionen 2.2 Konjunktiv II 3.2 Zustandspassiv (1) Mehr Beispiele geben, um die Regeln und die Anwendung zu erklären 25,7 25,0 18,6 (2) Mehr wiederholen und üben im Unterricht 17,1 27,1 24,3 (3) Die Erklärungen sollten klar und deutlich sein 2,9 5,0 9,3 (4) Systematische Zusammenfassung von Regeln und Gebrauch 27,1 9,3 5,7 (5) Andere 27,1 33,6 42,1 Vergleichen wir die Verteilung nach Lehrergruppen bei Fragen 1.2, 2.2 und 3.2 (Tabelle 8-2), sehen die Hauptprobleme mit der Vermittlung der drei Grammatikthemen bei den taiwanischen und muttersprachlichen Lehrkräften im Großen und Ganzen fast gleich aus. Nennenswert ist allerdings, dass bei den taiwanischen Lehrkräften vor allem bemängelt wird, dass sie den Studierenden bei der Behandlung dieser drei Grammatikthemen zu wenige Beispiele geben. Im Vergleich dazu haben die muttersprachlichen Lehrkräfte hier aufgrund ihrer Sprachkompetenz weniger Probleme, bemängelt wird aber aus der Sicht der Studierenden, dass sie zu wenig wiederholen und zu wenig systematisch vorgehen. Tabelle 8-2: Verteilung der didaktischen Vorschläge bei den Lehrergruppen in Prozent Fragen Didaktische Vorschläge taiwanisch* muttersprachlich** (N=56) (N=84) 1.2 (1) Mehr Beispiele geben, um die Regeln und die Anwendung zu erklären 30,4 22,6 (2) Mehr wiederholen und üben im Unterricht 14,3 19,0 (3) Die Erklärungen sollten klar und deutlich sein 5,4 1,2 (4) Systematische Zusammenfassung von Regeln und Gebrauch 30,4 25,0 (5) Andere 19,6 32,1 2.2 (1) Mehr Beispiele geben, um die Regeln und die Anwendung zu erklären 37,5 16,7 <?page no="327"?> 327 (2) Mehr wiederholen und üben im Unterricht 25,0 28,6 (3) Die Erklärungen sollten klar und deutlich sein 7,1 3,6 (4) Systematische Zusammenfassung von Regeln und Gebrauch 3,6 13,1 (5) Andere 26,8 38,1 3.2 (1) Mehr Beispiele geben, um die Regeln und die Anwendung zu erklären 26,8 13,1 (2) Mehr wiederholen und üben im Unterricht 14,3 31,0 (3) Die Erklärungen sollten klar und deutlich sein 10,7 8,3 (4) Systematische Zusammenfassung von Regeln und Gebrauch 3,6 7,1 (5) Andere 44,6 40,5 *Lehrergruppen A, B, C **Lehrergruppen D,E,F Außerdem lassen sich die Erklärungsprobleme auch bei Frage 35 des Fragebogens (1) erkennen. Aus Tabelle 8-3 geht hervor, dass fast 60% der Befragten manchmal nicht verstehen, was die Lehrperson ihnen beizubringen versucht. Dies wird als Hauptursache dafür betrachtet, warum sie mit der Grammatik Mühe haben. Natürlich spielt dabei nicht nur die Art und Weise der Lehrerdarstellung eine Rolle, sondern auch das Sprachniveau der Studierenden. Dies sieht aber je nach Lehrergruppe verschieden aus. In der Auswertung der Fragen 37 und 39 bei Fragebogen (1) wird deutlich, dass insgesamt 77,8% der Befragten die Grammatikerklärungen von muttersprachlichen Lehrkräften nicht so gut verstehen und 34,7% bemerkt haben, dass die taiwanischen Lehrkräfte die Grammatikphänomene nicht sehr klar in vielfältigen Kontexten erklären können. Die zwei eben dargestellten Faktoren werden von den Studierenden als größter bzw. zweitgrößter Nachteil bei den muttersprachlichen und taiwanischen Lehrkräften in der Grammatikstunde angesehen, wie in den Tabellen 8-4 und 8-5 zu sehen ist. <?page no="328"?> 328 Tabelle 8-3: Ursachen für die Schwierigkeiten beim Grammatiklernen (N=176) Antworten der Frage 35 Anzahl (%) (1) Ich verstehe manchmal nicht, was der/ die Lehrende uns beizubringen versucht 104 59,1 (2) Ich verstehe die Grammatikerklärung in dem Lehrwerk nicht 76 43,2 (3) Unaufmerksamkeit im Unterricht 64 36,4 (4) Mangel an genügenden Grammatikübungen, entweder in mündlicher oder schriftlicher Form 95 54,0 (5) Mangel an Kenntnis der Anwendungen des Gelernten 99 56,3 (6) Andere, _________ 2 1,1 Tabelle 8-4: Nachteile bei den muttersprachlichen Lehrkräften in der Grammatikstunde (N=176) Antworten der Frage 37 Anzahl (%) (1) Wenn sie uns die Grammatikphänomene auf Deutsch erklären, können wir das nicht so gut verstehen 137 77,8 (2) Sie können uns die Grammatikregeln nicht gut erklären 83 47,2 (3) Sie gestalten den Unterricht langweilig 10 5,7 (4) Sie verstehen manchmal nicht, welche Probleme wir beim Grammatiklernen haben 85 48,3 (5) Andere, _________ 12 6,8 Tabelle 8-5: Nachteile bei den taiwanischen Lehrkräften in der Grammatikstunde (N=176) Antworten der Frage 39 Anzahl (%) (1) Sie können uns die Grammatikphänomene nicht sehr deutlich in vielfältigen Kontexten erklären 61 34,7 (2) Sie können uns die Grammatikregeln nicht gut erklären 22 12,5 (3) Sie gestalten den Unterricht langweilig 79 44,9 (4) Sie verstehen manchmal nicht, welche Probleme wir beim Grammatiklernen haben 24 13,6 (5) Andere, _________ 23 13,1 <?page no="329"?> 329 Aus der bisherigen Diskussion wird deutlich, dass die aus der o.g. Lernerbefragung 185 gewonnenen Perspektiven und die Einschätzung der Grammatikbehandlung teilweise die Erklärungsprobleme, die auf das Fachwissen sowie den Methodeneinsatz (also die Art und Weise der Darstellung) von Lehrkräften zurückzuführen sind, widerspiegeln. Die Faktoren „mehr Beispiele für die Regeln und den Gebrauch geben“ und „die Grammatikphänomene nicht in vielfältigen Kontexten erklären“, die vor allem für die taiwanischen Lehrkräfte gelten, deuten darauf hin, dass es ein Problem mit der situationsorientierten Behandlung von Grammatikregeln und -gebrauch gibt. Didaktisch kann diese wie zuvor bereits erwähnt nur durch umfassendes Fachwissen unterstützt werden. Die situationsorientierte Grammatikbehandlung erfordert fundiertes und umfassendes Fachwissen. Aus den bisher diskutierten Lehrproblemen (unsichere Erklärung (Auszüge UT 8-3 und 8-12), Erklärungen nicht vielfältig genug bzw. nicht ganz korrekt (Auszüge UT 8-7, 8-8, 8-9 etc.) sowie ungeeignete Beispiele (Auszug UT 8-13)) ist aber ersichtlich, dass hier andere Lösungen in Bezug auf die Materialgestaltung sowie Lehrerweiterbildung notwendig sind, worauf ich in Kap. 8.4 und 8.6 näher eingehen werde. Neben dem Fachwissen ist die geeignete Methode der Schlüssel zu einem grundlegenden Grammatikverständnis der Lernenden. Dieses Problem betrifft nicht nur die taiwanischen Lehrkräfte, sondern auch die muttersprachlichen (vgl. 8.2). Was die Erklärungsprobleme der muttersprachlichen Lehrkräfte anbetrifft, könnte die Art, wie sie Regeln formulieren oder den Gebrauch einer grammatischen Struktur erklären, auch eine der Ursachen für die Verständnisprobleme der Lernenden beim Grammatiklernen darstellen. Darauf deuten die Ergebnisse der Frage 37 bei Fragebogen (1) hin: Wenn sie uns die Grammatikphänomene auf Deutsch erklären, können wir das nicht so gut verstehen (77,8% stimmen zu). Dies ist im Unterrichtstranskript (Auszug UT 8-10) insofern zu bemerken, als bei Gruppe F das zu behandelnde Grammatikphänomen nicht ausschließlich auf Deutsch erklärt wurde, sondern sogar eine muttersprachlichen Lehrkraft teilweise chinesische Erklärungen einsetzte. Dieses Vorgehen wurde vermutlich gewählt, weil deutsche Erklärungen nicht immer gut verstanden werden. Auch in Auszug UT 8-16 bei Gruppe D ist bemerkbar, wie wichtig die Klarheit der Lehrererläuterung ist. Unterrichtssituation: Die Lehrperson bespricht das für die vorliegende Arbeit durchgeführten Testergebnis mit der Klasse. Um die semantische Bedeutung und die Gebrauchssituation der Präpositio- 185 Also, die Lernerfragebogen (1) und (2). <?page no="330"?> 330 nen an und in zu unterscheiden, versucht sie, das Problem mit Hilfe von Körpersprache zu erläutern. Auszug UT 8-16: Gruppe D - Problemlösen zur Testaufgabe (12.12.2004, ca. 34: 29) L: (...) Was ist das? Ich habe meine Uhr... (schreibt zugleich den Satz an die Tafel) Was ist das? Was ist jetzt? (zeigt den S die Armbanduhr, die an der Hand ist) S: ... (geben kein Feedback und viele reden durcheinander) L: An..an der Hand. Das ist „an“, ja? (zeigt es den Studenten) Das ist an daran, Ja? Fest dran, nicht innen drin. (zeigt es mit der Armbanduhr--------) Das ist „in“ und „an“, ja? (nimmt zuerst die Uhr ab und legt sie in die Hand, danach zieht er sie wieder an) S: ... (einige antworten mit Kopfnicken, aber viele reden durcheinander) L: Ja, „an“? OK. Gut (...) Aber besser, ich habe die Uhr um die Hand. „Um“ geht auch. (verdeutlicht dies durch eine Geste und schreibt den Satz an die Tafel) Hier „um“ geht auch, ja? (zeigt es mit der Hand) Ich habe meine Hand ... ich habe meine Uhr um die Hand. Um die Hand geht auch. S1: ( ) L: Ja, ( ) Hallo, wenn ich hier die Uhr herum, (verdeutlicht dies durch eine Geste) „Ich habe meine Uhr um die Hand“, ist auch möglich, ja? S2: Gleich wie um den Hals? L: Ja, um den Hals. Ich habe eine Kette um den Hals. (zeigt das mit Geste) Das ist sogar noch richtiger, als Singular im ( ), um, um den Hals. „Um“ ist besser. Okay, gut. Nächste... In diesem Beispiel wurde zwar eine situationsorientierte Grammatikbehandlung mit Hilfe von Körpersprache durchgeführt, aber die genaue Darstellung des Inhalts- und Funktionsunterschieds zwischen den Präpositionen an, in und um (z.B. durch die Präposition an wird hier der Kontakt mit der Uhr angegeben; um bezeichnet eine Bewegung oder Lage in der Form eines Kreises) fehlt. Wenn diese Strukturen schon klar sind, leuchtet natürlich auch die konkrete Veranschaulichung ein, doch wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Veranschaulichung tatsächlich verstanden wird und hilfreich ist. Solche Veranschauli- <?page no="331"?> 331 chungen werden, genau wie Bilder, oft unterschätzt, d.h., wir meinen, man könne sie problemlos und ohne Erklärung im Unterricht als Hilfsmittel zur Illustration, Abbildung oder Erklärung einsetzen. Aber das funktioniert nicht immer, denn Bilder sind „keineswegs nach universalen Regeln konstruiert und universell verständlich“ (vgl. Weidenmann 1989, 137). Das heißt, ein Bild, das für einen Westler völlig klar und eindeutig ist, ist für Menschen aus einem anderen Kulturbereich vielleicht nicht leicht verständlich und im Unterricht deshalb nicht unbedingt als Lernhilfe geeignet. Weidenmann (ebd.) spricht von „piktorialem Ethnozentrismus“, d.h. viele Westler denken, alle würden ihre Bilder verstehen. Ähnlich ist es hier mit diesen Gesten. Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass es bei den Fragen um einen allgemeinen Eindruck geht, den die Studierenden vom Unterricht bei muttersprachlichen Lehrkräften haben. Wenn wir die Erklärungen bei Lehrkräften E bzw. F in den Videos genauer betrachten, trifft dieser Eindruck allerdings nicht zu (siehe z.B. unten Abb. 8-2 und Auszug UT 8-17 bei E). Es könnte sein, dass es sich dabei um Ausnahmesituationen handelt, eine andere Erklärungsmöglichkeit ist, dass bei den Antworten der Studierenden Stereotype eine Rolle gespielt haben. Unterrichtssituation: Zum Thema Zustandspassiv werden zwei Bilder (Abb. 8-2) von Lehrperson E an die Tafel gezeichnet und zur Erklärung eingesetzt. Mit Hilfe visueller Veranschaulichung versucht die Lehrperon, den strukturellen und funktionalen Unterschied zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv zu verdeutlichen. Abb. 8-2: Tafelbilder von Lehrperson E (Übernommen von Videomaterial) <?page no="332"?> 332 Auszug UT 8-17: Gruppe E - Behandlung des Zustandspassivs (17.12.2004, ca. 01: 05: 18) L: (...) Wir haben jetzt gesagt, dieses Passiv nennt sich „sein-Passiv“. Es hat zwei Teile. Es hat nämlich hier einen Teil von „sein“, immer eine Form von „sein“, und hinten hat es das Partizip. (zeigt es an der Tafel) Diese beiden Teile zusammen machen das „sein-Passiv“ oder Zustandspassiv. Diese beiden Teile zusammen. (zeigt es an der Tafel) Und wir haben schon gesagt, da wird etwas gesagt, das ist nicht aktiv. Diese Haare, die Haare sind unser Subjekt, die machen das nicht selbst. Die sind nicht aktiv, sondern etwas ist passiert. Die Haare am Anfang wurden gebunden (zeigt auf das Bild 1 an der Tafel) und jetzt ist es fertig und die Haare sind zusammen gebunden, etwas ist passiert mit den Haaren. Und jetzt sehen wir, das ist passiert. (zeigt auf das Bild 2 an der Tafel) S: ... (schauen an die Tafel oder auf das Arbeitsblatt) L: ... Schauen Sie sich die nächste Frage an! (zeigt es auf dem Blatt) Was drückt das Zustandspassiv aus? (a) Es drückt aus, dass etwas getan wird. Oder (b) Es drückt aus, dass etwas fertig ist. (a) oder (b)? Etwas wird getan oder etwas ist fertig. S: ... (überlegend) L: ...ehm, vielleicht bevor Sie mir die Frage beantworten, hier haben wir einen Aktivsatz, ne? Das war aktiv, „Die Frau bindet ihre Haare zusammen“. Könnten Sie mir diesen Satz mal passiv machen? (zeigt den Satz an der Tafel-----) S: ... (schauen an die Tafel und überlegen) L: Passiv? S: ... (schauen an die Tafel) L: ... Die Frau bindet die zusammen ist aktiv, ne? (zeigt auf das Bild 1 an der Tafel und verdeutlicht dies zugleich durch eine Geste) Die Frau und die Haare, wie eben die Frau und der Mann. Die beiden Sachen. Die Frau küsst den Mann. Die Frau und der Mann. Hier haben wir die Frau und die Haare. Wie können Sie diesen Satz aktiv „Die Frau bindet die Haare zusammen“ oder wie könnte man den Satz im Passiv sagen? (zeigt auf den Satz an der Tafel) S: ... Die Haare... (L schreibt das zugleich an die Tafel) L: Die Haare...und dann, aber nicht das Zustandspassiv, sondern das normale Passiv, was heißt normal! Also Passiv bilden wir wie? Wie haben wir das eben gemacht, der Mann...geküsst. (verdeutlicht dies durch eine Geste) S: ... wird (einige antworten darauf) L: wird geküsst. Also die Haare... <?page no="333"?> 333 S: werden... (einige sagen) L: Und dann... S: ..zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden (einige sagen leise) L: Ah ja... zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. (schaut die Studenten, aber dann den Satz an der Tafel an) Ich schreibe mal nur zusammengebunden. So jetzt schauen Sie mal! Jetzt haben wir (markiert das Partizip II an der Tafel), jetzt haben wir zwei, zweimal Passiv. Hier haben wir das Passiv, das kennen sie schon. „Werden zusammen gebunden“, das kennen Sie, ne! (zeigt dies an der Tafel) Hier haben wir auch ein Passiv, aber das ist „sind zusammen gebunden“. Zweimal Passiv (zeigt dies an der Tafel), einmal mit „werden“, einmal mit „sein“. Und wo ist der Unterschied jetzt? Was ist der Unterschied? Hier haben wir „werden zusammen gebunden“ und „sind zusammen gebunden“? Was ist da verschieden? S: ... aktiv (einer sagt es, aber viele schauen an die Tafel) L: Aktiv ist beides nicht, aktiv ist das hier (zeigt den Satz „Die Frau bindet ihre Haare zusammen“ an der Tafel). Das ist Aktiv. Aber diese grünen Formen sind beides Passivs. Die Haare machen das nicht selber, die Frau macht das. Aber die Haare, damit passiert etwas, die Frau macht etwas damit. Wo ist jetzt der Unterschied? S: ... (einige murmeln und einige scheinen überlegend) L: Denken Sie an die Bilder! Dieser Satz („Die Haare werden zusammengebunden“) ist Bild 1 oder Bild 2? S: ... (überlegend) L: Dieser Satz „Die Haare werden zusammengebunden“, 1 oder 2, welches Bild? S: ... Eins (einige sagen leise) L: Eins. Das ist Bild 2. Wo ist dann der Unterschied? (zeigt dies an der Tafel------------------) S1: ( ) L: Ja, Irene, mach´ mal laut! S1: ... Auf dem Bild 2 ist es fertig. L: Genau, auf Bild 2 ist das schon fertig. (zeigt dies an der Tafel) Das, was sie hier gemacht wird, ist „zusammenbinden“, ja? Hier passiert es noch. (zeigt das Bild 1) Hier ist es schon fertig. (zeigt das Bild 2) Das ist der Unterschied. Ist...quasi ein Zeitunterschied. Hier beschreiben wir etwas, wird gemacht, etwas passiert gerade. (zeigt das Bild 1) Hier sagen wir, das ist schon gemacht worden. (zeigt das Bild 2) Es ist schon passiert, es ist schon fertig. Es geht schon so. <?page no="334"?> 334 In dieser Unterrichtssituation wählt die Lehrkraft eine Veranschaulichung durch Bilder in Verbindung mit einer Geste, die die Funktion der sprachlichen Formen zeigt. Hier ist also fachdidaktisches Wissen, welches z.B. die Wahl der Veranschaulichungsmittel sowie die Unterrichtssprache betrifft und das den Lehrkräften je nach Gegenständen bei der Methodenwahl hilft, besonders wichtig. Dies steht mit der Lehrerausbildung bzw. -weiterbildung im Zusammenhang, was ich später in Kap. 8.6 aufgreifen werde. Zunächst schauen wir die Beispielsätze an, die häufig zur Veranschaulichung eingesetzt wurden. 8.1.3 Beispielauswahl Die Auswahl von Beispielen spielt eine große Rolle bei der Vermittlung der Grammatik. Es geht darum, ob die zu vermittelnde Grammatik strukturell, funktional und situativ durch die von den Lehrenden angeführten Beispiele klar veranschaulicht werden kann und ob die Beispiele das Verständnis der Studierenden erleichtern bzw. das Lernen der Grammatik gefördert wird. In den Unterrichtsbeobachtungen sind diesbezüglich einige Probleme zu erkennen. Zunächst wird aus Auszug UT 8-13 deutlich, dass die gewählten Beispielsätze, also „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt worden“ und „Die Gläser sind in Deutschland hergestellt“, für die Unterscheidung des Vorgangs- und Zustandspassivs nicht ideal sind. Zwar versuchte Lehrperson C durchaus, den Bedeutungs- und Strukturunterschied zwischen dem Vorgangs- und Zustandspassiv sowohl in sprachkontrastiver Weise darzustellen als auch eingebettet in einen situativen Kontext zu erklären. Das Problem ist aber, dass für das werden-Passiv ein Satz im Perfekt gewählt wurde, der einen schon abgeschlossenen Vorgang darstellt und somit die größte Nähe zum Zustandspassiv aufweist. Er ist also denkbar ungeeignet, um den Unterschied dazu darzustellen. Viel deutlicher wäre der Kontrast zwischen dem Satz „Die Gläser werden in Deutschland hergestellt“, der ja das für das werden-Passiv typische Ablaufen eines Prozesses beschreibt, und dem gewählten Satz im Zustandspassiv ausgefallen. Außerdem wurden in der Vermittlungsphase nicht sehr geeignete Beispielsätze mit den Hilfsverben sein und haben im Konjunktiv II angeführt, als die Gebrauchssituation unter irrealer Bedingung erklärt wurde. Dies wird in Auszügen UT 8-18 und 8-19 aufgezeigt. <?page no="335"?> 335 Auszug UT 8-18: Gruppe A - Vermittlung des Konjunktiv II (30.09.2004, ca. 26: 03) L: 如果我是他 Wenn ich er wäre, hätte ich kein so teures Auto gekauft. ( 再重複一遍主句 ) ... hätte ich kein so teures Auto gekauft. Ich habe es nicht gekauft (also in der Wirklichkeit). (Konjunktiv II hätte ---) 如果我是他,我不會買這麼貴的車。 <Wenn ich er wäre, hätte ich kein so teures Auto gekauft. (wiederholt den Hauptsatz) ... hätte ich kein so teures Auto gekauft. Ich habe es nicht gekauft (also in der Wirklichkeit). (Konjunktiv II hätte ---) (übersetzt den Satz ins Chinesische)> Das Beispiel ist hier zwar korrekt, aber das Problem ist, dass dieser isolierte Satz ohne Kontext nicht dazu geeignet ist, die Unterschiede im Gebrauch der verschiedenen Zeitformen des Konjunktiv II klar zu machen, weil darin Konjunktiv II Gegenwart und Vergangenheit gleichzeitig vorkommen, was für Anfänger (Studierende, die erst ein Jahr Deutsch gelernt haben) bei einer Einführung in dieses Thema wohl doch eher verwirrend ist. Allerdings muss hier noch erwähnt werden, dass in der Phase von Auszug UT 8-18 vor allem die Verbflexion („wäre“, „hätte“) erklärt wurde, der Fokus also noch nicht auf Bedeutung und Gebrauch des Konjunktiv II lag. Dies wurde später behandelt, allerdings ist auch in dieser Phase wieder dasselbe Problem zu beobachten, wie Auszug UT 8-19 zeigt. Auszug UT 8-19: Gruppe A - Behandlung des Konjunktiv II (14.10.2004, ca. 05: 52) L: Wenn ich eine Milliarde im Lotto gewonnen hätte, so viel Geld, dann würde ich eine Weltreise machen. Dann würde ich sofort kündigen, d.h., ich sage meinem Chef Byebye. Ich gehe nach Hause. Ich arbeite nicht mehr. Denn ich habe zu viel Geld...hm.. ich muss nicht mehr arbeiten. Problematisch scheint auch hier wieder, dass die zeitliche Übereinstimmung zwischen Haupt- und Nebensatz fehlt. Für Anfänger zeigen die Sätze nicht sehr klar, auf wann (Vergangenheit bzw. Gegenwart) sich eigentlich das irreale Geschehen bezieht. Klarer wären in dem Fall die Trennung der zwei Zeitformen an der richtigen Stelle und die Einbeziehung eines konkreten situativen Kontextes, also etwa so: (1) In der Gegenwart und in Zukunft (der Zeitraum ab jetzt) „Wenn ich eine Milliarde im Lotto gewinnen würde, dann würde ich eine Weltreise machen.“ Möglicher Kontext: <?page no="336"?> 336 Momo hat in der Firma viel Arbeit und Stress mit den Kollegen. Das hat ihn sehr gestresst. So sagt er immer, „wenn ich eine Milliarde im Lotto gewinnen würde, so viel Geld, dann würde ich eine Weltreise machen und sofort kündigen...“ (2) In der Vergangenheit (das ist früher passiert) „Wenn ich eine Milliarde im Lotto gewonnen hätte, dann hätte ich eine Weltreise gemacht.“ Möglicher Kontext: Momo hat vor zwei Monaten ein Lotto gekauft. Nur eine falsche Lottozahl, er hatte dann Pech. Jedes Mal, wenn wir darüber sprechen, dann sagt er immer „wenn ich (damals) eine Milliarde im Lotto gewonnen hätte, so viel Geld, dann hätte ich eine Weltreise gemacht und sofort gekündigt...“ 8.1.4 Diskussion Obwohl das Grammatiklehren und -lernen ein wichtiger Teil des L2- Unterrichts ist und sich nicht klar von der Vermittlung der anderen Sprachfertigkeiten abgrenzen lässt, muss hier noch angefügt werden, dass die oben bisher dargestellten didaktischen Probleme zum Teil auch mit dem Lehr- und Lernziel des jeweiligen Kurses zu tun haben. Außer bei den Gruppen A und B stand Grammatik nämlich gar nicht im Mittelpunkt des Kurses. 186 So waren eine systematische Darstellung und Gesamtwiederholung der drei untersuchten Grammatikthemen nur schwer möglich bzw. gar nicht vorgesehen und die drei Themen wurden in den meisten Fällen nur schwerpunktmäßig wiederholt und geübt, um das Lehr- und Lernziel des jeweiligen Kurses mit zu berücksichtigen. Die Analyseresultate deuten auf Schwierigkeiten im DaF-Unterricht beim Umgang mit der Polysemie von Präpositionen sowie dem Unterschied bzw. der Verbindung zwischen Grundbedeutung und metaphorischen Bedeutungen, wobei Wissenslücken der Lehrkräfte offensichtlich sind. Daher wird an dieser Stelle ein didaktischer Lösungsvorschlag zur Behandlung der Polysemie von Präpositionen gemacht, der auf Bellavias Untersuchung hierzu basiert (2007, 280ff.). Sie geht von den prototypischen Lesarten der Präposition aus und bietet zugleich Visualisierungsmittel an, um die Grundbedeutung und die zentralen Anwendungsweisen der behandelten Präposition zu veranschaulichen. Auf dieser Basis können die weiteren übertragenen 186 Die Versuchsgruppen C, D, E, F legen ihren Unterrichtsfokus auf je unterschiedliche Sprachebenen, nämlich: Gruppe C auf die Übersetzung, D und F auf die Sprechfertigkeit sowie E auf die Schreibfertigkeit. <?page no="337"?> 337 Lesarten gelernt werden und die verschiedenen Bedeutungen der Präposition werden auch in ihrer Funktion als Vorsilben erläutert. Grund für dieses Vorgehen ist der Folgende: Da „die Semantik der Vorsilben von den vergleichbaren Präpositionen abgeleitet wird, wäre es logisch, die Bedeutung und Verwendung von Präfixen und nachfolgenden Verben im Zusammenhang mit den entsprechenden Präpositionen zu lernen. Die Bedeutung der Vorsilben könnte so als eine Art der Zusatzbedeutung gelernt werden, die die Semantik der vergleichbaren Präpositionalkonstruktionen modifiziert (vgl. Ogawa 2003: 161)“ (Bellavia 2007, 281). Als Beispiel hat Bellavia (ebd., 293ff.) die Präposition über angeführt, und die didaktische Progression für den Aufbau der semantischen Netzwerkstruktur fasse ich nach Bellavia (ebd.) im Folgenden zusammen: 1) über als Präposition - Räumliche Verwendungsweisen Dieser Teil beschäftigt sich mit der Grundbedeutung und den zentralen Anwendungen von über. Anhand der schematischen Darstellungen sollten sie in Bezug auf die typischen räumlichen Situationen progressiv behandelt werden, nämlich: <?page no="338"?> 338 Tabelle 8-6: Didaktisierung des semantischen Netzwerks von über Anmerkungen: * Der Grund dafür ist laut Bellavia (ebd.): „Der Weg, den die Sonne beschreibt, zieht über unsere Köpfe hinweg (oberhalb und Strecke/ Fortbewegung), ihr Licht bedeckt die Oberfläche der Erde (bedecken), und verschwindet dann hinter dem Horizont (jenseits). Der Zyklus der Sonne birgt somit die Essenz der Bedeutungen von über in sich (vgl. Alverson 1994)“. ** Laut Bellavia (2007, 95ff.) ist dieser Satz unter der Bedeutung von jenseits zwar im Duden (1981) findbar, aber sie wird angesichts der Mehrdeutigkeit in der Tat selten gebraucht. Als „jenseits“ kann <?page no="339"?> 339 der Gebrauch von „über + Dat.“ erst vorgestellt werden, wenn der Satz im Sinne von z.B. über den Bergen wohnen, über dem Fluss wohnen etc. ist. Denn es ist kaum möglich, dass man oberhalb der Berge bzw. eines Flusses wohnt. In Hinsicht darauf ist die Bedeutung von „jenseits“ eindeutig. 2) über als Präposition - Metaphorische Anwendungen An dieser Stelle liegt der Fokus auf der Vermittlung des Übergangs vom Raum zur Quantität, wobei man sich mittels der Schemata bei  mit den metaphorischen Anwendungen von über beschäftigt. Dadurch werden zunächst „über als höher bzw. mehr“ und dann „über als Strecke“ behandelt. Dies bezieht sich jeweils auf die vertikale Achse oder die Bewegungsachse, wobei es sich metaphorisch um Zeit, Hindernis und instrumentale Bedeutung handelt. Hingegen beinhaltet die vertikale Achse die Lesarten in Bezug auf Quantität, Hierarchie, Komparation, Thema und Reflexion sowie Kausalität (vgl. ebd., 313). Die Arbeit damit beginnt mit der vertikalen Achse, weil deren Lesarten nach den räumlichen Schemata leichter zu interpretieren sind als diejenige von der Bewegungsachse, die viel abstrakter ist. 3) über als Vorsilbe (Nachverb und Präfix) - Räumliche Verwendungsweisen Dieser Teil beschäftigt sich mit den übertragenen Bedeutungen von über als Vorsilbe. Anhand der trennbaren und untrennbaren Verben wird der Gebrauch von Vorsilben in Zusammenhang mit der Polysemie von über gebracht, um das Neue in Verbindung mit den bereits erworbenen Kenntnissen zu lernen. D.h., mit Hilfe des semantischen Netzwerks von über kann die typische Metapher zum trennbaren und untrennbaren Gebrauch von über vorgestellt und gelernt. 187 a. über als Präposition → Sie fahren über den Fluss. b. über als Nachverb → Sie fahren über. c. über als Präfix → Sie überbrücken den Fluss. (vgl. ebd., 330) Den Gebrauch von Nachverb und Präfix im Zusammenhang mit der entsprechenden Präposition zu lernen, erlaubt es, z.B. hier über als obere Regel in Hinsicht auf die behandelten räumlichen Schemata zu begründen. Und durch die Verknüpfung mit dem Vorwissen bleibt das Gelernte auch besser im Gedächtnis. 187 Der trennbare und untrennbare Gebrauch von über unterscheidet sich dadurch, dass „über als Nachverb“ sich auf den Ortwechsel oder auf den Übergang von einem Zustand zu einem anderen Zustand bezieht, während „über als Präfix“ eine holistische Komponente zeigt, wobei der Bezugsort als Ganzes gesehen wird (vgl. Bellavia 2007, 150 und 330ff.). <?page no="340"?> 340 4) über als Vorsilbe (Nachverb und Präfix) - Metaphorische Anwendungen Hier werden die Metaphern von der vertikalen Achse (z.B. Gefühle, Komparation) und der Bewegungsachse (z.B. Zeit, Hindernis etc.) behandelt. Dies zielt darauf ab, die damit verbundenen Anwendungsweisen von über je nach Kontext bzw. Thema kennen zu lernen und zu überdenken. Z.B. über wird verwendet zum Ausdrücken von der Gemütsbewegung bzw. von inneren Gefühlen mit den Präpositionalgruppen sich freuen über, sich ärgern über, sich streiten über, sich aufregen über, fröhlich / traurig über etc. Die genannte Progression hat zum Ziel, die deutschen Präpositionen in Hinsicht auf ihre Bedeutungsvielfalt systematisch und fassbar darzustellen, also auf der Basis der im Teil 1) gezeigten Bilder, die zur Behandlung der Polysemie der Präposition und der Vorsilben eingesetzt werden können. In der Unterrichtspraxis kann das genannte Modell je nach Kursstufe bzw. Sprachniveau der Lernenden zu verschiedenen Zeitpunkten stufenweise angewendet werden. 188 Wichtig ist didaktisch laut Bellavia (ebd., 294f.), dass man immer von konkreten Gebrauchskontexten und bedeutungsbasierter Spracharbeit ausgeht, damit Unterrichtsinhalte durch sinnliche Anschaulichkeit und Reflexion erlernt werden können. Die hier vorgestellte Vorgehensweise ermöglicht durch die Einbettung sprachlicher Formen in Kontexte, die Entstehung mentaler Bilder und die Ansprache der Emotionen, dadurch werden die Lernenden aktiviert, was sich unmittelbar auf den Lernerfog auswirken kann. Auf die Bedeutung von Visualisierungen zur Grammatikvermittlung werde ich später in Kap. 8.4 (Unterrichtsmaterialien) noch näher eingehen. Es kann aber schon hier gesagt werden, dass die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit die Argumente von Bellavia bestätigen. Allerdings ist anzumerken, dass das Modell von Bellavia wohl vor allem für die längerfristige Curriculumplanung oder für Autoren eines Lehrwerks von praktischem Nutzen ist, da es viele verschiedene Phasen umfasst und insgesamt sehr zeitaufwändig ist. Im Rahmen der hier untersuchten Anzahl Unterrichtsstunden könnte nur ein äußerst kleiner Bruchteil davon durchgeführt werden. Zusammenfassend haben die bisher erwähnten didaktischen Probleme offensichtlich einen Einfluss auf den Lehr- und Lernerfolg. Dabei geht es vor allem um das Problem der methodischen Auswahl und Vorgehensweise, wofür Alternativen aufgezeigt werden sollen (vgl. dazu 8.2), was wiederum die Relevanz der Lehrerausbildung bzw. -weiterbildung im Fach DaF hervorhebt. Das didaktische Können und die Bereitschaft zum fachlichen Wei- 188 Die entsprechenden Übungen je nach dem verschiedenen Sprachniveau siehe Bellavia (2007, 300-362). <?page no="341"?