Jakobus und die Anderen
Mirakel, Lieder und Reliquien
1028
2015
978-3-8233-7981-2
978-3-8233-6981-3
Gunter Narr Verlag
Volker Honemann
Hedwig Röckelein
Der Band befasst sich mit Mirakelerzählungen und Liedern über den Heiligen Jakobus den Älteren, mit der Konkurrenz um das Haupt des Heiligen zwischen Santiago de Compostela und Jerusalem, mit Reliquien des Heiligen in den großen Heiltumssammlungen spätmittelalterlicher geistlicher und weltlicher Fürsten sowie deren Verbleib nach der Reformation. Darüber hinaus werden allgemeine Prinzipien des Heiligen- und Reliquienkultes erläutert: die Verbindung von Heiligengrab und Altar sowie die Liturgie für den Märtyrerkult und die Darstellung von Translationsritualen auf Reliquiaren.
<?page no="0"?> Jakobus - Studien Jakobus und die Anderen Mirakel, Lieder und Reliquien herausgegeben von Volker Honemann und Hedwig Röckelein <?page no="1"?> Jakobus und die Anderen <?page no="2"?> Jakobus-Studien 21 im Auftrag der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von Klaus Herbers und Robert Plötz <?page no="3"?> Jakobus und die Anderen Mirakel, Lieder und Reliquien herausgegeben von Volker Honemann und Hedwig Röckelein <?page no="4"?> Titelabbildung Darstellung der translatio des Apostels übers Meer unter Beteiligung der sieben Apostelschüler. Altartafel aus dem Bestand des Diözesanmuseums Camerino. (© Museo Diocesano, Camerino/ Marche. Mit freundlicher Genehmigung des Museums) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Printed in Germany ISSN 0934-8611 ISBN 978-3-8233-6981-3 <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Volker Honemann und Hedwig Röckelein Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I Jakobusmirakel Robert Plötz De miraculi totus plenus conchilibus genesi et traditione. Die Mirakelerzählung von der Jakobus-Muschel und die Verehrung des Jacobus Maior auf der iberischen Halbinsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II Jakobuslieder Volker Mertens Jakobus singen. Der heilige Jakob in der mittelalterlichen Musik . . . 65 Jan van Herwaarden Lieder und Pilger. Einige Erwägungen anhand des mittelniederländischen Liederhorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Volker Honemann Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr. Spanienzug und Santiagobesuch Philipps des Schönen von Habsburg (1506) in einem Lied des Peter Frey, im ‚ Weißkunig ‘ Kaiser Maximilians und in zwei niederländischen Historienliedern. Mit einer Neuedition von Freys Lied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 <?page no="6"?> III Reliquien in Bewegung Christian Popp Konkurrenz für Santiago de Compostela? Die Verehrung des Kopfes des hl. Jakobus in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Bruno Reudenbach Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? . . . . . . . . 145 Jürgen Bärsch Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen im Mittelalter. Beobachtungen aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Enno Bünz ein silbern bilde des grossen sant Jacobs - Fürstliche Reliquiensammler des Spätmittelalters, insbesondere in Mitteldeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Hartmut Kühne Die Verkaufung der Götzen? Reliquientranslationen nach der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Register der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Inhaltsverzeichnis 6 <?page no="7"?> Vorwort Der Band vereint Vorträge der Tagungen der Deutschen Sankt Jakobus- Gesellschaft Aachen e. V. aus den Jahren 2012 (Teil I und II) und 2013 (Teil III). 2012 wurde in Heiligenstadt (Eichsfeld) „ Jakobus in Lied und Erzählung “ behandelt, 2013 in Wiesbaden-Naurod über „ Reliquien in Bewegung “ gesprochen. Die Herausgabe der Beiträge der beiden ersten Teile verantwortet Volker Honemann, Berlin, die des dritten Teiles Hedwig Röckelein, Göttingen. Die Herausgeber danken den Autoren für die Bereitschaft, uns ihre Vorträge für den Druck zu überlassen und sie zu überarbeiten. Hartmut Kühne konnte an der Tagung in Wiesbaden-Naurod nicht teilnehmen, hat aber freundlicherweise einen Aufsatz über Reliquientranslationen nach der Reformation für den Druck beigesteuert. Der Dank der Herausgeber geht an die Mitarbeiter von Hedwig Röckelein für die Druckeinrichtung der Beiträge, die Erstellung der Abstracts und des Registers, an Jessica Breunig und Lisa Walleit, Erlangen, für die Übersetzung der Abstracts ins Spanische, an den Verlag für die gewohnt zuverlässige Betreuung des Bandes und an die Deutsche Sankt-Jakobus Gesellschaft für die Übernahme der Druckkosten. Berlin und Göttingen, im September 2015 <?page no="9"?> Einleitung Volker Honemann und Hedwig Röckelein Eröffnet wird der Band durch einen weitausgreifenden, grundlegenden Beitrag von Robert Plötz „ De miraculi totus plenus conchilibus genesi et traditione “ , die Mirakelerzählung von der Jakobus-Muschel und die Verehrung des Jacobus maior auf der iberischen Halbinsel. In seinem Zentrum steht über die Wunderzählung von einem Ritter, der, die Translation des heiligen Jakobus an der iberischen Küste beobachtend, mit seinem Pferd ins Meer stürzt und dann völlig mit (Pilger-)Muscheln bedeckt wieder auftaucht. Der Autor untersucht Ursprung und Tradierung dieser Erzählung, was zu einem Durchgang durch weite Bereiche der Jakobus-Überlieferung vom frühen Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit, vor allem in Portugal und Spanien, aber auch bis hin zu den Färöer-Inseln führt. Der Beitrag ist von besonderer Bedeutung, weil er eine Reihe weitgehend unbekannter, schwer zugänglicher Zeugnisse der Frühen Neuzeit aus Portugal und Galicien vorstellt. Im zweiten Teil folgen drei Aufsätze, die sich mit dem heiligen Jakobus in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hymnen- und Lieddichtung beschäftigen. Sie sind vor dem Hintergrund eines erheblichen Forschungsdefizites zu sehen: Eine moderne Zusammenstellung und Untersuchung der Jakobus-Hymnen und -lieder fehlt bis heute. Die hier gebotenen Beiträge versuchen, dieses Defizit zum einen durch die Präsentation verschiedener Formen der musikalischen Jakobus-Verehrung in Gestalt eines Längsschnittes (von den Anfängen bis in das 16. Jahrhundert) zu verkleinern (Mertens), zum anderen durch die Vorstellung bisher nicht untersuchter Liedkomplexe (van Herwaarden, Honemann). Volker Mertens ( „ Jakobus singen. Der heilige Jakobus in der mittelalterlichen Musik “ ) präsentiert zunächst die frühesten Zeugnisse gesanglicher Jakobusverehrung, um dann anhand dreier Szenarien die Entwicklung derselben aufzuzeigen: am Königshof Alfons ’ X. von Kastilien ( ‚ Cantigas de Santa Maria ‘ ), in der Kathedrale (Jakobus-Plenarmesse des Guillaume Dufay), in der Bürgerlichen Welt (a: Heidelberg 1520 ff.: Pilgerlied ‚ Wer das Elend bauen will ‘ , <?page no="10"?> b: Zürich 1530: dasselbe Lied, aber in reformiertem Kontext: „ christlich gebessert “ ). Jan van Herwaarden ( „ Lieder und Pilger: einige Erwägungen anhand des mittelniederländischen Liederhorts “ ) stellt zunächst das ‚ Liedeken van Sint Jacob ‘ aus dem Antwerpener Liederbuch vor, das, wie der Autor feststellt, einzige „ echte “ Jakobslied der mittelniederländischen Literatur. Er fragt dann nach den Ursachen für diese Seltenheit und beschreibt mehrere geistliche Pilgerfahrtslieder, die auf die Melodie von Jakobsliedern gesungen wurden. Im weiteren wird die Ballade von Herrn Halewijn in den Kontext einer Plastik des Pórtico de las Platerías der Kathedrale von Santiago (die Frau mit dem Totenschädel im Schoß) gestellt, ein Lied über das bekannte Galgenbzw. Hühnermirakel sowie weitere über die Reliquien in Santiago, über die „ Verkehrte Pilgerfahrt “ und eines über den Beginn der Getreideernte am Jakobustag präsentiert und analysiert. Im letzten Beitrag des zweiten Teils ediert und analysiert Volker Honemann ein historisch-politisches Lied des frühen 16. Jahrhunderts und die im Kontext der zugrundeliegenden Ereignisse entstandenen Texte: „ Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr. Spanienzug und Santiagobesuch Philipps des Schönen von Habsburg (1506) in einem Lied des Peter Frey, im ‚ Weißkunig ‘ des Kaisers Maximilian und in zwei niederländischen Historienliedern. “ Die Beiträge im dritten Teil des Bandes befassen sich mit den Reliquien des hl. Jakobus und anderer Heiliger „ in Bewegung “ . Reliquien in Bewegung sind ein Paradox, denn sowohl das jüdische Gesetz wie auch das römische Recht verboten die Exhumierung der Toten und die Translation von Gebeinen. Dieses Gesetz galt für Normalsterbliche genauso wie für die Körper christlicher Märtyrer, die an ihren Grabstätten verehrt wurden. Daher bestanden die Reliquien, die in den ersten Jahrhunderten des Christentums in Umlauf kamen, nicht aus körperlichen Überresten der Heiligen, sondern aus Tüchern (Sudarien), mit denen man die Gebeine der Heiligen berührt hatte, oder aus Öl, das man über die Gebeine der Heiligen gegossen hatte (Eulogien). Im Osten wurde das Tabu der Erhebung von Heiligengebeinen erstmals in der Mitte des 4. Jahrhunderts gebrochen; im Westen fiel das Verbot erst in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. 1 In die Zeit zwischen 818 und 830 fällt die Entdeckung (Inventio) und Erhebung (Elevatio) der Reliquien des Apostels Jacobus maior in Compostela durch König Alfons II. von Asturien und Bischof Theodemir von Iria Flavia. Die Translation des Leichnams des Jacobus maior aus Palästina nach Galicien, wie sie in unterschiedlich lautenden Legendenversionen kolpor- 1 Vgl. Hedwig Röckelein , Translatio, § 2: „ Translatio reliquiarum “ , in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 35, 2., völlig neu bearb. u. stark erw. Auflage (2008) S. 216 - 226. Volker Honemann / Hedwig Röckelein 10 <?page no="11"?> tiert wurde, hat Robert Plötz bereits andernorts ausführlich dargestellt. 2 In diesem Band stellt Christian Popp ( „ Konkurrenz für Santiago de Compostela? Die Verehrung des Kopfes des hl. Jakobus in Jerusalem “ ) die Frage, ob denn tatsächlich der ganze Leib des Jacobus nach der Enthauptung im Heiligen Land nach Spanien gebracht worden sein könne, wo doch die armenischen Christen von Jerusalem seit dem 12. Jahrhundert behaupteten, das Haupt des Apostels zu besitzen. Diese These vertreten sie bis heute. Besitzansprüche am Leichnam des hl. Jakobus meldeten im 12. Jahrhundert auch die Kleriker der Kathedrale von Toulouse an, worüber Andreas Meyer bereits 1997 auf einer Tagung der DSJG in Innsbruck berichtete. 3 Im 13. Jahrhundert gab der Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk zu Protokoll, einen Teil des Schädels des älteren Jakobus aus Byzanz nach Halberstadt gebracht zu haben. Darüber informierte Jörg Richter 2005 im Rahmen einer Tagung der DSJG im Kloster Helfta. 4 Der Kunsthistoriker Bruno Reudenbach ( „ Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? “ ) befragt die berühmte Trierer Elfenbeintafel und Staurotheken sowie Bilderzählungen auf Reliquiaren auf ihre Aussagen zu Ritualen, die während des Transports der Reliquien vollzogen wurden. Er vertritt die These, dass die „ redenden “ Reliquiare - ein Begriff, der von Joseph Braun geprägt wurde - nicht nur durch ihre äußere Form auf den Inhalt, nämlich eine bestimmte Körperreliquie im Inneren verweise, sondern dass auch die für die Reliquiare verwendeten Materialien und deren Anordnung auf die Transzendenz und das Martyrium verweisen. Jürgen Bärsch ( „ Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen im Mittelalter. Beobachtungen aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive “ ) untersucht die Verbindung von Heiligengrab und Altar sowie die Liturgie, die im Verlauf des Mittelalters für den Kult der Märtyrer entstanden ist. Er zeichnet anhand der liturgischen Anweisungen (Libri ordinarii) verschiedener Kloster- und Bischofskirchen des Reiches die Praktiken der Totenmessen, der Prozessionen, Inzessionen und Heiltumsweisungen nach. Mit dem systematischen Erwerb umfangreicher Reliquiensammlungen im späten Mittelalter befasst sich Enno Bünz ( „ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs - Fürstliche Reliquiensammler des Spätmittelalters, insbesondere in Mitteldeutschland “ ). Am Beispiel des Heiltums, das Erzbischof 2 Robert Plötz , Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 30 (1982) S. 19 - 145. 3 Andreas Meyer , Städtische Identität und Konkurrenz. Die spätmittelalterlichen Apostelgräber in Toulouse, in: Stadt und Pilger. Soziale Gemeinschaften und Heiligenkult, hg. von Klaus Herbers (Jakobus-Studien 10, 1999) S. 125 - 140. 4 Jörg Richter , Reliquienschatz und Pilgerstrom. Spuren der Verehrung des Apostels Jacobus maior am Halberstädter Dom, in: Der Jakobuskult in Sachsen, hg. von Klaus Herbers / Enno Bünz (Jakobus-Studien 17, 2007) S. 113 - 123. Einleitung 11 <?page no="12"?> Ernst von Magdeburg (reg. 1476 - 1513) und dessen Nachfolger, Kardinal Albrecht von Brandenburg (reg. 1513 - 1541), in Halle sowie Ernsts Bruder, der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise (reg. 1486 - 1525), in Wittenberg akkumulierten, führt er vor, wie in dieser Zeit politische Mächte miteinander um Reliquien konkurrierten und sie als Zeichen ihres ökonomischen und symbolischen Reichtums zur Schau stellten. Bünz geht dabei explizit auf die Jakobus-Reliquien im Halleschen Heiltum ein. Hartmut Kühne ( „ Die Verkaufung der Götzen? Reliquientranslationen nach der Reformation “ ) verfolgt schließlich den Verbleib dieser Heiltümer in Halle, Wittenberg und andernorts in den sächsischen Territorien nach der Reformation. Abgesehen von Reliquienvernichtungen, -begräbnissen oder der Ignoranz gegenüber den Heiltümern seitens der Protestanten und Reformierten konstatiert er Versuche katholischer Fürsten, Reliquien aus protestantischen Gebieten aufzukaufen und ihren Sammlungen einzuverleiben. So gerieten die Reliquien erneut in Bewegung. Volker Honemann / Hedwig Röckelein 12 <?page no="13"?> I Jakobusmirakel <?page no="15"?> Meinem Freund Serafín Moralejo ( † 2011) De miraculi totus plenus conchilibus genesi et traditione. Die Mirakelerzählung von der Jakobus-Muschel und die Verehrung des Jacobus Maior auf der iberischen Halbinsel Robert Plötz I Mit dem Gesicht zum Meer: Geboren an der Atlantikküste im Mündungsgebiet des Flusses Miño/ Minho Grenzbereiche - Osmose, Kontamination und Abgrenzung Die folgende Abhandlung entstand aus einem Mirakelbild heraus, das zum ersten Mal in der großartigen Ausstellung „ Santiago. Camino de Europa “ im Heiligen Jahr 1993 in Santiago de Compostela zu sehen war, die von Serafín Moralejo und Fernando López Alsina zusammengestellt worden war. Bei musealen Präsentationen historischer Ausrichtung spricht man immer von Dialogen zwischen zeitgleich entstandenen Objekten und auch dem Schicksal ihrer Beziehungen und Verortungen in neueren Zeiten. Da die Objekte (Urkunden, Kunstwerke und Architekturdenkmale) nur zum Teil Kulturströmungen und Mentalitätsformen repräsentieren, scheint es angebracht, den in größerem Maße stationären und lokal bedingten „ status quo “ der Materialien zu verlassen und im Rahmen unserer Möglichkeiten die Beziehungsebenen zwischen oraler und literarischer Tradition vor dem Hintergrund einer Kontamination abergläubischer, mythischer und religiöser Elemente (Häresien wie den Priscillianismus eingeschlossen) Themen zu behandeln, die innerhalb des Jakobus-Kultes im mittelalterlichen Galicien immer schon vorhanden und spürbar waren, aber eigentlich selten in einer figurativen Gestaltung sichtbar gemacht wurden. Dabei spannt sich der Überlieferungsbogen von der galicisch-portugiesischen Miño/ Minho-Region mit ihrer geographischen Lage am Seeweg zwischen Afrika, dem Mittelmeer und <?page no="16"?> Skandinavien und ihren eigenen Ausprägungen 1 über das antike Griechenland, Kleinasien/ Rom bis zu den Färöer-Inseln. Die Miño/ Minho- Region nahm im Lauf ihrer gesamteuropäischen Entwicklung von jedem etwas auf: von den Keltiberern, den Römern, Sueben, Westgoten und Mauren. Der Meermann und antike Gott Triton Drei Beispiele mögen dies erläutern. Bei der Suche nach den Ursprüngen des Mirakeltextes über den Ritter, der von Jakobus gerettet wurde und dessen Pferd und er selbst ganz mit Muscheln bedeckt waren, machte mich freundlicherweise Aires A. Nascimento auf einen anderen Meeresbewohner aufmerksam, der in der „ Urbis Olisiponis descriptio “ erwähnt wird, nämlich auf den griechischen Meeresgott Triton. Der Text beschreibt eine Episode, die sich in Sintra, westlich von Lissabon, ereignet haben soll. Er kann als Beleg dafür dienen, wie lebendig ein Meeresgott der griechischen Mythologie in der Überlieferung fortleben kann. Triton soll in einem goldenen Palast in der Nähe des Tritonischen Sees (heutiges Tunesien) gelebt haben. Wenn er auf seinem Tritonshorn (Schneckenschale 2 ) blies, konnte er das Meer aufwühlen oder beruhigen. Der Lissabontext lautet: Tritonem uero Tiberii Caesaris temporibus uisum in Lusitania auditumque fuisse, ita scribit Plinius [Hist.nat. IX, 5]: Tiberio, inquit, principi nuntiauit Olisiponensium legatio ob id missa uisum auditumque in quodam specu concha canentem Tritonem qua noscitur forma. Nec uero illud silentio praetereundum esse duximus. Nostro hoc tempore plerisque in locis huic litori uicinis quoddam hominum genus reperiri, qui et natura et nomine Marini ab indigenis uocari coeperunt ab eam praesertim causam quod hispidum quid in cutis superficie gerentes notas quasdam squammarum ac tanquam reliquias antiqui generis per totum ferme corpus sparsas prae se ferre atque retinere uideantur. Eos enim ab hominibus marinis uel Tritonibus originem genusque traxisse pro certo semper habitum est, eiusque rei initium inde profluxisse a maioribus accepimus. Tritones uidelicet ad litus prosilire interdum atque colludere paulatim assueuisse eosque fructuum dulcedine delenitos, quorum in iis locis maxima est copia eodem reuersos saepius ineffabili quodam incolarum astu eorum aliquot interceptos ac 1 Vgl. J. Marques , A fronteira do Minho, espaço de convivência galaico minhota, in: Estudos em homenagem a Luís António de Oliveira Ramos, hg. von J. Martins Ribeiro / F. Ribeiro da Silva / H. Osswald (2004) 3 Bde., hier 2, S. 697 - 712. Vgl. auch den Übersichtsartikel von M. a J. Lacarra , Cuentos y Leyendas en el Camino de Santiago. Tipos y motivos folklóricos en la literatura medieval española. La disputa de los griegos y los romanos entre la tradición oral y escrita, in: Actas del VIII Congreso de Asociación Hispánica de Literatura Medieval [Santander 2002], vól. CL (2005) S. 285 - 312, S. 1039 - 1050. 2 Die Tritonschnecken kommen in allen Weltmeeren vor, sind von der Form her sehr groß und gelten als Räuber. Robert Plötz 16 <?page no="17"?> postea blanditiis ad excultum mansuetumque genus uita e traductos esse . . . Nostris uero temporibus, ut efficacius testimonium in medium afferam, piscator quidam dum inter scopulos Barbarii prommontorii filo, hamoque iuxta Diuae Virginis saccellum pisces capere contendisset, de repente ex undis in scopulo, mas Triton exiliuit, barba prolixa, crinibus oblongis, pectore hispido, facie non admodum deformi, absolutaque hominis forma. Qui cum paululum apricatus esset, et hominem a tergo, ipsius formam contemplantem, inspexisset, uoce humanae non dissimili prolata, territus confestim in salum se submersit. Haec piscator de Tritone, siue homine marino, cupidis audiendi, compto ordine ac sermone, hodierna die enarrat. 3 3 Kap. Tritone und Nixen: „ Plinius [Hist. Nat. IX, 5] hat geschrieben, dass er [Triton] in Lusitanien zur Zeit von Tiberius Cäsar gesehen und gehört wurde. Dem Tiberius, sagt er, schickt der Herrscher von Lissabon eine Gesandtschaft, dass ein Triton in der bekannten Art gesehen und gehört wurde, der manchmal in einer Höhle auf einer Muschel spielte. Und ich glaube, dass das folgende nicht verschwiegen werden soll. In unserer Zeit wurde an verschiedenen Stellen entlang der benachbarten Küstenlinie ein menschliches Wesen gefunden, welches die Bewohner dort als Meermann zu bezeichnen begannen, besonders wegen seiner Natur und Herkunft und vor allem aufgrund dessen, dass seine Hautoberfläche noch gewisse Runzeln und Schuppen aufweist, die fast über den ganzen Körper verbreitet sind, als ob sie Spuren einer alten Rasse wären. Es wurde weiterhin übereinstimmend als wahr betrachtet, dass diese Wesen ihren Ursprung und ihre Herkunft den Meermenschen oder Tritonen verdanken. Nach der Überzeugung unserer Vorfahren kommt das daher, dass diese die Gewohnheit hatten, offenbar nach und nach auf den Strand zu stürmen und dort zu spielen. Allmählich wurden sie von dem Wohlgeschmack der Früchte angezogen, die in der Region häufig vorkommen. Sie kamen dort häufig zurück. . . . Lasst mich, um einen wirksameren Zeugen ins Spiel zu bringen, lasst mich auf den Fischer unserer Tage zurückgreifen, der sein Angelglück mit Schnur und Haken in den Klippen des Vorgebirges Barbari [Cabo Espichel] in der Nähe der Kapelle der Jungfrau Maria versuchen wollte. Plötzlich sprang aus den Wellen ein männlicher Triton in die Klippen, mit wehendem Haar, langem Bart, struppigem Oberkörper mit nicht allzu sehr deformiertem Gesicht und absolut menschlichen Zügen. Nachdem er eine Weile geblieben war, um sich in der Sonne zu wärmen und Seitenblicke auf den Mann zu werfen, der wieder auf ihn aufmerksam wurde, fürchtete er sich plötzlich, brach er mit fast menschlicher Stimme in einen Schrei aus und sprang zurück ins Meer. Der Fischer erzählt die Geschichte heute noch jedem, der sie hören will und beschreibt den Meermann detailliert und nach Gebühr “ (Dami-o de Gois, Urbis Olisiponis descriptio, texto latino y traduç-o portuguesa, introduç-o por Ilídio do Amaral, apresentaç-o, ediç-o crítica, traduç-o e comentário por A. A. Nascimento (In folio. Clássicos, 2002) S. 112 - 114. Dami-o de Gois (oder Goes) war ein portugiesischer Diplomat und Historiker, der Europa gut kannte und u. a. auch mit Luther und Melanchthon zusammenkam. Über sein Leben vgl. E. Feist Hirsch , Dami-o de Gois. The Life and Thought of a Portuguese Humanist 1502 - 1574 (1967). Seine Beschreibung der Stadt Lissabons wurde erstmals in Évora aufgelegt, dann in Frankfurt (1603), Coimbra (1791) und erschien in englischer Übersetzung 1996 in New York. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 17 <?page no="18"?> Der Apostel Paulus und die hl. Thekla Für Rom soll als Beispiel der Komplex der Heiligen Thekla und Paulus angeführt werden. 4 Gemäß der Aussage des Briefes an die Römer wollte der Apostel Paulus nach Spanien reisen und dort missionieren: „ . . . werde ich kommen, sobald ich nach Spanien reise “ (Römer 15, 23) sowie die Aussage: „ will ich über euch nach Spanien reisen “ (Römer 15, 28). Auf Anordnung von ihm und von Petrus sollen die „ Sieben Apostelschüler “ des hl. Jakobus Spanien missioniert haben. 5 Auch von Papst Gregor VII. (1073 - 1085) wird 1074 in einem Brief an Alfons VI., 6 König von León-Kastilien, ausdrücklich hervorgehoben, dass die Missionierung der iberischen Halbinsel durch Schüler von Petrus und Paulus und nicht durch Jakobus erfolgt sei, natürlich mit der Absicht, den Bemühungen von Compostela um die Anerkennung des Apostelgrabes entgegen zu stehen. Einer Überlieferung aus dem zweiten Jahrhundert nach folgte die heilige Jungfrau und Protomärtyrerin Thekla dem Apostel Paulus nach Antiochia und begleitete ihn als seine Schülerin auf seinen Missionsreisen. Nach dem Tod des Apostels Paulus soll sie sich als Eremitin in eine Höhle bei Seleukia am Kalykadnos (bei Konya in der Türkei) zurückgezogen haben. Nach einem mittelalterlichen lateinischen Codex aus dem 11. Jahrhundert, in dem Abt Amarus von Tuy über die wundersame Reise des galicischen Mönches Trezensonio zur Großen Insel des Paradieses ( „ Solistitionis Insula Magna “ ) berichtet, erwähnt er, dass dieser dort auf der Insel, die sich weit entfernt 4 Vgl. Acta Apostolorum Apocrypha, hg. von R.A . Lipsius/ M. Bonnet (1959) 1, S. 235 - 72, auch B. Pic k, The Apocryphal Acts of Paul, Peter, John, Andrew and Thomas (1909) S. 8 - 15. Die Tradition soll schon vor dem 11. Jahrhundert eingesetzt haben, und es wird die Kirche der hl. Thekla auf der Paradiesinsel: Solistitionis Insula Magna beschrieben (Alcobaça Ms. CCCLXII/ 37, fol. 118v - 120). 5 Zu diesem Komplex vgl. u. a.: Z. García Villada , in: Historia Ecclesiástica de España (1929), I/ 1, S. 45, und J. Vives , Las actas de llos Varones Apostólicos, in: Miscellanea liturgica in honorem L. Cuniberti Mohlberg I ( 1948) speziell S. 45. Vgl. neuerdings auch F. Marquez Villanueva, Santiago: trayectoria de un mito (2004). Die „ Sieben Apostelschüler “ sind Jünger des Jakobus und wurden der Legende nach von Petrus und Paulus ordiniert und auf die iberische Halbinsel zur Evangelisierung des Landes geschickt: Torquatus, Segundus, Indalecius, Tesifonte, Eufrasius, Cecilius und Hesequius. Sie kehrten nach Jerusalem zurück und begleiteten Jakobus nach dessen Tod bei der „ translatio “ nach Galicien - so nach einer Erzählung des 9. Jahrhunderts, die die Tradition der „ translatio “ mit der Legende von den Sieben Apostelschülern verknüpfte, die auf das 8. Jahrhundert zurück gehen dürfte. 6 „ Cum beatus apostolus Hyspaniam se adisse significat ac postea septem episcopos ab urbe Roma ad instruendos Hyspanie populos a PETRO et PAULO apostolis directos fuisse “ , Das Register Gregors VII., hg. von E . Caspar , Buch LIV (MGH Epp.sel. 2,1, 1920) S. 92 - 94, Nr. I, 64. Vgl. K. Herbers , Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts (2006) S. 158. Robert Plötz 18 <?page no="19"?> vom Leuchtturm von Brigantium (Torre de Hércules in La Coruña) 7 befinde, eine große und prächtige Kirche gesehen haben will, die der heiligen Thekla geweiht sei. Dort befinde sich ihr Grab und auch Cirilus 8 und sein Schüler Flavius seien dort begraben: „ Medio quoque ecclesie altare marmoreum, in circuitu bases auree et pauimentum uitro purissimo; uestimenta altaris auri textilis refulgencia ad solis imaginem. Supra altare uero sancte Tecle ibi requiescentis epitafium, ipsius sub nomine fabricatam esse basilicam; dextera autem parte sepulcrum precioso sed innoto constructum lapide, in caput cuius marmorea tabla sic inscrita: HIC REQUIESCIT QUIRILLUS ET FLAUIUS “ . 9 Und auf den Färöer-Inseln nimmt eine Romanze Bezug auf Erzählelemente unserer Mirakelgeschichte. 10 7 Zum Leuchtturm vgl. Th. Schlunk , El faro romano de la Coruña (Torre de Hércules), in: Actas del Coloquio Internacional sobre el Bimilenario de Lugo (1977) S. 131 - 156. 8 Es könnte sich hier um den Cirilo handeln, der gegen Ende des 6. Jahrhunderts einen Traktat „ De pascha “ (zu Ostern) verfasste, der Martin von Braga zugeschrieben wird, siehe A. Cordoliani , Hispania Sacra 9 (1956) S. 127 - 139. 9 M. C. Díaz y Díaz , Visiones del Más Allá durante la Alta Edad media, in: Bibliófilos Gallegos, Biblioteca de Galicia XXIV (1985) S. 95 - 112. Quelle: Lisboa, Biblioteca Nacional, Ms. Alcobaça CCLXII/ 37, fol. 118 v - 120. Text auf S. 114 f.: „ Der Bodenbelag der Basilika war unterschiedlich mit Platten aus transparenten grünlichen, gelben und bläulichen Platten dekoriert. Im Zentrum der Kirche selbst stand ein Altar aus Marmor, und in seiner Umgebung gab es einige Sockel aus Gold und einen Bodenbelag aus reinstem Kristall; die Altarbedeckung aus Tuch war mit Goldfäden durchwebt und glänzte wie die Sonne. Über dem Altar der heiligen Thekla, die dort ruhte, war eine Inschrift angebracht, die aussagte, dass die Basilika ihr zu Ehren errichtet worden sei; rechts gab es eine Grablege aus prächtigem, aber nicht bekanntem Stein, dessen Kopfende eine Marmortafel mit folgender Inschrift aufwies: ‚ Hier ruht Cirilo und sein Schüler Flavio “ - Es wird vermutet, dass es sich hinsichtlich des Schreibers um einen Mönch handle, der in der Region von Braga zuhause gewesen sein solle. Weitere Texte u. a. bei A. A. Nascimiento , Navegaç-o de S-o Brand-o nas fontes portuguesas medievais (1998) S. 237, mit Beschreibung der Basilika, Chet van Duzer , The Voyage of Trezenzonio to the Great Island of the Solstice. English Translation and Commentary, Folklore (2008) Vers 119, Nr. 3, S. 335 - 345 und A. Cr. Lopes Fraz-o da Silva , Algumas considerações sobre la obra de solistitionis insula magna, in: Conhecimento histórico e diálogo social. Simpósio Nacional de História e Diálogo social 27 (2013), Natal: ANPUH, 2013, S. 1 - 10. Der Artikel erschien im Rahmen des Projekts O culto aos santos e a produç-o hagiográfica na provincia eclesiástica na Idade Media Central und war speziell auf die Erzdiözese Braga bezogen. Vgl. auch S. Moralejo , El mundo y el tiempo en el mapa del Beato de Osma, in: El Beato de Osma. Estudios (1992) S. 151 - 179. 10 Vgl. V. Almazán , Galaecia Scandinavica. Introducción o estudio das relacións Galaico-Escandinavas durante a Idade Media (1986) S. 294 - 297, speziell S. 295, mit der Romanze „ Sankti Jakup “ nach Hjalmar Thuten, Ders .: Huellas jacobeas en la cultura escandinava, in: Ausstellungskatalog: Santiago, in: Santiago, Camino de Europa. Culto y cultura en la peregrinación a Compostela, hg. von S. Moralejo / F. López Alsina (Compostela 1993) S. 181 - 191, hier S. 189 - 191, und Ders.: Sankt De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 19 <?page no="20"?> II Der Pilgerweg durch Portugal und Galicien nach Santiago de Compostela An den Anfang meiner Ausführungen zur Region zu beiden Seiten des Flusses Miño/ Minho möchte ich einen Text von Almeida Garrett aus seinem „ Romanceiro “ stellen: „ Depois da Galiza, nenhum reino de Espanha teve jámaqis tanto que fazer cum o Apóstolo de Compostela como o nosso Portugal, especialmente nas duas provincias do extremo Norte. 11 Ausführlicher noch führt José Filgeira Valverde in das Thema ein: O „ Camiño “ deixou un alongado ronsel na poesía e nas tradicións. Quizais houbese nesta „ vía portuguesa “ , como noutras, „ recontadores “ e „ ichacorvos “ , propagadores da devoción e da pregrinaxe. Dende os púlpitos e nas lecturas de refectorios e tinelos espallaríanse louvores e relatos. As parroquia dependentes das Diócesis galegas foron outros tantos focos de difusión. Os motivos glosados serían a vida de Santiago, a vinda e a traslación, o encontro das relicas, a materia carolinxia, os miragres, os peregrinos egrexios, os namoros, crimes e castigos . . . a Virxe e as ánimas no Camiño “ . 12 Wie wurde eigentlich das Muschelwunder vom Hochmittelalter bis heute tradiert? Ein langwieriger Verlauf der Textüberlieferung vom 13./ 14. Jahrhundert mit verschiedenen Varianten und unter Einbeziehung zeitgeschichtlicher Einflüsse fand statt. (Ich habe bewusst den langen Vorspann vor die Behandlung der Mirakelerzählung gestellt, um die vielfältigen Einflüsse durch die Zeiten hindurch transparent und begreifbar zu machen). Jakobus in den skandinavischen Volksliedern, in: Der Jakobuskult in „ Kunst “ und „ Literatur “ (Jakobus-Studien 9, 1998) S. 259 - 260. Zum Vorgang siehe weiter unten, S. 42 f., und Anhang II, S. 56 ff. 11 „ Nach Galicien hat kein Königreich Spaniens jemals so viel mit dem Apostel von Compostela zu tun gehabt, wie unser Portugal, insbesondere die zwei Provinzen im hohen Norden “ , J. B. da Silva Leit-o de Almeida Garret , Romanceiro 2 (1851) S. 301. 12 „ Der Pilgerweg hat eine breite Kielspur in Dichtung und in den Überlieferungen gelassen. Wahrscheinlich wird es an diesem portugiesischen Weg, wie unserem, ‚ Nacherzähler ‘ und ‚ Wanderprediger ‘ , Werber für ein Leben in Frömmigkeit und Pilgerfahrt gegeben haben. Von den Kanzeln herab und in den Lesungen in Refektorien und von den Pulten wurden Taten und Erzählungen weitergegeben. Die Pfarreien der galicischen Diözesen waren andere Verteilungszentren. Die aufgeführten Motive bezogen sich auf das Leben von Jakobus, die Missionstätigkeit und die Translation, den Grabfund, Begebenheiten aus der Karolingerzeit, die Mirakel, hervorgehobene Pilger, die Liebeleien, Verbrechen und Strafen . . . auf die Jungfrau und die Armen Seelen am Weg “ . J. Filgeira Valverde , Temas poéticos do camiños portugueses a Compostela, in: Museo de Pontevedra XLV (1991) S. 725 - 741, hier S. 727. Herzlichen Dank an den Direktor des Museums, Carlos Valle, für die Textvermittlung. Vgl. auch A. de Magalhaes Ribeiro da Cunha , A Devoç-o popular a Santiago de Compostela em Portugal, Brigantia XVII (1986) S. 77 - 114. Robert Plötz 20 <?page no="21"?> Die Altartafel aus dem Bestand des Diözesanmuseums Camerino Abb. 1: Giovenale da Orvieto, Translatio des Apostels Jacobus maior mit ‚ Muschelritter ‘ (1441); Camerino/ Marche, Museo Diocesano. In der bisher wohl gelungensten und wissenschaftlich erfolgreichsten Jakobus-Ausstellung „ Santiago, Camino de Europa “ , die wir im Heiligen Jahr 1993 im Kloster San Martín Pinario durchführten, war eine eingangs schon erwähnte Altartafel aus dem Bestand des Diözesanmuseums Camerino in den Marken (Italien) zu sehen, die ein Jakobus-Mirakel in erlesener Qualität darstellte, das der Fachwelt nur aus der literarischen Überlieferung bekannt war, da es in der figurativen Kunst sonst einfach nicht vorhanden war. 13 Für die hagiographische Forschung dürfte dieses Beispiel wohl ein überzeugender Beleg sein, wie unter verschiedenen Mentalitäten und Idiomen sich orale Überlieferungen unter Berücksichtigung verschiedenster Veranlagungen und Verhältnisse vor dem Hintergrund einer immer mehr zusammenwachsenden und zentrisch nach Rom gerichteten Glaubenslehre zusammenfinden und sich ergänzen können. 13 Vgl. die Objektbeschreibung von L. Gai , Tabla del retablo de Camerino con la representación de la translatio de Santiago, in: Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 499 f., Nr. 176, mit Abb. Ein ähnliches Motiv wird im Ms. Chantilly, Nr. 27, fol. 160, vom Anfang des 14. Jahrhunderts abgebildet: Ein Reiter stürzt von einer Brücke und wird von Jacobus gerettet. Er ist mit Muscheln übersät, siehe G. Blangez , Ci Nous Dit. Recueil d ’ examples moraux (= Société des ançiens textes français II, 1979) S. 186: Cy dit dùn autre pelerin de saint Jaques qui chey de dessus un pont, et lui et son cheval dans l ’ eaue, et quant ilz en issirent ilz furent fueillolez de coquilles. Vgl. H. Jacomet , Une géographie des miracles de Saint Jacques propre à l ’ arc méditeranéen (XIII o - XIV o siècles). A propos des exempla IV, V et VIX du Codex Calixtinus, in: Santiago e l ’ Italia, Atti del Convegno Internazionale di Studi 5, Perugia, 23 - 26. Maggio 2002, a cura di P. Caucci von Saucken ( 2005) S. 289 - 457, hier S. 321 mit Abb. 90. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 21 <?page no="22"?> Der Altar, von dem die Tafel stammt befand sich ursprünglich in der Privatkapelle der Familie Mancini oder Massimi in der römischen Kirche Santa María in Aracoeli, an der Stelle, wo heute San Michele Arcangelo steht. 14 Seine Bildausstattung wird Giovenale von Orvieto 15 zugeschrieben und auf das Jahr 1441 datiert. Bereits um 1640 erwähnt der römische Sammler Francisco Gualdi (1574 - ca. 1657) den Altar. 16 Eine früher vorhandene Inschrift am Altar wird von F. Casimiro Romano 17 und V. Forcella 18 in der Mitte des 19. Jahrhunderts bestätigt. Schon vorher, im Jahr 1644, zitiert der Hofkaplan und Domkapitular Miguel de Erce y Jiménez aus León die umlaufende Inschrift, die auf Auftraggeber und den ausführenden Künstler hinweist: Hoc opus fecit fieri nobilis vir Laurentius Petronna sancto, alias dictus Mancino de Lutÿs tempore Domini Eugenÿ Papa IV anno M.CD.XLI. Iuvenalis de urbeveteri me pinxit. Ferner gab er eine ausführliche Beschreibung des aus vergoldetem Holz gefertigten Altarkorpus, von dem das Tafelbild stammt, und auch seiner Komposition: 19 Está Santiago en medio del retablo cuerpo entero en pie, i rostro tan hermoso, que parece el Salvador. . . . A los dos lados S. Estevan, i S. Lorenço. 20 Die Predella ist 14 Neben Santa Maria in Aracoeli hatte auch Santa Maria Sopra Minerva eine große Jakobus-Kapelle, die nach Rosa Vázquez auf die Existenz zweier wichtiger spanischer Hospitäler zurückgehen könnte: San Giacomo degli Spagnoli und San Tommaso degli Spagnoli, siehe R. Vázquez Santos , San Giacomo degli Spagnoli. Arte e iconografia jacobeos en la Roma de los siglos XV al XVII, in: ebd., S. 827 - 875, hier S. 836 - 841. 15 Zum Künstler vgl. A. Bolaffi / U. Allemandi , Giovenale da Orvieto, Dizionario Enciclopedica Bolaffi di pittori e degli incisori italiani (1972 - 76) VI, S. 72, und U. Thieme / F. Becker , Giovenale da Orvieto, in: Allgemeines Lexikon der bildenden Künste von der Antike bis zur Gegenwart 14 (1921) S. 151. Giovenale wird als Maler und Mosaizist beschrieben. Ausführlicher geht F. Federic auf sein fast verschwundenes Werk und auf das abwechslungsreiche Leben des Künstlers ein, siehe: Il perduto „ quadro grande “ di Giovenale da Orvieto nella capella Mancini del ’ Aracoeli, in: Paragone, Rivista mensile di arte figurativo e letteratura, Arte LXI, Terza serie, Nr. 92 - 93, 725 - 727 (Juli/ September 2010) S. 86 - 101 mit Abb. des Galgen- und Hühnermirakels (Privatsammlung Pau), Tavola 54. 16 F. Gualdino, sepolcrali, mit Xylographien, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. Lat. 8250 - 8257. 17 F. C. Romano , Memorie istoriche delle chiese e dei conventi dei Frati Minori della provincia Romana (1845) m. 5671, S. 192. 18 V. Forcella , Iscripzioni delle chiese e d ’ altri edifici di Roma. Dal seculo XI fino ai giorni nostri, 14 Bde. (1869 - 84), hier 1, S. 136. 19 M. de Erce y Jiménez , Prueva evidente de la predicación del Apóstol Santiago el Mayor en los reinos de España (1644) Teil 2, Abschnitt III, c. 1, S. 229. 20 „ Jacobus steht in der Mitte des Altars, das Gesicht so schön, dass es dem Erlöser gleicht. . . . Auf beiden Seiten die hll. Stefan und Laurentius “ (Ebd. S. 229). Vgl. R. Vázquez Santos , San Giacomo degli Spagnioli (wie Anm. 14) S. 827 - 875, und Dies ., Un nuevo catálogo pictórico del Quattrocento italiano: La tabla de Camerino y el desaparecido ciclo jacobeo de Giovenale de Orvieto en Araceli, Archivo Español de Arte 81 (2008) S. 105 - 114, und ebd. 83 (Januar - März 2010) S. 1 - 22. Vgl. auch Dies ., Robert Plötz 22 <?page no="23"?> dreigeteilt. Jeder Teil stellt mehrere Szenen dar. Im zentralen Teil befindet sich die Darstellung der „ translatio “ des Apostels übers Meer unter Beteiligung der sieben Apostelschüler: 21 Está pintada una nave en el mar, i en ella el cuerpo de Santiago sobre la popa rostro venerable abierta la barba. También ai dentro de la nave siete hombres, que son los Discípulos, que vinieron de Ierusalen a España en custodia del santo cuerpo. 22 Im 17. Jahrhundert veranlasst Francesco Maria Mancini, den Alexander VII. 1660 zum Kardinal ernannte, eine gründliche Reform, und der Altar wurde abgebaut und durch einen neuen von Giovanni Battista Barnaba ersetzt. Die einzelnen Bestandteile des alten Altars wurden verkauft. Die Zentraltafel kam letztendlich in das Diözesanmuseum von Camerino. 23 Eines der Seitenteile stellt das bekannte Mirakel des Kaufmanns dar, der in einem Turm eingeschlossen ist und von Jakobus befreit wurde, ebenso wie das der 30 Pilger aus Lothringen (Mirakel IV). Diese Tafel befindet sich heute im Museo Civico Amedeo Lia von La Spezia. Das dritte Segment widmet sich in der ersten Szene links dem Galgen- und Hühnermirakel und rechts der Bestätigung des Wunders durch die von der Feuerstelle des Richters auffliegenden gebratenen Hühner (Mirakel V). 24 Dieses Segment wurde von Rosa Vázquez in einer Privatsammlung in Pau lokalisiert. 25 Gerade das Mirakel V stellt einen überzeugenden Beleg für die enorme Verbreitung dieser Gattung in vielen Bildmedien und Handschriften in ganz Europa dar. 26 Roma: Culto y peregrinación: de la crisis del siglo XII al jubileo de 1300, in: Peregrino, ruta y meta el las ‘ peregrinaciones maiores ’ , Actas del VIII Congreso Internacional de Estudios Jacobeos, Santiago 2010, a cura de Paolo Caucci von Saucken ( 2012) S. 379 - 395, Abb. 2, und G. Kafta l, Iconography of the Saints in Central and South Italian Schools of Painting (1965) col. 579. 21 Zu diesem Komplex vgl. Anm. 5. 22 „ im Mittelteil ist ein Schiff auf dem Meer dargestellt, und in ihm der Körper von Jakobus auf dem Heck mit verehrungswürdigem Gesicht mit einem Bart zu sehen. Im Schiff befinden sich auch die sieben Männer, die die Schüler darstellen, die von Jerusalem nach Spanien als Hüter des heiligen Körpers kamen, nachdem ihn der König Herodes enthaupten ließ “ ( Erce y Jiménez , Prueva evidente, wie Anm. 19, 229). 23 Vorher befand es sich in der Kirche Santa Maria in Via in Camerino selbst. Meine Anfrage mit Brief vom 15. Juli 2007 mit der Bitte um Auskunft hinsichtlich der Provenienz der Bildtafel beim Direktor des Museums, Prof. Giacomo Boccanera, wurde leider bis heute noch nicht beantwortet. 24 Abb. bei Vázquez Santos , Un nuevo catálogo (wie Anm. 20) S. 109, mit Abb. 3. - Galgenmirakel auf S. 108, Abb. 2. Zur Motivgeschichte vgl. Robert Plötz , ‚ Res est nova et adhuc inaudita ‘ . Motivindex und literarisch-orale Evolution der Mirakelerzählung vom Pilger, der vom Galgen gerettet wurde, Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 54 (1999) S. 9 - 36. 25 Vázquez Santos , Un nuevo Catálogo (wie Anm. 20) S. 109, mit Abb. 3. 26 Vgl. R. Plötz, der hunlr hinder dem altar saltu nicht vergessen. Zur Motivgeschichte eines Flügelaltars der Kempener Propsteikirche, in: Epitaph für Gregor Hövelmann. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins dem Freund gewidmet (1987) S. 119 - 170. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 23 <?page no="24"?> Alle drei Wunder und die „ translatio “ der Frontszene befinden sich im Mirakelkomplex des Codex Calixtinus (Lib. II und III) sowie in der Legenda Aurea 27 des Jacobus de Voragine (1228/ 29 - 1298). Damit dürfte es sich um einen Zyklus handeln, der die Legenda Aurea als Grundmuster hat, das allerdings ab und zu um ein Mirakel mit regionalem Bezug erweitert wird, wie es reduziert zum Beispiel auf den Kirchenglasfenstern von San Domenico in Perugia 28 der Fall ist. Lucia Gai geht in ihrer Bildexegese auf die Darstellung der „ translatio “ auf dem Tafelbild ein und nennt es ein notable testimonio de la difusión en Italia de la leyenda de Santiago. 29 Sie erwähnt als ursprünglichen Standort des Bildes die Kirche Santa Maria in Via (heute Diözesanmuseum Camerino/ Marken), deren erste Erwähnung gegen Ende des 13. Jahrhunderts stattfindet. Die Kirche liegt an der alten Straße, die durch das früher so benannte Tor di S. Giacomo die Stadt in Richtung Rom durch die Marken führte. Die Herkunft des Bildes sei nicht bekannt. 30 Lucia Gai bringt das Tafelgemälde in einen möglichen ( „ probablemente “ ) Zusammenhang mit der Mirakelgeschichte IX des „ Libellus miraculorum “ des „ Codex Calixtinus “ , die sich auf die Rettung eines jungen fränkischen Ritters aus Tiberias bei Jerusalem bezieht, der 1103 auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela mit anderen Pilgern in Seenot geriet und in seiner Verzweiflung unter seinen Gefährten Münzen einsammelte, die für die Kasse der Kirchenfabrik in Santiago bestimmt waren. Sofort flaute der Sturm ab und das Schiff landete sicher in Apulien (Bari, Brindisi, Tarent? ). Von dort aus unternahm der junge Mann seine Pilgerfahrt nach Compostela und übergab vor Ort die Münzspende. 31 Lucia Gai interpretiert nun den hinteren wulstigen Sattelaufsatz 27 Die Legenda Aurea wurde um 1264 in lateinischer Sprache verfasst. Sie gilt als das bekannteste und am meisten verbreitete Volksbuch religiöser Prägung. Sie wurde in viele Sprachen übersetzt. Die deutsche Version: Die Legenda Aurea des Jacobus von Voragine. Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz (1984), mit der Jakobus- Legende auf den S. 487 - 497. 28 Vgl. R. Plötz, Iconografia jacobea nella vetrata di San Domenico in Perugia, Compostella. Rivista del Centro italiano di Studi Compostellani 32 (2011) S. 16 - 20. Weitere Beispiele z. B. finden sich in Rothenburg ob der Tauber (Jakobus-Kirche: 1466), in Winnenden (ev. St. Jakobus-Kirche: um 1520), und im Museum der Kathedrale von Santiago de Compostela (Goodyear-Altar von 1456 aus Alabaster, Stiftung von Father Goodyear, Pfarrer von Chal auf der Isle of Wight). 29 „ Ein bemerkenswertes Zeugnis der Jacobus-Legende in Italien “ , Gai, Tabla (wie Anm. 13) S. 499. 30 Ebd. 31 Postea vero tranquillo cursu ad optatum portum, in Apullia scilicet, navis cum peregrinis pervenit. Denique miles prefatus usque ad beati Iacobi basilicam in Gallecie partibus, letus cum aliis peregrinis pervenit, et nummorum collectam, quam sibi acceperant, in arca beati Iacobi ad hopus ecclesie misit. Regi regum sit decus et gloria in secula seculorum (Liber Sancti Jacobi Codex Calixtinus, Transcripción a partir del Códice original por: K. Herbers/ M. Santos Noia (1998) S. 167 f., hier S. 168). Robert Plötz 24 <?page no="25"?> als saquito de dinero atado en la silla, 32 eine Interpretation, die nicht nachvollziehbar ist. Sie erwähnt noch, dass der mit der Herstellung des Bildes beauftragte Künstler unbekannt sei. Die Mirakelgeschichte über den mit Muscheln bedeckten und wieder zum Leben gebrachten Adeligen/ Ritter/ Reiter beinhaltet folgende hauptsächliche Charakteristiken, auf die einzugehen wesentlich zum Verständnis der einzelnen Motivbestandteile beitragen kann: Die Muschel als Pilgerzeichen, die „ translatio “ , den Transport des „ corpus integrum “ einschließlich des „ caput sacer “ , die Reise des Apostels zu seinen Lebzeiten nach Galicien auf einem Felsen, auch unter Einbeziehung portugiesischer Traditionen, sowie die Rettung eines Ritters der Miño/ Minho-Region aus den Tiefen des Meers und dessen heraldische Interpretation. Die Muschel als Pilgerzeichen 33 Es ist wohl kein Zufall, dass die für das mittelalterliche Pilgerwesen so charakteristischen Pilgerzeichen erst mit der Blütezeit der Pilgerbewegung im 12. Jahrhundert in Erscheinung traten. Für Santiago de Compostela gibt es einen frühen literarischen Beleg in einer Vita des hl. Thomas Becket aus dem 12. Jahrhundert: „ de Samt Jame l'ecale qui en plum est muee “ 34 . Ferner Übersetzung: „ Und dann in einer ruhigen Fahrt gelangte das Schiff mit den Pilgern zum ersehnten Hafen in Apulien. Und schließlich kam der bewusste Ritter nach Santiago in Galicien, und warf das in seiner Kollekte erhaltene Geld in den Kasten des Heiligen für seine Kirchenfabrik. . . . “ . 32 Gai, Tabla (wie Anm. 13) S. 500. Auch die vom lateinischen Text des „ libellus miraculorum “ des Codex Calixtinus öfter abweichenden galicischen „ Miragres de Santiago “ (Edición y estudio crítico por José L. Pensado, Madrid 1958, S. 188 - 190, hier S. 189), erwähnt die Münzspende, stellt aber keinen Zusammenhang zu einem anderen Mirakelgeschehen her: „ dineiros para a obra de sua igleia, et o caualeiro rreçebeu ali os dineiros “ . Entstehungszeit: Letztes Drittel des 14. oder erstes Drittel des 15. Jahrhunderts. 33 Vgl. zur Pilgermuschel allgemein K. Köster , Pilgerzeichen und Pilgermuscheln von mittelalterlichen Santiagostraßen. Saint-Léonard - Rocamadour - Saint-Gilles - Santiago de Compostela (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 2, 1983); R. Plötz , La venera (concha/ vieira) „ signum peregrinationis “ : recuerdo santo y protección divina, in: O Camiño do Sueste - Vía de Prata para o século XXI (2009), S. 237 - 262, und in ihrer Verwendung in der Heraldik: M. C. A. Gorra , La conchiglia in araldica. Dal simbolo arcaico all ’ emblema di Compostella (Studi e Testi 4, 2010) speziell S. 47 - 49, c. 3.4.: Le conchiglie del miracolo. 34 Die Vita wurde 1172/ 74 mehrmals öffentlich von dem französischen Kleriker Guernes ( Garnier ) de Pont-Saint-Maxence vorgetragen. Ebenfalls für Canterbury, Jesrusalem und Rocamadour: E ampolles reportent en signe de veage. / Mais de Jerusalem est la cruiz aportee, / E de Rochemadur Marie en plum getee (La vie de saint Thomas. Poème historique du 12 e siècle, 1172 - 1174, ed. von E. Walberg (= Skrifter utgivna av Kungl. Humanistika vetenskapssamfundet i Lund V, 1922) S. 199, v. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 25 <?page no="26"?> weist ein erzbischöfliches Dekret aus dem Jahr 1200 auf den Verkauf von Blei- und Zinnmuscheln hin. 35 Neben Stab und Pilgertasche war es besonders das Attribut der Muschel, das als kennzeichnendes signum peregrinationis rasch internationalen Charakter annahm, und nicht ausschließlich, aber vor allem den Jakobus-Pilger auszeichnete. Die Naturmuschel 36 war das eigentliche und prägende Pilgerzeichen. Am Anfang steht also das Pilgerzeichen „ per se “ , die Jakobus-Muschel. Schon in vorgeschichtlicher Zeit, in Antike und im frühen Mittelalter, fin- Abb. 2: Pilgermuschel, Ausgrabungsfund aus dem Längsschiff der Kathedrale von Santiago de Compostela, Museo de las Peregrinaciones Santiago de Compostela. 5895 - 97. Zu dem Komplex „ Pilgermuscheln “ vgl. K. Köster, Pilgerzeichen und Pilgermuscheln (wie Anm. 33) und R. Plötz, Jacobus Maior, Geistige Grundlagen und materielle Zeugnisse eines Kultes, in: Der Jakobus-Kult in Süddeutschlnd (Jakobus-Studien 7, 1995) S. 171 - 232, hier S. 204 f. Zu Pilgerzeichen vgl. auch A. Haasis-Berner , Pilgerzeichen des Hochmittelalters (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte 94, 2003), und: Pilgerzeichen Pilgerstraßen, hg. von K. Herbers / H. Kühne (Jakobus-Studien 20, 2013). 35 Hintergrund dieser Maßnahme war die schnelle Zunahme von ambulanten Händlern, die die enorme Nachfrage von Seiten der Pilger befriedigten. Es war Erzbischof Suárez de Deza, der im Jahr 1200 eine Verordnung proklamierte, die die Verkaufsrechte regelte. Text der Verordnung bei: A. López Ferreiro , Historia de la Santa Apostólica Metropolitana Iglesia de Santiago de Compostela, 11 Bde.(1898 - 1909), hier Bd. 5, S. 38 - 39, Apéndice V, S. 15 - 17, und Ders ., Fueros municipales de Santiago y de su tierra, 2 Bde. (1895, Neudruck Madrid 1975 in einem Band) hier 1, S. 108 f. Bereits im 13. Jahrhundert gab es 100 lizenzierte Verkaufsstände. 36 Ursprünglich Pecten Maximus. Auf die theologisch-spirituelle Deutung in der Predigt „ Veneranda dies “ des Codex Calixtinus soll hier nicht eingegangen werden (Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus, ed. Herbers/ Santos Noia , wie Anm. 31, S. 91 f.). Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die interessante und seriöse Publikation der ‚ Shell ‘ Transport and Trading Company „ The Scallop. Studies of a Shell and its Influences on Humankind by Eight Authors “ , hg. von I. Cox ( 1957). Chr. Hohler schreibt ebd. auf S. 49 - 70 über „ The badge of St James “ , und der Hon. Sir Georg Bellew behandelt standesgemäß die „ Escallops in Armory “ (S. 89 - 104), ein Thema, das aufgrund seiner Komplexität und Stoffmenge eine eigene Abhandlung erfordert. Vgl. auch M. Martins , As Vieiras dos peregrinos de Compostela, Brotéria 76 (1963) Nr. 2, S. 164 - 174. Robert Plötz 26 <?page no="27"?> den sich Muscheln - auch mit Durchbohrungen - als „ Schmuck “ und als Grabbeigaben, das heißt mit Amulettcharakter und ohne Zusammenhang mit dem Pilgerwesen. In der Antike galten Muscheln als Liebessymbol, und ganz allgemein schrieb man ihnen apotropäische Wirkungen zu und trug sie gegen Verhexen, Verschreien und den bösen Blick, überhaupt gegen Zauberei und allerlei Krankheiten. Muscheln sind auch an altchristlichen Sarkophagen und in frühen koptischen Kirchen häufig dargestellt, doch finden sie Eingang in die christliche Ikonographie erst mit der Jakobus-Verehrung. 37 Warum gerade die Muschel zum Attribut des Pilgerapostels und zum Symbol der christlichen „ peregrinatio “ wurde, ist erklärungsbedürftig. Man kann sich natürlich der landläufigen Meinung anschließen und die natürlichen Vorkommen der Muscheln des Typus pecten maximus an der Atlantikküste als befriedigende Lösung betrachten, so wie es noch der Dominikanermönch Felix Fabri 1480 berichtet hat: [in der Nähe von Santiago] da(u) ist ain Insel Sant michels [. . . ]. Die Insel besu(o)chen die bilgrin vil tag [. . .] vnd fúnden da(u) vff dem land des mo(e)rs vil seltzner muschlen gro(u)os vnd clain die niement si an ir huet vnd mentel Als Iacobs bilgrin tu(o)nd. 38 Wie man auch ohne eine anstrengende Peregrinatio zu Pilgermuscheln kommen kann, zeigt das Beispiel der italienischen Heiligen Bona von Pisa. Sie war eine vielfache Jerusalem-Pilgerin, sie war auch in Monte Gargano, und sie pilgerte achtmal nach Santiago de Compostela. Kurz vor ihrem Verscheiden nahm Jakobus sie auf einem „ Flug “ zu seinem Grab mit. Sie kam mit Muscheln als Pilgerzeichen zurück, als Beweis dafür, dass sie tatsächlich ihr Ziel erreicht hatte. 39 Auf die heilende Wirkung der Pilgermuschel bezieht sich das Mirakel XX des „ Codex Calixtinus “ , das folgendes von einen Ritter aus Apulien berichtet: „ [. . .] miles quidam in Apullie horis gula, velut uter plenus, vento inflatus est. Qui cum a nullo medico sanitatis medelam inveniret, confisus in beato Iacobo dixit, quod si invenire posset aliquam crusillam quam a sancto Iacobo peregrini redientes secum deferre solent, et ex ea propriam gulam infirmam tangeret, statim remedium haberet. Quam cum 37 Zu dem Themenkomplex „ Muschel “ v. a. in semantisch-philologischer Hinsicht vgl. die umfangreiche Zusammenfassung von K. Schäfer , Sprachliche Analyse zu „ Muschel “ (2001) siehe http: / / home.arcor.de/ schaefer.sac/ rwf/ sdc/ MUSCHEL.PDF. 38 „ in der Nähe [von Santiago] gibt es eine Insel mit Namen Sant michels . . .. Die Insel besuchen die Pilger oft [. . .] und finden auf der Insel viele seltsame Muscheln, groß und klein, die sie an ihre Hüte und Mäntel heften, wie es Jakobspilger tun “ , siehe Felix Fabri, Die Sionspilger, hg. von W. Carls (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 39, 1999) S. 365 f. 39 AA SS Maii VII (1688) S. 144 - 183, hier S. 158: „ In cujus viae indicium exhibuit ipsi ea, quae solerent peregrini à S. Iacobo de Galicia reportare “ , mit der Randglosse „ reditur inde cum signis consuetis “ . Johannes XXII ernannte die Heilige demgemäss zur Patronin der Flugbegleiterinnen. Vgl. auch P. Dinzelbacher , Bona von Pisa, in: Lexikon des Mittelalteres 2 (1983) Sp. 392; und F. Bartorelli , Santa Bona de Pisa (1960). De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 27 <?page no="28"?> aput quendam peregrinum, vicinum scilicet suum, inveniret, tetigit ad gulam et sanatur, et inde ad beati Iacobi limina in Galleciam proficiscitur “ 40 . Von einer ähnlichen Heilwirkung einer Pilgermuschel erzählt der Prälat an der Kathedrale von Wiener Neustadt, Christoph Gunzinger, der sich 1654/ 55 auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela befand. Am Ende seines Berichts geht er auf die Motive seiner Pilgerfahrt ein. Dabei ergibt sich, dass es sich bei ihm um die Abstattung einer Dankesschuld, also um ein „ Ex voto “ -Verhältnis handelt: 41 „ Mein liebe Mutter überkamb etwann von einem St. Jacobs Bilgram ein Muschel: ich als noch vngefähr ein sechs Jähriges Knäbl lag mit hitziger Kranckheit behafft: sie natürlichen Mitteln entsetzt / raichte mir auß selbiger Schallen [Muschel] ein lautteres Brunnwasser zutrincken: vnd in wahrheit selbigen Augenblick verschwand alle die Hitz und Kranckheit. Zwange mich demnach vnablässige Begierdte / bey St. Jacob / als einem vor GOTT vngezweyfelten erwerber meines Lebens / aldaselbsten zu Compostell, wenigisten dermahlen allerschuldigist auffwarttendt mich inzustellen. “ Man könnte in diesen Fällen durchaus auf eine vorchristliche naturmagisch/ religiöse Bedeutung der Muschel schließen. Am Anfang charakterisierte die Muschel nicht ausschließlich die Pilger, sie war mehr ein Zeichen, dass man die confines der Welt, die Ufer des mare Britannicum erreicht habe, wo sich der ältesten Überlieferung nach das Apostelgrab befinden sollte. Als Zeichen einer weiten Reise ( „ in signum tanti itineris ad propria deferunt cum magna exultacione “ ,) erkennt auch der Verfasser der Predigt „ Veneranda dies “ 42 die Muschel an, um sie später zum Symbol der „ caritas “ zu machen und ihre Rippen mit den Fingern einer Hand zu vergleichen. 43 Allerdings wurden bei Ausgrabungen der galaico-römischen Nekropole Noalla (3. bis 5. Jahrhundert n. Chr.) in La Lanzada (Provinz Pontevedra) Muscheln in Fundkontext mit Glasgefäßen und Amphoren als Grabbeilagen gefunden. 44 40 „ Einem gewissen Ritter aus Apulien schwoll die Kehle wie einem Weinschlauch voller Luft an. Und da man keinen Arzt fand, der ein Mittel zur Heilung hatte, vertraute er sich dem Apostel Jakobus an, der sagte, dass, wenn man irgendeine Muschel von denen, die die Pilger trugen, wenn sie aus Santiago zurückkommen, fände und mit ihr seine kranke Kehle berührte, die Heilung sofort eintreten würde. Und als er [der Ritter aus Apulien] sie bei einem bestimmten Nachbarn gefunden hatte, berührte er mit ihr seine Kehle, genas, und pilgerte dann zum Apostelgrab in Galicien “ ( Herbers / Noia , Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 31) Lib. II, cap. 12, S. 169. 41 Christoph Gunzinger aus Wiener Neustadt (1654 - 1655). „ Pietas Austria “ , in: Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „ Ende der Welt “ , hg. von K. Herbers / R. Plötz (1996) S. 268 - 283, hier S. 283. 42 Herbers/ Noia , Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 31) S. 92. 43 Vgl. S. Moralejo , Concha de peregrino, in: Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 357, Nr. 75. 44 Über die Ausgrabungen in Noalla vgl. A. Blanco Freijero / M. Fuste Ara/ A. García Alen , La necrópolis galaico-romana de La Lanzada (Noalla, Pontevedra), Cuadernos de Estudios Gallegos XVI (1961) Fasc. 49, S. 141 - 158. Nach 1949 leitete Robert Plötz 28 <?page no="29"?> Wie alt sind nun Atlantikmuscheln in ihrem Gebrauch als Pilgermuscheln? Wahrscheinlich sind die ältesten Pilgermuscheln diejenigen, die bei Ausgrabungen in Gräbern unter dem Hauptschiff der Kathedrale von Santiago de Compostela gefunden worden sind. 45 Einer der frühesten deutschen Funde stammt von der „ Schwedenschanze “ am Galgenberg in Cham in der Oberpfalz. Bei Ausgrabungen im Gelände der ehemaligen Reichsburg Cham, die Anfang des 13. Jahrhunderts aufgegeben wurde, wurde eine Pilgermuschel gefunden, die aufgrund der Fundumgebung auf das späte auf das späte 11. Jahrhundert/ frühe 12. Jahrhundert datiert werden kann. 46 Christus selbst trägt die Muschel auf seiner Pilgertasche in der Emmaus- Szene in den Kreuzgängen von Santo Domingo de Silos (um 1130), 47 Christus selbst ist Pilger und Fremdling auf dieser Welt und repräsentiert damit in eigener Person das Modell des „ homo viator “ 48 . Wiederum erstaunt José Filgueira Valverde kurze Arbeitskampagnen im Bereich „ Campo de Lanzada “ , einer vorgelagerten Anhebung, auf der die Einsiedelei von „ Nosa Señora “ lag (ebd. S. 142). Der bekannte Anthropologe weist auch anderer Stelle auf diese Funde hin: J. Filgueira Valverde , La Venera, Katalog der 18. Exposition im Instituto Padre Sarmiento de Estudios Gallegos Santiago de Compostela (1965) c. La venera en la peregrinación, S. 6. 45 J. Guerra Campos , Exploraciones arqueológicas en torno al sepulcro del Apóstol Santiago (1982). Der verstorbene Bischof von Cuenca und große Jakobus-Kenner Mrsg. Guerra Campos erwähnt mehrmals Pilgermuscheln (S. 385, 421, 454), wobei zwei Belege einem Grab zugeordnet werden können (S. 385 und 454). Er datiert die Grabstätte von ihrem stratigraphischen Kontext her auf das 9./ 10. Jahrhundert. Dagegen argumentiert S. Moralejo , dass bislang keine Pilgermuschel vor dem 11. Jahrhundert bekannt sei (Santiago, Camino de Europa, wie Anm. 10, S. 356 f., Nr. 75: vor 1120). 46 Vgl. u. a. Th. Raff, Pilgermuschel, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen. Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum 28.6. - 7. 10. 1984 (1984), Bestandskatalog, S. 142, Nr. 203. 47 Diese Darstellung aus dem Leben Jesu geht auf spanische Elfenbeintäfelchen zurück, die durch das Medium der Reliefskulptur monumentalisiert wurden. Zur Emmaus- Szene allgemein Vgl. K. Herbers/ R. Plötz, Einführung: Spiritualität des Pilgerns im christlichen Westen, in: Spiritualität des Pilgerns, hg. von dens ., (Jakobus-Studien 5, 1993) S. 13, Anm. 22. Zu Santo Domingo de Silos vgl. speziell S. Moralejo, El claustro de Silos y el arte de los Caminos de Peregrinación, in: El Románico en Silos. IX Centenario de la consagración de la iglesia y claustro. 1088 - 1988 (1990) S. 203 - 223. Die ikonographischen Darstellungen von Christus als Pilger in der Emmaus-Szene stellen keine Seltenheit dar. Vgl. W. stechow, Emmaus, in: Reallexikon der deutschen Kunstgeschichte 5 (1967) Sp. 228 - 242. 48 Ähnlich sieht es auch der Dominikaner Petrus de Palude (um 1280 - 1342), der Christus und den Pilger vergleicht und diesen in seinen verschiedenen Äußerlichkeiten und Eigenschaften beschreibt ( „ Sermones sive Enarrationes in Evangelia de Tempore ac Sanctorum festis, que Thesaurus Novus vulgo vocantur “ . Pars Aestivalis, Mainz 1608) S. 28 f. Zur theologischen Deutung vgl. u. a. M. Puzicha, Christus peregrinus. Die Fremdenaufnahme (Mt 25,35) als Werk der privaten Wohltätigkeit im Urteil der alten Kirche (Münstersche Beiträge zur Theologie 47, 1980). Nach der Regel des heiligen Benedikt sollen die Mönche ihre Gäste „ wie Christus selbst “ De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 29 <?page no="30"?> es, dass die ersten Zeugnisse für Pilger mit Muscheln in einem Ort an einer zeitlich spät anzusetzenden und zweitrangigen Wegführung des Ebrotals (Tudela) 49 und in einem schon erwähnten und ziemlich entlegenen Kloster (Santo Domingo de Silos) 50 zu finden sind. Warum, fragt man sich, entspricht das Pilgerzeichen „ Muschel “ nicht den anderen, mehr heiligen- und ortspezifisch gestalteten Pilgerzeichen, die meistens das Werkzeug des Martyriums als Attribut einbringen? Es gibt meines Erachtens eine einfache Erklärung. Klerus und Kirche in der „ villa Beati Jacobi “ waren zu sehr mit der Sicherung ihres Status als sedes apostolica beschäftigt, sie befanden sich im Kampf mit mächtigen Gegnern wie Rom und Toledo, die Pilger waren wichtig, aber in kirchenpolitischer Hinsicht zweitrangig. Der Typus „ Jacobus peregrinus “ war in Compostela bis ins erste Drittel des 14. Jahrhunderts überhaupt nicht vorhanden, er war ein Geschöpf der Wege, wo er zuerst gegen 1125 in Santa Marta de Tera 51 nachweisbar ist. Um diese Zeit war die Pilgermuschel paraliturgisch schon längst präsent und eingeführt. Sie stand genau am Schnittpunkt der objektiven und normativen Darstellungen von Aposteln, mit der Heiligen Schrift in der Hand und durch eine Umschrift ausgewiesen, und der Individualisierung oder Subjektivierung der Heiligendarstellungen, denen - wie Jakobus auf einigen Abbildungen auch - das Werkzeug ihres Martyriums als Attribut zugewiesen wurde. 52 aufnehmen. Davon zeugt auch folgende Textstelle nach Mt 10, 40 des Pilgerführers im Codex Calixtinus: „ Nam quicumque illos receperit et diligenter hospicio procuraverit, non solum beatum Iacobum, verum etiam Dominum hospitem habebit. Ipso Domino in evangelio dicente: 'Qui vos recipit me recipit' “ ( Herbers/ Santos Noia Liber Sancti Jacobi, Codex Calixtinus, wie Anm. 31, S. 257). Christus kann demgemäß in effigie als erster Pilger angesehen werden. Und nicht nur Christus, sondern auch Jakobus war auf seinen Wegen in alia effigie, in den „ indumenta “ seiner Pilger anzutreffen. 49 Zu Tudela vgl. Serafín Moralejo , Arte del Camino de Santiago y arte de peregrinación (ss. XI - XIII), in: El Camino de Santiago, Sommerkurs der Universidad Internacional del Atlántico 1987 (1989) S. 7 - 28, hier S. 17. Tudela war eine muslimische Stadt, die 1119 von Alfons I. „ Batallador “ wieder erobert wurde. Tudela besitzt eine romanische Kathedrale (Bauzeit: 1180 bis ins 13. Jahrhundert) mit gotischen Beigaben. 50 Vgl. Anm. 47. 51 Vgl. M. Gomez Moreno , El arte románico español (1934) S. 163. 52 Zur Ikonographie des Jacobus Maior vgl. grundsätzlich S. Kimpel , Jakobus der Ältere, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 6 (1974) Sp. 23 - 39, R. Plötz , Imago Beati Iacobi. Beiträge zur Ikonographie des hl. Jacobus Maior im Hochmittelalter, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen, Themenband (wie Anm. 46) S. 248 - 264, J. K. Steppe , L'iconographie de Saint-Jacques le Mayeur (Santiago), in: Santiago de Compostela. 1000 Ans de Pèlerinage Européen, Ausstellungskatalog Europalia (1985) S. 129 - 153, R. Plötz , Jacobus Maior (wie Anm. 34) S. 171 - 232, S. Moralejo , Der heilige Jakobus und die Wege seiner Ikonographie, in: Santiago de Compostela, Pilgerwege, hg. von P. Caucci von Saucken (1995) S. 75 - 90, H. Ja- Robert Plötz 30 <?page no="31"?> Es ist zu vermuten, dass die Jakobus-Pilger die Naturmuscheln und wenig später auch in Blei gegossene Nachbildungen auf ihrem Rückweg schon in der Zeit um 1100 mit sich geführt haben. Es gibt nun zahlreiche Veröffentlichungen mit namentlicher Nennung von Pilgern zum Apostelgrab in Compostela vor allem aus dem 12. und 13. Jahrhundert, die vielfach tradiert wurden, aber einen wohl ehrlicheren Eindruck über den Mythos Santiago in dieser Zeit geben die archäologischen Belege bzw. Fundkomplexe über Pilger, die mit ihren Pilgerattributen beigesetzt wurden, wobei die Pilgermuscheln am augenfälligsten waren. Wir haben es aber in unserem Mirakel vom Muschelritter mit einer Vielzahl von Muscheln im Zusammenhang mit nur einer Person zu tun, wie sie sonst in der Ikonographie nicht allzu häufig zu finden sind. 53 Text: Analyse und Tradierung An den Anfang der Bildanalyse und Texttradition soll eine Kurzfassung der Mirakelgeschichte gestellt werden. Ein Ritter aus einer der wichtigsten Adelsfamilien Galiciens/ Portugals - die einen sagen, er wäre aus dem Ort Bouzas gekommen, die anderen nennen die Strände Galiciens - , der bei Hochzeitsfeierlichkeiten an einem Turnier teilnahm, wurde der Erzählung nach gerade, als das Boot, das den Körper des Apostels von Jaffa nach Galicien überführte, vorbeisegelte, von seinem Pferd ins Meer 54 gezogen comet , Saint-Jacques: une image à la française? L ’ iconographie suscitée par la création de l ’ hôpital Saint-Jacques-aux-pèlerins et ses prolongements (XIVe-XVe s.), in: Saint Jacques et la France, sous la direction d ’ A. Rucquoi. Actes du Colloque des 18 et 19 janvier 2001 à la Fondation Singer-Polignac (2003) S. 85 - 262, und zuletzt M. Madou , De apostel van het Westen: Santiago de Compostela in beeld en verbeelding (2004). 53 U. a. Muscheln auf dem Gewand der Jakobus-Statue in der Kathedrale von Toro aus dem 13. Jahrhundert, dann die Pilgermuscheln auf dem Umhang des Apostels bei seinem Nachtritt, in dem er einen Toten und dessen Freund von dem Pass Cize zum Monte de Gozo beförderte, Herbers/ Noia , Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 31) Miraculum IV, S. 163 f. Eine bildliche Darstellung (kol. Zeichnung auf Pergament) befindet sich in einem Bruderschaftsbuch (Liber Consor[tii] Sancti Iacobi appostoli de Gal[itia] der Biblioteca Palatina di Parma, Ms. Misti B 24, f. 1 v., Parma 1399. Siehe ebenfalls die Muscheln auf dem Umhang des Apostels in der reformierten Kirche von Waltensburg (Waltensburger Meister, Fresko um 1340), Abb. in: Santiago de Compostela, Pilgerwege, hg. von P. Caucci von Saucken ( 1995) S. 31. 54 Von den insgesamt 22 Mirakelberichten des „ Libellus miraculorum “ im „ Codex Calixtinus “ beziehen sich fünf auf das wundertätige Eingreifen des Apostels auf See (Nr. VII, VIII, IX, X, XXII). Vgl. R. Plötz , Peregrinando por mar: relatos de peregrinos, in: Rutas atlánticas de peregrinación a Santiago de Compostela, Santiago de Compostela 1998 (Actas del II Congreso Internacional des Estudios Jacobeos, Santiago de Compostela 1996, 2 Bde.), hier 2, S. 55 - 81, speziell S. 60 f. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 31 <?page no="32"?> und auf wundersame Weise gerettet, er und das caballo e a sella, e o peitoral, e as estribeiras, e a allamia, e os panos . . . todos cheos de vieiras. 55 Die Niederschrift dieser attraktiven und in ihrem Umfeld interessanten Wundererzählung ist einiges später als die derjenigen, die sich in der Mirakelsammlung des „ Codex Calixtinus “ befinden, einzuordnen. 56 Erst 1532 nahm fray Juan de Azcona das Mirakel in seine handschriftliche Version des „ Codex Calixtinus “ auf. 57 Diese Abschrift dürfte in der ehemaligen portugiesischen Zisterzienser-Abtei Alcobaça 58 in Portugal (Diözese Leiria) erfolgt sein. Von dort stammt ein reichlicher Bestand (ca. 500) an 55 In einer volkstümlichen galicischen Version: „ das Pferd, und der Sattel, und das Brustgeschirr, und die Steigbügel, der Zügel, und die Decken,. . . alle mit Muscheln bedeckt “ , siehe Bernardo de Brihuego, Vidas, wie unten Anm. 63, zit. Filgueira Valverde , La venera (wie Anm. 44) S. 11 f. Vgl. auch ders. , Temas poéticos dos Camiños portugueses a Compostela, El Museo de Pontevedra XLV, (Pontevedra 1991) S. 727 - 741, hier S. 727 f. Ausführlicher noch berichtet die Schrift „ Ruta Jacobea del Mar de Arosa y Ulla “ zum Heiligen Jahr 1965 (Villagarcía; ohne Seitenzählung). Die umfangreiche Zusammenstellung der bekannten Details ist hier exakt erfasst, obwohl im Text auf piktorische Elemente eingegangen wird, de los tiempos más remotos ( „ seit weit zurückliegenden Zeiten “ ), die die Ereignisse bestätigen und sich in verschiedenen Stätten von Spanien und Europa befänden. 56 Der „ Libellus miraculorum “ (Buch 2 des Codex Calixtinus, Herbers/ Noia (wie Anm. 31) S. 159 - 177) wurde in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich in Compostela zusammengestellt.. Das Muschelmirakel war darin nicht enthalten. Erst 1532 nahm fray Juan de Azcona das Mirakel in seine Abschrift/ Version des „ Liber Sancti Jacobi “ auf (Biblioteca Nacional de Madrid, Ms. num. 4.305). In der öfter von der lateinischen Fassung abweichenden galicischen Version des „ Codex Calixtinus “ (Miragres de Santiago. Edición y estudio crítico por J. L. Pensado , 1958) aus der Zeit um 1400 findet sich ebenfalls kein Hinweis auf die Mirakelerzählung. 57 Biblioteca Nacional Ms. Num. 4.305. Auf S. 135 ist folgende, ebenfalls handschriftliche Bemerkung beigefügt: el miraglo delos votos y este delas conchas fueron añedidos que no son delos que escribio papa calixto syno de otra historia. Juan de Azcona von der Universität Alcalá de Henares war auch derjenige, der dem ersten Lehrbeauftragten für Hebräisch, David Qihi, den Auftrag gab, die hebräische Grammatik (Sefer Miklol [sic! ]) ins Lateinische und Kastilische zu übersetzen. Vgl. A. Castillo Gómez , Maestros, Estudiantes y copistas varios: escribir a mano en los primeros tiempos de la Universidad de Alcalá (Seminario interdisciplinar de Estudios sobre cultura escrita. Universidad Alcalá de Henares, Memoria 2008 - 2009) S. 177 - 189, hier S. 182. Interessant ist, dass die Mirakelerzählung im Gegensatz zu den klassischen Wunderberichten in Kastilisch abgefasst wurde. Sollte eine lateinische Version nicht vorgelegen haben, oder wurde der Text bewusst auf Kastilisch verfasst, um seine Herkunft aus nicht tradierten lateinischen Quellen zu unterstreichen? 58 Vgl. zur Abtei A. Gusm-o , A Real Abbadia de Alcobaça (1948), und zu den Zisterziensern in Portugal: M. Cocheril , Abadias cistercienses portuguesas (Lusitania Sacra 4, 1965), S. 61 - 92. Die Niederlassung wurde um 1152/ 53 auf Bitten von Alfons I. von Portugal (1128/ 39 - 1185) von Cîteaux aus gegründet. Seit Ende des 12. Jahrhunderts genoss das in der portugiesischen Extremadura liegende Kloster hohes Ansehen bei König und Papst. Heute zählt es zum Weltkulturerbe der UNESCO. Robert Plötz 32 <?page no="33"?> Codices vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, die sich in der portugiesischen Nationalbibliothek in Lissabon befinden. Davon sind 46 hagiographischen Charakters. 59 Es gibt keine Redaktion des „ Pilgermuschel-Mirakels “ aus dem 12. Jahrhundert. José Filgueira Valverde spricht von einem Text in lengua lusitana, der als lateinische Übersetzung von der portugiesischen Familie Vieira 60 in einen hagiographischen Codex von Alcobaça aufgenommen worden wäre, und das in einer Zeit, in der man viele Überlieferungsträger, von Epitomen bis zusammengestoppelten Werke und Florilegien 61 des Jakobus-Kultes zusammenfügte, sowohl in der literarischen Überlieferung als auch in den Verschmelzungen von Themen und Motiven in mündlicher und figurativer Hinsicht. 62 Die Erzählung wird früh in den „ Vidas e Paixões dos Apósteles “ 63 des Kanonikers der Kathedrale von Sevilla, Bernardo de Brihuega, dokumentiert, der zudem eine Übersetzung der „ translatio “ mit aufgenommen haben soll. Brihuega war Mitarbeiter von Alfons X. „ el Sabio “ (1252 - 1284). 64 Damit kann man auch eine zeitliche 59 Zu den Manuskripten vgl. A. A. Nascimento , Os códices alcobacenses da Biblioteca Nacional de Lisboa e o seu significado cultural, Lisboa, Biblioteca Nacional (1979). Leider konnte ich die beiden Inventarbände in der Biblioteca Nacional nicht einsehen. Im „ Libellus miraculorum “ des „ Liber Sancti Jacobi “ von Alcobaça ist das Muschelmirakel nicht enthalten. Dank an Manuel Santos Noia für die Auskunft. 60 Die Familie hat sechs Pilgermuscheln auf rotem Grund im Wappen und führt sich auf den Adeligen Rui Vieira zurück, der zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der Region Vieira do Minho zur Zeit des portugiesischen Königs Dinis (1279 - 1325) lebte und von diesem gefördert wurde. Ähnlich lautet auch die Tradition des galicischen Familienverbandes Rivadeneira. Vgl. Anhang III, S. 58 ff. 61 Vgl. dazu M. A. Cortes Guadarrama , El Flos Sanctorum y sus etimólogias. Edición y Estudio (2010). Der Autor erwähnt allein für das 14./ 15. Jahrhundert 12 Zeugnisse. Forschungsgrundlage ist das dreibändige Werk von José Cordoso , Agiologio lusitano (1652). 62 Vgl. Moralejo , Santiago. Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 241. Andréia Cristina Lopes Farz-o da Silva hebt ebenfalls die Vielseitigkeit der Traditionen hervor und erwähnt die Möglichkeit, dass die Mirakelerzählung in eine der vielen Ausgaben des „ Flos Sanctorum “ -Komplexes aufgrund der Begeisterung für das königliche katholische Paar Beatrix und König Fernando I. (1367 - 1383) aufgenommen worden wäre. Siehe dazu oben Anm. 61. 63 Bernardo de Brihuega, Vidas e Paixões, compilado por Bernardo de Brihuega; copiado por Fr. Bernardo e Fr. Nicolau Vieira, monges de Alcobaça, por iniciativa de Fr. Estêv-o de Aguiar, Ms. Alcobaça, 1442 - 1443. 64 Vgl. M. C. Díaz y Díaz , La obra de Bernardo de Brihuega, Colaborador de Alfonso Xo. Strenae, in: Estudios de Filologia e Historia dedicados al Profesor Manuel García Blanco (Acta Salmaticensia, Filosofia y Letras 16, 1962) S. 145 - 161. Zu den fünf Bänden der lateinischen Version vgl. S. 145 f. Vgl. auch Serafin Moralejo , Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 241. Übersicht bei J. Perez-Embid Wamba , Hagiología y sociedad en la España Medieval. Castilla y León (siglos XI - XIII) (2002) mit Abhandlungen über Carratens, Brihuega und Juan Gil. Vgl. Auch F . Baños Vallejo (estudio, V. Hernández Ames, ediciones), La más breve „ Vida “ de Santiago, „ Leyenda de los santos “ , Juan de Burgos (1499), in: Formas narrativas breves en la De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 33 <?page no="34"?> Einordnung vornehmen, ab der die Kompilation außerhalb der Klostermauern zur Verfügung stand: Letztes Drittel 13. Jahrhundert. Auf sie griff 1443 Abt Fernando de Aguilar zurück, um sie einer Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. 65 Was mag der Anlass dafür gewesen sein? Der Abt handelte wahrscheinlich im Auftrag von König Alfons V. „ el Magnánimo “ (Medina de Campo 1394 - 1458 Neapel) aus der kastilischen Dynastie von Trastámara, König von Aragón seit 1416 und von Neapel ab 1442, dessen königlichem Rat er angehörte und dessen Armenpfleger er war. Die eigentliche Ursache für die Aufnahme der Mirakelerzählung in eine Sammelhandschrift und ihr Bekanntsein in Rom könnte darin liegen, dass Alfons V., als er 1442 siegreich in Neapel eingezogen war, sofort einen „ Literarischen Hof “ (Corte literaria) etablierte, der die Stadt in ein literarisches und künstlerisches Zentrum erster Kategorie verwandelte. Zahlreiche Dichter aus Kastilien und Aragón begleiteten ihn schon von Anfang an in seinem Gefolge. Deren erste Aufgabe war es, von ruhmreichen Kriegen und Liebesabenteuern des Königs und seiner Mitadeligen zu singen. Hier liefen vier Sprachen zusammen: Latein, Kastilisch, Katalonisch und Italienisch. 66 Darin könnte auch die Ursache liegen, warum die galicische Vorlage ins Lateinische übersetzt wurde. Alfonso X. „ el Sabio “ hat noch seine Edad Media, hg. von E. Fidalgo (2005) S. 93 - 122. Neuerdings die Analyse von F. Bautista , Bernardo de Brihuega y la colección hagiográfica del BNE [Biblioteca Nacional de España], in: Zeitschrift für romanische Philologie 130 (2014) 1, S. 71 - 104. Er behandelt die Hagiographie-Kollektion, die das Ms. BNE 10252 beinhaltet. Die Texte des Manuskripts sind unabhängig von denen der Legenda Aurea aus portugiesischen und kastilischen hagiograhischen Sammlungen zusammengestellt worden. Das Ms. weist Beziehungen zu dem portugiesischen Vidas e Paixões in Übersetzung aus dem 14. Jahrhundert aus. Gewisse Inhalte kommen zum Teil von den „ Vitae patrum “ , die wahrscheinlich am Hof von Alfons X. (1252 - 1284) in Zusammenhang mit der „ general estoria “ zustande kamen, deren Prototyp in Romance abgefasst wurde. Eine „ Vitae patrum-Sammlung “ von Brihuega stammt aus der Zeit um 1270. Jakobus wird im Ms. unter p. 75 ff. „ a vii de sant Yago apostol que yaze enterrado en Galizia (fols. 89 va - 92 v und 13 r - 24 r ) aufgeführt. Der Text schließt die Evangelisierung durch den Apostel zu Lebzeiten in Spanien ein. Fol. 12 - 23 fehlen. 65 Filgueira Valverde , Los milagros de la concha (wie Anm. 44) S. 11 f. In dem Zisterzienserkloster Santa María de Aquilar de Campoó (gegr. 1169 durch Alfons VIII.) befindet sich im Kreuzgang der Sarkophag des Abtes. 66 Galicisch ( „ romance “ ) und Portugiesisch waren nicht vertreten. Eigentlich könnte man erwarten, dass die Sprachkultur im Norden der Peninsula Ibérica eine galicischportugiesische gewesen wäre. Aber offensichtlich hat sich aufgrund wirtschaftlicher und politischer Umstände die galicische Adelsgesellschaft gegen Ende des 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts unter die Herrschaft des Kastilischen begeben und assimiliert. Das führte zum Verschwinden des Galicischen aus den öffentlichen und offiziellen, literarischen und religiösen Bereichen. Das kulturelle Patrimonium lebte weiter in den oralen Traditionen, im Liedgut, in Mythen und Legenden und volkstümlichen Festen, vor allem aber im Volks- und Aberglauben. Vgl. I. Castro, Introduç-o à Historia do Portúguês Antigo (2004) mit Bibligraphie, und M. Fer- Robert Plötz 34 <?page no="35"?> berühmten Cantigas 67 in Romance ausfertigen lassen. Am Hof von Neapel widmete man sich vor allem Themen in der Muttersprache Kastilisch, der Muttersprache Alfons ’ V., wobei der Anteil der Romanzen besonders hoch war. 68 Vor Filgueira Valverde hatten sich schon Antonio López Ferreiro 69 und Luis Vázquez de Parga 70 mit dem „ Pilgermuschel “ -Mirakel beschäftigt. Die Mirakelerzählung wurde als Hymnus liturgisiert und fand Aufnahme in das „ Breviarium ovetense “ als Hymnus zum 25. Juli, dem Tag der „ translatio “ . 71 López Ferreiro erwähnt noch einen handschriftlichen Sammelband im Konvent San Juan de los Reyes in Toledo, ein handschriftliches Sanktoral des Klosters Alcobaça und verschiedene Breviarien wie die von S. Gulgat in Katalonien und ebenfalls Oviedo. Der Hymnentext zum Tag der „ translatio “ 72 lautet wie folgt: De sancto Iacobo. „ Ad laudes “ 1. Gaude, mater ecclesia, tanti patris praeconiis, absit eius solemniis omnis cordis moestitia. nández Rodriguez , Toronium: Aproximación a la Historia de una Tierra Medieval: Galicia y Portugal en la Edad Media (2004). 67 Cantigas de Santa María, hg. von W. Mettmann, 3 Bde. (1986 - 1989). 68 Vgl. A. Canella López , Alfonso el Magnánimo y Aragón. (Publicaciones de la Facultad de Filosofía y Letras, serie I, No. 36, Zaragoza 1959). 69 A. López Ferreiro , Historia de la Santa Apostólica Metropolitana Iglesia de Santiago de Compostela, 11 Bde. (1898 - 1909; mehrere Reeditionen und ein EDV-Suchprogramm in jüngerer Zeit.) 2, S. 57 f. López Ferreiro vermutet, dass der Hymnentext (debe pertenecer) in der Zeit der Redaktion des „ Libellus miraculorum “ entstanden ist. 70 Luis Vázquez de Parga/ J.M a . Lacarra/ J. Uría Ríu , Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, 3 Bde. (19489 - 49) hier 1, S. 131 f. 71 Die Recherchen bezüglich dieses Hymnentextes gestalteten sich sehr umfangreich und langwierig. Andreas Hauf von der Musikwissenschaft der Universität Würzburg (Universität Würzburg) und Experte für Musik des vorneuzeitlichen Europas antwortete nicht mehr, der Mittellateiner José Luis Moralejo von der Universität Alcalá de Henares konnte mir ebenso wenig weiterhelfen wie Aires Nascimento von der Universität Lissabon, der bekannte Codex-Calixtinus-Forscher Manuel Santos Noia und Andréia Cristina Lopes Fraz-o da Silva von der Universidad Federal do Rio de Janeiro (Brasilien), der ich anderweitig wertvolle Hinweise verdanke. Ferner bedanke ich mich bei José Antonio Ortiz Baeza und Eligio Rivas Quintas (Cancionero del Apóstol Santiago, 2013), die an den Recherchen teilnahmen. 72 Zum Ablauf der Feier der „ translatio “ vgl.: M. Taín Guzmán , Ceremonial fiesta y liturgia en la Catedral de Santiago. Las tres fiestas en honor a Santiago: el martirio, la traslación y la aparición de Clavijo, in: Ceremonial, fiesta y liturgia en la Catedral de Santiago (2010) S. 229 - 261, für die „ translatio “ speziell S. 245 - 249. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 35 <?page no="36"?> 2. Cunctis mari cernentibus natus regis submergitur, sed a profundo ducitur totus plenus conchilibus 73 . 3. Diu celatur fabrica, sed stellae clara uisio suo praebet indicio eius signa ueridica 74 . Für die Textradierung ist nur die zweite Strophe von Interesse, die von der Mirakelerzählung vereinnahmt wird. Durch ihre Verbindung mit der „ translatio “ , einer der heiligen „ traditiones hispanicae “ 75 geriet sie in den Blickwinkel ihrer Verteidiger. Das Mirakelgeschehen ist fest in die Rechtfertigungsliteratur der „ traditiones “ vornehmlich galicischer Autoren eingebunden. 76 Auf die Erwähnung und Aufzeich- 73 Übersetzung der für das Muschelmirakel relevanten Strophe: „ Während alle zum Meer hin schauen, / versinkt der Sohn des Königs / Aber er taucht aus den Tiefen wieder auf / völlig mit Muscheln bedeckt “ . 74 Im Gegensatz zur bibliographischen Angabe bei Filgueira Valverde ist dieser Text nicht bei Dreves publiziert (G. M. Dreves , Hymnodia Hiberica. Spanische Hymnen, 1894) S. 157). Auch López Ferreiro publiziert nur die zweite Strophe (Historia, wie Anm. 69, Bd. 2, S. 57 f.). 