Lernen an allen Orten?
Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Arbeitspapiere der 35. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts
0916
2015
978-3-8233-7979-9
Gunter Narr Verlag
Eva Burwitz-Melzer
Frank G. Königs
Claudia Riemer
Während die Frage nach dem richtigen Lernort, insbesondere nach außerschulischen Lernorten, in der Schulpädagogik schon vor längerer Zeit gestellt und zumindest ansatzweise beantwortet wurde, hat sich die Fremdsprachenforschung mit der Lernortfrage vergleichsweise viel Zeit gelassen. Das heißt nicht, dass sie den Lernort nicht disku -tiert oder im Blick gehabt hätte - das hat sie sehr wohl, aber eher im Kontext anderer Themen und Forschungsfragen. Im vorliegenden Band nehmen deutsche Fremdsprachendidaktiker unterschiedli-che Lernorte und Möglichkeiten ihrer Vernetzung in den Fokus ihrer Betrachtungen. Dabei leuchten sie den Faktor Lernort aus unterschiedlichen Perspektiven aus und kommen zu vielfältigen Betrachtungsweisen, die es geraten sein lassen, die Lernortfrage im Auge zu behalten.
<?page no="0"?> Eva Burwitz-Melzer/ Frank G. Königs/ Claudia Riemer (Hrsg.) Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik <?page no="1"?> Lernen an allen Orten? <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Eva Burwitz-Melzer / Frank G. Königs / Claudia Riemer (Hrsg.) Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen Arbeitspapiere der 35. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: M+W Druck GmbH, 35440 Linden Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-6979-0 <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 Gabriele Blell: Lernorte und Fremdsprachenlehren und -lernen 9 Eva Burwitz-Melzer: Lernorte in der Ganztagsschule: Unterschiedliche Angebote zur Förderung der interkulturellen kommunikativen Kompetenz 19 Daniela Caspari: Schulisches und außerschulisches Lernen verbinden. Eine (alt-)bekannte Forderung als aktuelle Herausforderung 29 Bärbel Diehr: Schulen im Ausland - Lernorte für Lehramtstudierende moderner Fremdsprachen 38 Hermann Funk: Überlegungen zu Umgebungen und Szenarien des Lernens fremder Sprachen außerhalb des Kursraums 48 Wolfgang Hallet: Die Bedeutung der Orte. Topologien des Fremdsprachenlernens aus raumtheoretischer Perspektive 60 Britta Hufeisen: Wo ich bin, ist auch ein Lernort. Wo ich bin, ist auch ein Lehr-Ort. 70 Friedrike Klippel: Lernorte und Ortswechsel 81 Frank G. Königs: Ortstermin. Beobachtungen zur Bedeutung der Lernorte für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen. 90 Uwe Koreik: Lernorte im Fremdsprachenunterricht aus der DaF-/ DaZ-Perspektive 98 Jürgen Kurtz: Dimensionen einer fremdsprachendidaktischen Theorie der Lernorte 106 Lutz Küster: Orte fremdsprachlichen Lernens im Schnittfeld didaktisch-methodischer und politischer Perspektiven 117 <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis 6 Michael K. Legutke: Vernetzte Lernorte 127 Christiane Lütge: Lernorte - Perspektiven zum „Wo und Wann“ im Fremdsprachenunterricht 136 Hélène Martinez: Gute Lernorte brauchen gute Lerner 143 Grit Melhorn: Orte für das Erlernen slawischer Sprachen 153 Franz-Joseph Meißner: Lernorte müssen auch Lernorte für Sprachlernkompetenz werden 163 Claudia Riemer: Lernorte und Fremd-/ Zweitsprachenlernen - alles vernetzt oder entgrenzt? 172 Jörg Roche: Von kognitiven Lernorten 181 Dietmar Rösler: Die Herausforderung: Funktionale Erweiterung des Fremdsprachenlernens in Bildungsinstitutionen durch individuelles Lernen unterstützende Lernorte und gesellschaftlich organisierte Unterstützung des Lernens an ‚individualisierenden‘ Lernorten 192 Jutta Rymarczyk: Museen als außerschulische Lernorte 201 Lars Schmelter: Gelegenheiten nutzen (lernen). Der Lehr- und Lernort Klassenzimmer als Vorbereitung auf andere Lernorte und -gelegenheiten 211 Karin Vogt: Lernort Berufspraktikum: Professionalisierung von Fremdsprachenlehkräften. 221 Nicola Würffel: Hybride Lernortgestaltung als angemessene Lehr- und Lernform des modernen Fremdsprachenunterrichts? 229 Adressen der Beiträger und Herausgeber 239 Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 243 <?page no="7"?> Vorwort Sprachen werden heutzutage mehr und mehr losgelöst von festen örtlichen und zeitlichen Bedingungen gelernt. Medien, Kommunikationsformate und Formen selbstgesteuerten Lernens ermöglichen das Sprachenlernen an ganz unterschiedlichen „Lernorten“. Auch der Fremdsprachenunterricht findet nicht mehr nur im Klassenzimmer statt: Außerschulische Lernorte bzw. Lernorte außerhalb des Klassenzimmers bringen Lernende (und Lehrende) dazu, gewohnte Lernräume und damit verbundene Handlungsmuster zu verlassen und konfrontieren sie mit neuen Lernchancen, aber auch Herausforderungen. Grenzen zwischen unterschiedlichen Lernorten scheinen zu verfließen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Lernorten zum Sprachenlernen kann auf der einen Seite an allgemeinpädagogische Ansätze anknüpfen. Auf der anderen Seite betritt sie in vielerlei Hinsicht Neuland, wenn Lern- und Lehrprozesse an spezifischen Lernorten oder an miteinander kombinierten schulischen und außerschulischen Lernorten aus lehr-/ lernwissenschaftlicher bzw. fremdsprachendidaktischer Perspektive beleuchtet werden. Neben der Exploration von den Klassenzimmerunterricht ergänzenden Lernmöglichkeiten sowie deren innovativen und spracherwerbsfördernden und insbesondere sprachanwendungsbezogenen Potenzialen stehen auch ganz grundlegende Fragen nach der Förderung impliziten wie expliziten Lernens sowie der Erforschung solcher Prozesse. Die 35. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, die vom 19. bis zum 21.2.2015 wieder im Schloss Rauischholzhausen, einer Tagungsstätte der Justus-Liebig-Universität Gießen stattfand, ging diesen Entwicklungen nach. Dem üblichen Vorgehen folgend, wurden den Teinehmerinnen und Teilnehmern vorab vier Leitfragen gestellt, die zunächst zur Erstellung von schriftlichen Stellungnahmen aufforderten: 1. Fremdsprachenlernen ist heute auch dadurch geprägt, dass es im Rahmen unterschiedlicher Lernorte und Lerngelegenheiten stattfindet. Welche Lernorte halten Sie im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen für relevant? 2. Gibt es aktuelle Entwicklungen und Ansätze im Bereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, in denen die Bedeutung der Lernorte bzw. die Entwicklung von Fremdsprachenkompetenz, die an unterschiedlichen Lernorten erworben wird, besonders berücksichtigt sind bzw. werden sollten? 3. Welche Forschungszugänge halten Sie im Hinblick auf die Rolle der Lernorte im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen für besonders fruchtbar? <?page no="8"?> Inhaltsverzeichnis 8 4. Welche methodischen und didaktischen Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht sehen Sie im Zusammenhang mit außerschulischen Lernorten? Die vorab erstellten Statements im Umfang von 8-10 Seiten dienten zunächst der Vorbereitung der Diskussion. Sie wurden im Anschluss an die Konferenz überarbeitet und liegen nunmehr mit diesem Band vor. Sie beleuchten die Vielfalt möglicher Lernorte und Möglichkeiten ihrer Vernetzung, stellen Bezüge zu unterschiedlichen Forschungslinien her und arbeiten das Potenzial von Lernorten für Vermittlung und Erwerb spezifischer Sprachkompetenzen heraus - und zeigen damit auf, dass es sich lohnt, das Thema in den Fokus der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik zu rücken. Veranstalter und Teilnehmer der Frühjahrskonferenz danken dem Präsidenten der Justus-Liebig-Universität sowie den Verantwortlichen vor Ort sehr herzlich für die erneut gewährte Gastfreundschaft, die eine wichtige Rahmenbedingung für die vielfältigen Diskussionen geboten hat. Großer Dank gilt Dr. David Gerlach und Victoria Storozenko vom Institut für Schulpädagogik der Philipps-Universität Marburg für ihre sorgfältige Einrichtung des Manuskripts. Gießen, Marburg und Bielefeld, im Sommer 2015 Eva Burwitz-Melzer Frank G. Königs Claudia Riemer <?page no="9"?> Lernorte und Fremdsprachenlehren und -lernen Gabriele Blell 1 Fremdsprachenlernen ist heute auch dadurch geprägt, dass es im Rahmen unterschiedlicher Lernorte und Lerngelegenheiten stattfindet. Welche Lernorte halten Sie im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen für relevant? Begrifflich scheint das ‚Areal ʻ „Lernort“ eher diffus. Gesprochen wird heute sowohl von Lernort als auch von Lernumgebung, Lernraum (Erwachsenenbildung), Lernfeld (Jugendbildung) oder Lernsetting (Ziehe 2005; Siebert 2006 oder Thole 2011). Im Kontext der bürgerlichen Bildung des 18. Jahrhunderts wurde zudem unterschieden zwischen dem Lernort Haus (für Mädchen) und dem Lernort Schule (für Jungen) (Kunert-Zier 2011, 200). Verschiedenen Veröffentlichungen folgend wurde der Begriff des Lernortes in den Vorschlägen des Deutschen Bildungsrats zur Neuordnung der Sekundarstufe II und der beruflichen Bildung von 1974 in den pädagogischen und bildungspolitischen Sprachgebrauch eingeführt und auch definiert 1 : „Unter Lernort ist eine im Rahmen des öffentlichen Bildungswesens anerkannte Einrichtung zu verstehen, die Lernangebote organisert.“ (Deutscher Bildungsrat 1974, 171) Die noch 1974 von der Bildungskommission definierten Lernorte 2 Die Frage nach (außerschulischen) Lernorten und -umgebungen ist auch in den Fremdsprachendidaktiken immer wieder diskutiert worden. Es gibt eine Reihe von Studien, die den Einfluss von außerschulischen Lernorten für identitäts- und sprachbildendes Fremdsprachenlernen ausloten, wie z.B. den ‚legendären ʻ Lernort Flughafen (Legutke 1983), das Museum (Rymarczyk, Stinshoff), das Theater (Steiner, Surkamp), das Kino (Lütge, Rymarczyk), die Kinder-Uni (Elsner), Büchereien (Gehring), den Email-Austausch (Rau), das Online-Video (Schneller) (alle in Gehring/ Stinshoff 2010a und/ oder auch : Schule, Betrieb, Lehrwerkstatt und Studio, die institutionell ganz spezifische Lernangbeote vornehmen, scheinen heute jedoch einer expandierenden Lernortpluraliserung zu weichen. 1 Generisch ist der ‚Lernort ʻ jedoch bereits in der Reformpädagogik verankert. 2 Die Lernortfrage stellt sich jedoch nach Pätzold/ Goerke bereits erstmals durch die neue Badische Handwerksordnung im Jahre 1769 (2006, 26). <?page no="10"?> Gabriele Blell 10 Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 2013 (123)) oder den Schüleraustausch (Fellmann 2014). Ein schüler- und lebensweltlich ausgerichteter (Fremdsprachen-)Unterricht bedient sich spätestens seit Legutke 3 Klassifiziert werden Lernorte in der Fremdsprachendidaktik bis heute zumeist dichotom: schulische und außerschulische Lernorte (Gehring/ Stinshoff 2010), primäre und sekundäre Lernorte, formale und informelle Lernorte (Hafeneger 2011, 38; Pätzold/ Goerke 2006, 27), öffentliche und schulische Lernorte (Dannecker/ Thielking 2012, 11) oder Classroom und Fieldwork (Byram, insbesondere bezogen auf Interkulturelles Lernen, 1997, 65ff.). Der Lernort definiert sich dabei sowohl als lokaler und damit physischer Raum aber auch als mentaler Wissens- und Erfahrungsraum (z.B. Jugendarbeit als Lernort; Böhnisch 2011, 57). Sowohl durch die neuen Entwicklungen im Bereich multimedialen und computergestützten Lernens der letzten Jahre als auch durch die dadurch partiell hervorgerufenen Veränderungen der mentalen Welten von Schüler/ innen scheint eine modifizierte theoretische Standortbestimmung angebracht. Im Folgenden sollen drei Thesen aufgestellt werden, die in den Teilen 2-4 (in der Beantwortung der Fragen der Frühjahrskonferenz) weiter diskutiert werden: auch Lernorten, die sich nicht vordergründig durch spezifische pädagogische und sprachlernförderliche Angebote auszeichnen, aber dennoch zu Lernorten werden. „Potentiell kann jeder Ort zum Lernort werden, auch Orte, die nicht für Lernzwecke eingerichtet oder vorgesehen sind, die aber zum Zwecke des Lernens eine wichtige Funktion haben.“ (Gaedtke-Eckardt 2007, 21) Gehring verweist diesbezüglich auf vier mögliche (fremdsprachen-)didaktische Bezugsfelder: forschendes Lernen, praktisches Lernen, situiertes Lernen und sprachpraktisches Lernen (Gehring 2010b, 13). A. Lernorte und Multimedialität: Die neuen Medien ermöglichen ein Fremdsprachenlernen an jedem Ort und zu jeder Zeit. B. Lernorte und Authentizität: Fremdsprachliches Lernen bewegt sich im Spannungsfeld von Entgrenzung und Verschränkung von Lernorten. Die zunehmende Verschränkung von Lernorten erfordert ‚integrative‘ didaktische Szenarien. C. Lernorte und Eigenwelten der Schüler/ innen: Schüler/ innen konstruieren ihre Lernorte selbst. 3 Legutkes ‚Airport‘-Projekt hat sicherlich auch heute noch Pioniercharakter für das intergrative Lernen an schulischen und außerschulischen Lernorten. <?page no="11"?> Lernorte und Fremdsprachenlehren und -lernen 11 2 Gibt es aktuelle Entwicklungen und Ansätze im Bereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, in denen die Bedeutung der Lernorte bzw. die Entwicklung von Fremdsprachenkompetenz, die an unterschiedlichen Lernorten erworben wird, besonders berücksichtigt sind bzw. werden sollten? Der Bereich der Mediendidaktik, insbesondere der Ansatz des computergestützten Lernens ist sicher ein Bereich, in dessen Zusammenhang (neu) über Lernorte nachgedacht werden muss. A. Lernorte und Multimedialität Klassische Medien unterstützen bekanntermaßen fremdsprachliche Wirklichkeitskonstruktionen im Unterricht (z.B. Bild, Musik, Film, Literatur) oder sind an der Konstruktion außerschulischer Lernorte und Umgebungen beteiligt (z.B. Vorbereitung von Schüleraustauschfahrten mit Hilfe von E- Mails, Websites, Videografie o.a.). Gleichzeitig konstruieren moderne Medien auch virtuelle Welten, die wiederum zu realen fremdsprachigen und handlungsorientierten Lernorten werden (Second Worlds, Netz-Communities: blogs/ chats; Reality TV etc.) und den traditionellen Fremdsprachenunterricht bereichern können. Durch vielfältigen Medieneinsatz öffnet sich der traditionelle Lernraum Schule und holt quasi ‚fremdsprachige und kulturelle Wirklichkeiten‘ in den Lernort Schule. Das Lernen mit computergestützten Medien ergänzt nicht nur das fremdsprachige Klassenzimmer, sondern macht es als „physikalischen Lernort“ auch partiell obsolet. Gelernt werden kann heute an jedem Ort und zu jeder Zeit. Gleichzeitig bringen virtuelle neue Lernwelten jedoch auch neue Lernhindernisse mit sich, die im FSU bisher kaum eine Rolle gespielt haben, wie z.B. mittlerweile bei Schüler/ innen zu beobachtende Probleme, zwischen Fiktion und Faktion unterscheiden zu können (Rössler 2014), worauf auch der Fremdsprachenunterricht reagieren müsste. Das bislang kaum empirisch bearbeitete Handlungs- und Lernfeld des Schüleraustauschs und der Begegnungsdidaktik ist ähnlich eng mit der Lernortthematik verschränkt. Gabriela Fellmann (2014) liefert mit ihrer Dissertation zu diesem Thema einen wichtigen Baustein, auch zur ergänzenden Konkretisierung des Byramschen Modells zum Interkulturellen Lernen. Sie entwickelt empirisch begründete begegnungsdidaktische Prinzipien sowie einen phasenorientierten und lernortverbindenden Modellvorschlag mit Aufgaben für die Gestaltung von Begegnungen an schulischen Lernorten (hier: deutsches Klassenzimmer) und außerschulischen Lernorten (hier: eine <?page no="12"?> Gabriele Blell 12 Stadt in England). Reflektiertes Lernen spielt auch in ihrem Setting eine große Rolle. Ein weiterer Bereich, der fraglos von Lernkonzepten in anderen als dem schulischen Lernort profitiert, ist der des Bilingualen Sachfachunterrichts (Content and Language Integrated Learning, CLIL). Nicht nur dass traditionelle öffentliche Räume wie z.B der des Museums oder der städtischen Sportanlage zu bilingualen Lernräumen werden können (hier für den bilingualen Kunst-, Geschichtsbzw. Sportunterricht vgl. u.a. Rymarzcyk 2003). Auch bezogen auf diesen Bereich sind es wiederum moderne Medien und Technologien, die sowohl ein großes Potential für die CLIL-Materialentwicklung (Objektorientierung) als auch für die Entwicklung neuer Kompetenzen haben, wie auch Kupetz und Becker (2014) konstatieren, „... how the search-and-share capabilities of new technologies greatly facilitate the development of students’ conceptual understanding and procedural competence.“ (ebda, 8) Neue Lernorte, auch virtuelle, eröffnen und erfordern zum Teil neue Kompetenzen, die Schule wiederum anbahnen bzw., wenn angebracht, diese auch kritisch reflektieren müsste wie z.B. modifizierte Lesestrategien für das Lesen von Websites: von oben nach unten; modifizierte Schreibkompetenzen für das Abfassen von Hypertexten: Verlinkungen, Nicht-Linearität der Texte etc. D.h. wiederum, dass traditionelle Lernorte einer interaktiven und reflexiven Verschränkung mit neuen Lernorten bedürfen. An dieser Stelle soll kurz auch die Frage nach der Authentizität von Lernorten gestellt werden, die damit im Zusammenhang steht. B. Lernorte und Authentizität In einem gemeinsamen Aufsatz haben Blell & Kupetz gesagt: „Die Lernenden verstehen die Welt und sich selbst nur im authentischen Erleben ihrer selbst (existenzialistischer Aspekt).“ (ebda 2011, 111) D.h.: Wenn es uns gelingt, die Auseinandersetzung mit Welt und sich selbst für Schüler/ innen so authentisch wie möglich zu gestalten, schaffen wir damit auch wertvolle Impulse für Identitäts- und Sprachbildung. So sollten Lernsituationen z.B. nicht nur dann als ‚authentisch‘ angesehen werden, wenn sie für Lernende unmittelbar-real (in der schulischen oder außerschulischen Lebenswelt) oder als lebensecht akzeptierbar sind und den Schüler/ innen somit ermöglichen, das Erlernte in der unmittelbaren Praxis anzuwenden. Ähnliches Potential können auch von den Schüler/ innen selbst geschaffene Situationen haben, in denen sie individuell ‚authentisch‘ handeln, entsprechend ihrer Überzeugung, ihrem Erkenntnisstand und auch ihrem Mut, individuell zu sein, auch anders als die anderen. Die fremdsprachliche Unterrichtsrealität <?page no="13"?> Lernorte und Fremdsprachenlehren und -lernen 13 sowie der institutionelle schulische Diskurs sollten in ihrer für Lernzwecke notwendigen Dialektik von Authentizität und Authentisierung selbst als grundsätzlich authentisch und aus sich heraus originär angesehen werden. Authentisierungen von Lernprozessen sind mithin Inszenierungen von Wahrhaftigkeit (Identität) der Subjekte und Echtheit der Objekte, was an jedem Lernort - schulisch und außerschulisch sowie auch real und virtuell (soziale digitale Netzwerke) - möglich ist (vgl. Blell/ Kupetz 2011, 111f.). Authentizität und Authentisierungen von Lernprozessen erfordern folglich auch eine stärkere interdisziplinäre Verschränkung von (fremdsprachen-)didaktischen und didaktischen Szenarien für außerschulische Lernorte. Hallets Ansatz der komplexen Kompetenzaufgabe (2012, 8-19) bietet dafür z.B. weitreichende Potentiale der Öffnung. Andererseits etablieren sich momentan im Schnittbereich Wissenschaft, Öffentlichkeit und globalisierte Gesellschaft Felder einer Öffentlichen Didaktik, die sich als forschungs- und anwenderorientierte Disziplin versteht und entsprechend moderierend zwischen schulischen und außerschulischen Lernräumen agiert (Dannecker/ Thielking 2012). Die Autorinnen sehen dabei folgende Funktionen für eine Öffentliche Didaktik (ebda, 10f.): • Entwerfen von Lösungen und Zugängen einer allgemeinen Verantwortungs- und Vermittlungswissenschaft, • Vermitteln von Anregungen und Fragen der Wissenschaft an die Gesellschaft und vice versa (ansprechend und gleichsam alltagstauglich), • Benennen, Erkennen und Moderieren von Anzeichen für Veränderungen im Zusammenspiel von Wissenschaft und Kulturvermittlung sowie • Alle Didaktiken öffentlich(er) denken! 3 Welche Forschungszugänge halten Sie im Hinblick auf die Rolle der Lernorte im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen für besonders fruchtbar? Ausführungen zu A und B ziehen notwendige, auch theoretische und empirische Forschungszugänge im Kontext bildungswissenschaftlicher Kontexte nach sich. Insbesondere die dritte These eröffnet m.E. einen weiteren Problemzugang zum Thema, der nicht außer Acht gelassen werden sollte: C. Lernorte und Schüler-Eigenwelten Aus konstruktivistischer und lernpsychologischer Perspektive beschäftigt sich der Hannoveraner Bildungswissenschaftler Ziehe mit Mentalitäts- und <?page no="14"?> Gabriele Blell 14 Bedeutungskonstruktionen der aktuellen Schülergeneration. Er sagt, dass die Alltagswelten der Jugendlichen und ihre Populärkultur(en) heute fast bis zur Unkenntlichkeit miteinander verschmelzen. ‚Identifikatorische ʻ Gesichtspunkte treten zugunsten ‚diskriminativer ʻ dabei für Schüler/ innen mehr und mehr in den Hintergrund. Hoch- und Populärkulturen (also auch formelle und informelle Formen von Bildung) werden enthierarchisiert (Ziehe 2005, 200). D.h. Schüler/ innen ‚bauen’ sich (im konstruktivistischen Sinn) ihre Eigenwelten selbst; jedoch nicht mehr primär durch die Übernahme von ‚Fertigteilen ʻ , sondern durch die Übernahme von ganz unterschiedlichen Angeboten, die jedoch ihren ganz subjektiven Vorlieben entsprechen. Diese Eigenwelten sind nicht örtlich zu verstehen. ... Diese Eigenwelten sind heutzutage, das ist hier die Grundthese, strukturbildend für die mentale Ausstattung des Individuums geworden. Diese Eigenwelten sind nicht mehr, wie für frühere Jugendgenerationen, ein Nischenbereich, der mühsam gegen die Ansprüche der Umwelt verteidigt werden muss. Sondern sie können nun als mentales Zentrum der eigenen Lebensform wahrgenommen werden. (ebda, 202) Die Eigenwelten der Schüler/ innen werden damit quasi zu ihrer „Leitkultur“, zum mentalen und bedeutungsgenerierenden ‚Lernort ʻ eines jeden Schülers, d.h. Formen des formellen (schulischen) Lernens und informellen Lernens (Populärkultur/ Medien) sind mentalitäts- und lernpsychologisch kaum mehr trennbar. Eine Enthierarchisierung von Hoch- und Populärkultur geht einher mit sukzessiven Veränderungen im kognitiven, sozialen und motivationalen Bereich. ‚Fremdheitsunbehagen ʻ , da zuweilen kognitiv schwieriger zu bewerkstelligen und affektiv schmerzhafter, macht sich massiv dort breit, wo das eigene Erfahrungssystem nicht mehr ausreicht, auch bezogen auf das Verhältnis von formaler Sprache und Diskursivität. Parallel lässt sich aber auch ein erhöhtes Maß an motivationalen Freiheiten beobachten (Ziehe 2005, 204f.). Ziehe schlussfolgert jedoch daraus nicht, informales und formelles Lernen quasi permanent zu ‚vermischen ʻ . Im Gegenteil, er macht sich stark dafür, Schule und damit schulisches Lernen als bedeutungsstrukturiertes Gefüge von Werten, Normen und Regeln zu schützen, in dem Schüler/ innen Erfahrungen mit Strukturiertheit machen können. Er versteht Erfahrungen, die in der Schule gemacht werden, als eine Art Gegenaufmerksamkeit, die die diffusionierenden Folgen der ... Unstrukturiertheit und Informalisierung durchaus abmildern können. ... Es ist der Versuch und die Hoffnung, über die Erfahrung äußerer Strukturiertheit den Aufbau innerer Strukturen unterstützen zu könen.“ (ebda, 214) <?page no="15"?> Lernorte und Fremdsprachenlehren und -lernen 15 Schule und schulisches Lernen erhalten damit eine neue Bedeutung, nämlich die, Schülr/ innen in andere als die gewohnten Alltagswelten zu führen und damit Fremdheit und ‚lebensfeindlichen ʻ Antagonismus vor unbekannten Sinnwelten abzubauen und Motivation zur Auseinandersetzung mit ihnen zu entwickeln. Damit bekommt die auch in verschiedenen Publikationen immer wieder erwähnte Funktion von Schule als „Schutz und Experimentierraum“ eine modifizierte Facette (Schröder 2011, 183). Ziehe benutzt hierfür den Begriff des Lern-„Settings“ als sowohl ordungstechnisches, bedeutungsgenerierendes und affektives Lern- und Handlungsfeld. Den Lehrer sieht er als „Schützer des Settings“ (2005, 213). Für die Frage nach Lernorten bedeutet das, dass der Fremdsprachenunterricht nicht unbedingt sein ‚Heil‘ in einer übermäßigen Lernortpluralisierung suchen sollte, um der von Schüler/ innen gefühlten Lebensfremdheit der modernen Schule immer adäquat Rechnung zu tragen. Wichtiger erscheint mir die veränderte Rollenzuweisung von Schule (und auch des Fremdsprachenunterrichts). Der Lernort Schule und damit auch das fremdsprachige Klassenzimmer sollten durch erweiterte und möglicherweise veränderte methodische Akzentsetzungen nicht nur Gegenstände der Alltagswelt aus ‚anderen ʻ (theoretisch verorteten) Perspektiven sichtbar machen. Die moderne Schule sollte auch unbedingt verstärkt kritisch-reflektierend Bezug auf außerschulische Lernumgebungen nehmen, d.h. i.e.S. auch auf den subjektiven Lernort Mensch (vgl. u.a Roth 2003, 20-28). 4 Als exemplarische Forschungsfragen, hergeleitet aus den Thesen A-C, ergeben sich damit aus meiner Sicht beispielhaft die folgenden: − Welche schulischen und außerschulischen Lernorte nehmen Schüler/ innen wahr und wie nehmen sie sie wahr? Wie strukturieren, organisieren und reflektieren sie sich selbst und andere Lernumgebungen als ‚Lernorte‘? (Lernpsychologie, Gestaltpsychologie etc.) − Wie interagieren Schüler/ innen in und mit (schulischen und außerschulischen) Lernumgebungen? − Einen zentralen Zugang bildet m.E. auch die Frage der Förderung von reflektierter Lern- und Handlungsfähigkeit. Wie kann bei Schüler/ innen im Kontext von schulischem und außerschulischem Lernen (Wechselbeziehung) eine reflektierte Lern- und Handlungsfähigkeit entwickelt werden? Wie wird dabei der Lernort Schule als Struktur- 4 Dabei wird davon ausgegangen, dass für einen sukzessiven Aufbau reflektierter Handlungsfähigkeit eine theoriegeleitete Auseinandersetzung mit der Praxis unter kontrollierten und reduzierten Bedingungen besser geeignet ist als eine ausschließliche Intensivierung von Praxiserfahrungen im hochkomplexen schulischen Unterricht. <?page no="16"?> Gabriele Blell 16 geber und gleichzeitig geschützter Erxperimentierraum wahrgenommen? − Inwieweit sind bereits erprobte (digitale) Lerntechnologien des FSU anwendbar auf außerschulische Lernorte bzw. wie können entsprechende Technologien verstärkt auf mögliche berufliche Felder adaptiert werden? Bzw. welche neuen Lerntechnologien erfordert die Wirtschaft der Zukunft? (growth and jobs) − Welche didaktischen Szenarien sind notwendig, um schulische und außerschulische Lernorte stärker miteinander zu verschränken? (‚öffentliche Didaktik‘) 4 Welche methodischen und didaktischen Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht sehen Sie im Zusammenhnag mit außerschulischen Lernorten? Hier sollen abschließend nur beispielhaft Überlegungen angestellt werden. Ich gehe dabei davon aus, dass schulische und außerschulische (einschließlich mentaler) Lernorte als dynamisches Ganzes gesehen werden und immer wieder miteinander impulsgebend in Beziehung gesetzt werden sollten. − Außerschulische Lernorte sollten „passen“: „Je nach Zielgruppe, Thema, Lernziel und Methodik sind Lernorte mehr oder weniger geeignet.“ (Siebert 2006) − Außerschulische Lernorte eröffnen bzw. erfordern spezifische (sprach-)handlungs- und erlebnispädagogisch-orientierte ‚Lern-Dramaturgien‘ bzw. didaktische Szenarien, die diese Orte zu Lernorten machen, sie aber auch gleichzeitig wieder an den Lernort Schule zurückbinden (Textarbeit, Expertengespräche, Interviews, biografieorientierte Lernphasen, kreativ-ästhetische Lernphasen, digitales Lernen etc.). 5 − Zentral scheint weiterhin (auf der Grundlage der erörterten Thesen), nach Methoden und Techniken zu suchen, die im Fremdsprachenunterricht helfen können, reflektierte Handlungs- und Lernkompetenzen zu entwickeln. Dazu zählen z.B. Strategien im Metabereich, entsprechende prototypische Aufgabenszenarien, die SuS dabei helfen, „unbekannte“ und für sie „fremde Sinnwelten“ abseits vom Populärdiskurs zu verhandeln. 5 Fellmann (2014) hat z.B. für vorbereitende/ durchführende und nachbereitende Lernarrangements im Rahmen der Schüleraustauschfahrt authentische Schülertexte hinzugezogen: eine von SuS erstellte Textsammlung (A day in my life), die Homepage der Parkside School sowie auch einen Schülerfilm (People, schools, regions) (ebda, 87ff.). <?page no="17"?> Lernorte und Fremdsprachenlehren und -lernen 17 Literatur Altmeyer, Claus et al. (Hrsg.) (2010): Grenzen überschreiten: Sprachlich, fachlich, kulturell. Baltmannsweiler: Schneider. Blell, Gabriele/ Kupetz, Rita (2011): „Authentizität und Fremdsprachendidaktik“. In: Funk/ Krämer (Hrsg.), 99-115. Böhnisch, Lothar (2011): „Jugendarbeit als Lernort“. In: Hafeneger (Hrsg.), 57- 66. Byram, Michael. 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Englisch erlebt man als Jugendlicher aber vor allem auch in der Freizeit, deren Angebote zunehmend von Medien bestimmt werden, die Englisch selbstverständlich als lingua franca weltweit einsetzen. Englischsprachige Musik, Chats, Cartoons und You Tube-Videos sind nur ein kleiner Ausschnitt der täglich benutzten Textsorten und -formen, die die anglophonen Sprachen und Kulturen anbieten. Ein weiterer wichtiger Lernort sind Austausche und Begegnungen mit Mitgliedern anderer Kulturen, die persönlicher Art sein können oder virtueller Art; sie haben den direkten Kontakt mit den anderen Kulturen als gemeinsamen Nenner und den Gebrauch der Zielsprache Englisch zusammen mit native speakers oder als lingua franca. In einer Personenkonstellation, die sich vom Fachunterricht stark unterscheidet, an einem Ort, der meist aus dem schulischen Kontext losgelöst ist und oft sogar im Ausland liegt, verbringen die Schülerinnen und Schüler einige Tage oder Wochen mit zielkulturellen Personen. Der Charme eines solchen Lernszenarios besteht darin, dass die Lernenden sich auf Personen aus einem oder mehreren fremden Kulturkreisen einlassen müssen, mit ihnen respektvoll umgehen, critical incidents reflektieren und versuchen, die Innenperspektive des Gegenübers einzunehmen (Bredella 2010; Byram 2001; Grau 2001). Solche Austausche und Begegnungen sind in Ansätzen bereits erforscht worden, meist im Zusammenhang mit der Frage nach einem Lernzuwachs im Bereich der interkulturellen kommunikativen Kompetenz (IKK). Nach wie vor der wichtigste Lernort, den ein Englischdidaktiker heute im Blick haben muss, wenn es um das Lehren und Lernen dieser Sprache geht, ist natürlich die Schule. Während in den letzten zehn Jahren zahlreiche empirische Studien zum Fachunterricht Englisch vorgelegt worden sind (Burwitz-Melzer 2003; Kimes-Link 2013; Steininger 2014), ist ein anderer <?page no="20"?> Eva Burwitz-Melzer 20 Bereich, nämlich die außerunterrichtlichen Angebote der Ganztagsschule, noch fast gar nicht beforscht worden. Einige wenige Ansätze befassen sich bisher mit dem Thema (vgl. Reiberg et al. 1994; Kurtz 2006; Schmelter/ Vogt 2009); eine aktuelle Bestandsaufnahme des Status Quo und empirische Forschung zu Unterrichtskonzepten, verschiedenartigen Angeboten oder auch zur Verzahnung des außerunterrichtlichen Angebots mit dem Fachunterricht liegen aber bisher nicht vor. Dabei ist die Palette der außerunterrichtlichen Veranstaltungen in der Ganztagsschule für die Fremdsprachen recht groß und umfasst Kurse, AGs und Projekte, die vielfältige Lerngelegenheiten bieten. Auch bedeutet bereits der Lernort „Ganztagsschule“ eine deutliche Abweichung von der herkömmlichen Halbtagsschule, insofern als die Ganztagsschule „eine sinnvolle rhythmisierte Abfolge von Unterricht, Förderangeboten und Freizeitangeboten, einen in pädagogischer Hinsicht wirkungsvollen Ausgleich zwischen Spannung und Erholung, zwischen lernbezogenen und sonstigen Aktivitäten“ (Hopf/ Stecher 2014, 68) schaffen soll. Da lernphysiologische Erkenntnisse zeigen, dass die Leistungsfähigkeit und die Aufnahmebereitschaft der Kinder und Jugendlichen über den Tag hinweg stark variieren (Appel 2005, 140ff.), scheint es geboten, in sinnvoller Rhythmisierung die Abfolge von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten sowie die Art dieser Angebote näher zu betrachten. Bei Rollet et al. (2011) wird zwischen vier verschiedenen außerunterrichtlichen Angebotsformen in der Ganztagsschule unterschieden, die sowohl unterrichtswie auch projektbezogen sein können. Neben den stärker unterrichtsbezogenen Formen der Hausaufgabenbetreuung und der individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern gibt es zahlreiche fachbezogene Angebote, die sich auch auf den Bereich Fremdsprachen beziehen. Fächerübergreifende Angebote, die etwa den Umgang mit technischen Medien fördern, szenisches Darstellen oder Dramenprojekte durchführen, die auf verschiedene Weise auch die Fremdsprache Englisch mit einbeziehen, stellen die dritte Säule des außerunterrichtlichen Angebots dar. Die vierte Kategorie wird von Freizeitangeboten gebildet, die freiwillig oder auch in gebundener Form angeboten werden. Die von Appel (2005) und von Rabenstein (2008) beschriebene Rhythmisierung bezieht sich auf die Abfolge von unterrichtlichem und außerunterrichtlichem Angebot sowie auch auf die Abfolge der verschiedenen hier dargestellten Angebotsformen. Vorstellbar, und Bezugspunkt für diesen Artikel, sind englischsprachige Angebote in allen vier Kategorien, allerdings wird die Art der Angebote, ihre Durchführung, die Methodik und ihre Materialien wie auch der Grad der Selbstständigkeit mit der Schülerinnen und Schüler eigene Lernwege verfolgen können, je nach Angebotsform stark variieren. Die Stu- <?page no="21"?> Lernorte in der Ganztagsschule 21 die zur Entwicklung von Ganztagsschulen StEG (Rollet, Lossen, Jarsinski, Lüpschen/ Holtappels 2011) hat u.a. gezeigt, dass etwa 28 Prozent der Grundschülerinnen an fachbezogenen Förderangeboten teilnehmen, während in der Sekundarstufe I die fächerübergreifenden Arbeitsgemeinschaften die größte Attraktivität ausüben. Die Ergebnisse von StEG legen nach Hopf und Stecher nahe, dass „im Allgemeinen unterrichtsferne Angebote eine höhere Attraktivität für die Schüler/ innen aufweisen als unterrichtsnahe Angebote“ (2014, 8). Bisher gab es nur wenige fachdidaktische Erkenntnisse über außerunterrichtliche Angebote. Die pädagogische Ganztagsschulforschung wartet aber mit einer überraschenden Diskrepanz auf, die sich erst auf den zweiten Blick als fremdsprachendidaktisches Problem entpuppt. Nach Rollett weisen etwa 55% aller außerunterrichtlichen Angebotselemente an Ganztagsschulen (Primarstufe und Sekundarstufe I) Fremdsprachenbezug auf (Rollett et al. 2011, 76-96). Erstaunlicherweise werden aber für das Angebot zum interkulturellen Lernen in diesem Kontext nur 20% aller Angebote an deutschen Ganztagsschulen genannt. Diese Unstimmigkeit muss erstaunen, da man doch in der Regel davon ausgeht, dass ein Fremdsprachenangebot stets auch die Förderung des interkulturellen Lernens impliziert. Aktuelle politische Entwicklungen in Deutschland wie Pegida zeigen, dass interkulturelles Lernen nach wie vor unabdingbar zum Fremdsprachenlernen dazugehören muss. Zwar handelt es sich hierbei nicht um einen aktuellen Ansatz in der Fremdsprachendidaktik, doch haben die Konzepte zur interkulturellen kommunikativen Kompetenz durch ihre Umsetzung in den Bildungsstandards der KMK (2012) eine neue Bedeutung und gleichzeitig eine wichtige Konkretisierung erlangt, so dass sie nun in so gut wie alle Lern- und Förderkontexte integriert werden können. Gerade die Primarstufe und die Sekundarstufe I sollten differenzierte und attraktive Lern- und Förderangebote zur interkulturellen Kompetenz in den Ganztagsschulangeboten bereithalten, um eine breite Basis für ein interkulturelles Bewusstsein zu schaffen. Ist es korrekt, dass im außerunterrichtlichen Angebot der Ganztagsschulen nur ca. 20% dem interkulturellen Lernen gewidmet werden (Rollett et al. 2011), so scheint dies eine vergeudete Chance zu sein. Gerade rhythmisierte Lernangebote mit abwechslungsreicher Methodik und variierenden Inhalten sollten ein Angebot für interkulturelles Lernen bereitstellen, das vom Fachunterricht allein nur schwer aufzubieten ist. Eine geschickte Verzahnung zwischen Fach- und außerunterrichtlichem Angebot an Ganztagsschulen könnte also, ganz anders als bisher, für eine sinnvolle Lernchancenvielfalt in diesem Kompetenzbereich sorgen. <?page no="22"?> Eva Burwitz-Melzer 22 Betrachtet man die verschiedenen außerunterrichtlichen Angebotsformen im Ganztagsschulkontext, wird deutlich, dass von den vier oben beschriebenen Kategorien insbesondere die fachbezogenen und die fächerübergreifenden für eine solche Kompetenzförderung in Frage kommen. Auf diese beiden Angebotsformen möchte ich mich im Folgenden beschränken. Lernszenarios, die sich bisher im Fachunterricht oder in den wenigen gut dokumentierten Lernszenarios außerhalb der Schule vornehmlich mit der Förderung der IKK beschäftigen, weisen verschiedene Schwerpunkte auf (vgl. Burwitz-Melzer 2003, 72-83): 1. Textprojekte (mit interkulturell ausgerichteten Spiel- und Dokumentationsfilmen, Sachtexten und literarischen Texten in verschiedenen Medienrealisiationen) 2. Begegnungsprojekte face to face 3. Begegnungsprojekte virtuell, z.B. per E-Mail, Chat, sozialen Netzwerken 4. Dramenprojekte Welche dieser Lernszenarios eignen sich nun für eine außerunterrichtliche Vermittlung? Und wer kommt als Lehrperson oder Betreuer der diversen interkulturellen Angebote in Betracht, ausgebildete Fremdsprachenlehrkräfte oder auch außerschulisches Personal? Diese Fragen sind sicher nicht ganz einfach und eindeutig zu beantworten, es gibt aber bestimmte Indikatoren, die für ein aus dem Klassenverband und aus dem strikten Schulstundentakt gelöstes, überfachliches Angebot sprechen. Vorstellbar sind auch eng verzahnte Projektformen, die den Fachunterricht und das außerunterrichtliche Angebot fachdidaktisch sinnvoll miteinander verbinden. Dabei ist zu bedenken, dass nicht nur die schulische Administration dieses Ziel im Blick haben muss, sondern auch die Lehrkräfte, die sich mit den anderen Lehrkräften, den Pädagogen oder den nicht pädagogischen Anbietern der außerunterrichtlichen Angebote differenziert abstimmen müssen. Bereits bei der ersten Variante der Lernszenarios, die verschiedene Textsorten in unterschiedlichen Medien umfasst, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, diese fachdidaktisch und pädagogisch sinnvoll mit dem Fachunterricht zu verzahnen ohne einfach eine Doppelung hervorzurufen. Vorstellbar wäre für diesen Kontext eine „Text und Medien“-AG, die sich die Förderung der IKK in einer Zielsprache vornimmt. Möchte man eher fächerübergreifend arbeiten, kann neben der IKK auch gezielt die Mehrsprachigkeit der Lernenden gefördert werden. Solche außerhalb des Fachunterrichts liegenden Textprojekte sollten insbesondere sehr umfangreiche literarische Texte oder <?page no="23"?> Lernorte in der Ganztagsschule 23 Sachtexte, sowie Spiel- oder Dokumentarfilme, in eine fachbezogene AG (nur eine Fremdsprache) oder eine fächerübergreifende AG (mehrere Fremdsprachen mit dem Ziel der Förderung der Mehrsprachigkeit) auslagern, denn allein die Länge der Texte macht eine Darbietung und anschließende Bearbeitung (Diskussion, Analyse, etc.) im Fachunterricht schwierig. Was im Fachunterricht große Probleme bereitet, weil es sich nicht an einen Schulstundentakt anpassen lässt, kann gerade zum Vorteil einer AG durch freiere Arbeitszeiten und -formen genutzt werden, sowie durch eine breitere Auswahl bei den angebotenen Texten. Gleiches gilt auch für die Wahl der Methodik bei der Textarbeit: Es können im außerunterrichtlichen Kontext Arbeitsformen gewählt werden, für die im Fachunterricht weniger Zeit bleibt, also z.B. eine stärker schülerzentrierte, projektähnliche Arbeitsweise, die Ziele setzt, aber Zwischenziele von den Lernenden selbst bestimmen lässt. Wichtig ist eine sinnvolle Schwerpunktsetzung auf affektiven bzw. kognitiven Lernzielen, die je nach Text- oder Mediensorte eine optimale Erschließung der Texte und eine variable, abwechslungsreiche Textarbeit ermöglichen. Setzt man die offeneren Arbeitsformen bei jahrgangsübergreifenden Projekten ein, wird die Arbeit für die Schülerinnen und Schüler interessanter sein als im Klassenverband, weil sie sich bei der Textarbeit mit immer neuen Jugendlichen auseinandersetzen müssen. Bereits die zumeist multiethnische Zusammensetzung in den AG- Gruppen wird dafür sorgen, dass Konflikte, literarische Phänomene oder cultural clashes anders diskutiert werden als im Kursverband des Fachunterrichts. Eine solche „Text und Medien“-AG, die sich vorzugsweise mit längeren interkulturell ausgerichteten Texten beschäftigt, ist jedoch nur mit fremdsprachendidaktisch ausgebildetem Personal vorstellbar. Bei einem fächerübergreifenden Lernangebot, das Texte aus mehreren Fremdsprachen berücksichtigt und einen gezielten Beitrag zur Ausbildung der Mehrsprachigkeit macht, ist es sinnvoll, ein Lernteam aus mindestens zwei Fremdsprachenlehrenden bereit zu stellen. Face to face-Begegnungsprojekte gehören heute zum Standardangebot aller Schulformen, denn die zahlreichen staatlich geförderten ERASMUS-, DAAD-, LINGUA- und SOKRATES-Programme unterstützen seit geraumer Zeit die Schulen in dieser Hinsicht. Wer sich auf die Webseiten von Ganztagsschulen begibt, stellt schnell fest, dass die meisten diverse Partnerschaften mit ausländischen Schulen unterhalten, vorzugsweise in Ländern, deren Sprachen an der Schule auch unterrichtet werden, oft aber auch mit Institutionen in Drittländern, so dass eine lingua franca zur Kommunikation gewählt werden muss. Das Erleben der anderen Sprachen, der eigene Gebrauch der Zielsprache oder einer lingua franca, der Besuch fremder Städte und Landschaften und das Bad in einer anderen Kultur stellen oft Schlüssel- <?page no="24"?> Eva Burwitz-Melzer 24 erlebnisse für Fremdsprachenlernende dar, die ihre Motivation beflügeln können. Allerdings zeigen kritische Studien auch (Baumgratz-Gangl 1990, Coleman 1998 und Grau 2001), dass die einfache Gleichung, die den Austausch mit erfolgreichem Lernen gleichsetzt, zu kurz greift. Nach Coleman (1998) kann ein Auslandsaufenthalt gerade auch das Gegenteil der gewünschten Wirkung zeitigen, nämlich die Verfestigung von Vorurteilen und ein negativeres Bild der L2-Kultur als vor der Reise. Einig sind sich die meisten Fachdidaktiker, dass eine tiefer gehende, Vorurteile und Stereotype bearbeitende Vor- und Nachbereitung eines Auslandsaufenthalts positive Auswirkungen auf das Erleben dieses Aufenthalts hat. Es scheint deshalb sinnvoll, wenn Schulen diese Vor- und Nachbereitung sehr ernst nehmen und, zum flexibleren Umgang mit den vor- und nachbereitenden Inhalten, interkulturelle Vermittlungsprojekte in den außerunterrichtlichen Kontext auslagern. Virtuelle Begegnungsprojekte stellen eine dritte sehr verbreitete Form von interkulturellen Lernszenarios dar, die seit gut zehn Jahren in allen Schulformen durchgeführt werden: Seien es Briefprojekte, E-Mail-Austausche oder Chats mit zielsprachigen Schülerinnen und Schülern oder mit mehreren Schulpartnern. In der Regel wird Englisch als Zielsprache oder als lingua franca eingesetzt, die Projekte sind mit festen Schulpartnern recht einfach und mit unterschiedlichen Inhalten durchführbar. Ähnlich wie bei Begegnungsprojekten kann es bei mehreren Kommunikationspartnern und dem Austausch über kulturelle und interkulturelle Fragen leicht zu cultural clashes kommen, die dann bewusst gemacht, reflektiert und behoben werden sollten. Die technischen Möglichkeiten der Kommunikation erlauben stets noch eine Denkpause mit der Lehrkraft und den Kurskameraden. Simultane Kommunikation dagegen erfordert mehr Fingerspitzengefühl, da man schnell reagieren muss und sich nicht mit anderen beraten kann. Es kann diesen Szenarios zugutekommen, wenn sie aus dem Regelunterricht in eine Technik- oder Internet-AG ausgelagert werden, in der die Jugendlichen sowohl den sensiblen und verantwortungsbewussten Umgang mit dem PC und seinen verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten bis hin zu den sozialen Netzwerken erlernen. Im außerunterrichtlichen Angebot ist eine fächerübergreifende AG denkbar, die im Team von einem Medienberater und einer Fremdsprachenlehrkraft geleitet werden kann. Während der Medienberater in die technischen, pädagogischen und eventuell auch juristischen Problemstellungen einführt, berät die Lehrkraft die Lernenden in fremdsprachlichen und interkulturellen Fragen. Das letzte Lernszenario, das in diesem Kontext angesprochen werden soll, wird an zahlreichen Ganztagsschulen bereits als „dramatisches Spiel“ im Nachmittagsprogramm angeboten: Es handelt sich meist um Theaterpro- <?page no="25"?> Lernorte in der Ganztagsschule 25 jekte oder auch szenische Darstellungsformen, die für mehrere Schulfächer ein interessantes Zusatzprogramm bieten können, indem sie Erfahrungen aus dem Unterricht, z.B. die Lektüre eines Shakespeare-Dramas, als Basis für das Theaterspielen bieten. Im Kontext dieses Artikels soll der Schwerpunkt etwas anders gesetzt werden, indem dargestellt wird, welche Möglichkeiten das Darstellende Spiel für die Fremdsprachen und die Förderung der IKK bereithält. Den Weg weisen hier britische und deutsche Pädagogen und Theaterpädagogen, die bereits seit etlichen Jahren dramatische Inszenierungen, Rollenspiele und szenische Tableaus einsetzen, um die besondere Spannung zwischen der Kunstform des Theaters und der Realität zu nutzen: A fruitful way of thinking about dramatic art is not to see it as merely replicating experience but to be aware of its potential to explore and examine experience in ways which would otherwise be denied to us in real life. Real communication, particularly in public contexts with strangers may be full of subtexts, innuendo and selfconsciousness which in drama can be subject to more conscious control and manipulation. It works paradoxically by revealing complexities by simplification; by editing out some of the features which are characteristic of encounters in real life, certain aspects of behaviour are thrown onto relief and able to be subject to scrutiny. (Fleming 1998, 149) In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bedeutet dies, dass dramatische Inszenierungen genutzt werden, um auf Deutsch oder in der Fremdsprache Alltagsproblematiken des interkulturellen Lebens darzustellen, aus verschiedenen Perspektiven anzuschauen, zu verlangsamen und zu variieren, um die darstellenden Lernenden verschiedene Lösungsansätze ausprobieren zu lassen. Fleming (1998), Heathcote und Bolton (1998) sowie Schewe (1998) haben die Durchführung solcher oft sehr aufwändigen Verfahren dokumentiert, unterschiedliche Szenarien durchgeführt und besonders mit gemischtaltrigen Gruppen mit hochmotivierten Teilnehmern und Teilnehmerinnen in Bezug auf eine Förderung des interkulturellen Bewusstseins auch Erfolge erzielt (vgl. Burwitz-Melzer 2003, 78-81). Aus fachdidaktischer Sicht gibt es bisher wenig empirische Fragestellungen zu den Angeboten der Ganztagsschulen, da die bisherige Forschung vor allem an pädagogischen Gesichtspunkten interessiert war (vgl. Rollet et al. 2011; Hopf/ Stecher 2014). Es muss aber im Interesse der Fremdsprachendidaktik liegen, dieses relativ neue Forschungsfeld gründlich zu erforschen, um es optimal für fremdsprachendidaktische Belange zu nutzen. In diesem Zusammenhang muss zunächst einmal interessieren, welche Angebote es neben den Regelschulangeboten in der heutigen Ganztagsschullandschaft überhaupt gibt und wie sie sich in den vier oben aufgeführten Kategorien darstellen lassen. Überwiegt das Hausaufgabenbetreuungsangebot oder wer- <?page no="26"?> Eva Burwitz-Melzer 26 den mehr fachbezogene und fächerübergreifende AGs durchgeführt? Wie verhält sich das Angebot an freien und das an gebundenen Ganztagsschulen? Solche Fragestellungen fordern einen quantitativen large scale- Forschungszugang, der zunächst einmal genauer darstellt, welche Fremdsprachen in der Ganztagsschule wo vertreten sind und mit welchem Personal (Einzelpersonen oder Teams aus Pädagogen, Fremdsprachenlehrkräften, anderem schulischem oder außerschulischem Personal) die den Fachunterricht ergänzenden Szenarios in der Ganztagsschule durchgeführt werden. Durch Fragebögen an die Kultusministerien und die Ganztagsschulen selbst kann die aktuelle Lage in jedem Bundesland festgestellt werden. Um zu einer genaueren Bestandsaufnahme des Status Quo zu gelangen, bedarf es aber auch qualitativer Forschungszugänge, die sich zunächst im Sinne einer Grundlagenforschung besonders mit den außerunterrichtlichen Ganztagsschulszenarios, die sich auf Fremdsprachen und das interkulturelle Lernen beziehen, beschäftigen. In Interviews mit dem Lehrpersonal kann versucht werden festzustellen, wie es um die Verzahnung mit dem Fachunterricht steht, auf welche Art schulisches und außerschulisches Personal zusammenarbeiten und wie Lehrkräfte diese Zusammenarbeit oder auch die Doppelbelastung im Fachunterricht und im außerunterrichtlichen Angebot bewältigen. Das Ziel ist es zu erfahren, wie sich die Qualität und der Zeitaufwand der Kooperation zwischen den Regelschulkräften und dem außerschulischen Personal darstellen. Daneben interessiert natürlich auch, welche methodischen Zugänge für die außerunterrichtlichen Angebote gewählt werden, ob diese absichtlich als Alternativen zum Fachunterricht gestaltet werden und inwiefern die Lehrkräfte bzw. das außerschulische Personal sie als ausreichend und fruchtbar empfindet. Interviews mit den Schülerinnen und Schülern können Aufschluss darüber geben, ob die Lernenden mit dem außerunterrichtlichen Angebot zufrieden sind, von welchen Kursen und Projekten sie besonders gern Gebrauch machen und worin die Gründe dafür liegen. Wirklich nähern kann man sich dem Phänomen der außerunterrichtlichen Kurse und Projekte aber nur, wenn auch videografische Beobachtungen vorgesehen werden. In Einzelfallstudien, die sich auf unterschiedliche Schulstufen und -formen beziehen, sollten diese Lernszenarios genauer unter die Lupe genommen werden, indem das Handeln der Lehrkräfte oder des außerschulischen Personals sowie der Lernenden beobachtet und anschließend in retrospektiven Interviews noch einmal hinterfragt wird. Literatur Appel, Stefan (2005): Handbuch Ganztagsschule: Praxis - Konzepte - Handreichungen. Schwalbach: Wochenschau. <?page no="27"?> Lernorte in der Ganztagsschule 27 Artz, Verena und Cremer, Will (Hrsg.) (1994): Lernen für Europa. 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Zusatzunterricht ab, der schon immer ein, bislang leider weitgehend unerforschtes, Feld fremdsprachlichen Lernens darstellt (Ausnahme: Gießing 1997), waren bis in die 1960er Jahre hinein außerschulische Sprachkontakte i.d.R. jedoch nur ganz wenigen Schüler_innen vorbehalten. Sie erhielten insbesondere durch familiäre Kontakte und Urlaubsreisen Gelegenheit, im Inland mit Zielsprachensprecher_innen zu sprechen oder ins Ausland zu reisen. Diese Situation hat sich seit den 1970er Jahren deutlich verändert. Es entwickelte sich eine kaum überschaubare Vielzahl von Programmen und Aktivitäten, die die Erprobung, Anwendung und Erweiterung des in der Schule erworbenen Fremdsprachenwissens und -könnens, den Erwerb landeskundlichen Wissens bzw. interkultureller Kompetenz sowie die Steigerung der Motivation für die weitere bzw. vertiefte Beschäftigung mit der Fremdsprache und den Zielsprachenkulturen unterstützen sollten bzw. konnten. Zu unterscheiden sind m.E. drei große Bereiche, die sich durch ihre Beziehung zum institutionellen Lernen unterscheiden: 1. Angebote zur direkten Begegnung weitgehend unabhängig vom schulischen Lernen, 2. mediale Angebote für den Freizeitbereich, die auch im Unterricht genutzt werden können, 3. außerschulische Lerngelegenheiten in mehr oder weniger enger Verbindung zum schulischen Lernen. Erster Bereich Zum ersten Bereich gehören organisierte Angebote, die weitgehend unabhängig vom schulischen Lernen stattfinden. Dazu zählen insbesondere: <?page no="30"?> Daniela Caspari 30 • private Aktivitäten (z.B. durch persönliche Kontakte, Suchanzeigen, Vermittlung über Schulkontakte oder Städtepartnerschaften), • kommerzielle Anbieter (z.B. Sprachreisen in den Schulferien, vgl. z.B. Caspari 2011a), • institutionelle Anbieter (z.B. das Deutsch-Französische Jugendwerk DFJW mit seinen vielfältigen bi- und trinationalen Austausch- und Begegnungsprogrammen, Projekten und Wettbewerben (http: / / www. dfjw.org/ franzoesisch-lernen). Zweiter Bereich Zum zweiten Bereich zählen mediale Lerngelegenheiten, die vor allem im Freizeitbereich wahrgenommen werden können. Schon vor Beginn des Internet-Zeitalters weiteten sich das Angebot und insbesondere die Verfügbarkeit authentischer fremdsprachiger Medien von Schallplatten über Bücher und Zeitschriften, fremdsprachige Radio- und Fernsehkanäle bis hin zu Videos, CDs oder DVDs rasant aus. Seitdem auch schon jungen Schüler_innen eigene Computer, Tablets und Smartphones zur Verfügung stehen, sind die Gelegenheiten zum außerschulischen Kontakt in und mit der Fremdsprache durch die verschiedenartigen digitalen Angebote grenzenlos und unüberschaubar (u.a. fremdsprachige Internetseiten, Videoclips, Blogs, Foren, Spiele). Ob und inwieweit diese Angebote tatsächlich als Lerngelegenheiten im anfangs genannten Sinn wahrgenommen und genutzt werden, dürfte je nach Person und Situation sehr unterschiedlich sein. Es ist daher auch umstritten, ob und inwieweit der schulische Unterricht solche privaten Interessen aufgreifen sollte, denn er läuft dabei möglicherweise Gefahr, sie zu (zer-)stören. Umgekehrt ist es jedoch ein erklärtes Ziel des schulischen Fremdsprachenunterrichts, die Schüler_innen durch den Unterricht zu entsprechenden privaten Aktivitäten zu motivieren und zu befähigen. Dritter Bereich Zum dritten Bereich zählen all die Aktivitäten, in denen außerschulisches Lernen durch die Schule bzw. den Fremdsprachenunterricht angebahnt und organisiert ist. Dabei kann der Schwerpunkt der Aktivität eher innerhalb oder außerhalb des Schulunterrichts liegen und sie kann in höchst unterschiedlichem Maße mit dem Unterricht im Klassenzimmer verbunden sein: Zu den Lerngelegenheiten, deren Schwerpunkt zumeist außerhalb der Unterrichtszeit liegt, gehören z.B. Exkursionen, Schüleraustausch, Schülerbegegnungen am dritten Ort (z.B. Bücking 2000), Betriebspraktika oder Studienreisen. Insbesondere wenn sie ein lerngruppen-unabhängiges Angebot darstellen (z.B. einzelne Schülerinnen und Schüler aus den 9. Klassen <?page no="31"?> Schulisches und außerschulisches Lernen verbinden 31 nehmen am Schüleraustausch mit einem collège in Caen teil), finden sie weitgehend unabhängig vom Unterricht in den jeweiligen Lerngruppen statt. Aber auch wenn eine Lerngruppe gemeinsam an dieser Aktivität teilnimmt, z.B. gemeinsam auf Exkursion geht, ist individuell sehr unterschiedlich, ob, in welchem Maße und in welcher Form sie im ‚regulären‘ Unterricht inhaltlich und sprachlich vorbzw. nachbereitet wird. Eine systematische(re) Verzahnung wird vor allem in den seit den 1980er Jahren entwickelten und erprobten Projekten angezielt, in denen während der Unterrichtszeit Lernphasen außerhalb des Klassenzimmers vorbereitet werden und die Ergebnisse wieder in den Klassenunterricht einfließen (vgl. den bilanzierenden Beitrag zur Projektmethode von Legutke 1989). Solche Projekte können das Ziel verfolgen, mit Zielsprachensprechern zu kommunizieren (vgl. z.B. den Klassiker „Airport“ von Legutke/ Thiel 1983), sie können der Erkundung von fremdsprachigen bzw. fremdkulturellen Orten in der eigenen Stadt dienen (vgl. Börner 2000) oder die gezielte Erkundung bestimmter landeskundlicher Aspekte im Rahmen einer Studienreise oder eines Austausches in ein Zielsprachenland (vgl. Melde 1995) unterstützen. Projektartiges Fremdsprachenlernen kann ebenfalls an Orten arrangiert werden, an denen sonst die Verkehrssprache Deutsch gesprochen wird wie z.B. im Museum (vgl. Rymarczyk 2013). Zu diesem dritten Bereich zählen ebenfalls Projekte, die von außerschulischen Trägern organisiert bzw. unterstützt werden. Gerade für das Französische existiert, nicht zuletzt durch die Unterstützung des Deutsch- Französischen Jugendwerks, des Institut Français und der großen Schulbuchverlage, eine große Bandbreite an Möglichkeiten (vgl. auch die Übersicht in Caspari 2011b). Zu den beliebtesten zählen die Cinéfêtes, durch die schon über 1 Mio. Französischschüler französische Filme im örtlichen Kino anschauen konnten (http: / / www.institutfran-cais.de/ cinefete/ ? lang=fr), das Lektüreprojekt Prix des lyçéens, bei dem Schüler_innen aus einer Auswahl aktueller Jugendliteratur in einem bundesweiten Auswahlverfahren den Preisträger krönen (vgl. Boberg 2007) und der jährlich stattfindende Deutsch-Französische Tag (vgl. Caspari et al. 2010). Nicht zuletzt zählen zu diesem Bereich die vielen pädagogisch bzw. fremdsprachendidaktisch ausgerichteten digitalen Angebote und Möglichkeiten zum Erwerb, Üben und zur, oft spielerischen, Beschäftigung mit der Fremdsprache und fremdsprachigen Produkten (s. z.B. die Linkliste http: / / www.internet-abc.de/ kinder/ linktipps-schule-franzoe-sich.php). Dazu kommen vorstrukturierte Lernarrangements wie E-Mail-Tandem, Télé- Tandem bereits für die Grundschule (http: / / www.tele-tandem.net/ de/ ) oder die vom Pädagogischen Austauschdienst unterstützte europaweite eTwin- <?page no="32"?> Daniela Caspari 32 ning-Plattform, über die Partnerschulen in ganz Europa in Projekten zusammenarbeiten können (http: / / www.etwinning.de/ ). Es gibt zahlreiche Kriterien, mit denen versucht wird, die vielfältigen Lernorte bzw. Lerngelegenheiten für das Fremdsprachenlernen zu unterscheiden. Anhand des hier vorgenommenen Systematisierungsversuches wird deutlich, dass eine einfache Zuordnung in schulische bzw. außerschulische Lernorte nicht möglich ist, sondern dass es eine große Bandbreite unterschiedlicher Formen gibt, die in unterschiedlicher Weise mit dem schulischen Fremdsprachenunterricht interagieren bzw. interagieren könnten. Das vermutlich zentrale Kriterium der Unterscheidung ist m.E. jedoch mit keinem der üblichen Kriterien Ort, Zeit, Person, Medium, Aktionsform etc. zu fassen: Es dürfte vielmehr die zugrundeliegende Auffassung der Beteiligten darüber sein, was ‚richtiges‘ bzw. ‚echtes‘ Fremdsprachenlernen ausmacht, ob für Lerner_innen und Lehrer_innen aus einer Lerngelegenheit ein Lernort wird. 2 Die Bedeutung unterschiedlicher Lernorte im Zusammenhang mit aktuellen fremdsprachendidaktischen Entwicklungen und Ansätzen In der obigen Zusammenstellung fällt sofort die große Bedeutung des Einsatzes „neuer“ bzw. digitaler Medien ins Auge, mit denen sich die Fremdsprachenforschung seit den 1990er Jahren intensiv befasst und für die eine große Menge unterrichtspraktischer Vorschläge entwickelt und erprobt wurden. Trotzdem attestiert die kürzlich veröffentlichte OECD-Studie ICLIS deutschen Schüler_innen und ihren Lehrkräften eine im weltweiten Vergleich höchstens mittel ausgeprägte computer literacy, was auch am geringen Gebrauch dieser Medien im Fremdsprachenunterricht liegen dürfte. Im Vergleich der 21 Länder liegt Deutschland hier selbst in der Kategorie „wenigstens in einigen Stunden“ (vgl. Boos et al. 2014, 39) auf dem viertletzten Platz. Als zweites fällt die enge Verschränkung mit dem Bereich interkulturelles Lernen bzw. interkulturelle Kompetenz auf. Zwischen 2000 und 2002 habe ich in der Zeitschrift Fremdsprachenunterricht eine Serie von Erfahrungsberichten herausgegeben, in denen Lehrkräfte berichten, wie sie „Begegnungen“ mit der Fremdsprache, fremdsprachigen Kulturen, Zeugnissen aus diesen Kulturen und, natürlich, Sprecher_innen der entsprechenden Sprachen geschaffen haben. Bei der Konzeption der Serie und der Suche nach Autor_innen stand der Aspekt interkulturellen Lernens im Mittelpunkt (vgl. den Rückblick auf die Serie von Caspari 2002). <?page no="33"?> Schulisches und außerschulisches Lernen verbinden 33 Bei der Durchsicht der Beiträge unter der Perspektive „Lernorte“ fällt auf, dass sich ein Großteil der Erfahrungsberichte auf außerschulische Lerngelegenheiten wie Schüleraustausch, Betriebspraktikum, Exkursion, Comenius- Projekt oder die Bündelung von Initiativen zum Sprachenlernen in einer Region beziehen. Außerdem fällt auf, dass sich gleich drei Artikel auf Lehrer-Austausch bzw. eine Netzwerk-Konferenz beziehen und dass auch in den anderen Artikeln oft die Funktion der Lehrkraft thematisiert wird. Dies deutet wie die oben zitierte ICLIS-Studie darauf hin, dass es vermutlich in besonderem Maße die Lehrkräfte sind, die für die Eröffnung und Nutzung außerschulischer Lerngelegenheiten verantwortlich sind. Um Schüler_innen auf außerschulisches Lernen vorzubereiten und sie darin zu unterstützen, sind Lehrkräfte vor allem in solchen Rollen bzw. Funktionen gefragt, die autonomes Lernen befördern, d.h. Lehrkräfte als Lernberater, als „Möglichkeiten-Eröffner“ sowie als Organisatoren und Unterstützer zunehmend selbstgesteuerter Lernprozesse. Für eine intensivere Beschäftigung mit außerschulischen Lernorten sprechen ebenfalls die Ergebnisse der Mehrsprachigkeitsforschung sowie die Überlegungen zu den vergleichsweise neuen Kompetenzbereichen Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit bzw. Sprachenbewusstheit. Geht man vom schulischen Fremdsprachenunterricht aus, scheint der Einbezug außerschulischen Lernens für diese Kompetenzbereiche sogar unabdingbar zu sein, und zwar in doppelter Perspektive: zum einen im Rückgriff und in der Bewusstmachung von Erfahrungen, die Schüler_innen im außerschulischem Kontakt mit (Fremd-)Sprachen gewonnen haben, zum anderen in der Vorbereitung auf neben- und nachschulisches Fremdsprachenlernen. Da im Kompetenzmodell der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (KMK 2012) Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz als laterale Kompetenzen verankert und somit für den Fremdsprachenunterricht verbindlich sind, ist es durchaus möglich, dass (ausgerechnet) durch eine Vorgabe für den schulischen Fremdsprachenunterricht der Blick für die Bedeutung und die Notwendigkeit des Einbezugs außerschulischen Lernens wachsen wird. 3 Überlegungen zur Erforschung unterschiedlicher Lernorte im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen Aus meinen Ausführungen zur ersten Frage ergibt sich, dass unterschiedliche Forschungszugänge sinnvoll sind, um unser Wissen über außerschulische Lernorte bzw. Lerngelegenheiten, ihre Potenziale und ihren Ertrag sowie ihre Verknüpfung mit schulischem Fremdsprachenunterricht zu erweitern. <?page no="34"?