> 341 terlernen sind laut Hallet (2006, 11ff.) als Kernkompetenzen für die Lehrenden anzusehen und somit von zentraler Bedeutung. Heutzutage sollten die Lehrkräfte außer guten, sicheren Sprachkenntnissen noch über viele zusätzliche Fachkenntnisse und -kompetenzen verfügen, z.B. in Sprachdidaktik und -methodik, Landeskunde, interkulturelle Kompetenz sowie die Medienkompetenz etc., da im L2-Unterricht der Fokus heute nicht mehr allein auf der Vermittlung von Sprachwissen und Sprachfähigkeiten in der Zielsprache liegt. (Im Folgenden vgl. ebd.) In Hinsicht darauf sollen die Lehrenden heute deshalb auch bereit sein, selbst zu lernen. Dabei geht es nicht lediglich um die Erweiterung oder Erneuerung ihres eigenen Fachwissens, sondern auch darum, dass sich ihre didaktischen Qualifikationen (oder Fähigkeiten) entsprechend den gesellschaftlichen Anforderungen weiterentwickeln. Aus diesem Grund sollten sich Lehrkräfte heute sowohl in Hinblick auf das Lehren als auch das Lernen innovativ zeigen. Außerdem wird deutlich, dass es einen Konflikt gibt zwischen der Rolle, die Lehrkräfte in einer konfuzianisch geprägten Gesellschaft spielen sollen (allwissende Autorität), und der Realität insbesondere der taiwanischen Lehrkräfte im Fach DaF: Es ist für Nicht-Muttersprachler, besonders nach längerer Zeit ohne intensiven Kontakt zum Zielsprachenland, praktisch unmöglich, in jedem Fall und spontan einwandfreie Urteile oder Erklärungen über die Zielsprache abzugeben, selbst wenn sie eigentlich didaktisch qualifizierte und sehr erfahrene Lehrkräfte sind. Aufgrund des Rollenzwanges können sie dies aber nur schlecht zugeben. So bleibt ihnen die natürlichste und für alle Beteiligten beste Reaktion versagt, nämlich zu sagen: „Das weiß ich nicht, aber ich werde es nachschlagen und ihnen die richtige Antwort sagen, sobald ich sie weiß.“ Grundsätzlich sollte man als Lehrender natürlich auch häufig überprüfen, ob die vermittelten bzw. erklärten Unterrichtsinhalte tatsächlich alle korrekt und adäquat sind, was bei der Arbeitsbelastung an taiwanischen Universitäten jedoch auch viel verlangt ist. Um die oben genannten didaktischen Probleme zu lösen und diesen Anforderungen entsprechen zu können, ist eine systematische Lehrerausbildung bzw. -weiterbildung im Bereich DaF notwendig und dringlich. Nur dadurch können sowohl die vorhandenen sprachlichen bzw. fachlichen Wissenslücken kompensiert als auch die eigenen didaktischen Qualifikationen weiter entwickelt werden. Die Diskussion der damit zusammenhängenden Aspekte wird in Kap. 8.6 weitergeführt. 8.2 Methodische Probleme Erfolgreiches didaktisches Handeln basiert auf dem didaktischen Können sowie dem Sprach- und Fachwissen der Lehrenden. Es ist entscheidend für <?page no="342"?> 342 die unterrichtliche Lehr- und Lernqualität. Um diese zu gewährleisten, ist die didaktische Kompetenz der Lehrkraft in Bezug auf ausreichende Kenntnisse in der Zielsprache und die dem Gegenstand angemessenen Vermittlungs- und Darstellungsformen von großer Bedeutung. D.h., sowohl das Fachwissen als auch die didaktischen und methodischen Überlegungen der Lehrkraft zum Gegenstand wirken sich auf den Lehr- und Lernerfolg aus. In den folgenden Unterkapiteln stehen die Probleme im Fokus, die sich im Zusammenhang mit den Methoden, Sozialformen, Hilfsmitteln und Materialien zeigen, welche von den Lehrerprobanden in den verschiedenen Unterrichtsphasen der drei untersuchten Grammatikthemen (Präsentation, Einübung bzw. Problemlösung) verwendet wurden. Aufgrund der Analyse des Videomaterials und des Lehrerfragebogens lassen sich nicht nur diese Problemfelder erkennen, sondern auch Unterschiede zwischen den nichtmuttersprachlichen und muttersprachlichen Lehrkräften in Bezug auf die Unterrichtsmethoden und -gestaltung. Vor der Analyse der einzelnen Problemfelder soll im Folgenden zuerst ein Überblick (Tabelle 8-7) über den Unterrichtsverlauf und die Methodengestaltung der einzelnen Probandengruppen gegeben werden, in dem die methodischen Unterschiede zwischen ihnen herausgearbeitet und definiert werden. Untersucht wurden dazu bei jeder Gruppe vier Unterrichtseinheiten zu je 50 Minuten (also zwei Sitzungen) 189 , und zwar unter den folgenden Aspekten: Redeanteil, Sozialformen, Interaktion, Lehr-/ Übungsmaterial, Übungsformen und Unterrichtsmittel. So kann nicht nur aufgezeigt werden, wie der Unterricht bei den einzelnen Lehrkräften gestaltet wird, sondern auch das Lernverhalten der Studierenden im Unterricht wird fassbar. Anhand der Ergebnisse dieser Untersuchung folgt dann ein zusammenfassender Überblick (Tabelle 8-8) über die Unterschiede bezüglich Unterrichtsmethoden und -gestaltung zwischen den beiden Lehrergruppen. 189 Hier besteht eine Sitzung aus zwei Unterrichtseinheiten, also insgesamt 100 Minuten. <?page no="343"?> 343 Tabelle 8-7: Unterrichtsverlauf und -gestaltung im Überblick Lehrkraft ist Nicht-Muttersprachler Lehrkraft ist Muttersprachler A B C D E F Redeanteil* Lehrkraft (L) - Studierende (S) 3/ 4 von L 1/ 4 von S fast nur Lehrende 3/ 4 von L 1/ 4 von S 1/ 3 von L 2/ 3 von S 2/ 3 von L 1/ 3 von S 2/ 3 von L 1/ 3 von S Sozialformen Frontalunterricht (F) Plenum (P) Partnerarbeit (PA) Gruppenarbeit (G) (F), z.T. auch (P) (F) Gemischt von (F), (P) und (G) (PA), z.T. auch (P) (P), z.T. auch (PA), (F) (P), z.T. auch (PA), (F) Interaktion S - S* Zielführende Interaktion zwischen allen KT kaum kaum kaum 65-70 Min. 5-15 Min. 30-35 Min. Interaktion L - S* Fragen zum Lehrinhalt von Studierenden an die Lehrperson (Wie oft, außer PA und G) 1-2 mal 0-1 mal 1-2 mal 0-2 mal 1-2 mal 2-5 mal Lehr-/ Übungsmaterial Arbeit mit dem Lehrbuch X X X Tafelbeispiele aus Einzelsätzen X X Selbst erstelltes Material X X X X Übungsformen Freie Satzbildung X Umformungsübung X X Lückentext X X X X Frage-Antwort-Dialog X X X X Übersetzen X Rollenspiel/ Simulation X X Präsentation/ Vorträge X X X Diskussion X X Unterrichtsmittel Tafel X X X X X X Folien X X Bilder X X X Arbeitsblätter X X X Anmerkungen: X: Trifft zu KT: Kursteilnehmer * Innerhalb einer Sitzung, also zwei Unterrichtseinheiten (100 Minuten) Gruppen Kategorien <?page no="344"?> 344 Tabelle 8-8: Überblick und Vergleich der Unterrichtsmethoden und -gestaltung Nicht-muttersprachlich Muttersprachlich Unterrichtsmethoden Grammatik-Übersetzungs- Methode Kommunikativ orientierte Methoden** Sozialformen Frontalunterricht, z.T. auch Gruppenarbeit, Plenum Plenum, Partnerarbeit Unterrichtsmittel Tafel, Folien* Tafel, Bilder, Arbeitsblätter, Folien Lehr-/ Übungsmaterial hauptsächlich Einsatz eines Lehr- und Arbeitsbuchs, z.T. auch Einsatz von selbst erstelltem Übungsmaterial Einsatz von selbst erstelltem Lehr- und Übungsmaterial * In dieser Gruppe hat nur Lehrkraft A Folien benutzt, bei B und C war die Tafel einziges Unterrichtsmedium. ** Unter kommunikativ orientierten Methoden werden hier die direkte Methode und der kommunikative bzw. interkulturelle Ansatz verstanden. Ihre Gemeinsamkeit ist, dass Sprachanwendung und Sprachkönnen als wichtigstes Lehr-/ Lernziel gelten. Die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bezüglich Unterrichtsmethoden und -gestaltung haben hier einerseits mit der Muttersprache der Lehrenden und mit den Eigenschaften des einzelnen Kurses (also hier z.B. Grammatik, Sprechen, Schreiben und Übersetzen) zu tun, aber andererseits auch mit dem Unterrichtsstil der Lehrenden. Abgesehen von dem Unterrichtsstil der Lehrenden lassen sich viele Unterschiede auf die in 3.3.2 erwähnte institutionelle Unterrichtsorganisation zurückführen. Generell wird der universitäre DaF-Unterricht Taiwans unter Berücksichtigung der sprachlichen Kompetenz der Lehrenden aufgeteilt. D.h., die Kurse, deren Fokus auf der Ausbildung der produktiven Fertigkeiten (also Sprech- und Schreibfertigkeit) liegt, wie Konversation und Aufsatz, werden im Allgemeinen von den muttersprachlichen Lehrkräften gegeben; liegt der Schwerpunkt des Kurses hingegen auf der Förderung der rezeptiven Fertigkeiten (also Lese- und Hörfertigkeiten), wird der Kurs in der Regel von taiwanischen Lehrkräften unterrichtet, wie z.B. Grammatik, Hörverstehen, Übersetzung, Linguistik, Literatur etc. Im Folgenden werden zuerst die mit den Methoden zusammenhängenden Probleme in den verschiedenen Arbeitsphasen (Präsentation, Übungsgestaltung sowie Korrektur) und Lehrergruppen (nicht-muttersprachlich und muttersprachlich) dargestellt und diskutiert. Sozialformen und Materialauswahl an sich sind zwar keine Methoden, aber sie stehen in engem Zu- Lehrergruppen Kategorien <?page no="345"?> 345 sammenhang mit den methodischen Überlegungen der Lehrkräfte, sie werden deshalb später in Kap. 8.3 (Sozialformen) und 8.4 (Unterrichtsmaterialien) noch näher besprochen. 8.2.1 Probleme bei Präsentation und Vermittlung Aus den Unterrichtsbeobachtungen (Tabelle 8-7) und aus den Antworten auf Frage 17 des Lehrerfragebogens geht hervor, dass die GÜM von den nicht-muttersprachlichen Lehrkräften (A, B und C) bei der Vermittlung bzw. Erklärung der Grammatik bevorzugt wird, wie dies bei den Auszügen UT 8-2, 8-3, 8-11, 8-13 etc. der Fall ist. 190 Die Wahl dieser Methode hat vor allem mit der Sprachkompetenz und Lehrtradition zu tun. Die Ergebnisse des Grammatiktests und das Feedback der Studierenden z.B. in den Auszügen UT 8-13 und 8-14 weisen jedoch darauf hin, dass rein sprachliche Erklärungen zu den Regeln, den Strukturen und dem Gebrauch nicht immer ausreichend sind, um die Grammatikthemen zu vermitteln. Häufig stellen sie nur eine begrenzte Hilfe für die Studierenden beim Erwerb von Grammatikkenntnissen dar und fördern den Lernprozess nicht immer. Hier zeigen die Testergebnisse zum Zustandspassiv gut, wie wichtig es ist, eine geeignete Methode für die Vermittlung eines bestimmten Lehr-/ Lerngegenstands auszuwählen. Tabelle 8-9: Lernerfolg beim Zustandspassiv bei nicht-muttersprachlichen und muttersprachlichen Lehrergruppen in (%) Lernerfolg Nicht-Muttersprachler (N=71) Muttersprachler (N=88) Gesamt (N=159) Anzahl (%) Anzahl (%) Anzahl (%) 1 no 57 80,3 63 71,6 120 75,5 2 some 14 19,7 25 28,4 39 24,5 1 „no“ bedeutet: „Die Lernenden beherrschen die Struktur (sein + Partizip II) gar nicht“ 2 „some“ bedeutet: „Die Lernenden beherrschen die Struktur ganz oder teilweise“ Tabelle 8-9 zeigt, dass Studierende bei nicht-muttersprachlichen Lehrenden beim Zustandspassiv etwas schlechtere Ergebnisse erzielten als bei muttersprachlichen Lehrkräften. Wie in 5.5.3 erwähnt, äußert sich Lernerfolg darin, dass das Gelernte problemlos und korrekt für die Sprachverwendung in unterschiedlichen Situationen zur Verfügung steht. Um den Lernerfolg zu beurteilen, wurden die Testergebnisse nach Ausschluss des Faktors Partizipbildung, der nicht Gegenstand des Unterrichts war (also unabhängig davon, 190 Vgl. dazu Kap. 8.1.1 und 8.1.2. <?page no="346"?> 346 ob das Partizip korrekt gebildet wurde oder nicht), in zwei Hauptkategorien aufgeteilt, nämlich „no“ und „some“. Unter „no“ fallen Antworten, in denen die richtige Passivstruktur (sein-Passiv) z.B. durch werden-Passiv, Perfekt bzw. Futur I ersetzt und deshalb nicht erkannt wurde, d.h., die Lernenden beherrschten die Konstruktion des sein-Passiv gar nicht; bei „some“ wurde die Passivstruktur entweder ganz korrekt verwendet oder zumindest erkannt und intendiert, aber es gab Fehler, die mit der Passivstruktur an sich nichts zu tun haben, wie z.B. falsche Verbform (Plural statt Singular) oder falsches Tempus etc. (vgl. Tabelle 7-11 bzw. 7-12 in Kap. 7.3.2). D.h., die Lernenden beherrschten die Konstruktion ganz oder teilweise. 28,4% der Studierenden, die von Muttersprachlern nach den kommunikativ orientierten Methoden unterrichtet wurden, beherrschten danach die Struktur ganz oder teilweise, während dies nur bei 19,7% der Studierenden der Fall war, die von Nicht- Muttersprachlern nach der GÜM unterrichtet wurden. Umgekehrt formuliert haben 80,3% der Studierenden in den Klassen von Nicht- Muttersprachlern nichts gelernt, bei Muttersprachlern war der Anteil der Studierenden, die nichts gelernt hatten, mit 71,6% nicht ganz so hoch. Schauen wir dann den Chi-Quadrat-Wert nach Pearson an, steht das Merkmal „Muttersprachler“ bzw. „Nicht-Muttersprachler“ der Lehrkräfte allerdings mit der Lernerfolg beim Zustandspassiv nicht in einem signifikanten Zusammenhang (also p=,140, p>,05). Der Signifikanzwert p=,140 entspricht nicht dem statistischen Signifikanzniveau von p=,05. Aber die Präsentationsbzw. Darstellungsarten, die von den nicht-muttersprachlichen und muttersprachlichen Lehrkräften verwendet wurden, stehen tatsächlich in Beziehung zum Lernerfolg der Studierenden. Dies ist unten in Tabelle 8- 10 deutlich zu sehen. Tabelle 8-10: Methodenunterschied und Lernerfolg beim Zustandspassiv Methoden vs. Gruppen Anzahl (N) Lernerfolg (%) 1 no 2 some  Mündliche Erklärung (Gruppen A, B, C) 71 80,3 19,7  Erklärung durch Körpersprache (Gruppe D) 41 95,1 4,9  Visuelle Veranschaulichung (Gruppen E, F) 47 51,1 48,9 Insgesamt 159 75,5 24,5 * Zur Bedeutung von „no“ und „some“ vgl. Tabelle 8-9. <?page no="347"?> 347 Aus Tabelle 8-10 lässt sich erkennen, dass ein deutlich signifikanter Zusammenhang zwischen der Unterrichtsmethode und dem Lernerfolg beim Zustandspassiv besteht (der Chi-Quadrat-Wert=24,565, p=,000, p<,05). Die Tabelle zeigt, dass die Studierenden, bei denen das Zustandspassiv mit visueller Veranschaulichung erklärt wurde, viel besser lernten („some“ 48,9%) als diejenigen, bei denen dasselbe Grammatikthema durch rein mündliche Erklärung („some“ 19,7%) oder durch Körpersprache („some“ 4,9%) vermittelt wurde. Schauen wir uns das Resultat in den einzelnen Lehrergruppen näher an, zeigt die untenstehende Tabelle 8-11 deutlich, dass bei den Gruppen C, E und F knapp bzw. genau die Hälfte der Studierenden die Konstruktion des sein-Passiv ganz oder teilweise beherrschten, bei den Gruppen A, B und D hingegen nur ein geringer Teil. Tabelle 8-11: Lernerfolg beim Zustandspassiv nach einzelnen Lehrergruppen in (%) Lehrergruppen Lernerfolg 1 no 2 some Anzahl (%) Anzahl (%) A (N=32) 28 87,5 4 12,5 B (N=18) 17 94,4 1 5,6 C (N=21) 12 57,1 9 42,9 D (N=41) 39 95,1 2 4,9 E (N=25) 13 52,0 12 48,0 F (N=22) 11 50,0 11 50,0 Gesamt (N=159) 120 75,5 39 24,5 * Insgesamt N=161, hier 2 ungültige Antworten 1 „no“: die Struktur (sein + Partizip II) wird gar nicht beherrscht 2 „some“: die Struktur (sein + Partizip II) wird ganz bzw. teilweise beherrscht Obwohl bei C auch knapp die Hälfte der Studierenden (42,9%) etwas gelernt hat, lässt sich gesamthaft betrachtet also sagen, dass die von Lehrkräften E und F zur Vermittlung des Zustandspassivs verwendete Methode (Bilderklärung) im Vergleich zu den von den anderen vier Lehrkräften verwendeten Methoden viel erfolgreicher ist. Es bedeutet auch, dass die Konstruktion des Zustandspassivs in diesen Gruppen vergleichsweise erfolgreich vermittelt wurde und vom Vorgangspassiv unterschieden werden konnte, obwohl nur <?page no="348"?> 348 knapp die Hälfte der Studierenden (48,9%) den Stoff danach ganz oder teilweise beherrschte. Genauer betrachtet hat bei Gruppe F genau die Hälfte (50%) etwas gelernt, bei E etwas weniger, nämlich 48%. In der Grammatikstunde ist wie zuvor in 8.1 schon erwähnt die Präsentations- und Darstellungsweise des Gegenstands von besonders großer Bedeutung, weil dadurch die zu vermittelnden Grammatikphänomene funktionell, strukturell und situativ verdeutlicht werden sollen. Welche Präsentations- und Darstellungsweise aber am geeignetsten ist, hängt von den zu vermittelnden Grammatikphänomenen ab. Beim Zustandspassiv oder den Wechselpräpositionen in lokaler Bedeutung etwa ist es methodisch sinnvoll, den Stoff mit Bildmaterial oder anderen visuellen Hilfsmitteln zu veranschaulichen. Von der Gehirnforschung ist bereits nachgewiesen worden, dass visuelle Informationen von Lernenden leichter aufgenommen werden und somit dem besseren Verständnis und Behalten der Lehr-/ Lerngegenstände dienen (vgl. Macaire 1996, 13ff.). Auch die studentischen Angaben zu Frage 3.2 des Fragebogens (2) weisen in diese Richtung: Bei den alternativen Vorschlägen bezüglich der Lehrmethode waren insgesamt 7,1% (also 4 von 56) der Studierenden der drei nicht-muttersprachlichen Probandengruppen mit der verwendeten GÜM zufrieden. Im Vergleich dazu waren insgesamt 21,6% (also 8 von 37) der Studierenden, die von Lehrpersonen E (Abb. 8-2 in Kap. 8.1.2) und F (Abb. 8-3) nach der Methode Visuelle Veranschaulichung unterrichtet wurden, zufrieden damit und der Meinung, dass es ihnen dadurch leicht gefallen ist, Funktion und Bedeutung des Zustandspassivs zu verstehen. Ein weiterer Grund für den Erfolg der Methode Visuelle Veranschaulichung bei diesem Grammatikphänomen ist, dass Bilder funktionell offener sind als Schrifttexte bzw. sprachliche Darstellungen, weil die Bilder aufgrund ihres Verweisungscharakters und ihrer kommunikativen Funktion Struktur, Funktion und Bedeutung des Zustandspassivs anschaulich illustrieren und damit das Lernen unterstützen (vgl. Surkamp 2010, 20ff.). Dies ist besonders wichtig beim Grammatikphänomen Vorgangs- und Zustandspassiv, dessen Funktionen und Bedeutungen nur schwer aus den oberflächlichen Strukturen ablesbar bzw. unterscheidbar sind. Durch ein Situationsbild können die Strukturen des werden-Passiv und sein-Passiv kontrastiv behandelt, aber auch landeskundliche Inhalte gezeigt werden. Dies wird beispielsweise durch das eingesetzte Material (Abb. 8-3) und den Unterrichtsablauf (Auszug UT 8-20) von Gruppe F unten veranschaulicht. <?page no="349"?> 349 Abb. 8-3: Unterrichtsmaterial zur Passivstruktur von Gruppe F (Stufen International 3, 1998, 130) Unterrichtssituation: Im Unterricht bespricht die Lehrperson zuerst mit der Klasse gemeinsam das Thema Drachen und macht einen Bedeutungsvergleich von diesem Begriff in Ost und West. Die Studenten sollen ihre Meinungen dazu äußern. Bei dieser Gelegenheit wird das Vorgangs- und Zustandspassiv in Bezug auf die Formen und Funktionen mittels des in Abb. 8-3 gezeigten Materials wiederholt. Auszug UT 8-20: Gruppe F - Wiederholung des Passivs (29.11.2004, ca. 56: 00) L: ...wo passiert etwas? Wo passiert nichts? Wo tun die Leute etwas, wo nichts? Hm..ja, ganz einfach, zu einfach. ... ehm...da steht ehm ... vielleicht Imelda, wo tun die Leute etwas? Können Sie´s erkennen? Können Sie´s sehen? S1: ... (schaut auf die Leinwand) <?page no="350"?> 350 L: Ich frage nicht, was sie tun. Das schauen wir später an, aber wo tut jemand etwas? Bild Nummer...wieviel? Hier haben Sie 1,2,3,4,5,6, sechs Bilder. Sehr einfach die Frage... S1: ... (schaut auf die Leinwand) L: Ist das Bild zu klein? S: ... (schauen auf die Leinwand an oder machen Notizen) L: Yvonne, ja? S2: ... ( ) L: Keine Ahnung. Okay, also ich helfe Ihnen. Hier sehen Sie doch, die Leute, die tun etwas. Ja? Die kriechen da auf dem Drachen rum..und sehr viele Leute tun etwas. Soll ich Ihnen vielleicht die Blätter schon geben? Dann können Sie's besser sehen. Also hier sind sie. (zeigt auf das projizierte Blatt) Sie kriegen die Bilder, dann sehen Sie´s genau, ja? Und, dann können Sie es ganz genau ansehen. Oder vielleicht weiß es doch jemand? Wer hat eine Idee? Lydia, sehen Sie, wo jemand etwas tut und wo nichts getan wird? ...... dann sagen Sie, ich glaube, denke, vermute... ja? S3: ... die fünf. L: Die fünf, ja! Was ist das? Bild fünf ist hier. Tut da jemand etwas oder tut niemand etwas? S3: Jemand tut etwas (einige KT sprechen auch leise mit) L: Ja, natürlich. Man sieht, da ist ein Mensch, der tut etwas. Genau, das ist ganz sicher. Hier sehen wir einen Menschen, zwei Arbeiter, die tun etwas. ... und weiter. Andere Stimmen? ... Katja S4: ( ) L: ..ehm, das haben wir jetzt schon gesagt, die anderen Bilder noch. Lydia hat Bild 5 gesagt. S4: Bild 1 L: Bild 1 S4: Die Leute streichen ( ) L: Ja, genau. Sie streichen den Drachen an, sie bemalen den Drachen, die tun etwas. Ja, da wird etwas getan. (zeigt auf die Leinwand) Und auf Bild 3 tun die Leute auch etwas? Passiert etwas auf Bild 3? S4: Ja <?page no="351"?> 351 L: Ja, da passiert auch etwas. Und dann schauen wir Bild 2, Bild 4 und 6 an. Da...passiert da etwas? (zeigt die Bilder auf die Leinwand) S: Nein (einige antworten mit Kopfschütteln) L: Nein, der Drache liegt nur da. Er bewegt sich nicht, und hier auf Bild 4 ist nur die Stadt zu sehen, keine Leute. Niemand tut etwas. Und hier ist auch nur diese Ehrentribüne zu sehen, sieht aus wie ein Zelt ne! Aber eigentlich passiert da nichts. Ja, gut. Jetzt können wir das ja aufdecken hier, ... ne, ja. (stellt das projizierte Blatt ein--) Können wir uns mal anschauen, was die Leute wirklich tun, ... was die Leute hier wirklich tun. Wer liest mal? Hm.. was wird hier gemacht, wir lesen zuerst die Kommentare zu Bild 1, 3 und 5? Da haben wir gesagt, da passiert etwas, ja? Was wird gemacht, was tun die Leute hier? Ehm.. Steffi, lesen Sie bitte mal! Was tun die Leute hier? Was wird gemacht, Bild 1? S5: Der Drache wird von den Bürgern angeSTRITEN. L: ANGESTRICHEN, ja. Können Sie übersetzen? S5: 就是龍...被上顏色 (übersetzt den Satz ins Chinesische) L: Ja, genau. 就是被上顏色、上顏料啊! (übersetzt den Satz ins Chinesische) L: Welche Farbe? Wahrscheinlich grün, oder? Grün angestrichen. Ehm..ja. Und das Verb heißt „anstreichen“, ja? Anstreichen, streicht an, wird angestrichen. (schreibt „anstreichen“ an die Tafel---------) Zweitens auch Steffi, bitte! S5: Die Stadt wird von der Bevölkerung geschmückt. L: Hm.. wieder bitte eine Übersetzung! S5: ... 這個城市 ... 就是被這些居民打掃乾淨 (übersetzt den Satz ins Chinesische) L: 打掃乾淨 ... ja. Und weiter noch...ehm „schmücken“ 有裝飾的意思 Vielleicht nehmen Sie so Fahnen oder irgendwelche bunten Tücher, und hängen die auf und machen die Stadt schön. Schön machen, schmücken, ja. ... Und dann der letzte, ehm der nächste Satz, Bild 5, Steffi! S5: Die Ehrentribüne wird von Handwerkern aufgebaut. L: Genau. Ehrentribüne ist 貴賓台 (übersetzt ins Chinesische) Also, die Ehrentribüne wird von den Handwerkern aufgebaut. 就是被工人 ... 應該是搭起來吧! (übersetzt den Satz ins Chinesische)... ( ) „anstreichen“, „schmücken“, „aufbauen“. (schreit die drei Verben an die Tafel-----) Drei Verben haben wir hier und die haben das Passiv. Das ist ganz normal! Kennen Sie, nichts Neues. Hm..wir sagen nicht, was die Leute tun, sondern was gemacht wird, was passiert hier. Ganz normales Passiv. Ehm... unten haben Sie dieses Kästchen, bitte <?page no="352"?> 352 hier schauen Sie mal! (zeigt das auf der Leinwand) In diesem Kästchen heißt es, hier ist das werden-Passiv, das ganz normale Passiv, das Sie kennen. Das heißt auch Vorgangspassiv, was ist ein Vorgang? S: 過程 (übersetzen „Vorgang“ ins Chinesische) L: 過程 Vorgang. Vorgang, der Vorgang. Das ist auch ein Prozess, gut...ja, Prozess, Vorgang. (schreit das an die Tafel) Also, mit diesem Passiv, mit dieser Passivform, da beschreiben wir was vorgeht, was passiert. Wir beschreiben einen Vorgang. 這種被動 式是描寫或描述一種過程 Aktion, ja! 活動或是動作, Prozess 過程, etwas nicht Abgeschlossenes. (zeigt das auf den projizierten Bildern) 一種還沒有完成的事情 Das sehen Sie, es passiert jetzt und die Leute sind noch nicht fertig. Sie malen noch, sie streichen ihn noch an. Sie schmücken die Stadt noch, sie bauen die Tribüne noch auf, sie sind noch nicht fertig. Ja.. noch nicht fertig. Jetzt schauen wir die anderen Bilder an. Hier rechts 2, 4 und 6. Hier sehen wir, was ist das Resultat. Bei Bild 1, da wird der Drache angestrichen. Und dann bei Bild 2 heißt das, der Drache ist angestrichen. Ehm ... kann jemand das übersetzen? Was bedeutet das? <Vorgang. (...) Das werden-Passiv beschreibt einen Vorgang oder eine Aktion. Prozess bedeutet, dass etwas noch nicht abgeschlossen ist. Das sehen Sie, (...)> S: 已經被上油漆了... 已經上漆了 (übersetzen ins Chinesische) L: Ja, genau. 已經被上漆了/ 上顏色了,已經做好了。 Also, wenn wir uns die Farbe vorgestellt haben vorher, ja, Grün. Hier ist er vielleicht noch nicht ganz grün, ja? (zeigt auf Bild 1) Vielleicht ist nur der Kopf grün, und hinten ist er noch nicht grün. Und hier ist er ganz grün, da sind sie fertig. (zeigt auf Bild 2---------------- ) Nummer 3, Nummer 4, hier haben wir gesagt, die Stadt wird von der Bevölkerung geschmückt. Nummer 4, die Stadt ist geschmückt, das heißt, die Bürger sind schon fertig, ne! Wer kann den Satz übersetzen? Wie würden Sie das übersetzen? ...Yvonne (schaut in der Klasse herum--) S2: 已經裝飾好了 (übersetzen den Satz ins Chinesische) L: Ja, 已經裝飾好了。 Sehr gut, 已經裝飾好了。 Die Ehrentribüne hier (zeigt auf Bild 5), die wird aufgebaut. Das sehen Sie, hier arbeiten die Leute noch. Und dann, hier sind sie aber schon fertig, auf Bild 6. Da sind sie fertig. Die Ehrentribüne ist aufgebaut ... ist aufgebaut. Wer übersetzt, wer kann´s übersetzen? Imelda. <Ja, (die Stadt) ist geschmückt. Sehr gut, (die Stadt) ist geschmückt. (...) > S1: ... ( ) L: Also, hier haben Sie ein… einen Vorgang, ja? Und hier haben Sie ein Resultat, ein Zustand. Im Kästchen unten haben Sie ein sein-Passiv, das Zustandspassiv. Zustand ist, Zustand heißt? S: 狀態 (einige übersetzten „Zustand“ ins Chinesische) L: 狀態 genau. Beim Zustand passiert nichts mehr, ist alles schon fertig. Sie sehen, hier heißt es auch, das ist ein Resultat, ein Zustand, etwas Abgeschlossenes. (zeigt das auf Bild 6----------------------------) <?page no="353"?> 353 已經完成的事 情 , etwas Abgeschlossenes. Beides ist ehm ... eine Art Passiv, sagen wir. Aber das eine ist mit werden, es wird gemacht. Das andere ist mit sein, ist angestrichen, ist geschmückt, ist aufgebaut. Ja, und jetzt müssen Sie selbst mal die Verbformen ergänzen, unten. Oder ... zuerst nochmal hier, gibt es Fragen bis dahin? Ist etwas noch nicht ganz klar? S: ... (schauen entweder die L oder das Blatt an) Die Lehrperson erklärt nicht direkt den Gebrauch und die Funktion vom Vorgangs- und Zustandspassiv, sondern mittels Bildermaterials sowie Fragen lässt sie die Studierenden erstmal selber darüber nachdenken und entdecken, wo auf den Bildern etwas passiert und wo nichts passiert oder wo die Leute etwas tun, wo nichts. Sie entwickelt sozusagen eine Art entdeckendes Lernen. Dabei werden die Studierenden auch durch ihre Hinweise und Anregungen unterstützt, um das Vorgangs- und Zustandspassiv funktional sowie situativ zu unterscheiden. Das Verständnis dafür wird, wie gezeigt, von der Lehrperson auch mittels chinesischer Sprache überprüft. Erst am Schluss fasst die Lehrperson dann den Gebrauch und die Regeln zusammen. So wird das Vorgangs- und Zustandspassiv auf der Basis des landeskundlich relevanten Bildtexts wiederholt und die landeskundlichen Inhalte werden auch dadurch vermittelt. Ein weiterer Aspekt, die Materialwahl, wird in Kap. 8.4 (Unterrichtsmaterial) noch näher diskutiert. Auch bei der Erklärung des Gebrauchs des Konjunktiv II kommt der Art und Weise der Präsentation große Bedeutung zu, dies besonders in Hinsicht auf die Ähnlichkeit des Gebrauchs und die Unterschiede in der Struktur zwischen Chinesisch und Deutsch. Dies hat vor allem damit zu tun: „ … was das Chinesische mit lexikalischen Mitteln zum Ausdruck bringt, wird im Deutschen durch grammatische Mittel übermittelt“ (Ma 1984, 61). Daher ist es methodisch nicht optimal, den Bedeutungs- und Gebrauchsunterschied zwischen den verschiedenen Tempusformen des Konjunktiv II ohne Textbeispiele bzw. -inhalte in einer rein sprachlichen Erklärungsform zu präsentieren. Mit anderen Worten: die Formen und Bedeutungen des Konjunktiv II wurden bei den nicht-muttersprachlichen Probandengruppen meist deduktiv in Form von isolierten Beispielsätzen an der Tafel dargestellt und mündlich in einer situativen Einbettung erklärt, wie es in den zuvor aufgeführten Auszügen UT 8-2, 8-18, 8-19 bzw. in Abb. 8-4 unten der Fall ist. Unterrichtssituation: Bei Gruppe B wird der Konjunktiv II anhand der Tafelbeispiele in deduktiver Weise eingeführt, nachdem die diesbezogenen Regeln vermittelt worden sind. Die Beispielsätze sind zusammenhangslos, aber werden nach den Funktionen geordnet. Der Gebrauch und <?page no="354"?> 354 die Formen des Konjunktiv II werden wie immer mündlich in einer situativen Einbettung erläutert. Abb. 8-4: Tafelbeispiele zum Konjunktiv II von Gruppe B Aussagesatz 1. Er bleibt hier lange. Ich bliebe hier nicht so lange. Er blieb hier lange. Ich wäre hier nicht so lange geblieben. 2. Er kauft diese Uhr. Ich würde diese Uhr nicht kaufen. Er kaufte diese Uhr. Ich hätte diese Uhr nicht gekauft. Wunschsatz Bedingungssatz (Indikativ) Wenn ich nach Köln komme, besuche ich sie. (Konjunktiv II) Wenn ich nach Köln käme, besuchte ich sie. Vergleichssatz (Indikativ) Er spricht Deutsch so gut wie ein Deutscher. (Konjunktiv II) Er spricht Deutsch so gut, als ob / als wenn er ein Deutscher wäre. Auszug UT 8-21: Gruppe B - Vermittlung des Konjunktiv II (28.10.2004, ca. 01: 04: 07) L: (...) 另外,我們舉另外一個像...有這個所謂的 Wunschsatz ,期望的句子 ( 重複此句 ) Er kommt doch heute nicht 他今天沒來,本來以為他今天會來,興沖沖的跑來要看他一面 ,看劉德華一面(...),結果他沒來,好可惜喔!(...)假若他今天來多好!對不對? ( 把 „wenn er doch heute käme“ 寫在黑板上 ) 。 <(...) und als Beispiel nehmen wir hier... den sogenannten Wunschsatz (übersetzt ins Chinesische und wiederholt den Satz) „Er kommt doch heute nicht“, das heißt, eigentlich dachte ich, dass er heute doch kommt, so bin ich voller Freude hergekommen, um (den Schauspieler) Andy Liu mal zu sehen. Schade, dass er gar nicht gekommen ist. (...) Es wäre schön, wenn er doch heute käme, ja? (schreibt „wenn er doch heute käme“ an die Tafel)> S: ... (viele machen sich Notizen) 1. Er kommt heute nicht. Wenn er doch heute käme, ... 