75 Die spanischen Traditionen beziehen sich auf die Mission des Apostels Jacobus maior in Spanien und seine Rückkehr nach Palästina, auf die „ translatio “ und auf das Apostelgrab in Compostela. Vgl. R. Plötz , Traditiones hispanicae beati Jacobi. Les origines du culte de saint Jacques à Compostella, in: Santiago de Compostela. 1000 Ans de Pèlerinage Européen, Ausstellungskatalog Europalia 1985 (1985) S. 27 - 39. Während die These einer persönlichen Beziehung des Apostels zu Spanien schon immer kritisch bis ablehnend betrachtet wurde, erfuhren „ translatio “ und Grablege bis in die frühe Neuzeit keine Anfechtung. Erst die von Clemens VIII. eingesetzte Reformkommission zur Revision des Breviarium Romanum setzte sich mit diesen Themen intensiv auseinander, was nicht ganz zur Zufriedenheit der spanischen Partei ausging. Der spanische Konnetabel (Befehlshaber des Landheeres) fügte dem neuen „ Breviarium “ (Romae 1602, 25 Julii Lect.) 12 Seiten hinzu, um die spanische Position zu rechtfertigen (Dos discursos en que se defiende la venida y predication del Apóstol Santiago en España, Valladolid 1605). 76 Das Mirakelgeschehen erzählen im Rahmen ihrer Verteidigungsschriften F. Oxea , Historia del Glorioso Apóstol Santiago (1615) cap. XXVIII, núm. 2; M. Castellá Ferrer, Historia del Apostol de Iesvs Christo Sanctiago Zebedeo Patron y Capitan General de las Españas (1610), Reedicion und Facsimil mit Einführung von José-M. a Díaz Fernández ( 2000) S. 125 f.; Miguel de Erce Ximénez, Hofkaplan von Philipp IV. (Prueva evidente de la predication del Apóstol Santiago el Mayor en los Reinos de España, Madrid 1648) und der licenciado Molina in der „ Descripción del reino de Galicia “ (pte. V, fol. 61). Oxea läßt das Mirakel nach der Grabauffindung stattfinden, die der „ translatio “ ja vorangestellt ist. Die Genealogen griffen natürlich begeistert auf diese Mirakelerzählung zurück, um den Stammbaum der Familien, deren Wappen „ Jakobusmuscheln “ aufwiesen, zu bereichern. Vgl. López Ferreiro , Historia, wie Anm. 69, 2, S. 57 f. Robert Plötz 36 <?page no="37"?> nung von López Ferreiro griffen dann u. a. S. Heath, 77 L. Vázquez de Parga, 78 N. Foster, 79 Y. Bottineau 80 und auch H. Rohde 81 zurück, zum Teil mit leichten Abänderungen, die hier nicht wesentlich sind. Einschränkend sollte gesagt werden, dass diese Geschichten über den Ursprung der Atlantikmuschel wenig mit ihrer historischen Verwendung als Pilgerzeichen zu tun haben. 82 Bild und Motivinterpretation Zu den literarischen Formen der Mirakelerzählung gesellt sich das oben erwähnte einzigartige Altarbild. Diese singuläre Darstellung 83 stellt den 77 S. Heath , Pilgrim Life in the Middle Ages (1911) S. 114. 78 Vazquez de Parga/ Lacarra/ Uríu Ríu, Las peregrinaciones (wie Anm. 70) 1, S. 131 f. 79 N. Foster , Die Pilger - Reiselust in Gottes Namen (1982) S. 251 - 253. Besonders abwechslungsreich beschreibt Foster die Mirakelgeschichte: „ Damals, als sich das Boot mit dem Leichnam des Apostels der spanischen Küste näherte, harrte dort ein portugiesischer Ritter zu Pferd. Als nun das Pferd den wundersamen, hellen Schein sah, der von einem Stern herab direkt auf einen Toten fiel, war es von diesem Anblick so verstört, dass es ins Wasser sprang und den Ritter mit sich in die Tiefe riss Die Männer auf dem Geisterschiff retteten den Ritter, und als sie ihn an Bord zogen, sahen sie voller Staunen, dass sein Körper mit Aberhunderten von Jakobsmuscheln bedeckt war “ . 80 Y. Bottineau , Die Wege der Jakobs-Pilger. Geschichte, Kunst und Kultur der Wallfahrt nach Santiago de Compostela (1987) S. 87. Die französische Ausgabe lag mir leider nicht vor. 81 H. Rohde , Die Muschel in der Hand des hl. Jakobus, Der Jakobusfreund Nr. 4 (März 2007) S. 5 - 7. 82 Wie u. a. schon Oxea (wie Anm. 76) vor ihm, weist López Ferreiro (wie Anm. 69) die These zurück, dass die Muschel von Anbeginn an das Zeichen für die „ peregrinatio ad limina Beati Iacobi “ gewesen sei: „ pues no hay el más leve indicio de que, desde tiempos tan remotos, los devotos de Santiago usasen las conchas como peculiar distintivo; y asi, lo más probable es, que este prodigio de las conchas aconteciese á alguno de los primeros peregrinos que acudieron á venerar la Tumba recién descubierta de Santiago [. . .]. Lo cierto es, que poco después del descubrimiento de las Reliquias de nuestro Apóstol, las conchas aparecen ya como insignia de los devotos y romeros de Santiago ( „ es gibt nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass die frommen Pilger des Apostels Jacobus die Muscheln als besondere Auszeichnung benutzt hätten, es ist aber sehr wahrscheinlich, dass sich dieses Muschelwunder bei einem der ersten Pilger ereignet hat, der sich zur Verehrung der kurz vorher entdeckten Tumba des Jacobus begeben hatte. . . . Gewiss ist, dass kurz nach der Entdeckung der Reliquien unseres Apostels die Muscheln als Zeichen der Frommen und Pilger von Jacobus erscheinen “ . 83 Mir sind keine weiteren, das Mirakelgeschehen in seinem Gesamtvolumen darstellenden Bildzeugnisse bekannt. Serafín Moralejo gibt schon 1993 einen Hinweis auf ein Relief an der südöstlichen Außenmauer der Schatzkammer der Kathedrale (Moralejo, Camino de Europa, wie Anm. 10, S. 240f.). Diese Fassade wird Rodrgio Gil de Hontañón (1538-1598) zugeschrieben und ist mit einer bogenförmigen Nische De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 37 <?page no="38"?> muschelbedeckten Reiter links in den Vordergrund auf das ufernahe Meer. Im Hintergrund spielt sich in voller Breite, mit viel Personaleinsatz, darunter Heilige und die Königin Lupa, die „ translatio “ in drei Phasen und unter Einbezug vieler hagiographischer Elemente dar: Transport übers Meer auf dem Schiff, Transport des Apostelleichnams in einem Boot ans Land, das Betten des Apostelkörpers auf einen Stein und sein Transport im Ochsenkarren bis zum Palast der Königin Lupa. 84 Der Mann zu Pferd im Vordergrund blickt in die entgegengesetzte Richtung und nimmt an den ganzen wunderhaften Umständen der „ translatio Beati Jacobi “ keinen Anteil. 85 In Compostela selbst wird keine Darstellung des Mirakelgeschehens aufbewahrt. Vielleicht könnte ein Relief der Fassade der Schatzkammer der Kathedrale darauf anspielen. Es ist allerdings aus dem 16. Jahrhundert. 86 Motivindex des Mirakelbildes Zu den literarischen Formen der Mirakelerzählung gesellt sich noch das eingangs erwähnte einzigartige Bildzeugnis, das, wie schon ausgeführt wurde, auf der großartigen Ausstellung „ Santiago, Camino de Europa “ zum Año Santo 1993 einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde. 87 Das ist insofern ungewöhnlich, da sich die literarische Überlieferung schon seit Mitte des 12. Jahrhunderts ( „ Codex Calixtinus “ ) bemächtigt hatte. 88 Immer: wird das „ corpus integrum “ gezeigt. 89 in Muschelform ausgestattet, die drei Wappenschilder mit typischem Compostela- Bezug birgt: eine Darstellung von Jacobus miles Christi, das Siegel des Domkapitels und das Mirakel des muschelbedeckten Ritters, bei dem die translatio-Szene eindeutig dominiert. Vgl. Manuel Castiñeiras, La Vieira de Compostela : La insignia de Peregrinación (2007) S. 24 f. Mireille Madou hat schon 2004 diese bis da lang enigmatische Darstellung als Titelbild für ihre ikonographischen Abhandlung De apostel van het Westen, wie Anm. 52, benutzt. Auf ein ähnliches Motiv aus dem 14. Jahrhundert im Ms. Chantilly (Nr. 27, fol. 160), habe ich schon hingewiesen (S. 21, Anm. 13). 84 Vgl. die „ translatio “ in der Legenda Aurea (wie Anm. 27). 85 Vgl. S. 46 f. 86 Siehe oben Anm. 83. 87 Gai, Tabla del retablo (wie Anm. 13) S. 499 f. 88 Vgl. die „ translatio “ in de Legenda Aurea, wie Anm. 27. 89 Vgl. S. 42. Robert Plötz 38 <?page no="39"?> Die „ translatio “ des Jacobus Maior 90 Die Berichte von der „ translatio “ entstanden bald nach der Grabentdeckung. Sie ist nur sehr lose mit zum Teil sehr problematischen Texten verbunden, die im Kern durchaus authentisch erscheinen. Der wichtigste ist die „ Epistula Leonis “ , die in verschiedenen, in Alter und Inhalt unterschiedlichen Versionen überliefert wird, und die an die „ reg [es] francorum, et vandalorum, gotorum et romanorum “ gerichtet ist. Der Textkern kann als galicisch eingeordnet und in seinem Tradierungsprozess von den ersten Jahrzehnten des 9. Jahrhunderts bis zum 12. Jahrhundert unter Eingliederung auch der fabelhaften und phantasiereichen Elemente datiert werden. 91 Leider fehlt noch immer eine gründliche Auseinandersetzung über Typologie und Quellen dieses „ libellus “ , der einen Teil des Dossiers für Pilgerwerbung ausmacht, und der den Pilgern kaum vermittelt wurde. Wichtig ist vor allem die zweifache Angliederung der Jakobus- Ereignisse an einen Papst (Rom) und an die Welt der Franken. Damit sollte der bisher eher lokale oder regionale Charakter des Apostelheiligtums und des Kultes in Compostela überwunden werden. Um diese Absichten zu realisieren, stellte man folgende Nachrichten zusammen: Nach der Enthauptung des Jacobus bemächtigt man sich seines Leibes und bringt diesen auf ein Schiff, das nach sechs Tagen auf See im Mündungsgebiet der Flüsse Ulla und Sar anlegt. Ein Sonnenstrahl erhebt den Körper und bringt ihn zwölf Meilen weiter zu dem Ort, wo er begraben liegt. Drei Apostelschüler töten den Drachen von Picosagro. Die restlichen vier Schüler kehren nach Jerusalem zurück und informieren den Papst über Art und Weise der Ankunft. Die Epistel macht keine Anspielung auf die Doktrin einer Evangelisierung Spaniens durch den Apostel Jakobus und erhöht die Anzahl der Apostelschüler auf sieben. Sie stimmt damit mit der bereits erwähnten Erzählung von den Sieben Apostelschülern überein. 92 90 Vgl. zu diesem sehr komplexen Thema B. de Gaiffier , Notes sur quelques documents relatifs à la translation de Saint Jacques en Espagne, Analecta Bollandiana 89 (1971) S. 47 - 66, M. C. Díaz y Díaz , La epistula Leonis pape de translatione Sancti Iacobi in Galleciam, in: El Camino hacia la Gloria. Miscelánea en honor de Mons. Eugenio Romero Pose , hg. von Q . Fiuza u. A. Novo (1999) S. 517 - 566, mit der Veröffentlichung der relevanten Versionen, Dens . , La literatura jacobea anterior al Códice Calixtino, Compostellanum 10 (1965) S. 639 - 662, hier S. 641, und R. Plötz , Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert (Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 30, 1982) S. 19 - 145, speziell S. 124 - 145, ferner M. Martins , A Traslaç-o de S. Tiago, Brotéria 76 (1963) Nr. 2, S. 59 - 65. 91 Vgl. Díaz y Díaz , La epistula (wie Anm. 90) S. 518. 92 Vgl. S. 3, Anm. 5. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 39 <?page no="40"?> Von dieser Epistel ist das Schreiben von Alfons III. an den Klerus von Tours abhängig, das zweifelsohne zu Beginn des 12. Jahrhunderts erstellt worden ist. Zwischen verschiedenen Bestandteilen unterschiedlichen Charakters versucht man vor allem die Martinsverehrung mit dem Jakobus-Kult zu verbinden. Einmal mehr unterdrückt wird die Evangelisierungstradition Spaniens durch den Apostel. 93 Es drängt sich der Verdacht auf, dass für die Kirche Compostelas um die Jahrtausendwende die wahren „ traditiones Hispanicae “ erst mit der „ translatio “ begonnen haben. Vielleicht wurde diese nur an den Anfang gestellt, um von einem Apostelgrab ausgehen zu können und die alte Missionstradition außen vor zu lassen, um eine Konfrontation mit dem alten Bischofssitz Iria Flavia mit älteren Rechten oder sogar mit dem alten Metropolitansitz in Mérida in Lusitanien zu vermeiden. Wenn wir die Entdeckung/ Auffindung des Apostelgrabes auf etwa 830 94 legen, verwundert es, dass die einigermaßen glaubwürdigen Berichte über den Fund des Apostelgrabes ( „ Chronicon Iriense “ , Ende 11. Jahrhundert, „ Concordia “ vom 17. August 1077, die nur sehr lose mit dem „ translatio “ -Text verbunden ist, und „ Historia Compostelana “ , 12. Jahrhundert) erst ungefähr 250 Jahre danach erfolgt sind. 95 In fast allen Texten vereinigen sich lokale Quellen von Compostela mit den normalen Topica der Interventionen der Reliquien innerhalb einer Atmosphäre popularer Frömmigkeit, die in der Folgezeit auch die Evangelisierung Spaniens auf der Iberischen Halbinsel mit einbezieht. Neben den kanonisch festgelegten Versionen dürften wie bei den Apokryphen auch sehr farbige und phantasiereiche Versionen zirkuliert haben. Das traf besonders auf die Region zwischen Portugal und Galicien am Miño/ Minho zu, durch die der Pilgerweg nach Santiago verlief. 96 93 Damit hat sich schon P. B. Gams beschäftigt, obwohl er es als „ eine über jeden Zweifel erhabene Tathsache “ betrachtet, „ daß der Leib des Apostels Jacobus von Jerusalem nach Compostella gebracht wurde “ (Die Kirchengeschichte von Spanien, II/ 2 (1864) S. 362 f.). 94 Vgl. F. López Alsina , La ciudad de Santiago de Compostela en la Alta Edad Media (1988) S. 110. Leider stand mir die verbesserte Neuausgabe (2014) nicht zur Verfügung. 95 Vgl. Plötz , Der Apostel Jacobus (wie Anm. 90) S. 120 - 124. 96 Vgl. Filgeira Valverde , Temas Poéticos (wie Anm. 12) S. 727. Darauf weist auch Díaz y Díaz hin, der hervorhebt, dass die Überlieferungstraditionen der einzelnen Manuskripte in sich selbst „ frei “ wären, frei für und gegen iberische Geschichtchen und Erzählungen alter Weiber (contra hybernias nenias et aniles fabulas que de beato apostolo proferuntur. M. C. Díaz y Díaz , La epistula Leonis Pape de Translatione Sancti Iacobi in Galleciam, Compostellanum 43 (1998) S. 565 f.). Der Codex Calixtinus ist durchaus auch als Sammelwerk populärer Traditionen zu betrachten, die freilich jedes Mal nach ihrer Erwähnung der kirchlichen Auffassung gemäß korrigiert wurden. Robert Plötz 40 <?page no="41"?> „ corpus integrum “ und „ caput sacer “ Einer der Gründe für die dreifache, einem Panorama ähnliche Aufbahrung des Apostelleichnams in Ganzkörperausführung auf unserem Mirakelbild dürfte auf die gelegentlichen Zweifel über die Anwesenheit des „ corpus integrum “ im Apostelgrab zurückzuführen sein, was sich auf den Körper einschließlich des abgeschlagenen Kopfes bezieht. Und damit müssen wir zurückkehren zum Ort des Martyriums, also nach Jerusalem. Bis ins 12. Jahrhundert genoss Jakobus in Palästina allgemein keine besondere Verehrung. Zu keiner Zeit hat Jerusalem den Körper des Apostels für sich beansprucht. Als einzige, wenn auch in ihren Grundlagen zweifelhafte Lokalisierung der Präsenz des Apostels in Jerusalem haben wir den Ort des Martyriums, über dem im 12. Jahrhundert von den Armeniern ein Oratorium errichtet worden ist, das sie dem Apostel Jakobus weihten. 97 Wenn man dem Bericht des Pilgers Johannes Wirceburgensis traut, der sich um 1165 im heiligen Land befand, kann man gut erkennen, dass der Schauplatz des Martyriums dort hohe Verehrung genoss. Mehr noch: Seit geraumer Zeit dürfte man dort der Überzeugung gewesen sein, das Haupt des Apostels Jacobus Maior zu besitzen, oder zumindest so getan haben, um an den Einkünften aus einem florierenden Pilgerverkehr teilhaben zu können. Der Priester aus Würzburg verweist nach der Beschreibung 98 der armenischen Jakobus-Kirche auf die Translationshypothese über Jacobus: „ cujus corpus discipuli sui in Joppe navi impositum in Galiciam detulerunt “ (S. 161) und fährt auf der gleichen Seite fort: „ capite suo in Palestina remanente. Eadem testa adhuc in eadem ecclesia peregrinis advenientibus ostenditur. “ Johannes Wirceburgensis will also in der Jakobuskirche der Armenier das Haupt des Jacobus Maior gesehen haben. Das spricht gegen das „ corpus integrum “ . Das durfte natürlich nicht sein. Dieses Problem war allerdings schon vorher aus dem Wege geschafft worden mit der Translation auch dieser Reliquie nach Santiago de Compostela. Der damalige Erzbischof von Braga und spätere Gegenpapst Gregor VIII., Mauricio, der zwischen 1104 und 1108 in Palästina gewesen sein soll, brachte die Reliquie nach Braga. Diese Aktion hatte ihre Vorgeschichte. Im Jahr 1102 wurde von Diego Gelmírez der Reliquienschatz der Kathedrale von Braga geplündert ( „ pio latricinio “ ). 99 Im März des Jahres 1108 kehrte Bischof Mauricio von Braga mit vielen Reliquien vom Heiligen Land 97 Plötz, Der Apostel Jacobus (wie Anm. 90) S. 55 f. 98 Johannis Wirzeburgensis Descriptio Terrae Sanctae, in: Descriptiones Terrae Sanctae ex saeculo VIII, IX, XII et XV, nach hand- und druckschriften, hg. von T. Tobler (1874) S. 108 - 192. 99 Vgl. L. Vones , Die ‘ Historia Compostellana ’ und die Kirchenpolitik des nordwestspanischen Raumes. 1070 - 1130. Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Spanien und dem Papsttum zu Beginn des 12. Jahrhunderts (1980) S. 219 - 259 De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 41 <?page no="42"?> zurück. Unter ihnen war auch die Kopfreliquie des Apostels Jacobus minor. Das Bestreben des Bischofs war es, möglichst alle Reliquien, die mit Jakobus zusammenhingen, in seinen Besitz zu bringen, um der Kirche in Compostela möglichst viel Schaden zuzufügen. In der Folgezeit kam die Reliquie aufgrund der historischen Umstände zunächst in das Kloster San Zoilo in Carrión de los Condes. Sie wurde der Königin Urraca übergeben, die sie wiederum zu Händen von Diego Gelmírez weitergab. 1116 wurde die Reliquie in Compostela feierlich empfangen und dem Reliquienschatz eingegliedert. 100 In der Folgezeit waren alle Zweifel über das „ corpus integrum “ erledigt. Warum dem Würzburger Kleriker 1165 das Haupt des Jacobus Maior gezeigt worden sein soll, wird wohl niemals eine Klärung erfahren. Er kam auf einem Stein über das Meer: Nachricht von der Evangelisierung der Iberischen Halbinsel zu Lebzeiten des Apostels Eines der bemerkenswertesten Details der Mirakeldarstellung ist die Aufbahrungsinszenierung des Apostelkörpers in einem Steinsarg. Hier wird m. E. auf die bis dahin lange aufgegebene Evangelisierung Spaniens zu Lebzeiten des Apostels Jakobus verwiesen, nach der Jakobus auf einem Stein von Palästina nach Galicien gekommen wäre. In einer in Fleury 101 erstellten und später verloren gegangenen Abschrift der „ translatio “ von Gembloux, 102 die zuerst der Cölestinermönch Johannes a Bosco erstellte 103 taucht das Motiv der Steinumschließung wahrscheinlich zum ersten Mal auf. Zahlreiche literarische Hinweise in ganz Europa auf den Stein belegen und Historia Compostelana, ed. E. Falque Rey (AKAL/ Clásicos Latinos, 1994) S. 94 - 99. 100 Vgl. S. Moralejo , Busto-reliquario de Santiago el Menor, in: Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 345 f., Nr. 65. 101 Die Abtei wurde bereits 640 gegründet und nach 653 in Saint-Benoit-sur-Loire umbenannt, nachdem die „ translatio “ der mutmaßlichen Reliquien des hl. Benedikt von Nursia stattgefunden hatte. 1562 wurde die Abtei von den Hugenotten zerstört, und die Bibliothek ging verloren. Vgl. N. Bolst , Fleury, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989) Sp. 547 - 549. 102 Díaz y Díaz , La literatura jacobea (wie Anm. 90) S. 660, ordnet ihre Entstehung gegen Ende des 11. Jahrhunderts ein und schreibt ihr einen galicischen Ursprung zu, der u. a. durch die konkrete Erwähnung von Ortsnamen in der näheren Umgebung gerechtfertigt scheint. Vgl. auch Vázquez de Parga , Peregrinaciones, wie Anm. 70, 1, S. 197. Im Brief eines englischen Kreuzfahrers (ca. 1150), der an der Eroberung der Stadt Lissabon teilnahm, wird der alte Ortsname Padrón auf diesen legendären Stein zurückgeführt: „ quae nunc Petra Jacobi vocatur “ (Crucesignati anglici epistola de expugnatione Olisiponis, in: Portugaliae Monumenta Historica, Scriptores I (1856, reimp. Nendeln 1967) S. 391 ff. 103 Floriacensis vetus bibliotheca II (1605) S. 183 - 195, hier S. 195. Johannes a Bosco schätzt ihr Alter zur Zeit der Veröffentlichung auf sechshundert Jahre. Vgl. Plötz , Der Apostel Jacobus (wie Anm. 90) S. 136, und Moralejo , Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 240 f. Robert Plötz 42 <?page no="43"?> das große Interesse, das dieses Motiv hervorrief. Wahrscheinlich, um irgendwelche Anspielungen auf eine Mission in Spanien zu Lebzeiten zu unterdrücken, wird diese Vermutung schon in der Predigt zur „ translatio “ im „ Codex Calixtinus “ ( „ Veneranda dies “ ) zurückgewiesen: „ Alii vero illum sedentem super petronum a Iherosolimis usque ad Galeciam per maris undas sine rate, Domino ei precipiente venisse dicunt et quandam partem eiusdem petroni apud Jopem remansisse. Alii eundem petronum in navi una cum corpore exanimi dicunt advenisse. Sed utramque fabulam mendosam esse approbavi. Veraciter cum ego vidi olim petronum, agnovi illum esse rupem in Gallecia procreatum. Duo tamen sunt, quibus beati Iacobi petronus digne venerandus est: Alterum, quia corpus apostolicum translacionis sue tempore a discipulis, ut fertur, ad portum Hieriensem desuper positum est. / Alterum, quia eucaristia sedule, quod maius est, celebrata est “ . 104 Welche Wellen der „ Apostelstein “ in der Literatur in teils polemischer, teils leichtgläubiger Auseinandersetzungen schlug, wird ersichtlich, wenn man die ältere europäische Literatur zu Rate zieht. 105 Schon der Mystiker und Laie Hermann von Fritzlar äußert sich in einem Text, der im 14. Jahrhundert entstanden ist, zum „ Sancte Jâcobis Tac “ folgendermaßen darüber: „ Diz heldit man in deme lande, daz her sich sasste ûffe einen mermelîn stein unde fur dar ûffe uber di stat zu Compastelle; und dirre stein ist ein altêr stein, dâ man alle tage messe ûffe singet unde liset, und ist vir mîle von Conpastelle, und di stat heizet zu welischem Pontanferedere “ . 106 Auch wenn die Ortsangabe für Pontevedra nicht richtig ist, so erstaunt es doch, hier die alte Tradition der „ ara “ von Antealtares wieder zu finden, die zum ersten Mal in einem Reliquienverzeichnis des Klosters San Paio erwähnt wird. Diese ursprüngliche Altartafel der Kathedrale ist eine wieder verwertete 104 Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 31) S. 86 f. In Übersetzung: „ Andere sagen, dass er selbst [Jakobus] auf einem Stein sitzend von Jerusalem von den Wellen des Meeres getrieben nach Galicien gekommen wäre, um so ohne Boot dem Auftrag des Herrn Genüge zu leisten. Sie sagen auch, dass ein Teil des Steins in Jaffa zurückblieb. Andere sagen, dass sie [die sieben Apostelschüler] den gleichen Stein mit dem toten Körper im Boot mitführten. Ich selbst habe herausgefunden, dass die eine wie die andere Geschichte lügnerisch ist, und dass es sich um einen Stein aus Galicien handelt. Dessen ungeachtet gibt es zwei Gründe, dass der vorher erwähnte Stein gebührend verehrt werden soll: zum einen, weil der Überlieferung nach die Apostelschüler, als sie im Hafen von Iria das Boot verließen, den Körper des Apostels auf ihn legten. Das andere Motiv ist zweifelsohne höher einzuschätzen, denn auf ihm feierte man gläubig das Opfer der Eucharistie “ . Zu weiteren Auseinandersetzungen um den Stein, der Padrón seinen Namen gegeben haben soll, vgl. V. J. Suárez , Sobre Iria Flavia y los comienzos de la romanización en Galicia, Boletín Auriense 32 (2002) S. 87 - 103, und F. Alonso Romero , Santiago y las Barcas de Piedra, in: Padrón, Iria y las tradiciones Jacobeas, coord. V. Almazán (2004) S. 205 - 244. 105 Lopez Ferreiro , Historia (Anm. 69), I, S. 232 - 239. 106 Deutsche Mystiker [des 14. Jahrhunderts], hg. von F. P feiffer I: Hermann von Fritslar, Nikolaus von Straßburg, David von Augsburg (1845) S. 167. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 43 <?page no="44"?> römische Grabplatte des 1. Jahrhunderts nach Christi und wurde von dem romanischen Altar überdeckt, der 1105 seine Konsekrierung erfuhr. 107 Die wohl berühmteste Erwähnung stammt von Giovanni Boccaccio (1313 - 1375), der über den Transport des Apostelleichnams von Jaffa nach Galicien schreibt: „ [Jacobus] e sopra l ’ onde d ’ Esperia [römischer Name für Spanien] transportare ll fece a un natante marmo “ 108 . Auch William Wey geht auf den Stein ein: „ Ipsique discipuli ejusdem apostoli advenientes in predictum portum et corpus sanctissimum de predicta nave [. . .], imposuerunt ipsum super unum lapidem, qui enim lapis modo nominantur barcha, et recubuit predictum corpus super aliam lapidem, qui ibidem fixus erat, qui enim modo Patronon nominatur; et statim predicti lapidem in se miraculose receperunt predictum corpus; prior videlicet lapis effectus est concavus modum sepulcri, alter vero eciam effectus est quasi sedes “ . 109 Auch im „ Codex Calixtinus “ wird ein „ Pedrón “ (Stein) verehrt, auf dem traditionsgemäß der Apostelkörper im Anlandehafen von Iria gelegt wurde. Der Humanist Ambrosio de Morales (1513 - 1591) äußerte sich dahin gehend, dass „ dicen se abrió milagrosamente tomando forma de sepultura “ , 110 und Juan de Burgos läßt sich zu folgender Aussage verleiten: „ E esta piedra en que fue puesto el cuerpo de Santiago quando fue sacado de la nave, luego el cuerpo se abrió como sepulcro e rescibir luego el cuerpo en si “ . 111 107 Vgl. S. Moralejo , Ara de Antealtares, in: Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 252 f., Nr. 5 - 6. 108 „ [Jakobus] wurde nach Spanien über die Wellen auf einem schwimmenden Marmorstein gebracht “ (G. Boccaccio, Il Filocolo (Società tiopografica de classici italiani, 1829) S. 11. 109 „ Und die Apostelschüler, die in diesem Hafen anlegten, trugen den allerheiligsten Körper, den sie brachten, vom Schiff [. . .], sie legten ihn auf einen Stein, der heute nur Boot genannt wird; der vorher genannte Körper ruhte auf einem anderen Stein, mit dem er fest verbunden war; er wird heute Patron genannt; und auf der Stelle nahmen die vorher genannten Steine auf wundersame Weise den Körper auf; der erste Stein wurde hohl wie ein Grabmahl, der andere verwandelte sich in einen Sitz “ , The Itineraries of William Wey, Fellow of Eton College, to Jerusalem, A. D. 1458 and 1462; and to Saint James of Compostella 1456. From the Original Manuscript in the Bodleian Library printed for the Roxburghe Club, ed. B. Bandinel ( 1856) S. 157. 110 „ man sagt, dass er sich auf wundersame Weise öffnete und die Form einer Grabstätte annahm “ , Relación del viaje que Ambrosio de Morales , Chronista de su Magestad hizo por su mandato, el año 1572 en Galicia y Asturias, in: España Sagrada, ed. H. Flórez, XVI (1765) S. 137. 111 „ Und dieser Stein, auf den der Körper von Jakobus gelegt wurde, als er aus dem Schiff heraus geholt wurde, öffnete sich dann wie ein Sarg, um dann den Körper in sich aufzunehmen “ (F. Baños Vallejo , La más breve Vida de Santiago. Leyendas de los Santos. Juan de Burgos (Oviedo 2010) S. 19 (Ms. 10252 BNM [Biblioteca Nacional Madrid] - aus einem „ Flos Sanctorum “ des 14. Jahrhunderts). Die Version der Legenda Aurea lautet: Sie trugen den Leichnam aus dem Schiff und legten ihn auf einen großen Stein. Aber siehe, der Stein gab dem Leichnam nach und formte sich gar wunderbarlich zu einem Sarg (Legenda Aurea, wie Anm. 27). Robert Plötz 44 <?page no="45"?> Augenscheinlich stimmt diese Sichtweise mit der einer populären Romanze von den Färöer-Inseln in der Hinsicht überein, daß der Stein zwar nicht galicischen Ursprungs ist, aber auch nicht aus Palästina kommt, 112 und ebenfalls nicht der Vorstellung des Felsens entspricht, mit dem Petrus der Christenheit vermittelt wird. 113 Diese Romanze kann als ein besonderes Zeugnis für die Wirkungsmacht und Lebendigkeit gelten, die dieses Motiv in der oralen Überlieferung durch die Zeiten hindurch innehatte. Das Lied ist mittelalterlichen Ursprungs. Es stammt aus dem skandinavischen Bereich und kommt in Dänemark, auf den Färöer-Inseln, in Norwegen und Schweden häufig vor. Als Beispiel soll die Färöer-Version dienen. Diese Romanze tanzt und singt man bis heute ohne instrumentale Begleitung. Jakobus erhält vom Herrn den Auftrag, „ das Land von García “ (Galicien) zu missionieren. Ein Stein mit einem Kreuz dient ihm als Boot, mit dem er nach Galicien gelangt. In einem Zwiegespräch mit García geht Jacobus auf dessen Forderungen in Bezug auf dessen im Meer verschwundenen Sohn ein: „ dass er lebend mit Haut und Haar wieder erweckt wird, obwohl er schon 15 Jahre verschwunden ist, und dass er mit Hund und Falken auftauche und ohne tödliche Wunden “ . So geschah es auch. Und als der Königssohn gefragt wurde, „ wie und wofür diente Dir diese Reise? “ antwortete er mit dem abschließenden Satz: „ So spielt es sich in der anderen Welt ab. Keiner kennt das fremde Leiden “ . 114 Der rhapsodische Charakter des Färöer-Liedes, das aus Fragmenten des Legendariums von Jakobus zusammengefügt ist, stellt ein ziemlich allgemeines Merkmal bei den Dokumenten und Monumenten der volkstümlichen Jakobus-Kultur dar, sowohl in der literarischen als auch in den Verschmelzungen und Wiederholungen von Themen und Motiven in der mündlichen und figurativen Überlieferung. Als Königssohn präsentiert sich auch der Protagonist der Mirakelgeschichte in einem „ Breviarium Ovetense “ , der von Jacobus aus dem Meer gerettet wird: „ totus plenus conchilibus “ . In Galicien und auch in Portugal scheint die Legende enger mit genealogischen Bezügen und Verbindungen verbunden gewesen zu sein, die einige Geschlechter, die die „ vieiras “ in ihren Wappen tragen, bis auf die Zeit des Apostels zurückgehen lassen. Man kann aber die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Heraldik 112 Vgl. V. Almazán , Huellas Jacobeas en la cultura Escandinava, in: Santiago Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 181 - 191, hier S. 189; D ers. , Sankt Jakob in den skandinavischen Volksliedern, in: Der Jakobuskult in „ Kunst “ und „ Literatur “ . Zeugnisse in Bild, Monument, Schrift und Ton (Jakobus-Studien 9, 1998) S. 259 - 269, hier S. 263 - 267, mit Originaltext und Übersetzung; S. Moralejo , Idea de una exposición, in: Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 235 - 241, hier S. 237, und passim, vgl. Ders ., Mil años de tradición europea (2002) passim. 113 „ Und ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen “ (Mt 16,18). 114 Siehe Anhang III, S. 56. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 45 <?page no="46"?> in ihrer sakralisierten Darstellung den ursprünglichen Impetus zur Erzählung gab. Das wird eindeutig den Wunderberichten im „ Libellus miraculorum “ des 12. Jahrhunderts geschuldet (Nrr. VII-X). 115 Es ist allerdings möglich, dass das Motiv der Bekleidung sowie auch des mit Muscheln bedeckten Zaumzeugs als Versuch einer Erklärung gesehen werden kann, um die fremdartige Innovation, mit der die heraldischen Bereiche in der Jacobus-Ikonographie dargestellt wurden, zu rechtfertigen. Die „ veneras “ erscheinen auf Siegeln und Manuskripten etwa zur gleichen Zeit, in der D. Berenguel de Landoria (1317 - 1330) Erzbischof von Santiago ist, 116 allerdings fehlen andere Belege offizieller Art während der Zeit seines Pontifikats. 117 Die Nachrichten, die der im Meer verschwundene galicische Königssohn über seine Erfahrungen im Abgrund anbringt, führen uns in eine andere Dimension der Figur von Jakobus, welche mit seiner Rolle als Führer in Visionen und Jenseitsreisen zusammenhängt. Auch die Visionen von Thurkill und Heinrich von Ahorn mit ihren genuinen Jenseitserfahrungen waren vielleicht keine Ausnahmen in jener Zeit. 118 Mit welcher Vorsicht im Verhältnis zu Rom gehandelt wurde, zeigt eine Darstellung des Apostels, nämlich die schon auf den „ Index “ gesetzte Tradition, dass Jakobus auf einem schon mehrfach erwähnten Felsen oder auf einer kleinen Insel sitzt, die einer Felsklippe gleicht, wobei Christus dem Apostel vom Festland aus einen Stab 119 überreicht und mit einem Fuß den Felsen anstößt und ihn ins Meer hinaus schiebt. 120 Es geht darum, wie oben schon erwähnt, die Interessen einer auf Petrus dem „ Felsen “ gegründeten römischen Kirche zu schonen, die zu tangieren sehr unklug gewesen wäre. Diese „ unerwünschte “ Tradition vor allem aus Klöstern im flämischen und 115 Vgl. Plötz , Peregrinando por mar (wie Anm. 54) S. 59 - 61. 116 In: Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 435, Nr. 127. 117 M. C. Díaz y Díaz/ J. García Oro / D. Vilariño Pintos / M.a V. Pardo Gómez / A. García Piñeiro / M.a P. del Oro Trigo , Hechos de Don Berenguel de Landoria, Arzobispo de Santiago. Introducción, edición crítica y traducción anotada (Compostellanum 28, 1983) Nr. 1 - 2. 118 Vgl. R. Plötz, Visión y realidad, in: Compostellanum 40 (1995) S. 339 - 365, und Dens. / H. Röckelein , Die Vision des Heinrich von Ahorn und das Kloster St. Georgenberg, in: Jakobus-Studien 10 (1999) S. 29 - 68. 119 Man könnte vermuten, dass mit dieser „ traditio baculi “ versucht wird, fehlende oder von Rom nicht anerkannte apostolische Traditionen zu ersetzen. Das kommt klar zum Ausdruck bei der Jakobus-.Darstellung am „ Pórtico de la Gloria “ und an dessen rechtem Gewände, bei dem der Stab keineswegs einen Pilgerstab, sondern einen Bischofsstab mit „ panisellus “ zeigt. Vgl. S. Moralejo , El patronazgo artístico del arzobispo Gelmírez, in: Pistoia e il Cammino di Santiago. Una dimensione europea nella Toscana medievale, hg. von L. Gai (1987) S. 245 - 272. 120 Vgl. S. Moralejo , Christi envía a Santiago en el „ Pedrón “ a predicar a España. Segundo sello de la abadía de Saint-Jacques de Provins (Aisne), in: Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 489 f. Robert Plötz 46 <?page no="47"?> nordfranzösischem Bereich 121 lässt sich eindeutig auf die Reise des Apostels von Palästina nach Galicien auf einem Stein festlegen und damit auch auf dessen persönlicher Missionsausübung auf der Iberischen Halbinsel. 122 Madou macht zwei Darstellungen ausfindig, die ebenfalls den gleichen Regionalbezug haben, deren Interpretation der Jakobus-Figur aber unterschiedlich gehandhabt werden kann. 123 Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob Jakobus zu Lebzeiten oder tot nach Galicien gekommen sei. 124 121 Die piktorischen Zeugnisse stammen aus der Zeit, als das katholische Flandern sich unter der Herrschaft der Habsburger befand. Großes Pilgeraufkommen und reger Kunstaustausch waren Gang und Gäbe. Vgl. den Ausstellungskatalog „ Das Goldene Zeitalter des Herzogtums Geldern. Geschichte, Kunst und Kultur im 15. und 16. Jahrhundert “ , 2 Bde., hg. von J. Stinner / K.-H. Tekath (Bd. 1) und R. Plötz (Bd. 2: Objektkatalog). 122 So gibt Christus an der Küste Palästinas dem Apostel Jakobus, der auf einem Stein sitzt, einen Stab und schickt ihn zur Evangelienverbreitung nach Spanien (Stundenbuch, Musée Condé, Chantilly, ms. 64/ 1671, f. 185 v). Auf dem zweiten Siegel (vor 1352) der Abtei Saint-Jacques von Provins (Aisne), das mit Muscheln bedeckt ist, schickt Christus Jakobus auf einem Stein nach Spanien, um das Evangelium zu verkünden ( Moralejo , Santiago, wie Anm. 10, S. 489 f., Nr. 489). Auch im oben erwähnten Polyptikon von Indianapols (ebd., S. 236) wie auch später noch in der Standarte der Zunft der Schneidergilde von Brüssel aus dem Jahr 1593, Musées d ’ Art et d ’ Histoire, Brüssel, vgl. A. Georges , Le pèlerinage à Compostelle en Belgique et dans le Nord de la France, suivi d ’ une étude sur l ’ iconographie de Saint-Jacques en Belgique (Mémoires de l ’ Acádemie Royale de Belgique, Classe de Beaux Arts 13, 1971) S. 217; und auch in einem verschwundenen Kirchenglasfenster der Kathedrale von Chartres wird das Motiv aufgenommen, Moralejo , Santiago (wie Anm. 10) S. 489. Vgl. Plötz , Jacobus Maior (wie Anm. 34) S. 171 - 232, hier S. 194 f. 123 Madou , De apostel van het westen (wie Anm. 52), S. 108, Abb. 81. Christus stößt den auf einem Felsen am Meeresufer „ schlafenden “ Jakobus mit dem Fuß ab: Miniatur, Stundenbuch von Karl dem Kühnen, fol. 22. Lieven van Lathem, 1469, Los Angeles, J. Paul Getty Museum, 89 ML 35), ferner S. 107, Abb. 80: Jacobus sitzt in „ Schlafpose “ auf einer kleinen Felsinsel (Miniatur, Stundenbuch von Tour et Taxis, Brugger Werkstatt, Beginn 16. Jh., Chantilly, Musée Condé, MS 86/ 1178). 124 Auch bei zwei Altartafeln des bekannten Polyptychon von Indianapolis (Santiago, Camino de Europa, wie Anm. 10, S. 236 und 238), die als thematischen Bezug die „ vita et miracula sancti Jacobi “ haben, ist in zweien der Darstellungen im Gegensatz zu den anderen der Apostel mit geschlossenen Augen und einem leidensvollen Gesicht zu sehen. In der „ Stein “ -Szene stützt er sich mit dem Ellbogen auf die Heilige Schrift. Es zwängt sich der Eindruck auf, der Apostel habe die Reise auf dem Felsen nach Galicien „ post mortem “ durchgeführt. Damit würde die Darstellung sich auf die „ translatio “ und nicht auf die „ missio “ beziehen. Auch die zweite Tafel des Polyptychons, die eine Wiederbelebung eines Pilgers vor dem Hauptaltar der Kathedrale in Santiago, zeigt, stellt Jakobus auf einem Thron auf dem Hauptaltar über seinem Grab mit ebenfalls geschlossenen Augen und in der gleichen Haltung und Bekleidung wie vorher dar. Allerdings wird auf den Stab verzichtet, so dass sich der Verdacht aufdrängt, Jakobus sei zu seinem Grab und damit endgültig zur Ruhe gelangt. Das hat mich schon 1995 beunruhigt, Plötz , Jacobus Maior (wie Anm. 34) S. 193 - 195, Anm. 111. Die Thematik der toten Heiligen ist erst kürzlich wieder zum Thema geworden, vgl. U. Krass , Nah zum Leichnam. Bilder neuer Heiliger im De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 47 <?page no="48"?> Eine der Abbildungen weist noch eine Besonderheit auf: In ihr hält Jacobus einen von der Rinde befreiten Stab in der Hand. 125 Die Sakralisierung der Wappen adeliger Familien in der Region Einen gewichtigen Hinweis auf den heraldisch erklärbaren Ursprung der Mirakelzusammensetzung ist die Darstellung des Reiters, der sich des Geschehens überhaupt nicht bewusst zu sein scheint. Der Ritter scheint losgelöst von dem Geschehen um ihn herum zu sein. Er ist weder eingebunden noch beteiligt. Es ist kein Blick- und Berührungskontakt vorhanden. Man könnte sich fragen, ob sich der ausführende Künstler von sich selbst oder von seinem Auftraggeber aus in der piktorischen Ausstattung der Mirakelerzählung auf das Schweigegebot unter den Mönchen benediktinischer Observanz, dem sich verschiedene monastische Kongregationen im mittelalterlichen Europa anschlossen, bezogen hat? 126 „ Signa loquendi: Nicht reden, sondern sehend sich verständigen “ bedeutet das Ersetzen Quattrocento (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, I Mandorli 16, 2012). Nach Krass drückt sich die grundsätzliche Nähe zum Totenleib in den Darstellungen der „ neuen “ Heiligen im Gegensatz von Nähe und Distanz aus. Diese grundsätzliche Nähe zeige sich, so sagt sie, in den Heiligendarstellungen darin, dass sie sich erst im zweiten Schritt vom Leichnam lösen. Eine wesentliche Erkenntnis, die es zu berücksichtigen gelte, sei in Befolgung des frühchristlichen Ideals die Existenz des vollständig erhaltenen und unzerteilten Heiligenkörpers ( „ integritas “ ) gerade im 15. Jahrhundert zu werten. Es wird auch von einer Visualisierung des Heiligen an seinem Grab gesprochen. Dafür stehen u. a. beispielhaft die oben angeführten Altartafeln von Indianapolis. 125 Christus gibt dem schlafenden (oder Toten) Jakobus einen geschälten Zweig mit baumelnder Muschel, Miniatur: Cartularium Doornik, ms. 27. ebd., S. 27. Die „ peregrinatio “ zu Jakobus in Galicien nahm im Volksglauben des Hochmittelalters für die gläubigen Pilger die Form einer „ peregrinatio pro Christo “ an, obwohl im Zentrum des Kultes nicht Christus, sondern Jakobus stand. So herrschte unter den Pilgern der Glaube, dass Jakobus, als ihm der Herr in Galicien erschien, in seinen Händen einen Stab ohne Rinde gehalten und der Herr ihm versprochen habe, dass auch die Gläubigen, die mit ihren Anliegen an den Apostel herantraten, danach so rein seien wie der Stab rein von Rinde. Nachdem diese populäre Auffassung offen gelegt worden war, lenkte der Codex Calixtinus diesen „ Glauben “ wieder in die Leseart der Kirche: Quorum error ita concluditur: Si peccator ut virga mundatur, igitur non bene purificatur, quia virga non interius sed exterius potest purificari, cum peccatorem interius et exterius in corpore scilicet et anima oporteat mundari (Codex Calixtinus, wie Anm. 31, S. 87). In Übersetzung: „ Dieser Irrtum ist leicht zu widerlegen. Wenn der Sünder gereinigt wird, wie der Zweig, ist er nicht gut gereinigt. Denn der Zweig reinigt sich nicht innen, sondern außen, während der Sünder in der Seele und im Körper gereinigt sein soll “ . Siehe auch R. Plötz , Santiago-peregrinatio und Jacobus-Kult mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Frankenlandes, Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 31 (1984) S. 24 - 135, hier S. 32 f. 126 Vgl. allgemein G. V. Rijnbergh , Le langage par signes chez les moines (1953). Robert Plötz 48 <?page no="49"?> der gesprochenen Sprache durch eine Serie von Gesten und Bildern, die es möglich macht, bestimmte konkrete und auch abstrakte Subjekte wiederzugeben. 127 Wahrscheinlicher scheint es mir, dass diese Haltung aus der zweiteiligen und zu verschiedenen Zeiten stattfindenden Komposition herrührt, das heißt, zum einen aus der Zeit der „ translatio “ nach dem Tod des Apostels Jakobus, und zum zweiten zur Zeit der Entstehung der Familientradition zweier Sippen beiderseits des Miño/ Minho, die die „ vieiras “ in ihr Wappen aufnahmen. 128 Das Mirakel des Ritters oder jungen Prinzen (Adeligen), der von Jakobus aus dem Wasser gezogen wurde, und dessen Kleidung und auch das Zaumzeug mit Muscheln bedeckt waren, die wechselweise sowohl mit Körperschale als auch mit Deckel dargestellt werden, wird früh, ich wiederhole, in den „ Vidas e Paixões dos Apóstolos “ des Bernardo de Brihuega 129 dokumentiert, der die Übersetzung der Translation des „ Liber Sancti Jacobi “ in seine Erzählung in seinen Bericht eingeschoben hat. Die Lokalisierung des Mirakels in der Nähe von Porto auf dem Kurs des Bootes, das den Apostelleichnam trug, scheint keinen Platz für Zweifel über seinen Ursprung oder - mindestens - seine frühe portugiesische Inanspruch- und vielleicht auch Besitznahme des „ corpus sacrum “ zu lassen. Das führte zur Interpretation, dass schon vor der Anlandung des Körpers in Iria von Jakobus Wunder und Konversionen vollbracht worden waren, während im gleichen Text darauf hingewiesen wird, dass es dem Apostel während seiner spanischen Mission nicht gelungen war, „ mais de um homem “ ( „ mehr als einen Menschen “ ) 130 zu bekehren. Ohne Zweifel bietet die Altartafel im italienischen Camerino das einzige vollständige ikonographische Zeugnis dieses Wunders auf dem Altar (? ), den Juvenal von Orvieto 1441 gestaltete, und der in zeitlicher Hinsicht mehr oder weniger mit der angeführten Version der „ Vidas e Paixões “ übereinstimmt. Warum allerdings wurde dieses Thema nicht in die Reihe der ikonographischen Themen und Umsetzungen innerhalb der sehr reichhaltigen 127 Vgl. J. Le Goff , L ’ imaginaire médiéval (1985) S. 124 - 126 (Corps et idéologie dans l ’ Occident Médieval) S. 127 - 135 (Les gestes du purgatoire), J. R. Macedo , Disciplina do silêncio e comunicaç-o gestual: Os signa loquendi de Alcobaça, in: Signum, Revista da Abrem 5 (2003) S. 88 - 107. Zu den Manuskripten des Klosters Alocabaça vgl. die Tradition des „ silêncio Monástico “ , in dem nach der Regel des hl. Benedikt Redeverbot im Oratorium und im Dormitorium generell bestand: La Règle de Saint Benoit, ed. A. de Vogue/ J. Neufville (Sources Chrétiennes 182, 1972) 2, S. 574 - 575: si qvid tamen opvs fverit, sonitv cvivscvmque signi potivs petatvr qvam voce. 128 Vgl. K. Köstlin , „ Gleichzeitigkeit im Ungleichzeitigen “ . Relikte (Ethnologia Bavarica 6, 1977) S. 3. 129 Brihuega , Vidas e Paixões (wie Anm. 63). 130 Ebd., zit. nach Moralejo , Santiago, Camino de Europa (wie Anm. 10) S. 240. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 49 <?page no="50"?> Ikonographie des Apostels aufgenommen? 131 Und welche Entwicklung erfuhr die Jakobus-Ikonographie in der frühen Neuzeit? Ikonographie in Bewegung: Vom Pilger zum Schlachtenhelfer gegen die Osmanen Gegen Ende des 15. Jahrhunderts fand eine Wende innerhalb der ikonographischen Entwicklung der Darstellung des Apostels statt. 132 Dieser Wechsel wurde weitgehend von zwei Prozessen beeinflusst, die sich parallel entwickelten. Einmal die fortwährende Zunahme der Wichtigkeit und Stärke des römischen Heiligen Jahrs ab 1300, zu dem Pilgermassen strömten, gegenüber einer „ peregrinatio Compostellana “ , die anfing, ihre Attraktivität vor allem für die tonangebenden Gesellschaftsschichten zu verlieren. Zum anderen wurde der Jakobus-Kult verstärkt hinsichtlich des „ militärischen “ Eingreifens in die Schlachten gegen die Heiden „ instrumentalisiert “ . 133 Clavijo war wieder ein Thema! Es war die Osmanengefahr vor allem im Mittelmeerraum und auch auf dem Balkan, die das christliche Europa bedrohte und zur Wiederbelebung des Maurentöters im alten Europa führte. Die Situation im Mittelmeer wurde gravierend durch den Fall von Konstantinopel im Jahr 1453 verschärft. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts gab es zwar noch keinen Niedergang der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela, aber ihr fehlte die Stärke der vorhergehenden Jahrhunderte. Das von den Päpsten verlassene Rom wurde nach ihrer Rückkehr durch die folgenden Jahre 1475 und vor allem 1500 wiedergeboren und es zeigte sich, dass die Stadt jedes andere Pilgerziel überholte. Seit Ende des 15. Jahrhunderts stellte die türkische Invasion eine Gefahr für die Inhaber der Krone von Aragón dar, was 1481 die Katholischen Könige dazu bewegte, dem Papst in der Schlacht von Otranto 134 zu helfen. Es bildete sich eine Allianz mit Rom und Venedig, die zum Sieg in der Schlacht von Lepanto 135 beitrug. Dass daneben das Bild des „ Jacobus 131 Vgl. R. Plötz ., Imago Beati Jacobi. Beiträge zur Ikonographie des hl Jacobus Maior im Hochmittelalter, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen (wie Anm. 46), Themenband S. 248 - 264. 132 Zur ikonographischen Entwicklung und Gestaltung des Jakobus-Bildes vgl. ferner Ders. , Jacobus Maior (wie Anm. 34) S. 171 - 232, hier S. 184 - 230. 133 Vgl. R. Vázques Santos , Primeras conclusiones sobre el culto y la iconografía de Santiago en la ciudad de Roma, Archivo español de Arte 83 (2010) S. 1 - 22, hier S. 17. 134 Vgl. F. Majoros / B. Rill , Das osmanische Reich 1300 - 1922 (2002) S. 175 f. 135 Vgl. N. Cappon i, Victory of the West. The Story of the Battle of Lepanto (2006). Noch 1967 hing die Fahne des Flaggschiffes der christlichen Armada im Querschiff der Kathedrale von Santiago (persönliche In-Augenscheinnahme). Welche Bedeutung Jakobus in der Rolle als „ miles christianus “ im 15./ 16. Jahrhundert besaß, zeigt Robert Plötz 50 <?page no="51"?> peregrinus “ weiter bestehen blieb, ist selbstverständlich. Auch eine piktorische Ausstattung der Jakobus-Verehrung fand weiterhin statt: im kirchlich-liturgischen Raum in Form von Figuren und Darstellungen vor allem der in der „ Legenda Aurea “ tradierten und zum Teil erweiterten Mirakelgeschichten, und im Privatbereich z. B. in Form von religiösen Kleindenkmalen 136 und Andachtsbildchen. 137 Schlussbetrachtungen Bei der Bearbeitung der Mirakelgeschichte über den Ursprung der Kammmuschel ( „ vieira “ ) war es meines Erachtens notwendig und gerechtfertigt, die Region und ihre Bevölkerung mit einzubeziehen, da sie sich im Einflussbereich des portugiesischen Pilgerweges nach Santiago de Compostela befinden. Vorher schon waren die Bewohner meergerichtet und nahmen die verschiedenen europäischen Einflüsse seit der Antike auf. Dieser etwas weiter ausgelegte Analyse- und Interpretationsansatz findet seine Rechtfertigung darin, dass der Nährboden für Überlieferungen volkstümlicher und auch literarischer Art offen gelegt werden kann. Aufgrund des Regionalbezugs war die Mirakelerzählung für den „ Heiligen Ort “ Compostela uninteressant, da diese Anbindung wenig werbefähig und kultfördernd die Darstellung Karls V. als Matamoros, die sich im Worcester Art Museum in Massachusetts befindet. Sie wird dem flämischen Künstler Jan Cornelszoon (1500 - 1559) zugeschrieben. Vor Karl knien maurische Würdenträger, und die ganze Szene bezieht sich auf des Kaisers Sieg bei Tunis im Juli 1535 gegen den Herrn Algiers und der türkischen Flotte, Khair-ed-Din (1466? / 1483? - 1546). Vgl. J. v. Herwaarden , The Emperor Charles V as Santiago Matamoros, Journal of Medieval Art & Architecture III/ 3 (2012) S. 83 - 106, mit Abb. auf S. 84, Figur 1. Vgl. auch Madou , De apostel van het Westen (wie Anm. 123) S. 125: die große Standarte der Rollwagenleute, getragen von Sr. St[e]phano Doria. Er trägt die Fahne des Kaisers Karl V. mit Jacobus „ miles Christi Scti “ ; aus dem illustrierten Album von Christoffel Plantin, 1559. In politischer Hinsicht vgl. K. Herbers , Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel. Die Entwicklung des „ politischen Jakobus “ , in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von J. Petersohn (Vorträge und Forschungen 42, 1994) S. 179 - 275. 136 Vgl. R. Plötz , Kultspuren - Von Santiago de Compostela nach Franken - von Franken nach Santiago de Compostela, in: Festschrift für Klaus Guth zum 80. Geburtstag (im Druck) speziell Kap. „ Steinerne Kultzeugnisse und religiöse Kleindenkmäler “ . 137 Vgl. Dens., Jacobus maior - Jakobus der Ältere - Saint Jacques le Majeur - Iacobus de Meerder - San Giacomo il Maggiore - Santiago Apóstol. Eine Andachtsbildsammlung im Niederrheinischen Museum Kevelaer. Bestandskatalog (2007), vgl. für die Jakobus-Bilderwelt weiterhin Dens ., Augsburger Bilder - Jacobus maior und seine Pilger in der Druckgraphik, in: Augsburger Netzwerke zwischen Mittelalter und Neuzeit, Wirtschaft, Kultur und Pilgerfahrten (Jakobus-Studien 18, 2009) S. 179 - 214. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 51 <?page no="52"?> hinsichtlich der Pilger war, die über die Pyrenäen auf der einstigen Heeresstraße durch Nordspanien kommen sollten. Diese waren in der Blütezeit der Pilgerfahrt „ ad Sanctum Jacobum “ die Zielgruppe einer großen Werbekampagne, die mittels Bruderschaften, einer karitativen Infrastruktur, mit Mirakelgeschichten und heilsgeschichtlichen Bezügen die Pilger ansprechen wollten. Das erklärt auch, weswegen die Mirakelerzählung zwar mit dem Hymnus zur „ translatio “ des Apostels und wenigen Hinweisen auf Übertragungen aus der lateinischen Literatur erwähnt wird, aber nicht weiter verbreitet wurde. Leider waren diese Texte nicht zu ermitteln. Selbst Juan de Azcona fügte seiner in Latein verfassten Abschrift von 1532 das Muschelmirakel in Kastilisch bei. Die Verbreitung von Mirakelerzählungen konnte auf mehrfache Weise vor sich gehen: Einmal wurden sie in Legendare aufgenommen und dienten, wie bei der „ Legenda Aurea “ , der Heiligenverehrung im Jahreslauf, zum anderen wurden sie in die kultrelevanten „ libelli miraculorum “ der einzelnen Kultorte geführt, deren Inhalte in den meisten Fällen kultkonform und zur Propaganda ausschließlich von deren Heiligen, zum Teil auch in Auseinandersetzung mit den Heiligen anderer Pilgerorte geschrieben und gedacht waren. Aber erst die „ Legenda Aurea “ hat dafür gesorgt, dass viele Mirakel und einzelne Heilige bekannt wurden. Es mangelt der Mirakelerzählung auch an der „ veritas latina “ , die im „ Orbis christianus “ für eine weitreichende Überlieferung und Verbreitung der Mirakelerzählungen sorgte. 138 So wurden im Lauf der Zeit keine neuen Elemente in das Mirakelgeschehen aufgenommen, die Erzählung blieb in ihrer Struktur nicht offen und nahm keine Erweiterungen auf. Die Geschichte von dem Muschelmirakel war in der Region bei zwei Adelsfamilien angesiedelt, nicht weit vom Pilgerzentrum Santiago de Compostela entfernt. Das Wundergeschehen ereignete sich vor dem Hintergrund der „ translatio “ , die sich mit ihren verschiedenen Überlieferungsvarianten abspielte. Der Darstellung auf dem Altarbild nach hatte der muschelbedeckte Ritter allerdings damit nichts zu tun. Er hielt sich offensichtlich auf dem Wasser und auf keiner Uferseite des Miño/ Minho oder einem Meeresstrand auf. Die ursprüngliche Mirakelerzählung diente in ihrer Kernsubstanz einer Sakralisierung der heraldischen Darstellung zweier führender Adelsfamilien mit unterschiedlichen familienrelevanten Beziehungen, wie es der Bericht von Licenciado Bartolomé Molina (1550) (Anhang I) zeigte, wobei der antizipierte Anspruch auf das Pilgerzeichen ‚ Muschel ‘ wesentlich zur Popularisierung des Themas beitrug. Ein Text dieser Mirakelerzählung gelangte an das bedeutendste geistige Zentrum der Region, an das Benediktinerkloster Alcobaça, wurde in dessen hagiographischen Bestände 138 Vgl. B. de Gaiffier, A propos des légendiers latins, Analecta Bollandiana 97 (1979) S. 57 - 68, und Plötz , Res est nova (wie Anm. 24) S. 20 f. Robert Plötz 52 <?page no="53"?> aufgenommen und in der zu dieser Zeit üppig wuchernden „ Flos Sanctorum “ -Literatur zum Teil auch veröffentlicht. In die umfangreiche Verteidigungsliteratur der spanischen Traditionen im 16. und 17. Jahrhundert gelangte die Mirakelerzählung durch ihre Verbindung mit der „ translatio Beati Jacobi “ (siehe Anhang II). Einzelne zum Teil sehr exotisch anmutende Bestandteile, wie die Meeresfahrt des Apostels zu seinen Lebzeiten (III) oder das Insistieren auf dem Dogma des „ corpus integrum “ fanden eine große Resonanz in der europäischen Literatur ihrer Zeit. Auch orale Überlieferungsstränge sind bis in unsere Zeit nachzuvollziehen, wie es die Romanze von den Färöer-Inseln belegt (siehe Anhang III). Und wie steht es mit der bildlichen Überlieferung? „ Miraculum quod legimus ac pictum etiam videmus in singulis beati Jacobi ecclesiis aut capellis “ sagt Nicolaus Bertrandus. 139 Nur in einer Privatkapelle in Rom konnte man das Mirakelgeschehen vor Augen haben und sehend nachvollziehen. Eine andere erklärende Bildüberlieferung gibt es nicht. Das war wohl der Hauptgrund, warum keine weitere orale Überlieferung in der westlichen Christenheit stattgefunden hat. Eine „ traditio per oculos “ war einfach nicht vorhanden, obwohl der Motivindex des Bildes sehr farbig und aufregend angelegt ist. Und weitere Merkmale einer „ gewachsenen “ Mirakelgeschichte fehlen: die Aufnahme neuer Motive, wie es sich gut an dem Mirakel von dem gehängten und wieder zum Leben erweckten Pilger auf dem Pilgerweg, auch als Hühnerwunder bekannt, zeigen läßt. Aber warum fand diese Mirakelgeschichte eine so außerordentliche literarische Beachtung in ganz Europa in der Zeit vor allem vom 14. bis 17. Jahrhundert? Einmal vielleicht wegen ihre Anbindung an das zu dieser Zeit immer hochaktuelle Thema der „ translatio “ , zum anderen wegen des antizipierten Anspruches der Muschel als Pilgerzeichen für Santiago und wohl auch wegen der Sakralisierung zweier Familiengeschichten, die zu schön sind, um „ wahr “ zu sein. Und nun eine letzte Frage. Was mag der Impetus, die Idee zur in Auftraggabe der bildnerischen Gestaltung und Darstellung des Muschelmirakels gewesen sein? Der Auftraggeber dazu war Iacobus Mancini de Lutiis, 140 der aus onomastischen Gründen diesen Altar, den ich als Votivaltar ansehe, gestiftet hat, und von Giovenale de Orvieto ausführen ließ. Vergleichbares haben auch andere getan. Im Jakob Villinger-Fenster der Freiburger Kathedrale von 1524 knien der Kaiserliche Schatzmeister Jakob Villinger und seine Frau Ursula vor Jacobus „ benedictio perarum [Taschen - pera = Tasche, Ranzen] et baculorum “ 141 Und Jakob Fugger „ der Reiche “ 139 Nicolaus Bertrandus, Tholosanorum Gesta, fol. 49, zit. aus AASS Julii VI, S. 47. Das Jahr der Abfassung ist 1515. 140 Vgl. Vázques Santos , Un nuevo catálogo (wie Anm. 20) S. 104. 141 Vgl. zuletzt bei R. Plötz , Volviendo al tema: La coronatio, in: Padrón, Iría y las traditiones jacobeas, coord. de Vicente Almazán ( 2004) S. 102 - 122, hier S. 116 f. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 53 <?page no="54"?> (1459 - 1525) ist als Jakobus-Pilger auf einem Altarbild (Pala Fugger, gemalt 1521/ 22) des Künstlers Giulio Romano zu sehen. 142 Anhänge Anhang I Die zwei Familien, einmal portugiesischer und einmal galicischer Herkunft aus der Miño/ Minho-Region, die Pimenteles und die Ribadeneiras, pflegen ihre eigenen Erzähltraditionen, die trotz einiger Unterschiedlichkeiten ihren festen Platz im Muschel-Mirakelgeschehen einnehmen. Licenciado Bartolomé Molina, Descripciõ, Mondoñedo 1550 Parte V; fol. 43 (für die Pimenteles) De las armas del Apostol. Agora en el cabo, por gusto y sazon, Pongo el escudo de nuestro Glorioso, Que de vn Cauallero no mal valoroso, No queden sus armas sin declaracion, Que fue de vn milagro de vn noble varon, El qual prosiguiendo en la mar sus carreras, Del golfo tan lleno saliò de veneras, Que agora al Apostol las dan por blason. La razon porque todos los Romeros toman por insignias estas veneras, ò conchas, es por el milagro que à vn Cauallero deuoto de nuestro Apostol le acaeciò, que fue, que viniendo en seguimiento del Glorioso cuerpo, quando sus discipulos lo traian à este Reyno: Este Cauallero, no hallando passage en vn braço de mar, que està hazia la Villa de Camiña, se entrò por el aqua a cauallo, y assi passò à Galicia: Y quando salliò del aqua, saliò todo el cuerpo, y su cauallo sembrado dellas veneras: Y desde entonces, por aquel milagro, se dieron estas por escudo, y armas al Apostol Santiago: Y el Romero que no las lleua consigo, le parece que no ha hecho la romeria: Dizen que los Pimenteles, que traen por armas estas veneras, vienen de aquel Cauallero; mas yo no lo hallo escrito donde esto se toca. Parte V, fol. 47: De Ribadeneiras nos fue demonstrada Comienço de auqueste mi via, y jornada, Por ser su blason de Cruz, y Veneras, Que paresciendo en el campo de veras, 142 Zum Künstler allgemein vgl. G. Vasari , Das Leben des Guilio Romano, hg. von A. Nova , überarbeitet von M. Burionis (2005): zum Künstler allgemein. Robert Plötz 54 <?page no="55"?> Fue luego la muerte de tres atojada, Por esto vereis a la Cruz abraçada Aquella doncella que fue noble virgen, Por quien la memoria, la fama, y origen, De Ribadeneiras nos fue demonstrada. Los Ribadeneiras proceden de vn Infante Gallego, que dizen que fue hermano de la Reyna Loba: el qual teniendo presos a dos discipulos del Apostol, que andaba predicando la Fè de Iesu Christo, porque este Infante era Gentil, y vna doncella apiadose de los presos, los visitaba siempre, una vez los viò en la prision estàr con vna diuina claridad, por lo qual se conuertiò luego, y se fue para el Infante, que era ciego, y le dixo, que si queria auer luz de sus ojos, que se fuesse a la prision do estauan aquellos benditos hombres, y luego veria, y el Infante ayrado de aquello, la sacò a martirizar con los dos discipulos: y estando en el campo del martirio, les aparesciò en el ayre vna Cruz colorada con cinco veneras por lo qual se conuertiò luego el Infante, y se casò con esta doncella, de los quales vienen los Ribadeneiras: Lo qual fue a las riberas de vn rio, Neira, y de aqui toman el nombre de Ribadeneiras, y traen por armas aquella Cruz con sus cinco veneras, y una doncella. Über die Wappenschilder des Apostels Jetzt am Ende stelle ich aus Vergnügen und Gelegenheit das Wappen [der Pimenteles] unseres Ruhmreichen vor, weil das Wappen eines Ritters, der viel Mut hat, nicht ohne Erklärung bleiben soll, das von einem Wunder eines edlen Mannes kam, der im Meer seinen Weg fortsetzte, und das Meer mit Muscheln bedeckt verließ, die sie jetzt dem Apostel als Wappen geben. Der Grund, warum alle Pilger diese Muscheln als Zeichen nehmen, ist wegen des Wunders, das unser Apostel einem frommen Ritter zu teil werden ließ. Das geschah beim Vorbeifahren des ruhmreichen Körpers, als seine Schüler ihn in dieses Königreich brachten. Der Ritter fand keinen Übergang in einem Meeresarm, der bei dem Ort Camiña liegt, und ritt zu Pferd in das Wasser und kam so nach Galicien. Und als er das Wasser verließ, waren sein ganzer Körper und sein Pferd mit Muscheln übersät: Und gaben sie durch dieses Wunder bedingt diese als Wappen und Schild dem Apostel Jacobus: Und der Pilger, der sie nicht mit sich führt, erscheint so, als ob er keine Pilgerfahrt gemacht hätte: Man erzählt, dass die Pimenteles, die diese Muscheln im Wappen haben, von diesem Ritter abstammen; aber ich finde den Ort nicht niedergeschrieben, wo das stattfand. Von den Ribadeneiras wurde uns angesagt: Mein Weg und meine Reise beginnen damit, dass ihr Wappen Kreuz und Muscheln darstellt, und dass allem Anschein nach wahrhaftig zu dem Tod De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 55 <?page no="56"?> von drei Menschen führte. Darum seht ihr sie das Kreuz umarmen, die Jungfrau, die edler Abkunft war, durch welche uns die Memoria, der Ruhm und der Ursprung der Ribadeneiras angezeigt wurde. Die Ribadeneiras stammen von einem galicischen Prinzen ab, der Bruder der Königin Loba war. Dieser nahm zwei Schüler des Apostels gefangen, die umherzogen, um den Glauben an Jesus Christus zu verkündigen, denn dieser Prinz war heidnisch, und eine Jungfrau hatte Mitleid mit den Gefangenen und besuchte sie immer. Einmal sah sie diese im Gefängnis in großem göttlichen Licht, weswegen sie sich dann bekehrte, und sie ging zum Prinzen, der blind war, und sagte ihm, dass, wenn er wieder sehen wollte, er sich zum Gefängnis geben sollte, darauf könne er wieder sehen, und er war verärgert und begann die Gefangenen zum Martern zu holen: Und als sie am Ort des Martyriums waren, erschien ihnen in der Luft ein Kreuz, das mit fünf Muscheln versehen war, wodurch sich daraufhin der Prinz bekehrte, und er verheiratete sich dann mit dieser Jungfrau. Von ihnen kommen die Ribadeneiros her. Das ganze fand an den Ufern eines Flusses statt, und von dem Geschehen her nahmen sie den Namen Ribadeneiras an und haben im Wappen jenes Kreuz mit seinen fünf Muscheln und eine Jungfrau. Anhang II Zum besseren Verständnis soll der Text der Mirakelgeschichte von M. Castellà Ferrer von 1610 angefügt werden, siehe Mavro Castellá Ferrer , Historia del Apostol de Iesvs Christo Sanctiago Zebedeo Patron y Capitan General de las Españas, Madrid 1610 (Reed. und Facsimil mit Einführung von José-M. a Díaz Fernández (Santiago de Compostela 2000) S. 125 f.: Historia del Apostol Santiago. No es soIo este SantoraI (que està en Alcobaça) el que haze mencion deste hecho: porque en el antiguo Breuiario de santa Yglesia de Ouiedo (que vn tiempo fue cabeça de los Reynos de Asturias, Leon, Galizia, y Castilla siempre subdita, y verdadera hija de la Romana, como las mas de España) se halla notable mencion deste hecho en el hymno de los 25. de lulio, que como guarda de las antiguedades guardó està: dize assi: Cunctis mare cernentibus: Sed à profunde ducitur: Natus Regis sumergitur: Totus plenus conchilibus. Robert Plötz 56 <?page no="57"?> No admire la presteza en la aprehension de la Fè Catolica deste Cauallero, pues era bastante ocasion el milagro conocido, y no con mas dilacion refiere el Euangelista S. Lucas la conuersion, y bautismo del Eunuco Etiope, que fue el que primero predicò el Euangelio en Etiopia. Notable cosa es lo que Santiago nuestro patron es amigo de la Cauallería, y particularmente de la Española, como tambien de la Borgoñona, Francesa, y Alemana, y en general de todos los que le inuocan, segun se dira en el progresso desta historia. Deste CaualIero se tiene por tradicion en aquellas partes de entre Duero, y Miño, que decienden los Vieyras, linage noble en Portugal, y traen las Veneras por armas, conseruando este apellido: El erudito Abad Gaspar Aluarez de Losada en su nobIeza de las partes OccidentaIes de España, dara mas particular razon desto. El Licenciado Molina en su libro de las cosas memorables de Galizia, dize se tenia tradicion que deste Cauallero descienden los Pimenteles. Y con esto conforman las c! nco Veneras que traen por armas. Mucho parece este sucesso al que en Galizia se refiere del Cauallero de donde decienden los de Riba de Neyra en algunas cosas: que se tiene por tradicion era hijo ò hermano, o sobrino de Ia Señora Lupa, y tambien traen los deste linage vna Cruz sobre vnas ondas con cinco Veneras por armas, y su blason antiguo no va fuera desto, dize assi: Riba de Neyra creyo En el Apostol tan de veras que por esto merecio La Cruz con cinco Veneras. Quando se aya referido la historia de la Señora Lupa, se dira algo desto: aora digo que assi aquel caso como este (sino fue todo vno) pudieron ser, que no tiene Dios atadas las manos, para hazer marauillias por sus Santos. Y bien pudo ser decender deste los de Galizia, que habitaron sobre el rio Neyra, de donde tomaron el apellido y este ser sobrino, ò deudo de la Señora Lupa: pues no espante dezir eran Gallegos los vnos, y el otro Portugues que bien cerca està lo vn o de lo otro, y a las gentes que habitan entre Duero, y Miño Ies llama Claudio Ptolomeo Galegos Bracarenses: Post Dorie flu.[mine] Ostia Callaicorum Braecariorum. Y veo esto tan autentico, que me hace mucha fuerça, y no es menos lo que son los Riba de Neyras de Galizia, si decienden del, que el lustre que les da, e! dezirsde decienden de la Señora Lupa, la qual de que familia fuesse, se dira quando se trate della. Consta deste milagro ser consagradas à Santiago las Veneras, tan conocidas por suyas: Entiendo que a vida hizo Dios por el algun milagro, por donde las señalò por suyas, porque en Iubera, y en Astiguarragua, tiene la tradicio que deste su predicacion tomaron alli las piedras las figuras de Veneras, bordones, y calabaças, corno oy las vemos. Escritura autentica que De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 57 <?page no="58"?> refiera caso tan antiguo, acerca del origen de serle consagradas, no la hallo corno es esta, y con ella conforman las Bulas de los Pontifices (como se dira) quando les llaman: Insignia Beati Iacobi: y la deuocion de todo el mundo, de traerlas por este respecto. Um die feste Überzeugung über die Entstehung auch mangels alter authentischer Quellen zu bestätigen, übersetze ich den letzen Abschnitt. „ Es ist gewiss, dass seit diesem Wunder die Muscheln Jakobus geweiht waren. Ich verstehe, dass Jacobus zu Lebenszeiten durch ein Wunder diese als ihm gehörend auswies, weil in Iubera und in Astiguarragua die Überlieferungen existieren, dass während seiner Predigt die Steine das Aussehen von Pilgermuscheln und - stäben sowie Kürbisflaschen annahmen, wie wir sie heute sehen. Ich finde keine authentische Quelle über die Tatsache, dass sie geweiht worden wären, die sich auf einen solchen alten Vorfall wie diesen beziehen. Ich finde nichts darüber. Und damit bestätigen sie die päpstlichen Verordnungen (wie man sagt), wenn sie „ Insignia Beati Jacobi “ genannt werden: und die Verehrung der ganzen Welt, sie in diesem Sinn zu tragen “ . Anhang III Färöer-Kettentanz Almazán, Sankt Jakob, wie Anm. 112, S. 189 - 190: 1 Sankt Jakob erbittet die Hilfe des Herrn: „ Erlaube mir, das Land von Garcia zu christianisieren! “ 2 „ Wie willst du Christen gewinnen, Wenn du kein Schiff zum Segeln hast? “ 3 „ Größer ist deine Barmherzigkeit, Du kannst mir zu einem Schiff verhelfen. “ 4 „ Geh zum Meeresstrand, Da wirst du einen kleinen Stein am Ufer sehen. “ 5 Sankt Jakob nimmt sein Buch in die Hand, Dann geht er zum Meeresstrand. 6 Sankt Jakob ritzt ein Kreuz auf den Stein, Der Stein fing an, vom Land weg zu treiben. Robert Plötz 58 <?page no="59"?> 7 Der Stein begann zu schwimmen Zielsicher gen Garcialand. 8 Der Stein segelte so wunderbar, Daß er 500 Meilen zurücklegte. 9 Da kommt ein kleiner Bursche, der ausruft: „ Da kommt ein Mann, der segelt auf einem Stein. “ 10 Da kommen Frauen, die sich sauber gewaschen haben: „ Da kommt ein Mann, der segelt auf einem Stein. “ 11 König Garcia nimmt seine Axt in die Hand, So geht er hinunter zum Meeresstrand. 12 „ Hör du, Sankt Jakob, mit dir spreche ich: Was suchst du in meinem Land? “ 13 „ Das will ich in deinem Land suchen, Daß mein Gott mächtiger ist als deiner. “ 14 „ Warum ist dein Gott mächtiger als meiner? Meiner trinkt immer Met und Wein. “ 15 „ Deshalb ist mein Gott mächtiger als deiner, Denn meiner macht aus Wasser Wein. “ 16 „ Meiner macht aus Erde Brot, Und den Toten gibt er Leben zurück. 17 Wenn ich meinen Sohn zurückbekomme, Dann werde ich an deinen Gott glauben. 18 Wenn ich ihn zurück bekomme mit Fleisch und Haar, So wie er vor 15 Jahren verschwand. 19 Wenn ich ihn zurückbekomme mit Falke und Hund, So wie er verschwand auf dem Meeresgrund. 20 Wenn ich ihn zurückbekomme mit Fleisch und Haar, Als ob er seine Todeswunde noch nicht gefühlt hätte. “ De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 59 <?page no="60"?> 21 Sankt Jakob schaute in sein Buch und sagte: „ Was du verlangst, ist nicht so einfach. “ 22 Sant Jakob stand eine Weile, Und rief einen Mann aus dem Höllengrund. 23 „ Hier hast du ihn mit Fleisch und Haar, So wie er vor 15 Jahren verschwand. 24 Hier hast du ihn mit Falke und Hund, So wie er verschwand auf dem Meeresgrund. 25 Hier hast du ihn mit Fleisch und Haar, Als ob er seine Todeswunde nicht gefühlt hätte. “ 26 „ Höre zu, lieber und schöner Sohn: Wozu hat dir diese Reise gedient? “ 27 „ So geschieht es in der anderen Welt. Niemand versteht die Schmerzen der anderen. “ 28 Die Frau, die ihre Kinder haßte, kommt nie aus dem Fegefeuer. 29 Die Frau, die ihre Kinder mordete, Trägt immer ein giftiges Schwert am Gürtel. 30 Die Kaufmänner, die Reichtum sammelten, kriechen, als ob sie Schlangen wären. 31 Die hartherzigen Ortsvorsteher Leben alle im Garten der Schlangen. 32 Sogar der Steuereintreiber mit seinem breiten Hut Weiter in der Hölle die Steuer verlangt. 33 „ Nun habe ich meinen Sohn bei mir. Nun will ich an Deinen Gott glauben. “ 34 Das hat Sankt Jakob gemacht, während er dort war: Den König Garcia getauft und alle, die da waren. Robert Plötz 60 <?page no="61"?> Resumen: De miraculi totus plenus conchilibus genesis et traditione. El cuento milagroso de la venera y la veneración de Santiago en la Península Ibérica. El artículo analiza los orígenes y el desarrollo del cuento milagroso del caballero, que, mientras observó la translación de Santiago en la costa ibérica, se despeñó por el mar y emergió, cubierto completamente con conchas, después de Santiago le había salvado. El autor usa un cuadro de un altar del año 1441 de una capilla privada romana como punto de partida y lo interpreta como altar votivo. Se decanta por un planteamiento de análisis muy amplio, que incluye la tradición de la región original y la población de allí. Así puede distinguir las influencias de la Antigüedad europea a la actitud de los habitantes, que es relacionado obviamente con el mar, aquí mediante el ejemplo del dios de los mares: Tritón. El milagro de la concha se refirió a dos familias nobles, gallego y portugués, de la región de Miño/ Minho, cerca de Santiago de Compostela, que los dos llevaban la concha en sus escudos de armas. El cuento milagroso originario sirvió de la sacralización de sus presentaciones heráldicas (las tradiciones de los cuentos están añadidas en el apéndice). En cambio no se presentó la leyenda en el entorno compostelano. El autor puede atribuirlo a la manera del milagro, que no era buena publicidad y no fomentó el culto, con respecto a los peregrinos, que cruzaban los Pirineos. Solamente la referencia a la translatio del apóstol extendió la difusión. Desde las transmisiones familiares la leyenda llegó al monasterio benedictino Alcobaça y desde allí algunos de sus elementos tuvieron gran aceptación en la literatura y en las transmisiones orales desde los siglos XIV hasta XVII. Estas excedieron la Península Ibérica, que el autor pudo comprobar con una romance de las Islas Feroe. Base de esta difusión puede ser por una parte la conexión temática a la translatio del apósto, por la otra el elemento de la concha, que fue estimada en el público como un símbolo de la peregrinación. Pero una traditio per oculos no era posible. El cuadro del altar de Roma es el único testimonio completo por una transformación gráfica de este tema, que también es la razón por la falta de más transmisiones orales del milagro. De miraculi ‚ totus plenus conchilibus ‘ genesi et traditione 61 <?page no="63"?> II Jakobuslieder <?page no="65"?> Jakobus singen. Der heilige Jakob in der mittelalterlichen Musik Volker Mertens „ Wes das Herz voll ist, des fließt der Mund über “ , so lautet ein gern zitiertes Bibelwort. 1 Das Herz allerdings äußert sich weniger sprechend, als vielmehr singend. Der heilige Augustinus sagt in seinem Psalmenkommentar: „ Du sollst aber nicht nach Worten suchen, als könntest du dich erklären [. . .]. Singe in der Jubilatio [. . .]. Was bedeutet: in der Jubilatio singen? Mit dem Verstand nicht erfassen, mit Worten nicht erklären zu können, was im Herzen gesungen wird. Ein Jubilus ist ein bestimmter Laut, der zeigt, wie das Herz etwas hervorbringt, was es nicht sagen kann. 2 “ Die Sprache genügt also nicht, um die Freude auszusprechen, die das Herz erfüllt, die Freude über das Heil, das Gott den Christenmenschen geschenkt hat. Musik ist eines der vornehmsten Medien des Heils. Sie vermittelt Heil, weil sie Teilhabe am himmlischen Gesang der Engel bedeutet und sie ist gleichzeitig Ausdruck der Freude über diese Gemeinschaft, Kommunikation mit der Transzendenz wie Kommunikation über die Transzendenz. Singen gehört zum jüdischen wie zum christlichen Ritus seit altersher. Kirchen, Münster und Kathedralen waren voll vom Gesang der Kleriker und Mönche, vom Stundengebet, von Prozessions- und Messgesängen - „ sine fine “ , wie es im Sanctus der Messe lautet. Gesungen wurde vom Erlösungswerk Jesu, von Maria, von den Heiligen, den Zeugen des Heils, ganz wie ihre Statuen die Kirchen schmückten, ihre Viten und Wunder in den farbigen Fenstern in mystischem Licht leuchteten. 3 Dem Heiligen zu singen, vom Heiligen zu singen, das ist mittelalterliche Glaubens- und Lebenspraxis. Das 1 Mt 12, 34: „ Ex abundantia cordis os loquitur. “ 2 Augustinus, Enarrationes in Psalmos, hg. von Eligius Dekkers, 1956 (Corpus Chirstianorum. Series latina 38, 1956) S. 254 (zu Ps 32, 8). 3 Volker Mertens , Ungehörte Musik. Das verklungene Singen der mittelalterlichen Kleriker im Naumburger Dom, in: Der Naumburger Meister Bd. 3, hg. von Hartmut Krohm u. a. (2012) S. 92 - 97. <?page no="66"?> galt auch für den heiligen Jakobus, einen der drei bevorzugten Apostel mit Johannes und Petrus. Allerdings sang man weniger von ihm als von letzterem, es gibt ein althochdeutsches Petruslied, 4 das bei Prozessionen im Wechselgesang von Vorsänger und Gemeinde erklang, aber kein Jakobuslied, auch Brauchtumslieder wie im Fall des heiligen Martin, 5 sind nicht überliefert. Zum Jakobusfest singt man in den meisten Diözesen kein eigenes Offizium, sondern das Commune der Apostelfeste. 6 In Santiago allerdings wurde der Maurenschlächter in eigenen Hymnen besungen: 7 der berühmteste Gesang ist „ Dum pater familias “ , im Codex Calixtinus als einziger nicht mit Neumen im auf der iberischen Halbinsel ungewöhnlichen Stil von Nevers, sondern mit aquitanischen Neumen ( „ à points superposées “ ), wie sie in Spanien üblich waren, aufgezeichnet, was für seine Sonderstellung zwischen Volkssprachigkeit und lateinischer Schriftlichkeit spricht. Viel zitiert wird die vernakuläre Strophe: „ Herru Santiagu Got Santiagu E ultreja e suseia. Deus adiuva nos “ . Hier klingen anscheinend Pilgerrufe nach, umgestaltet in lateinische Formen. Originäre Mündlichkeit ist durch das Kleid der Schriftlichkeit zu erahnen, aber nicht genau zu bestimmen. Vielleicht sind es zuerst mittelniederländische Rufe: 8 der Vorsänger singt: „ Herru Santiagu “ die Gemeinde antwortet „ Got Santiagu “ ( „ heiliger Jakob “ ). 9 Dann wechselt die Sprache, es folgt latinisiertes Okzitanisch: „ outre “ , dann der (als solcher bezeugte) Pilgerruf „ eia “ , darauf: „ suse - eia “ . Die Bedeutung ist umstritten ( „ voran/ weiter “ ? ). Was davon tatsächlich im Mund der Pilger lebte, bleibt im Dunkeln, hier sind es Spolien, Versatzstücke in einem lateinischen Hymnus. Sie sollen wohl die soziale Tiefe wie die geographische Weite des Jakobskults anklingen lassen. Es handelt sich nicht um den Refrain (der lautet: „ Primus ex apostolis / Martir Ierosolimis / Iacobus egregio / Sacer est martirio “ ), sondern um eine Strophe, die allerdings zwei Zeilen kürzer ist als die lateinischen und als Beispiel für (Pilger-)Gesang im Hymnus zitiert wird, 10 der jedoch zweifelsfrei zur 4 Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 6260, fol. 158 v mit Neumen. 5 Burkhard Wachinger , Martinslieder, in: Verfasserlexikon 6 (1987) Sp. 166 - 169. 6 Jakobuspredigten sind schon früh relativ häufig überliefert, vgl. Regina D. Schiewer , Die deutsche Predigt um 1200. Ein Handbuch (2008) S. 564 - 568 (6 Predigten, Johannes Baptista 10). 7 Peter Wagner , Die Gesänge der Jakobsliturgie zu Santiago de Compostela aus dem sog. Codex Calixtinus (1931). 8 Zum Ruf vgl. Volker Mertens , Der Ruf, eine Gattung des deutschen geistlichen Liedes im Mittelalter? in: Zeitschrift für deutsches Altertum 102 (1973) S. 68 - 89; Ders ., Leisen und Rufe, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart [MGG], 2., neubearb. Auflage hg. von Ludwig Finscher , Sachteil 5 (1996) Sp. 1075 - 1078. 9 „ Got “ = mittelhochdeutsch „ guot “ , das stehende Beiwort für Heilige in der volkssprachigen Predigt. 10 Es handelt sich bei dem Hymnus nicht, wie viele Musikaufnahmen suggerieren, um ein Pilgerlied! Volker Mertens 66 <?page no="67"?> klerikalen Ausgestaltung liturgischer Handlungen im Rahmen des Jaobskults zählt. 11 Ich zeige die Breite des klingenden Jakobuskults an drei Beispielen und entwerfe entsprechende Szenarien. 12 1. Königshof 13 Wir schreiben das Jahr 1281, es ist der 25. März, das Fest Mariae Verkündigung. Alfons X., König von Kastilien, hat zu einem Hoftag nach Sevilla geladen. Die politischen Angelegenheiten sind erledigt; ein feierliches Hochamt hat den Hof vereint, ebenso wie das Festmahl. Dann kommt der Teil des Programms, der dem König besonders wichtig ist, denn jetzt kann er sich als der kulturell führende Herrscher auf der iberischen Halbinsel zeigen. Seine Hofkapelle, zehn Musiker von denen jeder mehrere Instrumente beherrscht, formiert sich; auch Sänger sind dabei. Doch als erster tritt der König selbst in der Nachfolge des biblischen Psalmisten David vor die Gesellschaft und beginnt: „ Heute will ich singen für die höchste Frau. Gott selbst erwählte sie, in ihr Mensch zu werden. Uns will er mit seinem Reich belohnen. Deshalb beginne ich, wie Gabriel sie grüßte [. . .] “ . 14 Alfons ist der Troubadour der Jungfrau Maria, der schon viele Lieder zu ihrem Lob und von ihren Wundern gesungen und in kostbaren Handschriften hat aufzeichnen lassen. Über vierhundert werden es schließlich sein. Sie sind in galicischer Dichtersprache verfasst, sodass nicht alle sie gut verstehen. Doch der Bischof von Compostela, das zum Machtbereich des Königs gehört, hat damit natürlich keine Schwierigkeiten. Dann treten die Musiker vor, singen mehrere Cantigas de milagres, so, wie Maria vier Boote mit Fischen für das Festmahl schickte, dann eines, wo die heilige Jungfrau 11 Ich vermeide den Ausdruck „ paraliturgisch “ , da Liturgie bis zum Tridentinum fluid ist. Das relativiert auch Aussagen wie die von Michel Huglo , Les Pièces notées du Codex Calixtinus, in: The Codex Calixtinus and the Shrine of St. James, hg. von John Williams (1992) S. 105 - 124, hier S. 106, der Hymnus gehöre nicht zur Liturgie. Fig. 3 ebd. zeigt die Seite der Handschrift. 12 Zur Methode vgl. die Beiträge in Hagiographie im Kontext. Wirkungsweisen und Möglichkeiten, hg. von Dieter R. Bauer / Klaus Herbers (2000). 13 Die zugrundeliegende Cantiga 386, die einen Hoftag in Sevilla beschreibt, wird auf 1281, auch 1264 datiert: Joseph F. O ’ Callaghan , Alfonso X and the Cantigas De Santa Maria: A Poetic Biography (1998) S. 166. 14 Cantigas de Santa Maria, hg. von Walter Mettmann (3 Bd.e , 1959 - 1972, Nachdruck 1981). Aus der umfangreichen Literatur siehe: Studies on the Cantigas de Santa Maria. Art, Music and Poetry, hg. von Israel J. Katz (1987) sowie: Cobras e son. Papers on Text, Music and Manuscripts of the Cantigas de Santa Maria, ed. by Stephen Parkinson u. a. (2000). Eine Bibliographie bei: Alfonso X el Sabio, Cantigas, hg. von Jesus Montoya (4. ed., 2008). Jakobus singen. Der heilige Jakob in der mittelalterlichen Musik 67 <?page no="68"?> einem Selbstmörder erlaubt, ins Leben zurückzukehren, nachdem der heilige Jakobus ihn den Teufeln nicht abzunehmen vermochte. Da ärgert sich der Bischof von Compostela: das ist doch ein Jakobswunder, das hier einfach auf Maria übertragen ist. Sie soll die größte Wundertäterin sein, so will es der König. Sein „ marianisches Projekt “ war ein gewaltiges Unternehmen, das die Ressourcen des Hofes alle einschloss. Dichter dichteten, Musiker komponierten, Schreiber beschrieben kostbarstes Pergament, Maler malten die feinsten Miniaturen darauf - ein multimediales Unternehmen, an dem Schriftlichkeit und Mündlichkeit gleichermaßen beteiligt waren: Was gesungen wurde, ließ der König zuerst auf Blättern, wohl auch Rollen, dann in prachtvollen Codices festhalten. Immer umfangreicher wurde das Corpus der ‚ Cantigas ‘ : erst einhundert, dann zweihundert, darauf dreihundert - fünfhundert hätten es werden sollen. Gelehrte besorgten Sammlungen von Marienmirakeln, hörten auf das, was erzählt wurde von den Gläubigen, von den Hofbeamten zumal. Dichter brachten sie in eine Großform, die aus dem ibero-arabischen Raum stammt: Beginnend mit einem Refrain folgen, immer wieder durch den Refrain unterbrochen, einfache, aber verschieden gebaute Strophen. Dazu erfanden Musiker formelhaft geprägte Melodien, zu denen getanzt werden konnte, in gemessenen Schritten wie im Fall liturgischer wie höfischer Tänze. Wie König David einst vor der Bundeslade mag auch König Alfons zu Ehren seiner Dame, der Himmelskönigin Maria, getanzt haben. Mitglieder der Hofkapelle stellten wohl die erzählten Wunder in tänzerisch stilisierter Gestalt nach. Was trägt dieses Szenario zum Thema „ Jakobus singen “ bei? Weiter als die Beobachtung, dass der wichtigste spanische Heilige in elf Liedern genannt wird und in sechsen davon seine Wunder auf Maria übertragen werden, 15 hilft ein Analogieschluss: Mirakel wurden in aller Regel gesungen, nicht nur die von der Gottesmutter, sondern auch die dem heiligen Jakobus zugeschriebenen. Am Bischofshof in Compostela wird es, wie in Sevilla, Lied und Tanz gegeben haben, auf anderem Niveau auch in den Pilgerherbergen. Da wurde Jakob als Helfer in vielen Nöten gefeiert. Vermutlich waren es nicht formal so einheitlich durchgebildete Gesänge wie die ‚ Cantigas de Santa Maria ‘ , aber sie könnten vom Gestus her ähnlich gewesen sein. Hätte der Bischof von Compostela sie der Überdauerung für würdig erachtet, wären sie auf das Pergament gekommen und vielleicht auch erhalten geblieben, so dass man sie heute - wie es bei den Cantigas de Santa 15 So in Cantigas de Santa Maria (wie Anm. 14) 158 und 163, ed. Mettmann II, S. 152 - 154 und 159 - 161; vgl. Albert Poncelet ‚ Index Miraculorum B. V. Mariae . . . ‘ elektronische Ressource: csm.mml.ox.ac.uk/ index.php? p=pon_list (Zugriff 19. 