> Daniela Caspari 34 Gerade weil sich im Zeitalter des Internets der Blick beinahe zwangsläufig auf die noch kaum gehobenen Schätze aktueller und zukünftiger digitaler Lernmöglichkeiten richtet, sollte die historische Dimension nicht außer Acht gelassen werden. Fremdsprachenlernen war sehr lange ein vornehmlich außerinstitutionelles Lernen, und auch die obige, in den 1970er Jahren beginnende Zusammenstellung lässt erahnen, wie viele Formen neben- und außerschulischen Fremdsprachenlernens bereits vor dem Internet existierten. Gleichzeitig wird erkennbar, dass an ihnen viele Grundsatzfragen erörtert werden können - fügen die elektronischen Medien einer bereits etablierten Form (wie z.B. Tandem-Lernen) oft doch ‚nur‘ einen neuen Kanal oder eine neue Realisierungsmöglichkeit (z.B. im E-Tandem) hinzu. Die Zusammenstellung zeigt weiter, dass ein explorativer Zugang unabdingbar ist, um das unübersichtliche Feld außerunterrichtlicher Lernorte sowie die Komplexität der Lernformen zu erfassen, abzustecken und zu systematisieren. In Kombination mit Theorien und empirischen Erkenntnissen zum Fremdsprachenerwerb könnte so versucht werden, die für die jeweiligen Lernorte konstitutiven unterschiedlichen Formen und Spezifika fremdsprachlichen Lernens genauer zu bestimmen. Dies wäre m.E. eine wichtige Grundlage für die Wertschätzung und die gezielte Nutzung außerschulischer Lernorte. Um eine genauere Kenntnis über einzelne Formen außerschulischen Lernens zu gewinnen, scheinen mir insbesondere qualitative empirische Zugänge sinnvoll, die über einzelne Erfahrungsberichte hinausgehen. Das Deutsch-Französische Jugendwerk hat bereits in den 1990er Jahren begonnen, verschiedene seiner Begegnungsprogramme wissenschaftlich zu evaluieren (in neuerer Zeit z.B. Ilig/ Dubiski 2011). Nach einer genaueren Kenntnis einzelner Formen außerschulischen Lernens könnten diese dann auch quantitativ erforscht werden. Auch ein umgekehrter Zugang (zunächst quantitativ) ist möglich, um genauere Aussagen über den Umfang und die Nutzung des Angebotes an außerschulischen Lernmöglichkeiten zu gewinnen. 4 Schulisches und außerschulisches Lernen verbinden: personale, didaktische und methodische Herausforderungen In diesem Beitrag klingt an mehreren Stellen an, dass außerschulische Lernorte kein neues Phänomen sind. Und gerade für die zweiten und dritten Fremdsprachen mit ihrer deutlich begrenzten Lernzeit (in Berlin und Brandenburg z.B. umfasst das Stundenkontingent für die 2. Fremdsprache lediglich die Hälfte, für die 3. Fremdsprache ein Viertel dessen der 1. Fremdspra- <?page no="35"?> Schulisches und außerschulisches Lernen verbinden 35 che), stellen außerschulische Lernorte eine notwendige Erweiterung der sprachlichen Kontaktzeit dar. Trotzdem dürfte das größte Problem darin liegen, Lehrkräfte für den vermehrten Einbezug außerschulischer Lerngelegenheiten zu gewinnen. Zurzeit gibt es noch viele Hindernisse. So ist z.B. die deutsche Schule auch nach der flächendeckenden Einführung von Ganztagsschulen räumlich und bzgl. des Selbstverständnisses von Lehrenden und Lerner_innen weiter auf den Vormittagsunterricht hin ausgerichtet (vgl. auch den Beitrag von Burwitz-Melzer in diesem Band). Auch die Auffassung von Lernen und speziell ‚richtigem‘ Fremdsprachenlernen scheint sowohl bei Lehrkräften wie bei Lernenden 1 häufig auf traditionelle Unterrichtsformen begrenzt. Diese stark eingeschränkte Sichtweise dürfte auf viele Faktoren zurückzuführen sein, die von den eigenen Lernbzw. Unterrichtserfahrungen und weiterhin bestehende traditionellen Formen der Leistungsmessung in der Sekundarstufe I 2 Dazu kommen die weiter zunehmenden Belastungen der Lehrkräfte durch zusätzliche Aufgaben und die immer lauter erhobene Forderung, dass kein Unterricht ausfallen soll. Zudem sind es oft nur einzelne Kolleg_innen, die den Schüleraustausch, die Teilnahme am Bundeswettbewerb Fremdsprachen oder der cinéfête pflegen, in der Regel mit hohem persönlichen Engagement, das längst nicht immer vom Kollegium und der Schulleitung honoriert wird. Neben ‚moralischer‘ Unterstützung könnte eine Verstetigung in Fachprofilen oder Schulprogrammen das Bewusstsein für den Wert solcher Aktivitäten steigern. über den Wunsch nach Kontrolle der Lernprozesse der Schüler_innen (vgl. auch die o.g. Lehrerrollen) bis hin zu mangelndem Wissen über unterschiedliche Lernbzw. Erwerbsformen reichen. Aus didaktischer Sicht stellt für mich die sinnvolle Verbindung von schulischem Fremdsprachenunterricht und außerschulischen Lerngelegenheiten die zentrale Herausforderung dar (vgl. Grau/ Legutke 2013). Während für die Vorbereitung und teilweise auch Begleitung außerunterrichtlichen Lernens zumindest für einige der o.g. Aktivitäten bereits Überlegungen und Praxisberichte vorliegen, scheint mir die Rückbindung und Nutzung außerunterrichtlicher Erfahrungen für das Lernen im Klassenzimmer bislang 1 Zumindest deutet der andauernde ‚Run‘ auf Nachhilfeinstitute darauf hin, in denen i.d.R. ganz traditionalle Formen der Wortschatz- und Grammatikvermittlung im Mittelpunkt stehen. 2 Besonders bedenklich ist, dass sogar eine vielbeachtete aktuelle wissenschaftliche Studie den Erfolg des schulischen Fremdsprachenunterricht ausschließlich anhand des schriftlichen Ausdrucks (insb. grammatikalische Korrektheit und Komplexität, Sprachfluss, Grammatikalitätsbeurteilung, inhaltliche und strukturelle Aspekte) erhebt (vgl. Pfenninger 2014). <?page no="36"?> Daniela Caspari 36 noch wenig bedacht, insbesondere dann, wenn diese Erfahrung nicht die ganze Lerngruppe gleichermaßen betrifft. Es wäre daher zu wünschen, dass insbesondere die dringend anstehende Entwicklung von Lernaufgaben, die gezielt die Kompetenzschwerpunkte Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit unterstützen, hierfür wichtige Impulse für Lehrende und Lernende gibt. Literatur Boberg, Britta (2007): „Selbst Jurymitglied sein - Ergebnisse einer Umfrage zum Prix des lycéens allemands“. In: französisch heute 38, 20-27. Börner, Otfried (2000): „Spurensuche in Hamburg“. In: Fremdsprachenunterricht 44 (53), 451-452. Boos, Wilfried/ Eickelmann, Birgit/ Gerick, Julia (2014): ICLIS 2013 auf einen Blick. International Computer and Information Literacy Study. http: / / kw1.uni-paderborn.de/ fileadmin/ kw/ institute-einrichtungen/ erziehungswissenschaft/ arbeitsbereiche/ eickelmann/ pdf/ ICILS2013Presseinformation .pdf (01.05.2015). Bücking, Gisela (2000): „Unterwegs nach Europa. Bericht über eine trinationale Jugend-begegnung in Kreisau, Polen“. In: Fremdsprachenunterricht 44 (53), 135-138. Burwitz-Melzer, Eva (in diesem Band): „Lernorte in der Ganztagsschule: Unterschiedliche Angebote zur Förderung der interkulturellen kommunikativen Kompetenz“, 19-28. Caspari, Daniela (2002): „ ‚Begegnungen‘ - der Abschluss einer Serie“. In: Fremdsprachenunterricht 46 (55), 287-288. Caspari, Daniela (2011a): „Private Sprachreisen und schulischer Fremdsprachenunterricht. Ergebnisse einer Schülerbefragung“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 8, 9-11. Caspari, Daniela (2011b): „Projekte, Wettbewerbe und Unterrichtsideen für den Französischunterricht. Was bieten die Ambassade de France, das Institut Français und das Deutsch-Französische Jugendwerk? “. In: Praxis Fremdsprachenunterricht Französisch 8, 10. Caspari, Daniela/ Gerds, Anne/ Bibow, Mareike (2010): „Der deutschfranzösische Entdeckungstag“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht Französisch 7, 8-9. Edelhoff, Christoph/ Candlin, Christopher (Hrsg.) (1989): Verstehen und Verständigung. Zum 60. Geburtstag von Hans-Eberhard Piepho. Bochum: Kamp Gießing, Jürgen (1997): Zur Problematik des Nachhilfeunterrichts unter besonderer Berücksichtigung des Schulfachs Englisch an hessischen Gymnasien. Marburg: Tectum <?page no="37"?> Schulisches und außerschulisches Lernen verbinden 37 Grau, Maike/ Legutke, Michael (2013): „Vernetzte Lernorte. Englisch im Klassenzimmer und in der Lebenswelt lernen“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 47, 2-6. Ilig, Wolfgang/ Dubiski, Judith (2011): Begegnung schafft Perspektiven. Empirische Einblicke in internationale Jugendbegegnungen. Berlin/ Potsdam/ Paris/ Warschau: Deutsch-Französisches und Deutsch-Polnisches Jugendwerk. KMK (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland) (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012). http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungenbeschluesse/ 2012/ 201210 _18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf (1.5.2015). Legutke, Michael (1989): „Projekte im Fremdsprachenunterricht: Bilanz und Perspektiven“. In: Edelhoff/ Candlin (Hrsg.), 81-97. Legutke, Michael/ Thiel, Wolfgang (1983): Airport. Ein Projekt für den Englischunterricht in Jg.-Stufe 6. Wiesbaden: Hessisches Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung (HIBS). Melde, Wilma (1995): Marseille, une ville riche en couleurs et en contrastes. Berlin: Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung (BIL). Pfenninger, Simone E. (2014): „The Literacy Factor in the Optimal Age Debate: a 5-Year Longitudinal Study“. In: International Journal of Bilingual Education and Bilingualism (online veröffentlicht). Rymarczyk, Jutta (Hrsg.) (2013): Foreign Language Learning Outside School. Places to See, Learn and Enjoy. Frankfurt a.M.: Lang. <?page no="38"?> Schulen im Ausland - Lernorte für Lehramtsstudierende moderner Fremdsprachen Bärbel Diehr Vorbemerkungen Mit der Forderung, dem Lernort ‚Schule im Ausland‘ einen vorrangigen Platz in der universitären Fremdsprachenlehrerbildung einzuräumen, stellt der vorliegende Beitrag die Priorität des Klassenzimmers für schulisches Fremdsprachenlernen bzw. des Seminarraums für das universitäre Lernen nicht in Frage. Vielmehr soll der Beitrag darlegen, dass Fremdsprachenlehrkräfte ihre wichtigen Aufgaben in der Schule nur dann erfüllen können, wenn sie über ein Mindestmaß an Auslandskontakten und Erfahrungen aus erster Hand mit dem Bildungswesen eines Zielsprachenlandes verfügen. In diesem Zusammenhang wird das Programm PrimA (Praktikum im Ausland) vorgestellt, mit dem Englischstudierende Langzeitpraktika an englischen und walisischen Schulen absolvieren. 1 Zur Bedeutung von Lernorten in Zielsprachenländern Ausgehend von Legutkes Feststellung, dass das Klassenzimmer der zentrale Lehr- und Lernort des Fremdsprachenunterrichts ist (2010, 171), der durch andere Lernorte erweitert wird, sind in der unten stehenden Abbildung (Abb. 1) die verschiedenen Arten von Lernorten entsprechend ihrer räumlichen Distanz zum Klassenzimmer angeordnet. Diese Abbildung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient einer Systematisierung, die es erleichtert, die Vorzüge sowie die Grenzen der verschiedenen Lernortarten mit Blick auf die jeweiligen Ziele eines Lehr-Lern-Vorhabens zu identifizieren. Zudem sollte berücksichtigt werden, dass die Abbildung die digital zugänglichen Räume zwar nicht visualisiert, dass die digitalen Lernangebote jedoch jeden der dargestellten Räume erweitern können. Grundsätzlich ist das Klassenzimmer der zentrale Ort des institutionalisierten Fremdsprachenlernens, an dem alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrem sozialen Status umfassende Lernangebote erhalten. Das Klassenzimmer kann daher zwar als der bedeutendste Lernort betrachtet werden, jedoch ist er per se weder ein besserer noch ein <?page no="39"?> Schulen im Ausland - Lernorte für Lehramtsstudierende moderner Fremdsprachen 39 schlechterer Lernort als der Tiergarten oder das Museum. Jeder Lernort kann Relevanz für das Fremdsprachenlernen besitzen. Allerdings ist die Relevanz dem Ort nicht inhärent, sondern hängt von den Bedingungen ab, die das Erlernen und den Gebrauch der Sprache beeinflussen. Die Vorzüge des Fremdsprachenlernens im Klassenzimmer resultieren aus der Möglichkeit der Lehrenden, Lernprozesse gezielt anzuregen, den Sprachkontakt und die Gesprächsanlässe entsprechend dem sprachlichen Niveau der Lernenden zu gestalten, Medien wie Bilder, Filme, Bücher, Karten, Computer einzubeziehen sowie die Lernergebnisse für alle zugänglich zu sichern (z.B. mithilfe von Lernpostern, Tafel, Heften usw.). Jedoch fehlt den Kommunikationssituationen, die didaktisch geschaffen werden, häufig die Notwendigkeit, natürlich in der Fremdsprache zu kommunizieren. Den Lehrenden stellt sich daher die Aufgabe, das Sprachenlernen mit nichttrivialen Themen aus der Lebenswelt der Lernenden zu fördern (vgl. Gehring 2010, 8), die zu erlernenden Sprachmittel bewusst auszuwählen und in idiomatischen Konstruktionen anzubieten und einzuüben (z.B. Siepmann 2012). Abb. 1 Anordnung von Lernorten nach ihrer räumlichen Nähe zum Klassenzimmer. <?page no="40"?> Bärbel Diehr 40 Je weiter ein Lernort vom Klassenzimmer entfernt ist, desto größer ist die Chance, dass die Kommunikation der Lernenden natürlich und funktional verläuft. Zudem kann das Lernen mit allen Sinnen und entdeckendes Lernen durch die vielfältigen Stimuli, beispielweise eines Waldlehrpfades oder Museumsbesuches, leichter gefördert werden als mit Abbildungen in einem Lehrbuch. Allerdings müssen für Lernorte im Inland, die von Schülergruppen gemeinsam aufgesucht werden wie z.B. bei einer Exkursion in den Zoo, dieselben Maßnahmen zum Gebrauch der Fremdsprache ergriffen und Aufgaben gestellt werden wie im Klassenzimmer, da die natürliche Sprachwahl unter den Lernenden in der Regel zum Gebrauch des Deutschen und nicht der Fremdsprache führt. Die vielbeschworene Authentizität des Sprachgebrauchs stellt sich vorrangig in der Kommunikation mit Muttersprachlern der Fremdsprache und in internationalen Kontexten ein, in denen die Fremdsprache als Verständigungsmedium zwischen Sprechern verschiedener Herkunftssprachen dient. Je weiter ein Lernort jedoch vom Klassenzimmer entfernt ist, desto mehr Anstrengungen müssen die Lehrenden unternehmen, um die Lernprozesse vorzustrukturieren und die Lernergebnisse zu sichern. Um das Potenzial von Lernorten in den Zielsprachenländern einschätzen und nutzen zu können, ist es unabdingbar, dass Lehrerinnen und Lehrer selbst Lernerfahrungen in diesen Ländern machen und bereits in der universitären Ausbildung darauf vorbereitet werden, Lernprozesse außerhalb der Schule und sogar außerhalb des eigenen Landes zu gestalten und zu steuern. Fremdsprachenlehrkräfte tragen zudem eine besondere Verantwortung für die interkulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen und dafür, dass junge Menschen sich zu mündigen Bürgern entwickeln, sich für andere Kulturen und Sprachen interessieren und über nationale Grenzen hinweg tolerant und aufgeschlossen miteinander kommunizieren. 2 PrimA (Praktikum im Ausland) im Kontext sprachlicher und kultureller Diversität Unter den aktuellen Entwicklungen, die das Fremdsprachenlernen und -lehren nachhaltig beeinflussen, gebührt der zunehmenden sprachlichen und kulturellen Diversität des gesellschaftlichen und schulischen Lebens besondere Aufmerksamkeit (vgl. z.B. Abendroth-Timmer/ Henning 2014). Diese Entwicklung macht es notwendig, dass zukünftige Fremdsprachenlehrkräfte während ihres Studiums die sprachlichen und kulturbezogenen Lerngelegenheiten in Zielsprachenländern unmittelbar kennenlernen, um zum einen selbst Sprach- und Rollenvorbilder sein zu können und zum an- <?page no="41"?> Schulen im Ausland - Lernorte für Lehramtsstudierende moderner Fremdsprachen 41 deren mit sprachlich und kulturell heterogenen Lerngruppen individualisierend und inkludierend interagieren zu können. Der Nutzen eines Auslandsaufenthalts speziell für angehende Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer wird durch die DESI-Studie bestätigt. Sie zeigt, dass die Auslandskontakte von Lehrpersonen als wichtige Prädiktoren für die interkulturelle Qualität des Englischunterrichts einzuschätzen sind und dass die Chancen der Lernenden, an interkultureller Bildung teilzuhaben, in beträchtlichem Maße von der interkulturellen Erfahrung ihrer Lehrkräfte beeinflusst werden (Göbel 2007). Des Weiteren legt die PEDES-Studie (Personality Development of Sojourners, Zimmermann/ Neyer 2013a) nahe, dass Langzeitaufenthalte im Ausland die Persönlichkeitsmerkmale mobiler Studierender vorteilhaft beeinflussen. Die Studie konnte u.a. zeigen, dass diese positiven Auswirkungen „auf die intensivierten internationalen Kontakterfahrungen der Auslandsstudierenden zurückzuführen sind“ (Zimmermann/ Neyer 2013b, 553). Vor diesem Hintergrund sind Vorgaben zu einem Aufenthalt in einem Zielsprachenland als Bestandteil des Studiums zu begrüßen. So schreibt z.B. in Nordrhein-Westfalen das 2009 verabschiedete Lehrerausbildungsgesetz für Lehramtsstudierende einer modernen Fremdsprache einen mindestens dreimonatigen Auslandsaufenthalt im Studium verbindlich vor und räumt dem Lernort ‚Ausland‘ damit hohe Priorität ein (MSW 2009). Da junge Erwachsene heutzutage per Mausklick eine Vielzahl von geografischen, ökonomischen und soziologischen Informationen über alle Länder der Erde einholen können und da sie mit Sprecherinnen und Sprechern unterschiedlicher Sprachen in Foren und durch Plattformen vernetzt sind, wird die Notwendigkeit dieses Aufenthalts gelegentlich in Frage gestellt. Welchen Nutzen kann ein Auslandsaufenthalt Fremdsprachenstudierenden bieten, den Lernorte im Heimatland oder die Internetnutzung nicht ermöglichen? Es sind vor allem drei Ziele, die an ausländischen Praktikumsschulen besser und nachhaltiger erreicht werden können, als es mit digitalen Medien möglich ist: Erstens wird von zukünftigen Englischlehrkräften zu Recht eine sehr gute Sprachbeherrschung verlangt, die sich durch das vollständige Eintauchen in die Sprachgemeinschaften vor allem im Bereich der Idiomatik und Flüssigkeit verbessert. Zudem eröffnet ein Auslandsschulpraktikum die Chance, aus unmittelbarer Nähe zu erfahren, wie Lehrende und Lernende im Schulalltag und im Klassenzimmer in der Zielsprache kommunizieren. Zweitens sollen Studierende im Ausland durch ausgedehnte und vielfältige Alltagserfahrungen in den Partnerschulen, aber auch außerhalb der Schule z.B. bei Behördengängen und in der Freizeit ihr landeskundliches Wissen erweitern, das ihren zukünftigen Unterricht informationsreicher, anschaulicher und lebendiger machen kann. Drittens soll das Langzeitpraktikum im <?page no="42"?> Bärbel Diehr 42 Ausland die interkulturelle Bildung stärken. Die Studierenden erleben sich selbst als Fremde, die sich in eine andere Kultur eingliedern wollen; sie erfahren sprachliche und kulturelle Diversität sowie die Verschränkung von sprachlichem und kulturellem Lernen. Damit erwerben sie bedeutende Voraussetzungen für ihre Multiplikatorenrolle und ihre zukünftige Aufgabe, bei Kindern und Jugendlichen interkulturelle Kompetenz zu fördern. Zur Qualitätssicherung der universitären Fremdsprachenlehrerbildung sowie zur Erhöhung der integrierten Mobilität im Studium wurde an der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) das PrimA-Programm implementiert, das inzwischen einen bedeutenden Beitrag zur Gesamtstrategie zur Internationalisierung der Lehrerbildung an der BUW darstellt. Der Grundstein des PrimA-Programms wurde 2003 gelegt, als vier mir persönlich bekannte Schulleiter in Großbritannien dafür gewonnen werden konnten, Praktikumsplätze für deutsche Englischstudierende zur Verfügung zu stellen. Die guten Erfahrungen auf beiden Seiten, bei britischen Schulen wie bei deutschen Studierenden, führten über mehr als ein Jahrzehnt zu einer beständigen Ausweitung und Intensivierung des Programms, mit dem bis zum Sommer 2015 insgesamt mehr als 200 Englischstudierende ein dreimonatiges Schulpraktikum in England oder Wales absolvieren konnten. Unter den verschiedenen Einflussfaktoren, die dazu beitragen, dass die internationale Mobilität von Lehramtsstudierenden an der BUW deutlich gesteigert werden konnte, ragen sechs Maßnahmen heraus: 1. Da aus bereits vorliegenden Studien bekannt ist, dass eine Verlängerung des Studiums sich mobilitätshemmend auswirkt (Netz et al. 2012), ist der Auslandsaufenthalt im PrimA-Programm in die Studienstrukturen integriert, so dass es für Englischstudierende möglich ist, anrechenbare Studienleistungen während des Auslandsschulpraktikums zu erbringen. Ein Mobilitätsfenster im zweiten Studienjahr des Bachelorstudiengangs sorgt verlässlich dafür, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Programms fachdidaktische, bildungswissenschaftliche und sprachpraktische Leistungspunkte erwerben. 2. Die intensive Beratung und gezielte Vorbereitung der Studierenden findet in dem vorangehenden Semester statt, und zwar in Form einer Informationsveranstaltung sowie in Modulen zum interkulturellen Training speziell zu Kulturstandards des Zielsprachenlands und übergreifenden Strategien zur Bewältigung eines Auslandsaufenthalts. Um Verständnis für Kulturstandards und kulturelle Prägung zu entwickeln, müssen sowohl theoretische Konzepte erarbeitet als auch praktische Fallbeispiele diskutiert und Rollenspiele durchgeführt werden. Damit kann vorbeugend das Bewusstsein für critical incidents geweckt werden. Die Studierenden können bis zu einem gewissen Maße <?page no="43"?> Schulen im Ausland - Lernorte für Lehramtsstudierende moderner Fremdsprachen 43 auf Kulturschocks vorbereitet werden. Sie lernen vor dem Aufenthalt beispielhaft, wie sie sich in schwierigen Kommunikationssituationen verhalten können und welche Möglichkeiten es gibt, kulturbedingte Missverständnisse und Spannungen aufzulösen. Die Qualität dieses Bausteins des Vorbereitungsseminars profitiert im PrimA-Programm von der langjährigen Sammlung typischer Situationen, in denen die Verständigung trotz guter Fremdsprachenkenntnisse schwierig war, z.B. wenn man unwissentlich gegen die Gepflogenheiten im Lehrerzimmer verstoßen hat oder wenn man englische Jugendliche wegen nationalsozialistisch gefärbter Provokationen zurechtweisen muss oder wenn man durch ein unabsichtlich rüdes ‚I don’t care.‘ als Reaktion auf die freundliche Aufforderung, für einen Restaurantbesuch eine Präferenz zu äußern, für leichte Irritationen bei den Gastgebern gesorgt hat. 3. In einer zusätzlichen fachdidaktischen Lehrveranstaltung werden die Studierenden auf die aktive Teilnahme am Schulleben der Partnerschulen vorbereitet. Sie erarbeiten zudem die Grundlagen von Bilingualität und Mehrsprachigkeit, konzipieren eigene Forschungs- und Unterrichtsprojekte, erproben Formate der Unterrichtsplanung und stellen Materialien für den Unterricht, gerade auch über Deutschland, zusammen. 4. Während des Aufenthalts werden die Studierenden von ihrer Heimatuniversität aus intensiv begleitet und stehen mit den Lehrenden per Mail, Skype und Telefon in engem Kontakt. Zu ihren Unterrichtsvorhaben und Reflexionen erhalten sie individuelle Rückmeldungen, mit denen der fachdidaktische Lernfortschritt gesichert wird. 5. Nach ihrer Rückkehr arbeiten die Studierenden in einer Blockveranstaltung ihre kulturellen und interkulturellen Erfahrungen auf, analysieren u.a. critical incidents ihres Aufenthalts unter Anleitung nach einem Modell von Bosse (2010) und transferieren auf der Grundlage der intensiven sprachbezogenen Reflexion ihre Erlebnisse in zukunftstaugliche Kompetenzen. Da die Studierenden selbst nur in seltenen Fällen über anekdotische Erzählungen hinauskommen, hat sich gerade der analytische Zugriff förderlich für das rekonstruierende Verständnis für Situationen erwiesen, die vor Ort nur mit einem Gefühl der Verunsicherung registriert wurden. 6. Ein Teil der nachbereitenden Blockveranstaltung findet in Zusammenarbeit mit solchen Studierenden statt, die sich für ein Auslandsschulpraktikum im Folgejahr beworben haben. Dadurch wird die sehr persönliche Weitergabe individueller Erfahrungen durch Peers sichergestellt. <?page no="44"?> Bärbel Diehr 44 3 Ansätze zur Evaluation und Erforschung des Auslandsschulpraktikums Obwohl erste Einschätzungen sowie die beständig wachsende Nachfrage nach Plätzen im PrimA-Programm die Vermutung nahelegen, dass das Programm einen wichtigen Beitrag zur Englischlehrerbildung leistet und obwohl meine langjährigen Erfahrungen mit den studentischen Reflexionen im Anschluss an die Auslandsschulpraktika auf bedeutende Lernzuwächse und Entwicklungsschübe auf Seiten der Studierenden hinweisen, stehen die systematische Evaluation des Programms sowie die wissenschaftliche Erforschung zentraler Fragen noch aus. Bisher wurden im PrimA-Programm die Effekte des Auslandsschulpraktikums nur punktuell und mit kleinen Fallzahlen untersucht. Erste Auswertungen einer Erhebung mit dem von Newby et al. (2007) entwickelten European Portfolio for Student Teachers of Languages (EPOSTL) zeigen, dass die Studierenden ihre didaktischen Kompetenzen, die in engem Zusammenhang mit ihrer Fremdsprachenkompetenz und ihren Kulturkontakterfahrungen stehen, nach dem Auslandsschulpraktikum deutlich höher einschätzen als vor dem Praktikum (Diehr 2013, 69- 72). Sie schätzen vor allem ihre Fähigkeit, bilingualen Unterricht zu erteilen und das Zusammenwirken von Zielsprache und Bezugskultur für zukünftige Lerner aufzuzeigen, nach dem Praktikum deutlich höher ein (bis zu 50%) als davor. Aufgrund der kleinen Stichprobengröße lassen sich die Ergebnisse zwar nicht generalisieren; dennoch deuten sie darauf hin, dass der Lernort „Schule im Ausland“ für Lehramtsstudierende von großem Nutzen ist. Aus der Austauschforschung ist allerdings bekannt, dass sich die positiven Wirkungen eines Auslandsaufenthalts nicht wie von selbst und mühelos einstellen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, junge Erwachsene - seien es Schülerinnen und Schüler oder Studierende - müssten nur ins Ausland reisen und kämen als native speakers und interkulturell kompetent zurück (Ehrenreich 2008, 107ff.). Vielmehr erfordert der Bildungserfolg eines Auslandsaufenthalts gezielte Investitionen sowie Vor- und Nachbereitungen. Ob das PrimA-Programm einen nachweisbaren Beitrag zur Qualität der Fremdsprachenlehrerbildung leistet, soll daher noch in einer Untersuchung erforscht werden, die derzeit in Kooperation mit den Bildungswissenschaften der BUW vorbereitet wird. Um die Wirkung des Auslandsaufenthalts im PrimA-Programm auf die beteiligten Lehramtsstudierenden zu erforschen, werden derzeit verschiedene Erhebungsinstrumente geprüft, mit denen die interkulturellen, methodisch-didaktischen und fremdsprachlichen Lernfortschritte erfasst werden sollen: <?page no="45"?> Schulen im Ausland - Lernorte für Lehramtsstudierende moderner Fremdsprachen 45 • Die Beurteilung des interkulturellen Lernzuwachses kann über das Portfolio Autobiography of Intercultural Encounters (Language Policy Division 2009) erfolgen, das während des Aufenthalts geführt wird. Diese Erhebung sollte durch qualitative, leitfadengestützte Interviews nach Beendigung des Auslandsaufenthalts ergänzt werden. Zudem haben sich angeleitete Analysen von critical incidents (Göbel 2007; Bosse 2010) in Einzelarbeit und in Kleingruppen während der Nachbereitung als förderlich für die Reflexion des Erlebten erwiesen. Inwiefern dieses letztgenannte Vorgehen als Forschungszugang geeignet ist, wäre noch zu untersuchen. • Die methodisch-didaktischen Lernfortschritte können in einem vergleichenden Prä-Post-Verfahren mithilfe des EPOSTL (Newby et al. 2007) erhoben werden. Das Portfolio wird einmal vor und einmal nach dem Praktikum im Ausland ausgefüllt. Aufgrund des Umfangs sind dafür jeweils ca. 45 Minuten einzuplanen. • Der fremdsprachliche Zugewinn kann mithilfe von C-Tests erhoben werden, welche ebenfalls vor Beginn und nach Beendigung des Praktikums eingesetzt werden. Von Interesse wäre auch eine Vergleichsstudie unter Fremdsprachenstudierenden, die entweder ein Langzeitpraktikum an einer ausländischen Schule oder entsprechende Praxisphasen an einer deutschen Schule absolvieren. 4 Fazit Langfristig betrachtet sind Auslandsaufenthalte in den Zielsprachenländern für angehende Fremdsprachenlehrende unabdingbar. Allerdings reicht es nicht, sie lediglich einzufordern und Studierende sich selbst zu überlassen. Damit zukünftige Lehrende, aber auch zukünftige Lernende, sprachlich, kulturell und persönlich von Aufenthalten an ausländischen Lernorten profitieren können, sind theoretische, praktische und organisatorische Anstrengungen und insbesondere eine systematische Vorbereitung und eine wissenschaftliche Begleitung der Programme vonnöten. Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar/ Henning, Eva-Maria (Hrsg.) (2014): Plurilingualism and Multiliteracies. International Research on Identity Construction in Language Education. Frankfurt a.M.: Lang. Bosse, Elke (2010): „Vielfalt erkunden - ein Konzept für ein interkulturelles Training an Hochschulen“. In: Hiller/ Vogler-Lipp (Hrsg.), 109-133. <?page no="46"?> Bärbel Diehr 46 Diehr, Bärbel (2013): „Go out. Get involved. Gain experience. Teacher development in school placements abroad“. In: Rymarzcyk (Hrsg.), 63-75. 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Geht man aber davon aus, dass Lernen ein komplexer Informationsverarbeitungsprozess ist, bei dem die Verarbeitung des Gelernten im Langzeitgedächtnis und gar die Sicherung durch Anwendung oft Monate nach dem Zeitpunkt der Aufnahme von Informationen stattfindet, wie uns nicht zuletzt die Neurowissenschaften klar machen (Roth 2011), wird die Sache komplizierter. Wenn man Lernen nicht als punktuelles Ereignis, sondern als einen Prozess betrachtet, der von der Informationsaufnahme, dem unbewussten Abgleich mit korrespondierenden Informationen über die bewusste Verarbeitung und ggf. gesteuerte Reaktivierung durch Wiederholung von Informationen verläuft, wofür einiges spricht, sind Lernorte weder eindeutig bestimmbar noch sonderlich relevant für interne Prozesse. Die Frage nach dem „Wo? “ des Lernens setzt in diesem Fall also die Antworten auf die Fragen nach dem „Wie? “ und „Wann? “ voraus. Die Entkoppelung der Dimensionen „Raum“ und „Zeit“ erscheint mir in der Fremdsprachendidaktik ebenso wenig zulässig wie in der Physik. Die Fragestellungen der Frühjahrskonferenz lassen erkennen, dass hier von einer schlichteren Arbeitsdefinition von „Lernen“ ausgegangen wird: Es geht lediglich um den äußeren Anlass und die lernumweltlichen Bedingungen der sichtbaren Auseinandersetzung mit fremdsprachlichen Informationen. Diese Eingrenzung erscheint im vorliegenden Kontext sinnvoll, da auf diese Weise eher als auf der Grundlage einer lernpsychologisch komplexeren, umfassendere Definition erforschbare Hypothesen generiert werden können. Jegliche Antworten auf die vier Fragen erfordern also, dass man vorab seinen Lernbegriff offen legt. Wie schon in Beantwortung der Leitfragen 2013 gehe ich dabei von drei Lernpotenzialen und -kategorien aus, mit de- <?page no="49"?> Überlegungen zu Umgebungen und Szenarien des Lernens fremder Sprachen … 49 nen jeweils eine Reihe unterschiedlicher Lernformen verbunden ist (vgl. Arnold 2002) und deren Realisierung ich jeweils mit Bezug auf die Lernorte erörtere. 1. Lernen geschieht durch Klassifizieren und Abgleichen von Informationssignalen. Dies ist ein ballistischer Prozess, der individuell basierend auf den jeweiligen Vorerfahrungen, Routinen und Wissensbeständen unterschiedlich schnell und extensiv, in jedem Fall, einmal in Gang gesetzt, weitgehend automatisiert und unbewusst verläuft. Durch Lehrprozess-Impulse und Verarbeitungsangebote in Unterricht und Lernmaterialien können die Prozesse ausgelöst, dirigiert unterstützt und bewusst gemacht werden. Lernen in diesem Sinne ist ein konstruktiver, nicht ein rekonstruktiver Prozess, unter anderem - aber nicht ausschließlich - auf der Grundlage von Instruktion (vgl. Reinmann-Rothmeier/ Mandl 2001, 625). 2. Lernen findet durch den seriellen Aufbau muster-assoziativer Verbindungen durch imitativ-reproduktives Üben statt. Dieser Prozess ist weitgehend unterrichtlich und in seinen Abläufen i.d.R. durch Lehrmittel gesteuert. Außerunterrichtliche Settings sind denkbar - etwa in spielerischen und mediengestützten Lernumwelten (Hense/ Mandl 2009; Jantke 2011) -, sind dann aber ebenfalls didaktischmethodisch initiiert und gesteuert. 3. Ungesteuertes Lernen von Regularitäten, Mustern und Routinen durch Entdeckung und Experiment. Diese Dimension des Lernens verweist uns auf das Potenzial des Inzidentellen und Impliziten, eines Prozesses, der evtl. durch unterrichtliche Inhalte und Verfahren direkt oder indirekt angeregt wurde, dann aber durchaus ungeplant, unvorhersagbar, unbewusst und zufällig stattfindet - ein besonderes Forschungsproblem, das dazu geführt hat, dass diese Prozesse in der Zweitsprachenerwerbsforschung weniger thematisiert werden, da hier z.B. Verfahren der Introspektion nicht greifen: Wie soll man Lerner nach Prozessen befragen, die ihnen gar nicht bewusst sind. Folgt man neurowissenschaftlichen Ansätzen, ist diese Dimension stark unterschätzt (Eagleman 2012). Informelles Lernen in außerunterrichtlichen Settings bietet eine gute Grundlage für vielseitige Kombinationen dieser verschiedenen Lernwege. Unterrichtliche Anregungen, Motivationen, Zielvorgaben, Projektplanungen und Materialien bestimmen sowohl „rate & route“ außerunterrichtlichen Lernens als auch „time on task“. <?page no="50"?> Hermann Funk 50 1 Fremdsprachenlernen ist heute auch dadurch geprägt, dass es im Rahmen unterschiedlicher Lernorte und Lerngelegenheiten stattfindet. Welche Lernorte halten Sie im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen für relevant? Das Deutsch als Fremdsprache-Lehrwerk studio [21] (Funk/ Kuhn 2014) gliedert seine Material-Angebote in drei Gruppen: − 1. Lernort Unterricht: Das Lehrbuch, das Audiomaterial, das Videomaterial, das Lehrerhandbuch, das digitale Unterrichtspaket, das Testheft. − 2. + 3. Zu Hause und Unterwegs: Der Intensivtrainer, das Arbeitsbuch, der Wortschatztrainer, das Vokabeltaschenbuch, die Moodle- Lernplattform, die Wortschatz-App. Die Tatsache, dass die Materialien für zu Hause und unterwegs nicht genauer abgegrenzt werden, liegt in der Natur eines Angebots für das mobile Lernen. Es zählt die Lernumwelt des Programms. Der Ort, an dem gearbeitet wird, ist dagegen eigentlich irrelevant. In dem Sinne, in dem mobiles Lernen medienbasierte Settings verlangt, ändern sich Form und Inhalt des Lehrmaterials. Im Fremdsprachenunterricht, der nicht in der zielsprachlichen Lernumgebung stattfindet, bleibt der „Lernort Kursraum“ mit den Lernpotenzialen, die sich aus direkter Präsenz ergeben, zentraler Taktgeber gesteuerter Lernprozesse. Die Verteilung von Lernaktivitäten im Sinne der eingangs zitierten drei Lernpotenziale könnte also so aussehen: Kursraum außerhalb des Kursraums Initiieren von Lernprozessen Aushandeln von Zielen, Materialien und Lernorganisationsplanung Steuerung von Trainingssequenzen Lernkontrollen, Prozessevaluation Primat des Mündlichen (interaktiv/ produktiv) Materialrecherchen u.a. online Fremdsprachliche Kulturprogramm (Theater, etc.) Projektgruppenarbeit / Vorbereitung von Präsentationen Nutzung mobiler Lernangebote (Apps u.a.) kooperative Testvorbereitung, u.a. Primat des Rezeptiven <?page no="51"?> Überlegungen zu Umgebungen und Szenarien des Lernens fremder Sprachen … 51 2 Gibt es aktuelle Entwicklungen und Ansätze im Bereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, in denen die Bedeutung der Lernorte bzw. die Entwicklung von Fremdsprachenkompetenz, die an unterschiedlichen Lernorten erworben wird, besonders berücksichtigt sind bzw. werden sollten? Individuell-isoliert vertiefende Nacharbeiten, die Rekonstruktion von Unterrichtsinhalten als kognitive Leistung, die „Hausaufgabe“ traditioneller Form also, enthält wenig Motivationspotenzial und ist ihrer Wirksamkeit umstritten - sieht man von der Tatsache ab, dass die Erhöhung von time on task für Lernprozesse immer positiv ist. Von der Verlängerung des Unterrichts in den heimischen Bereich ist also mit traditionellen Settings (auf die Unterrichtsprogression zugeschnittene Arbeitsbücher und Zusatzlektüre) kein wesentlicher qualitativer Zuwachs zu erwarten, anders als bei der Nutzung medialer Lernumwelten und dem Potenzial des Internets, die mir in den Diskussionen der Frühjahrskonferenz stark unterrepräsentiert erschienen. Hier ist die Zahlenkombination „24/ 7“ zum Programm von Sprachtrainings-Anbietern wie z. B. SANS Virtual Learning Plattform basierend auf der Sony-Virtuoso-Technologie geworden. „24/ 7“ steht für die Erreichbarkeit von Lernplattformen und tutorieller Rückmeldung an sieben Tagen jeweils rund um die Uhr. Der Kursanbieter bewirbt Lernplattform-basierte Gesamtlösungen in der Form einer in der Lehrwerkindustrie als one-stopshopping-bezeichneten Lösung mit den Schlagwörtern „reach students where they are, any time, any where (! ) any device, in-class guided activities, 21 st century skills, one-on-one, pairs, groups, flip the classroom, mobile apps, cloud compatible“ (ACTFL 2014, 3). Zu erforschen wäre hier, ob für die Lernenden tatsächlich die 24/ 7-Erreichbarkeit ein erstrebenswertes Ziel ist, wie im Marketing der Anbieter unterstellt wird; zu diesbezüglichen Forschungsansätzen finden sich Anregungen unter Frage 3. Exemplarisch sollen hier die Potenziale dreier weiterer außerunterrichtlicher Lernumgebungen thematisiert werden, die aus der Sicht der DaF- Didaktik in letzter Zeit Beispiele mit theoretischem und praktischem Ausbaupotenzial geliefert haben: erlebnispädagogische Settings, etwa in Sprachcamps, ,Gamification-Prozesse‘ wie sie beispielsweise durch die sog. Serious Games umgesetzt werden (Xu 2014) und Sprach-Coaching-Ansätze. Aus den aktuellen Entwicklungen greife ich diese beiden heraus, die wir in der Jenaer Auslandsgermanistik und der Arbeitsstelle Lehrwerkforschung und Materialentwicklung (ALM, www.alm-uni-jena.de) derzeit in einer Reihe von Masterarbeiten und Kooperations-Projekten verfolgen. Einen weiteren Aspekt, das Sprach-Coaching, kann ich in diesem Rahmen nur andeuten. <?page no="52"?> Hermann Funk 52 a) Lernort: Sprachcamps - erlebnispädagogische Ansätze Seit 2010 finden, angeregt vom Goethe-Institut und über das PASCH- Programm des Auswärtigen Amtes sowie unterstützt durch PraktikantInnen (Teamer) aus den DaF-Studiengängen der Friedrich-Schiller-Universtität Jena, jeweils vierzehntägige Sommer-Sprachcamps für Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren, mehrheitlich aus der Türkei sowie Mittel- und Osteuropäischen Ländern (MOE), an verschiedenen Orten in der Türkei statt. Thematisch waren die Camps zunächst auf Medien, Theater, Zeitung, Umwelt ausgerichtet und fanden in Izmir, Adana, Istanbul, Samsun, Trabzon und Eskişehir statt. Die Campleitung lag beim GI, die Spracharbeit wurde durch Lektoren des GI bzw. DAAD übernommen. Konzeptuell wurde hier unterrichtsinterne und -externe Spracharbeit und Projektarbeit verbunden. Pro Camp waren vier Teamer vorgesehen. Zusätzlich wurden die Camps durch eine Teamerin des YFU (Youth for Understanding, www.yfu.de) unterstützt, die für die inhaltliche (interkulturelle) Vorbereitung der deutschen Camp- TeilnehmerInnen zuständig war. Außerdem wurden die Jugendlichen aus MOE durch eine Lehrkraft begleitet. Die Camps hatten letztlich zwischen 50 und 65 TeilnehmerInnen. Auf die 16 Teamerplätze bewarben sich zuletzt 27 Masterstudierende, die jeweils in einem Modul ein Semester lang auf ihre Tätigkeit vorbereitet wurden. Auf Jenaer Seite wurde das Projekt sowie das Vorbereitungsmodul im Masterstudiengang von Christina Kuhn geleitet. Die Vorbereitung umfasste erlebnispädagogische Ansätze (Crowther 2005; Lakemann 2004; Heckmair/ Michl 2008; Zuffellato/ Kreszmeier 2007; Fischer/ Lehmann 2009), Modelle des projektorientierten Unterrichts in Sommerkurs-Settings (Ballis/ Spinner 2008) ebenso wie Theorie und Praxis von New Games und eine interkulturelle Vorbereitung auf den Türkei-Aufenthalt. Der Erfolg des Projektes ist an vielen Einzelergebnissen ablesbar. Einige der Studierenden sind im Rahmen von Praktika in die Türkei zurückgekehrt, andere sind inzwischen im Sprachassistenten-Programm des DAAD. Die Evaluationen der Camps waren durchweg positiv. Der Kontakt mit (fast) gleichaltrigen Master-Studierenden aus Deutschland war für die jugendlichen Camp-TeilnehmerInnen motivierend. Andere Institutionen, die Sprachcamps in Deutschland durchführen, z.B. für Deutsche Auslandschulen aus Südamerika, haben inzwischen um die Vermittlung von vorbereiteten Camp-Teamern und um fachliche Unterstützung bei der Planung von Camp-Aktivitäten gebeten. Aspekte der Spracharbeit in den Camps wurden in Hausarbeiten und Masterarbeiten an der FSU Jena reflektiert. Ein erstes Fazit: Für diese Studierenden selbst waren die Sprachcamps Lernorte, ihrer DaF-Ausbildung, an denen sie Ansätze außerunterrichtli- <?page no="53"?> Überlegungen zu Umgebungen und Szenarien des Lernens fremder Sprachen … 53 chen Lernens sowie die Verbindung zwischen Kurs- und Freizeitaktivitäten praktisch erproben konnten. Für die Teilnehmer waren sie eine Verbindung formeller unterrichtlicher Settings mit informellen Settings und anschließender sprachlicher Aufarbeitung von Erlebnissen. Die Fruchtbarkeit von Ansätzen der Verbindung von unterrichtlichem und außerunterrichtlichem Lernen wurde auf diese Weise praktisch demonstriert - als curricularintegrierter Teil der Ausbildung der DaF-Studierenden. Die Tradition erlebnispädagogischer Ansätze im weitesten Sinne reicht mindestens bis in die 20er Jahre zurück. Sie ist Teil alternativer bzw. reformpädagogischer Ansätze und lebt auf in Konzepten wie outward bound oder citybound (Deubzer/ Feige 2004) bzw. der „Outdoor-Didaktik“ (Rupp et al. 2011). Erste Ergebnisse der begleitenden Datenerhebung in studentischen Arbeiten zeigen, dass die intensive Verbindung von gemeinsamen Freizeitunternehmungen, direktem Kontakt mit in etwa gleichaltrigen jungen Muttersprachlern und damit verbundener Spracharbeit in formalen Kurs- Settings positive Auswirkungen auf die Motivation und Kompetenzentwicklung der teilnehmenden Jugendlichen hatten. Hinzu kommt, dass die Camp- Teilnehmer zum ersten Mal in Bezug auf Deutsch eine Lingua Franca- Erfahrung machen. Ihre erlernte Fremdsprache dient der Verständigung mit Sprechern unterschiedlicher Muttersprachen. Für die Praktikantinnen kommt hier ein Element hinzu, das in Bezug auf die FJK-Leitfragen von zentraler Bedeutung ist: Ihre direkten Erfahrungen in der Gestaltung außerschulischer fremdsprachlicher Lernumwelten in Verbund mit einer fremdkulturellen Selbsterfahrung wurde hier Teil ihrer Ausbildung als Lehrperson. Sie sollten damit ermutigt und befähigt werden, außerschulische Lernszenarien kompetent zu planen und in ihre sprachpädagogische Praxis einzubeziehen. b) Game-based learning und Gamification A rule-based formal System with a variable and quantifiable outcome, where different outcomes are assigned different values, the player exerts effort in order to influence the outcome, the player feels attached to the outcome, and the consequences of the activity are optional and negotiable. (Juul 2003, zitiert nach Sharples et al. 2013, 30) Replace the word ,playerʻ with the word ,learnerʻ, and any section of this definition could also be applied to education. (Sharples et al. 2013, 30) Das wichtigste Momentum für die digitale Spielewelt und die simulierte erlebnispädagogisch orientierte Lernumwelt liegt in der eigenständigen Motivation des Spielers, ein Ziel zu erreichen und dafür erhebliche Zeit und <?page no="54"?> Hermann Funk 54 Mühe aufzuwenden. In diesem Rahmen ist eine Reihe von Lernpotenzialen anzusiedeln, von denen eins besonders hervorgehoben werden muss: Die Wiederholung und Automatisierung von rezeptiven und produktiven Sprachverarbeitungsprozessen sind außer als immanentes Element in Spielverläufen kaum motivierend vermittelbar. Prensky (2007) fasst in 12 Punkten zusammen, warum digitale Spiele die Lernenden motivieren und welche Kriterien sie erfüllen müssen: Games are a form of fun. That gives us enjoyment and pleasure. Games are a form of play. That gives us intense and passionate involvement. Games have rules. That gives us structure. Games have goals. That gives us motivation. Games are interactive. That gives us doing. Games have outcomes and feedback. That gives us learning. Games are adaptive. That gives us flow. Games have win states. That gives us ego gratification. Games have conflict/ competition/ challenge/ opposition. That gives us adrenaline. Games have problem solving. That sparks our creativity. Games have interaction. That gives us social groups. Games have representation and story. That gives us emotion. (ebda, 106f.) Norman Segalowitz’ Plädoyer für reichhaltige und realitätsnahe Lernumgebungen können nicht nur als Leitlinie für außerunterrichtliche Sprachlernszenarien gelten, sie sind auch ein Hinweis auf die Gestaltungsprinzipien digitaler Spielumgebungen: Je mehr das Umfeld der Entstehung fremdsprachlicher mentaler Netze (Inhalte, Rahmenbedingungen und Verfahren des Lernens fremder Sprachen) - so Segalowitz - dem Umfeld der späteren Verwendung der Sprache gleicht, desto höher ist die Chance der Aktivierung und Verfestigung der Netze. Reichhaltige und realitätsnahe Lernumgebungen führen zu besseren und vor allem nachhaltigeren Lernergebnissen (vgl. Segalowitz 2003, 402). Im Gegensatz zum Game-based Learning bezieht sich der Begriff der Gamification auf die groß angelegte spielerische Simulation von Abläufen in realen Handlungskontexten, etwa in der betrieblichen Ausbildung (z.B. bei VW), in einer simulierten Entwicklung, Herstellung und Vermarktung eines Produktes. Oliver Bendel definiert in Gablers Wirtschaftslexikon Gamification bzw. Gamifizierung als die „Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge <?page no="55"?> Überlegungen zu Umgebungen und Szenarien des Lernens fremder Sprachen … 55 mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung bei Anwenderinnen und Anwendern“ (Springer Gabler Verlag o.J.). In Verbindung damit spricht man von Serious Games, ein Begriff, der neuerdings auch im erweiterten Sinne auf umfassende Simulationen im Sprachunterricht angewendet wird (Goethe-Institut o.J.). c) Sprach-Coaching Der Sprach-Coaching-Ansatz bezieht sich ursprünglich auf die Unterstützung von in betrieblichen Kontexten handelnden Personen bei der Bewältigung fremdsprachlicher Anforderungen mit dem Ziel, ihnen die selbständige Bewältigung der kommunikativen Aufgabe zu ermöglichen. Coaching findet direkt am Arbeitsplatz oder in der Form eines Telefon-Coachings statt. In der didaktisch-methodischen Ausbildung von Lehrkräften spielt dieser Ansatz ebenso wenig eine Rolle wie das fremdsprachliche Einzeltraining etwa mit Führungskräften in Betrieben, das Sprachlehrkräfte in der Regel vor Aufgaben stellt, auf die sie im Studium nicht vorbereitet wurden. 1 3 Welche Forschungszugänge halten Sie im Hinblick auf die Rolle der Lernorte im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen für besonders fruchtbar? Die Erforschung von Verfahren und Ergebnissen des fremdsprachlichen Lernens in außerunterrichtlichen Kontexten schließt Beobachtungen und Ergebnisevaluationen ein und ist naturgemäß nur empirisch möglich. Sie setzt damit ein vergleichsweise komplexeres Forschungsdesign voraus. Die Erforschung spielerischen Lernens in digitalen Lernumwelten kann auf die Verfahren der digitalen Aufzeichnung von Lernaktivitäten zurückgreifen, mit denen rate & route des Lernverhaltens und time-on-task in Bezug auf Einzelspiele und Aufgaben aufgezeichnet und verglichen werden können. Auf diese Weise können Lernschwierigkeiten und -präferenzen ermittelt werden. 1 Zu den Anforderungen für Trainingspersonal im „Lernort Betrieb“ vgl. die Kompetenz-Liste der ERFA: www.erfa-wirtschaft-sprache.de <?page no="56"?> Hermann Funk 56 4 Welche methodischen und didaktischen Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht sehen Sie im Zusammenhang mit außerschulischen Lernorten? Aus der Berücksichtigung außerschulischer Lernorte ergeben sich vor allem vier große Herausforderungen für die Fremdsprachendidaktik: 1. Die Entwicklung konzeptueller Zusammenhänge und Abstimmungen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes sprachlichen Lernens und eine Abwägung, welche Lernorte, Lerninhalte und Lernziele angemessen verbindbar sind. 2. Die Entwicklung von Lernszenarien, die unterschiedliche Lernorte und Lernwege verbinden. 3. Die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und Anregungen zur „Lernprodukten“, die außerunterrichtliches Lernen strukturieren und einbinden in ein flexibles aufgabenorientiertes Gesamtkonzept. 4. Die Revision, d.h. Differenzierung von Ausbildungscurricula der Lehrpersonen-Ausbildung: Sie sollten nicht nur auf das Management von Lernprozessen in Bezug auf Schule und Unterricht in engerem Sinne vorbereitet werden, sondern auf vielgestaltige, interkulturelle und multimediale Lernszenarien - und diese als Teil ihrer Ausbildung praktisch erfahren. Literatur ACTFL (Hrsg.) 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Aus der Sicht der Lernenden - und ihrer Lehrer/ innen - haben all diese Orte bestimmte Eigenschaften und eine je spezifische Bedeutung; Schüler/ innen und Lehrer/ innen arbeiten mit raumbezogenen Annahmen über die Verfasstheit, die Eigenschaften und die Potenziale dieser Orte, Annahmen darüber, wie das Lernen stattfindet, welche Regeln dort gelten, welche Praktiken dort üblich oder möglich sind und welche Lernwirkungen bestimmte Arrangements an diesen Orten haben. Die Nutzung einzelner Lernorte, die Relationierung der Schule und des Klassenzimmers mit anderen Orten sowie das reflexive Verstehen der jeweils eigenen Position(en) im Raum und zu anderen Räumen (und deren Akteuren) sind eine bislang weitgehend vernachlässigte Kernfrage des schulischen Lernens. Die Relevanz dieser Frage für den Fremdsprachenunterricht ergibt sich allein schon daraus, dass alles sprachliche Handeln nicht nur auf Interakteure angewiesen ist, sondern auch auf Räume, in denen diese sich befinden oder in denen die Interaktion angesiedelt ist. Einerseits determiniert die Beschaffenheit dieser Räume auf entscheidende Weise, was überhaupt Gegenstand der sprachlichen Interaktion sein kann; denn die häusliche Küche, der öffentliche Platz, die Gaststätte oder der Hörsaal setzen sozusagen den Rahmen des jeweils Sagbaren. Umgekehrt bringen die Akteure diese Räume unter dem Gesichtspunkt des diskursiven Potenzials und der damit verbundenen sozialen Regeln in ihren Nutzungsakten und in diskursiver Interaktion stets aufs Neue hervor. Insofern sind sowohl die diskursive Interaktion <?page no="61"?> Die Bedeutung der Orte 61 als auch das Erlernen von Sprachen, wie alles menschliche Handeln, immer auch von einer räumlichen Dimension geprägt. Räume und Orte ‚existieren‘ also nicht einfach; vielmehr werden sie von den Raumnutzern ständig aufs Neue erzeugt und in ihren Raumqualitäten (re-)definiert. Sprachliche Interakteure sind daher immer auch Raumsubjekte, die sich im und zum Raum verhalten, sich zu anderen Raumakteuren positionieren und vielfältige Beziehungen von Räumen und deren Verhältnis zueinander als wichtige Voraussetzungen ihres Denkens und Handelns einbeziehen. Für das schulische und das Fremdsprachenlernen hat eine solche Verknüpfung der räumlichen Dimension allen Denkens und Handelns mit den handelnden Individuen (ihren Identitäten und Biographien) wie mit den beteiligten, zueinander in Beziehung gesetzten (oder: zu setzenden) Kulturen einen anderen Blick auf Räume und Orte zur Folge: Sie werden durch die Besetzung neu als identitätsbildende Faktoren hervorgebracht. Raum und Orte verschmelzen zu erstens subjektivierenden, zweitens soziale Güter, Figurationen und Menschen(gruppen) in Verbindung bringenden und somit zu relationalen sowie drittens machtpolitisch besetzten (An)Ordnungsstrukturen. (Löw 2011, 47) Diese raumstrukturierende und raumordnende ‚topologische‘ Dimension allen kulturellen Handelns hat zur Folge, dass Fragen des Lernortes sich in den größeren Zusammenhang der subjektiven und der kulturellen Konstituierung von Räumen und Orten einsortieren müssen. Räumliches Denken und Handeln und Raumwahrnehmungen müssen demgemäß eine bewusste, gestaltende und reflexive Dimension allen Lernens sein und in die interaktionale, kognitive und sprachlich-diskursive Gestaltung von Lernprozessen integriert werden: Menschen müssen in Bildungsprozessen nicht nur lernen, Orte, Dinge oder Menschen zu Räumen zu verknüpfen, sondern darüber hinaus auch sich als widersprechende Relationen oder sich spiegelnde Verknüpfungen als Bestandteile des Raumes zu erkennen. Versteht man Raum in dieser Weise, so ist er nicht mehr ein ‚Ding an sich‘ oder ein Behälter, sondern ein Netzwerk, der Ausdruck für Relationen zwischen Lebewesen, Dingen oder Handlungen ist. (Löw 1999, 56f.) Jeder einzelne Lernort lässt sich daher über Anordnungsstrukturen bestimmen, also z.B. über seine Beziehung zu anderen Erfahrungsräumen der Lernenden, zu den eigenen kulturellen und sprachlichen Räumen, zum Klassenzimmer, zu anderen Orten sprachlichen Lernens, zu anderen fremdsprachigen Räumen und so fort. Somit kann der gesamte Prozess des Fremdsprachenlernens als kognitiv und biographisch wirksame fremdsprachliche <?page no="62"?> Wolfgang Hallet 62 Topologie verstanden werden, in dem einzelne Orte - als kulturell-sprachliche Räume, als Erfahrungs- und als Lernräume gleichermaßen - ihren definierten oder zu definierenden Platz und eine bestimmte, oft retrospektiv zugewiesene Bedeutung für das Sprachlernen haben. 2 Die Bedeutung der Orte Der Raumtheoretiker Henri Lefebvre hat in seiner Schrift Die Produktion des Raums 2006, zuerst 1974) zur Erfassung der räumlichen komplexen Signifikations- und Aneignungsprozesse zwischen dem physischen und sensorisch wahrgenommenen und zugleich sozial genutzten Raum einerseits (l’espace perçu und die ihm entsprechende pratique spatiale) und dem symbolisierten Raum (l’espace conçu) andererseits unterschieden, also den individuell imaginierten oder auch kollektiv als Raumwissen vorhandenen Raumvorstellungen, die in einer Gesellschaft vorherrschen und stets die Wahrnehmung des Raums prädeterminieren. Als dritte Dimension hat er den beiden vorangehenden den espace du représentation (l’espace vécu) zur Seite gestellt, in dem Räume in Bildern und Symbolen repräsentiert, vor allem aber auch planerisch-architektonisch und künstlerisch dargestellt und mit Alternativen versehen werden (alles Lefebvre 2006, 335f.; vgl. auch Soja 1996, 66ff.). Entscheidend ist, dass Räume stets im Zusammenspiel dieser drei Dimensionen, in dieser ‚Trialektik‘, sozial hervorgebracht werden, Räume ‚an sich‘ also nicht existieren. Der Stadtgeograph Edward Soja hat die (von ihm sehr kritisch rezipierte) Raumkonzeption Lefebvres (vgl. Soja 1996, 8ff.) in den Neologismus real-and-imagined spaces gefasst („things and thoughts on equal terms“; Soja 1996, 68), um zum Ausdruck zu bringen, dass das, was als Raum angesehen wird, stets ein Ergebnis des Zusammenspiels von physischer Raumerfahrung oder -nutzung und von Raumimagination ist (Soja 1996, 60ff.): Jeder Raum existiert nur insofern, als er von seinen Akteuren mit Bedeutung (meaning) versehen (imaginiert) und in sozialer Praxis ‚real‘ angeeignet und genutzt, also relevant wird; Raum wird, wiederum mit einem Begriff Lefebvres, zu „space as lived, socially practiced ‚concrete abstraction‘. (Bal 1998, 202; vgl. auch Böhme/ Herrmann 2011, 31ff.). Worin liegt die Bedeutung dieser Überlegungen für Schule, Unterricht und Fremdsprachenunterricht? Ganz allgemein gesagt liegt sie darin, dass auch die Schule ein realer und zugleich immer von den Vorstellungen der Akteure geprägter Raum ist, immer zugleich real and imagined, thing and thoughts. Die Relevanz dieser Einsicht für Schule und Unterricht soll im Folgenden kurz unter drei Gesichtspunkten betrachtet werden: 1. Schulische <?page no="63"?> Die Bedeutung der Orte 63 Räume als espace perçu und espace conçu (Abschnitt 3); 2. Fremdsprachige Räume als l’espace vécu (symbolisch repräsentierter Raum, Abschnitt 4); 3. Lernende als Raum-Akteure (Abschnitt 5). 3 Das fremdsprachliche Klassenzimmer als Raum Auch wenn ein Klassenzimmer auf den ersten Blick physisch beliebig und unscheinbar wirkt, so ist es doch offensichtlich, dass es „weit mehr als nur eine räumliche Gegebenheit in einem Gebäude“ (Legutke 2010b, 156) ist. Allein schon seine materiale und strukturelle Beschaffenheit übt „Wirkungen [...] auf die leibliche Befindlichkeit von Menschen“ aus (Girmes 1999, 90 sowie 93ff.), und die Anordnung im größeren Raumsystem des Schulgebäudes und seine darauf beruhende Funktionalität weisen dem Klassenzimmer eine vergleichsweise eindeutige Bedeutung als Lern- und Unterrichtsraum zu (vgl. Legutke 2010a/ b, 157). Diese Raumordnung des Klassenzimmers ist nach wie vor auf die mit dem Lehrer/ innen-Schüler/ innenverhältnis verbundene Machtkonstellation, die soziale Hierarchie und Interaktionsregeln ausgerichtet (vgl. Hallet/ Königs 2010; Legutke 2010a/ 2010b, 156f.), die in anderen Räumen nicht gelten (Böhme/ Herrmann 2011, 40ff.). Umgekehrt werden das Klassenzimmer und die Schule durch die Praktiken der Beteiligten zum pädagogischen Raum ‚gemacht‘. Natürlich ist es eine falsche Annahme, dass solche Raumordnungen unumstößlich sind. Auch in der Schule und im Klassenzimmer werden Autoritäten und Hierarchien, wie andernorts, durch Umdeutungen, Re-Signifikationen und Grenzüberschreitungen herausgefordert. Räume sind stets auch Raumkonkurrenzen und „Raumkämpfen“ ausgesetzt (Löw 2011, 47; ebda, 47ff. ein Beispiel für schulische ‚Raumkämpfe ‘ ); Orte sind immer ‚contested spaces‘ (oft genug auch ethnisch, z.B. in Form von Exklusionsforderungen gegenüber Immigrant/ innen − vgl. Hallet 2009 und 2014) und unterliegen auch in dieser Hinsicht dem kulturellen Wandel. Gerade deshalb sind - im Sinne des l’espace conçu Henri Lefebvres - konkurrierende Raumimaginationen zugleich die entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich Raumnutzungskonzepte und soziale, kulturelle oder pädagogische Praktiken im Raum wandeln (vgl. Rittelmeyer 1999). Legutkes Raummetaphern sind ein Beispiel dafür: Die metaphorische Imagination des Klassenzimmers als Kommunikationszentrum, Textatelier, Werkstatt oder Bühne (und weitere, vgl. Legutke 2010b, 157ff.) ist die Voraussetzung dafür, dass sich alternative und innovative pädagogische und didaktische Raumpraktiken entwickeln und neue Raumbedeutungen entstehen können; wenn diese sich verfestigen und konventionalisieren, werden sie von den Akteuren dauerhaft als Handlungsoptionen (also als etablierte Raumbedeutungen) wahrgenommen und <?page no="64"?> Wolfgang Hallet 64 in eine neue Raumpraxis ‚übersetzt‘: Das Klassenzimmer erneuert sich. Hierin ist die dringende Aufforderung enthalten, die Imagination und Konzeptualisierung von Lernräumen und Lernorten zu einer didaktischen Basiskompetenz in der Lehrerbildung zu entwickeln. 4 Fremdsprachige Räume und Orte In einer Topologie des Fremdsprachenlernens bilden räumliche Positionierungen, Relationierungen und Raumvorstellungen den Kern des Verhältnisses der Lernenden (und der Lehrer/ innen) zu den fremdsprachigen Räumen. Als solche kommen sie zur vollen Geltung nur in dem Fall, dass die Lernenden diese bei einer Schulfahrt oder Exkursion praktisch, sozial und kulturell erfahren können. Der Regelfall ist aber, dass fremdsprachige Orte, Räume, Geographien und Topographien, räumliche Ausdehnungen, Eigenschaften und Merkmale von fremdsprachigen Ländern, Regionen, Städten oder Landschaften, vor allem aber soziale und kulturelle Praktiken im Raum (Haus, Straße, Stadtteil, Denkmäler), das Verhalten der Akteure und deren Bewegungen, Mobilitätsoptionen und Reisen symbolisch repräsentiert werden. Dadurch wird der Fremdsprachenunterricht auch ein espace du représentation im Sinne Lefebvres: Raumrepräsentationen stellen - intentional oder nicht-intentional - in Lehrwerken und Materialien einen Kernbestand des kulturellen Verstehensangebotes an die Lernenden dar. Jedes Foto, jede city map, jede Weltkarte mit der Markierung fremdsprachiger Räume und jede Lehrwerkillustration präsentiert fremdsprachige Räume oder Akteure im Raum und erzeugt die Vorstellungen der Lernenden von den fremdsprachigen Menschen und Kulturen, ihren Lebensweisen, ihren sozialen Praktiken und Ordnungen, ihren lebensweltlichen räumlichen Orientierungen und Bewegungen (vgl. auch Koreik/ Roche 2014 sowie Koreik in diesem Band). Mit einem solchen Verständnis der räumlichen Dimension ist zweierlei verbunden: Zum einen müssen fremdsprachige Räume als Handlungsräume aufgefasst werden, die symbolisch erkundet, imaginiert, verstanden und genutzt werden müssen. Dieses symbolisch-repräsentationale Raumlernen, d.h. das Verstehen, Nutzen und Reflektieren von Fotos, kartographischen Darstellungen, Zeichnungen oder sprachlichen Beschreibungen fremdsprachiger Räume wird zu einer Fähigkeit, die für das Verstehen der fremdsprachigen Kulturen und der Menschen von großer Bedeutung ist. Diese raumsymbolische literacy ist zum anderen eine lebensweltlich sehr relevante Fähigkeit, die bei einer ins Auge gefassten Reise oder auch bei freiem Interesse an anderen Räumen rund um den Globus aufgerufen und in den Me- <?page no="65"?> Die Bedeutung der Orte 65 dien (Reiseführer, Zeitschriften, Dokumentarfilme) auf vielfältige Weise bedient wird. Solche Überlegungen bürden der Auswahl von Texten, Materialien, visuellen und medialen Darstellungen sowie Artefakten für den Fremdsprachenunterricht eine große Verantwortung auf: Jede Art von Abbildung im Lehrwerk oder in Materialien muss auf ihre raumrepräsentativen Implikationen hin reflektiert werden, und zwar auch dann, wenn der fremdsprachige Raum nicht den eigentlichen Fokus der Arbeit darstellt. Fragen der Auswahl, der Gewichtung, der Platzierung und der Thematisierung von fremdsprachigen Räumen kommt eine zentrale Bedeutung für die Vorstellung der Schüler/ innen von fremdsprachigen Kulturen und ihren Akteuren zu. Dies betrifft neben der häufig impliziten auch die explizite Raumdeutung: Wahrnehmungen und Vorstellungen von fremdsprachigen Räumen müssen im Sinne eines systematischen, verstehenden Umgangs mit Raumrepräsentation als „reflexives Wissen“ (Löw 1999, 56) thematisiert und entwickelt werden. ‚Räume‘ stellen in diesem Sinne nicht nur ‚Sprechanlässe‘ dar, sondern sie sind vor allem Diskurse, in denen sich Menschen zu anderen Menschen und Entitäten im Raum positionieren, räumliche (An-)Ordnungen thematisieren und sich selbst als Raumakteure erleben und reflektieren. Im Sinne der vorangehenden Überlegungen gehören die symbolischen Räume vielleicht zu den wichtigsten ‚Lernorten‘, denn im Fremdsprachenunterricht wird alles Lernen in physisch erfahrbaren und benutzten Räumen darauf bezogen, und das Erlernen der Fremdsprache im Klassenzimmer speist sich entscheidend aus diesen anderen (symbolischen) ‚Lernorten‘. Es folgt daraus die Notwendigkeit einer Verräumlichung des Fremdsprachenlernens und einer Entfaltung des Raums als Lernkategorie. 