2. Er kam nicht rechtzeitig. Wenn er nur rechtzeitig gekommen wäre, ... bzw. Wäre er nur rechtzeitig gekommen, ... <?page no="355"?> 355 L: Er käme doch heute! 他來多好呢!好久沒有看到他了, (...) Er käme doch heute 不過 這種用法...嗯...我們有時候可以用這樣 „Wenn er doch heute käme“ ( 把此句寫在黑板上 ) ,我們也可以這樣說,他今天假設來多好啊!就表示我們的 Wunsch ,對不對? <„Er käme doch heute“, wie schön wäre es, wenn er käme! Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen, (...) „Er käme doch heute“, dieser Ausdrucksweise... ehm...manchmal sagt man auch „wenn er doch heute käme“ (schreibt das an die Tafel). Wir können das auch so sagen, „es wäre schön, wenn er doch heute käme“. Dies drückt unseren Wunsch aus, ja? > S: ... (schauen an die Tafel oder machen sich Notizen) L: ( 表示 )Wunsch ,但是這種用法,有時候在文學..尤其在文學的使用習慣方面,它會把 „wenn“ 省掉不用。可是把 wenn 省掉不用的話,它有一個規則,就變成這個主要動詞 (käme) 要把它擺到最前面來。那就變成什麼呢? „Käme er doch heute! “ <(Dies drückt) einen Wunsch (aus). Aber diese Ausdrucksweise ist manchmal in der Literatur...also vor allem im literarischen Sprachgebrauch lässt man „wenn“ generell weg. Wenn man „wenn“ im Satz weglassen möchte, dann gibt es eine Regel dafür, also das Verb (käme) muss dann an den Satzanfang gestellt werden. Wie muss es dann heißen? „Käme er doch heute! “> Durch die Tafelbeispiele (Abb. 8-4) und die Unterrichtssituation zu Auszug UT 8-21 werden nicht nur die typischen Merkmale der GÜM aufgezeigt, sondern auch die Problematik: nach Regeln werden die Beispielsätze gebildet und ihre Abfolge ergibt keinen Zusammenhang, somit haben diese Einzelsätze eher Beispielfunktion für die Regeln und dienen weniger der Veranschaulichung der Gebrauchsbedingungen. Die Lehrperson erklärt zwar, dass der Konjunktiv II vorwiegend gebraucht wird, wenn man etwas wünscht oder sich vorstellt, das in Wirklichkeit unerfüllbar ist. Aber die Präsentations- und Darstellungsweise (also Einzelsätze und die situativ eingebettete Gebrauchserklärung) stellen ein Verstehensproblem dar, weil die chinesische Erläuterung hier z.B. dem Wunschsatz in Hinsicht auf das Tempus nicht ganz entspricht. Das Tempus ist sowohl ein grammatisches Phänomen als auch ein semantisches. In dieser Hinsicht wäre es sinnvoll, wenn der Konjunktiv II in einem textuellen und kontextuellen Zusammenhang eingeführt würde, woraus er strukturell und funktional verständlich und konkret erfassbar ist (vgl. 8.4). Dies hilft, das zu lernende Grammatikphänomen nicht nur zu verstehen, sondern auch im Gedächtnis festzuhalten. Insgesamt betrachtet ist der Grammatikunterricht bzw. die Grammatikstunde bei Gruppen A, B und C wesentlich durch deduktive Verfahren und formale Orientierung an Sprachregeln charakterisiert. Die Grammatik wird anhand von isolierten Beispielsätzen bzw. formorientierten Übungen präsentiert, so dass es dem Unterrichtsstoff an Kontextbezug zur realen, auch mündlichen und medialen Sprachvielfalt fehlt (vgl. Köhnen 2011, 81). Mögliche Folgen davon sind, dass sich die Studierenden einerseits über die funk- <?page no="356"?> 356 tionale und situative Verwendung der einzelnen Zeitformen nicht im Klaren sind und dass dies andererseits negative Auswirkungen auf ihre Motivation bzw. auf das Interesse am Deutschlernen hat. Der erste oben genannte Aspekt wurde in den unter 7.3.2 vorgestellten Testergebnissen zum Konjunktiv II bestätigt, der zweite durch die in 7.1.2 dargestellte Auswertung des Fragebogens (1) zur Motivation: Die Faktoren Lehr-/ Lernstoff und Unterrichtsstil von Lehrenden werden von Studierenden zugleich als Motivations- und Demotivationsquellen betrachtet und wirken sich auf das Deutschlernen aus. Demgegenüber verwendeten die muttersprachlichen Lehrkräfte (also z.B. Lehrpersonen E und F) meistens selbst erstellte Lehr- und Übungsmaterialien, um die Strukturen und den situationsorientierten Gebrauch des Konjunktiv II zu wiederholen und einzuüben. Doch auch damit gab es Probleme, sie liegen vor allem in der Aufgabengestaltung (vgl. 8.2.2). Die Regeln und Strukturen des Konjunktiv II waren wie bereits erwähnt schon früher von taiwanischen Lehrkräften im Grammatikunterricht für Anfänger behandelt worden und wurden hinsichtlich der jeweiligen Kursziele bei den muttersprachlichen Probandengruppen entweder schwerpunktmäßig (bei F im Konversationskurs), nur ein wenig (bei E im Aufsatzkurs) oder gar nicht (bei D im Konversationskurs) wiederholt. Denn die Grammatik steht ja, wie bereits in 1.2.3 erwähnt, nicht im Mittelpunkt der kommunikativ orientierten Methoden, und hinsichtlich deren didaktischen Konzepte wurde mehr Wert auf die praxisbezogene Anwendung gelegt. Die grundlegenden Aspekte des Gebrauchs des Konjunktiv II wurden z.B. mit Hilfe eines (vom Textmaterial ausgehenden) Themas oder des Bildmaterials situativ in der Zielsprache präsentiert und eingeübt, wie es z.B. in Abb. 8-5 (bei F) bzw. 8-9 (bei E) 191 zu sehen ist. 191 Siehe S. 378-379. <?page no="357"?> 357 Abb. 8-5: Arbeitsblätter zum Konjunktiv II von Gruppe F (i) Fotografie der Träume Stellen Sie sich vor, Sie würden beim Fotografen ein Foto Ihrer Träume machen lassen ... 1. Als was für eine Person würden Sie sich fotografieren lassen? 2. Welches Kostüm würden Sie tragen? 3. Welche Requisiten wären sonst noch auf dem Foto zu sehen? 4. Vor welcher Kulisse würden Sie stehen? 5. Welche Vorteile hätte diese Rolle? (Was könnten / dürften Sie tun, wenn Sie ....... wären? Was müssten Sie nicht tun? ) Konjunktiv II - Repetition: Gruppenarbeit (2-3 Personen) Bitte spielen Sie einen kleinen Dialog zu einer der folgenden Situationen und verwenden Sie dabei möglichst oft den Konjunktiv II! A. Im Restaurant: Ein sehr, sehr höflicher Kunde möchte in einem Restaurant etwas essen. Aber er hat sehr viele Fragen und spezielle Wünsche, und alles, was man ihm bringt, ist nicht genug. B. Ein langweiliger Sonntag: Petra (10 Jahre alt) hat schlechte Laune und will den ganzen Tag nur vor dem Fernseher sitzen. Mama und Papa machen ihr viele Vorschläge, was sie tun könnte, damit es ihr besser geht. C. ........................... <?page no="358"?> 358 (ii) Repetition: Konjunktiv II Formen: sein → ich wäre, du wärst... haben → ich hätte, du hättest... Modalverben: können → ich könnte, du könntest... müssen → ich müsste, du müsstest... dürfen → ich dürfte, du dürftest... sollen → ich sollte, du solltest... Andere Verben: → würde + Infinitiv, z.B. ich würde gehen, du würdest lachen etc. (Gesprochene Sprache! In der Schriftsprache gibt es spezielle Konjunktiv-Formen) Wann verwendet man den Konjunktiv II vor allem? 1. Wenn wir über Irreales (nicht Wirkliches, Unmögliches) sprechen Z.B. Ich wäre gern ein Vogel. (Irrealer Wunsch) Wenn ich ein Vogel wäre, dann könnte ich fliegen. (Irreale Bedingung) Peter tut so, als ob er schlafen würde. Aber in Wirklichkeit ist er noch wach. 2. Wenn wir jemandem Ratschläge geben oder Vorschläge machen Z.B. Ich finde, du solltest weniger rauchen. Wenn ich du wäre, würde ich weniger rauchen. Es wäre gut, wenn du weniger rauchen würdest. Du könntest versuchen, weniger zu rauchen. 3. Wenn wir jemanden besonders höflich um etwas bitten Z.B. Würdest du bitte das Fenster schließen? Könnten Sie mir bitte sagen, wie viel Uhr es ist? Hätten Sie einen Moment Zeit für mich? Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen? Im Restaurant: Ich hätte gern / ich möchte eine Pizza und ein Mineralwasser. <?page no="359"?> 359 Unterrichtssituation: Bei Gruppe F wird der Konjunktiv II anhand des von der Lehrperson selbst erstellten Textmaterials wiederholt. Zuerst bespricht die Lehrperson mit den Studierenden gemeinsam im Plenum, was sie in der Situation von Fotografie der Träume machen würden, dann müssen sie sich zu den vorgegebenen Fragen äußern. In der folgenden Gruppenarbeit soll der Konjunktiv II anhand der Aufgabestellung gezielt geübt werden, um die Regelhaftigkeiten und Gebrauchssituationen daraus zu erschließen. Erst danach werden die Regeln und der Gebrauch von der Lehrperson zusammengefasst. Auszug UT 8-22: Gruppe F - Wiederholung des Konjunktiv II (11.10.2004, ca. 53: 48) L: ...jetzt bin ich sehr gespannt und möchte sehr gerne wissen, wie Sie ehm ... sich gerne fotografieren lassen würden, ja? ... Fotografierte Träume von Ihnen ... Könnten Sie diese jetzt mir und den anderen vorstellen? „Fotografie der Träume“ (schreibt die Fragen an die Tafel-------) S: ... (unterhalten sich leise oder schauen an die Tafel) L: Ja ...vor ehm dem ( ) bei „Fotografie der Träume“, Sie haben sich überlegt, wie Sie sich gerne fotografieren lassen würden, und wir sprechen jetzt so in dieser Form dann darüber. Wer möchte beginnen? Wer sagt uns mal zuerst „Als was für eine Person würden Sie sich fotografieren lassen“, wie z.B. als Samurai oder als Verführerin oder als Cowboy oder was ne. Und welches Kostüm würden Sie tragen? (zeigt den Satz an die Tafel-----------) Vor welcher Kulisse würden Sie stehen und so weiter. Sie könnten auch andere Sachen sagen, und dann welche Vorteile hätte diese Rolle? Versuchen Sie auch das zu sagen! Was könnten Sie dann tun, wie z.B. als Cowboy? Dann könnten Sie den ganzen Tag...ehm auf Ihre Kühe aufpassen, ja? Das wäre schön und so weiter. Das sind nur Vorschläge. Sie könnten auch andere Dinge sagen. Also, jetzt bin ich gespannt. Wer sagt uns, wie sein oder ihr Foto der Träume aussieht. S: ... (schauen an die Tafel an oder machen sich Notizen, ca. 12 Sek.) L: Muss ich jemanden aufrufen? Gut, die Anna, die lacht. Jetzt könnten Sie bitte beginnen! S1: ... (scheint zu überlegen) L: Sagen Sie mal! S1: ( ) L: Nein, also dann sind Sie Nummer 2. Wer beginnt sonst? Mhm ... wer beginnt? Wer hat sich vorbereitet? Ich glaube, Stella hat sich auch vorbereitet ne. Sagen Sie mal! Als was für eine Person würden Sie sich gerne fotografieren lassen, ja? Sagen Sie mal! Bitte, ja? S2: ... es ( ) sonnig. <?page no="360"?> 360 L: Es ist SONN S2: Sonnig L: Sonnig, gut. Auf dem Foto wäre es also sonnig. S2: Im Hintergrund hätten viele Menschen. L: Hm... im Hintergrund wären viele Menschen. S2: Ich ständ zwischen Micky und Minni. L: Micky und Minni. Gut. Also, rechts Micky und links Minni, und zwischen den beiden wäre Stella. Gut. S2: Alle lachen über uns (spricht sehr leise) L: Gut. Alle würden fröhlich lachen, auch Stella. Gut. Vorteil dieser Präsentation (Abb. 8-5) ist, dass das Textmaterial kontextualisiert sowie im Hinblick auf die Grammatik konstruiert ist. Die Förderung der Sprechfertigkeit als Kursziel wird erreicht durch das monologische und dialogische Sprechen. So wurden der Konjunktiv II und dessen Gebrauch anhand von situationsgebundenen Kontexten und Aufgabenstellung eingeführt sowie eingeübt. Dies ermöglicht sowohl einen kreativen bzw. spielerischen Umgang mit dem Gebrauch des Konjunktiv II als auch mit der Zielsprache. Dieser Lehrprozess entspricht den didaktisch-methodischen Prinzipien des kommunikativen Ansatzes. Das Problem dabei war, dass die Studierenden, die zwar zuvor das Regelwissen und den Gebrauch des Konjunktiv II bereits gelernt hatten, sich im Unterricht meist nicht als aktive Sprachbenutzer verhielten, sondern sich nur dann in der Zielsprache äußerten, wenn sie von der Lehrkraft aufgerufen und persönlich dazu aufgefordert wurden (vgl. dazu 7.1.1 und 7.2.2). Dies ist nicht nur hier bei Gruppe F in Auszug UT 8-22 zu bemerken, sondern auch bei E in Auszug UT 8-32 (vgl. 8.2.2). Wie in 1.2.3 erwähnt gilt die Grammatik bei den kommunikativ orientierten Methoden eher als Mittel zum Verwirklichen bestimmter Sprechintentionen, wobei sie mit Hilfe des situationsbezogenen Kontextes in Hinblick auf den Zusammenhang bzw. den Zweck gelernt und geübt werden soll. Dies erfordert aber im Unterricht mehr aktive Teilnahme an Gesprächen sowie Aktivitäten, sonst ist die kommunikativ orientierte Methode schwer anwendbar. Voraussetzung dafür ist, dass im Unterricht eine Kommunikationssituation geschaffen wird, was sich aber in der Praxis als sehr schwierig erweist. Erfolgreiches Arbeiten mit kommunikativ orientierten Methoden setzt viel aktive Sprachverwendung von der Lernerseite voraus. <?page no="361"?> 361 Die Studierenden sollen z.B. die Grammatikregeln und -strukturen durch aktive Sprachverwendung in verschiedenen Situationen vertiefen und erweitern. Dies setzt sowohl didaktisch wohl durchdachte Unterrichtsplanung und -gestaltung als auch günstige institutionelle Rahmenbedingungen voraus (vgl. Kap. 6). Wichtig ist aber, dass die Lernenden zur Veränderung ihrer gewöhnlichen Lernhaltung und Lernerrolle im Unterricht bereit sind. Dafür ist laut den empirischen Studien von Boeckmann (2006, 198) die Lehrerrolle von besonders großer Bedeutung, d.h., die Lehrenden sollen selbst schon sowohl überzeugt als auch überzeugend wirken, damit ihre Lernenden bereit sind, aktiv Deutsch im Unterricht zu verwenden und sich stärker an der Unterrichtsinteraktion zu beteiligen. In den Unterrichtsvideos lässt sich jedoch bei den muttersprachlichen Probandengruppen (außer Gruppe D) feststellen, dass der Redeanteil der Lehrenden denjenigen der Lernenden bei weitem überwiegt, also im Durchschnitt sprechen die Lehrenden während zwei Dritteln der Unterrichtszeit, die Lernenden also nur während einem Drittel (vgl. Tabelle 8-7). Dies hat zur Folge, dass das Gelernte für die spätere Anwendung nicht zur Verfügung steht, was sich auch in den Testergebnissen widerspiegelt. Denn der Großteil der Studierenden von den muttersprachlichen Gruppen nutzte die einzige Gelegenheit zur aktiven Anwendung überhaupt nicht, um die Regeln, die Satzformen und den situationsbezogenen Gebrauch des Konjunktiv II im Unterricht einzuüben oder zu vertiefen. Das heißt, dass die Studierenden noch nicht lernbereit sind und deshalb mit der kommunikativ orientierten Methode nicht sehr gut zurechtkommen, obwohl deren Konzept für den Kurs Konversation eigentlich geeignet wäre. Ähnliches hat Daly (2009) in seiner Studie festgestellt, wobei sich der Misserfolg der kommunikativen Methode in Taiwan seiner Meinung nach auf das prüfungsorientierte Bildungssystem, die Rolle der Lehrerautorität sowie die Wertvorstellungen gegenüber dem Lernen zurückführen lässt (vgl. 1.2.3). Nun stellt sich die Frage, ob sich die kommunikativ orientierte Methode für die L2-Lerner außerhalb der westlichen Kontexte überhaupt eignet, bzw. unter welchen Bedingungen, für welche Zwecke und in welchen Unterrichtsphasen diese Methode dennoch erfolgreich sein kann bzw. wie die erwähnten behindernden Faktoren ausgeschaltet werden können. Aus der in 7.3.2 dargestellten Fehleranalyse ist außerdem erkennbar, dass viele Fehler beim Konjunktiv II durch morphosyntaktische Abweichungen verursacht werden, d.h., die Lernerprobanden beherrschen die diesbezüglichen Regeln und Strukturen noch nicht. Vergleichen wir die Testergebnisse zum Konjunktiv II der nicht-muttersprachlichen und muttersprachlichen Probandengruppen, wird deutlich (siehe in Tabelle 8-12), dass die Gruppen der nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte, die nach der GÜM unterrichtet <?page no="362"?> 362 wurden, im Durchschnitt bessere Ergebnisse erreichten als die der muttersprachlichen Lehrkräfte, die nach kommunikativen Ansätzen unterrichtet wurden. Nach dem Chi-Quadrat-Test nach Person gibt es eine Beziehung zwischen den Lehrergruppen (Nicht-Muttersprachler bzw. Muttersprachler) und dem Lernerfolg (oder dem Beherrschen der Regeln und Strukturen) beim Konjunktiv II, da der Wert (p=,001, p<,05) signifikant ist. Dies zeigt zugleich, dass quantitative Aussagen Ausgangspunkt für qualitative Analysen sein können (vgl. 5.2). Tabelle 8-12: Lernerfolg beim Konjunktiv II bei nicht-muttersprachlichen und muttersprachlichen Lehrergruppen in (%) Lernerfolg Nicht-Muttersprachler (N=72) Muttersprachler (N=89) Gesamt (N=161) Anzahl (%) Anzahl (%) Anzahl (%) 1 no 20 27,8 47 52,8 67 41,6 2 some 52 72,2 42 47,2 94 58,4 1 „no“ bedeutet: „Weniger als die Hälfte der gesamten Aufgaben (also 0~5) wurden korrekt gelöst“ 2 „some“ bedeutet: „Mehr als die Hälfte der gesamten Aufgaben (also 6~10) wurden korrekt gelöst“ Daraus kann aber nicht ohne weiteres die Überlegenheit der GÜM gefolgert werden. Ein Grund dafür könnte auch in der Aufgabenform des Tests liegen, die von der Funktion her geschlossen ist. Von daher wurden in den von der Forscherin gestellten Aufgaben nur das Erkennen der Regeln und Strukturen des Konjunktiv II überprüft. Dies begünstigte vor allem die nichtmuttersprachlichen Probandengruppen, wobei der Schwerpunkt der von ihnen verwendeten GÜM ja wie in 1.2.1 genannt auf der Grammatikvermittlung liegt und die Lehrpersonen auch viel Zeit für die Erklärung und Wiederholung der Grammatik aufgewendet haben. Hingegen stand bei den muttersprachlichen Probandengruppen die Vermittlung des situationsadäquaten Sprachgebrauchs im Mittelpunkt des Unterrichts, diese wurde aber in den Tests nicht geprüft. 8.2.2 Methodische Probleme der Übungsgestaltung Dieser Abschnitt bezieht sich auf die Planung bzw. Ausführung der Übungsaufgaben und lässt sich aufgrund der Lernerdaten und der Unterrichtsvideos aus der Perspektive der Übungs-, Arbeitsform oder Aufgabenstellung zum jeweiligen Lehr-/ Lerngegenstand betrachten und analysieren. Die Probleme der damit verbundenen Inhaltsauswahl werden in Kap. 8.4 (Unterrichtsmaterialien) weiter diskutiert. <?page no="363"?> 363 1) Umformungsübungen Als Umformungsübungen wird in der L2-Didaktik das Einüben von bestimmten Satz-, Strukturformen bzw. formalen Regeln nach vorgegebenem Muster verstanden (vgl. 1.2.1). Es ist ein mechanisches Lernverfahren, das zur Automatisierung der gelernten Regeln bzw. Strukturen führen soll. Bei Gruppe A richtet sich der Unterricht auf den Erwerb der Grammatikkenntnisse. Daher wurden die geschlossenen Übungen wie Lückentexte bzw. Satzumformungen von Lehrperson A, die vorwiegend nach GÜM deduktiv unterrichtete, häufig in der Einübungsphase zur Anwendung sowie Vertiefung des Regelwissens eingesetzt, wie z.B. unten in Abb. 8-6 (Konjunktiv II) bzw. Abb. 8-14 (Zustandspassiv) gezeigt wird. Abb. 8-6: Übungsmaterialien zum Konjunktiv II von Gruppe A Übung 4 假若我是他,我不會這樣做。* zum Beispiel: Er kauft die Jacke. → Ich würde die Jacke nicht kaufen. 1. Er kauft sich ein teures Auto. 2. Er gibt viel Geld aus. 3. Er kommt immer zu spät ins Büro. 4. Er hat keine Lust zu arbeiten. 5. Er ist unzufrieden mit seinem Chef. 6. Er verliert seine Stelle. 7. Er muss eine neue Stelle suchen. 8. Zu Hause schlägt er seine Frau. 9. Er hilft nie in der Küche. 10. Er ärgert sich über die Kinder. * Deutsch: Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich das nicht tun. Übung 5 請用虛擬二式表示很客氣的請求:* 1. Unterschreiben Sie bitte hier? 2. Trinken Sie eine Tasse Kaffee? 3. Machen Sie bitte die Tür zu? 4. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich? 5. Kommen Sie mal rüber? 6. Komm mal rüber? 7. Kommt mal rüber? <?page no="364"?> 364 8. Haben Sie Lust, morgen mit mir ins Kino zu gehen? 9. Habt ihr noch Zeit, eine Tasse Tee zu trinken. 10. Ist es möglich, daß ich Sie morgen anrufe? 11. Tun Sie mir einen Gefallen? 12. Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie vorbeikommen können. * Deutsch: Verwenden Sie bitte den Konjunktiv II, um eine höfliche Bitte zu formulieren! Hierbei wurde das im Unterricht explizit vermittelte Regelwissen zum Konjunktiv II mittels der Satzumformungen nach vorgegebenem Muster angewendet sowie eingeübt, nachdem die Inhalte eingeführt worden waren. Der Vorteil dieser geschlossenen Übungsform liegt darin, dass Regelwissen und Satzstrukturen durch das mechanische und reproduktive Üben schrittweise gefestigt werden können; der Nachteil ist aber, dass sie weder Raum für semantische und kreative Verarbeitung lässt noch sinnvolle situative bzw. textuelle Zusammenhänge für den Gebrauch des Konjunktiv II schafft (vgl. dazu 1.6). Mit anderen Worten: Lernen und Anwendung der Grammatik werden einfach an den einzelnen Wörtern sowie Beispielsätzen und durch mechanische Verfahren ausgeführt. Dies wird wie in 1.2.1 erwähnt als Kritikpunkt an der GÜM betrachtet. Denn ohne situative Einbettung in einen Kontext kann der Gebrauch eines sprachlichen Phänomens nur schwer mit den betreffenden Regeln assoziiert und im Langzeitgedächtnis gespeichert werden. So haben die Sätze und Wörter in solchen Umformungsübungen eigentlich nur Beispielfunktion für die Regeln und werden demzufolge nur zur Erarbeitung der sprachlichen Regeln genutzt (vgl. Huneke/ Steinig 2010, 191), obwohl in diesem Beispiel die chinesische Arbeitsanweisung 192 angibt, um welche Situation (Irrealität bzw. höfliche Bitte) es sich beim Konjunktiv II handelt. Außerdem könnten die Studierenden solche formbezogenen Strukturübungen gut allein bearbeiten, sie müssten nicht im Unterricht mit der Lehrperson gemeinsam durchgeführt werden. Die Bearbeitung dieser Übungen im Unterricht sah tatsächlich nicht sehr erfreulich aus, wie unten in Auszug UT 8-23 gezeigt wird. Auszug UT 8-23: Gruppe A - Einüben des Konjunktiv II (14.10.2004, ca. 42: 24) L: Er kauft sich ein teures Auto. „sich“ ,這個 „sich“ 是 Akkusativ 還是 Dativ? ( 指著自己 --------------) <(...). „sich“ (zeigt auf sich selbst), ist „sich“ hier Akkusativ oder Dativ? > 192 Vgl. Abb. 8-16. <?page no="365"?> 365 S: ... (die meisten schauen die Lehrperson an oder an die Tafel) L: Er kauft sich ein teures Auto, („sich“ hier) Akkusativ 還是 Dativ? <Er kauft sich ein teures Auto, ist „sich“ hier ist Akkusativ oder Dativ? > S: ... (schauen nur auf die Tafel und antworten nicht) L: 還用考慮嗎?有沒有 Akkusativ? ( 指著黑板上的例句 ) <Muss man da noch überlegen? (zeigt auf den Satz an der Tafel) Gibt es hier Akkusativ? > S: ... (schauen die Lehrperson an oder den Satz an der Tafel) L: „kaufen“ 需要兩個動詞...嗯(搖頭)...兩個受詞嘛!嗯...一個受詞,中文通常是是一個受 詞,德文可以是兩個受詞啊! ( 停了一下 ) Akkusativ 是直接受詞啊! <„kaufen“ braucht zwei Verben ... hm (schüttelt den Kopf) ... zwei Objekte! Hm .. ein Objekt, im Chinesischen wird generell nur ein Objekt gebraucht, aber im Deutschen kann es zwei Objekte haben. (Pause) Akkusativ ist also Akkusativobjekt.> S: ... (schauen konzentriert an die Tafel) L: 當然是 Auto ,還用考慮嗎?所以 „sich“ 是什麼? ( 看看學生,同時指著黑板上的例句 ) <Natürlich ist „Auto“ der Akkusativ, muss man darüber noch nachdenken? Dann ist also „sich“ (schaut sich in der Klasse um und zeigt auf den Satz an der Tafel) hier was? > S: ... (einige murmeln) L: Dativ + Akkusativ 嘛! Ich kaufe ... ( 指著自己 ) <Also Dativ plus Akkusativ! Ich kaufe (zeigt auf sich selbst)> S: ... (einige murmeln, die anderen schauen an die Tafel) L: 改成我的,那變什麼? Ich kaufe ... ( 指著自己,看是否有人要回答 ) <Also wenn um mich geht, wie muss es dann heißen? Ich kaufe (zeigt sich selbst und wartet auf die Rückmeldung)> S: ... (schauen den Lehrer an, aber einige sagen etwas ganz leise) L: ... mir ein teures Auto. 可是你不是他,所以你不會買。改成否定? ( 重複指著自己------- ) <... mir ein teures Auto (zeigt auf sich selbst und wiederholt dies).Aber du bist nicht er, deshalb kaufst du das nicht. Kann jemand den Satz negieren? > S: ... (schauen nur den Lehrer an, aber geben keine Rückmeldung) L: 他買了一部很貴的車給他自己。如果我是他,我才不會買那樣貴的一部車給我呢! 所以 ich ( 看看是否有人要回答 ) <?page no="366"?> 366 <Er hat sich ein teures Auto gekauft. Wenn ich an seiner Stelle wäre, hätte ich mir ein so teures Auto nicht gekauft. (Schaut sich in der Klasse um und wartet auf Rückmeldungen)> S: ... (schauen entweder die Tafel an oder senken den Kopf) L: Bitte! 考慮好了沒有?誰有把握,舉一個手,給我一個答案。 ( 比這個手勢並看看學生----- ) <Bitte! Habt ihr´s? Wer ist sich ganz sicher? Melden Sie sich und geben Sie mir eine Antwort. (Gestikuliert und schaut die Studenten an)> S: ...... (schauen entweder die Tafel an oder senken den Kopf) L: Er kauft sich ein teures Auto. Mercedes,400 萬塊的。 Bitte! 哪一位? ( 有些學生喃喃自語,約5秒後有人舉手 ) Ja, Bitte! < Er kauft sich ein teures Auto, Mercedes, 400 Millionen. Bitte! Wer kann die Antwort geben? (Einige murmeln, ca. 5 Sek. später meldet sich einer) Ja, bitte! > S1: Ich würde mich ein teures Auto kaufen. L: 大聲一點,再講一遍 <Ein bisschen lauter, sagen Sie es nochmal! > S1: Ich würde mich ein teures Auto kaufen. L: 嗯(嘆氣),這有什麼毛病?請找出來毛病啊! <Ehm (seufzt), wo ist hier der Fehler? Suchen Sie den Fehler! > Aus Auszug UT 8-23 wird deutlich, dass die Lehrperson A im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens steht. Die Studierenden spielen meistens (wie bereits in 4.2.3 erwähnt) eine passiv-rezeptive Rolle und müssen durch die Lehrperson A andauernd zur freiwilligen Rückmeldung bzw. zum Aufgabenlösen aufgefordert werden. Diese Unterrichtsszene ist für die GÜM charakteristisch. Obwohl diese formorientierten Übungen in Form eines Frage-Antwort-Dialogs mündlich durchgeführt wurden, gab es häufig entweder zu wenig Feedback oder es dauerte sehr lange, bis eine freiwillige Rückmeldung von den Studierenden kam. Wenn niemand auf die Übungsfragen antwortete, sah sich die Lehrperson gezwungen, die Lösung selbst bekannt zu geben, um überhaupt weiter zu kommen. Die Lehrkraft übernahm dann also praktisch die Rolle der Lernenden und machte die Übung vor, während die Lernenden passiv blieben. Zusammenfassend ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die Umformungsübungen mit geschlossenem Charakter, die formorientiert sind und eine eindeutige Lösung haben, zwar systematisches und bewusstes Lernen fördern und didaktisch somit für Erwachsene geeignet sind (vgl. dazu 1.6 und 1.2.1). Aber auf diese Art und Weise wird die freie Sprach- <?page no="367"?> 367 anwendung bzw. die mündliche und kommunikative Sprachfähigkeit der Lernenden nicht tatsächlich gefördert, weil dadurch im Prinzip nur die vermittelten Regeln durch ihre Anwendung mündlich eingeübt werden. Dies ist keine Garantie für die erfolgreiche Sprachanwendung sowie für die Entwicklung der Sprechfertigkeit. Auf das Problem der freien Sprachanwendung wurde durch die in 7.3.2 dargestellten Testergebnisse schon teilweise hingewiesen. Die Entwicklung der mündlichen bzw. kommunikativen Sprachfähigkeit hängt damit eng zusammen, ob die Übungsstoffe für die behandelte Grammatik auch in situativen Kontexten eingebettet werden bzw. an reale kommunikative Situationen anschließen und ob die Lernenden im Unterricht aktive Sprachbenutzer sind (vgl. dazu. 1.2.3). 2) Dialogvorspiel als Partnerarbeit Bei Gruppe D lag der didaktische Schwerpunkt hauptsächlich auf der Ausbildung der Sprechfertigkeit, weshalb häufig Dialogvorspiel in Partnerarbeit durchgeführt wurde. Aufgrund der Klassengröße (mit 47 Pers.) werden oft zwei Aufgaben parallel im Unterricht angeboten und bearbeitet, damit diejenigen Gruppen, die schnell mit der Aufgabe fertig sind, während der Präsentationen der anderen Gruppen die Zeit für die Vorbereitung der nächsten Aufgabe nutzen können. Der Unterricht verlief nach folgendem Grundschema: mit einem Arbeitsblatt wurde jedes Mal ein bestimmtes Thema eingeführt. Auf dem Blatt stand entweder eine Arbeitsanweisung oder es wurden mögliche Gesprächsinhalte vorgeschlagen, in denen damit verbundene Ausdrucksformen, Wortschatz bzw. Grammatik enthalten waren. Diese Aufgabenform, also dialogisches Sprechen, ist in den kommunikativ orientierten Methoden 193 typisch, sie dient einerseits der sprachlichen Imitation, fordert aber auch zum Reden über die Situationen auf. Sie wurde von Lehrperson D im Unterricht häufig zur Entwicklung und Förderung der mündlichen Fertigkeiten eingesetzt. Das Arbeitsblatt sah dann beispielsweise so aus (Abb. 8-7 bzw. 8- 8): 193 Mit den kommunikativ orientierten Methoden sind hier die direkte Methode und die kommunikative Didaktik gemeint (vgl. Kap. 1.2.2 und 1.2.3). <?page no="368"?> 368 Abb. 8-7: Von der Lehrperson erstelltes Arbeitsblatt „Gefühle und Stimmungen“ von Gruppe D Bei dieser Aufgabe sollen die Lernenden also einen Dialog zum Thema „Gefühle und Stimmungen“ in Partnerarbeit vorbereiten und dann später der Klasse vorspielen. Im Hinblick auf das Lernziel ist diese Aufgabenstellung didaktisch zwar sinnvoll, aber deren Ausführung war bei der betreffenden Gruppe problematisch. Dies ist hinsichtlich des Unterrichtsablaufs in Auszug UT 8-24 deutlich zu sehen. <?page no="369"?