9. 2014). Volker Mertens 68 <?page no="69"?> Maria der Fall ist - wiederbeleben könnte. 16 So aber sind sie verklungen und nur mittelbar zu erschließen als Pendants zu den Cantigas, die es ohne den Gestaltungs- und Repräsentationswillen (und vielleicht auch die persönliche Frömmigkeit) von Alfons nicht gäbe. Sie erlauben uns einen Blick auf die verbreitete mittelalterliche Aufführungs- und Präsenzkultur, auf die körperliche Präsentation dessen, was die Menschen umtrieb - sei es ihre Geltung im Diesseits, sei es ihr Seelenheil im Jenseits. 2. Kathedrale Wir befinden uns in Bologna, in der Kirche San Giacomo Maggiore, die heute noch steht. Es ist eine einschiffige gotische Kirche mit einer spätromanischen Fassade aus dem 13. Jahrhundert. Im Jahre 1428 war sie gerade gut achtzig Jahre zuvor geweiht. Wir besuchen sie am 25. Juli, dem Jakobusfest. Eine feierliche Messe wird zelebriert, dazu erklingt Musik des dreißigjährigen Guillaume Dufay, der einer der bedeutendsten Komponisten des 15. Jahrhunderts werden sollte. Was da erklingt, war unerhört neu: eine vollständige Messe zu Ehren des Heiligen, nicht nur die Ordinariumsgesänge Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus mit Benedictus und Agnus Dei, sondern auch das Proprium, also die Gesänge für eben dieses Fest. Es war die erste Plenarmesse der Musikgeschichte, Dufay bewies mit ihr seine große früh erworbene Meisterschaft. Er hatte seine Ausbildung in Cambrai erfahren, war im Dienst der Malatesta in Rimini gewesen und von dort nach Bologna gekommen, wo Pandolfo Malatesta als Kanzler der Universität fungierte. Dort studierte Dufay Theologie, wurde er zum Priester geweiht und - komponierte für einen Landsmann, den Kardinal Louis Aleman, Erzbischof von Arles, der als päpstlicher Legat in Bologna weilte und durch die Förderung der Künste 16 Im Fall der modernen Aufführungen und Aufnahmen müssen wir uns vergegenwärtigen, dass das Klangbild in jeder Hinsicht ein modernes Konstrukt ist. Die Gesänge sind (zumeist) einstimmig aufgezeichnet, nur eine Melodielinie ist aufs Pergament gebracht. Doch das bedeutet mutmaßlich nicht, dass diese Melodie ohne instrumentale Begleitung gesungen wurde. Wie diese allerdings aussah und welche Instrumente sie ausführten, wissen wir nicht. Die zahlreichen Musikerdarstellungen in der Haupthandschrift der Cantigas sind keine Darstellung der königlichen Hofkapelle, sondern bieten ein Idealbild: alle existierenden Instrumente sollen sich zum Lob der himmlischen Jungfrau vereinen. Die Ensembles lassen sich dadurch zu farbigen Klängen anregen, vor allem das „ arabische Paradigma “ , die Vorstellung, mittelalterliche weltliche Musik vor allem in Okzitanien und Frankreich, aber auch im deutschen Sprachraum sei von der mediterran-arabischen stark geformt worden, ist beliebt, ohne dass es Beweise dafür gäbe. Siehe Volker Mertens , Alterisierende Aufführung. Zu Möglichkeiten und Grenzen der „ Rekreation “ mittelalterlicher Lieder, in: Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren, hg. von Anja Becker u. a. (2012) S. 335 - 364. Jakobus singen. Der heilige Jakob in der mittelalterlichen Musik 69 <?page no="70"?> Eindruck machte. Schon 1425, bevor er zum Kardinal gewählt worden war, hatte er bei dem berühmtesten Bildhauer der Zeit, Jacopo dell Quercia, ein Portal für San Giacomo in Auftrag gegeben, jetzt betraute er den noch wenig bekannten Dufay mit der Messe, was seinem Sachverstand ein gutes Zeugnis ausstellt. Der Komponist schrieb Musik in vier verschiedenen Stilen und zeigte damit, was er konnte: Er beherrschte die älteren Formen, setzte sie in Kyrie, Gloria und Credo ein, die modernen nahm er vornehmlich für die Propriumsgesänge (das „ Neue “ gegenüber dem „ Alten “ des Ordinariums). Zwei von diesen werden uns besonders beschäftigen. Einer nur bezieht sich ausdrücklich auf Jakob: der Alleluja-Tropus, also die Ergänzung des nach der Epistel gesungenen Alleluja: „ Hispanorum clarens stella . . . “ : „ Leuchtender Stern der Spanier, einschließend die Gnaden, Stern der irdischen Welt, sei Schützer derer, die über das Meer eilen “ . Woher dieser Text stammt, wissen wir nicht. Er passt besonders gut zu Ort und Anlass, denn die Jakobspilger versammelten sich am 25. Juli in dieser Kirche, um nach Compostela zu ziehen. Der Name des Wallfahrtsorts ist im Text versteckt: „ mundi compos sis tutela “ - „ Herr der Welt, sei Schützer “ . Es handelt sich um eine Anspielung, die die meisten nicht bemerkten, dem Kenner jedoch Vergnügen bereiteten. Der zweite Musiksatz ist bemerkenswerter, der letzte, die Postcommunio. Denn hier bezieht sich nicht der Text auf den heiligen Jakob, da er der Messe für jeden Apostel (Commune sanctorum) entnommen ist, sondern die Musik. Wie im Fall des Alleluia-Tropus ist auch hier die Bedeutung nur dem Wissenden zugänglich. Die Postcommunio ist in einer Technik komponiert, die als Fauxbourdon bezeichnet wurde und wird. Es handelt sich um einfachste Mehrstimmigkeit für die Ungelehrten: die Melodie wird durch die gleiche im Abstand einer Quarte darunter ergänzt, dazu kommt die dritte Stimme, leicht verschoben, in Sexten und Oktaven zur obersten Stimme. „ Nahe den Ansprüchen des kleinen Einmaleins “ , nennt Peter Gülke diese Technik. 17 Die Musik und der Text wenden sich an die ungelehrten Pilger: „ Ihr, die ihr mir gefolgt seid, werdet auf den Stühlen sitzen zu richten die zwölf Stämme Israels “ - die Nachfolge Christi im Sinne des heiligen Jakobus treten die Pilger an. Die Musik passt sich ihrem Verständnis an, anders als die komplexe Polyphonie der anderen Messesätze. Doch die Musik enthält auch eine Anspielung, die nicht zu hören ist: der Name der Kompositionstechnik Fauxbourdon bezieht sich auf das französische bourdon für den Pilgerstab. Wenn der Kardinal im Anschluss an das Hochamt die Stäbe der Pilger segnete, so hatte Dufay das musikalisch vorbereitet. „ Jakobus singen “ - das bedeutet hier einmal die Aufbietung aller traditionellen und modernen Kunstfertigkeit zum Ruhm des Heiligen 17 Hans-Otto Koth , Artikel ‚ Fauxbourdon ‘ , in: MGG (wie Anm. 8) Sachteil 3 (1995) Sp. 379 - 393, hier Sp. 382 f. mit Abb. der Hss. von Dufays Postcommunio Sp. 381 f. Volker Mertens 70 <?page no="71"?> (und nicht weniger: des Auftraggebers). „ Jakobus singen “ bedeutet aber auch die Wendung an die ungelehrten Laien, Klangwerdung ihrer Pilgerschaft. Ohne, dass das von allen wahrgenommen wurde, war es doch Programm: den einfachen Menschen Teilhabe am Heil sinnlich zu vermitteln. 3. Bürgerliche Welt a. Heidelberg Jakobus ist ein Heiliger für Könige und Kardinäle, für Kleriker und Hofleute und ein Pilgerheiliger für alle Schichten. Dafür steht das Jakobslied: „ Wer das Elend bauen will. “ Wir sind in Heidelberg, einhundert Jahre später, also in den 1520er Jahren. Wir besuchen eine Burse, eine Art spätmittelalterliches Studentenheim. Dort wird Musik gemacht, Laute, Fidel, Flöte gespielt und gesungen. Es erklingt das spätmittelalterliche Jakobslied in fünfstimmigem Satz. Komponiert hat ihn einer der Studenten, Jobst vom Brandt, mit ihm musizieren Caspar Othmayr und Georg Forster, Kinder aus bürgerlichem Haus, ausgebildet vom Heidelberger Hofkapellmeister Lorenz Lemlin. Geistliche wie weltliche Lieder zu singen gehörte zu den besonders beliebten Freizeitbeschäftigungen vieler Studenten, sei es aus adligen oder nichtadligen Familien. Als Jobst das Jakobslied anstimmt, lachen seine Tisch- und Bettgenossen. Sie kennen die Melodie auch zu einem derberotischen Text: Es wollt ein meidlin grasen gan./ fick mich lieber Peter / und da die roten rosen stan / fick mich mer / du hast sein er / kanst dus nit ich wil dich lern. Heute aber ist den Studenten nicht frivol zumut, sie wollen beim Musizieren etwas für ihr Seelenheil tun. Also machen sie eine virtuelle musikalisch-literarische Pilgerfahrt: sie singen von der Ausstattung des Jakobspilgers, von der Notwendigkeit zu beichten, bevor man aufbricht, vom weiten Weg mit Leid und Freud: durch die Schweiz, durch Welschland, Armagnac, Savoyen und Languedoc, über fünf Pässe in den Pyrenäen, bis man endlich nach Compostela gelangt und dort Gnade erwirbt. Selbst wenn man nur das Lied singt ohne zu pilgern, die Wallfahrt nur im Geist und im Gesang unternimmt, erlangt man Heil - zwar deutlich weniger als der echte Waller, doch auch das Lied allein ist ein Medium des Heils. Daher ist es als mehrstimmiges beliebt, so kann die virtuelle Fahrt in Gemeinschaft unternommen werden, ähnlich wie die reale. Einer der Musiker, Georg Forster, wird das Lied später herausgeben in seiner Sammlung deutscher Lieder. 18 Schon früher, 1541, hat der Nürnberger Drucker Johannes Petrejus es in 18 Georg Forster, Frische teutsche Liedlein (1539 - 1556), hg. von Karl Gudewil u. a. (1964 - 1997), unser Lied in: Der fünffte theil teutscher Liedlein von 1556. Dazu Jakobus singen. Der heilige Jakob in der mittelalterlichen Musik 71 <?page no="72"?> seiner Sammlung von einhundert dreistimmigen Gesängen ( „ Trium Vocum carminum centum “ ) gedruckt, es steht genau in der Mittelposition (Nr. 50) als fünfstimmiges Lied. Die Interaktion mit der Marienverehrung, die wir in Spanien beobachten konnten, zeigt sich auch im deutschen Sprachraum: bei Erhart Öglin 1512 ist das Jakobslied zum Marienlied geworden. 19 In dem Lautenbuch des Stephan Crauß (Craus) zu Ebenfurth 20 aus der Mitte des 16. Jahrhunderts ist es in weltlichem Kontext ohne Text, nur mit der Angabe Sanctus Jacobus aufgezeichnet, denn die Worte zumindest der ersten Strophe kannte man. b. Zürich Die Reformation nahm Anstoß an der Heiligenverehrung und einem Lied, das die Verehrung eines „ Abgotts “ bezeugte. Martin Luther schloss aus seinem Verdikt zwar die Apostel aus, aber Huldrych Zwingli war konsequenter und strenger. Daher wurde in der Schweiz das Jakobuslied „ christlich gebessert “ , also umgedichtet auf die neue Lehre. Damit bin ich beim letzten Szenario: Zürich in den späten 1530er Jahren. Ein Anhänger Zwinglis, ein wohlhabender Bürger, hatte einen Einblattdruck erworben. Er fühlte sich angesprochen vom neuen Text auf die wohlbekannte Melodie des Jakobsliedes, das damit zugleich bewahrt wie in seinem widergöttlichen Sinn ausgelöscht wurde: „ Welcher das Ellend bawen will / sin Seel bewaren vor der Hell / der ziech vff Christus strasse “ . Das war es: „ solus Christus, solus Deus “ , allein Gott, nicht die Heiligen. „ Kein andrer Mittler noch Heyland ist, / der Apostel leer ist Jesus Christ “ , heißt es. Das war das richtige für die häusliche Andacht. Schon zur Zeit der alten Kirche gab es Bücher mit den Episteln und Evangelien sowie einer Auslegung, die ‚ Plenarien mit der Glosse ‘ . 21 Im Vorwort zum Plenar von Adam Petri, Basel 1514, heißt es: „ vil seind menschen, die nit alle geschefftß oder abwesens halb mögen zeit oder statt haben predigt oder das heilig ewangelij zu hören / welche doch ire selen also mögen speysen geistlich auß dissem buch “ . In der reformatorischen Bewegung gewinnt die Hausandacht eine stetig größere Bedeutung, sie wird gestützt durch die Lehre vom allgemeinen Priestertum. Unser Zürcher Bürger sang also vielleicht seinem Hausstand am Sonntag das „ christlich Erwin Kraus , Die weltlichen gedruckten Liederbücher von Erhard Öglin 1512 bis zu Georg Forsters fünftem Liederbuch 1556 (1980). 19 Erhard Öglin ’ s Augsburger Liederbuch zu vier Stimmen 1512, hg. von Robert Eitner u. a. (1880). 20 Handschrift Wien, Österreichische Nationabibliothek, Mus. Hs. 18688 Nr. 51, fol. 33r. 21 Vgl. Heimo Reinitzer / Olaf Schwencke , Plenarien, in. Verfasserlexikon 7 (1 989) Sp. 737 - 763. Volker Mertens 72 <?page no="73"?> gebesserte “ Jakobslied und vermittelte so, intensiviert durch die bekannte Melodie, die evangelische Lehre und löschte gleichzeitig die falsche alte. Die wahren Pilgerkleider sind geistliche Tugenden: Buße tun für die Sünden, Geduld üben in den Widrigkeiten des Lebens, Gottes Wort hören. Speise ist das Abendmahl, die Welt das wahre Ronceval: „ Wacht vff ir Brüder uberal / wir habend ein hohen Runtzefal / durch den wir müssend louffen / das ist die wält mit jrem Schall / thut uns schlahen und rouffen “ . Die geläufige Melodie wird genutzt, nicht um eine virtuelle Wallfahrt zu unternehmen wie es die oben genannten Studenten taten, sondern um die abgöttische Praxis der Wallfahrt durch die allein heilsgewährende, rein geistliche Übung zu verdrängen und zu ersetzen. „ Sola fide “ , nur durch den Glauben, nicht durch gute Werke wird der Mensch gerettet. 1536 wird das „ evangelische “ Lied im sogenannten Zwickschen Gesangbuch in Zürich 22 gedruckt. Die Mehrzahl der Lieder ist nicht für die Gemeinde gedacht, sondern als geistliche Gesellschaftslieder - wie beispielsweise Martin Luthers „ Ein feste Burg ist unser Gott “ , das keinesfalls die „ Marseiller Hymne der Reformation “ war (hier irrte Heinrich Heine 23 ), sondern ein Lied zur Laute zu singen, um den Teufel und die Anfechtungen zu vertreiben, ganz wie Luther es gern selbst gehalten hat. Es gibt noch weitere „ christlich gebesserte “ Fassungen des Jakobsliedes, sie beginnen mit dem Textzitat Wer das ellend bawen wil und rufen, meist ohne Noten gedruckt, auf diese Weise die Melodie, sei es im Herzen, sei es in der Stimme, auf. In Nürnberg, bei Hans Guldenmundt wurde ein neunzehnstrophiges Lied im Jakobston gedruckt, 24 das in Bern mit dem oben diskutierten zusammen erschienen war. 25 Zwiegestaltig ist die Erscheinung des Jakobsliedes im 16. Jahrhundert: als Gesellschafslied und als geistliches Volkslied. Seine Melodie war so weitbekannt, das sie außer für geistliche Lieder der verschiedenen Kon- 22 Ein Exemplar der ersten Auflage ist nicht erhalten, das einzige der zweiten von 1540 liegt in der Universitätsbibliothek Basel. Es ist durch einen Faksimiledruck, veranstaltet von Jean Hotz 1946 (Zürich), zugänglich: New gsangbüchle von vil schönen Psalmen . . . Zürich: Froschauer 1540 (VD 16 Z 729), hier als drittletztes Lied S. CCXXXIX (ohne Noten): Ein geistlich lied in der melody / Welcher das ellend etc. J(oannes) X(ylotectus). Es steht unter der Rubrik Hienach volgend etliche gancz Christliche vnd geschrifftmässige gsang / welche doch in der kirchen nit gebrucht werdend. Es folgt ein weiteres Lied auf die gleiche Melodie: Ein lied vnd ernstlich schruen zuo got das er sin eer rette. 23 Zur Geschichte der Religion und Philosophie (1834), in: Heinrich Heine, Sämtliche Werke 3 (1972), S. 48. 24 Sanct Jacobs Lied / Christlich gebessert o. O. und o. J., siehe Karl Goedeke , Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung II (1859) S. 340, Nr. 6. 25 Der Geystlich Bilger vnd Wagenman. Die da anzeygen dem Christlichen Bilger und Wagenman / die rächte straassen (Bern: Apiarius 1563). Titelholzschnitt: Ein Pilger, der auf dem Mantel statt der Jakobsmuschel die Kreuznägel Christi trägt, fordert einen bürgerlich gekleideten Mann auf, mit ihm zu kommen. Jakobus singen. Der heilige Jakob in der mittelalterlichen Musik 73 <?page no="74"?> fessionen auch für weltliche Lieder benutzt wurde. Überliefert ist sie allein im Rahmen bürgerlich-stadtadliger Musizierpraxis in Liederbüchern - was zu dieser Zeit heißt: in Stimmbüchern der drei, vier oder fünf Stimmen. Ein derartiges Musizieren war an den Universitäten üblich und wurde vom gebildeten Bürgertum ausgeübt. Welch andere Existenzform das Jakobslied hatte, lässt sich schwer sagen. Es taucht in gedruckten geistlichen Gesangbüchern auf mit neuem Text, da der alte durch die Reformation diskeditiert war - so im altkirchlichen Bonner Gesangbuch von 1550 als Weltgerichtslied ( „ Ein anderes Lied von dem jüngsten Tage “ ). 26 Ob es jemals ein Lied der Pilger war, ist mehr als fraglich, denn in dieser Funktion ist es nicht bezeugt. Wohl aber war es ein populäres Lied, wie sich indirekt erschließen lässt: aus den Umschreibungen der Reformatoren, die die Bekanntheit nutzten, um einerseits die Heligenverehrung abzulösen, andererseits wichtige Kernpunkte der neuen Lehre zu präsentieren. Dass auch die alte Kirche „ evangelische “ Neudichtungen akzeptierte, zeigt das deutsche Drama „ Speculum humanae vitae, Auf Teutsch Ein Spiegel des menschlichen Lebens genandt “ des Gegenreformators Erzherzog Ferdinand II. von Tirol, gedruckt Innsbruck 1584. 27 Im vierten Aufzug des neunaktigen jedermann-artigen Theaterstücks treten die Pilger auf und singen: „ Welcher das Elend bawen will, / der mach sich auff und rüst sich schnell / wol auff die rechten straßen [. . .] Zum rechten Brunnen muß er gan “ 28 - zum Wort Gottes, nicht nach Santiago. Das Lied steht isoliert zwischen den mehrstimmigen lateinischen Engelschören, die der Hofkapellmeister Jacob Regnart komponiert hat. 29 Es dürfte, weil es eben keine „ gelehrten “ Ansprüche stellte, von besonderer Eindringlichkeit für die Zuhörer gewesen sein, denn es schuf eine Gemeinsamkeit mit dem Publikum, das die Melodie kannte und sich mitreißen lassen sollte zur wahren Wallfahrt durch die widrige Welt zum ewigen Leben. Das Lied im Herzen mitzusingen bedeutet Gemeinschaftsteilhabe wie Epiphanie des Heils, das das das Drama vermitteln sollte. Zurückblickend frage ich, was den Mehrwert des Singens gegenüber dem Sprechen ausmacht. Warum werden Wunder, Gebete, erzählende oder belehrende Lieder gesungen und nicht stattdessen Texte gesprochen? Der 26 Vgl. Gerard Bork , Die Melodien des Bonner Gesangbuchs in seinen Ausgaben zwischen 1550 und 1630. Eine Untersuchung über ihre Herkunft und Verbreitung (1954). 27 Hg. von Jacob Minor ( Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts 79 / 80), 1889. 28 Der Text entspricht der (protestantischen) Handschrift Dresden, Sächsische Landesbibliothek cod. M 53 von 1546/ 60. 29 Peter Tschmuck , Die höfische Musikpflege in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert (2001) S. 184 f. Volker Mertens 74 <?page no="75"?> Gesang intensiviert, formalisiert, sozialisiert und ritualisiert: Er bringt eine überrationale, emotionale Dimension hinzu. Er macht die Worte eindringlicher; selbst, wenn man sie nicht klar versteht, empfindet man die Botschaft. Die Melodie gibt eine feste Form vor. Der Gesang verbindet die Ausübenden in besonderer Weise, nicht nur in der Art der Ausführung sondern auch in der Gewissheit, dass das Gesungene gemeinsamer Besitz ist. So tendiert Gesang zum Ritual, zur Vergewisserung, dass das, was heute ist, gestern war und morgen sein wird. Jakobus singen bedeutet: spüren, woher wir auf unserer Pilgerfahrt in der Welt kommen, wo wir sind und wohin wir gehen. Resumen: Cantar Santiago. El santo Jacobo en la música medieval. El artículo pregunta en qué relación y en qué manera la música sobre Santiago se extendió en la Media Edad; la responde ejemplarmente mediante tres escenarios. Por una parte, las composiciones de cantos de María y los milagros de María musicalizados en relación con el baile en la corte de Alfonso X de Castilla en el siglo XIII permiten deducciones de la música en honor de Santiago, puesto que muchos de estos milagros de María verdaderamente van por el apóstol. La próxima idea lleva a la catedral de Bolonia. Guillaume Dufay escribió en el año 1428 la primera mesa plenaria en honor del apóstol. Unió habilidosamente con una ampliación de los cantos antiguos de la misa por los cantos „ Proprium “ de Santiago los elementos tradicionales con modernos y los puso al alcance de los peregrinos laicos. Su obra también contiene referencias sutiles al culto jacobeo y las peregrinaciones, que solamente pudieron entender los sabios. Como tercero se presenta dos ejemplos del mundo comunal y burgués del principio del siglo XVI, por una parte un canto jacobeo, mediante esto se puede comprender musicalmente una peregrinación real, y por otra parte un canto apostólico católico, que fue adaptado por el movimiento protestante en Suiza. En esto se conservó la melodía, aunque se modificó el texto en sentido protestante y el sentido herético - desde el punto de vista reformatoriodel texto anterior se eliminó. Este procedimiento muestra una gran popularidad del canto en la devoción doméstica. El primero ejemplo se encuentra en un contexto estudiantil. Allí circuló el canto jacobeo en el siglo XVI por un lado como canto social por otro lado como una espiritual canción popular. Surtió efecto como cada tipo de cantar: uniendo y ritualizando. En el ‘ Cantar Santiago ’ se pudo presenciar la peregrinación personalmente. Jakobus singen. Der heilige Jakob in der mittelalterlichen Musik 75 <?page no="77"?> Lieder und Pilger: einige Erwägungen anhand des mittelniederländischen Liederhorts Jan van Herwaarden Abb. 1: Lucas van Leyden, Pilger unterwegs, 1509; Amsterdam, Rijksprentenkabinet. <?page no="78"?> 1. Einleitung „ Sankt-Jakobs-Lieder sind in unserem Sprachgebiet sehr selten “ , so äußerte sich der flämische Volkskundler Hervé Stalpaert (1914 - 1981) vor nunmehr fünfzig Jahren in der Zeitschrift „ Biekorf “ . Er konstatierte, dass das altbekannte und häufig zitierte Jakobslied aus dem „ Antwerpener Liederbuch “ von 1544 ein Unikum sei und bleibe, und dass einige ansonsten erhalten gebliebene Anfangszeilen nur zu der Vermutung Anlass geben, dass es weitere Jakobslieder gegeben habe, deren Texte wir aber nicht mehr ermitteln können. 1 Meine eigenen Studien zum Jakobusthema in der mittelniederländischen Literatur brachten mich im Hinblick auf Lieder auch nicht weiter als bis zu dem besagten Jakobslied aus dem „ Antwerpener Liederbuch “ , zu dem sich ein abweichender Text in der Handschriftensammlung der Genter Universitätsbiliothek befindet. 2 Dieser geringe Ertrag ist eine Folge des Umstands, dass die Pilgerfahrt nach Santiago zum größten Teil durch französischsprachige Gebiete führte. Die Begegnungen und die Gesellschaft unterwegs führten häufig zu französischer Kommunikation, so dass es nicht abwegig ist, anzunehmen, dass vor allem in der französischsprachigen Tradition wurzelnde Jakobslieder gesungen wurden. 3 Darauf weist ein Spottgedicht aus dem frühen 18. Jahrhundert hin, in dem Jakobspilger ein französisches Pilgerlied singen, das berühmte „ Quand nous partîmes de France en grand désir. “ 4 Abgesehen davon hat die Reformation in den nördlichen Niederlanden sicherlich eine zerstörerische Wirkung auf die ehemals vorhandenen niederländischen 1 Hervé Stalpaert (1914 - 1981), De pelgrimage naar Compostella. Pelgrimsgebruiken en pelgrimsliederen, in: Biekorf 66 (1965) S. 265 - 280; Het Antwerps Liedboek, hg. von Dieuwke E. van der Poel u. a. (2004) 1, S. 46 - 49, Nr. 20: „ Een liedeken van Sint Jacob “ ; 2, S. 83 - 86: Erläuterung. 2 Jan van Herwaarden , The apostle James the Great in Middle-Dutch literature, in: Between Saint James and Erasmus. Studies in late-medieval religious life: devotion and pilgrimage in the Netherlands (Studies in Medieval and Reformation Thought 97, 2003) S. 413 - 450; 439 - 443; Ders., Der Apostel Jakobus in der mittelniederländischen Literatur, in: Der Jakobuskult in ‘ Kunst ’ und ‘ Literatur ’ , hrsg. von Klaus Herbers / Robert Plötz (Jakobus-Studien 9, 1998) S. 141 - 185; hier 163 - 166; für den Genter Text: Alfons Dewitte , De waire Jacob, uit het A. Ghyselershandschrift (14 april 1518), Biekorf 87 (1987) S. 263 - 265. 3 Dietz-Rüdiger Moser , Die Pilgerlieder der Wallfahrt nach Santiago, in: Musikalische Volkskunde - Aktuell. Festschrift für Ernst Klusen zum 75. Geburtstag, hrsg. von Gunther Noll / Marianne Bröcker (1984) S. 321 - 352. 4 Florimond van Duyse , Het oude Nederlandsche lied. Wereldlijke en geestelijke liederen uit vroegeren tijd: Teksten en melodieën (1905) II, S. 912 - 914, mit Verweis auf: „ Kluchtigh ende belachelyck verhaeldicht van allen het ghene men roept, singht ende schreeuwt soo op de merckten, als straten van de princelycke stadt Brussel “ (Brüssel 1708), Erstausgabe möglicherweise 1604; siehe Moser , Pilgerlieder (wie Anm. 3) S. 327 - 329. Jan van Herwaarden 78 <?page no="79"?> Abb. 2: Anno XVc ende 18 den 14. Aprill, Waire Jacob, erste Seite vom ‘ Liedeken van Sint Jacob ’ im ‘ Handboek Antonius Ghyselers ’ , Handboek met kalender, Latijnse en Nederlandse uittreksel, berijmingen, refreinen; UB Ghent, BHSL.HS. 0901/ 1, fol. 52 - 53. Lieder und Pilger 79 <?page no="80"?> Jakobslieder gehabt, worauf eine Reihe von Anfangsversen in der digitalen Liederdatenbank verweist. 5 Die Digitalisierung des niederländischen Liederschatzes ermöglicht es, die Gegebenheiten schnell zu durchforsten. Die Durchsicht liefert zwar keine neuen Texte, rechtfertigt aber die Feststellung, dass sowohl Anfangsverse als auch Melodien vielfältig bewahrt blieben, ohne dass dies etwas über das Maß der Popularität des betreffenden Liedes aussagen würde. So führt die Anfangszeile des Jakobsliedes aus dem „ Antwerpener Liederbuch “ - „ Dat ’ s wildi van der waerheyt horen singen “ ( „ Wollt ihr von der Wahrheit singen hören “ ) - zu einer Menge von Liedertexten, wovon zwar einige einen Bezug zu dem Thema ‘ Leben als Pilgerfahrt ’ haben, aber keine Jakobslieder im engeren Sinne darstellen. Darüber hinaus scheinen sich in der Masse der Lieder einige zu befinden, die auf die eine oder andere Weise an das Thema des Jakobsliedes erinnern, wie die Rubrik „ Die nae sint Jacob wandelen wilt “ ( „ Wer nach Sankt Jakob wandern will “ ) zeigt. Doch auch hier weisen die darunter aufgeführten Lieder inhaltlich keine Übereinstimmung mit Jakobsliedern auf. Das gleiche gilt für die Anfangszeile „ Wie sint Jacops Broeder wil zijn “ ( „ Wer Sankt Jakobs Bruder sein will “ ). 6 Ein schönes Beispiel für diese Problematik bildet das Pilgerlied mit der Anfangszeile „ Die wil nae dat nieuwe Jerusalem “ ( „ Wer zu dem neuen Jerusalem will “ ), das nach der Melodie des Liedes „ Die nae sint Jacobus wandelen wilt “ ( „ Wer nach Sankt Jakob wandern will “ ) gesungen werden soll. In dem verlorengegangenen Jakobslied wurde sehr wahrscheinlich eine Route nach Santiago de Compostela beschrieben mit einer Auflistung aller Orte, die die Pilger unterwegs passierten. Der Text des erhalten gebliebenen Jerusalemliedes gibt eine Vorstellung davon, wie das ursprüngliche Jakobslied ausgesehen haben mag, auch wenn der Jerusalemtext sehr gut als geistliche Pilgerfahrt auf der Grundlage der prototypischen Pilgerfahrt des Volkes Israel durch die Wüste, von Ägypten ins Gelobte Land, aufgefasst werden kann: Die wil nae dat nieuwe Jerusalem Wer zu dem neuen Jerusalem will, Die sta vroech op / en make hem Der stehe früh auf / und begebe sich Al op de rechte strate . . . Auf die rechte Straße . . . [. . .] Daer leyt eenen wech in der woestijnen lant Da liegt ein Weg im Land der Wüste, Daer zijn wy Pelgrims / so qualijc in becant Da kennen wir Pilger / uns so schlecht aus, 5 www.liederenbank.nl. 6 Antwerps Liedboek (wie Anm. 1) 2, S. 86. Jan van Herwaarden 80 <?page no="81"?> Van berghen en van dalen . . . In den Bergen und den Tälern . . . [. . .] Eerst comen wy door dat roode Mer Zuerst kommen wir durch das Rote Meer [. . .] Als wy door twater zijn in der wildernis Wenn wir durch das Wasser hindurch und in der Wüste sind Dan ghebreckt ons spijse / Och Heere dat is Dann fehlt uns Speise, / Oh Herr, das ist U woort. . . . Dein Wort. . . . Ein anderes Beispiel, in dem durch die Anfangszeile „ Wie Sint Jacobs broeder zijn wil “ ( „ Wer Sankt Jakobs Bruder sein will “ ) auf ein verlorenes Jakobslied verwiesen wird, stellt eine Reisebeschreibung dar, die sicherlich als Geistliche Pilgerfahrt gedacht ist. Ein weiteres Lied mit dem Hinweis, dass dasselbe „ Nae de wyse van Sint Jacobs liedeken “ ( „ Nach der Weise von Sankt Jakobs Lied “ ) - das heißt nach dem Jakobslied aus dem „ Antwerpener Liederbuch “ - gesungen werden soll, beginnt mit der Zeile „ In sdoots gewelt lach ick seere ghebonden “ ( „ In der Gewalt des Todes lag ich sehr gebunden “ ). Der Text zeigt keine Verbindung zu der Pilgerfahrt nach Santiago als solche, sondern bietet eine allgemeine Lebenslehre mit der Richtlinie: Op dat ick mach versoecken Damit ich besuchen darf Ick aerme Pelgerim Ich armer Pilger Dat nieuwe Jerusalem. Das neue Jerusalem. 7 Außer dem Text des Jakobsliedes aus dem „ Antwerpener Liederbuch “ ziehen im Folgenden etwas jüngere Texte die Aufmerksamkeit auf sich, und zwar zwei Texte aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: ein Loblied auf die Reliquien, die sich in der Kathedrale von Compostela befinden, und eine ganz einfache Parodie auf das Pilgerlied. 8 Es sieht so aus, als hätte sich die dürftige Situation in späteren Jahrhunderten nicht einschneidend verändert, auch wenn das bemerkenswerte „ Oogstlied voor Sint Jacob “ 7 Frederik Caspar Wieder , De schriftuurlijke liedekens. De liederen der Nederlandsche Hervormden tot op het jaar 1566: inhoudsbeschrijving en bibliografie (1977, Nachdruck der Ausgabe Den Haag 1900]) S. 66 - 67, besonders Nr. 159, Text in Een nieu liedenboeck (Amsterdam 1562); auch in Piet Visser , Het lied dat nooit verstomde: vier eeuwen doopsgezinde liedboekjes (De Ilp 1988) S. 26, Nr. 5 a); und in Veelderhande liedekens (Amsterdam 1569), beide gedruckt von einem mennonitischen Drucker (siehe Wieder , Schriftuurlijke liedekens, S. 149 - 150, 157 - 158); vgl. dort S. 1 - 3: das damit verwandte Lied mit dem Anfangsvers „ In doots ghewelt lach ick gevaen “ , wo der sterbliche Mensch als „ armer Pilger “ auf seinem Lebensweg zum Neuen Jerusalem dargestellt wird, gedruckt in Veelderhande liedekens (Amsterdam 1566), dem ältesten mennonitischen Druck dieser Sammlung ( Wieder , Schriftuurlijke liedekens, S. 155). 8 Stalpaert , Pelgrimage (wie Anm. 1) S. 274 - 277: Loblied auf die Reliquien; S. 278 - 279: Parodie auf die Wallfahrt. Lieder und Pilger 81 <?page no="82"?> ( „ Erntelied für Sankt Jakob “ ) des nordniederländischen, protestantischen Dichters Cornelis Loots (1764 - 1834) aus dem Jahre 1817 erhalten geblieben ist. 9 Die Wiederbelebung der Wanderungen nach Santiago seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat neue Lieder und Texte aufgebracht, wie beispielsweise die kürzlich durch die Niederländische Sankt-Jakobus- Gesellschaft herausgegebene Textsammlung von Joop van der Meulen zeigt. 10 Außerhalb der Betrachtung bleibt hier die Thematik von Pilgerliedern, in denen das Leben selbst als Pilgerfahrt vorgestellt wird, mit Jesus als Prototyp: „ Ick bin pelgrim geworden, / ghecomen wt mijn rijck “ ( „ Ich bin Pilger geworden, / gekommen aus meinem Reich “ ), so dichtete Dietrich Kolde von Münster in „ Een suverlick liedeken “ ( „ Ein schönes Lied “ ). 11 Ein Beispiel für die Art und Weise, wie Christi Pilgerfahrt in Worte gefasst wird, ist zu finden in Een suver liedekijn ( ‘ Ein schönes Lied ’ ), das durch Hoffmanns von Fallersleben schon 1854 überlieferten Text in die Niederländische Liederdatenbank aufgenommen wurde: Pelghermasie hebbic ghewandert ‘ Auf Pilgerfahrt bin ich gewandert wel drie ende dertich jaer. wohl dreiunddreißig Jahre ’ . 12 Diese Thematik hat viele Lieder hervorgebracht, von denen auch viele unterwegs nach Santiago gesungen worden sein können, die aber als solche nicht spezifisch für die Verehrung Jakobs des Älteren oder die Pilgerfahrt zu seinem heiligen Ort sind. Das allgemeine Pilgerthema lebt in der Vorstellung von den Emmausjüngern fort, die sich seit jeher einer großen Popularität erfreuen. 13 9 Cornelis Loots, Gedichten (4 Bd.e, 1816 - 1817) hier Bd. 4, S. 160 - 169: „ Oogstlied voor St. Jacob “ (mit lateinischer Übersetzung von Ecco Epkema (1759 - 1832): „ In messem ad S. Jacobum “ ; vgl. „ Vreugdezang over den oogst van den jare 1817 “ , W. P. C. Knuttel, Catalogus van de pamflettenverzameling berustende in de Koninklijke bibliotheek (1978 [herdruk van 1889 - 1920]) Nr. 24540 (1817). 10 Het geheim van de schelp. De weg van de geest: een spirituele reisgids voor de pelgrim. Texte zur Meditation unterwegs, geschrieben und gesammelt von Joop van de Meulen (2011); vgl. Moser , Pilgerlieder (wie Anm. 3) S. 348: Er nennt den Anfangsvers von 28 heute geläufigen deutschen Jakobusliedern. 11 Der Christenspiegel des Dietrich Kolde von Münster, kritisch hrsg. von Clemens Drees (Franziskanische Forschungen 9, 1954) S. 332 - 337; hier S. 334, Z. 17 - 18; vgl. „ Dit is een suverlijc boecxken “ ,. . . eingeleitet und erläutert von Jacobus Johannes Mak (1957) S. XV - XVIII: Dirk Coelde van Munster als wahrscheinlicher Autor; S. 50 - 59: Text, Nr. XVI. 12 Niederländische geistliche Lieder des XV. Jahrhunderts, aus gleichzeitigen Handschriften herausgegeben von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (Horae Belgicae 10, 1854) S. 231 - 232, Nr. 115. 13 Man denke z. B. an das Relief mit Christus als Pilger im Kreuzgang von Moissac und an die Abbildungen der Emmausgänger in spätmittelalterlichen Landschaftsbildern und solchen der Frührenaissance. Jan van Herwaarden 82 <?page no="83"?> Abb. 3: Die Emmausgänger im Kreuzgang von Santo Domingo de Silos, ca. 1100. Lieder und Pilger 83 <?page no="84"?> 2. Die Frau mit dem Totenschädel und ‘ Das Lied von Hern Halewijn ’ Bevor ich mich weiter mit der inhaltlichen Seite der Jakobslieder beschäftige, möchte ich mich zunächst einem Thema widmen, das mich seit meiner Arbeit an der Übersetzung des Pilgerführers aus dem 12. Jahrhundert fesselt, nämlich dem der literarischen Konnotationen des Reliefs von der Frau mit dem Totenschädel im Schoß. Dieses Relief ziert das linke Seitenportal des südlichen Eingangs der Kathedrale von Santiago - des „ Portico de las Platerías “ ; das ist der Eingang, durch den ich selbst das erste Mal die Kathedrale betreten habe. Gerade der mittelniederländische Liederschatz bietet Anknüpfungspunkte für eine mögliche Interpretation der Bedeutung des Reliefs. „ Es darf auch nicht in Vergessenheit geraten, daß eine Frau neben der Versuchung des Herrn steht; sie hält in ihren Händen das stinkende Haupt ihres Versuchers, das von ihrem eigenen Ehemann abgeschlagen wurde; zweimal am Tag küßt sie jenes Haupt, von ihrem Mann dazu gezwungen. Oh welch ungeheure und bewundernswert gerechte Strafe für die ehebrecherische Frau; man sollte sie allen erzählen! “ , 14 so lautet in dem „ Reiseführer “ des 12. Jahrhunderts die Bemerkung zu dem Relief von der Frau mit dem Totenschädel im Schoß. Sie bezieht sich auf ein Fragment, das von anderer Stelle zu diesem Ort gebracht und neben der Szene von der Versuchung Jesu in der Wüste angebracht worden war. 15 Die Beschreibung des „ Reiseführers “ verweist auf eine zu dieser Zeit bekannte Überlieferung, die heute nicht mehr als solche zu finden ist. Die Thematik der Auslegung im „ Reiseführer “ ist als solche klar, aber es bleibt die Frage, ob die Skulptur tatsächlich nur innerhalb des vorgegebenen Kontextes verstanden werden muss. Bislang gibt es keine befriedigende Erklärung für die Abbildung, die als Widerpart gesehen werden kann zu der Madonna mit Kind oberhalb des rechten Eingangs: die Madonna als Mutter des Lebens gegenüber Eva als Mutter des Todes. Eventuell kann in dieser Frau auch eine Lilith gesehen werden, die nach der jüdischen Tradition ebenfalls als Mutter des Todes gilt. 16 14 Klaus Herbers , Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela (1986) S. 146 - 147. 15 Mt 4,1-11; Mk 1,12-13; Lk 4,1-13. 16 Abbildungen in Arthur Kingsley Porter , Romanesque sculpture of the pilgrimage roads (3 Bd.e, 1969 [Neudruck der Ausgabe in 10 Bänden, 1923]), Illustration Nr. 679 (Bd. II); Ole Naesgaard , Saint Jacques de Compostelle et les débuts de la grande sculpture vers 1100 (Publications de la Société archéologique du Jutland V, 1962) S. 75; vgl. 73: die Vorstellung enthält eine christianisierte Moral; Kingsley Porter , Romanesque sculpture I, S. 214: luxuria; vgl. Serafín Moralejo Alvarez , Saint Jacques de Compostelle. Les portails retrouvés de la cathédrale romane. In: Les dossiers d ’ archéologie XX (1977) S. 87 - 103. Ich selbst betrachte diese Abbildung als Gegenstück zu den Maria-mit-Kind-Vorstellungen: Die hier abgebildete Frau als Jan van Herwaarden 84 <?page no="85"?> Ein Totenschädel im Schoß oder in der Hand einer Frau verweist unabweislich auf die Vergänglichkeit körperlicher Schönheit oder auf ein schicksalhaftes und in jedem Fall im Bösen wurzelndes Thema, wie es wohl öfter dargestellt wird. Etwas weiter entfernt von dem erläuternden „ Reiseführer “ -Text sind einige biblische Assoziationen: Judith und Holofernes oder Salome und das Haupt Johannes ’ des Täufers, auch wenn es bei diesen nicht ausdrücklich um Totenschädel, sondern um gerade abgetrennte Köpfe geht. 17 Anhand der mittelniederländischen Literatur ist es möglich, die Abb. 4: Maria mit Kind - Mutter des Lebens. Santiago de Compostela, Südportal der Kathedrale. Abb. 5: Frau mit Schädel - Mutter des Todes. Santiago de Compostela, Südportal der Kathedrale. Mutter des Antichristen ist die Mutter des Todes, im Gegensatz zu Maria als Mutter Christi, die die Mutter des Lebens ist. Dies könnte auf die Lilith-Vorstellungen - das Nachtgespenst aus Jesaja 34,14 - aus der jüdischen (und arabischen) Tradition verweisen, derzufolge Lilith, nachdem sie als erste Frau Adams (vgl. Genesis 1,27) verstoßen worden war, allen Samen, der vergeudet wurde, aufschlürfte und fortwährend Dämonen gebar. Damit versinnbildlichte sie die Urmutter des Bösen, den Tod und, in übertragener Bedeutung, das Heidentum. Ihr gegenüber steht die Männin-Eva (vgl. Genesis 2,21-25), die Mutter des Lebens, in übertragener Bedeutung auch gesehen als die Kirche, im Gegensatz zu Lilith, dem Heidentum. 17 Judith 13: Tötung des Holofernes; Mt 14,1-12; Mk 6,14-29: Tötung Johannes ’ des Täufers. Lieder und Pilger 85 <?page no="86"?> Abbildung mit Texten in Verbindung zu bringen, die inhaltlich näher bei der Erläuterung des „ Reiseführers “ stehen als die biblischen Assoziationen. In dem „ Lied van Heer Halewijn “ ( „ Das Lied von Herrn Halewijn “ ) - letzterer wird mitunter mit Wotan identifiziert - wird nach der einen Fassung dessen Sohn, nach einer anderen Herr Halewijn selbst, nachdem er viele Jungfrauenschädel versammelt hat, schließlich das Opfer; in einer Variante, die in Brügge lokalisiert werden kann, erhält der Sohn den Namen Roland. 18 Dieser Roland verweist möglicherweise auf das Rolandslied, das über den „ Pseudo-Turpin “ aus dem „ Liber Sancti Jacobi “ mit Jakobus dem Älteren in Verbindung gebracht werden kann. In der verbreitetsten französischen Fassung des Halewijn-Liedes ist ein gewisser Renaud (Reinald) die Hauptperson, was ebenfalls mit den Chansons de geste in Verbindung gebracht werden kann. 19 Die Identifikation Halewijns mit Wotan macht aus dessen Sohn einen Göttersohn, was natürlich wieder eigene Assoziationen aufruft, die wiederum durch die Verwendung des Namens Roland akzentuiert werden. Der Ursprung des Halewijn-Liedes liegt im Dunkeln, wenn auch feststeht, dass die überlieferten Texte ziemlich jungen Datums sind. Der Umstand jedoch, dass das Lied nach der Melodie des Credo als Beschwörung des Bösen gesungen wird, berechtigt zu der Vermutung, dass seine Herkunft im frühen Mittelalter gesucht werden kann. Aufgrund des Inhalts lässt sich an keltische oder germanische Überlieferungen denken oder an mündliche fränkische Überlieferungen, von denen einige auch auf die Entwicklung der spanischen Jakobustradition Einfluss ausgeübt haben. 20 Es ist nicht so abwegig, in dieser Richtung zu suchen, wenn man die Bedeutung des Reliefs herausfinden möchte, was dann mit dem Hinweis auf Herrn Halewijn Hand und Fuß bekommt. Ein schöner Nebenumstand ist, dass in den beiden Versionen des „ Liedes von Herrn Halewijn “ eine Anspielung auf die vorhin genannten biblischen Parallelen gemacht wird. In der einen Fassung mit dem Sohn Halewijns als Opfer handelt es sich um eine Anspielung auf das Schicksal Johannes ’ des Täufers, in der anderen mit Herrn Halewijn selbst als leidendem Objekt erscheint Holofernes auf der 18 Van Duyse ( wie Anm. 4 ) , Het oude Nederlandsche lied I (1903) S. 1 - 15, Nr. 1. 19 Holger Olof Nygaard , The ballad of Heer Halewijn. Its forms and variations in Western Europe (FF Communications 169, 1958) S. 61: Roland; S. 200 - 255: „ The ballad in French “ ( „ Renaud le Tueur des femmes “ ); vgl. Johan Vanhecke , Het hoofd werd op de tafel gezet. Heer Halewijn in Vlaanderen en Nederland (2000) S. 26: Roland-Brügge. 20 Vanhecke , Het hoofd (wie Anm. 19) S. 88 - 109: Keltische und germanische Assoziationen; überdies verweist Vanhecke auf die Blaubart-Thematik: Beide Protagonisten, Blaubart und Halewin, wurden in der volkstümlichen Überlieferung miteinander verbunden und sogar gelegentlich miteinander identifiziert (Ebd., S. 83 - 87). Jan van Herwaarden 86 <?page no="87"?> Bildfläche. Als die Tochter mit dem Haupt des Sohnes des Herrn Halewijn nach Hause kam, war ihr Vater erfreut, . . . dat zy weder kwam. . . . dass sie zurück kam. Daer werd gehouden een banket, Da wurde ein Festessen gegeben, het hoofd werd op tafel gezet. der Kopf wurde auf den Tisch gestellt. In der anderen Version erzählt die Königstochter ihre Geschichte: „ Ik heb van ’ t leven hem beroofd, „ Ich habe ihm sein Leben geraubt, In mynen schoot heb ik zyn hoofd, In meinem Schoß habe ich sein Haupt, hy is als Holofernes gelooft “ er wird als Holofernes gelobt “ und etwas später wird über sie gesagt: Zy reed dan voort als Judith wys Sie ritt dann fort nach der Art der Judith zoo regt nae haer vaders paleis. auf direktem Weg zu dem Palast ihres Vaters. 21 Die Ballade von Halewijn hat bis heute in verschiedenen Varianten ihre Spuren in der niederländischen Folklore hinterlassen. Der Name Halewijn wird zuweilen ersetzt durch einen anderen Namen, je nach Region: Jan Alberts (Groningen), Heer Albert (Twente) oder Rollewijn (Limburg). Manchmal erhält auch die weibliche Hauptperson einen Namen: Odilia, die auch sonst, vor allem in westfälischen Versionen, erscheint. 22 Das Haupt im Schoß taucht auch in einem völlig anderen Kontext auf, nämlich in der makabren Ballade mit der Anfangszeile „ Dat alle berghen goude waren “ ( „ Wenn doch alle Berge gülden wären “ ) über eine Königstochter, deren Liebhaber, der sie mit einem Kind geschwängert hat, von ihrem Vater enthauptet wird: Hi nam het hoofje bi het haer, Er fasste das Haupt beim Haar, hi wierp het in haer schoot: er warf es in ihren Schoß: „ houdt daer, mijn joncste dochterken, „ behaltet es dort, mein jüngstes Töchterlein, beweent dees appel root “ . beweint diesen roten Apfel “ . 23 21 Vanhecke , Het hoofd (wie Anm. 19) S. 63 - 67; S. 66: Johannes der Täufer; S. 77 - 80: Judith und Holofernes. 22 Ate Doornbosch , Marie van Dijk , Henk Kuijer und Hermine Sterringa , Onder de groene linde. Verhalende liederen uit de mondelinge overlevering 1: Liederen met magische, religieuze en stichtelijke thematiek (1987) S. 76 - 96, Nr. 3: ‘ Heer Halewijn zong een liedekijn ’ ; Nygaard , Ballad (wie Anm. 19) S. 61 - 88: Namenverschiedenheit; S. 61: Halewin, Hilsinger, Gert Olbert, Roland, Markgraf, Ritter als Gauner; S. 62: Odilia, Helena, Louise, Schöne Anne, Königstochter statt des Mädchens; Frau Jutte statt der Mutter. 23 Van Duyse , Het oude Nederlandsche lied I (wie Anm. 4) S. 146 - 148, Nr. 23. Lieder und Pilger 87 <?page no="88"?> Obwohl nicht vor dem 17. Jahrhundert aufgezeichnet, stammt auch diese Ballade aus einer viel älteren Zeit. Im Grunde passt dieser Text sogar am besten zu der Vorstellung des Reliefs, auch wenn es sich hier wiederum um ein gerade abgeschlagenes Haupt handelt und nicht um einen Totenschädel. 24 Abb. 6: Rogier van der Weyden, Die Enthauptung des hl. Johannes des Täufers, 1457; Berlin, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie. 24 Gerrit Kalff , Het lied in de Middeleeuwen (1972 [unv. ND der Ausgabe Leiden 1884]) S. 169 - 172. Jan van Herwaarden 88 <?page no="89"?> 3. Das Wunder des Gehängten (Hühnerwunder) und das ‘ Liedeken van Sint Jacob ’ Abb. 7: Einblattdruck mit ‘ Galgen ’ bzw. Hühnerwunder, ca. 1460 (Schreiber Nr. 1506); Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum. Ein schönes Beispiel für das Eindringen von Jakobiana in die allgemeine Kultur ist das bereits genannte mittelniederländische Lied über den gehängten Pilger, der dank des heiligen Jakobus am Galgen am Leben bleibt. 25 Diese Wundergeschichte ist bei weitem die am meisten verbreitete Jakobuserzäh- 25 Es ist das 5. Mirakel des zweiten Buches im „ Codex Calixtinus “ (Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus, hg. von Klaus Herbers / Manuel Santos Noia , 1998, S. 164 f.); Text des Liedeken und Erörterung: Jan van Herwaarden , De verering voor Santiago de Compostela in de Nederlanden: een verkenning ’ , in: Pelgrims door de eeuwen heen, hg. von Jan van Herwaarden (1985) S. 221 - 257; 230 - 231; Ders ., Het ‘ Boek ’’ , in: Ebd. S. 79 - 81; Antwerps Liedboek (wie Anm. 1) I, S. 46 - 49; II, S. 83 - 86; Text in: Van Duyse , Het oude Nederlandsche Lied (wie Anm. 4) II, S. 906 - 909, Nr. 250 A, wo auch die Version aus Gent publiziert ist: S. 909 - 911, Nr. 250 B. Lieder und Pilger 89 <?page no="90"?> lung. 26 Die älteste Version findet sich, mit Toulouse als Ort der Handlung, im „ Liber Sancti Jacobi “ . Diese Fassung bildet den Ausgangspunkt für die Erzählungen im „ Speculum historiale “ und in der „ Legenda aurea “ (auch in deren mittelniederländischer Bearbeitung). In späteren Versionen wurde die Handlung in das am spanischen Camino gelegene Santo de Domingo de la Calzada verlegt, wie unter anderem in dem bereits zu Anfang erwähnten „ Liedeken van Sint Jacob “ . Zwei deutsche Pilger, Vater und Sohn, die laut Caesarius von Heisterbach aus Utrecht stammen, übernachten auf dem Weg nach Santiago in einer Herberge in Toulouse. Der Wirt, der auf ihr Geld aus ist, das ihm zufallen würde, wenn sie wegen Diebstahls verurteilt würden, versteckt nachts in einem Ranzen der Schlafenden einen silbernen Becher. Am nächsten Morgen entdeckt der Wirt den ‘ Diebstahl ’ und lässt das Reisegepäck der Pilger untersuchen, wobei der Becher aus dem Ranzen zum Vorschein kommt. Nach dem geltenden Recht verdient der Dieb die Todesstrafe und wird die Habe der beiden zugunsten des Geschädigten beschlagnahmt. Der Richter bestimmt, dass einer der beiden gehängt werden soll, und nach einem „ venerabile certamen clemencie “ (der Vater will für den Sohn, der Sohn für den Vater hängen) wird schließlich der Sohn gehängt. Der Vater reist weiter nach Santiago, von wo er nach 36 Tagen wieder nach Toulouse zurückkehrt, voll Trauer über den gehängten Sohn. Aber siehe da, der Sohn lebt noch und behauptet, sich nie angenehmer ( „ suavius “ ) gefühlt zu haben, weil der heilige Jakobus ihn mit seiner alles umfassenden Fürsorge ( „ omnimoda dulcedine “ ) in seine Obhut genommen hat. Als der Vater das hört, rennt er in die Stadt und erzählt allen von dem Wunder. Die Menschen erkennen, dass der Sohn wegen der unstillbaren Geldgier des Wirts verurteilt worden ist; der Junge wird aus seiner bedrängten Lage befreit, der Wirt ohne Umschweife gehängt. Der Text des „ Liedeken “ zeigt, wie diese Version weiter ausgeschmückt wird. Hier ist es vor allem die Tochter des Wirts, die als Motor der Handlung fungiert: und zwar als böse Frau. Weil der Pilgervater ihr erklärt hat, dass 26 Klaus Herbers , The miracles of Saint James, in: The Codex Calixtinus and the shrine of St. James, hg. von John Williams / Alison Stones (Jakobus-Studien 3, 1992) S. 11 - 35; insb. S. 12 und Anm. 4, S. 21 und Anm. 67, S. 28; vgl. zu diesem Mirakel vor allem Robert Plötz , „ der hunlr hinder den altar saltu nicht vergessen “ . Zur Motivgeschichte eines Flügelaltars der Kempener Propsteikirche, in: Epitaph für Gregor Hoevelmann. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins (1987) S. 119 - 170; Baudouin de Gaiffier , Un thème hagiographique: le pendu miraculeusement sauvé ’ , in: Ders ., Études critiques d ’ hagiographie et d ’ iconologie (Subsidia hagiographica 43, 1967) S. 194 - 226; insbesondere S. 208 - 215 (und S. 226): „ S. Jacques “ (mit Ergänzungen: „ Liberatus a suspendio “ , ebd. S. 227 - 232); und Marco Piccat , Il miracolo jacopeo del pellegrino impiccato: riscontri tra narrazione e figurazione, in: Il pellegrinaggio a Santiago de Compostela e la letteratura jacopea, hg. von Giovanna Scalia (1985) S. 287 - 310; vgl. van Herwaarden (wie Anm. 2), S. 424: Vater und Sohn stammen aus Utrecht. Jan van Herwaarden 90 <?page no="91"?> sein Sohn mit ihm nach Santiago reisen und nicht ihren Reizen erliegen würde, steckt sie nachts eine vergoldete Trinkschale in den Ranzen des Vaters, worauf die Richter den Sohn auf dessen Bitte hin aufhängen lassen. Eine weitere Abänderung besteht in dem Auftreten Marias, die zusammen mit Jakobus dem Gehängten beisteht. Auch der Ablauf der Geschichte wird wesentlich modifiziert: Nachdem der nach Santo Domingo de la Calzada zurückgekehrte Vater sieht, dass sein Sohn noch lebt, rennt er zur Herberge, wo der Wirt gerade dabei ist, drei Hühner am Spieß zu braten. Erregt erzählt der Vater von dem Wunder, worauf der Wirt antwortet, dass die Geschichte so wahr sei wie seine Hühner noch lebten. Sofort fliegen die Hühner zum Haus von Sankt Dominikus, wo alle Brüder versammelt sind. Von hier aus geht man in einer Prozession zum Gericht, befreit dort den Gefangenen, hängt den Wirt und begräbt dessen Tochter bei lebendigem Leibe: „ Sie hatte es wohl verdient! “ In anderen, nicht-niederländischen Versionen handelt es sich um ein Ehepaar mit seinem Sohn und um die Tochter oder Magd des Wirts als Gegenspielerin und ist es der Richter, der die Hühner - einen Hahn und eine Henne, die man bis heute in Santo Domingo de la Calzada sehen kann - auf den Bratspieß steckt. Hermann von Fritzlar, ein Deutscher, der vermutlich nicht dem geistlichen Stand angehörte, ließ um 1345 eine Reihe von Heiligenviten zusammenstellen, in denen die betreffenden Pilger aus Böhmen kommen und das Wunder in Belorado stattfindet, etwa sechs Kilometer von Santo Domingo de la Calzado entfernt. Nachdem sein Sohn so ungerecht behandelt worden ist, verflucht der Vater den heiligen Jakobus und droht sogar damit, alle Compostelafahrer von ihrer Reise abzuschrecken. Am Ende dieser Version fliegen die bei dem Richter wieder lebendig gewordenen Hühner von Belorado nach Santo Domingo de la Calzada. 27 In der niederländischen Folklore hat dieses „ Liedeken van Sint Jakob “ bis heute seine Spuren hinterlassen. Und zwar geht es dann nicht um die Jakobsverehrung - die ist sogar völlig abwesend - , sondern um das Thema des unschuldig Gehenkten, mit Bezug auf eine Herberge oder auch nicht und mit der ausgleichenden Gerechtigkeit als Schluss: die grausame Hinrichtung des wahren Schuldigen. Auch hierbei handelt es sich um einen Vorrat an Texten, die zwar in etwa den gleichen Inhalt haben, sich aber je nach der Region, in der sie bewahrt wurden, unterscheiden. „ In Frankrijk buiten de poorten “ ( „ In Frankreich außerhalb des Tores “ ) bildet den allgemeinen Nenner, unter dem die diversen Varianten mit der Ortsbestimmung der Herberge aufgeführt sind. Ausgehend von dem allgemeinen „ En al over die groenelandse heide “ ( „ Und schon über die grüne Heide “ ) und 27 Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts, hg. von Franz Pfeiffer I (1845) S. 168; vgl. Diederik Th. Enklaar , Studiën over het Antwerpsche Liedboek. I. Het Liedeken van Sint Jacob, in: Tijdschrift voor Nederlandse Taalen Letterkunde 72 (1943) S. 185 - 197. Lieder und Pilger 91 <?page no="92"?> „ Daar buiten in die velden “ ( „ Da draußen im Felde “ ) ist es ein kleiner Schritt zu dem spezifischen „ In Veendam / Hattem / Veenwouden daar staat een herberg “ ( „ In Veendam / Hattem / Veenwouden da steht eine Herberge “ ) oder bis Franeker - in deutschen Aufzeichnungen Frankfurt - als Ortsbestimmung des Hängens und der schließlichen Rechtsfindung. 28 4. Ein Loblied auf die Reliquien in der Kathedrale von Santiago de Compostela Bei diesem Text handelt es sich um die in Versform gebrachte Fassung eines französischen Prosatextes über den Reliquienschatz von Compostela, der selbst ursprünglich vermutlich Teil eines Pilgerführers war. Der Text ist in zwei Dünkirchener Liederbüchern von 1717 bzw. 1737 überliefert. In der Auflistung der Reliquien folgt auf die Reliquie von Jakobus selbst das Haupt von Jakobus dem Jüngeren - „ met goudt gekroont / Dat God was seer gelycke “ ( „ Mit Gold gekrönt, was Gott sehr ähnlich sah “ ) - , des ersten Bischofs von Jerusalem. Aus diesem Haupt war einst ein Zahn geraubt worden, der aber auf wunderbare Weise zurückkehrte; nach dem französischen Text zusammen mit einer Reihe anderer Reliquien desselben Heiligen. Das Haupt des Jakobus war im Jahre 1116 in die Kathedrale von Compostela gelangt; es handelt sich um eine Reliquie, die einige Zeit zuvor durch den Erzbischof von Braga von Jerusalem in den Westen mitgenommen worden war. Der Tradition zufolge war der Leichnam des Jacobus Maior mit dem abgeschlagenen Haupt zu dieser Zeit nach Nordwestspanien gebracht worden: Die Worte „ integrum corpus cum capite “ wurden mit Nachdruck in die Erzählung über die Translation im ersten Kapitel der Handschrift der „ Historia Compostellana “ aufgenommen, und im „ Liber Sancti Jacobi “ verständigt man sich darauf, dass der Heilige sofort nach seiner Enthauptung den Kopf in seinen Armen aufgefangen habe. Die neue Reliquie konnte daher mit Sicherheit nicht das Haupt des Älteren, sondern musste dasjenige des Jüngeren sein. 29 28 Doornbosch , Onder de groene linde (wie Anm. 22) S. 211 - 225, Nr. 21; vgl. Jaap Kunst , Terschellinger volksleven. Gebruiken, feesten, liederen, dansen (3. Aufl. 1951) S. 150 - 154, Nr. 37: „ Daar buiten in die velden “ . Vgl. zum Mechanismus derartiger Verbreitung: Louis Peter Grijp , Onder de altijd groene linde. Over orale principes in Middelnederlandse liederen, in: De fiere nachtegaal. Het Nederlandse lied in de Middeleeuwen, hg. von Louis Peter Grijp / Frank Willaert (2008) S. 311 - 329. 29 In diesem Zusammenhang wird auch wohl verwiesen auf noch eine andere Möglichkeit: Jacobus Intercisus; siehe Historia Compostellana, hg. von Emma Falque Rey (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis LXX, 1988) S. 7: Translation des Jakobus (I.1); S. 195 - 197: die neue Reliquie des Jacobus Minor (I.112); Pierre David , Études historiques sur la Galice et le Portugal du VIe au XIIe siècle (1947) S. 473 - 479; Jan van Herwaarden 92 <?page no="93"?> Es folgen darauf ein Partikel des heiligen Kreuzes, ein Dorn aus der Dornenkrone und Milch der Heiligen Jungfrau, welche in ihrer Skulptur untergebracht wurde, was diese selbst wiederum zu einem Wallfahrtsziel machte. 30 In der Auflistung der Reliquien weicht der übersetzte Text stark von dem französischen Original ab, in dem viel mehr Heilige aufgelistet werden. Beide Texte machen deutlich, dass der Reliquienschatz in Compostela viel mehr umfasste als nur die dort gewähnten Gebeine des Jacobus Maior. 31 5. „ Een nieuw liedeken van de verkeerde pelgrimagie “ ( „ Ein neues Lied von der verkehrten Pilgerfahrt “ ) 32 Abb. 8: Monogrammist H. S. R (Elsaß/ Basel), Allegorie auf das Versagen während der Pilgerschaft des Lebens ( „ Verkehrte Pilgerfahrt des Lebens “ ). Berlin, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Bode Museum, Inv.-Nr. 7054. vgl. Ludwig Vones , Die ‘ Historia Compostellana ’ und die Kirchenpolitik des nordwestspanischen Raumes 1070 - 1130 (1980) S. 261 - 263; Jakobus, der sein eigenes Haupt auffängt: Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus (wie Anm. 25) S. 63: I.9 (f. 52 v): „ Et non cecidit caput eius ad terram, sed beatus Apostolus,[. . .], accepit in brachiis suis, que ad celum elevaverat et sic permansit, genibus flexis et caput tenens in ulnis “ . 30 Diese Reliquien sind ebenfalls mit dem Heiligen Land verbunden und können auch aus dem Bestand des Erzbischofs von Braga stammen; von einer Kreuzreliquie ist sicher, dass sie nach Cluny gelangt ist, Vones , Die ‘ Historia Compostellana ’ (wie Anm. 29) S. 261. 31 Stalpaert , Pelgrimage (wie Anm. 1), S. 274 - 276; die übrigen Reliquien: Matthäus, ein Lamm Gottes, St. Jenevier (? - einem niederländischen Text zufolge eine spanische Märtyrerin), St. Briccius (Tours), Caecilia, Victor (Marseille), Julianus und Vincentius; im französischen Text werden viel mehr Reliquien genannt. 32 Stalpaert , Pelgrimage (wie Anm. 1) S. 278 - 279. Lieder und Pilger 93 <?page no="94"?> Dieses Lied ist deutlich auf Wallfahrten nach Santiago bezogen, hat aber einen allgemeinen Tenor, nämlich den, dass es herrlich sei, unterwegs gut zu essen und zu trinken. In dem lateinischen „ Gids voor de Pelgrim “ ( „ Pilgerreiseführer “ ) aus dem 12. Jahrhundert ist zu lesen, wie der Pilger sich vor allem und jedem hüten müsse, aber es wird ihm nicht vorgeschrieben, dass er den Wein stehenlassen müsse - im Gegenteil. Der Pilger wird zwar nicht zu unmäßigem Trinken angehalten, wohl aber auf die Qualität des Weins unterwegs hingewiesen. Bis zur letzten Strophe dieses Liedes wird ein Loblied gesungen auf das Trinken aus Krügen und Gläsern. Sorglosigkeit ist Trumpf: Hadden wij op S. Jacobs reysen den dis ghedeckt Gheen pelgrim sou op teirghelt peysen als hij vertreckt. Waer het in Gallicien soo als hier ons quaetste daeghen Wij en souden geen callebas oft mael behoren me te draeghen. Hätten wir auf St.-Jakobs-Pilgerfahrten den Tisch gedeckt, Kein Pilger würde über das Verzehrgelt nachdenken, wenn er aufbricht. Wäre es in Galizien so wie hier an unseren schlechtesten Tagen, Wir bräuchten nicht Kallebasse oder Essen mitzutragen. Das Lied ist verzeichnet als eines über die „ Verkehrte Pilgerfahrt “ , also über das Gegenteil dessen, was ein guter Pilger zu tun hat. Aus dem Text selbst ist diese Tendenz kaum auszumachen. So etwas wie Ermüdung unterwegs ist hinfällig: „ die langhe wech maeckt moeye pagie / maer wijn ververst “ ( „ der lange Weg schafft müde Diener / aber Wein erfrischt “ ), zumal wenn er spendiert wird. Gerade in solchen Sätzen liegt jedoch der Schlüssel zu einem tieferen Sinn verborgen. Derjenige, dem bewusst ist, mit welchem Ernst eine Wallfahrt in Angriff genommen werden muss, begreift, dass es sich hierbei um ein Pastiche handelt. Die Worte lassen uns aber eher an die Freuden unterwegs denken als an die rechte Art und Weise der Pilgerschaft. 6. Das Erntelied an Sankt Jakob von Cornelis Loots (1817) Das Erntelied an Sankt Jakob, das der protestantische Dichter Cornelis Loots 1817 schrieb und das im Oktober desselben Jahres von dem damals berühmten, aus Mennonitenkreisen stammenden Schauspieler Coenraad van Hulst (1774 - 1844) im ‘ Holländischen Schauspielhaus ’ ( ‘ Hollandsche Schouwburg ’ ) zu Amsterdam vorgetragen wurde, steht ganz im Zeichen der Ernte und hat nichts zu tun mit der spezifischen nordwestspanischen Jakobusverehrung. In dem Gedicht scheint der jährliche Festtag des Heiligen, der 25. Juli, der Tag zu sein, an dem wirklich mit der Ernte begonnen werden muss: Jan van Herwaarden 94 <?page no="95"?> Sint Jacob reikt ons, blij te moê, Sankt Jakob reicht uns, frohgemut, Den overrijpen graanhalm toe, Den überreifen Getreidehalm dar, Als weldaad uit de hoogen. Als Wohltat aus der Höhe. Op Landvolk! op, ’ t is meer dan tijd, Auf, Landvolk! Auf, es ist höchste Zeit, Dat gij de zwellende aren snijdt, Dass ihr die schwellenden Ähren schneidet, Van zwaarte neêrgebogen. Von Schwere zu Boden geneigt. In der elften und zwölften Strophe wird der Heilige gegen den großen Feind der Ernte angerufen, das sommerliche Gewitter, das durch seine alles platt zu Boden drückenden Regenböen und Hagelschauer eine große Gefahr für die reifen Ähren bildet. In der dreizehnten und letzten Strophe wird Jakobus zu Hilfe gerufen nach dem Regen an Sankt Margareta (20. Juli); darüber hinaus spielt der Dichter auf die klassische Göttin Ceres an, von der Jakobus im Grunde die verchristlichte Erscheinungsform ist: Sint Jacob! Die in onzen tijd, Sankt Jakob! Der Ihr in unserer Zeit U Ceres eerdienst ziet gewijd, Dem Ehrendienst der Ceres geweiht seid, Wil ons in gunst bejeegnen; Wollt uns in Gunst begegnen; Stroomt Margarethe in regens neêr, Strömt Margareta in Regen hernieder, Brengt gij den glans der zon ons weêr. Bringt Ihr den Glanz der Sonne uns wieder. Wil voorspoed op ons reegnen! Möge Glück und Wohlstand auf uns regnen! Das Gedicht, das mit einer lateinischen Übersetzung von Ecco Epkema (1759 - 1832) als eine Art Flugschrift die Runde machte, nimmt auf der friesischen Webseite Pylgeralmanak am 25. Juli einen prominenten Platz ein und wird ausdrücklich mit der Jakobuswallfahrt in Verbindung gebracht. Im selben Abschnitt wird die Aufmerksamkeit auf Franeker als „ It Fryske Santiago “ ( „ das friesische Santiago “ ) gerichtet, und an anderer Stelle auf der Seite kommt der Ort „ Sint Jacobiparochie “ wiederholt als Start- und Zielpunkt einer Fahrt nach Santiago de Compostela vor. Auf einer weiteren friesischen Webseite, die gänzlich dem Jakobusweg gewidmet ist, kommt die Sint Jacobiparochie natürlich auch vor; außerdem wird dort der Jakobusverehrung in Franeker ein besonderer Platz eingeräumt. 33 33 www.pylgeralmanak.nl; www.jabikspaad.nl. Lieder und Pilger 95 <?page no="96"?> 7. Sint Jacobiparochie, Franeker und Santiago Das Toponym „ Sint Jacobiparochie “ stammt aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts und kommt als „ S Iacob “ auf der Karte der Niederlande vor, die 1550 in die „ Cosmographia “ des Sebastian Münster aufgenommen wurde. 34 Die Pfarrgemeinde wurde kurz zuvor im Rahmen der Einpolderung der Deichvorlande gegründet, bei der auch Sint Annaparochie und Onze Lieve Vrouweparochie entstanden, die übrigens nicht auf der erwähnten Karte vorkommen. Als diese Pfarrgemeinden gegründet wurden, erfuhr die Annenverehrung in der abendländisch-christlichen Welt ihren Höhepunkt, während die Marienverehrung eine konstante Größe war. 35 In der Dreiheit wirft der Name „ Sint Jacobiparochie “ Fragen auf, denn was hat Jakobus mit Anna und Maria zu tun, außer dass er einer der Apostel von Marias Sohn gewesen ist? Die Namengebung kann in Verbindung gebracht werden mit dem Namen der Frau eines der ersten Männer, die das Gebiet kultiviert haben, aber selbst dann ist die Ableitung von Jacobus Maior nicht so wahrscheinlich. Die Namengebung kann nämlich besser verstanden werden, wenn man weiß, dass Jacobus Maior nach einer spätmittelalterlichen Tradition als der Sohn von Maria Salome angesehen wird, einer Tochter Annas aus einer der drei Ehen, die Anna zugeschrieben werden (Maria Salome war also eine Halbschwester Marias): Auf diese Weise sind Großmutter, Mutter und Enkel in den Pfarrgemeindenamen „ benannt “ . 36 Es geht natürlich etwas weit, „ Sint Jacobiparochie “ als Startpunkt eines jahrhundertealten Wegs nach Santiago de Compostela anzusehen, auch wenn es jedem freisteht, seine Fantasie spielen zu lassen. Auf der Webseite des „ Jabikspaad “ ( „ Jakobusweg “ ) wird nämlich erwähnt, dass diese Route inspiriert wurde von der Geschichte des ersten Büßers, der aus Friesland zur Wallfahrt in das Heilige Land geschickt wurde. Friedrich von Hallem, der erste Abt der Norbertinerabtei Mariëngaarde, verwies um 1170 einen gewissen Asego - der sich durch ein gehöriges Maß an Hochmut und Gewalt versündigt hatte, aber zur Einkehr kam, als seine 34 Sebastian Münster, Cosmographei (Basel 1550 [anast. Neuauflage 1987]) S. 624 [DCXXIIIJ]. 35 Ton Brandenbarg , Heilig familieleven. Verspreiding en waardering van de historie van Sint-Anna in de stedelijke cultuur in de Nederlanden en het Rijnland aan het begin van de moderne tijd (15 e/ 16 e eeuw) (1990); Angelika Dörfler-Dierken , Die Verehrung der heiligen Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit (1992). 36 Beda Kleinschmidt , Die Heilige Anna: ihre Verehrung in Geschichte, Kunst und Volkstum. Forschungen zur Volkskunde Heft 1 - 3 (1930); Werner Esser , Die heilige Sippe. Studien zu einem spätmittelalterlichen Bildthema in Deutschland und den Niederlanden (1986). Jan van Herwaarden 96 <?page no="97"?> Frau im Kindbett gestorben war - auf eine Wallfahrt in das Heilige Land in der Hoffnung, dass er als friedfertiger Mensch zurückkehren würde. Auf dem Rückweg, aber n i c h t aufgrund seiner Verurteilung (! ), wollte er über Santiago reisen, ist aber unterwegs dorthin verstorben. 37 Es geht etwas weit, gerade diesen Vorfall als alten „ Beweis “ für friesische Wallfahrten nach Santiago anzuführen, geschweige denn ihn mit dem Toponym „ Sint Jacobiparochie “ in Verbindung zu bringen, das damals genauso wenig bestand wie die Gemeinde Het Bildt, in der Sint Jacobiparochie liegt: zu jener Zeit gab es dort nur Wasser. Abb. 9: Sebastian Münster, Cosmographie, Druck Basel 1550, Bl. DCXXIIIJ, Ausschnitt. Aber gut, die Fantasie ist im Laufe der Geschichte der Jakobusverehrung schon häufiger an der Macht gewesen, also kann dies auch noch dazu kommen. Ernster wird es, wenn aufgrund von indirekten Hinweisen suggeriert wird, dass Franeker eine Sankt-Jakobus-Stadt gewesen sei. Erstens ist die Kirche am Ort dem heiligen Martin geweiht, und zweitens gab es, soweit ich weiß, in der Kirche keinen Jakobusaltar. Wohl gab es eine Jakobusskulptur, was aber nicht viel heißt und sicherlich nicht auf eine besondere Jakobusverehrung weist. Schließlich wird auf eine Variante des berühmten „ Liedeken van Sint Jacob “ verwiesen, das vorhin schon erwähnt wurde. Es wurde bemerkt, dass in einer der Versionen Franeker zum Ort der Handlung gemacht wurde. Es sind dies weit hergeholte Konstruktionen, die keinen Bezug zur Wirklichkeit haben und in das Reich der Fabeln verwiesen werden müssen. 37 Jan van Herwaarden , Opgelegde bedevaarten (1978) S. 36 - 37, mit Verweis auf die „ Gesta abbatum orti sanctae Mariae [. . .] “ , hg. von Aem.W. Wybrands (1879) S. 34 - 37; vgl. Bram van Wees / Joukje Eringa / Han Lasance / Jos Peters , Jacobswegen in Nederland. Te voet naar Santiago de Compostela 2 (2012) S. 14 - 15. Lieder und Pilger 97 <?page no="98"?> Es wird jedoch noch ein Beweis aus dem großen Hut gezaubert: eine waschechte Urkunde, die als Beweis für die Jakobusverehrung in Franeker angesehen wird: „ it Fryske Santiago “ ( „ das friesische Santiago “ )! Was aber ist der Fall? Bei der betreffenden Urkunde handelt es sich um ein „ Vidimus “ , also um eine beglaubigte Abschrift, die mit einem verkehrten Datum versehen wurde (ein nicht völlig unbegreiflicher Fehler eines Kopisten), in dem die Regierung von Westergo für dreißig Jahre denjenigen freies Geleit zusichert, die einen Ablass in der Sankt-Martins-Kirche von Franeker erwerben wollen. 38 Es handelt sich dabei um einen Ablass, der auf Geheiß von Papst Sixtus IV. (1471 - 1484) in der St.-Martins-Kirche in Franeker zu erhalten war, was zu der Zeit keine Seltenheit war; im Gegenteil: Erasmus und Luther und die ihren haben nicht ohne Grund so heftig gegen diese Praktiken agiert. Hatte der Ablass etwas zu tun mit der Jakobusverehrung? Nein. Es handelte sich möglicherweise - der erhalten gebliebene Text lässt keine sicheren Aussagen zu - um einen Jubelablass, den kurz nach Ablauf eines Jubeljahres (in diesem Fall 1475) zu erhalten häufig jenen ermöglicht wurde, die nicht in der Lage gewesen waren, nach Rom zu reisen; spezielle päpstliche Kommissare wurden ausgesandt, um die dazugehörigen Gelder einzuziehen. 39 Der einzige Jakobusbezug betrifft die Periode, innerhalb derer der Ablass erworben werden konnte, nämlich zwischen den Vesperfeiern von Jakobusabend (24. Juli) und denen des Jakobustages am 25. Juli; außerdem konnte derselbe Ablass noch am 15. Tag danach, also am 9. August, erworben werden. Von dieser speziellen Ablassgewährung durch Sixtus IV. habe ich bisher kein originales Stück finden können, so dass dieses „ Vidimus “ die einzige sichere Referenz bietet. Sankt Jakobus scheint nicht viel mehr als eine Zeitbestimmung zu sein, was darauf hinweist, dass der Festtag von Jakobus ein allgemein geläufiger Festtag war, wie auch aus dem Erntegedicht deutlich geworden ist. Jedenfalls geht es nicht an, aufgrund dieses „ Beweisstückes “ Franeker eine besondere Jakobusbedeutung anzudichten, wie es in einer unlängst erschienenen Wegbeschreibung der Fall ist. 40 38 Pieter Sipma , Oudfriesche oorkonden 2 (1933) S. 91 - 92, Nr. 69; vgl. Jacobsstaf 11 (1991) S. 101 - 105; 28 (1995) S. 134 - 137. 39 Jan van Herwaarden , Medieval indulgences and devotional life in the Netherlands, in: Ders ., Between Saint James and Erasmus (wie Anm. 2) S. 86 - 122; insbesondere S. 101 - 110: „ Roman indulgences and the Netherlands “ . 40 Van Wees et al., Jacobswegen (wie Anm. 37) 2, S. 13 - 14: Jacobsstad Franeker; vgl. auch die ‘ Kodifikation ’ dieses Unsinns bei Harm Oldenhof , s. v. ‘ Franeker ’ in: Peter Jan Margry / Charles Caspers (Red.), Bedevaartplaatsen in Nederland 1: Noorden Midden-Nederland (1997) S. 363 - 364. Jan van Herwaarden 98 <?page no="99"?> 8. Schlussbemerkung Wohin eine Betrachtung der niederländischen Jakobusgedichte nicht überall führt! Gedichte und Lieder haben immer einen Referenzrahmen, ob er nun die Fantasie oder die Wirklichkeit betrifft. In der Jakobusüberlieferung nehmen Lieder und Gedichte einen besonderen Platz ein, erst recht in der Erlebniswelt des Pilgers selbst. Schon im „ Codex Calixtinus “ sind Beispiele von Pilgerliedern zu finden, und auch von den Niederlanden aus werden viele Pilger ihren Weg singend zurückgelegt haben. Leider sind davon nur wenige Texte erhalten geblieben, eigentlich nur das „ Liedeken van Sint Jacob “ , aber es gab mit Sicherheit mehr Texte. Dass die Lieder auch außerhalb des Pilgerwesens ihren Weg in die Vorstellungswelt gefunden haben, erweist sich allein schon aus den Varianten auf das „ Liedeken van Sint Jacob “ . Es ist auffällig, dass eine ziemlich große Anzahl von erhaltenen Texten in mennonitischen Liedersammlungen zu finden sind. Angesichts der großen Aversion der Mennoniten gerade gegen diese Art papistischer Glaubensäußerungen wie der Heiligenverehrung ist das ein bemerkenswerter Umstand. Schließlich scheinen aufgrund dieser Art von Liedern wieder ganz neue Wirklichkeiten zu entstehen, die jedoch der Kritik von Historikern nicht standhalten können. So ist Franeker ein entzückendes Kleinod, aber kein friesisches Santiago. Resumen: Canciones y peregrinos: consideraciones mediante la antología de canciones neerlandés medio El autor comprueba en su artículo, que la „ Liedeken van Sint Jacob “ del cancionero de Amberes es la única canción jacobea „ auténtica “ en la literatura neerlandés medio. De otras posibles canciones jacobeas se conserva solamente las primeras líneas. La mala situación de la tradición se debe por un lado a que en el camino de Santiago se cantó principalmente canciones franceses y por otro lado a la Reforma que impedía la transmisión de otras canciones. Las canciones conservadas que adaptan o a la melodía de la canción jacobea o a las líneas primeras de otras canciones de este Santo, ya no tematizan las peregrinaciones a Santiago. A continuación el autor presenta más canciones, que no obstante tienen una relación con el culto de Santiago y con la ciudad Santiago de Compostela. La „ Lied van Heer Halewijn “ sirve como base de la interpretación por el relieve de la mujer con la calavera encima del portal meridional de la catedral de Compostela. Los textos transmitidos son más modernos pero se deben a la tradición pagana de la Alta Edad Media. También la leyenda del milagro de los pollos, que era transmitido por primera vez en el „ Liber sancti Jacobi “ , tiene su eco en la composición de canciones neerlandés medio como en el „ Liedeken van Sint Jacob “ . En esta la leyenda está más adornada y lleva a más adaptaciones. La mayoría de las veces esas se limitan solo al tema del inocentemente ahorcado. Lieder und Pilger 99 <?page no="100"?> Una lista de las reliquias de los cancioneros de Dürnkirchen de los años 1717 y 1737 se remite a un texto en prosa francés más antiguo. En esto se menciona algunas reliquias de Compostela. „ Een nieuw liedeken van de verkeerde pelgrimagie “ habla del gozo del vino durante la peregrinación y enseña en vez de manera correcta de peregrinar, la manera errónea de la romería. Esa canción se refiere obviamente a las peregrinaciones a Santiago de Compostela. La canción de la cosecha en el día de Santiago del poeta protestante Cornelis Loots (1817) implantó la fecha de la recolección al día del Santo y pidió auxilio a Santiago contra los temporales. Aún hoy en día se interrelaciona esa canción y la romería de Santiago, igual que los lugares neerlandeses Sint Jacobiparochie y Franeker. Una verdadera referencia a Santiago de Compostela no se puede constatar en esos casos.Aunque solamente la „ Liedeken van Sint Jacob “ perdura, hay que partir de que existieron más canciones y que esas eran incluidas en la imaginación, también fuera del tema peregrino. Jan van Herwaarden 100 <?page no="101"?> Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr. Spanienzug und Santiagobesuch Philipps des Schönen von Habsburg (1506) in einem Lied des Peter Frey, im ‚ Weißkunig ‘ Kaiser Maximilians und in zwei niederländischen Historienliedern. Mit einer Neuedition von Freys Lied Volker Honemann I Über Musik im Zusammenhang mit der Verehrung des heiligen Jakobus des Älteren und besonders mit der Wallfahrt nach Santiago de Compostela ist in den vergangenen Jahrzehnten viel gearbeitet worden. Wer die großen Handbücher der Musikwissenschaft, wie etwa die ‚ Musik in Geschichte und Gegenwart ‘ aufschlägt, 1 wird mit reichen Informationen sowohl zur Jakobusliturgie als auch zu Liedern verschiedenster Art, von denen etliche wohl auch entlang des Weges gesungen wurden, insbesondere aber auch zur Musik im - glücklicherweise inzwischen wieder aufgefundenen - Codex Calixtinus, dem Grundbuch der Jakobusverehrung, belohnt. Viele liturgische Texte sind inzwischen in großen Editionen zugänglich. Die meisten deutschen Pilgerlieder wurden in den großen ‚ Volkslied ‘ -Editionen, etwa von Ludwig Uhland und im bekannten ‚ Liederhort ‘ von Erk-Böhme mit ihren Melodien oft mehrfach herausgegeben. 2 Daneben stehen Aufsätze, wie 1 Maricarmen Gómez (Übers.: Sabrina Quintero), Santiago de Compostela, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), 2. neubearb. Aufl., hg. von Ludwig Finscher , Sachteil 8 (1998) Sp. 986 - 989; ebd. Calixtinus, Codex, Sachteil 2 (1995) Sp. 330 - 333. 2 Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, hg. von Ludwig Uhland 2 (o. J. [1845]) S. 147 - 153; Deutscher Liederhort, 3 Bde., hg. von Ludwig Erk / Franz M. Böhme ( 1893 - 1894), hier 3, S. 780 - 783. - Ein mittelniederländisches Jakobuslied ( „ Ic groetu, Jacob, helich sant “ ) bei Franz Josef Mone , Lateinische Hymnen des Mittelalters. 3 Bde. (1853 - 1855), hier 3, S. 110. Ein Lied mittelalterlicher Tradition ( „ Wer da will auf St. Jakob gohn “ ) in: Deutsche Volkslieder, hg. von Rolf Wilhelm Brednich / Lutz <?page no="102"?> etwa die Skizze von José López Calo S. J. im ‚ Compostellanum ‘ von 1965, die Arbeit von Ilse Baltzer zur „ Musik am Pilgerweg nach Santiago de Compostela “ , oder, für uns Deutsche besonders einschlägig, die Überblicksdarstellung des Volkskundlers Dietz-Rüdiger Moser ‚ Die Pilgerlieder der Wallfahrt nach Santiago ‘ von 1984, die im wesentlichen noch immer den Stand der Forschung repräsentiert. 3 Ungeachtet dessen gibt es unter den deutschen Jakobusliedern noch immer Stücke, auf die das Licht der Forschung bisher kaum oder gar nicht gefallen ist, vor allem dann, wenn man den Begriff des ‚ Jakobsliedes ‘ auf Lieder ausdehnt, die nicht ausschließlich auf die Wallfahrt „ ad limina sancti Jacobi “ bezogen sind, sondern in denen der heilige Jakobus nur eine gewisse oder wichtige Rolle spielt. Eines davon, das von einem nicht näher zu identifizierenden Peter Frey stammt, will ich im folgenden vorstellen. II Dem Titel zufolge handelt das Lied von einem „ iungen Printzen “ , der auf dem Meer und durch viele Lande nach Santiago de Compostela gezogen und in Burgos gestorben sei; darüber hinaus will es berichten, wo sein Herz und sein Schädel bestattet seien - eine überraschende Schlußbemerkung des Titels. Im folgenden drucke ich zunächst dessen Text ab, wobei ich nicht der stark normalisierenden Wiedergabe des Erst-Editors Liliencron folge, sondern direkt dem Augsburger Druck, der Hans Froschauer zugeschrieben wird und der auch Liliencron vorlag; er entstand sicher bald nach den zugrundeliegenden Ereignissen, also wohl 1507. Er gibt zwar an, daß er „ in des Speten thon “ zu singen sei, fügt aber (der Bekanntheit dieses Tons wegen) keine Melodie bei und bewahrt auch nicht die Strophenstruktur, sondern teilt den Text in unterschiedlich lange Abschnitte auf, die durch Kapitulum-Zeichen ( ₡ ) zusätzlich markiert sind. Des weiteren druckt er, bei Röhrich I (1965) S. 303 f., ein weiteres: „ Aber wellen wir heben an “ bei G. Tobler , Lied von der Wunderthat des heiligen Jakob ‘ , in: Anzeiger für schweizerische Geschichte N. F. 7, Jg. 26 (1895) S. 169 f. - Eine systematische Zusammenstellung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Jakobslieder fehlt. 3 José López-Calo S. J., La musica en las Pregrinaciones Jacobeas medievales, in: Compostellanum 10 (1965) S. 465 - 484; Ilse Baltzer , Musik am Pilgerweg nach Santiago de Compostela, in: Der Jakobuskult in Süddeutschland, hg. von Klaus Herbers und Dieter R. Bauer (Jakobus-Studien 7, 1995) S. 249 - 264; der Beitrag ist vor allem für das Verständnis der Musiküberlieferung im Codex Calixtinus, im ‚ Llibre vermell ‘ und für die ‚ Cantigas de Santa Maria ‘ wichtig; Dietz-Rüdiger Moser , in: Festschrift für Ernst Klusen z. 75. Geburtstag, hg. von Günther Noll / Marianne Bröcker ( 1984) S. 321 - 352. - Siehe auch den Beitrag von Volker Mertens in diesem Bande. Volker Honemann 102 <?page no="103"?> sparsamer Interpunktion (oft, aber keineswegs regelmäßig gesetzte Punkte an den Versenden), die Verse als Prosa, d. h. fortlaufend. Die Klein- und Großschreibung der Eigennamen ist ganz ungleichmäßig behandelt ( „ sant Jacob “ neben „ iacob “ ). Für die Edition wurde hier regelmäßig Großschreibung gesetzt, eine sparsame moderne Interpunktion eingeführt und es wurden die wenigen Druckfehler (auf die in den Anmerkungen verwiesen wird) korrigiert. Beigefügt wurden in [. . .] die Strophenzahlen, die sich bei Rekonstruktion der Bauform des ‚ Speten thon ‘ ergeben. Da Liliencron genauso verfuhr, konnte auf diese Weise auch seine Zählung des Textes in Strophen und Verse bewahrt werden. Die wenigen Abbreviaturen des Druckes (in aller Regel Querstrich über e für en oder d ’ für der) wurden aufgelöst, die Versenden durch Virgel (/ ) markiert; Doppelvirgel steht beim Titel für Zeilenumbruch. Hier nun der Text: 4 Das lied sagt von dem iungen Printzen / / wie er auff dem mo e r durch manig lan/ / de gefaren ist gen sandt Jacob vnnd auff der widerfart zu o Burges gestor/ / ben ist. vnd wo sein hertz vnd hirn begraben ist. / / Jn des Speten thon. [1] ₡ Als mein gedenken, das ich han / vnd mein fünf synn, die mir got gan / etwas zu o singen ich besan: / nun merken auf, ir außerwelten geste. / ₡ Got hab vnns all in seiner pflicht / fürbaß so meld ich mein gedicht, / des ich bin worden vnderricht; / darumb so thät ich gern das aller beste. / ₡ Got hat beschaffen mancherlei geschlechte, / das bo e ß vnnd gu o t, gerecht vnd ungerechte. / So thu o t yetliches wider das annder streben. / Was got auff erd beschu o f mit nam, / all creatur wild vnnd zam / was ie geflog oder geschwam, / das mu o ß sich alles gen dem tod ergeben. [2] ₡ Dem tod nieman entrinnen mag, / das hat die tumme welt kain frag, / wiewol vnns got sendt manig plag, / groß widerwärtigkayt ist in der welte. / ₡ Die welt kain gotes forcht mer hat / in geistlichem vnd in weltlichem stat; / ain cristenplu o t das ander lat / im Ro e mischen reich, die warhait ich hie melde. / ₡ Untrew ist gar in ro e mischer natione, / des ist betru o bt die keyserliche krone, / auch traurt das edel haus von Österreiche. / Seyt es got hat gegriffen an, / genommen ainen werden man, / des wir hoffnunge solten han, / ain edler fürst, - wo findt man sein geleiche? 4 Textausgabe: Die historischen Volkslieder der Deutschen, hg. von R[ochus] von Liliencron, 4 Bde. (1865 - 1869), hier 3, 1867 S. 1 - 5 (nach dem Augsburger Druck, s. u.). Erhalten sind nach dem Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder (RSM, Bd. 1 - 16, 1994 - 2009) hier Bd. 1, 71 a und 71 b zwei undatierte Drucke: [Augsburg, Erhard Öglin], Ex. Basel, UB, Wack. 400 (3) [nicht im VD 16] sowie [Augsburg, H. Froschauer], Ex. Augsburg, SB und StB, Rar. 58 (8), Beschreibung VD 16 F 2706 (= Weller , Repertorium Nr. 585). Zu Autor und Text siehe Frieder Schanze , Frey, Peter, in: Verfasserlexikon 11 (2004) Sp. 463 - 465 sowie RSM (wie Bd. 1)1 (1994) S. 362 Nr. 71 und RSM 3 (1986) S. 519 mit Charakterisierung des Inhalts des Liedes. Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 103 <?page no="104"?> [3] ₡ Von Österreich 5 ain edler stamm, / ain künig in Castiliam, / Philip der edel künig mit nam, / hertzog in Holand, Braband, 6 Seland, Flander. / Das was im alles vnderthon, / ain mächtig hertzog in Burgon. / Er wolt die Hyspanier nit verston, / der künig vnd fürst besitzen wolt sein länder. / ₡ Fürbaß merk wie der edel furst so fromme / in Holand, Flandern vrlob hat genommen, / in Hispanien wolt der edel künig sein here. / Do das beschach meld ich hier vor / nach der gepurt Cristus für war / fünfftzehenhundert vnd sechs iar, / do schiet vom land der künig und fürst, wolt faren auff dem mere. [4] ₡ Von Österreich das edel plu o t / sein schiff er auff dem wasser lu o dt. / Der künig waget leib und gu o t, / mit im fünfzehenhundert 7 freier knechte. / Graf, freyen, ritter nam er an, / graf Wolff von Fürstenberg haubtman. / Zu o Flissing die stat in Selandt / do fu o r von land der fürst, groß wunder spechte. 8 / ₡ Jn dem genenten iar am zweinzigisten tage, / am zinstag kam dem künig grosse plage. / Ain groß stürm wind die schiff zertailet weite / in Cordia, da nach zu o Prym, / zu o Seymseternit vnd zu o Pflym / den edlen künig, als ich vernim, / in wassers not gar lang was im die zeyte. [5] ₡ Ein schiff zergienng wol auf dem mo e r, / das volck verlor den künig herr / mit hundert menschen also ferr, / bey in etlich haubtleüt do mit namen. / ₡ Das volk gehu o b sich übel drum; / wie pald su o cht man den künig frum! / Man fand in bey der stat Handum, / do kam der kunig vnd etlich folck zu o samen. / Das folck was fro, das man den fursten fannde; / si zugen neben dem mo e r durch Engellande, / der kunig zoch in Gallicia gar schwinde. / Mit fleyß sy danckten alle got, / Maria, sant Jacob dem zwo e lfbot, / der sy also erlo e set hat, / als si zertrand der vngestv o me winde. [6] ₡ Der kunig ruckt do furbaß / zu o Kronen in Gallicias. / Der furst sant Jacobs nit vergaß, / mit all seim folck wolt er sant Jacob eren. / ₡ Alls in dem vorgenanten iar / der kunig schickt sant Jacob dar / yetliches fenlin sunderbar; / die knecht herwider zugen zu o dem herren. / Darnach zug dar der kunig mit gantzem here / mit allem folck zu o fu o ß sant Jacob zu o ere; / ietlicher gab sein opffer als er sollte. / Ain guote weil es sich verzoch; / der künig ließ sein küriß do / zu o opffer got vnd vnser fraw. / Sant Jacob im genad erwarb vmb gote. [7] ₡ Es was der haubtleüt kain verdrieß; / yetlicher do sein fenlin ließ / sant Jacob do zu o ainem genieß, / all grafen, ritter, fennerich, gemayne. / ₡ Der künig erlich die fart vollendt, / genad von got ward in gesendt, / ain vrlob nam der künig behendt, / sy danckten got unde Maria rayne. / ₡ Desgleichen all ritter, grafen, freien, / si danckten got, sant Jacob und Mareyen. / Do ruckt von stat der künig mit gantzen freüden, / zoch fro e lich 5 Druck Österrecih. 