5 Topologien des Fremdsprachenlernens: Lernende als Raum- Akteure Entscheidend an der Vorstellung von realen fremdsprachigen Topologien ist, dass Kulturen - handelnd und imaginierend - immer Raumkonfigurationen und Raumkonstellationen hervorbringen; umgekehrt sind alle Kulturen und das Denken und Handeln der Menschen immer auch von Topologien und Raumkonfigurationen geprägt. Ein Fremdsprachenunterricht, der sich zugleich immer als kulturelles Lernen versteht, kann daher nicht darüber hinwegsehen, „dass sich die topologische Dimension der Kultur sowohl auf die Konstitution von Räumen im Sinne bewegter (An- )Ordnungen - gleichermaßen grenzziehende Ordnungen und handelnd hergestellte Anordnungsprozesse - als auch auf die Platzierung an einmaligen, meist markierten und benennbaren Ordnungen bezieht“ (Löw 2011, <?page no="66"?> Wolfgang Hallet 66 46). Die Lernenden müssen daher befähigt werden, kulturelle Topologien zu verstehen, eigene Positionierungen im Raum in Aushandlungen mit anderen Akteuren vorzunehmen und eigene Raumpraktiken und -imaginationen kritisch zu reflektieren. Bei diesem Vorhaben kommt dem Klassenzimmer eine entscheidende Rolle zu: Im ‚Netzwerk‘ der Räume und Orte des Lernens kommt ihm die Funktion einer „Kernzone“ im gesamten Lernraum zu, der nunmehr aus dem traditionellen Klassenzimmer und allen anderen Lernorten besteht (Grau/ Legutke 2013, 4). Lernende sind also auch Akteure, die raumkulturell sozialisiert und ‚literalisiert‘, also befähigt werden, Sinneswahrnehmungen raumkonstitutiv zu interpretieren (vgl. Löw 2001, 73ff.) und Raumnutzungen zu erlernen: „space must be primarily something which is learned and remembered“ (Bouissac 1998: 18). Raumverstehen und Raumpraktiken sind also sowohl in der Lebenswelt der Lernenden als auch in den fremdsprachigen Räumen stets mit Raumlernen und dem Erwerb der Fähigkeit verbunden, Räume zu lesen, zu verstehen, zu reinterpretieren und zu nutzen. Spatial learning und der Erwerb einer (alltagstauglichen, nicht im Sinne der Geographie spezialisierten) spatial literacy (vgl. Kalantzis et al. 2010, 66) müssen daher ein integrierter Bestandteil des fremdsprachlichen Lernens sein. Einerseits wird dadurch allem räumlichen Denken und Verstehen eine fremdsprachige Dimension hinzugefügt; andererseits werden fremdsprachige Räume und Akteure (auch) unter dem Gesichtspunkt ihrer Raumvorstellungen und Raumpraktiken wahrgenommen. Spatial learning im Fremdsprachenunterricht bedeutet demgemäß: • Orte müssen als Räume mit Bedeutung (meaning) erfahren und interpretiert, also im Hinblick auf die jeweils spezifischen Anordnungen erkundet werden. Museum, Theater und Kino müssen z.B. als soziale, kulturelle und ästhetische Räume gedeutet und verstehbar werden hinsichtlich der sozialen Funktionen, Praktiken und Raumerlebnisse, die mit ihnen verbunden sind (zum Theater vgl. Surkamp/ Feuchert 2010, 86; Steiner 2010, 100f.; zum Kino vgl. Rymarczyk 2010, 126ff.; zum Museum vgl. Rymarczyk in diesem Band). • Die Lernenden müssen Raumverhalten und Raumhandeln erlernen und reflektieren; dazu gehören vor allem die sozialen Positionierungen im Raum und die damit verbundenen sozialen Kategorisierungen und Hierarchien, territorialisiertes Inklusions- und Exklusionsverhalten und „Raumkämpfe“ (Löw 2011, 49ff.), die jeden Raum prinzipiell zu einem contested space machen (vgl. auch Hallet 2009, 88ff.; Hallet 2014, 44ff., Hallet 2015 sowie Kajetzke/ Schroer 2010, 198ff.). <?page no="67"?> Die Bedeutung der Orte 67 • Die Lernenden müssen befähigt werden, Raumrepräsentationen und -darstellungen ‚zu lesen‘, ihre Raumimaginationen in der Fremdsprache zu artikulieren und diese zu ihren eigenen ebenso wie zu anderen Raumdarstellungen und -erfahrungen in Beziehung zu setzen (zu dieser kognitiv-sprachlichen Dimension vgl. Roche in diesem Band). • Im Sinne eines reflexiven Bildungsanspruchs müssen die Lernenden ihre eigenen Praktiken und ihre Raumimaginationen erkennen, reflektieren und (in der Fremdsprache) aushandeln können. Dazu gehört auch, dass die Lernenden ihr topologisches Denken - also die Art und Weise, wie sie Räume und Orte vernetzen und wie sie sich in solchen Topologien verorten - erkennen, reflektieren und entwickeln können. Das (lebensweltliche und das hier vorgeschlagene institutionelle) räumliche Lernen ist eine der Dimensionen, die Menschen vermutlich am meisten und nachhaltigsten prägen, nicht nur im Fremdsprachenunterricht. Dieser aber hat einen entscheidenden Anteil daran, dass Räume stets auch im Hinblick auf ihre fremdsprachigen Formungen und Potenziale angesehen werden und dass, umgekehrt, die räumliche Dimension allen (fremd)sprachig-diskursiven Interagierens erkannt, interpretiert und reflektiert wird. Literatur Bach, Johannes/ Timm, Johanns-Peter (Hrsg.) 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Britta Hufeisen Vorbemerkung Brigitte, eine Austauschstudentin von der Insel Jersey, die sich während ihres Semesters an der Universität x in einen deutschen Kommilitonen verliebte und gefragt wird, was ihr binnen so kurzer Zeit das Deutsche nahegebracht habe: „Das wahre Leben.“ Die Leitfragen, an denen entlang ich wie immer nachdenke, kommen auf den ersten Blick einigermaßen neutral und auf unser Metier bezogen daher; beim Bearbeiten ist mir allerdings aufgefallen, wie stark (bildungs-)politisch und forschungsmethodisch sie für mich aufgeladen sind und wie weit sie in ihren Bezügen über das institutionell gesteuerte und auch steuerbare tatsächliche Lernen und Lehren von Fremdsprachen hinausgehen. Dieser Beitrag ist daher mehr eine persönliche Bestandsaufnahme und weitergehende Überlegung als eine in der Fachliteratur ordentlich und gründlich recherchierte Analyse, für die andere aus dem Kreis der Frühjahrskonferenz deutlich besser qualifiziert sind als ich. Deswegen sehe ich für diese Bestandsaufnahme die Begriffe „Lernorte“ und insbesondere auch „außerschulische Lernorte“ als wesentlich weiter gefasst, als das üblicherweise (vgl. z.B. Gehring 2010) und auch in vielen Beiträgen in diesem Band getan wird, zumal für mich in meinem täglichen Tun ein primärer Lernort die Universität und nicht die Schule ist und ich nicht täglich in der Lehramtsausbildung unterwegs bin, sondern ausschließlich projektbezogen mit einzelnen Schulen zusammenarbeite, wie beispielsweise im Rahmen des Gesamtsprachencurriculums (später dazu mehr). So gesehen kann für mich ein Lernort überall sein, zufällig und ohne Planung entstehen und nicht nur der, der speziell zum Lernen aufgesucht wird (vgl. die Annahme des inzidentellen Lernens nach Schmidt 1990). Außerschulische oder außeruniversitäre Lernorte, die dann doch wieder speziell auf das Lernen von etwas Bestimmtem ausgerichtet sind, wie Hausamann 2008 einen beschreibt, scheinen mir - als dann doch lehrseitig konstruierte Lernorte - einfach nur Außenposten der Schule (oder der Universität) zu sein, mit den üblichen Vorbehalten durch Lernende behaftet, nicht aber Lernorte in ihrer weitesten Fassung, von der ich im <?page no="71"?> Wo ich bin, ist auch ein Lernort … 71 Folgenden jedoch ausgehen möchte, nämlich einer Fassung, nach der „Lern- Ort“ (und auch „Lehr-Ort“) für mich auch metaphorisch und psychischmental-kognitiv und nicht ausschließlich räumlich-physisch zu verstehen ist. Daher lautet meine Definition für diesen Beitrag: Ein Lernort ist ein Ort, an dem - entweder bewusst oder unbewusst/ gezielt vs. inzidentell - gelernt wird (für eine umfassende Fachdebatte zur Definition vgl. den informativen Beitrag Martinez‘ in diesem Band). Immer wenn ich im Gang der Diskussion nicht den so genannten zentralen Lernort Schule oder Universität meine, schreibe ich außerinstitutionell. 1 Fremdsprachenlernen ist heute auch dadurch geprägt, dass es im Rahmen unterschiedlicher Lernorte und Lerngelegenheiten stattfindet. Welche Lernorte halten Sie im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen für relevant? Lernen Der wichtigste Lernort für Fremdsprachen bin zuallererst ich selbst, oder, wie Roche (in diesem Band) sagt: „Das heißt, der ultimative Lernort bleibt der Kopf des Lerners.“ (ebda, 183) Das klingt zunächst einmal verwegen, aber ich bin sicher, dass auch die lerntheoretisch und didaktisch-methodisch perfekt geeignete Lerngelegenheit nicht funktioniert, wenn ich mich nicht als Lernende erkenne, wahrnehme und akzeptiere (ohne dass ich mir dessen fortwährend bewusst sein muss). Von hier aus kann ich andere Lernorte in ihrer Inter- und Transkulturalität betrachten und in Relation zu mir bewerten, egal ob das der (beruflich, freizeitlich oder anderweitig bedingte) Aufenthalt im Zielsprachenland, eine authentische Online-Gelegenheit (vgl. hierzu ausführlicher die Beiträge Roches und Würffels in diesem Band), ein wunderbar traditionell konventionelles Klassenzimmer (als ein so genannter zentraler Lernort? ), eine Bibliothek mit zielsprachiger Literatur, die Begegnung mit Anderssprachigen in meinen eigenen üblichen Umgebungen ist (egal ob diese nun z.B. meine Sprache, eine so genannte Fremdsprache, eine so genannte Herkunftssprache oder broken English sprechen), ein kollektiver oder individueller Erinnerungsort oder der zielgerichtet ausgewählte und von vorneherein aufbereitete Lernort im traditionell fachdidaktischen Sinne. Ich vermute, dass es sehr stark auf die einzelnen Lernenden und ihre jeweiligen Lerngründe ankommt, in welchen Lernorten sie zu einem bestimmten Zeitpunkt am besten lernen können und wollen. Wenn jemand eine bestimmte Sprache lernen will, wird er/ sie sie lernen, egal in und an welchen Orten und unter welchen Umständen (vgl. das vorangestellte Motto einer ehemaligen Kommilitonin), und - insbesondere als good language learner - <?page no="72"?> Britta Hufeisen 72 auch selbstständig Lernorte aufsuchen bzw. Orte zu solchen machen bzw. dann aus dem Lernerlebnis und Lernergebnis neue Lernmöglichkeiten an anderen Lernorten suchen und finden bzw. die Gelegenheiten dazu ergreifen, wenn sie sich bieten. So lernt und übt sie oder er das Lernen. Im Moment scheint es ja so auszusehen, als seien Aufenthalte im jeweiligen Zielsprachenland und zielsprachige PartnerInnen Premiumorte für das Lernen von Fremdsprachen, weil in der immersiven Lernumgebung die Notwendigkeit der Verwendung der Fremdsprache auch für eher Sprachlernunmotivierte am augenfälligsten und individuell am nachvollziehbarsten ist. Zielsprachenlandaufenthalte sind allerdings natürlich keineswegs allein Garanten für Authentizität und Erfolg, wie Klippel 2013 herausgearbeitet hat (dass auch Partnerinstitutionen im Ausland z.B. die aufnehmenden Universitäten in der Pflicht sind, die ausländischen Studierenden auf den Aufenthalt im Zielsprachenland vorzubereiten) oder wie uns auch viele Fossilisierungen in den Sprachen Eingewanderter zeigen; d.h. Authentizität und Erfolg entstehen ebenfalls erst durch die AktantInnen, also die kommunizierenden und handelnden Sprechenden, und nicht durch den Ort oder Raum per se. Den umgekehrten Fall sehen wir in Kulturen, die noch einen für unseren kommunikativ orientierten Didaktikgeschmack erschreckend altmodischen Fremdsprachenunterricht pflegen und deren Lernende praktisch kaum Möglichkeiten der Kommunikation mit Zielsprachensprechenden haben, deren Lernende aber trotzdem die Zielsprachen in einem für uns immer wieder scheinbar überraschend hohen Maße lernen und beherrschen. Möglicherweise hat das mit der gelungenen Verwendung der allumfassenden Metapher Lernort zu tun, wie Roche sie in diesem Band beschreibt. Inwiefern Lernende unserer Kulturkreise es akzeptieren, dass aus außerinstitutionellen Lernorten gezielte Lernorte gemacht werden oder dass Lernorte miteinander verzahnt werden, kann ich an dieser Stelle nicht abschätzen (d.h. dies könnte eine interessante Forschungsfrage werden), wage aber anzunehmen, dass ein zufällig zu einem Lernort gewordener Ort - zumindest für die eher Sprachenlernunmotivierten - seinen Reiz verliert, wenn er bemerkbar zu einem institutionell ausgewählten Lernort wird, geworden ist oder dazu gemacht wird. Dies führt unweigerlich zu der ketzerischen Frage, wie man Sprach/ lern/ unmotivierten klarmachen kann, dass es im Leben Dinge zu lernen gibt, die zwar keinen Spaß machen, die aber dennoch gelernt (und getan) werden müssen. Die enge Bindung von Lernbereitschaft an Motivation, wie ich sie selbst weiter oben als Idealfall beschrieben habe, stellt eine problematische Allianz dar, weil sie gerade in der Schule oder Universität suggeriert, dass Lernende ein Recht darauf haben, motiviert zu werden oder zu sein, weil ansonsten das ausbleibende Lernen bzw. die fehlende <?page no="73"?> Wo ich bin, ist auch ein Lernort … 73 Lernbereitschaft nicht der Fehler der Lernenden, sondern der Lehrenden ist. Als Lehrende habe ich natürlich eine große Verantwortung für die hohe Qualität und mehr als ausreichende Quantität meines Inputs; nicht aber dafür, ob die Lernenden diesen Input als Lernanlässe wahrnehmen und nutzen, womit wir beim Lehr-Ort wären. Lehren Der wichtigste Ort für das Lehren von Fremdsprachen bin zunächst ich selbst. Aber auch hier gilt wie für das Lernen, dass der physische Ort - das Klassenzimmer oder der Seminarraum, der Computer-Bildschirm, die Zielsprachenumgebung - seine Relevanz immer aus meiner Haltung zieht. D.h. wenn ich als Lehrperson wahrhaftig, echt und nachvollziehbar (und damit authentisch) einen Lernort - egal wo und wie - anbiete, gibt es die Möglichkeit zu lernen. Wenn ich als Lehrperson nicht von dem überzeugt bin, was ich wo und wie an einem bestimmten Ort tue (= lehre = Input anbiete), wird es für Lernende möglicherweise nicht stimmig sein (= sie können bzw. wollen aus dem Input keinen Intake konstruieren). Ich bin daher mit den teilnehmenden KollegInnen der Frühjahrskonferenz 2015 einig, dass in den entsprechenden Situationen, aber nur dann und dort, die Lehrperson wichtiger ist als der Lernort. Dass die Lernenden ultimativ die Verantwortung für ihr eigenes Lernen haben, bleibt für mich als Grundlage bestehen. 2 Gibt es aktuelle Entwicklungen und Ansätze im Bereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, in denen die Bedeutung der Lernorte bzw. die Entwicklung von Fremdsprachenkompetenz, die an unterschiedlichen Lernorten erworben wird, besonders berücksichtigt sind bzw. werden sollten? Wenn man das Zielsprachenland als einen relevanten zunächst physischen Lernort ansieht - und das ist ein möglicher Ort für das, was in Leitfrage 4 für mich der außerinstitutionelle Lernort ist, wohlwissend, dass ich mich damit für Leitfrage 4 in Erklärungsnöte begebe, da ich Zielsprachensprechende und -verwendende überall finde -, kann man feststellen, dass es inzwischen viele Möglichkeiten und Gelegenheiten gibt, einen solchen außerinstitutionellen Lernort zu besuchen und sich dort auch eine Weile aufzuhalten. Diese Orte stellten dann zwar - wie bereits weiter oben festgestellt - immer noch keine Garantie für das Lernen dar, schaffen aber vielleicht eine Grundlage für diejenigen Lernenden, die mit konventionellem bzw. innerinstitutionellem Fremdsprachenunterricht nicht (mehr) zu erreichen sind. Dass dies wieder nicht für die sprichwörtlichen good language learners gilt, möchte ich <?page no="74"?> Britta Hufeisen 74 an dieser Stelle noch einmal hervorheben, weil sie eben immer und sowieso lernen. Hier fallen mir ein: • Auslandsaufenthalt schon während der Schulzeit, in Form von (finanziell unterstützten) Schulaustauschen oder Schulbesuchen im zielsprachigen Ausland über ein Halbjahr oder ein Schuljahr, einer intensiven Form des Sprachbads, die ja zugleich ein ganz intensives Content and Language Integrated Learning darstellt. • Unterstützung des Auslandsaufenthaltes während des Studiums mit Hilfe von strukturierten und finanziell attraktiven Programmen, z.B. in Form von ERASMUS-Aufenthalten, Studien-, Praktikums- oder Projektaufenthalten im Rahmen von Partnerschaften. • Auslandsaufenthalt, um Geld zu verdienen, mit dem PAD oder dem DAAD oder anderen Organisationen und Stiftungen, die den Auslandsaufenthalt zur Förderung der eigenen interkulturellen Sensibilität und sprachlichen Kompetenz in den Mittelpunkt ihres Finanzierungsrahmens gestellt haben. • Systematische Möglichkeiten und Hilfen bei Interesse an Arbeitsplatztauschen (Verwaltung, Forschungssemester, Gastprofessuren). Authentische und außerinstitutionelle Lernorte können aber auch Aktivitäten im eigensprachlichen Land sein, z.B. in Asylwohnheimen sein, in denen es vermutlich oft unmöglich ist, sich auf Deutsch zu verständigen, und in denen sprachliche und interkulturelle Kompetenzen gefordert sind und angewendet werden können. Ich beobachte inzwischen vermehrt Studierende von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, die ehrenamtlich MigrantInnen betreuen (ohne sie formal und institutionell in Sprache zu unterrichten), die nebenbei eine Herkunftssprache lernen und im Tandem-Tausch ihr Deutsch weitergeben. Natürlich wird dort nicht ordentlich nach allen Regeln der Kompetenzbeschreibungen eine Schulfremdsprache gelernt, aber es wird nachweisbar Sprache gelernt, übrigens auch eine Menge über die eigene. Im Rahmen des Masters Germanistische Sprachwissenschaft mit den Schwerpunkten Textlinguistik und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Technischen Universität Darmstadt gibt es ein Teilmodul als Projektseminar, in dem gezielt solche außeruniversitäre Lernorte aufgesucht werden können und in diesen dann (zwar betreut, aber im Prinzip komplett) selbstgesteuert agiert werden muss. Bei der Konzeption dieses Moduls stand das Konzept des Lernortes nicht zur Debatte, aber aus der Perspektive der Debatte an dieser Stelle kann eine Vielzahl an Lernorten außerhalb des Seminarraumes festgestellt werden. <?page no="75"?> Wo ich bin, ist auch ein Lernort … 75 Im Rahmen des von 2012 bis 2015 laufenden Projektes Gesamtsprachencurricula/ Whole school policy (www.ecml.at/ plurcur) beim Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz gibt es an den mittlerweile knapp zwanzig Projektschulen europaweit viele Aktivitäten, die Lernorte im oben erarbeiteten Sinne darstellen, ohne als solche deklariert zu sein, weil die Projektziele völlig anders fokussiert sind, nämlich die systematische sprachen-, fächer- und auch jahrgangsübergreifende Arbeit zu evaluieren (zu den theoretischen Grundlagen vgl. Hufeisen 2005a und 2011a). Hierbei stellen sich sowohl innerschulische physische (vgl. z.B. Haarmann 2015) wie auch mentale und metaphorische Lernorte (allerdings meistens außerhalb des Klassenraums) wie Sprachencafés oder gemeinsam erarbeitetete und schulweit geltende Grammatikterminologien als auch außerschulische Lernorte wie Großprojekte zu gesellschaftlich relevanten Themen dar (wie sie in Hufeisen 2005b und 2011b und in den Schulberichten in Allgäuer-Hackl et al. 2015 beschrieben sind). In vielen Teilprojekten ist übrigens ein besonders charakteristisches Merkmal die Tatsache, dass Lehrende ihre durchgängige Steuerungs- und Kontrollfunktion an die Lernenden abgeben, entweder von Anfang an oder wenn die Lernenden das Eigensteuerungspotenzial und die Lerngelegenheit erkannt haben bzw. natürlich dann, wenn die Lernenden in Sprachen agieren, die die jeweilige Lehrkraft nicht spricht. 3 Welche Forschungszugänge halten Sie im Hinblick auf die Rolle der Lernorte im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen für besonders fruchtbar? Wenn wir etwas über den Wert und die Nachhaltigkeit von Lernorten heraus bekommen wollen, dann sollten wir (sowohl gezielt ausgewählte und vorbereitete als auch zufällig entstehende) Lernorte beobachten: • beobachten, was, von wem und vor allem wie dort gelernt wird, • Lernende (teilnehmend oder nichtteilnehmend, videobasiert) beobachten und • Lernende nach ihren vielen und verschiedenen Lernorten und deren Wert befragen (Kombination videobasiert beobachtender Verfahren mit introspektiven Datenquellen, z.B. Lautes Denken, videostimulierte Retrospektion, im Sinne einer Datentriangulation; vgl. Schramm/ Aguado 2010, 198), • beobachten, wie Lernende reagieren, wenn sie merken, dass sie lernen, oder wenn sie bemerken, dass ein Ort zufällig zu einem Lernort wird oder gezielt dazu gemacht wird, zu eruieren versuchen, wie sich <?page no="76"?> Britta Hufeisen 76 das Lernen gestaltet und ob es sich verändert, wenn der Ort als Lernort erkannt wurde, • Lernorte in Relation zu Lehrenden sehen. Wenig interessant schiene mir zu sehen, wie ich per didaktischer Bearbeitung aus scheinbaren Nichtlernorten Lernorte à la Hausamann (2008) mache. Im Gegenteil: Gerade zufälliges Lernen an nicht zielgerichtet ausgewählten und dafür nicht eigens vorbereiteten Lernorten würde mich unter dem Aspekt des Sprachenlernens besonders interessieren: • Warum wurde hier gelernt, • was hat das Lernen ausgelöst, • wie wurde gelernt, • als wie nachhaltig stellen sich das Gelernte und das Lernen heraus? Damit wären wir wieder wie praktisch jedes Jahr bei der Debatte der Forschungsmethoden angelangt, und der Frage, welche die bessere ist, die qualitativ oder quantitativ orientierte. Obwohl ich diese Debatte gar nicht führen möchte, weil ich glaube, das Erkenntnisinteresse und die Forschungsfragen münden immer idealerweise in der Wahl spezifischer, weil passender Forschungsmethoden, muss ich doch zur Kenntnis nehmen, dass wenigstens bei den Forschungseinrichtungen und den meisten Stiftungen und ihren GutachterInnen qualitativ orientierte und angelegte Forschung derzeit und weiterhin nicht akzeptiert und sogar explizit als nicht relevante Forschung abqualifiziert wird, selbst wenn anerkannt wird, dass Erkenntnisinteresse und Forschungsfrage(n) wertvoll und unbedingt untersuchenswert und dass die Gütekriterien der qualitativ orientierten Forschungsinstrumente in Ordnung seien. So wurde jüngst ein Antrag mehrerer Leute (inkl. mir) zur Relevanz von bestimmten Vorfremdsprachen für die Textkompetenz in der L3 Deutsch (vgl. Fischer/ Hufeisen 2010 und 2012) durch ein durchweg positives und ein im Ergebnis negatives Gutachten von der DFG mit dem expliziten Verweis auf zu wenige quantitativ bearbeitbare Forschungsfragen (aus denen „echte Hypothesen“ abgeleitet werden könnten) abgelehnt. Dieses Instrument der Forschungsförderung ist als Forschungssteuerung (mehr quantitative Forschung - keine qualitative Forschung! ) sehr wirkmächtig, so dass es hier bei der Leitfrage eigentlich nicht darum gehen kann, welche Forschungszugänge ich vielleicht für fruchtbar halte, sondern welche Forschungsfragen im Paradigma der quantitativ orientierten Forschung für förderungswürdig und förderungsfähig angesehen werden, wenn ich die Forschung nicht allein, ohne finanzielle Unterstützung und auf eigene Rechnung durchführen möchte. Hier fallen mir klassische Interventionsstu- <?page no="77"?> Wo ich bin, ist auch ein Lernort … 77 dien ein, wobei aber schon angesichts des multifaktoriellen Designs die Kontrolle der diversen Variablen sofort unklar ist. Lernorte außerhalb der regulären formalen Lernsituation geben auch die Möglichkeit, nebenbei zu lernen, ohne dass es zu sehr im Vordergrund steht, ohne das Hervorheben von Regeln und Formalien, mit denen sich immer mehr Lernende schwer tun. Das geht einher mit Annahmen der kognitiven Didaktik, „dass die explizite Regelerklärung, wie sie oft im Unterricht praktiziert wird, die Prozesse der kognitiven Verankerung von Konstruktionen (unter anderem Kategorisierung, Schematisierung und Generalisierung) nicht ersetzen kann“ (Roche/ Suner 2014, 121; vgl. auch Achard 2008). Die Erforschung dieses Lernens funktioniert vermutlich nur mittels vorrangig qualitativ orientierter Studien, die zunächst ohne verifizierbare Hypothesen auskommen müssen. 4 Welche methodischen und didaktischen Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht sehen Sie im Zusammenhang mit außerschulischen Lernorten? Ist die Hervorhebung außerschulischer Lernorte bereits eine implizite Vorannahme, dass es sich hier um die besseren oder besten Lernorte handelt? Wenn wir „außerschulisch“ und „außeruniversitär“ um „außerinstitutionell“ erweitern, dann frage ich mich, ob wir hier überhaupt methodische und didaktische Herausforderungen haben bzw. ob diese relevant sind? Werden nicht außerinstitutionelle Lernorte zu solchen, weil es dort etwas zu lernen gibt, was man lernen kann und will, egal aus welchen Gründen, und unabhängig von Bildungsstandards und festgelegten Kompetenzen? Wenn wir überhaupt Aspekte des regulären schulischen Fremdsprachenlernens auf außerinstitutionelle Lernorte anlegen wollen, dann gibt es aus meiner Sicht drei große Bereiche, die das oben zitierte Leben mit sowieso vorhandenen Orten, die unversehens zu Lernorten werden, nicht zu bieten hat: Spezifisch aufbereitete Inhalte und Formalien, bestimmte Ziele und spezielle zu erreichende Kompetenzen, und - ganz wichtig! - Leistungsüberprüfung, deren Relevanz aber zunächst jeweils festgelegt werden müsste. Herausforderung der Steuerung von Inhalten und Formalien - aber ist die noch notwendig? Die Steuerung ergibt sich aus inhaltlichen Notwendigkeiten einerseits und Sprachlernsequenzen und Erwerbsreihenfolgen andererseits, und man muss die Idee loslassen können, dass nur der Fremdsprachenunterricht Fremdsprachen in die Hirne der Lernenden bringt bzw. man muss Aussagen wie die von Gehring vom Kopf auf die Füße stellen: „Warum <?page no="78"?> Britta Hufeisen 78 ein Fremdsprachenunterricht auch außerhalb des Klassenzimmers erfolgreich ist“ (Gehring 2010, 7), wobei hier wieder einmal, wie auch in den meisten anderen Beiträgen, Fremdsprachenunterricht mit Englischunterricht gleichgesetzt wird). Es ist unbestreitbar, dass Fremdsprachenunterricht sehr erfolgreich sein kann, aber er hat nun einmal nicht das Monopol auf erfolgreiches Fremdsprachenlernen und schon gar nicht die Macht, Fremdsprachenlernen gegen Spracherwerbssequenzen oder gegen die Lernenden durchzusetzen. Herausforderung der Ziele und zu erlangenden formal beschreibbaren Kompetenzen: Ziele und (Sprach/ en)Kompetenzen können ganz individuell aussehen, werden aber institutionell durch Kompetenzbeschreibungen normiert, weil nur die Normierung die flächendeckende und rasche Überprüfung zulässt. Mir ist klar, dass das innerinstitutionell kaum anders möglich ist, aber warum sollen dann auch noch die außerinstitutionellen Lernorte in das gleiche Korsett gezwängt werden? Herausforderung der Überprüfung: Die Frage ist, ob etwas gelernt wurde, und wenn ja, was, wie und wie gut? Hiermit steht und fällt innerinstitutionell die Entwicklung und Deklaration von Lernorten, da wir im Zeitalter des Messens und Wiegens natürlich auch den Lernfortschritt messen müssen (unabhängig von jedem Forschungsinteresse aus Leitfrage 3). Das ginge aber nur, wenn wir die außerinstitutionellen Lernorte den gleichen Regeln unterwürfen wie die innerinstitutionellen. Dann haben die außerinstitutionellen Lernorte aber möglicherweise ihren Reiz ganz nachhaltig verloren. Schlussbemerkungen Ich sehe hier also zwei große Stränge, zum einen den Strang der Didaktisierung von Orten zu Lernorten, was der wunderbar konventionelltraditionellen Lernort-Debatte, wie wir sie auch größtenteils in diesem Band finden, entspricht, und zum anderen den Strang der (weiteren) Erforschung von zufällig entstehenden und entstandenen Lernorten im Sinne der Leitfrage 3, die vermutlich eher der Spracherwerbsforschung und vielleicht der Lehr-Lernforschung zuzuordnen wäre. Diesen zweiten Strang halte ich für meine Arbeit für den aussichtsreicheren und interessanteren. Anmerkung Ich danke meiner Mitarbeiterin Heidi Seifert und meinem Mitarbeiter Lennart Bartelheimer für hilfreiche Nachfragen und Anregungen zu diesem Bei- <?page no="79"?> Wo ich bin, ist auch ein Lernort … 79 trag. Was noch unverständlich oder nicht genügend nachvollziehbar ist, habe ich natürlich alleine zu verantworten. Literatur Achard, Michel (2008): „Teaching construal: Cognitive pedagogical grammar“. In: Robinson/ Ellis (Hrsg.), 432-455. Aguado, Karin/ Schramm, Karin/ Vollmer, Helmut (Hrsg.): Fremdsprachliches Handeln beobachten, messen, evaluieren. Neue methodische Ansätze der Kompetenzforschung und der Videographie. Frankfurt a.M.: Lang. Allgäuer-Hackl, Elisabeth/ Brogan, Kristin/ Henning, Ute/ Hufeisen, Britta/ Schlabach, Joachim (Hrsg.) (2015): MehrSprachen? - PlurCur! Praxis- und Forschungsberichte zu Gesamtsprachencurriculumsprojekten (in Vorbereitung). Baur, Rupprecht/ Hufeisen, Britta (Hrsg.) (2011): ‚Vieles ist sehr ähnlich.‘ - Individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit als bildungspolitische Aufgabe. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Fischer, Rotraut/ Hufeisen, Britta (2010): „Transferprozesse beim Produzieren deutschsprachiger wissenschaftlicher Texte von ausländischen NachwuchswissenschaftlerInnen mit Englisch bzw. Französisch als erster Fremdsprache Vorüberlegungen zu dem Forschungsprojekt Transfer und Textkompetenz DaFnE/ F“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenunterricht 21, 249-259. Fischer, Rotraut/ Hufeisen, Britta (2012): „Textproduktion und Sprachenfolge - Wie beeinflusst die Vorfremdsprache L2 die Textproduktion in der L3 Deutsch als Fremdsprache? Methodische Vorüberlegungen zu einer explorativen Studie“. In: Knorr/ Verhein-Jarren (Hrsg.), 157-168. Gehring, Wolfgang/ Stinshoff, Elisabeth (Hrsg.) (2010): Außerschulische Lernorte des Fremdsprachenunterrichts. Braunschweig: Diesterweg. Gehring, Wolfgang (2010): „Zur Einleitung: Lernort, Lernstandort, Lernumgebung: Warum ein Fremdsprachenunterricht auch außerhalb des Klassenzimmers ertragreich ist“. In: Gehring/ Stinshoff (Hrsg.), 7-15. Hausamann, Dieter (2008): Extracurriculare Lehrerbildung: Außerschulische Lernorte für die Begabtenförderung. Oberpfaffenhofen: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. http: / / elib.dlr.de/ 57035/ 1/ 6_HB_Kongr08_ Slzbg_DHausamann_subm_Dez08.pdf (01.01.2015). Henning, Ute (2015): „Begleitstudie zu mehrsprachigem Theaterspiel. Spracheinstellungen qualitativ erforschen“. In: Allgäuer-Hackl et al. (Hrsg.): in Vorbereitung. Hufeisen, Britta/ Lutjeharms, Madeline (Hrsg.) (2005): Gesamtsprachencurriculum - Integrierte Sprachendidaktik - Common Curriculum. Theoretische Überlegungen und Beispiele der Umsetzung. Tübingen: Narr. Hufeisen, Britta (2005a): „Gesamtsprachencurriculum: Einflussfaktoren und Bedingungsgefüge“. In: Hufeisen/ Lutjeharms (Hrsg.), 9-18. <?page no="80"?> Britta Hufeisen 80 Hufeisen, Britta (2005b): „‘But then you don’t learn anything! ‘ - Wie man beim Schüleraustausch eine neue Lernkultur entdecken kann“. In: Englisch 1, 9-23. Hufeisen, Britta (2011a): „Gesamtsprachencurriculum: Überlegungen zu einem prototypischen Modell“. In: Baur/ Hufeisen (Hrsg.), 265-282. Hufeisen, Britta (2011b): „Drei ausgewählte Merkmale eines Gesamtsprachencurriculums: Interkulturelle Studien, Deutsch als Zweitsprache und Textkompetenz“. In: Die Neueren Sprachen 2, 45-55. Klippel, Johanna (2013): Sprachlernsituation Auslandsstudium: Eine qualitative Studie zu Lernerfahrungen ausländischer Studierender in Deutschland. Baltmannswseiler: Schneider Hohengehren. Knorr, Dagmar/ Verhein-Jarren, Annette (Hrsg.) (2012): Schreiben unter Bedingungen von Mehrsprachigkeit. Textproduktion und Medium Band 12. Frankfurt a.M.: Lang. Martinez, Hélène (Hrsg.) (2011): „Sprachdidaktische Synergien - der Mehrwert der Mehrsprachigkeit“. Themenheft Die Neueren Sprachen 2. Martinez, Hélène (in diesem Band): „Lernorte brauchen gute Lerner“, 143-152. Robinson, Peter/ Ellis, Nick (Hrsg.) 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Würffel, Nicola (in diesem Band): „Hybride Lernortgestaltung als angemessene Lehr- und Lernform des modernen Fremdsprachenunterrichts? “, 229-238. <?page no="81"?> Lernorte und Ortswechsel Friederike Klippel 1 Die Relevanz der Orte in der Zeit Wo jemand eine Sprache lernt, hängt davon ab, zu welchem Zweck und zu welcher Zeit er oder sie das tut. Während wir heute den institutionalisierten Fremdsprachenunterricht in Schule, Universität, in öffentlichen oder privaten Bildungseinrichtungen als den Regelfall ansehen, war er dies bis in das 19. Jahrhundert ganz und gar nicht. Sicherlich gab es ab dem 16. Jahrhundert Unterweisung durch Sprachmeister an Ritterakademien und einigen Universitäten, doch lernten bis vor gut 150 Jahren die meisten Menschen Sprachen im Erwachsenenalter außerhalb einer Bildungsinstitution. Die Frage des Lernortes wurde auf der Basis der vorhandenen Möglichkeiten und im Lichte der individuell angestrebten Lernziele entschieden. Die Söhne von Kaufleuten, die im 15. Jahrhundert im Stalhof zu London, dem Handelskontor der Hanse, während eines oft jahrelangen Aufenthalts die englische Sprache und das Wesentliche über das englische Handelswesen erwarben, erlebten eine frühe Form von CLIL, von Sachlernen durch und mit einer neuen Sprache an dem Ort, an dem die Sprache gebraucht wurde. Auch für die großbürgerliche Tochter, die von ihren Eltern am Ende des 18. Jahrhunderts für ein paar Stunden jede Woche in den Salon einer französischen Mamsell geschickt wurde, um dort gesittetes Benehmen, ein wenig Sticken und französische Konversation zu lernen, waren Sprachlernen und Verhaltenstraining an einem bestimmten Ort, nämlich der Wohnung der Lehrerin, kombiniert. Die Söhne von Adligen schließlich, die im 18. Jahrhundert samt Hofmeister jeweils einige Monate in anderen Ländern verbrachten, lernten die Sprachen im Zielland - bei den ihnen sozial angemessenen Alltagsbeschäftigungen und an den damit verknüpften Orten. Die Geschichte des Fremdsprachenlernens ist reich an Beispielen für die vielfältigsten Orte, an denen Menschen Sprachen gelernt haben. Das hängt damit zusammen, dass viele von denjenigen, die Sprachen zum aktiven Gebrauch lernen wollten, die Möglichkeit hatten, zu reisen und Zeit in anderen Ländern zu verbringen. Sprachenlernen im Sinne der „marketplace tradition“ (McArthur 1991, 12f. u.ö.), also mit dem Ziel der praktischen Beherrschung in der Interaktion, war demnach oft mit persönlicher Mobilität so- <?page no="82"?> Friederike Klippel 82 wie einem gewissen Wohlstand und Bildungsstand verknüpft. Auch diejenigen, die etwa im 18. Jahrhundert moderne Sprachen eher mit dem Ziel der Lesekompetenz lernen wollten, taten dies in den unterschiedlichsten Kontexten: So gab es den Privatlehrer, der ins eigene Haus kam; oder man begab sich in die Lesegesellschaft, wo man neuere fremdsprachige Werke vorfand, über die man sich nach der Lektüre mit anderen austauschte. Fremdsprachige Bücher lesen konnte man fast überall, auf der Bank am Waldesrand oder im stillen Kämmerlein, allein oder in Gesellschaft. Kurz gesagt: Autonome Fremdsprachenlernende früherer Jahrhunderte trafen die ihnen genehme und realisierbare Wahl des Lernortes. Ein Großteil des Sprachenlernens in früheren Jahrhunderten war durch soziale Konventionen (z.B. Französisch als die Sprache des Adels und der Diplomatie), durch individuelle Motive (z.B. Lesen englischer Schriften im 18. Jahrhundert) oder durch wirtschaftliche Interessen geprägt. Erst mit der ab dem Ende des 18. Jahrhunderts zunehmenden Institutionalisierung eines Schulwesens für alle Kinder und der dadurch gewachsenen Notwendigkeit, den Unterricht in Sprachen an generellen Zielen auszurichten, verstärkte sich der Prozess des Nachdenkens über die Gestaltung von Fremdsprachenunterricht. Insbesondere die Pädagogik der Aufklärung befasste sich mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Schule und Leben, einem Nexus, der auch für das Sprachenlernen bedeutsam ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gerade die Pädagogen der Aufklärung in den Philanthropinen mit den Schülern das Klassenzimmer verließen, um durch Unterrichtsgänge in die Umgebung der Schule fremdsprachliche Bezeichnungen für Pflanzen und Tiere in direkter Anschauung einzuführen (vgl. Klippel 1994, 216ff.). Ähnlich agierte rund hundert Jahre später auch der Englisch- und Französischlehrer Hermann Klinghardt (Klinghardt 1888, 37ff.) in Reichenbach, ein Vertreter der Neusprachenreform, der darüber hinaus auch dafür sorgte, dass seine Schüler mit einem Muttersprachler des Englischen sprechen konnten (Klinghardt 1892, 41f.). In der Volksschule in Hamburg wurden die Schüler durch ihr Hamburg-spezifisches Englischlehrbuch in die Stadt geschickt, um englischsprachige Aufschriften zu finden (Lehberger 1990, 68). In heutiger Terminologie würden wir diese Aktivitäten als Spracherwerb mit Handlungscharakter in außerschulischen Lernräumen charakterisieren. Mit der kommunikativen Wende wiederum knapp hundert Jahre später war es nicht so sehr der Gedanke an die Vermittlung neuen oder an das Auffinden fremdsprachlichen Vokabulars an anderen Lernorten, wie für die Hamburger Volksschüler, sondern die produktive Anwendung der Zielsprache, die auch schon für den Kontakt von Klinghardts Schülern mit native speakers zentral war, der nun zu Projekten wie „Airport“ (Legutke) und anderen <?page no="83"?> Lernorte und Ortswechsel 83 führte. Man sieht also, dass die Wahl unterschiedlicher Lernorte kein modernes Phänomen ist, sondern vielmehr eine lange Geschichte besitzt. Ehe man die Frage nach der heutigen Relevanz unterschiedlicher „Lernorte und Lerngelegenheiten“ beantworten kann, muss man den Begriff „Lernort“ etwas näher betrachten. Vermutlich gibt es keinen Ort, an dem sich nicht lernen lässt, denn wir Menschen sind nun einmal als lernende Geschöpfe auf der Welt. Ob ein Lernort oder eine Lerngelegenheit zum Sprachenlernen genutzt werden kann und genutzt wird, hängt von zahlreichen Faktoren ab, unter denen die Motivation des/ der Lernenden einerseits und das sprachliche beziehungsweise interaktive Anregungspotential des Lernortes andererseits sicherlich eine wichtige Rolle spielen. Des Weiteren dürfte von Bedeutung sein, ob der Lernort vom Sprachenlerner zum Zweck des Lernens selbst gewählt wurde oder nicht, ob er gezielt aufgesucht oder durch Zufall erreicht wird. Weiterhin interessiert, ob es sich um einen realen oder einen virtuellen Ort, um einen lebensweltlichen oder imaginären Ort handelt. Wenn wir das Klassenzimmer als den regulären Lernort für das Fremdsprachenlernen in der heutigen Zeit ansehen, und zwar sowohl den Klassenraum in der Schule als auch den Kursraum in der Volkshochschule, im Betrieb, in der Universität oder der Sprachenschule, dann kann man weitere Lernorte in Relation zu diesem regulären Ort quasi nach dem „Zwiebelprinzip“ der konzentrischen Kreise beschreiben. Nächstgelegene Lernorte zum Klassenzimmer wären etwa andere Räume der Schule oder Bildungseinrichtung, beispielsweise die Bibliothek oder der Medienraum, sodann die nähere Umgebung wie der Pausenhof oder die Kantine. Etwas weiter entfernt liegen die Lernorte, die mit dem häuslichen Lernen verknüpft sind; es folgen andere Einrichtungen der Stadt oder der näheren Umgebung, wie Museen, Parks, Kinos, Theater, Bahnhöfe oder Flughäfen. Am weitesten vom Lernort Klassenzimmer entfernt liegen vermutlich die Orte, in denen die Zielsprache gesprochen wird und die man im Rahmen von Austauschaktivitäten, Auslandsschuljahren, Sprachreisen oder Studienreisen aufsucht. Die sind die lebensweltlichen Lernorte, zu denen die virtuellen hinzukommen. Alle genannten Arten von Lernorten können für Sprachenlernende individuell relevant sein, wenn an ihnen eine für das Sprachenlernen oder die Sprachverwendung anregende Lernumgebung vorhanden ist und wenn die Lernenden selbst diese Orte mit einer gewissen Lernmotivation aufsuchen. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, erscheint es mir zweitrangig zu sein, ob Lernende von sich aus oder auf Geheiß der Lehrkraft den Lernort aufsuchen. So halte ich es für gleichermaßen wertvoll, wenn jemand in der Stadtbibliothek sitzt und aus eigenem Antrieb alte Asterix-Comics auf Französisch liest oder sich am häuslichen Laptop in den virtuellen Welten eines <?page no="84"?> Friederike Klippel 84 englischsprachigen Simulationsspiels bewegt, wenn jemand mit einer Tandem-Partnerin beim Kaffee über Mode redet oder als Abgesandter seiner Schule bei einem Festival für ausländische Besucher sprachmittelt, wenn jemand zu Hause einen Sprachkalender hat und jeden Tag das Kalenderblatt studiert oder nach fremdsprachigen Kochrezepten kocht, wenn jemand in einer fremdsprachigen Theatergruppe der Schule mitmacht oder zusammen mit der Klasse einen englischsprachigen Film im Original ansieht. Die Frage der Relevanz bestimmter Orte stellt sich mir nur insofern, als man von Sprachlehrkräften erwarten kann, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler ermuntern, Augen und Ohren auch außerhalb des Unterrichts offen zu halten und sie auf bestimmte außerschulische Lernorte hinweisen oder diese mit ihnen zusammen aufsuchen. Hierbei spielen örtliche Gegebenheiten und Möglichkeiten ebenso eine Rolle wie die Interessen von Lehrkraft und Lernenden. Von daher scheint es mir am wichtigsten zu sein, dass die Lehrkraft in der Schule beispielhaft zeigt, dass man Sprachen nicht nur im Unterricht lernen und anwenden kann, sondern an sehr vielen unterschiedlichen Lernorten. Dazu muss die Sprachlernmotivation geweckt sein und bleiben. 2 Den Raum verlassen Jede Bewegung erzeugt eine Gegenbewegung. Je stärker man die Schule als abgeschlossenes System organisiert, desto größer wird bei den neugierigen und weltoffenen Schülerinnen und Schülern das Bestreben, dieses System zeitweise zu verlassen. Immerhin sind im Jahr 2011 ca. 19.000 Schülerinnen und Schüler länger als drei Monate im Ausland zur Schule gegangen (Weichbrodt 2014, 22), das entspricht etwa 2,5% des Jahrgangs der 16- Jährigen (ebda, 23), wobei in der Regel Schülerinnen und Schüler aus Gymnasien und Gesamtschulen ein halbes oder ganzes Jahr im Ausland zur Schule gehen. Knapp die Hälfte geht in die USA; hoch im Kurs stehen auch die übrigen englischsprachigen Länder Kanada, Australien, Großbritannien, Neuseeland und Irland (https: / / www.travelworks.de/ teens-magazin/ schueleraustausch-statistik.html). Die Zahlen derjenigen, die ins Ausland gehen, steigen. Meine jährliche informelle Frage in der Einführungsvorlesung, wer denn in der Schulzeit länger als vier Wochen im englischsprachigen Ausland verbracht habe, hat in den letzten zwanzig Jahren, seit ich die Frage stelle, einen stetigen Anstieg der Zahl der auslandserfahrenen Studierenden erbracht. Natürlich muss man nicht gleich mehrere Monate ins Ausland gehen, um die gelernte Sprache außerhalb des Klassenzimmers erleben und gebrauchen zu können. Zum ersten bietet auch die heimische Umgebung vielfache <?page no="85"?> Lernorte und Ortswechsel 85 Möglichkeiten, etwa durch fremdsprachige Beschriftungen bzw. die Nutzung fremdsprachiger Audio-Guides in Museen oder touristischen Einrichtungen, durch fremdsprachige Webseiten für vertraute Orte, durch fremdsprachige Filme, die in einigen Kinos im Original gezeigt werden. Die zunehmende Vielsprachigkeit unseres Alltags kann für das Sprachenlernen genutzt werden, wenn man nur will. Dass dies auch auf für den universitären Sprachunterricht interessant und fruchtbar sein kann, zeigen die vielfältigen Aktivitäten der Sprachpraxis im Department für Anglistik und Amerikanistik der LMU München, die das (kulturelle) Angebot der Stadt München geschickt für die Übung und Verbesserung der englischen Sprachfähigkeiten der Anglistikstudierenden nutzen. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen: • Studierende bereiten eine kurze Präsentation und geeignete (Sprech-) Aufgaben zu einem Künstler der englischsprachigen Welt oder einem Werk vor, das sich in einer der vielen Gemäldegalerien in der Nähe der Universität befindet. Während eines Rundgangs durch die Ausstellung spricht man über Kunstwerke und Künstler. • In einem sprachpraktischen Kurs mit landeskundlichem Fokus auf Australien recherchieren Studierende in Gruppen bestimmte Objekte aus dem Museum „Fünf Kontinente“ in München und präsentieren diese dann bei einem Museumsbesuch. • Als Sprachmittlungsaufgaben werden von den Studierenden (in deutscher Sprache) erarbeitete Kurzbiographien wichtiger Persönlichkeiten, die auf dem Südfriedhof begraben sind und nach denen in München Straßen und Plätze benannt sind, der Gruppe von einzelnen Studierenden zusammenfassend auf Englisch vorgestellt. • Bedeutsame Plätze in der LMU selbst (z.B. Weiße Rose Gedächtnisstätte) und im Umfeld der Universität werden in Kleingruppen erforscht und dann in englischer Sprache vorgestellt. Es ist nicht nur für das Sprachenlernen wichtig, dass am anderen Ort sprachlicher Input lauert, wie im Kino, sondern auch dann, wenn der Ortswechsel andere Aufgaben- oder andere Anforderungsformate liefert. Zum zweiten kann man auch im Klassenunterricht andere Lernorte in der Realität oder in der Fantasie (man denke nur an das Verfahren der Fantasiereise oder das Sich-Einfühlen in andere Epochen und Schauplätze fiktionaler Literatur) nutzen. In einem größeren interkulturellen Service- Learning-Projekt hat Petra Rauschert (2014) in Zusammenarbeit mit einer indischen Schule und deren Schülerinnen und Schülern ein Magazin zum <?page no="86"?> Friederike Klippel 86 Thema „Happiness“ gestaltet. In die Texte sind die per Video aufgezeichneten Beschreibungen der indischen Kinder eingeflossen, so dass die deutschen Schüler über mehrere Monate hinweg intensiven Kontakt zu einem anderen Ort hatten. Der Erlös des Verkaufs der Zeitschrift ging im Sinne des Service-Learning als Unterstützung an eine Schule in Indien. Das interkulturelle Lernen stand bei diesem Projekt zwar im Mittelpunkt; gleichzeitig zeigen die Ergebnisse jedoch einen erheblichen Lernzuwachs auch im sprachlichen Bereich. Überzeugend ist der Einstellungswandel bei den beteiligten Schülerinnen und Schülern, der „in der sehr starken Zunahme von Akzeptanz bei einer gleichzeitig sehr starken Abnahme der negativen Einschätzung des Fremden“ (Rauschert 2014, 270) liegt. Besonders beeindruckend ist die Kombination von sozialem Engagement und Sprachenlernen. Die Autorin stellt fest: Die Vorteile, die sich aus der spezifischen Konzeption als Service-Learning- Projekt, d.h. aus der Koppelung von formalem Lernen und sozialem Engagement, ableiten lassen, bestehen entsprechend sehr eindeutig in dem motivationalen und sinnstiftenden Potential. Für die konkrete Arbeitssituation im Unterricht ergibt sich daraus der Vorteil einer höheren Anstrengungsbereitschaft und einer sorgfältigeren Arbeitsweise, was letztlich in der Regel auch zu besseren Ergebnissen führt. (Rauschert 2014, 272) 3 Forschungsansätze Es wird niemanden überraschen, wenn ich an erster Stelle hier die historische Forschung nenne. Unsere eigene Erinnerung im Forschungsfeld erstreckt sich bestenfalls auf wenige Jahrzehnte. Fremdsprachenlernen hat aber eine mehr als zwei Jahrtausende umfassende Geschichte, in der noch sehr vieles unerforscht ist. Im Wintersemester 2014/ 15 wurde an der LMU München eine Dissertation abgeschlossen, die sich mit dem Beginn des internationalen Schülerbriefwechsels befasst (Schleich 2015), zu dem es bisher überhaupt keine Forschung gab. Auch im Schülerbriefwechsel, der außerunterrichtliche Lerngelegenheiten nützt, kommt es zu einer erheblichen Weitung der Perspektive, zu fokussiertem Sprachenlernen und funktionalem Sprachgebrauch. Dass all dies schon mit dem Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte, in großem Stil Erfolg hatte - immerhin nahmen in der Dekade von 1897 bis 1907 mehr als 44.000 Schülerinnen und Schüler am Briefwechsel teil - und aus fremdsprachendidaktischen Überlegungen, friedenspolitischen Bestrebungen und den Idealen der Völkerverständigung gespeist war, dürfte unser Gefühl der selbstverständlichen Überlegenheit der Gegenwart doch etwas erschüttern. <?page no="87"?> Lernorte und Ortswechsel 87 Neben die Erforschung der Bedeutung unterschiedlicher Lernorte in der Geschichte und vielleicht auch in der Theorie des Fremdsprachenlernens muss die Analyse der Gegenwart treten. Hier sehe ich zwei Forschungsrichtungen, die aufschlussreich sein können: 1. Forschungsprojekte, die erfassen und analysieren, was bereits in unterschiedlichen Lernumgebungen verwirklicht wird. Solche Projekte können in Sinne von Aktionsforschung, Befragungen, empirischer Unterrichtsforschung etc. durchgeführt werden. Hier geht es in erster Linie um Bestandsaufnahmen, Kategorisierungen, phänomenologische Beschreibungen, Typenbildung und vor allem auch um die Generierung weiterer Forschungsfragen. Zu diesen Forschungsansätzen zählen ich die Arbeiten zum Auslandsaufenthalt (etwa Ehrenreich 2004; Ehrenreich et al. 2008) oder zu verschiedenen Lernorten (Rymarczyk 2013). 2. Entwicklungsforschung, d.h. Projekte, die im Sinne von Interventionen oder Designforschung ganz bestimmte Ansätze in der Praxis neu implementieren und diese Implementation analysieren, um Konzepte weiter zu entwickeln. Ich bezweifle allerdings, dass allein die Frage der Lernorte und Lernumgebungen in Sinne einer Monokausalität für Lernerfolg oder -misserfolg wird verantwortlich gemacht werden können. Wir wissen nur zu gut um die Komplexität des Unterrichtsgeschehens und die große Vielfalt individueller Motivationslagen und Lernzugänge und die im Unterricht zentrale Rolle der Lehrperson. Unterschiedliche Lernorte müssen jedoch in ihren Lernangeboten und -potentialen genauer analysiert werden, damit wir die Handlungsoptionen von Lehrerinnen und Lehrern und vor allem die der Lernenden erweitern. 4 Und die Praxis? Es ist für mich ein gewisses Paradox, wenn Lehrkräfte, die qua Amt an einen bestimmten Lernort, nämlich die Schule gebunden sind, aufgefordert sind, andere Lernorte zu suchen und zu empfehlen. Sollten sie nicht lieber den ihnen zugeschriebenen Lernort möglichst lerneffektiv und angenehm gestalten? Ein wenig spiegelt sich in dieser Frage die alte Dichotomie der Sichtweisen von Schule als separatem pädagogischem Paradies einerseits und als Bestandteil des Alltagslebens und Vorbereitung auf die Welt „da draußen“ andererseits. Aber wenn wir die Aufgabe ernst nehmen, Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht auf die Verwendung der gelernten <?page no="88"?> Friederike Klippel 88 Sprache außerhalb des geschützten Raums des Klassenzimmers vorzubereiten, wie es das Konzept des kommunikativen Unterrichts vorsieht, dann müssen wir außerunterrichtliche und außerschulische Lernorte in den Blick nehmen. Dies dient letztlich auch der Förderung von Lernerautonomie und der Anbahnung lebenslangen Lernens. Eine große Aufgabe liegt darin, angehende und praktizierende Lehrkräfte für die Potentiale unterschiedlicher realer und fiktiver Lernorte und Lernumgebungen zu sensibilisieren, auch für deren eigenes Fremdsprachenlernen. Dies kann im Rahmen der universitären Ausbildung geschehen, etwa durch Projektseminare oder die Vergabe einschlägiger Themen für wissenschaftliche Hausarbeiten. Es kann aber auch als Aufgabe der universitären Sprachausbildung angesehen werden, denn wir wissen ja alle: Teachers teach as they were taught and not (always) as they were taught to teach. Ein innovatives Angebot von Sprachkursen kann sich somit auf die Qualität des schulischen Fremdsprachenunterrichts auswirken. Insofern sollten wir Ausbilder für eine Horizonterweiterung bei den angehenden Lehrkräften sorgen und damit geistige und physische Mobilität wahrscheinlicher werden lassen. Literatur Ehrenreich, Susanne (2004): Auslandsaufenthalt und Fremdsprachenlehrerbildung. Das Assistant-Jahr als ausbildungsbiographische Phase. München: Langenscheidt. Ehrenreich, Susanne/ Woodman, Gill/ Perrefort, Marion (Hrsg.) (2008): Auslandsaufenthalte in Schule und Studium - Bestandsaufnahmen aus Forschung und Praxis. Münster: Waxmann. Klinghardt, Hermann (1888): Ein Jahr Erfahrungen mit der neuen Methode. Bericht über den unterricht mit einer englischen Anfängerklasse im schuljahre 1887/ 88. Zugleich eine Anleitung für jüngere fachgenossen. Marburg: Elwert. Klinghardt, Hermann (1892): Drei weitere Jahre Erfahrungen mit der imitativen Methode. Ein Bericht aus der Praxis des neusprachlichen Unterrichts. Marburg: Elwert. Klippel, Friederike (1994): Englischlernen im 18. und 19. Jahrhundert. Die Geschichte der Lehrbücher und Unterrichtsmethoden. Münster: Nodus. Lehberger, Reiner (1990): „Collect all the English inscriptions you can find in our city“. Englischunterricht an Hamburger Volksschulen 1870-1945. Hamburg u.a.: I&I Schriften. Linguport (2015): http: / / www.linguport.de/ programmarten/ high-schoolaufenthalt/ schueleraustausch-aktuelle-forschungsergebnisse.html (25.4.2015). McArthur, Tom (1990): A Foundation Course for Language Teachers. Cambridge: CUP. <?page no="89"?> Lernorte und Ortswechsel 89 Rauschert, Petra (2014): Intercultural Service Learning im Englischunterricht. Ein Modell zur Förderung interkultureller Kompetenz auf der Basis journalistischen Schreibens. Münster: Waxmann. Rymarczyk, Jutta (Hrsg.) (2013): Foreign Language Learning Outside School. Places to See, Learn, and Enjoy. Frankfurt a.M.: Lang. Schleich, Marlis (erscheint 2015): Geschichte des internationalen Schülerbriefwechsels. Entstehung und Entwicklung im historischen Kontext von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg. Münster: Waxmann. Weichbrodt, Michael (2014): Ein Leben lang mobil? Langfristige Schüleraustauschprogramme und die spätere Mobilität der Teilnehmer als Element gesellschaftlicher Transnationalisierung. Münster: Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster. <?page no="90"?> Ortstermin. Beobachtungen zur Bedeutung der Lernorte für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen Frank G. Königs 1 Die Relevanzfrage Wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, dann hat die Frage der Lernorte in der Geschichte des Lehrens und Lernens fremder Sprachen eine deutlich weniger prominente Rolle gespielt als in anderen Fächern. Die Schulpädagogik hat - angeregt durch reformpädagogische Überlegungen und Konzepte - der Frage der Lernorte viel stärkere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, und sie hat dies auch vergleichsweise früh getan (exemplarisch verweise ich auf Muth/ Zieroff 1980, denen es allerdings vor allem um die damals geltenden - bayerischen - Gesetzesgrundlagen für Unterricht außerhalb der Schule ging). Dabei hat sie sich mehr mit außerschulischen Lernorten als mit Lernorten schlechthin befasst, und sie hat diese Diskussion z.T. auch unter Begriffen wie ‚Exkursion‘ oder ‚Erkundung‘ geführt (vgl. z.B. Meyer 1987). Demgegenüber ist das Bild, das die Fremdsprachenforschung in diesem Zusammenhang abgibt, eher unübersichtlich: Auf der einen Seite gibt es einzelne Forscher, die die Frage des Lernraums früh und regelmäßig zum Thema gemacht haben, allen voran Michael Legutke, der mit seinem Airport-Projekt (Legutke/ Thiel 1983) oder seinen Beiträgen in unterschiedlichen Handbüchern zur Rolle des Klassenzimmers darauf verwiesen hat (Legutke 3 2003, 2010, 2 2013), dass wir diesen Aspekt nicht ausblenden dürfen, wenn wir über fremdsprachliches Lehren und Lernen nachdenken. Auf der anderen Seite wird die Beschäftigung mit Lernorten offenbar auch in jüngerer Zeit als so innovativ erachtet, dass der Beitrag von Klewitz (2011) zu den Lernorten in einem Sammelband zu den „innovativen Entwicklungen beim Lehren und Lernen“ von Fremdsprachen Aufnahme findet. Man könnte daraus den Schluss ziehen, als wisse die Fremdsprachenforschung nicht so recht, was sie mit dem Thema anfangen solle. Und man könnte weiter argumentieren, dass es demgegenüber die Schulpädagogik eher geschafft habe, sozusagen vom Gegenstand her zu argumentieren, also zu diskutieren, welche Rolle Lernorte für das Lernen spielen (könn[t]en). Demgegenüber hat die Fremdsprachenforschung die Frage des Lernortes viel häufiger aus der Sicht des Lernkontextes gestellt. Dem eher auf Pädago- <?page no="91"?> Ortstermin. Beobachtungen zur Bedeutung der Lernorte … 91 gisierung 1 • Mit der Einführung des Sprachlabors waren in der Konsequenz Ortswechsel verbunden. Die ihm zugrundeliegende behavioristische Lerntheorie verlangte nach einer Örtlichkeit, die - zumindest in der technischen Anfangsphase - auch durch eine künstliche ‚Verinselung‘ der Schülerinnen und Schüler authentischer (vorwiegend außerschulischer Lern-)Orte zielenden Diskurs der Schulpädagogik steht also eine eher funktionale Betrachtung des Lernortes in der Fremdsprachenforschung gegenüber. Und in der Tat finden sich hier zahlreiche Beiträge, die sich mit anderen Lernorten als dem Klassenzimmer befassen, allerdings häufig unter dem Blickwinkel der besonderen Funktionalisierung und Motivierung für fremdsprachliches Lernen. Einige Beispiele seien stichwortartig erwähnt: 2 • Mit dem Nutzen und den Chancen des Schüleraustausches haben sich zahlreiche Arbeiten beschäftigt. Nicht von ungefähr spielt in vielen dieser Arbeiten allerdings der Aspekt des Interkulturellen Lernens die zentrale Rolle. Es geht also darum, Szenarien für interkulturelles Lernen zu entwickeln. In diesem Kontext wird dem Schüleraustausch - zu Recht - eine bedeutsame Rolle zugewiesen. Aber: Leitlinie dieser Diskussion war nicht so sehr die Örtlichkeit, sondern das Bemühen um Interkulturelles Lernen, und der Schüleraustausch spielt dabei eine wichtige Rolle. Neben anderen hat Herbert Christ (1993; 1996) darauf häufiger und bereits auch recht früh hingewiesen. erkauft werden sollte; Lernen sollte insbesondere im Individuum selbst und in der intransparenten Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden bzw. der ‚Maschine‘ stattfinden, weniger jedoch in der personalen und schon gar nicht in einer authentisch anmutenden Interaktion. Seine Verwendung machte einen Ortswechsel innerhalb der Institution unumgänglich. So wie der Chemie- und der Physikunterricht ihre Labore bzw. Fachräume zur Durchführung von Experimenten benötigten, so brauchte der Fremdsprachenunterricht seinen Fachraum. Mit der Zeit stellte sich allerdings heraus, dass dieser Ortswechsel die unterrichtenden Lehrkräfte nur partiell überzeugte, dass die mit dem Einbezug der Räumlichkeiten verbundenen Organisationsfragen nicht unerheblich und der Nutzen dann doch vergleichsweise eingeschränkt waren. 1 Dieser Begriff ist hier nicht abwertend gemeint. Vielmehr soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die schulpädagogische Diskussion mit der Frage beschäftigte, wie man den Einbezug vorhandener und gegebener (außerschulischer) Lernorte pädagogisch begründen und ggf. auch instrumentalisieren kann. 2 Wer mag, kann hier auch von ‚Pseudoindividualisierung‘ sprechen. <?page no="92"?> Frank G. Königs 92 • Thematisch eng damit verbunden sind Vorstellungen vom Fremdsprachenlernen in Projekten, wie sie z.B. bei und von Christian Minuth (2012) entwickelt werden. Es geht um eine möglichst organische Verbindung von Lernsituationen innerhalb und außerhalb von Schule, die allesamt dem Projektgedanken verbunden sind und die von entsprechenden Schreibaufgaben im fremdsprachlichen Klassenzimmer bis hin zu Recherche- und Interviewprojekten in zielsprachlicher Umgebung reichen. • Aus einer anderen argumentativen Entwicklung resultieren die Arbeiten, die für das Theater beim Fremdsprachenlernen als wichtigem außerschulischem Lernort plädieren. Hier geht es zum einen darum, Schülerinnen und Schülern mit der semiotischen Kraft dramatischer Texte und ihrer Inszenierungen vertraut zu machen; andererseits sollen aber auch das Verlassen der alltäglichen Lernumgebung genutzt und das eigene (körper-)sprachliche Handeln bewusst gemacht werden (vgl. dazu exemplarisch die Beiträge von Surkamp/ Feuchert 2010; Steiner 2010; Olsen 2013 oder Surkamp 2013). • Ähnlich könnte man im Zusammenhang mit dem Kino als einem Ort der medienadäquaten Begegnung mit einem authentischen fremdsprachigen Text argumentieren (Rymarczyk 2010; Thaler 2010; Lütge 2013; Sabo/ Haack 2013). Allerdings wird hier - ähnlich wie auch beim Lernort ‚Theater‘ - deutlich, dass die Entscheidung für den außerschulischen Lernort eher unter motivationalen Gesichtspunkten gesehen wird und weniger unter dem Gesichtspunkt der authentischen aktiven Begegnung mit Sprache, denn die fremdsprachige Kommunikation läuft zwischen der Fremdsprachenlehrkraft und den Schülern in einer Form, wie sie im Anschluss an die Arbeit mit Filmsequenzen auch im fremdsprachlichen Klassenzimmer laufen könnte, nachdem die Klasse den fremdsprachigen Film - in welcher didaktisch aufbereiteten Form auch immer - gemeinsam gesehen und bearbeitet hat. Authentisch(er) werden durch den Lernort Kino der Raum und das Raumerlebnis, also die Rezeptionsbedingungen. • Analoge Argumentationen lassen sich für den Lernort Museum finden (vgl. dazu exemplarisch Rohmann 2013; Rymarczyk 2013). Hier wird vor allem die Unmittelbarkeit der Erfahrung und der Begegnung mit den Ausstellungsobjekten betont und damit Erfahrungswelten, die sich dem fremdsprachlichen Klassenzimmer normalerweise entziehen. <?page no="93"?