> 369 Auszug UT 8-24: Gruppe D - Arbeitsanweisung zum Dialogvorspiel (01.12.2004, ca. 2: 37) L: ... ehm jetzt machen wir als zweites eure Dialoge und zwar den ehm... Bagua- Dialog fertig. Bagua fertigmachen und zwar...kommt ihr hierhin und macht den Bagua-Dialog. Ich hab´ ja dieses Flugblatt. Moment, das hier, ne! (zeigt das Blatt) Das kennt ihr, habt ihr fertiggemacht. (Der Rest macht? ? ). Einige waren schon da, die anderen kommen hierher, und dann geht es los. Aber erstmal muss ich mir einen Stuhl holen, bin ja schließlich nicht der Jüngste, so. Ja, gut. S: ... (viele hören zu, einige senken den Kopf) L: Die anderen schon mal, die letztes Mal. Those who have not just finished the conversation ( ). Anderen, hier fehlt zum Beispiel noch, ihr könnt alle kommen. Für diejenigen, die schon fertig sind, habe ich auch noch was, und zwar, wir haben ja was mit Gefühlen zu tun. Gefühle. Und diejenigen, die schon fertig sind, da müsst ihr auf Passwort Seite 77. (wiederholt) Da gibt es eine.. ehm diese Übung 5b, ja? Und zwar macht ihr Folgendes. Wir alle haben ja Gefühle, ja? Wir sind freudig, traurig. Ihr habt es eben ausgedrückt. Ihr habt alle Gefühle. Und ihr müsst euch vorstellen. You have to imagine, eine Situation, in der ihr ganz starke Gefühle habt. Where you have intensive feelings, ganz starke Gefühle, und über diese Gefühle, über diese Situation schreibt ihr einen Dialog. Ehm...und dann bei diesem, ihr macht erstmal Stichworte, also erstmal Stichworte, dann schreibt, Stichworte sammeln (wiederholt) ... ja? S: ... (viele hören zu, einige unterhalten sich leise oder machen Notizen) L: Erstmal sammelt ihr Stichworte und dann schreibt ihr einen Dialog. Dialog schreiben, ja? Und zwar zum Stichwort Gefühle, meine Gefühle, ja? Ihr seht hier Bilder mit verschiedenen Gefühlen und ihr stellt euch, in eurem Leben, was ihr, wo ihr ganz intensiv Gefühle hattet. Where you have intensive feelings, and then you write a dialog, two persons, than you present (it). When you … wenn ihr schreibt, stellt ihr euch Fragen. (schreibt Arbeitsanweisungen an die Tafel) Dann fragt ihr euch, wann war diese Situation? Wann war diese Situation, ja? Wo ist es passiert? Zum Beispiel wo, wo ist es passiert? Warum ist es passiert? Warum habt ihr das Gefühl? Why have you this feelings? Und, last not least, wie haben die anderen reagiert? Wie haben die anderen ... was haben die anderen gesagt, was haben sie gesprochen, wenn ihr diese Gefühle hattet. Wie haben die anderen Menschen reagiert? (wiederholt) Ja? Also, diese Fragen beantworten. Ich teil euch das mal aus. (verteilt das Arbeitsblatt) S: ... (viele machen Notizen, einige unterhalten sich leise) L: Ja, genau. So, und diejenigen, die Bagua Bagua noch machen, kommen zu mir. Die anderen können schon dies hier machen. Die Unterrichtssituation in Auszug UT 8-24 zeigt, der mündlich von der Lehrkraft erteilte Arbeitsauftrag war nicht klar genug, da hier die Aufgabe mit offenem Charakter mitteilungsbezogen ist und somit freiere Reak- <?page no="370"?> 370 tionen sowie viel Kreativität auf der Lernerseite gefragt sind (vgl. dazu 1.6). In Anbetracht des studentischen Sprachniveaus (drittes Studienjahr, A2) war aber das Arbeitsvorhaben nicht gut genug geplant bzw. nicht sorgfältig genug durchgeführt. Inhaltlich bestand das in Abb. 8-7 gezeigte Arbeitsblatt zwar generell aus bekannten Elementen und diente der Aktivierung des Vorwissens. Aus didaktischer Sicht wurden aber die Wortschatz- und Grammatikarbeit nicht immer auf sinnvolle Weise eingebettet, obwohl es sich dabei um produktive und kreative Aufgabe handelt. Bei den kommunikativ orientierten Methoden werden der Wortschatz sowie die Grammatik durch mündliche Texte bzw. die Anwendung der gesprochenen Sprache in bestimmten situativen Kontexten induktiv gelehrt und gelernt (vgl. 1.2.2 und 1.2.3). Auszug UT 8-25: Dialog „Gefühle und Stimmungen“ von Juliana und Simon (01.12.2004, ca. 56: 02) S: Die Weihnachtsfeier kommt, das ist wunderbar! J: Nein, das ist nicht gut! S: Was ist denn los? J: Mein Haus wurde überflutet. S: Was? Das ist traurig! J: Und du? S: Meine Frau ist... untreu geworden. J: Das ist absurd. S: Ach... J: Ja... Auszug UT 8-26: Dialog „Gefühle und Stimmungen“ von Judith und Ekke (08.12.2004, ca. 22: 32) J: ... (scheint entgeistert) E: Was ist passiert? Du siehst so gebrochen*. J: Gestern hatte ich die Prüfung sehr sehr schlecht gemacht. (etwas traurig) E: Das ist Okay. Wir können sie nächstmal* besser machen. (sagt mitleidig) <?page no="371"?> 371 J: Was weißt du noch? Heute Morgen ein Auto rannte mich an.* E: Mein Gott! Was ist passiert? Bist du wundert*? J: Ja, natürlich! Mein Fuß tut weh. Der Mann entlief* und entschuldigete* nicht. (verärgert) E: Oh nein! Das ist ja schrecklich! J: Ja... E: Was ist das heute Datum... Was ist ( ) Was ist das Datum heute, weißt du? J: Heute ist achten Dezember. Was denn? E: Das Weihnachten kommt. J: Oh.. Weihnachten ist mein Geburtstag. E: Ich will dir ein Geschenk schenken. J: Oh.. wirklich? Danke sehr! Du bist so nett! * Unkorrekter Gebrauch Auszug UT 8-27: Dialog „Gefühle und Stimmungen“ von unbekannter Gruppe (08.12.2004, ca. 35: 23) A: Christina! Christina! B: Ehm... A: Du musst jetzt in die Schule gehen. B: Nein! Ich möchte viel* schlafen. A: Oh... Du bist zu faul, zu faul. (etwas sauer) B: Ich bin müde. A: Okay! Du hast ... du hast viele Hausaufgaben, ( ) musst noch in die Schule gehen! (scheint ernsthaft) B: Nein. Heute ist Sonntag! A: Ok, sehen wir uns den Kalender. (zeigt das der Tochter) B: Heute ist wirklich der Montag! Entschuldigung, Mutti! A: Okay. Geh weg! (mit Befehl) * Unkorrekter Gebrauch <?page no="372"?> 372 Anhand der Lernerprodukte (Auszüge UT 8-25, 8-26 und 8-27) wird deutlich, dass der aktive Wortschatz der Mehrheit der Studierenden zum Lösen dieser produktiven Aufgabe zu klein war und so auch ihre Grammatikkenntnisse nicht gefestigt werden könnten. Dies zeigt sich sowohl z.B. an den fettgedruckten Lerneräußerungen als auch in den präsentierten Inhalten (Ausdrucksvermögen), Lehrperson D äußerte sich später ebenfalls sowohl im Fragebogen als auch im Interview in diesem Sinn. Die offene Aufgabenstellung überfordert somit sehr wahrscheinlich die Studierenden und führt dazu, dass ihre sprachlichen Handlungen nicht geplant werden können, und sie können nur eingeschränkt die Möglichkeit durch eine fehlende inhaltliche Vorgabe (also Strukturierungshilfe) nutzen, von sich selbst etwas mitzuteilen, was sie konkret erlebt haben. Abb. 8-8: Arbeitsblatt „Über andere sprechen 194 “ zum Rollenspiel von Gruppe D 194 Dies Material wurde von einer anderen Lehrperson erstellt und entnommen. <?page no="373"?> 373 Diese Aufgabe hat reproduktiv-produktiven Charakter, so dass sie den freien Gebrauch der Sprache auch vorbereiten kann. Die Arbeitsanweisungen und die Vorgehensweise sehen sehr ähnlich wie bei „Gefühle und Stimmungen“ (Abb. 8-7) aus. Sie waren ebenfalls weder konkret noch gut strukturiert, obwohl das angeführte Beispiel in Abb. 8-8 eigentlich eine klare Aufgabenstellung aufzeigt und der vorgegebene Wortschatz eine Hilfe für die Dialogerstellung zu sein scheint. Das Problem mit dieser Aufgabe ist in den folgenden Lernerprodukten beobachtbar. Auszug UT 8-28: Dialog „Über andere sprechen“ von Angelika und Natalie (01.12.2004, ca. 17: 39) N: Hallo, Angelika! Hast du gehört? A: Oh ... Was denn? N: Lolita hat einen neuen Freund. (viele lachen-----) A: Oh ... wirklich? Wer ist er? N: Hans. A: Oh mein Gott! Hans ist sehr hübsch! (viele lachen lauter) N: Ja, er ist hübsch, aber Lolita liebt ihn sehr viel*. A: Hm.. (Pause) Und hat Hans Lolita einmal zum Essen eingeladen? N: Ja, Hans hat einmal mit Lolita spazieren machen*. A: Oh, mein Gott, das ist sehr stupenden*. * Unkorrekter Gebrauch Auszug UT 8-29: Dialog „Über andere sprechen“ von Tanja und Sonja (01.12.2004, ca. 31: 50) T: Hast du schon gehört? S: Was denn? T: Emma hat einen* Säugling. S: Was? Mit wem? T: Mit unserem Lehrer. S: Was? Das ist komisch! <?page no="374"?> 374 T: Aber das.. ist richtig*. S: Haben sie geheitaten*? T: Ich weiß es nicht. S: Ja ja... wir können in* ihrem Haus gehen...und ihm* nachfragen. T: Ja ja (Pause) S: Und wann? T: Am Freitag um drei Uhr? S: Pünktlich! Tschüss! T: Tschüss! * Unkorrekter Gebrauch Auszug UT 8-30: Dialog „Über andere sprechen“ von Ameli, Berlinda und Klara (01.12.2004, ca. 47: 45) A: Hast du schon gehört? B & K: Was denn? ... Was ist denn los? (beide gleichzeitig) A: Hans hat eine neue Freundin. K: Wirklich? Aber er hat schon eine Freundin, Lolita. A: Wirklich. Seine Freundin ist Katina. B: Hm...Ameli, von wen* hast du gehört? K: Oh..leise! ... Hier kommt Hans. ... Hans ist hässlich. A: Ich sah, dass Hans ins Kino mit Katina ging. B: Warum mögen viele Mädchen ihn? A: Ich weiß es nicht! K: Ich weiß es auch nicht! * Unkorrekter Gebrauch Die Inhaltsgestaltung der Lernerprodukte in Auszügen UT 8-28, 8-29 und 8-30 zeigt hier auch, dass der Großteil der Gruppen offensichtlich über keinen großen Eigenwortschatz verfügte, dass aber bei der Dialog- <?page no="375"?> 375 vorbereitung auch der vorgegebene Wortschatz nicht verwendet wurde, sondern meist nur die Formulierungen des Dialogmusters reproduziert oder geringfügig verändert wurden. Neben der geringen Wortschatzwahl könnte eine Ursache noch darin liegen, dass sich die Studierenden nicht sicher waren, ob man diesen Dialog ausschließlich mit dem vorgegebenen Wortschatz vorbereiten oder selbst variieren sollte. Die Dialoge waren sprachlich deshalb in Anbetracht des studentischen Sprachniveaus (drittes Studienjahr, A2) in den meisten Fällen sowohl von der Quantität als auch der Qualität her eher enttäuschend, also kurz, oberflächlich bzw. inhaltsleer. Insgesamt betrachtet konnten die Studierenden mit ihrem Sprachstand zu diesem Zeitpunkt die Aufgaben zur freien Anwendung in Simulationen noch nicht erfüllen. Abgesehen von den Lernfaktoren deutet dies auf Probleme bei der didaktischen Planung der Lehrkraft hin. Sie hat die Prinzipien des kommunikativen Unterrichts und der Aufgabenerstellung nur wenig beachtet (vgl. 1.2.2, 1.2.3 und 1.6). Bei den oben genannten Aufgaben geht es um freie Meinungsäußerung, der Schwierigkeitsgrad steigt somit an, und zwar in Hinsicht auf den Situationsbezug und die freie Sprachanwendung. Zur Erleichterung dieser Aufgaben hätte man noch genauer angeben können, auf welche Verständigungsanlässe in Bezug auf sprachliche Handlungen, Situationen, Orte etc. die Lernenden vorbereitet werden sollen (vgl. Krüger 1996, 34). Dies stellt eine Hilfe bei der Meinungsäußerung dar. Dafür hat Krüger (1996, 35) am Beispiel verdeutlicht: „Sprachliche Handlungen auf dem Schauplatz „Postamt “ wären etwa: - Die Aufschriften über den Schaltern verstehen - Briefmarken kaufen - Fragen, was ein Brief/ Päckchen/ Telegramm kostet - Die entsprechenden Auskünfte verstehen - Sich für eine Auskunft bedanken - Einen Münzfernsprecher benutzen können usw.“ Beim Thema „Gefühle und Stimmungen“ wurden im Vergleich dazu zwar auch ähnliche Anweisungen vorgegeben, aber diese waren nicht konkret genug. Außerdem fehlte dabei eine eindeutige Aufgabenstellung, nämlich um was für eine Situation es sich handelt. Angesichts des studentischen Sprachniveaus wäre es an dieser Stelle viel sinnvoller gewesen, die mündlichen Aufgaben stufenweise anzulegen (vgl. 1.2.3). D.h., unter Berücksichtigung des Sprachniveaus der Lernenden könnte man zuerst <?page no="376"?> 376 mit einer gelenkten Aufgabe (z.B. Stichwörter, gelenkte Äußerungen etc.) anfangen und dann schrittweise bis zum freien Sprachgebrauch fortschreiten. 195 Außerdem hätte man bei der Planung die Wortschatz- und Grammatikarbeit je nach Kontext situationsgerecht in die Aufgaben einbeziehen können, um dadurch sowohl das Sprachwissen der Studierenden zu fördern als auch deren Sprechfertigkeit weiter zu entwickeln. Denn außer als Situationsvorgaben dienen Wortschatz und Satzformen (verbunden mit bestimmten Grammatikthemen bzw. -strukturen) ja als sprachliche Mittel, die die Studierenden bei der Simulation möglicher Situationen verwenden und gezielt einüben können. Dies stellt nicht nur eine Hilfe beim Aufbau einer sinnvollen Kommunikation dar, sondern fördert zugleich auch die Entwicklung ihrer sprachlichen, mündlichen und kommunikativen Fertigkeiten in der Zielsprache, aber nur unter der Voraussetzung, dass man ihnen die in einer bestimmten Situation nötigen Sprachbzw. Diskursmittel bewusst macht und diese in der Vorbereitungsphase geklärt und vorgestellt werden (vgl. Schatz 2006, 108ff.). Bei der Grammatik-Umsetzung in den freien Gestaltungsaufgaben ist noch zu beachten: „Nicht alle Grammatikthemen eignen sich für völlig freie mündliche Aufgabenstellungen. Voraussetzung: Die grammatische Form ist so eingängig und spontan umsetzbar, daß die freie Anwendung flüssig funktioniert, keine Verrenkungen nötig sind“ (Häussermann / Piepho 1996, 168). Auch die zeitliche Gestaltung der Unterrichtsstunde war nicht optimal, da für diese Aufgabe keinerlei Zeitbeschränkung gegeben wurde, die Studierenden also im Prinzip eine ganze Unterrichtstunde dafür aufwenden konnten. Für diejenigen, die schneller arbeiteten und schon vorher mit diesem Tratsch-Dialog (inkl. Präsentation) fertig waren, stand immer die nächste Aufgabe z.B. hier „Gefühle und Stimmungen“ bereit, die sie vorbereiten sollten (Abb. 8-7). Mögliche negative Folgen der o.g. Unterrichtsplanung sind folgende:  Durch unklare Arbeitsaufträge oder Mangel an notwendigen Lernhilfen wird der Lernprozess gestört, es entstehen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der Aufgaben.  Wortschatz und Grammatik werden nicht immer durch funktionale Einbettung vermittelt, geübt und gefestigt.  Ohne Zeitbeschränkung können Lernende die ganze Unterrichtsstunde nur für die Vorbereitung des aktuellen oder nächsten Arbeitsauftrags aufwenden, so dass sie sich die Präsentation der anderen 195 Vgl. ausführlich: Heyd 1991, 138ff. <?page no="377"?> 377 Gruppen nicht konzentriert anhören oder überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Der Unterricht gerät so leicht außer Kontrolle. Der letztgenannte Punkt hängt vor allem mit der Klassengröße und der eingesetzten Sozialform sowie die Raumgestaltung zusammen, da es bei der Gruppe D insgesamt 47 Lernende gab und der Unterrichtsraum frontal ausgerichtet war (vgl. 6.1 und 6.2). Dies stellt ein Problem bei der Durchführung der Partnerarbeit dar, obwohl es natürlich auch Vorteile und positive Effekte bei dieser Sozialform gibt. Z.B. können die sprachlichen, kommunikativen und sozialen Fähigkeiten der Lernenden durch die Partnerarbeit gefördert werden (vgl. 1.2.5). Die hier durch die Sozialformen und Sitzanordnung entstehenden Probleme werden im folgenden Kapitel 8.3 (Sozialformen) noch näher besprochen und diskutiert. 3) Bildbeschreibung im Plenum Bei Gruppe E lag der didaktische Fokus auf dem Erwerb der Schreibfertigkeit, wobei je nach behandelten Themen die Situationsbilder häufig zur Grammatikerklärung bzw. Bildbeschreibung im Unterricht eingesetzt wurden. Z.B. wurde hier der Konjunktiv II mit Hilfe von bildgesteuerten Assoziationen und Bildbeschreibung wiederholt und eingeübt. Die Arbeitsblätter mit Bildern zum Üben sehen wie folgt (Abb. 8-9) aus: <?page no="378"?> 378 Abb. 8-9: Arbeitsblatt „Bildbeschreibung mit Konjunktiv II“ von Gruppe E (i) Bilder 1 und 2 <?page no="379"?> 379 (ii) Bild 3 (iii) Bild 4: Hausaufgabe <?page no="380"?> 380 Die Unterrichtssituation war die Folgende: Der Konjunktiv II wurde von Lehrperson F in der vorletzten Sitzung wiederholt und eingeübt, weil er in der letzten Sitzung durch den für die vorliegende Arbeit durchgeführten Grammatiktest geprüft wurde und auch eines der wichtigsten Prüfungsthemen für die Semesterabschlussprüfung war. Die Zeit war aber für die geplante Wiederholung in Bezug auf die Bildbeschreibung zu knapp berechnet. Der Unterrichtsverlauf wird unten in den Auszügen UT 8-31 und 8-32 gezeigt. Auszug UT 8-31: Gruppe E - Bildbesprechung im Plenum (31.12.2004, ca. 55: 03) L: Hoffentlich können Sie jetzt alle ein bisschen das Bild beschreiben. Meine Frage ist natürlich, was sehen Sie auf dem Bild? Was kann man da sehen? S: ... (ca. 8 Sek. Stille, viele schauen nur auf ihr Blatt) L: Yvonne, wollen Sie mal den ersten Satz machen? Die anderen können dann noch weiter beschreiben. S1: Das ist ( ) (L unterbricht) L: Was sieht man noch auf dem Bild? S1: ( ) L: Ja, Bildbeschreibung. Wir haben gesagt, wir fangen an mit auf dem Bild sieht man und dann so weiter ne. ( ) Also was sehen Sie auf dem Bild und beschreiben Sie mal das Bild. Also ( ) nicht das Thema, sondern das Bild. S1: .. Auf dem Bild ... ehm..gibt es hm... eine Torte. L: Ja, sehr schön. Auf dem Bild gibt es eine Torte. (Pause) Gut, (sucht eine andere Studentin) wie beschreiben wir weiter, Bärbel? S2: ... (nach 4 Sek.) Ein paar Trauben (spricht sehr leise) L: Ein paar Trauben, denken Sie Trauben können wir zählen, eine Traube, zwei Trauben, drei Trauben, ein paar Trauben. Aber Bärbel, Sie müssen einen ganzen Satz machen. Auf dem Bild sieht man eine Torte… S2: Auf dem Bild sieht man ein paar Trauben. L: Gut. Es ist jetzt ein bisschen (unverständlich) und dann würde ich vorschlagen, dann machen wir auf dem Bild sieht man eine Torte und ein paar Trauben. Macht das zusammen! OK, jetzt was fehlt noch? Ina, wie geht es weiter? Auf dem Bild sieht man eine Torte und ein paar Trauben. Wie würden Sie weiter beschreiben? S3: ... (nach 5 Sek.) Auf dem Bild kann ich ... L: Man kann <?page no="381"?> 381 S3: Man kann... eine Frau ... sehen (L nickt zustimmend) L: Genau. OK. Auf dem Bild kann man auch eine Frau sehen. Ok. Auf dem Bild sieht man eine Torte und ein paar Trauben. Auf dem Bild kann man auch eine Frau sehen. Judith, machen Sie weiter! S4: ...... (schaut auf das Blatt, ca. 11 Sek.) Auf dem Bild (L unterbricht) L: Es gibt jetzt zu viele „auf dem Bild“. Eigentlich haben wir das nur am Anfang einmal, ne. Dann machen wir nicht mehr so weiter, nicht „nur auf dem Bild“. (etwas hastig) S4: ...... (schaut auf das Blatt und sagt nichts, ca. 10 Sek.) L: Judith, Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten, entweder Sie beschreiben mehr die Torte oder mehr die Frau, mehr Sachen haben wir da aber nicht. Wir haben schon gesagt, auf dem Bild sieht man eine Torte und ein paar Trauben. Auf dem Bild sieht man auch eine Frau. Jetzt können Sie anfangen, das etwas genauer beschreiben. Entweder Sie fangen an mit der Frau oder mit der Torte, ist mir egal, was möchten Sie beschreiben (etwas genervt) S4: ( ) (murmelt) L: Könnten Sie nochmal alles zu mir sagen (etwas hastig), ich habe jetzt nicht alles gehört. S4: ( ) (schaut die Nachbarin an und murmelt) L: Judith, versuchen Sie jetzt ohne Sabine. Ich glaube, Sie können das alleine, hm? S4: Die Torte ist ... äh ... fröhlich (spricht leise) L: Die Torte ist fröhlich? (hebt die Stimme) Kann eine Torte fröhlich sein? (fragt zweifelnd) Fröhlich ist ein Gefühl. Gefühle haben Menschen, ne? Eine Torte kann nicht weinen oder fröhlich sein. (einige lachen--------) Fröhlich, wie meinen Sie, meinen Sie schön, ist die Torte schön oder? S4: ... (senkt den Kopf und sagt nichts) L: Judith, was meinen Sie? S4: Die Frau ist fröhlich. L: Aja, die Frau ist fröhlich (erleichtet). OK, das macht Sinn. OK, die Frau ist fröhlich. Ehm ... OK, die Frau ist fröhlich. Angelika, beschreiben Sie mal weiter die Frau! S5: ... (schaut auf das Blatt und sagt ca. 5 Sek. nichts) L: Angelika, beschreiben Sie uns ein bisschen die Frau? (Pause) Haare, Gesicht, Kleidung.. <?page no="382"?> 382 Auszug UT 8-32: Gruppe E - Einüben des Konjunktiv II (31.12.2004, ca. 1: 02: 09) L: (...) Das war die Beschreibung des Bildes. Jetzt habe ich mal ne Frage für Sie. Was würden Sie machen, wenn Ihre Familie und Ihre Freunde Ihren Geburtstag vergessen würden? Zum Thema Geburtstag: Was würden Sie machen, wenn Ihre Freunde und Ihre Familie, alle Leute... Ihren Geburtstag vergessen würden. Bärbel, was würden Sie da machen? S2: ... ich würde eine Party machen ... und die Freunde einladen (spricht leise) L: Also, Sie würden eine Party machen und Ihre Freunde einladen. Wann? Wann genau? Also, die Freunde haben das alle vergessen, den Geburtstag. Es ist Geburtstag und niemand kommt. Niemand ruft an, niemand sagt herzlichen Glückwunsch, ne. Was würden Sie dann machen? Würden Sie dann immer noch eine Party machen? S2: Nein (ganz leise) L: Nein, dann nicht mehr (lacht). S2: ... ich esse selbst die Torte. L: Ach ja, gut gut. Ehm..nur Bärbel, jetzt passen Sie ein bisschen auf! Das ist ganz gut, die Idee ist gut, die Torte selbst essen. Die Torte selbst und alleine essen. Gute Idee. Wie müssen wir das jetzt sagen, Bärbel? Passiert das jetzt gerade wirklich? Ich esse die Torte selbst. Essen Sie gerade Torte? Ne? Das ist eine Situation und wir denken nur, vielleicht passiert das oder passiert nicht wirklich. Die Frage ist ( ), was würden Sie machen? Ne, die Situation ist hier nicht, es passiert nicht. Es ist nicht ihr Geburtstag, und so. Nur wir denken so, was würde passieren in dieser Situation? Die Situation gibt es nicht. Wir denken nur daran. Deswegen haben wir hier den Konjunktiv. Was würden Sie machen? Könnten Sie das nochmal „mit dem Torte selber essen“ mit dem Konjunktiv sagen? S2: Ich würde ... ich würde die Torte selber essen. L: Sehr schön. Gut. (schreibt dann den Satz an die Tafel) Selbst essen, oder auch gut, allein essen. OK. Martina, was würden Sie denn machen, wenn alle Ihren Geburtstag vergessen? S6: ... (scheint zu überlegen, ca. 4 Sek.) L: Wären Sie dann traurig oder wäre Ihnen das egal? S6: ......(ca. 12 Sek. später) Mir ist egal, aber ich... ich werde.. mit meiner Freundin ehm telefonieren L: Aha, und dann schimpfen. (viele lachen) Okay, Martina, gute Idee. Also egal, aber telefonieren. Jetzt nochmal! Es passiert jetzt nicht, ne. Wir haben die Situation, wir denken daran, aber die Situation gibt es nicht wirklich. Also, was würden Sie machen? <?page no="383"?> 383 Wie war das eben mit ... „es ist nicht egal“..., sondern es? (geht wieder an die Tafel und schreibt „Es“ an die Tafel) S6: Es wäre egal (spricht sehr leise) L: Es wäre egal,... aber ... Dann Martina mit dem telefonieren, wie können Sie das sagen? (schreibt das an die Tafel und wartet auf das Feedback) S6: ...ich würde... mit meine... ehm meiner Freundin...telefonieren. L: Okay. Also, Sie sagen, ihnen wäre das egal. Es wäre mir egal. Ihnen wäre das egal, aber Sie würden mit Ihrer Freundin mal telefonieren. Hm.. Nadine, was würden Sie machen? S7: Ich würde...ehm selbst kaufen. L: Ein Geschenk einkaufen oder was? S7: Nein, ehm...shopping L: Ach, ich würde ... ich würde einkaufen gehen, ich würde einkaufen gehen. Stimmt, wenn man Frust hat, dann ist es sehr schön einkaufen zu gehen. Nadine würde einkaufen gehen. (schreibt dann den Satz „ich würde einkaufen gehen“ an die Tafel) Gut. Dann kommen wir doch mal zu Bild Nummer 2, hier unten. Bild Nummer 2. Was sehen Sie auf diesem Bild, Katrina? Bild Nummer 2. Aus den Auszügen UT 8-31 und 8-32 ist ersichtlich, die Lehrperson E besprach zunächst mit den Studierenden gemeinsam im Plenum, was auf den Bildern (i-iii) zu sehen ist, dann sollten sie sich zu den vorgegebenen Fragen äußern. Danach lasen sie gemeinsam die Beispieltexte kurz durch, in denen die möglichen Beschreibungen und Antworten gegeben wurden. Zum Schluss wurde die Aufgabe auf dem anderen Blatt in Abb. 12-9 (iii) als Hausaufgabe gegeben und musste reproduktiv-produktiv in schriftlicher Form erarbeitet werden. Dadurch wurde der Konjunktiv II präsentiert und eingeübt. Die Probleme lagen in diesem Fall vor allem bei der Aufgabenstellung und weniger bei der Arbeitsform, wobei die Zeit für die geplante Wiederholung zu knapp berechnet war. Dies hat mit der passiven Rolle der Lernenden und der Klassengröße zu tun, da das passive, lehrerorientierte Lernverhalten der Studierenden hier den Lehr- Lernprozess nicht begünstigt und daher für die Lehrperson beim Einsatz der kommunikativ orientierten Methoden ein Problem darstellt. Bei diesen produktiven Aufgaben sollten die Studierenden eigentlich zunächst aus der Sicht eines Beobachters die einzelnen Situationsbilder beschreiben, um ihre Vorstellungen dazu frei zu äußern. Dann sollten sie sich in das Rollenspiel der simulierten Fragesituationen versetzen, um den Konjunktiv II dadurch produktiv einzuüben und zu verwenden. Wie Auszug UT 8-31 zeigt, fehlten hier jedoch die einzusetzenden Redemittel, die zu- <?page no="384"?> 384 gleich der Aktivierung des Vorwissens dienen und den Studierenden bei der freien Äußerung bzw. der Simulation helfen können. Der Prozess des Einübens verlief somit nicht effektiv. Denn die Studierenden waren meist keine aktiven Sprachbenutzer im Unterricht, so dass die Lehrperson E wie in Auszug UT 8-31 aufgezeigt andauernd zum Sprechen (also Aufgabenlösen) auffordern bzw. zwingen musste, obwohl die Aufgabe in gewissem Maße durch die Anweisungen bzw. Verständnishilfen der Lehrperson gesteuert und unterstützt wurde. Dies wirkt sich unvermeidbar auf die praktische Einübungszeit bzw. die Sprechzeit pro Person bei der Anwendung des Konjunktiv II aus. Das Problem lässt sich somit auf die Klassengröße (25 Pers.) sowie die vorhin dargestellten lerner- und kulturbezogenen Faktoren 196 zurückführen (vgl. dazu Kap. 2 und 1.4.2). In der Präsentationsphase wurden zwar fast über die Hälfte der Kursteilnehmer einmal aufgefordert, einen Teil der Situationen auf den Bildern in Abb. 8-9 (i) und (ii) auf Deutsch zu beschreiben. Die Regelbildung des Konjunktiv II hatten die Studierenden bereits behandelt, sie musste also nur wiederholt werden. Auf den Arbeitsblättern geht es aber nur um den Irrealis, und zwar um irreale Bedingungen bzw. Wünsche. Die anderen Funktionen (höfliche Bitten, Ratschläge und Vorschläge) wurden überhaupt nicht in die Planung einbezogen und deshalb auch nicht geübt. Unter diesen Umständen sind die Studierenden zwar im Idealfall mit dem im Unterricht behandelten Kontext vertraut, aber alle anderen Anwendungen sind ihnen noch fremd. Außerdem wäre es hinsichtlich des kommunikativen Verhaltens und der mündlichen Sprachprodukte der Studierenden in der Präsentationsphase (Auszüge UT 8-31 und 8-32) hilfreich gewesen, die Redebzw. Diskursmittel anzugeben, die zu den einzelnen Bildsituationen passen, und die durch den Einsatz der jeweiligen Zeitform (Gegenwart und Vergangenheit) geübt werden könnten. Die Anwendung des Sprachwissens bei solchen reproduktiv-produktiven Aufgabe ist hier nur dann möglich, wenn die sprachlichen Mittel den Studierenden beim Einüben zur Verfügung stehen (vgl. Neuner, Krüger und Grewer 1996, 97ff.), auch wenn der Prozess des Einübens hier bereits von der Lehrperson E falls notwendig mehr oder weniger gesteuert wurde. Aus den Testergebnissen zum Konjunktiv II sowie aus den Lehreraussagen im Interview geht hervor, dass die Schwierigkeiten der Studierenden nicht nur bei der Verbflexion und Zeitform liegen, sondern dass es auch Schwierigkeiten bereitet, die einem Kontext angemessene Satzform zu finden (vgl. 7.3.2). In Hinsicht darauf sollte bei der Übungso- 196 Wie z.B. die Sprachenlernerfahrung, das Sprachniveau, die Motivation, die Lerneinstellung, die Hemmungen etc. <?page no="385"?> 385 der Aufgabengestaltung des Konjunktiv II darauf geachtet werden, dass dieses Grammatikphänomen in den verschiedenen Funktionen situativ und strukturell eingeübt wird. 4) Präsentation: Beispiele für Präpositionalgruppen Bei Gruppe F richtete sich der Unterricht an die Studierenden im vierten Studienjahr und war auf den Erwerb der Sprechfertigkeiten (Verstehens- und Mitteilungsfähigkeit) fokussiert. Hier ging es um die gesamte Wiederholung der Präpositionalgruppen, also die Verben mit festen Präpositionen. In Hinsicht auf das Sprachniveau der Studierenden war diese Übung als freie Sprachanwendung gestaltet, d.h., die in Abb. 8-10 aufgelisteten Präpositionalgruppen und deren Gebrauch wurden durch die freie Anwendung sowie die Präsentation von Beispielen wiederholt, wie zuvor bereits in den Auszügen UT 7-14 und 7-15 zu sehen war (vgl. 7.3.3). Abb. 8-10: Arbeitsblatt „Verben mit Präpositionen“ von Gruppe F (Eurolingua German 1993, 201-204) verb preposition + case example abhängen abheben abstimmen achten ändern anfangen ankommen antworten sich ärgern auffordern aufhören aufpassen sich aufregen sich auseinandersetzen ausgeben sich bedanken beginnen sich bemühen beraten berichten sich beschäftigen beschließen sich beschweren . . . von + Dativ von + Dativ über + Akkusativ auf + Akkusativ an + Dativ mit + Dativ auf + Akkusativ auf + Akkusativ über + Akkusativ zu + Dativ mit + Dativ auf + Akkusativ über + Akkusativ mit + Dativ für + Akkusativ für + Akkusativ mit + Dativ um + Akkusativ über + Akkusativ über + Akkusativ mit + Dativ über + Akkusativ über + Akkusativ . . . Es hängt vom Wetter ab, ob wir einen Ausflug machen. Ich möchte 300 Fr. Von meinem Konto abheben. Wir müssen über diesen Antrag abstimmen. Achten Sie auf den Satzanfang. An dieser Situation kann man nichts ändern. Wann fängst du mit der Arbeit an? Es kommt auf jeden einzelnen an. Antworte bitte auf meine Frage. Ich habe mich sehr über diesen Mann geärgert. Sie hat ihn zum Tanzen aufgefordert. Hör endlich mit dem Gejammer auf! Du musst besser auf deinen Hund aufpassen. Ständig regen sich die Leute über meinen Hund auf. Wir müssen uns mit diesem Problem auseinandersetzen. Ich gebe viel Geld für meinen Hund aus. Sie bedankte sich für das Geschenk. Wann beginnst du mit deiner Arbeit? Ich habe mich lange um eine neue Wohnung bemüht. Wir müssen über diesen Plan beraten. Der Polizist berichtet über den Unfall. Sie beschäftigt sich am liebsten mit ihrem Hund. Über diese Punkte muss das Gericht beschließen. Er beschwerte sich über den Lärm. . . . <?page no="386"?