6 Der Druck hat: bro= (Seitenumbruch) batten auch braband. 7 Der Druck schreibt: Xvhundert. 8 Druck sprechte. Volker Honemann 104 <?page no="105"?> durch Gallicia / zu o Maria de Campua / ain hauff der freyen knecht plib da, / vnnd wartent wa man sy weiter wurd beschaiden. [8] ₡ Der künig den knechten vrlab gab, / bezalt si alle mit reicher hab. / Sy zugen do mit freüden ab, / sy danckten got, sant Jacob grosser eren. ₡ Der loblich künig bey im behielt / hundert trabanten außerwelt, / darzu o die haubtleüt schon bestelt / vnd auch die werden grafen, freyen, herren. / ₡ Den adel den ho e r ich so gar fast breysen, / er hat dem frommen künig trew bewisen. / Billich so thu o n ich im den breyß veriehen, / deßgleichen ander haubtleüt fromm, / der Rap der Stosser der Botvmb. 9 / Fürbaß ich an den adel kum, / graf, freyen, rittern ist groß leyd beschehen. [9] ₡ Dem adel was gar wee zu o mu o t / als vmb den werden kunig gu o t: / zu o Burges starb das edel plu o t, / in seim palast verschied der kunig schone. / ₡ Das volck klagt als den kunig seer. / Vor seinem tod was sein beger, / das man sein leib zertaylen wer, / taylt in drey land, die im sind underthone. / ₡ Das ward volendt, als ich han ho e ren sagen. / Sechs edler fursten hond den kunig tragen / auß dem palast zu o ainem scho e nen prunnen. / In seinem halß fand man ain geschwer, / darab gestorben was der herr; / die landes fursten, die doctor, / des kuniges tod handt sy gar wol besunnen. [10] ₡ Bald man auffschnid den furstenn zart, / den edlen kunig von hoher art; / sein hertz vnd hirn gesendet ward / gen Brüssel in die stat in dem Brabande. / ₡ Do bei man denkt des fürsten wert, / als er vor seinem todt begert, / er west kayn bleybens hie auff erd, / der künig vnd fürst den tod an im empfande. / Zu o Burges ist das edel plu o t verschayde. / Sein lung, sein leber, alles ingewayde / in Hispanienn ist zu o ainer dechtnuß bliben / zu o Burges in der werden stat, / sein leib gesendet in Granat, / als es der künig begeret hat. / Dem künig Philips sein nam ist auff geschriben. [11] ₡ Fürbaß ich nun den fursten klag / und wenn er starb, 10 do von ich sag: / am Freytag vor sant Michels tag / im genenten jar do ist der kunig verschayden. / ₡ Dem got genad Emanuel, / ich mein des 11 edlen künigs seel, / Maria und sant Michael, / der künig mit in ewig regniert in freuden. / ₡ Billich sond wir des fürsten nit vergessen, / er hat auff erd der eren stu o l besessen. / In manchem land ho e rt man den fürsten klagen, / des großmächtigen fürsten sun / genennet Maximilion, / ain künig der kaiserlichen kron, / ob allen künigen sol er die kron aufftragen. [12] ₡ Der eren kron er billich treyt / ob allen andern künig gemait 12 / in kayserlicher wirdigkayt, / darzuo hat in got selber außerkoren / ₡ Zu o künig und kayser hie auff erd, / das er regnier das weltlich schwert, / durch in das reich gemeret werd, / dar zu o ist er von edlem stam geboren. / Eyn hertzog vnd ain fürst aus Österreich, / auff erden lebet kaum der sein geleiche. / 9 Die Stelle ist vielleicht verderbt; siehe unten Anm. 17. 10 Druck stard. 11 Druck den. 12 Druck gemaint. Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 105 <?page no="106"?> Darumb sond mir got täglich für in bitten; / got im verleich weißheit und krafft, / sein grafen, freyen, ritterschaft, / durch das das übel werd gestrafft / vmb gotes er, der für uns hat geliten! [13] ₡ Das thu o unns got der herr zu o gu o t! / Herr got hab unns fürbaß in hu o t / von Österreich das edel plu o t, / zu o dem wir alle unser hoffnung setzen. / ₡ Zum künig Maximilian! / Sein lob ich nit außsprechen kan, / got im groß wird vnd eren gan, / got well den künig seynes layds ergetzen! / ₡ Jch solt dem fürst seyn layd hie nit erneuen, / seins sunes tod thu o t mich im hertzen reuen. / Auß herzen grund ich diß gedicht volende / der kayserlichen maiestat / dem künig und seiner trinitat, / als Peter Frey gedichtet hat. / Vil glück und hail vnns got hie fürbaß sende! A M E N Peter Frey setzt ein mit der Bemerkung, er wolle jetzt, mit all seinem „ gedenken, das ich han “ etwas singen; das Publikum, komplimentierend als „ außerwelte geste “ (eine Hofgesellschaft? ) bezeichnet, möge aufmerken. Es folgt, und dies ist im Genre der politisch-historischen Ereignisdichtung, der unser Lied angehört, ungewöhnlich, eine sehr grundsätzliche Reflexion: Gott habe „ mancherlei geschlechte “ geschaffen, Böse und Gute: jedes strebe gegen das andere - aber alle Geschöpfe, Menschen wie Tiere, müßten sich schließlich dem Tod ergeben. Das weist schon jetzt auf das Ende des Liedes voraus: den jähen Tod des spanischen Kronprätendenten Philipp, und auf das, was das Lied eben auch ist: eine Totenklage, wie es sie in diesem Genre des politischen Ereignisliedes, ungeachtet der Häufigkeit von - oft unerwarteten - Todesfällen, nur sehr selten gibt. 13 Strophe zwei setzt in der gleichen Stimmung fort: „ groß widerwärtigkeit “ sei in der Welt, niemand mehr fürchte Gott, die Christen verfolgten sich gegenseitig, Untreue herrsche in „ römischer nation “ , das edle Haus Österreich traure, weil Gott ihm „ ainen werden man “ genommen habe - wo 13 Sieht man Liliencron s Sammlung durch (wie Anm. 4), so stößt man nur auf Weniges: I, Nr. 29: Totenklage auf Herzog Wenzel von Brabant (1383), Nr. 106 a: Klage auf den Tod König Ladislaus ’ von Böhmen (1457), III, Nr. 406: Klage auf den Tod Karls von Bourbon (1527). - Daneben stehen bei Liliencron Texte, wie etwa ebd. Nr. 308 über den Tod Kaiser Maximilians oder Nr. 403 b über den Tod des Ungarnkönigs 1526, die explizit k ei n e Totenklagen sind. Um solche handelt es sich jedoch bei Texten wie der Totenklage auf Graf Wilhelm III. von Holland (nach 1337), einer „ Ehrenrede mit breit angelegter epischer Einleitung “ , siehe Deutsches Literatur-Lexikon: Das Mittelalter, hg. von Wolfgang Achnitz 3: Reiseberichte und Geschichtsdichtung (2012) Sp. 346 f. Gleiches gilt für die Totenklage auf Herzog Johann I. von Limburg und Brabant (nach 1294/ 98), ebd. Sp. 304 - 306, auf Graf Werner von Hohenberg (um 1320) und auf Heinrich Preisinger von Wolnzach (2. V. 14. Jahrhundert), ebd. Sp. 337 - 339 und für die auf Engelhart von Hirschhorn (2. Hälfte 14. Jahrhundert), ebd. 430 f. Das historisch-politische Ereignislied ist schlechterdings nicht das „ richtige “ Genus für eine Totenklage, was dem Lied des Peter Frey eine Sonderstellung zuweist. Volker Honemann 106 <?page no="107"?> finde man seines gleichen? Der allgemeine Verweis auf die Sterblichkeit aller Menschen wird jetzt also konkretisiert. Strophe drei führt die Konkretisierung fort: Jetzt wird der Name des Verstorbenen genannt samt seinem außerordentlichen Rang, indem seine Titel aufgeführt werden. Darauf wird die Situation, in der sich Philipp befindet, knapp skizziert, wobei sich Peter Frey auf das rein Faktische beschränkt, ohne irgendwelche Hintergründe zu nennen. Philipp nimmt Abschied aus Holland und Flandern und will mit seinem Heer nach Spanien, um seine Länder in Besitz zu nehmen; die beigefügte Datierung situiert das Geschehen noch genauer: im Jahre 1506 „ wolt [er] faren auf dem mere “ . Die folgende Strophe vier verzeichnet die Reisegesellschaft, die neben Philipp und seiner Gemahlin aus 1500 „ freien Knechten “ , weiterhin Grafen, Freiherren und Rittern besteht, dazu - als einziger namentlich genannt - Graf Wolf von Fürstenberg als Hauptmann. Aufbruchsort und-zeit werden (unkorrekt 14 ) genannt, dann aber spricht das Lied sofort von dem nun hereinbrechenden Unheil ( „ grosse plage “ ): ein ungeheurer Sturm ergreift die Flotte und treibt sie an ganz unterschiedliche Orte der englischen Küste. Strophe fünf berichtet vom Verlust vieler Menschen auf dem Meer und davon, daß man den König, weit abgetrieben, schließlich im Hafen von „ Handum “ (Hampton? ) findet - eine falsche Angabe; er war in Melcombe Regis gestrandet. 15 Im weiteren verkürzt das Lied die tatsächlichen Ereignisse: Natürlich blieben der Schiffbruch Philipps und seine Landung nicht unbemerkt - und Kg. Heinrich VII. von England nutzte, nachdem man Philipp zunächst festgesetzt und dann „ wohlwollend “ in Windsor aufgenommen hatte, diesen Zwangsaufenthalt zu (ziemlich erpresserischen) Verhandlungen mit dem künftigen König von Spanien, die zu einem Bündnis mit England führten. 16 Erst am 26. April 1506 stiegen Philipp und seine Gemahlin Johanna (von der im übrigen im Lied nie die Rede ist! ) in La Coruña an Land; das Lied weiß nur, daß er erst „ neben dem mer durch Engellande “ und dann „ in Gallicia gar schwinde “ zog. Strophe sechs setzt ein mit der Ankunft in La Coruña ( „ zu o Kronen “ ). Von dort aus macht sich Philipp sofort „ mitt all seim volk “ , d. h. allen ihn begleitenden Reisigen, auf, um den heiligen Jakobus zu ehren. Der König zieht, nachdem er seine Truppen gesammelt hat, mit dem ganzen Heer zu Fuß (! ) nach Santiago, wo nach der Ankunft „ jeder, wie er es schuldig war, sein 14 Hedwig Röckelein , Graf Wolfgang von Fürstenberg (1465 - 1509) als Reisebegleiter Philipps des Schönen (1503 und 1506), in: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar 42 (1999) S. 7 - 24, hier S. 9: Einschiffung am 7. 1., Abreise am 10. 1., Sturm ab dem 13. 1. Zu Philipp und seinem Spanienzug siehe weiterhin die Monographie von Jean-Marie Cauchies , Philippe le Beau. Le dernier duc de Bourgogne (Burgundica VI, 2003), hier besonders S. 190 - 192 und 235. 15 Röckelein , Wolf von Fürstenberg (wie Anm. 14) S. 9, dort auch das folgende Zitat. 16 Liliencron (wie Anm. 4) III, S. 1. Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 107 <?page no="108"?> Opfer darbrachte “ (6, 11). Das alles dauert eine ganze Weile; der König selbst läßt als Opfergabe seinen Küraß, also seinen Harnisch dort, denn: „ sant Jacob im genad erwarb umb gote “ , wie Peter Frey theologisch korrekt ausführt: Der heilige Jakobus ist für Philipp als Vermittler bei Gott aufgetreten und hat ihm Gnade erworben - womit die Errettung aus Seenot gemeint sein dürfte. In Strophe sieben handeln dann so, wie ihr Herr, auch die Mitreisenden Philipps: Alle, Grafen, Ritter, Freiherrn, Fähnriche, gemeine Landsknechte, lassen ihre „ fenlein “ , also ihre Banner beim heiligen Jakobus (oder sind hier die jeweiligen Truppenteile gemeint? ). Der König, wie ihn das Lied hier schon bezeichnet, vollendet darauf „ erlich “ (ehrenvoll) seine Pilgerfahrt, Gott verleiht ihm Gnade (was nun futurisch zu verstehen ist). Nachdem alle Gott, Sankt Jakob und der Muttergottes gedankt haben, nimmt der König (Philipp) von Santiago Abschied. Fröhlich zieht er mit den Seinen durch Galicien „ zuo Maria de Campua “ - Maria del Campo bei Burgos. Zu Beginn von Strophe acht verabschiedet Philipp, nachdem er sie gut bezahlt hat, seine Leute: „ sie zugen do mit freuden ab, / sie dankten got, sant Jacob großer eren “ (8, 3 f.). Nur einhundert „ trabanten “ und die „ haubtleut “ behält er bei sich, dazu die Grafen und Freiherren. Ihnen läßt Peter Frey nun, überraschender Weise, einen ausführlichen Preis angedeihen; zwei oder drei seiner Leute ( „ der Rap, der Stosser, der Botumb “ ) nennt er namentlich. 17 Der letzte Vers deutet auf Kommendes voraus: Ihnen allen sei großes Leid geschehen. Dieses tritt sogleich (Strophe neun) ein: Kurz nach der Ankunft in Burgos stirbt Philipp jählings und völlig unvermutet; vor seinem Tod bittet er, daß man seinen Leib auf drei verschiedene Länder verteilen möge. Sechs Fürsten tragen den toten König aus seinem Palast. Erst jetzt wird die Ursache seines Todes genannt: ein Geschwür, das man in seinem Hals gefunden habe, wie die Fürsten und Doktoren ermittelt hätten. Die Strophen 10 - 13 sind dann vor allem den schon im Titel angekündigten Umständen der Beisetzung Philipps gewidmet. Sein Herz und sein 17 Dank der Hilfe von mehreren Seiten (Peter Rückert, Thomas Zotz, vor allem aber Andre Gutmann [e-mail vom 27. 8. 2014]) scheint eine Identifikation, wenn auch teils nur tentativ, möglich: Die ‚ Regesta Imperii ‘ bieten für Kaiser Maximilian: Rappa, Hauptmann (RI XIV, 2, Nrr. 3691, 3695, 3866, 3907, sämtlich z. J. 1496) aber auch Rab, Hieronymus, Fußknechtführer (ebd. Nr. 3773 [1496]); der Getreue Jörg Stosser bekommt 1504 Güter in Wasserburg durch Maximilian verliehen (RI XIV, 4, Nr. 19345); für „ Bot “ scheint Gutman Verbalhornung aus Gaudenz Botsch, ehemaliger Erbtruchseß von Tirol, 1504 Hauptmann von Duino (RI XI, 4, 1, Nr. 18794; 23. 5. 1504) nicht unmöglich - oder lautet der Name: „ Botum(b) “ ? - Dank auch an Dr. Manfred Hollweger von den Wiener Regesten Kaiser Maximilians (e-mail vom 14. 10. 2014), der erwog, ob mit ‚ Rap ‘ und ‚ Stosser ‘ nicht letztlich Münzen gemeint sind; zu Beginn der Strophe ist ja von Entlohnung die Rede; von der Satzlogik her scheint dies aber kaum möglich. In den späteren Regesten Maximilians (nach 1500) werden jedenfalls keine einschlägigen Personen genannt. Volker Honemann 108 <?page no="109"?> Gehirn werden nach Brüssel gesandt, Lunge, Leber und weitere Eingeweide bleiben in Burgos, sein Körper aber wird nach Granada geschickt, 18 Philipps Name wird auf die Teile seines Leibes geschrieben. Strophe elf nennt den Tag des Todes und bittet Gott um Erbarmen für die Seele des Königs, man werde ihn nie vergessen. Das Lied wendet sich dann aber sogleich dem schwer getroffenen Vater Philipps, Kaiser Maximilian zu, der „ billich der eren kron “ trage (12, 1) und dessen Preis (samt dem des Hauses Österreich überhaupt) Peter Frey nun ausführlich, aber unzulänglich, wie er betont, singt; Gott möge ihm über sein schweres Leid hinweghelfen. Der Verfasser endet damit, daß er sich selbst in die Schar der Trauernden einreiht: „ Ich solt dem fürst sein laid hie nit erneuen, / seins sunes tod thuot mich im herzen reuen; / auß herzen grund ich diß gedicht volende / der kaiserlichen majestat / dem künig und seiner trinitat, / als Peter Frei gedichtet hat “ (13, 9 - 15). - Hier nennt sich der Verfasser also selbst und macht deutlich, wem er sein Lied widmet: dem Kaiser Maximilian; er endet mit einem Segenswunsch an seine Zuhörer: „ Vil glück und hail uns got hie sende “ . Wie verhält sich die Darstellung, die Peter Frey vom Spanienzug Philipps des Schönen und seinem Tode gibt, zu dem, was uns die historischen (Schrift-) Quellen darüber berichten? Hedwig Röckelein hat diese in zwei Aufsätzen untersucht; diesen grundlegenden Arbeiten von 1995 und 1999 sowie der neuen Monographie über Philipp von Jean-Marie Cauchies von 2003 folge ich im weiteren, um die (real-)historischen Gegebenheiten mit dem zu konfrontieren, was Peter Frey in seinem Lied erzählt. 19 Diese Quellen bestehen vor allem in den Briefen, die der Anführer von Philipps Streitmacht, Graf Wolfgang (im Lied 4, 6 Wolf) von Fürstenberg von der Reise an seine Ehefrau und zahlreiche weitere Adressaten geschrieben hat - eine erstrangige, auch menschlich berührende Quelle - , weiterhin in einer anonymen französischsprachigen Chronik über Philipps (zweite) Spanienreise. 20 Der „ junge Prinz “ , von dem im Titel von Freys Lied die Rede ist, ist kein anderer als Philipp der Schöne, Sohn Königs bzw. Kaisers Maximilians I., 18 Dort ist noch heute sein prächtiges Grabmal samt dem seiner Frau (und ebenso das der Reyes católicos Ferdinand und Isabella) in der Capilla réal der Kathedrale zu sehen. 19 Siehe die Nachweise der Arbeiten in Anmerkung 14 und 23. Das Lied des Peter Frey behandeln weder Röckelein noch Cauchies , die aber den (bei Roth von Schreckenstein abgedruckten, s. u.) Reimpaarspruch kennen. 20 Karl Heinrich Freiherr Roth von Schreckenstein , Briefe des Grafen Wolfgang zu Fürstenberg zur Geschichte der Meerfahrt des Königs Philipp von Castilien (1506), in: Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altherthums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angränzenden Landschaften 1 (1867) S. 123 - 163; Collection des Souverains des Pays-Bas I, hg. von Louis Prosper Gachard (1876) S. 387 - 480, S. 481 - 489: Index analytique, hier S. 408 - 418 (Aufbruch, Seesturm, Ankunft in England), S. 431 - 435 Weiterreise nach Spanien, Ankunft in La Coruña und in Santiago). Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 109 <?page no="110"?> des sog. „ letzten Ritters “ unter den Herrschern des Deutschen Reiches, und der Maria, der Herzogin von Burgund (also auch und vor allem der belgischen Niederlande). Geboren am 22. Juni 1478 in Brügge wurde Philipp von den mächtigen Generalstaaten, den Ständen von Flandern als künftiger „ natürlicher “ Herrscher begrüßt; ab 1494 wurde er, nun volljährig (15 Jahre alt), nach und nach in seine verschiedenen Länder und Ämter eingesetzt. In Flandern erlebte man seinen Herrschaftsantritt als „ Rückkehr zum inneren und äußeren Frieden, stabiler Währung, freiem Handel, maßvoller Besteuerung und regulärer ständischer Regierungsweise “ , 21 wobei sich Philipp immer deutlicher von der Politik seines Vaters Maximilian absetzte. Dieser - das Haus Österreich - erreichte aber mittels des Instruments der Heiratspolitik einen sehr bedeutenden Erfolg, der Philipp in eine ganz andere und viel bedeutendere Stellung führte: 1495/ 96 konnte das Projekt einer habsburgisch-spanischen Doppelhochzeit realisiert werden. Am 20. Oktober 1496 wurde Philipp in Lier bei Antwerpen mit Johanna von Kastilien vermählt; es ist dies die spätere Johanna die Wahnsinnige, die für die spanische Geschichte der frühen Neuzeit durch die von ihr geborenen Kinder von allergrößter Bedeutung ist. Als in den Folgejahren sämtliche anderen Anwärter auf den spanischen Thron starben, wurde Philipp im Jahre 1500 über seine Gemahlin zum „ präsumptiven Erben der spanischen Kronen. “ 22 Ende 1504 starb Königin Isabella von Kastilien (die Katholische); sie hatte Johanna zu ihrer Universalerbin eingesetzt und für den Fall von deren Regierungsunfähigkeit bestimmt, daß ihr Ehemann Ferdinand II. von Aragón (der Katholische) die Regierungsgeschäfte führen sollte. Philipp sah sich so „ von der spanischen (Mit)regentschaft ausgeschlossen “ und mußte handeln. 23 Philipp und Johanna, die zu diesem Zeitpunkt bereits drei Kinder hatten, unter ihnen den späteren Kaiser Karl V., bereiteten sich deshalb auf einen längeren Aufenthalt in ihren spanischen Erbländern vor - denn nur durch ein Eingreifen „ vor Ort “ , d. h. durch Verhandlungen mit den mächtigen Cortés der verschiedenen spanischen Teilreiche, konnte Philipp versuchen, seine Interessen zu wahren. 24 21 W. P. Blockmans , Philipp der Schöne, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) Sp. 2070 f., Zitat 2071. - Siehe aber vor allem die Monographie von Cauchies (wie Anm. 14). 22 Zitat ebd.; die Anerkennung als solcher erfolgte 1502 in Toledo (S. 192). 23 Röckelein , Wolfgang von Fürstenberg (wie Anm. 14, Zitat S. 8); vgl. auch Dies ., Dynastische Interessen und Heiligenkult. Die Jakobusverehrung in den Territorien des Hauses Fürstenberg, in: Der Jakobuskult in Süddeutschland (wie Anm. 3) S. 45 - 89, bes. S. 58 - 64. 24 Vgl. dazu und zum folgenden auch Klaus Herbers , Geschichte Spaniens im Mittelalter, Stuttgart 2006, S. 311 f. Volker Honemann 110 <?page no="111"?> Im Jahre 1505 befanden sich Philipp und seine Ehefrau Johanna in den Niederlanden; sie segelten, nach längeren Vorbereitungen, von Vlissingen in Zeland aus am 10. Januar 1506 in Richtung Spanien ab. Philipp tat dies, den historischen Quellen zufolge, mit 1200 Reisigen, die auf 30 - 50 Schiffen fuhren, also einer veritablen Flotte; mehrere der Schiffe gingen in dem bald hereinbrechenden Sturm unter. 25 Peter Freys Lied spricht mehrfach von den Reisigen Philipps, von zahlreichen ‚ Fähnlein ‘ , insgesamt „ fünfzehenhundert freier knechte “ (4, 4), die er mit sich über Meer nach Spanien führt, und dementsprechend von zahlreichen Schiffen, deren eines (so Frey 5, 1; historische Quellen nennen eine Streitmacht von 3000 Mann und fünf verlorene Schiffe 26 ) mit 100 Mann und zahlreichen Hauptleuten an Bord, im Sturm auf dem Kanal untergeht. Der Grund dafür, daß Philipp samt seiner Frau mit einem für die Zeit fast stattlich zu nennenden Heer (und nicht nur mit einer kleinen Entourage) nach Spanien zieht, wird im Lied nur ganz allgemein angedeutet (und wohl als bekannt vorausgesetzt): Philipp „ wolt die Hispanier nit verston “ (was sich frei mit: „ ihre Position nicht akzeptieren “ wiedergeben läßt) / „ der künig und fürst besitzen wolt sein länder “ (3, 7 f.). Er ist darin zu suchen, daß Philipp der Schöne angesichts der vorhin geschilderten politischen Umstände bei seinem Spanienzug große Vorsicht und diplomatisches Geschick walten lassen mußte; eine militärische Auseinandersetzung mit König Ferdinand von Aragon war nicht auszuschließen. Aus den Quellen wissen wir auch, daß Johanna, Philipps Ehefrau, gewünscht hatte, daß die Flotte in Laredo, einem Hafen östlich von Santander anlegte - so hätte sie viel rascher bei ihrem Vater Ferdinand, der sich in Burgos aufhielt, sein können. 27 Philipp aber ließ seine Schiffe „ ou nom de Dieu, de la vierge Marie et de monseigneur saint Jacques “ 28 nach La Coruña segeln, wo er am 26. April an Land ging. Dort blieb er über einen Monat - nämlich zu Verhandlungen mit den Großen Galiciens, Kastiliens und wohl weiterer spanischer Teilreiche, die ihn dort aufsuchten. Erst am 30. Mai wurde Santiago de Compostela erreicht, wo Philipp sich mit seinem Heer fünf Tage lang aufhielt, ehe er weiterzog. Dieser Zug und der Aufenthalt in Santiago waren aber vor allem dadurch bedingt, daß König Ferdinand bereits „ nach Galicien eingedrungen war “ (und Philipp deshalb eine militärische Auseinandersetzung gewärtigen mußte). 29 In Santiago 25 Roth von Schreckenstein (wie Anm. 20) S. 129 ff. 26 Röckelein , Wolf von Fürstenberg (wie Anm. 14) S. 9 f. 27 Zur Absicht, in Laredo an Land zu gehen, siehe Röckelein , Wolf von Fürstenberg (wie Anm. 14), S. 20 Anm. 62 - 64. 28 So die anonyme Chronik, Gachard (wie Anm. 20), S. 431. 29 Cauchies (wie Anm. 14), S. 190 f., siehe weiterhin die detaillierte Darstellung bei Röckelein , Wolfgang von Fürstenberg (wie Anm. 14), S. 10 f. Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 111 <?page no="112"?> wurden Philipp und sein Heer standesgemäß und fürstlich aufgenommen; dies wohl in Abwesenheit des Erzbischofs (der vorher, anders als die meisten Granden Nordspaniens, n i c h t zu Philipp übergetreten war). 30 Von alldem berichtet das Lied des Peter Frey nichts, vielleicht, weil er davon nichts wußte, vor allem aber: weil die Intention seines Liedes eine andere war. Ihm ging es, wie schon der Titel seines Liedes erklärt, zum einen um die Pilgerfahrt „ gen sandt Jacob “ , zum anderen um den Tod des „ jungen Printzen “ ; hinzu traten Nebenintentionen: der Preis der Philipp begleitenden deutschen Ritterschaft, weiter und besonders der von Philipps Vater, Maximilian. Daß Philipp mit seiner Streitmacht auch das Grab des heiligen Jakobus aufsuchte, um diesem für die Errettung aus der Seenot zu danken, wissen wir aus dem Briefwechsel des Grafen Wolfgang von Fürstenberg. In einem Schreiben an seine Ehefrau Elisabeth vom 31. Januar 1506 aus Falmouth, wo er nach dem Sturm mit seinen Schiffen lag, beschreibt er ausführlich, wie entsetzlich der Orkan gewesen sei und daß sie alle in extremer Todesfurcht gestanden hätten: „ Wyr al haben grois not gelytten, aber wn [ „ ohne, abgesehen von “ ] dje schiff die gar ertruncken send [die kenterten], so hat der kuing vnd die kuinge, die jnn aim schiff gewesen send, am maysten not gelitten, wn [ „ abgesehen von “ ] gantz sterben haben sy nit grosser not liden muigen. Der kuing hat sich so vil er zua mal [zweimal] wigt myt silber gen sant Jacob vnd vnsser frauwen jn Spanj verhassen [verheißen, gelobt], al des kuings luit vnd die fuosknecht haben gros walfart verhassen, vnd an dail [etliche] edelluit das sy Karduisser werden wollen, an dal kain flais [Fleisch] nit mer essen; ich kann njt schriben was jederman verhassen [ ‚ verheißen ‘ , gelobt] hat, so vil haben sy verhassen. “ 31 Diese Aussagen machen klar, daß Philipps Seereise in Folge des mit knapper Not - und dem Beistand des heiligen Jakobus und der Jungfrau Maria - heil überstandenen Orkans - a u c h zur Pilgerreise wurde: Philipp und die Seinen müssen nun in Santiago die Gelöbnisse, die sie in Todesgefahr getan 30 Ebd., S. 11 f. 31 Roth von Schreckenstein (wie Anm. 20) S. 138 f. - Die Chronik des burgundischen Geschichtsschreibers Jean Molinet beschreibt zwar sehr eindrucksvoll die Schrecken der Seenot, die Philipp, seine Frau und sein Gefolge erdulden mußten, spricht aber nur sehr allgemein von Gelübden (einschließlich solchen, eine Pilgerfahrt zu verrichten), die in der Not abgelegt worden seien. Den heiligen Jakobus und Santiago erwähnt Molinet aber nicht, siehe Chronique de Jean Molinet, hg. von Georges Doutrepont/ Omer Jodogne, 3 Bde. (1935 und 1937), hier 2, c. 317, S. 561 - 566, S. 565: „ les veus fort estrois de religion et les promesses de peregrination [. . .]. “ Die Beschreibung des Sturmes (der durch mehrere Unheilszeichen angekündigt bzw. von diesen begleitet wird) ebd. S. 562 - 566. - Fürstenbergs Angaben werden in allgemeiner Art (ohne Nennung Santiagos) durch den Sieur de Boussut bestätigt, der sich auf dem königlichen Schiff befand, siehe Röckelein , Wolfgang von Fürstenberg (wie Anm. 14) S. 19, A. 46. Volker Honemann 112 <?page no="113"?> haben, einlösen; der junge König in Gestalt einer gewaltigen Menge Silbers, aus dem das Lied dann einen - zweifellos als sehr kostbar gedachten - Harnisch macht (6, 13 f.). Der heilige Jakobus erscheint hier als Retter aus schwerster Seenot, und dementsprechend ist ihm dort, wo seine Gebeine ruhen, Verehrung zu erweisen; genau dies tun Philipp und seine Leute. Darf man so weit gehen, zu vermuten, daß dies der Grund war, warum Philipp seine Flotte nicht in Laredo, sondern in La Coruña, also in dem Santiago nächstgelegenen Hafen anlegen ließ und dann, um sein Gelübde zu erfüllen, eine Pilgerfahrt nach Santiago unternahm? 32 Dies läßt sich nur vermuten, zu bedenken ist aber auch, daß der Bericht des französischsprachigen Anonymus davon spricht, Philipp habe der Jungfrau Maria seine Verehrung auf dem Montserrat und in Guadalupe, also den beiden wichtigsten Marienheiligtümern Spaniens versprochen und gelobt, dort jeweils sein Gewicht in Silber zu spenden. 33 32 Andere (deutsche) Pilger, die im Jahre 1506 in Santiago de Compostela waren, erwähnen den Aufenthalt Philipps, der, seines großen Gefolges wegen, doch recht spekakulär gewesen sein muß, nicht: Peter Rindfleisch von Breslau erklärt in den kurzen, protokollartigen Notizen über seine Santiagoreise (von Antwerpen aus über Land) 1506 zwar, daß Herzog Heinrich von Sachsen mit 24 Pferden von Piskein (der biscaya) aus nach Santiago gezogen sei und er dort dann fünf Tage beim Herzog ( „ bey meines herrn gnaden Hertzog Heinrich von Sachsen “ ) gewesen sei, geht aber auf Philipps Santiagobesuch ebensowenig ein, wie dies die knappen Nachrichten des Hans Mergenthal zu Heinrichs Jakobsreise tun, siehe zu diesen Reisenden: Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, hg. von Werner Paravicini, 1: Deutsche Reiseberichte, bearb. von Christian Halm ( 1994) S. 292 f. und 295 f. Rindfleischs Notizen stehen in: Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, hg. von Reinhold Röhricht/ Heinrich Meissner (1880) S. 345 - 347, Zitat S. 347, diejenigen Hans Mergenthals bei Hieronymus Weller (Hg.), Gründliche und warhafftige Beschreibung Der Löblichen und Ritterlichen Reise und Meerfahrt [. . .], Leipzig 1586 (VD 16 M 4835 und 4836), hier fol. O4 r-v, wo lediglich die Begleitung des Herzogs durch einen Herrn von Colditz erwähnt wird. Die 1563 abgefaßte Reise- und Lebensbeschreibung Herzog Heinrichs aus der Feder seines Geheimschreibers Bernhard Freydinger erwähnt zur Santiagowallfahrt des Herzogs lediglich „ dass Schlemmen auf dieser Pilgerfahrt die beste Andacht und Ablaß gewesen sei. “ , siehe Uwe Schirmer , Herzog Heinrich von Sachsen (1473 - 1541). Ein Fürstenleben zwischen spätmittelalterlicher Frömmigkeit und lutherischer Reformation, in: Herzog Heinrich der Fromme (1473 - 1541), hg. von Yves Hoffmann/ Uwe Richter ( 2007) S. 21 - 42, dort S. 25 - 28 zur posthumen Beschreibung Freydingers; Zitat S. 27. 33 Die anonyme Chronik über Philipps zweiten Spanienzug (ed. Gachard , wie Anm. 20) läßt Philipp mitten im Sturm eine sehr emotionale Rede halten, an deren Ende er die „ glorieuse vierge Marie “ bittet, „ qu ’ elle me vueille préserver “ und ihr verspricht, allé visité en tes églises de Montserrat et de Guadloupe, et illecq en chascune église et devant ton ymage offry mon pesant d ’ argent “ (S. 416 f., die Zitate S. 417). - Dazu konnte es dann, wegen Philipps frühem Tod in Burgos, nicht mehr kommen (bei seiner ersten Spanienreise war er in Montserrat gewesen! ). Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 113 <?page no="114"?> Zu Wallfahrten dorthin ist es nicht gekommen; Philipp zog - von Verhandlungen begleitet - in den nächsten Monaten durch Teile von León und Kastilien. Am 20. Juni traf er mit Ferdinand zusammen 34 und am 27. Juni gelang es ihm, nachdem „ die meisten galicischen und kastilischen Granden “ zu Philipp übergelaufen waren, Ferdinand zum Verzicht „ auf die Herrschaft in Kastilien, León und Granada “ zu bewegen und dazu, daß er sich in das „ zu Aragón gehörende Königreich Neapel “ zurückzog. 35 Unser Lied läßt all dies nicht erkennen, ihm ist es jetzt nur noch um das schwere Schicksal des „ jungen Prinzen “ , der am 6. September 1506 in Burgos einzog und dort am 25. September starb, 36 und weiterhin um das Leid von dessen Vater Maximilian zu tun. Was Peter Freys Lied bietet, ist also eine die sehr komplexe politische Situation weitestgehend ausblendende, ganz eigene Akzente setzende Darstellung: Er entwirft das Bild eines frommen, vom Schicksal verfolgten jungen (und geradezu idealen) Fürsten, der zwar zunächst die Hilfe des heiligen Jakobus und seine Gnade erlangt, dann aber jäh zugrunde geht. Das Lied ist so Bericht über eine Jakobspilgerfahrt und Totenklage zugleich, weitere Aspekte sind der Preis der Philipp begleitenden Ritterschaft - nicht zufällig werden zwei oder drei ihrer Vertreter auch mit Namen genannt (8, 9 - 13: „ der Rap, der Stosser, der Botumb “ , V. 13, siehe oben) - und der des Hauses Österreich und vor allem des Königs Maximilian, den Frey am Ende geradezu als Adressaten seines Liedes nennt und dessen Förderung er sich erhofft haben dürfte. Freys Lied war natürlich kein Pilgerlied, das man auf der Reise zum heiligen Jakobus gesungen oder gesprochen hat. Um dessen Verehrung ging es dem Autor Peter Frey auch nur in zweiter Linie: Sein Hauptinteresse galt der Darstellung einer tragischen Nachricht, eines schweren Schlages, der das Haus Österreich getroffen hatte - und diesen Schlag hatte auch der Heilige von Compostela nicht abwehren können. Innerhalb der Gattung der sich im 15. und 16. Jahrhundert mächtig entfaltenden politischen Ereignisdichtung in Lied- oder Spruchform 37 34 Ein unbekannter Maler des 16. Jahrhunderts hat diese Szene in Gemälden, die sich im Schloß de la Follie in Ecaussines d ’ Enghien (Belgien) befinden, festgehalten; Philipp trägt hier die Jakobsmuschel am Hut, wie Hedwig Röckelein bemerkt hat. Abbildung bei Röckelein , Dynastische Interessen (wie Anm. 23) S. 63 und farbig in: Dies. , Wolfgang von Fürstenberg, S. 12 sowie bei Cauchies S. 186 (beide wie Anm. 14). 35 Siehe die Darstellung des Zuges Philipps bei Röckelein , Wolfgang von Fürstenberg (wie Anm. 14) S. 12 f. (Zitate S. 13) und die Karte bei Cauchies S. 274. 36 Röckelein , Wolfgang von Fürstenberg (wie Anm. 14) S. 13 mit den Einzelheiten; dort auch zum Schicksal der Landsknechte. 37 Zum Genus und zur Begifflichkeit siehe Frieder Schanze , Überlieferungsformen politischer Dichtungen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Schriftlichkeit und Lebenspraxis im Mittelalter, hg. von Hagen Keller / Christel Meier / Thomas Scharff (Münstersche Mittelalter-Schriften 76, 1999) S. 299 - 331; Volker Honemann , Poli- Volker Honemann 114 <?page no="115"?> nimmt Peter Freys Lied so eine Sonderstellung ein: Es vereint Elemente der Ereignisdichtung (Spanienzug Philipps) mit solchen der Totenklage (der Tod Philipps wird nicht nur knapp berichtet, sondern erscheint ab Strophe zwei als ‚ Thema ‘ ) und denen des Adeligen- und Fürstenpreises (Philipps Begleiter, Maximilian). Direkte generische Parallelen zu Peter Freys Text finden sich in Liliencrons Corpus, das ja immerhin gut 600 Stücke umfaßt, nicht. Über Peter Frey, den Autor unseres Liedes, ist, wie oben bereits angemerkt, fast nichts zu ermitteln. Tätig war er in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, und neben dem hier behandelten Lied schrieb er eine „ Veranschlagung für einen Zug gegen die Türken “ , in dem er Kaiser Maximilian zu einem Zug gegen die das Abendland bedrohenden Türken aufforderte (entstanden nach dem 4. 2. 1508, dem Tag der Kaiserproklamation), ein „ Lob der von Gott eingesetzten irdischen Ordnungsmächte “ , gedruckt in Augsburg 1514/ 15, und weiterhin ein sehr interessantes Lob des Bauernstandes (5 Strophen, wie unser Lied im Späten Ton Ps.-Frauenlobs). 38 All dies legt nahe, daß Frey irgendwo in Süddeutschland, und vielleicht im weiteren Umkreis Maximilians tätig war. Zur Melodie des Liedes sei bemerkt, daß es, wie erwähnt „ Jn des Speten ton “ gehalten ist. Gemeint ist damit der regelmäßig dem Frauenlob, einem der bedeutendsten Liederdichter des 14. Jahrhunderts, den die Meistersänger später als einen der berühmtesten der alten Meister ansahen, zugeschriebene „ Späte Ton “ . 39 Daß dieser nicht von Frauenlob selbst herrührt, ergibt sich zum einen daraus, daß er in der Göttinger Frauenlob-Ausgabe nicht erscheint, 40 zum anderen aus den Angaben zur Verwendung des Tones im ‚ Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder ‘ : 41 Die dort genannten tische Lieder und Sprüche im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: Die Musikforschung 50 (1997) S. 399 - 421, hier besonders S. 401 - 403 sowie die Übersicht über die Forschungsdiskussion in: Ders ., Herzog Casimir von Pommern und Busse von Erxleben: Zwei politische Lieder des deutschen Spätmittelalters im Vergleich, in: Gattungen und Formen des europäischen Liedes vom 14. - 16. Jahrhundert, hg. von Michael Zywietz/ Volker Honemann/ Christian Bettels (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 8, 2005) S. 71 - 88, hier S. 71 f. - Eine gründliche (Neu-)Diskussion der Gattungsproblematik ist von Claudia Kanz (Chemnitz; Dissertation über den Spruchdichter und -sprecher Hans Schneider) zu erwarten. 38 Schanze (wie Anm. 4) Sp. 463. 39 Wiedergabe des Tons bei Liliencron , Die historischen Volkslieder der Deutschen (wie Anm. 4): Nachtrag, enthaltend die Töne und das alphabetische Verzeichnis, Leipzig 1869, hier Nr. XCIII, S. 85 f.; siehe jetzt aber vor allem das RSM (wie Anm. 4) Bd. 2, 1 (2009) hier S. 61 mit Nachweis der Melodieüberlieferung und der Texte, die diesen Ton benützt haben (darunter Frey). 40 Frauenlob (Heinrich von Meissen), Leichs, Sangsprüche, Lieder 1. und 2. Teil, hg. von Karl Stackmann/ Karl Bertau ( 1981), hier 1, S. 236 - 574 (Töne). 41 Hier 2,1 (2009) S. 61. Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 115 <?page no="116"?> Autoren und Texte, die den ‚ Späten Ton ‘ verwenden (darunter Peter Frey), entstammen sämtlich dem späten 15. und den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts; sie sind ausnahmslos im deutschen Südwesten tätig. Die Bauform der 13 Strophen des Liedes ist dabei so bestellt, daß die vier- und fünfhebigen Verse der 15zeiligen Strophen in der Manier aaa - b - ccc - b - dd - e - fff - e aufeinander reimen; seine Melodie findet sich bei Liliencron. 42 Der Inhalt des Liedes war offensichtlich von einigem Interesse, was sich aus folgendem schließen läßt: Anscheinend 1507, also im Jahr nach dem besungenen Ereignis, erschien, Frieder Schanze zufolge, bei dem Straßburger Drucker Matthias Hupfuff eine Umsetzung des Liedes in Reimpaare. 43 Wie sich diese ausnimmt, soll ein Vergleich der auf den heiligen Jakobus bezogenen Stellen des Textes zeigen (Strophischer Text: Str. 5, V. 12 ff. bis Str. 7, Z. 15, siehe oben): Str. 5 / V. 109 - 112: „ Mit flyß sy alle danckten got / Marien sant iacob dem zwelfbot / Die sie also erloset hand / Vnd gluckselig wider bracht zu ˚ land “ . [Dieser letzte Vers hat im Lied keine Entsprechung]. Str. 6 / V. 113 - 132: „ Der künig rückt do fürbaß hien / Zu ˚ r kronen in gallicien. / Sanct iacobs er do nit vergaß / Mit allem folck in eren was. / Der künig schickt sant iacob dar / Jetliches fenlin su ˚ nderbar / Die knecht harwider zogen all / Zu ˚ dem herren mit rychem schall. / darnach der künig mit gantzem here / Mit allem folck sant iacob zu ˚ ere / Zu ˚ fu ˚ ß der furste zog lobesam / Jeglicher gab sin opfer dran / Als er den billich solte / Von silber vnd von rotem golde / [das letztere steht nicht im Lied! ] Ein gu ˚ te wyl es sich verzoh / Der künig ließ sin küris do / Zu ˚ opfer got vnnd vnser frawen / Wann er was komen do zu ˚ schawen / Sant iacob [so deutlich sagt das Lied nicht, daß der Fürst kam, um Sankt Jakob zu sehen! ] der im gnad erwarb / Als er von dieser welte starb “ [Jacobus also erwirbt dem Fürsten nach seinem leiblichen Tod Gnade im Himmel, so nicht im Lied! ]. Erkennbar wird hier zum einen, wie einfach es war, aus dem Lied einen Reimpaarspruch zu machen, und zum anderen, daß dieser - deshalb habe ich die Jakobus-Partien ausgewählt - die Rolle des heiligen Jakobus gegenüber dem Liede noch steigerte; er betont stärker als dieses die Bedeutung des Heiligen für das Seelenheil des jungen Fürsten. 42 Liliencron (wie Anm. 4), Bd. 4, Nachtrag, enthaltend die Töne und das alphabetische Verzeichnis, S. 85 f., Nr. XCIII. 43 Digitalisat des Stuttgarter Exemplars unter http: / / digital.wlb-stuttgart.de/ purl/ bsz313131392. - Zu Druckort und -datum siehe Schanze , Frey (wie Anm. 4) Sp. 464; Nachweis Weller , Repertorium typographicum, Suppl. II, Nr. 422. (Nicht im VD 16). Eine ziemlich zuverlässige Wiedergabe des Druckes bei Roth von Schreckenstein (wie Anm. 20) S. 153 - 163; die beiden folgenden Textzitate reproduzieren genau den Druck. Volker Honemann 116 <?page no="117"?> III Neben dem Lied des Peter Frey und dem daraus abgeleiteten Reimpaarspruch gibt es weiterhin eine der Geschichtswissenschaft bisher anscheinend verborgen gebliebene Quelle: nämlich den „ Weißkunig “ Kaiser Maximilians I., also Philipps Vater, einen allegorischen Roman, dessen einzelne Teile einer der Hofliteraten Maximilians, Marx Treitzsauerwein, 1514 zusammenstellte (das Werk ist nie zu einem Ende gekommen). Wichtig ist es auch deshalb, weil (neben anderen) der berühmte Augsburger Maler und Buchillustrator Hans Burgkmair (Signatur: HB) für eine Druckausgabe zahlreiche Holzschnitte schuf; dies auf der Basis von Zeichnungen, an denen Maximilian beteiligt war, 44 der sich selbst hinter dem ‚ Weißen König ‘ verbirgt (einer seiner Gegner ist z. B. der ‚ Fischkönig ‘ : der Doge von Venedig). 45 Philipps Spanienreise wird in nicht weniger als vier Holzschnitten dargestellt, wobei deren Bedeutung durch Unterschriften zu den handschriftlichen Zeichnungen in den (Text-)Handschriften des ‚ Weißkunig ‘ gesichert wird. Es ist von Interesse, zu sehen, wie der ‚ Weißkunig ‘ die Geschehnisse um Spanienzug und Tod Philipps des Schönen interpretiert. Zwei der Handschriften des ‚ Weißkunig ‘ (Siglen C und D) bringen als Text zu diesen Holzschnitten eine ausführliche Darstellung des Lebens des ‚ Königs ‘ Philipp und seiner Taten; er wird hier - als Sohn Maximilians - als der ‚ Junge Weißkunig ‘ bezeichnet. Diese Lebensbeschreibung geht auch ausführlich auf Philipps zweite Spanienreise und den Seesturm ein; hier 44 Siehe zur Einführung Jan-Dirk Müller , Kaiser Maximilian I., in: Verfasserlexikon 6 (1987) Sp. 205 - 236, zum ‚ Weißkunig ‘ ebd. Sp. 215 - 218. 45 Siehe die Ausgabe: Der Weißkunig. Nach den Dictaten und eigenhändigen Aufzeichnungen Kaiser Maximilians I. zusammengestellt von Marx Treitzsauerwein von Ehrentreitz, hg. von Alwin Schultz (Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 6 [1888]); nur hier sind die Philipp betreffenden Textteile gedruckt, siehe Müller (wie Anm. 44) Sp. 216. Die Bilder bei Schultz S. 379 - 382 (386 und 387 stellen die Kinder des verstorbenen Königs Philipp vor Maximilian kniend dar). - Die Bilder auch in der Ausgabe: Kaiser Maximilians Weißkunig, hg. von Theodor Musper in Verbindung mit Rudolf Buchner , Heinz- Otto Burger und E. Petermann, 2 Bde. (1956). Auf Philipp beziehen sich die Holzschnitte 379 / 216 ( „ Ein Fürst begrüßt am Ufer eine aus dem Schiff steigende bekrönte Dame; in dem Schiff viel weibliches Gefolge “ ), 380 / 217 ( „ Fünf Schiffe in Seenot, davon zwei mit gebrochenen Masten; im Schiff am rechten Rand ein Fürst, der einer gekrönten Dame Mut zuspricht “ [Philipp und Johanna]; eine Vorzeichnung dazu siehe ed. Musper 1 S. 82; sie trägt einen handschriftlichen Vermerk Maximilians: Es solle kain schef gar ertrincken); 381 / 218 ( „ In einer Uferlandschaft knien Bürger mit erhobenen Händen vor einem Fürsten mit Gefolge; rechts unten ein am Ufer verankertes Schiff “ ), 382 / 219 ( „ Ein Fürst auf dem Thron wird gekrönt, rund um ihn stehen sechs Männer mit Pelzmützen und ein Fürst mit Krone “ ; Krönung Philipps); Zitate ed. Musper 1, S. 132; siehe zum Ganzen Schultz S. 520 f. Die Holzschnitte stammen nach Schultz , S. XXVI von dem Augsburger Maler Leonhard Beck. Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 117 <?page no="118"?> heißt es dann: „ was klegl[ich]er geberd, biten gegen got, verheyssung [der heilgen] der heilgen beschehen, ist swer zu geloben “ . 46 Genauer läßt sich der Autor über Philipps Gelübde und das der Seinen nicht aus, und er erwähnt auch nicht, daß man in La Coruña an Land ging und von dort aus nach Santiago pilgerte. Der Text bietet insgesamt eine völlig harmonisierende, jeglichen Konflikt geradezu verheimlichende Darstellung der Ereignisse. So ist beispielsweise der englische König der treue, um das Wohl der Schiffbrüchigen sehr besorgte Fürst und König Ferdinand der überaus fürsorgliche Vater bzw. Schwiegervater, der - der Last des Alters wegen - die Herrschaft gerne an Philipp abgibt. IV Ergänzend sei angemerkt, daß Spanienreise und Tod Philipps des Schönen auch in zwei niederländischen „ Historieliederen “ besungen wurden. 47 Beide üben scharfe Kritik an Philipps Ehefrau Johanna. Das erste Lied, 10 Strophen à vier Zeilen, Inc.: „ Wie wil hooren singhen / Een druckelijc [ ‚ zu Herzen gehendes ‘ ] nieu liet “ beschreibt Philipps Abreise aus den Niederlanden und die Seenot, in die Philipps Flotte gerät: „ Die scepen vlogen van malcander, / Si waren alle in grooter not “ (Str. 3, 3 f.). Gleich die folgende Strophe macht klar, wer daran schuld ist, daß Philipp in Seesturm und Seenot geraten ist, hier heißt es (Str. 4, 1 - 4): „ Die coninc sprac: ‚ Joanna / Wel edel vrouwe mijn, / Dit is bi uwen schulden, / Dat wi in desen noode zijn ‘ . “ Die folgenden Strophen zeigen einen König, der so rasch wie möglich wieder an Land will, einen Steuermann, der nicht weiß, wo er auf dem Meere ist und deshalb nicht helfen kann, einen König, der Gott - nicht aber den heiligen Jakobus - um Hilfe bittet (Str. 7), dann aber die rettende Ankunft in England und schließlich die Abreise nach Spanien (Str. 10): „ Van daer so gingen si seylen / Al na dat Spaensche lant, / Tot zijnder edelder vrouwen / Al in 46 Zitat Schultz , Weißkunig (wie Anm. 45) S. 524 ( Schultz bietet beide Textfassungen zusammen, s. die eckigen Klammern). - Angemerkt sei, daß die Beschreibungen des Seesturms in Freys Lied und dem davon abgeleiteten Reimpaarspruch, aber auch im ‚ Weißkunig ‘ nicht an die mittelalterliche Funktionalisierung von Seestürmen (Buße für ein Vergehen, Läuterung, schicksalshafte Lenkung), wie sie Carola Susanne Fern , Seesturm im Mittelalter. Ein literarisches Motiv im Spannungsfeld zwischen Topik, Erfahrungswissen und Naturkunde (2014, hier S. 220 - 222) beschreibt, anknüpfen (was doch angesichts von Philipps baldigem Tod einfach gewesen wäre). Auch von einer tieferen Bedeutung des Sturms oder einem Wendepunkt in der Handlung (ebd. S. 222) kann man bei unseren Seesturm-Beschreibungen nicht sprechen: sie werden ganz modern „ nüchtern “ als Naturereignisse wahrgenommen. 47 Ausgabe der beiden Lieder: Middelnederlandsche Historieliederen. Toegelicht en verklaard door Dr. C. C. Van de Graft . Unv. ND 1968 (1. Aufl. 1904), hier S. 126 - 133. Volker Honemann 118 <?page no="119"?> behoudender hant “ . - : Philipp reist in diesem Lied also hin zu seiner „ edlen Frau “ , was unterstellt, daß Johanna ihn in Spanien erwartet und seine vorhergehende Aussage an die abwesende Königin gerichtet war - sie ist schuld, weil er sie in Spanien besuchen muß. 48 Das zweite Lied, das wir nur noch in einer Fassung des 19. Jahrhunderts besitzen (8 Strophen à 5 Zeilen), zeichnet ein noch negativeres Bild von Johanna; hier heißt es (Str. 4): „ Als wij tot Spanje binnen kwamen, / Juvrouw Tsanne schonk ons den koelen wijn, / Uit een kroes van goude fijn, / Uit een kroes van goude; / Maar op den grond ’ t was al venijn “ . In den beiden folgenden, den letzten Strophen des Liedes beschuldigt Philipp „ Tsanne “ (= seine Ehefrau Johanna), ihn vergiftet zu haben und bittet sie, sich der gemeinsamen Kinder anzunehmen - eine mehr als wüste Beschuldigung, denn Johanna scheint ihren Ehemann auf das herzlichste geliebt zu haben, so problematisch das Verhältnis zwischen beiden offensichtlich war. 49 Peter Freys Lied aber und der daraus abgeleitete Spruch zeigen, in welche, in diesem Fall politischen Zusammenhänge die Pilgerfahrt zum heiligen Jakobus nach Santiago de Compostela geraten konnte; das zweite der niederländischen Historieliederen spiegelt die Feindschaft zwischen den Niederlanden und Spanien im 16. Jahrhundert. Die Beschäftigung mit den hier vorgestellten Texten zeigt aber auch, wieviel für die Heuristik der Jakobusverehrung noch immer zu tun ist. Resumen: Santiago como el salvador del peligro del mar. La expedición por España y la visita de Santiago de Compostela de Felipe I de Austria el Hermoso (1506) en una canción de Pedro Frey en el „ Weißkunig “ del emperador Maximiliano I de Habsburgo y en dos canciones neerlandeses históricas. Con una edición nueva de la canción de Frey. Mientras que algunas obras musicales respectivo Santiago y su culto ya están analizado extensamente, la elaboración musical y literario de la expedición por España de Felipe I de Austria el Hermoso del año 1506 forma parte de los testimonios poco considerados. El autor aumenta el concepto de „ canción jacobea “ a canciones, que no tematizan explícitamente la peregrinación de Santiago. Revela los indicios directos e indirectos de la peregrinación a Santiago de Felipe el Hermoso en una canción de Pedro Frey, en el „ Weißkunig “ del emperador Maximiliano así como en dos canciones neerlandeses históricas. No se sabe nada sobre Pedro Frey; el autor lo localiza en el sur de Alemania, quizás en el amplío entorno del emperador Maximiliano I. Su aportación ofrece preliminarmente 48 Friedel Roolfs (Münster) danke ich für die Erörterung der Stelle, siehe dazu auch Van de Graft (wie Anm. 46) S. 128, der annimmt, die Stelle sei im Lied „ verminkt “ . 49 Philipp scheint Johanna, deren Unfähigkeit, zu regieren wohl schon länger vor Augen lag, in Spanien „ wie eine Gefangene “ gehalten zu haben; Ferdinand, ihr Vater hatte sie in einem „ Geheimpassus “ zum Vertrag mit Philipp „ für regierungsunfähig erklären “ lassen, siehe Röckelein , Wolfgang von Fürstenberg (wie Anm. 14) S. 13. Der heilige Jakobus als Retter aus Meeresgefahr 119 <?page no="120"?> una nueva edición de esa obra, cuya melodía pertenece al „ tono tarde “ con una subdivisión en estrofas. Esta canción (primera impresión cerca 1507) cuenta brevemente los sucesos históricos en 13 estrofas, que siempre contienen unas predicciones del muerto del príncipe. Acaba con una dedicatoria al padre de Felipe, al emperador Maximiliano I. Se publica, que la intención del autor de esa canción no era la representación exacta de la situación histórica sino un reporte de la peregrinación del príncipe, su muerte y un elogio a los caballeros alemanes y al emperador. La canción une en manera única la poesía histórica-política de los siglos XV y XVI con una nenia y con una alabanza de los nobles y los príncipes. El autor encuentra rastros, hasta hoy inobservados, de la expedición por España de Felipe el Hermoso en el „ Weißkunig “ de Maximiliano I, en que apenas se menciona la peregrinación, en vez de armonizar los conflictos políticos. Las dos canciones neerlandeses históricas presentan Juana de Castilla en manera negativa; así se refleja según la opinión del autor la enemistad entre los Países Bajos y España en el siglo XVI. Volker Honemann 120 <?page no="121"?> III Reliquien in Bewegung <?page no="123"?> Konkurrenz für Santiago de Compostela? Die Verehrung des Kopfes des hl. Jakobus in Jerusalem Christian Popp Zu den ungewöhnlichsten und kulturgeschichtlich interessantesten Reiseberichten des späten Mittelalters gehört das Tagebuch des niederrheinischen Edelmanns Arnold von Harff, der darin auf höchst originelle Art seine zwei Jahre dauernde loeblich pylgrymmacie beschreibt. Harff brach im November 1496 in Köln auf und reiste über Rom und Venedig nach Ägypten und Palästina, wo er als Jerusalempilger die heiligen Stätten besuchte. Der Rückweg führte ihn quer durch das Osmanische Reich über Ungarn, Venedig und Südfrankreich nach Santiago de Compostela. Damit hatte er in seine Reise die drei wichtigsten Pilgerziele der abendländischen Christenheit - Jerusalem, Rom und Santiago - integriert. 1 Von einer Verehrung des Apostels Jakobus des Älteren weiß er mehrfach zu berichten. In Jerusalem besuchte er ein „ kleines schönes Kirchlein “ , das sich in der Nähe seines Quartiers, des Observantenklosters auf dem Berg Zion, befand: „ In dieser Kirche steht ein Altar, da ist die Stätte, wo St. Jakob dem Älteren das Haupt auf Geheiß des Königs Herodes abgeschlagen wurde. An dieser Stelle gibt es sieben Jahre Ablass und sieben Quadragenen “ 2 . Für die Heimreise wählte Harff den Landweg über Konstantinopel und Venedig, um dann nach Galicien zu pilgern, wobei mit der Abteikirche Saint-Sernin in Toulouse ein weiterer wichtiger Kultort des hl. Jakobus auf seiner Reiseroute lag. In Saint-Sernin wurde dem Pilger versichert, dass neben dem 1 Vgl. Volker Honemann , Arnold von Harff, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 1 ( 2 2010) Sp. 471 f.; Hartmut Beckers , Die Reisebeschreibung Arnolds von Harff. Bemerkungen zu der ungewöhnlichen pylgrymmacie eines niederrheinischen Ritters nach Rom, zum Sinai, nach Jerusalem und Santiago de Compostela in den Jahren 1496 - 98, in: Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte, hg. von Klaus Herbers (Jakobus-Studien 1, 1988) S. 51 - 60; Klaus Herbers / Robert Plötz , Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „ Ende der Welt “ (1996) S. 210 - 228; Rom - Jerusalem - Santiago. Das Pilgertagebuch des Ritters Arnold von Harff (1496 - 1498), übersetzt, kommentiert und eingeleitet von Helmut Brall-Tuchel / Folker Reichert (2007). 2 Rom - Jerusalem - Santiago (wie Anm. 1) S. 196. <?page no="124"?> namengebenden Bischof und Märtyrer St. Saturninus und weiteren Heiligen „ in dieser Kirche leibhaftig sechs Apostel lägen, namentlich St. Jakob der Ältere, St. Simon und St. Juda, St. Philipp und St. Jakob der Jüngere ohne sein Haupt, das zu Compostela in Galicien ist, und der Apostel St. Barnabas “ 3 . In der Tat reklamierte die selbstbewusste südfranzösische Stadt seit dem 14. Jahrhundert für sich, die Gräber dieser Apostel unter der Krypta von Saint-Sernin aufgefunden und identifiziert zu haben. 4 Ein Reliquienverzeichnis aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert nennt explizit alle sechs Apostel, an erster Stelle den älteren Jakobus: Et primo, corpus beati Jacobi, manus et caput eiusdem 5 . Im Oktober 1385 wurden Herzog Jean de Berry bei seinem Einzug in Toulouse das Kopfreliquiar und die silberne Urne des Apostels vor der Abtei Saint-Sernin präsentiert, der Herzog ließ wenige Tage später die Gebeine des Heiligen in neuangefertigte Reliquiare umbetten. 6 Zwar rückten die Apostelgräber - wohl vor allem durch die Überführung des Schweißtuchs Christi von Cadouin nach Toulouse 1392 - bald darauf in den Hintergrund, aber seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert blühte der Apostelkult erneut auf, was sich unter anderem eben auch im zitierten Reisebericht Harffs widerspiegelt. Als Arnold von Harff im Juli 1498 in Compostela in Galicien eintraf, zeigte er sich entsprechend skeptisch. Da er den Apostelleib in Toulouse vermutete, äußerte er seine Zweifel und verlangte, den heiligen Körper zu sehen. Wie zu erwarten, machte er sich mit diesen Bedenken in Santiago keine Freunde. Man gab ihm verschnupft zur Antwort, „ wer nicht wirklich glaube, dass der heilige Körper St. Jakobs des älteren Apostels in dem Hochaltar liege und daran zweifele, dass der Körper dort sein werde, der müsse von Stund an verrückt werden wie ein tollwütiger Hund “ 7 . In der Sakristei bekam Arnold von Harff schließlich nur das Haupt des Apostels Jakobus des Jüngeren sowie etliche weitere nicht näher benannte Reliquien zu sehen. Santiago de Compostela war im Mittelalter und ist bis heute der zentrale Ort für den Kult des Apostels Jakobus des Älteren, Sohn des Zebedäus und 3 Rom - Jerusalem - Santiago (wie Anm. 1) S. 236. 4 Dazu ausführlich Andreas Meyer , Von Santiago de Compostela nach Toulouse. Ein Apostel verlegt sein Grab, Francia 26/ 1 (1999) S. 209 - 238; Andreas Meyer , Städtische Identität und Konkurrenz. Die spätmittelalterlichen Apostelgräber in Toulouse, in: Stadt und Pilger. Soziale Gemeinschaften und Heiligenkult, hg. von Klaus Herbers (Jakobus-Studien 10, 1999) S. 125 - 140. 5 Liste des reliques d ’ après la note d ’ un chanoine de l ’ abbaye, ediert von Célestin Douais , Documents sur l ’ ancienne province de Languedoc 2: Trésor et reliques de Saint-Sernin de Toulouse 1: Les inventaires (1246 - 1657) (1904) S. 447. Vgl. dazu Meyer , Von Santiago de Compostela nach Toulouse (wie Anm. 4) S. 227. 6 Meyer , Von Santiago de Compostela nach Toulouse (wie Anm. 4) S. 221 - 223. 7 Rom - Jerusalem - Santiago (wie Anm. 1) S. 248. Christian Popp 124 <?page no="125"?> Bruder des Apostels Johannes. Spätestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts hatte Compostela den Rang der großen überregionalen Pilgerziele Rom und Jerusalem erreicht, der Einzugsbereich der Santiago-Pilger umfasste das ganze Europa. Ernsthafte Konkurrenz hatte Compostela seit der Verfestigung der Legende von der Translation der Gebeine des Apostels nach Spanien nicht mehr zu fürchten, nicht von Jerusalem, der Stadt, in der die heiligsten Stätten der Christenheit, allen voran die Grabeskirche, lagen und in der ein Jakobuskult immer nur nebensächlich bleiben konnte; auch nicht von anderen Orten, die Körper, Kopf oder sonstige Reliquien des Jakobus für sich reklamierten. Die gelegentlichen Irritationen wie die bei Arnold von Harff gehörten, der Kopf und Leib des Apostels in Toulouse vermutete, ändern an dieser generellen Einschätzung nichts. Dennoch entwickelten sich neben dem übermächtigen Compostela weitere Kultorte, gerade auch im 12. Jahrhundert, als die Santiago-Wallfahrt ihre volle Dominanz entfaltet hatte. Die damit einhergehende Popularisierung des Kultes und die steigende Beliebtheit des Apostels Jakobus 8 konnte auf schon vorhandene lokale Jakobustraditionen zurückwirken und deren Bedeutung steigern. Von einem solchen Kult erfahren wir beispielsweise im sogenannten Cartulaire de Guiman. Es handelt sich dabei um ein Dossier der Rechts- und Besitztitel der Benediktinerabtei Saint-Vaast in der flandrischen Stadt Arras, verfasst im ausgehenden 12. Jahrhundert von einem Mönch der Abtei namens Guiman. Die von Guiman zusammengestellten und kommentierten Dokumente behandeln unter anderem einen erbitterten Streit zwischen Abt und Mönchen der Abtei Saint-Vaast und dem Grafen Philipp von Flandern ( † 1191). Der Graf hatte - wohl im Jahr 1167 - das in ein Reliquiar eingefasste Haupt des Apostels Jakobus des Älteren gestohlen, das die Abtei für sich beanspruchte. Die Einzelheiten zum Streit um die kostbare Reliquie, die das Kloster angeblich von einem fränkischen König geschenkt bekommen haben soll, die zahlreichen Appellationen an die päpstliche Kurie und die Rückgabe der Reliquie Anfang des Jahres 1172 hat Ludwig Falkenstein in einem kürzlich erschienenen Aufsatz dargestellt; 9 wir werden später auf den Jakobus-Kult in Arras noch einmal zurückkommen. 8 Grundlegend zur Kultausbreitung Robert Plötz , Santiago-peregrinatio und Jacobus-Kult mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Frankenlandes, in: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 31, hg. von Odilo Engels (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 1/ 31, 1984) S. 24 - 135. Vgl. auch exemplarisch Franz-Heinz Hye , Stadtgründung, Stadterweiterung und Jakobus-Verehrung. Dargestellt am Beispiel Innsbrucks und anderer Städte in Österreich und seinen Nachbarländern, in: Stadt und Pilger (wie Anm. 4) S. 1 - 16, der konstatiert, „ daß die Wahl des St. Jakobs-Patroziniums in Städten und Märkten von ca. 1100 bis 1300 erheblich zunimmt und ihren Höhepunkt erreicht “ (S. 13). 9 Ludwig Falkenstein , Modo blanditiis, modo terroribus. Alexander III. zum Streit der Abtei Saint-Vaast mit dem Grafen Philipp von Flandern um das Haupt des hl. Jakobus, in: Von Outremer bis Flandern. Miscellanea zur Gallia Pontificia und zur Konkurrenz für Santiago de Compostela? 125 <?page no="126"?> Konstatieren lässt sich zunächst, dass für die hier kurz vorgestellten und mit Compostela konkurrierenden Jakobus-Kultorte Toulouse und Arras der Kopf des Apostels eine besondere Rolle spielte. Zum einen lässt sich dies mit der generellen Beliebtheit von Kopfreliquien (und -reliquiaren) im Mittelalter erklären, die mit der Deutung des caput als Sitz der Seele in der frühscholastischen Theologie in Zusammenhang stehen dürfte. 10 Zum anderen sind die biblischen Aussagen über Jakobus zu beachten, die bekanntlich mit der Hinrichtung des Apostels durch das Schwert, also mit seiner Enthauptung, enden, 11 sodass sich der separate Schädel für eine eigene Legendenbildung besonders anbot. Die Entwicklung eines eigenen Jakobuskults war insbesondere in der Stadt Jerusalem prädestiniert. Die besagte Hinrichtungspassage im zwölften Kapitel der Apostelgeschichte nennt zwar keinen Ort der Enthauptung des Jüngers Christi, aber einen Verantwortlichen, nämlich Herodes Agrippa I., dem im Jahr 41 n. Chr. von Kaiser Claudius die Herrschaft über die Römische Provinz Iudaea übertragen worden war 12 und der die junge christliche Gemeinde Jerusalems vehement verfolgte. Entsprechend wird die Hinrichtung des Apostels schon früh in der Überlieferung mit Jerusalem in Verbindung gebracht. So verortet der um 570 schreibende anonyme Pilger von Piacenza, dessen Bericht ein großes Interesse an den Gräbern und Reliquien der Heiligen in Palästina widerspiegelt, das Grab des hl. Jakobus auf dem Ölberg. 13 Allerdings bleibt die Nachricht singulär. 14 Diplomatik, hg. von Klaus Herbers / Waldemar Könighaus (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen N. F. 26; Studien zu Papstgeschichte und Papsturkunden, 2013) S. 101 - 189. 10 Weitergehende Überlegungen bei Susanne Wittekind , Caput et corpus. Die Bedeutung der Sockel von Kopfreliquiaren, in: Reliquiare im Mittelalter, hg. von Bruno Reudenbach / Gia Toussaint (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 5, 2011) S. 107 - 135, besonders S. 109 f. 11 Act. 12,1-2: „ Um jene Zeit ließ der König Herodes einige aus der Gemeinde verhaften und misshandeln. Jakobus, den Bruder des Johannes, ließ er mit dem Schwert hinrichten. “ (Einheitsübersetzung). 12 Vgl. Klaus Bringmann , Herodes Iulius Agrippa I., in: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike 5, hg. von Hubert Cancik / Helmuth Schneider (1998) S. 461 f. 13 Antonini Placentini Itinerarium, in: Itinera Hierosolymitana saeculi IIII - VIII, hg. von Paul Geyer (Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum 39, 1898) S. 157 - 191, hier S. 170: Et sursum in monte in loco, unde ascendit dominus, uidimus mirabilia multa et cellula, ubi fuit inclausa uel iacet sancta Pelagia in corpore. In ipso monte iacet Iacobus, Zebedaeus, Cleophas uel multa corpora sanctorum. Zum Pilger von Piacenza vgl. Herbert Donner , Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die ältesten Berichte christlicher Palästinapilger (4. - 7. Jahrhundert) ( 3 2011) S. 226 - 242. 14 Zum Jakobus-Kult in Palästina in der älteren Überlieferung vgl. Robert Plötz , Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert, in: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 30, hg. von Odilo Engels (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 1/ 30, 1982) S. 19 - 145, hier S. 50 - 54. Christian Popp 126 <?page no="127"?> Ein dauerhafter und klar lokalisierbarer Kult Jakobus ’ des Älteren entwickelte sich in Jerusalem bezeichnenderweise erst im Laufe des 12. Jahrhunderts. Dabei verlagerte sich die Kultstätte in den Bereich des Zionsberges innerhalb der Mauern der Stadt, dorthin, wo sich bis heute die armenische Kathedralkirche St. Jakobus befindet. Der genaue Grund der Neuverortung an dieser Stelle ist den Quellen nicht zu entnehmen. In jedem Fall dürfte eine Rolle gespielt haben, dass zwei andere Plätze, die im besagten zwölften Kapitel der Apostelgeschichte direkt im Anschluss an die Hinrichtung des Jakobus erwähnt werden, ebenfalls in diesem Bereich lokalisiert wurden. Dabei handelt es sich zum einen um das Haus, in dem Herodes den Jünger Petrus gefangen hielt. Zum anderen ist es das Haus der Maria, der Mutter des Johannes Markus, das Petrus nach seiner wunderbaren Befreiung durch einen Engel des Herrn aufsuchte und das in der Folge zum Mittelpunkt der Jerusalemer Urgemeinde aufstieg. 15 Die früheste Quelle, die von einer Kirche mit Jakobuspatrozinium in dieser Gegend Kenntnis gibt und zugleich die Verehrung der Schädelreliquie des Apostels belegt, ist der Bericht eines deutschen Pilgers, nämlich ein unter dem Titel Descriptio Terrae Sanctae bekanntes Werk des Klerikers Johannes von Würzburg. Er weilte um 1160 im Heiligen Land. Seine Descriptio vermittelt wertvolle Informationen über die Topographie Jerusalems zwischen dem zweiten und dritten Kreuzzug. 16 In seiner Beschreibung des armenischen Viertels erwähnt Johannes zunächst das Kloster St. Sabas nahe dem Davidsturm und wendet sich danach der großen Kirche zu Ehren des hl. Jakobus des Älteren zu, an der armenische Mönche wohnten und ein Hospital betrieben. Dort werde das Haupt dieses Apostels in großer Verehrung gehalten. Der Apostel sei - so Johannes von Würzburg - von Herodes enthauptet worden, dessen Leib sei von seinen Jüngern in Jaffa in ein Schiff gelegt und nach Galicien verbracht worden, während sein Kopf in Palästina verblieben sei. Ebendieses Haupt werde bis jetzt in dieser Kirche den ankommenden Pilgern gezeigt. 17 15 Act. 12,3-12. Zu Quellennachweisen, Kult- und Baugeschichte von Jakobuskathedrale, Haus der Maria und dem sogenannten Haus des Petrus in Fesseln vgl. grundlegend Denys Pringle , The Churches of the Crusader Kingdom of Jerusalem. A Corpus. Volume 3: The City of Jerusalem (2007) No. 318, S. 168 - 182 (Armenian Cathedral Church of St James the Great); No. 343, S. 322 - 327 (Church of St Mary [House of Mary, the Mother of John Mark, now St Mark, Dair as-Surian]); No. 353, S. 349 - 353 (Church of St Peter in Fetters). 16 Vgl. Alfred Wendehorst , Johannes von Würzburg I, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 4 ( 2 2010) Sp. 822 - 824. Zur Datierung der Reise vgl. die Einleitung zur kritischen Edition: Peregrinationes tres. Saewulf, John of Würzburg, Theodericus, hg. von Robert Burchard Constantyn Huygens (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis 139, 1994) S. 27 f. 17 Pilgerbericht des Johannes von Würzburg, ediert in: Peregrinationes tres (wie Anm. 16) S. 78 - 141, hier S. 132 f.: Iuxta illam plateam quae a Porta David versus Konkurrenz für Santiago de Compostela? 127 <?page no="128"?> Weitere Pilgerberichte aus den darauffolgenden Jahren bestätigen und erweitern die Informationen, die Johannes von Würzburg liefert. So besuchte ein um 1170 schreibender anonymer Pilger, der sogenannte Innominatus secundus, das Kloster, das er fälschlich den Jacobiten 18 zuordnete. Dort wurde ihm das Haupt des hl. Jakobus gezeigt, außerdem noch eine Armreliquie des Protomärtyrers Stephanus. 19 In dem Reisebericht eines weiteren namenlosen Pilgers, der wenige Jahre später, um 1180, verfasst wurde, wird die capella Armeniorum erwähnt, ubi fuit beatus Iacobus filius Zebedei decollatus 20 . Hierbei dürfte es sich um den frühesten Beleg handeln, der die armenische Kapelle in Jerusalem explizit mit dem Ort der Enthauptung des Jakobus in Zusammenhang bringt. Damit hatte sich eine Tradition herausgebildet, die für die weitere Entwicklung der Jerusalem- Wallfahrt prägend wurde. Fast alle Pilgerberichte des Mittelalters erwähnen die armenische Jakobuskirche als Platz der Enthauptung des Apostels durch Herodes und bzw. oder als Ort, an dem die Kopfreliquie des Heiligen aufbewahrt und verehrt wird. 21 Templum per descensum dirigitur, in latere dextro prope Turrim David est cenobium monachorum Armenorum, in honore sancti Sabe abbatis reverentissimi, pro quo etiam adhuc vivente beata virgo Maria multa fecit miracula, constitutum. Ibidem non longe abhinc per descensum ultra aliam plateam est magna aecclesia in honore sancti Iacobi Maioris constructa, ubi monachi habitant Armeni et habent etiam ibidem magnum hospitale pro colligendis pauperibus suae linguae. Ibi quoque in magna veneratione habetur testa eiusdem apostoli: fuit enim ab Herode decollatus, cuius corpus discipuli sui in Ioppe navi impositum in Galiciam detulerunt, capite suo in Palestina remanente eadem testa adhuc in eadem aecclesia peregrinis advenientibus ostenditur. 18 Fremd-, zeitweise auch Selbstbezeichnung der Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche, abgeleitet von Jakob Baradai ( † 578), vgl. Heinzgerd Brakmann , Jakobiten, in: Lexikon für Theologie und Kirche 5 ( 3 2006) Sp. 734. 19 Innominatus II (Peregrinationes ad loca sancta), ediert in: Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum (saec. XII - XIII) 3: Tempore recuperationis Terrae Sanctae (1187 - 1244), ed. Sabino de Sandoli (Studium Biblicum Franciscanum. Collectio Maior 24, 1983) S. 9 - 15, hier S. 14: In civitate est monasterium Jacobitarum, ubi est caput sancti Jacobi et brachium sancti Stephani protomartyris. 20 Innominatus V (De locis sanctis et populis et bestiis in Palaestina vitam degentibus), ediert in: Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum 3 (wie Anm. 19) S. 29 - 43, hier S. 30. 21 Exemplarisch sei aus dem Spätmittelalter der Bericht des Wilhelm Tzewers angeführt. Tzewers, Theologe an der Universität Basel, unternahm 1477/ 78 eine Jerusalem- und Heiliglandreise. Er schreibt die Jakobuskirche ebenfalls den Jacobiten zu, erwähnt aber zugleich den armenischen Bischof und thematisiert die sprachlichen Verständigungsprobleme: [. . .] locus, ubi Iacobus apostolus ab Herode Agrippa fuit decollatus. Et ibi pulcra ecclesia, et occupant eam Iacobite. In qua intrando ad sinistram est altare, sub eodem dicitur occisus. Alii dicunt, quod Armenorum sit hospitale. Sunt ibi pauperes multi. Residet ibi episcopus Armenus, qui se dicit ritum Romane ecclesie servare, sed non apparuit. Libenter mecum contulisset, sed non intelleximus nos mutuo. Gritje Hartmann , Wilhelm Tzewers: Itinerarius terre sancte. Einleitung, Edition, Kom- Christian Popp 128 <?page no="129"?> Die relativ ausführliche Passage des Johannes von Würzburg über die Jakobusverehrung in der armenischen Bischofskirche zeigt, dass der Compostelaner Apostelkult um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Jerusalem bekannt war. Der in der armenischen Kirche gezeigte Schädel wird eindeutig mit dem nach Galicien verbrachten Leib des älteren Jakobus in Verbindung gebracht. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie alt der Kult in Jerusalem ist. Durch die Formulierung adhuc . . . ostenditur des Johannes von Würzburg, die mit „ wird bis jetzt gezeigt “ oder „ wird immer noch gezeigt “ zu übersetzen ist, vermittelt der Heilig-Land-Pilger den Eindruck, hierbei handele es sich um eine ältere Tradition. Hier sind jedoch Zweifel angebracht, die nicht allein aus dem Fehlen älterer Quellenbelege herrühren, sondern die sich auch aus der Baugeschichte der Jerusalemer Kirche ergeben. Die Jakobuskirche, heute Kathedralkirche des armenischen Patriarchats, das im Jahr 1311 von Bischof Sargis (1281 - 1313) dort eingerichtet wurde, 22 ist - von geringen Umbauten abgesehen - gut erhalten. Sie wurde als dreischiffiger Bau mit vier Pfeilern und einer Vierungskuppel errichtet. In die mächtige Nordwand der Basilika sind drei Kapellen integriert, darunter die Jakobuskapelle, in der noch heute das Haupt des Apostels verehrt wird. 23 Unter dem Altar der Kapelle befindet sich eine rötliche Marmorplatte, die als Platz der Enthauptung schon in den mittelalterlichen Pilgerberichten erwähnt wird, so beispielsweise von Ricoldus a Montecruce Ende des 13. Jahrhunderts (Abb. 1). 24 Stilistisch wird der Bau der Basilika in die Zeit um 1140/ 1150 datiert, über dem Westportal der Kirche findet sich außerdem ein armenischer Kreuzstein mit dem Jahresdatum 1151. 25 1141 mentar und Übersetzung (Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins 33, 2004) S. 206 - 208. 22 Vgl. zuletzt Sergio La Porta , The Armenian Episcopacy in Mamluk Jerusalem in the Aftermath of the Council of Sis (1307), Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain & Ireland 17 (2007) S. 99 - 114. 23 Baugeschichte und -beschreibung bei Pringle , Churches of the Crusader Kingdom 3 (wie Anm. 15) No. 318, S. 168 - 182 (Armenian Cathedral Church of St James the Great), mit Abb.; Klaus Bieberstein / Hans Bloedhorn , Jerusalem. Grundzüge der Baugeschichte vom Chalkolithikum bis zur Frühzeit der osmanischen Herrschaft 2 (Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients B 100/ 2, 1994) S. 128 f.; Hugues Vincent / Félix-Marie Abel , Jérusalem. Recherches de topographie, d ’ archéologie et d ’ histoire 2: Jérusalem nouvelle. Fasz. 1/ 2 (1914) S. 529 - 561 (Saint Jacques et son cycle monumental), mit Abb. 24 Ricoldus a Montecruce, Liber Peregrinationis (1288 - 1291), ediert in: Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum (saec. XII - XIII) 4: Tempore regni Latini extremo (1245 - 1291), ed. Sabino de Sandoli (Studium Biblicum Franciscanum. Collectio Maior 24, 1984) S. 255 - 332, hier S. 264: Postea inuenimus locum, vbi decollatus fuit sanctus Iacobus maior. Vbi nunc est ecclesia, et in ecclesia decollationis est marmor, quod adhuc ostendit rubeum sanguinem cruentatum. 25 „ Für die Basilika selbst lassen die Verwendung von Ellenbogenkapitellen und der Polsterfries über dem Südportal im ehemaligen südlichen Narthex sowie ein Xac ˇ c k c ar Konkurrenz für Santiago de Compostela? 129 <?page no="130"?> hatte der Katholikos der Armenischen Kirche, Gregor III. Pahlawuni (1113 - 1166), Jerusalem besucht und zusammen mit dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Wilhelm von Mesen (1130 - 1145), und dem päpstlichen Legaten, Kardinalbischof Alberich von Ostia (1138 - 1148), an einer Synode teilgenommen, die in der Abteikirche St. Maria auf dem Zionsberg abgehalten wurde. Dieser Besuch könnte der Anstoß gewesen sein, die armenische Kirche am besagten Platz zu errichten und den Vorgängerbau, vermutlich ein georgisches Kloster, zu verdrängen. 26 Abb. 1: Jerusalem, Armenische Jakobuskathedrale, Jakobuskapelle, rote Marmorplatte unter dem Altar. In der Zusammenschau der schriftlichen Quellen und der materiellen Überlieferung ist es mehr als wahrscheinlich, dass der Jakobuskult an dieser Stelle erst mit oder nach dem Bau der Kirche in den 1140er und 1150er Jahren etabliert worden ist. Zudem haben jüngst mit Avital Heyman und von 1151 über dem Westportal der Kirche ein Baudatum um 1140 - 50 vermuten “ . Bieberstein / Bloedhorn , Jerusalem 2 (wie Anm. 23) S. 128. 26 Pringle , Churches of the Crusader Kingdom 3 (wie Anm. 15) No. 318, S. 169. Zur Synode von 1141 mit allen Quellenhinweisen vgl. zuletzt Andrea Barbara Schmidt / Peter Halfter , Der Brief Papst Innozenz ’ II. an den armenischen Katholikos Gregor III.: Ein wenig beachtetes Dokument zur Geschichte der Synode von Jerusalem (Ostern 1141), Annuarium Historiae Conciliorum 31 (1999) S. 50 - 71. Christian Popp 130 <?page no="131"?> Mordechay Lewy zwei israelische Forscher die Jerusalemer Königin Melisende als Initiatorin dieses Kultes namhaft zu machen versucht. 27 Melisende hatte selbst armenische Wurzeln, sie war die Tochter König Balduins II. von Jerusalem (1118 - 1131) und der armenischen Prinzessin Morphia von Melitene. Melisende wurde 1131 zusammen mit ihrem Gatten Fulk von Anjou und dem gemeinsamen Sohn Balduin in der Grabeskirche zur Königin von Jerusalem gekrönt. 28 Bis zu ihrem Tod 1161 tätigte sie etliche fromme Stiftungen an den geistlichen Institutionen im lateinischen Königreich Jerusalem. 29 Für die Affinität Melisendes zum hl. Jakobus lässt sich eine Ikone ins Feld führen, die - byzantinischen Stil nachahmend - sechs Heilige der westlichen Kirche zeigt und aus dem Katharinenkloster auf dem Sinai stammt (Abb. 2). 30 Die Heiligen sind durch ihre lateinischen Tituli eindeutig zu identifizieren. Die zentrale Figur in der oberen Reihe ist der Apostel Jakobus der Ältere, dargestellt in einem verkündigenden Gestus und mit einer Schriftrolle in der linken Hand, umrahmt vom Apostel Paulus und vom Protomärtyrer Stephanus. In der Mitte der unteren Reihe - direkt unter dem Apostel Jakobus - zeigt die Tafel den hl. Martin von Tours im Ornat eines lateinischen Bischofs; zu seinen Seiten stehen der Märtyrer Laurentius im Diakongewand und der Einsiedler Leonhard, Gründer der Gemeinschaft von Noblat. Wegen dieses Bildprogramms wird die Ikone als Gedächtnisstiftung der Königin Melisende für ihren Gatten Fulk gedeutet, der am 10. November 1143, also am Vortag von St. Martin, bei einem Jagdunfall verletzt wurde und drei Tage später verstarb. 31 Zudem stand er als 27 Mordechay Lewy , Body in „ finis terrae “ , Head in „ terra sancta “ . The Veneration of the Head of the Apostle James in Compostela and Jerusalem: Western, Crusader and Armenian Traditions, Hagiographica 17 (2010) S. 131 - 174. Hinsichtlich der Rolle Melisendes verweist Lewy (ebd., S. 145 f.) auf einen - soweit ich sehe - noch immer unveröffentlichten Aufsatz von Avital Heyman , Lesser and Greater Heads: Decapitated Heads between Jerusalem and Santiago de Compostela. 28 Vgl. Deborah Gerish , Melisende of Jerusalem (d. 1161), in: The Crusades. An Encyclopedia 3, hg. von Alan V. Murray (2006) S. 814, mit Angabe der jüngeren Literatur zu Melisende. 29 Vgl. Jaroslav Folda , Melisende of Jerusalem: Queen and Patron of Art and Architecture in the Crusader Kingdom, in: Reassessing the Roles of Women as ‚ Makers ‘ of medieval Art and Architecture, hg. von Therese Martin (Visualising the Middle Ages 7, 2012) S. 429 - 477. Zu einer möglichen Förderung des Baus der armenischen Kathedrale durch Melisende vgl. ebd., S. 469 f. 30 Jaroslav Folda , The Art of the Crusaders in the Holy Land 1098 - 1187 (1995) S. 461 f. mit Abb. 10.19; Kurt Weitzmann , Icon Painting in the Crusader Kingdom, in: Dumbarton Oaks papers 20 (1966) S. 49 - 84, hier S. 54 f. mit Abb. 8; Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 145 mit Abb. 4. 31 In seiner Chronik berichtet Wilhelm von Tyrus (Buch 15, Kapitel 27), dass Fulk am 13. November (Idibus Novembris), am vierten Tag nach seinem Jagdunfall, verstorben sei: Inde cum lacrimis in predictam urbem [Akkon, C. P.] deportatus, triduo sine sensu, tamen adhuc palpitans, protraxit vitam, quarta demum die, Idibis videlicet Novembris, [. . .] deficiens in senectute bona ultimum clausit diem. Willelmi Tyrensis Konkurrenz für Santiago de Compostela? 131 <?page no="132"?> Graf von Anjou und Tours naturgemäß in einer besonderen Verbindung zum hl. Martin, was auch an dem hervorgehobenen Festeintrag im Kalendar des berühmten Melisende-Psalters ablesbar ist. 32 Abb. 2: Sinai, Kloster St. Katharina. Ikone mit sechs Heiligen. 12. Jahrhundert. Archiepiscopi Chronicon, hg. von Robert Burchard Constantyn Huygens (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 63, 1986) S. 711. Abweichende Todesdaten verzeichnen Sylvia Schein , Fulco, Gf. v. Angers/ Anjou, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989) Sp. 1016 f. (10. November); Die Urkunden der lateinischen Könige von Jerusalem 1, hg. von Hans Eberhard Mayer (Monumenta Germaniae Historica. Diplomata regum Latinorum Ierosolymitanorum 1, 2010) S. 294 (10. November); Peter Lock , The Routledge Companion to the Crusades (2006) S. 236 (10. November); Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 145 ( „ [. . ..] Fulk of Anjou, who died precisely on the day of St. Martin, November 11, 1143. “ ). 32 Folda , The Art of the Crusaders (wie Anm. 30) S. 137 - 163 (The Psalter of Queen Melisende from Jerusalem), hier besonders S. 151: „ [. . .] among the major saints, that is, apostles, evangelists, and archangels presented with special prominence, the entry for St. Martin of Tours on November 11 is given golden letters, for reasons still unexplained. “ Vgl. Hugo Buchthal, Miniature painting in the Latin Kingdom of Jerusalem. With liturgical and palaeographical chapters by Francis Wormald (1957) S. 1 - 14 (Queen Melisende ’ s Psalter), S. 122 - 126 (The calendar of Queen Melisende ’ s Psalter [mit Edition], der Eintrag zu St. Martin S. 126). Allgemein zum Psalter der Melisende (London, British Library, Egerton 1139), der vermutlich um 1140 im Auftrag Fulks für dessen Ehefrau Melisende im Skriptorium der Grabeskirche in Jerusalem angefertigt wurde, vgl. zuletzt Lucy-Anne Hunt , Melisende Psalter, in: The Crusades. An Encyclopedia 3, hg. von Alan V. Murray (2006) S. 815 - 817; Folda , Melisende (wie Anm. 29) S. 448 - 459; Jaroslav Folda , Crusader Art. The Art of the Crusaders in the Holy Land, 1099 - 1291 (2008) S. 32 - 36. Christian Popp 132 <?page no="133"?> Ob diese Bildquelle als missing link 33 wirklich ausreicht, um Königin Melisende als Hauptverantwortliche für die Initiierung des Apostelkultes und die Erbauung der Jakobuskapelle in der armenischen Kirche in Jerusalem festzumachen, ist für unsere Fragestellung nicht entscheidend. Fest steht, dass sich die Verehrung des hl. Jakobus in Jerusalem unter massivem Einfluss der lateinischen Kreuzfahrer, die die Stadt bekanntlich seit 1099 in Besitz hatten, entwickelte. Den Lateinern dürfte in der Mitte des 12. Jahrhunderts der Jakobuskult in Compostela fraglos bekannt gewesen sein. Insofern lässt sich auch der Jerusalemer Reliquienkult um den Schädel des Apostels und die späte Verortung seiner Hinrichtungsstätte in der neu errichteten armenischen Jakobuskirche als Reaktion auf die immer dominanter werdende Wallfahrt nach Santiago und die damit einhergehende Popularisierung des Heiligen in ganz Europa interpretieren. Um die Rolle Jerusalems für die Genese des Jakobuskultes auszuloten, lohnt es sich, den Blick noch einmal nach Santiago zu wenden. Die Entstehung des Compostelaner Jakobuskultes kann hier nur kurz referiert werden: 34 Die Übertragung der Gebeine vom Heiligen Land nach Galicien ist in spärlichen Notizen zuerst in den Martyrologien des 9. Jahrhunderts greifbar, sie entwickelte sich in den nächsten Jahrhunderten weiter und kursierte in verschiedenen Varianten. Wesentlich sind vor allem zwei Überlieferungsstränge, die beide Eingang in den um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen berühmten Liber Sancti Jacobi fanden. Dies ist zum einen ein Brief eines Papstes Leo, der die Hinrichtung des Jakobus in Jerusalem und die Überführung der Gebeine von Jaffa aus per Schiff durch die Jünger des Apostels beschreibt. Diesem Brief ist eine ausführlichere Translationsgeschichte vorangestellt, die etwas andere Akzente setzt. 35 Die Formulierungen in den Legenden von der Überführung des Heiligen nach Galicien - und das ist in unserem Zusammenhang das Entscheidende - lassen keinen Zweifel daran, dass Compostela den gesamten Leichnam, den Kopf eingeschlossen, für sich reklamierte. So macht Leo in seinem Brief - in der Fassung, die das dritte Buch des Liber Sancti Jacobi überliefert - der ganzen Christenheit bekannt, qualiter in Yspania integrum corpus beatissimi Iacobi apostoli territorio Gallecie translatum est. 36 Ebenso unmissverständlich formuliert der Pilgerführer im fünften Buch des Liber Sancti Jacobi, dass, auch wenn Neider jenseits der Berge das Gegenteil behaupteten, der 33 Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 145. 34 Vgl. zusammenfassend Klaus Herbers , Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert (2008) besonders S. 150 - 186, mit weiterführenden Literaturhinweisen. 35 Zur Übertragung der Gebeine nach Galicien vgl. Klaus Herbers , Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt ( 2 2007) S. 12 - 15. 36 Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus. Transcripción a partir del Códice original por Klaus Herbers / Manuel Santos Noia (1999) hier S. 188 (Buch 3, Kapitel 2). Konkurrenz für Santiago de Compostela? 133 <?page no="134"?> Leichnam des Apostels hier vollständig vorhanden sei (corpus totum). 37 Hier ist klar artikuliert: Die Basilika von Santiago beanspruchte für sich, den kompletten Leichnam des Apostels in ihren Mauern zu bergen; Kultkonkurrenten werden der Unwahrheit bezichtigt. Umso interessanter ist der Blick in eine zweite wichtige Compostelaner Sammlung zum Jakobuskult im 12. Jahrhundert, in die Historia Compostellana. Die Bistumsgeschichte entstand in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts im unmittelbaren Umfeld des ersten Erzbischofs von Compostela, Diego Gelmírez ( † 1140). 