> Ortstermin. Beobachtungen zur Bedeutung der Lernorte … 93 • Sieht man einmal von einigen beispielhaften Projekten bei Minuth (2012) ab, so stellen das Airport-Projekt von Legutke/ Thiel (1983) und analoge Szenarien die am weitesten reichende Annäherung an authentische Kommunikations- und Fremdsprachengebrauchssituationen dar. Indem Schülerinnen und Schüler ihre fremdsprachlichen Redemittel zur tatsächlichen Informationsgewinnung in der Interaktion mit authentisch fremdsprachigen Personen einsetzen, wird die Distanz zwischen der ‚natürlichen Künstlichkeit‘ des fremdsprachlichen Klassenzimmers (Butzkamm 1989) und authentischer fremdsprachlicher Interaktion entscheidend verkürzt. Der kurze Überblick zeigt, dass sich die Frage nach den Lernorten und ihrer Bedeutung für fremdsprachliches Lernen nicht eindimensional beantworten lässt. Vielmehr erfolgt die Wahl der Lernorte mit durchaus unterschiedlichen Zielsetzungen und ebenso unterschiedlichen Annäherungsgraden an die authentische fremdsprachliche Interaktion. Und auch der diesbezügliche Anspruch gestaltet sich bei den jeweiligen unterschiedlichen Lernorten durchaus verschieden. Ausgeklammert bleibt hierbei im Wesentlichen die Grundfrage der Gestaltung schulischer Räume für den Fremdsprachenunterricht, auf deren Bedeutung vor allem Legutke (2010, 2 2013) hingewiesen hat. 2 Aktuelle Tendenzen Die zweite Leitfrage zielt auf aktuelle Entwicklungen und Ansätze im Bereich der Fremdsprachenforschung, bei denen der Berücksichtigung der Lernorte eine besondere Bedeutung zukommt. Dazu sei beispielhaft auf drei Entwicklungen hingewiesen, die mir in diesem Zusammenhang nicht unbedeutend zu sein scheinen, die aber keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit erheben sollten. Die augenscheinlichste aktuelle Entwicklung scheint mir im Zusammenhang mit virtuellen Lernräumen im Kontext digitaler Medien zu bestehen. Hierbei sehe ich im wesentlichen zwei Denkrichtungen: Zum einen ermöglicht die Schaffung neuer Identitäten und Lernräume die Stärkung des kreativen Potenzials der Lernenden, indem sie neue Raumszenarien für fremdsprachliches Handeln selbst schaffen können, ohne den tatsächlichen Raum zu verlassen oder gar aufzugeben. Zum anderen schaffen die neuen Kommunikationswege Möglichkeiten für die Lernenden, in eine authentische Kommunikation mit Repräsentanten der Zielsprache zu treten, die sie aber auch und gerade relativ ortsungebunden gestalten können. Fremdsprachli- <?page no="94"?> Frank G. Königs 94 ches Lernen wird damit ein Stück weit aus dem schulischen Klassenzimmer heraus verlagert. Die beiden anderen Entwicklungen sind als solche nicht neu, führen aber zu einer Neubetrachtung der Rolle des Lernortes. Die Aufgabenorientierung zielt darauf ab, dass Lernende sich selbständig und an die Bedingungen der außerunterrichtlichen Wirklichkeit so weit wie möglich angenähert mit der Lösung eines kommunikativen Problems befassen. Selbständigkeit kann in diesem Zusammenhang durchaus dazu führen, dass Lernende sich einen der Aufgabe angemessenen Lernort erschließen. Eine Veränderung des Lernorts ist damit optional. Einige der unter 1. genannten Lernorte ergeben sich aus dem Bilingualen Unterricht. Da dieser sich in der Zwischenzeit auf beinahe alle Schulfächer ausgedehnt hat (zumindest zeigen dies etliche Beiträge in Hallet/ Königs 2013a), ergeben sich für einige außerschulische Lernorte wie beispielsweise das Museum zusätzliche didaktische und lerntheoretische Optionen, die über den unmittelbaren durch Ortswechsel verursachten Motivationsschub hinausgehen. Museum oder Kino werden dann nicht nur zur Abwechslung oder als Ort der Präsentation der jeweiligen Lerninhalte wahrgenommen, sondern auch als Räume, die zur Fortsetzung der unterrichtlichen Kommunikation und deren Annäherung an einen natürlich(er)en Kontext einladen können. 3 Der Forschungsaspekt Die naheliegenden forschungsmethodischen Instrumentarien zur Erforschung von Lernorten und ihrer Bedeutung für das Fremdsprachenlernen scheinen in der Beobachtung und der Befragung zu liegen. Einzelne der oben in 1. zitierten Arbeiten leiten denn auch aus den positiven Äußerungen der am Ortswechsel beteiligten Personen ab, dass andere Orte als das fremdsprachliche Klassenzimmer als belebend für den Vermittlungsbzw. Lernprozess angesehen werden. Allerdings lassen derartige Untersuchungen keine Schlüsse über die tatsächlichen Effekte für die fremdsprachlichen Aneignungsprozesse zu. Zwar scheinen die ‚neuen‘ Orte positive Auswirkungen auf die Motivation der Befragten zu haben, doch muss offen bleiben, ob diese gesteigerte Motivation aus den Lernorten selbst erwächst oder ob sich die Steigerung aus dem naheliegenden Umstand ergibt, dass jeder Wechsel bzw. jede Abweichung von der Routine als belebend wahrgenommen wird. Unberücksichtigt bleibt dabei zumeist auch, ob das in aller Regel mit dem ‚neuen‘ Lernort verbundene erhöhte Ausmaß an Vorbereitung und Planung längerfristig leistbar und vertretbar ist. Hier scheinen mir einschlägige, vor allem den Langzeitaspekt mitberücksichtigende Untersuchungen <?page no="95"?> Ortstermin. Beobachtungen zur Bedeutung der Lernorte … 95 noch weitgehend zu fehlen. Überhaupt wird man wohl konstatieren können, dass umfassend und breit angelegte, eine gewisse Repräsentativität anstrebende empirische Untersuchungen zur Rolle des Lernorts noch weitgehend fehlen. Dieser Umstand unterstreicht noch einmal, dass die forschende Auseinandersetzung mit fremdsprachlichen Lernorten bislang eher ein stiefmütterliches Dasein führt. 4 Die Herausforderungen Wer die Literatur zu unterschiedlichen Lernorten und ihrem Nutzen für die Fremdsprachenaneignung liest, wird zu dem Schluss gelangen, dass der Einbezug anderer Lernorte als des ‚klassischen‘ fremdsprachlichen Klassenzimmers nutzbringend ist und gefördert werden muss. Oberflächliche Betrachter könnten zu dem Schluss verleitet werden, dass der bloße Ortswechsel allein bereits lernfördernd ist. Sie könnten leicht übersehen, dass der Einbezug anderer Lernorte gut geplant, vorbereitet und aufmerksam begleitet sein will, wenn er denn wirklich und nachhaltig positive Effekte hervorbringen soll. Dies macht Aus- und Fortbildungsszenarien erforderlich, die nicht nur von einmaliger persönlicher Erfahrung getragen werden sollten, sondern die auch einer empirischen Basis bedürfen. Sie erfordern gleichzeitig das notwendige Augenmaß, um nicht von dem einen Extrem der natürlichen Künstlichkeit des fremdsprachlichen Klassenzimmers in das andere Extrem einer ‚künstlich anmutenden - und von daher vielleicht auch abstoßenden - Natürlichkeit‘ zu verfallen, die keine Entsprechung in der Realität hat und von daher die Kluft zwischen Schule und außerschulischer Realität eher vergrößert. Und es wird auch zu prüfen sein, wie und in welchem Umfang es gelingt, andere Lernorte in das System ‚Schule‘ organisch einzubinden. Schulische und außerschulische Lernorte dürfen sich nicht als Extreme gegenüber stehen, sondern sollten sich auf einem Kontinuum aufeinander zubewegen. Zwei Konzepte gilt es hierbei aus meiner Sicht im Blick zu halten und weiter zu verfolgen: Das Konzept der Prägung weist darauf hin, dass die am Unterricht beteiligten Personen durch ihre Lern- (und auch Lehr-)Erfahrungen geprägt sind; gute Erfahrungen mit einem bestimmten Ort (sei es aus der Lerner- oder der Lehrersicht) verleiten möglicherweise vorschnell zu der Annahme, dass der aktuelle Lernort jeweils das ‚Non plus ultra‘ für fremdsprachliche Vermittlungsvorgänge darstellt. Das greift sicher zu kurz, darf aber als Argument nicht gänzlich vernachlässigt werden. Das zweite Konzept, das mir hier von Bedeutung zu sein scheint, ist das der Passung: Der jeweilige Ort muss für jede einzelne am Untericht beteiligte Person ‚authentisch‘ sein; sie muss zu diesem Ort passen. Der Lernort ‚Museum‘ wird seine intendierte Wirkung verlieren, wenn die dort handelnden Perso- <?page no="96"?> Frank G. Königs 96 nen mit diesem Ort nichts anfangen können. All das bedeutet auch, dass das fremdsprachliche Klassenzimmer keineswegs obsolet wird. Und es bedeutet vor allem, dass die Pluralität der Lernorte mit der Pluralität der Lern(er)typen kompatibel gemacht werden sollte. Keine leichte Aufgabe. Man kann nicht früh genug damit beginnen, auch diesen Zusammenhang im Blick zu halten! Literatur Bach, Gerhard/ Timm, Johannes-Peter (Hrsg.) (2003): Englischunterricht. Tübingen: Francke. Bredella, Lothar/ Christ, Herbert (Hrsg.) (1993): Zugänge zum Fremden. Gießen: Verlag der Ferber'schen Universitätsbuchhandlung. Butzkamm, Wolfgang (1989): Psycholinguistik des Fremdsprachenunterrichts. Natürliche Künstlichkeit: Von der Muttersprache zur Fremdsprache. Tübingen: Francke. Christ, Herbert (1993): „Schüleraustausch zwischen Verstehen und Mißverstehen. 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In: Gehring/ Stinshoff (Hrsg.), 105-112. <?page no="98"?> Lernorte im Fremdsprachenunterricht aus der DaF-/ DaZ- Perspektive Uwe Koreik 1 Begriff und Konzept Der Begriff „Lernort“ gilt seit langem als Klassiker in der Erwachsenenbildung. Pätzold/ Goerke (2006) weisen darauf hin, dass es „eine systematische und umfängliche Lernortforschung […] erst seit Ende der 1970er Jahre (vgl. Münch 2001) [gebe].“ In der Geschichte der Berufsbildung aber werde der Lernortgedanke bereits im 18. Jahrhundert aufgegriffen. Kennzeichnend hierfür sei die Trennung von familiärem, häuslichem und institutionellem Lernort im Rahmen einer sich entwickelnden beruflichen dualen Ausbildung. War der Begriff zunächst an eine notwendige Ausdifferenzierung der beruflichen Bildung geknüpft (betriebliche Ausbildung und theoretische Aus- und Fortbildung etwa in Sonntagsschulen), so wurde dieses Prinzip auf die rein schulische Bildung übertragen. Eine Ausweitung erfährt dieser Begriff spätestens in den Empfehlungen der Bildungskommission zur Neuordnung der Sekundarstufe II von 1974, in denen neben den klassischen Lernorten wie Schule, Betrieb und Werkstatt öffentliche Einrichtungen wie Museen, Mediotheken, Bibliotheken, Galerien, Ateliers u.a. in den Blick gerieten (vgl. Pätzold/ Goerke 2006, 26f.). Damit wurden auch für den schulischen Fremdsprachenunterricht außerschulische Lernorte erschlossen, um den Klassenraum zu verlassen und Anwendungsmöglichkeiten für die zu erlernende Sprache im öffentlichen Raum für den Spracherwerb nutzbar zu machen. Unter dem vielfach zitierten Motto, dass man fremde Sprachen nicht nur aus Büchern und im Unterricht lerne (vgl. Gehring/ Stinshoff 2010) wird gezielt nach Möglichkeiten der außerschulischen Sprachrezeption und Sprachanwendung gesucht. Dies geschieht spätestens seit den neunziger Jahren auch im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Klar ist dabei jedoch, dass es sich nicht wie bei der Ausweitung der Lernorte in der beruflichen Bildung um eine existentiell notwendige Ausweitung, sondern um eine Ausweitung mit dem Ziel einer Belebung des traditionellen Klassenraumunterrichts und damit einer Optimierung des Spracherwerbs handelt. <?page no="99"?> Lernorte im Fremdsprachenunterricht aus der DaF-/ DaZ- Perspektive 99 2 Der konkrete Lernort Zunächst einmal wird man aber, wenn man sich dem Begriff „Lernort“ aus der Perspektive von Deutsch als Fremd- und auch Zweitsprache nähert, ihn allerdings recht banal sehr konkret als Ort, d.h. als Dorf oder Stadt in einem Land unserer Welt begreifen müssen. Es ist trotz aller Globalisierung nach wie vor von großer Bedeutung, ob der Deutschunterricht beispielsweise in Antananarivo, Belo Horizonte, Durham, Istanbul, Minsk, Nanjing, Oslo, Sofia oder Ulan Bator stattfindet. Und noch konkreter ist es natürlich ebenfalls von Bedeutung, ob der Sprachunterricht in den verschiedenen Ländern dieser Welt an einer Schule, dem Goethe-Institut, der Hochschule oder einer anderen Einrichtung stattfindet. Um die Perspektive des Deutschen als Zweitsprache erweitert, ist es selbstverständlich auch sehr wichtig, ob der Unterricht in Bielefeld oder Dresden, in Aurich, Bad Schandau, Fürstenfeldbruck oder Wanne-Eickel erteilt wird. Und genauso selbstverständlich spielt auch hier die Tatsache eine Rolle, dass es einen großen Unterschied ausmacht, ob der Unterricht in der Schule, Universität, der Volkshochschule oder etwa bei einem Sprachkursanbieter für Integrationskurse stattfindet. Der geographische wie auch der institutionelle (Lern-)Ort hat einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie, unter welchen Bedingungen und auch mit welchem Erfolg Sprachenlernen realisiert werden kann - und das gilt mit ziemlicher Sicherheit nicht nur für den Unterricht in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. (Allein die z.B. durch PISA erhobenen unterschiedlichen Ergebnisse für das Schulfach Englisch in den Bundesländern der BRD wie Bayern oder Bremen werfen Fragen auf.) Im Hintergrund sind dabei überall selbstverständlich Lerntraditionen, curriculare Vorgaben und auch die aktuellen gesellschaftspolitischen Verhältnisse im Unterrichtsland von großer Bedeutung. In Weißrussland wurden beispielsweise bis 2011 (neue Zahlen liegen mir zurzeit nicht vor) im Schnitt weltweit die besten Testergebnisse beim TestDaF erzielt; alleine bei der Testaufgabe, in der abschließend eine eigene Meinung bzw. Positionierung verlangt wird, fielen die Ergebnisse im Vergleich zu anderen Ländern signifikant ab, was sich keineswegs durch mangelnde Sprachkenntnisse erklären lässt, sondern durch die bereits in der Schule durchgängig vollzogene Praxis, nur reproduktives Wissen zu fordern und keine eigene Auseiandersetzung mit thematischen Gegenständen. Ähnliches gilt auch für die Türkei, wo eine Textsorte wie ein „Erörterungsaufsatz“ o.ä. schon vor Jahren im schulischen Curriculum selbst für den muttersprachlichen Unterricht abgeschafft wurde. Zusätzlich müssen hier Lehrkräfte oft mit überraschenden und eklatanten Wissenslücken im allge- <?page no="100"?> Uwe Koreik 100 meinen Weltwissen rechnen: zwei Studierende im fortgeschrittenen BA- Studium teilten letztes Jahr beispielsweise nach einer Unterrichtsstunde im kleineren Kreis leicht beschämt mit, dass sie nicht gewusst hätten, dass es nach dem zweiten Weltkrieg einmal zwei deutsche Staaten gegeben hätte. Dies sind Beispiele für unterschiedliche Voraussetzungen an verschiedenen Lernorten unserer Welt, auf die wir unsere Studierenden vorbereiten müssen, weil sie als PraktikantInnen, SprachassistentInnen oder auch als DAADbzw. OrtslektorInnen mit derartigen Begebenheiten konfrontiert werden können. Allein das im Studium angeeignete Primat eines kommunikativen, partnerschaftlichen, multimedialen und interaktiven Unterrichts - um nur einige Schlagworte zu bemühen - kann durchaus einem Realitätsschock ausgesetzt werden: Zwei fortgeschrittene MA-Studierende hatten für exemplarischen Probeunterricht an Gymnasien in Madagaskar im Rahmen einer Studienreise eine kleine Unterrichtseinheit entwickelt, in der sie erlernte Maximen im Sinne von kooperativen Unterrichtsformen sowie begleiteter Gruppenarbeit mustergültig umsetzen wollten. Als sie den Klassenraum betraten, konnte man ihren Gesichtern ansehen, dass sie mit manchem aber nicht dem gerechnet hatten, was sie erwartete: Im großen langgezogenen Klassenraum saßen in Reihen nacheinander 94 Schülerinnen und Schüler, und als einziges Hilfsmittel stand eine Tafel zur Verfügung, die etwa ein Drittel der in Deutschland üblichen Größe hatte! Der Lernort in seinem konkreten Sinne ist nach wie vor der entscheidende Bestimmungsfaktor für den Unterricht in Deutsch als Fremdsprache und von hoher Relevanz für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache. 3 Lernorte für DaF/ DaZ im Zielsprachenland Der Einsatz von Lernorten außerhalb des Klassenraumes ist für DaF/ DaZ zunächst in erster Linie für die Vermittlung von landeskundlichen Inhalten realisiert worden. So schlägt beispielweise das Goethe-Institut (Müller 1996) für Landeskunde-Seminare (zunächst für Fortbildungsseminare für zeitlich befristet eingereiste Teilnehmer/ innen) ein vierteiliges Modell der Erlebten Landekunde vor, das sich aus einer Stadterkundung, einer Bedeutungserkundung, einem Mitmachtag und einer Themenerkundung zusammensetzt. Alle Teile sollen sehr sorgfältig vorbereitet, durchgeführt, ausgewertet und präsentiert werden, damit die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an einem solchen Seminar in möglichst intensiven Kontakt mit ihrer Umwelt kommen. Dieses Modell hat in vielfältiger Weise Eingang in den DaZ-Unterricht gefunden und wird sehr variantenreich auch in zeitlich begrenzten Sprachkursen wie den zahlreichen Hochschulsommerkursen eingesetzt, in den für drei bis vier Wochen nach Deutschland eingereiste Lernende mit ver- <?page no="101"?> Lernorte im Fremdsprachenunterricht aus der DaF-/ DaZ- Perspektive 101 schiedenen Orten konfrontiert werden. Sowohl in einem Sechsmonatskurs wie auch im Hochschulsommerkurs haben Lerner der Fachsprache Jura an der Einrichtung PunktUm der Universität Bielefeld eine Bielefelder Justizvollzugsanstalt besucht und vorbereitete wie auch sich aus dem Besuch ergebende Fragen an den Leiter der Einrichtung gestellt. Für zukünftige Studierende des Fachs Mechatronik war im Rahmen der Sprachkurse ein Firmenbesuch mit anschließendem Gespräch mit einem Produktionsleiter vorbereitet worden. Insbesondere die Ankommenssituation von sich für eine begrenzte Zeit im Zielsprachenland aufhaltenden Lernern bietet eine Fülle an fokussierten (Lern)Erfahrungen an diversen institutionellen Orten (in Stichworten: ggf. Ausländerbehörde bzw. Ordnungsamt, Bibliotheksverwaltung, Mensakartenausgabe, Fahrradverleih, Sportanmeldung usw.), welche zahlreich und z.T. sehr kreativ von zahlreichen Sprachschulen und auch universitären Kursanbietern genutzt werden, was sich in der akademischen Sekundärliteratur nicht einmal annähernd spiegelt. Auch das Museum als Lernort (Koreik/ Köster 1997) verdeutlicht vorrangig Möglichkeiten der Landeskundevermittlung wie exemplarisch im „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in Bonn. Die Äußerungen von Teilnehmern wie: „Das Museum ist besser als ein Buch“ (ebda, 359) oder „Ich habe gelernt, dass man Geschichte auch anders darstellen kann, als es in der Schule der Fall war“ (ebda, 359) sprechen für sich. In den letzten gut fünfzehn Jahren hat unter Einfluss der Museumspädagogik und durch auch international anerkannte Beispiele wie dem „Haus der Geschichte“ eine Veränderung in der deutschen Museumslandschaft stattgefunden, indem über die reine Ausstellung von Exponaten hinaus, deutlich interaktiver gestaltet wurden, was auch in unterschiedlicher Weise auf sehr viele (historische) Regionalmuseen zutrifft. Ein Museumsbesuch, der allerdings Ziele wie „sprachpraktisches Lernen“ oder gar „forschendes Lernen“ im Blick hat und über Abwechslung und Anschaulichkeit hinausgehen soll, bedarf der Voraber auch Nachbereitung im Klassenraum. Und dazu müssen nicht nur Texte behandelt werden, sondern bieten sich in zunehmendem Maße Internet-Quellen (in diesem Fall z.B. LeMo - Lebendiges Museum Online, mit den vielfältigen darüber erhältlichen Materialien) oder auch Filmsequenzen von auf Youtube verfügbaren Filmen an. Wie auch eine einzelne Fertigkeit - Schreiben - von Museumsbesuchen gefördert werden kann, verdeutlichen Henseler/ Rottmann (2000). Alle bisher erwähnten Lernorte - und zahlreiche mehr - bieten sich erst recht für den DaZ-Kontext an. Jedoch versicherungsrechtliche wie oft auch zeitlich sehr einschränkende Vorgaben (wie in Integrationskursen) stehen einer Realisierung nicht selten entgegen. <?page no="102"?> Uwe Koreik 102 4 Lernorte für DaF im Ausland Natürlich gibt es auch schon lange Überlegungen, wie für den DaF- Unterricht im Ausland durch geeignete Lernorte außerhalb des Klassenraums motivationsfördernde und spracherwerbsbegünstigende Konstellationen hergestellt werden können. Die Möglichkeiten sind letztlich aber wieder sehr vom konkreten Lernort abhängig. Es ist letztlich entscheidend, ob es sich um eine Hauptstadt mit vielen politischen Organisationen vor Ort (neben Botschaften, Goethe-Instituten, Stiftungsvertretungen, NGOs u.a.), einen Ort mit deutschen Firmenniederlassungen oder einen Ort mit einer starken Frequentierung deutschsprachiger Touristen handelt. Von Bedeutung ist natürlich auch, ob ein deutschsprachiges Land in der Vergangenheit heute noch nachvollziehbare Spuren hinterlassen hat (Migration, Krieg, Kolonie u.a.). Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten eines „konstruierten“ Lernorts. Wenn einmal jährlich Lerner der deutschen Sprache im Vorstudienjahr an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul eine u.a. genau dafür angereiste deutsche Studierendengruppe punktuell in Gruppenarbeit zu betreuen haben, indem sie ihnen je nach Fachrichtung eine besondere Führung durch Istanbul zu bieten haben (die zukünftigen Jura-Studierenden müssen Orte der türkischen Rechtsgeschichte und gegenwärtigen Gerichtsbarkeit vorstellen, und die zukünftigen Mechatronik-Studierenden haben die Aufgabe, in Istanbul bahnbrechende Orte der technischen Entwicklung zu präsentieren und aktuelle Orte des Einsatzes von Mechatronik wie Verkehrsleitsysteme zu präsentieren), dann ist dies ein Lernort der besonderen Art. Wo dieses alles nicht gegeben ist, erübrigt sich die Frage nach einem Lernort außerhalb des Klassenraums und drängt sich die Frage nach einer virtuellen Alternative auf. 5 Der virtuelle Lernort für DaF/ DaZ Das (heimliche) Ziel der in der Fremdsprachendidaktik in den letzten Jahren geführten Diskussionen über den Lernort scheint es zu sein, den virtuellen Lernort per Internet oder Sprachlernprogramm als die ultima ratio für den nicht genügend fruchtbaren oder auch nicht ausreichend inspirierenden gewohnten Unterricht im Klassenraum anzusehen. Vorsichtig möchte ich einwenden, dass bisher herausragende wenn nicht beste Resultate im Spracherwerb für DaF u.a. aus einem Land wie Belarus stammen, in dem mehrheitlich sehr traditionell unterrichtet wird und der Computerzugang in Schulen fast undenkbar und an Universitäten wie der MGLU (Minsker Staatliche Linguistische Universität) - nach meinen Kenntnissen aufgrund <?page no="103"?> Lernorte im Fremdsprachenunterricht aus der DaF-/ DaZ- Perspektive 103 von staatlicher Vorgaben - hinsichtlich der Geschwindigkeit so gedrosselt ist, dass manche ideale Umsetzungen der Möglichkeiten unrealistisch sind. Bei einem Tandem-Kooperationsprogramm vor wenigen Jahren zwischen einem DaF-Seminar an der Universität Bielefeld und der pädagogischen Hochschule in Ulan Bator war der Austausch erschwert, weil die mongolischen Studierenden auf Internet-Cafés ausweichen mussten, da universitäre Möglichkeiten nicht ausreichend gegeben waren. An der TDU Istanbul konnte 2013 das Selbstlernprogramm DUO (Deutsch Uni online) vor allem auch deswegen nicht eingeführt werden, weil völlig unerwartet etwa die Hälfte der Studierenden entweder über keinen eigenen Computer oder zu Hause über keinen Internet-Zugang verfügten. Selbstverständlich wird auch weiterhin in zunehmendem Maße der Computer eine wesentliche Rolle beim Spracherwerb und auch beim Erwerb und der Vermittlung landeskundlicher Kenntnisse spielen. Das bietet sich allein auch deswegen an, weil mit dem Themenkomplex der „Erinnerungsorte“ seit Jahren ein bedeutsames Feld im Rahmen der landeskundlichen Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache erschlossen wurde und beständig erweitert wird und damit zunehmend an Bedeutung gewinnt. 6 „Erinnerungsorte“ Mit einer schrittweisen Veränderung einer bisher im Ausland üblichen linearen Geschichtsvermittlung im Sinne „Von den Germanen bis heute“ hin zu einer themenfokussierten Darstellungsweise scheint das Konzept der von Pierre Nora entwickelten „lieux de mémoire“ für den DaF-Bereich in immer deutlicherem Maße wirksam zu werden. „Die von Pierre Nora konzipierte Form der Geschichtsschreibung, die er selbst als „Geschichte zweiten Grades“ (histoire au second degré) bezeichnete, stellt eine bereichernde Ergänzung der traditionellen Geschichtsschreibung dar (Koreik/ Roche 2014, 10). Mit dieser Herangehenswiese an Geschichte eröffnen sich neue Wege in Bezug auf den landeskundlichen Unterricht. Und dabei darf das von Schmidt/ Schmidt (2007) herausgegebene Lehrwerk als die entscheidende Initialzündung im Bereich DaF festgehalten werden (vgl. hierzu die länderbezogenen Studien bei Koreik/ Roche 2014, 18). Die Arbeit im DaF-/ DaZ- Unterricht mit „Erinnerungsorten“ wie bei Schmidt/ Schmidt „erfolgt dann sehr handlungsorientiert, Recherche und Projektarbeit bilden den Kern des methodischen Angebots“ (Badstübner-Kizik 2014, 54). Dieses Thema wird uns mit Sicherheit noch auf Jahre hinaus beschäftigen (auch wenn es ein Modethema ist), und es bietet auch auf Jahre hinaus noch Potential, wenn man die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe mit einbeziehen möchte. <?page no="104"?> Uwe Koreik 104 7 Fazit Das Thema Lernorte ist gewiss nicht neu, aber dennoch wichtig für die Fremdsprachenvermittlung. Die Zukunft wird in der parallel zum Klassenraum computerbasierten Teilvermittlung sprachlicher und landeskundlicher Inhalte mit sehr verschiedenen Ausgestaltungen liegen. Gerade auch die vielfältigen Aktivitäten im Bereich des Internet-gestützten Tandems (z.B. Chaudhuri/ Puskás 2011) bieten vielfältige und ausbaufähige Möglichkeiten. Wir sollten allerdings auch aufgrund früherer Euphorieströmungen (z.B. Sprachlabor) nüchtern reagieren. Die Verlagerung von Lernorten kann auch im Fremdsprachenunterricht in vielerlei Hinsicht nützlich und gewinnbringend sein, die den Sprachunterricht in Art eines Allheilmittels voranbringende Methode ist es sicherlich nicht. Literatur Arnold, Rolf/ Nolda, Sigrid/ Nuissl, Ekkehard (Hrsg.) (2001): Wörterbuch Erwachsenenpädagogik. Bad Heilbrunn: UTB. Badstübner-Kizik, Camilla (2014): „ ,Erinnerungsorte‘ in der fremdsprachlichen Kulturdidaktik. Anmerkungen zu ihrem didaktisch-methodischen Potenzial“. In: Mackus/ Möhring (Hrsg.), 43-64. 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Dementsprechend kann jeder Ort ein Lernort sein - auch der Küchentisch, an dem etliche Schülerinnen und Schüler mit oder ohne elterliche Hilfestellung ihre fremdsprachenunterrichtlichen Hausaufgaben bewältigen (müssen). Interessanterweise jedoch finden Orte, an denen Kinder und Jugendliche nahezu tagtäglich nachmittags lernen, in der fremdsprachendidaktischen Diskussion und Forschung kaum nennenswerte Beachtung. Häusliche Lernorte und außerhäusliche Nachhilfeeinrichtungen, die jenseits von Schule und Klassenzimmer mit zu den wichtigsten Lernorten überhaupt gehören (vgl. Bertelsmann Stiftung 2010, 13-21), werden allenfalls am Rande in den Blick genommen. 1 1 Eine Ausnahme stellt die qualitative Studie von Haudeck (2008) zur fremdsprachlichen Wortschatzarbeit außerhalb des Klassenzimmers dar. Das Hauptinteresse gilt gegenwärtig vielmehr all jenen außerschulischen (inländischen und ausländischen) Lernorten, die sich im Rahmen einer Exkursion (Studienfahrt, Unterrichtsgang, o.ä.) erreichen und für das Lernen und Lehren fremder Sprachen sinnvoll nutzen bzw. nutzbar machen lassen. Hierzu gehören so unterschiedliche Orte wie (internationale) Partnerschulen, Kinder-Unis, Museen, Bibliotheken, Theater, Kinos, Flughäfen, Bahnhöfe oder Tiergärten (vgl. Legutke 7 2007; Legutke/ Müller- Hartmann 2000; Legutke 2010; Grau/ Legutke 2013; Gehring/ Stinshoff 2010; Gehring/ Michler 2011; Thaler 2010). Darüber hinaus wird zunehmend auch das Internet als Lernort betrachtet (vgl. beispielsweise Legutke/ Müller- Hartmann 2001; Rau 2009; Schmidt 2009, Biebighäuser/ Ziebelius/ Schmidt 2012). Innerschulische Lernorte jenseits des Klassenzimmers (Schulgelände <?page no="107"?> Dimensionen einer fremdsprachendidaktischen Theorie der Lernorte 107 im weitesten Sinne, Schulbücherei, Fachräume, Sporthalle, Mensa, Aula, Schulbühne, u.a.m.) werden ebenfalls in die Diskussion einbezogen (vgl. hierzu zum Beispiel Kurtz/ Schlinkmann 1996; Thiering 1996; Thaler 2010, 5; Gehring 2010, 12). 2 Alles in allem gibt die jüngere fremdsprachendidaktische Lernortdiskussion, beginnend mit dem Airport-Projekt (vgl. Legutke/ Thiel 1983; Legutke 1983, 1984, 2006), zu erkennen, dass neben dem Klassenzimmer, dem zentralen Lehr- und Lernort des Fremdsprachenunterrichts, heute vor allem solche Orte für relevant (im Sinne der ersten Leitfrage) gehalten werden, an denen die Lernenden mit Segmenten oder Subsystemen der jeweiligen Zielkultur und ihrer Sprache in Berührung kommen, mit Sprechern der Zielsprache zusammentreffen und ihre eigenen kommunikativen Möglichkeiten in ‚Ernstfallsituationen‘ erproben können (vgl. hierzu Legutke 7 2007, 103- 104; 2010, 171-172; Thaler 2010, 6). Das dahinter stehende fremdsprachendidaktische Leitbild ist stark geprägt von der reformpädagogischen Vision eines lebensnahen, ganzheitlichen, (eigen-)aktiven und eigenverantwortlichen Lernens, von den Kernannahmen des sozialen Konstruktivismus (d.h. das Fremdsprachenlernen wird als ein interaktiver, ko-konstruktiver und situierter Prozess betrachtet), insbesondere aber vom kommunikativ-interkulturellen Paradigma (vgl. Edelhoff/ Liebau 1988, 241-253 unter dem Gesichtspunkt des sinnlich-konkret-praktischen Lernens; Gehring 2010, 8-14; Legutke 2010, 172; Thaler 2010, 5-6). Der eingangs erwähnte Küchentisch (als Beispiel für einen häuslichen Lernort) lässt sich mit diesen, die Lernortdiskussion nach wie vor prägenden fremdsprachendidaktischen Leitideen bzw. den ihnen zugrunde liegenden konstruktivistischen Lehr-/ Lernorientierungen allerdings ebenso wenig in Verbindung bringen wie die (kommerzielle) Nachhilfeeinrichtung, die von einer großen Zahl von Schülerinnen und Schülern zum Teil mehrmals wöchentlich aufgesucht wird. Sind diese hoch frequentierten Lernorte, an denen sich das fremdsprachliche Lernen - so vermute ich - vielfach vollkommen anders gestaltet als im Klassenzimmer, am Flughafen oder im Museum, deswegen weniger relevant? Möglicherweise verhält es sich in Anbetracht 2 Die Unterscheidung von außerschulischen und (inner-)schulischen Lernorten ist nicht unumstritten. Grau/ Legutke (2013) haben sich unlängst dafür ausgesprochen, „das Adjektiv ‚außerschulisch‘ fallen zu lassen und nur noch von Lernorten zu sprechen, die untereinander vernetzt sind“ (ebda, 2). Thaler (2010) verweist in diesem Kontext auf eine weitere Lernortvariante, die durch „Außen-nach-innen- Öffnung“ (ebda, 5; z.B. Besuch von native speakers im Fremdsprachenunterricht) zustande kommen kann. <?page no="108"?> Jürgen Kurtz 108 der - von mir so wahrgenommenen - Fokussierung auf das fremdsprachliche Üben und Wiederholen genau umgekehrt. Ob und inwieweit Lernortvorstellungen, die im Prinzip bereits vor Beginn des Internetzeitalters entwickelt wurden, am Anfang des 21. Jahrhunderts noch tragfähig sind, ist gleichermaßen klärungsbedürftig. Das Internet wirft als Lernort zumindest einige fundamentale theoretische Fragen in Bezug auf die ‚doppelte Verortung‘ des Lernens (physisch-materiell, elektronisch-virtuell) und deren Wechselbeziehung auf: Halten sich Lernende, die von einem physischen Ort aus das Internet aufsuchen, an zwei (Lern-)Orten gleichzeitig auf (Problem der Bilokalität)? Tritt der physische Ort hierbei in den Hintergrund? Ist er ggf. weniger relevant? (vgl. auch Grau/ Legutke 2013, 2). Wie ist die Wechselbeziehung von physischem Ort und virtuellem Raum lerntheoretisch und fremdsprachendidaktisch zu konzeptualisieren und optimal zu gestalten? Um sich Fragen wie diesen (und weitergehend den Leitfragen zwei und drei) zu nähern, bedarf es meines Erachtens einer grundlegenden Auseinandersetzung mit dem Begriff des Lernorts. 2 Zum Lernortbegriff Der Begriff des Lernorts wird in der jüngeren fremdsprachendidaktischen Theoriediskussion sehr uneinheitlich verwendet. Vielfach werden weitere, nicht minder vielschichtige Begriffe herangezogen bzw. beigefügt, um das jeweilige Lernortverständnis zu erläutern. Typische begriffliche Aggregationen sind: Lernort und Lernwelt bzw. Lernumgebung, Lernort und Lernkontext bzw. Lernsituation, Lernort und Lernangebot bzw. Lernpotential, Lernort und Lerngelegenheit bzw. Lernchance, Lernort und Lernorterkundung bzw. Lernortbegegnung, Lernort und Handlungsfeld bzw. Handlungsraum, u.a.m. Mitunter werden im Anschluss an die erziehungswissenschaftliche Diskussion auch lernortbezogene Differenzierungen (zum Beispiel: Lernort vs. Lernstandort, primäre vs. sekundäre Lernorte) vorgenommen, meist unter Verweis auf bestimmte funktionale Zuschreibungen (vgl. z.B. Elsner 2010, 157-158; Thaler 2010, 5). Was genau einen Ort als Lernort auszeichnet und wie sich Lernorte im Allgemeinen und im Besonderen voneinander unterscheiden können, ist bislang jedoch noch weitgehend offen. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, mein gegenwärtiges Lernortverständnis darzulegen und zur Diskussion zu stellen: Ich gehe davon aus, dass das Verhältnis von Ort (place) und Raum (space und cyberspace), in seiner physisch-materiellen bzw. elektronisch-digitalen, mental-repräsentativen und sozial-diskursiven Konstituierung und Interdependenz, für jede Lernorttheorie, und damit auch für eine fremdsprachendidaktische, von herausragender Bedeutung ist. Unter Berücksichtigung <?page no="109"?> Dimensionen einer fremdsprachendidaktischen Theorie der Lernorte 109 raumphilosophischer und raumsoziologischer Diskurse (vgl. zusammenfassend Schroer 2006) sowie fremdsprachendidaktischer Modellierungen (vgl. insbesondere Legutke 7 2007, 2010; Grau/ Legutke 2013), Erfahrungen und Erkenntnisse aus der dualen beruflich-betrieblichen Ausbildung mit einbeziehend (vgl. hierzu Dehnbostel 2002; Nuissl 2006), gilt es meines Erachtens (mindestens) zwölf eng miteinander verwobene und unterschiedlich aufeinander einwirkende Lernortdimensionen in den Blick zu nehmen: 1. Materialität: Die konkret-räumlich-gegenständliche Lernortdimension, d.h. der umbaute bzw. physisch irgendwie begrenzte Raum an einem Ort, zum Beispiel das Schulgelände, das Schulgebäude, das fremdsprachliche Klassenzimmer, aber auch der Tisch als ein Ort, ein Platz oder eine Stelle, an dem im Klassenraum oder anderswo gelernt wird bzw. etwas gelernt werden soll (vgl. auch Legutke 7 2007, 108). 2. Sozialität: Die kommunikativ-interkulturell-intersubjektive bzw. interaktional-diskursive Lernortdimension, d.h. der Lernort als Ort lernbezogener Praktiken, wobei die jeweiligen Praktiken durch die Materialität des Ortes eingegrenzt und beeinflusst werden, sie umgekehrt aber den Ort als Lernraum überhaupt erst konstituieren. Dies entspricht der relativen Raumauffassung in der jüngeren Soziologie, die im Gesamtkontext des postulierten sog. spacial turn bzw. des topological turn an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Schroer 2006, 44- 46; Legutke 7 2007, 108). 3. Novität: Die lernseitig-neuigkeitsbezogene Lernortdimension, d.h. die schülerseitige Wahrnehmung eines Ortes als einen novelty space (vgl. Orion/ Hofstein 1994, 3f.), für den das Spannungsverhältnis von Vertrautheit (familiarity) und Neuartigkeit (novelty) konstitutiv ist. Vertrautheit und Neuartigkeit können sich dabei auf eine Vielzahl von ortsbezogenen Parametern beziehen (physisch-materielle, elektronisch-digitale, zielsprachlich-partizipative, symbolische, soziale, kulturelle, lernmethodische, geschichtliche, u.a.m.). Neuartigkeit kann schülerseitig Neugier auslösen, und dies wiederum kann eine wichtige Triebfeder für das fremdsprachliche Lernen sein (vgl. Grau/ Legutke 2013, 5). 4. (Multi-)Funktionalität/ Intentionalität: Die kognitiv-konstruktive Lernortdimension, d.h. die Zuschreibung bestimmter Zweckbestimmungen und Nutzungsmöglichkeiten eines Ortes, zum Beispiel als Ort des Lehrens und der Lernermöglichung (vgl. Neidhardt 2006, 39- 40; Legutke/ Grau 2013, 5-6). <?page no="110"?> Jürgen Kurtz 110 5. Elastizität/ Variabilität: Die raumzeitlich-organisatorische Lernortdimension, d.h. die Erreichbarkeit (Fahrtzeiten) und Zugänglichkeit (Öffnungszeiten) eines (außerschulischen) Lernortes im Rahmen des Schulbzw. Unterrichtsalltags. In diesem Zusammenhang sind auch Fragen der Beaufsichtigung und der Verhaltensregulierung zu berücksichtigen (an Orten wie Flughäfen oder Bahnhöfen sind Sicherheitsregeln zu beachten, für Museen oder Bibliotheken gelten bestimmte Verhaltensregeln, die den Aktionsradius der Lernenden - und damit auch das fremdsprachliche Lernen an sich - eingrenzen können, etc.). 6. ‚Didaktizität‘: Die curricular-normative bzw. lerntheoretischdidaktisch-methodische Lernortdimension, d.h. die ortsangemessene, prozessual-episodische Inszenierung und lernergerechte Didaktisierung fremdsprachlichen Lehrens und Lernens unter Berücksichtigung der curricularen Zielsetzungen und normativen Vorgaben, etwa im Sinne der 8-Metaphern-Theorie Legutkes (vgl. zusammenfassend 2010, 172-174). Damit eng verbunden sind auch Fragen der ortsbezogenen Themenorientierung, der aufgabenbezogenen Lernregulierung (lehrseitige und lernseitige Steuerung), der Aktions- und Sozialformen (Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit) sowie der Dokumentation der fremdsprachlichen Lernentwicklung (mündlich, schriftlich, individuell, kollektiv, portfolioartig, etc.). 7. Medialität: Die symbolisch-semiotisch-technologische Lernortdimension, d.h. die Ausstattung und Ausgestaltung eines Lernorts mit analogen und/ oder digitalen Medien und das damit verbundene erkenntnistheoretische Problem des Lernorts als virtueller Raum bzw. cyberspace: Lehrende und Lernende können sich (physisch) nicht an zwei Orten zugleich aufhalten (vgl. hierzu Schroer 2006, 252-275). Nuissl (2006, 74) hebt in diesem Kontext hervor, dass der Lernort ‚Internet‘ der Platz vor dem Computer sei, dass durch die Nutzung des Internets jedoch eine „neue Sozietät“ entstünde, d.h. „soziale Interaktionen und Existenzen, die mit den realen physischen Gegebenheiten verknüpft sind“. 8. Affektivität/ Erlebnisqualität: Die ortsbezogen-emotional-atmosphärische Lernortdimension, d.h. das sinnlich-subjektive Erleben des Lernorts und das jeweilige gefühlsmäßige Reagieren auf ihn in all seinen Facetten; hier auch das schülerseitige Interesse an einem Ort als Lernort bzw. dessen Relevanzeinschätzung durch die Lernenden. <?page no="111"?> Dimensionen einer fremdsprachendidaktischen Theorie der Lernorte 111 9. Relationalität/ Konnektivität: Die lernortvernetzende, verbundsystemische Lernortdimension, d.h. die systematische fremdsprachendidaktische Verknüpfung verschiedener Orte als Lernorte, mit dem fremdsprachlichen Klassenzimmer im Zentrum (vgl. weiterführend Legutke/ Grau 2013). Nuissl (2006, 80) unterscheidet diverse Formen und Grade der Vernetzung, von der Lernortkombination über die Lernortkooperation bis hin zum Lernortverbund. 10. Exemplarität: Die repräsentativitätsbezogene Lernortdimension, d.h. die Auswahl eines Lernorts unter dem Gesichtspunkt der Typikalität bzw. der Repräsentativität für bestimmte lebensweltliche Wirklichkeitsausschnitte. 11. Historizität: Die geschichtliche bzw. zeitliche Lernortdimension, d.h. die historisch gewachsene Bedeutung und kollektiv bzw. individuell attribuierte Identität eines Ortes, zum Beispiel als Bildungsinstitution, als Denkmal bzw. als Ort des Erinnerns, etc. und dessen Nutzung als Lernort. 12. Effektivität/ Effizienz: Die ergebnisorientierte Lernortdimension, d.h. die Bewertung der Wirksamkeit unterschiedlicher Lernaktivitäten und -prozesse (intentional, inzidentell, kurzfristig, langfristig bzw. nachhaltig, etc.) an einem Ort, der mit anderen Lernorten verknüpft ist, aus der Schüler- und der Lehrerperspektive. Diese Auflistung soll keine Gewichtung der einzelnen Lernortdimensionen implizieren. Die hier vorgeschlagenen Dimensionen könnten aber vielleicht als konzeptuelle Markierungen auf dem Weg zu einer weiter zu entwickelnden fremdsprachendidaktischen Theorie der Lernorte dienlich sein. 3 3 Zur Lernortforschung Lernorte sind Orte, an denen (etwas) gelernt werden kann. Lernorte können Orte sein, über die etwas gelernt werden kann. Was genau unter einem Lernor t zu verstehen ist, bedarf der weiteren Klärung. Die fremdsprachendidaktische Forschung hat in Bezug auf die Diversität und Pluralität der Orte 3 In der aktuellen englischsprachigen Lernortdiskussion werden vergleichbare, im Detail jedoch weniger ausdifferenzierte Konzeptualisierungen vorgeschlagen. Dabei wird das out of class learning (learning beyond the language classroom) häufig, allerdings nicht ausschließlich, mit Formen impliziten, inzidentellen, informellen und selbstregulierten Lernens in Verbindung gebracht (vgl. Benson/ Reinders 2011; Chern/ Dooley 2014; Nunan/ Richards 2015). <?page no="112"?> Jürgen Kurtz 112 fremdsprachlichen Lehrens und Lernens nicht nur Empirie-, sondern vor allem auch Theoriebedarf. Eine konsistente, widerspruchsfreie Lernorttheorie kann auf klare Begriffe nicht verzichten. Vieles ist grundlegend und unter kritischer Einbeziehung der bezugswissenschaftlichen Diskurse zu hinterfragen. Dies betrifft insbesondere das Ortsbzw. Raumverständnis, aber auch das Verständnis von Raum als space und cyberspace. So ist das Begriffspaar ‚real/ virtuell‘ vollkommen ungeeignet, Raum im Spannungsfeld von space und cyberspace zu modellieren. Virtuelle Räume sind ebenso real wie physisch eingegrenzte (d.h. sie sind nicht irreal). Der Begriff der virtuellen Realität suggeriert, der Mensch könne in zwei Wirklichkeiten leben und lernen, d.h. einer realen und einer virtuellen. Dies ist ontologisch und epistemologisch allerdings höchst fragwürdig. Von hybriden Räumen zu sprechen, mag in Anlehnung an entsprechende Diskurse in den Kulturwissenschaften naheliegend ein, doch ist fremdsprachendidaktisch damit noch nichts gesagt. Noch fragwürdiger sind Begriffe wie ‚authentisch‘, ‚lebensnah‘ oder auch ‚Realsituation‘ (Gegenteil = irreale Situation? ), die im fremdsprachendidaktischen Diskurs häufig verwendet werden, um das sog. außerschulische Lehren und Lernen zu charakterisieren und kommunikativ-interaktiv zu verorten. Der Lernort Klassenzimmer ist jedoch ebenso ‚authentisch‘ wie ‚lebensnah‘, und er stellt für Schülerinnen und Schüler zweifelsohne eine ‚Realsituation‘ dar. Vielleicht kann die Rückbesinnung auf die ursprüngliche Bedeutung der Wörter ‚Ort‘ sowie ‚Raum‘ bzw. ‚räumen‘ einige fruchtbare Anhaltspunkte bieten (vgl. hierzu Grimm/ Grimm 1889a, 275-284; 1889b, 1350-1361). So bedeutete ‚räumen‘ ursprünglich: ‚frei räumen‘, ‚säubern‘ und ‚kulturfähig machen‘, etwas oder jemandem Raum oder Gelegenheit zur Entfaltung einer Tätigkeit geben, für einen bestimmten Zweck. Orte (ursprünglich: Schneide, Spitze; Eckpunkt im räumlichen Sinne) entstehen erst im Raum; sie sind ein fester Punkt oder Teil des Raumes, im Sinne des ‚kulturfähig gemachten Raums‘ ein von Menschen zur Entfaltung bestimmter Tätigkeiten für diverse Zwecke besuchter bzw. benutzter Platz. Die Konzeptualisierung eines Lernorts als einen Ort (ein Platz, eine Stelle, eine Stätte), der einen ‚kulturfähig‘ gemachten bzw. zu machenden Raum markiert (hier im Sinne von Lehr-/ Lernkultur), der von lernenden und lehrenden Individuen oder Gruppen (hier: Lernende/ Lerngruppen) zur Entfaltung bestimmter Tätigkeiten (hier zum Beispiel: interaktiv-kommunikative Tätigkeiten) und für spezifische Zwecke (hier: Entwicklung interkultureller-kommunikativer Kompetenz) aufgesucht und genutzt werden kann, erscheint mir als Ausgangspunkt für eine umfassendere fremdsprachendidaktische Theorie der Lernorte nicht unbedeutend zu sein. <?page no="113"?> Dimensionen einer fremdsprachendidaktischen Theorie der Lernorte 113 In Bezug auf die empirische Forschung sollte sich die Fremdsprachendidaktik meines Erachtens - auch und gerade im Zeitalter des kultursensitiven fremdsprachlichen Lehrens und Lernens - nicht auf diejenigen Lernorte beschränken, die besonders vielversprechend im Sinne der gegenwärtigen, konstruktivistisch-partizipatorisch-interkulturellen Lehr- und Lernorientierung sind. Dies wäre - den mehrfach bereits bemühten Küchentisch sowie die kommerzielle Nachhilfeeinrichtung einbeziehend - einigermaßen weltbzw. praxisfremd. 4 Zur Lernortdidaktik Lernorte, die im Sinne Legutkes (vgl. 2010, 174-175) zur qualitativen Erweiterung des fremdsprachenunterrichtlichen Lehrens und Lernens aufgesucht werden (sollten), müssen mit dem zentralen Lernort des Fremdsprachenunterrichts, und dies ist nach wie vor der Klassenraum, in Beziehung gesetzt bzw. eng vernetzt werden. Didaktisch-methodisch bietet sich hierzu das klassische pre-, while- und post-Design an (vgl. hierzu Thaler 2010, 6-7). Nunan/ Richards (2015) führen hierzu weitergehend aus: There is a need to integrate classroom-based learning with out-of-classroom learning since both support each other. It is important to establish clear goals for out of class learning activities, to prepare students for the activities, and to provide follow-up in the classroom. The activities entail new roles for both teacher and learners as well as the need to develop learning and communication strategies to support out-of-class learning. (ebda, XV) Im Kern besteht die Herausforderung der Lernortvernetzung aber darin, die jeweilige Spezifik der fremdsprachlichen Lernorte als lernseitige novelty spaces zu verstehen, um davon ausgehend das hoch komplexe Spannungsverhältnis von Vertrautheit und Neuigkeit lernortübergreifend und schülerbezogen nach und nach, dies ist sicherlich prozessartig zu sehen, aufzulösen. Dies gilt gleichermaßen für physisch-materielle wie auch elektronischdigitale Lernorte. Im Zuge der Lernortvernetzung werden die Grenzen von culture-sensitive language learning im Klassenraum und content and language integrated learning außerhalb des Klassenraums verschwimmen. Schlussbemerkung Die im Rahmen des Beitrags skizzierten zwölf Dimensionen einer fremdsprachendidaktischen Theorie der Lernorte werfen eine Reihe von weiteren, bislang noch längst nicht hinreichend geklärten Fragen in Bezug auf ihre fremdsprachendidaktische Spezifik, ihre lehr- und lernseitige Ausdifferen- <?page no="114"?> Jürgen Kurtz 114 zierung, ihre Vollständigkeit sowie ihren unterrichtspraktischen Wert und Nutzen auf. Es wird weiterer Anstrengungen bedürfen, um der Komplexität der Lernortproblematik gerecht zu werden. Literatur Benson, Phil/ Reinders, Hajo (2011) (Hrsg.): Beyond the Language Classroom. The Theory and Practice of Informal Language Learning and Teaching. Basingstoke: Palgrave Macmillan. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2010): Ausgaben für Nachhilfe - teurer und unfairer Ausgleich für fehlende individuelle Förderung. http: / / www. bertelsmannstiftung.de/ publikationen/ publikation/ did/ ausgaben-fuer-nachhilfe/ (12.5.2015). 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In der Literaturwissenschaft z.B. geht eine Fülle von Studien der Frage nach, wie Städte oder Landschaften im Medium der Literatur konnotiert werden und wie literarische Werke, Filme etc. dazu beitragen, diese Räume in den kollektiven Vorstellungswelten zu konstruieren bzw. zu konturieren (vgl. u.a. Dolle/ Helfrich 2009). Auch der Raum des Lehrens und Lernens fremder Sprachen ist sozial konstruiert. Das Klassenzimmer ist einerseits ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse, andererseits nimmt es aber zugleich auf deren Gestaltung wesentlichen Einfluss. Dies mag ein geschichtlicher Rückblick auf Freinets atelier à l´école andeuten. Freinet nahm bekanntlich Anstoß an dem obrigkeitsstaatlichen Denken seiner Zeit, das sich für ihn in der Raumordnung der Institution Schule vor allem im erhöhten Lehrerpodest und in der Sitzordnung in Bankreihen materialisierte - und sich durch eben dieses Arrangement perpetuierte (vgl. Charbonnier et al. 1975, 10ff.). Indem er in seinem Wirken das Podest abschaffte, veränderte er bewusst die Interaktionsstrukturen des Klassenraums. Der Gedanke, die Lehrer mit ihren Schülerinnen und Schülern auf gleiche Augenhöhe zu bringen, führte zu radikal veränderten Formen unterrichtlicher Aktivität. Diese wiederum waren in seinem Verständnis Experimentierfelder eines demokratischen Handelns, das Zielen der Friedenserziehung verpflichtet war. Mit anderen Worten: Die soziale Konstruktion des Raumes war für Freinet weit über den Rahmen mentaler Vorstellungen hinaus eine konkrete pädagogisch-didaktische Intervention mit politischer Reichweite. Die materiellen Bedingungen der heutigen Klassenzimmer sind mit jenen der französischen Schule im frühen 20. Jahrhundert nicht zu verglei- <?page no="118"?> Lutz Küster 118 chen. Und doch, gesellschaftliche Probleme bleiben; sie sind anders, aber vermutlich nicht weniger brisant. Denken wir an die religiös bzw. politisch motivierte Gewalt, die zu Beginn des Jahres 2015 die französische Metropole erschütterte. Es ist kein Zufall, dass die Charlie Hebdo-Attentäter unter sehr prekären Bedingungen aufwuchsen. Den Räumen der Pariser Wohnghettos, in denen sie einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend verbrachten, aber auch der dort ansässigen Schulen und außerschulischen Bildungsinstitutionen kommt hierbei eine wesentliche Bedeutung zu. Dies sollte Grund genug sein, uns Gedanken zu den Lernorten auch unserer Schulen zu machen, diesseits und jenseits des strikt auf das Fremdsprachliche Bezogenen. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden die Verschränkung didaktisch-methodischer und politischer Dimensionen an ausgewählten Aspekten beleuchtet werden, zunächst in Bezug auf die Vernetzung schulischer und außerschulischer Lernorte als dem Fokus der diesjährigen Frühjahrskonferenz, dann - mit besonderem Blick auf die Forschungslandschaft - im Hinblick allein auf das fremdsprachliche Klassenzimmer. Den Schluss bilden einige von sozialwissenschaftlicher Seite angestoßene Überlegungen zur gesellschaftlichen Relevanz des Lernorts Schule insgesamt. 2 Gesellschaftspolitisch motivierte Ziele und Verortungen fremdsprachlichen Lernens Der Einbezug außerschulischer Lernorte (zu einem Überblick vgl. Gehring/ Stinhoff 2010) spielt eine prominente Rolle im Kontext von zwei politischen Zielsetzungen, welche für den schulischen Fremdsprachenunterricht derzeit von besonderer Bedeutung sind und die im Folgenden kurz thematisiert werden sollen: die Förderung individueller Mehrsprachigkeit zum einen und von Medienkompetenz zum anderen. Das erstgenannte Ziel bildet bekanntlich ein zentrales Anliegen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GeR; Europarat 2001), das mit einer Aufwertung lebensweltlich erworbener Mehrsprachigkeit einhergeht. Doch was ist aus dieser Initiative in den knapp 15 Jahren seit ihrer Veröffentlichung geworden? Speziell: In welchem Umfang haben sich die im Referenzrahmen vorgestellten Werkzeuge wie z.B. das Europäische Sprachenportfolio als Ausweis sprachlicher Kompetenzen im Wirtschaftsleben etabliert und bewährt? Im öffentlichen Bildungswesen zumindest ist die Wirkung des GeR sehr begrenzt, sie beschränkt sich nahezu ausschließlich auf die Übernahme der sprachlichen Referenzniveaus in den einschlägigen Richtlinien und Verordnungen, weitergehende Initiativen zur Förderung von Mehrsprachigkeit lassen sich auf der Ebene schulischer Curricula hingegen kaum entdecken. Es bleibt zu fragen, ob dies allein der Trägheit admi- <?page no="119"?> Orte fremdsprachlichen Lernens … 119 nistrativer Institutionen zuzuschreiben ist oder ob die Ziele selbst zu hoch gesetzt sind. Der Weg zu individueller Mehrsprachigkeit setzt voraus, dass der/ die Einzelne bereit und in der Lage ist, sich eine zunehmende Zahl von Sprachen in der einen oder anderen Weise „anzueignen“, d.h. nicht zuletzt Fremdheitsempfindungen ihnen gegenüber abzubauen. Formelle Lernumgebungen sind primär distanzsprachlich geprägt, der Abbau von Fremdheit hingegen bedingt die Vertrautheit in und mit nähesprachlichen Kontexten. Um dieses Ziel zu erreichen, sind zum einen informelle Realbegegnungen mit Menschen der Zielsprachenländer kaum verzichtbar, doch auch die Sprachkontaktmöglichkeiten des Web 2.0 können wertvolle Überbrückungen des Fremden ermöglichen und Sprachlernprozesse unterstützen. Da in den vergangenen 10-15 Jahren Computeranwendungen in der Alltagswelt unserer Lerner einen sehr großen Raum eingenommen haben, ist vor allem der digitale Lern- und Begegnungsort Internet für das vorliegende Thema von besonderem Belang. Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht bezeichnend, dass die Schriften zur Multiliteralitätsdidaktik den im multiliteracies-Konzept verankerten Aspekt individueller Mehrsprachigkeit wenn überhaupt, so zumeist nur randständig behandeln und sich stattdessen eher auf die Multimodalität und Multimedialität in Kommunikation und Kompetenzerwerb konzentrieren. 1 Damit ist zugleich das zweite o.g. politische Ziel angesprochen, das der Förderung von Medienkompetenz. Einschlägige Modellierungen umfassen traditionell die Bereiche des Wissens, der Haltungen und des Verhaltens (vgl. Volkmann 2012, 29). In öffentlichen Diskursen und in unterrichtlicher Praxis wird jedoch überwiegend die letztgenannte Dimension als vorrangig betrachtet: Als medienkompetent gilt, wer Geschicklichkeit in der Nutzung der neuen technologiebasierten Medien an den Tag legt, da dies nicht zuletzt Vorteile auf dem Arbeitsmarkt verspricht. Im Sinne der gekreuzten Perspek- Unabhängig von dieser Gewichtung kann das Konzept der Multiliteralität gerade im Hinblick auf die Vernetzung unterschiedlicher Lernorte wegweisend sein, denn es verweist auf die gewachsene Vielfalt medialer und sprachlicher Codes in allen Lebenskontexten und die aus ihr erwachsenden Herausforderungen an den Einzelnen. Die Schule soll auf die Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen vorbereiten, indem sie ihrerseits bereits Multiliteralitätspraktiken implementiert und damit ein wichtiges Bindeglied zwischen inner- und außerschulischen Welten herstellt. 1 Vgl. hierzu den Forschungsrückblick in Collier/ Rowsell (2014), aber auch die Beiträge von Bündgens-Kosten/ Elsner (2014) und Küster (2014), alle im selben Band 2/ 2014 der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen. <?page no="120"?> Lutz Küster 120 tive dieses Beitrags darf die politische Dimension der Medienerziehung jedoch nicht unbeachtet bleiben. Ziele einer critical literacy (vgl. Breidbach/ Medina/ Mihan 2014) bzw. critical media literacy richten sich zu Recht auf ein Bewusstwerden der Manipulationen, denen wir - oft kaum merklich - nicht zuletzt auch in digitalen Kommunikationsräumen ausgesetzt sind. Wie sehr dieser Aspekt gerade für jungen Menschen von Bedeutung ist, wird z.B. am Phänomen des cyber mobbing deutlich. Ziele der Medienerziehung haben selbstverständlich eine fächerübergreifende Reichweite. Der Fremdspachenunterricht kann jedoch insofern eine Sonderstellung für sich beanspruchen, als er in der Lage ist, sich seine Themen aus allen denkbaren Kontexten zu wählen - unter der alleinigen Prämisse, dass das Thema für die Lernenden von subjektiv so hohem Belang ist, dass es zu sprachlichen Aktivitäten in Rezeption und Produktion einlädt. Daher bietet er in besonderem Maße die Gelegenheit, die politischen Implikationen medialer Kommunikation in Bezug sowohl auf die Verfasstheit medialer Texte als auch auf die eigenen Nutzungen zu erörtern und so zu Medienbewusstheit beizutragen. 3 Forschungszugänge zum Lernort Klassenraum Die nachfolgenden Überlegungen richten sich auf das fremdsprachliche Klassenzimmer als zentralem Ort schulischen Lernens. In diesem Rahmen sind m.E. vor allem jene Forschungen von Interesse, die sich den Interaktionsstrukturen und -beziehungen im Unterrichtsgeschehen widmen. Ansätze soziokultureller Lernforschung sind in hohem Maße geeignet, Aufschluss zu geben über Fragen, die sich um die individuelle Teilhabe an Kommunikation und um Auswirkungen der Klassenraum-Interaktion auf die Selbstkonzepte der Lerner drehen; ich verweise auf die Arbeiten der Frühjahrskonferenz 2013 zum Thema der Lerneridentitäten (Burwitz-Melzer et al. 2013). ‚Teilhabe ‘ ist ein Schlüsselwort zudem in den Arbeiten zum kooperativen bzw. kollaborativen Lernen (vgl. Bonnet 2009). Ausgehend von der Interaktionshypothese der Spracherwerbsforschung und dem Interaktionismus Wygotskyscher Prägung wird derzeit in der Fremdsprachendidaktik die Auffassung vertreten, dass sich die Lerner-Lerner-Interaktionen im Klassenraum als besonders lernförderlich erweisen. Diese Wirkungsvermutung scheint mir berechtigt zu sein; um sie empirisch belegen zu können, wären allerdings repräsentative Langzeitstudien erforderlich, die wiederum nur schwer zu realisieren sind. Fraglich muss dabei zudem bleiben, ob sich angesichts der Faktorenkomplexion im Rahmen fremdsprachlichen Lernens tatsächlich einzelne Wirkfaktoren isolieren lassen. Insofern sind qualitative Einzelfallstudien (zumindest vorerst) ein leichter gangbarer Weg, zu Ein- <?page no="121"?> Orte fremdsprachlichen Lernens … 121 sichten zu gelangen, auch wenn diese selbstverständlich keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Weiterhin sind die (Lern-)Aufgabenforschung und -entwicklung in diesem Kontext zu nennen. Die Standardorientierung hat in Deutschland ein eigenes Aufgabenprofil entstehen lassen, das die Stimuli eines konsequenten task-based-approach mit den Strukturen herkömmlichen Schulunterrichts zu verbinden sucht (vgl. u.a. Leupold 2008 und in anderer Akzentsetzung Hallet 2012). Aufgabenforschung und Aufgabenentwicklung gehen dabei Hand in Hand. Vom Ansatz her zwar mit unterschiedlichen Funktionen ausgestattet, sind de facto beide Bereiche schwer voneinander zu trennen. Denn um „gute Lernaufgaben“ entwickeln zu können, bedarf es neben theoretischer Grundlagenforschung auch empirischer Forschung (vgl. z.B. Eckerth 2003, 2007; Tesch 2010). Eine Querdimension allen Unterrichts stellen die Erfordernisse von Individualisierung und Differenzierung dar. Wir können in dieser Hinsicht auf Studien kognitiver Lernforschung und Allgemeiner Didaktik zurückgreifen. Über die spezifisch fremdsprachendidaktischen Zielsetzungen einer bestmöglichen Förderung des Einzelnen hinaus kommen in diesem Rahmen auch die in der Vorbemerkung angesprochenen Aspekte zum Tragen. Wenn Schule zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen will, muss sie versuchen, alle SchülerInnen in die gemeinsamen Lernaktivitäten des fremdsprachlichen Klassenzimmers einzubeziehen. Oft hingegen erweist sich die Institution Schule als nahezu hilflos gegenüber einer inneren Verweigerungshaltung mancher SchülerInnen. In einem praxisorientierten Beitrag beschreibt Schlemminger (2009) wie mühsam das Geschäft sein kann, diese aufzubrechen und z.B. Lerner mit negativen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen im Französischunterricht zu aktivieren, sie nicht einfach „abzuhängen“. Die dargestellten Anstrengungen mögen für die rein sprachlichen Ziele des Fremdsprachenunterrichts wenig ergiebig sein, in allgemeinpädagogischer Perspektive erscheinen sie mir unverzichtbar. Ein sehr eigenes Problem hat in diesem thematischen Feld der Französischunterricht: Er ist für Lerner männlichen Geschlechts offensichtlich wenig attraktiv; zumindest offenbart ein Blick in die Klassenräume einen überproportional hohen Anteil von Schülerinnen gegenüber Schülern im Fach. Wir benötigen mehr Forschung, um die Gründe dieser Entwicklung zu verstehen und tragfähige Unterrichtskonzepte, diesem Ungleichgewicht entgegen zu steuern (zum letztgenannten Aspekt vgl. z.B. Besser 2012; Braun 2013). Hinsichtlich der Berücksichtigung heterogener Lernvoraussetzungen sieht sich die schulbezogene Fremdsprachendidaktik aktuell vor einer weiteren, noch deutlich größeren Herausforderung, für die sie zudem nicht gut gerüstet ist. Ich meine die Implementierung von Inklusion im schulischen <?page no="122"?> Lutz Küster 122 Unterricht und in der Folge auch in der universitären Lehrerbildung. Dieses Erfordernis macht Fachdidaktikern deutlich, wie wichtig Kooperationen mit Erziehungswissenschaftlern sind, im vorliegenden Fall mit VertreterInnen der Schulpädagogik, der Allgemeinen Didaktik und der Behindertenpädagogik/ Rehabilitationswissenschaft. Ich muss allerdings gestehen, dass mir bislang keine einschlägigen interdisziplinären Forschungsvorhaben bekannt sind. Ich vermute, nicht nur mir, sondern der großen Mehrzahl (wenn nicht gar allen) der in der Lehrerbildung tätigen FachdidaktkerInnen fehlen hier elementare Wissensgrundlagen. Andererseits wären wir aber auch schlecht beraten, sämtliche auf uns gerichtete Anforderungen fraglos zu akzeptieren. Vielmehr halte ich es für vordringlich, zunächst das Konzept und seine geplante Implementierung kritisch zu hinterfragen, um dann zu möglicherweise differenzierten Einschätzungen zu gelangen. Bernd Ahrbeck, Berliner Erziehungswissenschaftler mit Schwerpunkt Verhaltensgestörtenpädagogik, verweist z.B. auf die Notwendigkeit, zwischen unterschiedlichen Förderbedarfen der betreffenden Kinder und Jugendlichen zu unterscheiden (vgl. Ahrbeck 2014). SchülerInnen mit Lernbehinderungen und/ oder gravierenden Verhaltensauffälligkeiten seien nach wie vor besser in Sonderschulen aufgehoben - zum einen weil sie dort intensiver betreut werden könnten und zum anderen, weil sie ansonsten den Regelunterricht massiv stören und die Lernleistung der Klassenkameraden erheblich beeinträchtigen würden. Der Linguist und Kommunikationswissenschaftler Clemens Knobloch (2015) wendet sich sogar gänzlich und radikal gegen die Reformbestrebung. Er sieht sie als Teil einer neo-liberalen Bildungspolitik, die den staatlichen Auftrag der Fürsorge vernachlässige und das Konkurrenzprinzip im Schulsektor massiv durchsetzen wolle. Es sei keineswegs nur in Kauf genommen, sondern bewusst gewollt, dass im Zuge der Implementierung von Inklusion das öffentliche Schulwesen in einen Zustand verschärfter Mängelverwaltung bis hin zur Verwahrlosung geriete und die vermehrte Entstehung privater Bildungseinrichtungen auf den Plan riefe. Da diese kostenpflichtig sind, käme eine fundierte Schulbildung in der Regel nur den Kindern betuchterer Eltern zugute. Triebkraft dieser Politik seien letztlich ökonomische Kriterien. Der besonders geschickte Schachzug bestehe - so Knobloch weiter - darin, die dem Grunde nach ethisch hehren Ziele von Teilhabe aller an einem gemeinsamen Bildungswesen zur Legitimation einer diesen Zielen letztlich völlig konträren Politik heranzuziehen; schließlich duldeten die vorgeblich handlungsleitenden Prinzipien von Solidarität und Gleichberechtigung im öffentlichen Diskurs keinen Widerspruch. Mithilfe solcher Invisibilisierungsstrategien erschiene die Reform als alternativlos. <?page no="123"?