> 386 Wie bereits in 7.3.3 erwähnt, mussten hier die Studierenden, die in Zweiergruppen aufgeteilt worden waren, für fünf ihnen zugeteilte Präpositionalgruppen jeweils zwei Beispielsätze anführen und später in der Klasse präsentieren. Das Problem dieser Aufgabenstellung liegt aber in der Arbeitsform. Abgesehen davon, ob die Beispielsätze tatsächlich von den Studierenden kooperativ produziert wurden oder nicht, scheint diese freie Übung eigentlich geeignet, selbständiges Lernen zu fördern. Die freien Übungen gewährleisten laut Honnef-Becker (2004, 173) den Lernenden funktional sowohl eine formale Offenheit beim Üben als auch die Möglichkeit, inhaltlich frei zu reagieren, um eigene Ideen und Meinungen auszudrücken und sich authentisch zu äußern. Aus den zuvor gezeigten Auszügen UT 7-14 und 7-15 lässt sich aber erkennen, dass die Vernetzung der Bedeutung der präsentierten Präpositionalgruppen in den anderen situativen Kontexten den Lernenden Schwierigkeiten bereitet, da die hier einmal in einem bestimmten Kontext gelernte Bedeutung für das Verständnis der anderen Gebrauchssituationen nicht ausreicht, obwohl die Grundbedeutung der zugeteilten Präpositionalgruppen auf Chinesisch richtig erklärt wurde und die angeführten Beispielsätze sprachlich fehlerlos waren. Dies hängt mit den verschiedenen Bedeutungsvarianten zusammen (vgl. 7.3.3). Darüber hinaus hätte man aus didaktischer Sicht die Präpositionalgruppen, deren Bedeutungen und Gebrauch hier in isolierten Beispielsätzen präsentiert werden, zunächst in einem zusammenhängenden Situationskontext erklären (bzw. in einem authentischen Kontext präsentieren) und erst dann später in der Einübungsphase durch Textproduktion oder Vortrag vertiefen können (vgl. 8.4). Aufgrund der fehlenden Transparenz zwischen Form und Funktion spielen die Konkretheit des Materials und die Anschaulichkeit eine zentraler Rolle, wobei sie auf der sinnlichen Wahrnehmung und Vorstellbarkeit des Sachverhalts von Lernenden basieren, so dass die Erklärung des abstrakten Regelwissens bzw. Denkens dann durch reflektierende Verfahren ermöglicht wird (vgl. 8.1.4). Das heißt, durch die sinnliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand (hier Präpositionalgruppen) und durch die selbständige Erarbeitung in einem konkreten Kontext würde das zu lernende Grammatikphänomen auf einer tieferen Ebene bewusst gemacht und der Lernprozess unterstützt werden. Eine mögliche Aufgabenstellung bzw. Alternative dafür findet man in Kap. 8.4 zu Unterrichtsmaterialien oder anhand der Untersuchung Bellavias (2007) in Kap. 8.1.4. <?page no="387"?> 387 8.2.3 Probleme bei der Korrektur Die Korrekturhandlung hat eine nicht zu vernachlässigende Wirkung auf den Lernprozess. Es geht dabei darum, ob die Art und Weise der Lehrerkorrektur das Grammatikbzw. Deutschlernen fördert. Einige diesbezügliche Probleme lassen sich anhand der Unterrichtsbeobachtungen erkennen. Sie hängen wie in 1.3.3 dargestellt sowohl mit den persönlichen Faktoren der Lehrenden (also Unterrichtserfahrungen) als auch mit den internen und externen Faktoren des unterrichtlichen Kontextes (also z.B. Übungstypen, Klassengröße etc.) zusammen. Bei Gruppe D geht es wie bereits genannt um die Dialogsimulation. Die Fehler, die während der Dialogpräsentation aufgetreten sind, wurden aber in der Regel nicht sofort von Lehrperson D korrigiert, sondern erst nach dem Dialogvorspiel anhand des schriftlichen Textprodukts in den Einzelgruppen behandelt und besprochen. Diese aufgabenorientierte Korrektur sieht beispielsweise wie folgt (Abb. 8-11) aus: Abb. 8-11: Von der Lehrperson korrigierte Verschriftlichung (anhand vom Auszug UT 12-30) A: B & K: A: K: A: B: K: A: B: A: K: Hast du schon gehört? Was denn? / Was ist denn los? (sagen gleichzeitig) Hans hat eine neue Freundin. Wirklich? Aber er hat schon eine Freundin, die Lolita. Wirklich. Seine neue Freundin ist Katina. Hm... Ameli, von wen hast du das gehört? Oh! Leise! ... Hier kommt Hans... Hans ist häßlich. Ich sah, dass Hans ins Kino (mit Katina) ging. Warum mögen viele Mädchen (ihn)? Ich weiß es nicht! Ich weiß es auch nicht! Der Vorteil dieser Art von Korrektur ist einerseits, dass dadurch die Lerneräußerungen während der Präsentation nicht unterbrochen und gestört werden. Andererseits werden die Fehler der Einzelgruppen durch die persönliche Besprechung detailliert behandelt und durch den bewussten Umgang mit den Korrekturen reflektiert. So sind sich alle Präsentationsgruppen über ihre Fehlerstellen im Klaren, aber es kann nicht von den anderen Gruppen profitiert werden. Hier stellt sich die Frage, ob es tatsächlich sinnvoll sein könnte, dass die einzelnen Gruppen auch die Fehlerbespre- <?page no="388"?> 388 chung der anderen Gruppen anhören. Es könnte sein, dass die Aufmerksamkeit der Lernenden rapide sinkt, wenn es nicht um die eigenen Fehler geht. Sonst findet in dem Fall keinerlei Austausch oder Kommunikation zwischen den Gruppen statt, sondern die Interaktion beschränkt sich auf die Achse Lehrkraft - einzelne Gruppe, da eine gemeinsame Nachbesprechung o.Ä. fehlt. Außerdem gerät die Lernsituation in einer so großen Klasse (47 Pers.) leicht außer Kontrolle, was in den Unterrichtsbeobachtungen sehr häufig beobachtet wurde. An dieser Stelle hätte der Lehrende die von den Einzelgruppen häufig gemachten Fehler und die positiven Merkmale der Dialogpräsentationen zusammenfassend notieren und dann am Ende in der gemeinsamen Nachbesprechung hervorheben können. Dies zielt nicht nur auf eine sinnvolle Gestaltung des Lernprozesses, sondern hat auch damit zu tun, dass die gemeinsame Besprechung der Arbeitsergebnisse und der Lernprozesse, die dabei durchlaufen werden, ein wichtiger Teil der Erfüllung der Aufgabenstellung ist (Was haben wir gemacht? Wie haben wir es gemacht? ) (vgl. Neuner 1994, 12f.). Bei der Wahl der Korrekturart sollten die vorkommenden Fehlerarten, das jeweilige Sprachniveau der Lernenden und deren Lernphase in Betracht gezogen werden. Es wäre z.B. bei den morphosyntaktischen Fehlern im Grammatiktest viel sinnvoller, dass die Lernenden über die gemachten Fehler nachdenken müssen, um selbst zur Fehleridentifikation und dann zur Selbstkorrektur befähigt zu werden (vgl. dazu 1.3.3). Denn „Lernen ist immer dann effizient, wenn es an bestehendes Wissen anknüpfen kann, auch wenn dieses unvollständig oder stereotyp ist“ (Roche 2005, 211). Laut Kleppin (1998, 71) fördert ein bewusster Umgang mit Fehlern das Weiterlernen. Das bedeutet, ohne bewusste Sprachreflexion können die Lernenden den Fehler weder stärker ins Bewusstsein heben noch an das Gelernte anknüpfen. In der Korrekturphase war aber nicht selten zu bemerken, dass die direkte Korrektur von den Lehrerprobanden bevorzugt wurde, obwohl sie auch manchmal Rückfragen an die Kursteilnehmer stellten. Bei der Fehlerinterpretation zu den Testaufgaben wurden die korrekten Lösungen entweder durch die Lehrperson selbst oder durch die Kursteilnehmer direkt gegeben bzw. an die Tafel geschrieben, wie z.B. bei Gruppe B in Auszug UT 8-33. Nur wenn die Antwort auf die Frage nicht (richtig) von dem aufgerufenen Kursteilnehmer gegeben wurde, versuchte die Lehrperson, den Studierenden die Problemstelle bewusst zu machen, wie z.B. bei Gruppe C in Auszug UT 8-34. Unterrichtssituation: Im Unterricht werden die für die vorliegende Arbeit durchgeführten Testaufgaben besprochen, wobei es sich um die direkte (bzw. explizite) Lehrerkorrektur und die Fehlerin- <?page no="389"?> 389 terpretation handelt, d.h., die Lehrperson gibt die korrekten Lösungen direkt und macht sie den Studierenden bewusst. Auszug UT 8-33: Gruppe B - Problemlösen zur Testaufgabe (23.12.2004, ca. 02: 23) L: 第四(題), Ich halte eine Uhr --- 這個通常/ 通常假設掛手錶是 an der Hand ,不過這裏 是 halte ( 把手錶放在手裡當示範 ) 。他手裡拿了一個錶,他不是(將錶)掛在手上,所以 ( 是 ) in der Hand 。假設(是)戴在手上, „ich trage eine Uhr an der Hand“ ( 把錶戴在手上當 示範 ) ,這個就是戴在手上。那麼 ( 這裡答案 ) 是 in der Hand。 < Nummer vier, ich halte eine Uhr ---. Bei „Uhr tragen“ wird normalerweise „an der Hand“ verwendet, aber das Verb hier ist „halte“ (legt die Uhr in die Hand). Er hält eine Uhr in der Hand, nicht er trägt eine Uhr an der Hand. So ist die Lösung hier „in der Hand“. Falls es um „etwas an der Hand / um die Hand tragen“ geht, nämlich „ich trage eine Uhr an der Hand“ (zeigt die entsprechende Geste), dann ist das so. Darum ist die Antwort hier „in der Hand“.> S: ... (machen sich Notizen oder schauen in ihre eigenen Testbögen) Unterrichtssituation: Die Gruppe C befindet sich in der gleichen Unterrichtssituation wie oben bei B. Nur handelt es sich hier um eine implizite Korrektur, wobei die Lehrperson indirekt auf die Fehler in einer Äußerung hinweist und dann die Lösung von dem aufgerufenen Studierenden gegeben wird. Auszug UT 8-34: Gruppe C - Fehlerbehandlung zur Testaufgabe (21.12.2004, ca. 16: 13) L: 第四題, XX <Nummer vier, XX> S: Wenn ihr ein bis..schen L: ein bisSCHEN S: ein bisSCHEN früher aufgestanden L: „aufstehen“ 什麼意思啊, XX ? <Was bedeutet „aufstehen“, XX? > S: 起床 <aufstehen> <?page no="390"?> 390 L: 起床啊!起床這位置是什麼(比移動的手勢)?移動嘛,對不對?起床啊、站起來啊!然後 用什麼? sein 還是 haben ? <Das heißt „jemand steht auf“. Was ist aufstehen für ein Verb (Geste der Bewegung)? Eine Bewegung, ja? „aufstehen“ und „stehen“ gehören dazu.Womit wird (das Verb „aufstehen“) konjugiert? Mit „sein“ oder mit „haben“? > S: sein L: sein ,很好。 sein ,你們的話,那虛擬第二式是什麼啊?你看 ( 老師站起來寫板書 ) , sein 的過去式,我們虛擬第二式是過去式 ( 變來的 ) ,它是 war-,war- 虛擬式動詞詞尾為 e , 然後 Umlaut 。那你們的話,加上個 t,wäret。Wenn ihr ein bisschen früher aufgestanden wäret ,然後你們不會錯過這個班機啊,怎麼講? hättet ihr die Maschine/ das Flugzeug nicht verpasst ,對不對?好, XX ,再唸一遍! <„sein“, sehr gut. „sein mit ihr“, was für die Form von Konjunktiv II ist das? Schau mal (der Lehrer steht auf und schreibt an die Tafel), die Form des Konjunktiv II von „sein“ ist von Präteritum abgeleitet, es ist „war-“. Am „war-“ wird die Konjunktivendung „e“ angefügt plus Umlaut, mit ihr (2. Pers. Plural) muss man die Personalendung „t“ noch hinzufügen, also „wäret“. Wenn ihr ein bisschen früher aufgestanden wäret, dann hättet ihr den Flug nicht verpasst, wie sagt man das (auf Deutsch)? „hättet ihr die Maschine/ das Flugzeug nicht verpasst“, ja? OK. XX, lies das nochmal vor! > S: Wenn ihr ein bisschen früher aufgestanden wäret, hättet ihr das Flugzeug nicht verpasst. Aus der in 7.3.2 dargestellten Fehleranalyse geht allerdings hervor, dass die Fehler hier sehr oft nicht nur reine Grammatikbzw. Performanzfehler sind, sondern auch die grammatische Gebrauchsbzw. Begriffsunterscheidung betreffen. Deshalb sollten dabei auch die Fehlerarten, das Sprachniveau bzw. die Sprachstufen der Lernenden (also Anfänger oder Fortgeschrittene) in Betracht gezogen werden. Handelt es sich um Kompetenzfehler (z.B. Ich halte eine Uhr an* der Hand), die z.B. in der Anfängerstufe (Auszug UT 8- 33) häufig vorkommen, dann ist die direkte bzw. explizite Lehrerkorrektur selbstverständlich eher dafür geeignet. Hingegen wäre wie in 1.3.3 dargestellt die implizite Lehrerkorrektur für grundlegende Grammatikfehler bzw. Performanzfehler (z.B. falsche Konjunktivform von sein wie ihr wärte*, wart* etc. in Auszug UT 8-34), die möglicherweise durch Unaufmerksamkeit oder durch unvollständige Automatisierung in der Regelanwendung entsteht, passender. In den Unterrichtsvideos lässt sich aber beobachten, dass das direkte Korrekturverhalten der Lehrenden schon zur Regel geworden ist. Sie nehmen dabei nicht immer Rücksicht darauf, wann bzw. bei welchen Fehlertypen das Sprachbewusstsein der Lernenden verändert werden könnte bzw. sollte, indem sie über die Fehlerursachen nachdenken. Dies hängt auch damit zusammen, ob die Lehrkraft auf die Fehlerbesprechung gut vorbereitet ist und ob die Studierenden mitmachen wollen. Wie bereits in 4.2 erwähnt <?page no="391"?> 391 wurde, ist das Lernen für den Großteil der Probanden eher ein passivrezipierender Prozess. Dies ist auch aus der Auswertung des Fragebogens (1) bei Fragen 41 und 42 deutlich erkennbar. Abb. 8-12: Korrekturarten auf Fragen 41 und 42 in (%) * „Alle zusammen nachdenken“ bezieht sich auf Frage 41, und „in der Klasse erklären“ auf Frage 42. In Abb. 8-12 wird dargestellt, dass im Bezug auf den Umgang mit Grammatikfehlern nur 33,3% bzw. 17,3% der Befragten es vorziehen würden, erstmal selber zu überlegen, wo der Fehler liegt. Die anderen, die die Korrekturarten (1) oder (3) wählten, bevorzugten entweder die direkten Korrektur oder eine gemeinsame, lehrergestützte Besprechung der Fehler in der Klasse. Mit anderen Worten: nur ein relativ kleiner Teil der Studierenden ist bereit, selbst zuerst durch Reflexion mit den Fehlern umzugehen, der Großteil bevorzugt die Lehrerkorrektur. Dies spiegelt natürlich auch das Problem mit dem autonomen Lernen, der Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit im Lernprozess wider. In Hinsicht auf die eben genannten Probleme hätten die Lehrenden mehr Rückfragen an die Studierenden stellen können, damit diese mehr Gelegenheit erhalten, die Fehlerbzw. Problemstellen durch den gedanklichen Prozess selbst zu erarbeiten und dann an ihr bekanntes oder bestehendes Sprachwissen anknüpfen zu können. Von der Funktion her wäre dies viel sinnvoller als die direkte Fehlererklärung bzw. -interpretation in Bezug auf die Regeln oder den Gebrauch, obwohl die aktive, freiwillige Beteiligung der Studierenden am Unterricht auch eine große Rolle dabei spielt. Denn ohne 36,9 39,9 33,3 17,3 29,2 42,9 0,6 0,0 41. Mündliche Fehler 42. Schriftliche Fehler N = 1 6 8 1) Direkte Korrektur 2) Selbständiges Nachdenken über Fehlerursache 3) Alle zusammen nachdenken bzw. in der Klasse erklären* 4) Andere <?page no="392"?> 392 Lernen durch gedankliche Verarbeitung (Prozess des Nachdenkens) und durch Einsicht (tatsächliches Verstehen) lassen sich die drei hier zu behandelnden Grammatikphänomene und deren Zusammenhänge weder wieder auffrischen noch langfristig im Gedächtnis der Lernenden behalten (vgl. 4.2.1). Darüber hinaus sollten die Lehrenden bei der Korrekturhandlung den methodischen Effekt bedenken. 8.2.4 Diskussion Insgesamt betrachtet hängen die bisher dargestellten methodischen Probleme einerseits eng mit den Merkmalen und Prinzipien der einzelnen Unterrichtsmethoden zusammen, die von den Lehrerprobanden jeweils eingesetzt wurden. Andererseits deuten sie aber auch auf die mangelnde methodische Integrationsfähigkeit der Lehrkräfte hin, d.h., dass die einzelnen Methoden bzw. Ansätze noch nicht sinnvoll bzw. lernergerecht ineinander integriert werden konnten. Dies zeichnet sich in der Unterrichtsplanung bzw. -gestaltung ab und wird hier unter den Aspekten didaktisch-methodische Überlegungen und Integrationsfähigkeit der Lehrenden diskutiert. Die bisher dargestellten Ergebnisse zeigen, dass die Lehrerprobanden sich bei der Grammatikbehandlung bzw. Übungsgestaltung methodisch meist relativ streng an eine bestimme Art und Weise der Darstellung halten. Problematisch ist dabei jedoch, dass „kein Ansatz für alle in gleicher Weise gültig sein kann“ (Fandrych 2010, 1017). Obwohl dies wie zuvor bereits genannt mit der Lehrtradition, mit der Sprachkompetenz der Lehrkräfte und mit den Eigenschaften des jeweiligen Kurses zu tun hat, wird die Methodenkenntnis der Lehrkräften bzw. deren Fähigkeiten zur Integration verschiedener Methoden bzw. Ansätze je nach Lerngegenstand hervorgehoben. Dies ist vor allem aus der Unterrichtsbzw. Materialgestaltung erkennbar, nur äußert es sich je nach Lehrergruppen auf verschiedenen Ebenen. Bei den nicht-muttersprachlichen Gruppen (A, B, C) wurde hauptsächlich die GÜM zur Grammatikvermittlung eingesetzt, d.h., die Grammatik wurde explizit und deduktiv vermittelt. Dies fördert zwar das Bewusstwerden der Regeln, problematisch ist dabei aber, dass die Regeln nur anhand von isolierten Einzelsätzen in einer mündlichen situativen Einbettung präsentiert, erklärt und geübt werden, also ohne Lernhilfen wie z.B. die visuelle Hilfsmittel, und auch ohne einen bestimmten situativen Kontext oder textuellen Zusammenhang. Durch die bloße situative Einbettung der Einzelsätze kann die behandelte Grammatik strukturell, funktional und situativ nicht immer klar verdeutlicht werden. Darüber hinaus ist ein und dieselbe Lehrmethode auch nicht für alle Grammatikthemen immer in gleicher Weise geeignet. Denn in Hinblick auf die in Kap. 7.3 und hier dargestellten Lern- <?page no="393"?> 393 sowie Lehrprobleme sollten Verständnisbzw. Lernhilfen zeitgerecht zum Einsatz kommen, um grammatische Strukturen bzw. deren Erläuterung zu veranschaulichen. Dies fördert nicht nur das Grammatiklernen, sondern erleichtert zugleich auch das Verstehen und Behalten des Stoffes. Der Unterricht bei den muttersprachlichen Gruppen ist wie bereits genannt auf Sprechen bzw. Schreiben fokussiert, und es wird hauptsächlich nach kommunikativ orientierten Methoden vermittelt. Hier wurden zwar im Vergleich zu den nicht-muttersprachlichen Lehrkräften mehr visuelle Hilfsmittel bzw. non-verbale Mittel der Erklärung (z.B. Körpersprache) im Unterricht eingesetzt, aber es gibt auch hier methodische Probleme. Diese liegen in der Planung bzw. Ausführung der Übungsaufgaben. Denn im kommunikativ orientierten Unterricht wird vor allem die aktive Sprachverwendung als Unterrichtsziel betont, d.h., die sprachlichen Tätigkeiten, die mit den Übungsaufgaben bzw. Lernaktivitäten verbunden sind, stehen im Mittelpunkt des Unterrichts. Problematisch daran ist jedoch, dass bei der Unterrichtsplanung bzw. Übungsausführung die Lerngewohnheiten und -bedürfnisse (sprachliche Hilfsmittel) in kultureller und sprachlicher Hinsicht anscheinend noch nicht genügend berücksichtigt wurden. Kulturell sind die im chinesischen Sprach- und Kulturraum aufgewachsenen DaF-Lernenden aufgrund der Lerntraditionen, -gewohnheiten sowie den Erfahrungen beim Englischlernen eher an lehrerzentrierten Unterricht und an eine passiv-rezipierende Lernerrolle gewöhnt (vgl. 2.1 und 4.2.2). Im kommunikativ orientierten Unterricht stehen aber die Lernenden und der Sprachgebrauch im Mittelpunkt, d.h., sie sind hier gefordert, Deutsch durch aktive Verwendung und Teilnahme am Unterricht zu erlernen. In diesem Konzept spielen die Lerner und Lehrer ganz andere Rollen als beim traditionellen Unterricht: Die Lernenden übernehmen Selbstverantwortung fürs Deutschlernen, die Lehrenden werden nicht mehr als Autoritätsperson oder Wissensvermittler betrachtet, sondern vielmehr als Partner, Wissensprüfer bzw. Lernhelfer (vgl. 1.2.2 und 1.2.3). Diese veränderte Lernerrolle und die neue Unterrichtssituation führen dazu, dass sich die Lernenden in einem Rollenkonflikt befinden (vgl. 7.2.3). Dies ist aus ihrem Unterrichtsverhalten bemerkbar und könnte auch eine der Ursachen dafür darstellen, warum einige mit dem kommunikativ orientierten Unterricht (in Bezug auf die Grammatikvermittlung oder das L2-Lernen) überfordert sind. Ein weiteres Problem ist, dass ihnen zur Grammatikarbeit bei den weniger stark gesteuerten Übungsaufgaben häufig Sprachbzw. Redemittel fehlten, um sich auf die freie, spontane Sprachverwendung vorzubereiten. Dies zeichnet sich in den Lernerprodukten wie Dialogvorspiel bei Gruppe D (Auszüge UT 8-25, 8-26 und 8-27) und Bildbeschreibung bei E (Auszüge UT 8-31 und 8-32) ab. Der Grund dafür liegt sehr wahrscheinlich darin: <?page no="394"?> 394 „Viele Ansätze der Grammatikvermittlung haben lange Zeit implizit oder explizit die Auffassung vertreten, einmal gelernte Regelkenntnisse (ob sie nun induktiv oder deduktiv erarbeitet wurden) könnten ziemlich umstandslos in Übungen produktiv angewendet werden, von eher stärker gesteuerten Übungen zu immer freieren Übungen. (...), übersieht ein solcher Ansatz aber, dass Grammatikerwerb gerade im produktiven Bereich nicht beliebig von außen steuerbar ist, sondern teils bestimmten Erwerbsabfolgen unterliegt, gleichzeitig die Sprachverarbeitungs- und Aufmerksamkeitskapazität der Lernenden begrenzt ist.“ (Fandrych 2010, 1015) Ferner haben die bisher diskutierten Übungsaufgaben eher reproduktivproduktiven Charakter, und aus pragmatisch-funktionaler Sicht gelten Sprachbzw. Redemittel dabei weniger als Zweck der Übung, sondern vielmehr als Hilfsmittel für die Realisierung eigener Sprechintentionen. In Hinsicht darauf ist laut Neuner, Krüger und Grewer (1996, 97) bei solchen Übungsaufgaben noch zu beachten: „Zu weniger stark gelenktem Gebrauch sprachlicher Mittel und zur Vorbereitung auf die freie, spontane Anwendung von Sprache in einer Realsituation (z.B. in einem Streitgespräch oder in einer direkten - schriftlichen oder mündlichen - sprachlichen Reaktion auf irgendeine Textsorte) gehört, daß der Lerner 1. Arbeitstechniken beherrscht, die ihn befähigen, einem Text Informationen (unter jeweils bestimmten Gesichtspunkten) zu entnehmen, diese - zunächst nach einem vorgegebenem, später nach einem selbst erstellten Raster - zu ordnen und sie schließlich zur geordneten, sinnvoll gegliederten Informationsweitergabe zu benutzen (Notizen aufnehmen / sammeln) 2. in der Lage ist, seine eigene Meinung zu einem zur Diskussion stehenden Problem zu formulieren und sich Argumentationshilfen für die freie Äußerung in der Phase D (schriftlich, in Notizenform) selbst zu fertigen (Notizen selbst erstellen).“ 197 Darüber hinaus sind Methodenkenntnis, -integration und -wahl, die sich gegenseitig beeinflussen, für die Lehrkräfte im Lehrprozess von großer Bedeutung. Denn die Methodenkenntnis, die Grundlage für Integration und Wahl geeigneter Methoden ist, hilft den Lehrenden bei der Entscheidungsfindung im Unterrichtsalltag, also je nach Lerngegenstand und -phase z.B. bei der Methoden- und Materialauswahl (vgl. Kniffka/ Siebert-Ott 2007, 74). Dies begründet Jung (2001, 137) wie folgt: 197 Phase D ist bei Neuner, Krüger und Grewer (1996, 97) eine Phase im normalen Verlauf einer Übungskette, also z.B. Text → A (Verstehen) → B (Üben, reproduktiv) → C (Üben, reproduktiv/ produktiv) → D (Anwenden). <?page no="395"?> 395 „Für Lehrende des Faches DaF/ DaZ ist die Kenntnis der Grundzüge von Methoden des Fremdsprachenunterrichts notwendig und nützlich. So ist es möglich, Lehrwerke von der jeweils zu Grunde liegenden Methode her einzuordnen. Methodenkenntnis erlaubt es, für die jeweilige Zielgruppe, deren Fähigkeiten und die vorgegebenen Lernziele die geeignete Methode (das Lehrwerk) bzw. von Fall zu Fall den möglichst besten methodischen Weg auszuwählen “ (Jung 2001, zitiert in: Kniffka / Siebert-Ott 2007, 74). Dies bezieht sich nicht nur allein auf das Vermittlungswissen, sondern auch auf das Korrekturwissen, das auch in das didaktische Wissen einbezogen ist und einen Einfluss auf die Korrekturleistung hat. Je nach Fehlerarten und Sprachniveau der Lernenden soll die Korrektur(be)handlung methodisch der jeweiligen Lernergruppe angepasst werden, um eine möglichst hohe Korrekturleistung zu erzielen. Außer den Unterrichtserfahrungen wird dies ermöglicht durch ausreichendes Korrekturwissen, so dass die Lehrenden in der Lage sind, ihren Lernenden je nach den Fehlerarten und dem Sprachniveau geeignete Erklärungsbzw. Korrekturmöglichkeiten anbieten zu können (vgl. 1.3.3). Denn bei den nicht-muttersprachlichen Lehrkräften wurde wie bereits gezeigt allgemein eher die direkte bzw. explizite Korrektur bevorzugt. Ursachen sind vermutlich unter anderem Klassengröße und Passivität der Lernenden. Nach Loos Kategorisierung gehört eine Klasse mit 25-35 Lernenden zwar im Allgemeinen zu den kleinen Klassen, für den L2- Unterricht stellt sie aber eher eine Großgruppe dar (vgl. 6.1). Wie in Auszügen UT 7-1, 8-23 etc. bereits gezeigt wurde, dauert es in den meisten Fällen lange, bis die Lehrperson ein Feedback von der Lernerseite bekommt. Hier ist auch zu beachten, ob bei einer Korrekturhandlung die Fehlerarten, der Sprachstand und die Lernphase in Erwägung gezogen werden. Von der Funktion her zielt die fertige Korrektur zwar darauf ab, dass die Fehler den Lernenden sofort klar werden, aber noch viel wichtiger ist, dass die Korrekturen der jeweiligen Fehlerursache bzw. -art angepasst sind und das selbstständige, selbstreflexive Lernen fördern, dies gerade auch in Hinsicht auf das passiv-rezeptive und lehrerabhängige Lernverhalten der Studierenden (vgl. 4.2.2 und 4.2.3). Das heißt, das Korrekturverhalten soll situationsabhängig sein. Handelt sich es wie in 1.3.3 erwähnt um Performanzfehler (z.B. morphosyntaktische bzw. grammatische Fehler), sollte den Lernenden vermittelt werden, wie man selbständig, bewusst und selbstreflexiv mit Fehlern umgeht und dass man dadurch fähig wird, Fehler selbst zu erkennen und selbständig zu korrigieren. Dies ist aus folgenden Gründen ratsam: Erstens könnten, laut Kleppin (2010, 1068) „diese Fehler mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von den Lernenden selbst erkannt und korrigiert werden“; und zweitens dient die bewusstmachende Korrektur den Lernenden nicht nur zur gezielten Verbesserung ihrer Sprachkompetenz, sondern auch <?page no="396"?> 396 als Mittel zum Weiterlernen sowie zur Entwicklung des autonomen selbstreflexiven Lernens. 198 Aus didaktischer Sicht ist die direkte bzw. explizite Korrektur eher für Kompetenzfehler geeignet, also solche Fehler, die auf dem jeweiligen Sprachstand der Lernenden noch nicht erkannt oder nicht selbst korrigiert werden können, wie z.B. „Irrtümer“ (errors). Bei den muttersprachlichen Lehrkräften wurde hingegen eher die indirekte bzw. implizite Korrektur bevorzugt, was auch sinnvoll ist, weil dadurch die Sprachbewusstheit der Lernenden entwickelt bzw. die Selbstreflexion über den eigenen Lernstand angeregt wird (vgl. ebd., 1069). Probleme ergaben sich dadurch, dass die methodische Gestaltung der Korrekturhandlung nicht immer klar genug durchdacht war (bei D), oder dass der Erfolg einer Methode an sich noch umstritten ist (bei F). Im Fall von D war der Einsatz der indirekten, impliziten Korrektur für eine Klassengröße von 47 Studierenden alles andere als zeitökonomisch, denn die Fehler wurden wie bereits dargestellt immer gleich nach dem Dialogvorspiel implizit in den Einzelgruppen (insgesamt 23) korrigiert, aber ohne gemeinsame Korrekturphase. Bei F wurden wie in Auszügen UT 7-14, 7-15 und 8-10 aufgezeigt bei der Korrekturbehandlung der Präpositionen immer Bezüge zur Muttersprache der Lernenden hergestellt, um die Begriffsbzw. Gebrauchsunterschiede zwischen Deutsch (L2) und Chinesisch (L1) durch Fragen bewusst zu machen. Dadurch werden zwar die Sprachbewusstheit und das autonome Lernen gefördert und entwickelt, doch ob die sprachkontrastiven Prozesse dabei methodisch tatsächlich sinnvoll und hilfreich für die Lernenden mit Chinesisch als Muttersprache sind, ist noch umstritten (vgl. 1.2.4). Gründe dafür sind nicht nur die großen sprachstrukturellen Unterschieden zwischen Chinesisch (L1) und Deutsch (L2), sondern auch der Mangel an Untersuchungen möglicher didaktischen Anwendung der Forschungsergebnisse im Rahmen der Kontrastanalysen „Deutsch-Chinesisch (nach Englisch)“ (vgl. 1.4 und 4.1). Beim kontrastiven Arbeiten ist laut Fandrych (2010, 1015f.) wichtig, „dass bei der Auswahl der Lernmaterialien und bei der Gestaltung der Sprachcurricula nach Möglichkeit die je spezifische Konstellation Ausgangssprache(n) - Deutsch mit reflektiert und die sich daraus ergebenden Lernerleichterungen wie auch möglichen besonderen Lernschwierigkeiten berücksichtigt werden.“ 198 Ausführlich zum bewussten Umgang mit Fehlern und zur Entwicklung des autonomen selbstreflexiven Lernens siehe Gnutzmann 1992 und Kleppin/ Königs 1991, S. 291. <?page no="397"?> 397 In Hinsicht auf die (mündlichen) Fehlerkorrektur im kommunikativen Unterricht werden bei Kleppin (2010, 1067) folgende Probleme gezeigt und didaktische Vorschläge aus der Unterrichtspraxis gegeben: „ (...), das Korrekturverhalten dem jeweiligen Unterrichtsfokus anzupassen und z.B. in einer schwächer gesteuerten - möglicherweise eher mitteilungsbezogenen - Unterrichtsphase weniger oder anders, nämlich eher mit einer korrigierten Wiederaufnahme der vormals fehlerhaften Äußerung (indirekte oder auch implizite Korrektur) zu reagieren, Fehler mitzunotieren und in einer anschließenden Korrekturphase zu behandeln o.Ä. (vgl. z.B. Schmidt 1994: 337). Kleppin und Königs (1991: 277) stellten diese - an sich sinnvolle Empfehlung - auch in subjektiven Theorien fest, die über persönliche Interviews mit Fremdsprachenlehrern elizitiert wurden. In der beobachteten Unterrichtspraxis allerdings lässt sich ein solch differenziertes Verhalten nicht immer durchhalten. Vielmehr scheinen Lehrer über bestimmte Korrekturtechniken zu verfügen, die sie grundsätzlich in allen Phasen anwenden und die damit teilweise zu Korrekturroutinen geraten. Häufig treten insbesondere direkte Korrekturen (explizite Korrektur des fehlerhaften Teils der Äußerung durch den Lehrer) und die Initiierung von Selbstkorrekturen auf. Für die Praxis empfehlen z.B. Kleppin und Königs (1991: 296-301) und Kleppin (1998), sich nicht nur mit unterschiedlichen Korrekturtechniken auseinanderzusetzen und diese auch mit der jeweiligen Lernergruppe zu besprechen, sondern Korrekturroutinen dadurch aufzubrechen, dass z.B. bei der Planung einer Unterrichtsstunde die Entscheidung für eine - und eben auch für die nicht vom Lehrer bevorzugte - Korrekturtechnik im Voraus getroffen wird.“ Zusammenfassend lässt sich sagen, im L2-Unterricht erfüllt keine Lehrmethode eine Allzweck-Funktion und kann allein in verschiedenen Lehr-/ Lernkontexten zur Vermittlung, Einübung sowie Korrektur verwendet werden. Kommt beim Lehren immer nur die gleiche Methode zum Einsatz, ist die Lehrtätigkeit auf bestimme didaktische Funktionen beschränkt. Denn alle Methoden haben ihre eigenen didaktisch-methodischen Funktionen und somit je nach Unterrichtsziel, -phase, Lernergruppe, Verhältnis zwischen L1 und L2 etc. unterschiedliche Effekte. Beim Grammatiklehren wäre es sinnvoll, je nach Unterrichtsgegenstand, -ziel und -phase geeignete Methoden miteinander zu kombinieren oder abwechselnd zu verwenden. Voraussetzung dafür sind natürlich ausreichende und jederzeit verfügbare Methodenkenntnisse. Wie die oben diskutierten Beispiele zeigen, bestehen zum Teil beträchtliche methodische Probleme im DaF-Unterricht an taiwanischen Universitäten. Abgesehen von den vielfältigen Gründen, die dazu führen, wird dadurch die Notwendigkeit der fachbezogenen Ausbzw. Weiterbildung sowie der didaktischen Reflexion des eigenen Unterrichts ganz offensichtlich (vgl. 8.6 <?page no="398"?