38 Auch sie enthält am Beginn des ersten Buches einen Hinweis auf den Brief Leos, der bestätigt, dass der komplette Leichnam samt Haupt - integrum corpus cum capite 39 , wie es hier ausdrücklich heißt - nach Spanien transloziert worden sei. Trotz dieser wesentlich von Erzbischof Diego Gelmírez initiierten Versuche, den kompletten Reliquienbestand des Apostels Jakobus für Compostela zu reklamieren, 40 enthält die Historia Compostellana noch einen anderen Translationsbericht, der einen historischen Kern haben dürfte und der dem von den Compostelaner Quellen gezeichneten Bild 41 von der Überführung des integrum corpus nach Galicien durch die Schüler des Apostels widerspricht. 37 Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 36) S. 254 (Buch 5, Kapitel 9): Erubescant igitur emuli transmontani, qui dicunt se aliquid ex eo, vel reliquias eius habere. Apostolicum namque corpus totum ibi habetur [. . .]. 38 Entstehung und Autorschaft des Werkes sind ausführlich diskutiert im Einleitungskapitel der kritischen Edition: Historia Compostellana, ed. von Emma Falque Rey (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 70, 1988) hier S. IX - XXXIII. Zusammenfassend Ludwig Vones , Historia Compostellana, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991) Sp. 42 f. 39 Historia Compostellana (wie Anm. 38) S. 7 (Buch 1, Kapitel 1). 40 Gelmírez hatte auf der Grundlage der Apostolizität der Jakobuskirche die Erhebung seines Bistumssitzes zur Metropolitanwürde durchgesetzt und verteidigte entsprechend vehement die Exklusivität der Jakobusreliquien in Compostela. Zu Diego Gelmírez und seiner Kirchenpolitik vgl. ausführlich Richard A. Fletcher , Saint James ’ s Catapult. The Life and Times of Diego Gelmírez of Santiago de Compostela (1984); Ludwig Vones , Die ‚ Historia Compostellana ‘ und die Kirchenpolitik des nordwestspanischen Raumes 1070 - 1130. Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Spanien und dem Papsttum zu Beginn des 12. Jahrhunderts (Kölner historische Abhandlungen 29, 1980). 41 Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 135 und öfter, spricht von der „ Compostelan doctrine of preserving Santiago ’ s ‚ totum corpus ‘“ . Allerdings ist auch der Liber sancti Jacobi nicht frei von widersprüchlichen Angaben. So wird beispielsweise im Pseudo-Turpin, dem 4. Buch des Liber sancti Jacobi, der Apostel, der mit dem Teufel um die Seele Karls des Großen ringt, als Galicier ohne Kopf (Gallecianus [. . .] capite carens) bezeichnet. Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 36) S. 235 (Buch 4, Kapitel 32). Vgl. Robert Plötz , De hoc quod apostolus Karolo apparuit. Die Traumvision Karls des Großen: Eine typisch mittelalterliche Vision? , in: Jakobus und Karl der Große. Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin, hg. von Klaus Herbers (Jakobus-Studien 14, 2003) S. 39 - 78, hier S. 52 f. (mit deutscher Übersetzung der Passage). Christian Popp 134 <?page no="135"?> Geschildert wird die Pilgerreise des Mauritius ( † 1137), Bischof von Coimbra (ab 1098/ 99), nachmals Erzbischof von Braga (1109/ 11 - 1118), der am Ende seiner kirchlichen Karriere zwischen 1118 und 1121 unter dem Namen Gregor VIII. als Gegenpapst zu Gelasius II. und Calixt II. auftrat. 42 Von seiner von 1104 bis 1108 ins Heilige Land unternommenen Wallfahrt, die auch durch andere Quellen gut bezeugt ist, 43 brachte Mauritius mehrere wertvolle Reliquien mit, die durch verschiedene Zeitumstände schließlich in Santiago landeten. Die Hintergründe dieser Pilgerreise und des Berichtes in der Historia Compostellana können hier nur angedeutet werden, es ist vor allem die Konkurrenz zwischen Braga und Compostela, die in dem Reliquienraub des Jahres 1102 gipfelte, durch den der Compostelaner Bischof Diego Gelmírez der Kirche von Braga ihre wichtigsten Heiltümer entrissen und seiner eigenen Kirche einverleibt hatte. 44 Wir können uns hier auf die Schilderung in der Historia Compostellana konzentrieren, die die Entwendung des Hauptes des Apostels Jakobus durch Mauritius zum Inhalt hat. Demnach besuchte Mauritius auf seiner Pilgerfahrt ein nicht näher beschriebenes Kirchlein bzw. eine Kapelle nahe Jerusalem (prope Iherosolimam). Ein greiser Priester wies ihn darauf hin, dass sich in dieser ecclesiola, wie er von seinen Vorgängern wisse, das Jakobushaupt (caput beati Iacobi Apostoli) befinde. Die Historia Compostellana berichtet nun weiter, wie Mauritius das Vertrauen der dortigen Priesterschaft gewann, eines Nachts die Kopfreliquie stahl und sie - in ein silbernes Reliquiar eingeschlossen - nach Spanien brachte. 45 Die procompostelaner Ausrichtung des Berichtes über diesen Reliquiendiebstahl wird deutlich in einer Begegnung, die unmittelbar nach dem Raub der Kopfreliquie stattgefunden haben soll. Die Historia Compostellana beschreibt, wie Mauritius und seine Entourage von einem Eremiten in Jerusalem zur Rede gestellt werden, der um ihr Verbrechen weiß, der sie aber mit folgenden Worten entlässt: „ Geht, die Gnade Gottes begleite Euch. Es gehört sich, dass dort, wo sich der Körper dieses Apostels befindet, auch dessen Kopf sei “ 46 . Der Bericht lässt also 42 Nach seinem Scheitern in Rom wurde er von seinen Gegnern mit dem Spottnamen Burdinus belegt. Zu seiner Person vgl. Georg Schwaiger , Grégoire VIII, in: Dictionnaire historique de la papauté, hg. von Philippe Levillain (1994) S. 750 f.; Friedrich Wilhelm Bautz , Gregor VIII., Gegenpapst, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 2 (1990) Sp. 315 f.; Carl Erdmann , Mauritius Burdinus (Gregor VIII.), Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 19 (1927) S. 205 - 261. 43 Vgl. mit Angabe der Quellen Vones , Historia Compostellana (wie Anm. 40) S. 260 f. 44 Ausführlich dazu Vones , Historia Compostellana (wie Anm. 40) S. 219 - 270. Vgl. auch Fletcher , Saint James ’ s Catapult (wie Anm. 40) S. 170 - 174; Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 137 - 141. 45 Historia Compostellana (wie Anm. 38) S. 195 f. (Buch 1, Kapitel 112). 46 Historia Compostellana (wie Anm. 38) S. 195: [. . .] quidam heremita, uocauit eos ad se et ait illis: „ Scio equidem, fratres karissimi, quid feratis et quam pretiosum thesaurum Konkurrenz für Santiago de Compostela? 135 <?page no="136"?> keinen Zweifel daran, dass es sich um das Haupt des Apostels Jakobus des Älteren handelte, das zum bereits in Galicien ruhenden Leib überführt werden solle. Die Pilgerreise des Mauritius und die Niederschrift im Rahmen der Historia Compostellana erfolgten zeitlich vor der Etablierung des neuen Jakobuskultes in der armenischen Kirche in Jerusalem. Die Angaben zu dem Kirchlein, in dem Mauritius die Schädelreliquie aufgefunden haben will, sind höchst vage. Möglicherweise sind hier noch ältere Jerusalemer Traditionen eines Jakobusgrabes eingeflossen. So würde die schon erwähnte Lokalisierung des Apostelgrabes auf dem Ölberg durch den Pilger von Piacenza durchaus zur Ortsangabe in der Mauritius-Translation, prope Iherosolimam, also nahe bei der Stadt, passen. Wie dem auch sei, Mauritius von Coimbra gelangte mit der geraubten Kopfreliquie glücklich in seine Heimatdiözese zurück. Der Bischof, selbst Cluniazenser, deponierte sie zunächst in der cluniazensischen Abtei San Zoilo de Carrion. 47 Dort ging sie 1116 in den Besitz der Königin Urraca von Kastilien und León (1109 - 1126) über, die den Kopf des hl. Jakobus zusammen mit weiteren Heiltümern, zu denen eine Partikel vom Heiligen Grab und ein Knochen des hl. Stephanus gehörten, dem Bischof von Compostela, Diego Gelmírez, zum Geschenk machte. 48 Die kostbare Gabe stärkte die durch verschiedene Auseinandersetzungen schwer erschütterte Stellung des Gelmírez in Compostela. 49 Der Bischof konnte die Reliquien ohne Störung in einer feierlichen Prozession in die Stadt bringen und den wertvollen Schatz (preciosum thesaurum) am Hochaltar der Kathedralkirche den Gläubigen präsentieren. 50 Diese Schädelreliquie dürfte jedoch auch für Irritationen gesorgt haben. Die in den folgenden Jahrzehnten von Diego Gelmírez initiierten Versuche, die Legende von der Übertragung des kompletten Jakobusleibes durch die Jünger des Apostels durchzusetzen, machte das später translozierte Haupt gewissermaßen überflüssig. Insofern ist es plausibel, in der seit dem 14. Jahrhundert vermehrt in den Quellen auftretenden Schädelreliquie Jakobus ’ des Jüngeren den umgedeuteten Kopf Jakobus ’ des Älteren zu erblicken, also jener Reliquie, die von Mauritius aus Jerusalem gestohlen und durch Königin Urraca nach Compostela gelangt war. Die Compostelaner Kopfreliquie wurde 1322 in Santiago mit einem neuen Reliquiar furati fueritis. Ite, gratia Dei comitetur uos. Oportet enim, ut, ubi est huius Apostoli corpus, ibi sit et capud eius “ . 47 Historia Compostellana (wie Anm. 38) S. 196. 48 Vgl. Vones , Historia Compostellana (wie Anm. 40) S. 262 f. 49 Zum Compostelaner Aufstand vgl. Fletcher , Saint James ’ s Catapult (wie Anm. 40) besonders S. 184 - 190. Zusammenfassend zum historischen Kontext vgl. Klaus Herbers , Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts (2006) S. 144 - 146. 50 Historia Compostellana (wie Anm. 38) S. 196 f. Christian Popp 136 <?page no="137"?> versehen und wird bis heute in der Schatzkammer der Kathedrale von Compostela verwahrt. 51 Sie gehörte im ausgehenden Mittelalter zu den herausragenden und besonders verehrten Heiltümern der Kathedrale und wird in etlichen Pilgerberichten genannt, so ja auch im anfänglich zitierten Reisetagebuch des Arnold von Harff. An dieser Stelle ist auf eine Quelle zu verweisen, die meines Erachtens bisher noch nicht in diesem Zusammenhang wahrgenommen wurde. Dabei handelt es sich um den bereits vorgestellten Cartulaire des Mönches Guiman aus der Abtei des hl. Vedastus in Arras. Der Bericht des Guiman über die schon erwähnten Auseinandersetzungen zwischen dem Kloster Saint-Vaast und dem Grafen Philipp von Flandern um die Entwendung des Jakobushauptes schließt nicht mit der Überführung der wertvollen Reliquien in die Abteikirche Saint-Vaast am 3. Januar 1172 ab. Guiman weiß zu berichten, dass Graf Philipp nach der Restitution des Schädels die Wahrheit über den Kopf des Apostels erfahren wollte und noch im Jahre 1172 zu einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela aufbrach, um zu ergründen, ob das Haupt des Apostels nun dort liege oder ob das richtige Haupt jenes sei, welches er zeitweilig in seinem Besitz hatte. Als er in Compostela sein Anliegen vorbrachte, wurde ein silbernes Behältnis herbeigebracht, in dem, so wurde ihm gesagt, nicht das Haupt des Jakobus, Bruder des Johannes, sondern das Haupt Jakobus ’ des Jüngeren aufbewahrt werde. Darüber hinaus sei ihm noch von gewissen Alten versichert worden, dass einst das Haupt Jakobus ’ des Älteren nach Flandern überführt worden sei. 52 Letztere Bemerkung können wir getrost als propagandistischen Zusatz des Guiman 51 Zu der Kopfreliquie und ihrer Umdeutung sowie zu dem 1322 durch den Compostelaner Silberschmied Rodrigo Eáns neu angefertigten Büstenreliquiar siehe Alejandro Barral Iglesias , The Relic and Reliquary of St. James (Santiago Alfeo), in: Gallaecia fvlget [1495 - 1995]. Five centuries of university history, hg. von der Universidade de Santiago de Compostela (1995) Kat.-Nr. 42, S. 234 - 237; Serafín Moralejo Alvarez , Busto-relicario de Santiago el Menor, in: Santiago, Camino de Europa. Culto y Cultura en la Peregrinación a Compostela (1993) Kat.-Nr. 65, S. 345 f., jeweils mit Abbildungen. Vgl. auch Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 141 mit Abb. 3. 52 Cartulaire de l ’ abbaye de Saint-Vaast d ’ Arras, rédigé au XII e siècle par Guimann, hg. von Eugène François van Drival (1875) S. 139 f.: (Eodem . . . anno quo nobis predictus nobilis comes) ipsum venerabile caput beati Jacobi restituit, ad Hyspanias, orationis gratia et ipsius capitis veritatem inquirendi desiderio accensus, sanctum Jacobum adivit. Qui eo perveniens cepit pius explorator curiosius inquirere an ibi sanctissimum ejusdem caput haberetur, quatenus an apud nos an illic verissime haberetur certior redderetur. Facta inquisitione, quoddam argenteum ei allatum est, in quo a quibusdam esse dicebatur caput non ipsius Jacobi fratris Johannis, sed Jacobi minoris ibi repositum ferebatur. Verum cum comes illud sibi aperire summopere postulasset, nec ullo modo impetrare potuisset, a senioribus quibusdam omnino illic non haberi, sed olim in Flandrias translatum fuisse ipsi intimatum est. Vgl. Falkenstein , Modo blanditiis (wie Anm. 9) besonders S. 165 f., mit einem weiteren Quellenbeleg sowie Literatur zur Santiago-Reise des flandrischen Grafen. Konkurrenz für Santiago de Compostela? 137 <?page no="138"?> werten, der den rechtmäßigen Besitz des Apostelhauptes für seine Abtei Saint-Vaast gegen den übermächtigen Kult in Compostela zu reklamieren versuchte und diese Aussage zudem mit der etwas merkwürdigen Quellenangabe a senioribus quibusdam einleitete. Interessanter ist für uns der erste Teil des Berichtes, nämlich dass dem flandrischen Grafen bereits 1172 der in ein silbernes Reliquiar eingefasste Schädel des Jakobus minor gezeigt wurde bzw. - anders ausgedrückt - dass bereits der in den 1170er Jahren schreibende Guiman von einem silbernen Schädelreliquiar des jüngeren Jakobus in Santiago weiß. In ein Silbergefäß war auch die von Mauritius aus Jerusalem entführte Kopfreliquie Jakobus ’ des Älteren eingefasst, es scheint also, dass die Umdeutung dieser Reliquie bereits im 12. Jahrhundert erfolgte, vielleicht schon zu Lebzeiten des Diego Gelmírez, der so machtvoll versucht hatte, das exklusive Anrecht auf die Apostelreliquien und den Besitz des integrum corpus seit der Translation nach Galicien für Compostela zu reklamieren, was das später überführte und somit zweite Haupt des älteren Jakobus überflüssig machte. Die Umdeutung fiel umso leichter, da auch der jüngere Jakobus einen engen Jerusalem-Bezug aufweist. Der später berufene Apostel Jakobus, Sohn des Alphäus, wird in der westlichen Tradition mit dem Jacobus minor identifiziert, der aufgrund seiner Verwandtschaft mit der Mutter Jesu im Mittelalter als Herrenbruder galt. Verehrt wird er als erster Bischof von Jerusalem. 53 Der Legende nach sollen seine Gebeine zusammen mit denen des Apostels Philippus im 6. Jahrhundert nach Rom in die Basilika Santi Apostoli verbracht worden sein. 54 Dennoch etablierte sich auch in Jerusalem ein Grabeskult um Jakobus den Jüngeren. Nach der Eroberung der Stadt 1099 verehrten die lateinischen Kreuzfahrer eines der vier monumentalen Felsengräber im Kidrontal als Grabstätte des Jacobus minor, und zwar das heute sogenannte Benei-Hezir-Grab. 55 Johannes von Würzburg, den wir ja schon als Kronzeugen für den Beginn der Verehrung des älteren Jakobus in 53 Vgl. Roberto Plotino , Giacomo il Minore, apostolo, santo, in: Bibliotheca sanctorum 5, hg. von Filippo Caraffa u. a. (1964) Sp. 401 - 410. 54 In der Vita des Papstes Pelagius I. (556 - 561) wird die Gründung der Basilika erwähnt, in der die beiden Apostel Philippus und Jakobus begraben lägen. Vgl. die Angaben zu SS. Dodici Apostoli in: Walther Buchowiecki , Handbuch der Kirchen Roms. Der römische Sakralbau in Geschichte und Kunst von der altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart 1: Die vier Patriarchalbasiliken und die Kirchen innerhalb der Mauern Roms. S. Agata dei Goti bis S. Francesco Saverino (1967) besonders S. 640. 55 Vgl. Pringle , Churches of the Crusader Kingdom 3 (wie Anm. 15) No. 320, S. 185 - 189 (Tomb Chapel of St James the Less). Nach heutigem Kenntnisstand handelt es sich um das Grabmal der Priestersippe Hezir (Chesir) aus dem zweiten bzw. ersten vorchristlichen Jahrhundert, vgl. Max Küchler , Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (Orte und Landschaften der Bibel 4,2, 2 2014) S. 488 - 494. Christian Popp 138 <?page no="139"?> Jerusalem kennengelernt haben, berichtet ausführlich über dieses Monument im Kidrontal, in dem die Gebeine des Jakobus Alphei aufbewahrt wurden. 56 Auch andere Pilgerberichte erwähnen diesen Kult, 57 so dass eine Überführung des Hauptes des jüngeren Jakobus aus Jerusalem im 12. Jahrhundert in den Augen der Zeitgenossen Plausibilität beanspruchen konnte. Der im Liber Sancti Jacobi propagierte Besitz des corpus integrum und die Umdeutung einer Schädelreliquie des älteren Apostels zum Haupt des jüngeren Jakobus bilden nun keinesfalls den Schlusspunkt in der Legendenbildung um die Gebeine des Heiligen. Die Traditionen mussten immer wieder neu gedacht und geschrieben werden, wobei den veränderten Zeitumständen Rechnung getragen wurde. Auch in Santiago selbst ging die Arbeit an den Translationslegenden weiter. So hat sich in einem Manuskript des 13. Jahrhunderts im Archiv der Kathedrale von Compostela eine Legenda pulcra de translacione capitis sancti Iacobi, also eine weitere Translationsgeschichte des Jakobushauptes erhalten. 58 Die Erzählung setzt mit einer Vision eines Mönches des Klosters Sancta Maria de Carbonario ein. Dem Mönch erschien das Haupt des hl. Jakobus in einer Jerusalemer Kirche. Auch hier ist explizit vom Haupt des älteren Jakobus die Rede, es heißt in der Quelle: Credebat enim quod capud illud esset Iacobi Zebedei, fratris Iohannis euangeliste, cuius corpus in Gallecia requiescit 59 . Der Bericht besagt weiter, dass der Abt des Klosters, ein gewisser Petrus Alfonsus, daraufhin nach Jerusalem reiste, um das Haupt zu stehlen und dem Erzbischof von Braga zu überbringen. Eine sanctissima monialis, die dem Abt heimlich Zutritt zu der Jerusalemer Kirche verschaffte, wies allerdings darauf hin, dass es gegen den Willen Gottes sei, das Haupt nach Braga zu übertragen, er solle es vielmehr ad ecclesiam sancti Iacobi, also nach Santiago de Compostela, überführen. 60 Ohne die historischen Hintergründe 56 Pilgerbericht des Johannes von Würzburg, ediert in: Peregrinationes tres (wie Anm. 16) S. 109: In Valle Iosaphat sepultus fuit beatus Iacobus Alphei, qui de templo, ut dictum est, precipitatus fuit. Est autem in eadem valle pulchra capella, in qua indicium manet sepulturae eius, his superpositis versibus: URGENT ALPHEI NATUM SINE LEGE IUDAEI, CAUSA NECIS FIT EI NOMEN AMORQUE DEI. ALPHEI NATUS DE TEMPLO PRECIPITATUS HUC FUIT ALLATUS ET DEVOTE TUMULATUS. 57 Belege bei Pringle , Churches of the Crusader Kingdom 3 (wie Anm. 15) No. 320, S. 187 f. 58 Vgl. Vones , Historia Compostellana (wie Anm. 40) S. 263; Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 141 - 143. 59 Ediert in: Miragres de Santiago, hg. von Jose L. Pensado (Revista de filología española 68, 1958) S. 257, 272 - 274 (Satzfehler in der Edition, daher unzusammenhängende Seitenzahl), Zitat S. 272. 60 Miragres de Santiago (wie Anm. 59) S. 273: Qui cum transsisset per accessum uocauit eum proprio nomine quedam ssanctisima [sic] monialis que reclusa in quadam cellula sanctissima ducebat uitam. Quam cum audisset abbas timuit ualde et cecidit in faciem Konkurrenz für Santiago de Compostela? 139 <?page no="140"?> dieser Legende diskutieren zu wollen, fällt auf, dass im Gegensatz zu dem Translationsbericht in der Historia Compostellana die Gegebenheiten in Jerusalem genauer wiedergegeben werden. Auch wenn es kaum möglich ist, die Angaben in der Quelle zur Aufbewahrung des Jakobus-Schädels in Jerusalem mit den baulichen Gegebenheiten in der armenischen Jakobuskirche in konkrete Übereinstimmung zu bringen, 61 ist es doch durchaus wahrscheinlich, dass diese Legenda translacionis erst nach der Initiierung des Jerusalemer Jakobuskultes entstanden ist und darin Kenntnisse der lokalen Situation in Jerusalem eingeflossen sind, die durch die Berichte der Kreuzfahrer und Pilger vermittelt wurden. Insofern kann man in dieser Translationsgeschichte auch eine Reaktion der Compostelaner Kirche auf den im 12. Jahrhundert entstehenden konkurrierenden Jakobuskult in Jerusalem erkennen. Eine galicische Version der Legenda pulcra de translacione capitis sancti Iacobi ist aus dem 14. Jahrhundert überliefert. 62 Die Jerusalemer Legendenbildung wiederum vollzog sich in enger Anlehnung an die Compostelaner Traditionen. Dies zeigt sich unter anderem an der Rolle, die der Hafenort Jaffa als Ausgangspunkt der Translation nach Galicien sowohl in den spanischen Quellen als auch in den Berichten aus dem Heiligen Land spielt. 63 So schildert beispielsweise ein um 1180 schreibender namenloser Pilger in seinem Traktat De locis sanctis et populis et bestiis in Palaestina vitam degentibus eine Legende, die er von örtlichen Fischern gehört haben will. Demnach sei der Apostel Jakobus in Jaffa von Jesus gebeten worden, nach Galicien zu gehen, um dort zu predigen. Er habe geantwortet, wenn dieser Felsen mit ihm komme, dann würde er gehen. Sofort teilte sich der Felsen in der Mitte, eine Hälfte brachte Jakobus nach Galicien, wo er heute von Pilgern besucht werde, die andere verblieb in Jaffa. 64 Interessant ist hier, dass die topographischen Gegebenheiten im Heiligen Land in der Legende verarbeitet wurden. suam cui illa iterum dixit: Surge, ne timeas, accede a me et dicam tibi quid te opporteat facere. Tu es abbas Sancte Marie de Carbonario et defferes capud beati Iacobi et duces illud in Yspaniam, non tamen duces illud ad bracarensem, nec oportebit te curare de iuramento quod fecisti bracarensi archiepiscopo, quia tu non posses nec deberes ire contra uoluntatem Domini, nec tamen incurres periurium quia auferetur a te in uia et ducetur ad ecclesia [sic] Sancti Iacobi [. . .]. 61 Wenig überzeugend der Versuch von Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 127) S. 143. 62 Ediert in: Os Miragres de Santiago. Versión Gallega del Códice Latino del Siglo XII, Atribuído al Papa Calisto II, hg. von Eugenio López-Aydillo (1918) S. 77 - 81. 63 Vgl. Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 152 f. 64 Innominatus V (De locis sanctis et populis et bestiis in Palaestina vitam degentibus), ediert in: Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum 3 (wie Anm. 19) S. 29 - 43, hier S. 42: Piscatores illius terre referunt, quod cum Dominus preciperet beato Jacobo, ut in Galitiam iret, respondit beatus Jacobus: Cum lapis iste uenerit mecum. et ego ueniam; et tunc lapis diuisus est per medium et medietas delata est in Galitiam, vbi hodie a peregrinis uisitatur et dicitur pecerius (? ) S. Jacobi, et alia medietas ibi remansit. Christian Popp 140 <?page no="141"?> Auslöser dürften die berühmten Andromeda-Felsen, 65 eine freiliegende Felsformation vor der Küste Jaffas, sein. Diese Felsen werden auch in anderen Pilgerberichten aus dem 13. Jahrhundert mit dem hl. Jakobus in Verbindung gebracht, in dem sie als le Perron Saint Iaque bzw. als petra, que dicitur Lepreson scilicet Iacobi bezeichnet werden. 66 1244 ging Jerusalem endgültig den lateinischen Kreuzfahrern verloren. Der Traditionsbildung an der Jerusalemer Jakobuskirche, die auch weiterhin unter der Obhut der armenischen Christen blieb, tat dies keinen Abbruch. Die spätmittelalterlichen Pilgerberichte zeigen, dass in der armenischen Kathedralkirche auch weiterhin in verschiedenen Varianten die Hinrichtungsstätte des Apostels Jakobus lokalisiert und seine Kopfreliquie verehrt wurden. Einige Traditionsstränge lassen den Kopf des hl. Jakobus durch Engel von Jaffa nach Jerusalem bringen - eine schöne Reminiszenz an die Compostelaner Translationslegenden. 67 Von einer Überführung per manus angelorum spricht beispielsweise ein nach 1244 anonym verfasster Pilgerbericht, nur lässt er fälschlich den corpus ipsius Iacobi von Jaffa aus zur Enthauptungsstätte nach Jerusalem überführen anstatt den Kopf des Heiligen. 68 Im dritten Buch des Liber Secretorum, des Hauptwerkes des venezianischen Geographen Marino Sanudo des Älteren ( † um 1343), 69 verfasst zwischen 1312 und 1321, findet sich ebenfalls eine Version dieser Engelstranslation. Sanudo führt aus, der Kopf des Jakobus sei nach der Enthauptung in Jerusalem von Jaffa aus durch Engelshände zurück zur Hinrichtungsstätte nach Jerusalem gebracht und dort begraben worden. 70 Vom Körper des Heiligen schreibt Sanudo nichts, er konnte bei seinen Lesern die Kenntnis voraussetzen, dass der Leib des Apostels von dessen Schülern von Jaffa aus nach Galicien überführt worden sei. 65 Zum Mythos von Andromeda und zur Verortung der Geschichte in Jaffa schon in griechischer und römischer Zeit vgl. Othmar Keel / Max Küchler , Der Süden (Orte und Landschaften der Bibel. Ein Handbuch und Studienreiseführer zum Heiligen Land 2, 1982) S. 14. 66 Quellenbelege bei Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 153. 67 Vgl. Lewy , Body in „ finis terrae “ (wie Anm. 27) S. 148 - 151. 68 Anonymus saec. XIII, Liber de civitatibus terrae sanctae, ediert in: Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum 4 (wie Anm. 24) S. 340 - 368, hier S. 348: Postea debet homo ire ad montem Sion; etiam in itinere inveniet ecclesiam Sancti Iacobi et Zebedei que est Armenorum in quo est locus ubi quondam repositum fuit ipsius Iacobi corpus allatum de Ioppe per manus angelorum ubi fuit decollatus. 69 Vgl. Ugo Tucci , Sanudo, Marin d. Ä., in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995) Sp. 1373 f. 70 Marinus Sanutus , Liber Secretorum Fidelium Crucis Super Terrae Sanctae Recuperatione Et Conservatione [. . .]. Tomus secundus (1611) (VD17 23: 231141Q) S. 254: Post vadat Peregrinus ad montem Syon. In procedendo autem contra turrim Dauid, in itinere, inuenitur locus vbi ab Herode Agrippa fuit beatus Iacobus, frater Iohannis, occisus gladio: nec bene dicunt qui referunt, caput eius de Iopen illuc per manus Angelorum allatum, atque sepultum. Konkurrenz für Santiago de Compostela? 141 <?page no="142"?> Eine Analyse der weiteren Fortschreibungen und Varianten der Legende können wir uns an dieser Stelle ersparen. Die Situation in Jerusalem wird zunehmend unübersichtlich, da es in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts - wohl auch im Zusammenhang mit der Einrichtung des armenischen Patriarchats 1311 - offenbar zu einer neuen Deutung der Grabstätte Jakobus ’ des Jüngeren kam. Die letzte Ruhestätte des angeblich ersten Jerusalemer Bischofs wurde nun zunehmend in der armenischen Jakobuskirche verortet, 71 nichtsdestotrotz wurde den Pilgern weiterhin im Kidrontal eine Jakobus-Kultstätte gezeigt. 72 So kann es nicht verwundern, dass in den späteren Berichten der Jerusalemreisenden Verwechslungen und Gleichsetzungen der beiden Heiligen an der Tagesordnung sind. Schön zu sehen ist dies - um nur ein beliebiges Beispiel zu nennen - am Palästina- Pilgerbericht des Mainzer Domherrn Bernhard von Breidenbach ( † 1497), der 1483 in Begleitung des Utrechter Zeichners und Druckers Erhard Reuwich eine Reise ins Heilige Land angetreten hatte. 1486 erschien sein Bericht unter dem Titel Peregrinatio in terram sanctam im Druck, illustriert 71 Pringle , Churches of the Crusader Kingdom 3 (wie Anm. 15) No. 318, S. 170 (Armenian Cathedral Church of St James the Great): „ A number of pilgrims from the 1340 s onwards identify the patron of the church as St James the Less, the brother of Jesus and first bishop of Jerusalem [. . .]. It seems unlikely that they were simply confusing St James the Less with St James the Apostle, since the Armenians today show the former ’ s tomb inside the church under the bishop ’ s throne [. . .]. More likely it was the result of the appropriation at this time of an earlier tradition which associated the house of St James the Less, containing his throne, with Mount Sion. “ - Zum Doppelpatrozinium der armenischen Patriarchalkirche und der Situation heute vgl. Küchler , Jerusalem (wie Anm. 55) S. 376: „ Der Hauptaltar in der erhöhten Mittelapsis birgt die Reliquien des Herrenbruders, die ursprünglich unter dem eisernen Gitter bei seinem Thron am nordöstlichen Pfeiler lagen, nachdem sie, wie die Armenier glauben, aus dem Kidrontal hierhin gebracht worden waren. Der größere Thron mit dem Baldachin wird als Thron des Herrenbruders Jakobus verehrt, während der kleinere rechts davon jeweils vom regierenden armenischen Patriarchen von Jerusalem benutzt wird. - Die mächtige Nordwand enthält die Kapelle des Apostels Jakobus, dessen Haupt in der Nische unter dem Altar verehrt wird. So sind die beiden Jakobi des Neuen Testaments in der gleichen Kirche vereint, wobei der Herrenbruder eindeutig die Ehrenposition beim Hauptaltar einnimmt, während der Apostel, der älteste Traditionsträger dieses Ortes, in der Nebenkapelle sein Reliquiar hat. Dies hat letztlich mit den religiösen Ansprüchen des armenischen Patriarchen als Nachfolger des ersten Bischofs von Jerusalem zu tun. “ 72 Vgl. exemplarisch den Bericht eines anonymen Augsburger Jerusalem-Pilgers von 1444, dem im Kidrontal die Höhle präsentiert wurde, in der (einer apokryphen Überlieferung zufolge) der hl. Jakobus nach der Kreuzigung ohne Essen ausgeharrt haben soll, bis er Christus vom Tod auferstanden sah: Anton Birlinger , Ein Pilgerbüchlein. Reise nach Jerusalem von 1444, Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 40 (1867) S. 301 - 322, hier S. 310: Item vnden auf dem weg ist ain hol bei Absolanus grab, daz ist daz hol, da sant Jackob jn lag bis got der her erstond von dem tod. Andere Belege bei Pringle , Churches of the Crusader Kingdom 3 (wie Anm. 15) No. 320, S. 187 f. Christian Popp 142 <?page no="143"?> mit 26 Holzschnitten von Reuwich. Während Breidenbach in seiner Beschreibung die Kirche an der Stelle verortet, an der Herodes den hl. Jakobus den Älteren enthaupten ließ, 73 ist in der Ansicht der civitas Iherusalem von Reuwich die armenische Kathedrale mit der Bemerkung versehen, dies sei der Ort der Enthauptung von Jakobus dem Jüngeren (locus, ubi decapitatus fuit Jacobi minor). 74 Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Stadt Jerusalem für die Entwicklung eines Jakobuskultes prädestiniert war. Schon früh wird die Stadt mit dem Ort der Hinrichtung des Apostels in Verbindung gebracht, auch wenn die einschlägige Passage in der Apostelgeschichte den genauen Platz des Geschehens verschweigt. Und es war der Kopf des Heiligen, der aufgrund seines Martyriums - der Enthauptung - in besonderer Weise einen Anknüpfungspunkt für einen eigenen Reliquienkult bot. Dennoch entwickelte sich in Jerusalem ein klar lokalisierbarer und in den Quellen sicher fassbarer Kult um den Schädel des Apostels erst in der Mitte des 12. Jahrhunderts, also in der Zeit, in der Compostela bereits seine volle Bedeutung als überregionales Pilgerziel erlangt hatte. Die Jakobusverehrung in der armenischen Kirche wurde von den lateinischen Kreuzfahrern initiiert, vielleicht gab die Jerusalemer Königin Melisende, die armenische Wurzeln besaß, den entscheidenden Anstoß dazu. In jedem Fall steht der Jerusalemer Kult in Zusammenhang mit der schnell wachsenden Popularität des Heiligen in Europa als Folge der Massenwallfahrten nach Compostela. Die Legendenbildung in Jerusalem orientierte sich von Anfang an an den Compostelaner Traditionen, im Gegenzug reagierte man in Santiago auf den neuen Kult in Jerusalem, der durch die Kreuzfahrer- und Pilgerberichte in Europa bekannt geworden war, mit modifizierten Legenden zur Übertragung des Jakobus vom Heiligen Land nach Galicien. Trotz der von Diego Gelmírez und seinem Umfeld initiierten Bemühungen, den Besitz des corpus integrum für Compostela zu reklamieren, entstanden weitere Legenden und Traditionen. Sie berichten in verschiedenen Varianten von der Translation des Hauptes des Apostels Jakobus des Älteren. Auch andernorts sind Kopfreliquien des Apostels präsent, wie die Entführung des Jakobusschädels in Arras im 12. Jahrhundert und der Toulouser Apostelkult des späteren Mittelalters vor Augen führen. In Compostela dagegen wurde offenbar eine zur eigenen 73 Bernhard von Breydenbach: Peregrinatio in terram sanctam. Eine Pilgerreise ins Heilige Land. Frühneuhochdeutscher Text und Übersetzung, hg. von Isolde Mozer (2010) fol. 46 v (S. 128) und fol. 110 v (S. 440). 74 Reproduktion des Holzschnittpanoramas von Jerusalem mit dem Hl. Land in Breydenbach, Peregrinatio (wie Anm. 73) Abb. 22 a - h, hier 22 d. Zu den Holzschnitten Reuwichs vgl. Frederike Timm , Der Palästina-Pilgerbericht des Bernhard von Breidenbach und die Holzschnitte Erhard Reuwichs. Die Peregrinatio in terram sanctam (1486) als Propagandainstrument im Mantel der gelehrten Pilgerschrift (2006), insbesondere S. 278 - 280 mit weiteren Text-Bild-Abweichungen hinsichtlich der Jerusalem-Ansicht. Konkurrenz für Santiago de Compostela? 143 <?page no="144"?> Legendenbildung nun nicht mehr passende Schädelreliquie zum Haupt Jakobus ’ des Jüngeren umgedeutet. Das Haupt des hl. Jakobus des Älteren, so lässt sich abschließend bilanzieren, blieb in ständiger Bewegung. Resumen: ¿Competencia para Santiago de Compostela? La veneración de la cabeza de Santiago en Jerusalén Desde la manifestación y popularización de la veneración jacobea en el siglo XII nacieron cultos competitivos en lugares distintos, especialmente Santiago de Compostela, que es bien conocido por esto, y Jerusalén. La Ciudad Santa era predestinada como lugar del culto a causa de la tradición bíblica y del sitio de la ejecución del apóstol. La veneración de la cabeza de Santiago era obvia por la decapitación. El autor examina la relación de las reliquias de la cabeza del apóstol en lo posible mediante los reportes sobre las translaciones de reliquias y peregrinaciones. La veneración de Santiago en Jerusalén está palpable por primera vez en el siglo XII. Los peregrinos contemporáneos la relacionaron progresivamente con la iglesia de Santiago de los armenios en Jerusalén. Los cruzados latinos popularizaron el culto jacobeo en Jerusalén e intentaron a establecer allí un culto paralelo, en un período en que el culto de Compostela era conocido hasta muy lejos. El culto de Santiago en Santiago de Compostela comenzó ya en el siglo IX. La creación de leyendas en Compostela del siglo XII se divide en dos diferente líneas de la transmisión: Una narra del traslado del cuerpo completo a Galicia por los discípulos del apóstol, la otra informa de un traslado independiente de la cabeza apostólica por un obispo español al principio del siglo XII, que la robara de una capilla en Jerusalén. Las dos leyendas se anotaron en ese tiempo, cuando el culto se implantaba por primera vez en Compostela en el siglo XII. El autor supone que la cabeza de Jacobo Menor, que era comprobada primeramente en Santiago en el siglo XII sea la „ segunda “ cabeza de Jacobo Mayor, que se transfirió en este tiempo. No obstante Jerusalén mantuvo su versión de la leyenda. La creación de la leyenda compostelana y jerusalena reacciona uno tras otro. Desde el siglo XIV Jerusalén se reinterpretó un lugar del culto, que estuvo consagrado a Jacobo Mayor, como paradero de la cabeza de Jacobo Menor. También con respecto a lugares de culto medievales se manifiesta que las reliquias del apóstol estuvieron sujetos de reinterpretaciones continuas y que el propio culto era defendido contra competidores. Así la tumba del apóstol Jacobo Mayor permaneció en movimiento. Christian Popp 144 <?page no="145"?> Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? Bruno Reudenbach „ Bewegung “ gehört zu den genuinen Eigenschaften von Reliquien. Schon die Entstehung oder Schaffung einer Reliquie ist ein Akt der Bewegung: Ein Körperpartikel wird vom ganzen Leichnam entfernt und an einen anderen Ort und in einen neuen Kontext versetzt. Durch diesen Entstehungsakt wurden Reliquien im Mittelalter Teil eines komplexen Kommunikationsgeflechtes; religiöse und politische Beziehungen konnten durch den Transport und Austausch von Reliquien gestiftet und befestigt werden und ebenso waren verschiedenste Formen des Gebrauchs von Reliquien in religiösen, politischen oder juristischen Kontexten häufig auch mit einem Moment der Bewegung verbunden. 1 Insofern mutet programmatisch an, dass eine der frühesten Darstellungen, die den Gebrauch von Reliquien zeigt, dieses Bewegungsmoment geradezu inszeniert. Es ist die berühmte Elfenbeintafel aus dem Trierer Domschatz (Abb. 1), sie zeigt die Überführung, die translatio, und das feierliche In-Empfang-Nehmen, den adventus, von Reliquien. 2 Lokalisierung wie Datierung der Tafel mit den Maßen 13 x 26 cm sind bis heute nicht 1 Hedwig Röckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (Beihefte der Francia 48, 2002); Klaus Herbers , Bemerkungen zu Reliquientranslationen im frühen Mittelalter, in: Von goldenen Gebeinen. Wirtschaft und Reliquie im Mittelalter, hg. von Markus Mayr (Geschichte und Ökonomie 9, 2001) S. 221 - 231; Rudolf Schieffer, Reliquientranslationen nach Sachsen, in: 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, Bd. 2, hg. von Christoph Stiegemann / Matthias Wemhoff (1999) S. 484 - 497; Patrick J. Geary : Furta sacra. Thefts of relics in the central Middle Ages (1978). 2 Anke Lohbeck , Elfenbeintafel mit Reliquienprozession, in: 799 (wie Anm. 1) S. 519 - 521, VIII.9; Laurie J. Wilson , Trier procession ivory. A new interpretation, Byzantion 54 (1984) S. 602 - 614; John Wortley , The Trier ivory reconsidered, Greek Roman and Byzantine Studies 21 (1980) S. 381 - 394; Kenneth G. Holum / Gary Vikan , The Trier Ivory, ‘ Adventus ’ ceremonial, and the relics of St. Stephen, Dumbarton Oaks Papers 33 (1979) S. 113 - 133; Winfried Weber , Die Reliquienprozession auf der Elfenbeintafel des Trierer Domschatzes und das kaiserliche <?page no="146"?> zweifelsfrei geklärt; vermutlich ist die Tafel im frühen 6. Jahrhundert in Byzanz/ Konstantinopel entstanden. Gezeigt ist eine Prozession, die sich in einem differenzierten architektonischen Ambiente von links nach rechts bewegt. Den Hintergrund bildet ein mehrstöckiges Gebäude, vor dem und in dessen Pfeilerarkaden zahlreiche Zuschauer des prachtvollen und aufwändigen Einzugs zu sehen sind. Aus den Fenstern des Obergeschosses schauen Männer mit Weihrauchfässern in der einen Hand, während sie die andere Hand ans Ohr gelegt haben. Vielleicht ist dies als ein Gestus des Singens zu deuten, so dass die Prozession als mit Weihrauch und Gesang begleitet dargestellt ist. An das langgestreckte Gebäude schließt sich links ein turmartiges, hohes Gebäude an, wohl das Tor, durch das die Prozession gerade gezogen ist. Zuletzt hat ein vierrädriger Wagen dieses Tor passiert. Auf dem Wagen sitzen nebeneinander, auf einem prächtigen, reliefgeschmückten Sitz, zwei durch Dalmatica und Pallium gekennzeichnete Bischöfe (Abb. 2). Dem Gespann voran gehen vier Männer, die in ihrer rechten Hand jeweils eine große Kerze tragen. Angeführt wird der Zug vom Kaiser, der durch seinen Mantel (paludamentum) mit Fibel und ein Diadem auf dem Kopf gekennzeichnet ist. Abb. 1: Elfenbeintafel mit Reliquienprozession. Konstantinopel (? ), 1. Hälfte 6. Jahrhundert (? ). Trier, Domschatz. Hofzeremoniell, Trierer Zeitschrift 42 (1979) S. 135 - 157; Suzanne Spain ; The translation of relics ivory, Trier, Dumbarton Oaks Papers 31 (1977) S. 279 - 304. Bruno Reudenbach 146 <?page no="147"?> Abb. 2: Elfenbeintafel mit Reliquienprozession, Detail. Konstantinopel (? ), 1. Hälfte 6. Jahrhundert (? ). Trier, Domschatz. Der Zug bewegt sich auf ein Gebäude zu, das am rechten Bildrand zu sehen ist. Es kann durch Kreuze auf den Giebelspitzen als Kirche identifiziert werden, deren Apsis ebenso erkennbar ist wie ein Seitenschiff in der vorderen Bildebene. Offensichtlich ist der Bau noch nicht vollendet, denn Handwerker sind auf den Dachflächen zugange. Vor der Kirche, mit dem Rücken zur Fassade stehend und den Entgegenkommenden zugewandt, nimmt eine Frau die Prozession in Empfang. In der Linken hält sie ein Stabkreuz und durch Kleidung und Schmuck, eine lange juwelenbesetzte Chlamys, die mit einer Fibel über der Schulter geschlossen ist, und ein perlenbesetztes Diadem mit Pendilien, ist sie als Kaiserin ausgewiesen. Nach dem Modell und der Ikonographie eines spätantiken herrscherlichen adventus, der triumphalen Ankunft eines Kaisers oder siegreichen Feldherrn in einer Stadt, ist hier eine Reliquienprozession dargestellt. Zogen nach erfolgreich überstandenem Kampf Kaiser und Heer in eine Stadt ein, so Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? 147 <?page no="148"?> kam es zu einer ritualisierten Begrüßung und Begegnung von Siegern und Bevölkerung. 3 Häufig ist dies auf antiken Denkmälern, auf Triumphbögen, Elfenbeinreliefs oder Münzen dargestellt worden. Für die Darstellung vom Einzug Jesu in Jerusalem griff man auf diese Bildformeln zurück, so dass sie schon früh auch Eingang in die christliche Bildwelt fanden. 4 Auch die Darstellung auf der Trierer Elfenbeintafel orientiert sich offensichtlich an dieser Ikonographie; sie zeigt, dass die Ehre des adventus-Rituals hier dem feierlichen Einzug von Reliquien, also den Heiligen, gilt. Die Reliquien werden von den beiden Bischöfen in einem giebelförmig geschlossen Kasten gehalten (Abb. 2). Derartige hausförmige Reliquienkästchen sind bereits früh üblich gewesen und schon aus dem 4. und 5. Jahrhundert überliefert. Auch ist in Schriftquellen die Übertragung des adventus-Zeremoniells auf den Empfang von Reliquien schon seit der Mitte des 4. Jahrhunderts belegt. 5 Der Ablauf dieses Zeremoniells lässt sich partiell auch unserem Elfenbein entnehmen. Die erste Phase, die eher ungeordnete und emphatische Begrüßung der Heiligen, meist noch vor den Toren der Stadt, hat bereits stattgefunden. Die Übertragung der Reliquien ist in die zweite Phase nach dem Passieren des Stadttores übergegangen, in die geordnete Prozession. Die feste Ordnung der Prozession ist durch die gleichmäßige Reihung des Architekturhintergrundes visuell noch unterstützt. Mit dieser in kontinuierlichem Gleichmaß gestalteten Hintergrundfolie anschaulich verbunden ist die zeremonielle Einfassung des Geleits durch Gesang und Weihrauch. Das Ziel der Prozession ist die noch nicht ganz fertig gestellte Kirche, als deren Stifterin man die Kaiserin annehmen muss. In dieser Kirche wird die dritte Phase erreicht, die auf translatio und adventus folgende depositio, die Niederlegung und Bestattung der Reliquien. Wie gesagt - die Darstellung dieser Reliquienübertragung in die kaiserliche Kirche findet für den Bewegungsablauf eine eindrucksvolle anschauliche Formulierung: Das Kasten-Reliquiar in der Hand der Bischöfe erscheint links, die Kirche rechts im Mittelgrund. Zwischen diesen Polen, dem Wagen mit den ankommenden Reliquien, den einziehenden Heiligen, und ihrer neuen Bestattungsstätte, der Kirche, ist die Prozession in Leserichtung von links nach rechts und parallel zur Bildebene aufgespannt, 3 Michael McCormick , Eternal victory. Triumphal rulership in late antiquity, Byzantium and the early medieval West (1986); Sabine G. McCormack , Art and ceremony in late antiquity (1981) S. 17 - 89. 4 Dagmar Stutzinger , Der Adventus des Kaisers und der Einzug Christi in Jerusalem, in: Spätantike und frühes Christentum. Ausstellung im Liebieghaus, Museum Alter Plastik (1983) S. 284 - 307. 5 Otto Nussbaum , Geleit, in: Reallexikon für Antike und Christentum 9 (1976) Sp. 968 - 1049, hier Sp. 1034; Nikolaus Gussone , Adventus-Zeremoniell und Translation von Reliquien. Victricius von Rouen, De laude sanctorum, Frühmittelalterliche Studien 10 (1976) S. 125 - 133. Bruno Reudenbach 148 <?page no="149"?> begleitet vom Gleichmaß der Hintergrundarchitektur. Deren Arkade schafft eine direkte Verbindung zwischen dem Reliquiar links und der Kirche rechts, deren Giebelfronten beide gleich ausgerichtet sind. So sind wir hier Augenzeuge, wie das Reliquiar als temporäres Heiligengrab transformiert wird zur Bestattungsstätte in der Kirche - und diese Transformation ist verbunden mit dem Transport der Reliquien in der adventus-Prozession der Reliquien. Ein Thema der Trierer Elfenbein-Tafel ist demnach die Bindung der Reliquien an einen Bewegungsvorgang: Sie stammen irgendwoher, werden irgendwohin transportiert und am neuen Bestimmungsort feierlich in Empfang genommen. Vielfach berichten die Quellen von einem derartigen Handlungsablauf. Wie wichtig es war, die Erinnerung daran festzuhalten, lässt sich beispielsweise in Halberstadt beobachten, wo sich der Reliquienschatz der Bischofskirche in großen Teilen Bischof Konrad von Krosigk verdankt. Konrad hatte bekanntlich am vierten Kreuzzug teilgenommen und kehrte am 16. August 1205 mit reicher Reliquienbeute nach Halberstadt zurück. 6 Vor den Toren der Stadt wurde er von Herzog Bernhard von Sachsen, von Adligen, Klerus und Volk in Empfang genommen und in die Stadt geleitet. Auf einer Trage führte man die Reliquien mit sich, darunter eine Kreuzreliquie und einen Dorn der Dornenkrone, den Schädel des Jakobus minor, den Finger des hl. Nikolaus und einen Teil des Schädels des hl. Stephanus. Im Jahre 1208 übereignete Konrad den Reliquienschatz dann der Domkirche und er verband damit die Einsetzung eines neuen Festtages, der mit der Gewährung eines Ablasses verbunden war. Am 16. August sollte jeweils der adventus reliquiarum begangen werden. In Schriftquellen zum Reliquien- und Heiligenkult ist das, was man die Grundbewegung von Reliquien nennen könnte, ihre Überführung von einem Ort an einen anderen, häufig geschildert worden. 7 Auch ist dieses Motiv vielfach in die bildlichen Darstellungen vom Leben, Sterben und von der Verehrung Heiliger eingegangen, wobei man sich allerdings nicht immer noch so eng wie beim Trierer Elfenbein an der spätantiken adventus- 6 Kerstin Hitzbleck , Die Einzüge der Bischöfe von Halberstadt in Mittelalter und Frühneuzeit, in: Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. von. Peter Johanek / Angelika Lampen (Städteforschung 75, 2009) S. 62 ff., 79 - 83; Stefan Tebruck , Kreuzfahrer, Pilger, Reliquiensammler. Der Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk ( † 1255) und der Vierte Kreuzzug, in: Kunst, Kultur und Geschichte im Harz und Harzvorland um 1200, hg. vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Arbeitsberichte 8, 2008) S. 26 - 48; Jörg Richter , Reliquienschatz und Pilgerstrom. Spuren der Verehrung des Apostels Jacobus maior am Halberstädter Dom, in: Der Jakobuskult in Sachsen, hg. von Klaus Herbers / Enno Bünz (Jakobus-Studien 17, 2007) S. 113 - 123, hier S. 114 ff. 7 Martin Heinzelmann , Translationsberichte und andere Quellen des Reliquienkultes (Typologie des sources du Moyen Âge occidental 33, 1979). Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? 149 <?page no="150"?> Ikonographie orientierte. 8 Im Folgenden soll es zunächst jedoch nicht um diese im Bild dargestellten Reliquienbewegungen gehen, sondern um die Objekte, die direkt und unmittelbar den Reliquien verbunden sind, die Behälter, in denen Reliquien verwahrt und teilweise auch transportiert und bewegt wurden. Hat Bewegung als genuine Eigenschaft von Reliquien also Folgen für die Gestalt von Reliquiaren? Die Darstellung auf der Trierer Elfenbeintafel könnte es nahelegen, diese Frage zu verneinen. Hier werden die Reliquien in einem Behälter transportiert, der, wie erwähnt, einem kleinen Haus nachgebildet ist, also in einer Form erscheint, die Statik und damit das genaue Gegenteil von Bewegung signalisiert. Doch so einfach fällt eine Antwort nicht aus. Und - um eine derartige Frage überhaupt stellen zu können, bedarf es zunächst einiger Vorbemerkungen. Im Unterschied zu anderen liturgischen Geräten, wie Kelch, Patene oder Rauchfass, deren Grundform über Jahrhunderte im wesentlichen unverändert bleibt, zeigen Reliquiare eine nahezu unerschöpfliche Formvielfalt, zeigen neben einigen häufig aufgenommen Grundtypen, und dazu zählt das hausförmige Reliquiar, zahlreiche ungewöhnliche, ja singuläre Formerfindungen. Lange hat die Kunstgeschichte diese Formvielfalt und dieses riesige Objektfeld nur mit der Methode der Stilanalyse zu bändigen gewusst und Reliquiare als Gegenstände einer Stil- und Entwicklungsgeschichte genauso wie andere Werke der Goldschmiedekunst, wie Buchmalerei oder Skulptur behandelt. Auch das heute noch nützliche Grundlagenwerk von Joseph Braun verfährt so und versucht der Formvielfalt Herr zu werden mit der Ordnung eines Typenkatalogs. 9 Auf Braun geht auch die bis heute populäre Begriffsprägung „ Redendes Reliquiar “ zurück, mit der er Reliquiare bezeichnete, „ welche durch ihre Form zum Ausdruck bringen sollten, welcher Art die Reliquie war, die sich in ihnen befand “ . 10 Zweifellos gibt es solche Reliquiare, doch längst nicht immer bergen Reliquiare, die menschlichen Körperteilen nachgebildet sind, auch tatsächlich Reliquien, die dieser äußeren Form entsprechen. 11 So ist Brauns Definition zwar 8 Julia Ricker , Reliquienkult und Propaganda. Translationsbildzyklen im Mittelalter (2013); Barbara Abou-El-Haj , The Medieval Cult of Saints. Formations and Transformations (1997) S. 46 - 55. 9 Joseph Braun , Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung (1940). 10 Braun , Reliquiare (wie Anm. 9) S. 380; dagegen: Cynthia Hahn , The Voices of the Saints: Speaking Reliquaries, Gesta 36 (1997) S. 20 - 31. 11 Bruno Reudenbach , Körperteil-Reliquiare. Die Wirklichkeit der Reliquie, der Verismus der Anatomie und die Transzendenz des Heiligenleibes, in: Zwischen Wort und Bild. Wahrnehmungen und Deutungen im Mittelalter, hg. von Hartmut Bleumer/ Hans-Werner Goetz / Steffen Patzold / Bruno Reudenbach (2010) S. 11 - 31; Ders. , Visualizing Holy Bodies: Observations on Body Part Reliquaries, in: Romanesque Art and Thought in the twelfth Century: Essays in Honor of Walter Cahn, hg. von Colum Hourihane (The Index of Christian Art Occasional Papers 10, Bruno Reudenbach 150 <?page no="151"?> unzutreffend, aber anders als er dachte dennoch richtig. Wenn man mit dem Begriff des Redenden Reliquiars operiert, muss man nämlich eine Annahme verwerfen, die bei der älteren Beschäftigung mit Reliquiaren selten explizit formuliert, meist aber stillschweigend zugrunde gelegt wurde, die Annahme, die Funktion von Reliquiaren sei eindimensional bestimmt, sie dienten dazu, Reliquien aufzunehmen und für den Reliquienkult zur Verfügung zu stellen. Demgegenüber hat man inzwischen Reliquiare als weit vielschichtigere Objekte erkannt, deren Mehrdimensionalität der Einbindung der Reliquien selbst in ein komplexes Kommunikationsgeflecht entspricht. 12 Diese Komplexität artikuliert sich schon auf den ersten Blick im Formenreichtum dieser Objektgruppe, doch nicht nur darin. Es lässt sich sagen, dass Reliquiare tatsächlich zu „ sprechen “ vermögen, aber nicht eindimensional allein von ihrer Funktion als Behälter zur Aufbewahrung, sondern auch metaphorisch und symbolisch und in einem ausdifferenzierten Zeichen- und Kommunikationssystem. So befreiten Reliquiare vor allem aus einer Aporie, die dem Reliquienkult eigen war. Reliquien als den Überresten irdischer Heiligenleiber wurde virtus, wurden himmlische Gnadenkräfte zugeschrieben. 13 Überblickt man die Praxis der Verehrung von Reliquien, dann zeigt sich durchgängig, dass man glaubte, man könne sich dieser virtus, der Segens- und Gnadenkräfte, versichern durch möglichst große Nähe zu den Reliquien, durch Küssen und Berühren, zumindest aber durch visuellen Kontakt, durch Sehen und Anschauen. 14 Das Verlangen, der himmlischen Gnadenkräfte durch 2008) S. 95 - 106; Barbara Drake Boehm , Body-Part Reliquaries: The State of research, Gesta 36 (1997) S. 8 - 19; Caroline Walker Bynum / Paula Gerson , Body Part Reliquaries and Body Parts in the Middle Ages, Gesta 36 (1997) S. 3 - 7. 12 Cynthia Hahn , Strange Beauty. Issues in the Making and Meaning of reliquaries, 400 - circa 1204 (2012); Cynthia HAHN, What Do Reliquaries Do for Relics, Numen 57 (2010) S. 284 - 316; Treasures of heaven. Saints, relics, and devotion in medieval Europe. Ausstellungskatalog The Cleveland Museum of Art, The Walters Art Museum, Baltimore, The British Museum, London, hg. von Martina Bagnoli (2010); Reliquiare im Mittelalter, hg. v. Bruno Reudenbach / Gia Toussaint (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 5, 2005); Bruno Reudenbach / Gia Toussaint , Die Wahrnehmung und Deutung von Heiligen: Überlegungen zur Medialität von Reliquiaren, Das Mittelalter 8 (2003) S. 34 - 40; Bruno Reudenbach , Reliquiare als Heiligkeitsbeweis und Echtheitszeugnis: Grundzüge einer problematischen Gattung, Vorträge aus dem Warburg-Haus 4 (2000) S. 1 - 36; Les reliques: objets, cultes, symboles. Actes du colloque international de l´Université du Littoral-Côte d ´Opale (Boulogne-sur-Mer): 4 - 6 septembre 1997, hg. von Edina Bozóky / Anne- Marie Helvétius (1999); Anton Legner , Reliquien in Kunst und Kult: zwischen Antike und Aufklärung (1995). 13 Arnold Angenendt , Heilige und Reliquien: Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart (1994) S. 155 - 158. 14 Christof L. Diedrichs , Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens (2001); Renate Kroos , Vom Umgang mit Reliquien, in: Ornamenta Ecclesiae: Kunst und Künstler der Romanik. Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? 151 <?page no="152"?> menschliche Sinneserfahrung, durch Sehen und Berühren teilhaftig zu werden, war allerdings einem Problem ausgesetzt: Gerade die virtus, die himmlische Gnadenkraft der Reliquie war unsichtbar, den menschlichen Sinnen unzugänglich und schon gar nicht den Reliquien selbst anzusehen, die als unscheinbare Gebeinpartikel, unansehnliche Holzsplitter, Haare, Steine, Erde oder Stofffetzen erschienen. In einem ganz auf sinnliche Wahrnehmung abgestellten Kultgeschehen bedurfte die Reliquie also der anschaulichen Vermittlung ihrer Eigenschaften. Der Knochen, der Stein, das Stück Stoff mussten als „ heilig “ als „ himmlisch “ erkennbar werden. Und genau dies können Reliquiare leisten. Insofern „ reden “ Reliquiare tatsächlich - nur, anders als Braun annahm, reden sie nicht oder nur selten über das Körperteil, das in ihnen enthalten ist. Aber sie können beispielsweise schon durch ihr Material reden, überaus häufig Gold, Silber, Edelsteine, Perlen. Zunächst besagt diese Materialwahl wohl ganz augenscheinlich Kostbarkeit. Reliquien sind Kostbarkeiten und dem entspricht ihre kostbare Fassung und Umhüllung. Die Aussagekraft dieses Materials geht jedoch weiter als nur „ Kostbarkeit “ zu signalisieren. Gold gilt als color coelestis, als Himmelsfarbe, Edelsteine, die funkeln, das Licht reflektieren und brechen, werden als Materialisierung des Lichtes verstanden, das Himmel und Erde verbindet, und demnach als Zeichen himmlischer Tugend und Reinheit, die auf Erden leuchtet. Körperteile aus Gold und Edelsteinen zeigen also an, dass die unscheinbaren Knochen eigentlich himmlischen Wesen gehören, den Heiligen im Himmel, den Bewohnern der vom Glanz Gottes erleuchteten Himmelsstadt, deren Mauern auf Edelsteinen ruhen, deren Tore perlenbesetzt sind. 15 Im frühen 11. Jh. hält Bernhard von Angers angesichts des Skulpturenreliquiars der heiligen Fides in Conques genau diese beiden Punkte fest, die Kostbarkeit und dann die Existenz der Heiligen im Himmlischen Jerusalem, die durch die Gestalt des Reliquiars sichtbar gemacht werden. Die Skulptur sei, so schreibt er, „ . . . ein Schrein für die heiligen Reliquien (capsa sanctorum pignerum) der nach dem Wunsch eines Künstlers in Art einer menschlichen Figur angefertigt wurde, ausgezeichnet mit weit größerer Kostbarkeit als einstmals die Bundeslade. Sie enthält ja auch das vollkommen unversehrte Haupt der Märtyrerin, die ohne Zweifel eine der schönsten Perlen des himmlischen Jerusalem ist, und sie bewegt, wie sonst niemand in diesem Jahrhundert, durch ihre Fürsprache zu den erstaunlichsten Wundern “ . 16 Das kostbare Material zeigt also an, dass die Knochen einem tugendhaften himmlischen Lichtleib zugehören, dass sie heiliges Gebein sind und Ausstellungskatalog Schnütgen-Museum, Köln, hg. von Anton Legner (1985) 3, S. 25 - 49, hier S. 30 - 32. 15 Reudenbach , Körperteil-Reliquiare (wie Anm. 11) S. 25 ff. mit Nachweisen. 16 Bernardus, Liber miraculorum Sancte Fidis I,13, hg. von Luca Robertini (Biblioteca di medioevo latino 10, 1994) S. 114. Bruno Reudenbach 152 <?page no="153"?> ihre Wirkmacht auf den Heiligen im Himmel zurückgeht. Die Gestalt des Reliquiars deutet demnach gerade nicht auf den im Inneren geborgenen irdischen Knochen, sondern sie zeigt dessen unsichtbare Eigenschaften, seine Heiligkeit, seine Zugehörigkeit zum Licht- und Tugendleib der Heiligen im Himmel. Wenn man Reliquiaren also zubilligt, dass sie nicht nur Reliquien verwahren oder die Art des Inhalts anzeigen, dass sie vielmehr Qualitäten und Eigenschaften der Reliquien mitteilen, dann ist es auch legitim zu fragen, ob und wenn ja, wie Reliquiare auch von Bewegung reden können. Man wird trotz der Vielfalt an Reliquiarformen nicht erwarten können, dass sich Antworten auf diese Frage, Belege und Beispiele leicht finden lassen, schon deshalb nicht, weil Reliquiare der endgültigen Aufbewahrung dienen, sozusagen die Heimstatt der Reliquien sind, kleine Heiligengräber und deshalb mit der Idee der Ortsgebundenheit und Immobilität verbunden sind. Damit hat sicherlich zu tun, dass, wie oben bereits erwähnt und auf der Trierer Elfenbeintafel zu sehen, schon sehr früh der rechteckige Kasten mit einem Deckel in Form eines Satteldachs eine weit verbreitete Form des Reliquiars ist. Das Reliquiar erscheint als Miniaturhaus - und diese Form bleibt so auch über mehrere Jahrhunderte bis ins Hochmittelalter in Gebrauch. Aufgerufen wird mit der Hausform wohl die Vorstellung von der Himmelsstadt, der himmlischen Wohnstatt der Heiligen, die letztlich zurückgeht auf die Vorstellung von einer Wohnung der Toten, wie sie schon mit antiken und spätantiken Sarkophagen verbunden wurde. 17 Ihren Höhepunkt hatte die Architektonisierung von Reliquiaren zweifellos in den großen, hausförmigen Reliquienschreinen des Hochmittelalters, neben denen sich aber auch noch andere Formen der Verbindung von Reliquiar und Architekturform nachweisen lassen, von der Gestaltung mit einzelnen Architekturelementen bis zu Bildung kompletter Miniaturarchitekturen. 18 In allen diesen Fällen zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der Form des Reliquiars, die durch Architektur Immobilität signalisiert, und dem kultischen Gebrauch der Reliquiare, der auch durch Bewegung gekennzeichnet war: Reliquiare wurden auf Altäre gestellt und wieder abgeräumt oder in Prozessionen herumgetragen. So lässt sich als Zwischenresümee festhalten, dass anders als die Allianz von Reliquiar und Architekturform, die sehr häufig nachweisbar ist, Bewegung erheblich seltener anschaulich wird. Eine Ausnahme ist ein kleiner, Anfang des 13. Jahrhunderts geschaffener Reliquienwagen aus Orléans (Abb. 3), ein singuläres Objekt, das beide Aspekte, Immobilität und Mobilität, auf eigenartige Weise miteinander 17 Bruno Reudenbach , Der Marienschrein und seine Reliquien, in: „ Venite et videte “ - Kunstgeschichtliche Dimensionen der Aachener Heiligtumsfahrt, hg. von Andreas Gormans / Alexander Markschies (Aachener Beiträge zu Pastoral- und Bildungsfragen 27, 2012), S. 95 - 120, hier S. 100 ff. 18 Reudenbach , Reliquiare als Heiligkeitsbeweis (wie Anm. 12) S. 13 ff. Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? 153 <?page no="154"?> verbindet. 19 Die Grundform ist wieder die eines hausförmigen Schreins mit Satteldach und bekrönenden Kamm auf dem Dachfirst, der Kamm besetzt mit großen Kristallknäufen. Unter den durchbrochenen Dachflächen ist ein ausgehöhlter Cabochon sichtbar, der der Aufnahme der Reliquien diente. Den großen Schreinen vergleichbar erscheinen auch hier Heiligenfiguren an den Stirnseiten. Dieser Miniaturschrein, in dem die Reliquien verschlossen, aber sichtbar lagen, ist nun zugleich das Gehäuse eines Wagens, der mit vier kunstvoll gearbeiteten Rädern ausgestattet ist. Damit ist durch die Form des Reliquiars die Mobilität der Reliquien im Schrein angezeigt. Dies ist wohl weniger als Anspielung auf eine translatio zu deuten; eher wird man an eine Reliquienprozession an einem Festtag denken, bei der ein großer Reliquienschrein herumgetragen wurde. Abb. 3: Reliquienwagen, Anfang 13. Jahrhundert. Orléans, Presbytère de St-Aignan. Über die praktische Seite der Reliquienbewegung bei Translationen mangelt es ohnehin an Kenntnissen. So gibt es keine systematische Durchsicht der Schriftquellen, der man entnehmen könnte, wie Reliquien bei Translationen 19 Legner , Reliquien (wie Anm. 12) S. 267; Ders ., Reliquienwagen, in: Ornamenta Ecclesiae: Kunst und Künstler der Romanik. Ausstellungskatalog Schnütgen- Museum, Köln, hg. von Anton Legner (1985) 3, S. 152 f., H 57. Bruno Reudenbach 154 <?page no="155"?> eigentlich transportiert wurden. Man darf sich jedenfalls nicht vorstellen, dass dies immer in kostbaren Reliquiaren vonstatten ging. Vielmehr wurden die Reliquien häufig, vielleicht sogar im Regelfall in Tücher gehüllt, in Säckchen aus Leder oder Textil oder allenfalls in einfachen Holzkästen verwahrt und transportiert. Erst am neuen Bestimmungsort erfolgte dann die Anfertigung eines Reliquiars, in dem die Reliquien endgültig deponiert werden konnten. Textile Hüllen für Transport und Aufbewahrung haben sich gelegentlich erhalten. Aufschlussreich ist, dass man nach dem Vorbild dieser textilen Taschen auch kostbare Reliquiare angefertigt hat, mit Metall umhüllt und mit Edelsteinen besetzt (Abb. 4). Wegen der von textilen Taschen abgeleiteten Form hat man diesen Reliquiaren die Bezeichnung Bursenreliquiar gegeben. Indem die metallenen und edelsteinbestückten Bursenreliquiare die Form der aus Textilien bestehenden Transporttaschen übernehmen, ist in ihnen die Erinnerung an die temporäre Aufbewahrung der Reliquien auf dem Weg der translatio aufgehoben. Transformiert in das andere und kostbarere Material der endgültigen Aufbewahrung hält die Taschenform die Erinnerung an Mobilität, Transport und entfernte Herkunft der Reliquien wach. Abb. 4: Bursenreliquiar, 9. Jahrhundert. Monza, Museo del Duomo. Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? 155 <?page no="156"?> Der erinnernde Nachweis an das Herkommen der Reliquien aus anderen Orten und aus oft weit entfernten Regionen ist das Gestaltmerkmal, das an Reliquiaren vielleicht am häufigsten zu beobachten ist und durch das, zumindest indirekt, Transport und Bewegung der Reliquien veranschaulicht werden können. Ein prägnantes Beispiel dafür ist das berühmte Reliquiar aus Montier-en-Der. Es wurde im frühen 13. Jahrhundert angefertigt und in der französischen Revolution zerstört, ist aber durch Stichpublikation des 18. Jahrhunderts gut überliefert. 20 Der Stich zeigt die Vorderseite des Reliquiars mit einer Gliederung durch drei Doppelsäulenstellungen (Abb. 5). In den Zwischenräumen ergaben sich so zwei hochrechteckige Felder; in diese wiederum waren in vier Reihen übereinander jeweils drei Vierpässe als Sichtfenster eingelassen. Weitere Sichtfenster befanden sich jeweils zwischen den Säulen der drei Doppelsäulenstellungen. Diese Sichtfenster, die offenbar den Blick auf die Reliquien möglich machen sollten, lagen aber nicht ständig frei; vielmehr waren die beiden Fensterfelder mit Türen verschlossen, Türen, die aus Elfenbeintafeln bestanden. Durch einen glücklichen Zufall haben die beiden Elfenbeintafeln die Zerstörung des Reliquiars durch die Revolution ganz oder partiell überstanden. Ehe Peter Cornelius Claussen der Nachweis gelang, dass sie im Mittelalter als Türen des Reliquiars der Abtei in Montier-en-Der gedient hatten, waren sie schon länger als eines der bedeutendsten Diptychen der Spätantike bekannt, entstanden in Rom am Ende des 4. oder im beginnenden 5. Jahrhundert. 21 Beide Tafeln zeigen antike Opferkulte, wurden aber gleichwohl im 13. Jahrhundert in ein christliches Reliquiar eingebaut. Rund achthundert Jahre nach seiner Entstehung gelangte das Diptychon also auf die Schauseite eines Reliquiars und eine Inschrift besagte ausdrücklich, was es mit dieser Verwendung der spätantiken Elfenbeine auf sich hatte: „ HIS TABULIS HOC DITAT OP(us) B(er)CHARI(us) ILLI QUAS PEREGRI- NANTI TERRA BEATA DEDIT “ (Dies Werk [das Reliquiar] bereichert Bercharius mit diesen Tafeln, die das Heilige Land jenem Pilger gab). Der in der Inschrift genannte Bercharius ist der 675 verstorbene Klostergründer. Sein Nachfolger und Biograph, Adso ( † 922), berichtet von Reisen 20 Zum Reliquiar und zum Folgenden: Peter Cornelius Claussen , Nikolaus von Verdun. Über Antiken- und Naturstudium am Dreikönigenschrein, in: Ornamenta Ecclesiae: Kunst und Künstler der Romanik. Ausstellungskatalog Schnütgen- Museum, Köln, hg. von Anton Legner (1985) 2, S. 447 - 456, hier S. 449 f. und 3, S. 14 f., G8A; Ders ., Das Reliquiar von Montier-en-Der. Ein spätantikes Diptychon und seine mittelalterliche Fassung, Pantheon 36 (1978) S. 308 - 319. 21 Wolfgang Fritz Volbach , Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des frühen Mittelalters ( 2 1952) S. 39, Nr. 55; Dale Kinney, The Iconography of the Ivory Diptych Nicomachorum-Symmachorum, Jahrbuch für Antike und Christentum 37 (1994) S. 64 - 96. Bruno Reudenbach 156 <?page no="157"?> des Bercharius zu den Heiligen Stätten und nach Jerusalem, von wo er zahlreiche Reliquien und herrliche Elfenbeintafeln mitgebracht habe. Die Inschrift behauptet also, dass das spätantike römische Diptychon eines der kostbaren, aus Jerusalem stammenden Elfenbeine sei, die Bercharius, der Klostergründer, persönlich aus dem Heiligen Land mitgebracht hatte. Damit wird das Reliquiar des frühen 13. Jahrhunderts eng mit der Geschichte des Klosters verbunden und zu den Kostbarkeiten in Beziehung gesetzt, die aus der Gründungsphase des Klosters im 7. Jh. stammen und noch weiter zurückreichen bis ins Hl. Land. Signifikant ist dabei, dass die Inschrift des 13. Jahrhunderts die Herkunft der Elfenbeine betont, nicht aber die Reliquien nennt, die sich im Innern des Reliquiars und hinter den elfenbeinernen Türen befinden. Entsprechend ist das Diptychon, das zu den Türen der Reliquiar-Außenseite umgearbeitet wurde, als ein plakativer Herkunftsnachweis zu sehen. Durch die Inschrift mit dem Hinweis auf des Klostergründers Reise ins Heilige Land wird dabei zugleich implizit auch der Abb. 5: Reliquiar aus Montier-en-Der, 12. Jahrhundert. Stich von 1717. Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? 157 <?page no="158"?> Reliquientransfer vergegenwärtigt, der in den angeblich aus dem Heiligen Land stammenden Elfenbeintafeln anschaulich wird. Gerade für Reliquien aus dem Heiligen Land und hier insbesondere bei Kreuzreliquiaren ist die Strategie, die Herkunft dieser Reliquien und damit auch ihre translatio am Reliquiar materiell festzuhalten und anschaulich zu machen, häufig zu beobachten. Erhalten sind beispielsweise zahlreiche kleine Kreuzreliquiare, die seit dem 12. Jahrhundert in Jerusalem, später in Byzanz gefertigt wurden und die die Form eines byzantinischen Doppelkreuzes zeigen. 22 Schon früh wurde diese Kreuzform als Zeichen dafür angesehen, dass die Reliquie von dem der Legende nach durch Helena aufgefundenen wahren Kreuz Christi stammte. So bezeugte die Form des Doppelkreuzes auch später noch, vor allem in der Zeit der Kreuzzüge, die Herkunft der jeweiligen Kreuzreliquie, in der Regel eines kleinen Holzspans, vom wahren Kreuz in Jerusalem. Die Authentifizierung der Reliquie wurde durch die Form des Reliquiars geleistet. Auch hier gilt, dass damit indirekt auch der Transfer der Reliquie aus dem Heiligen Land in den Westen angezeigt wurde. Insofern ist es ein eher seltener Fall, dass dieser Transfer durch eine ausführliche Bilderzählung geschildert wird. Im hier abschließend zu besprechenden Reliquiar, auf dem der Weg einer Kreuzreliquie aus dem Heiligen Land bis nach Toulouse als fortlaufende Bildgeschichte geschildert wird, kommt damit erneut ein Bildmodus ins Spiel, der schon bei der Trierer Elfenbeintafel Anwendung fand. Das Kreuzreliquiar stammt aus dem Limousin und ist in der Form der dort im 12. und 13. Jahrhundert zahlreich gefertigten kleinen hausförmigen Kästen gearbeitet. 23 Die Kastenform ist hier genutzt, um auf Schmal- und Langseiten eine ausführliche Bilderzählung zu platzieren. Diese Erzählung beginnt auf der rechten Schmalseite des Reliquiars mit einer Darstellung der Auffindung des Kreuzes Christi durch Helena. Auf der rückwärtigen Längsseite folgt dann die Geschichte der eigentlichen Reliquientranslation (Abb. 6): Neben der Darstellung einer als Jerusalem bezeichneten Stadt ist zu sehen, wie der Abt des Klosters Josaphat die Kreuzreliquie, die er als großes Doppelkreuz in der Rechten hält, an einen Kurier übergibt, den die Inschrift als Raimundus Botardelli iden- 22 Gia Toussaint , Die Kreuzreliquie und die Konstruktion von Heiligkeit, in: Zwischen Wort und Bild. Wahrnehmungen und Deutungen im Mittelalter, hg. von Hartmut Bleumer/ Hans-Werner Goetz / Steffen Patzold / Bruno Reudenbach (2010) S. 33 - 77, hier S. 58 - 63; Dies ., Kreuz und Knochen. Reliquien zur Zeit der Kreuzzüge (2011); Holger A. Klein , Byzanz, der Westen und das ‚ wahre ‘ Kreuz. Die Geschichte einer Reliquie und ihrer künstlerischen Fassung in Byzanz und im Abendland (Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz 17, 2004) S. 196 ff.; Heribert Meurer , Zu den Staurotheken der Kreuzfahrer, Zeitschrift für Kunstgeschichte 48 (1985), S. 65 - 76; Ders ., Kreuzreliquiare aus Jerusalem, Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 13 (1976) S. 7 - 17. 23 Klein , Byzanz (wie Anm. 22) S. 226 - 229. Bruno Reudenbach 158 <?page no="159"?> tifiziert. In der folgenden Szene besteigt dieser mit der Reliquie in der erhobenen Linken ein Schiff, das ihn übers Meer nach Frankreich und weiter nach Toulouse bringt. Die folgenden Szenen auf der anschließenden Schmal- und der darauf folgenden Langseite zeigen, wie die Kreuzreliquie im Klosters Saint-Sernin empfangen und abschließend dem heiligen Saturninus für seine Kirche in Toulouse übergeben wird. Abb. 6: Kreuzreliquiar, Limoges, Ende 12. Jahrhundert. Toulouse, Basilique Saint-Sernin. Die Reliquie im Innern ist demnach rundum eingefasst mit einer Bilderzählung, die den Weg und die Stationen, die die Reliquie zurückgelegt hat, von der Kreuzauffindung in Jerusalem bis zur Übergabe in Toulouse, ausführlich in mehreren Szenen schildert und nachvollziehbar macht. Auch hier dient dies nicht zuletzt als bildlich-anschauliche Authentifizierung, als außen am Reliquiar ablesbarer Nachweis, dass die im Innern verwahrte Reliquie tatsächlich vom wahren Kreuz stammt. Die Bilderzählung, die die Bewegung der Reliquie, die Reliquientranslation, nachvollzieht ist dabei an einem Reliquiar angebracht, das mit der Hausform die Bergung der Reliquie an ihrem Bestimmungsort und das Ziel des Transfers zur Anschauung bringt. Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? 159 <?page no="160"?> Resumen: Reliquias en movimiento - ¿una prueba de forma para los relicarios? ¿Que conclusiones se puede sacar de la forma de los relicarios sobre el movimiento de las reliquias? Una calidad genuina de las reliquias es el movimiento, que se muestra mediante la separación de una parte del cuerpo y el cadáver del santo, el transporte a un lugar distinto y el movimiento que aparece cada vez durante las procesiones. Cabe preguntarse, si la variedad de las formas de los relicarios puede expresar el movimiento como característica fundamental de las reliquias. El autor amplia el concepto del „ relicario hablando “ , una denominación que marcó Joseph Braun, en el sentido de que el relicario puede expresar con su multidimensionalidad y interpretabilidad compleja también, de manera simbólica, la localización de la reliquia en una red de comunicación. La tabla marfil de Tréveris (¿principio del siglo VI? ) retoma el movimiento representando la llegada de la reliquia en la ciudad en manera de un adventus señorial. Ese ceremonial ya transmiten fuentes escritas del siglo IV en relación con la traslación de reliquias. Sin embargo el relicario, representado en la tabla, es en forma de una casa y simboliza más bien así la estática y la inmovilización que un acto de movimiento. No obstante las formas de reliquias, que expresan inmovilización - como por ejemplo relicarios en forma de una casa - dan indicaciones en cuanto a la movilidad durante la traslación y la procesión. Un carro de reliquias orleanista del siglo XIII une la forma arquitectónico del tejado con ruedas y muestra la movilidad durante las procesiones. Relicarios de bolsas de corporales señalan la custodia en un bolso textil de transporte durante la traslación. También hay indicios del lugar de procedencia que remiten al aspecto de movimiento, por ejemplo el relicario adornado con tablas marfiles romanos de Montier-en-Der, que asocia conscientemente las tablas marfiles con el viaje a la Tierra Santa del fundador del monasterio. Relicarios cruciforme muestran frecuentemente la forma de la cruz doble bizantina, que así debe confirmar simultáneamente un origen de Jerusalén y también la autenticidad de la reliquia. Una presentación gráfica en un relicario cruciforme de Lemosín reproduce detalles de la traslación de reliquias. Relicarios pueden esbozar la función de las sepulturas de reliquias inmóviles y estáticas, pero también unir esa con la característica de movimiento de la reliquia incluida y así remarcar su propia función como fin de la traslación. Bruno Reudenbach 160 <?page no="161"?> Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen im Mittelalter. Beobachtungen aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive Jürgen Bärsch Es ist bekannt, dass das Mittelalter die Gräber und Reliquien von Heiligen in vielfältiger Weise zu nutzen und in allen möglichen Zusammenhängen zu gebrauchen wusste. In der Nähe von Heiligen galten Gebet und Segnung als besonders wirkmächtig, ad sanctos wollte man bestattet sein. Versprechen und Gelöbnisse, Ratsbeschlüsse und Gerichtsurteile erfolgten am Grab eines Heiligen oder an einem Reliquienschrein. Die Heiligen verbürgten nicht nur den Segen des Himmels, sie gewährleisteten auch die Befolgung der hier geschlossenen Verträge oder abgegebenen Eidesleistungen. Das Heiligengrab oder das Reliquiar waren Garanten für die Gegenwart des göttlichen Heils und Segens. Insofern umfassten die mannigfachen Formen der Heiligen- und Reliquienverehrung faktisch das gesamte Leben des Mittelalters. 1 Aber zweifellos fand die Heiligendevotion ihre besondere Ausdruckskraft in der Feier des Gottesdienstes. Denn einerseits gründete sie zunächst in bestimmten Entwicklungen der Liturgie- und Frömmigkeitsgeschichte, andererseits beherrschte sie über weite Strecken das gottesdienstliche Leben im Mittelalter, auch wenn sie sich keineswegs immer explizit in den liturgischen und liturgienahen Quellen niedergeschlagen hat. Deshalb liegt es nahe, zu fragen, wie die Gräber und Reliquien von Heiligen in die Feier des mittelalterlichen Gottesdienstes einbezogen waren und welche Rolle sie dabei spielten. Dabei ist grundsätzlich zu bedenken, dass für das Mittelalter 1 Vgl. grundlegend die monographische Darstellung bei Arnold Angenendt , Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart ( 2 1997); Ders ., Die Gegenwart von Heiligen und Reliquien, eingel. und hg. von Hubertus Lutterbach (2010); Aus liturgiewissenschaftlicher Sicht vgl. Jürgen Bärsch , Zwischen Liturgie und „ Volksfrömmigkeit “ . Rückfragen an die Heiligenverehrung in Mittelalter und Barockzeit mit Gegenwartsinteresse, in: Liturgisches Jahrbuch 62 (2012) S. 77 - 103, hier S. 81 - 90. <?page no="162"?> eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Liturgie und „ Volksfrömmigkeit “ kaum zu treffen, ja in der Sache anachronistisch ist. Deshalb müsste für eine eingehende Untersuchung eine weitaus größere Fülle gemeinschaftlich vollzogener Formen von Gebet und Gottesdienst samt ihren rituellen Gestalten Berücksichtigung finden. Es versteht sich darum von selbst, dass angesichts der hier angedeuteten Bandbreite nur einige Aspekte herausgegriffen werden können. Vieles lässt sich nur anreißen, noch mehr wird gar nicht genannt werden. Um allerdings die gottesdienstliche Praxis der hoch- und spätmittelalterlichen Heiligendevotion einordnen zu können, ist zuvor kurz ein Blick auf die eben angesprochenen Wurzeln der Heiligenverehrung in Spätantike und Frühmittelalter zu richten, weil in ihnen die zentralen Vorstellungen grundgelegt sind, die für die weitere Entwicklung im Mittelalter bedeutsam werden. 1. Heiligenverehrung in der spätantiken Kirche und ihre frühmittelalterliche Formung Bekanntlich stellt die christliche Verehrung der Märtyrer im Wesentlichen eine Sonderform des Totengedächtnisses dar. 2 Der seit dem 2. Jahrhundert greifbare christliche Totenkult, selbst wiederum vom paganen Toten- und Heroenkult beeinflusst, hat schon die wesentlichen Formen ausgebildet: die Bindung des Gedenkens an das Grab und die Versammlung am Grab zu den überlieferten Gedenkterminen mit einem Totenmahl, das zunächst durch die Eucharistie ergänzt, später von ihr ganz verdrängt wird. Demnach war es üblich, am Todestag des Märtyrers als dessen dies natalis zum ewigen Leben zusammenzukommen und an seinem Grab das Herrenmahl zu feiern. 3 Als dann in nachkonstantinischer Zeit die großen Märtyrerbasiliken entstanden, errichtete man den Altar als Ort der Eucharistiefeier über oder am Grab des Blutzeugen. Denn da die Heilige Schrift davon weiß, dass die Seelen der 2 Vgl. die Darstellung bei Hansjörg Auf der Maur , Feste und Gedenktage der Heiligen, in: Feiern im Rhythmus der Zeit II/ 1 (Gottesdienst der Kirche 6,1, 1994) S. 65 - 357, hier S. 81 - 106; Theofried Baumeister , Heiligenverehrung I., in: Reallexikon für Antike und Christentum 14 (1988) Sp. 105 - 116. 3 Die christliche Praxis führte zu einer Umdeutung des dies natalis des Toten, indem nun der jährliche Todestag als dies natalis zum ewigen Leben verstanden wurde. Erstmals tritt dieses Motiv bei Tertullian auf. Vgl. Emil Freistedt , Altchristliche Totengedächtnistage und ihre Beziehung zum Jenseitsglauben und Totenkult der Antike (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 24, 2 1971); Näheres zur Sache bei Angelus A. Häußling , Mönchskonvent und Eucharistiefeier. Eine Studie über die Messe in der abendländischen Klosterliturgie des frühen Mittelalters und zur Geschichte der Meßhäufigkeit (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 58, 1973) S. 213 - 221. Jürgen Bärsch 162 <?page no="163"?> Märtyrer am Fuße des himmlischen Altars ruhen (vgl. Offb 6,9), sollten - in bewusster Spiegelung - die Leiber der Gerechten am Fuß der irdischen Altäre bestattet sein. 4 Wir haben es demnach beim Märtyrerkult mit einer Form der „ gesteigerten Totenpflege “ zu tun. 5 Mit dieser für die Westkirche so charakteristischen Verbindung von Heiligengrab und Altar ging allerdings eine weitere Entwicklung einher. Da im Frühmittelalter aufgrund bestimmter theologischer Klärungen die Gottheit Jesu Christi zunehmend so einseitig betont wurde, dass die Einzigartigkeit der Mittlerschaft Christi fast absorbiert war, bedurfte es leichter und direkt zugänglicher, weil „ menschlicherer “ Heilsmittler, die als „ Gottesmann “ (vir Dei) oder als „ Dienerin Gottes “ (famula Dei) gewissermaßen an die Stelle Jesu treten konnten und mit ihrer durch Askese verdienten göttlichen Wunderkraft dem unbändigen frühmittelalterlichen Verlangen nach himmlischem Schutz und Segen entgegen kamen. 6 Da ihre virtus sogar noch in ihren Leibern im Grab präsent war und zu wirken vermochte, wurden die Heiligengräber zu den gesuchten „ heiligen Orten “ und gaben damit einen wichtigen Impuls für die schon in der Spätantike einsetzende Pilgerfrömmigkeit, die später das ganze Mittelalter bewegen sollte. 7 Somit blieb der Heiligenkult vorerst noch an das Grab als „ Haus des Toten “ gebunden. 8 Ereigneten sich nun am Grab eines großen Asketen Wunder, sah man darin dessen Heiligkeit als erwiesen an. Infolgedessen wurde sein Leichnam aus dem Grab erhoben und am Altar in der Kirche wieder beigesetzt, wo 4 Vgl. Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 1) S. 172 - 179; ausführlicher bei Arnold Angenendt , In porticu ecclesiae sepultus. Ein Beispiel von himmlischirdischer Spiegelung, in: Angenendt , Gegenwart (wie Anm. 1) S. 145 - 161 [Erstveröff. 1994]. 5 Den Begriff hat Theodor Klauser geprägt, Hansjörg Auf der Maur hat ihn erneut aufgegriffen. Vgl. Theodor Klauser , Die Cathedra im Totenkult der heidnischen und christlichen Antike (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 21, 3 1979); Auf der Maur , Feste (wie Anm. 2) S. 93 f. 6 Zu den religions- und mentalitätsgeschichtlichen Hintergründen vgl. den hervorragenden Überblick von Arnold Angenendt , Religiosität und Theologie. Ein spannungsreiches Verhältnis im Mittelalter, in: Ders ., Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zum 70. Geburtstag, hg. von Thomas Flammer / Daniel Meyer (Ästhetik - Theologie - Liturgik 35, 2 2005, S. 3 - 33 [Erstveröff. 1978/ 79] sowie die nun klassische Darstellung von Dems ., Geschichte der Religiosität im Mittelalter ( 3 2005) S. 31 - 38, S. 89 - 159, S. 351 - 419. 7 Vgl. Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 1) S. 132 - 137, 155 - 158; Ludwig Schmugge , Die Anfänge des organisierten Pilgerverkehrs im Mittelalter, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken (1984) S. 1 - 83. 8 Vgl. Arnold Angenendt , Das Grab als Haus des Toten. Religionsgeschichtlich - christlich - mittelalterlich, in: Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Wilhelm Maier , Wolfgang Schmid und Michael Viktor Schwartz (2000) S. 11 - 29. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 163 <?page no="164"?> man ihn nun verehrte. 9 Die Transferierung des Leichnams zum Altar machte auf Erden sichtbar, was im Jenseits bereits geschehen war: die Aufnahme in den Himmel. Die Erhebung „ zur Ehre der Altäre “ war denn auch ehedem der maßgebliche Akt der Heiligsprechung (Abb. 1). 10 Abb. 1: Köln, St. Severin. Hinter dem Altar aufgestellter Schrein. Die angedeutete enge Verbindung von Altar und Heiligengrab und die Begierde allerorten an der wundertätigen Himmelsmacht der Heiligen partizipieren zu können, führten im Frühmittelalter dazu, jeden Altar mit Reliquien von Heiligen auszustatten. Da man überzeugt war, dass die virtus eines Heiligen auch in noch so kleinen Überresten seines irdischen Leibes gegenwärtig sei und fortwirke, überwand man vornehmlich im gallischen 9 Als Beispiel sei die Graböffnung und Erhebung des Angelsachsen Wynnebald ( † 761), Gründer des oberfränkischen Klosters Heidenheim, durch seinen Bruder Bischof Willibald von Eichstätt im Jahre 777 genannt, die durch einen ausführlichen Augenzeugenbericht überliefert ist. Vgl. Vita Wynnebaldi 13, Andreas Bauch , Quellen zur Geschichte der Diözese Eichstätt 1. Biographien der Gründungszeit (Eichstätter Studien 1, 1962) S. 172 - 175; zur Verfasserin der Vita ebd., S. 131 f. Vgl. weitere Beispiele bei Arnold Angenendt , Corpus incorruptum. Eine Leitidee der mittelalterlichen Reliquienverehrung, in: Angenendt , Gegenwart (wie Anm. 1) S. 109 - 143 [Erstveröff. 