> Orte fremdsprachlichen Lernens … 123 Es spricht in der Tat vieles dafür, dass trotz des guten Willens und des realen Engagements so mancher Akteure vor Ort die Konsequenzen der derzeit in Gang gesetzten Maßnahmen auf die beschriebenen Konsequenzen hinauslaufen. Erfahrungsberichte von LehrerInnen bestätigen diesen Eindruck. Aus meiner Sicht folgt aus den obigen Betrachtungen, dass die Fachdidaktiken auf zwei Schienen mit der Erziehungswissenschaft ins Gespräch kommen müssen: Zum einen wäre im Verbund mit anderen Sozialwissenschaften auf der Ebene einer kritischen Reflexion der bildungspolitischen Vorgaben und Implikationen zu klären, welche Ansprüche inklusiven Fachunterrichts auf der Basis welcher Lernvoraussetzungen von Behinderten unter welchen Rahmenbedingungen realisierbar sind und welche eine klare Überforderung darstellen. Vor diesem Hintergrund müssten auf einer operativen Ebene der Aufgabenentwicklung und -forschung didaktische und methodische Orientierungen an der Schnittfläche von Fachlichkeit und Adressatenorientierung inklusiven Unterrichts erarbeitet werden. 4 Schlussbetrachtung Die didaktisch-methodischen Herausforderungen an schulischen Fremdsprachenunterricht sehe ich in Bezug auf die Lernorte darin, dass er den Reichtum außerschulischer Lernumgebungen in das Klassenzimmer hereinholt und Lust darauf weckt, die vielfältigen Kommunikations- und Lernmöglichkeiten außerhalb desselben zu nutzen. Das wird jedoch nur gelingen, wenn das Unterrichtsgeschehen an die motivationalen und volitionalen Dispositionen der Lerner anknüpft und sie zu stärken beiträgt. Hierzu ist es vordringlich, dass der Fremdsprachenunterricht den Einzelnen auf vielfältige Weise Möglichkeiten der Teilhabe in einer Vernetzung schulischer und außerschulischer Lernorte bietet. Denn Teilhabe ebnet nicht nur den Weg zur Ausbildung fremdsprachlicher Kompetenz, sie ist weit darüber hinaus wesentlicher Bestandteil eines gesellschaftlichen Projektes, das auf demokratische Mitbestimmung und die Wahrung bzw. Herstellung sozialen Friedens gerichtet ist. Dies macht Axel Honneth (2013) eindrücklich deutlich, wenn er im Rückgriff auf Kants Vorlesung zur Pädagogik die wechselseitige Abhängigkeit von staatlichem Bildungswesen und demokratischer Staatsverfassung unterstreicht. Der Einzelne müsse nach Kant erst […] einen Prozess der auf Freiheit zielenden Erziehung durchlaufen haben, bevor er Mitglied eines sich selbst regierenden Staatsvolks werden kann, so wie umgekehrt nur autonome Bürgerinnen und Bürger eine öffentliche Erziehung institutionalisieren können, die ihren Kindern den Weg in die politische Mündigkeit ermöglicht. (ebda, 41) <?page no="124"?> Lutz Küster 124 In einer Tradition, die von Kant über Durkheim bis Dewey reicht, so führt Honneth aus, musste das […] Recht der Eltern, ihren Kindern die je eigenen, partikularen Wertüberzeugungen zu vermitteln, [...] an der Pforte der Schule gebrochen werden, damit den Zöglingen durch Einübung von reflexiven Verhaltensweisen der Weg zur Teilnahme an der öffentlichen Willensbildung geebnet werden konnte. (ebda, 47) Analog dazu fordert er auch für die Gegenwart, demokratische Werteerziehung als wesentlichen Bildungsauftrag zu begreifen. Dies allerdings gelte keineswegs mehr als selbstverständlich; kritisch beobachtet er vielmehr eine Tendenz staatlicher Organe, angesichts der wachsenden ethnisch-kulturellen Vielfalt der Bevölkerung in einen Relativismus der Werte zu verfallen und sich klarer Parteinahme zu enthalten: [...] nicht nur die Demokratietheorie selbst, sondern auch die staatliche Politik hat offenbar das Interesse an dem einzigen Organ [gemeint ist das Schulwesen, L.K.] verloren, mit dem sich wenigstens versuchsweise und bei steter Anstrengung die fragilen Voraussetzungen einer demokratischen Willensbildung des Volkes immer wieder regenerieren ließen. (ebda, 53) In Abgrenzung von aktuell dominierenden Zielsetzungen eines Erwerbs rein ökonomischer Fähigkeiten plädiert er mit Durkheim und Dewey für kooperative, demokratiefördernde Lehr-/ Lernmethoden (vgl. ebda, 52f.). Ich schließe mich Honneths Überlegungen uneingeschränkt an. Kooperative Lernformen und mithin Teilhabe der Lernenden am Unterrichtsgeschehen erscheinen auch mir unverzichtbar als Vorbereitung und Experimentierfeld gesellschaftlicher Teilhabe. Und letztere artikuliert sich nicht nur in der Wahlkabine, sondern in gegenwärtigen Zeiten wesentlich in den medialen Kommunikationsräumen des Internet. Hier liegen Chancen und Gefahren. Letzteren lässt sich wirksam vermutlich nur begegnen, wenn Werte wie Anerkennung von Differenz und Achtung des Einzelnen, aber auch das Einstehen für Demokratie konsequent vertreten werden. Die Gestaltung des Raumes, in dem Lernen und Lehren stattfinden, kann und sollte nicht getrennt werden von dem gesellschaftlichen Raum, in dem er sich ansiedelt und den demokratisch zu gestalten eine Aufgabe auch des fremdsprachlichen Fachunterrichts ist. Literatur Ahrbeck, Bernd (2014): „Schulische Inklusion - Möglichkeiten, Dilemmata und Widersprüche“. 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Die Lehrerin habe sie in die Pause mit dem Auftrag entlassen, ihr Englisch zu testen. Sie haben uns gespottet. Wir scheinen ihnen geeignet für den Test. Jetzt, wo wir uns auf sie einlassen, feuern sie ihre Fragen ab, helfen sich gegenseitig weiter, da schnell deutlich wird, dass ihre sprachlichen Mittel begrenzt sind: A1. Dass ich Lehrer bin, freut sie. Als Cornelia erklärt, was eine Psychoanalytikerin macht, herrscht wahrnehmbar Unverständnis. Diesen Beruf kennen sie nicht. Psychologin ist auch unbekannt. Sie fragen deshalb nach, wollen mehr wissen. Was auffällt, ist, dass sich immer neue Jugendliche trauen, etwas zu fragen, auch wenn die Frage schon dran war. Die Freude und das Bemühen, auch dabei zu sein, das Sprechen zu probieren, sind überdeutlich. Die Anstrengung der Sprechenden kann man fast greifen. Die Gruppe hat sie mutig gemacht - und immer noch ein Foto zur Dokumentation. Wir verabschieden uns. Wir sind müde, sie hätten gerne noch weitergemacht. Für eine halbe Stunde wurde die Parkbank zum Lernort, weil die jungen Leute, von einer Lern- und Erkundungsintention (s.u.) motiviert, die Chance ergriffen, sich zu erproben. Sie hatten den geschützten Raum des Klassenzimmers verlassen und waren doch mit ihm verbunden. Denn dort hatten sie nicht nur die Grundlagen erworben und die Fragezettel geschrieben, auf deren Basis die Erkundung erst möglich wurde, sondern dorthin würden sie nach dieser „aktiven Pause“ mit ihren Erfahrungsschätzen wieder zurück- <?page no="128"?> Michael K. Legutke 128 kehren, um Bilanz zu ziehen, um weiter an den Grundlagen zu arbeiten, die sprachlichen Mittel zu verfeinern und zu differenzieren. Der Lernort war ohne Frage für das Englischlernen dieser Gruppe zumindest für einen kurzen Zeitraum relevant. Dass dem so ist, wird im Wesentlichen durch seine Vernetzung mit dem klassischen Lernort, einem Klassenzimmer, bestimmt. Ich werde im Folgenden darlegen, dass sich die Frage nach der Relevanz der Lernorte, nach ihrem didaktischen Potenzial, im Zusammenhang solcher Vernetzung beantworten lässt. Zunächst will ich einen kurzen Blick zurück werfen und daran erinnern, wie sich die Vorstellungen zum klassischen Lernort im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen gewandelt haben. 2 Das erweiterte Klassenzimmer - ein Rückblick Die Parkbank in Ho-Chi-Minh-Stadt ist ein Beispiel für das, was in der pädagogischen Literatur als außerschulischer Lernort firmiert und auf eine lange Tradition zurückgreifen kann (Legutke 2010). Spätestens seit der Reformpädagogik finden Vorschläge, das Schulgebäude zu verlassen, um den klassischen Lehrgang durch sinnliche Erfahrung, bewusstes Sehen und Hören, durch Beobachtung und Erkundung zu erweitern, beredte Unterstützung. Solche außerschulischen Lernorte erschließen sich durch Wanderungen, Unterrichtsgänge, Exkursionen oder Museumsbesuche. Während zunächst außerschulische Lernorte im Kontext der natur- und sachkundlichen Fächer angesteuert wurden, begannen mit der kommunikativen Wende der 1980er Jahre auch die fremdsprachlichen Fächer solche Möglichkeiten verstärkt zu prüfen, das fremdsprachliche Klassenzimmer mit lebendigen Sprachkontakten auszustatten und dabei das Klassenzimmer „zu öffnen“, damit die Schüler ihre Sprachkompetenz erproben können 1 1 Ein Überblick über die Entwicklung in Legutke 2013. : Erkundungen zielsprachiger Kommunikation in der erreichbaren Umgebung wurden deshalb propagiert; Schüler wurden ermutigt, das Klassenzimmer zu verlassen, direkte Kontakte mit Sprechern der Zielsprachen zu suchen und ihre Erfahrungen festzuhalten, damit diese im Klassenzimmer weiter bearbeitet werden konnten. Solche Erkundungen sind vielfach in Projekten erprobt und in der Literatur unter Titeln wie „Englisch um die Ecke“ (Belova 2013), „Französisch in unserer Gemeinde“ (Minuth 2012, 114-28) oder „deutsche Spuren in unserer Stadt“ (Maurer 1991; Wicke 2006) dokumentiert. Die Projekte erschlossen für Sprachenlernen relevante Lernorte: Campingplätze, internationale Schulen, Wohnzimmer von Mitbürgern, Altersheime, Bahnhöfe und Flughäfen. <?page no="129"?> Vernetzte Lernorte 129 Eine weitere Möglichkeit, Living Language Links zu knüpfen und zu nutzen, stellte die Klassenkorrespondenz dar: Korrespondenz durch klassische Briefe, aber auch durch Kassetten- und Videobriefe waren Formen, die die Verbindung nach draußen schaffen und das fremdsprachliche Klassenzimmer lebendiger machen sollten. Dazu kamen direkte Begegnungen durch Schüleraustausch, Schulkooperation und Städtepartnerschaften. In jedem Fall waren andere Lernorte direkt oder vermittet im Spiel (Dietrich 1979; Grau 2001; Edelhoff/ Liebau 1988). Die frühen, teils ausführlich dokumentierten Versuche, den zentralen Lernort, das fremdsprachliche Klassenzimmer, mit anderen Lernorten zu verknüpfen, haben in den letzten 35 Jahren, nicht zuletzt infolge der digitalen Revolution im Bildungsbereich viele Weiterentwicklungen und Differenzierungen erfahren. Kino, Museum und Theater sind als Lernorte zu nennen (Henseler 2013; Delius/ Surkamp 2015; Schlaepfer-Karst 2013; Rymarczyk 2013) ebenso wie Formen der vermittelten und direkten interkulturellen Begegnung (Müller-Hartmann/ Grau 2004; Schäfer 2012) und Möglichkeiten der Kollaboration über Länder- und Kulturgrenzen (Müller-Hartmann/ Richter 2001; Müller-Hartmann/ Raith 2008) 2 : Medial verknüpfte Lernorte sowie gesteigerte Mobilität erweitern die Handlungsspielräume für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Die Projektberichte und Dokumentationen belegen einerseits die Chancen für die Kompetenzentwicklung der Lernenden, sie markieren aber andererseits zugleich auch die Herausforderungen, denen sich Lehrende und Lernende gegenüber sehen, wenn es darum geht, Verknüpfungen zwischen dem Klassenzimmer und der Lebenswelt nicht nur herzustellen, sondern deren Potenzial für das Fremdsprachenlernen produktiv zu nutzen. Die Berichte und ersten Forschungen belegen ferner die besondere Privilegierung des Englischen, dessen globale Präsenz nicht zuletzt in Verbindung mit den Errungenschaften der digitalen Revolution neue Lernorte bereithält und alte Lernorte leichter zugänglich werden lässt (Nunan/ Richards 2015). 3 Vernetze Lernorte Kehren wir noch einmal zur Parkbank mit den beiden Touristen zurück. Nur aufgrund der didaktischen Arrangements im Klassenzimmer, aus dem die Studenten kamen, kann sie ihr Potenzial voll entfalten, indem die Lernenden die Chnace ergreifen, ihre noch sehr begrenzten Sprachkompetenzen in einer Begegnungssituation mit Fremden zu testen. Der Versuch erfordert Mut und ist mit Verstehensanstrengungen verbunden. Er ist für die 2 Alle Verweise hier haben eine exemplarische Funktion. <?page no="130"?> Michael K. Legutke 130 Lernenden bedeutsam (meaningful) und repräsentiert Elemente sprachlichdiskursiver Teilhabe (vgl. Hallet 2011, 97f.). Andererseits erscheinen die Handlungen im Klassenzimmer selbst durch die Parkbank in einem neuen Licht, ihre Relevanz wird erkennbarer. Trotz dieser Verschränkung bleibt das Klassenzimmer jedoch der zentrale Lernort für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen, wie ich verschiedentlich ausgeführt habe (Legutke 2010). Um seine besondere Qualität hervorzuheben und die Komplexität der Beziehungen der Agierenden zu erfassen, habe ich acht Metaphern erörtert, die jeweils spezifische Dimensionen dieses Lernorts verdeutlichen und damit den Rahmen für didaktische Entscheidungen liefern sowie mögliche Vernetzungen bestimmen: das Klassenzimmer als Trainingsplatz (hier haben die Lernenden Aussprache und Redemittel geübt), als Bühne (dort wurden die Interviews simuliert), als Textatelier (die Lernenden verfassen ein Portrait der interessanten Gesprächspartner oder sie kommentieren ihre Fotos in einer Fotostory), als Kommunikationszentrum (die Lerngruppe verständigt sich über ihre Erfahrungen, handelt ihr Vorgehen aus, legt Aufgaben fest), als Begegnungsraum (die Parkbank mit den Fremden als Teil des Klassenzimmers), als Forschungscenter (die Lerngruppe versucht zu klären, was es mit den fremden Berufen auf sich hat: was macht eine Psychoanalytikerin, was hat sie gelernt, gibt es vergleichbare Tätigkeiten in Vietnam? ), als Lernwerkstatt (die Gruppe wertet ihr Vorgehen aus, betrachtet, verfeinert und erweitert die Übungen) und als Lehrraum (auf die Lehrkraft kommt es an). Die Parkbank, stellvertretend für die vielen anderen Lernorte außerhalb des Klassenzimmers, macht schließlich deutlich, dass Fremdsprachenunterricht heute weder auf den klassischen Lernort mit seinen vier Wänden beschränkt werden sollte, noch reicht es aus, letzteren lediglich zu öffnen. Vielmehr geht es darum, den Lernort als Gesamtheit neu zu denken, nämlich als Ensemble vernetzter Lernorte, unter denen allerdings das traditionelle Klassenzimmer eine Schlüsselfunktion wahrnimmt, denn es stellt aus gutem Grund die Kernzone in dem Netz dar. 3 Entscheidend ist, wie die einzelnen Lernorte mit der Kernzone vernetzt sind. Die Möglichkeit der Vernetzung hängt zum einem vom Lernpotenzial des einzelnen Lernorts ab und wird zum anderen durch den Prozess der Nutzung dieses Potenzials durch die Lehrenden und Lernenden bestimmt. Beide Aspekte sollen kurz skizziert werden. 3 Die folgenden Ausführungen basieren auf Grau/ Legutke 2013. <?page no="131"?> Vernetzte Lernorte 131 3.1 Das didaktische Potenzial Das didaktische Potenzial wird zunächst durch die Themen bestimmt, die der Lernort mit sich bringt. Diese Themen sind in gesellschaftliche Diskurse eingebettet, die je nach Lerngruppe und Kompetenzstufe im Fremdsprachenunterricht aufgegriffen werden können, wenn zielsprachige Texte und Textsorten mit entsprechenden Handlungsoptionen dieses als sinnvoll erscheinen lassen. Obwohl das didaktische Potenzial solcher Lernorte in besonderem Maß durch die mit ihnen gegebene Unvorhersehbarkeit für den gesamten Lernprozess konstituiert wird, dass nämlich unerwartete Themen auftauchen und ungeplante Ereignisse eintreten können, sind sie auch durch ihren Bezug zum Curriculum und den darin definierten Kompetenzbereichen und -erwartungen bestimmt. Das didaktische Potenzial des Lernorts bestimmt sich ferner durch seine Komplexität. Hier kann die in der pädagogischen Literatur eingeführte Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Lernort greifen (Burk et al. 2008). Ersterer bezeichnet Lernorte, die mit pädagogischen Zielsetzungen eingerichtet wurden und deshalb didaktische Elemente aufweisen (ein Museum). Sekundäre Lernorte sind solche ohne didaktische Intentionen ihrer Anlage (ein Campingplatz). Im ersten Fall könnte die Nutzung des Lernpotenzials für die Lernenden deshalb leichter sein, weil ihnen entsprechende (multimodale) Texte und Erklärungen vor Ort angeboten werden, während im zweiten Fall zusätzliche Hilfen entwickelt werden müssten, damit sich das Lernpotenzial erschießen lässt. Mit der Komplexität ist eine weitere Bestimmung des Lernpotenzials verbunden, nämlich die Vertrautheit der Lernenden mit ihm, seinen ihm eigenen Diskursen und Handlungskonventionen. Das Maß an Vertrautheit bestimmt u.a. auch die Zugänglichkeit des Lernorts. Die amerikanische Schule „um die Ecke“ wäre für Siebtklässler einer deutschen Gesamtschule sicher einerseits leicht zugänglich, weil sie mit Schule und ihren Diskursformen bestens vertraut sind, das Vertraute somit die Basis für die Erkundung des Fremden darstellt. Andererseits könnte der Lernort deshalb schwer zugänglich sein, weil erhebliche institutionelle Hürden zu überwinden sind, bis man diesen Lernort betreten und erkunden kann. Eine weitere Bestimmung des Lernpotenzials ist die Erreichbarkeit des Lernorts. Während die Zahl der real, etwa im Rahmen eines Schulausfluges erreichbaren Lernorte aus vielerlei Gründen beschränkt ist, haben die digitalen Medien eine unendliche Zahl von Lernorten mit hohem didaktischem Potenzial virtuell erreichbar gemacht, die für sich eigene Herausforderungen mit sich bringen. Mit der Erreichbarkeit des Lernorts ist die Zeitdimension verknüpft. So ist nämlich nicht nur entscheidend, wie viel Zeit erforderlich <?page no="132"?> Michael K. Legutke 132 ist, um den Lernort zu erreichen, sondern auch, wie die Verweildauer bemessen sein soll oder muss, damit sein Potenzial genutzt werden kann: einmalige Nutzung an einem Vormittag, während einer Woche als Teil der Klassenfahrt oder Nutzung über einen längeren Zeitraum in kürzeren Abständen? 3.2 Die Nutzung des didaktischen Potenzials Da das didaktische Potenzial erst dann seine Wirksamkeit entfaltet, wenn es auch tatsächlich genutzt wird, sind Lernorte immer auch durch die unterrichtliche Handlungsebene bestimmt, nämlich die Lern- und Erkundungsintention, mit der Einzelne und/ oder die gesamte Lerngruppe (die Lehrkraft eingeschlossen) dem Lernort begegnen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um einen sogenannten primären oder sekundären bzw. um einen realen oder virtuellen Lernort handelt. In jedem Fall ist eine angemessene Lern- und Erkundungsintention eine conditio sine qua non für die Bestimmung eines Lernorts. Eine solche Intention materialisiert sich nicht nur in den Aufgaben, die Einzelne oder Gruppen bewältigen müssen, um das Lernpotenzial zu nutzen, sondern auch in den Hilfen, die für die Bearbeitung der Aufgaben bereitgestellt werden. Solche Hilfen sind auf Themenaspekte bezogen, die Inhalte vorentlasten oder einführen, auf Textsorten und sprachliche Mittel, die den Lernenden helfen, die Anforderungen der Aufgaben zu meistern, aber auch auf lernorganisatorische Aspekte, die die Lern- und Erkundungssituation rahmen. Erwähnt werden müssen ferner die Werkzeuge, die ohne Frage zum Einsatz kommen müssen, damit es den Lernenden gelingen kann, ihre Erfahrungen „vor Ort“ festzuhalten und so zu bearbeiten, dass die ganze Lerngruppe gemeinsam Erträge sichten und auswerten kann. Die Verfügbarkeit digitaler Medien hat Handlungsmöglichkeiten aller Beteiligten erheblich optimiert und erweitert. Viele Lernorte lassen sich kaum durch einzelne, isoliert arbeitende Lernende erkunden, auch wenn individuelle Leistungen unverzichtbar sind. Vielmehr sind didaktische Arrangements gefordert, die kooperative Arbeitsformen mit individuellen Aufgaben und Verantwortlichkeiten verschränken. Beispiele wären hier die in der Literatur dokumentierten Projektszenarien (z.B. Minuth 2012). Betrachtet man die Erträge dokumentierter Projekte, so wird ferner erkennbar, dass sie Aspekte eines ausgehandelten Curriculums verdeutlichen: Der jeweils im Unterricht vorher verhandelte und dann festgelegte Rahmen, der u.a. auch die erwarteten Erträge spezifiziert, gibt den Lernenden einerseits die notwendige Orientierung und schafft andererseits die Bedingungen für eigene, nicht vorher geplante Aktionen. Einzelne und Gruppen können zu neuen Einsichten gelangen, die sie der <?page no="133"?> Vernetzte Lernorte 133 ganzen Klasse zur Verfügung stellen; sie übernehmen damit Lehrfunktion. Lernende bestimmen so Inhalte und Verläufe von Unterricht mit. Vor- und Nachbereitung in der klassischen Kernzone des fremdsprachlichen Klassenzimmers sind notwendige und integrale Bestandteile des Lernorts und haben eine zentrale Bedeutung für die Nachhaltigkeit der Lernerfahrung (inhaltlich, sprachlich, medial und prozessorientiert). Es hätte uns sehr interessiert zu erleben, wie die vietnamesische Kollegin die Erträge des Lernorts „Parkbank“ mit ihren Studierenden aufarbeitete und sicherte. 4 Forschungsaufgaben und -felder Auch wenn Forschungsaufgaben in dem hier skizzierten Themenbereich eher mit Bezug auf spezifische Lernorte zu konkretisieren sind (etwa auf die eines Schüleraustausches oder auf den Lernort Theater), lassen sich dennoch einige allgemeinere Fragestellungen skizzieren, die sich auf mehrere Lernorte gleichzeitig beziehen und deshalb von generellerer Bedeutung sind. Ich will hier einige Beispiel für die Forschungsfelder Unterrichtsforschung und Lehrerforschung andeuten. Nunan/ Richards erörtern Language Learning Beyond the Classroom (2015) in Hinblick auf die Diskussionen und Forschungen zu Lernerautonomie. Hier eröffnen sich interessante Fragestellungen: So könnte untersucht werden, ob, in welcher Weise und in welchem Maße Lernende an unterschiedlichen, vernetzten Lernorten ihr Lernen selbst bestimmen, welche Rolle dabei die didaktischen Arrangements in der Kernzone und die dort implementierten Aufgaben übernehmen. Von besonderem Interesse könnte dabei sein, wie sich Lernende in didaktische Entscheidungsprozesse einschalten und dabei Lehrfunktionen übernehmen − für einzelne, für Teilgruppen oder gar die ganze Lerngruppe. Die Übernahme von Lehrfunktionen in vernetzen Lernorten könnte allein Gegenstand von Unterrichtsforschung sein. Besonders vielversprechend scheint mir die Untersuchung vernetzter Lernorte aus der Perspektive von Lehrenden. Zu erkunden wäre nicht nur, wie Lehrkräfte unter Regelbedingungen (24-28 Stunden Unterricht mit Klassen von 25 bis 32 Lernenden) Lehr- und Lernorte wahrnehmen und ihre Funktion und Wertigkeit für das Lernen der Fremdsprache bestimmen, sondern vor allem, ob und wenn ja, wie sie die oben skizzierten Möglichkeiten nutzen, die erwarteten Erträge bestimmen und die erreichten Ergebnisse bewerten. In Bezug auf die ubiquitäre Präsens von Englisch (English as a Global Language) in der Lebenswelt von Jugendlichen, wäre es lohnend, wenn die Studie von Grau (2009), die den rezeptiven und teils produktiven Umgang <?page no="134"?> Michael K. Legutke 134 von Neuntklässlern mit Englisch in der Freizeit untersuchte, repliziert und weitergeführt würde. Grau hatte in ihrer breit angelegten Untersuchung gefunden, dass die erstaunlich intensive Nutzung von Englisch in der Freizeit im schulischen Unterricht so gut wie keine Spuren hinterließ, die Lernorte vielmehr als Worlds Apart in Erscheinung traten. Besonders bedeutsam ist die aus den Daten gewonnene Erkenntnis von Grau, dass über diese offenbare Trennung zwischen Englisch in der Lebenswelt und Englisch in der Schule sowie über mögliche Brückenschläge kaum ein Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden stattfindet. Die spannende Frage wäre nicht nur ob, sich im Zeitalter von Web 2.0 an diesen Befunden etwas geändert hat, sondern auch, ob und wenn ja in welcher Weise Brückenschläge zur Kernzone Klassenzimmer wünschenswert und praktikabel sind. Literatur Bach, Gerhard/ Timm, Johannes Peter (Hrsg.) (2013): Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis. 5. Auflage. Tübingen: Francke. Belova, Marina (2013): „The world next door. Amerikanische Kultur am eigenen Wohnort erkunden“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 47 (123), 16-19. Burk, Karlheinz et al. (Hrsg.) (2008): Schule außerhalb der Schule: Lehren und Lernen außerhalb der Schule. Frankfurt a.M.: Grundschulverband. 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(Hrsg.), 141-159. <?page no="136"?> Lernorte - Perspektiven zum „Wo und Wann“ im Fremdsprachenunterricht Christiane Lütge 1 Fremdsprachenlernen ist heute auch dadurch geprägt, dass es im Rahmen unterschiedlicher Lernorte und Lerngelegenheiten stattfindet. Welche Lernorte halten Sie im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen für relevant? Außerschulisches Lernen ist in der pädagogischen Forschung schon lange als Alternative zum Lernort Klassenzimmer in der Diskussion, insbesondere im Rahmen reformpädagogischer Ansätze. Lernorte außerhalb der Schule sind traditionell im Bereich des Sachunterrichts, aber auch häufig in den MINT-Fächern besonders stark etabliert. Neuere Publikationen (Gehring 2010; Rymarczyk 2013) haben jüngst die Bedeutung außerschulischer Lernorte auch für den Fremdsprachenunterricht neu ins Bewusstsein gerückt. Dies mag angesichts immer weiter voranschreitender Standardisierungstendenzen überraschen oder gar als bewusster Gegentrend wahrgenommen werden. Im Rahmen der Verkürzung der Gymnasialzeit und anhaltender Diskussionen rund um G8 und G9 hat diese Thematik durchaus das Potenzial, auch bildungspolitisch weitere Akzente zu setzen - sicher auch in Abhängigkeit von den Positionen, die die universitären Fachdidaktiken an dieser Stelle einbringen. Nicht zuletzt sind es aber auch die Fragen rund um das „Wo und Wann“ des Fremdsprachenlernens, die mit den Lernorten verbunden sind. Die Erfahrung auch räumlich eingebetteter Situiertheit des Lernens in bedeutungsvollen Kontexten - real oder auch virtuell - setzt für Lehrende und Lernende einen Kontrapunkt zur vermeintlichen Beliebigkeit curricular verordneter Themen. Das Eröffnen von alternativen oder ergänzenden Lernchancen über das Curriculum hinaus steht häufig im Kontext eher emotionaler Erlebnisse und nachhaltig wirksamer Erfahrungen des problemlösenden und forschendentdeckenden Lernens (Claussen 2004). Prinzipien der Handlungsorientierung und des entdeckenden Lernens, die auch für die Sprachlernmethodik entscheidend sind, machen die Verschränkung mit Angeboten außerschulischen Lernens besonders sinnfällig. Hier wird zunächst zwischen Lernorten <?page no="137"?> Lernorte - Perspektiven zum „Wo“ und „Wann“ im Fremdsprachenunterricht 137 einerseits und Lernstandorten oder Lernzentren andererseits unterschieden. Nach dieser Unterscheidung sind Lernorte „alle Orte, die für Lernzwecke vorübergehend aufgesucht werden, etwa im Rahmen von Unterrichtsgängen und Exkursionen“, während Lernstandorte durch gezielte pädagogischdidaktische und methodische Bemühungen „für aktive Erkundungs- und Lernprozesse adressatengerecht aufbereitet“ sind und dauerhaft zur verfügung stehen (Salzmann 2007, 435). Für den Fremdsprachenunterricht werden zumeist erstere immer wieder genannt. Dabei sind es Museen, Kinos und Theater (vgl Rymarczyk 2013; Gehring 2010), die im Rahmen literatur- und mediendidaktischer Diskurse in den letzten Jahren besonders zentral diskutiert werden. Multimediales und computergestützes Lernen führt dabei aber konzeptionell schon seit einiger Zeit zu einer Entwicklung, bei der die Grenzen „fließend“ werden. Räumliche und zeitliche Gebundenheit an schulische Lernorte besteht schon lange nicht mehr in der ursprünglich modellierten Gegensätzlichkeit. Umgekehrt gibt es im Zuge gerade auch vieler theater- und museumspädagogischer Ansätze - insbesondere in den letzten 20 Jahren - Annäherungen an pädagogische Konzeptionen und an individuelle Bedürfnisse, z.B. Seh- und Lerngewohnheiten jüngerer Generationen, die häufig als digital natives charakterisiert werden. Hier wird die veränderte Rolle der Lernenden selbst sehr deutlich. In Zukunft werden daher Konzepte wie Authentizität und Lernerautonomie für Fremdsprachenlernen an verschiedenen Lernorten (auch medial) neu konturiert werden müssen; umgekehrt wirken diese Konzepte aber natürlich in die Forschung zu außerschulischen Lernorten hinein. 2 Gibt es aktuelle Entwicklungen und Ansätze im Bereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, in denen die Bedeutung der Lernorte bzw. die Entwicklung von Fremdsprachenkompetenz, die an unterschiedlichen Lernorten erworben wird, besonders berücksichtigt sind bzw. werden sollten? Dass fremdsprachliche Lernorte nach Gehring (2010, 13) Potenziale und Impulse für verschiedene didaktische Bezugsrahmen setzen, zeigt sich mindestens in den vier immer wieder benannten Dimensionen des forschenden, praktischen, situierten und sprachpraktischen Lernens. Dabei ist auch die Frage des Lernalters oder einer inhaltlichen Progression nicht zu vernachlässigen. Die Frage nach dem Lernort ist ohne die Überlegung hinsichtlich des Zeitpunktes bzw. eines Lernprozesses kaum sinnvoll zu diskutieren; Fragen zum „Wo und Wann“ gehören zusammen - auch für das Fremdsprachenlernen. <?page no="138"?> Christiane Lütge 138 Inhaltlich sind Berührungspunkte in folgenden Bereichen besonders hervorzuheben: − media literacy, multiliteracies: Film- und mediendidaktische Ansätze, multimediale und virtuell verankerte Zugänge zum Fremdsprachenlernen können in vielfältiger Weise entweder auf außerschulisches Lernen vorbereiten oder bieten durch die Vielseitigkeit des Medieneinsatzes eine Erweiterung des klassischen schulischen Lernorts. Audiovisuelle Lernräume sind dabei nicht nur im Bereich klassischer Kinobesuche (z.B. im Rahmen von Kino-Festivals) für fremdsprachliches Lernen erschließbar (vgl. Lütge 2010, 2013; Rymarczyk 2010), sondern auch in der (De-)Konstruktion virtueller Welten, ihrer kulturellen Situierung und persönlichen Sinnstiftung. Die Rolle von Netz-Communities und vielfältiger virtueller Bezüge verändert dabei zunehmend die klassische Aufteilung schulischer und außerschulischer Lernorte wie auch die Lehrer- und Lernerrollen. − Theater- und dramenpädagogische Ansätze: Im Rahmen literaturdidaktischer Konzeptionen spielt der Lernort Theater eine wichtige „Rolle“. Fremdsprachlich inszenierte Dramen, die im Fremdsprachenunterricht gelesen werden, z.B. auch Probenbesuche oder aber Theaterbesichtigungen, die Anlass geben, die besonderen Rezeptionsbedingungen des Theaters genauer in den Blick zu nehmen, sind hier besonders hervorzuheben (Surkamp/ Feuchert 2010). Eine Verschränkung mit (multi-)medialen Zugängen (Youtube-Videos zu Theateraufführungen) sind aus modernen theater- und dramenpädagogischen Zugängen kaum noch wegzudenken. − Bilingualer Sachfachunterricht: Das Potenzial traditionell öffentlicher Räume wie Museen für den bilingualen Sachfachunterricht ist verschiedentlich herausgearbeitet worden (Rymarczyk 2003) und wird ebenfalls durch moderne Medien ständig weiterentwickelt. − Globales Lernen: Konzepte globalen Lernens, die noch weitergehend als der Bilinguale Sachfachunterricht Themen unterschiedlicher Bereiche aufnehmen und unter dem Stichwort Bildung für nachhaltige Entwicklung bündeln, sind medial und auch im Rahmen von Unterrichtsgängen und Exkursionen besonders anschlussfähig an Konzeptionen des außerschulischen Lernens. Hier ist nicht nur an Museen, sondern auch an NGOs, Verbände, Stiftungen und andere Institutionen zu denken, die als Anlaufstellen auch im Rahmen fächerübergreifender Projekte stehen können (Lütge im Druck). <?page no="139"?> Lernorte - Perspektiven zum „Wo“ und „Wann“ im Fremdsprachenunterricht 139 3 Welche Forschungszugänge halten Sie im Hinblick auf die Rolle der Lernorte im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen für besonders fruchtbar? In der Forschung zu außerschulischen Lernorten liegen aus Fächern wie Pädagogik, Biologie, Sachunterricht oder Geographie empirische Studien vor, die z.T. sehr spezifische Aspekte in den Blick nehmen. Mehrere Studien untersuchen z.B. die Einstellung von Lehrkräften bezüglich Exkursionen bzw. die Motive für die Durchführung von Exkursionen (Anderson/ Zhang 2003, zit. nach Klaes 2007) und ebenfalls die Faktoren für eine erfolgreiche Exkursion (Storksdieck 2004, zit. nach Klaes 2007). Andere Studien fokussieren auf die Gestaltung von Exkursionen, z.B. mit Blick auf die Ziele und die damit verbundene Vorbereitung und Nachbereitung. Die Untersuchung von Anderson/ Zhang (2003) zeigte, dass Exkursionen häufig zu wenig in den Unterricht integriert sind. Hier wie auch in einigen anderen Studien geht es insbesondere um den Lernort Museum, für den es mit Blick auf die fremdsprachendidaktische Forschung einige Ansätze, aber noch kaum empirische Befunde gibt. Hier wären aber vergleichbare Designs durchaus denkbar und einige Forschungszugänge durchaus übertragbar. In anderen Studien - ebenfalls außerhalb fremdsprachendidaktischer Forschung - wurden schließlich die Wirkungen von Exkursionen nachgewiesen, z.B. mit Blick auf Naturkundemuseen. Demnach sei eine Mischform aus Instruktion und Konstruktion am günstigsten (Wilde et al 2003, zit. nach Klaes 2007); hier und in anderen Untersuchungen geht es sowohl um die Interessensentwicklung der Schüler als auch um deren Wissensstand. Was sich laut Klaes (2007) aus diversen Studien ableiten lässt, betrifft einerseits die bessere Einbindung außerschulischer Lernorte in den Unterricht und andererseits die enge Verknüpfung eines Themas mit dem Bildungsplan sowie eine gezielte Vorbereitung der Schüler in Verbindung mit einer thematisch-inhaltlichen Einstimmung. Dies steht dabei in der Regel im Kontext von Exkursionen, insbesondere im Rahmen museumspädagogischer Ansätze. Vertrautheit mit Ansätzen der Exkursionsdidaktik im Rahmen der Lehreraus- und -fortbildung steht für Klaes (2007) im Zentrum ihrer Forderungen für eine stärkere Integration außerschulischer Lernorte in den Unterricht. Dass Forschungszugänge zu diesem Thema mit Blick auf empirische Ansätze sicher unterrepräsentiert sind und durch einige der genannten Studien anderer Fächer wichtige Impulse erfahren könnten, ist sicher richtig. <?page no="140"?> Christiane Lütge 140 Wennn es um die konzeptionelle Weiterentwicklung von Fragestellungen rund um die Thematik von außerschulischen Lernorten geht, dann ist dies allerdings nicht nur mit empirischen Untersuchungen machbar, bei denen - vergröbernd dargestellt - Prä-/ Posttest-Designs zum Erwerb bestimmter Kenntnisse durch den Besuch außerschulischer Lernorte zum Einsatz kommen. Die theoretisch-konzeptionelle Weiterentwicklung mit Blick auf die Frage, wie z.B. Lernerautonomie und Authentizität innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers und in verschiedenen medialen Umgebungen zum Fremdsprachenlernen beitragen, erschöpft sich sicher nicht an der arbiträren räumlichen Demarkationslinie von Schulmauern. 4 Welche methodischen und didaktischen Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht sehen Sie im Zusammenhang mit außerschulischen Lernorten? Didaktische und methodische Herausforderungen im Kontext außerschulischer Lernorte sind vielfältig. Auf einer allgemeinen Ebene sind zunächst häufig pauschalere Fragen rund um den Zeitfaktor im Kontext der Vorbereitung und Durchführung wie auch ganz allgemein der (räumlichen) Verfügbarkeit solcher Möglichkeiten zu klären. Dass Unterrichtsgänge, Erkundungsvorhaben, Exkursionen und insgesamt die Arbeit an außerschulischen Lernorten methodisch in den jeweiligen Unterricht integriert werden muss, lässt sich aus verschiedenen Studien ableiten. Als unerlässlich wird dabei eine vorbereitende Phase charakterisiert, in der Fragen oder Ziele formuliert und Gesichtspunkte für die Beobachtung entwickelt werden (vgl. Salzmann 2007). Die Vorbereitung auf außerschulisches Lernen kann aber bereits in der Schule beginnen. Innerschulische Lernorte (Gehring 2010, 12) spielen eine wichtige Rolle in der Etablierung von Lernprinzipien, die Freiräume für interessengeleitetes Tun bieten. Räume mit Medienausstattung, Lernwerkstätten, aber auch Angebote im Rahmen von Freiarbeit im Klassenzimmer, Lesenischen und Computerecken sind möglich. Zunehmend entwickeln Schulen Konzepte, mit deren Hilfe Räume oder Gänge zu Lernorten umfunktioniert werden, die für eigenverantwortliches Lernen, für Phasen selbständigen Studiums oder individuelle Lernzeiten zur Verfügung stehen. Diese so gestalteten zunehmend „freieren Formate“ stellen eine wichtige methodische Hinführung zur Nutzung außerschulischer Lernorte dar. Sie erfüllen eine wichtige Scharnierfunktion, insbesondere dann, wenn außerschulisches Lernen nicht nur ein exotischer Farbtupfer im Spektrum der <?page no="141"?> Lernorte - Perspektiven zum „Wo“ und „Wann“ im Fremdsprachenunterricht 141 pädagogischen Farbpalette bleiben, sondern sich harmonisch in ein Gesamtbild integrieren soll. Eine Zusammenarbeit zwischen Schule und außerschulischem Lernort und die Weiterentwicklung einer Exkursionsdidaktik, wie sie von Klaes gefordert wird, müsste erheblich in die Lehreraus- und fortbildung hineinwirken. Die wesentlich für die Fächer Geographie und Biologie schon bestehenden forschungsmethodischen Ansätze und unterrichtspraktischen Schlussfolgerungen (vgl. Klaes 2007) müssten sowohl hochschuldidaktisch besser verankert als auch in geisteswissenschaftliche Fächer systematisch integriert werden. Literatur Claussen, Claus (2004): „Lernorte außerhalb der Schule“. In: Lernchancen 40, 4- 5. Gehring, Wolfgang (2010): „Zur Einleitung: Lernort, Lernstandort, Lernumgebung: Warum ein Fremdsprachenunterricht auch außerhalb des Klassenzimmers ertragreich ist“. In: Gehring/ Stinshoff (Hrsg.), 7-16. Gehring, Wolfgang/ Stinshoff, Elisabeth (Hrsg.) (2010): Außerschulische Lernorte des Fremdsprachenunterrichts. Braunschweig: Diesterweg. Höttecke, Dietmar (Hrsg.) (2008): Kompetenzen, Kompetenzmodelle, Kompetenzentwicklung. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GCDP). Jahrestagung der GCDP in Essen 2007. Münster: LIT. Kahlert, Joachim et al. (Hrsg.) (2007): Handbuch Didaktik des Sachunterrichts. Bad Heilbrunn: Kleinhardt. Klaes, Esther (2008): „Stand der Forschung zum Lehren und Lernen an außerschulischen Lernorten“. In: Höttecke (Hrsg.), 263-265. Lütge, Christiane (2010): „Kinowelten erkunden - Fremdsprachliche Begegnungen im audiovisuellen Lernraum“. In: Gehring/ Stinshoff (Hrsg.), 113-124. 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Außerschulische Lernorte werden im deutschsprachigen fachdidaktischen Diskurs als Ergänzung von und Öffnung zu schulischen Lernorten betrachtet und definiert: Neuere Publikationen (Gehring/ Stinshoff 2010; Rymarczyk 2013) machen deutlich, dass es eine Vielfalt von Lernorten gibt, die sich für fremdsprachliches Lehren und Lernen eignen und zum Erwerb unterschiedlicher Kompetenzen beitragen können: Während beispielsweise Kino- oder Theaterbesuche den Erwerb der literarischen/ künstlerischen Kompetenzen unterstützen (vgl. Surkamp 2013), können Schüleraustausch oder der Tagesbesuch in einem Unternehmen zum Erwerb (inter-)kultureller und/ oder kommunikativer-fremdsprachlicher Kompetenzen beitragen (Caspari et al. 2010; Ehrenreich et al. 2008; Gehring 2010, 10). Zentraler Lehr- und Lernort des FU ist das Klassenzimmer, das durch eine Reihe weiterer Lernorte (z.B. die Schulbibliothek, den Arbeitsplatz zu Hause) ergänzt und qualitativ erweitert wird (z.B. durch den Theater- oder Kinobesuch, die Klassenfahrt zur Partnerschule, die Exkursion zum internationalen Flughafen). (Legutke 2010, 171) Nach Gehring (2010, 13) finden folgende Erweiterungen bzw. Erneuerungen durch Lernorte statt: forschendes Lernen, entdeckendes Lernen, praktisches Lernen, situiertes Lernen und sprachpraktisches Lernen. Im Rahmen fremdsprachlichen Lehrens und Lernens sind außerschulische Lernorte vor allem deshalb relevant, weil dort die Zielsprache in der Regel als echtes Kommunikationsmedium benutzt wird. Um den Mehrwert außerschulischer Lernorte differenzierter zu erfassen, sollen im Folgenden deren Merkmale genauer 1 Die Frage impliziert eine Klassifizierung bzw. Typologie von Lernorten, einschließlich außerschulischer Lernorte, die bis heute noch aussteht. <?page no="144"?> Hélène Martinez 144 betrachtet werden. Dabei erfolgt die Analyse in Anlehnung an Benson (2011, 8f.), der vier Dimensionen des Fremdsprachenlernens jenseits des Klassenzimmers nennt, location, formality, pedagogy und locus of control, die in unterschiedlichen Lernsettings und ‚modes of practiceʻ wirksam werden. Die Dimension location meint einen Ort außerhalb des traditionellen Klassenzimmers. Für den Fremdsprachenunterricht ist diese Dimension besonders wichtig, denn als Orte außerhalb der Schule eröffnen außerschulische Lernräume „Zugänge zu realen, authentischen Umgebungen und Räumen, an denen man sich Wissen aneignen kann, sowie das vorhandene Wissen vertiefen und anwenden kann“ (Gehring 2010, 7). In der Pädagogik ist die Unterscheidung in primäre und sekundäre Lernorte gebräuchlich. Primäre Lernorte, die vor allem auf (Fremdsprachen-)Lernen fokussieren, heben sich von sekundären Lernorten ab, an denen Lernen zwar stattfinden kann, dies aber nicht ihre genuine Funktion ist. Die Orte Kino, Theater oder Praktikumsplätze zielen nicht in erster Linie auf das Lernen fremder Sprachen, sie können aber unter Einbeziehung didaktischer Maßnahmen für den Erwerb von Fremdsprachen benutzt werden (vgl. Rymarczyk 2013, 11). Museen bilden eine weitere Kategorie von Lernorten (vgl. Rymarczyk 2013) und fungieren als hybride oder tertiäre Lernorte insofern, als sie Bildungsinstitutionen sind, aber nicht genuin für die Weiterentwicklung der jeweiligen Fremdsprache gedacht sind. Darüber hinaus muss zwischen außerschulischen und innerschulischen Lernräumen dahingehend unterschieden werden, ob die Lernorte innerhalb der Schule aber außerhalb des Klassenzimmers sind. Für das Fremdsprachenlernen sind z.B. Centres de Documentation et d’Information (CDI) oder Lernwerkstätten von besonderer Bedeutung (s. u.a. Legutke/ Müller-Hartmann 2000). Die Dimension formality verbindet sich mit informellem bzw. nonformellem Lernen und verweist auf den Grad der Unabhängigkeit vom institutionellen Fremdsprachenlernen, das „üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung stattfindet, (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und zur Zertifizierung führt“ (Europäische Kommission 2001, 33). Dabei zeichnet sich informelles Lernen durch ein Lernen aus, […] das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und führt üblicherweise nicht zu einer Zertifizierung. Informelles Lernen kann zielgerichtet sein, ist jedoch in den meisten Fällen nichtintentional (oder inzidentell/ beiläufig). (Europäische Kommission 2001, 33) <?page no="145"?> Gute Lernorte brauchen gute Lerner 145 Diese Dimension geht einher mit „einem mehr oder weniger geplanten, mehr oder weniger beabsichtigten oder bewussten nicht institutionalisierten Lernen“ (Dohmen 2001). Pedagogy bezieht sich auf den Grad der Instruktion durch eine andere Person als den Lerner selbst, wobei Instruktion „is understood here as a particular kind of pedagogy, involving formal processes, such as sequencing of material, explicit explanation, and testing“ (Benson 2011, 11). Die deutschsprachigen Debatten um Instruktivismus vs. Konstruktivismus haben einerseits zu einseitigen Polarisierungen geführt, andererseits aber gezeigt, dass Konstruktion innerhalb des Klassenzimmers stattfinden kann. Im außerunterrichtlichen Fremdsprachenlernen kann der Grad der Instruktion sehr variieren, je nachdem ob ein Lerner implizit beim Fernsehen die Fremdsprache lernt oder einen Selbstlernkurs im Fernsehen verfolgt. Locus of control ist eine Dimension, die der psychologischen Motivationsforschung entlehnt ist und im Rahmen von selbstgesteuertem Lernen bzw. Lernerautonomie benutzt wird. Sie bezeichnet die Steuerung und Kontrolle des Lernprozesses durch den Lernenden selbst − im Gegensatz zur Fremdsteuerung. Für Benson (2011, 12) [ t ] here is, however, a clear relationship between language learning beyond the classroom and locus of control, in that non-classroom settings often demand that the learners make many of the decisions about their learning. Schematisch betrachtet und stark dichotomisierend kann von zwei Polen ausgegangen werden, die unterschiedliche Formen von Fremdsprachenlernen (FL) umfassen. Diese Dichotomie ist aber nur analytisch und verhilft die Merkmale (außer-)unterrichtlichen Fremdsprachenlernens zu verdeutlichen. Schulische Lernorte Schulisches FL Außerschulische Lernorte Außerschulisches FL formal instruktiv fremdgesteuert informell konstruktiv selbstgesteuert In der Regel bewegt sich schulisches Fremdsprachenlehren und -lernen zwischen den Polen. So kennzeichnet sich der aktuelle aufgabenorientierte Fremdsprachenunterricht dadurch, dass er die enge Verbindung zu den Aufgaben, die Lerner in der Welt außerhalb des Klassenzimmers lösen müssen, aufbaut, und somit die Kennzeichen außerschulischen Lernens in die <?page no="146"?> Hélène Martinez 146 unterrichtlichen Strukturen integriert: Durch die Anbindung an außerunterrichtliche Zusammenhänge müssen Lernende im aufgabenorientierten Unterricht „stärker als früher lernen, auf sprachliche Gegenüber spontan, flexibel, aber sprachlich doch möglichst angemessen zu reagieren“ (Königs 2007, 76).Vorläufiges Fazit: Die Analyse der Parameter außerunterrichtlichen Fremdsprachenlernens macht deutlich, dass (außerschulische) Lernorte zwar potentiell Lernangebote enthalten, aber nicht per se lernförderlich sind. In Anlehnung an Grau/ Legutke (2013, 5) gehe ich davon aus, dass das didaktische Potenzial eines Lernortes erst dann seine Wirksamkeit entfaltet, wenn es auch tatsächlich genutzt wird. Entscheidend ist dabei die Lern- und Erkundungsintention, mit der einzelne und/ oder die Lerngruppe, die Lehrkraft eingeschlossen, dem Lernort begegnen. Über die „Lern- und Erkundungsintention“ hinaus ist für mich die Relevanz der Lernorte verbunden mit der Fähigkeit von Lernenden und Lehrenden, das Potenzial der jeweiligen Lernorte und Lernformen effektiv zu nutzen. 2 Aktuelle Tendenzen: die Notwendigkeit, Lehr- und Lernorte mehrperspektivisch zu betrachten Wie unter Punkt 1 angedeutet, sind Überlegungen zur Öffnung des Klassenzimmers eng mit der kommunikativen Wende verbunden und daher nicht neu (vgl. Legutke 2010). Allerdings haben im Rahmen der Kompetenzorientierung und der Förderung von Text- und Medienkompetenz bzw. interkultureller kommunikativer Kompetenz außerschulische Lernorte in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen. Kino- oder Theaterbesuche gehören neben Schüleraustauschen zu heutigen Facetten des Fremdsprachenunterrichts (für interessante Berichte s. Gehring/ Stinshoff 2010 und Rymarczyk 2013). Wie Rymarczyk (2010, 125) betont, [ basiert ] diese Lernwirksamkeit auf einer Steigerung des Interesses der Schüler, auf einer Steigerung ihrer Motivation sowie auf dem anwendungs- und problemorientierten Unterricht, in dem sie gewonnen werden und der sich durch realistische und authentische Problemstellungen auszeichnet. Allerdings gehen die meisten Überlegungen zur Öffnung des Klassenzimmers lediglich von einer Lehrperspektive bzw. Vermittlungsperspektive aus. 2 2 Kennzeichnend dafür ist, dass von Lehr- und Lernorten die Rede ist (vgl. Legutke 2010). Entscheidend sei bei der Öffnung des Unterrichts der „Grad systematischer Verknüpfung des Klassenzimmers als Kernzone mit anderen Lehr- und <?page no="147"?> Gute Lernorte brauchen gute Lerner 147 Lernorten“ (Legutke 2010, 171), was die Frage der Lehrerbildung mit aufwirft: „Die erfolgreiche Gestaltung der dynamischen Kultur des [ Lehr- und Lernortes: HM ] in seinen Facetten und mit seiner Vernetzung hängt entscheidend von den didaktischen Kompetenzen der Lehrkräfte ab.“ (ebda, 174) Der Zugang zu Lernorten ist in der Fachdiskussion immer mit didaktischen Maßnahmen verbunden: Es wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, das Potenzial von Lernorten durch Aufgaben zur Vor- und Nachbereitung zu entfalten. In diesem Zusammenhang hängt die Analyse des Lernpotenzials eines Lernortes von den folgenden Merkmalen ab: die Verbindung von fremdsprachlichem Lernen mit den Offerten des Lernraums 3 Mit all diesen Überlegungen wird zwar eine Bereicherung des Klassenzimmers im Sinne von rich environment erreicht, aber dies geht mit der Gefahr einer ‚Verschulung ʻ sekundärer und tertiärer Lernorte bzw. außerschulischen Lernens einher. Außerschulisches Lernen nur im Sinne einer - wenn auch sinnvollen - Ergänzung zum Klassenzimmer greift zu kurz und läuft Gefahr die mögliche Bandbreite selbstbestimmter und informeller Lernorte und Lernformen aus den Augen zu verlieren. , die Angebotsebene und die Zugriffs- und Rezeptionsformen im Sinne von lernförderlichen Maßnahmen, die ein Arrangement für individuelle Konstruktionen des Lerners vorhält (vgl. Gehring 2010, 14). Auch die Unterscheidung zwischen primären, sekundären und hybriden Lernorten ist für diese Vermittlungsperspektive kennzeichnend. Es scheint, dass vieles außerunterrichtliche Fremdsprachenlernen, das nebenbei stattfindet - zum Beispiel beim Computerspielen - im deutschsprachigen fachdidaktischen Diskurs nicht wahrgenommen bzw. ernstgenommen wird, obwohl es durchaus Einfluss auf die Erweiterung der fremdsprachlichen Kompetenz und die Selbstwirksamkeit von z.B. männlichen Lernern haben kann (vgl. Sundqvist 2011). In vielen zitierten Beispielen zum Thema Lernorte (vgl. Gehring/ Stinshoff 2010; Rymarczyk 2013) bleibt leider offen, inwieweit informelles oder selbstgesteuertes Lernen wirklich stattfindet. Das mag daran liegen, dass dieser Ertrag von Seiten der In- 3 „Die kulturelle Perspektive rückt den Lernort in seiner Vermittlungsfunktion für zielkulturelle Wissensbereiche ins Zentrum, indem er den Blick auf inhaltliche Aspekte mit zielkultureller Verankerung ermöglicht. Von der sprachlichen Perspektive aus betrachtet definiert sich ein Lernort im Hinblick auf seinen Nutzen für lexikalische, semantische und pragmatische Fragestellungen. Ausgehend von der Handlungsperspektive wird der Lernort als Interaktionsraum für fremdsprachliche Diskurse bedeutsam, da sich Gelegenheiten ergeben, in Realsituationen komplexe Sprachproduktionen umzusetzen.“ (Gehring 2010, 14) <?page no="148"?> Hélène Martinez 148 stitution Schule nur schwer kontrollierbar und messbar ist, wie Studien zur Erforschung von Austauschprogrammen zeigen (Colin 2008, 83). Auch von der Möglichkeit, dass Lernorte bzw. Lerngelegenheiten von Lernenden selbst geschaffen werden, indem sie bewusst ihre Umwelt als Ressource und die Interaktion mit Sprechern der Zielsprache als Strategie 4 Nun scheint mir aber gerade im Hinblick auf lebenslanges Lernen die Berücksichtigung außerschulischer informeller Lernorte und der damit verbundenen selbstbestimmten Lernformen unverzichtbar. nutzen (vgl. Martinez 2008), wird kaum berichtet. In den meisten genannten Beispielen liegt der locus of control bei der Lehrperson und nicht bei den Lernenden. 3 Forschungsfrage: die Notwendigkeit, Lernprozesse außerhalb des Klassenzimmers zu erkunden Lernprozesse, die außerhalb des Klassenzimmers stattfinden, sind schwer zugänglich und bleiben diffus - insbesondere, wenn sie nicht mit dem Fremdsprachenlernen innerhalb des Klassenzimmers verknüpft sind: „Out of classroom processes are often unvisible to classroom teachers or at least less easily accessed than classroom processes.“ (Benson 2011, 8) Wir benötigen Forschungsfragen und Forschungszugänge, die diese Fremdsprachenlernprozesse deutlicher erkennbar machen. • Was lernen Schülerinnen und Schüler außerhalb des Klassenzimmers? • Wie lernen sie außerhalb des Klassenzimmers? Welche Lernwege, Strategien entfalten sie? Auf welche Schwierigkeiten stoßen sie? • Warum lernen sie außerhalb des Klassenzimmers? • Welche Fähigkeiten und Kompetenzen entfalten sie, um die Potenziale des außerschulischen Lernens auszunutzen? Geht man von einer engeren Verknüpfung der jeweiligen Lernorte mit dem Klassenzimmer aus, so erscheinen mir folgende Fragestellungen besonders zielführend: • Nehmen Schülerinnen und Schüler das Lernpotenzial der jeweiligen Lernorte wahr? 4 Tremblay (1996, 158) hat hierzu den Terminus „réseautage (action de créer un réseau)“ eingeführt „pour parler de ce processus dynamique par lequel un individu crée et procède à divers échanges pour assurer lui-même sa formation“. <?page no="149"?> Gute Lernorte brauchen gute Lerner 149 • Wie reflektieren sie die Angebote, die mit den jeweiligen Lernorten verbunden sind? • Welche Fähigkeiten und Bereitschaften bzw. Kompetenzen müssen Lehrende und Lernende besitzen und aktivieren, um das Potenzial von Lernorten zu entfalten? Neben der Perspektive der Lernenden erscheint es mir ebenso wichtig, die Perspektive der Lehrkräfte miteinzubeziehen, ihre Fähigkeit, das Potenzial der jeweiligen Lernorte einzuschätzen und die Erforschung ihrer subjektiven Theorien bezüglich des möglichen Ertrags außerschulischen Lernens. Aus diesen Gründen bieten sich qualitativ-empirische bzw. explorativinterpretative Studien zum Verstehen dieser komplexen Zusammenhänge und zur Erforschung der Innen- und Binnensicht der jeweiligen Akteure an. 4 Methodische und didaktische Herausforderungen: die Notwendigkeit, Sprach(lern)bewusstheit und Lernfähigkeit zu fördern Neuere Forschungen über Auslandsaufenthalte haben am ehesten gezeigt, dass die Annahme vom quasi-automatischen Erwerb fremdsprachlicher und interkultureller Kompetenzen im Ausland nicht unbedingt empirisch bestätigt ist (vgl. Ehrenreich et al. 2008, Vorwort). Sogar in Bezug auf den Lernertrag für fortgeschrittene Studierende kommt Ehrenreich (2008, 117) zu dem Fazit: Halten wir fest: Für die wenigsten der Fremdsprachenassistenten (bzw. Auslandsstudierenden) wird der doppelte Mythos vom ‚automatischen Sprachbadʻ in muttersprachlichem Englisch Wirklichkeit. ‚Automatischʻ - d.h. im Sinne der während eines Aufenthaltes wirksamen psychosozialen Rahmenbedingungen - ergeben sich Lingua-Franca-Kontakte. Zielsprachliche Kontakte hingegen, die für Anglisten und angehende Englischlehrer selbstverständlich weiterhin eine zentrale Rolle spielen, erfordern in der Regel ein bewusstes und engagiert-strategisches Vorgehen. Dies korreliert mit Studien im Rahmen selbstgesteuerten Lernens, die auf die mangelnde Lernfähigkeit von manchen Lernenden und auf die Benutzung nicht-adäquater Strategien verweisen (Bailly 2011). Außerschulisches Lernen - in seiner starken Version (vgl. Punkt 1) - impliziert die Fähigkeit von Lernenden, das Lernpotenzial des jeweiligen Lernortes ausnutzen zu können. Außerschulisches Lernen hängt also davon ab, wie die Lernenden ihre Sprachhandlungs- und Lernfähigkeit wahrnehmen und wie sie ihre Sprachlernkompetenz aktivieren (können). Dies setzt den Erwerb einer metacognitive awareness voraus, die ihnen ermöglicht, <?page no="150"?> Hélène Martinez 150 dieses Lernpotenzial adäquat zu nutzen und stellt somit eine methodische und didaktische Herausforderung für die Lehrenden dar. Lehrerinnen und Lehrer sollten in Aus- und Fortbildung nicht nur in die Lage versetzt werden, didaktisch und methodisch gut durchdachte Lernarrangements zu entwickeln. Sie sollten auch in der Lage sein, die Lernfähigkeit bzw. Sprachlernkompetenz der Schülerinnen und Schüler im Sinne der Bildungsstandards (vgl. KMK 2012) zu fördern. Die Lernerautonomieforschung hat diesen Sachverhalt ausführlich dargelegt. In diesem Zusammenhang wäre auch die Arbeit mit Portfolios sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrenden von besonderer Bedeutung (vgl. u.a. Kühn/ Pérez Cavana 2012; Mehlmauer- Larcher 2010). Literatur Altmayer, Claus/ Mehlhorn, Grit/ Neveling, Christiane/ Schlüter, Norbert/ Schramm, Karen (Hrsg.) (2010): Grenzen überschreiten: sprachlich − fachlich − kulturell. Dokumentation zum 23. Kongress für Fremdsprachendidaktik der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) Leipzig, 30. September-3. Oktober 2009. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Anderson, Neil J. (2012): „Metacognition: Awareness of language learning“. In: Mercier/ Ryan/ Williams (Hrsg.), 169-187. Bailly, Sophie (2011): „Teenagers learning languages out of school: What, why and how do they learn? How can school help them? “ In: Benson/ Reinders (Hrsg.), 119-131. Benson, Phil (2011): „Language learning and teaching beyond the classroom: An introduction to the field“. 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Eine schriftliche Befragung von 123 Russisch lernenden Schülerinnen und Schülern in Sachsen ergab, dass die überwiegende Mehrheit außerhalb des Russischunterrichts keinerlei Kontakt zur russischen Sprache hat, während das Englische durchaus eine wichtige Rolle in ihrer Freizeit und im Urlaub spielt. Nur für ein Zehntel der Befragten gehört Russisch zum Alltag; das entspricht der Anzahl der Lernenden mit russischsprachigem Hintergrund (Mehlhorn 2014, 151). Findet das Sprachenlernen noch an weiteren Orten statt, so stellt das einen wichtigen Anwendungsbezug dar, durch den sich vielen Schülerinnen und Schülern erst der Sinn ihrer Lerninvestitionen erschließt, was entsprechende motivationale Auswirkungen für die zu lernende Schulfremdsprache haben kann. Für den schulischen Kontext spielen hierbei Klassenfahrten ins Zielsprachenland und Schülerbegegnungen eine wichtige Rolle (vgl. Ertelt- Vieth 2005). Diese können auch virtuell erfolgen bzw. mithilfe des Internets vor- und nachbereitet werden (vgl. Stadler-Buelacher 2010). Oft sind es die Lernaktivitäten, die an einem bestimmten Ort stattfinden, und die Begegnungen mit Menschen, mit denen in der Zielsprache kommuniziert wird, und nicht der Ort an sich, der für die Lernenden relevant ist. 1 1 So konstituiert sich der „Lernort Familie“ für Herkunftssprecher/ innen (vgl. Jańczak 2013) v.a. durch den Kontakt zu Verwandten sowohl zu Hause als auch im Herkunftsland. <?page no="154"?> Grit Mehlhorn 154 Insofern können auch Schnupperkurse, Arbeitsgemeinschaften, Fremdsprachenwettbewerbe und Spracholympiaden (z.B. Russischolympiade, Bohemiade) in den Katalog möglicher Lernorte aufgenommen werden. Ein aktuelles Beispiel ist die Slawiniade - eine Schülerkonferenz zum sprachenübergreifenden Lernen, bei der im November 2014 in Dresden Polnisch, Russisch- und Tschechischlernende der neunten Klassen aus ganz Sachsen in gemischten Teams sprachenübergreifende Aufgaben in zuvor noch nicht gelernten Sprachen (Polnisch, Tschechisch, Russisch, Sorbisch und Kroatisch) gelöst haben. Dabei wurde ihnen bewusst, wie ähnlich sich die Sprachen sind, dass bereits ihre eine gelernte slawische Schulfremdsprache ein Potenzial darstellt, um einen leichteren Einstieg in das Erlernen weiterer Slawinen zu erhalten und wie man diese Ressource noch besser nutzen kann, wenn man mit Anderen zusammenarbeitet, die weitere slawische Sprachen kennen. Diese Schüler/ innen haben zwei Tage lang konzentriert Aufgaben gelöst, an einer „Kulturrallye“ teilgenommen, Einblicke in neue slawische Sprachen erhalten, gleichzeitig auch eine Wertschätzung ihrer bereits vorhandenen Sprachkenntnisse erfahren und neue Sichtweisen gewonnen, die im normalen Fremdsprachenunterricht in dieser Form nicht hätten vermittelt werden können (vgl. Mehlhorn 2015). Im universitären Kontext werden slawische Sprachen häufig an Sprachenzentren als neu beginnende Fremdsprache und in Slawistik-Instituten im Rahmen eines Slawistik- oder Lehramtsstudiums vertieft gelernt. Die obligatorischen Auslandsaufenthalte im Zielsprachenland sind auch aus Sicht der Studierenden selbst ein außerordentlich wichtiger Lernort, mit dem viele Hoffnungen vor allem hinsichtlich der Verbesserung ihrer Sprachkompetenzen verbunden werden. Dass der Lernort Zielsprachenland allein noch keine Garantie für die Erfüllung dieser hohen Erwartungen ist, zeigen Arbeiten wie die von Ehrenreich (2004). Die slawischsprachigen Kommilitonen stellen dagegen eine häufig unterschätzte und viel zu selten genutzte Lerngelegenheit auch außerhalb der regulären Sprachkurse dar (vgl. Mehlhorn 2009). Außerunterrichtliche Lernorte, die Erwachsene von sich aus aufsuchen, sind u.a. Sprachstammtische, Kinos mit Filmen aus Russland und Osteuropa (z.B. das Kino „Krokodil“ in Berlin), russisches Theater, spezielle Ausstellungen und Museen, kulturelle Einrichtungen wie das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin, das Polnische Institut mit mehreren Filialen in größeren deutschen Städten und das Brücke-Most-Zentrum in Dresden - Einrichtungen, die ein reichhaltiges Kulturangebot mit Vorträgen, Filmen, slawischsprachigen Lesungen bereithalten, das von vielen Besuchern wahrgenommen wird, um ihre sprachlichen und kulturellen Kenntnisse zu erweitern. Kontakt mit der Sprache ist zudem über russisch- und <?page no="155"?> Orte für das Erlernen slawischer Sprachen 155 polnischsprachiges Fernsehen möglich, das viele Lernende zu Hause bewusst mit diesem Ziel „konsumieren“, und natürlich durch Reisen in das Zielsprachenland. Dabei sind - auch kurzfristige - Reisen in die Nachbarländer Polen und Tschechien ohne Visumspflicht wesentlich leichter zu bewerkstelligen als in russischsprachige Länder. Tandemsprachkurse stellen eine gute Möglichkeit dar, in kurzer Zeit intensiv mit vielen Muttersprachlern in der Fremdsprache zu kommunizieren und gleichzeitig mehr über die Kultur der Anderen zu lernen. Vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk geförderte Tandemsprachkurse finden an verschiedenen Orten in Polen statt. Während der 2-wöchigen Begegnung werden eine Reihe von Plätzen zu Orten des fremdsprachigen Lernens, angefangen von dem Zimmer, das man mit einer Muttersprachlerin teilt, über den Raum, in dem die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen werden, die Rallye in gemischten Teams zur Erkundung des Begegnungsortes, zweisprachige Workshops (z.B. deutsch-polnischer Chor, Theatergruppe, sportliche Aktivitäten) bis hin zu gemeinsamen Exkursionen und Ausflügen in die nächste Stadt, dem Gruppenunterricht in der Fremdsprache und den Tandemsitzungen mit wechselnden Tandempartnern (vgl. Mehlhorn 2010b). Oft entstehen aus diesen Begegnungen binationale Freundschaften, die über das Internet (z.B. per Distanztandem via Skype) und durch gegenseitige Besuche gepflegt werden. Prinzipiell kann jeder Lebensort auch zum Lernort werden. Das betrifft insbesondere Lernende im Zielsprachenland, für die alle Orte und Situationen, in denen sie sich aufhalten und sprachliche Erfahrungen machen, Lernorte sind: die Wohnung, die Arztpraxis, Behörden, Geschäfte, Freizeiteinrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel usw. Für Migrantinnen und Migranten in Deutschland bieten zwei- und mehrsprachige Vereine eine Reihe von (Sprach-)Lernangeboten, in Leipzig z.B. das Deutsch-Russische Hilfswerk zur Heiligen Alexandra e.V. (www. heiligealexandraev.com) und das Ariowitsch-Haus (www.ariowitschhaus. de), ein Kultur- und Begegnungszentrum, das Juden und Nichtjuden zusammenbringen will. Sogenannte „Samstagsschulen“ sind Institutionen, die von Mitgliedern u.a. der russischsprachigen Community in Deutschland gegründet wurden, um die russische Sprache und kulturspezifisches Wissen bei Kindern und Jugendlichen zu erhalten und zu fördern. Neben Sprachunterricht bieten sie Theatergruppen, Zeichen- Tanz- und Englischunterricht an, verfügen über kleinere Bibliotheken und Videotheken, sind Vermittler oder Mitorganisatoren von kulturellen Ereignissen für die russischsprachige Gemeinschaft vor Ort und bedienen somit ein ganzes Spektrum von Bedürfnissen von Menschen mit Migrationshintergrund (Kreß 2014, 171). <?page no="156"?