> 398 bzw. 8.5). Für die Lehrenden, die noch wenig Erfahrung mit DaF-Unterricht haben oder nicht DaF studiert haben, wäre eine systematische Fachausbzw. -weiterbildung von großer Bedeutung. Denn Lehren ist ein individueller Prozess und kann je nach persönlichen Vorkenntnissen und Erfahrungen der Lehrenden bzw. auch je nach zu unterrichtender Klasse ganz anders ablaufen. Nur durch regelmäßige Unterrichtsevaluation und -reflexion sowie fachbezogene Weiterbildung können didaktische und fachliche Mängel der Lehrkräfte kompensiert und die Unterrichts- und Lehrqualität gesteigert werden. 8.3 Sozialformen Je nach Unterrichtsphasen bzw. Lernzielen sollten die Sozialformen wie die Methoden in Übereinstimmung mit der Lerngruppe sowie dem Lerngegenstand bzw. der Übungsform gezielt ausgewählt werden. Anhand der Videoanalyse 199 wird deutlich, dass generell die nicht-muttersprachlichen Lehrkräften GÜM in Form des Frontalunterrichts bevorzugen, hingegen die muttersprachlichen das Plenum sowie die Partnerarbeit. Dies ist wie bereits erwähnt durch die Eigenschaften der Kurse bedingt, aber auch durch die methodischen sowie organisatorischen Überlegungen der Lehrkräfte (vgl. dazu 3.3.2 und 8.2). Aus kultureller Perspektive stellt sich die Wahl der Sozialformen in gewissem Maße auch von den unterrichtlichen Verhaltensmustern beeinflusst dar, die die Lehrkräfte in ihrer eigenen Lehr- und Lerntradition gewohnt sind. An dieser Stelle werden die Probleme, die anhand der Videodaten beim Einsatz des Frontalunterrichts und der Partnerarbeit erkennbar sind, analysiert sowie in Bezug auf die Angemessenheit der methodischen Vorgehensweise und der Sozialform diskutiert. Probleme beim Frontalunterricht Wie bereits in 1.2.5 erläutert, zeichnet sich der Frontalunterricht dadurch aus, dass die Lehrperson den Unterricht dominiert und dies entweder durch darbietende oder fragend-entwickelnde Weise stattfindet. Während im fragend-entwickelnden Verfahren das lehrergesteuerte Unterrichtsgespräch im Vordergrund steht, bezeichnet man das Gespräch in der hufeisenbzw. kreisförmigen Sitzordnung als Plenum. Hierbei fungiert nach Schramm (2010, 1183) die Lehrperson als Gesprächsleitung oder ist als gleichberechtigter Gesprächspartner anzusehen, wie z.B. beim Meinungsaustausch. Um die Lehrstile von zwei Probandengruppen noch differenzierter zu beschreiben, werden hier deshalb die zwei Begriffe Frontalunterricht und Plenum verwendet, wobei letzteres ein Verfahren des Frontalunterrichts darstellt. 199 Vgl. dazu Tabellen 8-7 (S. 343) und 8-8 (S. 344). <?page no="399"?> 399 Blicken wir auf die Auswertung zu Unterrichtsverlauf und -gestaltung in Tabelle 8-7, zeigen die Ergebnisse bei den nicht-muttersprachlichen Lehrergruppen (A, B, C) genau das Bild des Frontalunterrichts: In den untersuchten Unterrichtseinheiten redet entweder nur die Lehrperson (bei B), oder der Redeanteil der Lehrperson beträgt 3/ 4 (also 75%) der Unterrichtszeit (bei A und C). Die Lernenden verhalten sich passiv-rezeptiv und stellen selten freiwillig Fragen an die Lehrperson. An dieser Stelle zeichnet sich ab, dass die Interaktion (also sprachlicher Austausch) zwischen Lernenden und Lernenden sowie zwischen den einzelnen Lernenden und der Lehrperson nur in eingeschränktem Maße im Unterricht stattfindet. Die Auswertung in Tabelle 8-7 zeigt, dass eine Interaktion zwischen allen Lernenden gar nicht und zwischen den Lernenden und der Lehrperson sehr selten ermöglicht wird (0 bis 2 mal). Da das L2-Wissen im Wesentlichen bei allen drei nichtmuttersprachlichen Gruppen darbietend erklärt, aber lehrergesteuert (also fragend-entwickelnd) im Plenum eingeübt oder wiederholt wurde, wie bei den Gruppen A und C, spricht überwiegend die Lehrperson und den Lernenden wird das Rederecht nur eingeschränkt zugeteilt (Auszüge UT 8-13 und 8-23) 200 . Aufgrund dieser Entscheidungen wird im Unterricht die Entwicklung der Selbsttätigkeit (also das autonome Lernen) wenig unterstützt, ebenso wenig die Kooperations- und Teamfähigkeit als Teil des sozialen Lernens. Die Beobachtungen zeigen, dass durch den Einsatz bestimmter Sozialformen die Gefahr besteht, die vor allem in Kap. 4.2 erwähnten kulturbedingten Lerngewohnheiten zu begünstigen, die eigentlich durch die Sozialformen überwunden werden sollen, wie z.B. Lehrerorientierung, passivrezeptives Lernen etc. Aus didaktischer Sicht stellt an dieser Stelle der gezielte Einsatz des Frontalunterrichts eine sinnvolle Arbeitsform für die Unterrichtsphasen dar, in denen alle Lernenden zugleich über bestimmte Inhalte informiert werden sollen. Funktional ist er sowohl für die Wissensvermittlung in bestimmten Phasen zum Erreichen der kognitiven Lernziele geeignet als auch für die Fehlerbehandlung in der Korrekturphase, wie es in Auszügen UT 8-7, 8-8 und 8-9 bei der Grammatikarbeit zu sehen ist. 201 Dass keine Sozialform alle Funktionen erfüllen kann und somit bei der Entscheidung für eine Sozialform viele Faktoren beachtet werden müssen (vgl. dazu 1.2.5), zeigen die Unterrichtsbeobachtungen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit gemacht wurden, ganz klar. Besonders deutlich wird dies bei der Verwendung des darbietenden bzw. fragend-entwickelnden Verfahrens, das z.B. in der Gruppe A häufig eingesetzt wurde, um entweder das Gelernte zu wiederholen oder um neu eingeführte Grammatikthemen einzuüben. 200 Siehe Auszug UT 8-13 (S. 319) und Auszug UT 8-23 (S. 364). 201 Siehe S. 313. <?page no="400"?> 400 Unterrichtssituation: Nachdem die Lehrperson den Gebrauch und die Regeln zur Passivbildung erklärt hat, geht sie mit der ganzen Gruppe fragend-entwickelnd die Übungen durch. Sie leitet und kontrolliert die Kommunikation im Unterricht. Auszug UT 8‒35: Gruppe A - Vorgehensweise der Passivübung (1) (11.11.2004, ca. 44: 34) L: In der Karosserieabteilung formt eine komplizierte Maschine die Bleche. 在...車身部 門,一個複雜的機器來...使這個 Bleche... 把鋼板成形。我們講過的兩個步驟,先切然後( )。所以改成被動式, „In der Karosserieabteilung ____ ___ ______ ______“, bitte! (wartet auf die Rückmeldung) < In der Karosserieabteilung formt eine komplizierte Maschine die Bleche. (übersetzt den Satz ins Chinesische) Wir haben die zwei Schritte eben angesprochen, also zuerst geschnitten und dann ( ) ... so formuliert man das in der Passivform um, „In der Karosserieabteilung ____ ___ ______ ______“, bitte! (wartet auf die Rückmeldung)> S: ... (schauen den Satz auf der Leinwand an und scheinen zu überlegen, ca.13 Sek. Stille) L: 主詞不要了,受詞搬過來當主詞。... 已經幫你簡化到那樣的程度(指著投影片上的例句), 長長短短都已經幫你簡化好了、設定好了。 In der Karosserieabteilung... „wird“ 還是 „werden“? < Hier lässt man das Subjekt weg und nur das Objekt soll als Subjekt verwendet werden. ... (Der Satz) hier ist schon vereinfacht (zeigt auf den Satz auf der Leinwand). Die Satzlänge und alles andere sind schon schön vorgegeben, (das sollte wirklich kein Problem mehr sein). In der Karosserieabteilung... „wird“ oder „werden“? > S: ... (einige murmeln) L: „Wird“ 還是 „Werden“? < „Wird“ oder „Werder“? > S: ...werden (einige sagen es leise) L: 單數還是複數? <Singular oder Plural? > S: ...複數 (einige sagen sehr leise etwas, viele schauen nur an die Tafel) <...Plural> L: 當然是複數 ( 指著投影片上的例句 ) , ...werden die Bleche... geformt 就這麼簡單嘛! (einige KT sagen die Lösung gleichzeitig) <Natürlich ist das hier Plural (zeigt auf den Satz auf der Leinwand), ...werden die Bleche... geformt. Die Lösung ist doch ganz einfach! > <?page no="401"?> 401 Auszug UT 8‒36: Gruppe A - Vorgehensweise der Passivübung (2) (11.11.2004, ca. 57: 04) L: Nummer vier, „So, die Koffer sind jetzt ___ (packen), jetzt kann die Reise beginnen“. So, ich packe den...ehm (schüttelt den Kopf) die Koffer, Plural. Ich packe die Koffer. 我打包行李、裝行李,出門旅行嘛!打包完了以後, wie sind die Koffer jetzt? Die Koffer sind gepackt. 你不用煩惱了。 Die Koffer sind gepackt, jetzt kann man ...ehm die Reise beginnen. <(...) Ich packe die Koffer, um zu verreisen. Nachdem man die Koffer gepackt hat, wie sind die Koffer jetzt? Die Koffer sind gepackt. Du brauchst dir keine Sorgen mehr darum zu machen. Die Koffer sind gepackt (...)> S: ... (Die meisten schauen auf die Leinwand) L: Nummer fünf, das Haus ist seit 1945 ____ S: zerstört (einige sagen es, viele schauen nur auf die Leinwand) L: ist zerstört. Also, 從那時候起,就是...破壞了,被破壞了的,就是那副破爛樣,站在那... 到現在沒動過。 Das Haus ist seit 1945 zerstört. < ist zerstört. Also, seitdem ist es zerstört und bleibt einfach so. Es steht immer noch da und bleibt unverändert. Das Haus ist seit 1945 zerstört.> S: ... (einige machen Notizen, viele schauen die L an) Die dargestellte Unterrichtssituation in Auszügen UT 8-35 und 8-36 macht deutlich, dass die verwendete Sozialform für die Einübungsphase wenig geeignet und nicht sehr sinnvoll ist. Die Lehrperson lenkt und kontrolliert Schritt für Schritt die Bearbeitung von Übungen, die jedem Lernenden auf Folie (also auf der Leinwand) vorliegen. Wie bereits in 8.2.2 dargestellt, dienen solche Strukturbzw. Umformungsübungen funktional zur Festigung des Gelernten, und man könnte sie in der Regel gut allein erarbeiten. Deshalb müsste diese Übung, die geschlossen angelegt ist und eine eindeutige Lösung hat, nicht von der Lehrperson gesteuert und gemeinsam in Plenum durchgeführt werden (vgl. dazu 1.6). Diese Beobachtungen decken sich auch mit der Aussage von Surkamp (2010, 266): „Die dominante und kleinschrittige Lenkung durch die Lehrperson verhindert häufig selbstgesteuertes und selbständiges Lernen.“ Probleme bei der Partnerarbeit Die Gesamtauswertung in Tabelle 8-8 zeigt, dass sich die muttersprachlichen Lehrkräfte (D, E, F) im Gegensatz zu den nicht-muttersprachlichen (A, B, C) im Wesentlichen für den Unterricht in Form von Plenum und Partnerarbeit entscheiden. Teilweise findet noch eine Interaktionsphase statt, in der entweder die Gruppen untereinander Kontakt aufnehmen oder die Lernenden Aufgaben mit dem Partner gemeinsam lösen bzw. ihre Meinungen mitei- <?page no="402"?> 402 nander austauschen. Die Muttersprachler unterrichten teilweise frontal in der Erklärungsbzw. Korrekturphase. Der Redeanteil der Lernenden ist somit im Vergleich zu den Gruppen mit nicht-muttersprachlichen Lehrenden deutlich erhöht, er beträgt 2/ 3 der Unterrichtszeit bei D sowie 1/ 3 bei E und F, während er 1/ 4 der Unterrichtszeit bei den Gruppen A und C beträgt und bei B die KT im Unterricht kaum zu Wort kommen. Trotzdem betreffen die o.g. Probleme wie z.B. der hohe Redeanteil der Lehrenden, die passiv-rezeptive Lernerrolle etc., die bei den nicht-muttersprachlichen Lehrergruppen entstanden sind, auch die muttersprachlichen Gruppen. Die Situation stellt sich jedoch bei den einzelnen Gruppen unterschiedlich dar und soll im Folgenden genauer beleuchtet werden. Anhand der Unterrichtsbeobachtungen lässt sich erkennen, dass die Partnerarbeit bei den muttersprachlichen Probandengruppen häufig zum Erstellen und Einüben von Dialogen (bei D), zum Themendiskurs (bei E und F) sowie zur partnerschaftlichen Fehlerkorrektur (bei E) verwendet wurde. Dies entspricht von der Funktion her zwar den in 1.2.5 besprochenen didaktischen Grundideen der Partnerarbeit, wobei in der Partnerphase die Arbeitsaufträge durch die zielorientierte Kommunikation und Kooperation erarbeitet werden. In dieser Hinsicht eignet sich die Partnerarbeit im L2- Unterricht besonders für die mündlichen Übungen und das Aufgabenbzw. Problemlösen, weil dies zugleich das sprachliche und soziale Lernen ermöglicht (vgl. dazu 1.2.5). Aber die erfolgreiche, handlungsorientierte Partnerarbeit hängt in der Tat von vielen Faktoren ab, u.a. von der Unterrichtsgestaltung und -organisation, Klassengröße, Raumgestaltung etc. Dies wird hier durch ein konkretes Beispiel verdeutlicht: Bei Gruppe D beschäftigten sich die Lernenden nach einer kurzen Einführung mit Aufgabenvorstellung durch die Lehrperson während der ganzen Unterrichtszeit von über einer Stunde an ihrem Platz. In dieser Phase waren die Lernenden mehr oder weniger sich selbst überlassen und es ist nicht ersichtlich, ob Aktivitäten stattfanden, die im Hinblick auf das Erreichen des Lernziels (Sprechen) sinnvoll sind. <?page no="403"?> 403 Tabelle 8-13: Verlauf der Unterrichtsstunden* von Gruppe D (12.29.2004) Phasen Sozialformen Lehraktivität Lernaktivität Zeitdauer (Min.) 1. Hinführung Frontal Lehrervortrag L erteilt und erklärt die Aufgabe „Tee in Taiwan“ KT erhalten ein Arbeitsblatt und hören die Erklärungen der Lehrperson 00: 00-01: 25 2. Vorbereitung Partnerarbeit L geht durch die Klasse, um die einzelnen Paare (insg. 23) zu betreuen KT bereiten einen Dialog zum vorgegebenen Thema in der Zielsprache vor und notieren ihre Ergebnisse 01: 25-11: 34 3. Ergebnissicherung bzw. Einübungsphase Partnerarbeit L hört die Dialoge der Paare an und korrigiert die schriftlichen Aufzeichnungen der KT Einzelne Paare tragen dem L einen Dialog vor, während sich die übrigen KT an ihren Plätzen beschäftigen und die Aufgabe vorbereiten 11: 34-1: 17: 55 4. Hinführung Frontal Lehrervortrag L erklärt die nächste Aufgabe „Naturerlebnis“ KT beschäftigen sich an ihren Plätzen 1: 17: 55-1: 19: 02 Schluss Partnerarbeit L geht von KT zu KT, um Lernhilfen zu geben und Fragen zu beantworten KT beschäftigen sich an ihren Plätzen 1: 19: 02-1: 34: 00 * Damit sind zwei Unterrichtseinheiten zu je 50 Minuten gemeint. KT: Kursteilnehmer Durch den Unterrichtsverlauf (Tabelle 8-13) wird deutlich, dass die Lerneraktivitäten zum Großteil der Unterrichtszeit ohne Feedback stattfinden und die Lernenden die meiste Zeit sich selbst überlassen sind. Problematisch an der Unterrichtsgestaltung sind die fehlende Strukturierung in Unterrichtsphasen, die einseitige Verwendung der Sozialform, die fehlenden Kontrollmöglichkeiten, die Klassengröße etc. Die durch die unstrukturierte Unterrichtszeit entstehenden Probleme wurden bereits in 8.2.2 diskutiert und werden hier deshalb nicht mehr erwähnt. Es ist offensichtlich, dass ein Konversationskurs mit 47 Lernenden eine große Herausforderung für die Lehrperson bei der Unterrichtsbzw. Übungsgestaltung darstellt und dass es <?page no="404"?> 404 daher fraglich überprüft werden muss, ob die Vorgehensweise in diesem Kontext angemessen ist. Denn die didaktisch-methodischen Konzepte der kommunikativ orientierten Methode sehen für die mündlichen Übungen in Partnerarbeit kleine Klassen (also optimal ca. 15 Pers.) vor, damit der Unterricht lernerorientiert ist und die Lehrperson besser auf die Lernbedingungen, Lernbedürfnisse und Lernsituation der einzelnen Lernenden eingehen kann (vgl. 1.2.2). Nach der Kategorisierung von Loo (2009, 116) gehört die Gruppe D mit 47 Lernenden zwar zur mittleren Klassengröße, aber für den Einsatz der kommunikativ orientierten Methoden im Konversationskurs ist sie trotzdem eine zu große Klasse und somit in Hinsicht auf die Lernaktivitäten und Sozialformen sowie die Einsprachigkeit ungünstig. Bei dieser Anzahl von Lernenden ist es für die Lehrperson unmöglich, den Lernprozess in den Einzelgruppen während der Erarbeitungsphase und der gesamten Lernsituation zu beobachten. Aus der Lernerperspektive kann die Motivation und Aufmerksamkeit während der Ergebnissicherung kaum durchgängig aufrecht erhalten werden, weil es zu lange dauert, bis alle 23 Gruppen mit dem Vorstellen ihres Dialoges fertig sind. Weiterhin sind die frontal ausgerichteten Sitzreihen für Partnerbzw. Gruppenarbeit und ihre Ergebnispräsentation im kommunikativen Unterricht denkbar ungeeignet. Die Grenzen und Möglichkeiten der Partnerarbeit im Unterricht beschreibt Nuhn (2000, 12) wie folgt: „ Partnerarbeit unterstützt das Einüben kooperativer Verhaltensweisen, erhöht die Selbständigkeit und Interaktionschance der Lernenden. (...) Sie wird selten für die Dauer ganzer Schulstunden durchgeführt. Vorzüglich eignet sich Partnerarbeit zur Unterbrechung des frontalen Klassenunterrichts. Sie hat dort ihre Grenze, wo der Lehrer die Vielzahl der Gruppen, ihr unterschiedliches Leistungsvermögen und Arbeitstempo nicht mehr überschauen und die verschiedenartigen Vorhaben nicht alle kontrollieren kann.“ Insgesamt betrachtet entspricht das Partnerlernen beim Konversationskurs (vgl. die Kursarten und ihre Zielsetzung in Kap. 3.3.2) zwar den in 1.2.5 besprochenen didaktischen Grundideen, aber die Unterrichtsbeobachtungen, die Lehrerinterviews sowie die jeweiligen Lehrbzw. Lernkontexte lassen erkennen, dass durch die Entscheidung für diese Sozialform Probleme entstanden sind. Hier lassen sie sich neben den institutionellen Rahmenbedingungen, die sich auf die Klassengröße und Raumgestaltung beziehen und bereits in Kap. 6 dargestellt wurden, unter den zwei folgenden Aspekten betrachten: 1) Lernerseite Partnerarbeit wird dann problematisch, wenn die Lernenden wenig engagiert teilnehmen bzw. eine Überforderung stattfindet. Dies zeigt sich in <?page no="405"?> 405 den folgenden Unterrichtskontexten: Z.B. im Kurs Konversation bei Gruppen D und F sollte wie in 8.2.2 erwähnt während der Partnerphase (bzw. Erarbeitungsphase) jeweils ein Dialog bzw. ein bestimmtes Thema in der Zielsprache eingeübt bzw. besprochen und dann später vorgestellt werden. Die Probleme dabei waren, dass einerseits wegen des niedrigen Sprachniveaus die zielsprachliche Kommunikation innerhalb einer Gruppe fast nicht möglich war und andererseits der Großteil der Studierenden den anderen in der Phase der Ergebnissicherung bzw. bei der Präsentation auch nicht zuhörte. Die Problematik dieser Situationen wird durch die folgenden Interviewaussagen von Lehrperson F sowie durch die Unterrichtsgespräche von Lehrperson D in Auszügen UT 8-37 und 8-38 verdeutlicht: „ (...) ein Punkt, der mich fast am meisten stresst, ist wenn Studenten irgendwas vortragen oder ein Rollenspiel machen, oder irgendwas sagen, oder auch nur antworten, dass die anderen dann nicht zuhören, oder dass viele Studenten zu leise sprechen. (...) gerade im Konversationsunterricht ist das doch ein großes Problem. Also einerseits finden die anderen, also die zuhören, die finden, erstens ist es zu leise, und zweitens wird da irgendwas in fehlerhaftem Deutsch gesagt, das ich sowieso auch nicht verstehe, also höre ich nicht zu. (...) vor allem hängt es damit zusammen, dass also ihr Deutsch nicht gut genug ist. Also erstens mal, die Leute, die was sagen, die können sich nicht gut genug ausdrücken, und die Zuhörer, die haben nicht genügende Fähigkeiten, um das auch zu verstehen. Also die Kommunikation innerhalb der Gruppe, die klappt nicht. Die Kommunikation zwischen mir und den Studenten, die finde ich O.K. (...). Ich glaube es liegt daran, dass die einfach noch zu wenig gute Deutschkenntnisse haben.“ (Lehrperson F) In den folgenden präsentierten Unterrichtssituationen ist auch deutlich zu sehen, dass während der Hinführungs- und Einübungsphase die notwendige Aufmerksamkeit auf der Lernerseite nicht hergestellt werden konnte. Auszug UT 8-37: Gruppe D - Anfangsphase der Partnerarbeit (29.12.2004, ca. 0: 02) L: (...) and you work with two persons, zwei Personen und ihr erzählt es euch, you tell your neighbor, ja? Ihr erzählt es euren Nachbarn auf Deutsch, ja? Ihr müsst euch (…), it is easier. I don´t always want to tell “speak with me in German”, you have to speak with your neighbor in German, not in Chinese, ja? (Only) in German. You can talk in German as much as you want, but please if you really want to learn the language, if you really want to learn it then do it in German, ja? Okay? S: Okay. (nur einige sagen das leise und nicken mit dem Kopf, die meisten unterhalten sich leise mit dem Banknachbar weiter) <?page no="406"?> 406 L: Gut. 2 Personen, mhm, (auf) Deutsch mit (dem) Nachbarn sprechen (...) So, when I go through, then I will take care, if you speak German. Ihr müsst Deutsch sprechen. Ihr könnt Deutsch sprechen so viel ihr wollt, okay? You can speak in German as much as you want, you can talk with your neighbor, but it should be German that I can understand everything. S: Haha... (einige lachen, die meisten unterhalten sich leise weiter) L: Okay? Gut. Auszug UT 8-38: Gruppe D - Während der Partnerphase (29.12.2004, ca. 1: 20: 11) L: … Moment, wenn ihr Deutsch sprechen wollt, versucht mal euch diese Konversation gegenseitig zu sagen. Speak with your neighbor german, ja? Es ist wirklich gut, wenn ihr auch untereinander Deutsch sprecht. If you really want to learn the language, it’s good if you talk with others German ( ) (viele KT unterhalten sich leise mit dem Banknachbar weiter, nur einige hören zu) Daraus ist ersichtlich, dass sich die Studierenden hier während der Einübungsbzw. Vermittlungsphase nicht so engagierten und konzentrierten, obwohl die Partnerbzw. Kleingruppenarbeit als Sozialform zweckmäßig eingesetzt wurde und Hilfe und Unterstützung durch den Lernpartner sowohl beim Üben als auch bei Verstehens- und Lernschwierigkeiten ermöglicht wurde (vgl. Nuhn 2000, 12). Ein ähnliches Problem wurde auch von Lehrperson E im Interview angesprochen, die Partnerarbeit bei der Fehlerkorrektur als Arbeitsform einsetzte: „ Zum Thema Korrektur (...), was ich manchmal auch mache, ist dieses „Sich gegenseitigen korrigieren“. Manchmal lasse ich Sachen austauschen. Ob es ein Arbeitsblatt ist oder ein Text, dass ich sage, O.K., tauschen Sie mal, oder geben Sie das Blatt mal zwei Sitze weiter und gucken sich das an (...), welche Fehler Sie da finden können. Ich finde das eigentlich auch eine gute Methode, weil man den eigenen Fehler gegenüber oft so blind ist (...). Aber wenn man den Text von jemand anders sieht, da hat man ein bisschen mehr Distanz, und (...) es ist einfach wichtig, dieses Nachdenken über Grammatik, also Bewusstmachung (...). Aber das ist alles ein bisschen theoretisch, da braucht man auch das Mitmachen der Studenten. Also ich erlebe dann manchmal, dass Studenten eben das sehr schlampig korrigieren. Die Aufgabe ist, korrigieren Sie, was der Nachbar geschrieben hat, und ich gucke dann so um und merke, die finden dann gar keine Fehler, dabei gibt es ganz einfache Fehler, die könnte man leicht feststellen. Wenn ich dann frage, gucken Sie doch nochmal, ist das richtig? Dann finden sie den Fehler auch. Aber sie konzentrieren sich nicht genug. Ja, also man muss sie dann sehr zwingen. <?page no="407"?> 407 Das finde ich ein bisschen schade, dass sie sich da nicht so engagieren. (...) also, ich kann diese Form anbieten, auf diese Weise könnt ihr was lernen, wir machen es jetzt mal so, aber wenn die dann nicht mitmachen, dann ist der Lerneffekt natürlich nicht sehr groß. Also das Wichtigste ist, dass sie mitmachen.“ (Lehrperson E) Abgesehen vom Sprachniveau könnten die Probleme mit engagierter Mitarbeit noch auf die Motivation und Lerneinstellung der Studierenden zurückgeführt werden, denn in allen Lernsituationen sind diese eine wesentliche Ursache für das Gelingen oder Nicht-Gelingen des Unterrichts. Dies hängt wesentlich davon ab, ob im Unterricht ein positives Lernklima geschaffen wird. Aus den zuvor in 7.1.2 (Abb. 7-7 und 7-9, S. 236, 238) präsentierten Ergebnissen wird deutlich, dass sich der Faktor Lernklima im Klassenzimmer auf die Motivation auswirkt, weil er von den Studierenden fast gleich als Motivations- und Demotivationsquellen im Unterricht bewertet wird. D.h., der Einfluss des Lernklimas auf die Motivation drückt sich darin aus, ob die Studierenden sich während des Unterrichts sowohl innerhalb der Gruppe als auch in frontalen Situationen tatsächlich engagieren und bereit sind, mitzumachen. Weiterhin könnte die Lerneinstellung, die wie in 7.2 dargestellt sehr prüfungs-, leistungs- und zweckorientiert ist, auch eine der Ursachen für wenig Engagement sein und hemmt somit das handlungsorientierte Lernen in der Partnerbzw. Kleingruppenarbeit. Das Lernverhalten der Lernenden birgt also viele Ursachen für Probleme. 2) Lehrerseite In den Unterrichtsbeobachtungen wurde bemerkt, dass die muttersprachlichen Lehrkräfte während der Partnerbzw. Kleingruppenarbeit möglichst auf alle einzelnen Gruppen einzugehen versuchten. Wenn jedoch wie in der eben dargestellten Situation von Gruppe D zeitgleich die Lehrperson die Ergebnissicherung übernimmt, steht sie den weiterhin arbeitenden Lernenden für Hilfestellungen nicht zu Verfügung. Dies führte einerseits dazu, dass sich die bei der Erarbeitung auftretenden Probleme nicht rechtzeitig mit Hilfe der Lehrperson beseitigen ließen, und andererseits war die Lehrperson auch nicht darüber orientiert, ob die Lernaktivität (also das Partnerlernen) innerhalb der Gruppe tatsächlich stattfand und welche Probleme überhaupt auftraten, d.h., der Lernprozess der einzelnen Gruppen geriet außer Kontrolle. Laut Hallet (2006, 86) und Schwerdtfeger (2003, 256f.) ist aber die Lehrperson während der Partnerbzw. Gruppenphase auch nicht frei, sondern deren Aufgabe ist, den Einzelgruppen zu jeder Zeit Beratung und Unterstützung anzubieten: <?page no="408"?> 408 „Konzentrierte Aufmerksamkeit ist erforderlich, damit gewährleistet ist, dass solche Zeichen, die Hilfsgesuche signalisieren, auch wahrgenommen werden. Die Lehrenden sind im Verlaufe der Gruppenarbeit Koordinatoren der Aktivitäten, vor allen Dingen aber Berater der Einzelgruppen bei Problemen und Schlichter bei Störungen. Die Lehrenden müssen darauf vorbereitet sein, mit einzelnen Lernenden innerhalb einer Gruppe in intensiveren Kontakt zu kommen, als dieses in konventionellem gruppenarbeitsfreien Unterricht gegeben ist.“ (Schwerdtfeger 2003, 256f.) Weiterhin scheinen die sich aus dem Einsatz der Partnerarbeit ergebenden Probleme teilweise auch aus der veränderten Lehrerrolle zu ergeben (vgl. dazu die Ausführungen in 7.2.3 über das Lehrer-Schüler- Verhältnis). Bei der direkten Methode wird die Lehrperson weniger als Autorität, sondern vielmehr als Partner angesehen. Das Problem bei den taiwanischen Studierenden liegt vermutlich in der widersprüchlichen Rollenerwartung. D.h., die Lernenden wünschen sich einerseits muttersprachliche Lehrkräfte in der Rolle eines Freundes und nicht als Autorität, aber andererseits erwarten sie von ihnen dann doch ein in gewissem Maße autoritäres Verhalten (vgl. Grütter-Lin 2004, 215 und vgl. dazu 7.2.3). Wenig autoritäres Verhalten auf Lehrerseite wie im untersuchten Beispiel (z.B. bei D) etwa erweckt bei den Lernenden den Eindruck, es sei nicht wichtig, bei der Einführung der Aufgabenstellung bzw. der Vorstellung der Dialoge durch die anderen Lernenden zuzuhören. Von daher schenkten die meisten Gruppen nach der Präsentation ihres eigenen Dialogs den anderen Präsentationen keine Aufmerksamkeit mehr. Die mangelnde zeitliche Strukturierung war außerdem für sie ein Signal dafür, dass sie sich nicht besonders anstrengen müssen, da ja die ganze Unterrichtsstunde für diese Aufgabe verwendet werden konnte. Dies hat zur Folge, dass die Lernenden wenig Konzentration und Aufmerksamkeit aufbringen und weniger zielgerichtet arbeiten als bei autoritär auftretenden Lehrpersonen. Die Lernenden erwarten gewohnheitsmäßig aber klare Prinzipien und Strukturen im Unterricht, die durch die so gestaltete Partnerarbeit nicht gegeben sind. Aus pädagogischer Sicht ist das Verhalten dieser Lehrperson nicht sehr adäquat und könnte auf mangelnde pädagogische Kenntnisse hinweisen, die ja eine der Voraussetzungen für das erfolgreiche unterrichtliche Handeln der Lehrkraft sind. Zusammenfassung und Diskussion Aus den oben diskutierten Sachverhalten lassen sich Probleme beim Einsatz des Frontalunterrichts und der Partnerarbeit im DaF-Unterricht erkennen. Schlussfolgerungen darüber, welches nun die „bessere“ Sozialform ist, können und sollen dadurch aber keine gezogen werden. Es kommt immer darauf an, ob eine bestimmte Sozialform mit ihren spezifischen sprachdidakti- <?page no="409"?> 409 schen Potentialen für bestimmte Phasen geeignet ist und die verschiedenen Sozialformen zu einer kohärenten Gesamtgestaltung des Unterrichts zusammengeführt werden können (vgl. Schramm 2010, 1182). Denn jede Sozialform hat didaktisch und pädagogisch ihren eigenen Stellenwert und ihre Funktionen, wie in der didaktischen Literatur bereits mehrfach diskutiert und betont wurde. 202 Der Wechsel der Sozialformen dient der Förderung des sprachlichen und sozialen Lernens, denn während der unterschiedlichen Sozialphasen nehmen die Lernenden unterschiedliche Lernerrollen ein und werden auch anders gefordert, um die Aufgaben entweder selbständig oder gemeinsam zu erledigen. Gudjons (2008, 10f.) formuliert das wie folgt: „Die neuere empirische Lernforschung hat überzeugend belegt, dass zum Erreichen grundlegender Unterrichtsziele verschiedene Methoden mit unterschiedlichen Akzenten eingesetzt und miteinander verbunden werden müssen: direkte Instruktion, offener Unterricht, Projektarbeit, Teamarbeit und individualisiertes selbstständiges Lernen. Vernetzte Wissensstrukturen entstehen durch unterschiedliche methodische und inhaltliche Zugänge zu einem Thema. (Reinmann-Rothmeier/ Mandl 1998, Weidenmann 2002) Dabei gibt es methodisch nicht den »Königsweg« für gelingendes Lernen. Weder Gruppenarbeit, Stationenlernen, Wochenplan, Freiarbeit, Projektunterricht noch das Vor-der-Klasse-Stehen als Frontalsituation sind Garanten für den Aufbau von Wissen, Kompetenzen und Motivation. Keine Sozialform allein macht effektiven Unterricht aus.