1991]; zur Erhebung und Translation vgl. auch Martin Heinzelmann , Translationsberichte und andere Quellen des Reliquienkultes (Typologie des sources du moyen âge occidental 33, 1979). 10 Vgl. Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 1) S. 167 - 182; Ders ., Zur Ehre der Altäre erhoben. Zugleich ein Beitrag zur Reliquienteilung, in: Angenendt , Liturgie (wie Anm. 6) S. 269 - 293 [Erstveröff. 1994]. Jürgen Bärsch 164 <?page no="165"?> Liturgiebereich die römische Forderung nach Intangibilität des Grabes. Entgegen dem alten Sepulkralrecht scheute man sich nun nicht mehr, Heiligengräber zu öffnen, Teile des Leibes zu entnehmen und sie in reliquienlose Orte zu überführen, wo man sie bei dem inzwischen entstandenen Ritus der Altar- und Kirchweihe in die Mensa des Altars einließ. 11 Altar und Heiligengrab galten fortan als Synonyme. Beim Altarkuss in der Liturgie ehrte der Priester nicht nur das Symbol Christi, sondern vor allem die im Sepulchrum der Mensa bestatteten Heiligen. 12 Auf diese Weise wurden die Heiligen gewissermaßen mobil, denn auch in den Partikeln wusste man nach mittelalterlicher Auffassung den ganzen Heiligen anwesend, 13 weshalb man zutreffend von einer „ Realpräsenz der Heiligen in ihren Reliquien “ 14 gesprochen hat. So besaß in karolingischer Zeit bald jeder Ort ein Heiligengrab, Dorfkirchen zumindest ein paar Berührungsstücke, große Klöster oft ganze Heiligenleiber, auf jeden Fall aber einen „ heiligen Ort “ der göttliche Schutz- und Segenskraft verhieß. 15 Damit hatten Spätantike und Frühmittelalter die wesentlichen Voraussetzungen für den Heiligen- und Reliquienkult geschaffen, der auch die mittelalterliche Liturgie mitbestimmte. 2. Die Heiligen im gottesdienstlichen Raum Mittels des mit dem Altar verbundenen Heiligenbzw. Reliquiengrabes war in jeder Kirche zumindest ein Heiliger gegenwärtig. Dabei blieb es allerdings nicht. Denn ein charakteristischer Zug der weiteren westkirchlichen Entwicklung bestand darin, dass der in der alten Kirche unumstößliche Grundsatz - eine Gemeinde, ein Altar, eine Eucharistiefeier - aufgegeben wurde. 16 Nun beginnt man die Anzahl der Altäre in einem Kirchenraum zu 11 Vgl. Angenendt , Zur Ehre der Altäre erhoben (wie Anm. 10) S. 282 - 288; zur Kirch- und Altarweihe vgl. Thorsten-Christian Forneck , Die Feier der Dedicatio ecclesiae im Römischen Ritus. Die Feier der Dedikation einer Kirche nach dem deutschen Pontifikale und dem Messbuch vor dem Hintergrund ihrer Geschichte und im Vergleich zum Ordo dedicationis ecclesiae und zu einigen ausgewählten landessprachlichen Dedikationsordines (Theologische Studien, 1999) S. 7 - 157. 12 Vgl. Josef Andreas Jungmann , Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe 1 - 2 ( 5 1962), hier 1, S. 406 - 409. 13 Vgl. Angenendt , Corpus incorruptum (wie Anm. 9) S. 120 - 123. 14 So Peter Dinzelbacher , Die „ Realpräsenz “ der Heiligen in ihren Reliquien und Gräbern nach mittelalterlichen Quellen, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hg. von dems . und Dieter R. Bauer (1990) S. 115 - 174, hier S. 118. 15 Häußling , Mönchskonvent (wie Anm. 3) S. 216 - 221; Hedwig Röckelein , Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (Beihefte zur Francia 48, 2002). 16 Vgl. Häußling , Mönchskonvent (wie Anm. 3) S. 221 f. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 165 <?page no="166"?> vermehren. Als ein Grund unter anderen muss der Wunsch veranschlagt werden, die Gegenwart der Heiligen zu vervielfachen, um gewissermaßen die Hierarchie der Heiligen im Himmel, den Hofstaat Christi auch auf Erden abzubilden und den Kirchenraum als Abbild des Himmels erscheinen zu lassen, wie ja auch die irdische Liturgie Abbild der himmlischen Liturgie ist. 17 Entsprechend waren die hochrangigen Altäre in den Chorapsidien vielfach der Gottesmutter Maria und den Aposteln, vornehmlich dem hl. Petrus, sodann Johannes dem Täufer als Vorläufer Christi und schließlich den Märtyrern wie etwa Stephanus oder Laurentius geweiht. Eine wichtige Rolle spielten freilich auch die Gründungs- und Familienpatrone von Kloster- und Stiftskirchen, wogegen der Altar in medio ecclesiae meist mit einem christologischen Passionspatronat (Hl. Kreuz oder Hl. Blut) belegt war. 18 Neben der Vorstellung vom Hofstaat Christi war aber auch ein weiteres Motiv handlungsleitend. So sollte die Kirche mit ihren verschiedenen Heiligenaltären die Nachbildung der römischen Stationsliturgie ermöglichen. Wie der Papst in Rom fall- und turnusweise reihum in je einer stadtrömischen Pfarr- oder Märtyrerkirche Station machte und Gottesdienst feierte, um die Einheit der Kirche von Rom unter der Leitung ihres Bischofs wachzuhalten, wollte man auch nördlich der Alpen diese römische Eigentümlichkeit imitieren und die besondere Beziehung zu Rom und dem Nachfolger Petri unterstreichen. 19 Jeder Altar im Kirchenraum mit seinem Heiligengrab war dabei in das Stationssystem eingegliedert. 20 So lässt sich etwa am Beispiel der Bamberger Domliturgie zeigen, dass die drei römischen Weihnachtsmessen, 17 Vgl. Häußling , Mönchskonvent (wie Anm. 3) S. 223 - 225; zum hierarchisierenden Prinzip der Altarpatronate vgl. Arnold Angenendt , In Honore Salvatoris. Vom Sinn und Unsinn der Patrozinienkunde, in: Angenendt , Gegenwart (wie Anm. 1) S. 209 - 260, hier S. 230 - 239; Hanns Peter Neuheuser , Liturgische Raumerschließung und Heiligenverehrung, in: Heilige - Liturgie - Raum, hg. von Dieter R. Bauer / Klaus Herbers / Hedwig Röckelein / Felicitas Schmieder (Beiträge zur Hagiographie 8, 2010) S. 183 - 216, hier S. 189 - 202. 18 Vgl. etwa für die Stiftskirche Gandersheim Christian Popp , Der Schatz der Kanonissen. Heilige und Reliquien im Frauenstift Gandersheim (Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern 3, 2010), S. 99 - 125; zur Sache vgl. Neuheuser , Raumerschließung (wie Anm. 17) S. 195 - 202. 19 Vgl. Häußling , Mönchskonvent (wie Anm. 3) S. 186 - 198; John F. Baldovin , The Urban Character of Christian Worship. The Origins, Development and Meaning of Stational Liturgy (1987); vgl. dazu auch den aufschlussreichen Beitrag von Klaus Herbers , Rom im Frankenreich - Rombeziehungen durch Heilige in der Mitte des 9. Jahrhunderts, in: Ders ., Pilger, Päpste, Heilige. Ausgewählte Aufsätze zur europäischen Geschichte des Mittelalters, hg. von Gordon Blennemann u. a. (2011), S. 111 - 147 [Erstveröff. 1998]. 20 Vgl. Angelus A. Häußling , Liturgie in der Karolingerzeit und der Klosterplan von St. Gallen, in: Studien zum St. Galler Klosterplan 2, hg. von Peter Ochsenbein / Karl Schmuki (2002) S. 151 - 183. Jürgen Bärsch 166 <?page no="167"?> die der Papst in S. Maria Maggiore, S. Anastasia und St. Peter zelebrierte, auch hier an wechselnden Heiligtümern gefeiert wurden: in der Nacht am Marienaltar im Ostchor, am frühen Morgen am Kreuz-Stephanusaltar, sodann aber am Kunigundenaltar in Anlehnung an S. Anastasia und die Festmesse am Tage am Petrusaltar im Westchor des Domes. 21 Solche Zuweisungen liturgischer Feiern an bestimmte Altäre als Abbild der römischen Stationsliturgie ist für viele Kathedralen, Stifts- und Klosterkirchen im Mittelalter bezeugt. 22 Betrachten wir die konkreten liturgischen Vollzüge um die Gräber und Reliquien von Heiligen, müssen zunächst die täglichen Grundformen des Gottesdienstes, die Tagzeitenliturgie und die Messfeiern berücksichtigt werden. Auch dabei nahmen die verschiedenen Altäre mit ihren Heiligengräbern eine markante Stellung ein. Als Beispiel sei etwa die französische Königsabtei St. Denis genannt. Nach dem ältesten Liber Ordinarius 23 von 1234/ 36 bildete der Altar der Märtyrer mit den Sarkophagen der Hausheiligen Dionysius, Eleutherius und Rusticus, über denen sich ein Reliquienturm mit weiteren Heiligenreliquien erhob, das Zentrum des Heiligtums (Abb. 2). 24 Der davor begrenzte Bezirk, im Ordinarius „ ante altare sanctorum martyrum “ bezeichnet, nahm in der Klosterliturgie einen herausgehobenen Platz ein. Denn nur an den beiden höchsten Christusfesten, Ostern und Weihnachten, sowie am Jahrestag der Kirchweihe werden hier die charakteristischen Tropusgesänge dieser Hochfeste angestimmt. 25 21 Vgl. Peter Wünsche , „ Den die Himmel nicht fassen “ . Die Feier des Weihnachtsfestes im spätmittelalterlichen Bamberger Dom nach dem Zeugnis des Liber Ordinarius von 1491, in: Hortus Floridus Bambergensis. Studien zur fränkischen Kunst- und Kulturgeschichte. Festschrift Renate Baumgärtel-Fleischmann, hg. von Werner Taegert (2004) S. 89 - 98; zu weiteren Beispielen aus Bamberg vgl. Peter Wünsche , Die Kathedrale als Heilige Stadt. Zur liturgischen Topographie des Bamberger Doms, in: Heiliger Raum. Architektur, Kunst und Liturgie in mittelalterlichen Kathedralen und Stiftskirchen, hg. von Franz Kohlschein / Peter Wünsche (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 82, 1998) S. 25 - 58. 22 Vgl. beispielsweise für Köln Andreas Odenthal / Gottfried Stracke , Die Stationsliturgie Kölns und ihre topographischen Bezüge zu Rom. Die Libri Ordinarii des Kölner Apostelnstifts - Grundlage eines Dialoges zwischen Kunstgeschichte und Liturgiewissenschaft, in: Heiliger Raum (wie Anm. 21) S. 134 - 162; Andreas Odenthal , Vom Stephanusfest zum Palmsonntag. Die theologische Bedeutung der Gereonskirche für die mittelalterliche Kölner Stationsliturgie, in: Märtyrergrab - Kirchenraum - Gottesdienst. Interdisziplinäre Studien zu St. Gereon in Köln, hg. von dems ./ Albert Gerhards (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 35, 2005) S. 223 - 243. 23 Zur Gattung dieser liturgischen Quellen vgl. Jürgen Bärsch , Liber Ordinarius - Zur Bedeutung eines liturgischen Buchtyps für die Erforschung des Mittelalters, in: Archa Verbi 2 (2005) S. 9 - 58. 24 Vgl. Edward B. Foley , The First Ordinary of the Royal Abbey of St.-Denis in France (Spicilegium Friburgense 32, 1990) S. 193 f. 25 Vgl. Foley , LO St.-Denis (wie Anm. 24) S. 308, 388, 498. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 167 <?page no="168"?> Zudem erfolgt hier auch der zentrale Akt der Kreuzverehrung in der Karfreitagsliturgie. So werden die bedeutenden Heiligen der Abtei nicht nur an den höchsten Festen besucht und in die Feier der Liturgie einbezogen, die gottesdienstliche Rauminszenierung stellt sie zugleich auch in Beziehung zum Christusgeschehen, insofern die Märtyrer im theologischen Verständnis als alter Christus erscheinen, da sie das Pascha-Mysterium Christi in ihrem eigenen Leben realisiert haben. 26 Dagegen verweist die Hervorhebung des Kirchweihfestes auf die besondere Beziehung des Kirchenraumes zu den hier bestatteten Heiligen und stellt die Verbindung des aktuell Gottesdienst feiernden Konvents mit der lokalen Tradition der Kirche her. 27 Darüber hinaus kam dem Raum vor dem Altar selbstverständlich auch eine Sphäre intensivierter Sakralität zu, die die hier vollzogenen Riten besonders wirkmächtig machte und ihre Dignität unterstrich. Abb. 2: Reliquienturm nach der Rekonstruktion des von Abt Suger im Hochchor errichteten Altares von St. Denis. 26 Vgl. Theofried Baumeister , Die Anfänge einer Theologie des Martyriums (Münstersche Beiträge zur Theologie 45, 1980). 27 Eine liturgiewissenschaftliche Studie über die Jahresfeier der Kirchweihe fehlt bislang; vgl. daher Andreas Heinz , Kirchweihe. III. Brauchtum, in: Lexikon für Theologie und Kirche 6 ( 3 1997) Sp. 104 f.; Auf der Maur , Feste (wie Anm. 2) S. 240 f. Jürgen Bärsch 168 <?page no="169"?> Das Beispiel von St. Denis erinnert im übrigen an die architektonische Platzierung des über dem Altar errichteten Heiligenschreins. Dieser wurde in der Regel rechtwinklig über dem Altar erhoben, so dass der Heilige mit dem Haupt im Westen lag und gen Osten ausgerichtet war, was wiederum auf liturgische Zusammenhänge verweist. 28 Denn die leibliche Gebetshaltung der Christen war, zumindest seit dem 2. Jahrhundert, vielfach nach Osten ausgerichtet, womit schöpfungstheologische wie eschatologische Motive anklingen. 29 Wenn also der Zelebrant am Altar bei der Messe gen Osten betete, betete in gleicher Richtung mit ihm der Heilige in seinem Schrein, eben dem aus dem Osten erwarteten wiederkommenden Christus entgegen. Insofern verband sich mit jeder hier gefeierten Messliturgie die besondere Fürsprache und Mittlerkraft, die der Heilige ausstrahlte. 3. Heiligengräber und -reliquien in der Liturgie der Heiligengedenktage Schaut man in die liturgiehistorischen Quellen des Hoch- und Spätmittelalters wie die schon genannten Libri Ordinarii, wird unübersehbar deutlich, dass darin die Heiligengedenktage ein ansehnliches Gewicht einnahmen und zunehmend den liturgischen Kalender einer Kirche bevölkerten. Sie prägten trotz differierenden Festgrades mit dem Sonntag und den Festkreisen die Zeiterfahrung des Mittelalters. Der Tag ist von jeweiligen Tagesheiligen bestimmt: Wie Christus das Jahr gehört - annus domini, gehört dem Heiligen der Tag - dies sancti. Was an „ seinem “ Tag geschah, stand gewissermaßen unter dem Patronat des Heiligen, der an diesem Tag als besonders segensverheißend galt. 30 Liturgisch realisierte sich das Heiligengedächtnis am Festtag zunächst durch die auch sonst täglich vollzogenen Elemente gottesdienstlichen Fei- 28 Vgl. Angenendt , Ehre der Altäre (wie Anm. 10) 281 f. 29 Zur Gebetsostung vgl. neben der immer noch grundlegenden Studie von Franz Joseph Dölger , Sol salutis. Gebet und Gesang im christlichen Altertum. Mit besonderer Rücksicht auf die Ostung in Gebet und Liturgie (Liturgiegeschichtliche Forschungen 4/ 5, 2 1925); Martin Wallraff , Christus verus sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike (Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergbd. 32, 2001) S. 60 - 88; Reinhard Meßner , Gebetsrichtung, Altar und die exzentrische Mitte der Gemeinde, in: Communio-Räume. Auf der Suche nach einer angemessenen Raumgestalt katholischer Liturgie, hg. von Albert Gerhards / Thomas Sternberg / Walter Zahner (Bild - Raum - Feier 2, 2003) S. 27 - 36. 30 Vgl. Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 1) S. 129 - 131; zum sukzessiven Anschwellen des Sanktorales vgl. Philipp Harnoncourt , Gesamtkirchliche und teilkirchliche Liturgie. Studien zum liturgischen Heiligenkalender und zum Gesang im Gottesdienst unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachgebiets (Untersuchungen zur Praktischen Theologie 3, 1974) S. 67 - 91. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 169 <?page no="170"?> erns, vor allem Messe und Tagzeitenliturgie, allerdings mit markanten Eigenheiten. Der schon erwähnte Ordinarius von St. Denis kennt als Regel, dass die missa principalis oder magna missa ( „ Konventshochamt “ ) jeweils am Hauptaltar zu feiern sei, an den Gedenktagen der Heiligen, die in St. Denis bestattet sind, findet sie hingegen am Altar mit dem entsprechenden Heiligengrab statt. 31 Selbstverständlich sucht man zur Feier der Liturgie an seinem Festtag den Heiligen selbst auf, den man mit dem Besuch ehrt und dessen wirkmächtige Gegenwart man an diesem Tag erwartet. In diesen Zusammenhang gehört auch der Brauch, am Festtag eines Heiligen dessen Reliquien festlich auf dem Hauptaltar auszustellen, wie dies etwa der Magdeburger Domordinarius vorsieht, wenn am Sebastiansfest (20. Januar) das Sebastianshaupt, am Laurentiusfest (10. August) der Rost, auf dem der Heilige starb, und am Fest Purificatio Mariae (2. Februar) der Marienschrein und das Armreliquiar des Simeon (vgl. Lk 2,22-40) präsentiert werden. Die Gegenwart des Heiligen in seinen Reliquien konstituiert wesentlich die Liturgie seines Festtages. 32 Eine vergleichbare Funktion kommen den vielfach bezeugten Vesperprozessionen am Vorabend eines Heiligenfestes zu, nach alter jüdischchristlicher Tradition der Beginn des neuen Tages. In der Essener Stiftskirche etwa zieht man nach der Weihnachtsvesper am 25. Dezember zum Altar des hl. Stephanus, dessen Fest nun beginnt. Hier wird der Altar mit Weihrauch inzensiert und durch die entsprechende Antiphon und das Kollektengebet geehrt. Auch in dieser Form sucht man den Heiligen selbst auf und grüßt ihn mit Gesang und Gebet, um sich so seines Wohlwollens zu versichern. Ähnlich geschieht es wiederum am Abend des Stephanustages, wenn Frauenkonvent und Kanoniker nach der Vesper vom Stephanusfest zum Johannesaltar in die Krypta ziehen und damit den Heiligen des nun folgenden Tages ehren. 33 Hinter diesem im Mittelalter weit verbreiteten Brauch 34 steht also keineswegs nur ein eher äußeres, pragmatisches Gestal- 31 Vgl. Foley , LO St.-Denis (wie Anm. 24) S. 186. 32 Vgl. Renate Kroos , Quellen zur liturgischen Benutzung des Domes und zu seiner Ausstattung, in: Der Magdeburger Dom - ottonische Gründung und staufischer Neubau, hg. von Ernst Ullmann (1989) S. 88 - 97, hier S. 91. 33 Vgl. Franz Arens , Der Liber ordinarius der Essener Stiftskirche. Mit Einleitung, Erläuterungen und einem Plan der Stiftskirche und ihrer Umgebung im 14. Jahrhundert (1908) S. 10 f., 26 f. - Zum Prozessionswesen des Essener Frauenstifts vgl. auch Jürgen Bärsch , „ . . . processiones et stationes fiunt quatuor modis in monasterio “ . Beobachtungen zu Theologie und Liturgie prozessionaler Vollzüge im Liber ordinarius des Frauenstifts Essen, in: Liturgie in mittelalterlichen Frauenstiften. Forschungen zum Liber ordinarius, hg. von Klaus Gereon Beuckers (Essener Forschungen zum Frauenstift 10, 2012) S. 49 - 69, hier S. 57 f. 34 Die Vesper- oder Kommemorationsprozessionen sind vielfach bezeugt. Exemplarisch seien genannt: Bamberg (Xaver Haimerl , Das Prozessionswesen des Bistums Bamberg im Mittelalter [Münchener Studien zur historischen Theologie 14, 1937] S. 146 f., 151 - 160), Köln (Andreas Odenthal , Der älteste Liber Ordinarius der Stiftskirche Jürgen Bärsch 170 <?page no="171"?> tungsmerkmal. Weit bedeutsamer greift hier die mehrfach angesprochene Vorstellung, dass der Heilige mittels seiner irdischen Überreste gegenwärtig und ungebrochen wirkmächtig ist. Nirgends sonst könnten Messe und Stundengebet segensverheißener sein als am Altar des Heiligen, dessen Festtag im Himmel wie auf Erden begangen wird. Das Heiligengrab und die Heiligenreliquien finden aber auch darüber hinaus in der Festliturgie Beachtung. Im Kölner Dom etwa nahm man an den zentralen Festtagen der Hl. Drei Könige, dem Hochfest Epiphanie (6. Januar), am legendären Todestag des dritten Königs (11. Januar) und am Fest der Translatio ihrer Gebeine nach Köln (23. Juli) die trapezförmige Platte des Dreikönigenschreins ab, um die Häupter der Heiligen sichtbar und berührbar zu machen. Zugleich standen die Gittertüren offen, so dass man den Schrein umschreiten konnte. 35 Diese größere visuelle und haptische Nähe zu den Heiligen sollte nicht nur auf die Anwesenden ausstrahlen, zugleich konnte so auch die ehrende Weihrauchinzens bei der ersten und zweiten Vesper sowie bei der Festmesse intensiviert werden. 36 Dabei ist zu beachten, dass in diesem Fall die Inzens eben auch als heilsgeschichtliches „ Zitat “ der Festliturgie zu lesen ist, wenn etwa in Lesung (Surge illuminare [Jes 60,1-6]), Graduale (Omnes de Saba [Jes 60,6]), 37 Evangelium (Cum natus esset [Mt 2,12]) und Secreta (Ecclesiae tuae) 38 der Messe von Epiphanie die biblisch bezeugte Weihrauchgabe der Magier explizit kommemoriert wird. Es ist einsichtig, dass an den Festtagen der Drei Könige der Dom als Stationskirche galt und insofern alle Stiftskapitel und sonstigen geistlichen Konvente der Stadt sich zur gemeinsamen Feier in der Kathedrale, vor dem St. Aposteln in Köln. Untersuchungen zur Liturgie eines mittelalterlichen kölnischen Stifts [Studien zur Kölner Kirchengeschichte 28, 1994] S. 114 - 119), Mainz (Franz Rudolf Weinert , Mainzer Domliturgie zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Der Liber Ordinarius der Mainzer Domkirche [Pietas Liturgica. Studia 20, 2008] S. 79) und Trier (Adalbert Kurzeja , Der älteste Liber Ordinarius der Trierer Domkirche. Ein Beitrag zur Liturgiegeschichte der deutschen Ortskirchen [Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 52, 1970] S. 328 - 334). 35 Vgl. Renate Kroos , Liturgische Quellen zum Kölner Domchor, in: Kölner Domblatt 44/ 45 (1979/ 80) S. 35 - 202, hier S. 151; Gottfried Amberg , Ceremoniale Coloniense. Die Feier des Gottesdienstes durch das Stiftskapitel an der Hohen Domkirche zu Köln bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 17, 1982) S. 28, 82 - 87. 36 Vgl. Amberg , LO Köln (wie Anm. 35) S. 84 f. 37 Vgl. Antiphonale missarum sextuplex, nr. 18, ed. René-Jean Hesbert (1935, ND 1967) S. 24 f. 38 Sacramentarium Gregorianum Hadrianum nr. 88, Jean Deshusses , Le sacramentaire Grégorien. Ses principales formes d´après les plus anciens manuscrits 1 (Spicilegium Friburgense 2 1979) S. 114. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 171 <?page no="172"?> Schrein der Heiligen einzufinden hatten. 39 Was für die Kirche auf Erden gilt, gilt auch für die Kirche des Himmels, für die Engel und Heiligen, die an diesen Festen die Tagesheiligen ehren. Deshalb sieht der Kölner Domordinarius vor, dass bereits vor der ersten Vesper, also zur Eröffnung des Festes, die zahlreichen Heiligenreliquien aus der Sakristei in Prozession und begleitet von Kerzenträgern zum Dreikönigenschrein zu überführen und dort aufzustellen sind. Erst nach Ende der Festliturgie werden sie mit einem begleitenden Gesang zurückgebracht. 40 Aber auch im Vollzug der Messe an ihrem Fest verehrte man die Reliquien der Heiligen. Nach dem Mainzer Domordinarius wurde am Fest der Märtyrer Aureus und Iustina (16. Juni) deren Reliquien nicht nur ausgestellt, das Kopfreliquiar des Aureus trug man während des Gesangs des Agnus Dei durch die Chorreihen und reichte sie den Chorherren zum Kuss. 41 Dass es sich dabei wohl um eine spezielle Abwandlung des Friedenskusses handelte, zeigt der Hinweis des Mainzer Ordinarius, der am Fest des Märtyrers Merkurius (26. November) beschreibt, dass der Zelebrant über den auf dem Altar ausgestellten Reliquien die Pax gibt, worauf zwei Altardiener sie auf zwei Kissen legen, damit sie von den Domherren durch Kuss verehrt werden können. 42 So verband sich der liturgische Friedensgruß mit der Heiligendevotion. Der Festtagsheilige selbst überbrachte die Pax Domini. 43 Wie man zu den Heiligen pilgern konnte, vermochten sie auch selbst mobil zu sein. Gerade an ihrem Festtag finden wir deshalb verschiedentlich Beispiele für Prozessionen, bei denen der Schrein oder ein Reliquiar des Heiligen mitgeführt wurde. So trug man in der Stiftsliturgie von Gandersheim am Fest des hl. Primitivus, am 21. Juli, die Reliquien des Heiligen in einem wohl sargartigen Schrein, einer tumba sancti Primitivi, um den Stiftsfriedhof. Dabei folgte man offenbar der üblichen Aspersionsprozession vor dem sonntäglichen Hochamt, stattete aber Umgang und Statio mit 39 Ein ähnliches Beispiel findet sich in Tours, wo sich die Konvente von St. Venantius, St. Petrus und von St. Julianus zur Matutin und Laudes am Martinsgrab in der Kathedrale einfanden. Vgl. Edmond Martène , De antiquis ecclesiae ritibus 3 (1764) S. 217. 40 Es handelt sich um das Geschehen deutende Responsorium Isti sunt sancti. Vgl. Amberg , LO Köln (wie Anm. 35) S. 82 - 87. 41 Vgl. Weinert , LO Mainz (wie Anm. 34) S. 80, 161. 42 Vgl. Weinert , LO Mainz (wie Anm. 34) S. 81, 203; weitere Beispiele ebd., S. 80 f. 43 Ob die erstmals 1248 bezeugte Stilisierung des Friedenskusses durch die Paxtafel von diesem Brauch der Heiligendevotion ausgegangen ist oder ihn seinerseits befördert hat, ist nicht klar. Zur Sache vgl. Jungmann , Missarum Sollemnia 2 (wie Anm. 12) S. 399 - 410, hier v. a. S. 408 - 410. - Paxtafeln mit eingelassenen Reliquien sind nur vereinzelt aus Inventaren des 14. und frühen 15. Jahrhunderts bezeugt. Vgl. Joseph Braun , Das christliche Altargerät in seinem Sein und seiner Entwicklung (1932) S. 557 - 572, hier S. 570 f. Jürgen Bärsch 172 <?page no="173"?> auf den Heiligen bezogenen Gesängen aus. 44 Auf diese Weise sollte der Heilige den auf dem Friedhof Bestatteten seine Fürbitt- und seine Schutzmacht erweisen. Heiligenschrein oder -reliquien konnten aber auch auf spezifische Weise die Festliturgie prägen. Dazu nur drei von vielen Beispielen. So sieht der Kathedralordinarius von Amiens vor, dass am Fest der Inventio Firmini marytris am 13. Januar der Schrein des Heiligen mit grünen Efeublättern bestreut und mit umfangreicher Weihrauchinzens umgeben werden soll. 45 Die Gestaltung spielt hier offenkundig auf das Ursprungsgeschehen des Festinhaltes an. Wie vielfach überliefert, entströmte auch dem aufgefundenen Grab des hl. Firmin statt Verwesungsgeruch wohlriechender Duft und zur zusätzlichen Bestätigung seiner Heiligkeit begannen die Pflanzen um das Grab herum mitten im Winter zu grünen. Die religionsgeschichtlichen Motive von Blumen und Duft als Zeichen des Paradieses durchziehen bekanntlich die Heiligenviten des ganzen Mittelalters und konnten mit ihren biblischen Verweisen (vgl. 1 Kor 9,24 f.; 2 Kor 2,16; Offb 8,3) sogar „ ding-allegorisch “ vollzogen werden, wenn man einen Blumenkranz aus Gebeten herstellte, den man den Heiligen widmete, woran auch die ursprüngliche Vorstellung vom Rosenkranz erinnert. 46 Ebenfalls alte religionsgeschichtliche Motive klingen an, wenn ein möglichst unmittelbarer Kontakt mit dem Heiligen gesucht wird, um von dessen Wunderkraft berührt zu werden. Auf intensive Weise geschah dies etwa durch das Trinken von Reliquienwasser, konnte man so doch die virtus des Heiligen als Heilmittel (in medizinischer wie geistlicher Hinsicht verstanden) in den eigenen Körper aufnehmen und sich so aufs engste mit der Wirkmacht des Heiligen verbinden. 47 Dafür liefert der Essener Ordinarius ein eindrückliches Beispiel. Am schon erwähnten Fest des heiligen Diakons und Märtyrers Stephanus, dem 26. Dezember, endet die Festmesse in der Stiftskirche mit einem speziellen Ritus. Der Diakon empfängt einen Silberkrug, in dem ein Stein von der Steinigung des Stephanus liegt (vgl. Apg 7,57-60) und der mit Wein übergossen ist. Diesen Krug trägt er auf den Chor des Frauenkonventes, wo alle Anwesenden daraus trinken. Es ist klar, dass der Diakon dabei gewissermaßen als „ Standesgenosse “ des Tagesheiligen fungiert und als dessen Stellvertreter in Erscheinung tritt. Auch hier 44 Vgl. Popp , Schatz der Kanonissen (wie Anm. 18) S. 116, 131 - 138, 193. 45 Vgl. Georges Durand , Ordinaire de l´église Notre-Dame cathédrale d´Amiens par Raoul de Rouvroy (1291) (Mémoires de la Société des antiquaires de Picardie, Documents inédits concernant la province 22, 1934) S. 108; Renate Kroos , Ordinarien als Quellen zur mittelalterlichen Kunst, in: Sitzungsberichte der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft Berlin 23 (1974) S. 5 - 10, hier S. 9. 46 Vgl. Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 1) S. 119 - 122. 47 Vgl. weitere Beispiele bei Renate Kroos , Vom Umgang mit Reliquien, in: Ornamenta ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik 3. Ausstellungskatalog Schnütgen- Museum, Köln, hg. von Anton Legner (1985) S. 25 - 49, hier S. 30 - 35. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 173 <?page no="174"?> ermöglicht der Ritus des Minnetrinkens das heilsgeschichtliche „ Zitat “ in der Festliturgie. 48 Dass der Heilige mittels seiner sterblichen Überreste selbst als gegenwärtig und in der Liturgie handelnd verstanden wurde, ist schon mehrfach erwähnt worden. Das gilt insbesondere an seinem Festtag, wie es ebenfalls die Essener Stiftsliturgie bezeugt. Nach Angaben des Ordinarius wurde das Armreliquiar des hl. Basilius an dessen Fest, dem 1. Januar zur Benediktion benutzt. 49 Demnach segnete der Priester die Gläubigen, indem er mit dem Armreliquiar ein Kreuz über sie zeichnete und dazu sprach: „ Der Segen Gottes, des allmächtigen Vaters, komme über euch und bleibe allzeit. Amen “ . 50 Die äußere Gestalt der Segenshand korrespondiert hier mit der liturgischen Funktion, so dass der Heilige es war, der mit seinem Arm den Benediktionsgestus ausführte und so den Segen gewährte. 51 Entsprechend ist offenbar auch die Inschrift des Reliquiars zu verstehen: „ Serve Dei vivi / benedic nos sancte Basili “ (Heiliger Basilius, Diener des lebendigen Gottes, segne uns). 52 Darüber hinaus verweisen die benutzten Materialien, Silber und vergoldetes Kupfer, sowie die künstlerische Formgebung auf die himmlische Präsenz des Heiligen: Seine Seele im Himmel und sei Leib auf Erden machen ihn in seiner Doppelexistenz zu einem hervorragenden Mittler göttlicher Gnadengaben. 53 48 Vgl. Arens , LO Essen (wie Anm. 33) S. 27; Kroos , Umgang mit Reliquien (wie Anm. 47) S. 33. - Im Hintergrund steht der bereits verchristlichte Brauch des Minnetrinkens, der schon zur Zeit Karls des Großen am Stephanustag gepflegt wurde und später zur Brauchkontrolle in das Umfeld des Gottesdienstes gelangte. Vgl. Adolph Franz , Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter 1 (1909) S. 286 - 294, hier S. 293 f. 49 Zum Objekt vgl. Sonja Hermann , Armreliquiar mit Reliquien des hl. Basilius, in: Der Essener Domschatz, hg. von Birgitta Falk (2009) S. 90 f.; zu Armreliquiaren vgl. Anton Legner , Reliquien in Kunst und Kult. Zwischen Antike und Aufklärung (1995) S. 258 - 261. 50 Vgl. Arens , LO Essen (wie Anm. 33) S. 30. 51 Ähnlich schildert der Kathedralordinarius von Bayeux, wie am Stephanustag mit einem Armreliquiar des Heiligen gesegnet wird, also der Märtyrer selbst mit seinem „ machtvollen Arm “ den Segen erteilt. Vgl. Ulyssse Chevalier , Ordinaire et coutumier de l´église cathédrale de Bayeux (Bibliothèque liturgique 8, 1902) S. 288. Weitere Beispiele für Segnungen mit einem Armreliquiar finden sich bei Kroos , Umgang mit Reliquien (wie Anm. 47) S. 38; zum Schlusssegen der Messe mit Reliquien vgl. Jungmann , Missarum Sollemnia 2 (wie Anm. 12) S. 551 f. 52 Vgl. Hermann , Armreliquiar (wie Anm. 49) S. 90. 53 Vgl. Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 1) S. 102 - 122. Jürgen Bärsch 174 <?page no="175"?> 4. Heiligengräber und -reliquien in der Liturgie des Kirchenjahres Ein Kirchenjahr hat sich erst allmählich aus der wöchentlichen Feier des Sonntags und der jährlichen Feier von Ostern entwickelt, Weihnachten und sein Festkreis traten dann später hinzu. Den Mittelpunkt des sich entfaltenden Kirchenjahres bildete das Christusgedächtnis, vor allem die Feier des Todes und der Auferstehung Christi. 54 Aus verschiedenen Gründen hat sich neben diesem Herrengedächtnis im Jahreslauf auch ein Gedächtnis der Heiligen entwickelt, das, wie angedeutet, im Hoch- und Spätmittelalter so angewachsen war, das es das Herrenjahr fast zu überwuchern drohte. Dennoch hielt die mittelalterliche Liturgie am Vorrang der Christusfeste, vor allem des Oster- und Weihnachtsfestkreises fest, konnte aber durchaus auf unterschiedliche Weise die Gräber und Reliquien der Heiligen in die Liturgie des Herrenjahres einbeziehen. So gehörte es vielerorts zur Liturgie der großen Feste im Kirchenjahr, dass der Reliquienschatz einer Kirche auf dem Hochaltar öffentlich präsentiert wurde. Nicht selten, so etwa im münsterschen Paulus-Dom oder in den Stiftskirchen von Essen und Xanten, diente der Retabelaufsatz des Hochaltars dazu, die Reliquien auszustellen und an besagten Festtagen durch Öffnen der Retabelflügel dem Klerus und den Gläubigen zur visuellen Verehrung darzubieten. 55 Wo das nicht möglich war, setzte man die Reliquiare auch direkt auf die Mensa oder auf die Predellastufe, wie dies der Magdeburger Ordinarius beschreibt. 56 Man kann sich gut vorstellen, dass die funkelnde Ausstattung der Reliquiare mit Gold, Silber und Edelsteinen dem mittelalterlichen Menschen die Strahlkraft der göttlichen Gnade und Wundermacht, wie sie ja die Heiligen vermittelten, im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar machte. Dies gilt vor allem, wenn man sich den 54 Zur Entwicklung des Kirchenjahres vgl. Hansjörg Auf der Maur , Feiern im Rhythmus der Zeit I. Herrenfeste in Woche und Jahr (Gottesdienst der Kirche 5, 1983). 55 Wie man einen Schrein hinter dem Altar erhöht aufstellen konnte, so auch einzelne Reliquiare. Insofern sind die Schrein- und Flügelaltäre eine Fortentwicklung der über dem Altar erhobenen Reliquien. Vgl. Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 1) S. 187 f.; Bernadette Burchard / Holger Kempkens , Mittelalterliche Kirchen- und Heiltumsschätze in Westfalen, in: Goldene Pracht. Mittelalterliche Schatzkunst in Westfalen. Ausstellungskatalog, hg. vom Bistum Münster, dem LVB Westfalen-Lippe und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (2012) S. 68 - 77; vgl. auch ebd., S. 440 - 449. 56 Hier wurden die meisten Reliquiare in symmetrischer Anordnung auf vier Stufen über der Mensa aufgebaut. Vgl. Kroos , Quellen (wie Anm. 32) S. 91 f.; Hartmut Kühne , Reliquien und Reliquiare des Magdeburger Domes im 13. Jahrhundert. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit 1. Essays. Ausstellungskatalog hg. von Matthias Puhle (2009) S. 181 - 191, hier S. 184 f. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 175 <?page no="176"?> Ritus im Magdeburger Dom vor Augen hält, wo die aufgetürmten Reliquien zunächst mit einem Schleier bedeckt waren, bevor man sie genau beim Anstimmen des Hymnus Te Deum laudamus am Ende des Morgenoffiziums enthüllte. 57 Die liturgische Inszenierung von Enthüllung und Gesang bringt den Sinn der ausgestellten Heiligenreliquien auf den Punkt: An den höchsten Festen im Kirchenjahr sollte die ganze Kirche in den Lobpreis Gottes einstimmen; dabei waren die Heiligen die sichtbaren Mitbeter, deren Lobpreis im Himmel mit dem Lobpreis der Liturgie auf Erden zusammenklang. Über das Schauen verbanden sich Klerus und Gläubige mit den Heiligen im Himmel und bildeten bei Messe und Tagzeitengebet der Festfeiern eine Raum und Zeit übergreifende Gemeinschaft, in der auch die noch auf Erden Lebenden ihre Vollendung zu finden hofften. Und wie Heiligengräber und -reliquien bei Festen glanzvoll enthüllt und ausgestellt wurden, so verhüllte man sie auch zu bestimmten Zeiten, vor allem in der Österlichen Bußzeit. Mit dem seit Ende des 10. Jahrhunderts bekannten Brauch, während der ganzen Quadragesima den Altar durch großformatige Fastentücher (velum quadragesimale, Hungertuch) den Blicken der Gläubigen zu entziehen, begann man bald auch - zumindest seit dem Passionssonntag (2. Sonntag vor Ostern) - die Schreine und Reliquien der Heiligen zu verhüllen. 58 In Noyon legte man sogar über den leeren schreinförmigen Überbau des Grabes des hl. Eligius einen Leinenschleier, da der Goldglanz und das Schimmern der Edelsteine dem Bußcharakter der Fastenzeit widersprachen. 59 Ebenso sieht der Ordinarius von Chartres das Verdecken der Schreine in der Fastenzeit und ihre Enthüllung am Osterfest vor. 60 Offenbar sollte die Verhüllung daran erinnern, dass die Sünde deretwegen die Gläubigen die Buße in der Fastenzeit auf sich nahmen, vom Himmel, von der Anschauung Gottes und der Heiligen ausschließt. Der visuelle Ausschluss vom Heiligen sollte zu Fasten und Buße motivieren, um schließlich wieder Teilhabe am Heiligen zu erfahren, die durch die 57 Vgl. Kroos , Quellen (wie Anm. 32) S. 92; zu Schreinverhüllungen auch Renate Kroos , Der Schrein des heiligen Servatius in Maastricht und die vier zugehörigen Reliquiare in Brüssel (1985) S. 308 ff. - Zum Te Deum vgl. Albert Gerhards / Friedrich Lurz , Te Deum laudamus, in: Lexikon für Theologie und Kirche 9 ( 3 2000) Sp. 1306 - 1308. 58 Vgl. Johannes H. Emminghaus , Die westfälischen Hungertücher aus nachmittelalterlicher Zeit und ihre liturgische Herkunft, Diss. Münster (1949, ND 2004); Ders ., Fastentuch, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte 8 (1981) Sp. 826 - 848; Dominik M. Meiering , Verhüllen und Offenbaren. Der Verhüllte Reichstag von Christo und Jeanne-Claude und seine Parallelen in der Tradition der Kirche (Bild - Raum - Feier 5, 2006) S. 119 - 125. 59 Vgl. Kroos , Umgang mit Reliquien (wie Anm. 47) 37. 60 Vgl. Yves Delaporte , L´Ordinaire chartrain du XIII e siècle (Mémoires. Société archéologique d´Eure-et-Loir 19, 1953) S. 99, 191. Jürgen Bärsch 176 <?page no="177"?> Enthüllung inszeniert wird. 61 Noch im 18. Jahrhundert konnte Edmond Martène (1654 - 1739) beobachten, dass der Schrein des hl. Liudger über dem Hochaltar in der Abteikirche in (Essen-)Werden verhüllt war und nur zu bestimmten Festanlässen enthüllt wurde. 62 Die Beispiele zeigen, dass auch die Heiligen an den vorbereitenden und festlichen Zeiten des Kirchenjahres teilnahmen und ihre Gräber und Reliquien in den zeitlichen Rhythmus des gottesdienstlichen Feierns integriert waren. Bemerkenswerterweise lassen sich hingegen eher wenige Zeugnisse dafür anführen, wonach bestimmte kirchenjahreszeitlich gebundene Riten ausdrücklich an Heiligengräbern vollzogen wurden, wie dies etwa für die Riten um das Heilige Grab in der Feier des österlichen Triduums erwartbar wäre. Eines der wenigen Beispiele ist aus der Kathedrale in Tours bezeugt. So erfolgte nach dem Domordinarius der szenische Grabbesuch der Marien am Ostergrab, die Visitatio sepulchri, eben am Grab des hl. Martin. Davor standen zwei Kleriker in Dalmatiken und erwarteten als Engeldarsteller die entgegenkommenden Marien. 63 Vermutlich wollte man durch die Heiligkeit des Ortes dem Heiligen Grab eine noch höhere Weihe geben. Vielleicht ist aber auch einfach daran zu denken, dass das Martinsgrab wegen der Christusähnlichkeit des Heiligen gewählt wurde. Ebenso singulär scheint der Essener Brauch zu sein, am Karfreitag nicht nur die Christussymbole wie Eucharistie, Kreuz und Evangeliar im Heiligen Grab zu „ bestatten “ , sondern auch Heiligenreliquien ins Grab zu legen. 64 Möglicherweise lag dieser Praxis der Gedanke zugrunde, Christus und seine Heiligen als Gemeinschaft der Kirche zu verstehen. Die Märtyrer und die übrigen Heiligen folgten dem Weg ihres Herrn in Tod und Grab, aus dem das österliche Leben hervorgeht - nicht nur für Christus, sondern für alle, die ihm nachfolgen. Sollte diese Überlegung zutreffen, wäre der Heilig- Grab-Ritus in der Essener Stiftsliturgie nicht einfach als mimetische Nachbildung des heilsgeschichtlichen Geschehens zu lesen, sondern als höchst bedeutsame liturgische Vergegenwärtigung des Heils in der konkret feiernden Stiftsgemeinschaft. Unüberschaubar sind hingegen die Beispiele für das Mittragen von Heiligenreliquien bei den vielfältigen Umgängen und Prozessionen. Es war schon angeklungen, dass das Mittelalter eine ausgesprochen prozessi- 61 Vgl. Meiering , Verhüllen und Enthüllen (wie Anm. 58) S. 122. 62 Vgl. Edmond Martène / Ursin Durand , Voyage littéraire de deux religieux bénédictins de la Congrégation de St.-Maur 2 (1724) S. 235. 63 „ . . . duo vero vicarii levitae revestiti in dalmaticis albis stantes ante Sepulchrum beatissimi Martini versus vultibus ad cantorem incipiant Quem quaeritis? “ Martène , De antiquis ecclesiae ritibus 3 (wie Anm. 39) S. 173. 64 Vgl. Jürgen Bärsch , Die Feier des Osterfestkreises nach dem Zeugnis des Liber Ordinarius. Zweite Hälfe 14. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Liturgiegeschichte der deutschen Ortskirchen (Quellen und Studien. Veröff. des IKF des Bistums Essen 6, 1997) S. 148 f., 152. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 177 <?page no="178"?> onsfreudige Zeit war. Es gab kaum einen Tag, an dem nicht mehr oder weniger umfängliche Prozessionen stattfanden. Dabei spielten die Heiligenreliquien häufig eine wichtige Rolle, so etwa bei der Palmenprozession oder der Prozession vor dem Osterhochamt, bei denen die mitgeführten Reliquien wiederum als Begleiter Christi erscheinen; am Palmsonntag als Repräsentanten der Apostel, am Ostersonntag als Repräsentanten der vom Tod Befreiten. 65 Auch beim Jahrgedächtnis der Kirchweihe wurden die Heiligenreliquien aus dem Heiltumsschatz mitgeführt. 66 Im Essener Stift trug dabei jeder Kanoniker ein Reliquiar in Händen. Bei der Statio auf dem Kirchhof wurden die Reliquien einzeln dem Volk in einer Art Heiltumsweisung zur Verehrung präsentiert. Die Gläubigen konnten so durch die visuelle Kontaktaufnahme die von den Heiligen ausgehende Gnade inkorporieren. 67 Bei der Trierer Kirchweihprozession, bei der Kleriker das Haupt des hl. Papstes Cornelius mitführten, wurde das Reliquiar bei der Rückkehr des Zuges über dem Hauptportal angebracht, so dass alle darunter hindurchgingen. 68 Auch dies ist eine bekannte Weise, die einwohnende virtus des Heiligen aufzunehmen. 69 Dass sich gerade das Kirchweihfest eng mit Formen der Heiligenverehrung verband, hängt natürlich mit der theologischen Bedeutung des Festes zusammen, das über den Kirchenraum ja vor allem die eigentliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen kommemoriert. Vor allem aber bei den vielfältigen Not- und Bittprozessionen wurden oft zahlreiche Reliquien mitgetragen, denn die Heiligen sollten das bittende Gebet der Gläubigen wirkungsvoll unterstützen. 70 Dabei deutete die mittel- 65 Vgl. Kurzeja , LO Trier (wie Anm. 34) S. 274, Anm. 1180; 281; Popp , Schatz der Kanonissen (wie Anm. 18) S. 112 - 114. Vgl. auch Hermann J. Gräf , Palmenweihe und Palmenprozession in der lateinischen Liturgie (Veröff. des Missionspriesterseminars St. Augustin, Siegburg 5, 1959) S. 125 f. 66 Ähnliches bezeugen die Ordinarien aus Trier und Köln, St. Aposteln. Vgl. Andreas Heinz , Die Aspersionsprozession am Kirchweihfest des Trierer Domes. Der liturgische Kontext einer Miniatur in einem Graduale Trevirense von 1512/ 1515 (BATr 95, 463 a, fol. 182 v), in: Libri pretiosi. Mitteilungen der bibliophilen Gesellschaft Trier 10 (2007) S. 64 - 73, hier S. 67; Odenthal , LO St. Aposteln (wie Anm. 34) S. 108. 67 Vgl. Bärsch , „ . . . processiones et stationes “ (wie Anm. 33) S. 63 - 67. 68 Vgl. Kurzeja , LO Trier (wie Anm. 34) S. 283, Anm. 1233. 69 Vgl. Kroos , Umgang mit Reliquien (wie Anm. 47) S. 31 f. 70 Vgl. Jürgen Bärsch , Kunstwerke im Dienste der Liturgie. Gebrauch und Funktion liturgischer Sachkultur im mittelalterlichen Gottesdienst des Frauenstifts Essen nach dem Zeugnis des Liber ordinarius, in: . . . wie das Gold den Augen leuchtet. Schätze aus dem Essener Frauenstift, hg. von Birgitta Falk / Thomas Schilp / Michael Schlagheck (Essener Forschungen zum Frauenstift 5, 2007) S. 13 - 38, hier S. 28 - 31; Popp , Schatz der Kanonissen (wie Anm. 18) S. 114; weitere Beispiele bei Kroos , Umgang mit Reliquien (wie Anm. 47) S. 39 f. - Reliquienprozessionen begegnen aber nicht nur im Umkreis von Buße und Bitte, sondern auch von Lob und Dank (Kirchweihe, Patronatsfest, Fronleichnam); vgl. die Hinweise bei Hermann Reifenberg , Sakra- Jürgen Bärsch 178 <?page no="179"?> alterliche Liturgieallegorese diese Prozessionen geradezu unter dem Motiv des Kampfes zwischen den göttlichen Mächten und den Dämonen. Wie die Israeliten die Bundeslade im Kampf gegen die Philister mit sich führten, trug man bei den Bittprozessionen die Schreine und Reliquien der Heiligen mit. 71 Bei den Prozessionen der Litaniae minores versammelten sich die Konvente aller Kölner Stadtkirchen mit ihren Heiligenschreinen im Dom, um dann von dort aus in einer die ganze Stadt vereinenden Gebetsgemeinschaft zu den jeweiligen Zielkirchen zu ziehen. 72 Der Rheinauer Liber Ordinarius fordert sogar, bei den Rogationsprozessionen habe jeder Mönch Reliquien in kleinen Behältern um den Hals zu tragen, damit mit den irdischen Betern mindestens die gleiche Anzahl himmlischer Helfer den Weg beschritt. 73 Vor der Buß- und Bittprozession am Markustag (Litania maior, 25. April) zogen die Kleriker der Lateranbasilika in Rom nach S. Marco, wo sie das „ cilicium “ , das Bußgewand des Evangelisten küssten. So versicherten sie sich seiner Hilfe, indem sie eine zum Tagesritus passende Reliquie des Tagesheiligen verehrten. 74 Schließlich lassen sich die großen Reliquienfeste der spätmittelalterlichen Liturgie nennen. In Gandersheim schritt man am festum reliquiarum, dem Sonntag nach Peter und Paul (29. Juni) mit sämtlichen Reliquiaren um den Friedhof. 75 1540 ordnete auch Erzbischof Albrecht von Brandenburg ein solches Fest am Sonntag nach dem Bartholomäustag (24. August) für die Mainzer Kathedrale an. Dabei wurde der Heiltumsschatz nicht nur in den Prozessionen mitgetragen, sondern acht Tage hindurch im Dom ausmente, Sakramentalien und Ritualien im Bistum Mainz seit dem Spätmittelalter 1 - 2 (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 53/ 54, 1971/ 72) hier 1, S. 680 - 687; weitere Beispiele auch bei Legner , Reliquien (wie Anm. 49) S. 120 - 133. 71 So etwa Honorius Augustodunensis, Gemma animae I, c. 73 (Patrologia Latina 172, Sp. 566D - 567A); vgl. dazu Rudolf Suntrup , Die Bedeutung der liturgischen Gebärden und Bewegungen in lateinischen und deutschen Auslegungen des 9. bis 13. Jahrhunderts (Münstersche Mittelalter-Studien 37, 1978) S. 80. 72 Vgl. Amberg , LO Köln (wie Anm. 35) S. 35, 182 - 197. 73 „ Qua finita pulsantur omnia signa et interim a custodibus ecclesiae sanctorum reliquie, quotquot sunt, cruciculis, capsulis vel nuxis incluse, per fratres dividuntur, ut ab eis collo suspense portentur. “ Anton Hänggi , Der Rheinauer Liber Ordinarius (Spicilegium Friburgense 1, 1957) S. 151. - Den Brauch, Reliquien um den Hals in liturgischen Feiern mitzutragen, kennt bereits der „ Ordo ad regem benedicendum quando novus a clero et populo sublimatur in regnum “ des Pontifikale Romano- Germanicum (c. LXXII, 2) von der Mitte des 10. Jahrhunderts. Vgl. Le Pontifical Romano-Germanique du dixième siècle 1, ed. par Cyrille Vogel en conlaboration avec Reinhard Elze (Studi e testi 226, 1963) 259. 74 Vgl. Ludwig Fischer , Bernhardi cardinalis et Lateranensis ecclesiae prioris ordo officiorum ecclesiae Lateranensis (Historische Forschungen und Quellen 2 - 3, 1916) S. 96. 75 Vgl. Popp , Schatz der Kanonissen (wie Anm. 18) S. 113. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 179 <?page no="180"?> gestellt. 76 Ähnliche Bedeutung hatten die aufwändig inszenierten Heiltumsweisungen, bei denen die Heiltümer öffentlich zur Verehrung dargeboten wurden. 77 Solche liturgischen Feiern boten Bildassoziationen, die geradezu Kompendien des Lebens Jesu, Mariens und der Heiligen bildeten. Selbst sonderbare und den Anschein der Authentizität entbehrende Reliquien wie ein Splitter vom Baum, auf dem der Zöllner Zachäus saß, Kohlen vom Rost des hl. Laurentius oder gar ein Ei vom Heiligen Geist konnten in der Koppelung verschiedener medialer Systeme wie etwa Wallfahrt, Volksversammlung, Gebet und Gottesdienst, Enthüllung und Schau durchaus zu echter Andacht führen. 78 5. Heiligengräber und -reliquien im Umkreis der Totenliturgie Abschließend sei wenigstens noch ein Bereich erwähnt, der für die Religiosität und Kultur des Mittelalters von größter Bedeutung war, die Totenmemoria. Sie entsprang bekanntlich der allseits bedrängenden Sorge um das ewige Seelenheil im Jenseits. Neben dem Messopfer erschien vor allem die Fürbittmacht der Heiligen besonders wirkmächtig. Denn die, die man vor dem Thron Gottes stehen sah, vermochten mit Verweis auf ihre erworbenen Verdienste im Himmel am besten den „ armen Seelen “ zu Hilfe zu kommen. 76 Vgl. Weinert , LO Mainz (wie Anm. 34) S. 76 f.; Reifenberg , Sakramente 1 (wie Anm. 70) S. 685. 77 Reliquienzeigungen mit Ablasserteilung an die Pilger fanden nach einer Urkunde von 1449 in Trier regelmäßig an Gründonnerstag statt, wohl eine Ausgestaltung der ehedem an diesem Tag erteilten Generalabsolution über Klerus und Volk; vgl. Kurzeja , LO Trier (wie Anm. 34) S. 134 - 136. - Große Heiltumsweisungen an verschiedenen festen Terminen sind vielerorts bekannt. Für Nürnberg etwa vgl. Franz Machilek , Die Nürnberger Heiltumsweisungen, in: Wallfahrten in Nürnberg um 1500. Akten der interdisziplinären Symposions vom 29. und 30. September 2000 im Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg, hg. von Klaus Arnold (Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung Humanismusforschung 17, 2002), 9 - 52; darüber hinaus ist zu verweisen auf das einschlägige Werk von Hartmut Kühne , Ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum (Arbeiten zur Kirchengeschichte 75, 2000). 78 Vgl. Kroos , Umgang mit Reliquien (wie Anm. 47) S. 28 - 30. Heike Schlie betont: „ Denn mehr noch als die Vielzahl der Medien und die Entstehung neuer Medien dürften die Medienkoppelungen, Formen der Symbiose verschiedener Medien das Kennzeichen des Spätmittelalters sein. “ Heike Schlie , Vera Ikon im Medienverbund. Die Wirksamkeit der Sakramente und die Wirkung der Bilder, in: Medialität des Heils im späten Mittelalter, hg. von Carla Dauven-van Knippenberg / Cornelia Herberichs / Christian Kiening (Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 10, 2009) S. 61 - 82, hier S. 63. Jürgen Bärsch 180 <?page no="181"?> Entsprechend dem Grad der Zugehörigkeit zum Essener Stift erfolgte die Aufbahrung einer verstorbenen Äbtissin, Kanonisse, eines Kanonikers oder Scholaren zur Totenmesse in unmittelbarer Nähe zum Hochaltar und zum Grab des hl. Stiftsgründers Altfrid. Der Ort zwischen dem Hochaltar, an dem die Reliquien der Stiftspatrone aufbewahrt wurden und dem Stiftergrab unterstreicht die enge Einbindung der Stiftsangehörigen in den schützenden Kreis der Heiligen, die den toten Mitgliedern der Stiftsgemeinschaften mit ihrer himmlischen Fürbitte beistehen sollten. Dies erschien umso drängender, da das Mittelalter die Seele des Verstorbenen gerade in der Zeitspanne zwischen Sterben und Begräbnis dem Kampf zwischen Engeln und Dämonen ausgesetzt sah und der noch präsente Leichnam als ein „ gefährdetes “ , weil von den bösen Mächten ergreifbares Objekt galt. 79 Auch beim Begräbnis eines verstorbenen Kölner Erzbischofs waren die bedeutendsten Heiligen des Doms einbezogen. So trug man die Bahre mit dem Toten vor den Dreikönigenschrein, wo man sie dreimal neigte. Der Erzbischof verabschiedete sich gewissermaßen von den Patronen, erwies ihnen Reverenz und versicherte sich zugleich ihrer Fürsprache. 80 Es ist bekannt, dass es schon seit frühchristlicher Zeit als erstrebenswert galt, in der Nähe eines Märtryrer- oder Heiligengrabes bestattet zu werden. 81 Damit strömte nicht nur die davon ausgehende Aura der göttlichen Kraft auf die im Umkreis Beigesetzten, zugleich boten auch die mit dem Heiligengrab verbundenen Altarbesuchungen im Zuge der reichen Prozessionsliturgie immer wieder Anlässe, der in der Nähe bestatteten Toten in Gebet und Gottesdienst zu gedenken. Eine zum Teil höchst diffizile Topographie von Altären und Gräbern im Kirchenraum hat sich darum in der Liturgie niedergeschlagen. 82 Ein besonders markantes Beispiel für die unterstützende Fürbitte der Heiligen bei der liturgischen Totenmemoria ist aus Magdeburg überliefert. Am Todestag sowie zur Kirchweihe und zum Hauptfest des Domes wurde das Grabmal Kaiser Ottos I. mit Dutzenden von Reliquien geradezu überladen. Neben- und übereinander stapelte man Schreine, Plenarien, Arm- und Büstenreliquiare. Auf dem Haupt des Kaisers postierte man 79 Vgl. Jürgen Bärsch , Totenliturgie im spätmittelalterlichen Frauenstift Essen. Die Exequiis mortuorum nach dem Liber Ordinarius, in: Unitas in pluritate. Libri ordinarii als Quelle für die Kulturgeschichte, hg. v. Charles Caspers / Louis van Tongeren (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 103, 2015) S. 327 - 356. 80 Vgl. Kroos , Kölner Domchor (wie Anm. 35) S. 152. 81 Vgl. den knappen, aber sehr zutreffenden Überblick bei Barbara Happe , Der Tod gehört mir. Die Vielfalt der heutigen Bestattungskultur und ihre Ursprünge (2012) S. 18 - 31. 82 Vgl. exemplarisch die Darstellung für die Gandersheimer Stiftsliturgie bei Popp , Schätze der Kanonissen (wie Anm. 18) S. 48 - 60. Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 181 <?page no="182"?> das Kopfreliquiar des hl. Mauritius mit einer Krone Ottos I. So erschien die Kaiserkrone nun als Sieges- und Märtyrerkrone des Dompatrons. 83 Zudem ließ sich die besondere Beziehung eines Verstorbenen zu den Heiligen und ihren Reliquien bei der Totenmemoria nutzen, wie das Beispiel des Kölner Erzbischofs Rainald von Dassel (1159 - 1167) belegt, der die Reliquien der Drei Könige 1164 nach Köln brachte. 84 Am Anniversartag des Erzbischofs zog man zunächst zu dessen Grab, vollzog die liturgische Visitatio, um darauf zum Dreikönigenschrein zu ziehen und dort die Seele des Toten ihrer besonderen Fürsprache zu empfehlen. 85 6. Schlussbemerkung Schon die wenigen, nur mit knappen Strichen gezeichneten Beispiele lassen nicht daran zweifeln, dass Heiligengräber und -reliquien intensiv in die Feier des mittelalterlichen Gottesdienstes einbezogen waren. Vielfältig wirkten die Heiligen mit der irdischen Liturgie zusammen und verbanden Himmel und Erde miteinander. Da die auf uns gekommenen liturgischen Quellen keineswegs vollständig und umfassend die tatsächliche mittelalterliche Praxis in den Kathedralen und Stiften, in Kloster- und Pfarrkirchen beschreiben, darf man vermuten, dass wir auf diesem Wege generell nur einen kleinen Ausschnitt der Heiligendevotion in Gebet und Gottesdienst eruieren können. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass die Formen und Praktiken weitaus reicher und vielgestaltiger waren. Hinzu kommt, dass die Liturgiewissenschaft sich diesem Feld bisher erst in Anfängen zugewandt hat. 86 So ist etwa der Bereich der Wallfahrtsliturgie von liturgiewissenschaftlicher Seite noch kaum untersucht worden. 87 Hier wird man sicher 83 Vgl. Kroos , Quellen (wie Anm. 32); Kühne , Reliquien und Reliquiare (wie Anm. 56) S. 184. 84 Vgl. Das Bistum Köln von den Anfängen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, bearb. von Wilhelm Neuss / Friedrich Wilhelm Oediger (Geschichte des Erzbistums Köln 1, 1964) S. 224 - 230, hier S. 229 f. 85 Vgl. Kroos , Kölner Domchor (wie Anm. 35) S. 152. 86 Vgl. neben dem in Anm. 2 genannten Werk von Hansjörg Auf der Maur und meinem in Anm. 1 genannten Aufsatz aus jüngerer Zeit etwa A Cloud of Witnesses. The Cult of Saints in Past and Present, hg. von Marcel Barnard / Paul Post / Els Rose (Liturgia condenda 18, 2005). Vgl. auch den Tagungsbericht von Bettina Kaul / Markus Roth , Tradierte religiöse Praxis und säkulare Gesellschaft - Heiligenverehrung als liturgiewissenschaftliches Forschungsfeld mit neuen Fragestellungen. Bericht über die AKL-Tagung 2010 im Kloster Helfta/ Lutherstadt Eisleben, in: Liturgisches Jahrbuch 61 (2011) S. 106 - 120. 87 Vgl. Andreas Heinz , Wallfahrt als Gottesdienst, in: Wallfahrt - In Bewegung auf Gott, hg. von Karsten Walter (1986) S. 31 - 41; Albert Gerhards , Wallfahrtsgeschehen - Liturgiewissenschaftliche Aspekte der Wallfahrtsforschung, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie (Jahrbuch für Jürgen Bärsch 182 <?page no="183"?> noch Entdeckungen machen, die zeigen, dass Heiligenkult und Liturgie in Mittelalter und Früher Neuzeit kein Randthema war, sondern wesentlich das religiöse Leben geprägt hat. Resumen: Misas por sepulturas y reliquias de santos en la Edad Media. Observaciones de punto de vista de la ciencia de liturgia. El autor se pregunta de qué manera y en qué medida las sepulturas y las reliquias de los santos se festejaban en las misas medievales. Investiga la integración de las reliquias en el espacio de la iglesia durante los días festivos de los santos, en el año eclesiástico, así como la liturgia de la conmemoración de los muertos. Con el ejemplo de las iglesias del imperio y más allá de esto se enseña, que las reliquias estaban integraos en la liturgia medieval en maneras variadas. Su función de intercesor por los ruegos de los creyentes y de mediador entre el cielo y la tierra eran centrales. En el espacio de las iglesias del oeste los altares fueron multiplicados para ser capaces de reproducir la jerarquía divina de los santos. Los días de la conmemoración de los santos dominaron el calendario de la liturgia. En aniversarios de santos, cuyos reliquias estaban contenidas en una iglesia, las sepulturas de ellos eran visitadas en la víspera del aniversario durante una procesión. Sus reliquias eran expuestas en el altar mayor. La veneración más grande era concedido a un santo cuando su relicario se abría o reliquias de otros santos eran expuestas en su sepultura. Los santos eran mostrados en procesiones y en „ Heiltumsweisungen “ e integrados en las conmemoraciones de Cristo. Enterrar cerca de donde estaban los santos honraba al muerto de manera eminente. Antike und Christentum. Ergbd. 20/ 2 [1995]) S. 820 - 824; Bert Groen , Wallfahrten im Judentum, im Christentum und im Islam, Heiliger Dienst 61 (2007) S. 26 - 47; Jürgen Bärsch , „ Accipe et hunc baculum itineris “ . Liturgie- und frömmigkeitsgeschichtliche Bemerkungen zur Entwicklung der Pilgersegnung im Mittelalter, in: Wahrheit auf dem Weg. Festschrift Ludwig Hödl, hg. von Manfred Gerwing / Heinrich J. F. Reinhardt (2009) S. 76 - 99; Benedikt Kranemann , Auf dem Weg. Überlegungen zu einer Theologie der Wallfahrt aus der Liturgie, in: Liturgisches Jahrbuch 61 (2011) S. 3 - 22; Jürgen Bärsch , Liturgien der Wallfahrt. Gottesdienstliche Aspekte des Wallfahrtsgeschehens in Mittelalter und Neuzeit, in: ebd., S. 23 - 44; neuerdings ist anzuführen: Stefan Böntert , Friedlicher Kreuzzug und fromme Pilgerschar. Liturgiehistorische Studien zur Heilig-Land-Wallfahrt im Spiegel deutschsprachiger Pilgerberichte des späten 19. Jahrhunderts (Liturgia condenda 27, 2013). Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen 183 <?page no="185"?> ein silbern bilde des grossen sant Jacobs - Fürstliche Reliquiensammler des Spätmittelalters, insbesondere in Mitteldeutschland Enno Bünz Reliquien in Bewegung: Am 13. Mai 1472 brachten Abt und Konvent des Benediktinerklosters St. Michael in Hildesheim Reliquien des hl. Bernward, ihres Gründers, auf den Weg in die landesherrliche Residenz Celle. Das kurze Begleitschreiben, das sich im Stadtarchiv Celle erhalten hat, lautet: Wy Hinrick abbet unde convent des klosters tho sunte Michael bynnen Hildensem bekennen openbar in dusseme breve vor alßweme, dat wy hebben van deme gebenthe unses hilgen vaders unde patronen sancti Bernwardi, bisschoppes to Hildensem unde stifftigher unses vorbenomeden klosters, war hilgedom umme ynnichliker bede willen des hochgebornen fursten, unses gnedigen leven heren, hern Fredericke deme elderen, hertogen to Brunswigk unde Luneborch, ghegeven [. . .]. Es folgen die Siegelankündigung und die Datierung. 1 Dem Schreiben fehlt eine Adresse. Man könnte erwarten, die Hildesheimer Benediktiner würden sich an den Landesherrn direkt wenden, aber das kurze Schriftstück war nicht als Begleitschreiben für den Empfänger der Reliquiensendung gedacht, sondern sollte vielmehr die Funktion einer Reliquienauthentik erfüllen. Die Mönche beglaubigten hiermit die Echtheit der Sendung, an der zu zweifeln kein Anlass besteht; denn im Hildesheimer Michaelsklosters war Bischof Bernward 1022 beigesetzt worden, und in der dortigen Ostkrypta ist sein monumentales Grab bis heute erhalten. 1193 wurde Bischof Bernward zur Ehre der Altäre erhoben . . . Was macht dieses kleine Schreiben von 1472 nun so bemerkenswert? Dass wir einmal tatsächlichen Einblick bekommen, wie Reliquien auf den Weg gebracht wurden. Empfänger der Sendung war Herzog Friedrich d. Ä. 1 Urkundenbuch der Stadt Celle, bearb. von Dieter Brosius (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXVII, 20 = Lüneburger Urkundenbuch, 17. Abt., 1996) S. 260 f., Nr. 304. <?page no="186"?> von Braunschweig und Lüneburg (gest. 1478). Seit 1433 residierte eine Seitenlinie der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg in Celle, die dort mehrere Kapellen und ein Franziskanerkloster gründete. In diesen Zusammenhang gehört auch der Ausbau der Stadtpfarrkirche als Residenzkirche. 2 Dort dürfte Friedrich, der auch „ der Fromme “ genannt wurde, die Bernwardsreliquie zusammen mit anderem Heiltum verwahrt haben. Über die Größe und Bedeutung des Celler Heiltumsschatzes sind im Augenblick allerdings keine Aussagen möglich. Grundsätzlich sind Herrschaft und Kirche im Mittelalter eng aufeinander bezogen. Die heilsspendende Kraft von Reliquien gehört untrennbar dazu. 3 Schon die Merowingerkönige verwahrten als kostbare Reliquie an ihrem Hof den Mantel des hl. Martin von Tours (gest. 397); dieses lateinisch als cappa bezeichnete Kleidungsstück wurde namengebend für die Hofkapelle. 4 Reliquien waren nicht nur liturgisch unverzichtbar, weil in einem geweihten Gotteshaus bzw. den für die Messfeier dienenden Altäre Reliquien vorhanden sein mussten, 5 sondern sie wurden bereits im Hochmittelalter zu größeren Sammlungen zusammengetragen. 2 Brigitte Streich , Celle als Residenz der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, in: Stadt - Land - Schloß. Celle als Residenz, hg. von Brigitte Streich (2000) S. 57 - 86; Matthias Steinbrink , Celle, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, hg. von Werner Paravicini , bearb. von Jan Hirschbiegel / Jörg Wettlaufer , Teilband 2: Residenzen (Residenzenforschung 15.I, 2, 2003) S. 105 f. 3 Den besten Überblick bietet Arnold Angenendt , Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart (1994). Grundlegend auch André Vauchez , La sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen Age. D'après les procès de canonisation et les documents hagiographiques (Bibliothèque des Écoles d'Athènes et de Rome, serie 1,241, 1981). Instruktives Bildmaterial in: Reliquien. Verehrung und Verklärung. Skizzen und Noten zur Thematik und Katalog zur Ausstellung der Kölner Sammlung Louis Peters im Schnütgen-Museum, hg. von Anton Legner (1989) . Vgl. auch Anton Legner , Reliquien in Kunst und Kult zwischen Antike und Aufklärung (1995). Die Überblicksdarstellung von Stephan Beissel , Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutschland im Mittelalter. Mit einem Vorwort 1976 von Horst Appuhn (Nachdruck der Originalausgabe Freiburg i.Br. 1890 - 1892, 1991) ist noch als Materialsammlung von Wert. Hingewiesen sei auch auf das nur noch selten zitierte Buch von Hermann Siebert , Beiträge zur vorreformatorischen Heiligen- und Reliquienverehrung (Ergänzungen und Erläuterungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes 6, 1, 1909), der vor allem die gedruckte religiöse Literatur der Jahrzehnte um 1500 auswertet. Seine Ausführungen S. 55 ff. über Wallfahrts- und Heiltumsbüchlein sind natürlich durch zahlreiche neuere Arbeiten überholt. 4 Dieter von der Nahmer , Martin von Tours, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) Sp. 344 f. 5 Nach Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 3) S. 168 f. scheint das schon im 6. Jahrhundert allgemein üblich gewesen zu sein. Vgl. auch Christian Popp , Reliquiensepulcren, in: Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Enno Bünz 186 <?page no="187"?> Von dem eingangs erwähnten Bischof Bernward von Hildesheim ist bekannt, dass er über eine Vielzahl von Reliquien verfügte, die er in seiner Klostergründung St. Michael nicht nur in den Altären, sondern auch in den Säulenkapitellen des Langhauses deponierte. 6 Die Kenntnis größerer Reliquiensammlungen des Hochmittelalters ist häufig allerdings von einem einzigen Dokument abhängig. So trug im hochmittelalterlichen Thüringen Wolfram, Propst des Frauenklosters Ichtershausen, gegen Ende des 12. Jahrhunderts eine Vielzahl von Reliquien aus zahlreichen Kirchen Deutschlands zusammen, die er in einer riesigen Urkunde detailliert mit Angabe der Erwerbsart und des Vorbesitzers verzeichnete. 7 Ohne diese Urkunde wüssten wir von diesem sehr ansehnlichen Reliquienbestand nichts. Deutlich besser überliefert ist hingegen die Reliquiensammlung des Graubündner Adligen Ulrich III. von Tarasp (gest. 1177), die er teils von seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land mitgebracht, teils auch aus Köln beschafft hatte. Mehr als 136 Reliquien, die in die Klosterkirche Marienberg im Vintschgau gelangten, gehen auf diese Sammeltätigkeit zurück. 8 Im Falle des Grafen von Tarasp lässt sich auch gut nachvollziehen, wie seine Sammlung unmittelbar aus der Entdeckung von vermeintlichen Märtyrerreliquien der hl. Ursula und ihrer Gefährtinnen in Köln gespeist wurde. Von noch größerer Bedeutung für die Vermehrung von Reliquienschätzen im papstchristlichen Mitteldeutschland. Katalog zur Ausstellung „ Umsonst ist der Tod “ , hg. von Hartmut Kühne/ Enno Bünz/ T homas T. Müller (2013) S. 63 - 65 mit weiteren Hinweisen. 6 Arnold Angenendt , „ In meinem Fleisch werde ich Gott sehen “ . Bernward und die Reliquien, in: Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993. 2 Bde., hg. von Michael Brandt u. a. Wissenschaftliche Beratung Hans Jakob Schuffels (1993) hier 1, S. 361 - 368; Hedwig Röckelein , Bernward von Hildesheim als Reliquiensammler, in: 1000 Jahre St. Michael in Hildesheim. Kirche - Kloster - Stifter, hg. von Gerhard Lutz / Angela Weyer (Schriften des Hornemann Instituts 14, 2012) S. 107 - 127. 7 Ausfertigung von 1190 Mai 23 im Thüringischen Staatsarchiv Gotha, Geheimes Archiv, QQ I f 12, siehe Regesta diplomatica necnon epistolaria Historiae Thuringiae, bearb. und hg. von Otto Dobenecker 1 - 4 (1896 - 1939), hier 2, S. 161 Nr. 851. Das hochinteressante Stück ist bislang nur unvollständig gedruckt und unzureichend erforscht, doch steht eine eingehende Untersuchung durch Prof. Dr. Matthias Werner (Jena) zu erwarten. Siehe Ders. , Propst Wolfram von Ichtershausen (1176/ 84 - nach 1201), der hl. Godehard von Hildesheim, die Zeit und die Ewigkeit. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e. V., Sektion Hessen, Protokoll der 250. Sitzung am 1. Juli 2000 im Institut für mittelalterliche Geschichte der Universität Marburg (masch.). 8 Iso Müller , Die Herren von Tarasp (1980) S. 129 - 131; Ders. , Ein Reliquiensammler des 12. Jahrhunderts. Ulrich III. von Tarasp, Bündner Monatsblatt, Heft 5/ 6 (1978) S. 12 - 41, hier S. 19 - 41 Liste der Reliquien. Wichtigste Quelle ist die Chronik des Klosters Marienberg im Vintschgau, die mittlerweile neu ediert wurde: Das Registrum Goswins von Marienberg, bearb. von Christine Roilo , übersetzt von Raimund Senoner . Mit Beiträgen von Josef Riedmann und Gustav Pfeifer (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 5, 1996). ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 187 <?page no="188"?> Europa wurde die Eroberung Konstantinopels durch ein lateinisch-westliches Kreuzfahrerheer im April 1204. Bei der Plünderung der zahlreichen Kirchen wurden von den Kreuzzugsteilnehmern auch große Mengen von Reliquien erbeutet. So brachte der Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk (1201 - 1208, gest. 1225) 1205 neben liturgischem Gerät und kostbaren Gewändern auch zahlreiche Reliquiare mit 50 Reliquienpartikeln in seine Bischofsstadt, die er 1208 größtenteils dem Dom schenkte, wo sie z. T. noch heute verwahrt werden. 9 Als einer der bedeutendsten Reliquiensammler des 14. Jahrhunderts tritt uns Kaiser Karl IV. (1346 - 1378) entgegen, der - gewiss auch von den Reliquien der französischen Könige in der St-Chapelle zu Paris beeindruckt - eine beträchtliche Sammlung zusammenbrachte; eine neuere Zusammenstellung von Martin Bauch verzeichnet insgesamt 605 Reliquien. 10 Dieses Heiltum wurde keineswegs nur auf der mysteriösen Burg Karlstein verwahrt, sondern auch im Prager Veitsdom und an anderen Orten. Die Reliquien auf Burg Karlstein dienten auch keineswegs nur der Privatfrömmigkeit des Luxemburgers, sondern wurden zu bestimmten Terminen in Prag öffentlich gezeigt. Dass viele Könige und Fürsten im späten Mittelalter, aber auch Grafen und Herren, ja selbst Bürger Reliquien besessen haben, steht außer Frage. Schwierig ist es jedoch, präzise zu definieren, was denn eigentlich unter einer fürstlichen Reliquiensammlung zu verstehen ist, denn zumeist werden die Heiltümer erst dann für den Historiker greifbar, wenn sie in einer geistlichen Institution wie einem Kloster oder einem Kollegiatstift verwahrt wurden. 11 9 Stefan Tebruck , Kreuzfahrer, Pilger, Reliquiensammler. Der Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk ( † 1225) und der Vierte Kreuzzug, in: Kunst, Kultur und Geschichte im Harz und Harzvorland um 1200, hg. von Ulrike Wendland (Veröffentlichungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen- Anhalt. Arbeitsberichte 8, 2008) S. 26 - 48; Reinhart Schmitt / Stefan Tebruck , Jenseits von Jerusalem. Spuren der Kreuzfahrer zwischen Harz und Elbe. Begleitheft zur Sonderausstellung „ Saladin und die Kreuzfahrer “ im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (2005) S. 134 - 148; Die Inschriften des Doms zu Halberstadt. Gesammelt und bearbeitet von Hans Fuhrmann unter Nutzung der Vorarbeiten von Karin Iffert und Peter Ramm . Mit einem Geleitwort von Ernst Schubert (Die Deutschen Inschriften 75 = Leipziger Reihe 3, 2009). 10 Martin Bauch , Divina favente clemencia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV. (Phil. Diss. (masch.) TU Darmstadt, 2012) S. 149 - 374 und Katalog S. 523 - 613 (die Druckfassung erscheint demnächst in der Reihe „ Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer , Regesta Imperii “ ). Von der dort zitierten weiterführenden Literatur zur Reliquienverehrung durch Karl IV. ist vor allem hervorzuheben Kater ˇ ina Hornic ˇ ková , In Heaven and on Earth. Church Treasures in Late Medieval Bohemia (Diss. (masch.) Department of Medieval Studies, Central European University Budapest; 2009), die aber noch ungedruckt ist. 11 Carola Fey , Reliquien, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe, hg. von Werner Paravicini , bearb. von Jan Hirschbiegel / Jörg Wettlaufer , Teilband 1: Begriffe (Residenzenforschung 15.II, 1, 2005) S. 355 - 358; Enno Bünz 188 <?page no="189"?> Aus solchen Institutionen nämlich stammt „ die bei weitem überwiegende Mehrzahl der zeitgenössischen schriftlichen Nachrichten über Reliquienschätze “ . 12 Insofern ist nicht immer klar zu entscheiden, ob es sich um den Heiltumsschatz eines fürstlichen Sammlers oder den eines Kollegiatstifts handelt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch nicht, ob ein Fürst eine geistliche Gemeinschaft stiftet und dieser einen bestimmten Heiltumsbestand übergibt, sondern ob er über eine Reliquiensammlung verfügt, die er laufend erweitert und womöglich auch zu Zwecken der Kultpropaganda einer größeren Öffentlichkeit durch Veröffentlichung eines illustrierten Heiltumsbuches mit präziser Angabe der verwahrten Reliquien und der zu erwartenden Ablassvergünstigungen bekannt machen lässt. 13 Diese Unterscheidung mag etwas konstruiert wirken, dürfte aber den Blick dafür stärken, dass es etliche Fürsten gab, die eine größere Zahl von Reliquien Dies., Beobachtungen zu Reliquienschätzen deutscher Fürsten im Spätmittelalter, in: „ Ich armer sundiger mensch “ . Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hg. von Andreas Tacke (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt 2, 2006) S. 11 - 36; Dies., Die Reliquienstiftung Kurfürst Ruprechts I. von der Pfalz als Spiegel fürstlicher Frömmigkeit und materieller Kultur im späten Mittelalter, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 58 (2006) S. 131 - 147; Dies ., Wallfahrtserinnerungen an spätmittelalterlichen Fürstenhöfen in Bild und Kult, in: Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen, hg. von Carola Fey / Steffen Krieb / Werner Rösener (Formen der Erinnerung 27, 2007) S. 141 - 164; Dies ., König Ludwig I. von Ungarn und das Tischtuch vom Letzten Abendmahl. Reliquiengeschenke als Zeugnisse des höfischen Austauschs im religiösen Bereich, in: Vorbild - Austausch - Konkurrenz. Höfe und Residenzen in der gegenseitigen Wahrnehmung. 11. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission und der Kommission für Kunstgeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 20. - 24. September 2008, hg. von Werner Paravicini / Jörg Wettlaufer (Residenzenforschung 23, 2010) S. 345 - 361; Dies., Identifikation geistlicher Fürsten im Medium der sakralen Schatzkunst, in: Höfe und Residenzen geistlicher Fürsten. Strukturen, Regionen und Salzburgs Beispiel in Mittelalter und Neuzeit. Ergebnisse der internationalen und interdisziplinären Tagung in der Salzburger Residenz, 19. - 22. Februar 2009, hg. von Gerhard Ammerer / Ingonda Hannesschläger / Jan Paul Niederkorn / Wolfgang Wüst (Residenzenforschung 24, 2010) S. 205 - 223; Dies., Zu Schmuck und Zierde, zu Trost und Heil. Sakrale Schätze und ihre Inszenierungen an bayerischen Fürstenhöfen, in: Fürstenhof und Sakralkultur im Spätmittelalter, hg. von Werner Rösener / Carola Fey (Formen der Erinnerung 35, 2008) S. 125 - 140 und Abbildungsteil S. 337 - 343; Dies ., Ablässe und Reliquien. Fürstliche Förderung des religiösen Lebens in Kirchen und Kapellen, in: Adel und Bauern in der Gesellschaft des Mittelalters. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von Werner Rösener, hg. von Carola Fey / Steffen Krieb (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 6, 2012) S. 203 - 222. 12 Fey , Beobachtungen (wie Anm. 11) S. 11. 13 Zu dieser Publikationsform nun ausführlich Livia Cárdenas , Die Textur des Bildes. Das Heiltumsbuch im Kontext religiöser Medialität des Spätmittelalters (2013), mit einem Katalog aller erhaltenen gedruckten Heiltumsbücher. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 189 <?page no="190"?> besaßen, nur wenige aber - von echtem Sammeleifer getrieben - um deren stetige Mehrung bemüht waren. So betrachtet geraten vor allem zwei große Reliquiensammlungen des ausgehenden Mittelalters in den Blick, nämlich die Heiltumsschätze in Halle und in Wittenberg. Beide Bestände reichen weiter in das späte Mittelalter zurück, sind aber erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts derartig ausgebaut worden, dass sogar die Meinung geäußert wurde, es seien wohl überhaupt die größten Reliquiensammlungen gewesen, die es außerhalb Roms gegeben habe. 14 Zumindest quantitativ mag das zutreffen. Dabei gibt es manche Parallelen zwischen den beiden Sammlungen, von denen eine durch einen geistlichen Reichsfürsten, die andere durch einen weltlichen Kurfürsten vereinigt wurde. Der eine Heiltumsschatz wurde in Halle an der Saale verwahrt, das bis zur Reformation kirchlich und politisch zum Erzbistum Magdeburg gehörte, der andere in Wittenberg an der Elbe, das in der Diözese Brandenburg lag, politisch aber in Kursachsen, das vom Fürstenhaus der Wettiner regiert wurde. In diesem Zusammenhang ist von der „ Konkurrenz der Heiligkeit “ gesprochen worden, denn beide Reliquienschätze haben für den Wettiner in Wittenberg und den Hohenzoller in Halle auch eine herrschaftslegitimierende Funktion gehabt. 15 Das Hallesche Heiltum wurde durch Erzbischof Ernst von Magdeburg (reg. 1476 - 1513) begründet, dessen Bruder der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise war. Der Magdeburger Erzbischof hielt sich lieber als an seinem Bischofssitz Magdeburg in Halle an der Saale auf, das aber innerhalb des Erzstifts Magdeburg lag. 16 Ernst von Wettin errichtete in den Jahren 1484 bis 1503 als erzbischöfliche Residenz die Moritzburg, in der es eine der hl. Maria Magdalena geweihte Kapelle gab. 17 Dort verwahrte der Erzbischof 14 In Wittenberg und Halle seien „ die wohl größten Reliquiensammlungen, die es außerhalb des Vatikans gab, entstanden “ , meint Hans K. Schulze , Heiligenverehrung und Reliquienkult in Mitteldeutschland, in: Festschrift für Friedrich von Zahn, 1: Zur Geschichte und Volkskunde Mitteldeutschlands, hg. von Walter Schlesinger (Mitteldeutsche Forschungen 50, 1968) S. 294 - 312, hier S. 297. Im Hinblick auf Rom ist allerdings zunächst an das „ Sancta sanctorum “ der Päpste im Lateran zu denken. 15 Siehe dazu ausführlicher Barbara Marx, Konkurrenz der Heiligkeit. Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (1463 - 1525) und Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490 - 1545), in: Höfe und Residenzen geistlicher Fürsten. Strukturen, Regionen und Salzburgs Beispiel in Mittelalter und Neuzeit. Ergebnisse der internationalen und interdisziplinären Tagung in der Salzburger Residenz, 19. - 22. Februar 2009, hg. von Gerhard Ammerer/ Ingonda Hannesschläger / Jan Paul Niederkorn / Wolfgang Wüst (Residenzenforschung 24, 2010) S. 255 - 272. 16 Michel Scholz , Residenz, Hof und Verwaltung der Erzbischöfe von Magdeburg in Halle in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Residenzenforschung 7, 1998). 17 Markus Leo Mock , Kunst unter Erzbischof Ernst von Magdeburg (2007), hier bes. S. 165 ff. zur Maria-Magdalenen-Kapelle und zur Heiltumssammlung; Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, hg. von Andreas Tacke Enno Bünz 190 <?page no="191"?> seine Reliquiensammlung, die durch die Angaben in seinen Testamenten von 1503 und 1505 18 und im 1520 gedruckten Halleschen Heiltumsbuch bekannt ist. 19 Sein Nachfolger Kardinal Albrecht von Brandenburg ließ die Maria- Magdalenen-Kapelle 1514 neu weihen und zur Stiftskirche erheben, erlangte 1519 aber auch die Genehmigung, das bisherige Dominikanerkloster, unweit der Moritzburg gelegen, in ein Kollegiatstift umzuwandeln. Da sich der Umbau der neuen Stiftskirche jahrelang hinzog, blieben die Reliquien in der Maria-Magdalenen-Kapelle. Nur dort wurde das Heiltum 1520 und 1521 am Fest Mariä Geburt (8. September) zweimal öffentlich gewiesen. 20 Den damaligen Reliquienbestand dokumentiert das Hallesche Heiltumsbuch, das 1520 (in Leipzig) gedruckt wurde. 21 Der vollständige Titel lautet: Vortzeichnus und zceigung des hochlobwirdigen heiligthumbs der (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt 1, 2005). 18 Ediert von Paul Redlich , Cardinal Albrecht von Brandenburg und das Neue Stift zu Halle 1520 - 1541. Eine kirchen- und kunstgeschichtliche Studie (1900) im Anhang 1. 19 Das Hallesche Heiltumbuch von 1520. Nachdruck zum 450. Gründungsjubiläum der Marienbibliothek zu Halle, hg. und mit einem Nachwort versehen von Heinrich L. Nickel (2001) S. 261 - Vortzeichnus vnd zceigung des hochlobwirdigen heiligthumbs der Stifftkirchen der heiligen Sanct Moritz vnd Marien Magdalenen zu Halle (Exemplar u. a. in der Marienbibliothek Halle); Kerstin Merkel , Die Reliquien von Halle und Wittenberg. Ihre Heiltumsbücher und Inszenierung, in: Cranach. Meisterwerke auf Vorrat. Die Erlanger Handzeichnungen der Universitätsbibliothek. Bestands- und Ausstellungskatalog, hg. von Andreas Tacke (Schriften der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg 25, 1994) S. 37 - 50; Jürgen von Ahn , „ zw fruntlicher bruderlich ergetzung . . . “ . Die Reliquiensammlungen der Brüder Ernst und Friedrich von Wettin, in: Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (1463 - 1525). Beiträge zur wissenschaftlichen Tagung vom 4. bis 6. Juli 2014 auf Schloss Hartenfels in Torgau. Im Auftrag der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, hg. von Dirk Syndram / Yvonne Fritz / Doreen Zerbe (2014) S. 148 - 156, hier S. 150 - 152; Cárdenas , Die Textur des Bildes (wie Anm. 13) S. 240 - 281 und im Katalog S. 351 - 359, wo 24 Exemplare der Druckausgabe verzeichnet werden. 20 Ursula Timann , Bemerkungen zum Halleschen Heiltum, in: Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen, Band 2: Essays, hg. von Andreas Tacke (Kataloge der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen- Anhalt, 2006) S. 255 - 283, hier S. 255 f.; Hartmut Kühne , ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum (Arbeiten zur Kirchengeschichte 75, 2000) S. 423 - 445. 21 Das Hallesche Heiltumbuch (wie Anm. 19); Birgit Münch , Vortzeichnus und zceigung des hochwirdigen heiligthumbs der Stifftkirchen der heiligen Sanct Moritz und Marien Magdalenen zu Halle (gedrucktes Heiltumsbuch), in: Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen, Band 1: Katalog, hg. von Thomas Schauerte (Kataloge der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, 2006) S. 91 f., Nr. 26; Cárdenas , Die Textur des Bildes (wie Anm. 13) S. 351 f. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 191 <?page no="192"?> Stifftkirchen der heiligen Sanct Moritz und Marien Magdalenen zu Halle. Während auf der Rückseite des Titelblattes das Porträt Kardinal Albrechts nach dem Kupferstich Albrecht Dürers von 1519 dargestellt ist, zeigt das zweite Blatt ein Stifterbild: Erzbischof Ernst von Wettin (rechts) und Kardinal Albrecht von Brandenburg (links), beide im bischöflichen Ornat kniend, halten das Modell des Neuen Stifts in Händen, über dem in einem Wolkenkranz die Weihepatrone Maria Magdalena, Moritz und Erasmus dargestellt sind (Abb. 1). Als Vorlage diente ein Holzschnitt, der wohl 1514 von Lukas Cranach d. Ä. als Stiftungsblatt anlässlich der Neuweihe der St. Maria-Magdalenen-Kapelle geschaffen worden war. Wie dort leicht erkennbar ist, halten hier die Protagonisten noch das wesentlich bescheidenere Modell der Kapelle in der Moritzburg in Händen. 22 Die Gliederung des Halleschen Heiltumsbuches folgte der Anordnung bzw. Weisung der Reliquien in neun Gängen, wobei in dem gedruckten Werk pro Seite jeweils ein Reliquiar in einem Holzschnitt dargestellt und hinsichtlich seines Inhalts und z. T. auch seiner Provenienz erläutert wird. Der erste Gang, der päpstliche und kaiserliche Geschenke sowie verschiedene andere Reliquiare enthielt, begann mit der Goldenen Rose, die Kardinal Albrecht von Papst Leo X. für das Neue Stift erhalten hatte. 23 Der zweite Gang umfasste Reliquien Christi, der dritte solche der Muttergottes und der vierte Gang solche von heiligen Patriarchen und Propheten. Die Reliquien von Aposteln und Evangelisten bildeten dann den fünften Gang, der für die Verehrer des hl. Jakobus natürlich von besonderem Interesse ist. Gleich zweimal ist der Apostel Jakobus d. Ä. vertreten (Abb. 2): Auf der linken Seite sieht man ein Standbild von St. Jakob in der vertrauten Gestalt als Pilger mit dem Stab in der Linken und der Jakobsmuschel in der Rechten. Es handelt sich um das elfte Reliquiar in diesem Gang. Erläuternd heißt es: Ein silbern bild des grössern sanct Jacob / Dor inne sein behalten von seinem hewpt II partickel, ein tzan, von seinem 22 Birgit Münch , Katalogartikel „ Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg als Stifter “ , in: Der Kardinal Albrecht - Katalog (wie Anm. 21) S. 228 - 230 Nr. 125; Cárdenas , Die Textur des Bildes (wie Anm. 13) S. 252 - 254. 23 Die Goldene Rose war eine päpstliche Ehrengabe an verdiente Persönlichkeiten, die im späten Mittelalter mehrfach auch deutschen Fürsten zuteil wurde, siehe Bernhard Schimmelpfennig , Goldene Rose, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989) Sp. 1545. Seitdem erschienen: Dieter Scheler , Die Goldene Rose des Herzogs Johann von Kleve. Der Bericht Arnold Heymericks von der Überreichung der Goldenen Rose 1489. Einleitung, Edition, Übersetzung (Klever Archiv 13, 1992); Wolfgang Petke , Das Breve Leos X. an Georg Spalatin von 1518 über die Verleihung der Goldenen Rose an Friedrich den Weisen, in: Archiv für Kulturgeschichte 80 (1998) S. 67 - 104; Christiane Schuchard , Die Goldene Rose Papst Nikolaus' V. von 1453 in der Berlin- Cöllner Schlosskapelle, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart (2000) S. 7 - 26; Otfried Krafft , Ludwig I. von Hessen, Papst Nikolaus V. und die Goldene Rose von 1450, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 59 (2007) S. 101 - 121. Enno Bünz 192 <?page no="193"?> Abb. 1: Erzbischof Ernst von Magdeburg und sein Nachfolger Kardinal Albrecht von Brandenburg: Stifterbild im Halleschen Heiltumsbuch von 1520, Bl. 2 r. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 193 <?page no="194"?> arme, von seinem rugkbeyn vnd sunst XXVII partickel von seinem cörper. Summa 32 partickel “ . An zwölfter Stelle in diesem Gang wurde ein Armreliquiar des hl. Jakob gezeigt: „ Ein silbern arm mit einer moscheln / Dor inne ist ein trefflich stuck eyner armrören des heyligen zwelffpoten sanct Jacobs des grössern. Das Armreliquiar hatte offenbar, wie der Holzschnitt zeigt, eine verglaste Öffnung, in welcher der Teil des Armknochens zu sehen war. Entsprechend heißt es: Summa I partickel. Interessant ist, dass über dem Sockel ein Wappenschild dargestellt ist, das im linken oberen Feld das sächsische Wappen zeigt. Dieses Reliquiar stammt also bereits aus dem Heiltumsschatz des Erzbischofs Ernst von Wettin. Wie der Erzbischof in den Besitz dieser Jakobusreliquien gelangt ist, erfahren wir leider nicht. Von den Angehörigen des Hauses Wettin ist nachweislich nur der Albertiner Heinrich der Fromme 1502/ 3 nach Santiago de Compostela gereist, doch ist über die Wallfahrt nur wenig bekannt. 24 Allerdings ist es ohnehin unwahrscheinlich, dass ein Pilger noch im späten Mittelalter eine so bedeutende Reliquie vom Jakobsgrab mitbringen konnte, wie noch um 1100 Wiprecht von Groitzsch, der einen Daumen des hl. Jakob ins Kloster Pegau bei Leipzig verbracht haben soll. 25 Soweit zur Präsenz des hl. Jakobus in diesem Reliquienbestand. Aber beenden wir kurz noch den Rundgang durch das Hallesche Heiltum: Im sechsten Gang waren die Reliquien von Märtyrern zusammengestellt, im siebenten die von heiligen Bischöfen, im achten solche der hl. Jungfrauen, und im neunten Gang waren Reliquien von den heyligen auserwelten Frawen und witwen zu sehen. 26 Die Entwicklung des Reliquienschatzes im Detail nachzuzeichnen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Das Anwachsen des Bestandes wird schon daran deutlich, dass unter Erzbischof Ernst nur 50 Reliquiare vorhanden waren, während Kardinal Albrecht den Bestand auf rund 350 Reliquiare erweiterte. 27 Der Sammeleifer Albrechts von Brandenburg war bemerkenswert und zielgerichtet. Hierfür nur ein Beispiel: Der hl. Erasmus war nicht nur der persönliche Patron des Kardinals, sondern auch der Schutzpatron der Hohenzollern (woran etwa die St. Erasmus-Kapelle im ältesten Teil des einstigen Berliner Schlosses erinnerte), und diesem Heiligen war deshalb als Konpatron auch die Stiftskirche in Halle gewidmet. 1516 konnte Albrecht aus dem Liebfrauenkloster in Magdeburg den Körper des hl. Erasmus erwerben, und 1517 gelang es ihm unter Einsatz erheblicher Geldmittel, auch den Kopf des hl. Erasmus aus dem Kloster Oliva bei 24 André Thieme , Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter, in: Der Jakobuskult in Sachsen, hg. von Klaus Herbers und Enno Bünz (Jakobus-Studien 17, 2007) S. 175 - 217, hier S. 184 f. mit weiterführenden Hinweisen. 25 Enno Bünz , Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus, in: Der Jakobuskult in Sachsen (wie Anm. 24) S. 61 - 95. 26 Nickel, in: Das Hallesche Heiltumbuch (wie Anm. 19) S. 251 - 253. 27 Timann , Bemerkungen (wie Anm. 20) S. 257. Enno Bünz 194 <?page no="195"?> Abb. 2: Standbild mit Reliquien des hl. Jakobus und Armreliquiar dieses Heiligen im Halleschen Heiltumsbuch, von 1520, Bl. 52 v/ 53 r. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 195 <?page no="196"?> Danzig zu erhalten. 28 Beide Reliquien wurden aber im Heiltumsschatz weiter getrennt verwahrt. Entsprechend zeigen das gedruckte Heiltumsbuch von 1520 und das handschriftliche von 1526/ 27 das Kopfreliquiar des heiligen Bischofs mit der charakteristischen Darmwinde in der Rechten und ein Kastenreliquiar mit der Körperreliquie und der bildlichen Darstellung des Martyriums. 29 Ganz selbstverständlich nutzte Kardinal Albrecht aber auch seine Stellung als Diözesanoberer in den Erzbistümern Mainz und Magdeburg sowie im Bistum Halberstadt, wo er als Administrator fungierte, und veranlasste dortige Klöster und Stifte, ihm Reliquien zu überlassen. Noch 1529, als die Reformation in Nordhessen schon voranschritt, erlangte Kardinal Albrecht gegen Zusage einer jährliche Rente vom Fritzlarer Franziskanerkloster einen umfangreichen Reliquienbestand, auf den der Erzbischof bei einem Besuch des Klosters im Vorjahr aufmerksam geworden war. 30 Darunter befand sich als wohl wertvollstes Stück das vermeintliche Haupt des hl. Johannes Chrysostomos, für das der Kardinal ein silbernes Brustbild mit Edelsteinen anfertigen ließ. 31 Der eigentliche Zweck der Reliquiensammlung ergab sich, wie auch im Prolog des Heiltumsbuches von 1520 betont wird (Bl. 2 v), aus den Ablassvergünstigungen, die mit der öffentlichen Weisung der Reliquien am Sonntag und am Montag nach Mariä Geburt verbunden waren, wobei für jedes Reliquienpartikel 4000 Jahre und 3140 Tage Ablass sowie 800 Quadragenen gewährt wurden. Deshalb wird im Heiltumsbuch bei jedem Reliquiar die Zahl der Partikel und am Ende eines jeden Ganges der Umfang des Ablasses angegeben. Am Ende des Heiltumsbuches steht entsprechend eine große Rechenleistung: Summa summarum alles hochlobwirdigen heiligthumbs obangetzeigter neun genge ist achthausent hundert dreyvnddreissig partickel vnd tzweivndviertzig gantzer heyliger cörper / Macht der Ablas neununddreyssick thausent mal thausent / tzweihundert mal thausent / funffvndviertzig thausent / hundert vnnd tzwentzick jhar zweyhundert tzwenzig tage / darzu sechstausentmaltausent / funffhundert / mal thausent / vnnd viertzig thausent Quadragen. So hat auch eyn iglicher gang ynsunderheyt viertausent achthundert jhar / tzweyhundert achtvndtzwenzig tage / vnd Achthundert Quadragen. Selig seindt / dye / sich des teylhafftick machen. 28 Andreas Tacke , Ehemaliger Engel-Altar der Hallenser Stiftskirche, in: Das Rätsel Grünewald, hg. von Rainhard Riepertinger u. a. (2002) S. 273 f. Nr. 158; Nickel in: Das Hallesche Heiltumbuch (wie Anm. 19) S. 266; Timann , Bemerkungen (wie Anm. 20) S. 257. 29 Das Hallesche Heiltumbuch (wie Anm. 19) Bl. 57 v und 58 r. - Der Kardinal Albrecht - Katalog (wie Anm. 21) S. 66. 30 Johannes Bapt. Kißling , Kardinal Albrecht von Brandenburg und die Reliquiensammlung der Barfüßer zu Fritzlar, in: Studien aus Kunst und Geschichte. Friedrich Schneider zum siebzigsten Geburtstage gewidmet von seinen Freunden und Verehrern (1906) S. 117 - 124. 31 Kißling , Kardinal Albrecht (wie Anm. 30) S. 6. Enno Bünz 196 <?page no="197"?> Zusätzlich zu den Ablässen pro Reliquienpartikel gab es damals auch noch Pauschablässe für jeden der neun Gänge. In der Gesamtsumme lässt sich ein Ablass von 39.243.326 Jahren und 82 Tagen errechnen. Hinzu kommen aber noch 6.547.200 Quadragenen, womit eine jeweils 40tägige Bußzeit bezeichnet wird, 32 die nachgelassen wurde, woraus sich nochmals ein Ablass im Umfang von 717.501 Jahren und 140 Tagen ergibt. In der Summe also ein Ablass von 39.960.827 Jahren und 222 Tagen! Als Referent in einer Einrichtung des Bistums Limburg denkt man hier und heute bei solchen Zahlen natürlich an ganz andere Dinge! Das Hallesche Heiltum ist von der Reformation schlichtweg überholt worden. Nach der letzten Reliquienweisung von 1521 konnte Kardinal Albrecht von Brandenburg, einer der Hauptgegner Martin Luthers, es nicht mehr wagen, das Heiltum öffentlich zur Schau zu stellen. Martin Luther machte in seinem Kampf gegen die Heiligenverehrung und die damit verbundene Ablassfrömmigkeit vornehmlich die Reliquiensammlung in Halle an der Saale zum Gegenstand seiner Polemik, überging die Wittenberger Sammlung hingegen mit Stillschweigen, vermutlich aus rein taktischen Gründen, um seinen Landesherrn zu schonen. 33 Dabei wandte sich Luther, der in seiner grundsätzlichen Einstellung zur Heiligenverehrung anfangs noch nicht ablehnend war, gar nicht gegen die Heiligen als solche, sondern kritisierte vorrangig die offensichtlichen Missstände des Reliquienwesens, die auch anderen Zeitgenossen nicht verborgen blieben. Die Sammeltätigkeit in Halle ging freilich weiter und schlug sich u. a. in einem prachtvollen neuen Heiltumsbuch nieder, das 1526/ 27 als prachtvolle Pergamenthandschrift angelegt wurde. 34 Diese Handschrift war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, wie das gedruckte Heiltumsbuch von 1520, sondern wird - da keine Heiltumsschauen mehr durchgeführt wurden - allein der privaten Andacht Kardinal Albrechts gedient haben, der an den farbigen und großformatigen Darstellungen eine stille Freude gehabt haben mag. Die Präsentation der dargestellten 353 Reliquiare folgte der des Heiltumsbuches von 1520 in neun Gängen. Wie präzise die Darstellungen der Reliquiare sind, mag der wohl vor 1513 von dem Hallenser Goldschmied Hans Huiuff angefertigte Goldkelch zeigen, der sich als eines der wenigen Stücke des Halleschen Heiltums erhalten hat und im Domschatz von 32 Zur Erläuterung siehe Josef A. Jungmann , Quadragene, in: Lexikon für Theologie und Kirche 8 ( 2 1963) Sp. 909 f. 33 Paul Kalkoff , Ablass und Reliquienverehrung an der Schloßkirche zu Wittenberg unter Friedrich dem Weisen (1907) S. 87 ff. Allerdings blieb Luthers Schrift „ Wider den Abgott zu Halle “ , die am 1. Nov. 1521 abgeschlossen war, auf Wunsch des sächsischen Kurfürsten zunächst ungedruckt, siehe Martin Brecht , Martin Luther 2: Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521 - 1532 (1986) S. 22 und 93. 34 Ursula Timann , Hallesches Heiltumsbuch (Liber ostensionum), in: Der Kardinal Albrecht - Katalog (wie Anm. 21) S. 92 - 94 Nr. 27. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 197 <?page no="198"?> Uppsala verwahrt wird. Die Wiedergabe im handschriftlichen Heiltumsbuch verdeutlicht, wie präzise die Darstellung ist, bis hin zur Farbigkeit der Edelsteine, die den Kelch verzieren. 35 Die Qualität der künstlerischen Darstellung wird noch deutlicher, wenn man den Holzschnitt aus dem gedruckten Heiltumsbuch von 1520 heranzieht, wo als dritter Posten im zweiten Gang eyn gantz guldener kelch mit vil kostlichen steynen vnd perlin beschrieben wird. 36 Abb. 3: Kurfürst Friedrich der Weise und Herzog Johann der Beständige auf dem Titelblatt des Wittenberger Heiltumsbuches von 1509. 35 Ursula Timann , Kelch, in: Der Kardinal Albrecht - Katalog (wie Anm. 21) S. 96 f. Nr. 28 mit Abbildung. Die Darstellung im handschriftlichen Heiltumsbuch ebd. S. 95. 36 Das Hallesche Heiltumbuch (wie Anm. 19) Bl. 18v. Enno Bünz 198 <?page no="199"?> Dieser und ein weiterer Kelch, der sich ebenfalls in Uppsala befindet, gehören zu den ganz wenigen Überresten des Halleschen Heiltums. Kardinal Albrecht hatte zwar den Heiltumsschatz 1523 noch in das Neue Stift überführen lassen, 37 doch war es angesichts der auch im Erzstift Magdeburg vorrückenden Reformation nicht mehr denkbar, eine Heiltumsweisung in Halle durchzuführen. Obschon das Neue Stift erst 1541 aufgehoben wurde, hatte der Kardinal bereits vorher Teile der Reliquiare verkauft oder verpfändet. Was übrig war, ließ Albrecht von Brandenburg, der auch Erzbischof von Mainz war, in die erzbischöfliche Residenz Aschaffenburg bringen. 38 In der dortigen Stiftskirche St. Peter und Alexander fand Kardinal Albrecht 1545 in der aufwendigen Grabanlage, die ursprünglich für das Neue Stift in Halle bestimmt gewesen war, seine letzte Ruhe. 39 Während das Hallesche Heiltum in nur zwei Generationen angewachsen ist, kann der Wittenberger Reliquienschatz auf eine längere Geschichte zurückblicken. Der heute Lutherstadt Wittenberg genannte Ort an der mittleren Elbe war der Mittelpunkt der Kurfürstentums Sachsens, das nach dem Aussterben der askanischen Kurlinie 1423 an den Wettiner Markgraf Friedrich IV. von Meißen gelangte. Letztlich hat aber erst die Leipziger Teilung von 1485 zu einer Aufwertung Wittenbergs geführt. Von den beiden wettinischen Brüdern erhielt der ältere Ernst damals das Kurfürstentum (mit den Kurlanden), der jüngere Albrecht hingegen das Herzogtum Sachsen. Den gleichnamigen Sohn des Kurfürsten Ernst haben wir schon als Erzbischof von Magdeburg und fleißigen Reliquiensammler kennengelernt. Darin sollte ihn aber noch sein Bruder Friedrich übertreffen, der 1486 Kurfürst von Sachsen wurde und daran ging, Wittenberg zu einer prachtvollen Residenz auszubauen. 40 Kurfürst Friedrich der Weise (1463 - 1525) sollte in Wittenberg die zweitgrößte Reliquiensammlung in Mitteldeutschland zusammenbringen 37 Timann , Bemerkungen (wie Anm. 20) S. 256. 38 Ebd. 39 Kerstin Merkel , Jenseits-Sicherung. Kardinal Albrecht von Brandenburg und seine Grabdenkmäler (2004). 40 Das ernestinische Wittenberg: Universität und Stadt (1486 - 1547), hg. von Heiner Lück / Enno Bünz / Leonhard Helten / Dorothée Sack / Hans-Georg Stephan (Wittenberg-Forschungen 1, 2011); Das ernestinische Wittenberg: Stadt und Bewohner, hg. von Heiner Lück / Enno Bünz / Leonhard Helten / Armin Kohnle / Dorothée Sack / Hans-Georg Stephan , Textband und Bildband (Wittenberg-Forschungen 2, 1 - 2, 2013); Archäologie in Wittenberg I. Das Schloss des Kurfürsten und der Beginn der frühneuzeitlichen Stadtbefestigung von Wittenberg. Kolloquium zu den aktuellen Ausgrabungen im Vorschloss (Südflügel) Wittenberg, veranstaltet vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und dem Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 25. Mai 2011 in Halle a. d. Saale (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 22, 2014). ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 199 <?page no="200"?> (Abb. 3). Das „ Wittenberger Heiltum “ hat schon deshalb wiederholt das Interesse der historischen Forschung gefunden, weil es im Wittenberger Allerheiligenstift verwahrt wurde. Die Stiftskirche gilt traditionell als der Ort des Thesenanschlags Martin Luthers vom 31. Okt. 1517, dem Vorabend des Allerheiligenfestes, und die öffentliche Zurschaustellung des dortigen Heiltums war mit gewaltigen Ablässen verknüpft, also mit eben jenem kirchlichen Institut, dessen theologische Grundlagen Luthers 95 Thesen vornehmlich zur Diskussion stellten. 41 Es entbehrt zudem nicht einer gewissen Ironie, dass gerade Luthers Landesherr mit dem Wittenberger Heiltum über eine der größten Reliquiensammlungen seiner Zeit verfügte. 42 41 Zur Frage des Thesenanschlags: Martin Brecht , Martin Luther 1: Sein Weg zur Reformation 1483 - 1521 (1981) S. 196 f. mit Anm. 22, wo die kontroverse Literatur der letzten Jahrzehnte genannt wird, und jüngst: Luthers Thesenanschlag - Faktum oder Fiktion, hg. von Joachim Ott / Martin Treu (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 9, 2008). Die „ echte “ Thesentür ist 1760 verbrannt, s. Denkmale der Lutherstadt (wie Anm. 42) S. 46 und 213 mit Abb. 13. 42 Kalkoff , Ablass (wie Anm. 33); Paul Flemming , Zur Geschichte der Reliquiensammlung der Wittenberger Schloßkirche unter Friedrich dem Weisen, in: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 14 (1917) S. 87 - 92; Paul Kirn , Friedrich der Weise und die Kirche. Seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517. Dargestellt nach den Akten im Thüringischen Staatsarchiv zu Weimar (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 30, 1926) S. 168 - 171; Fritz Bünger / Gottfried Wentz , Das Bistum Brandenburg 2 (Germania Sacra [Alte Folge], 1. Abt. 3,2, 1941) S. 104 - 107; Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg, bearb. von Fritz Bellmann u. a. Mit Beiträgen von Peter Findeisen (Die Denkmale im Bezirk Halle, 1979) bes. S. 257 - 267 (die entsprechenden Abschnitte wurden von F. Bellmann verfasst); Helmar Junghans , Wittenberg als Lutherstadt (1979) S. 48 - 51; Ingetraut Ludolphy , Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen 1463 - 1525 (1984) bes. S. 355 - 361; Bernd Moeller , Eine Reliquie Luthers, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1982 (1983) S. 33 - 55; wiederabgedruckt in: Ders. , Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze, hg. von Johannes Schilling (1991) S. 249 - 262 u. 335 - 341; Bernd Stephan , Beiträge zu einer Biographie Kurfürst Friedrichs III. von Sachsen, des Weisen, 3 Bände, Theol. Diss. A (masch.), Karl-Marx-Universität Leipzig 1979, hier Bd. 2 S. 455 - 457 Anm. 734 (mittlerweile gedruckt: „ Ein itzlichs Werck lobt seinen Meister “ . Friedrich der Weise, Bildung und Künste = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 24, 2014); Hartmut Kühne , ostensio reliquiarum (wie Anm. 20) S. 400 - 423; Ders. , „ . . . je ein Stück einhundert Tage Ablass “ . Reliquien und Ablasspraxis in Mitteldeutschland, in: „ Gott hat noch nicht genug Wittenbergisch Bier getrunken “ - Alltagsleben zur Zeit Martin Luthers (Wittenberger Sonntagsvorlesungen, 2001) S. 92 - 115; Merkel , Die Reliquien von Halle und Wittenberg (wie Anm. 19) S. 37 - 50; von Ahn , „ . . . zw fruntlicher bruderlich ergetzung . . . “ (wie Anm. 19) S. 149 f.; Livia Cárdenas , Friedrich der Weise und das Wittenberger Heiltumsbuch. Mediale Repräsentation zwischen Mittelalter und Neuzeit (2002); Dies., Die Textur des Bildes (wie Anm. 13) S. 135 - 186 und im Katalog S. 345 - 351, wo ein Exemplar der Druckausgabe A (siehe dazu unten Anm. 49) und 24 Exemplare der Druckausgabe B verzeichnet werden; Thomas Lang , 1 gulden 3 groschen aufs Heyltum geopfert - Fürstliche Rechnungen als Quellen zur Enno Bünz 200 <?page no="201"?> Die Anfänge der Reliquiensammlung in Wittenberg reichen in das 14. Jahrhundert zurück. Seitdem verwahrte man in der Schlosskirche einen Dorn von der Dornenkrone Christi, den der sächsische Kurfürst Rudolf I. von König Philipp VI. von Frankreich erhalten hatte. Manche Erwerbung mehrte die Sammlung, doch waren weder das kleine Kollegiatstift noch sein Reliquienbesitz bis weit ins 15. Jahrhundert sonderlich bedeutend. 43 „ Die große Zeit des Wittenberger Heiltums “ brach erst unter Kurfürst Friedrich dem Weisen an, der von seiner Pilgerreise ins Heilige Land 1493 - als erste bedeutende Reliquiengabe überhaupt - einen Daumen der hl. Anna aus Rhodos mitgebracht hatte und in den folgenden zweieinhalb Jahrzehnten unzählige weitere Reliquien erwarb. 44 Erst seit 1507 scheint der Kurfürst aber intensiver gesammelt zu haben. 45 Das Wachstum der Sammlung lässt sich gut an den zehn Heiltumsverzeichnissen ablesen, die vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis 1518 geführt worden sind: 46 „ 1513 gab es 5.262 Reliquienpartikel in der Schloßkirche, 1518 waren es 17.443 [. . .]. Im Frühjahr 1520 war die Zahl der Partikel auf 18.970 angewachsen. Schließlich brachte es die Sammlung im Jahre 1520 auf 19.013 Stück “ . 47 Wie in Halle wurde auch in Wittenberg ein gedrucktes Heiltumsbuch veröffentlicht, das 1508/ 09 mit Holzschnitten von Lukas Cranach d. Ä. erschienen ist und insgesamt zuverlässig die Gestalt der Reliquiare darstellt. 48 In Gestalt dieses Frömmigkeitsgeschichte um 1500, in: Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung „ Umsonst ist der Tod “ , hg. von Enno Bünz und Hartmut Kühne (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 50, 2015) S. 81 - 148. 43 Dies betont schon Kühne, „ . . . je ein stück . . . “ (wie Anm. 42) S. 105 - 107. 44 Zur Pilgerreise Ludolphy , Friedrich der Weise (wie Anm. 42) S. 351 - 355, und Hartmut Kühne , Reisen in das Heilige Land, in: Alltag und Frömmigkeit (wie Anm. 5) S. 171 - 175. 45 Stephan , Beiträge (wie Anm. 42) 2, S. 456. 46 Siehe die Liste von F. Bellmann in: Denkmale der Lutherstadt (wie Anm. 42) S. 257 ff. Die Verzeichnisse wurden teilweise von Georg Spalatin geführt, worauf schon Kalkoff , Ablass (wie Anm. 33) S. 64 f. hingewiesen hat. Eher beiläufig dazu auch Irmgard Höss , Georg Spalatin 1484 - 1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation ( 2 1989) S. 88 f. 47 Kalkoff , Ablass (wie Anm. 33) S. 64 f.; Flemming , Zur Geschichte (wie Anm. 42) S. 87; Moeller , Eine Reliquie (wie Anm. 42) S. 255; Ludolphy , Friedrich der Weise (wie Anm. 42) S. 357; Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 3) S. 161. 48 Erschienen unter dem Titel: Dye zaigung des hochlobwirdi/ gen hailigthums der stifft/ kirchen aller hailigen zu / Wittenburg, Wittenberg: Symphorian Reinhart 1509 = VD 16, Z 250. Digitalisat des Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek München (Sign. Res. 4 H. eccl. 851): http: / / dfg-viewer.de/ show/ ? set%5Bmets%5D=http%3A %2F%2Fdaten.digitale-sammlungen.de%2F%7Edb%2Fmets%2Fbsb00001265_m ets.xml (Zugriff 14. 6. 2014). Dem Exemplar fehlt das hier in Abb. 3 reproduzierte Widmungsbild. Ein Faksimile erschien unter dem Titel: Wittemberger Heiligthumsbuch, illustriert von Lucas Cranach d. Aelt., Wittemberg in Kursachsen 1509 (Liebhaber-Bibliothek alter Illustratoren in Facsimile-Reproduction, 1884) (bloßes ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 201 <?page no="202"?> Heiltumsbuches konnten die Gläubigen den Wittenberger Reliquienschatz gewissermaßen nach Hause tragen. 49 Das Wittenberger Heiltum war der Obhut des Kollegiatstifts Allerheiligen anvertraut, das noch vor der Mitte des 14. Jahrhunderts von Herzog Rudolf I. von Sachsen gegründet worden war. 50 Friedrich der Weise ließ ab 1496/ 97 einen Neubau errichten, der 1502 von dem päpstlichen Legaten Raimund Peraudi geweiht wurde (Abb. 4). Die Allerheiligenkirche diente dem Kurfürsten einerseits als Residenzstift, das baulich direkt mit dem Schloss verbunden war, die Kirche fungierte zugleich aber auch als Universitätsstift der 1502 gegründeten Leucorea und war dieser seit 1507 inkorporiert. 1507 befanden sich die Reliquien im Hohen Chor, wo zunächst ein steinernen geheuse der sicheren Verwahrung diente, doch wurde ab 1516 ein gesondertes Heiltumgewölbe angelegt, das sich offenbar zwischen dem Chor der Kirche und dem Torturm des Schlosses befand. 51 Über die öffentliche Weisung der Reliquien ist nur wenig bekannt. Die feierliche Heiltumsschau, in den Quellen als ostensio oder zaigung des hochlobwirdigen hailigthums bezeichnet, fand jährlich am Montag nach Misericordias domini (2. Sonntag nach Ostern) statt. Nur zu diesem Anlass wurden die kostbaren Reliquiare offentlich vnd ehrlich geweyßt vnd gezaigt, wie es im Heiltumsbuch von 1509 heißt, 52 also der Öffentlichkeit präsentiert und durch einen Heiltumsschreier erläutert. Der päpstliche Legat Raimund Peraudi hatte 1503 allen Besuchern der Heiltumsschau einen Ablass von 100 Tagen pro gezeigter Reliquie in Aussicht gestellt. 53 Faksimile ohne Einleitung und Kommentar). Ein Nachdruck des Heiltumsbuches erfolgte bereits 1617 anlässlich der Centenarfeier des Thesenanschlags durch Johann Meisner, Iubilaeum Wittenbergense, das ist Wittenbergisches Jubelfest, In der Churfürstlichen Sächsischen Schloß=Kirche zu Wittenberg am 31. Octobr. gefeyert [. . .] Sambt einen Lateinischen Anhang Von Anfang und erster Erbawung der Schloß=Kirchen [. . .], Wittenberg 1668, fol. M 1 v-P 2 v. 49 Neben dem oben behandelten Druck von 1509 im Umfang von 44 Blättern (Ausgabe B, hiernach das Anm. 48 zitierte Faksimile) hat es noch eine bis heute unpublizierte Ausgabe A mit 52 Blättern von 1508 gegeben, die als Unikat im British Museum London (158.d.64) verwahrt wird. Darauf hatte schon Ernst Schulte-Strathaus , Die Wittenberger Heiligtumsbücher vom Jahre 1509 mit Holzschnitten von Lucas Cranach, in: Gutenberg-Jahrbuch 1930, S. 175 - 196, hingewiesen. Siehe nun auch Cárdenas , Die Textur des Bildes (wie Anm. 13) S. 345 bislang nicht weiterverfolgt worden. Inhaltlich stimmen beide Heiltumsbücher aber weitgehend überein. 50 Zur Geschichte Bünger / Wentz , Das Bistum Brandenburg 2 (wie Anm. 42) S. 75 - 164, ergänzend Denkmale der Lutherstadt (wie Anm. 42) S. 90 - 107 und S. 239 - 267. 51 Denkmale der Lutherstadt (wie Anm. 42) S. 260, siehe dazu den Grundriss von Kirche und Schloss ebd. S. 82. 52 Wittemberger Heiligthumsbuch (wie Anm. 48) fol. A IIIr. 53 Kühne , „ . . . je ein stück . . . “ (wie Anm. 42) S. 108. Enno Bünz 202 <?page no="203"?> Friedrich der Weise bemühte sich aber in den folgenden Jahren an der päpstlichen Kurie, einen höheren Ablas zu erwirken, und tatsächlich gewährte Papst Leo X. dann 1518 nicht 100 Tage, sondern 100 Jahre Ablass pro Reliquie. 54 Wie eine solche Reliquienschau (ostensio reliquiarum) ablief, zeigt ein Holzschnitt im Nürnberger Heiltumsbuch von 1487 (Abb. 5). 55 Die zahlreichen Gemeinsamkeiten in Bilddarstellungen mittelalterlicher Heiltumsbücher lassen vermuten, dass die Wittenberger Heiltumsschau Abb. 4: Stiftskirche und Schloss im Wittenberger Heiltumsbuch von 1509, Bl.1 v. 54 Ebd., S. 109. 55 Franz Machilek , Die Heiltumsweisung, in: Nürnberg - Kaiser und Reich (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 20, 1986) S. 57 - 66; Kühne , ostensio reliquiarum (wie Anm. 20) S. 144 - 152; Cárdenas , Die Textur des Bildes (wie Anm. 13) S. 19 - 21 und S. 35 f. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 203 <?page no="204"?> ähnlich abgelaufen ist. 56 Wie Thomas Lang jüngst plausibel gemacht hat, hat man mit diesen Weisungen in Wittenberg spätestens 1506 begonnen, denn in diesem Jahr ist erstmals die Errichtung eines Heiltumsstuhls belegt. 57 Den Kanonikern und Dignitären des Allerheiligenstiftes kam dabei eine im Wortsinne „ tragende Rolle “ zu, weil sie bei der Heiltumsweisung die einzelnen Reliquiare zu halten hatten. 58 Abb. 5: Heiltumsschau in Nürnberg, Nürnberger Heiltumsbuch von 1487, Bl. 4 r. 56 Vgl. Kühne , ostensio reliquiarum (wie Anm. 20). 57 Lang , 1 gulden 3 groschen (wie Anm. 42). 58 Denkmale der Lutherstadt (wie Anm. 42) S. 260. Enno Bünz 204 <?page no="205"?> Von dieser feierlichen Heiltumsweisung, die aufgrund des großen Andrangs gewiss vor der Stiftskirche stattfand, ist die bloße (unkommentierte) Ausstellung der Reliquiare an hohen Festtagen zu unterscheiden, worüber noch weniger bekannt ist. Einen Hinweis enthält das Inventar der Stiftskirche von 1515, welches ein gruen vnd graw atlaß tuch zum stuhle auff den hohen altar, da das heiligthumb in grossen festen auff stehet, verzeichnet. 59 Diese hohen Festtage, vor allem natürlich Allerheiligen als das Patronatsfest der Stiftskirche, waren mit bedeutenden Ablässen verbunden, um deren Mehrung sich gerade Friedrich der Weise besonders bemühte, und deshalb wurde auch das Heiltum ausgestellt. Die öffentliche Weisung des Heiltums, wie sie oben beschrieben wurde, fand aber nur einmal im Jahr statt. Wenn in der reformationsgeschichtlichen Literatur immer wieder zu lesen ist, Martin Luther habe sich für den Thesenanschlag am 31. Oktober den Vorabend der Heiltumsschau ausgesucht, trifft dies eben nicht zu. Das Wittenberger Heiltum wurde in zwölf Gängen gezeigt, die von Reliquien heiliger Witwen, Jungfrauen und Märtyrerinnen (Gang 1 und 2, wobei die Weisung durch den Elisabethbecher eröffnet wurde, von dem noch die Rede sein wird) über Reliquien der heiligen Bekenner und Bischöfe (Gang 4 und 5) bis hin zu solchen vom Leiden Christi (Gang 12) reichten und mit der Weisung der spina de corona spinea schloss, also eines Dorns von der Dornenkrone Christi. 60 Danach wurde das Allerheiligste zur andächtigen Betrachtung ausgesetzt. Im sechsten Gang waren Reliquien der Apostel und Evangelisten vereint. Dort gab es natürlich auch Reliquien des Apostels Jakobus, die in einem großen Standbild des Heiligen untergebracht waren, das ihn als Pilger nach dem gängigen ikonographischen Muster mit einem Rosenkranz in der Rechten darstellt (Abb. 6). Erläuternd heißt es: Zum IX. ein Silbern bilde des grossen sant Jacobs: Ein Zhan. Vom schulterbein eyn particel. Syben andere particel seins heyligen gepeins. Summa IX partickel. 61 Beim Aufbau der Reliquiensammlung waren die weitgespannten politischen Kontakte des sächsischen Kurfürsten ebenso nützlich wie persönliche Beziehungen, wobei Friedrichs Geheimsekretär Georg Spalatin, der die Reliquien mehrfach verzeichnete, der kurfürstliche Kämmerer Degenhard Pfeffinger, vor allem aber der langjährige Beichtvater der Kurfürsten, der Franziskaner Jakob Vogt, eine herausragende Rolle spielten. 62 Mehrfach war Bruder Jakob unterwegs, um für die Kurfürsten Reliquien zu besor- 59 Ebd. S. 253 - 257, hier S. 256. 60 Siehe Bünger/ Wentz , Das Bistum Brandenburg 2 (wie Anm. 42) S. 106. 61 Wittemberger Heiligthumsbuch (wie Anm. 48) fol. F Ir. 62 Vgl. Ludolphy , Friedrich der Weise (wie Anm. 42) S. 357; Zur Erwerbung der Reliquien vor allem Kalkoff , Ablass (wie Anm. 33) S. 64, Flemming , Zur Geschichte (wie Anm. 42) passim, und ergänzend Bünger/ Wentz , Das Bistum Brandenburg 2 (wie Anm. 42) S. 105. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 205 <?page no="206"?> gen. 63 Doch nutzte Friedrich der Weise auch andere Kontakte, bis hin zu den Verhandlungen im Vorfeld der Kaiserwahl 1519, in deren Verlauf der französische Gesandte dem Kurfürsten versprach, Reliquien zu senden, die er noch nicht besaß, wofür sich Friedrich mit Schreiben vom 28. Mai 1519 bedankte und um Reliquien von Heiligen ex regno Franciae bat. 64 Bei der Beschaffung von Reliquien wird ihm ein päpstliches Privileg von Nutzen gewesen sein, das er auf dem Reichstag zu Konstanz 1507 erlangt haben soll. In der Vorrede zum Wittenberger Heiltumsbuch von 1509 heißt es dazu: Domit aber yre furstlich gnad / der keyns vnterkiessen / so zu zeytlichem vnd geystlichem aufnemen vnd erheben der berurten kirchen erschiessen moecht / so haben yr furstlich gnad / auff jungst gehabten Reychstag in Costentz von Bebstlicher hailigkeit brieff an alle Ertzbischoue Bischoue Ebte wndt Geystliche Prelaten / des hailigen Roemischen Reychs erlangt mit Begeren vnnd Bebstlichem geschefft auff yrer furstlichen gnad / oder derselben geschickten [=Gesandten] ersuchen von allen Reliquien vnd heiligthumbs an welchen Orten die befunden etwas dauon yren furstlichen gnaden mitzutailen vnd volgen zu lassen darauß sich auch teglich merung zuuerhoffen. 65 An der Existenz dieses päpstlichen Breves, das Abb. 6: Standbild des hl. Jakobus im Wittenberger Heiltumsbuch 1509, Bl. H iiv. 63 Dazu vor allem Flemming , Zur Geschichte (wie Anm. 42) passim, mit Abdruck der Dokumente; Vogt war 30 Jahre lang Beichtvater Friedrichs des Weisen, siehe Ludolphy , Friedrich der Weise (wie Anm. 42) S. 360 - 363. 64 Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Band 1: 1519, Januar bis Juli, bearb. von August Kluckhohn (Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe 1, 1893, ND Göttingen 1962) S. 665 ff., Nr. 278 und S. 667, Anm. 2. Da aus der Wahl dann aber der Habsburger Karl V. und nicht der französische König hervorging, dürfte es nicht mehr zur Übersendung französischer Reliquien gekommen sein. 65 Vorrede zum Wittemberger Heiligthumsbuch (wie Anm. 48) fol. A IIIr; Allgemein zum Konstanzer Reichstag Hermann Wiesflecker , Kaiser Maximilian I. Das Reich, Enno Bünz 206 <?page no="207"?> auch von dem Wittenberger Juristen Christoph Scheurl mehrfach erwähnt worden ist, kann kein Zweifel bestehen, doch ist es leider bis heute nicht gelungen, den Text dieses Dokuments aufzufinden. 66 Dass die Beschaffung der Reliquien ebenso wie ihre angemessene Präsentation in eigens dafür angefertigten Reliquiaren viel Geld gekostet haben wird, unterliegt keinem Zweifel. Georg Spalatin überliefert in seiner Biographie Kurfürst Friedrichs die Gesamtsumme von 200.000 Gulden, allerdings nicht nur für Kleinotern, Ornaten und Heilthum. 67 Umgerechnet auf die fast 40jährige Regierungszeit des Kurfürsten wären das 5.000 Gulden im Jahr. Sonderlich viel war das nicht, wenn man bedenkt, dass sich unter Kurfürst Friedrich dem Weisen die jährlichen Staatseinnahmen zwischen 1492 und 1509 auf durchschnittlich 62.447 Gulden beliefen, wobei der Anteil der Ämter mit durchschnittlich etwa 20.983 und des Bergbaus mit etwa 15.756 Gulden ins Gewicht fiel. 68 Exemplarisch soll hier kurz dargestellt werden, wie sich Friedrich der Weise um Reliquien bemühte. 69 Ein Schreiben des Hersfelder Geistlichen und Geschichtsschreibers Johannes Nuhn vom 7. August 1516 soll uns als Quelle dienen. Johannes Nuhn wendet sich persönlich an Kurfürst Friedrich von Sachsen, um diesem zu berichten, dass seine Bemühungen um Reliquien mittlerweile erfolgreich gewesen seien. Die umständliche und turbulente Erwerbungsgeschichte wird detailliert erzählt: Wie zu erfahren ist, hatte Friedrich der Weise zu einem nicht näher angegebenen Zeitpunkt (es kann frühestens im April 1514 gewesen sein) als seinen Beauftragten Otto Beckmann, Kanoniker des Allerheiligenstifts zu Wittenberg, mit einem Beglaubigungsschreiben an den - mittlerweile verstorbenen - Ludwig von Hanstein, Abt zu Helmarshausen, gesandt. Der Kurfürst habe den Abt vmb etliches heylgethum, also Reliquien gebeten, und dieser sei auch bereit Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit 3 (1977) S. 354 - 379. Die Reichstagsakten sind noch nicht ediert worden. 66 Vgl. Ludolphy , Friedrich der Weise (wie Anm. 42) S. 356, zu dem von Scheurl erwähnten licenciatorium auch Bünger/ Wentz , Das Bistum Brandenburg 2 (wie Anm. 42) S. 105. 67 Georg Spalatin ’ s historischer Nachlaß und Briefe, hg. von Christoph Gotthardt Neudecker / Ludwig Preller , Band 1: Das Leben und die Zeitgeschichte Friedrichs des Weisen (1851) S. 28. 68 Vgl. Uwe Schirmer , Kursächsische Staatsfinanzen (1456 - 1656). Strukturen - Verfassung - Funktionseliten (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 28, 2006) S. 288. 69 Das Folgende in Anlehnung an Enno Bünz , Zur Geschichte des Wittenberger Heiltums. Johannes Nuhn als Reliquienjäger in Helmarshausen und Hersfeld, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 52 (1998) S. 135 - 158. Zum Autor siehe nun auch: Johannes Nuhn von Hersfeld, Die „ Wallensteiner Chronik “ mit Auszügen aus Nuhns „ Chronologia “ , bearb. und hg. von Otfried Krafft (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 7, 3, 2013) S. 12 - 16. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 207 <?page no="208"?> gewesen, die Bitte zu erfüllen und den Unterzeichneten, also Johannes Nuhn, mit dem Heiligtum an den Kurfürsten abzufertigen. Als Ludwig von Hanstein aber zum Abt von Hersfeld gewählt worden sei, hätten die Mönche zu Helmarshausen einen anderen Klostervorsteher gewählt, Ludwig seiner Besitzungen beraubt und nicht wieder ins Kloster gelassen, weshalb er auch nicht mehr an die Reliquien habe kommen können. Schließlich habe Ludwig von Hanstein aber die Abtei mit swerer erbeyt wieder in Besitz nehmen können und den Unterzeichneten am vergangenen Peter und Pauls-Tag [29. Juni] mit nach Helmarshausen nehmen wollen, um den Kurfürsten mit wertvollen Reliquien zu versehen, doch sei der Abt erkrankt und schließlich verstorben. Johannes Nuhn versichert, diese unglückliche Entwicklung sei der einzige Grund dafür gewesen, dass er den Wunsch des Kurfürsten nach Reliquien nicht habe erfüllen können, obwohl der verstorbene Abt bereit gewesen sei, welche herauszugeben. Wie weiter ausgeführt wird, ist es Johannes Nuhn dann aber auf anderen Wegen gelungen, aus dem Kloster Hersfeld doch noch Heiltum zu besorgen. Er habe sich mit viel Mühe eine echte Partikel vom Schulterblatt des hl. Bischofs und Märtyrers Cyrill verschaffen können (eyn stugke werlich von eynem schallerblat des heyligen bischoffs vnd merterers sencte Cyrilli), das er dem Kurfürsten mit diesem Schreiben übersende. Doch damit nicht genug: Er fügte dem Brief die Legende in lateinischen und deutschen Versen bei, damit ersichtlich sei, um welche verehrungswürdigen Reliquien es sich handle (das u. gn. ermergke, waß loblihs heiligethums es sy). Die gereimte deutsche Übersetzung habe er nur mitgesandt, um beim Empfänger keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, wie die Reliquie nach Hersfeld gekommen sei, weil Cyrill Bischof von Alexandrien gewesen sei und in Ägypten das Martyrium erlitten habe. Da ihm das Lateinische nicht so liege wie das Deutsche, habe er sich die Mühe (der Übersetzung) gemacht. Johannes Nuhn versichert dem Kurfürsten abschließend, dass er bereit sei, ihm weitere Reliquien in Hersfeld oder anderswo zu besorgen und bittet den Empfänger um schriftliche Mitteilung etwaiger Wünsche. Wie aus den diversen Wittenberger Heiltumsverzeichnissen ab 1513 hervorgeht, besaß Friedrich der Weise bereits Reliquienpartikel des hl. Cyrill. Offenbar gab es neben Johannes Nuhn also noch andere Bezugsquellen. Die erwähnten Wittenberger Reliquienverzeichnisse enthalten recht genaue Angaben über die Aufbewahrung des Heiltums und ermöglichen es deshalb, die Reliquiare zu identifizieren. Zwar ist der Heiltumsschatz in der Reformationszeit nahezu restlos zugrunde gegangen und von den aus Edelmetall gefertigten Reliquiaren ist ebenfalls nichts erhalten geblieben, doch ist deren Aussehen durch eine Reihe von Zeichnungen, vor allem aber durch das berühmte Wittenberger Heiltumsbuch Lucas Cranachs von 1508/ 9 bekannt. Obwohl die Reliquien des hl. Cyrill bei Erscheinen des Heiltumsbuches noch nicht vorhanden waren, kann das Enno Bünz 208 <?page no="209"?> Reliquiar, in dem diese später verwahrt wurden, aufgrund des übrigen Heiltums, mit dem zusammen die Partikel Cyrills genannt werden, sicher identifiziert werden. Es handelte sich um ein silbernes Reliquiar in Gestalt eines Lesepults, das von vier puttoähnlichen Engeln getragen wurde (die Funktion geht schon daraus hervor, dass an der Unterkante gebogene Halterungen für ein aufgeschlagenes Buch und auf der Pultfläche die vier Evangelistensymbole zu erkennen sind). In Cranachs Heiltumsbuch wird es folgendermaßen beschrieben: Ein silberen pulpt mitt vier silbern Engel am fuß hat in sich von den Rittern Laurentino vnd Pergentino i par- (tikel). Vom gebein Kolen vnd aschen der heiligen Sisinny vnd Allexandri iiii partic(el). Von sant Albano ii partic(el). Ein merglich groß partickel von sant Albano. Von sant Quirino vi partic(el). Von sant Eustachio xii partic(el). Vom Arm sant Eustachij ein partickel. Vom haupt sant Eustachij ein partic(el). Von sant Bonifacio lxi partic(el). Vom arm sant Bonifacij i partic(el). Vom Haupt sant Bonifacii iii partickel. Vom Kinback sant Bonifacij i partickel. Von sant Sixto vi partickel. Vom Haupt sant Sixti i partic(el). Drey groß partic(el) von der geselschafft der heiligen Ypoliti vnd Romani. Von sant Romano zwei partickel. Von sant Ypolito ix partickel. Von dem heiligen Ciriaco viic partic (el). Vom haupt sant Ciriaco ein partickel. Summa cxxiii partickel. Auf eine Nachricht in Johannes Nuhns Schreiben ist noch zurückzukommen, wird doch erwähnt, dass mit den Reliquien auch eine Vita des hl. Cyrill mitsamt Übersetzung auf den Weg gebracht wurde. Bei der Heiltumsschau wurden die Reliquien keineswegs nur, wie man vermuten könnte, unter bloßer Nennung des zugehörigen Heiligennamens gezeigt, sondern mehrfach wurden zusätzliche Nachrichten über das Leben und die Verdienste des Heiligen ausgerufen, wie sie vereinzelt schon in Cranachs Heiltumsbuch von 1508/ 9 enthalten sind. Paul Kalkoff hat für diese Praxis aus dem Heiltumsverzeichnis von 1518 zahlreiche Beispiele angeführt, ohne freilich den historiographischen, hagiographischen oder liturgischen Vorlagen für die dort gebotenen Angaben nachzuspüren. 70 Das Schreiben Nuhns jedoch lässt vermuten, dass die Beschaffung der Reliquien mit der Lieferung der zugehörigen Heiligenlegenden Hand in Hand ging. Nach den Motiven Kurfürst Friedrichs des Weisen für den Aufbau der Sammlung ist wiederholt gefragt worden. Man mag auf den „ Sammlertrieb “ und „ politisches Prestigebedürfnis “ verweisen und womöglich sogar „ Pathologisches “ vermuten, doch muss man mit Bernd Moeller auch darauf hinweisen, dass „ das Wittenberger Geschehen nur der Größenordnung, 70 Kalkoff , Ablass (wie Anm. 33) S. 54 - 60; In Denkmale der Lutherstadt (wie Anm. 42) S. 260 wird nur recht allgemein darauf verwiesen, die Heiltumsverzeichnisse enthielten „ Bemerkungen aus den Legenden der Heiligen “ . ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 209 <?page no="210"?> keineswegs jedoch der Art nach aus der Zeit “ herausfällt, 71 und aus der religiösen Sicht der Zeitgenossen (bis zum Auftreten Luthers) die Verbindung der Reliquiensammlung mit unermesslichen Ablassvergünstigungen den eigentlichen Wert des Wittenberger Heiltums ausmachte, wobei auch eine Rolle gespielt haben mag, dass Friedrich der Weise mit dem Wittenberger Heiltum eine Gnadenstätte in seinem Territorium förderte, damit „ die Bevölkerung im eigenen Lande genügend Ablaß finden “ konnte. 72 Mit jeder Reliquie wuchs die Ablassvergünstigung, so dass dem andächtigen und reumütigen Verehrer, der nach Wittenberg kam, seine Sünden gebeichtet und die Absolution durch einen Priester erlangt hatte, fast 2 Mio. Jahre - und eine fast ebenso hohe Zahl von Quadragenen - von seinen zeitlichen Sündenstrafen erlassen wurden, insgesamt also über 2,2 Mio. Jahre. 73 Die Dimensionen des Halleschen Heiltums erreichte die Weisung der Wittenberger Reliquien also nicht. Fast gleichzeitig mit der Halleschen Heiltumsschau kam auch die in Wittenberg zum Erliegen. Friedrich der Weise hatte am 26. April 1522 zum letzten Mal genehmigt, das Heiltum auszustellen, allerdings ohne die bislang übliche Weisung, und berief sich dabei auf das Vorbild der Reichsstadt Nürnberg, die in diesem Jahr auch auf die Heiltumsschau verzichtet habe. Außerdem ordnete der Kurfürst an, die Heiltumsschau durch Wachsoldaten zu sichern, domit nit aufrurn entsteen, mit denen in den unruhigen Verhältnissen der Frühreformation gerade in Wittenberg zu rechnen war. Im folgenden Jahr wurden nochmals einzelne besonders wertvolle Reliquiare auf dem Hochaltar der Schlosskirche ausgestellt und die übrige Reliquiensammlung zumindest in der Heiltumskammer zugänglich gemacht. 74 Nach 1523 aber ist es nie wieder zu einer öffentlichen Ausstellung oder Weisung des Heiltums gekommen. Das Interesse des Kurfürsten an seiner Reliquiensammlung, ihrer Mehrung und dem damit verbundenen Erwerb der Ablassgnaden scheint zu diesem Zeitpunkt schon erlahmt gewesen zu sein, doch lässt sich nicht genau sagen, seit wann Friedrich der Weise auch keine 71 Moeller , Eine Reliquie (wie Anm. 42) S. 256. 72 Ludolphy , Friedrich der Weise (wie Anm. 42) S. 358. 73 Moeller , Eine Reliquie (wie Anm. 42) S. 256; Angenendt , Heilige und Reliquien (wie Anm. 3) S. 161 nennt 1.902.202 Jahre und 270 Tage sowie 1.915.983 Quadragenen, doch sind aufgrund des Privilegs Papst Julius' II. über die Marienverehrung noch sieben Jahre und sieben Quadragenen hinzuzuzählen, worauf schon Kalkoff , Ablass (wie Anm. 33) S. 66 hingewiesen hat. 74 Martin Luther 1483 - 1546. Dokumente seines Lebens und Wirkens. Auswahl, Textedition und Darstellung, hg. von Gottfried Börnert/ Rudolf Engelhardt / Reiner Groß / Manfred Kobuch / Ernst Müller (1983) S. 115 Nr 73.1/ 2 und S. 345 f. Vgl. dazu Kalkoff , Ablass (wie Anm. 33) S. 84 - 93, vor allem aber Kirn , Friedrich der Weise (wie Anm. 42) S. 168 - 173. Enno Bünz 210 <?page no="211"?> Reliquienkäufe mehr getätigt hat. 75 1519 war, wie erwähnt, sein Interesse an weiteren Heiligenreliquien noch ungebrochen. 76 Das Ende des Wittenberger Heiltumsschatzes war bis vor wenigen Jahrzehnten in undurchdringliches Dunkel gehüllt. Der 2003 als internationale Koproduktion gedrehte Luther-Film verdeutlicht die Hinwendung des Kurfürsten zur Reformation, indem Friedrich der Weise - dargestellt von Peter Ustinov - dem Reformator in der leergeräumten Heiltumskammer begegnet. 77 Aber das ist - wie so vieles in diesem Film - freie Erfindung. Zu Lebzeiten Friedrichs des Weisen ist der Heiltumsschatz gar nicht angetastet worden. Noch bis vor wenigen Jahren bestand in der Forschung „ kein Zweifel “ daran, dass die Kleinode erst nach 1540 zur Finanzierung des Schmalkaldischen Krieges „ in die kurfürstliche Münze wanderten “ , 78 aber das tatsächliche Ende der kostbaren Reliquiensammlung ist noch weitaus banaler gewesen: Erst 1988 ist dem ehemaligen Weimarer Archivar Ernst Müller (1923 - 1992) der überraschende Nachweis gelungen, dass das Wittenberger Heiltum tatsächlich schon kurz nach dem Tode Friedrichs des Weisen durch seinen Bruder und Nachfolger Johann den Beständigen (1525 - 1532) klammheimlich vernichtet worden ist. 79 1526 hatte man die Wittenberger Sammlung um die Kleinodien des aufgehobenen Weimarer Franziskanerklosters vermehrt und anschließend in die kurfürstliche Residenz nach Torgau gebracht, um sie dort von einem Goldschmied zerlegen zu lassen. Das Gold und Silber wurden 1526 bis 1528 verkauft, wobei alle Beteiligten „ zur strengsten Geheimhaltung dieser Aktion “ angehalten waren. 80 Die drückende Schuldenlast hatte Kurfürst Johann, 75 Vgl. Kalkoff , Ablass (wie Anm. 33) S. 66 - 84, der allerdings ohne Nachweise behauptet, Friedrich der Weise und Luther hätten sich bereits 1519/ 20 in der Ablassfrage verständigt, und dessen Darstellung insgesamt den Zweck verfolgt, Friedrichs Desinteresse an Reliquien und Hinwendung zur Reformation möglichst weit zurückzudatieren. Siehe auch den Hinweis von Paul Kalkoff , Kleine Nachträge zu „ Luthers römischem Prozeß “ , in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 44 (1926) S. 213 - 225, Spalatin habe den Abt des Klosters St. Ulrich und Afra in Augsburg im Herbst 1518 um einige Reliquienpartikel gebeten, doch sei „ von einem ausdrücklichen Auftrage des Kurfürsten [. . .] in dem Schreiben nicht die Rede “ , weshalb der Verfasser dahinter den „ Diensteifer Spalatins “ vermutet (S. 219); vgl. dagegen die überzeugenden Einwände von Kirn , Friedrich der Weise (wie Anm. 42) S. 171 f. 76 Siehe oben bei Anm. 64. 77 Vgl. Carola Fey, Luther zwischen Präformation und ‚ Re-Formation ‘ , in: Film und kulturelle Erinnerung. Plurimediale Konstellationen, hg. von Astrid Erll / Stephanie Wodianka (2008) S. 53 - 75. 78 So F. Bellmann in: Denkmale der Lutherstadt (wie Anm. 42) S. 260. 79 Ernst Müller , Die Entlassung des ernestinischen Kämmerers Johann Rietesel im Jahre 1532 und die Auflösung des Wittenberger Heiligtums. Ein Beitrag zur Biographie des Kurfürsten Johann des Beständigen, Archiv für Reformationsgeschichte 80 (1989) S. 213 - 239. 80 Müller , Die Entlassung (wie Anm. 79) S. 230. ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 211 <?page no="212"?> der sich offen zum Luthertum bekannte, dazu getrieben, wobei er allerdings „ zur Entlastung aller an der Auflösung des Heiligtums Beteiligten “ noch 1532 ein Bekenntnis niederschreiben ließ. Dabei ging man mit der Geheimhaltung sogar so weit, dass die Akten, die an die Vernichtung des Wittenberger Heiltums erinnerten, bewusst an „ unverdächtigen Stellen in der Registratur abgelegt wurden “ . 81 Was die Vernichtung des Wittenberger Heiltumsschatzes finanziell einbrachte, lässt sich nur ungefähr ermessen. Zwischen 1527 und 1531 gingen durch den Verkauf der Kirchenschätze insgesamt 75.355 Gulden ein, und „ ein großer Teil des Geldes wird aus dem Wittenberger Heiltum gestammt haben “ . 82 Als einziges bedeutendes Überbleibsel des Wittenberger Heiltums hat sich der sogenannte Elisabethbecher erhalten (Abb. 7), der allerdings nicht deshalb noch existiert, weil der kostbare orientalische Glasbecher der hl. Elisabeth gehört hatte, sondern weil er später in den Besitz Martin Luthers überging. Man muss es wohl als eine besondere Ironie der Geschichte ansehen, dass der einzige nennenswerte Überrest aus dem Wittenberger Heiltum ausgerechnet als eine Reliquie des Wittenberger Reformators Luthers erhalten geblieben ist. 83 Abb. 7: Der sog. Elisabethbecher im Wittenberger Heiltumsbuch von 1509, Bl. 3 v. 81 Ebd., S. 230 f. 82 Schirmer , Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 68) S. 375 f. Nach einer Aussage Johann Riedesels 1532 soll allein das eingeschmolzene Silber des Wittenberger Heiltums und der Kleinodien des dortigen Franziskanerklosters 24.739 Gulden eingebracht haben (ebd. S. 376). 83 Zum Elisabethbecher ausführlich Moeller , Eine Reliquie (wie Anm. 42) passim; Erhalten blieb außerdem ein Stück blauen Samts von einem Mantel Mariens, worauf Bünger/ Wentz , Das Bistum Brandenburg 2 (wie Anm. 42) S. 106 hinweisen, denen aber der Elisabethbecher entgangen ist. Enno Bünz 212 <?page no="213"?> Reliquiensammlungen sind, wie bereits angedeutet wurde, kein Novum des ausgehenden Mittelalters gewesen. Die Heiligen waren in der Frömmigkeitswelt des christlichen Mittelalters allgegenwärtig. Die Heiligenverehrung und damit verbundenen Massenwallfahrten und das Streben nach Ablass sind ein Spiegelbild der in mancher Hinsicht übersteigerten, von Heilssehnsucht und Heilunsicherheit, zugleich auch von wachsender Quantifizierung geprägten Frömmigkeit vor der Reformation. 84 Wir sollten allerdings nicht den Fehler machen, die großen Reliquiensammlungen, wie sie hier anhand zweier besonders imposanter Beispiele vorgeführt wurden, als eigentlichen Maßstab des Frömmigkeitslebens dieser Umbruchszeit zu betrachten. Für die Masse der einfachen Christen dürften diese riesigen Heiltumsschätze mit ihren unermesslichen Ablassvergünstigungen ein ebenso seltenes Ziel gewesen sein, wie die Fernwallfahrten nach Rom, Santiago oder Jerusalem. Das alltägliche Frömmigkeitsleben vollzog sich in den überschaubaren Lebenswelten der Städte und Dörfer mit ihren Pfarrkirchen und Kapellen, die vielfach auch Ablassvergünstigungen zu bieten hatten, allerdings im überschaubaren Umfang von 40 oder 100 Tagen, nicht aber für Jahrmillionen. 85 Resumen: „ Una ilustración de plata del gran santo Jacobo “ - Coleccionistas principescos de reliquias en la baja Edad Media, especialmente en Alemania Central En el centro de este artículo están los dos tesoros de santuarios más importantes de la Baja Media Edad de Halle (Sajonia-Anhalt) y de Wittenberg, que reflejan la ansiedad de salvación de la devoción exagerada medieval de algunos príncipes seculares y clericales. Se presenta la historia de las dos colecciones hasta el tiempo después la Reforma y sus dimensiones. Se las inquiere en cuanto a su función y los criterios de los coleccionistas. En la Baja Media Edad se aumentó el interés de los príncipes seculares por reliquias y se intensificó su actividad de coleccionar. Generalmente las circunstancias de la adquisición solo están documentadas en contexto clerical. El arzobispo Ernesto de Magdeburgo fundó el santuario de Halle y bajo su sucesor, cardenal Alberto de Brandeburgo, se multiplicó permanentemente. Se deduce los fondos son deducido del libro de „ Heiltum “ 84 Bernd Moeller , Frömmigkeit in Deutschland um 1500, in: Archiv für Reformationsgeschichte 56 (1965) S. 5 - 30; wiederabgedruckt in: Ders. , Die Reformation und das Mittelalter (wie Anm. 41) S. 73 - 85; Arnold Angenendt / Thomas Braucks / Rolf Busch / Thomas Lentes / Hubertus Lutterbach , Gezählte Frömmigkeit, Frühmittelalterliche Studien 29 (1995) S. 1 - 71. 85 Enno B ünz / Hartmut Kühne , Der Ablass in der alltäglichen Frömmigkeit des Spätmittelalters, in: Frömmigkeit in Schrift und Bild. Illuminierte Sammelindulgenzen im mittelalterlichen Mühlhausen. Redaktion Martin Sünder/ Helge Wittmann (Ausstellungen des Stadtarchivs Mühlhausen 3 = Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung 29), Petersberg 2014, S. 8 - 14; Siehe dazu auch die Beiträge in: Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland, Katalog (wie Anm. 5) und wissenschaftlicher Begleitband (wie Anm. 42). ‚ ein silbern bilde des grossen sant Jacobs ‘ 213 <?page no="214"?> de Halle, que expone cerca de 350 reliquias. Alberto de Brandeburgo coleccionó determinado y usó su cargo episcopal para adquirir reliquias. Las indulgencias, que estaban unidas a la colección de las reliquias, se sumaron a una remisión de pecados de 40 millones años. Cuando las exposiciones de „ Heiltum “ terminaron despues de 1521 bajo el estrés de la Reforma, se liquidó la colección. Solamente poco queda conservada. La colección de Wittenburgo ya procede del siglo XIV. El crecimiento mayor la recibió entre los años 1507 y 1520 bajo el príncipe elector Federico el Sabio de Sajonia. Entonces se conserva también el libro de „ Heiltum “ . Tiene su origen en la orden pública de „ Heiltum “ , que tuvo lugar en la colegiata una vez al año. Frederico usó sus contactos personales y políticos por la ampliación de la colección y se desveló por el incremento de indulgencias. El „ Heiltum “ de Wittenburgo recogió cerca de 2 millones de años de remisión de pecados. Después del año 1523 ya no se mostraba los santuarios y el número de las adquisiciones disminuyó. Poco después del muerto de Frederico su sucedor liquidó la colección y vendió los ejemplares. Enno Bünz 214 <?page no="215"?> Die Verkaufung der Götzen? Reliquientranslationen nach der Reformation Für Siegfried Bräuer zum 85. Geburtstag Hartmut Kühne Die publizistische Abrechnung mit der kirchlichen Tradition und die symbolische Zerstörung von Objekten in der Aufbruchsphase der reformatorischen Bewegung prägen das Bild protestantischer Frömmigkeit bis heute. Diese Abbrüche spätmittelalterlicher Riten und die Distanz zu ‚ katholischen ‘ Objekten scheinen die Wahrnehmung der reformatorischen Identität jedenfalls stärker zu bestimmen, als jene kontinuierlichen Strukturen und Elemente, die besonders im Bereich der lutherischen Reformation in den letzten Jahren von der Forschung verstärkt thematisiert wurden. 1 Dies ist ein grundlegendes Problem, denn wer den Blick auf die Polemiken der frühen Reformation richtet, wird zu ganz anderen Einschätzungen der protestantischen Frömmigkeit kommen als derjenige, der die Entwicklungen vom ausgehenden 15. bis in das 17. Jahrhundert verfolgt und neben Abbrüchen und den nicht zu leugnenden Wandlungen auch beharrende Strukturen und Ausdrucksformen wahrnimmt. Dieses Changieren zwischen Zerstörung und Bewahrung lässt sich auch am Reliquienbesitz besonders im Bereich der lutherischen Reformation ablesen. Obgleich es nicht an scharfen polemischen Äußerungen Luthers und anderer Wittenberger Theologen fehlt, die das beinen oder hueltzene Heilthumb, welchs vom Teuffel erdacht und erfunden ist 2 verwerfen, ist mit solchen Invektiven über den tatsächlichen Umgang mit den Reliquien noch wenig gesagt. Einen Aspekt dieser Normalität jenseits der plakativen Abgrenzungen spiegelt eine wunderbarliche Geschichte wieder, die der evangelische Pfarrer und 1 Vgl. u. a. Ernst Walter Zeeden , Katholische Überlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (1959) Neudruck in: Ders., Konfessionsbildung, Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (1985) S. 113 - 191; Johann Michael Fritz , Die bewahrende Kraft des Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen (1997). 2 Martin Luthers Werke. Weimarer Ausgabe (künftig zit. WA) Bd. 51: Predigten 1545/ 46 S. 138. <?page no="216"?> Landeschronist Johannes Letzner am Ausgang des 16. Jahrhunderts erzählte. 3 Sie spielt in dem niedersächsischen Dorf Hamelspringe bei Bad Münder. Hier befindet sich bis heute eine Kapelle, Zeuge einer im frühen 14. Jahrhundert beabsichtigten, aber nicht ausgeführten Klostergründung, die schließlich als Oratorium für eine Grangie des Klosters Loccum diente. 4 Der im Jahre 1318 dem Patronat der 11000 Jungfrauen geweihte Hauptaltar verweist auf den Kult der legendären Kölner Märtyrerinnen, an deren Gedenktag (21. Oktober) auch die Kirchweihe der Kapelle gefeiert wurde. Die in Hamelspringe verwahrten Reliquien der heiligen Jungfrauen sollen im Spätmittelalter nach Johannes Letzner zu grosse[m] Zulauff und Walfahrt bei der Kapelle geführt haben. 5 Ein Doktor, der an einem benachbarten Fürstenhof lebte, wurde 1580 auf diese Reliquien aufmerksam, denn er war ein Liebhaber und Beförderer der Päpstl. Religion/ dessen Weib aber war der Lutherischen Religion zugethan. Dieser Mann wurde durch einen Glaubensgenossen gebeten, ihm den Schädel einer der heiligen Jungfrauen aus Hamelspringe zu verschaffen. Daraufhin brachte eine Frau ihm aus der Kapelle eines der Häupter in einer Kiste. Als die hochschwangere Frau des Doktors die Kiste in Abwesenheit ihres Mannes fand und deren Inhalt erforschte, erschrak sie bei dem Anblick des Schädelknochens so heftig, dass die Wehen einsetzten und sie ein totes Kind zur Welt brachte. Der Mann aber zermarterte sich wegen dieses Unglücks sein Gewissen. Ein Jahr später seien die Reliquien aus der Kapelle an einen Ort verpartiret und verhantiret worden, wobei auch ein fürnehmer Herr auch etzliche daher bekommen habe. 6 In dieser Erzählung wird die heikle Situation deutlich, in der man sich im Bereich der lutherischen Reformation befand, wenn es um den Umgang mit Reliquien ging. Zum einen wird exemplarisch sichtbar, dass die Reformation keineswegs überall mit dem Besitz von Reliquien Schluss gemacht hatte. Zum zweiten signalisiert die Erzählung, dass von katholischer Seite Interesse am Besitz dieser heiligen Objekte bestand, ihre Weitergabe aber aus der Sicht der lutherischen Konfession mit besonderen Gefahren verbunden war, was exemplarisch in der Fehlgeburt und den Gewissensängsten zum Ausdruck kommen. Wie gut der Bericht Letzners historisch belegt ist, mag dahingestellt sein. Den Sachverhalt, den er zur Sprache bringt, hat der Chronist aber sicher nicht frei erfunden. Denn die Erwerbung von Reliquien aus den der Reformation zugefallenen Gebieten oder zumindest Versuche dazu waren im späten 16. und im 17. Jahrhundert wahrscheinlich 3 Johann Letzner , Hinterlassene geschriebene Nachricht von dem berühmten Freyen Reichs-Stiffte Luckem, in: Johann Georg Leuckfeld , Antiquitates Michaelsteinenses & Amelungsbornenses [. . .] (1710) S. 94 f. 4 Vgl. Nicolaus Heutger , Die Loccumer Grangie Hamelspringe, Zisterzienser-Chronik 102 (1995) S. 39 - 42. 5 Letzner (wie Anm. 3) S. 93. 6 Ebd. S. 95. Hartmut Kühne 216 <?page no="217"?> viel verbreiteter, als es bisher wahrgenommen wurde. Wie allgemein dieses Phänomen tatsächlich war, lässt sich schwer abschätzen, weil Untersuchungen dazu bisher fehlen. Dieser Beitrag stellt einige einschlägige Beispiele vor, auf die der Verfasser bei verschiedenen Recherchen in den letzten Jahren überwiegend im mitteldeutschen Bereich gestoßen ist. Diese Funde ergeben kein vollständiges Bild, sondern sie sollen dazu anregen, weiteres Material zu sammeln, um so eine Grundlage für ein Gesamtbild zu schaffen. Im Folgenden wird zunächst versucht, auszuloten, was über die Zerstörung und Bewahrung von Reliquien im Bereich der lutherischen Reformation auszumachen ist. In einem zweiten Teil werden einige ‚ Translationen ‘ vorgestellt, bei denen Reliquien aus lutherischen Gebieten überführt wurden. 1. Zerstörung und Bewahrung von Reliquien durch die Reformation in Mitteldeutschland Was aus den vielfältigen Formen von Reliquienbesitz in den von der Reformation erfassten Gebieten geworden ist, lässt sich nur schwer beantworten, denn bisher ist dies nur exemplarisch untersucht worden. Zwar trifft die Feststellung von Arnold Angenendt, „ Luther, der [. . .] die Heiligenfürbitte ablehnte, akzeptierte wohl noch Bilder, aber keine Reliquien “ 7 eine bestimmte Dimension der reformatorischen Kirchlichkeit. Im Hinblick auf die alltägliche Praxis beschäftigten Luther und seine Wittenberger Kollegen die Bilder aber viel stärker, als es die Existenz von Reliquien tat. 8 Grundsätzlich scheint die oberdeutsche Reformation die Vernichtung des Reliquienbesitzes wesentlich einschneidender vollzogen zu haben, als dies in den von der Wittenberg Reformation geprägten Gebieten der Fall war. Zu ähnlich radikalen Akten der ‚ Reinigung ‘ vom Reliquienkult, wie sie z. B. Zürich im Jahre 1524 9 oder Konstanz im Jahre 1530 10 erlebte, ist es damals in Mittel- und Norddeutschland nicht gekommen. Von Wittenberg 7 Arnold Angenendt , Art. Reliquien, Reliquienverehrung II, in: Theologische Realenzyklopädie 29 (1998) S. 69 - 74, hier S. 72. 8 Hartmut Kühne , „ die do lauffen hyn und her, zum heiligen Creutz zu Dorgaw und tzu Dresen . . . “ . Luthers Kritik an Heiligenkult und Wallfahrten im historischen Kontext Mitteldeutschlands, in: „ Ich armer sundiger mensch “ . Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hg. von Andreas Tacke (2006) S. 499 - 522, bes. S. 516 - 522. 9 Vgl. Peter Jezler , Die Desakralisierung der Zürcher Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius in der Reformation, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hg. von Peter Dinzelbacher / Dieter R. Bauer (1990) S. 296 - 319. 10 Vgl. Melanie Prange , Thesaurus Ecclesiae Constantiensis. Der mittelalterliche Domschatz von Konstanz. Rekonstruktion eines verlorenen Schatzensembles (2012) bes. S. 93 - 113. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 217 <?page no="218"?> aus gerieten zwar das Hallenser Reliquienfest 11 am Neuen Stift des Kardinals Albrecht und die Erhebung der Gebeine des Meißner Bischofs Benno im Mai 1524 12 unter starken publizistischen Beschuss. Für die dort verehrten Reliquien hatte dies aber keine unmittelbaren Folgen. Eine öffentliche Stellungnahme gegen das von seinem Landesherren Friedrich dem Weisen etablierte Reliquienfest des Wittenberger Allerheiligenstift findet sich bei Luther erst 1522, 13 als die Heiltumsschau auch am kursächsischen Hof ihren Rückhalt zu verlieren begann. 14 Das Schicksal des Wittenberger Reliquienschatzes 15 ist symptomatisch für die reformatorische Praxis in Mitteldeutschland: Die Reliquiare wurden seit 1526 äußerst diskret zugunsten der kurfürstlichen Kasse verwertet, indem sie fachmännisch zerlegt und die so gewonnenen Edelmetalle verkauft wurden. Über diesen Vorgang, der auch von den beteiligten Personen bis hin zur nur schwer nachvollziehbaren Aktenablage bewusst verschleiert wurde, erfuhr die Öffentlichkeit nichts. Selbst in der historischen Forschung blieb dies unbekannt, bis der Weimarer Archivar Ernst Müller den Vorgang aus zerstreuten Akten des Ernestinischen Gesamtarchivs rekonstruierte. 16 Über den Verbleib der aus den Gefäßen entfernten Reliquien geht aus den Akten nichts hervor. 17 Wahrscheinlich noch vor dem Beginn der fiskalischen ‚ Verwertung ‘ des Wittenberger Heiltums scheint Kardinal Albrecht zumindest eines der Reliquiare für seine Hallenser Sammlung erworben zu haben. 18 In ähnlicher Weise wie das Wittenberger Heiltum wurden Reliquiare zusammen mit weiteren nun ‚ überflüssigen ‘ Kirchenkleinodien der Pfarr- 11 Zu Kritik am Hallenser Reliquienfest vgl. Gottfried Krodel , „ Wider den Abgott zu Halle “ Luthers Auseinandersetzung mit Albrecht von Mainz im Herbst 1521. Ein Beitrag zur Lutherbiographie aus der Werkstatt der amerikanischen Lutherausgabe, in: Lutherjahrbuch 33 (1966) S. 9 - 87. In Vorbereitung ist eine neue Untersuchung von Ulrich Bubenheimer, Reliquienfest und Ablass in Halle. Albrecht von Brandenburgs Werbemedien und die Gegenschriften Karlstadts und Luthers, in: Buchdruck und Buchkultur in Wittenberg, hg. von Stefan Oehmig (2015). 12 Vgl. Christoph Volkmar , Die Heiligenerhebung Bennos von Meißen (1523/ 24). Spätmittelalterliche Frömmigkeit, landesherrliche Kirchenpolitik und reformatorische Kritik im albertinischen Sachsen in der frühen Reformationszeit (2002) S. 157 - 180. 13 WA 8, S. 561. 14 Vgl. Paul Kirn , Friedrich der Weise und die Kirche: seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517 (1926) bes. S. 71 f. 15 Vgl. dazu den Beitrag von Enno Bünz in diesem Band. 16 Ernst Müller , Die Entlassung des ernestinischen Kämmerers Johann Rietesel im Jahre 1532 und die Auflösung des Wittenberger Heiligtums. Ein Beitrag zur Biographie des Kurfürsten Johann des Beständigen, in: Archiv für Reformationsgeschichte 80 (1989) S. 213 - 239. 17 Ebd. S. 229. 18 Vgl. Hartmut Kühne , Ostensio Reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum (2000) S. 422, Anm. 111. Hartmut Kühne 218 <?page no="219"?> kirchen und besonders der Klöster relativ flächendeckend von städtischen Magistraten 19 oder bei der Sequestration des Klostergutes durch die Landesherrschaft 20 verwertet. Exemplarisch sei dafür auf das Beispiel der Stadt Zwickau verwiesen, wo der Rat am 19. Dezember 1539 beschloss, die Kleinodien der Kirchen zugunsten des „ Gemeinen Kastens “ zu Geld zu machen. 21 Am folgenden Tag wurde der Beschluss von zwei Goldschmieden unter Aufsicht einer vom Rat bestellten Kommission umgesetzt. Der Zwickauer Chronist Peter Schumann beschrieb den Vorgang als Zeitgenosse: Am 20. Dezember 1539 hat ein E. E. Rat allhie alle Heiligtum oder silbern Bilder in der Sakristei zu u.[nser] I.[ieben] F.[rauen] Pfarrkirche alle bis auf das goldene Kreuz, so aus dem heiligen Lande kommen ist, zerschlagen lassen daß sämtlich vergoldet und unvergoldet gewogen 278 Mark, die Mark zu acht Gulden gerechnet, macht 2224 Gulden. Fabian Busch, der Schlosser, soll dies Silberwerk zerschlagen haben mit den Worten: „ Soll ich schlagen, so wolt ’ s Gott, habe ich aber Sünde, so vergeb mir ’ s Gott! “ [. . .] Bei solchem Kirchenraub und Zerschlagen sind gewesen Magister Leonardus Beier, der Pastor allhie, Er Hans Stüblinger Plattner, Dr. Leonardus Natterus, Caspar Breuer, Goldschmied, Franz Schultes bachvbell und Paul Greff, der Kirchner. Wo aber dieses Geld hinkommen, wissen die am besten, so es bekommen. 22 In dieser Beschreibung werden die Bedenken deutlich, die eine solche Aktion auch in einer reformatorisch geprägten Stadt hervorrufen konnte. Allerdings dürfte hier das Problem der Enteignung von Kirchengut 23 stärker zu Buche schlagen, als der Umgang mit den Reliquien, über deren Verbleib auch in diesem Falle nichts verlautet. 24 Eine seltene Ausnahme im Schweigen der Quellen über das Schicksal der Reliquien 19 Exemplarisch z. B. in Magdeburg 1525: vgl. Gustav Hertel , Actenstücke und Urkunden zur Geschichte des Klosters U. L. Fr. zu Magdeburg im 16. Jahrhundert, Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 18 (1878) S. 256 - 286, bes. S. 276 f. 20 Vgl. den Überblick bei Uwe Schirmer, Reformation und Staatsfinanzen: Vergleichende Anmerkungen zu Sequestration und Säkularisation im ernestinischen und albertinischen Sachsen (1523 - 1544), in: Christlicher Glaube und weltliche Herrschaft: Zum Gedenken an Günther Wartenberg, hg. von Michael Beyer u. a. (2008) S. 179 - 192, bes. S. 183 f. mit Anm. 23; S. 187 mit Anm. 39; S. 191 mit Anm. 66. 21 Die Notiz aus den Ratsprotokollen findet sich bei Otto Clemen , Die Reliquien der Zwickauer Kirchen, in: Alt Zwickau (1927) S. 13 - 16, hier S. 16. 22 Zit. ebd. S. 16. 23 Vgl. z. B. das Gutachten zur Enteignung der Klöster im Erzstift Magdeburg von 1570 bei Franz Schrader , Die landesherrlichen Visitationen und die katholischen Restbestände im Erzbistum Magdeburg 1561 - 1651, in: Reformation und katholische Klöster. Beiträge zur Reformation und zur Geschichte der klösterlichen Restbestände in den ehemaligen Bistümern Magdeburg und Halberstadt, hg. von Dems. (1973) S. 85 - 108, hier S. 90. 24 Ein Inventar des Reliquienbesitzes der Zwickauer Kirchen fehlt. Allerdings bieten die Visitationsakten von 1529 Einblicke in den damals noch vorhandenen Reliquienbesitz, z. B. der Katharinenkirchen: Drey kleine Monstrantzlein, dorInne etliche ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 219 <?page no="220"?> bildet ein Brief, den Bürgermeister und Rat von Stettin am 17. März 1541 an Martin Luther richteten, um sich die Verwendung der eingezogenen Kirchenkleinodien zum Nutzen der Stadt sanktionieren zu lassen. 25 Auch in Stettin seien, so wird hier ausgeführt, die klenodia, bilder vnd gefesse des heiligthumbs [. . .] zu vormeidung schads vnd vnheils vom Stadtrat in Verwahrung genommen worden, wie dies vil potentaten, obrigkeiten vnd stende getan hätten. Die Reliquien wurden nach genugsam der predicanten vntherricht, so auch die reliquien als vnnutz geacht, heraus genhommen, ins feur geworffen vnd vorbrant. 26 Die Verbrennung von Reliquien ist m. W. sonst nur noch in zwei Fällen belegt. Dabei ging es darum, zwei besonders populäre „ Heilig-Blut “ -Kulte endgültig zu zerstören: Der lutherische Prediger Ellefeldt verbrannte am 28. Mai 1552 die drei als „ Heiliges Blut “ verehrten Hostien in der Wallfahrtskirche von Wilsnack. Durch seine anschließende Gefangensetzung und den deshalb eröffneten Prozess ist dieser Vorgang gut dokumentiert. 27 Im selben Jahr wurde auch das in einer Kapelle des Schweriner Domes verehrte „ Heilige Blut “ ausgebrannt. 28 Ob beide Vorgänge zusammenhängen und in ihnen auch ein Widerhall des Fürstenaufstandes zu sehen ist, der im Mai 1552 Karl V . aus Innsbruck vertrieb und das Ende der religionspolitischen Dominanz des Kaisers einleitete, wäre noch zu untersuchen. Im Gegensatz zu dem eher lautlosen Verschwinden ehemaliger Heiligenkulte in den lutherischen Gebieten häuften sich 1539/ 40 in Mitteldeutschland Maßnahmen lutherischer Landesherren gegen Reste ehemaliger Wallfahrtskulte. 29 In diesem Zusammenhang sind auch Nachrichten über die Zerstörung bzw. Wegschaffung von Reliquien überliefert. Möglicherweise wirkte als Impuls auch die im Sommer 1538 in England von Heinrich VIII. angeordnete Zerstörung aller Kultbilder und „ shrines “ . Heiligthumb, vgl. Günter Zorn , Akten der Kirchen- und Schulvisitation in Zwickau und Umgebung 1529 bis 1556 (2008) S. 27. 25 WA Br. 12, S. 397 f. Nr. 4279 a. 26 Ebd. S. 398. 27 43 mit dem Prozess verbundene Aktenstücke überliefert Mathäus Ludecus , HIS- TORIA Von der erfindung/ Wunderwercken vnd zerstörung des vermeinten heiligen Bluts zur Wilssnagk [. . .] (1586). 28 Vgl. Georg Christian Friedrich Lisch , Geschichte der Heiligen-Bluts-Kapelle im Dome zu Schwerin, Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde 13 (1848) S. 143 - 187, dort S. 172; Zum Schweriner Kult vgl. Hartmut Kühne , Zur Konjunktur von Heilig-Blut-Wallfahrten im spätmittelalterlichen Mecklenburg, Jahrbuch für Mecklenburgische Kirchengeschichte. Mecklenburgia Sacra 12 (2009) S. 76 - 115, bes. S. 86 - 92 und S. 97 f. 29 Vgl. Hartmut Kühne , Zwischen Bankrott und Zerstörung - vom Ende der Wallfahrten in protestantischen Territorien, in: Wallfahrt und Reformation - Pout ’ a reformace. Zur Veränderung religiöser Praxis in Deutschland und Böhmen in den Umbrüchen der Frühen Neuzeit. hg. von Jan Hrdina / Hartmut Kühne / Thomas T. Müller (2006) S. 201 - 220, bes. S. 216 - 219. Hartmut Kühne 220 <?page no="221"?> Eine Gesandtschaft des Schmalkaldischen Bundes war Augenzeuge dieser Vorgänge geworden. 30 Der Gothaer Superintendent Myconius schrieb als Teilnehmer dieser Delegation: Heinrich VIII. zerbrach die silbern und gülden Särg, das reichst Kleinod in der Welt, S. Thomas Cantuariensis Grab, item Maria de Bara Thalassa [d. h. das Marienbild aus Walsingham]. 31 Der erste der hier anzusprechenden Vorgänge ereignete sich am 18. Mai 1539, als der hessische Landgraf Philipp den Schrein der hl. Elisabeth in der Marburger Kirche des Deutschen Ordens aufbrechen und so wie das ebenfalls dort befindliche Kopfreliquiar leeren ließ; die Reliquien der hl. Elisabeth wurden anschließend auf das Marburger Schloss gebracht. 32 Der Landgraf beauftragte seinen Marburger Statthalter Georg von Kolmatsch anschließend damit, die Reliquien anonym beizusetzen. 33 Philipp scheint davon ausgegangen zu sein, dass sein Befehl ausgeführt wurde. Als er im Juli 1545 von zwei kaiserlichen Kommissaren aufgefordert wurde, dem Deutschen Orden die Reliquien herauszugeben, verwies er darauf, dass dies unmöglich sei, denn man hätte selbiges auff S. Michelß kirchhoff, bey dem teutschen haus zu Marburg gelegen, aber nit zu sammen, sondern ein bein hierher, das andere dorther zu andern beinen vergraben lassen 34 . Als nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg die Angelegenheit bei den Verhandlungen um die Freilassung des in kaiserlicher Haft gehaltenen Landgrafen erneut zu Sprache kam, teilte Kolmatsch den Räten Philipps im Juni 1548 mit, er habe den Befehl solch gebeints zum andern gebeints aufs beinhaus zu werfen nicht ausgeführt. 35 Wahrscheinlich hatte er die Reliquien, statt sie verstreut zu begraben, auf seine Wasserburg in Wommen bringen lassen. Am 12. Juli 1548 übergab Georg von Kolmatsch dem hessischen Landkomtur Johann von Rehden die Reliquien, nämlich ein haupt mit einem kinbagken, item funf rorlein klein und gross, item ein riebe, item zwei schulterbein und sonst ein breit bein. 36 Zwei Monate nach der Entnahme der Elisabeth-Reliquien in Marburg wurde das Hochgrab des erst 1523 kanonisierten Bischofs Benno im 30 Vgl. ebd. S. 219. 31 Friedrich Myconius , Geschichte der Reformation, hg. von Otto Clemen (1915), wieder abgedruckt in: Otto Clemen, Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897 - 1944), hg. von Ernst Koch , Bd. 7 (1985) S. 51. 32 Die drei parallelen Berichte über die Öffnung des Schreins sind gedruckt von Günther Franz, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, Bd. 2: 1525 - 1547 (1954) Nr. 388 A - C, S. 307 - 312. 33 Vgl. auch zum Folgenden Thomas Franke , Zur Geschichte der Elisabethreliquien im Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: Sankt Elisabeth. Fürstin - Dienerin - Heilige, hg. von der Philipps-Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde (1982) S. 167 - 179, bes. S. 169 - 172. 34 Zit. ebd. S. 170. 35 Zit. ebd. S. 171. 36 Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 3, Nr. 1783, Bl. 1, vgl. ebd. S. 172. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 221 <?page no="222"?> Meißner Dom zerstört und die Reliquien aus dem Grab genommen. Diese Maßnahme erfolgte im Zusammenhang der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen nach dem Tod Herzog Georgs des Bärtigen im April 1539. Dessen jüngerer Bruder Heinrich der Fromme, der sich bereits 1536 offen zur Reformation bekannt hatte, vollzog schon am 25. Mai 1539 den formellen Übertritt des Landes zum Augsburger Bekenntnis. Der Konfessionswechsel sollte durch eine rasche Visitation in allen Städten seiner Herrschaft befestigt werden. 37 Der Herzog dehnte trotz Bedenken seiner Berater die Kirchenvisitation auch auf das Hochstift Meißen aus, wo gegen den Widerstand von Bischof und Domkapitel die Meißner Domkirche als erste visitiert werden sollte. 38 Die Visitationsinstruktion verlangte vom Meißner Kapitel die Abstellung der Privatmessen, die Unterbindung aller nicht mit der Augsburgischen Konfession übereinstimmenden Lehren und besonders die Abschaffung des bebstlich werek und greuel unter dem namen bischof Bennes. 39 Am 14. Juli begannen die Verhandlungen zwischen den Visitatoren sowie dem Bischof und Domkapitel, an denen zunächst auch Herzog Heinrich und sein ernestinischer Vetter Kurfürst Johann Friedrich teilnahmen. 40 Als die Gespräche zu keinem Ergebnis führten, wurden in der Nacht zum 16. Juli die Domtüren aufgebrochen und Steinmetze mussten auf Befehl der Fürsten aldo das wolgezirte grab des heiligen bischoffs Bennen sambt den altar zue kleinen stuckhen tzerschlagenn vnnd vf den grundt abgebrochenn, einn hültzenn bilt des heiligenn Bennonis entheubt vnnd tzue sonderm gespött inn das schloß für die kirche gesazt, die furstenn aldo dorueber jubilirt. 41 Über den Verbleib der im Grab befindlichen Reliquien schweigen die gleichzeitigen Berichte allerdings. Nur Kaspar Cruziger spricht in einem Brief vom 17. Juli 1539 an Friedrich Myconius von der Zerstörung des götzendienerischen Kultes und seiner Reliquien, ohne dies aber konkret zu beschreiben. 42 Auch eine gleichzeitige polemische Flug- 37 Vgl. Carl August Hugo Burkhardt , Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen von 1524 bis 1545 (1879) S. 225 - 254; Carl Wilhelm Hering , Geschichte der im Jahre 1539 im Markgrafenthume Meißen und dem dazu gehörigen thüringischen Kreise erfolgten Einführung der Reformation (1839). 38 Vgl. Albrecht Lobeck , Das Hochstift Meißen im Zeitalter der Reformation bis zum Tode Herzog Heinrichs 1541 (1971) bes. S. 119 - 131. 39 Zit. Emil Sehling , Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bd. 1: Sachsen und Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten (1902) S. 262 f. 40 Vgl. Lobeck , Das Hochstift (wie Anm. 38) S. 123. 41 Klageschrift Bischof Johanns VIII. von 1541, gedruckt in: Ernst Gotthelf Gersdorf , Urkundenbuch des Hochstifts Meißen, Bd. 3: 1423 - 1581 (Codex diplomaticus Saxoniae regiae 2,3, 1867) Nr. 1422 - 1425, S. 362 - 366, das Zitat hier S. 365. Einen Bericht über die Ereignisse verdanken wir ebenso Justus Jonas, der als Mitglied der Visitationskommission Augenzeuge war: Justus Jonas, Der Briefwechsel des Justus Jonas, gesammelt und bearbeitet von Gustav Kawerau , 1. Hälfte, 1884, S. 330 f. 42 Corpus Reformatorum Bd. 3 (1836) Nr. 1830, Sp. 743 - 745, hier Sp. 744. Zu den gleichzeitigen Berichten vgl. auch Lobeck , Das Hochstift (wie Anm. 38) S. 125. Hartmut Kühne 222 <?page no="223"?> schrift, die in Zwickau gedruckte Warhafftige Newe Zeitung/ von dem Abgot zu Meissen 43 erzählt die Vorgänge als Flucht der ‚ Götzen ‘ in ihr römisches Exil, nicht als Zerstörung. Erst knapp 20 Jahre nach den Ereignissen berichtete der Wittenberger Theologe Sebastian Fröschel, Hertzog Heinrich sei mit ir F. G. Herr Vetter/ Hertzog Johan Friderich [. . .] nach Meissen gezogen/ die Abg(e)tterey/ so mit Bischoff Benno daselbst wurde angericht/ gantz vnd gar abgethan vnd angeschafft/ vnd haben Bennonis Beine/ in die Elbe geschu(e)ttet vnd geworffen. 44 Nochmals 20 Jahre später erwähnte Kurfürst August, der zur Zeit des Geschehens 13 Jahre alt war, die Gebeine Bennos seien mit einem großen Feldgeschrei vieler Trompeter, in einem Kasten in die Elbe bei Meißen versenkt worden. 45 Es sprechen gute Gründe dafür, dass der Meißner Bischof Johann VIII. die Gebeine Bennos schon vor der Zerstörung am 16./ 17. Juli 1539 vorsorglich aus dem Hochgrab entfernte und sie durch andere Knochen ersetzen ließ. 46 Darauf wird später noch einzugehen sein. Ob aber die echten oder unechten Reliquien tatsächlich in die Elbe versenkt wurden, lässt sich auf Grundlage der erhaltenen Nachrichten nicht sicher sagen. Durch einen bedeutenden archäologischen Fund ist seit kurzem bekannt, dass die erste Kirchenvisitation im thüringischen Teil der albertinischen Gebiete mit einer ähnlich demonstrativen Zerstörung eines Heiligengrabes verbunden war. Gleichzeitig mit der Visitationskommission, die sich von Meißen aus im Juli 1539 auf den Weg durch die sächsischen Gebiete Herzog Heinrichs machte, visitierte eine Kommission unter Leitung von Justus Menius die albertinischen Territorien in Thüringen. 47 Die Visitationsreise begann in der Stadt Weißensee. Hier war seit dem frühen 14. Jahrhundert um den ‚ Guten Conrad ‘ , das vermeintliche Opfer eines jüdischen Ritualmordes, ein regionaler Heiligenkult entstanden, der im frühen 16. Jahrhundert auch durch die Förderung des albertinischen Hofes nochmals einen Aufschwung erlebte. 48 Bisher waren diese Vorgänge nur durch 43 Günther Strauß , Warhafftige Newe Zeitung/ von dem Abgot zu Meissen/ vnd seinem nachbarn/ dem schwartzen Hergott zu Dresden [. . .] (1539) [VD16 S 9471]. 44 Sebastian Fröschel , Vom Ko(e)]nigreich Christi Jhesu/ Der Christen gro(e)sten vnd ho(e)hesten Trost/ neben seinem ewigem Priesterthumb [. . .] (1556) [VD16 F 3094] Bl. 48 v. 45 Reskript des Kurfürsten August auf einen Bericht seiner Geheimen Räte vom 19. September 1576, gedruckt von Carl von Weber , Die Reliquien des hl. Benno und die Nonnen im Kloster zum h. Kreuz bei Meißen 1539 u. f., in: Ders ., Aus vier Jahrhunderten. Mittheilungen aus dem Haupt-Staatsarchive zu Dresden, NF. 1 (1861) S. 6 - 21, hier S. 9. 46 Vgl. ebd. S. 125 - 127. 47 Burkhardt, Geschichte (wie Anm. 37) S. 241 - 254; Hering , Geschichte (wie Anm. 37) S. 61 - 70. 48 Vgl. Hartmut Kühne, Johannes Mötsch , (K)ein Heiliger aus Thüringen. Legenden und Kult des „ guten Conrad von Weißensee “ im 14. Jahrhundert und am Vorabend ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 223 <?page no="224"?> einige wenige Hinweise aus den Quellen zu rekonstruieren. Bei den im Dezember 2013 durchgeführten Grabungen in der Weißenseer Stadtkirche wurde ein Befund aufgedeckt, der nahelegt, dass das 1303 in der Mitte des Kirchenschiffs angelegte Grab des Guten Conrad im frühen 16. Jahrhundert geöffnet wurde. An die Stelle des Erdgrabes trat wohl eine Hochgrab, von dem bei der Grabung eine Bodenplatte und zahlreiche Fragmente der steinernen Grabplatte gefunden wurden. Der Zustand dieser Bruchstücke lässt darauf schließen, dass diese Anlage im Juli 1539 in ähnlicher Weise wie das Grab des hl. Benno in Meißen zerschlagen wurde. Die Reliquien des ‚ Guten Conrad ‘ wurden in ein steinernes Becken gelegt, mit einer Deckplatte verschlossen und im Kirchenboden vergraben. 49 (Abb. 1) Diesem bisher einmaligen Fund von Reliquien, die während der Reformation beigesetzt wurden, ist eventuell noch eine Entdeckung an die Seite zu stellen, die im Jahre 1910 in der Dresdener Sophienkirche gemacht wurde. In der einstigen Minoritenkirche fand man im Kirchenboden eine Metallkiste, die entleerte Glas- und Bergkristallgefäße, Straußeneier und Kokosnüsse - wohl alles einstige Bestandteile von Reliquiaren - sowie einen Zahn enthielt. 50 Robert Bruck meinte, dass die Franziskaner diese Objekte vor ihrem Auszug aus der Stadt 1539 verborgen hätten. 51 Sehr viel wahrscheinlicher erscheint vor dem skizzierten Hintergrund aber eine Beisetzung der Reliquien, nachdem die zugehörigen Reliquiare verwertet wurden. Denn es fehlen metallische Objekte; beigesetzt wurden nur jene Bestandteile der Reliquiare, die nicht verkäuflich waren. Wahrscheinlich enthielt die Kiste ursprünglich neben dem Zahn noch weitere Reliquienpartikel, die sich wahrscheinlich vor der Auffindung zersetzt hatten. Die angeführten Beispiele lassen vermuten, dass man in den evangelischen Territorien Mitteldeutschlands Reliquien, die ihren Gefäßen entnommen wurden, in der Regel in der Erde beisetzte. Die Zerstörung durch Feuer oder das Versenken im Wasser scheint eine Ausnahme gewesen zu sein, wenn es überhaupt praktiziert wurde. Auch wurde die Vernichtung der Reliquien gelegentlich unterlaufen, wie die Vorgänge in Marburg und Meißen zeigen. Die Zerstörung von Reliquiaren scheint auch Ängste hervorgerufen zu haben, wie das Zeugnis über die Verwertung der Zwickauer Kirchenkleinodien nahelegt. Wohl auch deshalb wurden die in den der Reformation, Teil 1, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 66 (2012) S. 7 - 40, Teil 2, in: ebd. 67 (2013) S. 7 - 36. 49 Für Auskünfte zur Grabung danke ich Udo Hopf, Gotha. Eine gemeinsame Publikation des Vf. mit Udo Hopf und Johannes Mötsch zu den Grabungsergebnissen ist für das Jahr 2016 geplant. 50 Die Objekte befinden sich im Stadtmuseum Dresden; eine jüngere Publikation dazu liegt m. W. nicht vor. 51 Robert Bruck , Die Sophienkirche und Ihre Geschichte und Ihre Kunstschätze (1912) S. 10. Hartmut Kühne 224 <?page no="225"?> Altarsepulcren geborgenen Reliquien in Mitteldeutschland von der Reformation kaum angetastet. 52 Darauf deuten zumindest einige gewichtige Indizien hin. Abb. 1: Auffindung der Reliquien des Guten Conrad bei der archäologischen Grabung in der Kirche von Weißensee 2013/ 2014. Als Johann Georg I. von Anhalt-Dessau im Zuge der „ Zweiten Reformation “ seit 1596 in seinem Territorium die ‚ katholischen Überreste ‘ aus der kirchlichen Praxis entfernen ließ, betraf dies neben den Bildern auch die „ Götzenaltäre “ , die durch einfache Tische ersetzt werden sollten. 53 Im Zuge dieser ‚ Reinigung ‘ wurden auch einige Reliquiensepulcren mit ihrem gesamten Inhalt (Gefäß, Weiheurkunde und Authentiken) genau dokumen- 52 Vgl. dazu Christian Popp , Reliquiensepulcren, in: Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland - Katalog zur Ausstellung „ Umsonst ist der Tod “ , hg. von Hartmut Kühne / Enno Bünz / Thomas T. Müller (2013) S. 63 - 67; Ders., Umbruch, Abbruch, Aufbruch? Altäre und ihre Reliquien in der Reformationszeit, in: Das Mittelalter endet gestern. Beiträge zur Landes-, Kultur- und Ordensgeschichte. Heinz-Dieter Heimann zum 65. Geburtstag, hg. von Sascha Bütow/ Peter Riedel/ Uwe Tresp (2015) S. 316 - 327. 53 Der Vorgang wird in einer gegen den Einspruch der Wittenberger Theologischen Fakultät gerichteten Verteidigungsschrift verteidigt: Endliche Ablehnung Der Theologischen Facultet zu Witenberg Einrede/ wider die Fu[e]rstliche Anha[e]ltische Christliche Kirchen Reformation. [. . .] (1599) [VD16 E 1174] hier S. 75 - 90. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 225 <?page no="226"?> tiert. 54 Folglich waren diese Altäre bis zu diesem Zeitpunkt nicht angetastet worden. Aus dem 19. und 20. Jahrhundert liegen zahlreiche Berichte über die Öffnung intakter Reliquiensepulcren in lutherischen Kirchen Nord- und Mitteldeutschlands vor, die aber durch ihre verstreute Publikation in überwiegend lokalgeschichtlichen Zeitschriften schwer aufzufinden sind. 55 Eine besonders beeindruckende Kollektion von erhaltenen Reliquiengefäßen aus Altären befindet sich in den Sammlungen des Staatlichen Museums Schwerin / Ludwigslust / Güstrow. 56 Diese Befunde sprechen für eine überwiegend ungestörte Bewahrung der Reliquien durch die Reformation. Ein eigentümliches Zeugnis für diesen pietätvollen Umgang mit den Reliquiengräbern in den lutherischen Kirchen kam jüngst bei einer bauhistorischen Untersuchung der Dorfkirche von Wernikow in der Prignitz zu Tage. Als das Reliquiengrab des Altars 2011 geöffnet wurde, enthielt es neben dem aus dem 13. Jahrhundert stammenden Reliquiengefäß und dem Weihesiegel auch ein Schriftstück, das der Ortspfarrer 1969 geschrieben und in das Reliquiengrab gelegt hatte. 57 Darin erklärt er, dass er das bei Forschungen zur Ortschronistik von ihm geöffnete Reliquiensepulcrum wieder verschlossen habe. Zusätzlich legte er Münzen aus beiden deutschen Staaten und einen ‚ Stein der Trennung ‘ bei und gab seinen Hoffnungen Ausdruck: Gott gebe uns Einheit [. . .] Jesus siegt! 54 Ebd. S. 370 - 377; vgl. dazu auch Reinhold Specht , Reliquien in Anhalt, in: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt 25 (1929) S. 52 - 66. 55 Eine knappe Zusammenstellung überwiegend norddeutscher Funde bietet Richard Haupt , Reliquiengefäße aus Altären, Zeitschrift für christliche Kunst 28 (1915) S. 26 - 30. Einzelfunde behandeln u. a.: O. Lichtenberg , Die Reliquien aus dem Hochaltar der Mühlberger Klosterkirche, Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde von Mühlberg a. d. Elbe und Umgebung 4 (1911) S. 39 - 48; Hermann Größler , Der Reliquienfund zu Vatterode, Mansfelder Blätter 19 (1905) S. 176 - 182; Eberhard Kirsch , Rauchfass und Reliquiengefäß aus der Dorfkirche zu Rückersdorf, Landkreis Elbe-Elster, in: Dorfkirchen in der Niederlausitz, hg. von Annegret Gehrmann / Dirk Schumann (2011) S. 228 - 239; Paul Weber , Ein Tonkrug als Reliquienbehälter, Die Denkmalpflege 11 (1907) S. 56; Gerhard Graf , Die Hainkirche St. Vinzenz in Leipzig Lützschena (2011) S. 18 f. 56 Vgl. den Katalog Mittelalterliche Kunst II: Kleinkunst, Kunsthandwerk, hg. von den Staatlichen Museen Schwerin (1983) Nr. 141 - 143 und 157 - 166. Kristina Hegner , Aus Mecklenburgs Kirchen und Klöstern. Der Mittelalterbestand des staatlichen Museums Schwerin (2015) S. 206 - 213. 57 Gordon Thalmann , Stein und Bein. Der spektakuläre Reliquienfund von Wernikow, in: Offene Kirchen (2013) S. 97 f. Hartmut Kühne 226 <?page no="227"?> 2. Reliquienexporte aus lutherischen Gebieten Es wurde bereits oben angedeutet, dass die Schicksale der Reliquien des hl. Benno nach der Zerstörung des Meißner Grabes unsicher sind. Nachrichten über die Bewahrung der Gebeine durch eine vorsorgliche und heimliche Überführung in die bischöfliche Burg Stolpen begegnen erst im Jahre 1576, als die Reliquien vom letzten Meißner Bischof Johann IX. von Haugwitz dem bayerischen Herzog Albrecht V. abgetreten wurden. Damals wurden diese Reliquien heimlich bis zur bayerischen Grenze gebracht, dort übergeben und am 1. April 1576 feierlich in München eingeholt; hier legte man sie zunächst in der herzoglichen Residenz nieder, bis sie 1580 endgültig in die Münchner Frauenkirche kamen. 58 Die Urkunde, welche im Zusammenhang der Übergabe von Johann von Haugwitz ausgestellt wurde, war zwar in der Forschung lange bekannt, wurde aber erstmals 1994 der Öffentlichkeit vorgestellt. 59 Dagegen war die zu dem Vorgang im Hauptstaatsarchiv Dresden vorhandene Überlieferung bereits 1861 publiziert worden. 60 Danach erfuhr der sächsische Kurfürst August wohl erst im September 1576 durch einen Bericht seiner Räte von der Überführung der Reliquien nach München. Er reagierte darauf am 19. September 1576 mit der harschen Anweisung, die Angelegenheit gründlich zu untersuchen und den Bischof zur Rede zu stellen, da er Aergerniß [. . .] durch die Verkaufung der Götzen angerichtet habe. Wegen seiner Päbstischen ärgerlichen Krämerei sei ihm eine Geldstrafe von mindestens 6000 Thalern aufzuerlegen. 61 Bekannt war damals bereits, dass bei der Reliquienübertragung der Meißener Domdekan Hieronymus Kumerstat eine entscheidende Rolle gespielt hatte, dessen Bruder Theophil Kumerstat als Hof- und Kammerrat mit dem Hof des bayerischen Herzogs Albrecht V . eng verbunden war. Der Dekan sollte eine namhafte Summe Geldes erhalten haben. 62 In diesem Zusammenhang erinnerte sich der Kurfürst an die Versenkung der Gebeine Bennos in der Elbe und vermutet daß Dr. Kommerstädt den Herzog [. . .] mit andern Gerippen und Beinen nur vorsätzlich betrogen haben mag 63 . Wegen der leichtertige[n] Krämerei, so man mit Totenbeinen treibt und die Ärgerniß [. . .] bei vielen gutherzigen Christen in unsern Landen hervorriefen, sowie Verdacht und schimpfliche böse Nachreden [. . .] bei den andern unsern 58 Vgl. Tobias Appl , Die Kirchenpolitik Herzog Wilhelms V. von Bayern. Der Ausbau der bayerischen Hauptstädte zu geistlichen Zentren (2011) S. 61 - 67. 59 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, München-Chorstift Urk. 1576 April 1, vgl. Benno von München in Meißen, in: Bayern und Sachsen in der Geschichte. Wege und Begegnungen in archivalischen Dokumenten (1994) S. 167 - 170. 60 von Weber, Die Reliquien (wie Anm. 45). 61 Ebd. S. 10. 62 Ebd. S. 9. 63 Ebd. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 227 <?page no="228"?> Confessionsverwandten Ständen, erwog der Kurfürst sogar, den Bischof seines Amtes zu entsetzen. 64 Erst am 16. August 1577 wurde Johann von Haugwitz durch die kurfürstlichen Amtsleute von Eilenburg und Torgau mit dem Fall konfrontiert, woraufhin er sich am folgenden Tag vor dem Kurfürsten mit einem Brief rechtfertigte. 65 Er berichtete, dass er die Reliquien des hl. Benno bei seinem Amtsantritt auf der bischöflichen Burg Stolpen in einem Zinnsarg vorgefunden habe. Als er dem Kurfürsten die Burg 1559 übergab, habe er den Sarg in die Stiftskirche von Wurzen bringen lassen, wo dieser in dem Grabgewölbe seines Vorgängers Johann von Sahlhausen verborgen wurde. Nachdem schon die Kaiserin (wohl Maria von Spanien) vergeblich versuchte, die Bennoreliquien zu erhalten, habe ihn Hieronymus Kumerstat 1575 im Anschluss an einen Besuch in Bayern schließlich zur Herausgabe der Reliquien an den bayerischen Herzog gedrängt. Den Vorwurf des Verkaufs wies der Bischof zurück; er habe lediglich eine vergoldete Credenz im Wert von 24 Mark Silber erhalten, deren Gegenwert er einer Almosenstiftung übergeben habe. Über die Zahlungen an den inzwischen verstorbenen Hieronymus Kumerstat könne er keine sichere Auskunft geben. Der Kurfürst erlegte dem Bischof schließlich am 4. September 1577 eine Strafe von 6000 Talern auf. Die angeführten Dresdner Akten zeigen, dass es nicht nur in München, sondern auch am Prager Hof Interesse an den Reliquien gab, deren Weitergabe aber von Kurfürst August als religiöser Frevel gewertet wurde. Mit ähnlichen Zweifeln, ob der Verkauf von Reliquien statthaft sei, wurde der Zwickauer Rat konfrontiert, als ihm 1551 der Konvent der Klarissen in Eger anbot, das Goldene Kreuz der Zwickauer Marienkirche zu erwerben. Dieses Reliquiar war als einziges der Verwertung der Zwickauer Kirchenkleinodien im Dezember 1539 entgangen. 66 Es handelte sich um eine Staurothek, die mit einer serbischen Inschrift in kyrillischen Buchstaben versehen war. 67 Dieses Kreuzreliquiar hatte der Zwickauer Bürger, Amtmann und Schneeberger Berghauptmann Martin Römer, gen. Der Reiche 68 64 Ebd. 65 Vgl. auch zum folgenden ebd. S. 11 - 13. 66 S. o. Anm. 21 f. 67 Vgl. zur Zwickauer Überlieferung Tobias Schmidt , Chronica Cygnea Oder Beschreibung Der sehr alten, Löblichen, und Churfürstlichen Stadt Zwickau [. . .], Teil 1 (1656) S. 63 - 67; Emil Herzog , Chronik der Kreisstadt Zwickau, Teil 1 (1839) S. 102 f.; Julia Kahleyß, Die Bürger von Zwickau und ihre Kirche. Kirchliche Institutionen und städtische Frömmigkeit im späten Mittelalter (2013) S. 415. Alle späteren Überlieferungen beruhen auf der Chronik des Peter Schumann in der Ratsschulbibliothek Zwickau sowie der Chronik des Paul Greff, die in einer Abschrift von Albinus in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Mscr.Dresd.d.3, Bl. 84 - 115 vorliegt (hier Bl. 59 v). 68 Vgl. zur Person den Überblick bei Kahleyß , Die Bürger (wie Anm. 67) S. 408 - 414. Hartmut Kühne 228 <?page no="229"?> 1479 in Salzburg erworben. 69 Es sollte angeblich von der hl. Helena aus Jerusalem nach Konstantinopel gebracht worden sein, von wo es nach der türkischen Eroberung 1453 geflüchtet wurde. Die exotische Inschrift des Kreuzes, die eine unbekannte Königin als Stifterin nennt, wurde erst durch die Bemühungen des Zwickauer Lateinschulrektors Georg Agricola entziffert, der bei seinem Aufenthalt in Venedig 1525/ 26 einem des Serbischen kundigen Priester eine Abschrift vorlegte und die Lesung 1536 dem Zwickauer Rat mitteilte. 70 Am Schluss drohte die Inschrift all jenen, die sich an dem Kreuz unrechtmäßig vergriffen, einen Fluch an. Es muss nicht unbedingt jene Drohung gewesen sein, die den Rat 1539 davon abhielt, das Reliquiar mit den anderen Kleinodien zu verwerten. Hierfür mag eher die Bedeutung Martin Römers für die Stadt Zwickau ausschlaggebend gewesen sein, denn der Patrizier hatte seine herausragende Stellung in der Stadt durch eine geradezu überbordende Zahl von Stiftungen zum Ausdruck gebracht und so sein Andenken gesichert. Das Kreuzreliquiar wurde in der Römerkapelle der Marienkirche verwahrt, wo sich der Reliquientresor bis heute erhalten hat. (Abb. 2) Dessen äußeres Gitter zeigt eine Darstellung des Reliquiars, die Abb. 2: Reliquientresor in der Römer-Kapelle der Zwickauer Marienkirche. 69 Vgl. Anm. 67. 70 Vgl. Reinhold Hofmann , Dr. Georg Agricola. Ein Gelehrtenleben aus dem Zeitalter der Reformation (1905) S. 29 f. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 229 <?page no="230"?> der Zeichnung in der Chronik-Handschrift des Paul Greff entspricht. (Abb. 3) Über den von den Klarissen aus Eger erbetenen Verkauf dieses Reliquiars verhandelte der Zwickauer Rat am 24. Februar 1551. Das von Otto Clemen im Auszug gedruckte Ratsproktokoll hält unter der Überschrift Des Romers gulden Kreuz. fest: Dieweil ’ s furfället, daß die Nonnen zu Eger sich vernehmen lassen, daß sie berührt Kreuz wohl kaufen möchten, soll es ihnen angetragen werden. Es hat aber Syndicus [= Nikolaus Reinhold] nicht geraten auch nicht darein gewilliget, daß man zu Abgötterei damit Ursach geben solle. Bürgermeister Unruh, Zorn, Platner, Sangner nehmen ihnen kein Gewissen darüber. Geffert [= Jobst Göpfart] hat geraten, man solle die theologos darumb ratfragen, er wollt nicht gerne Ursach zu Abgötterei geben. Schnee, Opel haben gewilliget, Hans Widemann will nicht willigen, Passeck hat gewilliget 71 . Der Verkauf ist nicht zustande gekommen, denn das goldene Kreuz befand sich noch 1632 in Zwickau. In diesem Jahr soll Albrecht von Wallenstein das Kreuz konfisziert und an den kaiserlichen Hof nach Wien geschickt haben. Der wichtigste Zeuge dieses Ereignisses ist der Zwickauer Kantor Lorenz Wilhelm, der davon in seiner ein Jahr später gedruckten Zwickauer Stadtbeschreibung berichtet. 72 Wohl auf dieser Grundlage beruht die breitere Darstellung von Tobias Schmidt, der in seiner 1656 erschienenen Stadtchronik schrieb: Dieses [Kreuz] hat 1632. Den 14. Septembris der Kaiserliche Generalissimus Hertzog von Friedland[. . .] begehret/ und durch seinen Vettern Graffen Maximilian von Wallenstein neben Graffen Paul von Lichtenstein abholen/ und hernach auff der Post/ durch ermeldten Graffen von Wallenstein/ dem Kayser offeriren lassen/ als verehrete die Stadt Zwickau und das Ministerium den Kayser willig damit 73 . Nach Meinung des Chronisten habe der in der Kreuz-Inschrift angedrohte Fluch freilich alsbald Wallstein getroffen, da nicht nur die kurz darauf geschlagene Schlacht bei Lützen wenig Erfolg brachte. Sondern hat auch kein Glück mehr gehabt/ wie er denn darauff zu Eger mit schrecken ein blutiges Ende hat nehmen müssen 74 . Auch die mit dem Transport des Kreuzes nach Wien beauftragten Personen seien beyde noch dasselbige Jahr umbkommen. 75 Dies ist allerdings unrichtig, denn Maximilian von Wallenstein starb erst 1654. Auch ist die bisher in der Zwickauer Regionalgeschichte ungeprüft tradierte Überzeugung, Wallenstein habe das Kreuz aus Zwickau an den Kaiser geschickt, nicht gesichert. Der General erreichte Zwickau erst am 24. Oktober 1632 auf dem Weg vom Feldlager in Nürnberg nach Lützen, nachdem die Stadt bereits am 17. Au- 71 Otto Clemen , Reformationsgeschichtliches aus dem Zwickauer Ratsarchiv, in: Archiv für Reformationsgeschichte (1929) S. 188 - 203, hier S. 203. 72 Lorenz Wilhelm , Descriptio urbis Cycneae [. . .] (1633) S. 79. 73 Schmidt, Chronica Cygnea (wie Anm. 67) S. 63. 74 Ebd. S. 67. 75 Ebd. S. 68. Hartmut Kühne 230 <?page no="231"?> Abb. 3: Zwickauer Reliquienkreuz in der Chronik-Handschrift des Paul Greff; Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden/ Handschriftensammlung, Mscr. Dresd. 3 d Bl. 144 v. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 231 <?page no="232"?> gust 1632 vor den kaiserlichen Truppen unter Heinrich Holk kapituliert hatte. 76 In der umfangreichen Korrespondenz Wallensteins - allein vom 25. Oktober sind elf Briefe aus Zwickau erhalten, darunter drei an den Kaiser gerichtete - wird das Kreuz nicht erwähnt. 77 Möglicherweise wurde dem damals unter unklaren Umständen verlorenen Kreuz ein solches Schicksal zugeschrieben, weil das Interesse des Kaiserhofes an der Erwerbung herausragender Reliquien in den protestantischen Gebieten ein ohnehin bekanntes Faktum darstellte. Ein relativ frühes Beispiel einer solchen Reliquienakquise durch den Kaiserhof stellt die sog. ‚ Eppendorfer Kohlwurzel ‘ dar, die sich bis heute in der Wiener Geistlichen Schatzkammer erhalten hat. 78 Es handelt sich um eine angebliche Kohlwurzel, welche die Gestalt Christi am Kreuz besitzt. Die Überlieferung zu dieser eigentümlichen Reliquie ist erst ab dem Jahre 1602 relativ gesichert, als sie aus Hamburg für die Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. erworben wurde. Die Hauptquelle für die Geschichte der Reliquie ist ein Einblattdruck, der das Stück in einem Kupferstich vorstellt und dessen Geschichte erzählt. 79 (Abb. 4) Danach soll eine Kohlbäuerin im Gebiet des Kloster Eppendorf (gemeint ist wohl das Zisterzienserinnenkloster Harvestehude 80 ) eine geweihte Hostie auf dem Acker vergraben haben, um den Ertrag ihres Ackers zu steigern. Als der an jener Stelle aus dem Boden wachsende Kohl in der Nacht zu leuchten begann, wurde man aufmerksam und fand in der Kohlpflanze das Abbild des gekreuzigten Christus, das als Zeugnis des Wunders in das Kloster getragen und hier in einer kostbaren Monstranz zur Schau gestellt wurde. Dies sei 1482 geschehen. Nach der Reformation sei die Reliquie in das Sankt Johannes-Kloster, d. h. in das 1536 gegründete Evangelische Frauenstift gebracht worden. Als der Kaiser um diese Reliquie gebeten habe, wurde sie dem kaiserlichen Rat 76 Vgl. zum Kontext Tomás Dostál , „ Schlimmer als der Türcke . . . “ . Heinrich Holk, Albrecht von Wallenstein und das Kriegsgeschehen im Jahr 1632, in: Der Kelch der bittersten Leiden. Chemnitz im Zeitalter von Wallenstein und Gryphius, hg. von Uwe Fiedler (2008) S. 30 - 39. 77 Hermann Hallwich , Briefe und Akten zur Geschichte Wallensteins 1630 - 1634, Teil 3 (Fontes rerum Austriacarum 66, 1912) Nr. 1449 - 1459, S. 342 - 353. 78 Vgl. den zusammenfassenden Artikel von Stephanie Hauschild , Eppendorfer Alraune - um 1480, in: Goldgrund und Himmelslicht, Die Kunst des Mittelalters in Hamburg. Katalog zur Ausstellung der Hamburger Kunsthalle (1999) Nr. 90, S. 346. 79 Recht Natural Abbildung der von alters [. . .] Kolstrauch Wurtzel, Kunstsammlung der Veste Coburg Inv.Nr. XIII, 337,160, abgebildet und beschrieben in: Wolfgang Harms , Illustrierte Flugblätter aus dem Jahrhundert der Reformation und der Glaubenskämpfe (1983) Nr. 137, S. 280 f. 80 Vgl. Rainer Postel , Die Reformation in Hamburg 1517 - 1528 (1986) S. 105 mit Anm. 131. Hartmut Kühne 232 <?page no="233"?> Ehrenfried von Minckwitz am 17. Februar 1602 übergeben, der sie nach Prag brachte. Soweit in Kürze die Darstellung des Einblattdrucks. Die Übergabe an den - übrigens evangelischen - Ehrenfried von Minckwitz, der sich 1602 wegen handelspolitischer Fragen im Auftrag des Kaisers in Nordwesten des Reiches aufhielt, 81 ist auch durch eine Notiz in den Hamburger Kämmereirechnungen gesichert, in denen am 20. Juli 1605 eine Zahlung dem Closter St. Johannis betalt vor dat Crucifix so dem Hern v. Münquitz hiebevor vorehret worden verzeichnet ist. 82 Über die späteren Schicksale dieses Kreuzes sind wir gut unterrichtet: die Kaiserin Maria Theresia bewahrte die von ihr hoch geschätzte Reliquie in ihrem Gemach; nach ihrem Tode kehrte das Stück 1781 in die Geistliche Schatzkammer der Hofburg zurück, wo die silberne Monstranz 1810 dem Münzamt zur Verwertung übergeben wurde. 83 Merkwürdig ist allerdings, dass aus der lokalen Hamburger Überlieferung keine älteren Nachrichten über das Reliquiar vorliegen. Möglicherweise ist die durch den Einblattdruck überlieferte Erzählung vom Hostienfrevel eine spätere Legende, die nichts mit der vorreformatorischen Verehrung des Kreuzes zu tun hat. Denkbar ist ein bisher nicht gesehener Zusammenhang mit der Wallfahrt zum Heiligen Kreuz von Bergedorf bei Hamburg. Der Hamburger Reformator Johannes Aepinus, der 1544 eine Kirchenordnung für das Amt Bergedorf verfasste und daher die Verhältnisse vor Ort gut kannte, stellte in seiner gedruckten Auslegung des 15. Psalms eine Liste mit Orten zusammen, zu denen unnutze gelübdte geleistet würden; hier erscheint auch Bergerdorff zu dem Abgo(e)ttischen wormfrettigen Creutz/ das man mit brodt bier vnd weyn must auffwegen. 84 Über die Wallfahrt, die wohl in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand und eine an der Bergedorfer Pfarrkirche gestiftete Heilig-Kreuz-Kapelle zum Ziel hatte, ist fast nichts bekannt. 85 Sollte die Wiener ‚ Kohlwurzel ‘ einst das ‚ wurmzerfressene Kreuz ‘ aus Bergedorf gewesen sein? 81 Vgl. Hermann Kellenbenz , Unternehmerkräfte im Hamburger Portugal- und Spanienhandel 1590 - 1625 (1954) S. 96 und 346. 82 N. N., Die wunderbare Kohlwurzel aus Eppendorf, Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte 14 (1891) S. 301. 83 A.[lfred] Sitte , Die kaiserlich-geistliche Schatzkammer in Wien, in: Mittheilungen der k. k. Central-Commission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale 27 (1901) S. 73; Eduard Krohse , Der Verbleib der wunderbaren Kohlwurzel aus Eppendorf, Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte 27 (1908) S. 58 - 60. 84 Johannes Aepinus , Außlegung uber den 15. Psalm Davids (1543) [VD16 A 371] Bl. H2 v . 85 Die einzige mir bekannte Untersuchung schrieb Christof Walther , Bergedorf als Wallfahrtsort, Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte 11 (1888) S. 308 f. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 233 <?page no="234"?> Abb. 4: Recht Naturale Abbildung der vor alters zu Eppendorf [. . .] gewachsenen Kolstrauch-Wurtzel [. . .]; Kunstsammlung der Veste Coburg, Inv. Nr. XIII,337,160. Hartmut Kühne 234 <?page no="235"?> Während im Fall der Hamburger Reliquie der Verbleib des Objektes gut dokumentiert ist, aber die tatsächliche Herkunft nebulös bleibt, verhält es sich mit der Heilig-Blut-Reliquie aus dem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster Wasserleben bei Wernigerode umgekehrt. Hier hatte ein Hostienwunder - angeblich bereits seit dem Jahre 1231, wahrscheinlich aber erst seit dem 14. Jahrhundert - eine regionale Wallfahrt begründet. 86 Die bei dem eucharistischen Wunder blutende Hostie hatte der Halberstädter Diözesanbischof beansprucht, das blutige Korporale verblieb aber dem Kloster. Der Konvent blieb auch in der Reformationszeit unter dem Schutz der Grafen von Stolberg-Wernigerode bestehen, wodurch auch sein Inventar bis in das 17. Jahrhundert hinein erhalten blieb. In der Amtszeit der 1602 von dem Grafen Wolf Ernst eingeführten Äbtissin Elisabeth Grell kam es zu einem schweren Zerwürfnis zwischen dem evangelisch gesinnten Grafen und der altgläubigen Äbtissin, der schließlich mit der Inhaftierung und Landesverweisung Grells im Jahre 1614/ 15 endete. 87 Da sich die vertriebene Äbtissin an den kaiserlichen Hof wandte, scheint man dort von der in Wasserleben vorhandenen Reliquie erfahren zu haben. Jedenfalls ist es auffällig, dass kurz nach der Landesverweisung, am 7. November 1616, die die Kaiserin Anna an den Grafen Wolf Georg schrieb, dass sie ain sonders verlangen zu den reliquien und fürnemen hailthumben trage, dahero uns beflisßen haben, von unterschidlichen ortten deren an uns zu bringen. Da sie erfahren habe das in dem dir gehörigen closster Wasßerlöhr ain reliquia vom heyligen plueth aufgehoben werden soll [. . .] und wir sondern begürdt und lusst haben, dieselbe in unserer capell einnzulangen und neben anderen aufzuhalten, bat sie den Grafen, ihr diese Reliquie zusammen mit den darüber im Kloster befindlichen Zeugnissen zukommen zu lassen 88 . Ein gleichzeitiges Schreiben des Grafen Brun von Mansfeld unterstützte diese Bitte. 89 In einem Schreiben des Stolberger Rates Georg Winter aus Prag wird erkennbar, dass die Kaiserin diesen bereits zuvor mit der Beschaffung der Reliquie beauftragt hatte. 90 Es bedurfte aber noch mehrfacher Mahnungen von Seiten des Grafen Brun, 91 bevor sich Graf Wolf Georg zu dieser Sendung bereitfand. Brun bestätige am 9. Mai 1617 von Prag aus, dass er 86 Vgl. Hartmut Kühne, Der Harz und sein Umland - eine spätmittelalterliche Wallfahrtslandschaft? , in: Spätmittelalterliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum, hg. von Dems ./ Wolfgang Radtke / Gerlinde Strohmaier-Wiederanders (2002) S. 87 - 103, hier S. 96 f. 87 Vgl. Eduard Jacobs , Die Heiligblutkapelle zu Waterler, Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde 43 (1910) S. 188 - 200, hier S. 195 - 199; Ders., Urkundenbuch der Deutschordens-Commende Langeln und der Klöster Himmelpforten und Waterler in der Grafschaft Wernigerode (1882) S. 526 - 530. 88 Jacobs , Urkundenbuch (wie Anm. 87) Nr. 246, S. 404 f. 89 Ebd. Nr. 247, S. 405. 90 Ebd. Nr. 248, S. 406. 91 Ebd. Nr. 249, S. 407, vgl. auch die Anm. zu Nr. 250, S. 408. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 235 <?page no="236"?> die reliquien so woll zugehörige testimonia . . . durch deroselben diener empfangen, auch solche irer kay. Mtt. unnserer allergnedigisten kaiserin . . . gehorsambist überantwort habe. 92 Über den Verbleib dieser Reliquie ist nichts bekannt. Sehr wahrscheinlich gelangte sie mit den zahlreichen anderen Heiltümern, welche die Kaiserin gesammelt hatte, in den Schatz des von ihr gestifteten Wiener Kapuzinerklosters. Forschungen zur Entstehung dieser Reliquiensammlung würden sicher noch weitere Hinweise zu Reliquienerwerbungen der Kaiserin Anna aus protestantischen Gebieten erbringen. Bekannt ist, dass die Kaiserin versucht hatte, die Reliquien der „ Unschuldigen Kindlein “ aus der Prager Bethlehemskapelle zu erhalten, nachdem diese 1609 den Böhmischen Brüdern übergeben worden war. 93 Anna wandte sich am 21. März 1614 an den Prager Erzbischof und den Altstädter Rat mit der Bitte, ihr die Reliquien zu übergeben, damit sie diese in ihrer Kapelle aufbewahren könne. 94 Da später von diesen für die Bethlehemskapelle seit ihrer Gründung wichtigsten Reliquien keine Rede mehr ist, wurde wohl auch diese Bitte erfüllt. Während die bisher vorgestellten Versuche zu Reliquienerwerbung aus lutherischen Territorien eher unbekanntes Material bieten, ist eine andere Reliquientranslation immer wieder Gegenstand von historischen Darstellungen gewesen. 95 Gemeint ist die Überführung der Gebeine des hl. Norbert von Xanten aus Magdeburg nach Prag im Jahre 1626/ 27. Nachdem die Bemühungen um die Kanonisierung des 1134 verstorbenen Magdeburger 92 Ebd. S. 408. 93 Vgl. Franti š ek Michálek Barto š , První století Betléma [Das erste Jahrhundert der Bethlehemskapelle], in: Betlémská kaple. O jejích de ˇ jinách a zachovaných zbytcích [Die Betlehemskapelle. Über ihre Geschichte und erhaltenen Überreste] (1922) S. 9 - 21. Ich habe Jan Hrdina (Prag) für Auskünfte zur einschlägigen tschechischen Literatur zu danken. 94 Nach Josef Petrán , Památky Univerzity Karlovy [Denkwürdigkeiten der Karlsuniversität] (1999) S. 101, Anm. 102 befindet sich eine Abschrift des Briefes im Archiv der Prager Universität, Hdsch. A 17 VI, 459 - 460. 95 Der offizielle Bericht zur Translation erschien bereits 1627 in Prag: Narratio translati e Saxonia in Boëmiam sacri corporis beatissimi viri, Norberti [. . .] (1627). Aus der Sicht des Ordens schilderte den Vorgang Charles Louis Hugo : La vie de S. Norbert Archevêque de Magdebourg et Fondateur de l'ordre des Chanoines Prémontrez (1704). Die Überführung ist besonders in der Magdeburger Stadtgeschichte immer wieder thematisiert worden: Johann Georg Leuckfeld , Antiquitates Praemonstratenses [. . .] (1721) bes. S. 20 - 29; Friedrich Wilhelm Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg, bearb. von G. Hertel / F. Hülße , Bd. 2 (1885) S. 96 f.; Albert Bormann / Gustav Hertel , Geschichte des Klosters U. L. Frauen zu Magdeburg (1885) S. 155 - 163; vgl. dazu den materialreichen Kommentar von Ernst Neubauer , Die Fortführung der Gebeine des Erzbischofs Norbert aus Magdeburg im Jahre 1626, Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 25 (1890) S. 15 - 46. Die jüngste zusammenfassende Darstellung mit einer ausführlichen Bibliografie bietet Kaspar Elm , Nobertus triumphans, in: Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg, hg. von den Magdeburger Museen (1995) S. 57 - 66. Hartmut Kühne 236 <?page no="237"?> Erzbischofs 1582 schließlich Erfolg hatten, richtete sich das Interesse des Ordens auf die Gebeine seines Patrons, die in der Stiftskirche Unser Lieben Frauen in Magdeburg ruhten. Einen ersten aber vergeblichen Versuch, die Reliquien nach Prag zu bringen, machte der Abt des Strahov-Klosters und spätere Prager Erzbischof Johann Lohelius mit Unterstützung einer Reihe katholischer Fürsten 1596. Sein Nachfolger als Abt, Kaspar von Questenberg, bemühte sich im Jahre 1604, die Auslieferung durch einen Befehl Kaiser Rudolphs II. durchzusetzen, dem sich aber sowohl das Domkapitel als auch der Rat der Alten Stadt Magdeburg widersetzen. 96 Im Dreißigjährigen Krieg bot sich eine neue Möglichkeit, die Reliquien zu erlangen, nachdem Albrecht von Wallstein im Jahre 1625 das Erzstift Magdeburg besetzt hatte. Im November 1625 nutzte von Questenberg die Gelegenheit der Krönung des Prinzen Ferdinands III. zum ungarischen König in Ödenburg, um vom Kaiser Unterstützung für den Plan einer Reliquientranslation nach Prag zu erlangen. Daraufhin forderte Ferdinand II . am 29. November 1625 das Magdeburger Domkapitel, den Propst des Klosters Unserer Lieben Frauen und den Magdeburger Rat brieflich auf, die Reliquientranslation nicht zu behindern. Zugleich verlangte er von Albrecht von Wallenstein und dessen General Aldringer , das Vorhaben des Prager Abtes zu unterstützen. Als von Questenberg begleitet von Wallensteins Feldmarschall Rambaldo, Graf von Collalto 97 im Februar 1626 in Magdeburg eintraf, war das Gelingen von verschiedenen Interessen abhängig. Es war dem Rat gelungen, sich aus dem militärischen Konflikt des dänischniedersächischen Krieges herauszuhalten, so dass die Stadt nicht von fremden Truppen besetzt war. An dieser Neutralität wollte der Rat weiterhin festhalten und daher das Wohlwollen des Kaisers nicht gefährden. Im Gegensatz dazu hatte sich der das Erzstift formell regierende Administrator Christian Wilhelm auf die dänische Seite gestellt und beeinflusste die Verhandlungen durch eine ständige Gesandtschaft in der Stadt. Das Domkapitel hielt sich hingegen gar nicht in der Stadt, sondern in Wittenberg auf. Der kleine Konvent des Prämonstratenserstiftes war gemischt konfessionell und wurde seit 1614 von dem lutherischen Propst Bartholomäus Jacobi geleitet, der Magdeburg im Frühjahr 1626 verlassen hatte. 98 Vor diesem Hintergrund war die grundsätzliche Zustimmung des Rates zu dem Vorhaben nicht verwunderlich. Allerdings besaß der Rat über die Domimmunität, in der auch die Stiftskirche mit dem Grab Norberts lag, keine Jurisdiktionsgewalt. Daher verhandelte General Aldringer mit einer Dele- 96 Bormann, Hertel, Geschichte (wie Anm. 95) S. 156. 97 Zur Person vgl. Arno Duch , Collalto, Rambaldo Graf von, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957) S. 320 - 322. 98 Zum Konvent vgl. Christoph Römer , Die Magdeburger Prämonstratenser 1524 - 1632 - ein isolierter Konvent im konfessionellen Zeitalter, in: Kloster Unser Lieben Frauen (wie Anm. 95) S. 101 - 118 mit der älteren Literatur. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 237 <?page no="238"?> gation des Domkapitels, das sich zunächst auf die Position zurückzog, in dieser Sache nur gemeinsam mit dem Administrator entscheiden zu können. Während der Verhandlungen mit Rat und Domkapitel scheint sich in der Stadtbevölkerung eine Stimmung durchgesetzt zu haben, welche die Auslieferung der Reliquien zu verhindern drohte, da die Stadt nicht erobert werden [könne], so lange sie einen Heiligen in ihren Mauern berge. 99 Nachdem das Domkapitel sich wohl am 23. März 1626 100 zur Herausgabe der Reliquien bereit erklärte, und Kaspar von Questenberg um den 26. März wieder in Magdeburg eintraf, warnten die lutherischen Geistlichen Magdeburgs am 27. März von den Kanzeln, die Gebeine nicht auszuliefern. Am 29. März richtete der Administrator einen Brief an die Magdeburger Bürgerschaft, in welchem er schrieb: Ich würde nichts lieberes sehen, als daß die Todten würden ruhig gelassen, will auch nicht hoffen, daß Bürgermeister und Rat die Gebeine etwa um einer Verehrung willen sollten herausgeben und die papistische Abgötterei damit unterstützen, welche von Euren Vorfahren so mannhaft widerfochten worden 101 . Dennoch widersetzte sich der Rat dem Vorhaben nicht. Daraufhin brach Kaspar von Questenberg in der Nacht des 30. März mit einer kleinen Gruppe Soldaten sowie einem Maurer und einem Schmied in das Kloster ein und präsentierte dem Konvent das zustimmende Schreiben des Domkapitels. 102 Diese versuchte Überrumpelung des Konvents, der Alarm schlug, endete aber in einem Tumult: Da war Püff und Stöß wohlfeil bei der Nacht, und mußten die Kaisrischen im Kloster fornan, da die conventuales des Sommers gespeiset werden, den engen Gang über Kopf und Ars hinunter tanzen, auch etliche über die Mauer springen 103 . Diesem Tumult konnte sich von Questenberg nur durch die Flucht in die Vorstadt entziehen. Der Konvent versuchte am nächsten Tag Unterstützung gegen die Reliquienerhebung in der Stadt zu mobilisieren. Da der Rat zunächst nicht bereit war, den Schutz des Kloster sicherzustellen, organisierte sich ein Art Bürgerwehr, die das Kloster Tag und Nacht bewachte. Unter diesen Umständen war an die Erhebung und Fortführung der Reliquien vorerst nicht zu denken. Erst nach der Schlacht bei Lutter am Barenberge, in der das kaiserliche Heer Christian IV. von Dänemark Ende August 1626 vernichtend schlug, wurde die Abhängigkeit Magdeburgs von der kaiserlichen Partei so drückend, dass man sich dem Wunsch zur Herausgabe der Reliquien nicht mehr wider- 99 Bormann/ Hertel , Geschichte (Anm. 95) S. 157. 100 Zu dem strittigen Datum vgl. Neubauer, Die Fortführung (wie Anm. 95) S. 27 und 34. Die Datierung erfolgt hier nach dem Neuen Stil des Gregorianischen Kalenders. Um Irritation zu vermeiden, ist zu beachten, dass die Magdeburger Quellen in der Regel noch nach dem Alten Stil datieren. 101 Zit. ebd. S. 28. 102 Vgl. ebd. S. 29 - 34. 103 Zit. ebd. S. 33. Hartmut Kühne 238 <?page no="239"?> setzen konnte. 104 Der Rat sagte dem neuerlich aus Prag angereisten Kaspar von Questenberg Sicherheit in der Stadt und völlige Unterstützung bei der Erhebung der Reliquien zu, woraufhin er am 2. Dezember 1626 die Stadt betrat. Am 3. Dezember gab der Konvent der Stiftskirche nach zweistündigen Verhandlungen den Widerstand gegen die Herausgabe der Reliquien auf. Das Grab des Ordensgründers wurde noch am selben Tag geöffnet, die Gebeine, Staub und der Ornat herausgenommen und verpackt. 105 Am folgenden Tag verließ Kaspar von Questenberg Magdeburg um zum Klosters Doxany zu reisen, wo man die Reliquien am 11. Dezember vorerst niederlegte, bevor sie am 1. Mai 1627 feierlich nach Prag eingeholt wurden. 106 Während man die Reliquien in Prag freudig begrüßte (Abb. 5), habe in Magdeburg der gemeine Man sehr geklagt und gesagt, dass man der Stad glück und heil habe mit hinweg genommen. Dann sie von ihren Voreltern gehöret, wann solche heilige leutt auss einem Ort hinweg genommen, das auch desselben ortts glück und wolfahrt hinweg genommen werde 107 . Der Eindruck des durch die Reliquientranslation eingetretenen Verlustes für die Identität der Stadt wurde nach der katastrophalen Zerstörung am 10. Mai 1631 wohl noch verstärkt. Dies bezeugt eine freilich erst im 19. Jahrhundert sicher fassbare Sage. 108 Danach hätten Magdeburger Wächter in der Walpurgisnacht 1627 einen geisterhaften weißen Leichenzug gesehen, der vom Kloster Unserer Lieben Frauen über den Alten Markt gefahren sei. Es war der Vorabend des triumphalen Einzugs der Reliquien des hl. Norbert in Prag. Auch später sei dieser Zug noch häufiger erschienen und hätte stets Unheil angekündigt; so auch am 1. Mai 1631, neun Tage vor der Zerstörung Magdeburgs. Weil die Wegführung der Reliquien des hl. Norbert aus Magdeburg in viel höherem Maße als die anderen zuvor geschilderten Vorgänge zu einer öffentlichen Angelegenheit wurde, lassen sich die unterschiedlichen Haltungen verschiedener Gruppen dazu deutlicher erkennen. Während der Rat und auch das evangelische Domkapitel der Translation relativ rasch zuzustimmen geneigt waren, organisierte sich der Widerstand in den Kreisen der lutherischen Geistlichkeit, im Konvent des Klosters und beim ‚ gemeinen Mannes ‘ . Die Begründungen für diese Ablehnung lagen auf verschiedenen Ebenen und waren doch miteinander verzahnt. Zum 104 Vgl. Bormann/ Hertel , Geschichte (wie Anm. 95) S. 159 f. 105 Das notarielle Protokoll über den Vorgang, an dem auch zwei Magdeburger Ratsherren teilnahmen, ist gedruckt bei Leuckfeld , Antiquitates (wie Anm. 95) S. 42 - 50. 106 Vgl. Elm , Norbertus (wie Anm. 95) S. 60 f. 107 Philipp Klimesch , Zacharias Bandhauer ’ s deutsches Tagebuch der Zerstörung Magdeburgs 1631, Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen 16 (1856) S. 239 - 319, hier S. 249. 108 Johann Georg Theodor Grässe , Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 1: Provinz Sachsen und Thüringen (1868) Nr. 298. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 239 <?page no="240"?> einen ging es der lutherischen Geistlichkeit vor allem darum, die papistische Abgötterei mit der Herausgabe der Reliquien nicht zu unterstützen. Zum zweiten war der Konvent des Klosters Unser Lieben Frauen in Sorge, dass durch den Verlust der Gebeine des Ordensgründers seine Rechte und Privilegien beschädigt würden. In der Bevölkerung scheint sich aber auch eine Beziehung zu dem heiligen Stadtpatron artikuliert zu haben, die es so im Spätmittelalter in Magdeburg gar nicht gegeben hatte. Gerade dieses letzte Phänomen lässt sich quellenmäßig schlecht fassen, da sich in den tumultarischen Meinungsäußerungen und der spontanen Bewachung des Kloster auch antikaiserliche Stimmungen und eine Unzufriedenheit mit dem Ratsregiment ausdrücken, die 1630 in Magdeburg schließlich zum Sturz des Ratsregiments führten. Trotz dieser komplexen Motive ist nicht zu leugnen, dass es bei den Bürgern der damals seit fast einhundert Jahren protestantischen Stadt Widerstand gegen den Verlust dieser Reliquien gab. Abb. 5: Schaumünze auf die Überführung der Gebeine des hl. Norbert nach Prag im Mai 1627; Kulturhistorisches Museum Magdeburg, Med 1595. Vielleicht in eine ähnliche Richtung weist ein merkwürdiger Sachverhalt: Noch kurz vor der Zerstörung Magdeburgs wurde 1631 der gesamte Schatz der Magdeburger Kathedrale durch den Administrator Christian Wilhelm zu Geld gemacht. 109 Davon waren auch die letzten in der Domkirche 109 Richard Heinrichs , Die Aufhebung des Magdeburger Domschatzes durch den Administrator Christian Wilhelm von Brandenburg im Jahre 1630 (1897). Hartmut Kühne 240 <?page no="241"?> verbliebenen Reliquiare betroffen. 110 Dennoch tauchen am Ende des 17. Jahrhunderts in der Magdeburger Domkirche Reliquien auf, die sich vermeintlich schon immer im Dom befanden, weil sie ‚ aus dem Papsttum ‘ stammen sollen. So wurden in der sog. Pilatus-Kapelle jene Leiter gezeigt, auf welcher der Hahn bei der Verleumdung Petri gekräht habe, die Lampe, die Judas bei der Gefangennahme Christi trug, und das Handwaschbecken des Pilatus. 111 (Abb. 6) Abb. 6: Angebliche Reliquien in der sog. Pilatus-Kapelle der Magdeburger Domkirche; Holzschnitt aus: Eigendliche Beschreibung Der Welt-berühmten Dom-Kirchen zu Magdeburg [. . .] (1689), Bl. B3 r. Bei den hier zusammengestellten Zeugnissen handelt es sich um Nachrichten und Funde, denen eine gewisse Zufälligkeit nicht abzusprechen ist. Erst wenn eine dichtere Überlieferung zur Abgabe oder auch der Bewahrung von Reliquien aus den lutherischen Gebieten vorliegt, wird man die Motive und die mit diesen Objekten verbundenen Imaginationen angemessen beurteilen können. Einen in diesem Zusammenhang interessanten Komplex von Nachrichten über die Beschaffung von Reliquien am Hof des Braunschweiger Herzogs August d. J. Braunschweig-Lüneburg für den bayerischen Herzog Wilhelm V. in der Zeit zwischen 1613 - 1616 hat Birgit 110 Vgl. Hartmut Kühne , Reliquien und Reliquiare des Magdeburger Domes im 13. Jahrhundert. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit, Bd. 1: Essays, hg. von Mathias Puhle (2009) S. 181 - 191. 111 Eigendliche Beschreibung Der Welt-berühmten Dom-Kirchen zu Magdeburg [. . .] (1689) Bl. B3r - B3v. ‚ Die Verkaufung der Götzen? ‘ 241 <?page no="242"?> Heilmann kürzlich zusammengestellt. 112 Trotz der durch die Grenzen unseres bisherigen Wissens gebotenen Zurückhaltung 113 scheint es mir aber sehr wahrscheinlich zu sein, dass erst die Aufklärung des 18. Jahrhunderts und vor allem die Neuprägung der protestantischen Frömmigkeit im 19. Jahrhundert die lutherische Konfession fast völlig von jenen Bestandteilen ‚ reinigte ‘ , die ihr den Umgang mit Reliquien einst zu einem Problem machten, bei dem das irdische Heil und die himmlische Seligkeit auf dem Spiel stehen konnten. Resumen: ¿La venta de los ídolos? Translaciones de reliquias después de la Reforma. Esa aportación se dedica a dos preguntas con relación al trato con reliquias al principio de la época moderna. Mediante unos verbigracias ejemplarmente elegidos, el autor quiere investigar, de qué manera las reliquias eran destrozadas o conservadas durante la Reforma en Alemania Central. Además examina la translación de reliquias de regiones luteranas durante los siglos XVI y XVII. Por mucho el protestantismo luterano no se comportó tan drástico en contra de las reliquias como la Reforma alta alemán superior. En cambio estaba marcado ostensiblemente por continuidad. Mientras unas fuentes documentan reservas con respecto al aniquilamiento de relicarios y sepulturas de santos, las pruebas de medidas de los presidentes regionales luteranos contra antiguos lugares de peregrinación muestran la destrucción de las sepulcros. Raramente se puede descubrir en estos testimonios el paradero de las reliquias allí conservadas. Sin embargo se perfila que las osamentas por regla general eran inhumadas de nuevo que se las destruyó solo en algunos casos. El autor se basa en que las reliquias quedaron sin ser estorbadas durante la Reforma. Se lo demuestra con fuentes sobre sepulturas conservadas de la época moderna. Los ejemplos de las exportaciones de reliquias en regiones luteranas documentan tanto el interés de los católicos en posesionar de las reliquias conservadas de las regiones protestantes como frecuentemente una posición negativo de los protestantes contra la enajenación. La corte del emperador aparece como interesado especial. Se destacan motivos diversos por la negación de entregarles. En el caso del príncipe elector sajón se puede observar el rechazo del sacrilegio religioso conectado con eso. El ejemplo de la ciudad Magdeburgo con la osamenta de Norberto de Xanten muestra el resentimiento de apoyar la idolatría papista con la entrega, la preocupación por una pérdida de privilegios por el monasterio conservatorio y también un ambiente anticlerical durante la Guerra de Treinta Años. Aunque los ejemplos enumerados muestran alguna casualidad, se manifiesta claramente la función conservadora del protestantismo luterano. La impresión contraria se produce especialmente por las tendencias derandas de los siglos XVIII y XIX. 112 Birgit Heilmann , Aus Heiltum wird Geschichte. Der Gandersheimer Reliquienschatz in nachreformatorischer Zeit (2009) S. 77 f. 113 Erst nach Abschluss des Satzes wurde der Verfasser darauf aufmerksam, dass Erzherzog Matthias von Österreich und sein Bruder Ernst in den Jahren 1592/ 93 bei dem Rat der Stadt Rostock Reliquien des Rostocker Zisterzienserinnenklosters Heilig Kreuz erbaten, vgl. Kristina Hegner u.a., Kunst und Reformation. Ausstellungskatalog Staatliches Museum Schwerin (1999) S. 16. Hartmut Kühne 242 <?page no="243"?> Abbildungsnachweise Robert Plötz: De miraculi totus plenus conchilibus genesi et traditione. Die Mirakelerzählung von der Jakobus-Muschel und die Verehrung des Jacobus Maior auf der iberischen Halbinsel Abb. 1: Camerino/ Marche, Museo Diocesano; mit frdl. Genehmigung des Museums. Abb. 2: Pilgermuschel, Ausgrabungsfund aus dem Längsschiff der Kathedrale von Santiago de Compostela, Museo de las Peregrinaciones Santiago de Compostela. Jan van Herwaarden: Lieder und Pilger. Einige Erwägungen anhand des Mittelniederländischen Liederhorts Abb. 1: Amsterdam, Rijksprentenkabinet. Abb. 2: UB Ghent, BHSL.HS. 0901/ 1, f. 52 - 53, Handboek met kalender, Latijnse en Nederlandse uittreksels, berijmingen, refreinen, Ghijselers, Antonius, manuscript 16th Century; mit freundlicher Genehmigung der UB Ghent. Abb. 3 - 5: Foto: Herwaarden. Abb. 6: Berlin, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie; mit freundlicher Genehmigung der Gemäldegalerie. Abb. 7: Teilwiedergabe nach August Essenwein , Die Holzschnitte des 14. und 15. Jh.s im Germanischen Museum zu Nürnberg (1875) T. 51, Nr. 80. Abb. 8: Berlin, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Bode Museum, Inv.-Nr. 7054; mit freundlicher Genehmigung des Museums. Abb. 9: Druck Basel 1550, Bl. DCXXIIIJ, Ausschnitt. <?page no="244"?> Christian Popp: Konkurrenz für Santiago de Compostela? Die Verehrung des Kopfes des hl. Jakobus in Jerusalem Abb. 1: Foto: Julia Smith Abb. 2: http: / / www.forum-orthodoxe.com/ images/ stmartindetours.jpg [August 2014] Bruno Reudenbach: Reliquien in Bewegung - eine Formaufgabe für Reliquiare? Abb. 1 - 2: 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Beiträge zum Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, hg. von Christoph Stiegemann / Matthias Wemhoff (1999) S. 519. Abb. 3 und 6: Anton Legner, Reliquien in Kunst und Kult. Zwischen Antike und Aufklärung (1995) Taf. XIV, Taf. IV. Abb. 4: Jean Hubert / Jean Porcher / W. Fritz Volbach , Die Kunst der Karolinger von Karl dem Großen bis zum Ausgang des 9. Jahrhunderts (1969) S. 248, Abb. 194. Abb. 5: Ornamenta Ecclesiae: Kunst und Künstler der Romanik. Ausstellungskatalog Schnütgen-Museum, Köln, hg. von Anton Legner (1985). Jürgen Bärsch: Gottesdienstliche Feiern um Gräber und Reliquien von Heiligen im Mittelalter. Beobachtungen aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive Abb. 1: Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kults vom frühen Christentum bis zur Gegenwart ( 2 1997) Abb. 2. Abb. 2: Arnold Angenendt , Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zum 70. Geburtstag, hg. von Thomas Flammer und Daniel Meyer (Ästhetik - Theologie - Liturgik 35, 2 2005) S. 291. Enno Bünz: ein silbern bilde des grossen sant Jacobs - Fürstliche Reliquiensammler des Spätmittelalters, insbesondere in Mitteldeutschland Abb. 1 - 2: Das Hallesche Heiltumbuch von 1520. Nachdruck zum 450. Gründungsjubiläum der Marienbibliothek zu Halle, hg. und mit einem Nachwort versehen von Heinrich L. Nickel (2001). Abb. 3 - 4 und 6 - 7: Wittemberger Heiligthumsbuch, illustriert von Lucas Cranach d. Aelt., Wittemberg in Kursachsen 1509 (Liebhaber-Bibliothek alter Illustratoren in Facsimile-Reproduction, 1884). Abbildungsnachweise 244 <?page no="245"?> Abb. 5: Nürnberg - Kaiser und Reich (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 20, 1986) Tafel nach S. 60. Hartmut Kühne: Die Verkaufung der Götzen? Reliquientranslationen nach der Reformation Abb. 1 - 2: Foto: Kühne. Abb. 3: Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden, Mscr. Dresd. 3 d Bl. 144 v. Abb. 4: Kunstsammlung der Veste Coburg, Inv. Nr. XIII,337,160. Abb. 5: Kulturhistorisches Museum Magdeburg, Med 1595. Abb. 6: Eigendliche Beschreibung Der Welt-berühmten Dom-Kirchen zu Magdeburg [. . .] (1689), Bl. B3 r. Leider war es nicht in allen Fällen möglich, die Inhaber der Bildrechte zu ermitteln. Wir bitten deshalb gegebenenfalls um Mitteilung. Der Verlag ist bereit, berechtigte Ansprüche abzugelten. Abbildungsnachweise 245 <?page no="246"?> Register der Orts- und Personennamen Bearbeitet von Mai-Britt Wiechmann und Katharina Knesia, Göttingen Das Register erfasst neben dem Haupttext auch alle Namen aus den Anmerkungen, sofern sie nicht in bibliographischen Angaben enthalten sind. Nicht berücksichtigt sind moderne Autoren, Namen in spanischen Zusammenfassungen, Bildlegenden und Karten. Namen mittelalterlicher Personen werden unter dem Vornamen geführt. Datenangaben beziehen sich bei Amtsträgern auf die Regierungsnicht auf die Lebenszeit. Bei allen anderen Personen werden - falls nicht anders vermerkt - die Lebensbzw. Geburts- oder Sterbedaten genannt. A. Abtei amt. amtierte Bf. Bischof bibl. biblisch Btm. Bistum dt. deutsch Dtl. Deutschland Ebf. Erzbischof Ebt. Erzbistum ehem. ehemalig Ehzg. Erzherzog Fl. Fluss Ft. Fürst Gr. griechisch Hl. Heilige / Heiliger Hptst. Hauptstadt Hzg. Herzog Jh. Jahrhundert Kbf. Kardinalbischof Kg. König Kgn. Königin Kgr. Königreich Kf. Kurfürst Kl. Kloster Ks. Kaiser Ksn. Kaiserin L. Landschaft lat. lateinisch Lgfn. Landgräfin Mgf. Markgraf O. Ort OT Ortsteil P. Papst Pr. Provinz Reg. Region röm. römisch V. Viertel <?page no="247"?> A A Coruña, O. (Spanien) 19, 107, 109 Anm. 20, 111, 113, 118 Adam, bibl. 85 Adso von Montier-en-Der, Hagiograph des Bercharius 156 Aepinus, Johannes (1499 - 1553), Hamburger Reformator 233 Agricola, Georg (1494 - 1555), Renaissance-Gelehrter 229 Ägypten 80, 123, 208 A Lanzada, OT v. Sanxenxo (Spanien) 28 Alberich von Ostia (1080 - 1148), Kbf. 130 Alberts, Jan (Halewijn-Lied) 87 Albrecht der Beherzte, Hzg. v. Sachsen (1464 - 1500) 199 Albrecht V., Hzg. v. Bayern (1550 - 1579) 227 Albrecht von Brandenburg, Ebf. v. Magdeburg und Mainz, Kardinal (1518 - 1545) 179, 190 Anm. 15, 191, 192, 194, 196 - 199, 218, 218 Anm. 11 Alcobaça, O. (Portugal), ehem. Zisterzienserkl. 32 - 33, 35, 52 Aldringen (Aldringer), Johann von (1588 - 1634), General Wallensteins 237 Alexander VII., P. (1655 - 1667) 23 Alfons I., Kg. von Aragón (1104 - 1134) 30 Anm. 49, 32 Anm. 58 Alfons III. 40 Alfons V., Kg. von Aragón (1416 - 1458) 34 - 35 Alfons VI., Kg. von León (1065 - 1109) 18 Alfons X., Kg. von Kastilien (1252 - 1282) 33 - 34, 67 - 69 Alphäus, bibl., Vater d. Jakobus 138 Altfrid, Hl. 181 Amarus, Abt von Tuy 18 Amiens, O. (Frankreich), Kathedrale 173 Amsterdam, O. (Niederlande), Schauburg (Stadsschouwburg) 94 Anna von Österreich-Tirol, röm.-dt. Ksn. (1612 - 1618) 235 - 236 Anna, Hl., bibl. 96, 201 Antiochia, O. (heute Antakya, Türkei) 18 Antwerpen, O. (Belgien) 78, 80, 81 110, 113 Anm. 32 Apulien (Puglia), Reg. (Italien) 24, 27 Aragón, Kgr. 34, 50 Armagnac, Reg. (Frankreich) 71 Arnold von Harff (1471 - 1505), Pilger 123 - 125, 137 Arras, O. (Frankreich), Benediktinerkl. des hl. Vedastus (Saint-Vaast) 125, 126, 137, 143 Aschaffenburg, O., Stift 199 Asego, Pilger 96 Astiguarragua (Astigarraga), O. (Spanien) 57 Atlantik 15 Augsburg, O. (Dtl., Bayern) 102, 115, 222 - St. Ulrich und Afra, Benediktinerkl. 211 Anm. 75 Augustinus von Hippo (354 - 430), Hl. und Kirchenlehrer 65 August, Kf. v. Sachsen (1553 - 1586) 223, 227, 228 August d. J., Hzg. v. Braunschweig- Lüneburg (1635 - 1666) 241 Aureus (gest. um 436/ 451), Hl. und Märtyrer 172 Azcona, Juan de (16. Jh.), Geistlicher 32, 32 Anm. 56, 52 B Bad Münder, O. (Dtl., Niedersachsen) 216 Balduin II., Kg. v. Jerusalem (1118 - 1131) 131 Balduin III., Kg. v. Jerusalem (1143 - 1162) 131 Balkan, Halbinsel 50 Bamberg, O. u. Btm. (Dtl., Bayern) 166, 167 Anm. 21, 170 Anm. 34 Barnabas (1. Jh.), Apostel, Hl., bibl. 124 Barnaba, Giovanni Battista 23 Bari, O. (Italien) 24 Bartholomäus (1. Jh.), Apostel, Hl., bibl. 179 Basel, O. (Schweiz) 72, 73 Anm. 22, 128 Anm. 21 Register der Orts- und Personennamen 247 <?page no="248"?> Basilius der Große von Caesarea (um 330 - 379), Hl. 174 Beckmann, Otto (um 1476 - 1540), Theologe 207 Belorado, O. (Spanien) 91 Benno (um 1010 - 1106), Bf. von Meißen 218, 221, 223 - 224, 227 - 228 Bercharius (7. Jh.), Klostergründer von Montier-en-Der, Hl. 156 - 157 Berenguel de Landoria (Bérenger de Landore), Ebf. von Santiago (1322 - 1330) 46 Bergedorf, OT v. Hamburg (Dtl., Hamburg) 233 Berlin, O. (Dtl., Berlin), ehem. Schloss 194 Bernardo de Brihuega (13. Jh.), Kanoniker in Sevilla 33, 49 Bernhard III., Hzg. v. Sachsen (1180 - 1212) 149 Bernhard von Angers (10./ 11. Jh.), Geistlicher 152 Bernhard von Breidenbach (um 1440 - 1497), Mainzer Domherr 142 Bernward, Bf. v. Hildesheim (993 - 1022), Hl. 185 - 187 Blaubart, Märchenfigur 86, Anm. 20 Boccaccio, Giovanni (1313 - 1375), italienischer Humanist 44 Böhmen, Kgr. 91 Bologna, O. (Italien) 69 - San Giacomo Maggiore 69 Bona von Pisa (um 1156 - 1207), Hl. 27 Bonn, O. (Dtl., Nordrhein-Westfalen) 74 Bouzas, O. (Spanien) 31 Braga, O. und Ebt. (Portugal) 19 Anm. 9, 41, 93, 93 Anm. 30, 135, Brandenburg, Btm. 179, 190 - 192 Brandt, Jobst vom (1517 - 1570), Heidelberger Student 71 Brindisi, O. und Pr. (Italien) 24 Brügge (Brugge), O. und Btm. (Belgien) 86, 110 - Onze Lieve Vrouweparochie 96 Brüssel (Bruxelles), O. (Belgien) 47 Anm. 122, 109, 176 Anm. 57 Burgkmair, Hans (1473 - 1531), Augsburger Maler 117 Burgos, O. (Spanien) 102, 108 - 109, 111, 113 Anm. 33, 114 Burgund (Bourgogne), Reg. (Frankreich) 110 Byzanz, s. Konstantinopel C Cadouin, A. (Frankreich) 124 Calixt II., P. (1119 - 1124) 135 Cambrai, O. (Frankreich) 69 Camerino, O. und Hzgt. (Italien) 49 - Diözesanmuseum 21, 23, 24 - Santa Maria in Via 23 - 24 Camiña/ Caminha, O. (Portugal) 55 Casimiro Romano, F. 22 Castellá Ferrer, Mauro (1567 - 1615), Autor 56 Cecilius, Jünger des Jacobus 18 Anm. 5 Celle, O. (Dtl., Niedersachsen) 185 - 186 - Stadtpfarrkirche 186 Ceres, griech. Göttin 95 Chartres, O. und Btm. (Frankreich), Dom 47 Anm. 122, 176 Christian IV., Kg. v. Dänemark (1588 - 1648) 238 Christian Wilhelm, Mgf. v. Brandenburg, Ebf. v. Magdeburg (1598 - 1631) 237, 240 Cirilio 18 Claudius, röm. Ks. 126 Clavijo, O. (Spanien) 50 Cluny, O. (Frankreich), Benediktinerkl. 93 Anm. 30 Collalto, Rambaldo Graf von (1579 - 1630), Feldmarschall Wallensteins 237 Conques, O. (Frankreich) 152 Conrad, guter (14. Jh.), Hl. 223 - 224 Cornelius (gest. 253), Papst, Hl. 178 Cranach d. Ä., Lukas (1472 - 1553), Maler 192, 201, 208 - 209 Craus/ Crauß, Stephan (Mitte 16. Jh.), Musiker 72 Cruziger (Cruciger), Kaspar (Caspar) (1504 - 1548) 222 Cyrill (Kyrill) von Alexandria (um 375 - 444), Patriarch v. Alexandria, Kirchenvater, Hl. 208 - 209 Register der Orts- und Personennamen 248 <?page no="249"?> D Dänemark 45 Danzig (Gdan´ sk), O. (heute Polen) 196 David, Kg. von Juda, bibl. 67 - 68 Deutscher Orden 221 Diego Gelmiréz, Ebf. von Santiago de Compostela (1124 - 1149) 41 - 42, 134, 135 - 136, 138, 143 Dietrich Kolde (Coelde) von Münster (1435 - 1515), Franziskaner und Prediger 82 Dionysius (3. Jh.), Bf. v. Paris, Hl. Märtyrer 167 Dominikus (um1170 - 1221), Hl. 91 Doxany (Doksany), O. (Tschechien), Prämonstratenserinnenkl. 239 Drei Könige, Hl., bibl. 171, 182 Dresden, O. (Dtl., Sachsen) - Sophienkirche 224 - Hauptstaatsarchiv 227 Dufay, Guillaume (1400 - 1474), Komponist 69, 70 Dünkirchen (Dunkerque), O. (Frankreich) 92 Dürer, Albrecht (1471 - 1528), Maler und Mathematiker 192 E Ebro, Fl. (Spanien) 30 Ecaussines d ’ Enghien, O. (Belgien) 114 Anm. 34 Eger (Cheb), O. (Tschechien), Klarissenkl. 228, 230 Eilenburg, O (Dtl., Sachsen) 228 Elbe, Fl. 190, 199, 223, 227 Eleutherius, Hl. 167 Elftausend Jungfrauen, Hll. 216 Eligius (um 589 - 559), Hl. 176 Elisabeth von Fürstenberg (von Solms- Braunfels) (1469 - 1540) 109, 112 Elisabeth von Thüringen, Lgfn. v. Thüringen (1221 - 1231), Hl. 212, 221 Ellefeldt (16. Jh.), lutherischer Prediger 220 England 107, 118, 220 Epkema, Ecco (1759 - 1832) 95 Eppendorf, OT v. Hamburg (Dtl., Hamburg) 232 - Zisterzienserinnenkl. 232 Erasmus (um 240 - 303), Bf. von Antiochia, Hl., Märtyrer 192, 194 Erasmus von Rotterdam (um 1467 - 1536), Humanist 98 Erce y Jimenez, Miguel de, Hofkaplan und Domkapitular aus León 22 Ernst, Kf. v. Sachsen (1464 - 1486) 190 Ernst, Ebf. v. Magdeburg (1476 - 1513) 190, 192, 194, 199 Essen, O. (Dtl., Nordrhein-Westfalen), Frauenstift 174 - 175, 177 - 178, 181 Eufrasius, Jünger des Jacobus 18 Anm. 5 Eva, bibl. 84 F Fabri (Schmid), Felix (1438 - 1502), Ulmer Dominikaner 27 Falmouth, O. (England) 112 Färöer, Inseln (Dänemark) 16, 19, 45, 53 Ferdinand II., röm.-dt. Ks. (1619 - 1637) 237 Ferdinand III., röm.-dt. Ks. (1637 - 1657) 237 Ferdinand II., Kg. v. Aragón (1479 - 1516) 109 - 111, 114, 118 - 119 Ferdinand II., Ehzg. von Österreich, Ft. v. Tirol (1564 - 1595) 74 Fernando de Aguilar (15. Jh.), Abt des Zisterzienserkl.s Santa María de Aquilar de Campoó 34 Fides von Agen, Hl. 152 Firmin, Hl. 173 Flandern, Reg. (Belgien) 47 Anm. 121, 109, 110, 125, 137 Flavius, Schüler des Cirilus 19 Fleury, O. (Frankreich), Benediktinerkl. 42 Forcella, Vincenzo (1837 - 1906) 22 Forster, Georg (1510 - 1568), Arzt und Komponist 71 Franeker, O. (Niederlande) 92, 95 - 99 Frankfurt a. M., O. (Dtl., Hessen) 92 Frankreich 69 Anm. 16, 123, 159, Franziskaner/ Minoriten 186, 196, 205, 211, 224 Freiburg i. Br., O. (Dtl., Baden-Württemberg), Münster 53 Frey, Peter (1. H. 16. Jh.) 102, 106 - 109, 111, 112, 114 - 119 Register der Orts- und Personennamen 249 <?page no="250"?> Freydinger, Bernhard, Sekretär Hzg. Heinrichs 113 Anm. 32 Fritzlar, O. (Dtl., Hessen), Franziskanerkl. 43, 91, 196 Friedrich III. (der Weise), Kf. v. Sachsen (1486 - 1525) 196, 199, 201 - 203, 205 - 211, 218 Friedrich II. (d. Ä.), Hzg. v. Braunschweig-Lüneburg, Ft. v. Lüneburg (1434 - 1457 sowie 1472 - 1478) 185 - 186 Friedrich IV. (1384 - 1440), Mgf. v. Meißen, Lgf. v. Thüringen (1406 - 1440) 199 Friedrich von Hallem (12. Jh.), Abt von Mariëngaarde 96 Fröschel, Sebastian (1497 - 1570), lutherischer Theologe 223 Froschauer, Hans (um 1500), Augsburger Drucker 102 Fugger, Jakob (1459 - 1525), Kaufmann und Bankier 53 Fulko V. von Anjou, Kg. v. Jerusalem (1131 - 1144) 131 G Galgenberg, Berg in Cham (Dtl., Bayern) 29 Galicien, Reg. (Spanien) 15, 18 Anm. 5, 20 Anm. 11, 25, 31, 40, 42, 44, 45, 47, 48 Anm. 125, 55, 108, 111, 123, 124, 127, 129, 133, 134, 136, 138, 140, 141, 143 Gandersheim, O. (Dtl., Niedersachsen), Stift 172, 179 García I. (871 - 914), König von León 45 Gelasius II. (um 1060 - 1119), Papst 135 Gembloux, O. (Belgien) 42 Gent, O. (Belgien), Universitätsbibliothek 78, 89 Anm. 25, Georg der Bärtige, Hzg. v. Sachsen (1500 - 1539) 222 Giovenale von Orvieto (1. H. 15. Jh.), Künstler 22, 22 Anm. 15, 49, 53 Gotha, O. (Dtl., Thüringen) 221 - Thüringisches Staatsarchiv 187 Anm. 7 Granada, O. (Spanien) 109, 114 Greff, Paul, Chronist 228 Anm. 67, 230 Gregor VII., P. (1073 - 1085) 18 Gregor VIII., Gegenp. (1118 - 1121), s. Mauritius Burdinus Gregor III. Pahlawuni (gest. 1166), Katholikos der Armenischen Kirche 130 Grell, Elisabeth, Äbtissin von Wasserleben (1602 - 1615) 235 Griechenland 16 Groningen, O. (Niederlande) 87 Guadalupe, O. (Spanien) 113 Gualdi, Francisco (1574-um 1657), röm. Sammler 22 Guernes de Pont-Sainte-Maxence (12. Jh.), Dichter und Kleriker 25 Anm. 34 Guiman, Mönch von Arras und Verfasser des Cartulaire 125, 137, 138 Guldenmundt, Hans (gest. 1560), Nürnberger Drucker 73 Gunzinger, Christoph (1614 - 1673), Prälat in Wiener Neustadt 28 H Halberstadt, O. und Btm. (Dtl., Sachsen- Anhalt) 149, 188, 196, 235 Halle/ Saale, O. (Dtl., Sachsen) 190 - 192, 197, 199, 201, 210, 218 - Dom, später Stiftskirche 194 - Dominikanerkl. Heilig Kreuz, später Kollegiatstift 191, 201 - Moritzburg 190 - 192 - Neues Stift 199, 218 Hamburg, O. und Btm. (Dtl., Hamburg) 232, 233, 235 Hamelspringe, O. (Dtl., Niedersachsen) 216 Hampton, O. (England) 107 Harvestehude, OT v. Hamburg, Zisterzienserinnenkl. 232 Hattem, O. (Niederlande) 92 Heer Albert, s. Herr Halewijn Herwaarden Heidelberg, O. (Dtl., Baden-Württemberg) 71 Heiliges Land, s. Palästina Heine, Heinrich (1797 - 1856), Dichter 73 Heinrich VII., Kg. v. England (1485 - 1509) 107 Register der Orts- und Personennamen 250 <?page no="251"?> Heinrich VIII., Kg. v. England (1509 - 1547) 220 Heinrich der Fromme, Hzg. v. Sachsen (1539 - 1541) 113 Anm. 32, 194, 222, 223 Heinrich von Ahorn 46 Heinrich Preisinger von Wolnzach (2. V. 14. Jahrhundert) 106 Anm. 13 Helena (um 248 - 330), Hl., Mutter Konstantins d. Gr. 158, 229 Helmarshausen, O. (Dtl., Hessen), Benediktinerkl. 207, 208 Hermann von Fritzlar (Hermannus de Fritschelar) (gest. nach 1349), Mystiker 43, 91 Herodes Agrippa I. (10 v. Chr.-44 n. Chr.), Kg. von Judäa und Samaria 123, 126 - 128, 143 Herr Halewijn (Halewijn-Lied) 86 - 87 Hersfeld, O., (Dtl., Hessen) 207 - 208 - Benediktinerkl. 208 Hesequius, Jünger des Jacobus 18 Anm. 5 Het Bildt, O. (Niederlande) 97 Hezir (Chezir), bibl. 138, 138 Anm. 55 Hildesheim, O. und Btm. (Dtl., Niedersachsen) 185, 187 - St. Michael 185 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich (1798 - 1874), Germanist und Dichter 82 Holk, Heinrich (Henrik Greve Holk) (1599 - 1633), dänischer Offizier 232 Holland 94, 106 Anm. 13, 107 Holofernes, bibl. 85, 86 Huiuff, Hans (1. H. 16. Jh.), Goldschmied in Halle 197 Hulst, Coenraad van (1774 - 1844), niederländischer Schauspieler 94 Hupfuff, Matthias (gest. 1520), Straßburger Drucker 116 I Iberische Halbinsel 15, 18, 18 Anm. 5, 40, 40 Anm. 96, 42, 47, 66, 67 Ichtershausen, OT v. Amt Wachsenburg (Dtl., Thüringen), Zisterzienserinnenkl. 187 Indalecius, Jünger des Jacobus 18 Anm. 5 Innominatus secundus (12. Jh.), Pilger ins Hl. Land 128 Innsbruck, O. (Österreich) 74, 125 Anm. 8, 220 Iria Flavia, Hafenstadt und ehem. Btm. (Spanien) 40, 43 Anm. 104, 44, 49 Isabella I. (1451 - 1504), Kgn. von Kastilien 109 Anm. 18, 110 Iubera, O. (Spanien) 58 Iudaea, röm. Pr. 126 Iustina von Padua (gest. um 304), Hl. und Märtyrerin 172 J Jacobi, Bartholomäus (1658 - 1703), Propst des Magdeburger Prämonstratenserkl.s 237 Jacobus d. Ä. (Jakob, Jacobus maior), Apostel, Hl., bibl. 15, 16, 18, 21, 21 Anm. 13, 23, 26, 27, 30, 31, 33, 36 Anm. 75, 39, 40, 41, 42, 45 - 51, 66, 68, 70, 71, 75, 82, 86, 89 - 92, 95, 96, 98, 101, 102, 107, 108, 112 - 114, 116, 118, 119, 123 - 129, 131, 133 - 141, 143, 144, 192, 194, 205 Jacobus d. J. (Jakob, Jacobus minor), Apostel, Hl., bibl. 42, 124, 137, 138, 139, 142 - 144, 149 Jacobus de Voragine (um 1228 - 1298), Dominikaner 24 Jacopo della Quercia (1367 - 1438), italienischer Bildhauer 70 Jaffa, O. (Palästina) 31, 44, 127, 133, 140, 141 Jan Alberts, s. Herr Halewijn Jean de Valois, Hzg. v. Berry (1356 - 1416) 124 Jerusalem, O. (Palästina) 18 Anm. 5, 24, 27, 39, 41, 92, 123, 125 - 127, 129 - 131, 133, 135, 136, 138 - 143, 148, 157 - 159, 213, 229 - armenische Kirche St. Jakobus 41, 127, 128, 129, 130, 133, 136, 140, 141, 142, 143 - Berg Zion 123, 127, 130 - Davidsturm 127 - Grabeskirche 125, 131, 132 Anm. 32 Register der Orts- und Personennamen 251 <?page no="252"?> - Kidrontal 139 - Kl. St. Maria 130 - Kl. St. Sabas 127 - Observantenkl. am Berg Zion 123 - Ölberg 126, 136 Jerusalem, lat. Kgr. 131 Johanna I., die Wahnsinnige, Kgn. v. Kastilien (1504 - 1555) 107, 110, 111, 118, 119, 119 Anm. 49 Johann der Beständige, Kf. v. Sachsen (1525 - 1532) 211 Johann I., der Siegreiche, Hzg. v. Brabant und Limburg (1267 - 1294) 106 Anm. 13, Johann Friedrich I. der Großmütige, Kf. und Hzg. v. Sachsen (1532 - 1547) 222 Johann Georg I., Ft. v. Anhalt-Dessau (1568 - 1618) 225 Johann VI. von Sahlhausen, Bf. v. Meißen (1487 - 1518) 228 Johann VIII. von Maltitz, Bf. v. Meißen (1537 - 1549) 223 Johann IX. von Haugwitz, Bf. v. Meißen (1555 - 1581) 227, 228 Johannes XXII. (1316 - 1334), P. 27 Anm. 39 Johannes Chrysostomos, Patriarch v. Konstantinopel (397 - 407), Hl. 196 Johannes von Würzburg (Wirceburgensis) (12. Jh.), fränkischer Kleriker und Jerusalempilger 41, 127, 128, 129, 138 Johannes a Bosco (gest. 1626), Cölestinermönch 42 Johannes, Apostel, Hl., bibl. 66 Johannes d. Täufer, bibl. 85, 85 Anm. 17, 86, 166 Josaphat, Kl. in Jerusalem 158 Juan de Burgos (um 1500), Autor 44 Judas, Apostel, Hl., bibl. 124, 241 Judith, Kgn., bibl. 85 Julius II., P. (1503 - 1513) 210 Anm. 73 K Kalykadnos (Göksu), Fl. (Türkei) 18 Karl d. Gr., Kg. des Frankenreiches und Ks. (768 - 814 und 800 - 814) 134 Anm. 41, 174 Anm. 48 Karl IV., röm.-dt. Ks. (1355 - 1378) 188, 188 Anm. 10 Karl V., röm.-dt. Ks. (1530 - 1558) 51 Anm. 135, 110, 206 Anm. 64, 220 Karlstein (Karl š tejn), Burg (Tschechien) 188 Kastilien, Reg. (Spanien) 18, 34, 67, 110, 111, 114, 136 Katalonien, Reg. (Spanien) 35 Kempen, O. (Dtl., Nordrhein-Westfalen) - Propsteikirche 23 Anm. 26, 90 Anm. 26 Kidrontal (Palästina), s. Jerusalem Köln, O. (Dtl., Nordrhein-Westfalen) 123, 171 Anm. 34, 178 Anm. 66, 179, 182, 187, 216 - Dom 171, 172, 181 - Stadtkirchen 179 - St. Aposteln 171 Anm. 34, 178 Anm. 66 Kolmatsch, Georg von (gest. 1552), hessischer Statthalter 221 Konrad von Krosigk, Bf. von Halberstadt (1201 - 1209) 149, 188 Konstantinopel (Byzanz/ Istanbul), O., Hptst. des oström. Reiches 50, 123, 146, 188, 229 Konstanz, O. und Btm. (Dtl., Baden- Württemberg) 206, 217 Konya, O. (Türkei) 18 Kumerstat, Hieronymus (16. Jh.), Domdekan in Meißen 227 - 228 Kumerstat, Theophil (16. Jh.), Hof- und Kammerrat des bayrischen Hzg.s Albrecht V. 227 Kunigunde (um 980 - 1033), Gemahlin Ks. Heinrichs II., Hl. 167 L La Coruña, s. A Coruña La Lanzada, s. A Lanzada Languedoc, Pr. (Frankreich) 71 Laredo, O. (Spanien) 111, 111 Anm. 27, 113 La Spezia, O. (Italien), Museo Civico Amedeo Lia 23 Laurentius (gest. 258), Diakon, Märtyrer, Hl. 131, 166, 180 Leipzig, O. (Dtl., Sachsen) 191, 194, 199 Leo X., P. (1513 - 1521) 192, 203 Register der Orts- und Personennamen 252 <?page no="253"?> Leo, P. (Identifizierung unsicher) 133, 134 León, O. (Spanien) 18, 22, 56, 114, 136 Leonard von Limoges (gest. 559), Hl. 131 Lepanto (Nafpaktos), O. (Griechenland) 50 Letzner, Johannes (1531 - 1613), evangelischer Pfarrer und Chronist 216 Lier, O. (Belgien) 110 Lilith, bibl. 84, 85 Anm. 16 Limburg a. d. Lahn, O. und Btm. (Dtl., Hessen) 197 Limburg, Pr. (Niederlande) 87 Limousin, Reg. (Frankreich) 158 Lissabon, O. (Portugal) 16, 17 Anm. 3, 33, 42 Anm. 102 Liudger (um 742 - 809), Bf. von Münster, Hl. 177 Loba, s. Lupa Loccum, O. (Dtl., Niedersachsen), Zisterzienserkl. 216 Lohelius, Johann (Jan Lohel), Prämonstratenserabt und Ebf. v. Prag (1612 - 1622) 237 Loots, Cornelis (1764 - 1834), Dichter 82, 94 Lothringen (Lorraine), Reg. (Frankreich) 23 Louis Aleman, Kardinal (1426 - 1450) 69 Ludwig von Hanstein, (um 1460 - 1516), Abt v. Helmarshausen 207, 208 Lupa, galicische Kgn. aus der Jakobuslegende 38 Lusitanien, ehem. Pr. (Spanien) 40 Luther, Martin (1483 - 1546), Reformator 17 Anm. 3, 72, 73, 98, 197, 200, 205, 210 - 212, 215, 217, 218, 220 Lutter am Barenberge, O. (Dtl., Niedersachsen) 238 Lützen, O. (Dtl., Sachsen-Anhalt) 230 M Magdeburg, O. (Dtl., Sachsen- Anhalt) 181, 190, 196, 199, 236 - 240 - Dom 170, 175, 176, 241 - Liebfrauenkl. (Kl. Unserer Lieben Frau), Prämonstratenserkl. 194, 237, 239 - Magdeburg, Ebt. 190, 196 - Erzstift 190, 199, 237 Mainz, O. (Dtl., Rheinland-Pfalz), Dom 172, 196 Malatesta, italienische Adelsfamilie 69 Mancini/ Massimi, röm. Adelsfamilie 22 Mancini de Lutiis, Iacobus (15. Jh.) 53 Mancini, Francesco Maria (1606 - 1672), Kardinal 23 Mansfeld, Brun (Bruno) III. von (1576 - 1644) 235 Marburg, O. 221, 224 - Deutschordenskirche 221 - Schloss 221 Margareta (gest. um 305), Hl. 95 Maria v. Spanien, röm.-dt. Ksn. (1548 - 1603) 228 Maria Theresia, röm.-dt. Ksn. (1745 - 1780) 233 Maria, Hzgn. von Burgund (1477 - 1482) 110 Maria, Mutter Jesu (Gottesmutter, Madonna, Hl. Jungfrau), Hl., bibl. 65 - 68, 85 Anm. 16, 91, 96, 112, 113, 166 Maria, Mutter des Johannes Markus, bibl. 127 Maria Magdalena, Hl., bibl. 190, 192 Maria Salome, bibl. 96 Marienberg, Benediktinerkl. (Italien) 187 Mariëngaarde, O. (Niederlande), Prämonstratenserkl. 96 Marken, Reg. (Italien) 21, 24 Markus (Johannes Markus), Apostel und Evangelist, Hl., bibl. 125, 127 Martène, Edmond (1664 - 1739), Benediktiner, Historiker und Liturgiker 177 Martin von Tours (um 316 - 397), Hl. 40, 66, 97, 131, 132, 177, 186 Martin Römer (1432 - 1483), Kaufmann und Amtshauptmann in Zwickau 228, 229 Maximilian I., der letzte Ritter, röm.-dt. Ks. (1508 - 1519) 108 Anm. 17, 109, 110, 112, 114, 115, 117 Mauritius (Moritz) (gest. um 290), Hl. 182, 192 Register der Orts- und Personennamen 253 <?page no="254"?> Mauritius Burdinus (Maurice Bourdin) (gest. 1137), Bf. v. Coimbra, Ebf. v. Braga, Gegenp. Gregor VIII. (1118 - 1121) 41, 42, 135, 136, 138 Meißen, O. (Dtl., Sachsen) 223, 224 - Dom 227 - Hochstift 222 Melcombe Regis, OT v. Weymouth/ Dorset, O. (England) 107 Melisende (Melisande) (1105 - 1161), Kgn. von Jerusalem 131, 133, 143 Menius, Justus (Jodocus Mening) (1499 - 1558), ev. Theologe und Reformator 223 Mergenthal, Hans (gest. 1488), Pilger 113 Anm. 32 Mérida, O. (Spanien) 40 Merkurius (um 224 - 250), Hl., Märtyrer 172 Minckwitz, Ehrenfried von (um 1600), Rat Ks. Rudolfs II. 233 Miño/ Minho, Fl. (Portugal/ Spanien) 15, 16, 20, 25, 40, 49, 52, 54 Moissac, O. (Frankreich) 82 Anm. 13 Molina, Licenciado Bartolomé (16. Jh.), span. Schriftsteller 52 Molinet, Jean (um 1435 - 1507), flandrischer Dichter und Chronist 112 Anm. 31 Monte Gargano, Gebirge (Italien) 27 Montier-en-Der, O. (Frankreich), Benediktinerkl. 156 Montserrat, Gebirge (Spanien) 113, 113 Anm. 33 Morales, Ambrosio de, Humanist (1513 - 1592) 44 Morphia von Melitene (gest. um 1126), Gemahlin Kg. Balduins II. von Jerusalem 131 München, O. (Dtl., Bayern) 227 - 228 - Frauenkirche 227 Münster, O. (Dtl., Nordrhein-Westfalen) - Dom 175 Münster, Sebastian (1488 - 1552), Kosmograph und Humanist 96 Myconius (Mecum), Friedrich (1490 - 1546), ev. Theologe und Reformator 221 - 222 N Neapel, O. (Italien) und Kgr. 34, 35, 114 Nevers, O. (Frankreich) 66 Niederlande 78, 96, 99, 110, 111, 118, 119 Nicolaus Bertrandus (16. Jh.), Autor 53 Nikolaus von Myra (3./ 4. Jh.), Bf. v. Myra, Hl. 149 Noalla, OT von Sanxenxo (Spanien), Nekropole 28 Noblat, s. Saint-Léonard-de-Noblat Norbert von Xanten (um 1080 - 1134), Gründer des Prämonstratenserordens, Hl. 236 Norwegen 45 Noyon, O. (Frankreich) Bärsch Nuhn, Johannes (1442 - 1523), Chronist 207, 208, 209 Nürnberg, O. (Dtl., Bayern) 73, 203, 210, 230 O Ödenburg (Sopron), O. (Ungarn) 237 Odilia (Halewijn-Lied) 87 Öglin, Erhart (1470 - 1520), Buchdrucker 72 Oliva (Opactwo Cystersów w Oliwie), Zisterzienserkl. (Polen) 194 Orléans, O. (Frankreich) 153 Othmayr, Caspar (1515 - 1553), ev. Theologe und Komponist 71 Otranto, O. (Italien) 50 Otto I., röm.-dt. Ks. (962 - 973) 181 - 182 Oviedo, O. (Spanien) 35 P Padrón, O. Spanien 42 Anm. 102, 43 Anm. 104 Palästina 36 Anm. 75, 41, 42, 45, 47, 47 Anm. 122, 93 Anm. 30, 123, 126, 127, 133, 140, 142, 143, 157, 158 Paris, O. (Frankreich) 188 - Sainte-Chapelle 188 Pau, O. (Frankreich) 23 Paulus, Apostel, Hl., bibl. 18, 131, 175 Pegau, O. (Dtl., Sachsen) Benediktinerkl. 194 Pelagius I., P. (amt. 556 - 561) 138 Anm. 54 Register der Orts- und Personennamen 254 <?page no="255"?> Perugia, O. (Italien) 24 - Kirche San Domenico 24 Petrejus, Johannes (1497 - 1550), Nürnberger Drucker 71 Petri, Adam (1454 - 1527), Basler Drucker 72 Petrus, Apostel, Hl., bibl. 18, 45, 46, 166, 241 Petrus Alfonsus, Abt von Sancta Maria de Carbonario 139 Petrus de Palude (um 1280 - 1342), Bf. v. Couserans 29 Anm. 48 Pfeffinger (Pfäffinger), Degenhard (1471 - 1519), Sekretär Friedrichs des Weisen 205 Philipp I., der Schöne, Kg. v. Kastilien und León (1505 - 1506) 106 - 115, 117 - 119 Philipp VI., Kg. v. Frankreich (1338 - 1350) 201 Philipp I., Lgf. v. Hessen (1509/ 18 - 1567) 221 Philipp I., Gf. v. Flandern (gest. 1191) 125, 137 Philipp, Apostel, Hl., bibl. 124, 138, 138 Anm. 54 Piacenza, Pilger von 126, 136 Pimenteles, Adelsfamilie 54, 55 Pontevedra, O. und Pr. (Spanien) 28, 43 Pontius Pilatus (1. H. 1. Jh.), Präfekt von Judäa und Samaria, bibl. 241 Porto, O. (Portugal) 49 Portugal 20, 31, 32, 40, 45 Prag, O. (Tschechien) 188, 228, 233, 235 - 237, 239 - Veitsdom 188 - Bethlehemskapelle 236 Prignitz, Reg. (Dtl.) 226 Primitivus (gest. spätes 3. Jh.), Hl. 172 Pyrenäen, Gebirge (Frankreich, Spanien) 52, 71 Q Questenberg, Kaspar von (1571 - 1640), Abt des Prämonstratenserkl. Strahov 237 - 239 R Raimundus Botardelli (12. Jh.), Schreiber in Saint-Sernin 158 Raimundus Peraudi (1435 - 1505) 202 Rainald von Dassel (um 1114 - 1167), Ebf. v. Köln 182 Regnart, Jacob (um 1540 - 1599), Hofkapellmeister d. röm.-dt. Ks.s 74 Rehden, Johann von (16. Jh.), hess. Landkomtur 221 Reinald (Renaud) (Halewijn-Lied) 86 Reuwich (Reeuwijk), Erhard (1450 - 1505), Utrechter Drucker 142 - 143 Rheinau, O. (Schweiz), Benediktinerkl. 179 Ribadeneira, Adelsfamilie Plötz Ricoldus a Montecruce (Ricoldo da Monte di Cruce) (um 1243 - 1320), ital. Orientmissionar 129 Riedesel, Johann VII. (1490 - 1550) 212 Anm. 82 Rimini, O. (Italien) 69 Rindfleisch, Peter (gest. 1535), Pilger und Autor 113 Anm. 32 Roland (Rolandslied) 86 Rollewijn (Halewijn-Lied) 87 Rom, O. (Italien) 16, 18, 21, 22, 24, 28, 30, 34, 39, 44, 46, 50, 53, 98, 123, 125, 135 Anm. 42, 138, 156, 166, 179, 190, 190 Anm. 14, 213, 223 - Lateran 179, 190 Anm. 14 - San Marco 179 - San Michele Arcangelo 22 - San Pietro 167 - Santa Maria in Aracoeli 22 - Santa Maria Maggiore 167 - Santa Maria Sopra Minerva 22 Anm. 14 - Sant ’ Anastasia al Palatino 167 - Santi Apostoli 138 Romano, Giulio (1499 - 1546), italienischer Maler und Architekt 53 Roncesvalles (Ronceval), O. (Spanien) 73 Rudolf II., röm.-dt. Ks. (1576 - 1612) 232 Rudolf I., Kf. v. Sachsen (1298 - 1356) 201 - 202 Register der Orts- und Personennamen 255 <?page no="256"?> Rusticus (gest. spätes 3. Jh.), Hl., Märtyrer 167 S Sachsen, Kurfürstentum 190 Saint-Benoit-sur-Loire, s. Fleury Saint-Denis, OT von Paris (Frankreich), Benediktinerkl. 167, 169, 170 Saint-Léonard-de-Noblat, O. (Frankreich) 131 Saint-Vaast, s. Arras Salome, bibl. 85 Salzburg, O. (Österreich) 229 Sancta Maria de Carbonario, Kloster 139 San Paio, (A Coruña, Spanien), Benediktinerkl. 43 Santa Maria del Campo, O. (Spanien) 108 Santa Marta de Tera, O. (Spanien) 30 Santander, O. (Spanien) 111 Santiago de Compostela, O. (Spanien) 15, 18, 20 - 21, 24, 25, 27, 28 - 31, 38, 40 - 41, 44, 46, 50 - 53, 57, 74, 78, 80 - 82, 84, 90 - 91, 94 - 97, 101 - 102, 107 - 108, 111 - 113, 118 - 119, 123 - 124, 134 - 139, 143, 194, 213 - Kathedrale 24 Anm. 28, 29, 38, 81, 84, 92, 134, 137, 139 - San Martín Pinario, Benediktinerkl. 21 Santo Domingo de la Calzada, O. (Spanien) 90 - 91 Santo Domingo de Silos, O., Benediktinerkl. (Spanien) 29 - 30 Sanudo d. Ä., Marino (um 1260 - 1338), venez. Geograph 141 San Zoilo de Carrión de los Condes (Spanien), Benediktinerkl. 42, 136 Sar, Fl. (Spanien) 39 Sargis, Bf. des armenischen Patriarchats in Jerusalem (1281 - 1313) 129 Saturninus von Toulouse (3. Jh.), Hl. 124, 159 Savoyen, Reg. (Frankreich) 71 Scheurl, Christoph (1481 - 1542), Jurist und Humanist 207 Schmalkalden, O. (Dtl., Thüringen) 211, 221 Schmidt, Tobias (1605 - 1659), Zwickauer Stadtchronist 230 Schumann, Peter (16. Jh.), Zwickauer Chronist 219, 228 Anm. 67 Schweden 45 Schweiz 71 - 72 Schwerin, O. (Dtl., Mecklenburg-Vorpommern), Dom 220, 226 Sebastian (3. Jh.), Hl. und Märtyrer 170 Segundus, Jünger des Jacobus 18 Anm. 5 Seleukia am Kalykadnos (Silifke), O. (Türkei) 18 Sevilla, O. (Spanien) 33, 67 - 68 - Kathedrale 33 Simeon, Prophet, bibl. 170 Simon, Apostel, Hl., bibl. 124 Sint Annaparochie, O. (Niederlande) 96 Sint Jacobieparochie, O. (Niederlande) 95 - 97 Sintra, O. (Portugal) 16 Sinai, Berg (Ägypten) - Katharinenkloster 131 Sixtus IV. (1414 - 1484), Papst 98 Skandinavien 16 Spalatin, Georg (1484 - 1545), ev. Reformator und Humanist 201 Anm. 46, 205, 207, 211 Anm. 75 Spanien 18, 32 Anm. 55, 36 Anm. 75, 39, 42 - 44, 47 Anm. 122, 52, 66, 72, 92, 107, 111 - 113, 118 - 119, 125, 134 - 135 Stalpaert, Hervé (1914 - 1981), fläm. Volkskundler 78 Stephanus (1. Jh.), Hl. und Märtyrer 128, 131, 136, 149, 166, 170, 173 Stettin, O. 220 Stolberg-Wernigerode, Grafengeschlecht am Harz 235 Stolberg-Wernigerode, Wolf Ernst von (1546 - 1606), Statthalter d. Hzg.s Heinrich Julius von Braunschweig- Wolfenbüttel 235 Stolberg-Wernigerode, Wolf Georg von (1582 - 1631) 235 Stolpen, (Dtl., Sachsen), Burg 227 - 228 Strahov, Prämonstratenserkl. (Prag, Tschechien) 237 Straßburg, O. (Frankreich) 116 Register der Orts- und Personennamen 256 <?page no="257"?> Suárez de Deza, Pedro, Ebf. v. Santiago de Compostela (1173 - 1206) 26 Anm. 35 T Tarent, O. (Italien) 24 Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus) (nach 150-nach 220), frühchristlicher Schriftsteller 162 Anm. 3 Tesifonte, Jünger des Jacobus 18 Anm. 5 Thekla (1. Jh.), Hl. und Märtyrerin 18 - 19 Thomas Becket, Ebf. v. Canterbury (1162 - 1170), Hl. 25 Thüringen, Reg. 187, 223 Thurkill (12./ 13. Jh.), englischer Bauer und Visionär 46 Tiberias, O. (Palästina) 24 Toledo, O. (Spanien) 30 - San Juan de los Reyes, Franziskanerkl. 35 Torgau, O. (Dtl., Sachsen) 211, 228 Toro, O. (Spanien) 31 Anm. 52 - Colegiata de Santa María la Mayor, Kollegiatskirche 31 Anm. 52 Torquatus, Jünger des Jacobus 18 Anm. 5 Toulouse, O. (Frankreich) 90, 124 - 126, 143, 158 - 159 - Saint-Sernin, Benediktinerkl. 123, 159 Tours, O. (Frankreich) 40, 172 Anm. 39 - Kathedrale 177 - Kl. St. Julianus 93 Anm. 31, 172 Anm. 39 - Kl. St. Petrus 172 Anm. 39 - Kl. St. Venantius 172 Anm. 39 Treitzsauerwein, Marx (um 1450 - 1527), Hofliterat Ks. Maximilians I. 117 Trezensonio (Trezenzonio), galicischer Mönch 18 Trier, O. (Dtl.), Dom 145, 148 - 150, 153, 158 Triton, griech. Meeresgott 16 Tunesien 16 Tunis, O. 51 Anm. 135 Twente, Reg. (Niederlande) 87 Tzewers, Wilhelm (15. Jh.), Theologe und Pilger 128 Anm. 21 U Ulla, Fl. (Spanien) 39 Ulrich III. von Tarasp (gest. 1177), Gründer der Abtei Marienberg 187 Uppsala, O. (Schweden), Dom 198 - 199 Ungarn 123 Urraca, Kgn. v. Kastilien und León (1109 - 1126) 42, 136 Ursula (4. Jh.? ), Hl. und Märtyrerin 187 V Veendam, O. (Niederlande) 92 Veenwouden, O. (Niederlande) 92 Venedig, O. (Italien) 50, 117, 123, 229 Vermeyen, Jan Cornelisz (1500 - 1559), Hofmaler v. Karl V. 51 Anm. 135 Villinger von Schönberg, Jakob (1480 - 1529), Schatzmeister Ks. Maximilians I. 53 Villinger, Ursula (geb. Adler) (16. Jh.), Gemahlin des Jakob Villinger von Schönberg 53 Vlissingen, O. (Niederlande) 111 Vogt, Jakob (gest. 1522), Franziskaner, Beichtvater Kfst. Friedrichs d. Weisen 205 W Wallenstein, Albrecht von (1583 - 1634), böhmischer Feldherr 230, 232, 237 Wallenstein, Maximilian von (16. Jh.) 230 - 231 Wasserleben, O. (Dtl., Sachsen-Anhalt), Zisterzienserinnenkl. 235 Weimar, O. (Dtl., Thüringen), Franziskanerkl. 211, 218 Weißensee, O. (Dtl., Thüringen) 223 - Stadtkirche 224 Werden, OT von Essen (Dtl. Nordrhein- Westfalen), Benediktinerkl. 177 Werner II. (gest. 1320), Gf. von Hohenberg (Homberg) 106 Anm. 13 Wernigerode, O. (Dtl., Sachsen- Anhalt) 235 Wernikow, O. (Dtl., Brandenburg) 226 Wey, William (15. Jh.), Pilger 44 Register der Orts- und Personennamen 257 <?page no="258"?> Wien, O. (Österreich) 230, 232 - Kapuzinerkloster 236 Wilhelm V., Hzg. v. Bayern (1579 - 1597) 241 Wilhelm von Mesen (gest. 1145), lateinischer Patriarch von Jerusalem 130 Wilhelm, Lorenz (gest. 1633), Zwickauer Kantor 230 Willibald, Bf. v. Eichstätt (741-um 786) 164 Anm. 9 Wilsnack, O. (Dtl., Brandenburg), Wallfahrtskirche 220 Windsor, Schloss (England, Großbritannien) 107 Winter, Georg (um 1551 - 1618), Jurist und Kaufmann 235 Wiprecht von Groitzsch (1050 - 1124), Markgraf von Meißen 194 Wittenberg, O. (Dtl. Sachsen- Anhalt) 190, 190 Anm. 14, 197, 199, 201, 204, 210, 217, 237 - Franziskanerkl. 212 Anm. 82 - Kollegiatstift Allerheiligen 200, 202, 207, 218 - Schloss 201 - 202, 210 - Universität/ Leucorea 202 Wolfram (12. Jh.), Propst d. Zisterzienserinnenkl.s Ichtershausen 187 Wolfgang von Fürstenberg (1465 - 1509), Graf 107, 109, 112, 112 Anm. 31 Wommen, O. (Dtl., Hessen), Burg 221 Wotan (Odin), Göttervater der nordischen Mythologie 86 Wurzen, O. (Dtl., Sachsen), Stiftskirche 228 Wynnebald (701 - 761), angelsächs. Missionar 164 Anm. 9 X Xanten, O. (Dtl. Nordrhein-Westfalen), Stift 175 Z Zachäus, Zöllner, bibl. 180 Zebedäus, Vater der Apostel Jakobus und Johannes, bibl. 124 Zürich, O. (Schweiz) 72 - 73, 217 Zwingli, Huldrych (1484 - 1531), Zürcher Reformator 72 Zwickau, O. (Dtl., Sachsen) 219, 223 - 224, 228 - 230, 232 - Marienkirche 228 - Katharinenkirche 219 Anm. 24 Register der Orts- und Personennamen 258 <?page no="259"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Stand: August 2015 · Änderungen und Irrtümer vorbehalten! JETZT BESTELLEN! Klaus Herbers / Peter Rückert (Hrsg.) Pilgerheilige und ihre Memoria Jakobus-Studien, Band 19 2012, 277 Seiten €[D] 42,00 ISBN 978-3-8233-6684-3 Mit den Pilgerheiligen und ihrer Memoria führt der Band zwei vieldeutige Begriffe programmatisch zusammen. Anhand von Beispielen des Heiligenkultes im Elsass und auf dem Jakobsweg in Spanien wird nach den verschiedenen Ausdrucksformen von rituellem Gedenken und Erinnern gefragt. Im Mittelpunkt steht die Verehrung von „Pilgerheiligen“, deren Kult vor allem in der Pilgerschaft ihren Ausdruck fand und im Spätmittelalter eine besondere Blüte erlebte. Sie repräsentierten Wallfahrtsziele von überregionaler Bedeutung; ihre Memoria war im sozialen Gefüge der mittelalterlichen Gesellschaft ebenso von bedeutender Relevanz wie sie dem Heiligenkult ein raumgreifendes, nachhaltiges Profil verlieh. Ausgehend vom Elsass als mittelalterlicher Sakrallandschaft wird den engen kultgeschichtlichen Verflechtungen mit dem deutschen Südwesten und der Pfalz, mit Norddeutschland, Böhmen und der Iberischen Halbinsel nachgegangen. <?page no="260"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Stand: August 2015 · Änderungen und Irrtümer vorbehalten! JETZT BESTELLEN! Klaus Herbers / Hartmut Kühne (Hrsg.) Pilgerzeichen - „Pilgerstraßen“ Jakobus-Studien, Band 20 2013, 212 Seiten €[D] 34,00 ISBN 978-3-8233-6779-6 Die Beiträge dieses Bandes beschäftigen sich mit einer von der Forschung zu mittelalterlichen Pilgerbewegungen bisher wenig beachteten Gruppe von historischen Zeugen, den Pilgerzeichen, d. h. kleinen Metallgüssen, die von den Pilgern als Zeichen ihres Standes an der Kleidung befestigt wurden. Diese an vielen Wallfahrtskirchen zu Tausenden seriell produzierten Abzeichen stellen das älteste Massenbildmedium des europäischen Mittelalters dar. So geben sie Auskunft über die bildliche Repräsentation der europäischen Wallfahrtskulte vom 12. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Zugleich sind Pilgerzeichenfunde wichtige Indizien für die geografische Verbreitung von Pilgerbewegungen. Die Thematik wird im vorliegenden Band exemplarisch für Westfalen und den benachbarten Raum des Pilgerdreiecks Aachen-Köln-Trier behandelt. Mit Blick auf den Tagungsort Paderborn, an dem die Beiträge zunächst vorgetragen und diskutiert wurden, ist das Spektrum mit weiteren Überlegungen zur historischen Pilgerinfrastruktur Westfalens, die sich im Mittelalter auf den Hellweg sowie seine Zugänge und Verlängerungen konzentrierte, erweitert worden. <?page no="261"?> Der Band befasst sich mit Mirakelerzählungen und Liedern über den Heiligen Jakobus den Älteren, mit der Konkurrenz um das Haupt des Heiligen zwischen Santiago de Compostela und Jerusalem, mit Reliquien des Heiligen in den großen Heiltumssammlungen spätmittelalterlicher geistlicher und weltlicher Fürsten sowie deren Verbleib nach der Reformation. Darüber hinaus werden allgemeine Prinzipien des Heiligen- und Reliquienkultes erläutert: die Verbindung von Heiligengrab und Altar sowie die Liturgie für den Märtyrerkult und die Darstellung von Translationsritualen auf Reliquiaren.