> Grit Mehlhorn 156 2 Die Bedeutung von Lernorten für die Kompetenzentwicklung Lernorte außerhalb des Klassenzimmers haben für viele Lernende eine besondere Relevanz, zumal sich durch sie leichter ein Lebensweltbezug herstellen lässt. Zu Lernorten in der Umgebung können z.B. russische und polnische Geschäfte oder weitere Orte werden, an denen Begegnungen mit slawischsprachigen Menschen stattfinden. Auch die Erkundung der Geschichte und Kultur von Russischsprechenden im eigenen Lebensumfeld z. B. in Interviews ist eine reizvolle Aufgabe, die individuell und in Kleingruppen durchgeführt werden kann. Die Projektdidaktik (vgl. Legutke 2010) bietet dafür gute Ansätze. Kallenbach (1996) plädiert dafür, den Auswirkungen von Auslandsaufenthalten auf die Lernkonzepte von Schülerinnen und Schülern nachzugehen. Dem Polnisch- und Tschechischunterricht in der Grenzregion eröffnen sich gute Möglichkeiten in Bezug auf Lernorte, an denen authentische Begegnungen mit Sprechern der Nachbarsprache möglich sind. So müssen die Polnisch lernenden Schüler/ innen in Görlitz (Sachsen) nur zu Fuß die Neiße-Brücke überqueren um ihre Partnerschule in Zgorzelec zu besuchen, in einem polnischen Restaurant zu essen oder auf Polnisch einzukaufen. Gleiches gilt für Frankfurt/ Oder (Brandenburg) und Sł ubice sowie viele weitere Orte im grenznahen Raum. Die deutschsprachigen Schüler/ innen des bilingualen/ binationalen Bildungsgangs am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Pirna (Sachsen) führen nicht nur Klassenfahrten nach Prag und eine Reihe deutsch-tschechischer Projekte durch, sondern absolvieren in der 9. Klasse auch ein obligatorisches 2-wöchiges Praktikum in der Tschechischen Republik, währenddessen sie in den Familien ihrer tschechischen Mitschüler/ innen wohnen. Sowohl viele Schüler/ innen selbst als auch ihre Tschechischlehrenden sind begeistert von den Fortschritten im Sprechen, die die Lernenden in dieser kurzen Zeit machen. In Begegnungssituationen mit Zielsprachensprechern findet häufig Sprachmittlung statt, in denen die Lernenden Informationen aus der und in die Zielsprache übertragen, zusammenfassen und zwischen Gesprächspartnern vermitteln (vgl. Behr/ Wapenhans 2014). Bei der sprachlichen Vorbereitung auf diese authentischen Situationen im Fremdsprachenunterricht versucht man solche Begegnungen zu simulieren. Im Fremdsprachenunterricht werden Begegnungen inhaltlich vorbereitet, wobei man sich an den Interessen und Bedürfnissen der Schüler/ innen orientieren sollte, die im Gastland sprachlich und kulturell zurechtkommen müssen. Im Rahmen von Projekten recherchieren die Lernenden eigenverantwortlich Informationen zum Gastland, planen gemeinsame Aktivitäten mit den Partnern, Informationsveranstaltungen über den eigenen Wohnort <?page no="157"?> Orte für das Erlernen slawischer Sprachen 157 und die Schule und erarbeiten Möglichkeiten der Dokumentation und Aufbereitung der Begegnung (vgl. Ertelt-Vieth 2003). Über das Internet können erste authentische Kontakte mit Gleichaltrigen im Zielsprachenland geknüpft und Schülerarbeiten (z.B. Vorstellungsbriefe per E-Mail, selbstgedrehte Videos über die eigene Schule) ausgetauscht werden (vgl. Mehlhorn 2010a, 14). Das Lernen im Zusammenhang mit Erinnerungsorten wie KZ- Gedenkstätten in Polen verlangt nach einer entsprechenden Gedenkstättendidaktik, die Ansätze bietet, den Besuch entsprechend vorzubereiten, sinnvoll durchzuführen, nachzubereiten, zu reflektieren und zu dokumentieren. Im Herkunftssprachenunterricht besteht die Möglichkeit, die von den Lernenden im familiären Umfeld erworbenen sprachlichen Kompetenzen stärker zu berücksichtigen, als dies in der Schule der Fall ist; allerdings gibt es kaum empirische Untersuchungen zum Herkunftssprachenunterricht (vgl. jedoch Kreß 2014). 3 Lernorte für Herkunftssprecher/ innen In der Untersuchung von Kreß (2014) wurden videographische Mitschnitte im herkunftssprachlichen Unterricht Russisch an Samstagsschulen gesprächsanalytisch ausgewertet und die dabei identifizierten Formen der Wissenskommunikation mit denen an deutschen Regelschulen kontrastiert. Kreß stellte bei der Analyse des Russischunterrichts in einer Samstagsschule eine im Vergleich zu deutschen Schulen deutlich abweichende Lehr- und Lernpraxis fest, die sich u.a. in einer deutlichen Präferenz des Wissenserwerbs durch Repetition und die Wiedergabe von auswendig Gelerntem auszeichnet und in Bezug auf die Unterrichtsinteraktion durch ein hohes Tempo, die Anschlussdichte der einzelnen Teilnehmerbeiträge, eine reformulierende, erzählende Tätigkeit der Lehrerin, eine reine Faktendarstellung durch die Schüler/ innen und eine argumentativ-wertende Wissenskommunikation von ‚autorisierter‘ Seite gekennzeichnet ist (ebda, 179). Sie vermutet, dass die Art des Unterrichtens, mit der die Schüler/ innen hier konfrontiert werden, auf der Lerntradition ihrer Eltern im Herkunftsland beruht. Es wäre interessant zu untersuchen, wie die Schüler/ innen diese unterschiedlichen Lernkulturen wahrnehmen und den sich zum Teil widersprechenden Anforderungen gerecht werden. Gemeinsam mit Bernhard Brehmer (Universität Greifswald) untersuche ich in einem Verbundprojekt zum Potenzial von Herkunftssprachen bilinguale Schüler/ innen aus russisch- und polnischsprachigen Familien in Hamburg, Leipzig und Berlin im schulischen und familiären Kontext. Neben umfassenden Sprachstandserhebungen der 12bis 13-jährigen Jugendlichen <?page no="158"?> Grit Mehlhorn 158 und ihrer Eltern im Deutschen und der Herkunftssprache führen wir leitfadengestützte Interviews mit den Lernenden, ihren Eltern und Lehrkräften durch, in denen es u.a. um die Sprachlernbiographien der Schüler/ innen, ihre Einstellungen gegenüber ihren Herkunftssprachen und den in der Schule gelernten Fremdsprachen sowie konkrete Lerngelegenheiten und Anwendungsmöglichkeiten für die Herkunftssprache geht. Die Interviews liefern auch Informationen über die Lernorte der Befragten. Im Folgenden möchte ich auf einige Lerngelegenheiten derjenigen Schüler/ innen eingehen, die ich selbst im Rahmen der Erhebungen (Mai bis Oktober 2014) mehrfach in ihren Wohnungen aufgesucht habe. Diese Schüler/ innen sind entweder in sehr frühem Kindesalter eingereist oder schon in Deutschland geboren, waren zu Erhebungsbeginn 12 Jahre alt, besuchten die 6. Klasse verschiedener Leipziger Schulen und hatten in diesem Schuljahr mit dem Erlernen der zweiten Schulfremdsprache begonnen. In der elterlichen Wohnung findet die Kommunikation mit den russischsprachigen Eltern in manchen Familien ausschließlich auf Russisch statt, in anderen Familien werden Russisch und Deutsch zu unterschiedlichen Teilen verwendet, in Gesprächen zwischen den Geschwistern überwiegt das Deutsche. Kontakt zur Herkunftssprache liefert auch das russischsprachige Fernsehen. Während in den Bücherregalen der Eltern fast nur russischsprachige Bücher stehen, darunter vor allem russische Klassik - auch in den finanziell weniger gut gestellten Familien -, spiegeln die Bücherregale der Kinder schon deren Mehrsprachigkeit wider. Hier finden sich neben russischen Märchenbüchern vor allem deutsche Kinder- und Jugendliteratur, Sachbücher und einige wenige Bücher in englischer Sprache. Nicht alle untersuchten Schüler/ innen verfügen über einen eigenen Computer, aber in jeder Familie gibt es einen PC, der in erster Linie von den Eltern oder einem Elternteil benutzt wird. Die Hälfte der untersuchten Kinder kann mit einer russischsprachigen Tastatur umgehen, manche empfangen auch russischsprachige SMS auf ihrem Handy. Die Lernmöglichkeiten in der Herkunftssprache sind stark abhängig von der Zahl der zur Verfügung stehen Gesprächspartner. So spielt z.B. die russischsprachige Großmutter, die in der Wohnung nebenan lebt und häufig Gast in der elterlichen Wohnung ist, eine große Rolle, aber auch mehrwöchige Besuche von Verwandten aus dem Herkunftsland, die kein Deutsch verstehen, führen zu mehr Input und Interaktion in der russischen Sprache. Große Unterschiede bei den untersuchten Lernenden gibt es hinsichtlich der Reisen in das Herkunftsland. Hier reicht das Spektrum von Familien, die seit der Einreise nie wieder im Herkunftsland waren und auch keine Reisen dorthin planen, weil die Eltern innerlich auf Distanz zu Russland gegangen sind, über Kinder, die alle paar Jahre einmal Verwandte im Herkunftsland besuchen, bis hin zu Schülerin- <?page no="159"?> Orte für das Erlernen slawischer Sprachen 159 nen und Schülern, die jedes Jahr einige Wochen (manchmal sogar in mehreren) russischsprachigen Ländern verbringen. Es liegt auf der Hand, dass sich letzteren besonders viele Lerngelegenheiten zum Ausbau ihrer Herkunftssprache bieten. Ein ebenfalls heterogenes Bild ergibt sich beim Blick auf den Besuch von Russischunterricht. Nur zwei der 13 untersuchten Schüler/ innen lernen Russisch als zweite Schulfremdsprache, obwohl in Leipzig an mehreren Schulen diese Möglichkeit besteht. Einige Eltern haben sich bewusst dagegen entschieden, um ihren Kindern das Erlernen einer weiteren Sprache (meist Französisch) zu ermöglichen; in anderen Familien handelt es sich um eher zufällige Entscheidungen. Es gibt jedoch noch andere Organisationsformen von Russischunterricht. Fünf Schüler/ innen haben während ihrer Grundschulzeit Herkunftssprachenunterricht Russisch besucht, der an einer Leipziger Schule einmal wöchentlich an einem Nachmittag stattfindet. Die meisten Kinder wurden von den Eltern zu diesem Unterricht gebracht und wieder abgeholt. Aus den Berichten der Schüler/ innen wird deutlich, dass sie gern zu diesem Unterricht gegangen sind und offensichtlich auf spielerische Weise Russisch gelernt haben. Einige Mütter beklagen aber gerade diese spielerische Herangehensweise als nicht ernsthaft genug und begründen die fehlende Effektivität dieses Unterrichts u.a. damit, dass keine Hausaufgaben aufgegeben wurden. Spätestens mit dem Eintritt in die weiterführende Schule (12 der 13 untersuchten Schüler/ innen besuchen ein Gymnasium) wurde der Unterricht dann aufgegeben. Mehrere Schüler/ innen nehmen an Privatunterricht für Russisch teil. Eine Mutter erteilt ihrer Tochter gemeinsam mit einem weiteren russischsprachigen Jungen Unterricht und trainiert mit ihnen v.a. Schreiben, arbeitet viel mit Diktaten und erteilt schriftliche Hausaufgaben. Ein Junge aus einer Familie mit drei Kindern erhält nicht nur Nachhilfeunterricht in Deutsch, Mathematik und Englisch, sondern - gemeinsam mit seinem älteren Bruder - auch Privatunterricht in Russisch. Der Nachhilfeunterricht findet im Kinderzimmer statt, der Russischunterricht im Wohnzimmer. Für den Russischunterricht kommen eine russischsprachige Lehrerin und noch drei weitere bilingual aufwachsende Kinder in die Wohnung. Die Kinder schreiben Diktate und lösen grammatische Übungen aus einem Russischbuch für Muttersprachler. Sie erhalten regelmäßig Hausaufgaben, unter anderem auch das Auswendiglernen von russischen Gedichten und klassischen Balladen. Einen weiteren Lernort stellen die Vereine dar, in denen russischsprachige Menschen zusammenkommen und wo neben Russisch- und Deutschunterricht für verschiedene Altersstufen auch weitere Sprachkurse (Englisch, Spanisch, Hebräisch), spezielle Schulvorbereitungskurse für Vorschulkinder, Theatergruppen für Kinder und Erwachsene, Klavierstunden, Gesangsunter- <?page no="160"?> Grit Mehlhorn 160 richt, Tanz-, Mal- und Schachkurse angeboten und russische Feste gefeiert werden. Nach Auskunft der untersuchten Schüler/ innen hat in der Schule bisher kaum jemand nach ihren Russischkenntnissen gefragt. Eine Mutter beklagt diese Tatsache im Interview ganz explizit. Da „andere“ Sprachen in der Schule keine Rolle spielen, sei es so schwer, ihre Tochter, die bereits Anzeichen von Sprachverlust im Russischen zeige, zum Weiterlernen zu motivieren. Der Einblick in die Sprachlernbiographien der Schüler/ innen zeigt die großen Schwierigkeiten, die Herkunftssprache im familiären Kontext zu erhalten oder gar auszubauen, und die immense Bedeutung weiterer Lernorte, die Interaktionen mit Sprechern der Herkunftssprache ermöglichen. 4 Methodische und didaktische Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht Die Öffnung der Schule für außerschulische Lernorte „gehört zu einer neuen Lehr- und Lernkultur, die die Eigenverantwortung der Schüler stärkt, ihre Lebenswelt und ihre Erfahrungsräume einbezieht und damit zum kumulativen Kompetenzerwerb beiträgt“ (Biewendt/ Kittlaus 2012, 241). Dazu gehört auch die Anerkennung der Tatsache, dass beim außerunterrichtlichen Lernen Unterricht nicht ausfällt, sondern nur an einem anderen Ort stattfindet. 2 Legutke (2010, 174) beklagt, dass die bei Begegnungen wie Klassenfahrten und Austauschprogrammen gewonnenen Erfahrungen und Lerngelegenheiten nur sehr unzureichend mit dem Regelunterricht am zentralen Lehr- und Lernort vernetzt sind. Gerade diese Verknüpfung ist jedoch wichtig; für ein nachhaltiges Lernen sollten die außerunterrichtlichen Erlebnisse auch in das Klassenzimmer zurückstrahlen. Die Einbeziehung außerschulischer Erfahrungen in den Fremdsprachenunterricht stellt hohe Ansprüche Hier muss bei vielen Lehrkräften und Schulleitern, die außerschulische Veranstaltungen in erster Linie als Ausnahmesituationen mit hohem organisatorischen Aufwand und weniger als nachhaltige Lerngelegenheit betrachten, noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Auf jeden Fall sind die notwendigen Abstimmungen zwischen den Lehrkräften, Stundenplanänderungen und Vertretungsregelungen neben der Organisation des Gesamtvorhabens ernstzunehmende Herausforderungen im Schulalltag (ebda, 245). 2 An der oben erwähnten Slawiniade durften laut Beschluss des Sächsischen Kultusministeriums keine Lernenden aus Mittelschulen teilnehmen, weil dort schon so viel Unterricht ausfallen würde. Mit demselben Argument begründete der Schulleiter eines Gymnasiums, dass seine Schüler/ innen nicht zur Slawiniade fahren konnten. <?page no="161"?> Orte für das Erlernen slawischer Sprachen 161 an didaktisch-methodische Konzeptionen und Differenzierung, auch wenn es sich um individuelle Erfahrungen einzelner Schüler/ innen handelt, wie z. B. nach einem längeren Aufenthalt im Zielsprachenland. Die unterschiedlichen Vorkenntnisse und sehr heterogenen Sprachkompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit slawischsprachigem Hintergrund, die die Herkunftssprache im Fremdsprachenunterricht (weiter) lernen, sind wohl eine der größten methodischen und didaktischen Herausforderungen für Russisch- und Polnischlehrkräfte. Diese Herkunftssprecher/ innen bringen Varietäten in den Unterricht mit, die sich meist stark von der Sprache der Lehrwerke und der Standardvarietät unterscheidet, die die Lehrkraft vermitteln möchte. Oft sind sie ihren Mitlernenden (und manchmal auch der Lehrkraft) in den Bereichen Aussprache und Hörverstehen weit überlegen. Polinsky (2015, 16) sieht eine weitere große Herausforderung in der adäquaten Einschätzung der außerhalb der Schule erworbenen Sprachkenntnisse von Herkunftssprechern: „One of the biggest challenges with heritage speakers as language students is conducting an accurate initial assessment for classroom placement“. Neben diesen Diagnosekompetenzen von Lehrkräften, die auch die Bewertung von Lernfortschritten ihrer Schüler/ innen einschließen, sehe ich die Akzeptanz außerschulischer Erfahrungen mit der Zielsprache und -kultur sowie die Wahrnehmung und Wertschätzung von Vorkenntnissen der Herkunftssprecher/ innen als Desiderat an. Dass hier noch viel ungenutztes Potenzial brachliegt, wurde in den Interviews unseres Projekts mit den mehrsprachig aufwachsenden Kindern und ihren Eltern sehr deutlich. Literatur Behr, Ursula/ Wapenhans, Heike (2014): „Sprachmittlung als kommunikative Aktivität im Russischunterricht“. In: Bergmann (Hrsg.), 158-170. Bergmann, Anka (Hrsg.) (2014): Fachdidaktik Russisch. Eine Einführung. Tübingen: Narr. Biewendt, Frank/ Kittlaus, Bernd (2012): „Außerschulische Lernorte“. In: Jantowski (Hrsg.), 239-253. Ehrenreich, Susanne (2008): Auslandsaufenthalt und Fremdsprachenlehrerbildung. Das assistant-Jahr als ausbildungsbiographische Phase. München: Langenscheidt. 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Stuttgart: Metzler. <?page no="163"?> Lernorte müssen auch Lernorte für Sprachlernkompetenz werden Franz-Joseph Meißner Vorab: Verortung des Leitbegriffs ‚Lernort‘ Des Menschen Lernort ist, wo er etwas lernt. Ein Lernort unterstützt das Lernen. Indes: Da Menschen immer Informationen verarbeiten, ist es ihnen nicht möglich, nicht zu lernen. Der eigentliche Ort des Lernens ist also der Prozess der mentalen Auseinandersetzung mit Informationen zum Zweck der langfristigen Verfügbarkeit einer Kompetenz. Von diesem Lernort wird im Folgenden nicht die Rede sein, obwohl alle Argumente letztlich zu ihm zurückverlaufen. Wo, wann, wie, was Menschen lernen, ist in unserer globalisierten Informationswelt kaum einzugrenzen. Ist es etwa nur das Klassenzimmer? Wird ein Lernort erst durch ein lernmethodisches Arrangement festgelegt oder schon durch die bloße Lehrlernmotivation? Wird er lern- oder lehrseitig bestimmt? „Der Lernort hat Auswirkungen darauf, was man lernt und wie die Kenntnisse und Fähigkeiten später eingesetzt werden“, konstatiert das Konsortium Bildungsberichterstattung (2014, 61). Unsere digital-virtuelle Omnipräsenz umgreift im Internet ziel- und mehrsprachliche Rezeptivität und ermöglicht zugleich in neuer Weise Produktivität. Für die fremdsprachendidaktische Reflexion ist die Unterscheidung zwischen Lernen und Erwerben aufschlussreich (Königs 1992). In enger Verbindung hierzu stehen die Kategorien des inzidentellen und des intentionalen Lernens. Lernen ist entweder außengesteuert - Unterricht als gesellschaftlicher Auftrag - oder selbstbestimmt durch das lernende Individuum. Solches Lernen verlangt Sprachlernkompetenz: «prendre en charge son propre apprentissage» (Holec 1979, 3). Folgt man den Aussagen der Europäischen Kommission (1996) zur kognitiven Gesellschaft, so modifiziert dies den Auftrag an den Fremdsprachenunterricht: zum lebensbegleitenden Lernen befähigen in einer vielsprachigen Welt. Nicht nur der Erwerb einer konkreten Zielsprache X ist Auftrag der auf das Leben vorbereitenden Schule, sondern auch und gerade der Erwerb von „Sprachlernkompetenz“. <?page no="164"?> Franz-Joseph Meißner 164 1 „Relevanz von Lernorten? “ - Eine vielschichtige Frage Ein Lernort ist in dem Maße relevant, wie er Lernwirksamkeit unterstützt. Die „Einzelgängerhypothese“ (Riemer 1997) impliziert, dass es ‚den‘ für alle Lerner schlechthin idealen Lernort nicht geben kann. Aber natürlich lassen sich Merkmalsbündel zur Lernwirksamkeit von Orten aufzählen: Lernorte müssen den pädagogischen Passungen der lernenden Individuen entsprechen. Die Statistik liefert eindeutige Aussagen zu den Kriterien, die auf die Qualität von Lernorten durchwirken. 1 Das Relevanteste betrifft den Erwerb von Ressourcen für Mehrsprachigkeit und ist nach der einschlägigen quantitativen Attitüdenforschung die Selbsteinschätzung (auto-évaluation) mit 15,8% der Varianz etwa in der NUT Gießen/ Limburg-Weilburg; das zweitrelevanteste Kriterium das genutzte schulische Fremdbzw. Mehrsprachenangebot (Belegungen in der Obligatorik oder im Wahlbereich) mit 13,9% Varianzanteil in Berlin; ein positives Sprachlernerlebnis bringt es auf 7,2% der Varianz; schließlich ist in den Jahrgangsstufen 5 und 9 das Geschlecht mit 3% der Varianz relevant (MES-Studie 2008, 151 ff.). Die Stichprobe der MES-Studie zeigt nur einen Ausschnitt der Lernorte. Immerhin benennt sie einige Problembereiche, die zu folgenden Forschungsfragen führen (müssten 2 • Sind die Sprachenfolgen im Sinne der Grundlegung einer diversifizierten (europäischen) Mehrsprachigkeit ‚optimal‘? ), die in einem grundlegenden und einander überschneidenden Verhältnis zur Qualität von Lernorten stehen: • Welche Rolle spielen die Selbstwirksamkeit im Fremdsprachenunterricht und die motivationale Interferenz zwischen unterschiedlichen Sprachen (vgl. Raupach 2006), also das Herüberschwappen von Lernerlebnissen z.B. mit Englischunterricht auf Französisch- oder Spanischunterricht? • Wie lässt sich das Sprachenbzw. Sprachlernerlebnis verbessern? • Ist das relative Versagen der Jungen im Fremdsprachenunterricht (vor allem neben Englisch) Folge einer adressatenvergessenen Passung (Bonin 2009)? 1 Die europäische MES-Studie ist für die besagten statistischen Regionen (NUTS) repräsentativ. 2 Ich formuliere im Konjunktiv, da die mangelnde Diversifizierung des realen Schulsprachenangebots und der Sprachenfolge breite empirische Untersuchungen wenn überhaupt nur eingeschränkt ermöglicht. <?page no="165"?> Lernorte müssen auch Lernorte für Sprachlernkompetenz werden 165 Soweit vor allem zum Fremdsprachen-Lernort Schule. Auch die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts hat ihre „Sattelzeiten“ (welche Epochen voneinander trennen; zum Begriff: Koselleck 1979, I/ XV). Eine solche leitet spätestens die im 19. Jh. anhebende Demokratisierung der Schule ein, d.i. auch die Begegnung mit Fremdsprachenunterricht in Gymnasien, Realgymnasien und Realschulen im Rahmen einer stetig wachsenden Bildungsteilhabe. Das Lehren in großen Klassen verband sich mit einer Tendenz zur Reduzierung „kommunikativer Lernziele“ bzw. zielsprachlicher Mündlichkeit (vgl. Christ & Rang 1985, I/ 44ff). Sie wurde erst durch die Entwicklung einer kommunikativen Fremdsprachendidaktik überwunden (vgl. Hüllen 2005)? „Ja, aber im Grunde nie ganz“, weil die relative Unkenntnis der linguistischen und psycholinguistischen Dimensionen einer tieferen Erfassung dessen, was eigentlich mündliche Kommunikation(sfähigkeit) in einer Fremdsprache ausmacht, den Weg verstellte (vgl. Meißner 2014). Konnte dann die Passung glücken? Die GER-Deskriptoren und die Orientierung setzende Unterscheidung von harten und weichen Kompetenzen haben die Fremdsprachendidaktik weitergeführt 3 3 Vgl. das REPA-Kompetenzmodell in Meißner (2013). , indem sie in der Breite zu einem differenzierteren Verstehen von Spracherwerbsprozessen und Sprachkompetenzen beitrugen. Das hat mit Lernorten zu tun, denn kommunikative Situationen sind potentielle Spracherwerbsorte. Solche Situationen (Orte) lassen sich über die GER-Deskriptoren für interkulturelle Kommunikation lozieren. Und anders als noch vor wenigen Jahren sind sie inzwischen überall: Vielsprachigkeit des Internets und des digitalen Fernsehens, Sprachenlernen auf Gegenseitigkeit zwischen Personen unterschiedlicher Sprachen, mehrsprachliche Lebenspraxis, regelmäßige und häufige Begegnungen mit dem Englischen rezeptiv und produktiv (was allerdings für die Bewältigung von Kommunikation in einer vielsprachigen Welt und für die Beförderung interkultureller Kompetenz für sich genommen nicht genügt). Auch die intentionalen Lernorte erfassen große Teile der Jugendlichen und Erwachsenen: früh einsetzender Fremdsprachenunterricht, Fremdsprachen in den Sekundarstufen, in der beruflichen und allgemeinen Erwachsenbildung, auf Sprachreisen und nicht zuletzt in einer mehrsprachlichen Lebenswelt. Doch notabene: Die Forschungen zum Nutzen sog. reflexiven Lernens in solchen Kontexten haben gezeigt, dass die Perspektivierung auf den ‚Spracherwerb‘ selbst als eine Strategie zur Beförderung des autonomen Lernens unzureichend bleibt, solange das Lernen des Lernens von Sprachen vergessen wird. Die Konstruktion von Lernorten muss hier nachbessern. <?page no="166"?> Franz-Joseph Meißner 166 2 Fitmachen für das Sprachenlernen in einer vielsprachigen und globalisierten Welt mit Hilfe lernwirksamer Lernorte Aber vermittelt der Unterricht jenes Maß an Sprachlernkompetenz, das die Ausschöpfung heutiger Lernpotentiale erlaubt? Die offene Frage zeigt, wie sehr eine breite empirische Innovationsforschung vonnöten ist. Sie muss sowohl longitudinale als auch mehrsprachigkeitsdidaktische Aspekte und solche der Umsetzung innerhalb großer Systeme wie etwa dem öffentlichen Schulwesen umfassen: Inwieweit gelingt die notwendige Verzahnung unterschiedlicher Lernkontexte und Sprachen? Für den Wechsel von der Primarzur Sekundarstufe wurde dies zumindest für den Englisch- und Französischunterricht unter dem Etikett der „Übergangsproblematik“ diskutiert. Doch wie steht es um das Ineinandergreifen von sekundarstuflichen, außerschulischen und tertiärstuflichen Lernerfahrungen? Wie mit den Vorbildern für reflexives Fremdsprachenlernen, zu dem der Unterricht befähigen sollte? Statistische Erhebungen zu den einschlägigen schulischen Erfahrungen studentischer Lerner lassen eher skeptisch, wie noch zu zeigen sein wird; ein Eindruck, der in zahlreichen Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern fremder Sprachen erhärtet wurde. Wo und wie valide kontrolliert (misst) die Bundesrepublik, ob, wo und wie weit Innovationen greifen? Antworten auf diese Fragen haben z.T. erhebliche Relevanz für das Thema Lernorte und Sprachlernkompetenz. Reduziert werden muss ein lehrseitig zu häufig feststellbarer Mangel an Sensibilität gegenüber dem individuellen Lernen: lernseitige Lernhypothesen, Lerneinstellungen, Lernprozesse und Selbstwirksamkeitserfahrungen. Last but not least bleiben motivationale Interferenzen in der Praxis oft unerkannt (und ungenutzt). Ein wesentliches Novum heutiger Arrangements guten Sprachenlernens entfließt der Möglichkeit, die Zielsprache und zielsprachliche Kommunikation multimedial und interpersonal an Augen und Ohren der Lerner zu bringen und entsprechende teilkompetenzbezogene Erwerbsprozesse zu initiieren. Das Lernen auf Gegenseitigkeit bzw. kollaborative Lernarrangements, blended learning-Architekturen bewirken ein Weiteres. Während im vergangenen Jahrzehnt schon der rezeptive ‚Konsum‘ zielsprachlicher Fernsehprogramme und das Internet erhebliche Vorteile für das Lernen bewirken konnten, erlauben Web 2.0-Strukturen bekanntlich auch die Produktion von Zielsprache, einschließlich der entsprechenden personalen interkulturellen Interaktion. Mögliche gute Beispiele sind zahlreich. In der Romania zeigt etwa die Geschichte von GALANET - einem weltweit operierenden Netzwerk zur romanischen Interkomprehension - die weitere Entwicklung (Degache 2003): Während die inzwischen nicht mehr dem letzten Stand <?page no="167"?> Lernorte müssen auch Lernorte für Sprachlernkompetenz werden 167 entsprechende Technik noch auf Chat-Kommunikation zwischen den Teilnehmern unterschiedlicher Sprachen setzen musste, wird eine neue Version absehbar Techniken wie Skype einsetzen - so dass Hörsehverstehen (Mimik, face work, Gestik) und Sprechen, Lesen und Schreiben, interkulturelle Interaktion, Sprachmittlung - alles im Rahmen lernerseitig definierter Projekte - in den Lernort genommen werden. Offensichtlich bringt das so generierte plurikulturelle Sprach- und Kommunikationserlebnis eine gänzlich andere Qualität als überkommenes Sprachenlernen mit sich. Die Gießener Dissertation von Tanja Prokopowicz (2015) zeigt allerdings, dass solches Lernen - in dem native Sprecher und interkulturelle Kommunikation nicht mehr als orientierungsgebende Fiktion, sondern in situ auftreten - den Lernern Eigenschaften abverlangt, die der traditionelle Unterricht allenfalls inzidentell vermittelt 4 : interkulturelles Rollenbewusstsein, eine realistische Einschätzung von Mehrsprachigkeit einschließlich der eigenen, interkulturelle Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit, interkulturelle Empathie, Bereitschaft, das vertraute Terrain eigenkultureller Kommunikationsschienen ein stückweit zu verlassen usw. Schulischer Unterricht muss auf solches offenes Lernen vorbereiten. 3 Auch Forschungszugänge können Holzwege sein Auch die Fremdsprachendidaktik hat ihre „Plastikwörter“ (Pörksen 2000), denn in großen Systemen wie dem Unterrichtswesen bedarf es zur Steuerung packender Fachbegriffe - z.B. in den Lehrplänen. Die Geschichte der didaktischen Großbegriffe ist auch immer eine der Miss- oder Unverständnisse: interkulturelles Lernen (oft gleichgesetzt mit landeskundlicher Wissensaneignung.), Lernerautonomie und kreativ (oft nur Leerformeln in Unterrichtsentwürfen), kommunikative Kompetenz (ohne thematisch-situativpragmatische Spezifikation) und auch Kompetenzorientierung (reduziert zu teaching to the test). Gleiches gilt für das ‚Zauberwort‘ Strategien. Sie bleiben lettres mortes, wenn nicht das notwendige know how hinzukommt, Strategien in greifende Passungen umzusetzen. Viel wurde in der Fremdsprachendidaktik der letzten Jahre zu Recht über Metakognition geschrieben; m.E. ein wenig aus dem Blick verloren wurde indes, was man konkret wie, mit welchen vor allem digitalen Hilfsmitteln lernen kann und wie man sie zielführend nutzt. Es muss zu denken geben, dass über 1.000 Studierende unterschiedlicher Fächer angaben, nie im schulischen Unterricht einen Test über die Benutzung von Wörterbüchern (oder gar Konkordanzern) geschrieben zu haben - bei Tausenden von Englisch-, Französisch-, Russisch- und 4 Dies meint nicht, dass jeglicher Fremdsprachenunterricht ‚traditionell‘ wäre. <?page no="168"?> Franz-Joseph Meißner 168 Spanischstunden (Meißner/ Schröder-Sura 2009; Beckmann 2015). Es herrscht eine verbreitete Wörterbuch-illiteracy (vgl. Zöfgen 2010). Beklagenswerterweise treten solche Lernmittel zu selten in das Gesichtsfeld der praxisnahen Zeitschriften und der Handbücher des Fremdsprachenunterrichts. - Offensichtlich kommt es darauf an, das Thema Metakognition stärker mit Fragen von (Inhalten und) Techniken zur Umsetzung von Strategien zu verknüpfen. Nur dann können effiziente Lernorte im Sinne eines „rich language learning environment“ entstehen. Letztlich verleiht die lernerseitige Lernkompetenz einem Lernort oder einem Hilfsmittel die Lernqualität. Zu den Holzwegen gehören auch Forschungen - etwa aus dem Feld der Subjektiven Theorien/ Lernerfahrungen -, die schlechte Praxis und die sie scheinlegitimierenden Vorurteile empirisch bestätigen, um es hierbei zu belassen. Beispiele liefern Studien zum Zusammenhang von Mehrsprachigkeit und Interferenz. Es kommt heraus, was herauskommen musste: ein Mehr an Fremdsprachlichkeit geht mit einem Mehr an Interferenzrisiken einher. Man kann aus solchen lapidaren Aussagen herauslesen, was man will: „Erlerne besser keine weitere Fremdsprache, denn dies könnte ja deine vorhandene Performanz in Fremdsprache X beeinträchtigen.“ Auch die andere Lesart ist möglich: „Sensibilisiere Dich für Ähnlichkeiten und Unterschiede in ‚Deinen‘ Sprachen. Erkenne die Instabilität deiner eigenen Lernersprache und greife regelmäßig auf Kontrollprozeduren zurück.“ Das Risiko solcher Holzwege wird minimiert, wenn die Forschungen von beobachteten Sprachverarbeitungsdaten ausgehen und das offensichtliche Verhalten im Umgang mit sprachlichen Daten analysieren (z.B. Müllich 1990). Auch quantitative Studien sind aufschlussreich: Do you speak Swiss bestätigt, die Englischkenntnisse von mehrsprachigen Schweizern sind im Schnitt besser als die von Landsleuten mit ‚nur‘ Englisch (Haas 2010). 4 Grundlegende Kriterien für die Qualität von Lernorten Ein die Rahmenbedingungen von Lernen fremder Sprachen setzender, dennoch orientierender Gemeinplatz: Die meisten unserer Sprachen sind für sich genommen für die internationale Kommunikation, die im individuellen Sprachenhaushalt der Menschen generell an Breite gewinnt, zu eng. Nie zuvor haben daher so viele Menschen operable Englischkenntnisse und Kenntnisse in so vielen Sprachen benötigt, und nie zuvor wurden so viele Fremdsprachen von so vielen Menschen erlernt und gepflegt. Immer mehr wird man daher mit einer so oder so diversifizierten Mehrsprachigkeit umgehen und sich darauf einlassen müssen, auch nach der Schulzeit neue Sprachen hinzuzulernen. Deshalb kommt - wie dieses Papier betont - der <?page no="169"?> Lernorte müssen auch Lernorte für Sprachlernkompetenz werden 169 „Sprachlernkompetenz“ (KMK 2012) großes Gewicht zu. Denn sie ist maßgeblich für die Qualität des lebensbegleitenden Umgangs mit Sprachen und die Ausbeute von Lernorten. Die Entwicklungen stellen die fremdsprachendidaktische Forschung vor neue Herausforderungen, denen sie vor allem auf dem Feld von Qualitätsentwicklung begegnen muss. Es gibt zu denken, dass die (von der einschlägigen Forschung unterstützte) Stiftung Warentest (2001; 2007) den großen Anbietern von Fremdsprachenkursen nur mittlere Noten (gut minus und vor allem schlechter) gab. Das Kontrollverfahren sah u.a. eine monatelange under cover-Hospitationsphase realen Unterrichts vor. Aus Fehlern kann man lernen: Zu verweisen ist daher auf die Mängelbeschreibungen von Fremdsprachenunterricht und Sprachlernangeboten. Im Kern betroffen sind im weiten Sinne: weitgehend fehlendes reflexives Lehren und Lernen, unzureichende pädagogische und psycholinguistische Passung, fehlende Sprachen- und Sprachlernbewusstheit (auch in der Lehrperspektive), ein ‚naiver‘ weil Volitionalität und Attitüden aussparender Sprachlernbegriff, fehlende Einsicht in das Wesen und den Aufbau von funktionalen und interkulturellen Kompetenzen. Lehrseitig muss generell mehr getan werden, Lerner zu befähigen, die Medien für das Lernen zu nutzen. Medien- Literacy betrifft die beeindruckende Vielfalt heutiger Lernangebote und Hilfsmittel. Mit den Lernorten ist es so wie mit den Hilfsmitteln - Wörterbüchern, Konsultationsgrammatiken usw. - überhaupt: Erst die Kompetenz, das Informationspotential dieser Medien auszuschöpfen, bringt ihre Lernwirksamkeit zur Entfaltung. Literatur Beckmann, Christine (2015): Lernziele und Lehrziele in der Sicht von Schülern der Sekundarstufe II und Studierenden. Eine quantitative Analyse zur Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr (im Druck). Bonin, Jan (2009): „Jungenförderung im Französischunterricht? “ In: französisch heute 40, 15-24. Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Riemer, Claudia (Hrsg.) (2014): Perspektiven der Mündlichkeit. Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. Brunner, Otto/ Conze, Werner/ Koselleck, Reinhart (Hrsg.) (1979): Geschichtliche Grundbegriffe 1. Stuttgart: Klett Cotta. 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Außerschulische Lernorte bieten Möglichkeiten, „den Klassenraum zu verlassen und anderswo [zu] lernen“ (Gehring 2010, 7), z.B. im Rahmen von Exkursionen, Besuchen in Kinos, Theatern, Museen und Bibliotheken, Sprachcamps, Auslandsaufenthalten und Praktika (vgl. auch verschiedene Beiträge in diesem Band) - aber auch durch Nutzung von (digitalen) Medien. Welche Potenziale für das Fremdsprachenlernen damit verbunden sind (sprachliche, interkulturelle, motivationale), welche Schwächen des institutionellen Fremdsprachenunterrichts damit adressiert werden können (z.B. Motivierung zum Sprachenlernen durch Realitäts- und Lebensweltorientierung, stärkerer Anwendungsbezug) und welche Formen der didaktischen Aufbereitung und Einbindung sinnvoll sind, wird intensiv v.a. im Rahmen der Englischdidaktik diskutiert (vgl. die Beiträge in Gehring/ Stinshoff 2010; Rymarczyk 2013 und in den Themenheften von Praxis Fremdsprachenunterricht 2010; Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 2013). Auch im internationalen Kontext wird über Möglichkeiten und Grenzen der Ergänzung des institutionellen Fremdsprachenlernens durch Aktivitäten an weiteren Lernorten diskutiert (z.B. durch extensives Lesen, Mediennutzung inkl. TV, digitale Medien inkl. Social Media, außerunterrichtliche Projekte und Gespräche mit Muttersprachlern; vgl. die Beiträge in Nunan/ Richards 2015). Das Thema ist groß zu denken. Das Lernen von Fremdsprachen ist zunehmend dadurch geprägt, dass es nicht ausschließlich innerhalb von Unterrichtsprozessen angestoßen und „gesteuert“ wird, sondern dass (potenzielle) Lerngelegenheiten innerhalb und außerhalb des Unterrichts miteinander interagieren und sich bestenfalls gegenseitig ergänzen und unterstützen, wenn sie aufeinander abgestimmt sind. Lerngelegenheiten finden sich an ganz unterschiedlichen Orten, im Rahmen formaler, nonformaler und informeller Bildungsprozesse. Während in der Fremdsprachendidaktik zunächst v.a. Formen formaler Bildung innerhalb des schulischen Bildungs- <?page no="173"?> Lernorte und Fremd-/ Zweitsprachenlernen - alles vernetzt und entgrenzt? 173 systems mit Anknüpfungspunkten zu nonformaler Bildung im Rahmen didaktisch angebundener außerschulischer Programme (z.B. Austauschprogramme, begleitete Spracherkundungen) diskutiert wurden, werden mehr und mehr auch Formen informeller Bildung berücksichtigt, die in der unmittelbaren Umgebung der Lernenden situiert sind (z.B. Familie, Social Media, Kontakt mit Muttersprachlern). Lernende finden in der globalisierten und technisierten Welt immer mehr informelle Möglichkeiten vor, auch außerhalb des Fremdsprachenunterrichts die Zielsprache in ihrem Lebensumfeld anzutreffen und anzuwenden - und das auch in Ländern, die geografisch weit entfernt vom Zielsprachenland sind, in denen die Zielsprache aber irgendwie vorhanden ist, immer nur ein paar Klicks entfernt. Allein die Kontaktzeit mit der Fremdsprache erhöht sich dadurch - in je nach Sprache unterschiedlichem Ausmaß! - ganz erheblich. Und diese Kontaktzeit wird in einem (quasi-)authentischen sprachlichen Umfeld verbracht, in dem bestenfalls bewusst und inzidentell erworbenes Sprachwissen unmittelbar in authentischen Handlungssituationen zur Anwendung gelangt, was den Spracherwerb durch Wiederholungs- und Automatisierungsprozesse nachhaltig unterstützen und festigen kann. Umgekehrt kann inzidentell Erworbenes zum Reflexions- und damit bewussten Lerngegenstand im Unterricht werden - im Rahmen lernerseitiger mentaler Prozesse und/ oder durch explizite, durch die Lehrkraft oder den Lernenden selbst initiierte interaktive Aushandlungsprozesse. Um diese optimistischen Aussagen zu prüfen und auch die Frage zu beantworten, welche Lernorte für das Lernen von Fremdsprachen für relevant gehalten werden, könnte man zunächst kritisch fragen, ob es irgendwann und irgendwo überhaupt Fremdsprachenlernen gab bzw. gibt, das ausschließlich durch den Unterricht „gesteuert“ wurde. Lernen fand nie nur ausschließlich während der begrenzten Unterrichtszeit im Klassenzimmer statt. Aber sicherlich spielt(e) der aktive Einbezug außerschulischer Lernorte, sowohl durch Lehrende als auch durch die Lernenden selbst, nicht überall eine große Rolle. Hierzu würde einem z.B. der Lateinunterricht einfallen oder der DaF-Unterricht in einer Region, in der es meilenweit keinen Muttersprachler und auch ansonsten keine Repräsentanz der deutschen Sprache gibt. Auch ist (noch) nicht überall das Internet mit den entsprechenden Sprachkontaktpotenzialen verfügbar bzw. nicht alle Lernenden verfügen über die notwendigen finanziellen Mittel für deren barrierefreie Nutzung. Ich erinnere mich aber auch an die ersten Jahre meines eigenen schulischen Fremdsprachenunterrichts, in denen ich nie den Eindruck vermittelt bekam, dass auch außerhalb des Unterrichts etwas Sinnvolles gelernt werden könnte. Außerhalb der Unterrichtszeit gehörten nahezu ausschließlich durch <?page no="174"?> Claudia Riemer 174 Lehrende festgelegte Hausaufgaben zu meinem Lernstoff (zur aktuellen Diskussion zum Lernort Hausaufgaben vgl. Würffel in diesem Band), eine unmotiviert vermittelte und nie zum Unterrichtsgegenstand werdende Brieffreundschaft schlief schnell wieder ein. Erst in höheren Klassen gab es dann kurze Episoden von Schüleraustausch, die die Fremdsprache in der Lebensrealität erlebbar machten. Dass meine damaligen Lehrkräfte versuchten, innerschulische und außerschulische Lernorte didaktisch miteinander zu verbinden, habe ich nicht wahrgenommen. Diese Beispiele betreffen die (fehlende) Initiative von Fremdsprachenlehrenden, außerschulische Lernorte ihren Lernenden nahezubringen und in den Unterricht einzubinden. Denkbar ist aber auch das selbstinitiierte Suchen und Aufsuchen solcher Lernorte durch die Lernenden selbst, ohne dass sie hierzu aufgefordert werden müssten: So ist nicht auszuschließen, dass Lernende so motiviert sind, dass sie ihre gelernten Sprachkompetenzen im Rahmen selbst geschaffener Lernorte zur Anwendung bringen und erweitern, auch wenn ihre Lernsituation oder ihre Lehrkräfte dies nicht gezielt unterstützen. Dies könnte z.B. innerhalb von aufwändig hergestellter Gesprächssituationen (um an die oben genannten Beispiele Latein- und DaF- Unterricht anzuknüpfen: im Gespräch mit einem gelehrten katholischen Priester oder mit einem plötzlich auftauchenden deutschen Touristen) oder durch die Rezeption von Medien in der Zielsprache geschehen, bei vorhandenem Internetzugang v.a. mittels digitaler Medien. Solche Aktivitäten setzen aber hohe Motivation, Engagement und die Bereitschaft voraus, „getting out of my ‚comfort zone‘ and pushing myself into situations in which I had to use it, well before I felt ready to do so“ (Stanley 2015, 244). 2 Wann ist ein Ort ein Lernort? Als potenziell relevant für das Lernen von Fremdsprachen können folglich alle Lernorte gelten, die neben dem Klassenunterricht weitere Lernmöglichkeiten innerhalb, aber insbesondere außerhalb des schulischen (oder eines anderen institutionellen) Kontexts anbieten. Solche Lernorte können gezielt zum Lernen der Sprache bzw. Anwenden und Hinterfragen bzw. Erweitern des bereits Gelernten aufgesucht werden. Dies kann der Besuch eines Theaters oder Kinos mit Veranstaltungen in der Zielsprache sein, Besuch von mehrsprachigen Umgebungen und Begegnungsstätten, aber auch Großformate wie Auslandsaufenthalt, Auslandssemester oder Praktikum. Lernorte werden nicht allein durch räumlich-geografische Parameter bestimmt, sondern zeichnen sich v.a. durch soziale Parameter aus, indem sie Sprachenlernen durch Kontakte mit „wichtigen Personen“, die die Zielsprache beherr- <?page no="175"?> Lernorte und Fremd-/ Zweitsprachenlernen - alles vernetzt und entgrenzt? 175 schen (z.B. Freunde, Familie, Vereinskollegen), motivieren und ermöglichen. Es kann aber auch um Orte gehen, die aus ganz anderen Gründen aufgesucht werden, an denen eher ungeplant Kontakt mit der Zielsprache entsteht und eher implizit Lernprozesse ausgelöst werden. Das Sprachenlernen findet dann beiläufig statt - oder eben auch nicht. Orte, Begegnungen, Aktivitäten werden so zu Lernorten, ohne dass jemand dies geplant hätte. Es kann folglich differenziert werden zwischen Lernorten, die mit Lerngelegenheiten verbunden sind und die Lernende tatsächlich nutzen, und Lernorten, die ungeplant zu Lernorten werden, weil Lernende sie zu nutzen verstehen. Orte, zusammenfassend als räumlich-zeitlich-sozial bestimmbare Einheiten verstanden, sind also potenziell auch Lernorte, wenn sie Lerngelegenheiten gezielt anbieten oder zumindest indirekt ermöglichen. Welchen Kriterien solche Orte hierfür entsprechen müssten, wäre eine gesondert zu beantwortende Frage. Grau und Legutke (2013) schlagen Parameter wie Themenpassung, Vertrautheit/ Zugänglichkeit, Zeiterfordernisse und Erreichbarkeit vor (vgl. auch Legutke in diesem Band). Orte können sich aus der Perspektive von Lernenden unmittelbar oder eher zufällig als Lernorte anbieten. Auch wenn es trivial ist, soll es doch ausgesprochen werden: Orte werden erst dann zu Orten des Lernens, wenn nicht nur Lerngelegenheiten vorhanden sind, sondern Lernende diese Lernangebote auch wahrnehmen und Lernaktivitäten stattfinden - wenn Lernorte also mit inneren Lernprozessen korrespondieren (vgl. Martinez in diesem Band). Auch der schulische Fremdsprachenunterricht wird erst dann Lernort, wenn an ihm auch tatsächlich gelernt wird, sonst wäre er erst einmal nur Lehrort - und dies gilt für alle Orte, die irgendetwas mit der Zielsprache zu tun haben. 3 Didaktisch-methodische Herausforderungen von außerschulischen, vernetzten und entgrenzten Lernorten - auch für die Zweitsprachenerwerbsforschung Die Berücksichtigung außerschulischer Lernorte wird als Qualitätsmerkmal des Fremdsprachenunterrichts dann besonders hervorgehoben, wenn sie in vorhandene Lernkonzepte didaktisch eingebunden sind, also z.B. auch im Unterricht vor- und nachbereitet werden, bestenfalls fester Bestandteil der Curricula sind. Zusammenfassend und sicherlich stark verkürzt: Außerschulische Lernorte werden in den innerschulischen Lernort hineingeholt. Das, was an außerschulischen Lernorten gelernt wird (bzw. gelernt werden soll), kann zumindest teilweise lehrseitig geplant und gesteuert werden. Und da- <?page no="176"?> Claudia Riemer 176 mit dient das, was dort gelernt wird, der Stärkung des Fremdsprachenunterrichts: Er wird durch zielsprachliche, idealerweise authentische Handlungsfelder außerhalb des Unterrichts ergänzt und bereichert, was Motivation und Sprachanwendung gleichermaßen befördert - und beides ist bekanntermaßen für den Sprachlernerfolg maßgeblich wichtig. Wie unterschiedliche Lernorte didaktisch begleitet werden können, z.B. durch Entwicklung und Bereitstellung geeigneter Aufgaben, Hilfestellungen, Instrumente und Arbeitsformate sowie durch Vor- und Nachbereitung im Klassenzimmer, damit sie ihr Lernpotenzial auch tatsächlich entfalten, ist Thema der aktuellen Fremdsprachendidaktik. Konsens ist, dass inner- und außerunterrichtliche Lernorte gezielt integriert werden müssen. Grau und Legutke (2013) argumentieren für „vernetzte Lernorte“. Ziel dabei ist die didaktisch begründete Kombination des Klassenzimmerunterrichts, „der Kernzone des Lernens“ (ebda, 2), mit anderen Lernorten im Rahmen eines Gesamtkonzepts. Dieser Ansatz geht deutlich über ein Verständnis außerschulischer Lernangebote als bloßer Ergänzung und Bereicherung des Unterrichts hinaus und greift den Gedanken umfassend auf, dass Lernmöglichkeiten in der Lebensrealität des Lernenden permanent zur Verfügung stehen und daher stets mitgedacht werden sollten. Die Autoren betonen, dass sich die Verbindungen der Lernorte aber nicht automatisch ergeben, sondern explizit durch den Unterricht hergestellt werden müssen (vgl. hierzu auch Grau/ Legutke 2015). Die Ausgestaltung eines solchen „vernetzten“ Lernangebots und die Sicherstellung von dessen Lernwirksamkeit halte ich für eine der größten methodischen und didaktischen Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht. Was „draußen“ passiert, was dort gelernt bzw. nicht gelernt wird, kann nur zum Teil antizipiert, geplant und beeinflusst werden. Dies betrifft insbesondere das zielsprachliche Material, den Input, den Lernende an den unterschiedlichen Lernorten vorfinden werden, sowie die interaktiven Bedingungen, die zur Aushandlung bzw. Anwendung dieses Inputs vorhanden sind. Und letztlich geht es dabei immer auch darum, wie explizites und implizites Lernen miteinander interagieren und durch Bewusstmachung aufeinander bezogen werden können - was im Übrigen auch eine noch nicht hinreichend aus psycholinguistischer Perspektive beantwortbare Frage darstellt. In den oben erwähnten Ansätzen, bei denen es v.a. um das Lernen von Fremdsprachen in einem bestimmten Lebensabschnitt (Schulzeit) geht, bleibt der Unterricht der Kern-Lernort (vgl. auch Burwitz-Melzer in diesem Band). Heute werden Fremdsprachen aber immer mehr nicht nur während der Schulzeit gelernt, sondern berufsvorbereitend, berufsbegleitend, migrationsbedingt etc. - und dies nicht nur einmal im Leben, sondern wiederholt <?page no="177"?> Lernorte und Fremd-/ Zweitsprachenlernen - alles vernetzt und entgrenzt? 177 und in spezifischen Lebensabschnitten verstärkt, an unterschiedlichen Lernorten mit und ohne Instruktion unterschiedlicher Form. Mit Blick auf das lebenslange Lernen und auch unter Berücksichtigung des Lernens von Zweitsprachen mit und ohne unterrichtliche Unterstützung sehe ich noch deutlich größere Herausforderungen, die sich aus der Forderung nach Vernetzung unterschiedlicher Lernorte ergeben. Die Frage, wie der Fremd- und Zweitsprachenunterricht mit der Tatsache umgehen soll, dass Sprachlernprozesse an vielen Orten gleichzeitig und nacheinander stattfinden und also Sprachkompetenz nicht vorrangig auf der Basis unterrichtlich steuerbarer Quellen und zumindest teilweise steuerbarer Lernprozesse entsteht, ist noch kaum systematisch bearbeitet worden - weder von der Forschung noch von der Praxis. In der Welt des Sprachenlernens sind Entwicklungen auf dem Weg, die sich dadurch charakterisieren lassen, dass sich Lernorte immer mehr entgrenzen, in sowohl räumlicher als auch zeitlicher Perspektive. Blended Learning und Tandem-Kurse waren nur Vorreiter; heute fügen sich unterschiedlichste Lernorte in im Extremfall individuellen Konstellationen zusammen, die von der Nutzung unterrichtlicher Lernangebote über die Nutzung zielsprachlicher Kontaktformate in der (un-)mittelbaren Lebensumwelt bis zu digitalen Kommunikationsformaten reichen. Überall und mit ganz unterschiedlichen Instrumenten kann (potenziell) Sprache gelernt werden - und nicht immer verfügen Lernende über hinreichende Selbststeuerung, Sprachbewusstheit und Medienkompetenz, die für eine erfolgsversprechende Nutzung all dieser Lernorte notwendig wären. Eine Vernetzung würde verlangen, diese entgrenzten Lernorte wieder in einen begrenzten Raum, in eine vermeintliche Zone der Steuerung und Orientierung der Lernenden, zurückzubringen. Dies lässt sich möglicherweise unterrichtsorganisatorisch und lernstrategisch ansatzweise in den Griff bekommen - aber auch auf der Mikroebene des Lernens sprachlicher Strukturen? Vernetzte Lernorte bedeuten noch nicht, dass das sprachliche Wissen und Können, das an diesen Lernorten erworben wird, sich so vernetzt, dass der Spracherwerb dadurch insgesamt befördert wird. Spätestens hier wird deutlich, dass das Hantieren mit Begrifflichkeiten wie „gesteuertes“ oder „ungesteuertes“ Lernen, die nie wirklich gepasst haben, hier endgültig obsolet wird. Lernen speist sich aus unterschiedlichen Quellen und unterschiedlichen Impulsen, unterliegt nur eingeschränkt durch didaktische Interventionen beeinflussbaren psycholinguistischen Prozessen. Und diese Lernprozesse, auch dieser Hinweis sei gestattet, sind immer auch durch je individuelle Lernermerkmale beeinflusst und führen zu unterschiedlichem Lernerfolg. Im und durch Unterricht vernetzte Lernorte zu schaffen bzw., vorsichtiger formuliert, Vernetzungen anzustreben, ist dort eine ganz besondere Herausforderung, wo nicht mehr das Klassenzimmer die „Kernzone des <?page no="178"?> Claudia Riemer 178 Lernens“ (s.o.) darstellt, sondern sich verschiedene entgrenzte Lernorte ineinander schieben und der Unterricht eher eine Ergänzung, eine Randzone, darstellt: im Kontext des Zweitsprachenlernens im Zielsprachenland. Dies möchte ich für den Zweitsprachenerwerb im Kontext von Migration am Beispiel DaZ in Deutschland verdeutlichen. Konsequenz der zunächst verhinderten, später sehr zögerlichen Einwanderungspolitik ist, dass erst seit einem Jahrzehnt systematische (aber immer noch sehr lückenhafte und in keiner Weise ausreichende) Strukturen der Sprachförderung DaZ für erwachsene Migranten im Rahmen des Integrationskurssystems entwickelt wurden. Gelernt wird DaZ in solchen Fällen sowohl explizit als auch inzidentell, im Unterricht, an anderen nonformalen Lernorten und stets in der Lebensrealität, die umfassend als informeller Lernort zur Verfügung steht. Sprache könnte stets quasi „auf der Straße“ gelernt werden. Dass aber allein das potenziell verfügbare Angebot nicht automatisch zu erfolgreichem Spracherwerb führt, ist inzwischen offensichtlich. Insbesondere die soziokulturelle Forschung dazu hat ergeben, dass hierfür eine Reihe von Faktoren erklärend herangezogen werden können, darunter z.B. das Ausmaß und die Qualität der Kontakte zu Muttersprachlern. So mangele es Migranten in der Regel nicht an der Motivation, die Zweitsprache zu lernen, sondern an gesellschaftlicher Teilhabe, Chancengerechtigkeit und guten sozioökonomischen Rahmenbedingungen, die die Interaktionsmöglichkeiten reduzieren, so dass Migranten nicht „zur Sprache kommen“ (vgl. exemplarisch Norton 2013; Darvin/ Norton 2015). Lernorte (nicht nur, aber insbesondere) in Zweitsprachenkontexten sind durch Menschen, gesellschaftliche und historische Prozesse gestaltete kommunikative Räume, deren Lernpotenzial davon abhängt, wie sich Lernende darin als handlungs- und gestaltungsfähige Interaktanten wiederfinden. Die Lernwirksamkeit von Lernorten ist also immer auch Reflex gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Und der Lernort Zweitsprachenunterricht (hier: Integrationskurs) kann Defizite anderer Lernorte in der Lebenswelt der Lernenden nur schlecht kompensieren bzw. sieht sich angesichts der potenziell unendlich vielen Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Lernorten schnell mit seinen Grenzen konfrontiert. 4 Zur Erforschung (der Rolle) der Lernorte Bislang gibt es noch relativ wenig empirische Forschung zu den außerschulischen Lernorten, auch wenn in den letzten Jahren einige Einzelstudien zu spezifischen Orten durchgeführt wurden (vgl. exemplarisch die Beiträge in Benson/ Reinders 2011, worin auch Arbeiten zum Zweitsprachenerwerb im Kontext von Migration enthalten sind). In den Studien kommen unterschiedliche, vorrangig qualitative Forschungsansätze zum Einsatz, die u.a. <?page no="179"?> Lernorte und Fremd-/ Zweitsprachenlernen - alles vernetzt und entgrenzt? 179 mit lernbiografischen, ethnografischen, diskurs- und konversationsanalytischen Verfahren arbeiten. Die jeweiligen Untersuchungsgegenstände sind vielfältig; sie betreffen v.a. die besonderen Merkmale von Lernorten und Lerngelegenheiten, ihren Einfluss auf Einstellungen, Motivation und Identitätsbildung sowie ihre generellen Vorzüge für das Sprachenlernen. Der Forschungsbedarf insgesamt ist noch sehr hoch. Für viele außerschulische Lernorte gibt es noch keine oder nur einzelne Untersuchungen, die noch keine Erkenntnisse größerer Reichweite ermöglichen. Die Erforschung der Formen der institutionellen und organisatorischen Vernetzung von Lernorten stellt - soweit ich das überblicken kann - noch ein Desiderat dar. Auch stärker quantitative Aspekte, etwa wie umfangreich überhaupt außerschulische Lernorte explizit an den Fremdsprachenunterricht in den unterschiedlichen Schulfremdsprachen in unterschiedlichen Regionen (Deutschlands, Europas und der Welt) geknüpft werden und in die schulischen Curricula integriert sind, sollten Gegenstand empirischer Forschung werden. Praxisnahe Forschung, z.B. videographische Forschung und Aktionsforschung, könnte sehr aufschlussreiche Erkenntnisse darüber bringen, welche Haltungen, Erwartungen, Handlungsstrategien und Erfahrungen Fremdsprachenlehrkräfte mit außerschulischen Lernorten verbinden. Solche zunächst anwendungsbezogenen Arbeiten könnten Professionswissen zusammentragen und fundieren sowie in die Lehrerbildung eingehen. Sie könnten aber möglicherweise auch Problembereiche aufzeigen, die mit der räumlich-zeitlichen Entgrenzung von Lernmöglichkeiten auf die Lernprozesse verbunden sind. Solche Forschung könnte stärker auf die Mikroperspektive des Lernens zielende Untersuchungen zur Rolle der Lernorte vorbereiten. Denn ein weitgehendes Vakuum besteht bislang bezüglich stärker spracherwerbsbezogener Forschung, die an außerschulischen Lernorten stattfindende Lernprozesse fokussiert, die mit unterrichtlich initiierten Lernprozessen interagieren. Hierzu müssten m.E. zunächst einmal Lernende, die z.B. im Zielsprachenland die (Zweit-)Sprache auch durch Integrationskurse unterstützt lernen, im Rahmen ethnographischer Studien begleitet werden, um zunächst die unterschiedlichen Lernorte genauer in den Blick zu bekommen. Von eher rekonstruktiven Ansätzen, z.B. durch die Erhebung von Lernerbiografien, kann m.E. nicht erwartet werden, dass die Mikroperspektive der Lernprozesse auch nur annäherungsweise fokussiert werden kann. Literatur Benson, Phil/ Reinders, Hayo (Hrsg.) (2011): Beyond the Language Classroom. London: Palgrave Macmillan. <?page no="180"?> Claudia Riemer 180 Burwitz-Melzer, Eva (in diesem Band): „Lernorte in der Ganztagsschule: Unterschiedliche Angebote zur Förderung der interkulturellen kommunikativen Kompetenz“, 19-28. Darvin, Ron/ Norton, Bonny (2015): „Identity and a model of investment in Applied Lingusitics“. In: Annual Review of Applied Linguistics 35, 36-56. Gehring, Wolfgang (2010): „Zur Einleitung: Lernort, Lernstandort, Lernumgebung: Warum ein Fremdsprachenunterricht auch außerhalb des Klassenzimmers ertragreich ist“. In: Gehring/ Stinshoff (Hrsg.), 7-16. Gehring, Wolfgang/ Stinshoff, Elisabeth (Hrsg.) (2010): Außerschulische Lernorte des Fremdsprachenunterrichts. Braunschweig: Diesterweg. Grau, Maike/ Legutke, Michael (2013): „Vernetzte Lernorte. Englisch im Klassenzimmer und in der Lebenswelt lernen“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 123, 2-6. Grau, Maike/ Legutke, Michael (2015): „Linking language learning inside and outside the classroom. Perspectives from teacher education“. In: Nunan/ Richards (Hrsg.), 263-271. Legutke, Michael K. (in diesem Band): „Vernetzte Lernorte“, 127-135. Martinez, Hélène (in diesem Band): „Gute Lernorte brauchen gute Lerner“, 143- 152. Norton, Bonny (2013): Identity and Language Learning. Extending the Conversation. Second Edition. Bristol etc.: Multilingual Matters. Nunan, David/ Richards, Jack C. (Hrsg.) (2015): Language Learning Beyond the Classroom. New York u.a.: Routledge. Rymarczyk, Jutta (Hrsg.) (2013): Foreign Language Learning Outside School. Places to See, Learn and Enjoy. Frankfurt a.M. u.a.: Lang. Stanley, Phiona (2015): „Talking to strangers. Learning Spanish by using it“. In: Nunan/ Richards (Hrsg.), 244-252. Würffel, Nicola (in diesem Band): „Hybride Lernortgestaltung als angemessene Lehr- und Lernform des modernen Fremdsprachenunterrichts? “, 229-238. <?page no="181"?> Von kognitiven Lernorten Jörg Roche Ein Käfig ging einen Vogel suchen. Franz Kafka 1 Einleitung Die Thematisierung von Lernorten im „methodisch-didaktischen“ Kontext legt eine Fokussierung auf (geo-)physikalische Aspekte nahe und demnach eine Betonung von „schulischen“ (manche sagen „eigentlichen“) und „außerschulischen“ (konsequenterweise dann „uneigentlichen“) Lernorten. Daraus lässt sich sodann eine Reihe von Fragestellungen ableiten, wie die nach der Steuerbarkeit außerschulischer Orte und Aktivitäten, nach der Integration außerschulischer Lernorte in die Strukturvermittlung schulischgesteuerten Unterrichts, nach den Übungsfrequenzen und -zyklen, nach der Nutzung von Medien, nach der Prüfbarkeit von Leistungen und vielem mehr. Für die systematische Diskussion der methodischen Planbarkeit ist es dabei hilfreich, wenn man sich an der Unterscheidung von Lernorten und Lernstandorten (Lütge in diesem Band), an der Bestimmung von Distanz und Nähe der Orte (Caspari in diesem Band) oder Dimensionen (Kurtz in diesem Band) orientieren kann. Nicht aus dem Auge verlieren sollte man bei der Thematik, dass die Orte eine relative Funktion haben. Entscheidend für einen effizienten Sprachenunterricht sind im Endeffekt die Faktoren der Kommunikation, mit denen sich die linguistische Pragmatik bevorzugt beschäftigt und die die Authentizität von Sprache und Kommunikation ausmachen. Viele andere methodische Fragen zu Orten relativieren sich damit oder bekommen eine andere Wertigkeit. Entscheidend für authentische Kommunikation (schriftlich oder mündlich) ist immer ein authentischer Kommunikationszweck (‚Redeanlass‘ in der kommunikativen Didaktik), der zwischen Sprecher(n) und Hörer(n)/ Leser(n) ausgehandelt wird. Der Kommunikationsort spielt dabei insofern eine bedeutende Rolle, weil diese Aushandlung auf bestimmte Räume und Orte beschränkt sein kann oder von ihr physisch oder mental beeinflusst ist. Ein großer Hör- oder Theatersaal verlangt so etwa nach einer bestimmten Stimmgewalt und -fokussierung, eine <?page no="182"?> Jörg Roche 182 Amtsstube nach bestimmten Textsorten und Diskursrollen und ein leerer Raum nach viel Imagination. Ein Küchentisch, Museum oder Flughafen führt aber nicht zwangsläufig auch zu einer bestimmten Sprache oder Sprache überhaupt. Aber diese und alle anderen Orte dieser Welt und der Cyberwelt können zu den produktivsten Kommunikations- und damit Lernorten werden. Die handlungs- und aufgabenbasierte Sprachendidaktik hat hierfür sowohl die theoretischen Grundlagen als auch viele praktische Beispiele und Konzepte für die Lehrerbildung geliefert (zusammengetragen u.a. in Roche et al. 2012, in Funk in diesem Band, in verschiedenen Bänden der Frühjahrskonferenz und zuletzt im Bereich der Vermittlung von Berufssprachen und im sprachsensiblen Unterricht sowie in Riedl/ Schelten 2013, Dirschedl et al. 2011 und Riedl 2010). Der vorliegende Beitrag befasst sich mit verschiedenen Aspekten von Lernorten vor dem Hintergrund dieser pragmalinguistischen Grundlage. Damit will er, wie auch Hufeisen, Hallet, Koreik, Rymarczyk und andere in diesem Band, zu einer pragmalinguistischen und kulturaffinen (landeskundlichen) Öffnung der Perspektiven auf Unterricht und Schule beitragen. 2 Zur Verbreitung von Basisdomänen und Bildschemata Orte, Räume und Raum spielen in der onto- und phylogenetischen Sprachentwicklung bekanntlich eine eminent wichtige Rolle, und zwar in Bezug auf physische und soziale Qualitäten. Das kann man zum Beispiel an den vielen Raum-, Distanz- und Richtungsmarkierungen (lexikalischen Einheiten) in Sprachen, an den räumlichen Metaphern beim Ausdruck der Zeit („Weihnachten steht vor der Tür“, „down the road“, „in 10 Minuten“, „vorübergehend“) und an der Bedeutung räumlicher Bildschemata für die Grammatik ablesen („Containment“, „Weg-Ziel“, „Grenzüberschreitung“, „Landmark- Trajector“). Räumliche Basisdomänen und Bildschemata sind dabei bemerkenswert sprachübergreifend, weil die Erfahrung von Räumen und Raum universell ist („oben-unten/ auf-unter“, „vorne-hinten“, „neben“, „weitnah“). Nur die Besetzung der Bildschemata mit den entsprechenden Referenten (Quellendomänen im Sinne von Lakoff/ Johnson 1980) und die Perspektivierung (etwa in Bezug auf Aspekt, Aktionsart oder Modus) variieren häufig zwischen Sprachkulturen (Linguakulturen). „Am Anfang/ Ende eines Monats“ wird daher in einigen asiatischen Sprachen mit der Räumlichkeit von Körperteilen („Anfang“ = oben = „Kopf“; „Ende“ = unten = „Fuß“) assoziiert (Radden 2011) und ob eine Linguakultur räumliche Angaben an der Origo des Sprechers oder von Objekten ausrichtet und für bestimmte Ereignisse eine aktivische oder passivische Modalität wählt oder die Iterativität oder die Einzigartigkeit betont, wird von Sprachkulturen und <?page no="183"?