“ Zu ergänzen wäre, dass die Wahl der passenden Sozialformen von der Art des jeweiligen Kurses, dem jeweiligen Lehr-/ Lernziel und der Lernergruppe abhängig ist. Allerdings ist die Voraussetzung einer sinnvollen Entscheidung über die geeigneten Sozialformen, dass die Lehrkräfte damit überhaupt vertraut sind, d.h. dass sie über die entsprechenden didaktischen, methodischen und nicht zu vergessen auch die pädagogischen Kenntnisse verfügen. Letztere sind z.B. dazu notwendig, um seine Rolle bzw. das Verhalten gegenüber den Lernenden je nach Unterrichtsphase auf adäquate Weise zu verändern. Die o.g. Kenntnisse stellen eine Hilfe bei der Entscheidungsfindung im Unterricht dar und hängen mit der Ausbildung, den Möglichkeiten der Weiterbildung und der Reflexion des unterrichtlichen Handelns von Lehrkräften eng zusammen (vgl. dazu 8.5 und 8.6). Da Unterrichtsmethode, Unterrichtsstil sowie Lehrverhalten der einzelnen Lehrperson immer mehr oder weniger von ihren eigenkulturellen Lehr- und Lerntraditionen geprägt sind, sollten sich die Lehrkräfte außerdem dessen bewusst und bereit sein, dies zu reflektieren bzw. zu ändern. 202 Vgl. Storch 1999, Nuhn 2000, Walter 2003, Schwerdtfeger 2003, Gudjons 2008, Schramm 2010 etc. <?page no="410"?> 410 Die Auswertung der Unterrichtsbeobachtungen machen diese Gewohnheiten deutlich, und die eingesetzten Sozialformen erzielen im anderen kulturellen Kontext auf der Lernerseite andere Wirkungen. Unabhängig von der Herkunft verwenden die Lehrpersonen die Sozialform in einer bestimmten Lehr- und Lerntradition bzw. mit einem bestimmten Konzept. So verwenden z.B. die nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte hier in der Vermittlungsbzw. Erklärungsphase gewöhnlich darbietende Verfahren, in der Einübungsphase unterrichten sie fragend-entwickelnd. Die muttersprachlichen Lehrkräfte hingegen unterrichten fragend-entwickelnd in der Vermittlungsbzw. Einübungsphase und bei der Erklärung eher darbietend. Es ist jedoch notwendig, die Ausgangslage der jeweiligen Lernergruppe sowie das Lernverhalten zu beachten, um die Sozialform daraufhin zu überprüfen, ob sie angemessen ist im gegebenen Kontext. Genauso wichtig ist es, die verschiedenen Unterrichtsphasen und ihre Funktion im Zusammenhang mit dem jeweiligen Lernziel zu beachten. Da die taiwanischen Lernenden, die seit langem von den konfuzianischen Lehr- und Lerntraditionen geprägt sind, im Unterricht eher zurückhaltend und passiv bleiben, ist es somit notwendig, Formen auszuwählen, die dem entgegenwirken. Im kommunikativen Unterricht ist die aktive Beteiligung und Mitwirkung der Lernenden notwendig, diese Zielgruppe der taiwanischen DaF-Lernenden hat jedoch Lernerfahrungen, in denen dieses Verhalten ungewohnt ist und schrittweise eingeübt werden muss. Die eingesetzten Sozialformen müssen also auch im Zusammenhang mit den Lehr- und Lerntraditionen sowie den Lerngewohnheiten etc. gesehen werden, damit der Unterricht erfolgreich ist. 8.4 Unterrichtsmaterialien Materialien können unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden, wie z.B. inhaltliche Gestaltung, Visualisierung, Übungsbzw. Aufgabentypen etc. Mit Unterrichtsmaterialien sind hier Inhalte und Gestaltungsformen der Unterlagen gemeint, die die Lehrenden zur Vermittlung bzw. zum Einüben der drei untersuchten Grammatikthemen verwendetet haben. Dazu gehören nicht nur Materialien in Textform (z.B. Lehrbuchtexte), sondern auch Beispielsätze, Unterrichtsgespräch, medienbzw. computergestützte Formen wie Bilder, Folien, CDs, VCDs bzw. DVDs etc. (vgl. Rösler 1994, 73f.; Edmondson / House 2006, 320). Inhaltsauswahl und Gestaltung des Materials hängen vom Lerngegenstand und auch von konzeptuellen Überlegungen der Lehrperson ab. Sie sind von großer Bedeutung, weil sie bei den Lernenden Motivationsschwankungen verursachen (vgl. dazu 2.2, dies wurde in den unter 7.1.2 vorgestellten Ergebnissen des Fragebogens (1) bereits bestätigt). Vor der Analyse der Problemfelder soll aber zunächst ein Überblick <?page no="411"?> 411 (Tabelle 8-14) über die von den Lehrkräften verwendeten Lehr-/ Übungsmaterialien, die hier relevant sind, gegeben werden. Anschließend werden vor allem die Probleme im Zusammenhang mit der Materialgestaltung unter dem Aspekt der Darstellungsweise, der Inhaltsbzw. Themenauswahl sowie der visuellen Hilfsmittel fokussiert, analysiert sowie Alternativen dazu vorgeschlagen, da der Aspekt der Übungsgestaltung in Bezug auf die methodische Durchführung bereits in 8.2.2 besprochen wurde. Tabelle 8-14: Überblick über die verwendeten Materialien und ihre Gestaltung (A) Lehrmaterialien Beispiele Gruppen Funktion in der Unterrichtsstunde Merkmale der Materialgestaltung Inhalte Darstellungsweise Visuelle Mittel  Abb. 8-1 (S. 321)* C Als Tafelbeispiele zur Wiederholung des sein- Passiv alltagsorientiert Einzelsätze —  Abb. 8-2 (S. 331)* E Als Tafelbilder zur Wiederholung des Passivs alltagsorientiert bildgestützte Einzelsätze Tafelbilder  Abb. 8-3 (S. 349)* F Als Bildmaterial zur Wiederholung des Vorgangs- und Zustandspassiv kontextuell landeskundlich kulturbezogen bildgestützte Beispielsätze Situationsbilder  Abb. 8-4 (S. 354)* B Als Tafelbeispiele zur Einführung des Konj. II alltagsorientiert, aber unverbunden einzelne Beispielsätze je nach Gebrauch —  Abb. 8-13 B Als Tafelbeispiele zur Einführung des Passivs praxisorientiert, aber unverbunden einzelne Beispielsätze —  Abb. 8-15 E Als Bildmaterial zur Wiederholung der Wechselpräpositionen alltagsorientiert landeskundlich bildgestützte Beispielsätze Verbildlichungen <?page no="412"?> 412 (B) Übungsmaterialien Beispiele Gruppen Funktion in der Unterrichtsstunde Merkmale der Materialgestaltung Inhalte Darstellungsweise Visuelle Mittel  Abb. 8-5 (S. 357)* F Als Arbeitsblätter zur Wiederholung des Konj. II alltagsorientiert situativ in Form von Aufgabenstellung —  Abb. 8-6 (S. 363)* A Als Übungsblatt zum Einüben des Konj. II alltagsorientiert, aber unverbunden Umformungsübungen —  Abb. 8-7 (S. 368)* D Als Arbeitsblatt zum Dialogvorspiel alltagsorientiert situativ in Form von Aufgabenstellung Situationsbilder  Abb. 8-8 (S. 372)* D Als Arbeitsblatt zum Dialogvorspiel alltagsorientiert situativ in Form von Aufgabenstellung Situationsbilder  Abb. 8-14 A Als Übungsblatt zur Wiederholung des Passivs praxis-/ alltagsorientiert, aber teils unverbunden Lückentexte —  Abb. 8-25 F Als Übungsblatt zur Wiederholung des Passivs kontextuell landeskundlich Lückentext vs. Umformungsübungen —  Abb. 8-26 E Als Arbeitsblatt zur Wiederholung des Passivs kontextuell landeskundlich halboffene Übung Situationsbilder * Das ist ein Verweis darauf, dass die hier numerische Abbildung bereits im vorhergehenden Kapitel präsentiert wurde, und zwar auf der angegebenen Seitenzahl. Die nicht markierten Abbildungen werden dann im vorliegenden Kapitel vorgestellt. Die in Tabelle 8-14 markierten Materialien wurden bereits zuvor unter anderen Aspekten abgebildet, es wäre also überflüssig, sie nochmal zu präsentieren. In Hinsicht darauf wird hier an den relevanten Stellen nur ein Rückverweis darauf gemacht und dann direkt mit der Problemanalyse angefangen. <?page no="413"?> 413 8.4.1 Mangel an kontextuellen bzw. interkulturellen Inhalten Das Design der Unterrichtsmaterialien steht mit den verwendeten Lehrmethoden und ihren charakteristischen Übungen in einem untrennbaren Zusammenhang. Beispielsweise sind Lückentexte und Umformungsübungen nach vorgegebenem Muster charakteristisch für die GÜM, Nachspielen von Dialogen, Rollenspiele, Simulationen, Diskussionen etc. hingegen sind typisch für die kommunikativ orientierten Methoden. Dies ist hier anhand des didaktischen Handelns in Bezug auf die eingesetzten Übungsformen (Tabelle 8-7, S. 343) und der Lehr-/ Lernverfahren 203 deutlich zu sehen. Das Problem liegt dabei aber nicht in den eingesetzten Übungsformaten, sondern in der inhaltlichen Gestaltung. Es geht also um die Frage, ob die gewählten Beispielsätze bzw. die schriftlich erstellten Materialien inhaltlich eine didaktisch sinnvolle Funktion erfüllen sowie lerner- und praxisorientiert sind. Blicken wir z.B. auf Abb. 8-4 (bei B, S. 354) und 8-6 (bei A, S. 363) in 8.2 zurück, so wird klar, dass die aufgeführten Beispielsätze und die Umformungsbzw. Strukturübungen funktionell nur zum Erkennen der Grammatikform (hier Konjunktiv II) bzw. zur Festigung des Regelwissens dienen. Inhaltlich gehören sie zwar zur Alltagssprache, aber sie wurden nicht auf sinnvolle Weise situativ, kontextuell bzw. interkulturell eingebettet und waren daher zusammenhangslos. 204 Dadurch werden diese Beispielbzw. Übungssätze von Lernenden nur formal in Hinsicht auf die Regeln und Formen (des Konjunktiv II), aber nicht inhaltlich verarbeitet und stehen damit einer von Inhalten ausgehenden spontanen Sprachverwendung vermutlich nicht direkt zur Verfügung (vgl. Koeppel 2010, 182), obwohl laut Jenkins (1994, 35ff.) dieses Grammatikthema für eine Verknüpfung mit interkulturellen Inhalten besonders gut geeignet ist: nämlich durch die Erstellung von Lehrbzw. Übungsmaterialien zu Modalverben oder Wenn- Sätzen, um höfliche Bitten, Ratschläge, Vermutungen, Wünsche etc. auszudrücken. Dies sind sprachlichen Formen, die in solchen Zusammenhängen typischerweise vorkommen und mit den kommunikativ eingebetteten grammatischen sowie lexikalischen Übungsaufgaben gut kombinierbar sind. Bei Materialien, in die die sprachlichen, landeskundlichen und kulturbezogenen Inhalte sinnvoll integriert werden, geht es vom didaktischen Standpunkt her gesehen nicht lediglich um den Erwerb von Sprachwissen, sondern auch um die Förderung der interkulturellen Kompetenz. 203 Siehe dazu die unter 8.2 angeführten Korpora wie z.B. in Auszügen UT 8-22, 8- 23, 8-25 etc. 204 Beim Zustandspassiv liegt auch derselbe Fall vor, d.h., die Beispiel- und Übungssätze stehen isoliert da. <?page no="414"?> 414 Die genannten Probleme hinsichtlich der inhaltlichen Auswahl und Darstellungsweise des Lehrbzw. Übungsmaterials betreffen auch die Präpositionen (Abb. 8-10) 205 und das (Zustands)passiv, wie es z.B. in Abb. 8-13 und 8-14 unten der Fall ist. Unterrichtssituation: Bei Gruppe B erfolgt die Grammatikdarstellung generell durch die Einführung von Regeln, die anhand der Tafelbeispiele vermittelt bzw. erklärt werden. Diese Beispiele kommen als Lehrmaterial zum Einsatz. Sie sind meist unverbundene Einzelsätze, die entweder dem Grammatikbuch entnommen oder von der Lehrperson selbst produziert werden. So werden hier z.B. der Gebrauch und die Strukturen des Passivs anhand der Tafelbeispiele vermittelt. Abb. 8-13: Tafelbeispiele als Lehrmaterial zum Passivgebrauch von Gruppe B 1. Herr Müller wird zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Herr Müller wurde zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Herr Müller ist zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt worden. (Präsens) (Präteritum) (Perfekt) 2. Die Polizei gibt den Wagen zurück. Der Wagen wird von der Polizei zurückgegeben. Der Wagen ist (von der Polizei) zurückgegeben worden. 3. Moritz antwortet mir. Mir wird geantwortet bzw. es wird mir geantwortet. 4. Bomben zerstörten die Häuser. Die Häuser wurden durch Bomben zerstört. 5. Die Polizei konnte den Entführer verhaften. Der Entführer konnte von der Polizei verhaftet werden. Der Entführer hat von der Polizei verhaftet werden können. 6. Das Haus wird verkauft. Das Haus ist verkauft (worden). Beim Lehrmaterial zum Passiv in Abb. 8-13 (bei B) liegt der konzeptionelle Fokus erkennbar auf den Grammatikphänomenen, also den Formen und Strukturen. Ein Vorteil dieser Grammatikdarstellung ist, dass Formen und Strukturen des Passivs systematisch vorgestellt und durch die Markierung hervorgehoben werden. Aber genau das stellt hier ein Problem dar, da zu stark auf Form und Strukturen fokussiert und der sprachliche Inhalt vernachlässigt wird. Diese einzelnen Beispielsätze ohne Kontext scheinen inhaltlich weder alltagsnah noch lernerorientiert. Außerdem müsste bei der 205 Vgl. Kap. 8.2.2. <?page no="415"?> 415 Inhalts- und Wortschatzauswahl hier noch beachtet werden, dass durch diese Sätze unter Umständen ein völlig verzerrtes Bild von den deutschsprachigen Ländern entstehen könnte, wie z.B. hier durch die Wörter Gefängnis, Polizei, Bomben, Entführer etc. Denn „der Abgleich zwischen Bedeutungen, Formen, Ausdrucksweisen in der Fremdsprache und der eigenen Sprache passiert unwillkürlich in jedem Sprachlernprozess“ (Fandrych 2010, 1015). Unterrichtssituation: Bei Gruppe A setzt die Lehrperson meist die selbst erstellten Materialien zum Wiederholen bzw. Einüben der behandelten Grammatikphänomene ein. Um das Zustandspassiv einzuführen, werden zuerst Aktiv und Vorgangspassiv anhand der einzelnen Beispielsätze auf Folien progressiv wiederholt. Dann erfolgt der Text „Vom Blech zum Auto“ 206 , der aus Themen neu 2 ohne Bildbegleitung entnommen wurde, um die Struktur und den Gebrauch des Passivs hervorzuheben. Das im Text vorkommende Vokabular wie Montageteil, Lastwagen, Blech etc. wird auch von der Lehrperson auf Chinesisch erklärt. Bevor die unten präsentierten Übungen (Lückentexte) durchgeführt werden, wird noch eine textgebunde Übung (also Einordnen von Satzteilen) 207 aus Themen neu 2 geboten. Die Übungen hier werden vorwiegend von der Lehrperson geleitet und finden wie zuvor in Auszügen UT 8-35 (S. 400) und 8-36 (S. 401) präsentiert durch fragend-entwickelnde Weise (also in Form von Frage-Antwort-Dialog) statt. Mit Hilfe davon werden Vorgangs- und Zustandspassiv eingeübt und vertieft. Abb. 8-14: Übungsmaterial zum Passiv von Gruppe A Bilden Sie bitte passive Sätze! (Quelle: vgl. Themen neu 2, Kursbuch 1994, 53) Was passiert in der Autofabrik Opel in Rüsselsheim? 1. In der Karosserieabteilung formt eine komplizierte Maschine die Bleche? In der Karosserieabteilung . 2. Das sind Roboter. Sie schweißen die Karosserieteile. Hier die Karosserieteile . Diese Arbeit von gemacht. 3. In der Montageabteilung arbeitet Bernt Ebers. Er montiert Motor, Reifen, Lampen und Bremslichter. Was in der Montageabteilung gemacht? --- Hier Motor, , und . 4. Zum Schluß prüft man das ganze Auto. Zum Schluß . 5. In einem Autohaus in Leipzig verkauft Kristine Krüger gerade ein Auto. 206 Ausführliches zum Bildtext „Vom Blech zum Auto“ siehe in Themen neu 2, Kursbuch (1994, 52). 207 Ausführliches zu der Übung „Sätze zusammensetzten“ siehe ebenfalls in Themen neu 2, Kursbuch (1994, 52). <?page no="416"?> 416 In einem Autohaus in Leipzig gerade ein Auto . Bilden Sie situatives Passiv (Zustandspassiv)! 1. Plant die Firma nicht, ein neues Haus zu bauen? --- Doch, ein Neubau (planen). 2. Hatten Sie Ihren Wagen falsch geparkt? --- Ja, der Wagen falsch . 3. Haben Sie sich verletzt? --- Nein, ich nicht (verletzen). 4. So, die Koffer (packen), jetzt kann die Reise beginnen. 5. Das Haus seit 1945 (zerstören). 6. Nach dem Unfall mein Wagen schwer (beschädigen), und ich muss ihn zur Reparatur bringen. 7. Als ich dort ankam, das Kaufhaus schon (schließen). 8. Wie lange die Läden (öffnen)? 9. Entschuldigen Sie! der Platz hier (besetzen)? 10. Die alten Apparate noch sehr gut (erhalten). 11. Das Problem muß man zuerst lösen. --- Das Problem schon . Betrachten wir zuerst das Übungsmaterial in Abb. 8-14 (bei A) und seine unterrichtliche Anwendungssituation. Da ist die grammatische Progression (Aktiv → werden-Passiv → sein-Passiv) zum Einüben der Passivstrukturen gut durchdacht. Die Lernenden können dabei mit Hilfe einer Vorlage die Passivform und -struktur einüben sowie vertiefen. Problematisch ist, der erste Übungsteil zum Vorgangspassiv, der inhaltlich aus Themen neu 2 (Kursbuch) entnommen und dann zum Übungsformat Lückentext entwickelt wurde, ist zwar in einen Kontext eingebettet und darin wird in gewissem Maße auch auf die Landeskunde Bezug genommen. Aber hier stellt sich die Frage, ob das Thema und die Inhalte tatsächlich lernerorientiert sind bzw. ob die Übungsbeispiele für die Lernenden genügend auf den Sprachalltag bezogen sowie kommunikativ sinnvoll sind, da das Vokabular aus Fachbegriffen (z.B. Karosserieabteilung, Montageabteilung etc.) besteht und die Lernenden überfordern könnte. Dies ist durch den Einübungsprozess in Auszug UT 8-35 208 in Hinblick auf das didaktische Handeln und die studentische Reaktion bemerkbar. Auch wenn das Vokabular vorher von der Lehrperson auf Chinesisch erklärt wurde. Beim zweiten Übungsteil zum Zustandspassiv gibt es keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Beispielsätzen, d.h., in jedem Satz wird ein neuer Inhalt vorgestellt. Ohne kontextuellen Zusammenhang wirkt das explizite Grammatiklernen nicht sehr langfristig und nachhaltig, so dass das Gelernte für die spätere Sprachanwendung außerhalb des Klassenzimmers nicht unbedingt zur Verfügung steht (d.h. der Mechanismus Explizites → Implizites funktioniert nicht). Von der Funktion her eignet sich das Übungsmaterial, mit dem die Lernenden 208 Vgl. dazu Kap. 8.3. <?page no="417"?> 417 selbsttätig bearbeiten und ihr Vorwissen dafür benutzen können, somit weniger zur Einführung bzw. Einübung der Form sowie Struktur, sondern eher zum Selbstlernen bzw. als Testaufgabe. Von daher ist diese Materialkonzeption, mit der die Lernenden sowohl die gerade eingeführten Grammatikphänomene festigen als auch bei der Übungserarbeitung noch Neues lernen sollen, nicht so leicht realisierbar und sinnvoll. Allerdings könnte es den Lernenden vor allem beim ersten Übungsteil aufgrund der Überforderung durch das Vokabular schwer fallen, ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig auf die grammatischen Phänomene und den Wortschatz zu lenken. Die Frage, wie die zu behandelnden grammatischen Phänomene (sprachlichen Elemente) durch die situative bzw. kulturbezogene Einbettung in das Lehrmaterial sinnvoll und lernergerecht integriert werden können, stellt anscheinend ein Problem für einige der Lehrerprobanden dar. Z.B. bei den Gruppen A, B und C wurde in der Grammatikstunde zwar je nach Kontext gelegentlich Bezug auf interkulturelle Inhalte genommen, aber das interkulturelle Lernen, das zwar wie in 1.2.4 erwähnt momentan die Hauptströmung der Theorie des L2-Unterrichts ist, stand nicht im Mittelpunkt des Unterrichts und spielte nur eine untergeordnete Rolle. Das Problem mit der Kombination von sprachlichen und landeskundlichen bzw. interkulturellen Inhalten trat sowohl bei den nicht-muttersprachlichen Probandengruppen auf als auch manchmal bei den muttersprachlichen. Dies wurde bereits durch die unter 8.1 und 8.2 präsentierten Unterrichtsinhalte erkennbar, obwohl aus den Unterrichtsbeobachtungen und den vorher präsentierten Beispielen 209 hervorgeht, dass die didaktisch-methodischen Überlegungen zur Grammatikprogression z.B. beim Zustandspassiv und Konjunktiv II in der Vermittlungsbzw. Einübungsphase eigentlich gut angestellt waren, nämlich: Zustandspassiv: Aktiv→Passiv (also Aktiv→ Vorgangspassiv→Zustandspassiv) Konjunktiv II: Präteritum→Konjunktiv II Trotzdem sind die vorher vorgestellten einzelnen Tafelbeispielbzw. Übungssätze (z.B. Abb. 8-2, 8-6, 8-13, 8-14(B) 210 etc.) von der inhaltlichen Gestaltung her zusammenhangs- und kontextlos, der interkulturelle Aspekt fehlt ebenfalls. Dadurch ist es teilweise erklärbar, warum der Faktor „Sie gestalten den Unterricht langweilig“ als Hauptursache für die Nachteile bei den taiwanischen Lehrkräften in der Grammatikstunde genannt wird (44,9% der Lernerprobanden stimmen zu), wenn wir auf die Ergebnisse der Frage 39 bei Fragebogen (1) in Tabelle 8-5 zurückblicken (siehe in 8.1.2). Funktionell könnten diese isolierten Beispielbzw. Übungssätze zwar zum formalen, 209 Also, wie z.B. die Auszügen UT 8-12, 8-13, 8-17 und die Abb. 8-2, 8-13, 8-14 etc. 210 Also damit ist hier der zweite Teil gemeint. <?page no="418"?> 418 expliziten Grammatiklernen bzw. zur Automatisierung der betreffenden Regeln beitragen, aber sie stehen für die tatsächliche Sprachverwendung nicht unbedingt zur Verfügung. Dies ist bereits durch die unter 7.3.2 dargestellten Ergebnisse des Grammatiktests erkennbar, und Koeppel (2010, 184f.) beschreibt sehr treffend: „(...), dass Übungen, die ausschließlich als formale Manipulation von Sprachelementen betrieben werden können, zwar durchaus zu automatisiertem Wissen führen können, dass dieses aber in authentischer Kommunikation, die immer von Aussageabsichten ausgeht, nicht abgerufen werden kann, weil das Übungsgeschehen ja gerade die Verbindung von Intentionen und Sprachmitteln nicht gefördert hat. Sind Grammatikübungen aber situativ und kontextuell eingebettet, ist die Chance größer, dass das Geübte auch für die Kommunikation zur Verfügung steht.“ Bei der Erstellung bzw. Auswahl der Kursmaterialien sollte deshalb nicht nur die entsprechende grammatische und situative Einbettung berücksichtigt werden, sondern auch die inhaltliche Gestaltung (also Themen, Wortschatz, Landeskunde etc.) sowie die Vorkenntnisse, Erfahrungen und Bedürfnisse der Zielgruppe. Dies formuliert Rösler (1994, 96f.) wie folgt: „In der Lehrmaterial- und Lehrplanentwicklung, in der ja nicht nur grammatische und situationale Progressionsüberlegungen angestellt werden müssen, sondern in der diese auch noch mit den Anforderungen an Textsorten- und Übungsvielfalt, Steil- oder Flachheit der Wortschatzprogression, landeskundlichen Erwägungen usw. in Einklang gebracht werden müssen, geht es eher handwerklich zu; es wird versucht, diese vielen Anforderungen soweit wie möglich auszubalancieren und je nach vorhandenem Grad der Konkretheit der Lernziel- und Zielgruppenbestimmung auf diese zu beziehen.“ 8.4.2 Mangel an visuellen Mitteln Die visuellen Mittel (also Bilder) haben didaktisch hinsichtlich ihrer illustrativen und kommunikativen Funktion eine nicht zu unterschätzende Wirkung, denn dadurch können je nach Thema sowohl die sprachlichen Elemente als auch der Situationskontext und landeskundliche bzw. kulturbezogene Informationen gut übermittelt werden. Wie bereits in 8.2.1 erwähnt erleichtern sie beim L2-Unterricht nicht nur die Veranschaulichung der Grammatikstrukturen und die Bedeutungsvermittlung/ -erschließung des Gegenstands, sondern können als Gedächtnisstütze für das Gelernte dienen sowie Informationen über die Zielkultur vermitteln. Weiterhin können sie wie in 8.2.2 genannt auch für die Übungen bzw. Aufgaben zum Einsatz kommen, wobei sie sich als Sprechanlass anbieten, um die Fertigkeiten der Lernenden wie Sprechen, Schreiben, Grammatik etc. zu fördern. <?page no="419"?> 419 Aus der Unterrichtsanalyse (Tabelle 8-7) und der Materialanalyse (Tabelle 8-14) geht aber hervor, dass in den hier untersuchten Kursen die visuellen Mittel nur von den muttersprachlichen Lehrkräften häufig eingesetzt wurden, z.B. zum Erklären/ Üben der untersuchten Grammatikphänomene (bei E und F) oder zu einem bestimmten Gesprächsthema (bei D, E und F), wie es z.B. in den Abb. 8-3 (Passivstruktur bei F) bzw. 8-15 (Präpositionen bei E) der Fall ist. Hingegen fanden sie kaum Anwendung im Unterricht der nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte, wobei die Grammatik generell deduktiv anhand der einzelnen Tafelbeispielsätze behandelt sowie mündlich in einer situativen Einbettung erläutert wurde (vgl. 8.2). Die Nachteile dieses Vorgehens wurden bereits in 8.1 und 8.2 dargestellt und werden deshalb an dieser Stelle nicht nochmal erwähnt. Unterrichtssituation: Bei Gruppe E kommen generell die von der Lehrperson selbst erstellten Lehr- und Übungsmaterialien zum Einsatz. Zur Wiederholung werden die Wechselpräpositionen induktiv im Unterricht durchgenommen. Dabei muss der aufgerufene Studierende nach vorne kommen und mit Hilfe der drei Gegenstände (also dem Mann, dem Hund und dem Karton), die auf dem Tisch stehen, die von der Lehrperson genannte Präposition darstellen. Erst dann werden die Bedeutung und der Gebrauch der Präpositionen anhand des Bildmaterials (Abb. 8-15) eingeführt, veranschaulicht sowie im Zusammenhang mit den diesbezüglichen Verben (z.B. stehen, liegen, hängen etc.) behandelt, also in Bezug auf ihre Eigenschaften (Bewegung oder Position). <?page no="420"?> 420 Abb. 8-15: Lehrmaterial zu den Präpositionen mit Dativ oder Akkusativ (Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache 2003, 797) Anhand des obigen Bildmaterials lassen sich die Kernbedeutung und der Gebrauch von Wechselpräpositionen anschaulich aufzeigen, obwohl die angeführten Beispielsätze nicht kontextgebunden sind. Für die drei untersuchten Grammatikthemen eignet sich die visuelle Didaktik in der Vermittlungsbzw. Einübungsphase sehr, um Regeln, Formen und Gebrauchssituationen zu verdeutlichen. Denn vom kognitiven Aspekt her wirkt laut Roche (2010, 1247, nach Ansicht von Mayer und Schnotz) die <?page no="421"?> 421 Visualisierung erst lernfördernd, „wenn sprachliche und visuelle Information in eine gemeinsame Repräsentation integriert werden können“, denn nur dann „kann sinnstiftendes und nachhaltiges Lernen stattfinden (generative learning principle, vgl. Mayer 2005; Schnotz 2005).“ Aufgrund dieser Überlegungen präsentiere ich im Folgenden anhand der unter 8.1 und 8.2 dargestellten didaktischen und methodischen Problemstellungen zu jedem der untersuchten Grammatikthemen ein paar gelungene Beispiele von Materialien der Lehrerprobanden oder aus DaF-Lehrwerken, und zwar in Bezug auf die Anschaulichkeit und die Kontextualisierung. 8.4.3 Didaktische Alternative Präpositionen Funktion und situative Verwendung der Wechselpräpositionen lassen sich, wie bei den meisten Präpositionen mit lokaler Bedeutung, durch visuelle Veranschaulichung (z.B. in Abb. 8-15) gut erklären und werden deshalb in Lehrbüchern häufig in dieser Weise präsentiert, wie z.B. bei Optimal, Schritte Plus, Tangram aktuell etc. Prinzipiell sind die Wechselpräpositionen im Unterricht auch durch eine rein mündliche Erklärung an Beispielen gut verdeutlichbar. Probleme ergeben sich dabei aber vor allem bei den Präpositionen, die nur schwer logisch erklärbar sind oder bei denen inter-/ intralinguale Interferenzen 211 die korrekte Anwendung erschweren. Dies geht aus den Testergebnissen deutlich hervor. Außer der in 8.1.4 erwähnten Didaktisierungsvorschläge von Bellavia sind in diesen Fällen Situationsbilder oder ein konkreter situativer Kontext für das Entwickeln der Sinnvorstellungen auch hilfreich. Da visuelle Veranschaulichungen in der Praxis nicht immer möglich sind, besteht auch die Möglichkeit, die Funktion und Gebrauchsweise der Präpositionen zuerst systematisch an den kontextgebundenen Beispielsätzen zu erläutern und dann in einer Kontextübung (z.B. Lückentext aufgrund des Kontexts) zu vertiefen. Dies hat wie Butzkamm (1993, 13 und 97f.) erwähnt damit zu tun, dass beim Sprachlernen lexikalischgrammatisch gebundenes strukturelles Verstehen und situativ gebundenes inhaltlich-funktionales Verstehen aneinander gebunden sind und zusammenwirken (vgl. Timm 1999, 221f.). Dabei muss aber der Sprachstand der Lernenden und die dazu entsprechende Lernphase auch immer in Betracht gezogen werden. Im Folgenden möchte ich die eben angesprochenen Möglichkeiten an Beispielen verdeutlichen. 211 Abgesehen von Kasusproblemen bezieht sich inter-/ intralinguale Interferenz vor allem auf die Fehler, die durch semantische bzw. wortwörtliche Übertragung von L1 auf L2 oder durch Unklarheiten im Gebrauch des Deutschen entstehen. <?page no="422"?> 422 A. Bildliche Veranschaulichung  Mögliches Thema: Geschenk und Geburtstagsfeier (z.B. Präpositionen mit Akkusativ) Bildquelle: Yu-Yu Chou Abb. 8-16: Präpositionen mit Akkusativ (Schritt für Schritt ins Grammatikland 2010, 163) <?page no="423"?> 423  Kontrastive Bilder Abb. 8-17: Modale Präpositionen (Schritte Übungsgrammatik 2010, 102) B. Erklärung in einem situativen Kontext (z.B. Verben mit festen Präpositionen) Schritt   Kontext anzeigen Abb. 8-18: Ich interessiere mich nicht für die Liebe (Schritte Übungsgrammatik 2010, 90) <?page no="424"?> 424 Schritt   Systematisch zusammenfassen Abb. 8-19: Verben mit festen Präpositionen (Schritte Übungsgrammatik 2010, 90) Schritt  Einüben Abb. 8-20: Übungsbeispiel (Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik 2000, 81) <?page no="425"?> 425 Zustandspassiv In einigen Lehrbüchern wird die Passivfunktion und -struktur visuell präsentiert und veranschaulicht, wie z.B. in Abb. 8-3 (Stufen International 3, 1998) und in den untenstehenden Abbildungen 8-21 (Optimal A2, 2005) sowie 8-22 (Moment mal 3, 1998): Abb. 8-21: Aktiv-Passiv in Optimal A2, Lehrbuch (2005, 93) Abb. 8-22: Aktiv-Vorgangspassiv-Zustandspassiv in Moment mal 3, Lehrbuch (1998, 24) Durch die Situationsbilder können die funktionalen und sprachstrukturellen Unterschiede zwischen Aktiv und Passiv oder zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv anschaulich und kontrastiv dargestellt werden. Oft können Visualisierungen verbal formulierte Regeln ersetzen und schneller als diese zum besseren Verständnis sowie zu Strukturerkenntnis und -erwerb führen <?page no="426"?