> Von kognitiven Lernorten 183 ihren Teilhabern unterschiedlich realisiert. Die (interkulturelle) Differenz der bildlichen Referenten zwischen Sprachen fassen Roche (2013) und Roche/ Suner (2014) als „Transferdifferenz“. Die Bewältigung dieser Differenz durch die Lerner bezeichnet Danesi 2008 als „Conceptual Fluency“ („Konzeptuelle Kompetenz“). Strukturell lassen sich Lerner beim Erwerb fremder Sprachen zwar teilweise auch von den Eigenschaften ihrer Erstsprachen leiten, aber Carroll/ Becker (1997) u.a. konnten überzeugend nachweisen, dass im Erwerb von räumlichen Strukturen auch die strukturellen Eigenschaften der Zielsprache von den Lernern früh berücksichtigt werden. Das zeigt sich etwa, wenn Lerner des Deutschen als Fremdsprache stärker auf Präfixe abheben, während für Lerner des Französischen als Fremdsprache die inhaltsstarken Verben eine höhere Salienz entwickeln. Wenn Räumlichkeit in den Sprachen eine solch fundamentale Rolle spielt, darf es nicht verwundern, dass sie auch in anderen Bereichen der Kognition strukturierend wirkt und Orientierung schafft. Nicht ohne Grund rekurrieren Sprachen und ihre Sprecherinnen/ Sprecher bei der Organisation und Navigation neuer Cyber-Welten auf etablierte Raummetaphern („Cyberspace, Chat-Räume, Foren, Einträge, Navigation, hoch- und runterladen“) und bei der Erfassung und Abbildung kognitiver Systeme auf „Mind Maps“ („charting new territory, terra incognita“) und ähnliches. Umso erstaunlicher ist, dass sich der traditionelle Fremdsprachenunterricht oft (unreflektiert) mit der Sterilität und Künstlichkeit von Lernorten (zum Beispiel Klassenzimmern) zufrieden gibt und weder das vorhandene physische noch das soziale Potenzial von Räumen erkennt, um über den Raum Sprachen und Kulturen zu erschließen, inklusive der „eigenen“. Neue Technologien (zur Erschließung von Cyber-Orten) und didaktische Erkenntnisse könnten dabei das Spektrum der Lernorte und Lerngelegenheiten wesentlich erweitern. Die Abbildung dieser räumlichen Vielfalt - und um die geht es im Endeffekt - geschieht im Kopf. Das heißt, der ultimative Lernort bleibt der Kopf des Lerners. Man könnte meinen, dass es Orte gebe, die sich wegen der Möglichkeiten der unmittelbaren Erfahrbarkeit der Welt besser zum Sprachenlernen eignen (wie etwa Aufenthalte in der Zielkultur oder im Immersionsunterricht) als die oft von Sterilität geprägten Klassenzimmer, Sprachlabore und ähnliche Nicht-Orte. Wir wissen aber, dass Menschen in der Lage sind, auch an den ungewöhnlichsten Orten und zu den ungewöhnlichsten Zeiten Sprachen zu lernen (inklusive Gefängnisse und Kriegsgebiete). Unterschiedliche Faktoren spielen dabei bekanntlich eine Rolle. Entscheidend ist immer, wie die Lerner ihren kognitiven Lernort gestalten und ob beziehungsweise wie Curricula, Lehrmaterialien und Lehrkräfte diese Gestaltung unterstützen. Da zum Kennenlernen einer fremden Sprache und Kultur die Begegnung mit <?page no="184"?> Jörg Roche 184 ihnen gehört, sollten Lern- und Erfahrungsorte gleichzeitig authentische (durchaus auch fiktionale) interkulturelle Begegnungsorte sein. Zu den wichtigsten Ansätzen im Bereich des Vermittelns fremder Sprachen und Kulturen gehören - neben der handlungs- und aufgabenbasierten Didaktik - daher erstens die Erinnerungsorte-Didaktik und zweitens die Cyberspace- Didaktik. 3 Erinnerungsorte Erinnerungsorte eignen sich aus kulturkonstruktivistischer und kulturrekonstruktiver Sicht in vielfacher Weise für den Landeskundeunterricht. Nicht nur wegen der Relevanz des Gegenstandes ‚Geschichte‘ für interkulturelle Begegnungen, wie etwa Koreik (2010), Roche/ Webber (1995), Mog/ Althaus (1992), Behal-Thomsen et al. (1993) festhalten. Sie eignen sich für die Sprach- und Kulturvermittlung, weil sie grundsätzlich alle Themen verschiedener Gedächtnisse repräsentieren, die für die Aktualisierung unterschiedlicher Perspektiven relevant sind. Damit geben sie Lernern viel Raum für die Behandlung und Artikulation ihrer eigenen Interessen und Sichtweisen (vgl. die Beiträge in Roche/ Röhling 2014, Hallet und Koreik in diesem Band und Kaluza (2010) mit empirischen Befunden). Ort und Raum sind dabei nicht nur wörtlich zu verstehen, sondern haben als Symbol („Kristallisationskern“) eine identitätsstiftende Funktion für eine bestimmte Gruppe von Menschen. Ein Erinnerungsort ist demnach eine „bedeutungstragende Einheit, ideeller oder materieller Art, die durch menschlichen Willen oder durch das Werk der Zeiten zu einem symbolischen Element des Gedächtniserbes einer Gemeinschaft geworden ist.“ (Nora 1992, 20, übersetzt durch Robbe 2009, 16). Mit den Erinnerungsorten wäre auch eine hervorragende Verortung einer lernerorientierten Literaturdidaktik gegeben, vor allem derjenigen, die sich mit Themen des Grenzgängertums und der Migration beschäftigt (Oliver 2013; Rösch 2008), Themen zu denen immer mehr Schülerinnen und Schüler autobiographischen Zugang haben (vgl. die Schreibwerkstätten von Autorinnen und Autoren, etwa im Bereich der Begleitförderung der Robert Bosch Stiftung zur Chamisso-Literatur (http: / / www.chamisso.daf.unimuenchen.de/ index.html und http: / / www.bosch-stiftung.de/ content/ language1/ html/ index.asp). Landeskunde-didaktisch ertragreich scheint mir in diesem Kontext auch der kulturwissenschaftliche Ansatz der Transdifferenz, mit dem sich unterschiedliche physische und kognitive Orte fassen lassen (Kalscheuer 2005; Breinig/ Lösch 2002). <?page no="185"?> Von kognitiven Lernorten 185 4 Cyberspace und Hypertext Einer der bestgeeigneten Orte zum Sprachenlernen ist Cyberspace. Hier spielt sich mehr und mehr unser tägliches Leben ab, oft sogar nur mit Sprache, also im Kopf. Umso erstaunlicher ist es, dass dieser endlose Lernort, in dem sich alle Sprachen und Kulturen der Welt treffen, bisher nicht stärker für die Sprach- und Kulturvermittlung genutzt wird. Vielleicht liegt es daran, dass dieser Ort keine Grenzen hat und daher manchen für die Vermittlung von Sprachen und Kulturen zu bedrohlich erscheint. Dass dieser Raum, trotz internationaler Standardisierung über die Technologie und die Software nicht kulturell und sprachlich steril ist, und wie sich das auf die Kommunikationsroutinen auswirkt, zeigen einige Studien zum Lernen und Kommunizieren in Cyberspace, zum Beispiel in Bezug auf kulturspezifische Erwartungshaltungen bei Öffentlichkeit und Privatheit in Lernsituationen (Reeder et al. 2004; Roche/ Macfayden 2004; Chase et al. 2002). Im Sinne einer stärker kognitionswissenschaftlichen Ausrichtung der Vermittlung von Sprachen ist Cyberspace besonders relevant, weil an diesem Lernort unendlich viele Hypertexte generiert werden. Das heißt Texte, in denen eine fest vorgebenen Verortung und die Reihenfolge verschiedener Text-Orte (Textteile, Textelemente, Textquellen) aufgehoben sind. Hypertexte sind keine klassisch linearen links-rechts oder rechts-links Produkte, sondern sie entstehen aus multiplen Verzweigungen von Textteilen unterschiedlicher Kodalität (visuell, sprachlich, auditiv) erst durch das räumlich flexible und dynamische Zutun des Nutzers/ Lesers/ Hörers. Ihre lokale Struktur lässt sich oft am besten in Mind Maps darstellen. Bemerkenswert ist, wie eingangs bereits skizziert, dass sich diese Räumlichkeit von Cyberspace wesentlich durch traditionelle Raummetaphern darstellen und kognitiv „navigieren“ lässt („Chat Room, Forum, Bibliothek, Archiv, Portal, eintreten, verlassen …“). Das oft angeführte Kriterium der Nichtlinearität erfasst die vermeintlichen Alleinstellungsmerkmale der elektronischen Gattung Hypertext in Bezug auf die Kognition jedoch nur ungenügend, da es gleichermaßen und unabhängig vom Medium für nichtelektronische und elektronische Textsorten wie Wörterbücher, Enzyklopädien, Konferenzprogramme, Fahrpläne, Kochbücher und andere Referenzmaterialien gilt. Diesen ursprünglich nichtelektronischen Textsorten, ihren modernen elektronischen Varianten und allen anderen Hypertexten ist gemeinsam, dass sie den Produktions- oder Prozesscharakter von Texten vom Produktcharakter klar zu trennen helfen. Hypertexte sind damit ein hervorragendes Mittel, um die kognitiven Prozesse der Textkonstitution deutlich sichtbar zu machen, weil sie für die <?page no="186"?> Jörg Roche 186 kognitive und physische Konstruktion die aktiven Auswahl-Entscheidungen des Lesers/ Hörers oder Schreibers/ Sprechers verlangen. Lerntechnisch interessant ist zudem, dass zwischen Hypertexten und wissensgenerierenden Prozessen eine Korrespondenz über die interpretierende Vernetzung von Strukturen besteht, da Wissen allgemein in vernetzten, nichtlinearen Strukturen organisiert ist. Jonassen (1986) spricht hier von ‚Web-Learning‘ in semantischen Netzen. So wie mentale Prozesse über flexible Vernetzungen ablaufen (Konnexionismus), stellen Hypertexte flexible vernetzte Strukturen dar, die erst durch kognitive Prozesse aktiviert werden müssen. Aus dieser Feststellung über strukturelle Ähnlichkeiten der Organisationsprinzipien von Wissen und Hypertexten ergibt sich die Hypothese der kognitiven Plausibilität. Sie besagt, dass Hypertexte so strukturiert sind oder sein sollten, wie die kognitiven Prozesse der Wissensgenerierung ablaufen. Die Hypothese stellt also eine kausale Beziehung von Kognition und Textualität her, aus der kognitiver Lernerfolg entstehe (Schulmeister 2007; siehe auch Rumelhart/ McClelland 1986 zur Hypothese der selbstmodifizierenden Netzwerke). Damit qualifizieren sich elektronische Hypertexte als idealer Lernort zur Sichtbarmachung von Textualität und allgemeiner Organisationsprozesse des Wissens. Dies müsste eine genuine - und verstärkte - Aufgabe des Sprachenunterrichts sein oder werden. 5 Kognitive Sprachdidaktik Angesichts der kognitiven Relevanz der Räumlichkeit für Lernorte scheint die kognitionswissenschaftlich basierte, kurz kognitive Sprachdidaktik für besonders fruchtbar (vergleiche hierzu auch die Erläuterungen und Illustrationen von Hufeisen in diesem Band). Von besonderer Bedeutung für die Sprachvermittlung ist die Metaphorisierung, die Lakoff/ Johnson (1980) in ihrem Buch ‚Metaphors we live by‘ bekanntlich als zentrales Werkzeug der menschlichen Kognition präsentieren. Metaphern gelten seither „im Kontext der Kognitionsforschung [als] Projektionen einer Quellendomäne (eines Konzeptes und seiner linguistischen Repräsentation) auf eine Zieldomäne“ (Roche 2013: 123). So finden sich im Deutschen Ausdrücke wie die „Kanzlerin ist wohl auf/ am Boden zerstört/ down“, bei denen die physische Raumerfahrung von Vertikalität als Orientierungsrahmen für den metaphorischen Ausdruck der Kategorien ‚gut‘ und ‚schlecht‘ genutzt wird. Genauso wie das Lexikon greift auch die Grammatik auf konkrete Konzepte zurück, um ihre Symbolik zu entwickeln (vergleiche Roche 2014; Littlemore 2009). Alle konkreten Erfahrungen sind direkt aus der Wahrnehmung der Welt als rekurrente Muster abgeleitet und werden im Bereich der kognitiven Linguistik als Bildschemata <?page no="187"?> Von kognitiven Lernorten 187 bezeichnet (vergleiche Oakley 2007; Grady 2005; Johnson 2005). Nach Oakley (2007) unterscheiden sich diese Bildschemata von einfachen mentalen Bildern dadurch, dass sie ganze Vorgänge strukturieren und in schematisierter Form als Abstraktionen in unseren Gehirnen gespeichert sind. Aus dem Aspekt der engen Verbindung von Sprache und Kognition lassen sich viele Konsequenzen für die Sprachlehrforschung ableiten. Erstens bietet die Erklärung von Grammatik anhand von konkreten Erfahrungen (auch im Zusammenhang mit Orten) einen qualitativ neuen Zugang zu den scheinbar abstrakten Strukturen der Grammatik, denn dabei wird auf bereits vorhandenem (nicht)sprachlichem Wissen aufgebaut und damit die subjektive Plausibilität des Lernens gefördert. Dies ist die Grundlage jeder praxisrelevanten Sprachreflexion. Die Darstellung der Kasuszuordnung (Dativ oder Akkusativ bei den Wechselpräpositionen) im Deutschen ist ein mittlerweile gut dokumentiertes Beispiel dafür, welche Rolle Räume und Orte bei der Transparentmachung der Grammatik spielen können (Roche/ Suner 2014; Grass 2013; Scheller 2008; Plieger 2006). Zweitens können damit viele Bereiche der Sprache, die bisher als Ausnahmen von in sich geschlossenen grammatischen Regeln galten, besser als Teile eines prototypischen Netzwerkes von Bildschemata und Konzepten erklärt werden (vergleiche Müller 2010). Vor diesem Hintergrund erscheint die Aufgabe des Lerners etwas leichter, eine konzeptuelle Integration und Kategorisierung der vielen Äußerungen aus dem stark variierenden Input authentischer Kommunikation vornehmen zu müssen. Drittens können grammatische Strukturen ähnlich wie der Wortschatz als polysemische Netzwerke mit unterschiedlichen Bedeutungen betrachtet werden (vergleiche Evans/ Green 2006; Evans/ Tyler 2005). Demnach sollte sich der fortschreitende Sprachenerwerb in einer Ausdifferenzierung und zunehmenden Erweiterung des polysemischen Netzwerks niederschlagen. Das reine Drillen grammatischer Strukturen führt in der Regel nicht zuletzt deswegen nur zu kurzfristigen Lerneffekten und einem hohen Motivationsverlust, weil es für die vermittelten Grammatikstrukturen keine für den Lerner nachvollziehbaren Orte gibt. Es handelt sich also meistens um träges und abstraktes Wissen über Grammatikstrukturen, das abgekoppelt von Semantik und Funktion memoriert werden soll. 6 Außerschulische Lernorte Folgt man den Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung, der kognitiven Linguistik und der kognitiven Sprachdidaktik, dann stellt sich die Frage nach den außerschulischen Lernorten eigentlich weniger kafkaesk: Die Sprache ist in erster Linie Manifestation und Produzent von Lebenserfahrung <?page no="188"?> Jörg Roche 188 und Wissen. Daher verläuft auch der Erwerb von Sprache am besten inzidentell in authentischen Handlungssituationen, das heißt an außerschulischen Lernorten. Der Unterricht steht also vor einer viel größeren Herausforderung, nämlich der Herstellung möglichst authentischer Kommunikationsbedingungen. Viele Herausforderungen an die Motivation der Lerner und die Progression des Erwerbs im schulischen Sprachunterricht ließen sich so relativ elegant lösen. Der inzidentelle Sprachenerwerb verlangt vor allem subtilere Betreuungs- und Mentorenfunktionen als der Unterricht. Häufig besteht dort allerdings ein (von Lernern nicht immer erkannter) Bedarf an strukturellen und situationsadäquaten Kommunikationskompetenzen. Hierzu gehören vor allem Strukturkenntnisse und kommunikative Kompetenzen im Bereich der Schrift- und Bildungssprache, die im „Alltagsgeschäft“, vor allem im multilingualen familiären Erwerbskontext, leicht übersehen werden. Hier bedarf es primär einer transparenten und nachhaltigen Vermittlung von grammatischen, textuellen und variationslinguistischen Kenntnissen sowie einer systematischen Vermittlung von Kenntnissen und einer Hinführung zu Kompetenzen der schriftsprachlichen Kommunikation. Je nach Zielgruppe sind dies derzeit vor allem bildungssprachliche, berufssprachliche oder wissenschaftssprachliche Kompetenzen. Wenn man also von Herausforderungen des Fremdsprachenunterrichts sprechen will, dann ließen sich fünf Aspekte nennen, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen: 1. Die Herstellung und Vermittlung von Transparenz in den sprachlichen Strukturen im Sinne der kognitiven Linguistik und Didaktik. 2. Die Nachhaltigkeit des Sprachenerwerbs durch aufgaben- und handlungsbasierte Didaktiken. 3. Die Integration des sprachlichen und nicht-sprachlichen Vorwissens der Lerner (Fachwissen, Fachsprachen, Mehrsprachigkeit) und die Entwicklung nicht-segregativer Verfahren der Kompetenzvermittlung für sogenannte „Muttersprachler“ und „Nicht- Muttersprachler“. 4. Die Schaffung von interkultureller Authentizität. Dafür aber bedarf es 5. auch des entsprechend sensibilisierten, geschulten und mutigen Lehrpersonals, das hierfür im Unterricht die Weichen stellt und die Berufspraktiker, Bildungspolitiker und bestenfalls auch die Gesellschaft kompetent beraten kann. Auch hierfür besteht an unterschiedlichen Orten ein großer (Nachhol-)Bedarf. Literatur Allolio-Näcke, Lars/ Kalscheuer, Britta/ Manzeschke, Arne (Hrsg.) (2005): Differenzen anders denken. Bausteine zu einer Theorie der Transdifferenz. Frankfurt am Main: Campus. <?page no="189"?> Von kognitiven Lernorten 189 Becker, Angelika/ Carroll, Mary (1997): The Acquisition of Spatial Relations in a Second Language. Amsterdam: John Benjamins. 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Die Herausforderung für Personen, die sich mit der Aus- und Fortbildung von in steuernden Kontexten tätigen Menschen 1 1 Wer beschäftigt sich im deutschsprachigen Raum mit welchen Lernorten? beschäftigen, liegt darin, Einstellungen zum Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu befördern, die es den zukünftigen ‚Steuerungsexperten‘ erlauben, für die jeweiligen Lernenden und Lernziele angemessene Mischungen aus Individualisierung und kooperativem Lernen und Verbindungen von Arbeit mit Lehrmaterial im didaktischen Schutzraum und Konfrontation mit nicht-kontrolliertem Sprachmaterial bereitzustellen und zu unterstützen. Bevor darauf eingegangen wird, soll zunächst kurz gefragt werden, mit welchen Lernorten die Fremdsprachendidaktik sich bisher vorwiegend beschäftigt hat. Ganz grob skizziert scheint mir die folgende Einschätzung einigermaßen angemessen zu sein: 1 Das hier eigentlich erwartbare Wort ‚Lehrende‘, das diese Passage leichter lesbar hätten werden lassen, wurde mit Absicht nicht gewählt (s. 3). <?page no="193"?> Die Herausforderung: Funktionale Erweiterung des Fremdsprachenlernens … 193 Allein schon auf Grund der Integration der meisten Professuren in die Lehrerbildung beschäftigen sich die fremdsprachendidaktischen Beiträge zu den Schulfremdsprachen Englisch und romanische Sprachen besonders intensiv mit dem Lernen am Lernort Schule 2 . Dabei hat es in den letzten Jahren eine Erweiterung über die Beschäftigung mit den Sekundarstufen hinaus in den Bereich der Primarstufe gegeben, die auch zu sich ändernden Überlegungen zum Lernen und Vermitteln geführt hat, der starke Fokus auf Lernen in der Bildungsinstitution Schule ist dabei aber natürlich bestehen geblieben. Andere institutionelle Lernorte wie Volkshochschulen, innerbetriebliche Sprachvermittlung usw. sind dementsprechend eher weniger stark im Fokus, auch der sogenannte Nachmittagsmarkt als Ergänzung zum schulischen Lernen sowie der Bereich Nachhilfe, die ja beide eng mit dem schulischen Lernen verbunden sind, da sie direkt auf dessen Defizite reagieren, sind m.E. weniger stark erforscht. Auch die Aktivitäten bei der Bearbeitung von Hausaufgaben 3 − ebenfalls Teil des schulischen Lernens, wenn auch meist aus dem Klassenzimmer ausgelagert - werden eher allgemein von den Pädagogen als spezifisch bezogen auf das Fremdsprachenlernen 4 Der Bereich Deutsch als Zweitsprache begann seine Aktivitäten zunächst mit außerschulischen Lernorten, mit besonderem Fokus auf die Lernorte Wohnort erforscht. 5 und Arbeitsplatz 6 . Die Anfänge der Arbeit im Bereich Deutsch als Zweitsprache liegen also zunächst in politisch engagierten Aktivitäten von Gewerkschaftlern und Frauengruppen und befassen sich in origineller Weise mit Vermittlungsfragen 7 . Schnell jedoch wurde dieser Bereich durch die Zweitspracherwerbsforschung ‚übernommen‘, die die Diskussion um Deutsch als Zweitsprache weitgehend aus den ‚Niederungen‘ 8 2 Als sich die Frühjahrskonferenz zum ersten Mal mit den institutionellen Bedingungen des Fremdsprachenlernens befasste, stand folgerichtig auch der Lernort Schule im Mittelpunkt der Beiträge (vgl. Bausch et al. 1989). der Beschäftigung mit Aktivitäten an steuernden Lernorten heraushielt. Repräsentativ und programmatisch war ein Satz wie: 3 Von denen die meisten ja wohl eher Hausübungen genannt werden müssten, wenn man die Diskussion um Aufgaben und Übungen ernst nimmt. 4 Aber immerhin entsteht gerade in Marburg/ Gießen eine Dissertation bezogen auf die Fremdsprache Deutsch. 5 Vgl. Institut für Zukunftsforschung/ Cooperative Arbeitsdidaktik 1978. 6 Vgl. die Arbeitsfokussierung des Gutachtens zur Geeignetheit von Lehrmaterialien für ausländische Arbeitskräfte (Barkowski et al. 1980). 7 Vgl. Barkowski/ Harnisch/ Kumm 1980. 8 Vgl. meine etwas ausführlichere Auseinandersetzung mit den Implikationen dieses Prioritätspostulats, das unter dem Gesichtspunkt der Drittmitteleinwerbung sicher richtig, unter dem Gesichtspunkt des Erkenntnisgewinns durch die <?page no="194"?> Dietmar Rösler 194 In jedem Fall weist dies dem ungesteuerten ZSE eine gewisse Priorität für die Forschung zu; [...]. Mit dem letzten Punkt ist bereits einiges über den gesteuerten ZSE und sein Verhältnis zum ungesteuerten gesagt. Er [der gesteuerte ZSE - D.R.] muß als abgeleiteter Fall betrachtet werden, als ein Versuch, einen natürlichen Prozeß zu domestizieren. (Klein, 1984,31) Diese Entwicklung hat mit dazu beigetragen, dass sich viele Jahre lang Lehrerinnen an deutschen Schulen, oft im Vergleich zu ihren Kolleginnen mit schlechteren Verträgen ausgestattet, mit sehr viel Eigeninitiative und Enthusiasmus in ihre Förderklassen begeben mussten, ohne eine wissenschaftliche Unterstützung, wie sie Lehrerinnen in ihrer Ausbildung für Englisch, Französisch oder Spanisch als Fremdsprache zuteil wurde. In den letzten Jahren hat sich das erfreulicherweise geändert, auch Deutsch als Zweitsprache hat inzwischen verstanden, dass die gesellschaftliche Situation so ist, dass die Beschäftigung mit dem ‚reinen‘ Erwerb wichtige Parameter dieses Erwerbs nicht beachtet, so dass immer stärker schulisches Lernen 9 Während bei Fremdsprachen in Deutschland die Institution Schule als Lernort im Vordergrund steht, scheinen mir bei der deutschen und vor allen Dingen auch die Rolle der Kindergärten unter die Lupe genommen werden. Man kann also für den aktuellen Zeitpunkt sagen, dass im Bereich Deutsch als Zweitsprache inzwischen auch eine Fokussierung auf Bildungsinstitutionen erfolgt ist. Wie ‚hinterherhinkend‘ diese im Vergleich zur etablierten Erwerbsforschung jedoch ist, zeigt sich u. a. an der Einführung von Tracy (2007): Während die Meilensteine des Erwerbs auf der Basis von psycholinguistischen Forschungsergebnissen dokumentiert werden, bekommt das Kapitel, das sich mit der Rolle von Kindergärten beschäftigt, einen viel stärker appellativen Charakter. Dies liegt sicher nicht daran, dass die Verfasserin in diesem Kapitel plötzlich keine Wissenschaftlerin mehr ist, sondern ist ein Indiz dafür, dass zum Publikationszeitpunkt der Erstveröffentlichung 2007 die Beschäftigung mit der Rolle der Lernorte, die über ihren steuernden Charakter definiert werden, im Bereich Deutsch als Zweitsprache eine weniger starke Rolle gespielt hat. 10 unnötige Dichotomisierung und Hierarchisierung hingegen eher schädlich war, in Rösler 1995. Diskussion um Deutsch als Fremdsprache andere, ebenso stark steuernde Lernorte und 9 Interessant ist auch, dass Deutsch als Zweitsprache dadurch, dass das Fach sich mit defizitärem Spracherwerb und dessen Konsequenzen für gesellschaftliche Partizipation und berufliche Qualifikation beschäftigen muss, wieder zu den Anfängen, zur Verknüpfung von Spracherwerb und Arbeitsleben, zurückkehrt. 10 Nicht in der Diskussion in den Ländern, in denen Deutsch Schulfremdsprache ist. <?page no="195"?> Die Herausforderung: Funktionale Erweiterung des Fremdsprachenlernens … 195 andere Lernende wichtiger zu sein: Im Fokus stehen eher junge Erwachsene und Erwachsene, wie sie traditionell an den Goethe-Instituten weltweit Deutsch lernen, und universitäre Lernende - sowohl solche, die Germanistik, als auch solche, die andere Fächer studieren. Das Fach Deutsch als Fremdsprache hat also neben dem allgemeinsprachlichen Unterricht traditionell auch immer einen Blick auf den damals Fachsprachunterricht genannten Unterricht geworfen, es beschäftigt sich außerdem mit studienvorbereitendem und studienbegleitendem Deutschunterricht sowohl an Hochschulen innerhalb des deutschsprachigen Raums als auch außerhalb des deutschsprachigen Raums (vgl. DAAD 2014; Rösler 2015). Dieser Fokus hat etwas damit zu tun, dass im Gegensatz zu den Professuren für die Schulfremdsprachen in Deutschland, die in die Lehrerbildung integriert sind, Professuren für Deutsch als Fremdsprache im deutschsprachigen Raum, wenn sie nicht gleichzeitig auch Deutsch als Zweitsprache abdecken, sich gerade nicht auf Schulformen eines bestimmten Landes konzentrieren können. Deshalb mag eine Zahl manchen überraschen: Weltweit gilt auch für die Fremdsprache Deutsch, dass sie überwiegend in Schulen gelernt wird, und zwar zu 88% (vgl. Julius/ Luckscheiter 2012, 9). Bei keiner der bisher erwähnten Fremdsprachen scheint es eine intensive Erforschung des Lernens an privaten Sprachschulen zu geben. Andere Lernorte sind hingegen einzelsprachübergreifend gut diskutiert worden, wie z.B. das Lernen im Tandem zwischen institutioneller Unterstützung und individualisiertem Erwerb (vgl. z.B. Brammerts/ Kleppin 2001) und natürlich die Rolle, die die digitalen Medien bei der Ausdifferenzierung der Lernlandschaft als schnelle Überwinder von Raumgrenzen haben (vgl. den Überblick in Rösler 2004). 2 Die Erweiterung des traditionellen Lernorts Klassenzimmer Die Überschreitung der Grenzen des Lernorts Klassenzimmer in der kommunikativen Didaktik hat auch vor dem Aufkommen der digitalen Medien eine wichtige Rolle gespielt (vgl. Legutke 2003). Die Erweiterung des Lernorts Klassenzimmer, um möglichst lebensweltnahes und -relevantes sprachliches Handeln zu ermöglichen, ist überall dort, wo sie gelungen ist, ein wichtiger Bestandteil der Weiterentwicklung der Fremdsprachendidaktik im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts gewesen. Sowohl Recherche-Projekte als auch kooperative Austauschprojekte haben durch die digitalen Medien an Quantität gewonnen, für die Qualität gilt dies nicht automatisch auch. Zu häufig haben Rechercheprojekte, die nicht sauber von den Interessen und den Sprachkenntnissen der Lernenden ausgehen, und nicht gut durchdachte Kooperationsprojekte, die gemacht wur- <?page no="196"?> Dietmar Rösler 196 den, nur weil Austauschpartner und Kanäle vorhanden waren, das Konzept der Projektdidaktik in Misskredit gebracht. Die Schnelligkeit, mit der interagiert werden kann, kann eine Gefahr für die Qualitätssicherung sein. 11 Mit dem neuen didaktischen Modewort M-Learning betritt in den letzten fünf Jahren eine Erweiterung des Klassenzimmers die Bühne, die sowohl eine sinnvolle Erweiterung als auch einen didaktischen Rückschritt darstellen kann. Das sich ändernde Mediennutzungsverhalten der Lernenden, durch das sowohl Verbindungen zu anderen Personen und Informationen an jedem beliebigen Ort hergestellt als auch Zugriffe auf massenhaft in digitaler Form vorliegende traditionelle Übungsformen und auf seriöse und weniger seriöse landeskundlichen Quellen möglich werden, hat das Potenzial für eine herausfordernde und sinnvolle Erweiterung des Lernorts Schule. Dieses Potenzial 12 Die durch Begriffe wie Digitalisierung, Gamification wird nicht genutzt, wenn man, wie auch beim Konzept des Flipped-Classroom, die bisherige Praxis als lehrerzentrierten Frontalunterricht überzeichnet und sich mit der Vertauschung der Aufgaben von Selbstlernen und Lernen im sozialen Verband zufrieden gibt. 13 11 Bereits 2000 hatte Andreas Müller-Hartmann enttäuschte Äußerungen von Lehrern zu ihren Projekten gesammelt und beschrieben, auf welchen Ebenen und wie gut Kooperationen vorbereitet werden müssen. usw. charakterisierte Veränderung der Welt ist für die Fremdsprachenforschung Aufgabe und Chance, ernsthaft über die Funktionalität von Lernorten für bestimmte Lerngegenstände nachzudenken. Wann und inwieweit kann durch den ubiquitären Zugriff auf Informationen und Kommunikationspartner der Lernort Schule im positiven Sinne gesprengt werden? Meines Erachtens nicht dadurch, dass man die Funktionen von Hausaufgaben und Arbeit im Klassenzimmer einfach umdreht. So etwas könnte eher geschehen, wenn lernerinteressengeleitet Informationen, Themen und Kommunikationspartner in das schulische Lernen hineingebracht werden, die weder banalisieren noch überfordern, sondern Herausforderungen darstellen und zu solchen Überschreitungen von Progressionen führen, die die Lernenden erfolgreich bewältigen können. Derartige Sprengungen des Klassenzimmers müssen immer verbunden sein mit einem Wandel des Selbstverständnisses von Lehrenden, die das von ihnen nicht kontrollierbare Hineinkommende nicht als Bedrohung (weder ihrer nicht-muttersprachlichen sprachlichen Kompetenz noch ihres manchmal halt nicht vorhandenen Weltwissens) sehen, sondern als etwas, auf das sie in Kooperation mit ihren Lernenden eingehen können. 12 Vgl. dazu ausführlicher Kap. 5 aus Rösler 2013. 13 Vgl. den Überblick in Schmidt/ Schmidt/ Schmidt (im Druck). <?page no="197"?> Die Herausforderung: Funktionale Erweiterung des Fremdsprachenlernens … 197 3 Die professionelle Unterstützung von individualisierten Lernaktivitäten Je mehr • es für Lernende selbstverständlich wird, dass sie sich als Teil ihres Spracherwerbs in Kontexte begeben, in denen sie in der Fremdsprache kommunizieren, weil sie an einem Inhalt interessiert sind, • sie Sprachlernangebote von Internet-Sprach-‚Schulen‘ annehmen, die, vorsichtig formuliert, andere Anforderungen an didaktische Qualität oder Progressionsüberlegungen haben als der fremdsprachendidaktische Mainstream, und • es ihnen dabei nicht bewusst oder für sie irrelevant ist, dass ihre Aktivitäten sehr unterschiedliche, sich widersprechende Sprachlernphilosophien haben, desto wichtiger wird es, dass diese Lernprozesse von reflektierenden und die Defizite der jeweils gewählten Vorgehensweisen ausgleichenden Aktivitäten begleitet werden. Dazu bedarf es m.E. einer Instanz, die das große Plus dieser Lerneraktivitäten, das stärker individualisierte Lernen durch Interaktion und Interaktivität, dadurch unterstützt, dass sie über Sprachstandsanalysen und sprachlernbegleitende Beratung dazu beiträgt, dass diese Lernprozesse nicht fossilisieren oder bei früher Enttäuschung abgebrochen werden. Die Aufgaben dieser Instanz werden sehr vielfältig sein. Die Lernenden erhalten bei ihnen eine Art Sprach-Check-up, dabei können die Diagnosen zu sehr unterschiedlichen Empfehlungen führen, zur Empfehlung, es sei wichtig in eine Art ‚Language-Gym‘ zu gehen, um hart am Aufbau bestimmter Grammatik-Muskeln zu arbeiten, ebenso wie zu Ratschlägen, wie man inzidentell erworbenen Wortschatz systematisieren kann, oder, wenn die Lernenden offensichtlich bestimmte interkulturelle blinde Flecke hatten, die zu Kommunikationsabbrüchen führten, zu einer Hilfe beim Nachdenken darüber, inwieweit bestimmte verwendete grammatische Strukturen oder lexikalische Elemente oder Gesprächsstrategien nicht-intendierte Unhöflichkeiten produziert haben, die Kommunikationsstillstand bedeuteten usw. Das Repertoire der Reaktionen auf individuelle Lernprozesse wird also sehr vielfältig sein müssen: Wer als Lerner bisher hauptsächlich über Gebrauchsanweisungen für technische Geräte auf Facebook einen bestimmten englischen Wortschatz erworben hat, wird darüber informiert werden, wie dieser allgemeinsprachlich expandiert werden kann, wer seinen Spracherwerb eigentlich als Vorbereitung für einen Aufenthalt in einem Land der Zielsprache verwenden wollte, im Netz aber immer nur auf Sprachschulen <?page no="198"?> Dietmar Rösler 198 gestoßen ist, die eher Übersetzungs- und Morphologie-Übungen anbieten, wird eine Beratung brauchen, die ihn in Aktivitäten im Bereich der interkulturellen Problematik lenkt usw. Die institutionelle Organisation dieser Art des Lernens, die überwiegend individuell oder in Gruppen selbstorganisiert ist, stellt eine interessante Herausforderung dar. Ist dafür so etwas wie eine Schule oder Volkshochschule zuständig? Ist das eher eine Art Spracherwerbs-TÜV? Eventuell wird eine Art Umkehrung stattfinden. Statt Lernende wie bisher einer von einer Bildungsinstitution Schule vorgegebenen Progression folgen zu lassen, werden die in der Bildungsinstitution als Sprachberater/ Sprachanalytiker arbeitenden Personen auf individuelle Erwerbssequenzen mit auf die lebensweltlichen Interessen und Lernziele der Lernenden abgestimmten Ratschlägen reagieren. Und damit diese Berater/ Analytiker eine Chance haben, ihre Tätigkeit auszuüben, werden sie in der Ausbildung sehr umfassend auf die Vielfalt von Lernaktivitäten vorbereitet werden müssen. Was wiederum voraussetzt, dass die Fremdsprachenforschung in den nächsten Jahrzehnten herausfindet (und nicht lediglich als durch institutionelle Gegebenheiten gesetzt annimmt), für welche Lernenden, Lernziele und Lerngegenstände wann welche Formen des Lernens funktional sind: • wann ist es sinnvoll, dass die Lernenden gemeinsam physisch anwesend sind, wann, dass sie virtuell arbeiten, • wann ist es sinnvoll, dass sie allein lernen 14 • wann ist es sinnvoll, dass das Lernen tutoriert ist, wann nicht? , wann, dass sie beim Lernen kooperieren, Dass Antworten auf diese Fragen Konsequenzen haben werden für das, was Schule in Zukunft sein wird, ist unvermeidlich. 4 Das Zusammenspiel von Fremdsprachenforschung und anderen Fächern bei der Erforschung sich wandelnder Literalitätskonzepte in der Mediengesellschaft. Die Forschungsarbeiten zur Frage, welcher Lernort und welcher Grad an Individualisierung für welche Aspekte des Fremdsprachenlernens angemessen sind, müsste eingebettet sein in die allgemeinere Forschung zu sich ändernden Literalitäts- und Bildungskonzepten: 14 Wobei auch Formen des Alleinlernens als eingeschobene Phasen innerhalb gemeinsamen physisch anwesenden Lernens nicht vorab ausgeschlossen werden dürfen. <?page no="199"?> Die Herausforderung: Funktionale Erweiterung des Fremdsprachenlernens … 199 • Bezug nehmen müsste die Forschung zur Funktionalität von Lernorten für bestimmte Lernziele auf die Erforschung der steigenden Gamification sozialer Praktiken. • Diskutiert werden müsste u.a. die Konkurrenz der Konzepte Schule und eigenverantwortlicher Erwerb. Zum heutigen Zeitpunkt sind Lernorte im Netz wie Schülerforen noch eher nachgeordnete Orte, an denen auf schulische Anforderungen reagiert wird. Wann erfolgt eine Umkehrung, falls sie überhaupt erfolgt? Was hat das für Implikationen für die gesellschaftliche Organisation von Bildung? Was sind bei einer Umkehrung die normsetzenden Instanzen in Bildungsprozessen? • Diskutiert werden müssten die subjektiven Theorien der Lernenden im Hinblick auf ihre selbstorganisierten Lernaktivitäten bei Online- Sprachschulen, die nicht mehr Abbildungen klassischer Sprachschulen sind, bei denen die Lehrerrolle vom Online-Tutor übernommen wird, sondern die der Ort sind, an dem Lernende miteinander kommunizieren können und bei denen sie klassisches Übungsmaterial abrufen können. Aus der Perspektive eines professionellen Fremdsprachendidaktikers sind die diesem Lernerhandeln zu Grunde liegenden subjektiven Theorien oft nicht stringent. Die offene Frage, nicht nur und nicht mal zuvörderst für die Fremdsprachendidaktik, sondern relevant für die gesamtgesellschaftliche Diskussion um medialen Wandel, ist, wie erfolgreich soziale Praktiken, die mit einer Vielzahl von Annahmen, die sich widersprechen können, arbeiten, im Hinblick auf das von den Individuen angestrebte Ziel, in unserem Falle also das Lernen von Fremdsprachen, sein können. Literatur Barkowski, Hans/ Harnisch, Ulrike/ Kumm, Sigrid (1980): Handbuch für den Deutschunterricht mit ausländischen Arbeitern. Königstein i.T.: Scriptor. Barkowski, Hans/ Fritsche Michael/ Göbel, Richard (Hrsg.) (1980): Deutsch für ausländische Arbeiter. Gutachten zu ausgewählten Lehrwerken. Königstein i.T.: Scriptor. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Hüllen, Werner/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1989): Der Fremdsprachenunterricht und seine institutionellen Bedingungen. Arbeitspapiere der 9. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. 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Tübingen: Francke. <?page no="201"?> Museen als außerschulische Lernorte Jutta Rymarczyk 1 Außerschulische Lernorte als für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen relevante Lernorte Als „außerschulische Lernorte“ verstehe ich nicht-virtuelle Umgebungen außerhalb von Schulen und den dort stattfindenden institutionalisierten Unterricht. Das Internet schließe ich mit dieser Spezifizierung bewusst aus, denn seine Einbindung in den Fremdsprachenunterricht findet nicht außerhalb der Schule, sondern während des stundenplanmäßigen Unterrichts oder auch in Projekten, auf jeden Fall aber im Klassenzimmer statt. Nichtsdestotrotz spielen neue Technologien bzw. das Internet aber eine wesentliche Rolle bei der Einbettung des Besuchs eines außerschulischen Lernorts in schulisches Lernen (vgl. Kapitel 2 + 3). Die Besonderheit und damit das Potential nicht-virtueller Lernorte erschließt sich sehr schnell, wenn wir an eine Umgebung wie etwa einen Wald oder einen Strand denken, in der fremdsprachiger Biologie- oder Geographieunterricht stattfindet. Digitale Medien können das Lernen an diesen Orten, das durch visuelles, haptisches und olfaktorisches Erleben bestimmt und begleitet wird, nicht ersetzen. Die hier genannten Orte werden in einer in der Pädagogik gebräuchlichen Klassifikation als sog. „spezielle“ oder „sekundäre“ Lernorte betrachtet. Lernen ist nicht die vorrangige Funktion dieser Orte, aber Lehr- und Lernprozesse können dort angebahnt werden und stattfinden (vgl. Burk/ Rauterberg/ Schönknecht 2008). Der Kategorie „spezielle/ sekundäre Lernorte“ sind ferner Orte wie beispielsweise Kinos und Theater zuzurechnen, aber auch Arbeitsplätze oder Städte (im Zielsprachenland) (vgl. Rymarczyk 2013a, 11; Rymarczyk 2013c für entsprechende Artikel zu den genannten Lernorten). In der bei Burk/ Rauterberg/ Schönknecht (2008) benutzten Klassifikation steht dieser Kategorie nur die der „natürlichen“ oder „primären“ Lernorte gegenüber, deren genuiner Sinn und Zweck im Lernen liegt, und die Schulen, Volkshochschulen, Sprachkurse etc. umschließt. Damit finden jedoch Museen unterschiedlichster Art keine Berücksichtigung, d.h. es werden Lernorte ausgeschlossen, bei denen die Vermittlungsfunktion nicht die vorrangige Aufgabe ist. Obwohl das Vermitteln nur neben den Funktionen <?page no="202"?> Jutta Rymarczyk 202 des Sammelns, Er-/ Beforschens, Konservierens und Restaurierens steht, sind in Museen aber dennoch didaktische und sorgfältig vorstrukturierte Lerngelegenheiten anzutreffen (Rymarczyk 2013b, 160). Um Museen, die eine zunehmend wichtige Rolle im Kultur- und Bildungssektor spielen, in ihrer Relevanz und Spezifik darstellen und einordnen zu können, erscheint es sinnvoll, die o.g. Klassifikation um eine dritte Kategorie zu erweitern. Museen können als „hybrider Raum“ bzw. „tertiärer Lernort“ angesehen werden, da sie weder als primärer Lernort einzustufen sind, noch als Institution ohne jedes Vermittlungs- oder Bildungsziel (Rymarczyk 2013a, 11). Die Definition des ICOM (International Council of Museums) (2007) zeigt deutlich, dass das Museum als Lernort mit der Funktion „communication“ sowie den Zielen „education“ und „study“ (und „enjoyment“! ) Raum bietet für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen: a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment. Noch deutlicher wird dieser Umstand in den Ausführungen der Museumspädagogen Desvallées/ Mairesse (2010), die den Begriff der musealen Kommunikation näher erläutern und um „Mediation“ erweitern: Communication itself includes education and exhibition, undoubtedly the two most visible functions of museums. In this regard it seemed to us that the educational function had grown sufficiently over the past few decades for the term mediation to be added to it. (ebda, 20) Desvallées/ Mairesse (2010, 30) führen ferner aus, dass es sich bei musealer Kommunikation zunächst um non-verbale Kommunikation handelt, die über die Präsentation der Ausstellungsobjekte läuft; hierzu zitieren sie Cameron (1968): The museum as a communication system, then, depends on the non-verbal language of the objects and observable phenomena. It is primarily a visual language, and at times an aural or tactile language. So intense is its communicative power that ethical responsibility in its use must be a primary concern of the museum worker. (Desvallées/ Mairesse 2010, 30) Der Wert von Museen für fremdsprachliches Lernen liegt folglich nicht allein in ihrer Unmittelbarkeit als nicht-virtuellen Lernorten, sondern auch in der Anschaulichkeit der authentischen Ausstellungsstücke, seien sie historischer, künstlerischer oder anderer Natur. Die Bedeutung anschaulicher bzw. ganzheitlicher Objekte vermittelt sich den Lernenden in der Regel <?page no="203"?> Museen als außerschulische Lernorte 203 leichter und vereinfacht so die fremdsprachliche Auseinandersetzung mit den jeweiligen Inhalten (vgl. z.B. Rymarczyk 2003; Witzigmann 2011). Ein weiterer Wert des Lernortes Museum ist in der Zugehörigkeit der Exponate zu den fremdsprachlichen Zielkulturen zu finden. Über die Exponate kann die Zielkultur den Lernenden in authentischer Form näher gebracht werden oder auch Vertreter der Zielkulturen, sofern Künstler zu den Ausstellungen anreisen (Rymarczyk 2000). Historische Orte, die museumsdidaktisch aufbereitet wurden, besitzen vermutlich die größte unmittelbare Wirkung. Für den Kontext zweitsprachlichen Lernens sei das Workshop-Angebot des Tenement Museum in Manhattans Lower East Side (NYC) angeführt. In sog. „Shared Journeys“ führen Schauspieler in historischen Kostümen durch das restaurierte vierstöckige Mietshaus, in dem zwischen 1863 und 1935 7.000 mittellose Immigranten unterkamen. Sie fordern die vor kurzem in die USA immigrierten Teilnehmer auf, sich das Leben in den tenements vorzustellen und ihre eigenen Erfahrungen mit denen der frühen irischen, italienischen, jüdischen und deutschen Einwanderer zu vergleichen (vgl. Ilnytzky 2014). Auch, wenn die vermutlich durchweg positiv ausfallenden Ergebnisse dieser Vergleiche etwas zu forciert erscheinen mögen, so dürfte aber doch ein Ergebnis zu rechtfertigen sein: die Einsicht, dass die Unterstützung des Zweitspracherwerbs bzw. vor allem die der angestrebten Mehrsprachigkeit hilft, die Lebensumstände von Immigranten zu verbessern. 2 Aktuelle Entwicklungen und Ansätze zum Lehren und Lernen fremder Sprachen an außerschulischen Lernorten 2.1 Bilingualer Sachfachunterricht Bilingualen Sachfachunterricht gibt es zwar seit mittlerweile 40 Jahren, aber die Methode ist nach wie vor aktuell und wird aktiv beforscht (vgl. z.B. Rüschoff/ Sudhoff/ Wolff 2015), sodass es legitim erscheint, bilinguales Lernen an dieser Stelle als aktuellen Ansatz zu erwähnen. Während Museumsbesuche für Fächer wie Kunst oder Geschichte aus den in Kapitel 1 angeführten Gründen als vergleichsweise etabliert gelten (vgl. z.B. Popp/ Schönemann (2009) für das Fach Geschichte), dürften sog. „Unterrichtsgänge“ für andere Fächer weitaus seltener anzutreffen sein. Nichtsdestotrotz werden außerschulische Lernorte auch hier, wie beispielsweise die Publikation von Klaes (2008) zum naturwissenschaftlichen Unterricht zeigt, zunehmend wahrgenommen und integriert. Dass Angebote für fremdsprachliches bzw. bilinguales Lernen jedoch nach wie vor eine Ausnahme darstellen, liegt möglicherweise an vier Gründen (Rymarczyk 2013b, 163f.). <?page no="204"?> Jutta Rymarczyk 204 Zunächst ist mit Thaler (2010, 6) festzuhalten, dass Museen nicht für fremdsprachliches Lernen strukturiert sind. Es ist somit die Aufgabe der Lehrkräfte, das Sprachlernpotenzial einer Ausstellung zu ergründen und es didaktisch-methodisch aufzubereiten. Ein zweiter Grund liegt u.U. in dem Umstand, dass Fremdsprachenlehrkräfte nicht hinreichend mit Kunst-, Geschichts- oder naturwissenschaftlichen Museen vertraut sind, um sich der genannten Aufgabe gewachsen zu fühlen. Ebenso wenig sind aber die meisten Museumsdidaktiker fremdsprachendidaktisch versiert genug, um sinnvolle Sprachlernangebote zu konzipieren (Grund 3). Die vierte Herausforderung für fremdsprachliches Lernen ist der oben erwähnte non-verbale Charakter musealer Kommunikation. Während er sich als vorteilhaft für das Verstehen darstellt, erschwert er die Sprachproduktion der Lernenden erheblich. Handouts mit Redemitteln sind nicht die Lösung. Sie vereiteln zumindest im Kunstmuseum die individuelle Interaktion mit einem Kunstwerk, da sie subjektive Interpretationen einschränken bzw. den Lernenden die Sicht der Person aufdrängen, die die Redemittelliste erstellt hat (Rymarczyk 2013b, 164). Ein Weg, der die fremdsprachliche Textproduktion im Museum unterstützen könnte, ist der Einsatz neuer Technologien im Museum sowie bei der schulischen Rahmung des Unterrichtsgangs (ebda, 164ff.; s. Kapitel 4). 2.2 Inklusion Aspekte von Inklusion werden zunehmend im öffentlichen Raum aufgegriffen. Häufig sind sie verknüpft mit der sog „Leichten Sprache“ 1 http: / / www , um ihre Zielgruppe einfacher zu erreichen. So wird „Heidelberg in Leichter Sprache“ als „ein Stadtführer für Menschen, die Bilder und kurze Texte bevorzugen, also z.B. ältere Menschen, Kinder, Personen mit Deutsch als Zweitsprache oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen“ (Alavi 2014) beschrieben. In ähnlicher Weise lassen sich Informationen über die Bundeskunsthalle Bonn in leichter Sprache aufrufen ( .bundeskunsthalle.de/ leichte-sprache/ leichte-sprachestartseite.html). Diese spezielle Sprachvariante könnte neben dem erst- und zweitsprachlichen Kontext sicherlich auch dem fremdsprachlichen Lernen zuträglich sein. Die Verknüpfung von leichter Sprache und dem außerschulischen Lernort Museum erschließt sich durch die Ausstellungsdidaktik eines Hauses bzw. die Art der Vermittlung der Gegenstände und Themen. So bietet 1 Netzwerk Leichte Sprache - Regeln der Leichten Sprache: http: / / www.leichtesprache.org/ images/ Regeln_Leichte_Sprache.pdf (02.06.2015). <?page no="205"?> Museen als außerschulische Lernorte 205 die Bundeskunsthalle beispielsweise Tastführungen mit ausführlichen Beschreibungen für Sehbehinderte und Blinde an, aber auch Fortbildungen für Lehrkräfte, die sich dem Thema „Kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz als ein Stück Lebensqualität“ widmen. 2 Für das Fremdsprachenlernen ist insbesondere die Qualität des Inputs und somit die Schnittstelle von Museumsdidaktik und Spracherwerbstheorien bzw. Theorien zum Grammatikerwerb von Interesse. Input-basierte Optionen im Kontext eines Focus on Grammar können optimal auf die auf Wahrnehmung ausgerichteten Prinzipien guter Ausstellungsdidaktik abheben wie die folgende museumsdidaktische Ausführung zeigt: Es sind wiederum die oben beschriebene Ganzheitlichkeit der Exponate, die Präsentation der Exponate, sowie „hands-on“-Zugänge, die es erlauben, dass Menschen mit eingeschränkter Aufnahmekapazität von dem Dargebotenen profitieren. Die Präsentation von Dingen folgt bestimmten Regeln und Zielen. Museen organisieren und strukturieren in dieser Hinsicht nicht nur die ausgestellten Musealien, sondern auch die Wahrnehmungsweisen von Menschen und dementsprechend auch deren Lern- und Erkenntnisprozesse […]. Nicht seine [des Exponats, J.R.] bloße Existenz, sondern seine Bedeutung ist daher im Museum von Belang. Museumsdinge werden also [durch, J.R.] das Museum zu Zeichen- und Bedeutungsträgern gemacht. (Klepacki 2012, 16) Für eine mit Inklusionsschülern durchmischte Lerngruppe wäre es zweifellos eine Bereicherung, Fremdsprachenunterricht in einer Umgebung zu erleben, die so reich an non-verbalen Informationen ist, dass der Bedeutungserschließung nicht allzu viel Verarbeitungskapazität zukommen muss und folglich stärker auf die sprachliche Form geachtet werden kann. Im Sinne des sog. Input Processing Model (vgl. VanPatten 2009) ist dann die Möglichkeit gegeben, den sprachlichen Input leichter in Intake zu verwandeln und somit die Basis für fremdsprachliches Lernen zu schaffen. 2.3 Entwicklung der Schulform Ganztagsschule und der non-formalen Bildung Das zunehmende Gewicht von Mess- und Standardisierbarkeit im Bildungsdiskurs und mit ihr das Teaching to the Test der vergangenen Jahre ist vielerorts kritisiert worden; eine Gegenbewegung folgend auf die Dominanz formaler und quantitativer Kriterien von Bildung lässt sich in dem Fokus auf non-formaler Bildung finden. So bildete non-formale Bildung beispielsweise 2 Die Inhalte der Fortbildungen zu Demenz lassen sich vermutlich zu einem gewissen Grad auf Menschen mit anderen kognitiven Beeinträchtigungen bzw. deren Fremdsprachenlernen übertragen. <?page no="206"?> Jutta Rymarczyk 206 das Sonderthema des Bildungsberichts für Deutschland im Jahr 2012 3 Die Bedeutung der kulturellen Bildung wird in den kommenden Schuljahren noch zunehmen. Gerade die zunehmende Realisierung der Ganztagsschule und die damit verbundenen inhaltlichen und organisatorischen Herausforderungen führen einerseits zu einer verstärkten Einbindung nichtschulischer Personen und Trägerorganisationen vor allem im Nachmittagsbereich, andererseits aber auch zu Kooperationen mit kulturellen Institutionen außerhalb der Schule. Intendiert wird hierbei zumeist eine Bereicherung des Schulalltags, eine Ausweitung von Lernmöglichkeiten und das Eröffnen lebensweltlich-kultureller Erfahrungsbereiche. (Klepacki 2012, 12) , was von museumsdidaktischer Seite mit ihrem Auftrag zu kultureller Bildung verknüpft und mit Blick auf die Entwicklung der deutschen Schullandschaft diskutiert wurde: Während Klepacki lediglich den Nutzen anspricht, den Schulen aus der Kooperation mit Museen ziehen, sei auch erwähnt, dass Museen über ihre Angebote für Schulen oder andere Bildungsträger neue Adressatengruppen ansprechen können, die ihnen sonst kaum zugänglich wären, und somit ihre Besucherzahlen verbessern. Abb. 1+2: Buru Transforma Kangaroo, Michel Tuffery, 2014 3 Vgl. dazu die Ausführungen der Arbeitsgruppe zur Einbeziehung nicht-formalen Lernens in den Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR). Es wird betont, dass dem DQR neben formalen Qualifikationen auch nicht-formal oder informell erworbene Kompetenzen zugeordnet werden können (http: / / www.dqr.de/ content/ 2321.php, 02.06.2015). <?page no="207"?> Museen als außerschulische Lernorte 207 Interessant für zweitspracherwerbsfördernde Kontexte sind ferner Projekte einzelner Künstler, die im öffentlichen Raum bzw. der Natur stattfinden. Es sind oftmals Lernende aus bildungsfernen Bevölkerungsgruppen, denen ein bestimmter Gegenstand durch einen Künstler näher gebracht bzw. aus neuer Perspektive gezeigt wird, was Erkenntnis- und Bildungsprozesse auslösen kann sowie ganz konkrete Fertigkeiten, die die Spanne von „Sprache bis Schweißen“ umfasst. Als Beispiel für außerschulische Lernorte dieser Art sei auf die Arbeit des neuseeländischen Künstlers Michel Tuffery verwiesen und speziell auf sein Projekt „Transforma“, das die örtliche Bevölkerung für den Zusammenhang von Gewässerverschmutzung und Verhaltensweisen wie Brandstiftung und unrechtmäßige Müllentsorgung sensibilisierte und aus vier Teilen bestand: das Bergen von Autowracks aus einem Fluss, einem open-air Skulpturen-Atelier auf einem öffentlichen Parkplatz, diversen Workshops mit Jugendlichen und einer Reihe öffentlicher Angebote, die ihren Abschluss in einer großen Veranstaltung fanden (vgl. http: / / www.mca. com.au/ artists-and-works/ c3west/ michel-tuffery/ ). Das Potenzial solcher außerschulischen, handlungsbezogen-kreativen Aktivitäten sollte m.E. dringend stärker in unseren Blickwinkel rücken, wenn wir junge Menschen aus bildungsfernen Bevölkerungsgruppen erreichen wollen. Auch mit der Wahl des Titels bewies Tuffery bereits Gespür für die Interessen der Jugendlichen. Der Projekttitel verweist auf „Transformers“, eine Reihe von vier US-amerikanischen Action- und Science-Fiction-Spielfilmen (2007-2014) um intelligente Roboter, die wiederum auf einer gleichnamigen Spielzeugreihe basiert. Die Filme wurden von einer sehr groß angelegten Marketing-Kampagne begleitet (Spielzeugfiguren, Comics, Bücher, Videospiele sowie ein Alternate Reality Game), die international die Aufmerksamkeit Jugendlicher auf sich zog. Fremdsprachliches Lernen kann von solcher Intertextualität bzw. Intermedialität (die schnell über die Popkultur hinausreicht, wenn man z.B. Tufferys Skulptur „Buru Transforma Kangaroo“ (vgl. Abb. 1-2) neben Picassos Assemblagen 4 Wesentlich erscheint hier in erster Linie, dass außerschulische Lernorte (vermeintliche) bildungselitäre Vorurteile aufbrechen können, über das, was Kunst ist oder auch nicht - auch unter den Jugendlichen. stellt) profitieren, indem Bezüge zwischen den einzelnen Werken hergestellt und versprachlicht und den Lernenden so unterschiedliche und neue Bedeutungs- und Verweishorizonte eröffnet werden (vgl. Rymarczyk 2007). 4 Vgl. „Pavian mit Jungem“ (Picasso 1951), das u.a. aus zwei Spielzeugautos besteht. <?page no="208"?> Jutta Rymarczyk 208 3 Methodische und didaktische Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht an außerschulischen Lernorten In der Überzeugung vieler Didaktiker liegt der Hauptwert des außerschulischen Lernorts Museum in der Offenheit des Angebots an Lernanlässen, aus dem die Lernenden nach eigenem Belieben die Gegenstände auswählen können, die für sie von Interesse sind (vgl. hierzu den von Falk und Dierking (2000) eingeführten Begriff der „free choice settings”). Während diese Sichtweise für erstsprachlichen Unterricht gewinnbringend sein mag, kann es hier im fremdsprachlichen Lernkontext aber leicht zu einer Überforderung der Lernenden kommen. An außerschulischen Lernorten, die nicht für fremdsprachliches Lernen vorstrukturiert sind und an denen Lernende sich teils ohne Lehrkraft bewegen, bedarf es einer stärkeren oder zumindest anderen Unterstützung durch die Lehrkraft als in traditionellem Fremdsprachenunterricht. Der starke Fokus auf Schülerorientierung und -autonomie, der den fremdsprachendidaktischen Diskurs der letzten zwei Jahrzehnte geprägt hat, ist im Kontext außerschulischer Lernorte neu zu hinterfragen (Rymarczyk, in Arbeit). Die Beobachtung, dass ein zu großes Vertrauen auf Schülerorientierung und -autonomie tatsächlich zu geringeren Lernergebnissen oder gar Frustration aufseiten der Lernenden führt, wird auch aus dem Bereich des Zweitspracherwerbs im Museum berichtet (Widin/ Yasukawa 2014). Überhaupt scheint derzeit ein neuer Blick auf die Rolle der Lehrkraft und damit auch wieder auf fremdsprachliche Lehr- und nicht mehr nur auf Lernprozesse gerichtet zu werden (Königs 2014a/ b). Die Fragen, die sich hier ergeben, beziehen sich folglich auf den Grad, den Charakter und den Ort der Unterstützung durch die Lehrkräfte. Dass außerschulisches Lernen sinnvoll durch schulische Aktivitäten (Vor- und Nachbereitung) zu rahmen ist, kann als Konsens betrachtet werden. Es sollte aber m.E. nicht so aussehen, wie es aus manchen Publikationen zu außerschulischen Lernorten abzuleiten ist (vgl. z.B. Burk/ Claussen 1998), dass nämlich z.B. Museen auf die reine „edutainment“-Ebene reduziert werden, während die Schule als der alleinige Ort für reflektive und systematisierende Phasen angesehen wird. Es gilt, eine gelungene Verzahnung von beiden Orten zu finden, bei der neue Technologien bzw. Medien wie die folgenden eine wichtige Rolle spielen können: „digital exhibitions or cyber-exhibitions (a field in which a museum may have genuine expertise), on-line catalogues, more or less sophisticated discussion forums, and forays into social networks (YouTube, Twitter, Facebook, etc.)“ (Desvallées/ Mairesse 2010, 30). <?page no="209"?> Museen als außerschulische Lernorte 209 Die Balance zwischen der Bewahrung des „Genusscharakters“ und dem Stellen kognitiver Ansprüche scheint die primäre Herausforderung für fremdsprachliches Lernen an außerschulischen Lernorten zu sein. Literatur Alavi, Bettina (2014): „Inklusion konkret: Heidelberg in Leichter Sprache“. In: Public History Weekly 2 (7), http: / / public-history-weekly.oldenbourg verlag.de/ 2-2014-7/ inklusion-konkret-heidelberg-leichter-sprache (03.04.2015). Anderson, G. (Hrsg.) (2000): Reinventing the Museum. Historical and Contemporary Perspectives on the Paradigm Shift. Lanham: Rowman/ Littlefield Publishers. 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Dabei gehe ich von einem pädagogischdidaktischen, kritisch-psychologischen Lernbegriff aus, der Lernen als bewusstes, geplantes und damit der Reflexion zugängliches Handeln auffasst. Dies schließt nicht aus, dass auch andere, nicht-bewusste, ungeplante und nicht reflektierbare kognitive Prozesse zur Erweiterung der fremdsprachlichen Handlungsmöglichkeiten beitragen. Insofern sollte z.B. der schulische Fremdsprachenunterricht als ein Lehrort betrachtet werden, an dem Lernen nicht unbedingt (im gewünschten Sinne) erfolgt, der aber die Wahrscheinlichkeit, dass das angestrebte Lehrziel erreicht wird, und die Geschwindigkeit, mit der dies geschieht, erhöht. Die Differenzierung zwischen Lernorten und Lerngelegenheiten, die die Leitfrage vornimmt, interpretiere ich in diesem Sinne. Diese Differenzierung macht aber auch deutlich, dass die bloße Benennung der Räumlichkeit, an der das Lehren und Lernen der Sprache L als Fremdsprache stattfindet (im Klassenraum X der Schule Y in der Stadt Z) nicht ausreicht, um ihren Einfluss auf das Lehren und Lernen der Sprache L durch die Lernenden angemessen zu erfassen. Ein bestimmter Lehrort ist - auch wenn bei den Lobpreisungen, die dem „außerschulischen Lernen“ bisweilen zuteil werden, der gegenteilige Eindruck entstehen könnte (siehe z.B. Teile der Beiträge in Gehring/ Stinshoff 2010) - nicht per se geeigneter als ein anderer. Im Übrigen ist ja auch der Lehr- und Lernort Museum, Theater, Zoo oder Flughafen nicht von vornherein ein für das (Fremdsprachen-) Lernen vorbereiteter Raum, sondern er wird dies durch methodisch- <?page no="212"?> Lars Schmelter 212 didaktische Arrangements, die von der Lehrperson, den Lernenden oder beiden ausgehen können. Das gezielte Verlassen des Klassenzimmers im Rahmen des schulischen Fremdsprachenunterrichts wird in der Literatur und wurde auch im Rahmen der Diskussionen der Frühjahrkonferenz explizit oder implizit mit wiederkehrenden Argumenten begründet. Diese laufen darauf hinaus, dass bestimmten Orten Qualitäten anhaften, die durch Lehr- und Lernarrangements wirksam bzw. genutzt werden können und die - z.B. durch die Erhöhung des Inputumfangs, seine Diversifizierung und insgesamt veränderte qualitative Gestalt sowie durch die angenommene Erhörung der individuellen Redebeiträge der Lerner in der Fremdsprache - das Fremdsprachenlernen selbst positiv verändern (Lerngeschwindigkeit, -umfang, -ergebnisse). Daneben wurde und wird auf die indirekten Wirkungen von Lehr- und Lernorten verwiesen, die für das Fremdsprachenlernen förderlich sein können, weil angenommen wird, dass diese Orte außerhalb des Klassenzimmers wichtige Einflussfaktoren für das Fremdsprachenlernen wie z.B. Motivation u.a. durch die vermutete höhere persönliche Relevanz der Inhalte, die eingeforderten Handlungen oder den Neuheitseffekt positiv beeinflussen. Zudem scheint in den Diskussionsbeiträgen die Bedeutung der Kontrolle über Inhalte und Abläufe durch die Lernenden zumindest in Ansätzen immer wieder durch, ohne in jedem Fall explizit erläutert und konzeptuell eingebunden zu werden. Daher könnte für die nähere Bestimmung von Lehr- und Lernorten sowie zur Bestimmung ihrer Relevanz für das Erreichen bestimmter Ziele beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen der Bestimmungsversuch, den Benson (2011) für das Fremdsprachenlernen jenseits des Klassenzimmers vornimmt, hilfreich sein. Benson versucht die Charakteristika des Fremdsprachenlernens jenseits des Klassenzimmers anhand von vier Dimensionen (location, formality, pedagogy, locus of control), die sich in bestimmten settings zu konkreten modes of practices fügen, näher zu bestimmen. Diese Analysekategorien können auf die drei hier als relevant deklarierten Lehr- und Lernorte bzw. -gelegenheiten angewandt werden: • der schulische Fremdsprachenunterricht (Lerngelegenheit) 1 • das Fremdsprachenlernen im Tandem (Lerngelegenheit); sowie das Klassenzimmer (Lehr- und Lernort), in dem er stattfindet; • der bilinguale Unterricht (Lerngelegenheit) sowie die Klassenzimmer (Lehr- und Lernort), in denen er stattfindet. 1 Vgl. das Angebots-Nutzungs-Modell unterrichtlicher Wirkung bei Helmke (2014, 71). <?page no="213"?