> 426 (vgl. Koeppel 2010, 190). Aus den unter 7.3.2 präsentierten Testergebnissen wird deutlich, dass die Lernprobleme beim Zustandspassiv hauptsächlich darin bestehen, dass die Studierenden das Vorgangs- und Zustandspassiv strukturell, funktional bzw. situativ nicht wirklich verstanden haben (vgl. 7.3.1), auch wenn das Zustandspassiv von den Lehrerprobanden in einer sinnvollen Reihenfolge eingeführt wurde, nämlich Aktiv → Vorgangspassiv → Zustandspassiv. Die Lernprobleme bei diesem Thema können zwar teilweise auf die Lernenden zurückgeführt werden, sie stehen aber mit dem Lehrmaterial und seiner Präsentations- und Darstellungsweise in einem untrennbaren Zusammenhang. Dieser wurde bereits in 8.2.1 dargestellt und statistisch nachgewiesen. Dies ist also durch die in Tabellen 8-10 (Methodenunterschied und Lernerfolg beim Zustandspassiv) und 8-11 (Lernerfolg beim Zustandspassiv nach einzelnen Lehrergruppen) präsentierten Ergebnisse deutlich erkennbar: Die Gruppen E und F, deren Lehrkräfte visuelle Mittel (z.B. die selbst gezeichneten Tafelbilder in Abb. 8-2 bei E bzw. das aus Stufen International 3 entnommene Bildermaterial in Abb. 8-3 bei F) zur Erklärung der Passivfunktion und -struktur verwendeten, waren beim Lernen des Zustandspassivs erfolgreicher als die Gruppen, deren Lehrkräfte auf den Einsatz visueller Mittel verzichteten (vgl. 8.2.1). Zu den verschiedenen Arten visueller Darstellungen des Themenbereichs Zustandspassiv sei noch angemerkt, dass in Abb. 8-22 die funktionalen, strukturellen und situativen Unterschiede zwischen Aktiv, Vorgangssowie Zustandspassiv zwar sehr gut veranschaulicht werden, aber die Darstellung enthält keinen interkulturellen Aspekt, sondern ist vor allem praxisorientiert. Im Gegensatz dazu werden die zu vermittelnden sprachlichen Einheiten und die landeskundlichen bzw. interkulturellen Inhalte in Abb. 8-3 (Fest) und 8-21 (Weihnachten) aus didaktischer Perspektive sinnvoller miteinander kombiniert. Abb. 8-3 ist von der inhaltlichen Gestaltung her aber für das Thema Zustandspassiv viel besser geeignet als Abb. 8-21, bei der ohne die entsprechende sprachliche Erläuterung der Unterschied zwischen den beiden Bildern gar nicht klar ist. Anstelle des Bildmaterials zur Behandlung des Passivs könnte didaktisch aber auch ein reines Textmaterial zum Einsatz kommen, wobei eine vergleichbare Gegenüberstellung von Aktiv- und Passivtexten in einem passenden Kontext präsentiert wird und dem Verstehen von Formen und Funktionen des Vorgangspassivs dient. Dafür hat Schmenk (2011, 107) das Kugelfisch-Beispiel angeführt, nämlich: <?page no="427"?> 427 Abb. 8-23: Version 1 - Aktivtext von Schmenk (2011, 107) Klaus ist Koch. Er geht jeden Tag in den Supermarkt und kauft ein. Heute stehen Fischspezialitäten auf der Speisekarte. Klaus geht zum Kühlregal, schaut sich die Fische an und wählt einige Schollen, Kugelfische und Lachse aus. Er zahlt und geht ins Restaurant. Dort bereitet er die Mahlzeiten vor und serviert sie später seinen Gästen. Abb. 8-24: Version 2 - Passivtext von Schmenk (2011, 107) Kurt, der Kugelfisch Als ich erwache, bin ich in einer Kiste im Supermarkt. Ich werde ständig angestarrt und schließlich von dicken kurzen Fingern gegriffen und in Paper gewickelt, bis mir ganz schwindelig ist. Als ich herausgenommen werde, bin ich in einer großen hellen Küche. Kaum habe ich mich umgesehen, werde ich mit einem fürchterlichen Dolch aufgeschnitten, in eine große Pfanne mit heißem Fett gelegt und gebraten. Schließlich werde ich herausgenommen, zusammen mit etwas Petersilie und Kartoffeln auf einen Teller gelegt und vor einer Frau auf den Tisch gestellt... Bei den obigen zwei Texten geht es laut Schmenk (2011, 107ff.) zwar um dieselbe Sachverhalte, aber mit dem Perspektivwechsel vom Koch zum Ich als Kugelfisch wird der Fokus auf die Handlung verschoben, so dass sich ein sinnliches Nachempfinden von Passivität auf die Lernenden als Leser auswirkt, nämlich durch Mitleid bzw. Einfühlung in das Objekt der Handlungen. Dies ermöglicht nicht nur, dass Lernende über die Formen und Bedeutung des Passivs nachdenken, sondern dass sie für die Funktion des Passivs im Gegensatz zu Aktivkonstruktionen sensibilisiert werden. Später kann man als Lehrperson auf der Basis dieser Gegenüberstellung z.B. Zustandspassiv, Modalpassiv etc. weiter differenzieren. Diese Materialgestaltung zielt darauf ab, dass die Lernenden mit der Zielsprache und deren Lernen reflexiv und kritisch umgehen. Denn nur wenn die Lernenden zum Nachdenken über die zu vermittelnden Inhalte angeregt werden sowie durch eigenes Entdecken lernen, sind sie in der Lage, die Passivkonstruktionen mittels der Sprachreflexion strukturell, situativ sowie funktional klar auseinander zu halten und dadurch zugleich die Sprachbewusstheit zu erhöhen. Darüber hinaus wird hervorgehoben, dass Lernen ohne gedankliche Verarbeitung verwirrt und deshalb vergeblich ist, was dem pädagogischen Grundsatz des Konfuzius genau entspricht (vgl. 4.2.1). Der vorgestellte didaktische Ansatz von Schmenk zur Passivvermittlung ist zwar sinnvoll, nur ist dabei zu beach- <?page no="428"?> 428 ten, dass bei rein strukturbezogenen Arbeiten die Textinhalte bzw. Beispiele möglichst nicht mit Wortschatzarbeit belastet werden sollten, also d.h., der jeweilige Sprachstand der Lerngruppe muss immer mit berücksichtigt werden. Was das Übungsmaterial zum Zustandspassiv anbetrifft, besteht von Inhalt und Form her auch die Möglichkeit, die vom verwendeten Bildmaterial ausgehenden Übungen selbst zu entwickeln oder kontextbezogene Übungsaufgaben zu bieten. Zu beachten ist dabei allerdings, dass der aktuelle Lern-/ Sprachstand der Lernergruppe auch mit berücksichtigt werden muss. Dies wird unten anhand der Übungsmaterialien von Gruppen E und F an Beispielen verdeutlicht. Didaktisch dabei sinnvoll ist, dass die Grammatikphänomene einerseits in den landeskundlichen Themen bzw. Inhalten integriert behandelt wurden, und andererseits, dass das Üben des Zustandspassivs auch prozessorientiert (rezeptiv → rezeptiv-produktiv) und progressiv (werden-Passiv → sein-Passiv) gestaltet wurde. Blicken wir zuerst kurz auf das Lehrmaterial zum Passiv (Abb. 8-3) zurück. Darin wurden inhaltlich auf das Bildmaterial bezogene Strukturbzw. Formübungen von Lehrperson F zum Teil selbst entwickelt und dann in der Einübungsphase zur Wiederholung des Passivs verwendet. Sie sehen wie folgt aus (Abb. 8-25) aus: Abb. 8-25: Übungsmaterial zu Passivstrukturen von Gruppe F Übungen A) Was wird vor dem Fest noch alles gemacht? Beschreiben Sie die folgenden Aktivitäten mit dem werden-Passiv. Beispiel: Wegweiser zu extra Parkplätzen ... (anbringen) → werden angebracht 1. Die Innenstadt ... (sperren) 2. Der Verkehr ... (umleiten) 3. Straßenrestaurants ... (eröffnen) 4. Tische und Bänke ... (aufstellen) 5. Die Technik des Drachens ... (überprüfen) 6. Die letzten Tribünenkarte ... (verkaufen) B) Bevor das Fest beginnt, wird noch einmal kontrolliert, ob alles gemacht ist. Der Leiter des Verkehrsamtes berichtet dem Bürgermeister. Beispiel: Die Wegweiser zu den extra Parkplätzen sind angebracht. C) Paul Meier wohnt in Furth. Während der letzten Tage aber war er geschäftlich unterwegs. Als er nach Hause kommt, sieht er, dass sich in der Stadt vieles verändert hat. Er fragt seine Frau: Wann wurden denn diese Wegweiser zu den extra Parkplätzen angebracht? - Das wurde am Montag gemacht. D) In der Lokalzeitung schreibt ein Journalist nach dem Fest einen Bericht Beispiel: Obwohl Wegweiser zu den extra Parkplätzen angebracht worden waren, fanden viele Leute diese nicht und parkten einfach am Straßenrand. 1. Nachdem / die Innenstadt, sperren / es gibt Staus vor der Stadt <?page no="429"?> 429 2. Weil / sehr viele Straßenrestaurants, eröffnen / nach dem Fest liegt viel Müll auf der Straße 3. Obwohl / die Technik des Drachens, überprüfen / er bewegt sich zuerst nicht 4. Nachdem / die letzten Tribünenkarten, verkaufen / es gibt noch viele Leute, die keine Karte haben 5. Nachdem / das Drachenstichspiel, aufführen / der Bürgermeister hält eine Rede Die Übungen zum Passiv in Abb. 8-25 scheinen mir sinnvoll und eignen sich gut für die Einübungsphase, das Selbstlernen bzw. als Hausaufgabe, da der Kontext in beiden Teilen (Textteil und Übungsteil) übereinstimmt sowie die sprachlichen und landeskundlichen Elemente im Übungsmaterial sinnvoll miteinander kombiniert sind. Sprachlich werden dadurch die Passivformen und -strukturen je nach Zeitformen (Zeitverhältnissen) in verschiedenen Kontexten progressiv eingeübt. Inhaltlich wurden die Übungssätze auch kontextuell, landeskundlich und kulturbezogen sinnvoll eingebettet. Dies bewirkt eine prozessorientierte Bearbeitung des Materials in Bezug auf das Grammatiklernen und das kulturelle Lernen. Dadurch wird nicht nur das zuvor gelernte Regelwissen vertieft, sondern es hilft den Lernenden auch, die Unterschiede zwischen dem Vorgangs- und Zustandspassiv funktional, strukturell und situativ klar zu machen, d.h., es geht um die Förderung der Sprachbewusstheit. Ferner könnte dadurch auch das interkulturelle Lernen gefördert werden, denn das Unterrichtsmaterial ermöglicht den Lernenden die Auseinandersetzung und Sensibilisierung für die kulturellen Unterschiede zwischen der eigenen und zielsprachlichen Kultur. Ein mögliches Problem ist hier jedoch, dass die anderen Sprachelemente wie Lexik, Kulturinhalt, Sprachgebrauch etc. dann in den Hintergrund treten, sobald die Lernenden erkennen, dass es im Zentrum der Lernaufgabe nur um bestimmte grammatische Form bzw. Struktur geht (vgl. Börner 1999, 225). <?page no="430"?> 430 Abb. 8-26: Übungsmaterial zum Zustandspassiv von Gruppe E Das Material (Abb. 8-26), das in einem situativen Kontext eingebettet ist, besteht aus zwei Übungsteilen und wurde von Gruppe E zum Einüben und <?page no="431"?> 431 zur Vertiefung des Zustandspassivs im Unterricht verwendet. Zuerst wurde der erste Textteil von Lehrperson E durch fragend-entwickelndes Verfahren gemeinsam mit den Lernenden im Unterricht durchgeführt, um die behandelte Grammatik dadurch einzuüben und zu vertiefen. Dabei wurden die möglicherweise unbekannten Vokabeln erklärt, und die Lernenden mussten dann im Text das Zustandspassiv herausfinden (also die entsprechende Form kennen). Der zweite Übungsteil (Brief schreiben) diente als Hausaufgabe und musste reproduktiv-produktiv in schriftlicher Form erarbeitet werden. D.h., die Lernenden mussten sich selber mit dem theoretisch gelernten Grammatikwissen konfrontieren, um es in der Übung anzuwenden. In Hinsicht auf Grammatikarbeit und Themenauswahl scheint diese Übung sinnvoll. Denn nicht nur sprachlich wurde das zu übende Grammatikphänomen in einem sinnvollen textuellen und situativen Zusammenhang dargestellt, sondern inhaltlich war die zielsprachliche Landeskunde bzw. die Zielkultur auch mit einbezogen. Mit anderen Worten: die sprachlichen, landeskundlichen bzw. kulturbezogenen Inhalte sind sinnvoll ineinander integriert. Einziger kleiner Mangel dabei ist jedoch, dass sich die Begriffe Lord Winterbottom und Butler nicht auf den deutschen Sprachkontext beziehen und verwirrend wirken können, da sie aus dem angelsächsischen Kulturraum stammen. Stattdessen wären hier die typischen zielsprachigen Begriffe viel sinnvoller, wie z.B. Bürgermeister statt Lord Winterbottom und Diener bzw. Bedienter statt Butler. Konjunktiv II Bildermaterial eignet sich auch für die Vermittlung bzw. Einübung des Konjunktiv II. Dies lässt sich am folgenden Beispiel (irreale Bedingungen und Vergleiche) deutlich machen. Abb. 8-27: Konjunktiv II in Schritte Übungsgrammatik (2010, 80) Bei der Regel- und Gebrauchserklärung bieten solche Situationsbilder, auf denen die Beispielsätze sowohl einen textuellen Zusammenhang haben als auch in einem situativen Kontext eingebettet sind, eine Hilfe beim Verste- <?page no="432"?> 432 hen der Gebrauchssituation und beim Erkennen der Sprachstrukturen (also z.B. Zeit- und Satzformen). Blicken wir aber auf die in 8.1 und 8.2 dargestellten Lehrprobleme beim Konjunktiv II zurück, wird klar, dass die Auswahl der Beispielsätze und ihre Präsentationssowie Darstellungsweise eine große Rolle bei der Vermittlungs- und Einübungsphase spielen. Der Bildeinsatz ist auch in der Einübungsphase möglich, wie es z.B. bei Gruppe E (Abb. 8-9: Bildbeschreibung mit Konjunktiv II) bzw. in Abb. 8-28 unten der Fall ist. Die Wahl der (offenen bzw. geschlossenen) Übungsformate ist außer von der Eigenschaft des Kurses noch davon abhängig, welches Lehr- und Lernziel jeweils im Unterricht gesetzt wird und wie hoch das Sprachniveau der Lernenden ist. Z.B. im Konversationskurs könnten Materialien wie in Abb. 8-5 (bei F durch vom Textmaterial ausgehende Themendiskussion) bzw. Abb. 8-9 (bei E durch Bildbeschreibung) präsentiert für die Lernenden auf Niveau A2 bzw. B1 gestaltet werden. In einem Grammatikkurs wäre z.B. die geschlossene Übung in Abb. 8-28 für die Lernenden mit Sprachniveau A2 zum Einüben geeignet, die Übung in Abb. 8-29 (i) für das Niveau B1. Abb. 8-28: Konjunktiv II in Schritte Plus 5, Kursbuch + Arbeitsbuch (2010, 132) Ein Problem ist aber, dass in der Praxis nicht immer Lehrbücher mit geeignetem Bildmaterial zu einem bestimmten Thema für den Unterricht zur Verfügung stehen. Eine mögliche Alternative dafür eine die schon erwähnte Kontextübung (Abb. 8-29), die für die Vertiefung des unterschiedlichen <?page no="433"?> 433 Gebrauchs des Konjunktiv II geeignet ist und zugleich dem Verstehen bzw. Einüben der grammatischen Struktur dient. Abb. 8-29: Kontextübungen zum Konjunktiv II in Schritte Übungsgrammatik (2010, 79) (i) (ii) Zusammenfassend lässt sich sagen, die Einbettung der Grammatikarbeit auf sinnvolle Art und Weise (also Materialgestaltung und damit verbundener Lehrstil) spielt hinsichtlich der Motivation der Studierenden zum Deutschlernen eine große Rolle (vgl. 7.1.2). Bildermaterialien, die zugleich als Informationsträger und Sprechanlass anzusehen sind, können angesichts ihrer Erklärungs- und Darstellungsfunktion zur Vermittlung bzw. Einübung der <?page no="434"?> 434 drei untersuchten Grammatikthemen gut eingesetzt werden, und zwar gleichgültig, ob dies im Grammatikbzw. Konversationsunterricht geschieht. Gründe dafür sind einerseits, dass Bilder sowohl die Situation als auch den Textinhalt (Grammatikregeln bzw. Satzstrukturen) veranschaulichen und somit als verständliche Kommunikationsmittel angesehen werden. Dies ermöglicht den Lernenden, nicht nur einen Realitätsausschnitt konkret vor Augen zu haben bzw. sich in eine bestimmte (Sprech)situation hineinzuversetzen, sondern auch einen Einblick in den Gebrauch der behandelten Grammatikthemen zu gewinnen (vgl. Vladu 2009, 106). Andererseits spielen passende visuelle Elemente bei der Aktivierung des Vorwissens und dem Verstehen der Vermittlungsinhalte eine wichtige Rolle, sie bewirken ähnliche Effekte wie sprachlicher Kontext (vgl. Roche 2010, 1247). Was die Integration der interkulturellen Lerninhalte in die Grammatikvermittlung angeht, kommt es immer darauf an, wie die zu behandelnden sprachlichen Einheiten und die kulturbezogenen Lerninhalte sinnvoll miteinander verbunden werden, und ob die dafür geeigneten Lehrmaterialien in sprachbzw. kulturkontrastiver Weise eingesetzt werden (vgl. 1.2.4). Diskussion Die Auswahl bzw. Entwicklung von geeigneten Lehr- und Lernmaterialien hängt einerseits von Erfahrung und Fachwissen (d.h. Sprachwissen und können) der Lehrperson ab, andererseits aber auch davon, ob diese in Bezug auf Themen, Texte, Übungstypologie etc. über ausreichende fachdidaktische Kenntnisse und Kompetenzen verfügt. Letzteres steht vor allem mit der Lehrerqualifikation (Aus- und Weiterbildung) in einem engen Zusammenhang, worauf in Kap. 8.6 (Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften) noch näher eingegangen wird. Andererseits sind die institutionellen Einrichtungen auch von entscheidender Bedeutung, d.h., ob es immer genügend aktuelle, relevante und geeignete DaF-Lehrbücher bzw. (Sprach)zeitschriften 212 gibt, die den Lehrenden jederzeit zur Verfügung stehen. Die Aktualität der Materialien ist deshalb zu berücksichtigen, weil die Lehrbücher bzw. -materialien, die zu verschiedenen Zeiten publiziert werden, von verschiedenen didaktischen, konzeptionellen und lerntheoretischen Überlegungen ausgehen und somit unterschiedliche sprachdidaktische und methodische Elemente enthalten. Von daher können sich verschiedene Materialien je nach Lehr- und Lernziel gegenseitig ergänzen. Als Lehrende sollte man aus diesen Gründen auch in der Lage sein, die Lehrmaterialien zu analysieren und zu bewerten, und man sollte fähig sein, zu beurteilen, wie ein bestimmtes Lehrziel durch die Auswahl geeigneter Materialien erreicht werden kann. 212 Z.B. Deutsch perfekt, deinspiegel, yuno (von Stern) etc. <?page no="435"?> 435 Ein Problem ist jedoch, dass nicht allen Abteilungen für Germanistik bzw. Europäische Studien immer ausreichend finanziell unterstützt werden, um genügend aktuelle und geeignete Lehrbücher sowie Materialien für DaF anzuschaffen. Dies ist je nach Universität sehr unterschiedlich, z.B. die staatlichen Universitäten (also z.B. Chengchi bzw. NKFUST) oder die beim Uni- Ranking gut platzierten privaten Universitäten (also z.B. Fu-Jen, Soochow etc.) bekommen wesentlich mehr Leistungen (Veranstaltungen, Einrichtungen etc.) und finanzielle Mittel vom Erziehungsministerium als diejenigen, die weder staatlich noch gut platziert sind (vgl. 3.3.2). 8.5 Unterrichtsreflexion Unterrichtsreflexion bezieht sich hier auf die didaktische Selbstreflexion, die eine der wesentlichen didaktischen Kompetenzen von Lehrkräften darstellt. Denn nicht nur das Sammeln von praktischen Lehrerfahrungen ist wichtig, sondern es muss auch eine gedankliche Auseinandersetzung damit stattfinden, damit die Unterrichtsqualität tatsächlich verbessert werden kann. Der reflexiven Didaktik zufolge lässt sich laut Krumm (2010a, 1363) der Unterrichtsprozess als eine zyklische Abfolge von Planung - Durchführung - Evaluation - Reflexion - Planung usw. ansehen. Um Aufschluss über den eigenen und zukünftigen Unterricht zu gewinnen, sind bewusste Wahrnehmung und selbstkritische Reflexion des Lehr-Lernprozess im Unterricht notwendig und sollten deshalb bei den Lehrkräften entwickelt werden. Mit anderen Worten: die Lehrenden sollten z.B. durch Unterrichtswahrnehmung, Unterrichtsevaluation, Leistungsbeurteilung etc. die eigenen didaktisch-methodischen Schwachstellen erkennen und dann darüber reflektieren, um die Unterrichts- und Lehrqualität zu optimieren. Aufgrund der statistisch aufbereiteten und ausgewerteten Resultate der Lehrerbefragung und der Testergebnisse werden die Schwierigkeiten der Lehrkräfte in diesem Bereich der didaktischen Unterrichtsreflexion sichtbar. So zeigen die Antworten der Lehrenden (außer den Lehrpersonen E und F) auf Frage 25 im Lehrerfragebogen 213 , dass die Probleme, die beim Behandeln der drei untersuchten Grammatikthemen im Unterricht aufgetreten sind, vorwiegend durch das Lernverhalten und die Lerngewohnheiten der Studierenden verursacht wurden. Das heißt, dass die Unterrichtenden wenig ihre eigenen fachlichen Kompetenzen in Frage stellen und keinen Anlass für didaktisch-methodische Verbesserungen des Unterrichts sehen. Folgende Aussagen der Lehrerprobanden zu Frage 25 unterstreichen dies: 213 Frage 25 lautet: Auf welche didaktischen Probleme sind Sie beim Behandeln der drei oben genannten Grammatikphänomene besonders oft gestoßen? <?page no="436"?> 436 A:„ 學習深度不足,隔一段時間便忘,以致於無法掌握文法正確的運用時機 “ <Weil das Gelernte nicht (durch Wiederholung etc.) vertieft wird, wird es nach und nach wieder vergessen. Das führt dazu, dass die Studierenden später die bereits gelernte Grammatik nicht korrekt und zweckmäßig anwenden können.> (Lehrperson A) B:„ 被動式的應用對台灣學生來講較為困難,因為語言文化的使用習慣不同。況 且中文語法裡沒有狀態被動,再加上學習習慣不好,導致語法概念不清楚及使 用困難 “ <Die Studierenden in Taiwan haben ziemlich große Schwierigkeiten mit der Anwendung des Passivs, da dieses im Deutschen und im Chinesischen ganz unterschiedlich verwendet wird. Außerdem gibt es in der chinesischen Grammatik überhaupt kein Zustandspassiv. Dazu kommen noch die schlechten Lerngewohnheiten der Studierenden, und das alles führt schließlich dazu, dass sie sich über die vermittelten Grammatikbegriffe nicht im Klaren sind und die Schwierigkeiten bei deren Anwendung haben.> (Lehrperson B) C:„ 學生練習太少了,自行學習習慣未能養成,以致教的時候會,但教過後便忘 了 “ <Die Studierenden haben die vermittelten Inhalte zu wenig geübt und wiederholt, denn sie haben nie gelernt, sich selbst selbständig mit dem Unterrichtsstoff auseinanderzusetzen. Dies führt dazu, dass sie den Stoff im Unterricht zwar können, nach dem Unterricht aber schnell wieder vergessen.> (Lehrperson C) D:„Die Lernenden haben Schwierigkeiten beim Anwenden der Grammatik.“ (Lehrperson D) E:„Ich konnte keine gute kontrastive Grammatikerklärung geben. Ich habe versucht, mit Spielen und Übungen die Phänomene zu vermitteln, hatte aber das Gefühl, dass den Studierenden nicht immer klar war, dass und wie viel sie dabei lernen können, wenn sie konzentriert mitarbeiten.“ (Lehrperson E) F:„Bei Präpositionen kann oft keine logische Erklärung gegeben werden, warum eine bestimmte Präposition verwendet wird. Dies ist für die Studenten unbefriedigend. Zustandspassiv und Konjunktiv II sind zwar meist gut erklärbar und werden auch gut verstanden, aber wenn die Studenten das selbst anwenden sollen, entsteht ein großes Durcheinander, da sie verschiedene Formen nicht klar genug auseinanderhalten können.“ (Lehrperson F) Die Aussagen von E und F zeigen, dass die Lehrpersonen die eigene Vorgehensweise hinterfragen und eine Selbstreflexion stattfindet, während die <?page no="437"?> 437 anderen Lehrkräfte vor allem die Lernprobleme der Studierenden fokussieren. In den Lehrerinterviews kommt dies auch deutlich zum Ausdruck, worauf ich in den folgenden Abschnitten noch näher eingehen werde. Erwähnenswert ist hier noch, dass laut Interviewaussagen von Lehrperson D dieselbe zum Zeitpunkt der Unterrichtsbeobachtungen keinerlei didaktische Ausbildung hatte und ihr auch methodische Kenntnisse fehlten, obwohl D das im Lehrerfragebogen gar nicht erwähnt hatte. Dies deutet darauf hin, dass ein Teil der Probanden entweder dem Problem der didaktischen Kompetenz auswich, oder dass sie nicht offen und bereit waren, über den eigenen Unterricht bzw. das eigene didaktische Handeln zu reflektieren. Trotzdem zeigen die oben angeführten Fälle (von A, B, C und D) klar, dass manchen Lehrkräften die Bereitschaft zur didaktischen Unterrichtsreflexion fehlt und die didaktische Kompetenz der Reflexivität somit nicht zur Weiterentwicklung ihrer didaktischen Tätigkeit zur Verfügung steht. Wirken sich die didaktischen Faktoren nicht negativ auf den Lernprozess aus, dann sollten die Studierenden z.B. beim Zustandspassiv zumindest die Form aus „sein + Partizip II“ bilden könne oder die Struktur „sein + Partizip II“ kennen. Die Testergebnisse zu den Fertigkeiten der Studierenden dabei zeigen, dass in den Gruppen C, E und F etwa die Hälfte der Studierenden die Konstruktion der sein-Passivform beherrscht, bei den Gruppen A, B und D hingegen jeweils nur ein geringer Teil (vgl. 8.2.1 und siehe Tabelle 8-11). Erst wenn statistisch die Hälfte oder noch mehr der Probanden dieses Ziel (abgesehen von der falschen Partizipbildung) erreicht hat, wie es hier etwa bei Gruppen C, E und F der Fall ist, kann man sagen, dass das didaktische Handeln der Lehrkräfte erfolgreich war. Ansonsten kann es bedeuten, dass mangelndes Fachwissen, wenig ausgebildete didaktische bzw. methodische Kompetenz der Lehrkräfte sich negativ auf den Lernerfolg auswirken. Darauf deuten bereits die in 8.1 und 8.2 dargestellten didaktischen und methodischen Schwachstellen der Probanden hin. Was nun die Einschätzung der eigenen didaktischen Fähigkeiten anbetrifft, waren Lehrpersonen A, B und C der Meinung, dass sie die jeweiligen Grammatikphänomene im Unterricht mit Hilfe konkreter Beispiele aus verschiedenen Kontexten gut erklärt sowie die Formbildung eingeübt hätten. So existieren hier aus der Lehrersicht kaum didaktische Vermittlungsprobleme, sondern nur Lernprobleme auf der Seite der Studierenden. Im Gegensatz dazu sehen die muttersprachlichen Unterrichtenden der Lerngruppen E und F ihre Schwierigkeiten und äußern sich in selbstkritischer Weise in Bezug auf das didaktische Handeln - obwohl die Lerngruppen E und F bessere Testergebnisse erzielt hatten. Folgende Lehreraussagen in den Interviews verdeutlichen diesen Punkt: <?page no="438"?> 438 Auszug IT 8: Aussagen von Lehrperson A I: 您有時會遇到這樣的狀況嗎?像是在下課後才想起,剛才跟學生文法解說時,忘了補 充某些重點。像是因為時間的關係等等,而忘記說明某些相關的重要情況。 <Ist Ihnen das auch schon passiert? Nach dem Unterricht fällt einem plötzlich ein, dass man bei der Grammatikerklärung etwas Wichtiges vergessen hat, z.B. aus Zeitmangel oder irgendwelchen Gründen haben Sie vergessen, auf einen wichtigen Zusammenhang hinzuweisen.> L: 我已整整教了30多年的書了,所以這種情況在我個人來講,已經不多見了。 <Ich unterrichte schon seit über 30 Jahren, deshalb kommt so was bei mir persönlich nicht mehr oft vor.> Auszug IT 9: Aussagen von Lehrperson B I: (...) 問卷中學生有提到,您在黑板列舉相關例句時,能不能稍微解釋一下文法架構? 因為他們覺得在大一時,文法沒有學得很好,所以希望老師在講例句時,能再提一下 相關的文法結構跟規則。還有,他們覺得自己的德文沒有好到可以馬上理解老師所舉 的例句。 < (...) In der Umfrage haben die Studenten darum gebeten, dass Sie die Grammatikstrukturen nochmal kurz erklären könnten, wenn Sie Beispielsätze an der Tafel anführen. Die Studenten im ersten Jahr haben nämlich das Gefühl, dass ihre Grammatikkenntnisse noch nicht so gut sind. So wünschen sie sich, dass der Lehrer die Grammatikstrukturen und -regeln nochmal wiederholt, während er die Beispiele anführt. Außerdem meinen sie auch, ihre Deutschkenntnisse seien einfach noch nicht gut genug, um die angeführten Beispiele sofort zu begreifen.> L: (學生)底子打的不好,(課程)這樣安排我也沒辦法。假設說他們(這組)從大一開始文法 課就由我來帶,情況就不是這樣子了。 <Grund dafür ist, dass die Studenten keine gute Basis haben. Aber das Curriculum ist nun mal so organisiert, daran kann ich auch nichts ändern. Wenn diese Gruppe schon im ersten Studienjahr bei mir Grammatik gehabt hätte, wäre die Situation völlig anders.> Auszug IT 10: Aussagen von Lehrperson C I: 您在教學生文法時,有沒有特別遇到那些教學上的困難?比如說,教學內容上或是方 法上? <Sind Sie beim Grammatikunterricht schon mal auf didaktische Probleme gestoßen, und wenn ja auf welche? Z.B. inhaltliche oder methodische? > L: 沒有耶! 這些文法課堂上都用例句解釋得很清楚了。每次碰到相關內容,都一提再 提,已經反覆複習很多次了。學生學了還是無法掌握, 是因為用功不夠,上完課也不 複習、練習,當然學不會,那到了要用時當然會有問題啊! <Nein! Diese Grammatikthemen (also Präpositionen, Zustandspassiv und Konjunktiv II) habe ich im Unterricht alle mit Beispielen sehr deutlich erklärt. Jedes <?page no="439"?> 439 Mal wiederhole und erkläre ich die gleichen Sachen (im Unterricht) wieder, wenn das Thema kommt. Die Studenten können die Sachen nicht, weil sie nicht fleißig genug sind. Nach dem Unterricht wiederholen und üben sie den Stoff nicht, so ist es klar, dass sie ihn nachher nicht beherrschen und später bei der Anwendung Probleme haben.> Auszug IT 11: Aussagen von Lehrperson E L: (...) jeder Lehrer hat Grenzen, denn bei den Deutschen ist dann auch oft so ein Problem, wenn dann plötzlich so spontan gefragt wird, ja warum ist das so, welche Regel steht dahinter, dann wissen wir das auch nicht immer. Na, also es ist oft so, dass man das vorbereiten muss und nicht unbedingt alles auswendig weiß. Die Aussagen der Lehrpersonen A, B, C und D zeigen, dass sie das eigene didaktische Handeln weder in Frage stellen noch die Ursachen für Lernschwierigkeiten bei den Studierenden sehen. Auch in den folgenden Aussagen zeigen sich die Grenzen der Lehrkraft in Bezug auf ihr Wissen, die Reflexion ihres Unterrichtes und des Lernstands bzw. -erfolgs ihrer Lerngruppe: Auszug IT 12: Aussagen von Lehrperson A I: (...) 對於 „Zustandspassiv“ 這一部分,他們常常搞不清楚什麼時候用 „sein + Partizip II“ ,什麼時候用 „werden + Partizip II“ ,然後又把這兩者跟 „haben / sein + Partizip II“ 給搞混了。 < (...) Beim Zustandspassiv ist den Studenten häufig nicht klar, wann man „sein + Partizip II“ und „werden + Partizip II“ verwenden soll. Und diese beiden Formen werden dann wiederum mit „haben / sein + Partizip II“ verwechselt.> L: 這個現象不是常常,而是少部分 schwache Studenten, die immer solche Probleme haben. 原因是,德文文法是一套一套的東西,他(們)每一套都沒有徹底學會,所以那 麼會把三套變成一套。至於時態那一部分,有 「haben + 過去分詞 」 ,有 「sein + 過去分詞 」 ,那是時態,那跟「被動式」沒有半點關係。 < Das geschieht nicht sehr häufig, es ist nur ein kleiner Teil, also schwache Studenten, die immer solche Probleme haben. Ursache dafür ist, dass die deutsche Grammatik in einzelne Phänomene unterteilt wird, aber wenn diese Studenten keines dieser einzelnen Phänomene wirklich gründlich beherrschen, bringen sie diese später natürlich durcheinander. Was das Tempus angeht, gibt es z.B. „haben+Partizip II“, „sein+Partizip II“ etc. Dies hat mit dem Passiv gar nichts zu tun, weil es dabei um die Zeitformen geht.> Zwischen der Einschätzung der Lehrkraft und dem Erfolg ihrer Lerngruppe wird durch die Testergebnisse (vgl. Tabelle 8-11 in Kap. 8.2.1) eine große Diskrepanz sichtbar, vor allem was die Bildung des Zustandspassivs betrifft. Dies deutet darauf hin, dass der Lernerfolg der Studierenden von der Lehrkraft zum Teil auch falsch eingeschätzt wird. Obwohl Lehrperson A von der <?page no="440"?> 440 Effektivität ihres Unterrichts überzeugt ist und meint, nur ein kleiner Teil ihrer Studenten hätte Schwierigkeiten mit dem Zustandspassiv, ist der Lernerfolg der Studierenden bei ihr sehr klein, nämlich nur 12,5% haben überhaupt etwas gelernt. In Tabelle 8-15 sind einige Aussagen der Lernenden zu Frage 3.2 des Fragebogens (2) aufgelistet, die beim Zustandspassiv die Schwierigkeiten und Wünsche in Bezug auf die Gestaltung des Unterrichts betreffen. Ihre Sichtweise deckt sich mit derjenigen der Unterrichtenden nur wenig. Bei Frage 3.2: Welche didaktischen Vorschläge haben Sie beim Zustandspassiv? Tabelle 8-15: Antworten auf Frage 3.2 im Lernerfragebogen (2) Versuchsgruppen Lernerprob