> Gelegenheiten nutzen (lernen) … 213 Wenn sich die Relevanz über die Häufigkeit bzw. die Verbreitung eines Phänomens bestimmen lässt, dann dürfte der schulische Fremdsprachenunterricht, der in einem Klassenzimmer erfolgt, zumindest im europäischen Kontext weiterhin als einer der wichtigsten Lehrorte und vermutlich auch Lernorte gelten. Den Lernenden wird eine mehr oder weniger vorbereitete und mehr oder weniger geeignete und den individuellen Bedürfnissen angemessene Lerngelegenheit geboten. An diesem Ort kommen Lernende und Lehrpersonen zusammen, bringen ihre unterschiedlichen Erfahrungen und die daraus erwachsenen Kompetenzen ein. Insofern ist der schulische Fremdsprachenunterricht dann auch der Ort, an dem sich die unterschiedlichen Lerngelegenheiten treffen, die die Schülerinnen und Schüler auch jenseits der Schule nutzen, und deren unterschiedliche Ergebnisse durch die Lehrperson koordiniert und in die Lehrprozesse einbezogen werden sollten. Relevant ist der (schulische) Fremdsprachenunterricht aber auch, weil er für die meisten Lernenden in Europa der Ort ist, an dem sie erstmals (und manchmal auch zuletzt) Fremdsprachen lernen. Den Schülerinnen und Schülern wird hier durch die Wahl der unterrichteten Sprachen, die Art der Lehre, durch die Leistungsüberprüfungen und -bewertungen sowie im Idealfall durch unterrichtlich gerahmte Begegnungen mit Sprechern der fremden Sprache(n) und Kultur(en) vermittelt, worauf es - zumindest aus Sicht der Schule und ihrer Akteure - beim Fremdsprachenlernen ankommt. Insofern gibt der schulische Fremdsprachenunterricht für die meisten Lernenden - und sei es im Sinne eines „So-nicht-noch-einmal“ - die Vorlage für das weitere Lernen von Sprachen. Vor dem Hintergrund dessen, was wir bislang über das Lernen von Fremdsprachen wissen, sollte es dem Fremdsprachenunterricht idealerweise gelingen, einen möglichst umfangreichen Zugang zu einem für die Lerner bedeutsamen und damit motivierenden, interessanten und lernförderlichen fremdsprachlichen, -sprachigen und -kulturellen Input zu schaffen (Bedeutung der Faktoren Motivation und time on task). Zugleich sollte es dem Fremdsprachenunterricht gelingen, den bereitgestellten Input sowie dessen Nutzung für das Lernen in einer Weise zu systematisieren, die die individuell ablaufenden Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler unterstützt (Bedeutung des Faktors Bewusstmachung). Vor diesem Hintergrund kann der Unterricht in einer zweiten Fremdsprache - wie z.B. dem Französischen - als besonders relevanter Lehr- und Lernort gelten, weil hier die Spezifika des Erlernens von zweiten und weiteren Fremdsprachen (siehe u.a. Hufeisen 2010) erstmals zum Tragen kommen und für das Lehren und Lernen genutzt werden können. Sie sind für das weitere Lernen von Sprachen von besonderer Bedeutung. Daher sollte es dem Fremdsprachenunterricht idealerweise auch gelingen, im Sinne einer integrativen Mehrsprachigkeitsdidaktik (Hallet/ Königs 2010) den Schülerinnen und Schülern aufzu- <?page no="214"?> Lars Schmelter 214 zeigen, wie sie ihre jeweiligen Sprach- und Sprachlern- und -nutzungskompetenzen für das Weiter- und Hinzulernen von Sprachen auch über den schulischen Fremdsprachenunterricht hinaus bedarfs-, bedürfnis- und ressourcengerecht nutzen könnten. Kurz: Der Fremdsprachenunterricht sollte dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler neben den unterrichteten Fremdsprachen auch lernen, sich bietende weitere Lerngelegenheiten zu erkennen und für sich zu nutzen. Das Fremdsprachenlernen im Tandem und gerade seine im Fremdsprachenunterricht eingebundene bzw. unterstützte Nutzung betrachte ich u.a. deshalb als eine besonders relevante Lerngelegenheit. Denn sie kann ausgehend von einer Grundkonstellation in unterschiedlichen didaktischen Rahmen und didaktisch gestalteten Umfeldern mit Blick auf die vier von Benson (2011) vorgeschlagenen Dimensionen in unterschiedlichen Modi den jeweiligen Bedarfen und Bedürfnissen aus der Perspektive von Lehrenden und Lernenden angepasst werden (Schmelter 2004; 2010a/ b). Dabei vereint das Tandem die für Fremdsprachenunterricht bedeutsame Herausforderung der inhaltlich bedeutsamen fremdsprachigen Kommunikation mit genuinen Sprechern der Zielsprache mit der Möglichkeit, sich u.a. systematisch der Aneignung der sprachlichen Formen zu widmen. Dies kann im Tandem in einem kommunikativen Schonraum erfolgen, der aber interkulturelle Konflikt- und damit potenzielle Lernsituationen nicht ausspart, sondern durch die Begegnung mit Angehörigen der fremden Sprach- und Kulturgemeinschaft möglicherweise provoziert bzw. durch Aufgaben provozieren lässt. Der bilinguale Unterricht, den ich ausdrücklich als zweisprachigen Unterricht verstehe (siehe zu einer Typologie Diehr 2012 sowie zur erstrebenswerten Zwei- und Mehrsprachigkeit des bilingualen Unterrichts Böing/ Palmen 2012), gilt mir deshalb als relevante Lerngelegenheit, weil er den Zugang zu fremdsprachlichem Lernen um fachliche und fachsprachliche Inhalte erweitert, indem Fachinhalte in und mit der Fremdsprache zum Teil im Kontrast zur gängigen Schulsprache erarbeitet, gelehrt und eventuell gelernt werden. Bilingualer Unterricht macht dem Lehren und Lernen sprachliche und kulturelle Inhalte zugänglich, die über die Möglichkeiten des Fremdsprachenunterrichts und des allein in der Schulsprache geführten Fachunterrichts hinausgehen. Er kann daher auch bestimmte Lernorte außerhalb der Schule viel umfangreicher für Lern- und Bildungsprozesse nutzen (siehe auch Königs in diesem Band). Ob damit auch die häufig postulierte Steigerung der Bewusstheit für sprachliche Form(en) und Funktionen einhergeht oder eine Stärkung der interkulturellen Kompetenz erfolgt, kann derzeit nicht geklärt werden. Bilinguale Zweige sind aber in der Regel so organisiert, dass Schülerinnen und Schüler mehrfach im Laufe ihrer Schulzeit allein oder mit ihrer Klasse Gelegenheit haben, an einem Schüleraus- <?page no="215"?> Gelegenheiten nutzen (lernen) … 215 tausch teilzunehmen (in dessen Rahmen dann wiederum das Tandem zum Einsatz kommen kann). Kurz: Bilingualer Unterricht hat potenziell Eigenschaften, die über den Fremdsprachenunterricht hinausgehen. Die hier aufgeführten Lehr- und Lernorte bzw. -gelegenheiten stehen nicht allein. Sie sind vielfältig verknüpft mit anderen Orten und Gelegenheiten, die schulisch vermittelten Fremdsprachen zu nutzen bzw. die Kompetenzen in ihnen weiter auszubauen. Zentral bleibt jedoch in der Regel der Fremdsprachenunterricht. Das Tandem erhält seine besondere Relevanz dadurch, dass es für das Erreichen der aktuell im schulischen Fremdsprachenunterricht verfolgten Lehrziele (u.a. Sprachlernkomptenz und interkulturelle Kommunikationskompetenz) Möglichkeiten bietet, die durch andere Lerngelegenheiten eventuell weniger gut geschaffen werden können. Der bilinguale Unterricht seinerseits erhöht die aktive Kontaktzeit mit der Fremdsprache und erweitert die kulturellen und sprachlichen Handlungsfelder. 2 Über genutzte und ungenutzte Gelegenheiten Lehrziele und die Lehrmethoden, mit denen diese erreicht werden sollen, stehen in Abhängigkeit zueinander. Wenn z.B. das selbstständige Weiterlernen der schulisch vermittelten Fremdsprachen über den Schulabschluss hinaus bzw. das Lernen weiterer Fremdsprachen nach Abschluss der Schule Ziele des Fremdsprachenunterrichts sind und wenn darunter u.a. verstanden werden soll, dass die Lernenden eigenständig ihren Lernbedarf und ihre Lernziele formulieren können sollen, dann müsste schulischer Fremdsprachenunterricht ab einem bestimmten Zeitpunkt zumindest in Teilen die Kontrolle über die Lernziele, -inhalte und -prozesse den Schülerinnen und Schülern in die Hand geben. Dies steht aber zumindest teilweise im Widerspruch zu den anderen Vorgaben der Bildungsstandards. Die Vielsprachigkeit der Gesellschaft, die grenzüberschreitende Mobilität (Reisen, Austausch, beruflich bedingte Auslandsaufenthalte (der Eltern)), die Möglichkeiten des Internets usw. erhöhen die Chancen der persönlichen Begegnung mit Sprechern der schulisch vermittelten Fremdsprachen. Diese Lerngelegenheiten sollten möglichst mit dem systematischen Lernen und Lehren im Fremdsprachenunterricht koordiniert werden; und zwar auch mit Blick auf die curricular eingeforderte Vermittlung von Fremdsprachenlernkompetenz und Sprachlernbewusstheit. Hierbei könnten die verschiedenen Formen der Nutzung des Lernens im Tandem (im direkten Kontakt, medial vermittelt, didaktisch gerahmt oder durch ein didaktisch aufgearbeitetes Umfeld gestützt) hilfreich sein. Denn das Lernen im Tandem wird zunächst gerade bei jungen und noch lernuner- <?page no="216"?> Lars Schmelter 216 fahrenen Schülerinnen und Schülern stark durch vom Lehrenden gestellte Aufgaben gesteuert werden müssen. Zugleich entzieht sich die Kooperation im Tandem den Einflussnahmen und Kontrollen der Lehrenden, so dass die Schülerinnen und Schüler lernen können, eigene Lernziele systematisch zu verfolgen. 2 Dem bilingualen Unterricht wird bisweilen nachgesagt, dass er eine besondere Sensibilität für die Sprachlichkeit fachlichen Lernens habe und dass aus ihm und seiner Didaktik heraus Anregungen auch für den schulsprachigen Fachunterricht erwachsen seien bzw. könnten. Insofern steckt im bilingualen Unterricht sicherlich auch ein Potenzial für die Entwicklung schulischen (Fremdsprachen-)Unterrichts. Ob dieses Potenzial allerdings auch bei einem weitgehend monolingual in der Fremdsprache geführten Unterricht zum Tragen kommt, wird in letzter Zeit wieder deutlicher in Frage gestellt (vgl. z.B. die Beiträge in Diehr/ Schmelter 2012). An einem zentralen Lehr- und Lernort scheinen die Entwicklungen der Curricula, der Vermittlungsmethoden und fremdsprachendidaktischen Leitprinzipien in den letzten Jahrzehnten weitgehend vorüber gegangen zu sein. Die Klassenzimmer, in denen das Fremdsprachen Lehren und Lernen erfolgen, sehen - nimmt man Abstand von einigen Details und medialen Neuerungen - im Grunde noch immer so aus wie vor hundert Jahren. Die Arbeitsplätze der Schülerinnen und Schüler sind zumeist auf den Lehrenden und die Tafel (respektive interaktive Tafel oder Leinwand) ausgerichtet. Die Akustik der Räume ist schlecht. Raum für wichtige systemische Lerngerüste (Wörterbücher, Grammatiken, landeskundliche Nachschlagewerke, Plakate z.B. mit Konjugationstabellen, Redemitteln), motivierende, weil anregende und interessante Materialien (fremdsprachige Zeitschriften, Zeitungen, Bücher, CD, DVD, Bilder, Plakate usw.) und Produkte, die aus den Lernaufgaben erwachsen sind, gibt es nicht. Denn Fremdsprachenunterricht findet in der Regel weiterhin im Klassenraum und nicht wie der Kunst-, Sport-, Musik-, Biologie-, Chemie-, Physik-Unterricht in einem extra für dieses Fach als Lehr- und Lernort vorbereiteten Raum statt und muss daher Rücksicht auf die anderen im Klassenraum unterrichteten Fächer nehmen. Insofern müssen wir bei der Suche nach relevanten Lehr- und Lernorten gar nicht immer die spektakulären, weil außerordentlichen - und gerade deshalb zumeist auch mit außerordentlichem organisatorischen Aufwand verbundenen - Orte suchen. Schon der klassische Lehr- und Lernort Klas- 2 Wie schwierig, vielleicht aussichtslos dies sein kann, wenn die Lerner bereits umfangreichen Kontakt hatten und daher über zwar fließende aber bisweilen sprachstrukturell nicht korrekte Formen der Verständigung verfügen, darauf verweist u.a. Claudia Riemer in diesem Band. <?page no="217"?> Gelegenheiten nutzen (lernen) … 217 senzimmer und der in ihm stattfindende Fremdsprachenunterricht warten mit Gestaltungsaufgaben auf. Wenn diese nicht aufgegriffen werden, blieben Potenziale ungenutzt, die besser genutzt werden könnten bzw. sollten. 3 Über Forschung Angesichts der für die Sprachlehrforschung identitätsstiftenden Faktorenkomplexion und des forschungsmethodologischen Anspruchs, diese im Blick zu behalten, geraten Forschungsvorhaben, die nur Ausschnitte des Fremdsprachenunterrichts in den Blick nehmen, schnell in den Verdacht, sich im Kleinen zu verlieren. Dieser mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Verdacht gegenüber experimentellen oder quasi-experimentellen Ansätzen, d.h. gegenüber quantitativen Herangehensweisen scheint mit nicht nur unberechtigt, sondern sowohl forschungsstrategisch als auch mit Blick auf die Außenwirkung der Disziplin problematisch. Denn auch qualitative Verfahren laufen durch den bloßen Rückgriff auf Einzelfälle Gefahr, dass „Ganze“ aus dem Blick zu verlieren. Zudem kann auch im Rahmen quasi-experimenteller Forschung Fremdsprachenunterricht im Kleinen systematisch und positiv verändert werden (Schmelter 2015). Für besonders fruchtbar halte ich mit Blick auf Lehr- und Lernorte Forschungszugriffe, die von den Lernenden ausgehen. Denn sie koordinieren mehr oder weniger bewusst die Lernprozesse, die an den verschiedenen Orten bzw. in den verschiedenen Lerngelegenheiten initiiert werden. Nur wenn man sie befragt, kann man das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Lernorte und -gelegenheiten, die von ihnen genutzt werden, überhaupt erfassen und dieses Wissen in der Folge für die Gestaltung von Lehrangeboten nutzen. Insofern scheinen mir auch solche Forschungszugriffe fruchtbar, die den zentralen Lehr- und Lernort, d.h. den Fremdsprachenunterricht berücksichtigten und seinen zentralen Akteur, d.h. die Lehrperson und ihre Perspektive in den Blick nehmen. Schließlich ist es die Lehrperson, der es gelingen muss, die heterogenen Lernausgangslagen und Lernprozesse im vorgegebenen Rahmen angemessen zu berücksichtigen. Um jedoch die bisweilen sehr pauschal angenommenen Wirkungen von (außerschulischen) Lernorten empirisch absichern zu können, sollten diese auch deskriptiven wie experimentellen quantifizierenden Untersuchungen zugeführt werden. Nur so kann z.B. geklärt werden, ob der Umfang des individuellen Sprachgebrauchs sich tatsächlich gegenüber dem Fremdsprachenunterricht im Klassenzimmer erhöht, ob durch den spezifischen Input auch die Schülerinnen und Schüler über einen umfangreicheren und breite- <?page no="218"?> Lars Schmelter 218 ren Wortschatz verfügen, ob sie insgesamt motivierter die Fremdsprache lernen usw. 4 Über Herausforderungen Der Fremdsprachenunterricht ist schon lange nicht mehr der einzige Ort, an dem Schülerinnen und Schüler mit anderen Sprachen als ihren Erstsprachen in Berührung kommen. Häufig ist der Fremdsprachenunterricht auch nicht mehr allein der Ort, an dem Schülerinnen und Schüler mit systematischen Lehrbemühungen konfrontiert werden. Ich nenne hier à titre d’exemple nur einige von ihnen: durch das Internet mögliche Kontakte mit fremdsprachigen Personen und Materialien, Schüleraustausch, Ferienfreizeiten im Ausland (mit Sprachkurs), Nachhilfe. Nicht immer nutzen Schülerinnen und Schüler diese Gelegenheiten. Weil aber zumindest ein Teil sie nutzt, erwachsen daraus für die Gestaltung des Unterrichts Herausforderungen. Eine Herausforderung für den nach Jahrgängen und nicht nach Kompetenzständen organisierten schulischen Fremdsprachenunterricht dürfte darin bestehen die individuellen Lernstände und Lernprogressionen, die sich an jahrgangsbezogenen Standards und damit an den darauf bezogenen inhaltlichen Vorgaben und Progressionen reiben, in die Unterrichtsgestaltung mit einzubeziehen (u.a. individueller Lernwortschatz; individuelle grammatische Progression). Dabei stellt der zweisprachige oder einsprachig, aber in der unterrichteten Fremdsprache aufgewachsene Lernende sicherlich die größte Herausforderung für den Lehrenden dar; dicht gefolgt vom „Heimkehrer“ nach einem längeren Aufenthalt in einem Land der unterrichteten Fremdsprache. Eine weitere Herausforderung auch für den Französischunterricht dürfte die Vorbereitung auf den fremdsprachigen Ernstfall sein, der heute wahrscheinlicher sein dürfte als zuvor. Diesen für Französisch herbeizuführen, dafür bestehen aufgrund der engen Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich mehr Möglichkeiten als für die meisten anderen schulisch vermittelten Fremdsprachen. Den Schock des Ernstfalls gilt es im Vorfeld abzufangen, im Nachgang aufzuarbeiten und konstruktiv für das weitere Lehren und Lernen zu nutzen. Auf diese Weise können Frustrationen ob der eventuell noch unzulänglichen sprachlichen Kompetenzen eher vermieden und die empirisch belegte Verfestigung von Stereotypen im Rahmen von Auslandsaufenthalten besser verhindert werden. Die Rückbindung der Erfahrungen, die an den außerschulischen Lernorten gemacht wurden, an den Unterricht sowie die systematische Aufarbeitung der sprachlichen Formen, die an den außerschulischen Lernorten vermutlich hinter die inhaltlich bedeutsamen kommunikativen Inhalte <?page no="219"?> Gelegenheiten nutzen (lernen) … 219 zurückgetreten sein dürften, scheinen mir eine große Herausforderung zu sein. Die Lebendigkeit der außerschulischen Verwendung der fremden Sprache (z.B. im Tandem) wird der innerschulische Fremdsprachenunterricht in der Regel nicht erreichen können. Der außerschulischen Situation wird demgegenüber in der Regel der systematische, sprachbetrachtende Charakter in seiner lernförderlichen Wirkung fehlen. Literatur Benson, Phil/ Reinders, Hayo (Hrsg.) (2011): Beyond the Language Classroom. Basingstoke: Palgrave Macmillian. Benson, Phil (2011): „Language Learning and Teaching Beyond the Classroom: An Introduction to the Field“. In: Benson/ Reinders (Hrsg.), 7-16. Böing, Maik/ Palmen, Paul (2012): „Bilingual heißt zweisprachig! Überlegungen zur Verwendung beider Sprachen im bilingual deutsch-französischen Geographieunterricht“. In: Diehr/ Schmelter (Hrsg.), 73-90. Diehr, Bärbel/ Schmelter, Lars (Hrsg.) (2012): Bilingualen Unterricht weiterdenken - Programme, Positionen, Perspektiven. Frankfurt a.M. u.a.: Lang. Diehr, Bärbel (2012): „What's in a name? Terminologische, typologische und programmatische Überlegungen zum Verhältnis der Sprachen im Bilingualen Unterricht“. In: Diehr/ Schmelter (Hrsg.), 17-36. Gehring, Wolfgang/ Stinshoff, Elisabeth (Hrsg.) (2010): Außerschulische Lernorte des Fremdsprachenunterrichts. Braunschweig: Diesterweg. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.) (2010): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (2010): „Mehrsprachigkeit und vernetzendes Sprachlernen“. In: Hallet/ Königs (Hrsg.), 302-307. Helmke, Andreas ( 5 2014): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hoffmann, Sabine/ Stork, Antje (Hrsg.) (2015): Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik. Festschrift für Frank G. Königs zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr. Hufeisen, Britta (2010): „Theoretische Fundierung multiplen Sprachenlernens - Faktorenmodell 2.0“. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 36, 200-207. Königs, Frank G. (in diesem Band): „Ortstermin. Beobachtungen zur Bedeutung der Lernorte für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen“, 90-97. Krumm, Hans-Jürgen/ Fandrych, Christian/ Hufeisen, Britta/ Riemer, Claudia (Hrsg.) (2010): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin u.a.: de Gruyter. Riemer, Claudia (in diesem Band): „Lernorte und Fremd-/ Zweitsprachenlernen - alles vernetzt oder entgrenzt? “, 172-180. Schmelter, Lars (2004): Selbstgesteuertes oder potenziell expansives Fremdsprachenlernen im Tandem. Tübingen: Narr. <?page no="220"?> Lars Schmelter 220 Schmelter, Lars (2010a): „Tandem-Lernen“. In: Krumm et al. (Hrsg.), 1188- 1192. Schmelter, Lars (2010b): „Tandemlernen“. In: Hallet/ Königs (Hrsg.), 241-245. Schmelter, Lars (2015): „Klein. Aber fein? - Ein minimalinvasiver Weg zur schulischen Förderung von Mehrsprachigkeit“. In: Hoffmann/ Stork (Hrsg.), 85-96. <?page no="221"?> Lernort Berufspraktikum: Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften Karin Vogt 1 Lernorte und Fremdsprachenunterricht Arnold und Fonseca-Mora (2015, 225) unterscheiden die Zugänge zu Fremdsprachenlernen mit einem ironischen Unterton in zwei Orte: Kloster und Marktplatz. The monastery approach refers to organized language learning in a classroom with students and a teacher following a formal, rule-based plan while the market-place approach would involve being in a context where the language is spoken, not specifically to learn the language but using it to get something done. Die Symbolik des Marktplatzes als (außerschulischer) Lernort leuchtet zwar unmittelbar ein, greift jedoch etwas zu kurz. Der außerschulische Lernort im Fremdsprachenunterricht wird als ein Ort außerhalb des Klassenzimmers verstanden, an dem fremdsprachliche Lernprozesse eher beiläufig initiiert werden. Lernorte zeichnen sich zusätzlich aus durch ihre Heterogenität, vom Kino (Lütge 2013) über die Bibliothek (Gehring 2010) bis zum Altenheim (Minuth 2012). Rymarczyk (2013) nimmt in Anlehnung an Burk et al. (2008) eine Klassifikation zwischen primären (z.B. Schule) und sekundären (Theater, Arbeitsplatz) Lernorten vor und fügt mit Orten wie Museen, die weder „natürliche“ Lernorte darstellen noch als Einrichtung klar definierbare (fremdsprachen)didaktische Lernziele verfolgen, tertiäre bzw. hybride Lernorte als eine dritte Kategorie hinzu. Grau und Legutke (2013) favorisieren ein komplexes Konzept von vernetzten Lernorten. Der Versuch einer Systematik von Lernorten gestaltet sich schwierig, da Lernorte multikomponentiell sind. Am Beispiel des Lernortes Berufspraktikum, um den es im Beitrag gehen soll, sollen einige dieser Komponenten erläutert werden. Die geografisch-zeitliche Komponente betrifft den physischen Ort des Arbeitsplatzes situiert in einem Unternehmen, in dem fremdsprachliche Kommunikationsprozesse, etwa Statusmeetings, zu bestimmten Zeiten ablaufen. Außerordentlich wichtig ist die didaktische Komponente des Lernortes im Sinne von didaktischem Potenzial. Unterschiedlichste <?page no="222"?> Karin Vogt 222 Lerngelegenheiten werden modelliert an Lernorten, so dass Lernprozesse auf der inhaltlichen, sprachlichen und sozialen Ebene angestoßen werden können (Rymarczyk 2010). Der eher vernachlässigte Lernort Berufspraktikum geht über die genannten Lernzielebenen hinaus, indem er auch professionsorientierte Kompetenzen fördert (zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften am Beispiel von Mathematik vgl. Kunter et al. 2011). Stohlmann (2010) bezeichnet das work placement von (Berufs-)Schülern im englischsprachigen Ausland als geradezu ideale Gelegenheit, um Kompetenzen auf der inhaltlich-fachlichen Ebene und der sprachlichen Ebene zu erweitern und gleichzeitig berufsorientierte Kompetenzen im Sinne von Einblicken in betriebliche Abläufe zu erhalten. Durch die Tatsache, dass im Normalfall Schüler_innen eher einzeln als in der Gruppe Praktika absolvieren, kann man von einer individualisierten Lernerfahrung sprechen, die entsprechend didaktisch aufgearbeitet werden muss. Lernorte zeichnen sich auch durch ihre soziale Komponente aus, denn sie hängen mit handelnden Personen zusammen. Im Berufspraktikum finden sich viele authentische Kommunikationsanlässe, Lernende müssen sich sprachlich zurechtfinden in communities of practice, im Rahmen derer sie Sprachhandlungen ausführen. Sie erledigen mit anderen Mitgliedern der communities Aufgaben in der Fremdsprache und sind involviert in kontextspezifische diskursive Praktiken. Die communities sind u.U. dieselben, in denen sich die Schüler_innen später bewegen werden, abhängig von ihren Berufszielen, die bei Berufsschüler_innen stärker ausgeprägt sind als bei Schüler_innen der allgemein bildenden Schule. Dennoch ist es sinnvoll, allen am Lernort Berufspraktikum erste professionsorientierte Eindrücke zuteil werden zu lassen, um die emotionale Komponente von Lernorten zu aktivieren, die sich beispielsweise manifestiert in Neugier auf die Kommunikationssituationen, die sie antreffen werden, dem Ehrgeiz, seine Aufgaben in der Fremdsprache gut zu meistern oder der Motivation, echte Einblicke für die spätere Berufswahl zu erhalten. Die Potentiale des Lernortes Berufspraktikum für die inhaltliche, sprachliche, interkulturelle und professionsorientierte Ebene lassen sich hervorragend auf die fremdsprachliche Lehrerbildung übertragen, wenn ein schulisches Praktikum seitens der Studierenden im englischsprachlichen Ausland absolviert wird. Diehr (2013) merkt dazu an, dass zukünftige Fremdsprachenlehrkräfte in außerschulischen Lernorten auf zwei Lernwegen Lernmöglichkeiten gegeben werden sollten, nämlich zum einen als Lernende selbst, die ihre fachlichen und/ oder fremdsprachlichen Kompetenzen erweitern, und als zukünftige Lehrkräfte, wenn sie das Potenzial von Lernarrangements an außerschulischen Lernorten für ihre (zukünftigen) Schüler ausloten. <?page no="223"?> Lernort Berufspraktikum: Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften 223 Im Falle eines mehrmonatigen Schulpraktikums im zielsprachlichen Ausland stellt die Schule selbst für die Lehramtsstudierenden einen außerschulischen Lernort dar, denn die zukünftigen Lehrkräfte leben und arbeiten im zielsprachlichen Ausland. Die untenstehende Abbildung 1 zeigt die mehrdimensionalen Einflussfaktoren auf die unterschiedlichen Lernebenen. Abb 1: Lernpotenzial des Lernortes Schulpraktikum im Ausland. 2 Schulpraktika im englischsprachigen Ausland - The Culture of Teaching Abroad Als Prinzipien der Lehrerbildung zumindest in der universitären Phase haben sich forschendes Lernen und das Leitbild des „reflective practitioner“ (Schön 1983) etabliert. Forschendes Lernen als hochschuldidaktisches Konzept (bspw. Dirks/ Hansmann 2002; Wildt 2005) will „engagierte Praxis mit dem distanzierten Blick der Wissenschaft auf die Praxis [verbinden]“ (Wildt 2005, 188). Gleichzeitig erfolgt eine Orientierung am professionellen Leitbild des „reflective practitioner“ (Altrichter 2001), mit dem Ziel, dass Lehrkräfte ihren Unterricht bewusst hinterfragen und auf der Grundage ihrer Reflexionen qualitativ weiterentwickeln können. Neben fachliches und didaktischmethodisches Wissen sowie (fremd)sprachliches Können tritt Reflexionskompetenz. professionsorientierte Lernebene (inter)kulturelle Lernebene sprachliche Lernebene <?page no="224"?> Karin Vogt 224 Wenn diese Prinzipien auch für den Lernort Schulpraktikum im zielsprachlichen Ausland handlungsleitend sein sollen, bieten sich Forschungszugänge an, die die Reflexionskompetenz und deren Entwicklung in den Blick nehmen. Diehr (2013, 70ff.) verwendet das Portfolio E-POSTL zur (Selbst-) Reflexion der Lehramtsstudierenden, die die sprachliche und kulturelle, aber nur teilweise die professionsorientierte Lernebene des Schulpraktikums im Ausland fokussiert. Das Portfolio als Reflexionsinstrument ist seit dem Europäischen Sprachenportfolio, an das sich das E-POSTL im weiteren Sinne anlehnt, allgemein akzeptiert und auch geeignet insbesondere für größere Gruppen von Informanten, weil die skalenförmig angelegten Aussagen gut quantifizierbar sind. Auch eine Entwicklung von Fertigkeiten und Kompetenzen lässt sich dabei quantitativ darstellen (Diehr 2013, 70ff.). Das vorzustellende Forschungsprojekt „The Culture of Teaching Abroad“ ist dem qualitativen Forschungsparadigma zuzuordnen und hat einen Schwerpunkt des Erkenntnisinteresses auf den interkulturellen und den professionsorientierten Lernzuwächsen von Lehramtsstudierenden des Faches Englisch im Schulpraktikum im Ausland. 35 Studierende des Lehramtes Englisch an einer Pädagogischen Hochschule in Baden-Württemberg absolvierten ein dreimonatiges Schulpraktikum an Primar- und Sekundarschulen im Vereinigten Königreich und in der Republik Irland. Das Praktikum wird im Rahmen des europäischen ERASMUS-Programmes in der Förderlinie für Berufspraktika bezuschusst und sowohl von Mentor_innen vor Ort als auch von der koordinierenden Dozentin per E-Mail und Skype begleitet. Das Praktikum ist integriert in das Curriculum der Heimathochschule, d.h. eine Anrechnung als eines der obgligatorisch abzuleistenden Praktika ist möglich und wird von fast allen Studierenden genutzt (zur Wichtigkeit dieses Aspektes für die Akzeptanz von Studienaufenthalten im Ausland s. Brewer/ Cunningham 2009). Neben regelmäßigen Unterrichtsentwürfen, auf die sie Rückmeldung erhielten, sendeten die Studierenden Reflexionen über ihren gehaltenen Unterricht. Neben der unterrichtspraktischen Betreuung initiierte die Dozentin an der Heimathochschule mittels guiding questions zu unterschiedlichen Themen im Praktikum die narrative Reflexionsprozesse über individuelle Erfahrungen, persönliche Eindrücken und Lernprozesse der Studierenden auf der interkulturellen und professionsorientierten Ebene. Themen umfassen dabei die eigene fremdsprachliche Performanz, insbesondere im Sinne einer professional confidence (Murdoch 1994) in der Unterrichtsinteraktion, die Reflexion der Lehrerrolle, Schule und das Schulsystem, inhaltlich-fachliche Erfahrungen, kulturelle Erfahrungen, eigene und „fremde“ kulturelle Identität und deren Komponenten, otherness und der individuelle Umgang damit, sprachliche Identität sowie Bilingualismus (es handelte sich mit Wales und Irland um potenziell bilinguale Gebiete, in denen die <?page no="225"?> Lernort Berufspraktikum: Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften 225 Schulen angesiedelt sind). Die anfänglich formulierten Erwartungen an das Schulpraktikum werden im final report zum Ende des Praktikums von den Studierenden abgeglichen mit den subjektiv wahrgenommenen Ergebnissen. Die Forschende begleitete in der Rolle als forschende Dozentin die Lernprozesse der Studierenden kontinuierlich und griff durch Rückmeldungen, neue Fragen, Klärungen etc. in diese ein. In didaktischer Hinsicht ist der Zweck der 9-10 weekly reports pro Aufenthalt eine Förderung der Reflexionskompetenz in Hinblick auf interkulturelle Lernprozesse und auf eine professionsorientierte Entwicklung. Die Entwicklung der linguistischen Prozesse der Studierenden wird außer durch die Selbsteinschätzung der Studierenden zum Abschluss des Praktikums nicht explizit fokussiert und die fremdsprachlichen Kompetenzen auch nicht per Pre-/ Posttest gemessen. Abb. 2 zeigt überblicksartig das Procedere im Schulpraktikum. Abb. 2: Prozedere Schulpraktikum im Ausland, Heidelberger Modell. Vorbereitung des dreimonatigen Praktikums: zweiwöchentliche Briefings und Expectations "weekly reports": ca. 8-9 reports per E-Mail an Betreuerin Feedback, Kommentare, weitere Fragen seitens der Betreuerin Neue Reflexionen, Wahl des Themas für forschendes Lernen Abschluss: Erwartungen mit Ergebnis vergleichen, Treffen mit "neuen" Studierenden zum Erfahrungsaustausch und zur Abschlussreflexion ca. sechs Monate nach Praktikumsende <?page no="226"?> Karin Vogt 226 In forschungsmethodologischer Hinsicht ist die Studie eine rein qualitative Studie. Als Datenerhebungsinstrumente fungieren die 276 weekly reports während des dreimonatigen Praktikums und fünf Fokusgruppeninterviews mit den ehemaligen Praktikanten und der neuen Kohorte, die ca. sechs Monate nach dem Praktikumsende stattfanden. Die Daten wurden über einen Zeitraum von fünf Jahren erhoben. Das Forschungsinteresse besteht vor allem in der Nachzeichnung und Beschreibung der subjektiv wahrgenommenen interkulturellen Lernprozesse sowie Tendenzen der Professionalisierung (subjektiv wahrgenommen und beobachtbar) seitens der Studierenden. Die fremdsprachliche Kompetenzebene wird eher implizit im Rahmen der narrativen Selbsteinschätzungen der Studierenden behandelt. Die Feldnotizen aus den Fokusgruppeninterviews und die weekly reports wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse angelehnt an Mayring (2010) ausgewertet und unabhängig voneinander von zwei Forschenden analysiert. Die Ergebnisse der Studie werden an anderer Stelle publiziert (Vogt, erscheint). 3 Herausforderungen eines Schulpraktikums im Ausland Es ergeben sich für die Erreichung einer erhöhten Lernwirksamkeit, wie Rymarczyk (2010) für außerschulische Lernorte herausstellte, Herausforderungen für Lehrkräfte auf der didaktisch-methodischen sowie auf der organisatorischen Ebene. Diese betreffen ebenso das Schulpraktikum im Ausland, lediglich in unterschiedlichen Ausprägungen. Wie in der Schule erfordert die notwendige und wünschenswerte Vernetzung von Lernorten, in diesem Fall Schule im Ausland und Hochschule, einen erhöhten organisatorischen Aufwand. Die betreuende Dozentin muss Kontakt zu potenziellen Praktikumsschulen herstellen und erhalten, das Programm bewerben, Studierende informieren, die Mentoren vor Ort kontaktieren, das Auswahlverfahren durchführen und bei der Vorbereitung des Praktikums (Antragstellung, Suche nach Unterkunft) behilflich sein. Insbesondere für die Antragstellung bei der EU ist eine gute Zusammenarbeit mit dem Auslandsamt unerlässlich. Sehr wichtig für die Kontaktpflege zu den Schulen und für die Qualität der Betreuung ist eine regelmäßige Präsenz der Dozentin bei den Schulen vor Ort, was eine nicht unerhebliche Reisetätigkeit zu Schulen u.a. in ländlichen Gebieten mit sich bringt. Auf der didaktisch-methodischen Ebene muss eine kontinuierliche Betreuung der Studierenden (Briefing im Vorfeld, vorbereitende Maßnahmen, Feedback zu weekly reports, zu Unterrichtsentwürfen, zu Unterrichtsreflexionen, Nachbereitung des Praktikums) gewährleistet sein, um die Nachhaltigkeit der Lernprozesse sicher zu stellen. Diese Tätigkeiten erfordern zusätzlichen Einsatz der Dozentin, der idealerweise im Lehrdeputat der <?page no="227"?> Lernort Berufspraktikum: Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften 227 Lehrenden sowie in den Studienanforderungen für Studierende Berücksichtigung finden sollte. Für die Akzeptanz des Programmes seitens der Studierenden (und teilweise auch in der Hochschule) ist die Verankerung im Studium wichtig, d.h. Nachhaltigkeit im Sinne von Anerkennung als Studienleistungen an der Heimathochschule. Die Integration von Schulpraktika im Ausland in das Curriculum wird international als eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Study Abroad-Programme genannt (Brewer/ Cunningham 2009). Dies gilt auch für Schulpratika im Zielsprachenland, so dass die Lernprozesse der Studierenden formal honoriert werden können. Literatur Arnold, Jane/ Fonseca-Mora, Carmen (2015): „Language and cultural encounters: Opportunities for interaction with native speakers“. In: Nunan/ Richards (Hrsg.), 225-234. Altrichter, Herbert (2001): „The Reflective Practitioner“. In: Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung 2, 56-60. Brewer, Elizabeth/ Cunningham, Kiran (2009): Integrating Study Abroad in the Curriculum: Theory and Practice across the Disciplines. Sterling: Stylus. Burk, Karlheinz/ Rauterberg, Marcus/ Schönknecht, Gudrun (Hrsg.) (2008): Schule außerhalb der Schule: Lehren und Lernen an außerschulischen Orten. Frankfurt a.M.: Grundschulverband. De Vellaris, Donna (Hrsg.) 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Wildt, Johannes (2005): „Auf dem Weg zu einer Didaktik der Lehrerbildung? “ In: Beiträge zur Lehrerbildung 23 (2), 183-190. <?page no="229"?> Hybride Lernortgestaltung als angemessene Lehr- und Lernform des modernen Fremdsprachenunterrichts? Nicola Würffel 1 Einleitung Statt über konkrete außerschulische Lernorte und ihre jeweilige Eignung für das Fremdsprachenlernen nachzudenken, möchte ich meine Überlegungen in diesem Beitrag etwas genereller gestalten: Ausgehend von Konzepten für das außerunterrichtliche Lernen und die Nutzung außerunterrichtlicher Lernorte, möchte ich diskutieren, wie diese dazu genutzt werden könnten, unsere generelle Sicht auf Unterricht zu verändern. Das soll am Beispiel des Konzepts Hausaufgaben versucht werden. Hausaufgaben sind klassischerweise der Teil des Unterrichts, der an einem anderen Lernort als dem Klassenzimmer stattfindet. Bemerkenswerterweise spielt die Bedeutung des Lernorts bei den meisten Konzepten von Hausaufgaben gar keine Rolle, obwohl ihre Thematisierung dazu beitragen könnte, das Potenzial von Hausaufgaben ganz anders und gewinnbringender zu nutzen bzw. die Gestaltung von Unterricht anders zu denken. 2 Konzepte für außerschulische Lernorte Studiert man den Sammelband „Außerschulische Lernorte des Fremdsprachenunterrichts“ von Gehring/ Stinshoff (2010), dann findet man dort schon im Einleitungstext von Wolfgang Gehring (ebda, 10-14) mehrere Ansätze, mit denen sich Lerngelegenheiten außerhalb des Klassenraums bestimmen lassen: • Es handelt sich um temporäre Alternativen zum Lernort Klassenzimmer • und um zielsprachliche Handlungsfelder in der Alltagsumgebung von Lernenden, mit denen sich eine Verknüpfung des Klassenzimmers mit der Welt draußen erreichen lässt. • Sie sind nicht explizit auf das Fremdsprachenlernen ausgerichtet. <?page no="230"?> Nicola Würffel 230 • Sie sind nicht in gleicher Weise kontrollierbar wie der Unterricht im Klassenzimmer. • In einem heuristischen Sinne könnte man zwischen primären und sekundären Lernorten unterscheiden - primäre wären die, die explizit für Lernzwecke eingerichtet worden sind (Museum, Bibliothek). • Lernorte können zur Vertiefung und Veranschaulichung dienen oder zur Vorbereitung von Inhalten, die dann im Klassenzimmer in bewusste Lernprozesse überführt werden. • Das Konzept der außerschulischen Lernorte kann um das Konzept der innerschulischen Lernorte, die neben dem Lernort Klassenzimmer in der Schule existieren, erweitert werden. Gehring verweist zudem auf den benachbarten Begriff des Lernarrangements, der sich aus seiner Sicht eher funktional bestimmt: Bei diesem Konzept geht es nicht darum, welchen Zweck der Ort in der Alltagskultur erfüllt, sondern darum, „wie das Wissen präsentiert wird und in welcher Weise die Zugänge funktionieren“ (ebda, 14). In diesem Sinne könnte bei der Beschreibung von Lernorten erstens darauf fokussiert werden, welche relevanten Wissensangebote sie dem Lernenden machen: Gehring spricht in diesem Zusammenhang von kulturellen und sprachlichen Angeboten sowie von Handlungsangeboten. Zweitens kann man Lernorte hinsichtlich der Angebote von Inhalten und Produkten kennzeichnen. Die dritte Ebene schließlich betrifft die Zugriffs- und Rezeptionsformen, die der Lernort dem Lernenden bietet. Deutlich wird, dass sich bei der Beschreibung des Phänomens der (außerschulischen) Lernorte drei Aspekte voneinander abgrenzen lassen: Die Lernorte werden bezüglich ihrer Funktion in der Alltagskultur beschrieben (z.B. das Museum, die Bibliothek); sie werden in ihrer Funktion für das Fremdsprachenlernen beschrieben (z.B. ein Ort, an dem die Fremdsprachenlernenden zielkulturelle Erfahrungen machen oder zielkulturelles Wissen erwerben können); und/ oder sie werden in Abgrenzung zum Lernort Klassenzimmer beschrieben (z.B. temporäre Alternative zum Lernort Klassenzimmer). Dass das Konzept Lernort weit komplexer ist und sich nicht nur mit diesen drei Ebenen fassen lässt, zeigt der Versuch von Kurtz (in diesem Band), zwölf verschiedene, einander beeinflussende Dimensionen zu benennen, mit denen sich Lernorte kennzeichnen lassen könnten, um auf diesem Wege zu einer Theorie der Lernorte zu kommen: Materialität, Sozialität, Novität, Funktionalität, Elastizität/ Variabilität, ‚Didaktizität‘, Medialität, Affektivität, Relationalität, Exemplarität, Historizität und Effektivität. Aus meiner Sicht <?page no="231"?> Hybride Lernortgestaltung als angemessene Lehr- und Lernform 231 kann diese sehr anregende und deutlich breitere sowie strukturiertere (zumindest im Vergleich zur Annäherung von Gehring 2010) Erfassung der Dimensionen von Lernorten sowohl theoriebildend wirken als auch wichtige Impulse für die Praxis bieten (auch wenn sie sicherlich noch weitergedacht werden kann, zuallererst natürlich mit Blick auf die Frage, ob nicht noch wichtige Dimensionen fehlen, wie z.B. eine inhaltsbezogene Dimension, mit der beschrieben wird, welche inhaltlichen/ thematischen Angebote der Lernort macht. Eine andere wichtige Frage wäre, inwieweit bzw. in welchem Maße die Dimensionen durch den Lehrenden oder auch die Lernenden gestaltbar sind 1 Wie hilfreich und klärend es sein kann, mit einigen dieser Dimensionen zu arbeiten, möchte ich in der Folge am Beispiel Hausaufgaben erläutern. Hausaufgaben werden zwar in der Regel schon mit Blick auf ihre Relationalität (d.h. primär in Abgrenzung zum Lernort Klassenzimmer) und auf ihre Materialität (d.h. über den materiellen Ort ihrer Erledigung, nämlich zu Hause) definiert, tatsächlich scheinen diese Dimensionen dann bei der Bestimmung möglicher didaktischer Potenziale von Hausaufgaben aber gar keine Rolle mehr zu spielen. Wenn man dem Ort mehr Bedeutung beimessen würde, und zwar in Hinblick auf seine Materialität, seine Sozialität, seine Funktionalität, seine Didaktizität, seine Medialität und Relationalität, könnte man vielleicht nicht nur zu einer für die Lernenden effektiveren und motivierenden Hausaufgabenpraxis kommen; man könnte auch den schulischen Unterricht im Klassenzimmer und das Lernen im Bereich der Hausaufgaben sowie ihre Verzahnungsmöglichkeiten ganz anders denken. ). 3 Beschreibungsebenen des Phänomens Hausaufgaben Als Ergebnis einer Auswertung von allgemeinpädagogischer Literatur kommt Standop (2013, 18-19) zu dem Ergebnis, dass Hausaufgaben in der Regel als Lerntätigkeiten von Lernenden verstanden werden, die durch Aufgaben bzw. didaktische Zielsetzungen, die die Lehrkraft gestellt bzw. gesetzt hat, im Unterricht veranlasst sind. Sie dienen der Nachbereitung des voran- 1 Baumgartner unterscheidet in seiner Taxonomie von Unterrichtsmethoden in Anlehnung an Flechsig zwischen der Lernumwelt, die die didaktisch steuerbaren Umgebungsbedingungen fasst, und der außerdidaktischen Umwelt, die jene Bedingungen umfasst, „die nicht steuerbar sind und daher in einer jeweils gegebenen Situation als unbeeinflussbare Rahmenbedingungen wirken“ (ebda 2011, 104; Hervorhebung im Original); beide Kategorien sind Teil seines didaktischen Kategorialmodells (vgl. ebda, 105). In Bezug auf Lernorte sollte man im Sinne von Baumgartners Terminologie vielleicht unterscheiden, ob man über steuerbare oder unbeeinflussbare Charakteristika von Lernorten spricht. <?page no="232"?> Nicola Würffel 232 gegangenen oder der Vorbereitung des folgenden Unterrichts. Bearbeitet werden sie außerhalb der eigentlichen Unterrichtszeit (meist als Fortsetzung des Unterrichts). Sie stellen ein wesentliches, selbst organisiertes Element des Lernprozesses dar, da sie vom Lehrenden nicht unmittelbar gelenkt werden (nur die Aufgabenstellung und die Kontrolle unterliegen der Hilfe durch die Lehrkraft, während der Hausaufgabe erfolgt keine Betreuung des Lehrenden), und können als Bindeglied zwischen unterrichtlichem Lernen in der Schule und dem außerunterrichtlichen Lernen verstanden werden. Bei den Beschreibungen des Phänomens Hausaufgaben wird also viel über die (lern)organisatorischen Charakteristika dieser Lerngelegenheit gesagt. Natürlich finden sich in der Literatur auch Beschreibungen der verschiedenen Ziele, die durch Hausaufgaben erreicht werden können. Nachbereitende Hausaufgaben können demnach der Mechanisierung oder der Festigung dienen (Üben des neuen Lernstoffs im engen Sinne eines Einübens), der Übertragung (im Sinne eines Transfers des Gelernten oder seiner produktiven Anwendung) oder der Kontrolle (Überprüfung des neu Gelernten) und der Erweiterung (im Sinne einer Ergänzung, der Vervollständigung und Vertiefung oder der fortführenden Systematisierung des Gelernten). Sie können Lernende außerdem auf vorhandene Lerndefizite hinweisen und diese dazu anregen, sich selbstständig ein Feedback über ihre Kompetenzen zu verschaffen. Vorbereitende Hausaufgaben können eine Vorwissensaktivierungs-, Erkundungs- und Motivationsfunktion übernehmen, d.h. die Lernenden können ihr schon vorhandenes Welt- oder Fachwissen aktivieren, sie gewinnen über den bisherigen Unterricht hinaus Kenntnisse und Einsichten, sie bauen eine positive Erwartungshaltung auf und/ oder entwickeln Neugierde. Hausaufgaben können daneben die Selbsttätigkeit des Lernenden (im Sinne eines selbstorganisierten Lernens, wozu auch die Auswahl lernförderlicher Strategien und Arbeitstechniken oder der selbstgesteuerte Wissenserwerb gehören können) und persönlichkeitsstärkende Haltungen (wie z.B. Ausdauer, Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, Verantwortungs-übernahme etc.) fördern (vgl. Aßbeck 2009; Haag/ Brosig 2010; Pauels 1996). Betrachtet man diese häufig genannten, an Lernzieltaxonomien orientierten Funktionsbeschreibungen, dann können Hausaufgaben im Grunde auch alle die Funktionen übernehmen, denen auch die Bearbeitung von Aufgaben im Unterricht dienen kann bzw. dienen soll. Dies gilt in weiten Teilen auch für solche Funktionen, die darüber hinaus bei einzelnen Autoren und Autorinnen auftauchen und weitere (zum Teil sehr unterschiedliche) Ebenen betreffen: <?page no="233"?> Hybride Lernortgestaltung als angemessene Lehr- und Lernform 233 • Aufdeckung von Lernwiderständen (Kamm/ Müller 1977, zitiert in Standop 2013, 44); • Integration unabhängig voneinander gelernter Fertigkeiten und Konzepte (Lee/ Pruitt 1979, zitiert in Standop 2013: 47); • Hausaufgaben, um den anderen Lernenden und dem Lehrenden etwas für den Lernenden Bedeutsames mitzuteilen (Kunz 1996, 16); • Freiraum für kreativen Umgang mit der Sprache (Thiele 2013, 41); • Individualisierung des Lernens (Kunz 1996, 16); • Einüben von (individualisierten) Lernstrategien und Arbeitstechniken (Pauels 1996, 5); • Hausaufgaben als Erweiterung der inner- und außerschulischen Kooperation (Standop 2013, 57); • Disziplinierung (vgl. Haag/ Brosig 2010, 307, die diese Funktion allerdings als „Fehlfunktion“ beschreiben); • Zeitgewinn zur Bewältigung der Stofffülle (Kirn 1978, zitiert in Standop 2013, 45). Diese Aufzählung der Funktionen zeigt, dass im Konzept von Hausaufgaben zwar viel über die Funktion der ‚Aufgabe‘, aber wenig über die des Lernorts gesagt wird, sieht man einmal von der Nennung der Möglichkeit zur inner- und außerschulischen Kooperation ab (womit die relationale Dimension der Lernorte innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers angesprochen wird). Der fast banale Hinweis, dass Hausaufgaben an einem Lernort außerhalb des Klassenzimmers und meist ohne direkte Betreuung des Lehrenden erledigt werden, führt nicht zu einer Erweiterung oder Differenzierung der Funktionsbestimmungen von Hausaufgaben. Es wird, so scheint es, nur als organisatorisches Detail gesehen, nicht aber als Chance zur Ermöglichung anderer Lernerlebnisse und -ergebnisse. Bei den Vorschlägen zur Systematisierung von Hausaufgaben (vgl. Cooper 1994) findet sich immerhin neben Punkten wie der Frequenz und dem Umfang, den Funktionen, den geförderten Kompetenzen bzw. der Ausrichtung (wie z.B. einer formversus einer inhaltsorientierten Ausrichtung), der Sozialform, der Wahlfreiheit der Lernenden, den Formen der Differenzierung und der Rückmeldung und der Bearbeitungsdauer (kurz-, mittel- oder langfristig) auch der soziale Bearbeitungskontext. Bei diesem geht es um den Interaktions- und Kommunikationskontext, d.h. um die Frage, ob der Lernende seine Hausaufgabe allein bearbeitet oder mit der Unterstützung eines Elternteils/ Partners/ Freundes, eines Mitlernenden oder in einer Gruppe. Im <?page no="234"?> Nicola Würffel 234 Sinne von Kurtz (in diesem Band) wäre damit immerhin die Dimension der Sozialität des Lernortes angesprochen. Welche Implikationen die Materialität, die Funktionalität, die Didaktizität und die Medialität von Lernorten für Funktionen von Hausaufgaben haben könnten, ist noch völlig undiskutiert. Dass die Funktionen von Hausaufgaben weiter gedacht werden könnten, wenn man unterscheidet, ob sie am heimatlichen Schreibtisch, in der örtlichen Bibliothek oder dem Wald gemacht werden, leuchtet wohl sofort ein. Die Materialität des Lernorts bedingt seine unterschiedliche Funktionalität, die für bestimmte Hausaufgabenziele genutzt werden könnten. Die Betrachtung der Medialität von Lernorten könnte dabei helfen zu bestimmen, ob die Lernorte ein virtuelles, ein mobiles, ein ambulantes oder ein ortgebundenes Lernen 2 ermöglichen bzw. nötig machen. 4 Hausaufgabenpraxis Vorschläge für die sinnvolle Nutzung außerunterrichtlicher Lernorte für die Gestaltung der Lernzeit außerhalb der Präsenzlernzeit in der Schule muss man in den meisten Fällen abseits der dezidierten Literatur zu Hausaufgaben suchen. Hier wiederum gibt es selbstverständlich schon ein breites Repertoire an methodischen Vorschlägen, die vor allem auf die Möglichkeiten zur authentischen und/ oder interessensgeleiteten Sprachverwendung hinweisen. Methodisch lassen sich viele Vorschläge im Bereich der Projektdidaktik verorten (vgl. z.B. den richtungsweisenden Vorschlag des „Airport- Projekts“, Legutke/ Thiel 1982 oder Legutke 1988) oder auch im Bereich des computergestützten Fremdsprachenunterrichts. Zu den Lernorten werden bei den Vorschlägen für den computergestützten Fremdsprachenunterricht dabei nicht nur physische Orte gezählt, sondern auch die virtuellen: So gibt es u.a. Vorschläge zur Nutzung von Second Life (vgl. Biebighäuser 2014) oder solche zur Nutzung anderer 3D-Welten (vgl. Bernert-Rehaber/ Schlemminger 2013). 3 2 Ich folge hier der Terminologie von Baumgartner (2011), der mit seiner didaktischen Dimension „Ortsbezug“ den räumlichen Bezug des Lernens fassen will. Als didaktische Prinzipien macht er dabei folgende aus: virtuelles Lernen (Ortsbezug indirekt gegeben, da über Medien), mobiles Lernen (Ortsbezug indirekt gegeben, da über mobile Endgeräte), indirekt-erfahrungsorientiertes Lernen (Ortsbezug indirekt gegeben, da über Personen), ambulantes Lernen (Ortsbezug veränderlich, da nicht stationär) und ortsgebundenes, stationäres Lernen (Ortsbezug direkt gegeben) (vgl. ebda, 199). Der Einbezug solcher Lernorte eröffnet für die Hausaufgaben 3 Ich habe hier bewusst das Beispiel des Lernens in 3D-Welten gewählt, da diese dezidiert als Welten bzw. Räume konzipiert sind. Das Internet ganz generell als Lernort zu bezeichnen, halte ich für nicht zielführend, denn dann würde auch <?page no="235"?> Hybride Lernortgestaltung als angemessene Lehr- und Lernform 235 andere und zum Teil neue Lerngelegenheiten (z.B. die vermehrte Nutzung kooperativer Lernformen oder die Förderung von bestimmten Fertigkeiten), die in der Präsenzlernzeit in der Schule nur unzureichend entwickelt werden können (z.B. das Hören und Sprechen). 5 Modulare Gestaltung von Lehr-Lernszenarien für das Lernen fremder Sprachen Ansätze wie der Flipped Classroom oder Modelle des Blended Learning (vgl. Würffel 2014) erlauben es, nicht nur Hausaufgaben neu zu denken, sondern überhaupt eine andere Vision einer möglichen Gestaltung von Lehr- Lernszenarien für das Lernen fremder Sprachen zu entwickeln. Unter Flipped Classroom versteht man einen unterrichtsmethodischen Ansatz, bei dem zu einer Vertauschung der Lernaktivitäten zwischen Klassenzimmer (Präsenzphase) und außerunterrichtlichem Lernen kommt. Die Literatur zum Flipped Classroom beschäftigt sich dabei sehr dezidiert mit der Gestaltung der außerunterrichtlichen (Selbstlern-)Aktivitäten, die in den meisten Ansätzen vornehmlich der Inputaufnahme durch den Lernenden dienen. Dadurch soll u.a. die Präsenz-Kontaktzeit davon entlastet werden und so stärker für eine Interaktion zwischen Lernenden sowie zwischen Lernenden und Lehrenden zur Verfügung stehen; außerdem soll die Selbstlernkompetenz der Lernenden gefördert werden (vgl. u.a. Baker 2013; Bernsen 2013; Weidmann 2012). Blended Learning ist a formal education program in which a student learns at least in part through online delivery of content and instruction with some element of student control over time, place, path, and/ or pace and at least in part at a supervised brick-and-mortar location away from home. (Staker/ Horn 2012, 3) In solchen Modellen erscheinen Hausaufgaben nicht mehr nur als begleitende Aktivitäten eines Präsenzunterrichts, der das Zentrum jeder Unterrichtsplanung darstellt. Die Bedeutung der einzelnen Phasen bzw. Bestandteile des Unterrichts bestimmen sich vielmehr danach, auf welche Weise die spezifische Gruppe bzw. das einzelne Individuum in welchem spezifischen Kontext welches spezifische Lernziel am Besten erreichen kann. Bei den verschiedenen Phasen kann es sich um Gruppenarbeitsphasen ebenso wie ein Buch einen Lernort darstellen können, was die Diskussion um Lernorte so erweitern würde, dass sie nicht mehr praktikabel geführt werden kann. Welche Implikationen es hat, dass sich Lernende beim Lernen an virtuellen Lernorten immer an zwei Lernorten zugleich aufhalten, sollte dagegen intensiver diskutiert werden (vgl. hierzu z.B. Kurtz in diesem Band). <?page no="236"?> Nicola Würffel 236 um Einzellernphasen handeln, mit einem physisch oder virtuell anwesenden Lehrenden oder vollständig ohne diese/ n, im Schulgebäude oder an diversen anderen (physischen wie auch virtuellen) Lernorten 4 Bevor man solche Szenarien genauer planen, umsetzen oder die Umsetzung erforschen kann, bedarf es m.A. vertiefter theoretischer Auseinandersetzungen mit den Aspekten, die bei der Gestaltung der zu kombinierenden Phasen oder Bausteine (und damit auch der Lernorte) eine Rolle spielen könnten. Sehr hilfreich dürften dafür Modelle des Blended Learning sein, wenn sie denn differenziert genug sind und nicht bloß die Planung von Präsenz- und Onlinephasen abbilden, sondern z.B. auch Beschreibungsebenen für die Erfassung verschiedener Lernorte und deren Dimensionen einbeziehen (hier könnte wiederum die Diskussion um Lernorte die um das Blended Learning bereichern, da sie hilft, die Kategorie des Lernortes genauer in den Blick zu nehmen und stärker auszudifferenzieren). Hilfreich deshalb, weil sie Unterrichtsmodelle liefern, die von der Prämisse ausgehen, dass Lernen nicht nur an einem Ort, nicht nur nach einer Methode, nicht nur mit der Unterstützung eines Materials, nicht nur in einer Sozialform etc. stattfindet, sondern immer in einer Mischung ganz unterschiedlicher Bestandteile. Während der moderne Fremdsprachenunterricht und die Fremdsprachenforschung dies in Bezug auf einige Unterrichtsaspekte durchaus im Blick haben, erscheint die Fixierung auf den Dreh- und Angelpunkt des Lernorts Klassenzimmer den didaktischen Ansprüchen eines modernen Fremdsprachenunterrichts und einer differenzierten Fremdsprachenforschung kaum angemessen. . Eine Klammer aller Lernphasen kann über den Einsatz eines virtuellen Klassenzimmers, einer Lernplattform oder auch eines Personal Learning Environments geschaffen werden, an dem alle Arbeits- und Kommunikationsprozesse zusammenlaufen. Literatur Aßbeck, Johann (2009): Englisch-Hausaufgaben, die Spaß machen. Übungen und Tipps zur Vertiefung des Englischunterrichts. Donauwörth: Auer. Baker, Kate (2013): „English“. 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Friederike Klippel Ludwig-Maximilians-Universität München FB 07 Sprach- und Literaturwissenschaft Didaktik der Englischen Sprache und Literatur Schellingstraße 3 80799 München Prof. Dr. Frank G. Königs Philipps-Universität Marburg Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (IFS) Hans-Meerwein-Straße 35032 Marburg Prof. Dr. Uwe Koreik Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Fachbereich Deutsch als Fremdsprache Universitätsstr. 25 33615 Bielefeld Prof. Dr. Jürgen Kurtz Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik/ Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Lutz Küster Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für Romanistik Unter den Linden 6 10099 Berlin <?page no="241"?> Adressen der Beiträger und Herausgeber 241 Prof. Dr. Michael Legutke Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik/ Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Christiane Lütge Lehrstuhl für Didaktik der englischen Sprache und Literatur Department für Anglistik und Amerikanistik Ludwig-Maximilians-Universität München Schellingstr. 3 VG 80799 München Prof. Dr. Hélène Martinez Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Romanistik Karl-Glöckner-Straße 21 G 35394 Gießen Prof. Dr. Grit Mehlhorn Universität Leipzig Institut für Slavistik Beethovenstr. 15 04107 Leipzig Prof. Dr. Franz-Joseph Meißner Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Romanistik Karl-Glöckner-Straße 21 G 35394 Gießen Prof. Dr. Claudia Riemer Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld <?page no="242"?> Adressen der Beiträger und Herausgeber 242 Prof. Dr. Jörg Roche Ludwig-Maximilians-Universität Institut für Deutsch als Fremdsprache Schönfeldstraße 13a 80539 München Prof. Dr. Dietmar Rösler Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Jutta Rymarczyk Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Fremdsprachen - Englisch Keplerstraße 87 69120 Heidelberg Prof. Dr. Lars Schmelter Bergische Universität Wuppertal Geistes- und Kulturwissenschaften/ Romanistik Gaußstraße 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Karin Vogt Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Fremdsprachen und ihre Didaktiken Im Neuenheimer Feld 581 69120 Heidelberg Prof. Dr. Nicola Würffel Pädagogische Hochschule Heidelberg Fakultät II, Mediendidaktik Im Neuenheimer Feld 561 69120 Heidelberg <?page no="243"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Arbeitspapiere der 1. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1981. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Das Postulat der Lernerzentriertheit: Rückwirkungen auf die Theorie des Fremdsprachenunterrichts. Arbeitspapiere der 2. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1982. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Inhalte im Fremdsprachenunterricht oder Fremdsprachenunterricht als Inhalt? Arbeitspapiere der 3. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1983. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Empirie und Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 4. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1984. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Forschungsgegenstand Richtlinien. Arbeitspapiere der 5. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1985. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Lehrperspektive, Methodik und Methoden. Arbeitspapiere der 6. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1986. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachbegriffe im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 7. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1987. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fortschritt und Fortschritte im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 8. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1988. <?page no="244"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 244 K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Der Fremdsprachenunterricht und seine institutionellen Bedingungen. Arbeitspapiere der 9. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1989. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern: Gegenstand der Forschung. Arbeitspapiere der 10. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer 1990. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Texte im Fremdsprachenunterricht als Forschungsgegenstand. Arbeitspapiere der 11. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer 1991. K.-R. Bausch/ H. Christ/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht und Sprachenpolitik als Gegenstand der Forschung. Arbeitspapiere der 12. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer 1992. K.-R. Bausch/ H. Christ/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlehr- und -lernprozesse im Spannungsfeld von Steuerung und Offenheit. Arbeitspapiere der 13. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer 1993. K.-R. Bausch/ H. Christ/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1994. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Erwerb und Vermittlung von Wortschatz im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 15. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1995. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Zwischenbilanz und Perspektiven. Arbeitspapiere der 16. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1996. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdiszipli- <?page no="245"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 245 nen. Arbeitspapiere der 17. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1997. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Kognition als Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 18. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachen-unterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1998. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1999. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2000. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Neue curriculare und unterrichtsmethodische Ansätze und Prinzipien für das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 21. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2002. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003. K.-R. Bausch/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlehrerausbildung. Konzepte, Modelle, Perspektiven. Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des 65Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003. K.-R. Bausch/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2004. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2005. <?page no="246"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 246 K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2006. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2007. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlernen erforschen: sprachspezifisch oder sprachenübergreifend? Arbeitspapiere der 28. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2008. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Arbeitspapiere der 29. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2009. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick. Arbeitspapiere der 30. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2011. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsethik, Forschungsmethodik und Politik. Arbeitspapiere der 31. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2011. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 32. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2012. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Identität und Fremdsprachenlernen. Arbeitspapiere der 33. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2013. <?page no="247"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 247 E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Perspektiven der Mündlichkeit. Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2014. <?page no="248"?> Während die Frage nach dem richtigen Lernort, insbesondere nach außerschulischen Lernorten, in der Schulpädagogik schon vor längerer Zeit gestellt und zumindest ansatzweise beantwortet wurde, hat sich die Fremdsprachenforschung mit der Lernortfrage vergleichsweise viel Zeit gelassen. Das heißt nicht, dass sie den Lernort nicht diskutiert oder im Blick gehabt hätte - das hat sie sehr wohl, aber eher im Kontext anderer Themen und Forschungsfragen. Im vorliegenden Band nehmen deutsche Fremdsprachendidaktiker unterschiedliche Lernorte und Möglichkeiten ihrer Vernetzung in den Fokus ihrer Betrachtungen. Dabei leuchten sie den Faktor Lernort aus unterschiedlichen Perspektiven aus und kommen zu vielfältigen Betrachtungsweisen, die es geraten sein lassen, die Lernortfrage im Auge zu behalten. Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik