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Englischsprachiges Schreiben und Publizieren in verschiedenen Fachkulturen

Wie deutschsprachige Forscher mit der Anglisierung der Wissenschaftskommunikation umgehen

1212
2016
978-3-8233-7985-0
978-3-8233-6985-1
Gunter Narr Verlag 
Frank Rabe

Englisch ist die de facto Weltwissenschaftssprache. Wie aber gehen deutschsprachige Wissenschaftler mit dieser Dominanz des Englischen um? Das Buch gibt Antworten auf diese Frage, indem es auf Grundlage von ausführlichen Interviews mit Forschern verschiedenster Disziplinen untersucht, wie die Befragten selbst die sprachlichen und fachlichen Anforderungen englischsprachiger Veröffentlichungen einschätzen, welche Einstellungen und Sichtweisen sie gegenüber dem Englischen und Deutschen als Wissenschaftssprachen vertreten und wie sie den wissenschaftlichen Nachwuchs auf diese Situation vorbereiten.

<?page no="0"?> Englischsprachiges Schreiben und Publizieren in verschiedenen Fachkulturen Frank Rabe Wie deutschsprachige Forscher mit der Anglisierung der Wissenschaftskommunikation umgehen <?page no="1"?> Englischsprachiges Schreiben und Publizieren in verschiedenen Fachkulturen <?page no="3"?> Frank Rabe Englischsprachiges Schreiben und Publizieren in verschiedenen Fachkulturen Wie deutschsprachige Forscher mit der Anglisierung der Wissenschaftskommunikation umgehen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 201 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISBN 978-3-8233-6985-1 Dissertation, TU Braunschweig 6 <?page no="5"?> Vorwort Der Entschluss, wissenschaftliches Schreiben und Publizieren in der Fremdsprache Englisch näher zu untersuchen, geht auf meine mehrjährige Mitarbeit im Forschungsprojekt Publish in English or Perish in German? zurück. Diese Arbeit ist jedoch mehr als eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Vielmehr haben mich die Konfrontation mit vielfältigen Schreib- und Vortragsanlässen im In- und Ausland, das (gemeinsame) Verfassen von Abstracts, Präsentationen, Artikeln und nicht zuletzt die Arbeit an dieser Dissertation zu der Überzeugung gebracht, dass Mehrsprachigkeit kein Luxus ist, sondern eine Voraussetzung für nachhaltige Wissenschaft. So wich die erste Euphorie, möglichst viel auf Englisch schreiben zu wollen, der Einsicht, dass bestimmte Texte, wie eben diese Dissertation, besser auf Deutsch erscheinen sollten. Ein Grund hierfür ist, dass so das Thema wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens speziell im Kontext deutschsprachiger Wissenschaftssysteme und -kulturen betrachtet werden kann, was natürlich englischsprachige Veröffentlichungen nicht unnötig macht. Meine Dissertation wäre ohne Mitwirkung einer Vielzahl von Personen und Institutionen nicht zustande gekommen: Mein größter Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Claus Gnutzmann, der die Doktorarbeit überhaupt erst angestoßen hat und der mir mit unglaublicher Motivation, Organisationstalent, fachlichem Insiderwissen und konstruktiven Rückmeldungen in allen Belangen einer umfangreichen wissenschaftlichen Arbeit kompetent und menschlich zur Seite stand. Weiterhin möchte ich der VolkswagenStiftung für ihre Unterstützung im Rahmen der Förderinitiative „Deutsch plus - Wissenschaft ist mehrsprachig“ danken sowie der Technischen Universität Braunschweig für die Förderung der vorangegangenen Pilotstudie durch Mittel aus ihrem Zukunftsfonds. Dank gebührt zudem allen an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich für die Interviews trotz voller Terminkalender zur Verfügung gestellt haben und ohne deren aufschlussreiche und spannende Erzählungen viele Einsichten nicht möglich gewesen wären. Besonders herzlich bedanken möchte ich mich bei meiner Kollegin Jenny Jakisch, die im Laufe der letzten Jahre viele meiner Textentwürfe gelesen hat. Ihr sicheres inhaltliches und sprachliches Feedback sowie insbesondere unsere ausgedehnten Gespräche über Wissenschaft und Privates waren stets eine Bereicherung. Für sorgsames Korrekturlesen bin ich außerdem Kathrin Lipski-Buchholz und Janna Gerdes zu Dank verpflichtet. <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1 Die Globalisierung des Englischen als Wissenschaftssprache ..................................................... 15 1.1.2 Die Europäisierung des Hochschulraums ............................ 22 1.2 Englisch als Unterrichtssprache im Hochschulkontext .. 23 1.3 Ansätze zur Untersuchung des Englischen als Wissenschaftssprache ..................................................... 27 1.3.1 Nationale und fachliche Einflüsse .......................................... 29 1.4 Politische Antworten auf die Dominanz des Englischen: Parallelsprachigkeit oder Laissez-faire? ....................... 31 1.5 Sprachliche, kulturelle und materielle Ungleichheit....... 35 1.6 Sprachwahl: Individuelle Entscheidung oder von außen determiniert? .................................................................... 40 1.7 Diskursive Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ...................................................................... 42 1.8 Wissenschaftssprachen: Kulturneutral oder kulturtragend? ................................................................. 44 1.9 Vorgehensweise und Kapitelübersicht ............................. 48 2 Theoretische Zugänge zur sozialen Dimension der Wissenschaft 2.1 Schreib- und wissenschaftstheoretischer Hintergrund... 52 2.2 Gemeinschaftskonzepte und ihre Bedeutung für eine soziokulturelle Perspektive auf Wissenschaft ............. 56 2.2.1 Die Gemeinschaft als Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft........................................................................ 56 2.2.2 Kurzdarstellung von Diskurs- und Praxisgemeinschaft ..... 58 2.3 Diskurs- und Praxisgemeinschaft im Vergleich............... 60 2.3.1 Kritik an Gemeinschaftskonzepten ........................................ 60 2.3.2 Diskurs und Praxis ................................................................... 61 Tabellenverzeichnis ................................................................11 Abbildungsverzeichnis...........................................................12 ..... ..... ..... ..... ..... ..... ..... ............................................................................ ....................................................................... 15 52 <?page no="8"?> 2.3.3 Wissenschaftliche Identität ..................................................... 64 2.3.4 Norm und Abweichung........................................................... 65 2.3.5 Entstehung und Aufrechterhaltung von Gemeinschaften .. 69 2.3.6 Räumliche Verortung von Gemeinschaften.......................... 75 2.3.7 Disziplinäre Verortung von Gemeinschaften ....................... 78 2.3.8 Macht und Stratifizierung ....................................................... 82 2.3.9 Zusammenfassung ................................................................... 84 3 Beschreibung der empirischen Untersuchung ............. 87 3.1 Vorstellung des PEPG-Projekts .......................................... 88 3.2 Wahl und Begründung des Erhebungsverfahrens .......... 89 3.3 Methodik des Experteninterviews ..................................... 93 3.3.1 Der Expertenbegriff.................................................................. 94 3.3.2 Kommunikation in der Interviewsituation ........................... 98 3.3.3 Die methodische Rolle des Leitfadens ................................. 102 3.3.4 Konstruktion von Annahmen ............................................... 104 3.4 Vorbereitung und Durchführung der Interviews.......... 107 3.4.1 Fallauswahl in der Pilotstudie .............................................. 108 3.4.2 Fallauswahl in der Hauptstudie ........................................... 109 3.4.3 Kontaktaufnahme und Durchführung ................................ 119 3.4.4 Informationen zu den Befragten und zum Datensatz ....... 120 3.5 Auswertung der Daten ...................................................... 121 3.5.1 Transkription der Aufzeichnungen ..................................... 121 3.5.2 Vorstellung der Auswertungsverfahren ............................. 123 4 Themenkomplex I: Anforderungen und Ressourcennutzung.......................................................... 130 4.1 Sprachliche und fachliche Anforderungen an Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen ....... 130 4.1.1 Genrerigidität und sprachliche Formelhaftigkeit............... 132 4.1.2 Schreiborganisation................................................................ 134 4.1.3 Sprachliche Zielnormen von Fachzeitschriften .................. 137 4.1.4 Beschaffenheit der Daten....................................................... 142 4.1.5 Fazit und Implikationen ........................................................ 145 4.2 Wahrgenommene Probleme deutschsprachiger Wissenschaftler und ihre Ressourcennutzung .......... 149 4.2.1 Der Ressourcenbegriff: Strategien, peers und Techniken .. 150 4.2.2 Wahrgenommene Probleme der Befragten......................... 155 4.2.3 Ressourcennutzung während des Schreibens .................... 159 4.2.4 Ressourcennutzung während des Überarbeitens .............. 171 4.2.5 Ressourcennutzung während des Publizierens ................. 182 ..... ..... <?page no="9"?> 4.2.6 Fazit und Implikationen ........................................................ 185 5 Themenkomplex II: Einstellungen und Sichtweisen 18 5.1 Konzeptionen von Mutter- und Nichtmuttersprachlichkeit in der Wissenschaft ....................................................... 189 5.1.1 Der Muttersprachlerbegriff ................................................... 190 5.1.2 Muttersprachlichkeit in Lehr-Lern-Kontexten ................... 194 5.1.3 Muttersprachlichkeit im Kontext wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens ................................................. 197 5.1.4 Erfahrung und Expertise: alternative Kategorisierungen . 199 5.1.5 Wissenschaftliche Ein- und Zweisprachigkeit.................... 201 5.1.6 Wahrgenommene Vor- und Nachteile für Nichtmuttersprachler des Englischen.................................. 205 5.1.7 Authentizität in universitären Kontexten ........................... 216 5.1.8 Fazit und Implikationen ........................................................ 219 5.2 Einstellungen und Sichtweisen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch .................................. 222 5.2.1 Zur sprachlichen Einstellungs- und Ideologieforschung .. 224 5.2.2 Sprachwahlbegründungen .................................................... 229 5.2.3 Unterstützung des Deutschen als Wissenschaftssprache? 252 5.2.4 Der Stellenwert von Sprache in Wissensproduktion und -verbreitung............................................................................. 259 5.2.5 Sprachliche und kulturelle Zuschreibungen....................... 268 5.2.6 Fazit und Implikationen ........................................................ 274 6 Themenkomplex III: Ausbildung und Sozialisation 7 6.1 Maßnahmen zur Unterstützung von Nachwuchswissenschaftlern beim englischsprachigen Schreiben und Publizieren ........................................... 279 6.1.1 Sprach- und Schreibkurse...................................................... 281 6.1.2 Learning by doing ..................................................................... 289 6.1.3 Auslandsaufenthalte .............................................................. 291 6.1.4 Curriculare Einbindung......................................................... 295 6.1.5 Korrekturdienstleistungen .................................................... 299 6.1.6 Zusammenarbeit mit englischsprachigen peers .................. 301 6.1.7 Änderungen im Schulsystem ................................................ 301 6.1.8 Fazit und Implikationen ........................................................ 302 6.2 Überlegungen zur sprachlich-fachlichen Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses ............................... 305 6.2.1 Konferenzteilnahme als legitimate peripheral participation 308 ..... ..... ..... ..... 9 2 9 <?page no="10"?> 6.2.2 Gemeinsames Publizieren als legitimate peripheral participation ............................................................................ 312 6.2.3 Schreibkurse vs. learning by doing? .................................... 315 6.2.4 Fazit und Implikationen ........................................................ 318 7 Fazit und Ausblick ................................................................. 3 0 7.1 Anforderungen und Ressourcennutzung ....................... 320 7.2 Einstellungen und Sichtweisen ........................................ 323 7.3 Ausbildung und Sozialisation .......................................... 329 7.4 Methodische Einschränkungen ........................................ 331 7.5 Schreibdidaktische Anknüpfungspunkte ....................... 332 7.6 Forschungsperspektiven ................................................... 333 7.7 Publish in English or perish in German? ........................ 335 Literaturverzeichnis.............................................................. 33 Anhang.................................................................................... 3 A Liste der Interviewpartner ................................................ 354 B Interviewleitfaden der Hauptstudie ................................ 355 C Anschreiben ........................................................................ 358 D Wissenschaftler-Sprachportrait: Ein Beispiel ................. 359 Zusammenfassung ............................................................. 3 Summary ............................................................................. 37 ............ ............ 3 9 6 2 6 54 <?page no="11"?> Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Englischsprachige Masterstudiengänge in Europa (ohne Großbritannien/ Irland) ................................................................................................ 24 Tabelle 2: Synoptische Übersicht der Konzepte Praxis- und Diskursgemeinschaft ..................................................................................................... 85 Tabelle 3: Anzahl und Verteilung der Interviews im disziplinspezifischen Korpus (n=24) ................................................................................................................ 110 Tabelle 4: Anteil gelesener und verfasster englischsprachiger Literatur, Einzelinterviews und Fach ........................................................................................... 114 Tabelle 5: Prozentualer Anteil rezipierter und veröffentlichter englischsprachiger Publikationen (nach DFG 2005: 30f.).......................................... 115 Tabelle 6: Interviewdauer in Pilot- und Hauptstudie ...................................................... 121 Tabelle 7: Im Transkriptionssystem verwendete Annotation ......................................... 122 Tabelle 8: Beispiel einer Fallkontrastierung....................................................................... 128 Tabelle 9: Verwendete Textschemata und Abweichungen in den untersuchten Fächern............................................................................................................................ 133 Tabelle 10: Übersicht typischer Schreibmodi im fachspezifischen Korpus ................... 136 Tabelle 11: Unterkategorien des Datenpunktes Muttersprachler des Englischen............. 174 Tabelle 12: Fallkontrastierung bezüglich inhaltlicher bzw. inhaltlicher als auch sprachlicher Korrektur .................................................................................................. 177 Tabelle 13: Fallkontrastierung im Hinblick auf das Einreichen von englischsprachigen Manuskripten............................................................................... 182 Tabelle 14: Paraphrasierte Einzelnennungen zum Thema Vorteile wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit (n=6)................................................................ 216 Tabelle 15: Paraphrasierte Einzelnennungen zu den Sprachwahlbegründungen für das Publizieren auf Englisch (n=4) ........................................................................ 238 Tabelle 16: Paraphrasierte Einzelnennungen zu den Sprachwahlbegründungen für das Publizieren auf Deutsch (n=6) ........................................................................ 243 Tabelle 17: (Voraussichtliche) Publikationssprache der Dissertation sowie Überlegungen zur Sprachwahl (n=7) .......................................................................... 244 Tabelle 18: Paraphrasierte Einzelnennungen zur Begründung deutschsprachiger Lehre (n=7; enthält Mehrfachnennungen) .................................................................. 251 Tabelle 19: Paraphrasierte Einzelnennungen zum Thema Sprachlichkeit (n=4)........... 267 Tabelle 20: Paraphrasierte Einzelnennungen zum Thema Wahrnehmungen von Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen (n=9) .......................................... 272 Tabelle 21: Unterkategorien des Items Sprach- und Schreibkurse ..................................... 281 Tabelle 22: Fallkontrastierung zweier Interviewaussagen hinsichtlich der Fachspezifik von Schreibkursen .................................................................................. 285 Tabelle 23: Genannte Ländergruppen für Auslandsaufenthalte (nach Kachru 1985) ................................................................................................................................ 291 Tabelle 24: Genannte Ziele des Auslandsaufenthaltes ..................................................... 292 Tabelle 25: Teilnehmer der Interviewstudie (n=36).......................................................... 354 <?page no="12"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Prozentualer Anteil englischsprachiger Dissertationen an der TU Braunschweig von 1997-2014. ...................................................................................... 17 Abbildung 2: Schematische Aufteilung von Praxis und diskursiver Praxis.................. 63 Abbildung 3: Auswirkungen der Teilnahme an wissenschaftlichen Praxis- und Diskursgemeinschaften................................................................................................. 72 Abbildung 4: Schematische Darstellung der Funktionsweise legitimer peripherer Partizipation (LPP) ..................................................................................... 73 Abbildung 5: Erweitertes Kontinuum der Wissensdomänen nach Hyland (2009a: 63) ....................................................................................................................... 79 Abbildung 6: Auswertungsmethoden im Stufenmodell empirisch begründeter Typenbildung nach Kluge (2000: 13) ............................................................................. 124 Abbildung 7: Für die Datenanalyse verwendete Auswertungsverfahren ..................... 125 Abbildung 8: Ausprägungen der untersuchten Faktoren im Hinblick auf die ‚Schreibschwierigkeit‘ ................................................................................................... 147 Abbildung 9: Die Beziehung strategischer, sozio-akademischer (peers) und technischer Rsourcen..................................................................................................... 152 Abbildung 10: Die Verteilung von Strategien, peers und Techniken anhand eines Interviewbeispiels.......................................................................................................... 153 Abbildung 11: Wahrgenommene Problemfelder der Befragten (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) ............................................................. 155 Abbildung 12: Lexikalische Ressourcen, die zum Schreiben und Überarbeiten von Texten genutzt werden (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen).................................................................................................... 160 Abbildung 13: Vorgehensweisen der Befragten beim Schreiben englischsprachiger Texte (Datengrundlage: 30 Interviews; enthält Mehrfachnennungen).................................................................................................... 167 Abbildung 14: Korrekturleser englischsprachiger Manuskripte (Datengrundlage: 34 Interviews; enthält Mehrfachnennungen).............................. 172 Abbildung 15: Fachliche und lektorale Kompetenzen muttersprachlicher Korrekturleser ................................................................................................................ 176 Abbildung 16: Korrekturbeziehung dreier Geschichtswissenschaftler im Korpus ...... 179 Abbildung 17: Korrekturbeziehung dreier Biologen im Korpus .................................... 180 Abbildung 18: Wahrgenommene Nachteile als Nichtmuttersprachler des Englischen (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen).......... 206 Abbildung 19: Wahrgenommene Vorteile als Nichtmuttersprachler des Englischen (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) .......... 211 Abbildung 20: Sprachwahlbegründungen für das Englische als Publikationssprache (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen).................................................................................................... 230 Abbildung 21: Sprachwahlbegründungen für das Deutsche als Publikationssprache (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen).................................................................................................... 239 Abbildung 22: Begründungen der Interviewten zum Thema Lehre bzw. Lehrtexte auf Englisch (Datengrundlage: 24 Interviews) ......................................... 246 Abbildung 23: Begründungen der Interviewten zum Thema Lehre bzw. Lehrtexte auf Deutsch (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen).................................................................................................... 248 <?page no="13"?> Abbildung 24: Argumente der Interviewten gegen eine Unterstützung des Deutschen (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) .......... 255 Abbildung 25: Nennungen der Interviewten zum Stellenwert von Sprache in der Wissensproduktion und -verbreitung (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen)....................................................................................... 260 Abbildung 26: Den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch zugeschriebene sprachliche und kulturelle Eigenschaften (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) ............................................................. 269 Abbildung 27: Von den Befragten thematisierte Fördermaßnahmen für den wissenschaftlichen Nachwuchs (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen).................................................................................................... 280 13 <?page no="15"?> 15 1 Einleitung 1.1 Die Globalisierung des Englischen als Wissenschaftssprache Der omnipräsent erscheinende Kontakt der englischen Sprache und angloamerikanischer Kulturen mit Gesellschaften, in denen das Englische bisher nur eine geringe Rolle spielte, beschäftigt Forscher seit Langem. Der Bereich der Wissenschaft ist dabei lediglich eine gesellschaftliche Domäne unter vielen, in der eine zunehmende Präsenz des Englischen verzeichnet wird. So stellt Fiedler (2011: 83f.) einen großen Einfluss angloamerikanischer Kultur und Sprache auf viele gesellschaftliche Bereiche in Deutschland fest: American films and series make up a huge part of our TV programmes; news anchors address reporters and co-presenters in CNN style using first names, the Eurovision Song Contest, after 15 years, was won by a German singer, but of course with a song in English; you cannot leave a German shop without being wished a nice day; German children asked about the classical fairy tale of ‘Aschenputtel’ will mention the pumpkin that turned into a coach as they know this from Disney’s film version ‘Cinderella’; young people have many Freunde in social networks; they close their telephone conversation saying Ich liebe dich like in American films; people find it attractive and stylish to insert English words and catch phrases (the best … ever; No risk no fun; The sky is the limit) into their speech. (Fiedler 2011: 83f., für Beispiele in anderen Kontexten siehe Cameron 2002: 81) Der im Zitat angedeutete, für eine Vielzahl von Menschen weltweit alltäglich gewordene Kontakt mit dem Englischen hat in der Folge unter anderem Forschungen zur individuellen sowie gesellschaftlichen Zwei- und Mehrsprachigkeit in der Europäischen Union angeregt (vgl. Seidlhofer 2011), über Kontaktvarietäten oder World Englishes (vgl. Bolton 2013), über die Rolle der Nationalsprachen in Bildung und Wissenschaft (vgl. Ammon 1998; Ehlich 2004), bis hin zu Fragen kultureller und wissenschaftlicher Dominanz (vgl. Alexander 2008; Flowerdew/ Li 2009; Meyer 2004). Die zunehmende grenzüberschreitende Verbreitung des Englischen, und wohl auch ein Kompetenzzuwachs in der Benutzung dieser Sprache, hat weiterhin zu Überlegungen geführt, inwiefern das von Nichtmuttersprachlern gesprochene Englisch sich überhaupt an muttersprachlichen Normen orientieren müsse oder vielmehr eine eigene Varietät darstelle (vgl. z.B. Gnutzmann 2006; Jenkins 2007; Modiano 2003; Prodromou 2007). Eine Schlüsselposition in diesem Sprach- und Kulturkontakt kann dabei den Bildungssystemen und der Wissenschaft zugeschrieben werden. Wissenschaftliche Erkenntnis hat vor allem deshalb eine herausragende Stellung in industrialisierten Gesellschaften inne, da ihr nicht nur zugetraut wird, <?page no="16"?> 16 Probleme zu analysieren und im Idealfall ‚lösen‘ zu können, sondern sie zudem häufig eine Art ‚Interpretationshoheit‘ gegenüber anderen Wissensformen beansprucht. Wissenschaft beeinflusst daher nicht nur, was derzeit als wahr gilt; sie prägt ebenfalls, wie wir die Welt zu verstehen haben und sie wahrnehmen. Vor diesem Hintergrund ist es besonders relevant, den Einfluss der zunehmenden Anglisierung auf die Wissenschaft zu untersuchen. Während das Wissenschaftssystem in Deutschland bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts überwiegend nationalsprachlich geprägt war, hat der Aufstieg des Englischen als internationale Wissenschaftssprache diese relative ‚Isolation‘ beendet und sprachlich-kulturelle Prozesse eingeleitet, deren Auswirkungen in ihrer vollen Tragweite noch nicht abzusehen sind. Die Vormachtstellung des Englischen in wissenschaftlichen Publikationen ist dabei ein durch Zahlen und Statistiken recht eindeutig belegtes Phänomen. Bei naturwissenschaftlichen Publikationen lag der englischsprachige Anteil schon vor fast zwei Jahrzehnten bei über 90% (vgl. Ammon 1998: 152) und auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften wird das Englische immer häufiger als Publikationssprache benutzt (vgl. Ammon 2006; Laurén/ Myking/ Picht 2004). Wenngleich somit in vielen Situationen, in denen vorher die jeweilige Nationalsprache benutzt wurde, jetzt Englisch Verwendung findet, wird in den sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen nach wie vor mehr als in den Naturwissenschaften nationalsprachig publiziert (vgl. DFG 2005; Flowerdew/ Li 2009: 2; Hamel 2007). Der von Ammon berechnete Anteil des Englischen könnte, wie er dies selbst inzwischen einräumt, zudem überzeichnet sein, da ihm Analysen von Datenbanken zugrunde liegen, die „ihren Standort in englischsprachigen oder zum Englischen hinneigenden Ländern haben“ (Ammon 2010: 401). Dadurch werden nationale Forschungsnetzwerke nichtenglischsprachiger Länder möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt. So erscheinen allein in Brasilien über 5000 naturwissenschaftliche und technische Zeitschriften, von denen die deutliche Mehrheit auf Portugiesisch verfasst wird, aber nur 17 im Science Citation Index (SCI) verzeichnet sind (vgl. Hamel 2007: 63; siehe Flowerdew/ Li 2009: 14 zu China, wo eine ähnliche Situation vorherrscht). Bibliometrische Studien können demnach nicht alle relevanten Kataloge und Abstractsammlungen einbeziehen, was zur Folge hat, dass es besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu Verfälschungen kommen kann (vgl. Hamel 2008: 62). Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Hicks (2004: 4) in einer Meta-Analyse der verschiedenen Veröffentlichungsmodi von Sozialwissenschaftlern: In Australien wurden demnach 61% der Publikationen in Fachzeitschriften veröffentlicht, in Spanien 54% und in Deutschland lediglich 42% (Grundlage war in Deutschland die SOLIS-Datenbank). Die restlichen Veröffentlichungen waren in Monographien, Forschungsberichten, Praxisbeiträgen oder Sammelbänden zu finden. Für eine korrektere Messung des Publikationsoutputs hätten derartige Publikationsformen ebenfalls miteinbezogen werden müssen. Die Zunahme des Englischen als Publika- <?page no="17"?> 17 tionssprache lässt sich auf lokaler Ebene ferner daran ablesen, dass die in englischer Sprache eingereichten Dissertationen, wie z.B. an der Technischen Universität Braunschweig, erheblich zugenommen haben: Abbildung 1: Prozentualer Anteil englischsprachiger Dissertationen an der TU Braunschweig von 1997-2014. 1 Die abgebildeten Daten zeigen, dass das Englische nicht nur, wie bereits bekannt, in internationalen Zeitschriftenartikeln zunehmend Verwendung findet, sondern immer häufiger auch in der Anfangsphase wissenschaftlicher Laufbahnen als Publikationssprache genutzt wird. Von Statistiken über die Sprachverteilung in wissenschaftlichen Publikationen kann jedoch nicht ohne Weiteres auf den Gesamtzustand der Sprachverwendung in der Wissenschaft geschlossen werden, denn diese umfasst neben verschiedenen Domänen der Veröffentlichung zahlreiche weitere Sprachverwendungssituationen, wie die Lehre, Besprechungen, Verwaltung etc. (vgl. Hamel 2008: 67; Peterson/ Shaw 2002: 359). Durch die Zunahme des Englischen in der Wissenschaft nutzen die meisten Forscher in der Regel zwei Sprachen in ihrer täglichen Arbeit und sind somit, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, zweisprachig. Dies wirft die Frage auf, wie die vorhandenen Sprachen im Rahmen des Wissenschaftssystems gewichtet werden. Einerseits kann diese Entwicklung als Diglossie beschrieben werden, bei der Englisch die prestigeträchtigere Sprache ist und die andere Sprache nach und nach Domänen verliert. Sie kann aber auch als komplexe Sprach- 1 Im Durchschnitt werden etwa 270 deutsch- und englischsprachige Dissertationen pro Jahr eingestellt. Die bibliometrischen Daten wurden mithilfe des OPAC-Katalogs der Universitätsbibliothek der TU Braunschweig erhoben. Der Katalog erlaubt Suchanfragen nach spezifischen Textsorten (wie z.B. Dissertationen) und Publikationssprachen, jedoch keine Kategorisierung der Ergebnisse nach Fächern (https: / / opac.lbs-braunschweig.gbv.de/ DB=1/ LNG=DU/ , eingesehen am 08.01.2015). 4,1 7,6 8,1 15,6 34,2 27,9 29,7 35,7 41,5 43,0 0 10 20 30 40 50 <?page no="18"?> 18 kontaktsituation verstanden werden, in der die beteiligten Sprachen nicht eindeutig einer high- oder low-Varietät zugeordnet werden können, sondern mosaikartige Formen der Zweibzw. Mehrsprachigkeit bilden (vgl. Petersen/ Shaw 2002). In jedem Fall muss eine Untersuchung wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens die Zweisprachigkeit von Wissenschaftlern 2 und Wissenschaft in nicht-englischsprachigen Ländern berücksichtigen, wenn die Auswirkungen der Anglisierung auf die Wissenschaftskommunikation nicht nur für die Publikationssprachen, sondern auch für die Lehre, tägliche Besprechungen, regionale Konferenzen etc. reflektiert werden sollen. Die von Swales (1997) mit einer Tyrannosaurus-Rex-Metapher beschriebene Entwicklung - das Englische ‚frisst‘ hier bildlich gesprochen andere Sprachen - hat sich bisher noch nicht bis zum Äußersten, dem domänenspezifischen language death, fortgesetzt, denn die meisten Forscher praktizieren trotz der Dominanz des Englischen als Publikationssprache eher mehrsprachige Arbeitsweisen wie das Vortragen und Publizieren in zwei Sprachen (vgl. Haberland/ Mortensen 2012: 4; Söderlundh 2012). Es muss jedoch ebenso festgehalten werden, dass eine momentan bestehende Zweisprachigkeit in der Wissenschaft nicht automatisch die von Swales aufgestellte These widerlegt. In seinem Szenario ist nämlich durchaus eine zweisprachige Übergangsphase vorgesehen, in der die ‚Beute‘-Sprache immer mehr gesellschaftliche Bereiche an das Englische abgibt, aber weiterbesteht. Während sich zahlreiche Beispiele für die Weiterverwendung des Deutschen als Wissenschaftssprache finden lassen, kann nicht allein aufgrund vorhandener Zweisprachigkeit der Wissenschaftler darauf geschlossen werden, dass das Englische langfristig andere Sprachen nicht dennoch zu Hilfs- und ‚Küchen‘- Sprachen, also Sprachen, die ausschließlich im Privaten zum Einsatz kommen, relegieren kann. Zugleich ist das Bild des Englischen als gefräßiges Raubtier kritisiert worden, da diese Bezeichnung eine weitgehende Hilflosigkeit anderer Sprachgemeinschaften suggeriert und der Sprache eigene Absichten unterstellt (vgl. Brutt-Griffler 2008; Kuteeva/ McGrath 2014: 385). Angesichts des stetigen Wachstums des Englischen als Wissenschaftssprache erscheint es jedoch gerechtfertigt, die Frage zu stellen, ob es in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft die einzige zulässige Wissenschaftssprache sein wird oder ob ausreichend Unterstützung für die Idee der wissenschaftlichen Mehrsprachigkeit gewonnen werden kann (vgl. Hamel 2008: 55). Während die Ausbreitung des Englischen in Ländern wie den USA, Australien, Neuseeland etc. auf die Kolonialisierung zurückzuführen war (vgl. z.B. Phillipson 1992), wird sie spätestens seit Mitte der 1990er Jahre mit dem unscharfen Begriff der Globalisierung verbunden. Definiert als „transmission of capital, communications, cultural products, and people across national 2 Bei Personenbezeichnungen sind immer Angehörige beider Geschlechter gemeint, unabhängig davon, ob die geschlechtsneutrale, die männliche oder die weibliche Form verwendet wird. <?page no="19"?> 19 borders“ (Bolton 2013: 245), ist dieser Prozess darüber hinaus durch das Zusammenspiel von kultureller und sprachlicher Homogenisierung bei gleichzeitiger Heterogenisierung der Strategien im Umgang mit Globalisierung charakterisiert: Recent discussions about globalization processes emphasize two apparently contradictory characteristics of such processes: homogenization and universalization, on one hand, and their contribution to an ever more complex and uncontrollable world, on the other. Indeed, the economic power of globally organized transnational corporations increasingly translates into a standardization of mass culture and universal tendencies of wasteful consumption of natural resources. Contrastingly, due to the unequal distribution of wealth, among other factors, the same pressures of homogenization provoke an increasingly diverse spectrum of strategies to cope with these pressures, which leads to an increasingly complex patchwork of social relations. National and regional institutions and traditions in fact play an often neglected mediatory role in filtering and transforming the effects of globalization. (Renn/ Hyman 2012: 17) Während diese Definition die verschiedenen, teils parallel und verschränkt ablaufenden Prozesse anschaulich erklärt, findet die sprachliche Dimension der Globalisierung indes keine Berücksichtigung. 3 Die vorliegende Definition muss demnach durch eine sprachliche Komponente - der sogenannten Anglisierung - ergänzt werden, denn das Englische und andere betroffene Sprachen stehen in Verbindung mit den Prozessen der Globalisierung. Die Anglisierung der Wissenschaftskommunikation kann dabei als ein sich selbst verstärkender Prozess verstanden werden, bei dem immer häufiger und in immer mehr wissenschaftsrelevanten Domänen auf Englisch kommuniziert wird. Verstärkend wirkt dabei, dass ökonomisch gesprochen der Nutzwert des Englischen mit der Anzahl der Sprachbenutzer steigt (vgl. Coleman 2006: 4; Ferguson 2007: 13). Man kann dies am - zugegeben nichtwissenschaftlichen - Beispiel von Wikipedia verdeutlichen, wo die meisten Einträge auf Englisch veröffentlicht sind und erst mit weitem Abstand solche in anderen Sprachen folgen (vgl. Wikipedia 2014). Dieser ‚Vorsprung‘ des Englischen ist mitunter dadurch bedingt, dass viele Nichtmuttersprachler zur englischsprachigen Wikipedia beitragen. Analog geschieht dies für wissenschaftliche Veröffentlichungen. In der Wissenschaft sorgt der stetig wachsende Anteil des Englischen dafür, dass englischsprachige Publikationen einem immer größer werdenden Publikum unterbreitet werden können und auf Englisch vorliegendes Wissen verglichen mit anderen Sprachen stärker wächst, was die Sprache noch attraktiver macht. Anglisierungsmechanismen in der Wissenschaft werden zusätzlich dadurch intensiviert, dass 3 Vergleiche hierzu z.B. Renn (2012), ein umfassender Sammelband zum Thema The globalization of knowledge in history, der - bedingt möglicherweise durch einen eher historischen Fokus - sprachliche Fragen der Wissensglobalisierung weitgehend ausklammert. <?page no="20"?> 20 mehrsprachige Autoren Forschungsliteratur in anderen Sprachen häufig nicht zitieren und so den Eindruck verstärken, es gebe keine relevante nichtenglischsprachige Forschungsliteratur (vgl. Tardy 2004: 249; siehe Item Nichtzitierbarkeit nicht-englischsprachiger Literatur in Kap. 5.2.2.1). Globalisierung und Anglisierung sind vielschichtige Phänomene - sie bleiben aber dennoch ‚menschengemacht‘ und können ohne die Betrachtung zentraler Akteure nicht nachvollzogen werden. So ist die wachsende Anglisierung ansatzweise zu verstehen als „cumulative effect of myriad decisions by editors, teachers, students, parents, writers, publishers, translators, officials, scholarly associations, corporations, schools, and so on, with an equally wide array of motives“ (Montgomery 2004: 1334). Brutt-Griffler (2008: 66f.) vertritt die Position, dass es letztendlich die Menschen selbst sind, die eine für sie vorteilhafte Entscheidung treffen, wenn sie das Englische nutzen: „A single common medium serves the interests of the majority of the world’s population, and insofar they influence the process, they will continue to opt for English.“ Es ist insofern nicht von der Hand zu weisen, dass die Beherrschung des Englischen in vielen Lebensbereichen eine große kommunikative Reichweite, räumliche und soziale Mobilität sowie „kulturelles Kapital“ (vgl. Bourdieu 1983) verspricht: Faktoren, die Millionen von Menschen dazu animieren, Englisch zu lernen. Das Englische symbolisiert in vielen Gesellschaften Werte wie Fortschritt und Modernität und verleiht dem Sprecher oft den Eindruck positiver Eigenschaften, wie Hu am Beispiel von China eindrücklich aufzeigt: Mastery of English has come to be regarded as a defining characteristic of talents in the 21st century, an essential part of ‘a perfect character’, and a sign of distinction. It is now a widespread belief that ‘everything is low but English is high’. This belief is well illustrated by a news report of a group of children standing under the Oriental Pear, the television tower in Shanghai, and shouting in unison ‘No English, no future! ’. (Hu 2009: 52f.; vgl. auch Meyer 2004: 79) Zwar wählen inzwischen unzählige Menschen aus eigenem Antrieb das Englische als Wahlsprache, als Anstoß zur Globalisierung muss jedoch auch die Politik der Nationalstaaten gewertet werden, die eine Entgrenzung und Transnationalisierung der vorher relativ isolierten Staaten vorangetrieben hat (vgl. Brutt-Griffler 2008: 65; Manicas 2009: 462f.). Beispielhaft kann hier die Gründung und die Erweiterung der Europäischen Union sowie der von der EU proklamierte freie Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr angeführt werden (vgl. Zusammenfassungen der EU-Gesetzgebung). Die hierarchisierenden Mechanismen, die zu einer Marginalisierung bestimmter Sprachen führen, sind allerdings nicht neu, sondern lediglich vom Niveau der Nationalstaaten auf die europäische oder globale Ebene verschoben wurden (vgl. Gal 2012: 24). Während auf Ebene einzelner Staaten regionale Dialekte und Sprachen der Vereinheitlichung im Rahmen von Hierarchisierungsprozessen zum Opfer fallen (z.B. Niederdeutsch in Deutschland <?page no="21"?> 21 und Okzitanisch in Frankreich), ist die Zurückdrängung des Deutschen in der Wissenschaft analog im Sinne einer Hierarchisierung der Wissenschaftssprachen auf globaler Ebene interpretierbar. Bei allen bisher antizipierten und vermuteten Nachteilen im Zusammenhang mit der zunehmenden Präsenz des Englischen sollte nicht vergessen werden, dass das Englische für viele Forscher, aber auch Geschäftsleute und Touristen, eindeutige Vorteile bietet. Häufig wird die theoretisch weltumspannende Wissenschaftskommunikation zu diesen Vorzügen gezählt, genauer die globale Verfügbarkeit wissenschaftlicher Informationen und deren Verbreitung (vgl. z.B. Tardy 2004: 258). Dieses Argument ist besonders in den Naturwissenschaften eine gängige Begründung für die Anglisierung der Wissenschaft: „[A]ll science is useless if it is not accessible to other members of the discipline“ (Mühleisen 2003: 117). In diesem Sinne ermöglicht das Englische internationale wissenschaftliche Kooperation, selbst wenn Forscher verschiedenster Herkunftsländer und -sprachen involviert sind, was im Rahmen eines Mehrsprachigkeitsmodells nur begrenzt möglich wäre (vgl. Seidlhofer 2011). 4 Diese Tendenzen können ebenfalls wieder eine gewisse Widersprüchlichkeit mit sich bringen, wie de Swaan (2001: 78) für die Sozialwissenschaften aufzeigt: So erlaube die größere kommunikative Reichweite englischsprachiger Veröffentlichungen den Austausch sozialwissenschaftlicher Theorien über Länder- und Sprachgrenzen hinweg. Es bestünde jedoch ebenso die Gefahr der Übertragung (sozial)wissenschaftlicher Modelle auf Kontexte, in denen diese nicht greifen sowie die Nichtberücksichtigung lokaler Gegebenheiten. Vor dem Hintergrund der skizzierten Globalisierungs- und Anglisierungsprozesse der Wissenschaftskommunikation widmet sich die vorliegende Arbeit, die sich mit der Perspektive der Wissenschaftler beschäftigt, dem Ziel, zu einem besseren Verständnis fachlicher und erfahrungsbedingter Verwendungs- und Wahrnehmungsmuster des Englischen (und Deutschen) im wissenschaftlichen Schreib- und Publikationsprozess beizutragen. Zu diesem Zweck wurden deutschsprachige Wissenschaftler mehrerer Fächer und verschiedener Stufen akademischer Erfahrung mithilfe leitfadengestützter Experteninterviews interviewt, die zum Zeitpunkt der Befragung mindestens eine Publikation in englischer Sprache verfasst hatten. Hervorgegangen ist die Arbeit aus dem Forschungsprojekt Publish in English or Perish in German? (PEPG), das sich mit den Herausforderungen, Lösungsstrategien und Einstellungen deutscher Wissenschaftler, Herausgeber und Verlagsmitarbeiter beim Schreiben und Publizieren in englischer Sprache befasst. Das Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es weniger englischsprachige Veröffentlichungen selbst in den Blick nimmt, sondern die 4 Ein außergewöhnliches Beispiel für eine derartige Kooperation ist das europäische Kernforschungszentrum in Genf (CERN), das von 21 Mitgliedstaaten finanziert und inzwischen jährlich von über 10.000 Gastwissenschaftlern verschiedener sprachlicher und kultureller Hintergründe besucht wird (vgl. CERN Personnel Statistics 2011). <?page no="22"?> 22 damit verbundenen Schreib- und Kommunikationsprozesse sowie sprachbezogene Einstellungen untersucht. Aufbau, Zielsetzung und Organisation des Forschungsprojektes werden im Kapitel 3.1 vorgestellt. Im Folgenden werden Themengebiete der Wissenschaftskommunikation problematisiert, die im späteren Verlauf der Arbeit wieder aufgegriffen werden. Sie bilden den fachlichen und theoretischen Hintergrund für die empirischen Teile der vorliegenden Arbeit. 1.1.2 Die Europäisierung des Hochschulraums Für den Bereich der Hochschulen bilden neben der häufig intendierten Internationalisierung insbesondere Marktmechanismen der wirtschaftlichen Globalisierung, verschränkt mit kulturellen (z.B. die Dominanz amerikanischer Wissenschaft und Medien) und sozioökonomischen (z.B. die Möglichkeit gesellschaftlichen Aufstiegs durch Bildung) Prozessen den Hintergrund für die wachsende Bedeutung des Englischen als Lehrsprache (vgl. Alexander 2008: 47). Coleman (2006: 4-6) führt als Triebkräfte dieser Entwicklung zusätzlich die Ausweitung des bilingualen Sachfachunterrichts (Content and Language Integrated Learning (CLIL)), die zunehmende Nutzung englischsprachiger Lehr- und Lernmaterialien, die gestiegene Dozentenmobilität sowie die Entstehung eines internationalen Bildungsmarktes an. Wenngleich die Nutzung des Englischen in der Hochschulkommunikation nicht frei von Problemen ist (vgl. z.B. Fandrych/ Sedlaczek 2012; Knapp/ Timmermann 2012), zeigt der Einzug englischsprachiger Lehre in Kontexte wie Schule, Hochschule und Forschung doch deutlich, welch hoher Nutzen dem Englischen beigemessen wird. Die starke ökonomische Orientierung im Zuge der Europäisierung des Hochschulraums soll hier nicht vertieft diskutiert werden (vgl. hierzu z.B. die Kritik von Alexander 2008; Coleman 2006). Es erscheint jedoch plausibel, dass wirtschaftliche Ziele wie Konkurrenzfähigkeit und employability mit solchen der Kompetenzförderung im Englischen und internationaler Mobilität in Zusammenhang stehen. Beispielsweise kann der Bologna-Prozess als eine konsequente Übertragung der Prinzipien des freien Personen- und Dienstleistungsverkehrs der EU auf die europäischen Hochschulsysteme verstanden werden (vgl. Alexander 2008: 50). Die ökonomische Fundierung des entstehenden europäischen Bildungsraums spiegelt sich auch darin wider, dass ‚wettbewerbsfördernde‘ Universitäts- und Forschungsrankings eingeführt wurden. 5 Diese und andere Marktprinzipien tragen dazu bei, dass sich Bildungseinrichtungen immer häufiger als ‚Marken‘ verstehen, die 5 Dass derartige Rankings (für die Wirtschaftswissenschaften z.B. Kiel Institute International Journal Ranking (2012); für die Volkswirtschaftslehre etwa das Handelsblatt-Ranking (2010)) wiederum englischsprachige Journal-Veröffentlichungen fast automatisch mit ‚hoher Forschungseffizienz‘ gleichsetzen, kann als weiterer Anglisierungsfaktor gelten. <?page no="23"?> 23 auf einem globalen oder europäischen Bildungsmarkt miteinander konkurrieren (vgl. Coleman 2006: 3). Dennoch ist die Europäisierung des Hochschulraums nicht ausschließlich im Sinne einer Übertragung amerikanischer Verhältnisse zu erklären, auch wenn dies teilweise, z.B. für den deutschen Hochschulraum, so gesehen wird: „At university we use teaching material from British and US publishers to train the production of academic genres, which includes the adoption of thought patterns and discourse styles that are characteristic for the Anglo-American culture“ (Fiedler 2011: 84). Obwohl die verstärkte Präsenz englischsprachiger Lehrwerke ohne Zweifel in Bereichen des wissenschaftlichen Schreibens und der Lehre festzustellen ist, findet gleichzeitig jedoch auch eine Adaption und Anpassung an lokale Bedürfnisse statt. McGilchrist/ Girgensohn (2011: 14f.) haben in diesem Zusammenhang aufgezeigt, dass die Textsorte Hausarbeit trotz des durch den Bologna-Prozess aufgebauten Internationalisierungsdrucks weiterhin in deutschen geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiengängen fortbesteht und letztendlich von Einflüssen angloamerikanischer Schreibpädagogik, wie z.B. dem peer editing und der Schreibprozessorientierung, profitieren könnte. Es können also nicht nur Einflüsse des angloamerikanischen Lehr- und Wissenschaftsverständnisses auf den deutschsprachigen Hochschulraum festgestellt werden, sondern ebenso eine Anpassung an die lokalen Gegebenheiten sowie Widerstand gegen diese Einflüsse. Als bedeutendes Beispiel für letzteres wäre unter anderem die (Wieder-)Abschaffung der Studiengebühren in Deutschland zu nennen, die gängiger britischer und amerikanischer Praxis entgegenläuft. Aus den vorangegangenen Überlegungen geht hervor, dass die Universitäten als institutionalisierte Akteure des Sprachwandels zum Englischen hin fungieren. Sie unterstützen diese Entwicklung, indem sie versuchen, über englischsprachige Studiengänge die Englischkompetenz der einheimischen Studierenden und Lehrenden zu erhöhen, ausländische Studierende ‚anzuwerben‘ und länderübergreifende Kooperationen zu erleichtern (vgl. Ammon/ McConnell 2002). Für den deutschen Sprachraum haben Gnutzmann/ Lipski-Buchholz (2008: 152f.; 2013) Möglichkeiten und Grenzen internationaler, meist englischsprachiger Studiengänge aufgezeigt. Sie stellen unter anderem fest, dass diese Studiengänge zwar durchaus zu einer erhöhten Attraktivität deutscher Hochschulen für ausländische Studierende beitragen können, Letztere allein dadurch jedoch nicht als Nachwuchsfachkräfte an Deutschland gebunden werden (vgl. auch Ehlich 2005: 43f.). 1.2 Englisch als Unterrichtssprache im Hochschulkontext Als Indikator für den Stellenwert des Englischen als Wissenschaftssprache kann der rasante Zuwachs englischsprachiger Master-Studiengänge in <?page no="24"?> 24 Deutschland herangezogen werden. Im Jahr 2011 wurde die Zahl englischsprachiger Master-Studiengänge noch mit ca. 600 angegeben 6 , wohingegen im Jahr 2014 bereits mehr als 1800 zumindest teilweise englischsprachige Studiengänge erfasst wurden: Land Anzahl englischsprachiger Masterstudiengänge (2014) Deutschland 1832 Frankreich 1240 Niederlande 1215 Spanien 832 Schweden 724 Schweiz 670 Österreich 543 Italien 536 Belgien 396 Dänemark 362 Tabelle 1: Englischsprachige Masterstudiengänge in Europa (ohne Großbritannien/ Irland) 7 Obwohl diese Zahlen aufgrund der relativ losen Auswahlkriterien in den Datenbanken nur Näherungswerte darstellen, ist ein deutlicher Anstieg englischsprachiger Studiengänge in Europa nicht zu übersehen. Es zeigt sich außerdem, dass bevölkerungsreiche Länder wie Frankreich und Deutschland inzwischen die Vorreiter englischsprachiger Studiengänge (die Niederlande und die skandinavischen Länder) zahlenmäßig überholt haben. Neben quantitativen Überlegungen stellt sich zudem zunehmend die Frage, wie das Englische als Unterrichtsmedium die inhaltliche, kommunikative und methodische Ausgestaltung von Lehrveranstaltungen beeinflusst, da fachliche Inhalte meist über Sprache vermittelt werden und Studierende wie Lehrende bekanntlich über höchst unterschiedliche Sprachkompetenzen verfügen (vgl. z.B. Fandrych/ Sedlaczek 2012: 39; Knapp 2008: 145). Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist, ob der fremdsprachige Unterricht in einem geringeren Lernzuwachs resultiert als der muttersprachliche Unterricht. Hveem et al. (2006: 9) stellen in einem sprachenpolitischen Dokument der Universität Oslo die Behauptung auf, dass der Lernertrag auf 6 Diese Zahl basiert auf einer von mir durchgeführten Recherche auf der DAAD-Internetseite im September 2011. Die Webseite wurde inzwischen umstrukturiert, sodass eine Überprüfung durch Dritte nun nicht mehr möglich ist. 7 Die Daten geben die auf der Webseite „MastersPortal“ eingetragenen englischsprachigen Masterstudiengänge wieder (http: / / www.mastersportal.eu/ search/ ? q=lv-master, eingesehen am 08.01.2015). Verzerrungen können sich beispielsweise hinsichtlich fehlender Einträge ergeben. Englischsprachige Studiengänge werden von den Betreibern definiert als Kurse, „in which English is both the primary and one of the languages of instruction“ (Brenn-White/ van Rest 2012: 12). <?page no="25"?> 25 Englisch 20-30% niedriger ausfalle als auf Norwegisch, ohne jedoch eine Quelle oder Belege dafür anzuführen. Diese und ähnliche Ergebnisse sollten jedoch mit großer Vorsicht interpretiert werden, da es sich bei der Beantwortung dieser Frage um ein Kernproblem der vergleichenden Evaluation handelt: Wie kann man einen höheren Lerneffekt unabhängig von der Testsprache messen und gleichzeitig Kohorteneffekte (wie z.B. das höhere Prestige des Englischen; besondere Motivation) ausschließen? So wurde im Rahmen des Projekts Mehrsprachigkeit und Multikulturalität im Studium (MuMiS; vgl. Knapp/ Schumann 2008) unter anderem deutlich, dass Lernprozesse durch die Lehrsprache beeinflusst werden, da die Studierenden und Lehrenden nicht zuletzt aufgrund ihrer verschiedenen kulturellen Hintergründe unter „Lernen“ nicht immer dasselbe verstehen, was zu Missverständnissen und Konflikten in der Unterrichtskommunikation führen kann (vgl. Knapp 2008: 151). Des Weiteren spielt das Konzept des integrierten sprachlich-fachlichen Lernens, wie es z.B. in Diskursen zum bilingualen Sachfachunterricht in der Schule diskutiert wird, eine wichtige Rolle. Als Kernproblem gilt die Integration von fachlichem und sprachlichem Lernen. Während man in früheren Konzeptionen des bilingualen Unterrichts teilweise davon ausging, dass fremdsprachiger Unterricht methodisch wie erstsprachlicher Unterricht zu gestalten sei, wird inzwischen auf eine spezifische Didaktik hingearbeitet, „in der die konstitutive Rolle von Sprache/ Kommunikation und die Notwendigkeit einer expliziten Förderung von fachbasierter Diskursfähigkeit zunehmend diskutiert und verankert wird“ (Vollmer 2013: 124f.; vgl. auch Coyle/ Hood/ Marsh 2010). Die zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse und praxisbezogenen Erfahrungen im Bereich des bilingualen Unterrichts sollten, wenn auch nur bedingt von einer direkten Übertragbarkeit ausgegangen werden kann, bei der Einführung zweibzw. englischsprachiger Studiengänge sowie ihrer didaktischen Gestaltung herangezogen werden. Ähnliches könnte auch für den muttersprachlichen Fachunterricht einen Gewinn darstellen, in dem bisher die sprachlichen Komponenten des Wissenserwerbs wenig explizite Berücksichtigung fanden. Die Fremdsprache als Lernwerkzeug effektiv einzusetzen bleibt, entgegen der optimistischen Einschätzung einiger Forscher (vgl. z.B. Mehisto/ Marsh/ Frigols 2008; Wolff 2010), sehr voraussetzungsreich. Dies wird nach einer eingangs euphorischen Phase in kritischen Untersuchungen des bilingualen Unterrichts festgestellt, die die zahlreichen Bedingungen für einen effektiven Einsatz dieser Unterrichtsform hervorheben (vgl. besonders Paran 2013; siehe für eine exemplarische Kritik aus der Geschichtsdidaktik z.B. Hasberg 2007). Paran (2013) hat unter anderem festgestellt, dass das deutsche Modell des bilingualen Unterrichts häufig gute Ergebnisse im Sinne des fremdsprachlichen und fachlichen Lernens liefert, was aber in großem Umfang von der spezifischen nationalen Ausgestaltung dieser Pro- <?page no="26"?> 26 gramme und den involvierten Lehrenden abhänge. 8 So ist bilingualer Unterricht in Deutschland oft selektiv, wenn nicht sogar elitär, das heißt, es nehmen an der Gesamtzahl gemessen nur wenige Schüler daran teil, die häufig bereits zu den ‚Überfliegern‘ zählen (vgl. Paran 2013: 326f.). Zweitens besitzen deutsche CLIL-Lehrer eine doppelte Fakultas, unterrichten also fast immer jeweils ein Sach- und Sprachfach. Dies kann zumindest als ideale Voraussetzung für eine gelingende Integration von Sprache und Inhalt gelten (kritischer: vgl. Vollmer 2013: 126). Gerade Letzteres ist jedoch bei Universitätslehrern häufig nicht gegeben und sollte daher bei der Begleitung englischsprachiger Lehre an deutschen Universitäten berücksichtigt werden: „Lehrenden im Fachstudium muss häufig erst bewusst gemacht werden, dass fachliches und sprachliches Lernen einen untrennbaren Komplex darstellen und ihnen die Aufgabe zukommt, durch eine entsprechende Methodenwahl neben der Wissensaufnahme auch den Erwerb von Sprach- und Schlüsselkompetenzen zu fördern“ (Gnutzmann/ Lipski-Buchholz 2008: 160). Aber selbst eine erfolgreiche Nutzung des Englischen als Unterrichts- und Lehrsprache könnte weitreichende Auswirkungen zeitigen. Die Dominanz des Englischen als internationale Publikations- und Konferenzsprache sowie die Erfolge des bilingualen Unterrichts könnten Verantwortungsträger zu der Annahme verleiten, dass englischsprachiger Fachunterricht auf allen Studienniveaus und für alle Fächer eine sinnvolle Lösung darstelle. Zwar sind die langfristigen Folgen einer umfassenden sprachlichen Umstellung der schulischen und universitären Lehre teilweise unabsehbar, die Stellung des Deutschen als Wissenschaftssprache würde aber in jedem Fall weiter geschwächt. Eine konsequente Verstärkung von Arrangements wie CLIL und EMI (English-Medium Instruction) könnte letztendlich zu einer derart starken Hinwendung zum Englischen führen, dass deutschsprachige Bildung gänzlich in Frage gestellt würde. In einem zugegebenermaßen extremen Szenario stellt sich möglicherweise in der Zukunft die Frage, warum beispielsweise das Fach Biologie in der Schule überhaupt auf Deutsch unterrichtet werden sollte, wenn doch das spätere Biologiestudium und die Kommunikation in Laboren, Instituten, Fachzeitschriften und anderen Arbeitsumgebungen immer häufiger ausschließlich auf Englisch stattfindet und 8 In diesem Zusammenhang deutet sich die ‚Zwickmühle‘ an, entweder auf Englisch zu publizieren und im Feld wahrgenommen zu werden oder dies nicht zu tun und international als ‚unsichtbar‘ zu gelten: „[S]ome of the most interesting thinking about CLIL and its implementation is not in English. For example, there is a great deal of interesting research published in German, much of it critical [...]. In effect this phenomenon means that a great deal of CLIL research is occluded from the international debate on these policies, which is mainly conducted in English“ (Paran 2013: 323). Zugleich bringt das Vorhandensein eines deutschsprachigen Diskurses handfeste Vorteile mit sich, wie die Möglichkeit einer Diskussion der in Deutschland vorherrschenden Ausgestaltung des bilingualen Unterrichts ohne den sozio-edukativen Rahmen anderer Bildungssysteme mitdenken zu müssen. <?page no="27"?> 27 diese Sprache bereits vom Kindergarten an kontinuierlich gelernt wird. Es muss deshalb auch Aufgabe der Angewandten Linguistik und der Sprachdidaktik sein, mögliche gesellschaftliche Auswirkungen des umfassenden Einsatzes von Englisch als Unterrichts- und Arbeitssprache zu untersuchen. In diesem Sinne ist es von Vorteil, den Hochschulraum ‚holistisch‘ zu betrachten, da eine Analyse der Schreib- und Publikationspraktiken nur einen Teil der sprachlichen Realität der Forscher widerspiegelt, die ja in der Regel auch Lehrende sind. Es kann resümiert werden, dass die Präsenz des Englischen sich nicht auf das Publizieren von wissenschaftlichen Artikeln beschränkt, sondern sich ebenfalls in die Bereiche sekundärer und tertiärer Bildung erstreckt. Den gesellschaftspolitischen Hintergrund für die heutige Dominanzsituation bilden Globalisierungs-, Europäisierungs- und Vermarktlichungsprozesse, in denen das Englische eine zentrale Rolle einnimmt. Aus der fortschreitenden Anglisierung resultiert eine weitgehende wissenschaftliche Zweisprachigkeit vieler Forscher, die je nach Fach und Sprachenbiographie mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Dies bedeutet, dass das Englische einen festen Platz in Wissenschaft und Gesellschaft gewonnen hat, ob man dies nun gutheißt oder nicht: „The proverb exists in various forms, but no matter which form you prefer, there is no point closing the barn door after the horse has bolted. English is here to stay“ (Linn 2010: 297). Wenngleich es nicht zu einem drastischen Einsprachigkeits-Szenario kommen dürfte, zeigt die rasante Zunahme des Englischen als Medium für wissenschaftliche Veröffentlichungen und Lehre die Notwendigkeit auf, die Dynamiken der Wissenschaftskommunikation genauer zu erforschen. 1.3 Ansätze zur Untersuchung des Englischen als Wissenschaftssprache Die Erforschung wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens ist ein interdisziplinäres und multiperspektivisches Unterfangen. Sie beschäftigt sich mit Fragestellungen, die so vielschichtig sind, dass unter anderem (angewandt) linguistische (z.B. Swales 2004), sprachsoziologische (z.B. Haberland/ Mortensen 2012), (fremd-)sprachendidaktische (z.B. Lehnen/ Schindler 2010) sowie politik- (z.B. Phillipson 1992), geschichts- (z.B. Kruse 2006) und wirtschaftswissenschaftliche (z.B. van Parijs 2007) Perspektiven und Methoden zu ihrer Untersuchung herangezogen werden. So legt die Tatsache, dass Wissenschaft von Menschen ausgeübt wird, die in Institutionen verortet sind, sozial- und kulturwissenschaftliche Ansätze nahe. Dadurch, dass Wissenschaft sowohl nach innen als auch nach außen hin hauptsächlich durch Publikationen ‚sichtbar‘ wird und diese deshalb eine herausgehobene Bedeutung für individuelle Wissenschaftler, wissenschaftliche Organisationen und die Konstruktion von Wissen innehaben, spielen textanalytische An- <?page no="28"?> 28 sätze ebenfalls eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang sind auch wissenschaftssprachdidaktische Ansätze von Relevanz, die ihre Legitimität oft direkt mit der Relevanz wissenschaftlicher Texte begründen und das Ziel verfolgen, (Nachwuchs-)Wissenschaftlern und Studierenden Hilfestellung beim Erlernen gültiger sprachlicher Regeln und Normen zu geben. Wissenschaftshistorische Betrachtungen ermöglichen darüber hinaus wertvolle Einsichten in die Entstehung und Wandlung wissenschaftlicher Institutionen und Praktiken und erlauben somit ein besseres Verständnis heutiger Prozesse. Der Komplexität und Komplementarität dieser Ansätze soll in der vorliegenden Arbeit und insbesondere in der Einführung in das Themengebiet wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens Rechnung getragen werden. Sie kann somit an der Schnittstelle zwischen Angewandter Linguistik und Sprachdidaktik verortet werden, da die Untersuchung wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens nicht nur von sprach- und sozialwissenschaftlichen Verfahren profitiert, sondern auch fremdsprachendidaktische Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. Zur wissenschaftlichen Untersuchung von Wissenschaftssprachen werden oft schriftliche und veröffentlichte Texte herangezogen. Bei vielen fachlichen und sprachlichen Konventionen handelt es sich jedoch weitgehend um ‚ungeschriebene Gesetze‘: Es kann durch die Analyse publizierter Texte beispielsweise nicht festgestellt werden, welche Korrekturdienstleistungen im Einzelnen bei der Erstellung englischsprachiger Beiträge in Anspruch genommen werden oder welche Schreib-, Kooperations- und Veröffentlichungsstrategien die Autoren im Zuge der Erstellung ihrer Texte einsetzen. Derartige Einsichten bedürfen im Normalfall der Rekonstruktion durch Methoden, die sich durch einen Fokus auf das soziale Umfeld bzw. den Kontext wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens auszeichnen. Ziel ist es dabei zu untersuchen, welche Tätigkeiten die Textproduktion und -rezeption umgeben und wie die Diskursteilnehmer diese wahrnehmen (vgl. Hyland 2012: 36f.). Vor diesem Hintergrund erscheint die theoretische Ausrichtung der Untersuchung entlang der Grundpfeiler soziokultureller Theorien sinnvoll: [W]riting in academic settings cannot be represented adequately using a linear, structural, transmission model, where academic literacy refers narrowly to the ability to read, write, and speak the languages used in the academy. Rather, writing should be viewed sociohistorically, as situated within a complex environment, in which interpersonal relationships, identities, practices, and local contexts - as well as artifacts that include actual pieces of writing - interact. (Casanave 1998: 176) Eine mögliche Anwendungsform soziokultureller Theorien stellen Gruppenkonzepte wie die Diskursgemeinschaft (discourse community; vgl. z.B. Swales 1990, 1998) oder die Praxisgemeinschaft (community of practice; vgl. z.B. Lave/ Wenger 1991; Wenger 1999) dar. Sie ermöglichen es, einzelne Wissenschaftler in ihrem beruflichen und sozialen Handlungsfeld zu veror- <?page no="29"?> 29 ten und Beziehungen zu anderen Gemeinschaftsteilnehmern, wie z.B. Kollegen oder Studierenden, zu modellieren und zu analysieren. Disziplinspezifische Denk-, Handlungs- und Sozialisationsweisen können so in die Beschreibung von Wissenschaftsprozessen, wie des Schreibens und Publizierens, einfließen: „[W]riting isn’t just words on a page or the activity of isolated individuals. It is ALWAYS a social practice, influenced by cultural and institutional contexts“ (Hyland 2008: 561, Hervorh. i.O.). Diese Perspektive auf Schreiben und Wissenschaft als gesellschaftlich, geschichtlich und kulturell eingebettete Praxis wird im Kapitel 2 - Theoretische Zugänge zur sozialen Dimension der Wissenschaft - weiter ausgebaut und diskutiert. 1.3.1 Nationale und fachliche Einflüsse Da Wissenschaft sich in Institutionen wie z.B. Universitäten konstituiert, die sich innerhalb eines bestimmten soziokulturellen und ökonomischen Rahmens entwickelt haben, ist es unabdingbar, nationale Besonderheiten der Wissenschaftssysteme und -sprachen bei der Beschäftigung mit wissenschaftlichem Schreiben und Publizieren zu berücksichtigen. Einige nationale Besonderheiten in den Wissenschaftssprachen und -traditionen sind unter anderem im Zusammenhang mit der Verdrängung des Lateinischen durch die Nationalsprachen und der Eigendynamik gesellschaftlicher Entwicklungen zu sehen. So lassen sich Unterschiede in den Schreibkulturen teilweise durch die Ideale der jeweiligen Bildungssysteme erklären, die wiederum die Wissenschaftskommunikation in diesen Ländern beeinflussen. Idealtypisch lassen sich beispielsweise die von napoleonischer Strenge gekennzeichneten Elitehochschulen Frankreichs und die am humboldtschen Bildungsideal orientierten Forschungsuniversitäten Deutschlands ausmachen (vgl. Kruse 2006: 334; Siepmann 2006: 133), die zu teilweise unterschiedlichen Texttypen und rhetorischen Anforderungen an Wissenschaftstexte geführt haben. Zwar liegen bereits viele Untersuchungen zum wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren auf Englisch vor, die vor allem auf die pädagogische Unterstützung von ausländischen Studierenden abzielen (z.B. Hyland/ Milton 1997; Leki 2007; Swales 2004), es gibt bisher aber nur wenige empirische Untersuchungen, die sich dem Gegenstand aus Sicht deutschsprachiger Wissenschaftler nähern. Der deutschsprachige Forschungsraum wurde bisher hauptsächlich aus der Perspektive von Deutsch als Fremd- und Wissenschaftssprache im Studium empirisch erforscht (vgl. z.B. Ehlich/ Steets 2003; Graefen 1997; Gruber et al. 2006; Pohl 2007; Steinhoff 2007). Die vorliegende Untersuchung nimmt damit einen bisher kaum erforschten Teilbereich genauer in den Blick. Als eine der ersten Studien zu Schreib- und Publikationspraktiken von Nichtmuttersprachlern, die sich auf einen Kontext außerhalb des angloamerikanischen Raumes, genauer gesagt Spanien, bezieht, wird häufig St. John (1987) genannt. In der Folge hat sich ein eigener Forschungszweig ent- <?page no="30"?> 30 wickelt, der zumeist bestimmte Wissenschaftlergruppen in verschiedenen wissenschaftlichen Systemen untersucht. Insbesondere der unterschiedliche Aufbau der Wissenschaftssysteme legt dabei nahe, dass Ergebnisse von Studien, die das Schreiben und Publizieren in verschiedenen nationalen Wissenschaftskontexten erforscht haben (vgl. z.B. Björkman 2013; Bolton/ Kuteeva 2012 für Schweden; Flowerdew 2007 für Hongkong; Flowerdew/ Li 2009 für China; Lillis/ Curry 2010 für Portugal, die Slowakei, Spanien und Ungarn; Okamura 2006 für Japan; Pérez-Llantada/ Plo/ Ferguson 2011 für Spanien), nur eingeschränkt auf den deutschen Kontext übertragbar sind. So ist beispielsweise in Hongkong trotz vorherrschender gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit das Englische die überwiegend eingesetzte Lehr- und Publikationssprache (vgl. Petersen/ Shaw 2002: 372). Dennoch können diese und andere Studien wichtige komparative Erkenntnisse liefern. Faktoren, die eine Rolle in der Ausrichtung nationaler Wissenschaftssysteme spielen könnten, sind unter anderem die Betonung von Forschung bzw. Lehre, das Vorhandensein oder die Abwesenheit nationalsprachlicher Diskurse, die Geschichte und Traditionen des jeweiligen Wissenschaftssystems, die Publikationskultur sowie das Vorhandensein wissensintensiver Berufsgruppen (z.B. Ärzte, Lehrer). Für Deutschland ist eine nationale Besonderheit in der Existenz eines bedeutsamen deutschsprachigen wissenschaftlichen ‚Binnenmarkts‘ zu sehen, der dem Deutschen im Gegensatz zu ‚kleineren‘ Nationalsprachen eine publizistische Bedeutung verleiht, die diese oft nicht bzw. nicht mehr haben. So publizierten in Skandinavien bereits vor dem Aufstieg des Englischen viele Wissenschaftler hauptsächlich in damals als international geltenden Wissenschaftssprachen wie Deutsch oder Französisch (Ferguson 2007: 11). 9 Wenngleich der nationale Rahmen großen Einfluss auf die Ausgestaltung des Wissenschaftssystems hat, ist die normierende Kraft fachlicher Gruppen, die sich unter anderem durch Fachkommunikation in Wissenschaftsdiskursen konstituieren, von grundlegender Bedeutung für die Untersuchung wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens. So rückt in wissenschaftlichen Kommunikationssituationen wie Veröffentlichungen und Konferenzen häufig die Identität als Wissenschaftler eines bestimmten Faches, also z.B. als Biologe oder Soziologe, in den Vordergrund. Bedingt ist dies durch die überwiegend fachlich orientierte und nach Disziplinen getrennte Sozialisation der Wissenschaftler, die mithilfe spezieller Studiengänge, Methoden und Publikationsforen spezifische Kommunikationsmuster ausbilden. Über die Beachtung des nationalen Kontextes hinaus sind daher Unterschiede zwischen den großen Fachkulturen - wie Formal-, Natur-, Ingenieur-, Sozial- und Geisteswissenschaften - in der Wissenschaftssprachforschung relevant. Die von den jeweiligen Fachkulturen abgedeckten Untersu- 9 Zur Rolle des kapitalistisch orientierten Verlagswesens in der Bildung von Vernakulär- Sprachgemeinschaften und Nationen siehe Anderson (2006: 37-46). <?page no="31"?> 31 chungsgebiete und erkenntnistheoretischen Positionen variieren stark und sind deshalb ein wichtiger Faktor bei der Bestimmung von Schreibkonventionen und den damit verbundenen Anforderungen an die Wissenschaftler. Verallgemeinert wird das Schreiben in den Naturwissenschaften, bedingt durch eine ausgeprägte Gegenstandsbezogenheit und den Einsatz experimenteller Forschungsmethoden, oft „als nachgeordnete Tätigkeit, die der ‚eigentlichen‘ Arbeit folgt“ (Lehnen 2009: 281; vgl. auch Jakobs/ Lehnen/ Schindler 2005: 7) konzipiert. Im Gegensatz dazu wird das Schreiben in den Geisteswissenschaften häufig als konstitutiv für den Erkenntnisprozess gesehen (vgl. z.B. de Swaan 2001: 77f.; Gnutzmann 2006: 195). Diese Unterscheidung kann allerdings nur eine grobe Annäherung an die verschiedenen Fachkulturen sein, die jeweils mehr oder weniger stark mit dem Englischen in Berührung kommen. Während also Kategorisierungen wie Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften bereits eine grundlegende disziplinäre Differenzierung ermöglichen, muss diese Ausdifferenzierung für die Zwecke der Untersuchung noch spezifischer ausfallen. So publizieren Mediziner beispielsweise Behandlungsrichtlinien, wogegen Fremdsprachendidaktiker etwa Unterrichtsmethoden erforschen und diskutieren. Die in den jeweiligen Fächern vorherrschenden Veröffentlichungssprachen, Textsorten und Textstile stellen die eigentlichen Anforderungen an Wissenschaftler und teilweise Studierende im Fach dar. Es ist deshalb nicht ausreichend, generalisierend über Englisch als Wissenschaftssprache oder über Anforderungen an das Publizieren auf Englisch zu sprechen. Vielmehr handelt es sich in der Regel um fachlich geprägte Anforderungen an Inhalt, Form und Stil. Die Nutzung des Begriffs „Fach“ ist gleichwohl nicht unproblematisch, da er häufig Übergeneralisierungen und Ungenauigkeiten beinhaltet. So können Disziplinen wie Soziologie oder Politikwissenschaft eher als Sammelbegriffe für verschiedene Forschungsrichtungen dienen, inklusive differenzierter epistemologischer, methodischer und diskursiver Unterschiede (vgl. Shaw 2008: 6). Thematische Schwerpunktsetzungen innerhalb eines Faches haben ebenfalls Einfluss auf die Schreibanforderungen der Wissenschaftler. In den hier zugrundegelegten Fächern ist dies beispielsweise der Fall für die Germanistische Linguistik, deren Vertreter jeweils eher empirisch-experimentell oder theoretisch ausgerichtet arbeiten. Diese und andere Faktoren müssen bei der Erhebung und Auswertung der Interviews sowie bei der Interpretation der Ergebnisse Berücksichtigung finden (siehe Kap. 3). 1.4 Politische Antworten auf die Dominanz des Englischen: Parallelsprachigkeit oder Laissez-faire? Die skandinavischen Gesellschaften durchlaufen teilweise bereits seit den Sechzigerjahren verstärkt Anglisierungsprozesse; in der Folge haben sie Pro- <?page no="32"?> 32 zesse der wirtschaftlichen Globalisierung und der Anglisierung maßgeblich mit vorangetrieben. Dies geschah unter anderem dadurch, dass englischsprachige Studiengänge eingerichtet wurden, die nicht nur attraktiv für ausländische Studierende waren, sondern auch ‚einheimische Studierende‘ auf eine Teilnahme am internationalen Arbeitsmarkt vorbereiten sollten und zugleich eine größere Mobilität von Lehrpersonen erlaubten (vgl. Linn 2010: 298). Entscheidungsträgern in Ländern wie Deutschland und Frankreich, in denen die Anglisierung (noch) nicht in einem vergleichbaren Maß vorangeschritten ist, könnte die ‚Vorreiterrolle‘ der skandinavischen Länder dahingehend nützlich sein, als sich erwünschte und unerwünschte Auswirkungen einer zunehmenden Öffnung gegenüber dem Englischen daran ablesen und für den eigenen Kontext besser antizipieren, planen und steuern lassen. Die skandinavischen Länder (sowie Länder wie die Niederlande) sind daher von besonderem Interesse für die Wissenschaftssprachforschung, da sich hier am ehesten Einsichten dazu ergeben, wie Gesellschaften mit der zunehmenden Anglisierung und ihren Konsequenzen umgehen. Die intensive Nutzung des Englischen an skandinavischen Universitäten und in anderen gesellschaftlichen Bereichen hat bereits seit Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zur Thematisierung sogenannter Domänenverluste geführt (vgl. Laurén/ Myking/ Picht 2005: 4). Domänenverlust wird dabei im Allgemeinen als ein Prozess des Sprachwandels definiert, bei dem eine Veränderung der Funktionen und des Status einer bestimmten Sprache eintritt, wobei im Extremfall eine Sprache überhaupt nicht mehr verwendet wird, also ausstirbt (vgl. Linn 2010: 296; Hultgren 2014: 71). Dennoch ist die Frage des Sprachwandels nicht als simples Ursache/ Wirkungs- Schema zu verstehen. Vielmehr ist das Verhältnis von der Sprachverwendung in einzelnen Domänen zur ‚Vitalität‘ einer Gesamtsprache noch nicht genauer erforscht. Linn (2010: 295) wirft in diesem Zusammenhang wichtige Fragen am Beispiel des Norwegischen auf: If Norwegian fails to thrive in certain limbs, is the whole body under threat? If Norwegians are happy to hand over the language in certain contexts, is this just the top of the slippery slope? [...][C]an a language be said to ‘possess’ discrete domains? How realistic is it that a decrease in academic writing in Norwegian could ultimately result in the loss of a language used by a major world economic power? Is it true that these domains are lost, do they not just mutate? Wenngleich auf diese Fragen in der vorliegenden Arbeit ebenfalls keine Antworten gegeben werden können, trägt ein tieferes Verständnis skandinavischer Domänendynamiken und Wissenschafts-Sprachpolitik zur Einschätzung der Lage im deutschsprachigen Wissenschaftssystem bei. Einige Forscher kritisieren den Begriff Domänenverlust als irreführend, da die skandinavischen Sprachen auch bereits vor ‚Ankunft‘ des Englischen nur eine geringe Rolle als wissenschaftliche Publikationssprachen gespielt hätten und man sich überwiegend Publikationssprachen größerer Reichwie- <?page no="33"?> 33 te bediente, wie z.B. des Lateinischen bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts sowie in „einer kurzen mehrsprachigen Phase“ (Ylönen 2013: 42) des Deutschen und Französischen (vgl. auch Ferguson 2007: 18). 10 In diesem Sinne hätten Länder wie Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland lediglich eine als international geltende Publikationssprache durch eine andere ersetzt, aber keine Domänen eingebüßt, da sie diese nie mit der Landessprache ausgefüllt hätten. Dieser Einwand greift jedoch nicht für andere universitäre Domänen, wie z.B. die Kommunikation mit wissensintensiven Berufsgruppen (z.B. Lehrer, Ingenieure, Ärzte), die wissenschaftliche Lehre (inklusive alltäglicher Wissenschaftssprache) und Verwaltung (inklusive der Repräsentation der Universität nach außen). Hier könnte ein Voranschreiten des Englischen tatsächlich zum Verlust von professionellen und wissenschaftsnahen Domänen führen, was letztendlich einem „Auszug“ (Trabant 2000: 119) der jeweiligen Nationalsprache aus der Domäne der Wissenschaft gleichkommt. Es wird befürchtet, dass die nordischen Sprachen zu ‚Küchensprachen‘ reduziert werden (vgl. Hultgren 2014: 72; Ferguson 2007: 31). Dies würde einen jahrhundertelang vorangetriebenen sprachlichen Ausbau von Vernakulärsprachen zu Wissenschaftssprachen zunichtemachen. Eine weitere Befürchtung ist, dass somit Teile der Bevölkerung, die das Englische nicht ausreichend beherrschen, von gesellschaftlich wichtigen Diskursen ausgeschlossen werden könnten (vgl. Hultgren 2014: 71). Diese teils antizipierten, teils bereits eingetretenen Entwicklungen haben skandinavische Regierungen und Bildungsinstitutionen dazu veranlasst, Sprachenpolitiken zu implementieren, die die Nationalsprachen schützen und gleichzeitig das Englische im notwendigen Rahmen erlauben sollen. 11 Eine mögliche Lösung wurde in der Politik der Parallelsprachigkeit (norwegisch „parallellspraklegheit“, Linn 2010: 298; dänisch „parallellspråkighet“, Hultgren 2014: 68; englisch „parallel-lingualism“, Hveem et al. 2006: 24) gefunden, die festlegt, dass die Nationalsprache jeweils neben dem Englischen benutzt werden soll. Die Universität Oslo definiert den Begriff wie folgt: „[P]arallel-lingualism is a key principle and means that staff and students are encouraged to attain proficiency in foreign languages, while preserving Norwegian as the primary language“ (Hveem et al. 2006: 24). Beispielsweise wird gefordert, dass englischsprachige Dissertationen durch längere Zusammenfassungen in der jeweiligen Nationalsprache ergänzt werden (vgl. a.a.O.: 16). Die Umsetzung dieser Politik gestaltet sich jedoch schwierig, da die Vorgaben, wie das folgende Zitat anschaulich zeigt, relativ unscharf sind: „Parallel-lingualism is used to denote domains where two or 10 In Ylönen (2013: 43) befindet sich eine Übersicht der in Finnland vom 17. Jahrhundert bis 2009 verwendeten Sprachen in Dissertationen. 11 Hultgren (2014: 82f.) vertritt die Auffassung, dass sprachliche Gesichtspunkte lediglich ein oberflächlicher Grund für derartige sprachenpolitische Maßnahmen sind. Die skandinavische Spachenpolitik ließe sich vielmehr nur im Zusammenspiel mit antiamerikanischen und Anti-Immigrations-Diskursen verstehen. <?page no="34"?> 34 more languages are in general use, and where one language [...] will be the preferred language choice when it is not more appropriate to use a foreign language“ (Hveem et al. 2006: 9). Unter welchen Umständen es jedoch „angemessener“ ist, die jeweilige Nationalsprache bzw. das Englische zu nutzen, bleibt trotz einiger Ausgestaltungsvorschläge weitestgehend eine Interpretationsfrage (vgl. Hultgren/ Thøgersen 2014: 9f.). Die Politik der Parallelsprachigkeit wird häufig skeptisch gesehen und es herrscht Zweifel daran, ob sie wirklich von Erfolg - also der Weiternutzung der Nationalsprachen in den Domänen der Wissenschaft - gekrönt sein kann. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang ergibt, ist, ob die parallele Nutzung zweier Wissenschaftssprachen innerhalb einer Domäne langfristig funktionieren kann (vgl. Ferguson 2007: 19) oder ob das Prinzip „one domain, one language“, auch Domänendistribution genannt (Laurén/ Myking/ Picht 2006: 5), nicht vielversprechender wäre. Für eine klare Sprachentrennung spräche, dass die ‚Sprachgrenzen‘ so leichter definier- und durchsetzbar wären. Allerdings würde eine derartige Sprachpolitik ebenfalls bedeuten, wichtige Domänen (z.B. wissenschaftliche Publikationen) aufzugeben um andere zu erhalten (z.B. eine nationalsprachige Lehre). Linn (2010: 298ff.) bemängelt an der Politik der Parallelsprachigkeit, dass es bisher keine verbindlichen Sanktionen für deren Nichteinhaltung gibt. Er fordert deshalb, dass ein verantwortungsbewusster Umgang mit Sprache(n) Teil des beruflichen Aufgabenkatalogs von Wissenschaftlern werden sollte, ähnlich wie dies bereits für den Bereich der Forschungsethik (z.B. das Einholen einer Einverständniserklärung bei der Aufzeichnung von Interviews) geschehen ist. Zwar sieht er eine politische Steuerung der Sprachnutzung in Demokratien als durchaus problematisch an, kommt aber dennoch zu folgendem Schluss: „The blunt message then has to be, either we take domain loss seriously and require professionals to act, or we simply accept the inevitability of Language Shift“ (ebd.). Linn geht nicht dezidiert darauf ein, welche Pflichten Wissenschaftler im Interesse der Erhaltung nationaler Wissenschaftssprachen im Einzelnen erfüllen sollten. Es erscheint jedoch absehbar, dass eine Laissez-faire-Sprachenpolitik der Anglisierung weiteren Vorschub leisten könnte und der Reflexivität moderner Wissenssysteme nicht gerecht wird, wie Ehlich (2000: 60) überzeugend darlegt: Sich blind zu verlassen darauf, dass die „unsichtbare Hand“ alles schon zum besten richten werde oder, anders, den Blick darauf zu fixieren, dass „der Markt“ ohnehin schon entschieden habe, entspricht gerade für den Bereich der Wissenschaft weder den Erfordernissen noch den Möglichkeiten des aktiven Handelns. Zu solchem Handeln gehört die Reflexion der wissenschafts- und wissenssoziologischen Bedingungen mit Blick auf die Veränderungen der Wissenschaftskommunikation. Dazu gehört die Abschätzung der Kosten und des Nutzens der unterschiedlichen Optionen. Vor diesem Hintergrund, wenn auch nicht direkt mit der Situation in Deutschland vergleichbar, ist es von Interesse, die Einstellungen deutsch- <?page no="35"?> 35 sprachiger Forscher zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch zu eruieren. Eines der Ziele der Untersuchung ist es daher festzustellen, wie sie die aktuelle Sprachsituation wahrnehmen und ob sie eine Intervention zum Erhalt des Deutschen in der Wissenschaft als notwendig erachten (Kap. 5.2.3). 1.5 Sprachliche, kulturelle und materielle Ungleichheit Im Bereich des wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens finden sich Ungleichheiten in vielfältigen Formen und Ausprägungsgraden. Sie entstehen häufig aus ungleicher Ressourcenverteilung, wie der finanziellen Ausstattung einer Universität, aber auch aufgrund kultureller und sprachlicher Unterschiede. Insbesondere in sprachlicher Hinsicht spielen die Distanz zwischen Erst- und Zielsprache sowie die individuelle Fremdsprachen(lern)kompetenz eine wichtige Rolle. Es hängt jedoch in erster Linie vom zugrundegelegten Gerechtigkeitsverständnis ab, ob eine vorliegende Ungleichheit auch als Benachteiligung empfunden wird. Ungleichheiten zwischen Wissenschaftlern, die Muttersprachler bzw. Nichtmuttersprachler des Englischen sind, werden dabei seit längerem international diskutiert (siehe z.B. Ammon 2012 für eine Übersicht zu diesem Thema). Beispielsweise stellt Burrough-Boenisch (2000), trotz im Allgemeinen als ausgeprägt geltender Englischkompetenz, schriftsprachliche Probleme niederländischer Wissenschaftler bei der Abfassung von Fachaufsätzen fest. Ein Phänomen, das dazu beiträgt, nicht-englischsprachige Forschungen und möglicherweise nichtmuttersprachliche Forscher von internationalen Diskursen auszuschließen, sind Metaanalysen und Übersichtsartikel, die nicht-englische Studien ignorieren (vgl. Tardy 2004: 250). Für das Feld der Angewandten Linguistik kann Uzuner (2008) als Beispiel herangezogen werden, die für eine Metastudie im Bereich des wissenschaftlichen Schreibens - ironischerweise zur Benachteiligung von Nichtmuttersprachlern des Englischen - nur auf englischsprachige Studien zurückgriff. So wurde über englische Schlagwörter in überwiegend amerikanisch orientierten Katalogen wie ERIC (Education Resources Information Center) nach zu berücksichtigender Literatur gesucht. Ob dies allerdings wirklich bedeutet, dass in keiner anderen Sprache relevante empirische Ergebnisse zum Untersuchungsthema vorlagen, darf zumindest bezweifelt werden. Es könnte in der Folge jedoch der Eindruck entstehen, alle relevanten Studien im Feld wären auf Englisch verfasst. Demzufolge verstärkt der ausschließliche Einbezug englischsprachiger Studien für Metaanalysen und Übersichtsartikel den Druck auf Wissenschaftler, auch in dieser Sprache zu veröffentlichen, wenn sie ihre Arbeit berücksichtigt wissen wollen. Eine andere, zunehmend vertretene Position (vgl. z.B. Ferguson 2007: 33; Swales 2004: 56) ist dagegen die, dass Muttersprachler des Englischen nur <?page no="36"?> 36 geringe Vorteile bei internationalen Publikationen genössen, da diese wie Nichtmuttersprachler ebenso die Konventionen des wissenschaftlichen Schreibens erlernen müssten. Schreib- und Publikationsprobleme seien demnach eher bei Nachwuchswissenschaftlern zu finden, unbeeinflusst von deren Muttersprache 12 oder den rhetorischen Anforderungen der jeweiligen Disziplin. Diese Sichtweise erscheint jedoch nicht differenziert genug zu sein, da gerade die Muttersprache als sprachlicher, kognitiver und kultureller Bezugsrahmen je nach Distanz zur Zielsprache die Aneignung einer Fremdsprache deutlich erschweren kann. Geht man des Weiteren davon aus, dass die Strukturen der Fach- und Wissenschaftssprachen aus der Gemeinsprache hervorgehen (vgl. Gnutzmann 2009: 519), so wird deutlich, dass Wissenschaftler mit englischer Muttersprache zumindest einen deutlichen Startvorteil gegenüber Nichtmuttersprachlern haben. Einige Forscher (z.B. Kuteeva/ McGrath 2014) finden eine Mittelposition und argumentieren dafür, dass die Unterscheidung von Mutter- und Nichtmuttersprachlern ‚dekontextualisiert‘ und daher teilweise übergeneralisiert ist. Sie vertreten die Auffassung, dass Muttersprachlichkeit oft als allgemeingültiges Konzept verstanden wird, das aber durch viele Ausnahmen, wie z.B. die zunehmende Englischkompetenz bestimmter Bevölkerungsgruppen und internationale Mobilität nicht immer tragfähig ist. Obwohl also die Unterscheidung zwischen Mutter- und Nichtmuttersprachlern nicht immer über die wissenschaftliche Schreibkompetenz der Autoren Auskunft gibt, bleibt dieses Kriterium für wissenschaftliche Untersuchungen weiterhin sinnvoll, wenn man von einem vergleichbaren akademischen Hintergrund der Betreffenden ausgeht. US-amerikanische oder britische Wissenschaftler genießen demnach durchaus Vorteile, die anderen Forschern in dieser Form nicht zuteilwerden: Sie verfügen nicht nur über eine sprachliche Intuition für das Englische, einen größeren und präziser anwendbaren Wortschatz und ein stärkeres Bewusstsein für wissenschaftliche Diskursnormen in ‚internationalen‘, häufig auf angloamerikanischen Normen beruhenden Fachzeitschriften, sondern profitieren auch von der beruflichen Tätigkeit in der Muttersprache im Zentrum des wissenschaftlichen Mainstreams. Angesichts der Tatsache, dass die meisten deutschsprachigen Forscher als Nichtmuttersprachler des Englischen am wissenschaftlichen Diskurs teilnehmen, soll in der vorliegenden Arbeit der Frage nachgegangen werden, wie die Befragten die Konzepte Mutter- und Nichtmuttersprachler verstehen und welche Vor- und Nachtei- 12 Bedenkt man allerdings, wie fremd für die meisten Sprecher romanischer und germanischer Sprachen z.B. chinesische Schriftzeichen oder die Funktionsweise von Tonalsprachen ist, erscheint diese Aussage wenig haltbar. In der Tat können z.B. Sprecher des Deutschen von einer relativ großen sprachlichen (und teilweise kulturellen) Nähe des Englischen bei dessen Erwerb profitieren. Dies ist weniger der Fall für Wissenschaftler mit Muttersprachen aus anderen Sprachfamilien, bei denen mit deutlich höheren ‚Lerninvestitionen‘ für eine ausreichende Beherrschung des Englischen gerechnet werden muss. <?page no="37"?> 37 le sie damit verbinden, Nichtmuttersprachler des Englischen zu sein (siehe Kap. 5.1). Neben Ansätzen, die die Bevorbzw. Benachteiligung Einzelner untersuchen, existieren weiterhin ökonomisch orientierte Forschungsschwerpunkte, die zum Ziel haben, die Benachteiligungen bestimmter Populationen aufgrund der Ausbreitung des Englischen zu modellieren (vgl. Gazzola/ Grin 2007; Grin 2001; van Parijs 2007). Ein Beispiel hierfür sind erhöhte Opportunitätskosten, die die meisten nichtmuttersprachlichen Benutzer des Englischen tragen müssen. Dazu zählt unter anderem das jahrelange Lernen der Fremdsprache, häufig bei gleichzeitiger Weiterentwicklung der Schreibfähigkeiten in der nationalen Wissenschaftssprache (vgl. Casanave 1998: 195), oder das Bewerkstelligen aufwändiger Korrekturarbeiten vor Veröffentlichungen. Dies ist nicht nur im Sinne des damit verbundenen Zeitaufwandes von Interesse, sondern durchaus auch finanziell für Nichtmuttersprachler relevant, wenn sie z.B. englischsprachige Artikel von Muttersprachlern gegen Bezahlung korrigieren lassen; eine Ausgabe, die den englischen Muttersprachlern erspart bleibt. Bei allen Vorzügen, die wissenschaftliche Mehrsprachigkeit mit sich bringt, sie verlangt ebenfalls einen erhöhten zeitlichen und finanziellen Aufwand zur Erhaltung von Kompetenzen in zwei oder mehr Wissenschaftssprachen: Wissenschaftssprachliche Muster, Genrekonventionen, stilistische Besonderheiten etc. müssen folglich in zwei (oder mehr) Sprachen beherrscht werden, um in der Wissenschaft erfolgreich zu sein. Verstärkt gilt dies für Forscher, die zusätzlich in Bereichen wie der Lehre zweisprachig arbeiten. Jedoch sollte bei der offensichtlich erscheinenden Benachteiligung der Nichtmuttersprachler durch erhöhte Opportunitätskosten nicht vergessen werden, dass es auch ‚Gewinner‘ der Anglisierung gibt. Neben bereits etablierten Zentren wissenschaftlicher Exzellenz in der englischsprachigen Welt eröffnet die Ausbreitung des Englischen auch die Möglichkeit für andere Forschungsinstitute und Wissenschaftler, sich nun in einer ‚globalisierten‘ Wissenschaft neu zu positionieren und finanziell oder wissenschaftlich davon zu profitieren, z.B. durch europäische Förderprogramme und -maßnahmen. Ein weiterer Ansatz konzentriert sich auf die materielle Dimension von Ungleichheit und weist auf die schwierigen Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler in Entwicklungsländern hin (vgl. Canagarajah 1996; Salager- Meyer 2008). Die oft prekären Umstände - sie reichen von finanziellen Problemen bei teuren Zeitschriftenabonnements bis zum Fehlen von Kopierpapier und Computern - spielen jedoch häufig keine große Rolle in der Diskussion um die Anglisierung der Wissenschaft. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die universitären Bedingungen in den meisten industrialisierten Ländern gänzlich andere sind. Neben relativ gesehen hohem materiellen Wohlstand ist das deutsche Wissenschaftssystem z.B. durch eine ausdifferenzierte Forschungsinfrastruktur und überwiegend deutschbzw. muttersprachliche sekundäre sowie tertiäre Bildung charakterisiert. Wenn- <?page no="38"?> 38 gleich materielle Benachteiligung nicht im Fokus der vorliegenden Arbeit liegt, sollte die Variable Wohlstand bei Überlegungen zu sprachlichen Ungleichheiten nicht außer Acht gelassen werden, da die finanzielle Kraft eines Landes eine entscheidende Rolle beim Ausgleich dieser Ungleichheiten spielen kann, wie z.B. in der Finanzierung von Auslandsaufenthalten, Stipendien, Sprachkursen etc. So schlussfolgert Ferguson (2007: 21ff.) auf der Basis von makrobibliometrischen Statistiken, dass eine Korrelation zwischen nationalem Wohlstand und Forschungsoutput besteht. Dies ist nicht sonderlich überraschend, da der Betrieb eines leistungsfähigen Forschungssystems, insbesondere in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, kostenintensiv ist. Während die Unterschiede im Wissenschaftsoutput 13 zwischen armen und reichen Ländern relativ eindeutig sind, gibt es unter den wohlhabenden Ländern jedoch ebenfalls signifikante Unterschiede, die nicht ausschließlich auf finanzielle Ausstattung zurückgeführt werden können (vgl. Ferguson 2007: 23) und dementsprechend anders erklärt werden müssen. Ein spezifisch auf das Publizieren bezogenes Ungleichheitsproblem ist das sogenannte gatekeeping. Mit der Durchsetzung des Englischen als internationale Wissenschaftssprache hatten (und haben) englischsprachige Zeitschriften, besonders amerikanischen und britischen Ursprungs, einen entscheidenden Startvorteil bei der Etablierung ‚internationaler‘ Fachzeitschriften. Diese Vormachtstellung drückt sich unter anderem in der Möglichkeit aus, wissenschaftliche Diskurse durch Begutachtungsvorgänge zu regulieren, das heißt, nur bestimmte Beiträge für die Veröffentlichung anzunehmen (vgl. de Swaan 2001: 78; Tardy 2004: 248). Eine Form des gatekeeping ist im peer review-Verfahren, bei dem Manuskripte in der Regel von anonymen Fachkollegen begutachtet werden, bewusst angelegt. Aufgrund der großen Anzahl an Beiträgen, die bei internationalen Fachzeitschriften eingehen, und der Streuung inhaltlicher und methodischer Orientierungen besteht durchaus die Notwendigkeit, Beiträge zu selektieren. Peer review ist allerdings deshalb noch „kein wissenschaftliches Messverfahren für die Güte von Publikationen, sondern eine soziale Einrichtung zur Kalibrierung der Lesezeit einer Disziplin“ (Hirschauer 2004: 62). Es ist weder unfehlbar noch notwendigerweise systematisch oder gar an wissenschaftlichen Standards orientiert. Daher wird vermutet, dass dieses Verfahren zum Ausschluss z.B. nichtmuttersprachlicher Autoren führen kann, besonders wenn implizit erwarteten Diskursmustern nicht entsprochen oder eine abweichende methodische oder theoretische Ausrichtung vertreten wird (vgl. z.B. Bennet 2010: 31). Hinzu kommt, dass nicht immer festzustellen ist, welche Regeln und Prinzipien wirklich als international gelten können und welche Normen z.B. eher einer amerikanischen Wissenschafts- und Schreibtradition entstammen. Wird darüber hinaus die Annahme zugrunde gelegt, dass englischsprachige 13 Gemessen ausschließlich anhand der Veröffentlichungszahlen wissenschaftlicher Artikel in internationalen Fachzeitschriften, die in einem der großen Indizierdienste eingetragen sind. <?page no="39"?> 39 Beiträge weitestgehend amerikanischen Wissenschafts- und Sprachnormen zu folgen haben, können davon abweichende Texte als unangemessen wahrgenommen werden. 14 Beispielhaft resümieren Hyland/ Salager-Meyer (2008: 320) die Wahrnehmung deutscher Wissenschaftstexte durch englische Leser mit den Worten „pretentious, digressive, propositionally asymmetrical, long-winded and badly organized“. In einer empirischen, disziplinübergreifenden Untersuchung verglichen Fandrych und Graefen (2002) die in deutschen und englischen journal-Artikeln eingesetzten textstrukturierenden Kommentare. Entgegen der z.B. von Clyne (1987) postulierten mangelnden ‚Linearität‘ und ‚Leserunfreundlichkeit‘ deutscher Texte kommen sie zu dem Schluss, dass deutschsprachige Autoren genau wie ihre angloamerikanischen Kollegen ihre Texte organisieren und strukturieren, wenn auch über andere Textkommentar-Typen (vgl. Fandrych/ Graefen 2002: 35). 15 Während also durchaus Unterschiede in den verschiedenen Textgliederungsstrategien existieren, stellen die Autoren gängige wissenschaftskulturelle Generalisierungen infrage, indem sie zeigen, dass deutschsprachige Texte mindestens ebenso viele metatextuelle Kommentare beinhalten wie englische. Darüber hinaus merken sie an, dass eine übermäßige Textkommentierung den Lesefluss auch stören könne und dass das Fehlen bestimmter angloamerikanischer Textmuster nicht notwendigerweise mit Leserunfreundlichkeit gleichzusetzen sei (vgl. a.a.O. 40). Vielmehr ist zu vermuten, dass die Idee der Leserfreundlichkeit in einer angloamerikanischen essay writing-Tradition verwurzelt ist, deren Übernahme in bestimmten disziplinären Kontexten ebenfalls unangemessene Texte zur Folge haben kann, z.B. wenn Fachexperten unter sich kommunizieren und dabei nicht unbedingt sprachlich ‚an die Hand‘ genommen werden möchten. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit der vorherrschende Begutachtungs- und Selektionsprozess dem Ideal einer grenz- und kulturübergreifenden Wissenschaft gerecht wird, obgleich eine grundlegende Voraussetzung hierfür durch die Verfügbarkeit eines gemeinsamen sprachlichen Mediums bereits geschaffen wurde. 16 Wurde die Benachteiligung von Nichtmuttersprachlern früher generell bejaht (z.B. Ammon 1998; Flowerdew 1999), haben zwischenzeitlich gestiegene Veröffentlichungszahlen von Nichtmuttersprachlern in internationalen Fachzeitschriften sowie die steigende Englischkompetenz der Wissenschaftler dazu geführt, dass diese Frage nunmehr deutlich differenzierter diskutiert wird. Von einer generellen Benachteiligung von Nichtmuttersprachlern 14 Vgl. hierzu z.B. Kruse (2003: 104f.) und Mautner (2011: 38), die in ihren Ratgebern zum wissenschaftlichen Schreiben auf Englisch weitgehend für eine Übernahme angloamerikanischer Schreibnormen plädieren. 15 So fanden sich in den deutschen Texten mehr einführende (Beispiel: „Im folgenden Abschnitt sollen nunmehr ...“) und in den englischen Texten mehr informationsreaktivierende Textkommentare (Beispiel: „Although the analytical approaches outlined above ...“) (Fandrych/ Graefen 2002: 35). 16 Mauranen (2012: 10) vermutet, dass im Zuge neuer Publikationsmedien wie Wissenschaftsblogs der Einfluss muttersprachlicher Herausgeber zurückgehen wird. <?page no="40"?> 40 kann daher in der Regel nicht mehr gesprochen werden. Die tatsächlich für englischsprachige Publikationen zu überwindende ‚Hürde‘ hängt aber weiterhin von verschiedenen Faktoren ab und kann in bestimmten Fällen durchaus als Benachteiligung angesehen werden. Aus diesem Grund soll in der vorliegenden Arbeit ebenfalls der Frage nachgegangen werden, welche Probleme und Hindernisse die interviewten Wissenschaftler beim Schreiben und Publizieren englischsprachiger Texte feststellen (siehe Kap. 4.2.2) und welche Faktoren dazu beitragen, dass z.B. die Vertreter der Biologie eine deutlich geringere Benachteiligung empfinden als die Geschichtswissenschaftler im Korpus (siehe Kap. 4.1). Dass deutschsprachige Wissenschaftler englischsprachig publizieren, lässt auf ihre Adaptionsfähigkeit hinsichtlich der veränderten Rahmenbedingungen schließen. Zugleich wird hierdurch aber auch der Mehraufwand unterstrichen, der für englischsprachige Publikationen betrieben werden muss. Die bisher dargestellten Ungleichheiten und Herausforderungen legen ebenfalls nahe, dass das erfolgreiche Schreiben und Publizieren in der Fremdsprache Englisch eine intensive Nutzung verschiedenster Ressourcen bedingt. Der in den Interviews thematisierte Einsatz von Strategien (z.B. Schreib- und Übersetzungsroutinen), technischen Hilfsmitteln (wie Internetwörterbüchern und -suchmaschinen) und Korrekturlesern wird vor diesem Hintergrund ebenfalls untersucht (siehe Kap. 4.2.3-4.2.5). 1.6 Sprachwahl: Individuelle Entscheidung oder von außen determiniert? Die Wahl einer Publikationssprache wird von einer Vielzahl von Entscheidungskriterien beeinflusst. Dies sind z.B. die Einstellung der Autoren, eine eher lokale oder globale Bedeutung des bearbeiteten Themas, die Textsorte, die Veröffentlichungskultur einer wissenschaftlichen Institution sowie die bevorzugte Sprache der anvisierten Diskursgemeinschaft (vgl. Ferguson 2007: 18; Flowerdew/ Li 2009: 2). In einer Untersuchung an der Aarhus School of Business in Dänemark stellten Petersen/ Shaw (2002) fest, dass ein ausschließlicher Fokus auf die Messung englischsprachiger Forschungspublikationen der Komplexität der Sprachensituation und der Sprachenwahl nicht gerecht wird: It is clear that the extent of anglicisation varies widely across disciplines, genres, and countries; and texts in English tend to exist in relation to texts in the other languages of the environment, but this has been obscured by a tradition of research that has focused on flagship publication in ‘international’ journals, and on hard science. To estimate the situation of the local national languages and the sociopolitics of language choice in local academia, it is necessary to consider all academic publication. (Peterson/ Shaw 2002: 359) <?page no="41"?> 41 Anhand einer Analyse aller rezipierten und publizierten Beiträge der dort tätigen Wissenschaftler konstatieren sie, dass sich die Publikationsmuster nach veröffentlichten Textsorten (Monographien, working papers, Zeitschriftenartikel), Sprachen (Englisch und Dänisch oder nur Englisch) und adressiertem Publikum (internationale Forschungsgemeinschaft vs. professionelle internationale oder lokale Gemeinschaft) deutlich unterschieden. Aber auch die Rezeptionsmuster waren nicht ausschließlich anglophon. Die Forscher schlagen aufgrund der vorgefundenen Publikationsmuster in Anlehnung an Skudlik (1990: 214ff.) eine dreistufige Kategorisierung vor, wonach einzelne Departments der Universität eine ‚vollständig internationalisierte Publikationskultur‘, eine ‚teilweise internationalisierte Publikationskultur‘ oder eine ‚nicht internationalisierte Publikationskultur‘ pflegen können (vgl. Peterson/ Shaw 2002: 368). Sie folgern weiterhin, dass dänischsprachige Publikationen, die als Grundlagenforschung bezeichnet werden können, sich im Aussterben befinden, da hier eine internationale und somit englischsprachige Ausrichtung (wie in vielen Naturwissenschaften) vorherrscht. Regional ausgerichtete und auf berufliche Kommunikation ausgerichtete Textsorten und Fachzeitschriften könnten jedoch durch adäquate Anreizstrukturen in Verbindung mit institutionell artikulierten Sprachpräferenzen erhalten bleiben, wie z.B. wenn Regierungsstellen Berichte und Expertisen auf Dänisch verlangen (vgl. a.a.O.: 372). Die zahlreichen Faktoren, die in eine Sprachwahl hineinspielen, werfen die Frage auf, auf welcher Ebene die Entscheidungen für oder gegen eine bestimmte Publikationssprache gefällt werden (sollten). Die Forderung des Komitees für Sprachenpolitik an der Universität Oslo ist dahingehend eindeutig: „The Committee has determined that the research language, for publication and communication within the discipline, should be up to the individual“ (Hveem et al. 2006: 5). Ob eine von institutionellen und fachkulturellen Faktoren unabhängige Sprachwahl durch einzelne Forscher jedoch wirklich möglich oder realistisch ist, wurde bisher wenig erforscht. Ebenso wenig ist bekannt, wie deutschsprachige Wissenschaftler verschiedener Fachkulturen im Einzelnen ihre Sprachwahl begründen und argumentativ ‚legitimieren‘. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich ein Abschnitt der vorliegenden Arbeit mit der Sprachwahl der befragten Wissenschaftler. In erster Linie soll dabei herausgearbeitet werden, welche Gründe die Interviewten für englisch- und deutschsprachige Veröffentlichungen anführen (siehe Kap. 5.2.2.1 und 5.2.2.2) Bei der Untersuchung dieser Fragen können sich Wissenschaftler nicht immer von der vorschnellen Vergabe wertender Etikettierungen freimachen. Das gilt sowohl für Studien, die der zunehmenden Verwendung des Englischen kritisch begegnen (z.B. Swales (1997) „English as a Tyrannosaurus Rex“; Phillipson (1992) „linguistic imperialism“), als auch für Arbeiten, die einer Verbreitung des Englischen positiv gegenüberstehen (z.B. Kuteeva/ McGrath 2014). Je nach Argumentationsrichtung wird dabei entweder eine Drohkulisse aufgebaut oder die Entwicklung zum Englischen als Publi- <?page no="42"?> 42 kations- und Lehrsprache als ohnehin unausweichlich dargestellt. Vermutete nachteilige Entwicklungen für nationale Wissenschaftssprachen sowie die Kognition und Identität von Wissenschaftlern werden dabei häufig anhand von Wörtern wie „Bedrohung“ und „Gefahr“ markiert (Ehlich 2000: 47, 56). Wird eine Anglisierung dagegen befürwortet, wird das Schreiben und Publizieren auf Englisch oft als „pragmatische Realität“ (Bolton/ Kuteeva 2012: 444; McGrath 2014: 14) deklariert oder als inhärent folgerichtig im Sinne der Aufgaben der Wissenschaft befürwortet (vgl. z.B. Kuteeva/ McGrath 2014: 386). Die Tendenz, wertende Begriffe einzusetzen, gilt auch für den Begriff der Ideologie. Dieser wird für alle möglichen Sprachwahlentscheidungen verwendet: Beispielsweise bezeichnen manche Autoren das Publizieren auf Englisch als „ideological choice“, da die Wahl des Englischen gegenüber der jeweiligen nationalen Wissenschaftssprache eine Form der Identitätsausübung darstelle (Duszak/ Lewkowicz 2008: 109). Andere sehen dies entgegengesetzt: „[P]ublishing an academic text in the local language would seem to constitute more of an ideological stance.“ (McGrath 2014: 14). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll deshalb der Begriff Ideologie nicht als wertend verstanden werden, sondern die narrativ in den Interviews thematisierten Einstellungen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch sowie die angegebenen Begründungen für eine bestimmte Sprachwahl beschreiben. Dies soll unterstreichen, dass als neutral oder pragmatisch bezeichnete oder wahrgenommene Entscheidungen durchaus von anderen Logiken, Zielen und Annahmen motiviert sein können. Sei es, die deutsche Wissenschaftssprache gezielt unterstützen zu wollen oder über englischsprachige Veröffentlichungen nach internationaler Wahrnehmung zu streben. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, inwiefern die über fachliche Sozialisation geprägten Einstellungen der Wissenschaftler, z.B. als Biologe, in diese Sprachwahlentscheidungen einfließen und welche Rolle sprachlich-fachliche Annahmen wie ‚Gute Forschung ist halt auf Englisch‘ oder ‚das Deutsche ist einfach die präzisere Sprache‘ in den Sprachwahl-Begründungen spielen. 1.7 Diskursive Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft Eine Folge der verstärkten Präsenz des Englischen als wissenschaftliche Publikationssprache könnte darin bestehen, dass wissenschaftliche Ergebnisse nicht mehr einer breiteren deutschsprachigen Leserschaft zugänglich gemacht werden können (vgl. Ehlich 2004: 180f.; Alexander 2008: 48f.). Wissenschaftliche Mehrsprachigkeit wird von Vertretern dieser Position als Garant der Durchlässigkeit zwischen den Domänen Wissenschaft und Gesellschaft gesehen, da hierdurch eine gewisse Schnittmenge zwischen Wis- <?page no="43"?> 43 senschafts- und Alltagssprache gewährleistet werde (vgl. Ehlich 2004: 180f.). Letztendlich wird durch eine zunehmende Anglisierung eine Gefährdung der Demokratie befürchtet, da gesellschaftlich relevante Themen und Forschungsergebnisse nicht mehr für jedermann in der Nationalsprache rezipierbar wären. Dieses Argument trägt jedoch der komplexen Verflechtung verschiedener gesellschaftlicher Institutionen nur bedingt Rechnung. Dass Wissenschaftler nicht auf Deutsch publizieren, bedeutet nicht automatisch einen Wegfall popularisierender, an eine größere Öffentlichkeit gerichteter Kommunikation. Mit der Wissenschaft verbundene Institutionen, wie der Wissenschaftsjournalismus, öffentliche Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Verlage, könnten einer solchen Tendenz durchaus entgegenwirken. Es erscheint daher sinnvoll, zwischen der individuellen Fähigkeit der Wissenschaftler, ihre auf Englisch vorliegenden Forschungen auf Deutsch verbreiten zu können, und der gesellschaftlichen Fähigkeit, solche Texte zu produzieren, zu unterscheiden. Es kann ebenfalls nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass deutschsprachige wissenschaftliche Artikel nur deshalb rezipiert werden, weil sie auf Deutsch vorliegen. Soll jedoch die jeweilige National- oder Bildungssprache in der Kommunikation mit der Gesellschaft gestärkt werden, so läge ein möglicher erster Schritt in der Aufwertung von bislang als wissenschaftlich ‚wenig lohnend‘ erachteten Tätigkeiten, wie z.B. dem Übersetzen. So könnten Förderungseinrichtungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Übersetzungen finanzieren, die als gesellschaftlich besonders relevant eingeschätzt werden. Verschiedenste Mittel könnten der deutschen Sprache in diesen Aufgaben den Rücken stärken, wie Petersen/ Shaw (2002: 372) anhand des Dänischen aufzeigen: There is little that institutions and governments can do to reverse the trend towards English as the language of international-level flagship publication, and as the language of most publication in hard pure areas. But they are not powerless in the face of loss of registers from their local languages [...]. They can manipulate the reward system so that more attention is paid to the local communities. They can require material which they sponsor to be published in the language of their choice. They can institute regulations demanding L1 summaries of theses or even of material submitted for evaluation for promotion. (siehe Hveem et al. 2006: 15f. für ähnliche Vorschläge) Derartige Maßnahmen wären möglicherweise dazu geeignet, einen Beitrag zum Erhalt der Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu leisten, ohne dass jeder Wissenschaftler dazu angehalten wäre, durchgehend zweisprachig zu publizieren. Ob die Befragten ähnliche Maßnahmen nennen oder überhaupt einen Anlass sehen, das Deutsche als Wissenschaftssprache zu fördern, wird in Kapitel 5.2.3 erörtert. <?page no="44"?> 44 1.8 Wissenschaftssprachen: Kulturneutral oder kulturtragend? Vor dem Hintergrund der sich intensivierenden Anglisierung der Wissenschaft stellt sich die Frage, ob man Wissenschaftssprachen als relativ losgelöst von ihrer Ursprungskultur sehen kann oder ob sie vielmehr eine enge Verbindung mit dieser eingehen. Im Zuge der Globalisierung des Englischen als Wissenschaftssprache und ihrer zunehmenden Verwendung als Lingua franca gibt es Befürchtungen, dass die in der englischen Sprache und Sprachkultur enkodierten Werte und Sichtweisen auf andere Wissenschaftskontexte übertragen werden (siehe z.B. Fiedler 2011: 92). Eine disziplinspezifische Betrachtung bietet sich hierbei allein aufgrund der Tragweite dieser Frage an: In den Naturwissenschaften ist beispielsweise die Annahme verbreitet, dass Wissenschaft ein System sei, das sich weltweit nach den gleichen Regeln gestalte (z.B. durch Formelsysteme wie Mathematik, Experimente, Gerätschaften) und daher weitestgehend sprachunabhängig sei (vgl. Mukherjee 2008). Im Gegenzug betonen geistes- und sozialwissenschaftliche Vertreter in dieser Diskussion häufig die Position, dass die kulturellhistorische Entwicklung einer Gesellschaft sich in der jeweiligen Wissenschaftssprache niederschlage und somit wissenschaftliche Mehrsprachigkeit verschiedene Perspektiven auf einen Gegenstand ermögliche bzw. mit wissenschaftlicher Einsprachigkeit eine Reduktion wissenschaftlicher Perspektiven einhergehe (vgl. Ehlich 2000: 61; Hamel 2007). In den Sozialwissenschaften ist eine enge Verbindung zwischen Sprache, Kultur und Untersuchungsgegenstand wenig umstritten. In der Folge wird häufig eine Bereicherung wissenschaftlicher Theoriebildung durch wissenschaftliche Mehrsprachigkeit wahrgenommen. Kocka (2008: 3) erörtert dies am Beispiel der Begriffe Bürgertum, bourgeoisie und middle class: Mit „Bürger“ und „bürgerlich“ bezeichnet man im Deutschen einerseits die Angehörigen einer schmalen Schicht oder Klasse und ihre Eigenschaften (bourgeoisie, middle class), andererseits die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, das heißt alle Personen, insofern und insoweit sie mit Rechten und Pflichten einem Gemeinwesen angehören (citoyens/ citoyennes, citizens). Diese Begriffe unterscheiden sich also in ihrer historischen Genese, ihrem alltäglichen und wissenschaftlichen Gebrauch und erlauben, besonders durch ihre Kontrastierung, verschiedene Betrachtungsweisen und Einsichten in gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen (vgl. Gnutzmann 2008: 74). So untersucht Kocka z.B., inwieweit auch heutzutage noch hauptsächlich ‚bürgerliche‘ Menschen an der Bürgergesellschaft teilnehmen, und kommt zu dem Schluss, dass „weiterhin eine gewisse Affinität zwischen Zugehörigkeit zur bürgerlichen Schicht und Teilhabe an der Bürgergesellschaft als Ganzer“ bestünde (Kocka 2008: 9). Er entwickelt damit eine Fragestellung, die womöglich unter ausschließlicher Betrachtung des Begriffes middle <?page no="45"?> 45 class so nicht zustande gekommen wäre, da dieser keine sozialräumliche Verortung innerhalb der privilegierten, ummauerten Städte beschreibt. Wissenschaftskommunikation in den Geistes- und Sozialwissenschaften muss also als ein Bereich gelten, der kaum als kulturell ‚neutral‘ angesehen werden kann, wie auch das folgende Beispiel aufzeigt. Coleman (2006: 10) stellt heraus, dass das Konzept ‚effektive Kommunikation‘ nicht objektiv und universell definierbar sei, sondern bestimmte kulturell geprägte Muster unter diesem Deckmantel transportiert werden. In eine ähnliche Kerbe schlägt Cameron (2002: 70), wenn sie eine Dominanz angloamerikanisch geprägter Kommunikationsmodelle feststellt: „[T]he ideal of ‘good’ or ‘effective’ communication bears a non-coincidental resemblance to the preferred speech-habits of educated middle-class and predominantly white people brought up in the USA.“ Kulturelle ‚Skripte‘ existieren ebenfalls im Bereich des wissenschaftlichen Schreibens: Beispielsweise werden an US Colleges im Rahmen der Schreibausbildung eindeutige Vorstellungen darüber vermittelt, was als „clear writing and effective communication“ gilt, was jedoch nicht bedeutet, dass diese Vorstellungen nicht kulturgebunden oder gar objektiv durch Klarheit und Effizienz charakterisiert sind (Staben/ Dampsey-Nordhaus 2009: 79). In den Naturwissenschaften ist die Vorstellung einer eindeutigen sprachlichen ‚Prägung‘ wissenschaftlicher Praxis umstritten. Naturwissenschaftler selbst sehen Sprache häufig als neutrales Instrument zur Beschreibung wissenschaftlicher Daten und Vorgänge. Aber auch Sprachwissenschaftler bestätigen die Naturwissenschaften gelegentlich in ihrer disziplinären Sonderrolle, die keine oder nur eine unwesentliche Verbindung von Sprache und Kultur aufzeige. Als Beispiel wird hier der Aufruf für Beiträge zur Jahreskonferenz 2014 der französischen Fachsprachenvereinigung GERAS (Groupe d’Etude et de Recherche en Anglais de Spécialité) angeführt: [O]ther domains, such as hard and natural sciences, largely develop outside any particular language, so much so that their specialised languages play a lesser part in fostering the identities of individual domains. These may even be grounded in artificial language substitutes (e.g., formal or symbolic language systems) which keep the domains relatively independent of natural languages. (Geras 2014) Die hier vertretene Annahme, dass naturwissenschaftliche Kommunikation weitgehend unabhängig von sprachlichen, geschichtlichen und kulturellen Einflüssen funktioniert, ist auch in der Angewandten Linguistik geläufig. Der wohl bekannteste (und in der Folge häufig dafür kritisierte) Vertreter dieser Auffassung ist Henry Widdowson, der mit der Universalitätshypothese über parallel existierende Primär- und Sekundärkulturen eine einflussreiche Konzeption von naturwissenschaftlicher Wissenschaftskommunikation entwarf. In dieser Auffassung sind Primär- (d.h. Nationalkultur) und Sekundärkultur (d.h. Naturwissenschaft) unabhängig voneinander: <?page no="46"?> 46 I assume that the concepts and procedures of scientific inquiry constitute a secondary cultural system which is independent of primary cultural systems associated with different societies. So although for example, a Japanese, and a Frenchman, have very different ways of life, beliefs, preoccupations, preconceptions, and so on deriving from the primary cultures of the societies they are members of, as scientists they have a common culture. In the same way, I take it that the discourse conventions which are used to communicate this common culture are independent of the particular linguistic means which are used to realize them. Thus, for example, the expression of cause and effect relations and the formulation of hypothesis are necessary rhetorical elements in scientific discourses, but they can be given a very wide range of linguistic expression. So I would wish to say that scientific discourse is a universal mode of communicating, or universal rhetoric, which is realized by scientific text in different languages by the process of textualization. (Widdowson 1979: 51f.) Im Zuge neuerer Untersuchungen wird jedoch ebenso deutlich, dass Sprache in den Naturwissenschaften ebenso kulturell geprägt ist wie in den Geistes- und Sozialwissenschaften. So folgert Hüllen in diesem Zusammenhang: „Eine in solchen Texten festgestellte Universalität des wissenschaftlichen Stils [...] mag in der Tat mehr ein universal gewordener englischer als ein wirklich universaler Stil sein“ (Hüllen 1992: 314, zitiert nach Fiedler 2011: 92). Auch Schröder (1988: 121) steht der Universalitätshypothese kritisch gegenüber, denn Diskursgemeinschaften, obwohl sie am selben Gegenstand forschen, könnten nicht als von der Primärkultur losgelöste Sekundärkulturen verstanden werden, da jede dieser Gemeinschaften durch spezifische „Argumentations-, Denk und Mitteilungsstrukturen“ gekennzeichnet sei. Gnutzmann und Oldenburg (1991: 107f.) werfen diesbezüglich die Frage auf, wie sich die Universalitätshypothese mit den zum Thema vorliegenden kulturvergleichenden Studien (z.B. Clyne 1987; Connor 1996) vereinbaren lässt, die rhetorische, argumentative und schreiborganisatorische Unterschiede zwischen nationalen Schreibtraditionen feststellen. Als Beispiel für die sprachlich-kulturelle Gebundenheit in den Naturwissenschaften kann die typischerweise in wissenschaftlichen Artikeln vorgefundene Vermeidung von Aktivkonstruktionen und auktorialem Ich angeführt werden, die signalisieren soll, dass Daten und Methoden, nicht aber individuelle Wissenschaftler ‚sprechen‘. Hyland sieht dies kritisch: „[T]he relative impersonality of scientific discourse is not an absence of rhetoric but a different kind of rhetoric“ (vgl. Hyland 2013: 62). Diese Form der Vertextung ist demnach kein Beweis für die tatsächliche Objektivität der Forschungsergebnisse oder -prozeduren, <?page no="47"?> 47 sondern muss als (fach)kulturelle Prägung naturwissenschaftlicher Texte verstanden werden, die durchaus nicht immer universal bzw. global ist: 17 The conventions of impersonality in science articles thus play an important role in reinforcing an objective ideology by portraying the legitimacy of hard science knowledge as built on socially invariant criteria. Again, it removes the author from the text to give priority to the unmediated voice of nature itself. (Hyland 2008: 554) Hamel (2007: 64) steht der verbreiteten Annahme kritisch gegenüber, dass naturwissenschaftliche Sprache prinzipiell aus austauschbarer Terminologie bestünde und betont die Kulturspezifik und -gebundenheit von alltäglicher Wissenschaftssprache, die in der Gemeinsprache einer Sprachgemeinschaft verankert ist (vgl. auch Ehlich 2000: 52; Gnutzmann 2009: 519). 18 Darüber hinaus scheint beispielsweise metaphorische Sprache auch in den Naturwissenschaften zu einem gewissen Grad die Wahrnehmung und kognitive ‚Greifbarkeit‘ der untersuchten Gegenstände zu konstituieren. So legt der Begriff des Urknalls (engl. Big-Bang Theory) eine Explosion nahe, mit Assoziationen wie Feuer, Rauch und den dazugehörigen akustischen Phänomenen. Allerdings handelt es sich bei dieser Theorie nicht im strikten Sinne um eine Explosion, was unter anderem ein Explosionszentrum nahelegen würde, sondern vielmehr um die Ausbreitung des Raumes selbst (vgl. Livescience 2010). Kulturspezifische Metaphernbildung und sprachliche Bilder spielen in den Naturwissenschaften ebenfalls eine wichtige Rolle (vgl. z.B. Mocikat 2008). Selbst die Mathematik als semiotisches System unterliegt in der Regel Prozessen der Versprachlichung und demensprechend kulturellsprachlichen Unterschieden im Umgang mit dieser, wie Ehlich anschaulich beschreibt: This language, indeed, - like the characters used for putting mathematics into writing - actually lies beyond particular everyday languages. This, however, is exactly the reason why the language of mathematics is not the same as any of the existing languages of science, neither German, nor French - and also not English. Everything scientific that goes before mathematization and mathematicability, and everything scientific that lies beyond them, everything which does not unfold in the categories of number of quantification, which surpasses them, is bound to language and thus languages. (Ehlich 2004: 177f.) 17 Das Vorhandensein bzw. die Abwesenheit bestimmter Genres kann dieses Argument weiter illustrieren. Ein Beispiel aus der Medizin ist die sinkende Publikationsrate der Textsorte Kasuistik (Fallbeispiel), die darauf zurückführen sei, dass diese in den USA eine geringere Rolle spielen als in Europa (vgl. Carli/ Calaresu 2009: 536; siehe auch Kaltenborn/ Kuhn 2003: 181). 18 Ehlich (2000: 52) definiert alltägliche Wissenschaftssprache als die „Nutzung von Teilen der Alltagssprache für die Zwecke der Wissenschaft“. <?page no="48"?> 48 Diese Überlegungen zeigen auf, wie wichtig eine Untersuchung sprachlicher Ideologien und Sichtweisen in den einzelnen Disziplinen ist. Werden beispielsweise sprachenpolitische Entscheidungen unter der Annahme getroffen, dass Wissenschaft vorwiegend sprachunabhängig sei, so liegt dieser Argumentation häufig auch ein naturwissenschaftliches Weltbild zugrunde, welches in der Folge anderen Wissenschaftskulturen, wie großen Teilen der Geistes- und Sozialwissenschaften, schaden könnte. Aus diesem Grund erscheint es geboten, die sprachbezogenen Sichtweisen der interviewten Wissenschaftler genauer zu betrachten und herauszufinden, welchen Stellenwert die Forscher Sprache im wissenschaftlichen Forschungs- und Schreibprozess zuweisen (siehe Kap. 5.2.4). 1.9 Vorgehensweise und Kapitelübersicht Im Zuge der Einführung wurden zentrale Prozesse erläutert, die zur heutigen Dominanz des Englischen als Wissenschafts- und insbesondere als Publikationssprache geführt haben, ebenso wie einige dadurch bereits entstandene und noch zu erwartende Auswirkungen dieser Entwicklung. Im Rahmen der Literaturaufbereitung in der Einleitung (Kapitel 1) wurden zentrale thematische Diskussionslinien nachgezeichnet, entlang derer sich die Erforschung dieses Feldes gestaltet. Darauf aufbauend soll die vorliegende Arbeit zum besseren Verständnis fachkultureller und sozialisationsbedingter Wahrnehmungs- und Verwendungsmuster des Englischen (und Deutschen) im wissenschaftlichen Schreib- und Publikationsprozess beitragen. Das Verfassen und Veröffentlichen englischsprachiger Artikel wird hierfür in unterschiedlichen Fächern anhand von Wissenschaftlerinterviews betrachtet. Die Erforschung wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens hat durch den social turn und den linguistic turn neue Impulse erhalten. Verschiedene Ansätze betonen, dass wissenschaftliche Texte nicht ohne den sozialen Kontext ihrer Entstehung und Verwendung verstanden werden können. Deshalb wird im sich anschließenden Kapitel 2, Theoretische Zugänge zur sozialen Dimension der Wissenschaft, eine soziokulturelle Perspektive auf das wissenschaftliche Schreiben und Publizieren entworfen, die den theoretischen Rahmen der vorliegenden Untersuchung bildet. Die zugrunde gelegte Annahme ist hierbei, dass Wissenschaft als von Menschen in Institutionen durchgeführtes Unterfangen zu verstehen ist. Vor diesem Hintergrund werden die Konzepte der Diskurs- (discourse community, Swales 1990) und Praxisgemeinschaft (community of practice, Lave/ Wenger 1991; Wenger 1998), die Wissenschaft als in fachlich orientierten Verständigungsgemeinschaften stattfindend modellieren, vorgestellt und diskutiert. Die erörterten theoretischen Annahmen spiegeln sich ebenfalls in der Erhebungs- und Auswertungsmethodik der Untersuchung wider, die im Kapitel 3, Beschreibung der empirischen Untersuchung, dargelegt wird. Im Ein- <?page no="49"?> 49 zelnen wird hier die Wahl des Erhebungsinstrumentes Interview begründet und methodisch reflektiert. Darüber hinaus wird die Durchführung und Auswertung von Interviews besprochen sowie die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Erhebungs- und Auswertungsmethoden erörtert. Aufbauend auf der theoretisch-konzeptionellen Diskussion verschiedener Perspektiven auf Wissenschaft als soziale Praxis sowie der methodischen Reflexion der eingesetzten Erhebungsmethoden und Auswertungsstrategien, erstreckt sich der empirische Teil der vorliegenden Untersuchung auf drei Themenkomplexe: Im Themenkomplex I, Anforderungen und Ressourcennutzung (Kapitel 4), befinden sich zwei Teilkapitel. Das erste, Sprachliche und fachliche Anforderungen an Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen (Kapitel 4.1), geht von der Beobachtung aus, dass Naturwissenschaftler häufig weniger Schwierigkeiten beim Schreiben und Veröffentlichen englischsprachiger Texte wahrnehmen als Vertreter der Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Gründe hierfür wurden bisher jedoch nicht systematisch untersucht. In diesem Teilkapitel wird deshalb der Frage nachgegangen, welchen sprachlichen Ansprüchen Forscher verschiedener Fächer genügen müssen, um erfolgreich auf Englisch zu publizieren und wie diese verschiedenen Anforderungen mit den Besonderheiten der jeweiligen Fachkulturen in Verbindung stehen. Zu diesem Zweck werden Faktoren, die die wahrgenommene Schreibschwierigkeit beeinflussen können, fachvergleichend untersucht. Das zweite Teilkapitel, Wahrgenommene Probleme deutschsprachiger Wissenschaftler und ihre Ressourcennutzung (Kapitel 4.2), fokussiert den Umgang der Forscher mit der Aufgabe, englischsprachige Aufsätze zu verfassen. Unabhängig von einer mehr oder weniger ausgeprägt wahrgenommenen Benachteiligung nichtmuttersprachlicher Wissenschaftler steht es außer Frage, dass sie in einer Fremdsprache publizieren, die oft nicht in gleichem Maße beherrscht wird wie die Muttersprache. Um diesen Nachteil auszugleichen, sind die Wissenschaftler auf die intensive Verwendung vorhandener sprachlicher, sozialer und technischer Ressourcen angewiesen. Die von den Befragten im Zuge der ‚Problemlösung‘ verwendeten Ressourcen werden mithilfe einer Begriffstrias aus Strategien, peers und Techniken untersucht. Im Zentrum stehen dabei die von den einzelnen Wissenschaftlern zum Schreiben und Veröffentlichen verwendeten Strategien (z.B. das Übersetzen deutscher Vorlagen ins Englische) sowie die Frage, wie sich die Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern (peers) auf den Schreib- und Publikationsprozess auswirkt. Aber auch die Rolle von Techniken (wie das Überprüfen von Formulierungen im Internet) für das Schreiben englischsprachiger Artikel soll anhand empirischer Daten eingehender betrachtet werden. Der Themenkomplex II, Einstellungen und Sichtweisen (Kapitel 5) besteht ebenfalls aus zwei Teilkapiteln. In Kapitel 5.1, Konzeptionen von Mutter- und Nichtmuttersprachlichkeit in der Wissenschaft, geht es um sprachliche Ungleichheiten: Grundannahme ist dabei, dass das Englische zwar Ungleich- <?page no="50"?> 50 heiten verstärkt, diese aber auch gleichzeitig verringert. So müssen Nichtmuttersprachler des Englischen möglicherweise mit Muttersprachlern des Englischen in Konkurrenz treten, im Gegenzug haben ihre Veröffentlichungen in vielen Gebieten nun eine größere Reichweite als ein nationalsprachlicher Rahmen dies zuließe. Ob bei einer vorhandenen Ungleichheit tatsächlich eine Benachteiligung vorliegt, hängt nicht zuletzt von der eingenommenen Perspektive ab: Während einige Forscher sich, z.B. aufgrund geringerer sprachlicher Kompetenzen im Englischen, benachteiligt sehen, nehmen andere Befragte diese Benachteiligung weniger ausgeprägt wahr oder verneinen sie. In diesem Sinne ist es aufschlussreich, die von den Wissenschaftlern geteilten Auffassungen zum Konzept des Mutter- und Nichtmuttersprachlers sowie die damit assoziierten Auswirkungen auf die eigene Publikationspraxis eingehender zu untersuchen. Hierzu werden die Aussagen der Wissenschaftler zu Vor- und Nachteilen von Mutter- und Nichtmuttersprachlern kontrastiert und auf die Wahrnehmung einer Benachteiligung hin überprüft. Im zweiten Teilkapitel, Einstellungen und Sichtweisen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch (Kapitel 5.2), wird davon ausgegangen, dass sich je nach Fach das Englische oder Deutsche in unterschiedlichen Konstellationen durchsetzt. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, wie die getroffenen Sprachwahlentscheidungen von den Wissenschaftlern selbst beurteilt werden. Die in den Interviews ausgeführten Einschätzungen und Begründungen können unter anderem Aufschluss darüber geben, warum eine Sprache von den Wissenschaftlern als ‚geeigneter‘ für eine bestimmte Aufgabe oder Domäne eingeschätzt wird als eine andere. Sie erlauben zudem Rückschlüsse auf Einstellungen zu Sprache in Forschung und Lehre und bilden eine Grundlage für die Betrachtung von Fachideologien. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die Befragten der Arbeit in zwei Wissenschaftssprachen beimessen und inwiefern sie die Notwendigkeit sehen, das Deutsche als Wissenschafts- und Publikationssprache vor einer Verdrängung durch das Englische zu schützen. Themenkomplex III (Kapitel 6) befasst sich mit der Ausbildung und Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses. Dazu werden in Kapitel 6.1, Maßnahmen zur Unterstützung von Nachwuchswissenschaftlern beim englischsprachigen Schreiben und Publizieren, sprachlich-fachliche Unterstützungsmaßnahmen untersucht, die die befragten Wissenschaftler thematisieren und dem wissenschaftlichen Nachwuchs teils anraten, teils aber auch kritisch bewerten. Dazu zählen unter anderem Sprach- und Schreibkurse, Auslandsaufenthalte sowie die verstärkte Einbindung englischsprachiger Lehre in das Fachstudium. Diese und andere Fördermaßnahmen werden anhand der Interviews im Detail vorgestellt. Ferner wird ermittelt, welche Erwartungen die Befragten an die vorgestellten Fördermaßnahmen richten und welche Annahmen über das Sprach- und Schreibenlernen ihnen zugrunde liegen. <?page no="51"?> 51 Im zweiten Teilkapitel, Überlegungen zur sprachlich-fachlichen Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses (Kapitel 6.2), wird die von den Befragten im Rahmen der Förderungsmöglichkeiten des Nachwuchses als effizient thematisierte Sozialisationspraxis des learning by doing vertieft untersucht. Anhand des Konzeptes der legitimen peripheren Partizipation (vgl. Lave/ Wenger 1991) wird gezeigt, wie das fachlich-sprachliche Lernen der Nachwuchswissenschaftler durch die Teilnahme an den Praktiken der jeweiligen Fachgemeinschaft, insbesondere des Vortragens auf Konferenzen sowie des Schreibens und Publizierens wissenschaftlicher Aufsätze, organisiert und in systematischer Weise umgesetzt wird. Abschließend sollen Überlegungen dazu angestellt werden, inwiefern eine auf Partizipation basierende Schreibausbildung von einer Ergänzung durch Schreibkurse profitieren kann. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und einem Ausblick (Kapitel 7). In einem ersten Schritt werden die Hauptergebnisse einzelner Kapitel zusammengeführt und zu einem state of the art kondensiert. Zudem wird auf methodische Einschränkungen und die Generalisierbarkeit der vorliegenden Ergebnisse eingegangen. Abschließend wird ein Ausblick darauf gegeben, welche Forschungsfragen offengeblieben sind oder sich neu ergeben haben und welche Schwerpunkte in Zukunft für die Wissenschaftssprachforschung von Relevanz sein könnten. <?page no="52"?> 52 2 Theoretische Zugänge zur sozialen Dimension der Wissenschaft In diesem Kapitel werden theoretische Grundlagen und konzeptuelle Werkzeuge für die Betrachtung des Systems Wissenschaft als sprachliches und soziales Handlungsfeld vorgestellt. Zu diesem Zweck wird zunächst diskutiert, wie Ansätze zur Schreib- und Lernforschung durch konstruktivistische und soziokulturelle Einflüsse geprägt wurden. Es soll vor allem geklärt werden, welche Erkenntnisvorteile sich durch eine sozial und kulturell konstruktivistische Sichtweise für die Analyse von wissenschaftssprachlichem Handeln ergeben. Darauf aufbauend werden die Konzepte discourse community und community of practice im Detail erörtert. Beide Ansätze zeichnen sich durch eine interaktionale sowie soziokulturelle Perspektive auf Wissenschaft aus und erlauben durch die Analyse von gruppenbezogenen Kommunikationsprozessen Einsichten in die Funktionsweise von Wissensherstellung und -verbreitung sowie in die Wechselwirkungen von Sprache, Identität, Wissen und Gemeinschaft. Abschließend werden die im Zuge des Kapitels erarbeiteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Diskurs- und Praxisgemeinschaft in einer tabellarischen Übersicht zusammengefasst und es wird dargelegt, in welchem Rahmen die beiden Konzepte im empirischen Teil der Arbeit Anwendung finden. 2.1 Schreib- und wissenschaftstheoretischer Hintergrund Als schreibtheoretischer Hintergrund dieses Teilkapitels werden im Folgenden einige Positionen der Schreibforschung skizziert. Es wird dabei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben oder zwischen deutsch- und englischsprachigen Forschungstraditionen unterschieden. Vielmehr geht es darum, schreibtheoretische Positionen voneinander abzugrenzen, um einen Hintergrund für eine sozialkonstruktivistische Sichtweise auf Schreiben als sprachliches Handeln zu entwerfen. Im Einzelnen sind dies produktorientierte, prozessorientierte sowie soziokulturelle Ansätze. 19 Besonders letztere entsprechen dem in der vorliegenden Arbeit zugrundegelegten Verständnis von „Schreiben als sozial bestimmten Handeln“ (Lehnen 2009: 283). Produktorientierte Ansätze reduzieren Schreiben im Wesentlichen auf den Text als Untersuchungsobjekt. Das heißt, die linguistischen Eigenschaften von Texten oder Textteilen werden als „autonome Objekte“ analysiert, ohne notwendigerweise weiter auf den Entstehungs- und Rezeptionskontext einzugehen (vgl. Hyland 2009b: 8f.). Prozessorientierte Ansätze betonen 19 Prior/ Thorne (2014) bezeichnen diese Ansätze als „research paradigms“. <?page no="53"?> 53 kreative und kognitive Schreibprozesse individueller Autoren sowie deren nähere Umgebung (vgl. a.a.O.: 18). Sie betrachten Schreiben häufig als einen individuellen, psychologischen Problemlösungsprozess, wie beispielsweise die Modelle von Flower/ Hayes (1981) und Molito-Lübbert (1989) zeigen, und betonen die Rekursivität verschiedener mentaler Prozeduren während des Schreibprozesses (z.B. Planen, Entwerfen, Überarbeiten). Der Fokus auf individuelle, problemlösungsorientierte Schreibprozesse führt dazu, dass die soziale Umgebung des Schreibenden (z.B. Schreibkooperation bei Wissenschaftlern, Kontexte der Entstehung und Rezeption) nur randständig beachtet wird. Prozessorientierte Ansätze sind unter anderem für Schreibkurse eine enorme Bereicherung (vgl. z.B. Verhein-Jarren 2008 für einen Schreibkurs der auf einem Problemlösungsmodell basiert), da sie die verschiedenen Phasen und Abläufe eines typischen individuellen Schreibvorgangs modellieren, sind jedoch im Hinblick auf die Ziele der vorliegenden Untersuchung zu eng auf mentale Vorgänge des Individuums bezogen. Soziokulturelle Ansätze hingegen verschieben den Fokus von Text und individuellen Autoren auf die Funktionen dieser Elemente in einer Gemeinschaft (vgl. Hyland 2009b: 29). In sozialkonstruktivistischer Sicht wird Schreiben als kulturell geprägte Praxis verstanden, die in bestimmte gesellschaftliche Organisationen eingebunden ist (vgl. a.a.O.: 34). Die Bedeutung von Kommunikation ist also weder Texten inhärent (produktorientierte Ansätze), noch wird sie wird durch den Verfasser allein bestimmt (prozessorientierte Ansätze). Vielmehr entsteht sie in einem Wechselspiel zwischen Teilnehmern an einem Diskurs oder gemeinsamer Praxis (vgl. a.a.O.: 31). Ein Verständnis von Schreiben als sozialkonstruktivistischer Vorgang bietet den Vorteil, dass Textproduzenten, -rezipienten und Texte in einem Orientierungsrahmen verortet werden können, nämlich einer Diskursgemeinschaft. Eine solche Perspektive erlaubt eine Untersuchung des Einflusses von Gemeinschaften auf vorhandene Schreibpraktiken, z.B. wie Autoren Sprache verwenden, um anfallende Aufgaben zu erledigen oder sich in der Gemeinschaft zu positionieren. Durch diskursive Praktiken nehmen die Autoren jedoch nicht nur an Gemeinschaften teil und konstituieren diese dadurch, ihre soziale und identitäre Position wird im Gegenzug durch die Teilnahme an diesen Gemeinschaften mitgeprägt (vgl. a.a.O.: 35). In diesem Sinne wird Schreiben in der vorliegenden Studie als „Teil des fachlichen Handelns“ (Lehnen 2009: 283) in wissenschaftlichen Gemeinschaften verstanden. Die Entstehung soziokultureller Ansätze der Schreibforschung wurde maßgeblich durch Entwicklungen in anderen Feldern vorbereitet. So haben sich in Disziplinen wie der Philosophie, Psychologie, Soziologie und Neurobiologie parallel (vgl. Flick 2007: 101f.) verschiedene konstruktivistisch ausgerichtete Ansätze entwickelt, die sich zwar in ihren Annahmen und Schwerpunktsetzungen unterscheiden können, aber durchaus „Familienähnlichkeiten“ aufzeigen (Reichertz/ Zielke 2008: 4). Gemeinhin konzipieren konstruktivistische Ansätze „den Menschen als einen aktiven, eingreifenden <?page no="54"?> 54 und Realitätsmuster generierenden Beobachter, Teilnehmer und Akteur, der sich Wirklichkeiten konstruiert“ (Reich 2001: 356). Sie betonen, dass Wahrheiten und Fakten in erster Linie eine Konstruktionsleistung sind, für die prinzipiell mehrere Erklärungen infrage kommen (vgl. a.a.O.: 357). In methodischer Hinsicht regt der Konstruktivismus dazu an, die mit der Verwendung bestimmter Methoden, wie z.B. Interviews, verbundenen Annahmen und Wahrheitsansprüche zu hinterfragen, da „der Wissenschaftler auch in seinen Methoden konstruiert und [...] eine Kritik seiner Idealisierungen zum notwendigen Repertoire einer Selbstdistanz gehören muss“ (Reich 2001: 359). Kritiker verbinden den Konstruktivismus häufig mit „postmoderner Beliebigkeit“, da unumstößliche Beschreibungen der Wirklichkeit bei Akzeptanz der gesetzten Grundannahmen nicht mehr möglich sind (vgl. Reich 2001: 358; gegen den Vorwurf des anything goes im Konstruktivismus siehe Zielke 2006). Zur Unschärfe des Konstruktivismus trägt womöglich bei, dass sich viele Ansätze auf konstruktivistische Ideen beziehen, ohne diese als solche zu explizieren, wie z.B. die Ethnomethodologie, poststrukturalistische Autoren wie Foucault und Bourdieu sowie die Cultural Studies-Bewegung (vgl. Reich 2001: 365, 369). Weniger grundsätzlich kritisch, sondern vor dem Hintergrund der Anwendung konstruktivistischer Prinzipien wird inzwischen unter anderem diskutiert, wie eine Forschungsrichtung, die die Konstrukthaftigkeit von Wissen akzeptiert, Standards für Kritik entwickeln kann und wie eine Beweisführung innerhalb dieser Ausrichtung gelingen könnte (vgl. Reichertz/ Zielke 2008: 5). Eine spezifische Ausprägung konstruktivistischer Grundannahmen ist die „Auffassung von Lernen als einem primär sozialen Prozess“ (Aguado 2010: 820), die hauptsächlich auf den Arbeiten der russischen Psychologen Wygotski und Leontjew basiert. Die soziokulturelle Lerntheorie versteht Lernen als „eine Entwicklung von der Fremdregulation zur Selbstregulation, bei der die soziale, intermentale Entwicklung der individuellen, intramentalen Entwicklung vorangeht“ (Aguado 2010: 820). Für die Fremdsprachenforschung hat diese Vorstellung weitreichende Konsequenzen, da Spracherwerb somit als eine Internalisierung sozialer Interaktionen aufgefasst wird (vgl. Breidbach/ Küster 2014: 131). 20 In der vorliegenden Arbeit haben Theorien, die auf soziokulturelle Konstruktion fokussieren, einen großen Stellenwert, da sie „betonen, dass das Wissen nicht aus kognitiver Zuschreibung oder gar realistischer Weltabbildung erzeugt wird, sondern immer durch Gesellschaften und soziale Diskursgemeinschaften geschaffen wird“ (Reich 2001: 366). Folglich spielt die (fach-)„kulturelle Einbindung“ (ebd.) in Gemeinschaften sowie Intersubjektivität bei der Erzeugung und 20 Konzepte wie zone of proximal development (Zone der nächsten Entwicklung) und scaffolding (Unterstützmaßnahmen) basieren auf Annahmen der soziokulturellen Lerntheorie und werden zunehmend in unterrichtsbezogenen Diskursen thematisert und operationalisiert (vgl. Thürmann 2013: 236). <?page no="55"?> 55 Weitergabe von Wissen eine zentrale Rolle. Diese Konzepte ermöglichen es somit, die „Bedeutung der sozial-kulturellen Intersubjektivität als Bedingung und Voraussetzung auch subjektiver Konstruktionen“ (Reich 2001: 368) herauszustellen. Mit anderen Worten können Wissen, Wissenschaft, aber auch Konzepte wie Identität und Sprache gewinnbringend als (diskursive) Interaktionen von Individuen in Gemeinschaften verstanden werden. Speziell im Bereich der Wissenschaftsforschung spielen konstruktivistische Ideen eine wichtige Rolle. So galt es lange Zeit nicht als selbstverständlich, dass wissenschaftliches Wissen eine soziale Komponente aufweist. Die immer noch verbreitete Annahme, dass z.B. naturwissenschaftlich produziertes Wissen aufgrund stringenter Logik, objektiver Daten und Methoden sowie weitgehend unabhängig von sozialen Faktoren erzeugt wird, wird inzwischen jedoch zunehmend hinterfragt. Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Zweifel an der Objektivität wissenschaftlicher Ergebnisse, geäußert z.B. von Polanyi (1946), der dem Wissenschaftspositivismus kritisch gegenüberstand, also der Annahme, objektive Daten durch Beobachtung gewinnen zu können, „dass eine Welt ‚da draußen‘ unabhängig von ihrer Beschreibung durch uns existiert“ (Flick 2008: 101). Ein weiterer Wegbereiter soziokultureller Ideen war Kuhn (1970), der der Idee, dass wissenschaftliche ‚Fakten‘ durch einen Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft geschaffen wurden, zu größerer Beachtung verhalf und damit die Idee der Diskursgemeinschaft maßgeblich vorbereitete (vgl. Flowerdew 2000: 129). 21 In sozialkonstruktivistischer Sichtweise ist die Entstehung von Wissen somit in erster Linie eine sozial-interaktive und diskursive Leistung, wie Hyland (2013: 61) anschaulich zusammenfasst: This social constructivist position suggests that knowledge and social reality are created through daily interactions between people, and particularly through their discourse. It rejects taken-for-granted knowledge and opposes empiricism and positivism, which have traditionally been the foundation of the natural sciences - the idea that the nature of the world can be revealed by observation. Social constructionism cautions us to be suspicious about the ‘facts’ of existence and encourages us to recognise that what we see as truth is actually filtered through our theories and our language. It is based on categories which are culturally and historically specific. What this means is that our knowledge of the world is not derived from observation, but constructed by people through their interactions in daily life, acting as members of social groups. Eine wichtige Perspektivenerweiterung, auch in der Schreibforschung, stellen daher Ansätze dar, die die soziale und kulturelle Situiertheit von Wissen und Kommunikation anerkennen. Die verschiedenen Stränge der aufgezeigten 21 Kuhn (1970: vi-vii) vermerkt im Vorwort seines Werkes, dass die Rezeption von Flecks (1935) Die Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache ihn davon überzeugte, seine Ideen in den Rahmen einer „sociology of the scientific community“ zu stellen. <?page no="56"?> 56 Entwicklungen in Schreibforschung und Wissen(schaft)stheorien zeigen dabei zahlreiche Konvergenzen auf: „Such notions as communicative competence in linguistics, social constructivism in philosophy, and situated learning in education help perceive writing as a social activity“ (vgl. Canagarajah 2002: 44). Durch eine gemeinschaftsorientierte Sichtweise auf wissenschaftliches Kommunizieren wird die soziale Dimension der Wissenschaft in den Vordergrund gerückt. Die grundlegenden empirischen Leitthemen der vorliegenden Arbeit - das heißt die Anforderungen und Ressourcennutzung, die Einstellungen und Sichtweisen sowie die Ausbildung und Sozialisation der Wissenschaftler im Hinblick auf das Schreiben und Publizieren auf Englisch - sollen daher mit Hilfe zweier Gemeinschaftskonzepte untersucht werden. 2.2 Gemeinschaftskonzepte und ihre Bedeutung für eine soziokulturelle Perspektive auf Wissenschaft 2.2.1 Die Gemeinschaft als Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft Individuelle Wissenschaftler, genauer ihre in Interviews getätigten Aussagen und Ansichten, stellen im Kontext der vorliegenden Untersuchung die kleinste ‚Untersuchungseinheit‘ dar. Die in den Wissenschaftlerinterviews erhobenen Daten ermöglichen die Analyse bestimmter Problemwahrnehmungen, verwendeter Ressourcen sowie Einstellungen und Sichtweisen der Interviewten. Sollen diese individuellen Ergebnisse aber auf eine überindividuelle, soziale Ebene extrapoliert werden, ist eine Art konzeptuelles Scharnier oder Bindeglied nötig, das die Individuen in einem sozialen Zusammenhang verortet. Dazu bietet sich das Konzept der Gemeinschaft an: einerseits nehmen Wissenschaftler an einer Gemeinschaft teil und konstituieren und reproduzieren sie damit, andererseits beeinflusst die Gemeinschaft die Teilnehmer und weist ihnen eine soziale Position zu (z.B. Doktorand oder Professor). Zwei Gemeinschaftskonzepte erscheinen in diesem Zusammenhang besonders einschlägig - die discourse community (z.B. Swales 1990) und die community of practice (z.B. Lave/ Wenger 1991), die in der vorliegenden Arbeit in der Regel als Diskursgemeinschaft und Praxisgemeinschaft bezeichnet werden. 22 Wissenschaftler, aber auch ‚periphere‘ Mitglieder einer wissenschaftlichen Gemeinschaft wie z.B. Studierende, stehen in einer wechselseitigen Beziehung zu dieser. Auf der einen Seite wird von den Teilnehmern einer Gemeinschaft eine gewisse Konformität hinsichtlich der Diskurskonven- 22 Die Bezeichungen Diskurs- und Praxisgemeinschaft werden, neben der Verwendung der englischen Originalbegriffe, ebenfalls in deutschsprachigen Veröffentlichungen verwendet (siehe z.B. Pogner 2007). <?page no="57"?> 57 tionen und der ‚Herstellung‘ von Wissenschaftlichkeit 23 erwartet, z.B. dass englischsprachige Artikel in einer bestimmten Struktur, wie dem IMRaD- Schema 24 , zu verfassen sind. Dieser Konformitäts-‚Druck‘ wird ausgeübt durch andere Teilnehmer der wissenschaftlichen Gemeinschaft - wie Dozenten, Herausgeber von Fachzeitschriften, Gutachter und Kollegen - aber auch durch die Vorbildwirkung erfolgreicher Texte. Auf der anderen Seite verfügen Wissenschaftler über Möglichkeiten, auf bestehende Diskurse und Diskursregeln einzuwirken, indem sie sich z.B. auf bestimmte Weise positionieren oder gegen bestimmte Positionierungspraktiken (diskursiv) vorgehen (vgl. Hyland 2010: 161). Prinzipiell besteht somit die Möglichkeit der Beeinflussung des Diskurses und der Gemeinschaft durch die Teilnehmer mit jedem kommunikativen Akt: So zeigt beispielsweise die Gründung einer neuen Fachzeitschrift häufig neu entstehende theoretische oder methodische Strömungen an und kann daher als Indikator für sich verändernde Diskurse gelten. Aber auch Kommunikation auf persönlicher Ebene, wie beispielsweise ein Gespräch auf dem Flur eines Institutes, oder aber wissenschaftliche Kommunikation im engeren Sinne, wie ein veröffentlichter Artikel, können eine Gemeinschaft beeinflussen. Durch das Publizieren wird das Individuum also zum aktiven Mitkonstrukteur des Diskurses und hilft, diesen zu reproduzieren. Zugleich können Individuen durch ihre Mitwirkung unter bestimmten Voraussetzungen Diskurse auch verändern (vgl. Hyland 2009b: 35). Nachvollziehbar wird dies, wenn man sich einige Beispiele vor Augen führt. Forscher sehen die Welt oft mit ‚disziplinärem‘ Blick. Während des Studiums und der wissenschaftlichen Tätigkeit erlernte Konzeptualisierungen, Theorien und Ideologien machen Teil des Denkens und Handelns eines jeden Wissenschaftlers aus. Greifbar werden solche Identitätskomplexe, indem sich jemand z.B. in erster Linie als Ingenieur oder Evolutionsbiologin definiert und entsprechend den Rollenerwartungen handelt. Gleichzeitig können neue Ergebnisse, Ideen oder Widerstand gegen bestimmte dominante Auffassungen im Diskurs diesen verändern. Als Beispiel könnte die Entscheidung angeführt werden, nur noch in open access journals zu veröffentli- 23 Übertragen aus der Soziologie (analog zu doing family, doing gender; vgl. z.B. Schier/ Jurczyk 2007) von doing science, wird Wissenschaft als soziale Herstellungsleistung verstanden. Diese Konzeption unterstreicht den auf Interaktion basierenden Konstruktionscharakter von Wissenschaft. Ähnlich wie Familien, die neben Blutsverwandtschaft durch alltägliche Interaktionen konstituiert werden, kann Wissenschaft auch als Prozess verstanden werden, der durch unzählige Interaktionen und kommunikative Akte aufrechterhalten und reproduziert wird. 24 Das IMRaD-Schema umfasst die generischen Bestandteile Introduction, Methods, Results and Discussion. Es ist besonders in experimentell ausgerichteten Wissenschaften wie den Naturwissenschaften oder der Medizin verbreitet, wo es in fast allen empirisch orientierten Zeitschriftenpublikationen verbindlich ist (vgl. Sollaci/ Pereira 2004). <?page no="58"?> 58 chen oder in wissenschaftlichen Artikeln ein auktoriales Ich zu verwenden, obwohl vorher passivische Strukturen als die Norm galten. 25 2.2.2 Kurzdarstellung von Diskurs- und Praxisgemeinschaft Eine Diskursgemeinschaft bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die an einem Diskurs teilnimmt, einer Form dialogischer Kommunikation die soziale und politische Realitäten konstruiert und gleichzeitig von diesen geprägt wird (vgl. Hyland 2009a: 39). Im Zuge der Teilnahme werden gemeinsame kommunikative Muster und Normen entwickelt, die wiederum auf das Selbstverständnis der Teilnehmenden zurückwirken. In Diskursgemeinschaften existieren implizite und explizite Regeln darüber, wer wann zu welchem Thema in welcher Art und Weise sprechen oder schreiben darf. Der Begriff der Diskursgemeinschaft wird nicht einheitlich verwendet, sondern von verschiedenen Vertretern und Kritikern auf unterschiedliche Weise konzeptualisiert. Ursprünglich war die Idee der Diskursgemeinschaft, erstmalig erwähnt von Patricia Bizzell (1982), auf eine einzige academic discourse community festgelegt (vgl. Prior 2003: 4), die sämtliche wissenschaftliche Diskurse vereint. Es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass es eine Vielzahl wissenschaftlicher Diskursgemeinschaften gibt, selbst innerhalb einer Disziplin. Darüber hinaus wurde die Idee der Diskursgemeinschaft immer wieder wissenschaftlicher Kritik unterzogen und weiterentwickelt bzw. auch aufgegeben (siehe z.B. Prior 2003), sodass verschiedene Versionen des Konzeptes vorliegen. Ein Beispiel für die stetige Weiterentwicklung sind die Arbeiten von Swales (z.B. 1987, 1988, 1990, 1998, 2004), in denen das Konzept der Diskursgemeinschaft zur Analyse wissenschaftlichen Schreibens herangezogen und weiter präzisiert wird (für Beispiele siehe Kap. 2.3.1 unten). Eine einheitliche Beschreibung des Konzeptes der Diskursgemeinschaft wird zusätzlich dadurch erschwert, dass ein eher weit oder eng verstandener Gemeinschaftsbegriff verwendet wird: [I]t is possible to see communities as real, relatively stable groups whose members subscribe, at least to some extent, to a consensus on certain ways of doing things and using language. On the other hand, community can be regarded as a more metaphorical term for collecting together certain practices and attitudes (Hyland 2009a: 49). Die konzeptuelle Vielschichtigkeit macht eine genauere Erschließung des Begriffs für die vorliegende Untersuchung vonnöten. Im Anschluss an einen ersten Überblick der Idee der Praxisgemeinschaft sollen daher beide Gemeinschaftskonzepte verglichen und kritisch gewürdigt werden, wobei auch ihre Verwendbarkeit für die vorliegende Untersuchung betrachtet wird. 25 Externe Prozesse wie Policy-Entscheidungen (z.B. der Bologna-Prozess), Forschungsrankings oder Vorgaben größerer Organisationen (wie die Förderungsrichtlinien der DFG) können ebenfalls großen Einfluss auf Diskurse und Diskursregeln ausüben. <?page no="59"?> 59 Der Begriff der Praxisgemeinschaft versucht ebenso wie das Konzept der Diskursgemeinschaft, die Funktionsweise von Gemeinschaften besser zu beschreiben. Eine Praxisgemeinschaft bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die zusammenarbeiten und dadurch ein gemeinsames Verständnis davon entwickelt, welche Vorgehensweisen (d.h. eine gemeinsame Praxis) für die Erledigung bestimmter Aufgaben vorteilhaft sind. Ursprünglich von Lave/ Wenger (1991) als Kritik am institutionalisierten, schulischen Lernen entwickelt, betont die Praxisgemeinschaft die soziale Situiertheit von Lernvorgängen und die Problemlösefähigkeit von selbstregulierenden Gruppen (vgl. Wenger 1998: 10). 26 Dabei wird mündlichen Interaktionssituationen auf lokaler Ebene besondere Aufmerksamkeit geschenkt und so die Priorität des Schriftlichen in der Diskursgemeinschaft umgekehrt. Während es idealtypisch in der Praxisgemeinschaft auf lokaler Ebene Zusammenarbeit („mutual engagement“; Wenger 1998) zwischen den Mitgliedern gibt, stehen die Mitglieder von Diskursgemeinschaften über Diskurse vorwiegend mit weiter räumlich oder sozial entfernten Personen in Kontakt. Deshalb verorten Lave und Wenger (1991) das eigentliche Zentrum der Praxisgemeinschaft im unmittelbaren sozialen Umfeld, in dem Probleme gelöst, ein gemeinsames Vorgehen entwickelt, Identitäten ausgehandelt und Lernprozesse angeleitet werden. Als Begründung für diesen Fokus kann das „Situative“ gelten. So nimmt beispielsweise Wenger (1998: 3) an, dass institutionalisiertes Lernen wie z.B. in Schulen nicht sonderlich erfolgreich ist, da es als individueller Prozess in der ‚Abgeschiedenheit‘ von Klassenzimmern stattfinde und somit vom eigentlichen Anwendungskontext des zu erwerbenden Wissens getrennt sei. Eine zweite Prämisse Wengers ist, dass Lernen (und damit auch Wissen) ein „fundamental soziales Phänomen“ ist und somit als Gruppenprozess besser verstanden werden kann (ebd., Übers. FR) als in individuellkognitiver Sichtweise. Indem er Lernen als Partizipation konzeptualisiert, wird die Gemeinschaft zum „lebendigen Curriculum“ (Wenger 2006: n.p., Übers. FR). Drei Kriterien werden für das Zustandekommen einer Praxisgemeinschaft festgelegt (aus Wenger 2006: n.p.): - Ein gemeinsames Interessengebiet, in dem Handeln als Kompetenz erkennbar ist: „[A community of practice] has an identity defined by a shared domain of interest. Membership therefore implies a commitment to the domain, and therefore a shared competence that distinguishes members from other people.“ - Eine Gemeinschaft, die durch gemeinsame Interaktion konstituiert wird: „[I]n pursuing their interest in their domain, members engage in joint activities and discussions, help each other out, and share information. They build relationships that enable them to learn from each other.“ 26 Lave und Wenger (1991) folgend haben sich verschiedene Formen der Praxisgemeinschaft entwickelt, deren Unterschiede im Rahmen der Arbeit nur randständig berücksichtigt werden können. Für einen Überblick verschiedener Modelle, ihrer theoretischen Fundierungen und Anwendungsgebiete siehe jedoch Kimble (2006) und Cox (2005). <?page no="60"?> 60 - Eine gemeinsame Praxis, verstanden als „shared repertoire of resources: experiences, stories, tools, ways of addressing recurring problems.“ Die Nutzung des Konzeptes der Praxisgemeinschaft als analytischer Rahmen ermöglicht es, Lernen auf eine Weise zu beschreiben, die nicht an dezidierte Lernorte wie Schulen und Klassenzimmer gebunden ist (Wenger 2006: n.p.). Das Konzept wurde in zahlreichen empirischen Untersuchungen verwendet und unter anderem für Bildungs- und Managementkontexte adaptiert (vgl. Czauderna 2014: 39). Auf die vorliegende Untersuchung bezogen, erscheint das Konzept der Praxisgemeinschaft geeignet zu sein, hinter die Fassaden von Universitäten, Disziplinen und Instituten zu blicken und dazu beizutragen, (fach)spezifische Praktiken, Lernprozesse, aber auch die ‚Identitäten‘ wissenschaftlicher Gemeinschaften besser zu verstehen. Der bisherigen Diskussion kann entnommen werden, dass Begriffe wie Diskurs, Praxis, Kommunikation, Identität, Wissen und Gemeinschaft zentral für das Verständnis von wissenschaftlichem Schreiben und Publizieren als soziale Praxis sind. Aus diesem Grund werden im Folgenden diese und andere Begriffe im Kontext von Gemeinschaften vertieft und im Hinblick auf eine mögliche Verwendung der beiden Konzepte in der vorliegenden Untersuchung präzisiert. 2.3 Diskurs- und Praxisgemeinschaft im Vergleich 2.3.1 Kritik an Gemeinschaftskonzepten Das Konzept der Diskursgemeinschaft wurde unter anderem als utopisch (da inneren Konsens implizierend), deterministisch, statisch, abstrakt (vgl. Devitt et al. 2003: 541), vage und zu reduktionistisch (vgl. Prior 2003: 5f.) kritisiert. Ob Diskursgemeinschaften als stabile Gebilde verstanden werden, die das Denken und Handeln von Individuen beherrschen, erscheint allerdings in erster Linie eine Frage der Konzeptualisierung zu sein. Frühe Arbeiten zur Diskursgemeinschaft erwähnten noch „common public goals“ (z.B. Swales 1988: 212) als Definitionskriterium von Diskursgemeinschaften. Da dieses Kriterium aber nicht notwendigerweise auf alle Mitglieder einer Diskursgemeinschaft zutrifft, wird inzwischen anerkannt, dass man gemeinsame Ziele nicht in jeder Diskursgemeinschaft voraussetzen kann, sondern eher ein gemeinsames Interesse an einem Thema oder Gebiet relevant ist (vgl. Borg 2003: 398). 27 Forscher wie z.B. Hyland (vgl. 2009a: 52) und Pogner (vgl. 2007: 2) halten weiterhin an der Idee wissenschaftlicher Diskursgemeinschaften fest, warnen aber davor, sie als stabile Gruppierungen zu betrachten, in denen sich alle Mitglieder regelkonform verhalten, gemeinsame 27 Beispielsweise verbinden Studierende und Wissenschaftler, obwohl sie teilweise die gleichen Texte lesen, häufig unterschiedliche Ziele mit der Teilnahme an einem Diskurs. <?page no="61"?> 61 Werte zelebrieren und in denen ein Konsens hinsichtlich der ‚besten‘ Art zu kommunizieren oder Wissenschaft zu betreiben besteht. Eine solche Konzeption der Diskursgemeinschaft hätte überdies Probleme, Phänomene wie diskursiven Dissens oder einen Paradigmenwechsel zu erklären. Die prinzipiell vorhandene Offenheit und Heterogenität von Gemeinschaften sowie individuelle Spielräume der Akteure müssen demnach in der Anwendung des Konzeptes berücksichtigt werden. Die Idee der Praxisgemeinschaft ist nach einer anfangs sehr euphorischen Phase der Rezeption ebenfalls mit Kritik bedacht worden. So beanstandet unter anderem Prior (2003: 10), dass Fragen der sozialen Stratifizierung und die Mechanismen der Entstehung von „class, gender, race, sexual orientation“ im Zuge der Teilnahme an Praxisgemeinschaften nur eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen (vgl. hierzu auch Kimble 2006: 219f.). Es wird weiterhin offenbar, dass der Fokus von Lave/ Wenger (1991) auf Partizipation als Lernen Probleme ungleich verteilter Macht teilweise ausklammert, obwohl sie sich oft in Statusunterschieden der Mitglieder einer Gemeinschaft abzeichnen. Hinzu kommt die in einer späteren Phase erfolgte theoretische und praktische Ausrichtung des Konzeptes zum Zwecke des effektiveren Wissensmanagements in Unternehmen (siehe z.B. Wenger/ McDermott/ Snyder 2002), die zumindest bei der Anwendung in Forschungskontexten eine genaue Auswahl der zugrundegelegten Modellierung der Praxisgemeinschaft erforderlich macht. 2.3.2 Diskurs und Praxis Diskurse können aus soziologischer Perspektive als „gesellschaftliche Regulierungen von Äußerungen“ (Maasen 2009: 39) verstanden werden. Sie sind Regelsysteme, die bestimmen, wer welche Aussagen in welcher Form treffen darf. Wissenschaftliche Diskurse im Speziellen betten Individuen in disziplinäre oder fachliche Gruppen ein und beeinflussen unsere Wahrnehmung dessen, was als wissenschaftlich gilt und was nicht. Dieses Phänomen, weitgehend auf Sprache und Kommunikation basierend, zeigt sich unter anderem in der von Wissenschaftlern vorgenommenen Gestaltung von Texten: „Texts are constructed in terms of how their authors understand reality. These understandings are, in turn, influenced by their membership of social groups which have objectified in language certain ways of experiencing and talking about phenomena“ (Hyland 2009a: 46). Wissen bzw. das, was als solches anerkannt wird, spielt eine zentrale Rolle in allen Diskursen. Es scheint aber einen außergewöhnlich hohen Stellenwert in wissenschaftlichen Diskursen zu besitzen, da der selbstgesetzte Anspruch hier lautet, Wahrheit zu verbreiten (vgl. Hyland 2009a: viii). Annahmen darüber, was gewusst werden kann (Erkenntnistheorie) sowie hinsichtlich der Frage, wie und mit welcher Sicherheit man etwas wissen kann (Methodik), beeinflussen die Praktiken einzelner wissenschaftlicher Diskurse (vgl. Hyland 2009a: 46). So <?page no="62"?> 62 lässt eine Gegenüberstellung von zwei Fächern, z.B. der Biologie und der Geschichtswissenschaft, unschwer erkennen, dass sich diese grundlegend hinsichtlich ihrer Annahmen, Erkenntnisinteressen, verwendeten Methoden sowie ihren Diskursen unterscheiden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass die oben angesprochene Regulierungsleistung wissenschaftlicher Diskurse über Sprache bewerkstelligt wird: „[C]omplex social activities like educating students, demonstrating learning, disseminating ideas and constructing knowledge, rely on language to accomplish“ (Hyland 2009a: 1). Dadurch, dass wissenschaftliche Diskurse bei längerem Bestehen durch Universitäten, Fachzeitschriften, Karrierepfade, Studiengänge, Sommerschulen etc. institutionalisiert werden (vgl. Kruse 2006), erschaffen und reproduzieren sie auch eine soziale Hierarchie, denn nicht alle Teilnehmer des Diskurses haben den gleichen Einfluss. Diskurse sind daher nicht ausschließlich sprachliche Gebilde, sie haben reale Auswirkungen auf soziale Rollen und Identitäten (z.B. Professoren vs. Studierende) sowie auf unsere Wahrnehmung der Realität: „Discourse is a mediator of social life: simultaneously both constructing social and political reality and conditioned by it“ (Hyland 2009a: 39). Durch die Teilnahme an Diskursen werden also bestimmte Wahrnehmungen, soziale Beziehungen und Identitäten erschaffen und reproduziert, gleichzeitig können bestimmte Diskurse, wie z.B. wissenschaftliche, von der Gesellschaft mit Prestige, Rechten und finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Der in der Konzeption der Diskursgemeinschaft inhärente Fokus auf schriftlicher Kommunikation (vgl. z.B. Swales 1988) muss für die vorliegende Untersuchung durch mündliche Kommunikation ergänzt werden, denn diese hat ebenfalls einen hohen Stellenwert im wissenschaftlichen Alltag und damit in der Sozialisation und Identitätsbildung von Wissenschaftlern. Die Fokussierung auf schriftliche Kommunikation ist unter anderem darin begründet, dass Swales ursprünglich die Diskursgemeinschaft als schriftsprachliche Analogie zur speech community konzipiert hat. Während jedes Gesellschaftsmitglied automatisch in eine Sprachgemeinschaft hineinwachse, hinge die Mitgliedschaft in einer Diskursgemeinschaft jedoch vom Vorhandensein gemeinsamer Ziele und der Beherrschung bestimmter Genres ab (vgl. Swales 1988: 212). Da der Fokus dieser Arbeit auf den sprachbezogenen Einstellungen, Praktiken und Prozessen liegt, die das wissenschftliche Schreiben und Publizieren auf Englisch umgeben, muss mündliche (und damit häufig lokale) Kommunikation und ihre Funktion in der Konstruktion wissenschaftlicher Identität ebenso berücksichtigt werden. Trotz der zunehmend globalen Reichweite einiger Fachdiskurse werden Wissenschaftler überwiegend ‚örtlich‘, durch mündliche wie auch schriftliche Kommunikation und gängige lokale Praxis, sozialisiert. Täglich finden an wissenschaftlichen Einrichtungen unzählige (informelle) Gespräche, Besprechungen, Lehrveranstaltungen etc. statt, die aufgrund ihres Beitrages zur Gemeinschafts- und Identitätsbildung der Wissenschaftler nicht vernachlässigt werden soll- <?page no="63"?> 63 ten. Einige Konzeptionen (vgl. z.B. Hyland 2009a: 3) der Diskursgemeinschaft greifen diesen Punkt auf: Sie verstehen unter Diskurs sowohl gesprochene als auch geschriebene Sprache und nähern sich damit teilweise einem Verständnis von Praxis an, wie es in der Praxisgemeinschaft verwendet wird. Praxis wird im Konzept der Praxisgemeinschaft allgemein definiert als Form der Handlung (vgl. Wenger 1998: 4) und differenzierter als „a shared repertoire of resources: experiences, stories, tools, ways of addressing recurring problems“ (Wenger 2006: n.p.). Eingebettet ist diese Vorstellung in Theorien sozialer Praxis: Theories of social practice address the production and reproduction of specific ways of engaging with the world. They are concerned with everyday activity and real-life settings, but with an emphasis on the social systems of shared resources by which groups organize and coordinate their activities, mutual relationships, and interpretations of the world. (Wenger 1998: 13) Praxis ist somit weiter gefasst als Diskurs und schließt auch nicht-diskursive Aktivitäten mit ein (vgl. Pogner 2007: 3). Die folgende Abbildung illustriert diesen Zusammenhang. Die Kreise stellen dabei jeweils handelne Personen bzw. Teilnehmer einer Diskursbzw. Praxisgemeinschaft dar: Abbildung 2: Schematische Aufteilung von Praxis und diskursiver Praxis Ein erster wichtiger Unterschied der beiden Gemeinschaftskonzepte ist somit ein Fokus auf schriftlicher Kommunikation und Diskurs in der Diskursgemeinschaft und auf mündlicher Alltagskommunikation und Praxis in der Praxisgemeinschaft. Die Unterscheidung von Praxis und Diskurs im Sinne von nicht-diskursiver und diskursiver Praxis ist deshalb von Interesse, da hiermit verschiedene Phänomene beleuchtet und beschrieben werden können. Praxis bezieht sich also auf alltägliche Aktivitäten und die Art und Weise, wie etwas in einer Gemeinschaft ‚erledigt‘ wird. Die Teilnahme an <?page no="64"?> 64 schriftlichen und mündlichen Diskursen ist insbesondere in wissenschaftlichen Gemeinschaften jedoch essentieller Bestandteil dieser Praxis. 2.3.3 Wissenschaftliche Identität Die Teilnahme an einer Diskurs- oder Praxis-Gemeinschaft prägt die Identität der Teilnehmenden: „[P]articipation shapes not only what we do, but also who we are and how we interpret what we do“ (Wenger 1998: 4; siehe auch Kap. 2.3.5.2). In Wengers Konzeption der Praxisgemeinschaft bedeutet Teilnahme demnach nicht nur das Aneignen bestimmter Praktiken (wie z.B. das Schreiben von Fachartikeln), sondern auch das Formen einer Identität im Zuge der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Ausführlicher umschrieben wird Identität von Wenger (1998: 5) verstanden als „a way of talking about how learning changes who we are and creates personal histories of becoming in the context of our communities“. In Konzeptionen der Diskursgemeinschaft spielt wissenschaftliche Identität ebenfalls eine wichtige Rolle, diese wird jedoch in der Regel über veröffentlichte schriftliche Produkte konstruiert (vgl. Hyland 2010: 161). 28 Eine solche Analyse setzt somit voraus, dass eine Verbindung zwischen den Texten und der Identität der jeweiligen Autoren besteht, die man aufdecken kann, indem man „identity options“ in veröffentlichen Artikeln aufspürt, mit deren Hilfe Autoren durch diskursive Handlungen textuell eine eigene Identität konstruieren (a.a.O.: 161, 183). 29 Wissenschaftliche Identität kann somit definiert werden als spezifischer Teil der Gesamtidentität der Befragten. Sie beschreibt das Zusammenspiel von Fremd- und Selbstverortung von Individuen in einem fachlich geprägten sozialen und diskursiven Umfeld. Sie ist eine dynamische berufliche Identität, die sich durch Interaktion, unter anderem mit Mitgliedern derselben Gemeinschaft oder über Teilnahme an Diskursen, herausbildet und nicht notwendigerweise von den Wissenschaftlern bewusst reflektiert wird. Es kann daher vermutet werden, dass die fachliche Positionierung von Wissenschaftlern ebenfalls in einem Identitätskontext steht: Wenn Forscherinnen und Forscher beispielsweise den Anspruch hegen (möglicherweise ist dies eine gängige Norm in ihrer Diskursgemeinschaft), sprachlich gesehen exzellente Artikel zu verfassen, ist das bereits ein Aspekt ihrer wissenschaftlichen 28 Eine Fokussierung auf schriftliche Produkte in der Diskursgemeinschaft wird offenbar, wenn man z.B. Studien von Hyland (z.B. 1998, 2007, 2010) methodisch einordnet: In der Regel werden veröffentlichte wissenschaftliche Artikel oder Teile davon mit korpus- und genreanalytischen Methoden untersucht, um Rückschlüsse auf das Handeln und Selbstverständnis der Autoren zu ermöglichen. 29 In einigen Fächern ist die Praxis der Mehrautorenschaft allerdings so gängig, dass Rückschlüsse auf einzelne Autoren durch Textanalyse problematisch sein dürften. Hyland selbst führte deshalb die korpusbasierte Untersuchung der „discursive production of identity“ in der relativ argumentativ ausgerichteten Angewandten Linguistik durch und bezog nur Artikel ein, in denen die Untersuchten (Debbie Cameron, John Swales) alleinige Autoren waren (Hyland 2010: 181). <?page no="65"?> 65 Identität. Das Gleiche gilt, wenn z.B. Naturwissenschaftler betonen, Sprache lediglich als neutrales Transportmedium wissenschaftlicher Daten und Ideen zu verwenden. Eine interviewgestützte Rekonstruktion der wissenschaftlichen Identität der Befragten kann darüber Auskunft erteilen, wie sich die Interviewten selbst als Wissenschaftler wahrnehmen und welche Einstellungen zu Sprache, Wissenschaft und Gesellschaft sich in dieser Konstruktion spiegeln. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb versucht, Einstellungen und Sichtweisen von Wissenschaftlern verschiedener Fachzugehörigkeit zu sprachlichen und fachlichen Gesichtspunkten zu rekonstruieren und somit Zusammenhänge zwischen der Partizipation in Diskurs- und Praxisgemeinschaften und den im Rahmen dieser Teilnahme konstruierten Identitäten herzustellen (siehe Kap. 5.2). 2.3.4 Norm und Abweichung Es kann davon ausgegangen werden, dass jegliche Form von Kommunikation nur einen Teil der gesamten Menschheit involviert und sich folglich immer an bestimmte Gruppen oder Individuen richtet (vgl. Borg 2003: 398). Beispielsweise wird eine Email an einen oder mehrere Absender geschickt, ein Dialog findet zwischen zwei Personen statt und ein wissenschaftlicher Artikel wird von einer bestimmten Zielgruppe gelesen, aber nie von sämtlichen Lesern der Welt. Findet Kommunikation mit bestimmten Gruppen regelmäßig und längerfristig statt, bilden sich sogenannte Diskursmuster oder -konventionen heraus. Die Entstehung von Diskursmustern kann unter anderem als eine Form der Bedeutungsaushandlung beschrieben werden: Wenn Menschen miteinander kommunizieren, verstehen sie sich nicht immer auf Anhieb, sondern müssen bestimmte Bedeutungen erst aushandeln und nach und nach festlegen. Dieses Prinzip gilt übertragen auch für wissenschaftliche Diskurse, die sich teilweise über Jahrhunderte herausgebildet haben und im Zuge dessen relativ stabile, institutionalisierte Diskurskonventionen entwickelt haben. Als Beispiel kann das IMRaD-Schema 30 in wissenschaftlichen Artikeln angeführt werden, welches den kommunikativen Anforderungen der Naturwissenschaften offenbar am ehesten entspricht (siehe Kap. 4.1.1), da es durch seine rigide inhaltliche und sprachliche Struktur auf eine Reproduzierbarkeit vorhandener Studien und Wiedererkennbarkeit im Sinne von normal science abzielt (vgl. Kuhn 1970: 10). Dieses Beispiel zeigt darüber hinaus die enge Verbindung von Textsorte und kommunikativer Funktion. In den Wissenschaften haben sich unterschiedliche Textsorten (z.B. Gesetzeskommentar, Laborbericht, Forschungsantrag, aber auch Posterpräsentation und Vorlesung) sowie disziplinspezifische Ausprägungen einer Obertextsorte (z.B. des Forschungsartikels) auch deshalb herausgebildet, weil Disziplinen spezifische Anforderungen an die wissenschaftliche Kommuni- 30 Für eine Erklärung des Akronyms siehe Fußnote 24. <?page no="66"?> 66 kation stellen und Ergebnisse auf eine bestimmte Art und Weise präsentieren. Aber auch die gehäufte Verwendung grammatischer Muster (z.B. Passivierungen, Substantivierungen) oder bestimmter Kollokationen (z.B. beim hedging bzw. epistemischer Modalität; vgl. Hyland 2007: 13-15) in den jeweiligen Wissenschaften kann als Indiz dafür gelten, dass Kommunikation über Aushandlungs- und Normierungsprozesse in bestimmte institutionalisierte Diskurskonventionen überführt wird. Diese Konventionen ermöglichen es den Diskursteilnehmern, auf wiederkehrende kommunikative Probleme, wie die Verteidigung einer Idee vor einem Fachpublikum oder die Vorstellung und Bewertung neu erscheinender Fachliteratur, in einer von den Kommunikationsteilnehmern akzeptierten Weise zu reagieren (vgl. Hyland 2009a: 46). Die Verwendung der disziplinspezifisch bereitgestellten Textsorten und sprachlichen Mittel mag erfahrenen Wissenschaftlern dabei ‚natürlich‘ vorkommen, da sie die kommunikativen Normen und Regeln ihrer Disziplin mit zunehmendem Verbleib in der Diskursgemeinschaft häufig verinnerlichen; sie werden dann zu kommunikativen ‚Schablonen‘, die ihr Denken und Handeln zumindest in disziplinäre sprachliche Bahnen lenken. Eine Diskursgemeinschaft wird infolge der kritischen Rezeption (siehe Kap. 2.3.1) überwiegend nicht mehr als starre Organisation verstanden, die Konformität um jeden Preis fordert (vgl. Hyland 2009a: 54), sondern als komplexe und dynamische Gemeinschaft, die bestimmte Freiheiten zulässt. Sie ist beispielsweise, sowohl im Bezug auf real existierende sowie als theoretisches Modell entworfene Diskursgemeinschaften, nicht einheitlich und homogen, sondern ihre Mitglieder unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht: Individuals have diverse experiences, backgrounds, expertise, commitments and influence. Empiricists contest the same ground with phenomenologists, cognitivists with behaviourists, existentialists with Freudians, and relativists with realists. Nobel Prize winners, influential gatekeepers and high-profile proselytizers interact with and use the same texts and genres as student neophytes, research assistants and lab rats. They may, however, use them for different purposes, with different questions and with degrees of engagement. (Hyland 2009a: 54) Obwohl diskursive Normen zweifellos existieren und für die Kommunikation unentbehrlich sind, können auch sie verändert werden bzw. müssen nicht in allen Situationen und für alle Teilnehmer gelten, ohne dass dieser Umstand notwendigerweise die Funktion einer Diskursgemeinschaft einschränkt (vgl. ebd.). Diskursgemeinschaften besitzen offenbar die Fähigkeit, Meinungsverschiedenheiten und Normabweichungen auszuhalten, ohne dabei das gemeinsame Handeln aus den Augen zu verlieren. Dies würde im Übrigen erklären, wieso sie beispielsweise in der Lage sind, Beiträge einzelner Autoren zu kritisieren, ohne dass dadurch die Diskursgemeinschaft als Ganzes in ihrer Integrität bedroht wird. Es könnte daher vermutet werden, dass die Tendenz, Dissens und Positionenvielfalt zu institutionalisieren, maßgeblich zum Erfolg von Wissenschaft als gesellschaftlicher Tätigkeit beiträgt. Wie <?page no="67"?> 67 aber gehen die Konzepte der Diskurs- und Praxisgemeinschaft mit Normen und Normabweichungen um? Vergleicht man die verschiedenen Konzeptionen der Diskursgemeinschaft, so finden sich zwei Extrempositionen hinsichtlich ihrer Normativität: Auf der einen Seite eine eher konformistische Sichtweise, hier exemplarisch gezeigt anhand von Kruses (2003) und Mautners (2011) Verständnis der Diskursgemeinschaft. Beide betonen die Einheitlichkeit und Konformität von Diskursgemeinschaften und tendieren dazu, sie als ‚unnachgiebige‘ Instanz zu beschreiben, in der beispielsweise sprachliche Regelverstöße schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen, wie eine Nicht-Veröffentlichung und damit ein Ausschluss von der aktiven Teilnahme am Diskurs. Manifestationen dieser Sichtweisen lassen sich in den Ratgebern dieser Autoren zum wissenschaftlichen Schreiben aufspüren: 31 Missachtet man als Autor diese Konventionen, so antwortet die scientific community mit ihrer härtesten Sanktion: der Nicht-Veröffentlichung (oder, im Studium, mit einer schlechten Benotung). (Mautner 2011: 38, Hervorh. i.O.) Teilnehmen kann, wer in die Gemeinschaft eingeführt ist (in der Regel mit akademischem Grad und Position) und ihre Regeln akzeptiert. (Kruse 2003: 104f.) Erfolgreich zu schreiben heißt, so zu schreiben, dass es von der Gemeinschaft akzeptiert und positiv bewertet wird. (ebd.) Allerdings ist besonders der letzte Punkt, die Gleichsetzung einer positiven Bewertung durch die Gemeinschaft mit erfolgreichem Schreiben, problematisch und könnte sprachlichen und inhaltlichen Dissens, wie er regelmäßig in wissenschaftlichen Diskursen zu finden ist, nicht erklären. Da diese Konzeptionen der Diskursgemeinschaft scheinbar in erster Linie auf Konformität als Erfolgskriterium abzielen, laufen sie Gefahr, die Fähigkeit von Diskursgemeinschaften unterzubewerten, auch von der etablierten Norm abweichende Beiträge zu integrieren. Auf der anderen Seite des Normativitätskontinuums befindet sich eine kritische Sichtweise, hier beschrieben am Beispiel von Canagarajah (2002). Vor dem Hintergrund der Diskussion über die Aufgaben von Schreiblehrern und -lehrerinnen an US-Universitäten stellt Canagarajah die Frage, welche Aufgaben sie in der Ausbildung nichtmuttersprachlicher Gaststudenten wahrnehmen sollten. Er argumentiert unter anderem für die Förderung eines kritischen Bewusstseins hinsichtlich der Teilnahme an Diskursen und spricht sich dafür aus, sich diese „zu eigen zu machen“ (Canagarajah 2002: 40, Übers. FR). Vertreter dieser Auslegung der Diskursgemeinschaft zielen in erster Linie darauf ab, dass der wissenschaft- 31 Da es sich bei den folgenden Zitaten um Ausschnitte aus Ratgebern zum wissenschaftlichen Schreiben handelt, ist die pädagogisierte und teils verkürzte Darstellung von Diskursgemeinschaften möglicherweise durch eine beabsichtigte Komplexitätsreduktion bedingt. <?page no="68"?> 68 liche Nachwuchs vorherrschende Machtgefüge, Diskursnormen, sprachliche Realisationen etc. kritisch hinterfragt. Eine Frage in diesem Zusammenhang ist die nach Anpassung an den Diskurs oder Dekonstruktion des Diskurses. Auf der einen Seite benötigen Studierende und Nachwuchswissenschaftler offensichtlich ein Bewusstsein für dominante Auffassungen in der jeweiligen Diskursgemeinschaft - was gewusst werden kann, wie es gewusst werden kann und wie disziplinäres Wissen im Normalfall versprachlicht wird. Allerdings schließen sich Konformität und Dekonstruktion meines Erachtens nicht zwingend aus: So sind bestimmte Veröffentlichungsformen sehr normativ (z.B. der journal-Artikel) und eine Teilnahme an internationalen Diskursen ohne (sprachliche) Konformität könnte durch gatekeeper verhindert werden. Hier sind möglicherweise besonders ‚randständige‘ Diskursteilnehmer, wie z.B. Studierende und Doktoranden, auf ein gewisses Maß an Konformität angewiesen, ähnlich wie von Mautner und Kruse oben vertreten, um überhaupt an der Diskursgemeinschaft teilnehmen zu dürfen. Andererseits kann kritisches Diskursbewusstsein Anfänger dazu ermächtigen, ihre eigene Position in der Diskursgemeinschaft stärker zu reflektieren, geltende wissenschaftliche Regeln und Diskursnormen zu hinterfragen und letztlich gezielter und reflektierter diskursiv zu handeln. So könnte beispielsweise der bewusste Umgang mit wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit - wann und warum setze ich das Deutsche bzw. Englische als Wissenschaftssprache ein - Teil dieses Diskursbewusstseins bilden, aber auch textbasierte Fragestellungen wie die Verwendung aktivischer oder passivischer Konstruktionen in wissenschaftlichen Artikeln, um nur zwei Beispiele zu nennen. Eine ausschließliche Vermittlung der momentan vorherrschenden diskursiven Regeln birgt möglicherweise dagegen die Gefahr einer Reproduktion bestehender Normen, wie sie fast zynisch anmutend in einem Schreibratgeber von Mautner (2011: 38) beschrieben wird: Sehr wohl kann man davon ausgehen, dass man Herausgeber oder Gutachter bei einer international rezipierten Zeitschrift nur dann wird, wenn man die angelsächsischen Publikationskonventionen selbst verinnerlicht hat - denn nur dann macht man genau jene wissenschaftliche Karriere, die zur Besetzung einer solchen Schlüsselposition führt: Das System reproduziert sich selbst. 32 Hier liegt womöglich auch ein weiterer Unterschied in der Anwendung der Konzepte Diskursgemeinschaft und Praxisgemeinschaft. Während das Konzept der Diskursgemeinschaft häufig zur Diskurskritik und als schreibpädagogisches Hilfsmittel verwendet wird (vgl. z.B. Hyland 2007), zielt die Praxisgemeinschaft in Teilen ihrer Anwendung auf die Erhöhung von kommu- 32 Unabhängig von Mautners Aussage ist zu hinterfragen, inwiefern es dem Anspruch einer internationalen Fachzeitschrift entspricht, sich ausschließlich an „angelsächsischen Publikationskonventionen“ zu orientieren. <?page no="69"?> 69 nikativer Effizienz in Organisationen ab (vgl. Kimble 2006: 227; Pogner 2007: 3). Beispiele für pädagogisch orientierte Untersuchungen mithilfe des Konzeptes der Diskursgemeinschaft sind unter anderem die Analyse von Heckenausdrücken (hedging) in Fachartikeln verschiedener Wissenschaften und die Rückschlüsse, die auf das implizite Selbstverständnis einer Diskursgemeinschaft aus den verschiedenen sprachlichen Verwendungsmustern gezogen werden können. So findet sich nach Hyland (2013: 62) in naturwissenschaftlichen Diskursen oft eine erhöhte Frequenz passivischer Konstruktionen und eine weitgehende Vermeidung des auktorialen Ichs, was aber keine Abwesenheit von Subjektivität im Forschungsprozess bedeute, sondern eher das Anliegen, die eigene Forschung möglichst objektiv erscheinen zu lassen. Ob man derartige Forschungsergebnisse dazu nutzt, Studierende diese Textnormen imitieren zu lassen, damit sie problemloser an der Diskursgemeinschaft teilnehmen können oder ob man sie dazu einsetzt, Text gewordene Fachideologien zu dekonstruieren, hängt nicht zuletzt vom vorhandenen Verständnis von Norm und Normativität ab. 2.3.5 Entstehung und Aufrechterhaltung von Gemeinschaften Eine Forschungslücke zur Diskursgemeinschaft besteht hinsichtlich der Frage, wie diese entstehen und aufrechterhalten werden (vgl. Borg 2003: 399). Swales (1987: 6) ging ursprünglich davon aus, dass Diskursgemeinschaften vor allem durch die Bereitstellung von Feedback und Informationen ‚überleben‘. Später erkannte er, dass diese Vorstellung nur wenig dazu beiträgt zu verstehen, wie solche Gemeinschaften tatsächlich funktionieren (vgl. Swales 1998: 21). Um diese Lücke zu schließen, sollen grundlegende Fragen zur historisch-sozialen Einbettung sowie zu Initiations- und Aufrechterhaltungsprozessen von Gemeinschaften erörtert werden. Relevant für die vorliegende Untersuchung ist dies vor allem deshalb, weil Diskurse und Praxis immer historisch-sozial verankert sind und eine Berücksichtigung dieses Umstandes einen Beitrag zur Erklärung der Funktionsweise heutiger Diskurs- und Praxisgemeinschaften leisten kann. Im Folgenden wird daher zuerst auf die Entstehung und im Anschluss auf Lernen als Element der (Re)Produktion von Wissenschaftsgemeinschaften eingegangen. 2.3.5.1 Entstehung wissenschaftlicher Diskurse Der Grundaufbau der meisten wissenschaftlichen Fachzeitschriften - sie enthalten zumeist Forschungsartikel einschließlich Abstracts, Rezensionen und Ankündigungen - gilt auch nach Jahrhunderten teilweise unverändert (vgl. Kruse 2006: 336). Dies ist ein wichtiges Indiz dafür, dass wissenschaftliche Diskurse einer gewissen Stabilität und Kontinuität unterliegen. Im 18. Jahrhundert entstanden tausende wissenschaftliche Fachzeitschriften in Europa (vgl. ebd.), was zu drastischen funktionalen und epistemologischen Veränderungen in der wissenschaftlichen Kommunikation führte: „[Written dis- <?page no="70"?> 70 course] switched from something similar to a print-out of knowledge acquired by an extraordinary scientist or scholar to a documentation of the collaboratively acquired knowledge of a community“ (a.a.O.: 349). Die Verbreitung wissenschaftlicher Fachzeitschriften trug in der Folge maßgeblich zur massenhaften Entstehung überregionaler Diskursgemeinschaften bei und kann demnach als Hintergrund für die Entwicklung unseres heutigen Verständnisses von Wissenschaft kaum überschätzt werden: Scientific journals revolutionized communication among scientists and scholars and allowed authors to link up their writings much more quickly, and in much more detail, than books were able to. Abstracts informed the academic world instantly about new writings, whereas reviews encouraged the journal editors and their respective communities to respond to every new publication. Discussion could now be carried out on paper and did not need to be held in the presence of opponents and the public. Conventions for quotations were established and references enabled authors not only to refer precisely to others but also to document discourses and make arguments permanently accessible to all readers. (Kruse 2006: 336f.) Große Bedeutung in diesem Zusammenhang hat, wie im Zitat angedeutet, die enge Verbindung von schriftlicher Kommunikation und moderner Wissenschaft, die anhand der Entstehungsgeschichte der modernen Forschungsuniversität genauer beschrieben werden kann. Die Einführung des Humboldt’schen Universitätsmodells, verkürzt als die Einheit von Forschung und Lehre bekannt, gilt als Anstoß für die Entwicklung zur heutigen Forschungsuniversität. Die Idee vom universitären Lernen als „autonomes, interessengeleitetes Lernen mit minimaler externer Kontrolle“ (Kruse 2006: 332, Übers. FR) war derart erfolgreich, dass sie sich in großen Teilen der Welt als Leitbild für Universitäten durchgesetzt hat. In zahlreichen Seminaren, die ebenfalls ab dem 18. Jahrhundert in Deutschland entstanden, war das Schreiben als Lernwerkzeug bereits zu diesem Zeitpunkt von zentraler Bedeutung. 33 Diese Seminare, im Sinne wissenschaftlicher Institutionen, können als die Vorläufer der heutigen Fächer gesehen werden. Die zeitgleiche Entstehung von Seminaren als Unterrichtsform, in denen Schreiben als Arbeitsform eingesetzt wurde, trug darüber hinaus zu einem Wandel von einem vorwiegend mündlichen zu einem überwiegend schriftlich basierten Lehrsystem (vgl. Kruse 2006: 332) bei und veränderte die Art und Weise, wie Wissen generiert und verhandelt wurde. Dies beschreibt Kruse (2006: 336) eindrücklich anhand der sich wandelnden Disputationspraxis: The practice of disputation was rooted in the scholastic idea that knowledge had to be deduced interpretatively from the old, authoritative writings. These 33 In diesem Zusammenhang sind writing to learn-Ansätze in der US-Schreibpädagogik (siehe z.B. Grant/ Fischer 2010: 15f.) und ihre zunehmende Theorisierung im Kontext des Schreibens an deutschen Schulen und Universitäten von Interesse, wie z.B. der Band von Pohl/ Steinhoff (2010) zu Textformen als Lernformen zeigt. <?page no="71"?> 71 were the primary sources of knowledge. More than 500 years, this fundamental belief was part of the identity of the academic world, a matter that has to be kept in mind to understand why the shift to a teaching system based on student writing was a revolutionary, rather than an evolutionary transition. Die Verbreitung schriftlicher Wissenschaftskommunikation ist eine wesentliche Voraussetzung für unser heutiges Verständnis von Wissenschaft als diskursive Wissenspraxis. Erst durch die Verbreitung von Seminaren und deren Akzeptanz in allen Wissenschaften wurde die Ausdifferenzierung und Abgrenzung wissenschaftlicher Disziplinen ermöglicht (vgl. ebd.: 333, 348). Nachvollzogen werden kann dies am Beispiel der Naturwissenschaften, die bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch als Paradigma innerhalb der Philosophie integriert waren und ab diesem Zeitpunkt begannen, eine eigene disziplinäre Gestalt, inklusive eigener Lehrmethoden und fachlicher ‚Identität‘ (vgl. ebd.: 345), zu entwickeln und sich als eigenständige Wissenschaften zu etablieren. 2.3.5.2 Lernen als Element der (Re)Produktion von Gemeinschaften Da eine Wissenschaftsgemeinschaft in erster Linie durch regelmäßig über wissenschaftliche Inhalte miteinander kommunizierende Menschen konstituiert wird, ist deren Aufrechterhaltung eine Daueraufgabe. Verbildlicht man sich beispielsweise die mannigfaltigen Anforderungen, die von Nachwuchswissenschaftlern im Laufe ihrer Initiierung in eine Fachgemeinschaft erfüllt werden müssen, wird deutlich, dass große Teile dieses Handlungswissens nur durch aktive Teilnahme an den Praktiken einer Gemeinschaft erlernt werden können. Sie werden überwiegend durch Partizipation in genuinen Forschungskontexten und nicht durch dezidierte Lehre erworben (vgl. Flowerdew 2000: 131; Wegener/ Tanggaard 2013: 3f.). Lernen in Gemeinschaften wird nicht wie in der kognitivistischen Lerntheorie als überwiegend mental basiert aufgefasst, in der intraindividuelle kognitive Operationen die Erklärung für Lernvorgänge sind, sondern als sozial-interaktionaler, kulturell und geschichtlich eingebetteter Prozess. Vor diesem Hintergrund werden Lernvorgänge durch die Teilnahme von Individuen an Praxis- und Diskursgemeinschaften geprägt und sind allgegenwärtig (vgl. auch Czauderna 2014: 38; Lave 1996: 80f.): „Learning is something we can assume - whether we see it or not, whether we like the way it goes or not, whether what we are learning is to repeat the past or shake it off. Even failing to learn what is expected in a given situation usually involves learning something else instead“ (Wenger 1998: 8). Dabei werden nach Wenger (1998: 4) durch die Teilnahme an Gemeinschaften nicht nur Kenntnisse und Fertigkeiten erworben. Im Zuge der Partizipation in diesen Gesellschaften wird auch die Identität der Befragten geprägt. So werden aus Studierenden nach und nach Wissenschaftler, die beispielsweise Hausarbeiten bewerten müssen, statt sie zu verfassen. Aus Doktoranden, die ihre ersten <?page no="72"?> 72 Publikationen anfertigen, werden Gutachter wissenschaftlicher Zeitschriften, die Beiträge anderer Wissenschaftler bewerten. Damit einhergehend werden auch die häufig fachbezogenen Sichtweisen und Einstellungen der Teilnehmenden durch die Interaktion mit anderen Gemeinschaftsmitgliedern geprägt. Ein Beispiel hierfür ist die weitverbreitete Wahrnehmung von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren, dass Sprache nur einen geringen Stellenwert beim wissenschaftlichen Publizieren einnehme (vgl. z.B. Lehnen 2009: 291f.). Die folgende Abbildung hebt verschiedene Facetten des Lernens hervor, die mit der Teilnahme an Gemeinschaften verbundenen sind: Abbildung 3: Auswirkungen der Teilnahme an wissenschaftlichen Praxis- und Diskursgemeinschaften Legitimate peripheral participation (LPP) kann vor diesem Hintergrund als der Vorgang verstanden werden, durch den wissenschaftlicher Nachwuchs Teil einer Praxisgemeinschaft wird (vgl. Lave/ Wenger 1991: 29). Das Konzept soll erklären, wie neue Mitglieder in einer Praxisgemeinschaft lernen, obwohl sie noch nicht alle ‚Spielregeln‘ (Textsorten, Praktiken, Einstellungen) der Gemeinschaft beherrschen. Bei diesem Vorgang nehmen ‚Neulinge‘ („newcomer“) trotz augenscheinlich noch ausbaufähiger Kompetenzen bereits am Geschehen der Praxisgemeinschaft teil (sie partizipieren peripher) und werden nach und nach durch eine Art Ausbildungsverhältnis vollständig in Diskurs und Praxis einer Wissenschaftsgemeinschaft eingeführt. Ein einschlägiges Beispiel für LPP ist das gemeinsame Verfassen von Artikeln mit erfahreneren Wissenschaftlern, was in allen Disziplinen in verschiedenen Ausprägungen stattfindet. 34 Zentral für LLP ist die Idee des apprenticeship, einer Form des Ausbildungsverhältnisses, denn Lave und Wenger haben ursprünglich untersucht, wieso Situiertes Lernen, wie sie ihre Theorie nennen, so überzeugende Lern- 34 Weitere Beispiele finden sich zur Genüge: im Fach Geschichte die gemeinsame Herausgabe eines Sammelbandes mit dem Professor, in der Biologie das Beisteuern einzelner Absätze für einen gemeinsamen Artikel mit einem Postdoktoranden, Poster-Präsentationen als Zwischenschritt zum Artikel, die Teilnahme an kleineren Konferenzen etc. <?page no="73"?> 73 ergebnisse in nichtschulischen Kontexten erzielte (vgl. Wenger 1998: 11). Ihr Verständnis des Begriffs geht jedoch über traditionelle Vorstellungen von Ausbildungsverhältnissen hinaus: „We wanted to broaden the traditional connotations of the concept of apprenticeship - from a master/ student or mentor/ mentee relationship to one of changing participation and identity transformation in a community of practice“ (Wenger 1998: 11). Legitime periphere Partizipation kann dabei sowohl als pädagogisches Modell herangezogen werden, als auch einen theoretischen Rahmen zur Untersuchung wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens von Nachwuchswissenschaftlern bereitstellen (vgl. Wegener/ Tanggaard 2013: 2). Lave (1996: 68), auf deren anthropologischer Vorarbeit LPP weitgehend basiert, erklärt in einem Artikel zum Thema die Relevanz des Konzeptes und stellt anschaulich die Verbindung von Identität, Partizipation und Kompetenzen auf der einen Seite sowie Herstellung und Reproduktion der Praxisgemeinschaft auf der anderen dar: Legitimate peripheral participation offers a two-way bridge between the development of knowledgeable skill and identity - the production of persons - and the production and reproduction of communities of practice. Newcomers become oldtimers through a social process of increasingly centripetal participation, which depends on legitimate access to ongoing community practice. Newcomers develop a changing understanding of practice over time from improvised opportunities to participate peripherally in ongoing activities of the community. Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird die von Lave beschriebene Funktionsweise in einer Abbildung dargestellt: Abbildung 4: Schematische Darstellung der Funktionsweise legitimer peripherer Partizipation (LPP) <?page no="74"?> 74 Die drei Bestandteile des Konzeptes LPP (legitimate, peripheral, participation) können weitere Hinweise auf die Umstände dieser Enkulturationspraxis liefern: - Legitimate: Die neuen Teilnehmer werden toleriert, ihnen wird Zugang zu den Praktiken und Ressourcen der Gemeinschaft gewährt. Ihre Beiträge zur Gemeinschaft werden als ‚legitim‘ angesehen, auch wenn sie noch nicht alle nötigen Kompetenzen für eine vollständige Teilhabe besitzen. Dies unterscheidet sie von Nichtmitgliedern, deren Teilnahme häufig nicht als legitim empfunden wird. Ihr Status als unerfahrene Gruppenmitglieder wird in der Regel berücksichtigt und ihre Beiträge zur Gemeinschaft demnach nicht nach dem gleichen Maßstab bewertet wie die Beiträge erfahrener Mitglieder. - Peripheral: Es wird den Neulingen der Zugang zur Gemeinschaft erlaubt, aber nur mit Abstrichen. Sie nehmen z.B. bereits an Konferenzen teil, halten Vorträge oder präsentieren Poster, aber sie werden nicht zu einem keynote-Vortrag eingeladen oder die Leitung einer Fachorganisation übernehmen. Auf schriftlicher Ebene können sie beispielsweise bereits publizieren, aber sie werden nicht als Gutachter für eine Zeitschrift im Feld fungieren oder eine Zeitschrift gründen (obwohl dies in einer späteren Phase durchaus ein weiterer Schritt in Richtung zentraler Partizipation sein kann). - Participation: Aktive Teilnahme an den Praktiken der jeweiligen Gemeinschaft ist der eigentliche Lernmodus. Der Begriff unterstreicht, dass Lernvorgänge nicht nur in expliziten Unterrichtssituation stattfinden (vgl. Flowerdew 2000: 128), sondern auch beim Schreiben, Vortragen und Publizieren. Dass diese und andere partizipative Praktiken zu einem großen Teil diskursiv basiert sind, erklärt, warum die Beherrschung der Wissenschaftssprache(n) und verschiedener Textsorten für eine erfolgreiche Teilnahme an der Gemeinschaft essentiell ist. Die Art der Kooperation mit erfahreneren Mitgliedern der Praxisgemeinschaft ändert sich im Normalfall im Laufe des Enkulturationsprozesses. Dies kann anhand des scaffolding-Begriffs erklärt werden (vgl. Birch-Bécaas 2008: 5), wie er z.B. aus der Didaktik des bilingualen Unterrichts bekannt ist. Dabei wird eine Stützmaßnahme, die am Anfang der Teilnahme an der Gemeinschaft noch nötig ist, z.B. einen Entwurf zuerst auf Deutsch anzufertigen und anschließend ins Englische zu übertragen, mit zunehmender Kompetenz des Nachwuchses unnötig. Das Konzept der legitimen peripheren Partizipation wird an anderer Stelle dieser Arbeit im Sinne einer Sozialisations- und Enkulturationsperspektive auf die Praktiken gemeinsamer Konferenzteilnahme und kooperativer Schreib- und Publikationsvorgänge empirisch angewandt (siehe Kap. 6.2). <?page no="75"?> 75 2.3.6 Räumliche Verortung von Gemeinschaften Während es auf der Hand liegt, dass es lokale Materialisierungen von Gemeinschaften geben muss, wie z.B. Forschungsinstitute oder Arbeitsgruppen (inklusive Laboren, Bibliotheken, Büroräumen und Mitarbeitern), ist dies bei ‚globalen‘ Diskursen weniger ersichtlich. Dennoch sind auch überregionale Diskurse zwangsläufig in lokalen Gemeinschaften verankert, denn ohne lokale Basis können sie nicht aufrechterhalten werden: We can develop new ways of participating in the global, but we do not engage with it. […] The cosmopolitan character of practice, for instance, does not free it from locality of engagement. Day-to-day work in an office at UN headquarters is still local in its own way, even though it deals with international affairs that have broad ramifications. (Wenger 1998: 131) Nimmt man diese Überlegungen zum Ausgangspunkt einer räumlichen Verortung von Gemeinschaften, ist es womöglich zielführender, von globalisierten Diskursen zu sprechen, Diskursen also, die einen regionalen Ursprung haben und sich durch die vermehrte Teilnahme anderer zu geographisch umspannenderen Diskursen weiterentwickelt haben. Neben vermeintlich globalisierten Diskursen gibt es zudem weiterhin lokalere Diskurse, die unter anderem aus finanziellen Gründen (vgl. Canagarajah 1996) oder aus Gründen sozial-räumlicher Abgeschiedenheit (vgl. Swales 1990: 106; Flowerdew 2007: 17) nicht an globalisierten Diskursen teilnehmen können oder wollen. Von echter Globalität kann insofern nicht die Rede sein, wenn damit gemeint ist, dass Forscher überall auf der Welt an wissenschaftlichen Diskursen teilnehmen können und die Teilnahme nicht an Bedingungen geknüpft ist, die gatekeeper durchsetzen. So scheint das Lokale teilweise das Globale zu dominieren, wie z.B., wenn vermeintlich angelsächsische Diskursnormen in sogenannten ‚internationalen‘ Journals Anwendung finden. 35 Die Idee der Glokalisierung als „lokale Auswirkungs- und Erscheinungsebene der weltumspannenden Globalisierung“ (Wilderer 2010: 78) ist vor diesem Hintergrund hilfreich, denn sie unterstreicht die stets vorhandene Wechselwirkung lokaler und globaler Diskurse: „[T]he local and global are not different historical moments in an expanding world. Instead, they are related levels of participation that always coexist and shape each other“ (Wenger 1998: 131). Lokale Diskurse sind neben spezifischen diskursiven Faktoren, wie sie beispielsweise in örtlichen Gesprächs-, Lehr- und Publikationskulturen vorkommen, auch durch lokale wissenschaftliche Praxis (z.B. bestimmte akademische Titel, Traditionen, Positionen und Beförderungsprozeduren) geprägt. Für eine Teilnahme an globalisierten Diskursen ist erfolgreiche Partizipation in lokalen Diskursen jedoch nur unter bestimmten Bedingungen ausrei- 35 Analog zur Problematik ‚internationaler‘ Fachzeitschriften siehe auch die Kritik am Begriff ‚internationale‘ Studiengänge von Fandrych/ Sedlaczek (2012: 25). <?page no="76"?> 76 chend, denn auf globaler Ebene wird die Teilnahme, mangels vergleichbarer statusbezogener Kriterien, hauptsächlich diskursiv ausgehandelt (vgl. Hyland 2009a: 51), wie z.B. durch das Veröffentlichen in ‚internationalen‘ - in der Regel englischsprachigen - journals. Der überwiegende Bezug auf diskursive Produkte wie Texte liegt darin begründet, dass sich lokale Faktoren wie Titel oder Stellung in einem bestimmten nationalen Wissenschaftssystem sich nur bedingt auf eine globalere Ebene übertragen lassen. Obwohl die exakte Bestimmung der Unterschiede zwischen lokalen und globalisierten Diskursen selten eindeutig festgestellt werden kann, gibt es zumindest in Deutschland deutliche Anzeichen dafür, dass viele Fächer sich zunehmend an ‚globalisierten‘ Diskursen ausrichten (siehe Kap. 1.1). Die Tatsache, dass diese ihre Publikationspraxis bereits in großem Umfang anglisiert haben, spricht für eine Rückwirkung globalisierter Diskurse auf lokale. Eine Anpassung an globalisierte Diskurse zeigt sich unter anderem darin, dass für eine Teilnahme daran in Kauf genommen wird, ausschließlich auf Englisch zu publizieren und verstärkt in dieser Sprache zu lehren (vgl. Gnutzmann/ Lipski-Buchholz 2008: 148). Mit dieser Entwicklung geht einher, dass die Akteure vormals lokaler, in englischsprachigen Kontexten beheimateter Diskurse von ihrer ‚Sprachkompetenz‘ im Zuge der Globalisierung dieser Diskurse profitieren können, wenn sie mit anderen Teilnehmern vormals lokaler Diskurse in Konkurrenz treten. Ob der Wechsel ins Englische deshalb als unausweichliche Reaktion auf globale ‚Zwänge‘ verstanden werden kann, ist allerdings zu bezweifeln (vgl. z.B. Brutt-Griffler 2008). Die lokalen Gemeinschaften, genauer gesagt, die in ihnen agierenden Wissenschaftler, haben diese Wandlung letztlich teils aktiv mit herbeigeführt (z.B. Umstellung der Fachzeitschriften auf Englisch als Publikationssprache), teils Widerstand geleistet (z.B. die Fortsetzung deutschsprachiger Fachzeitschriften) bzw. ihre Gestaltungsmöglichkeiten anderweitig genutzt. 36 Die Teilnahme an globalisierten Diskursen lassen englischsprachige Veröffentlichungen häufig zum zentralen schriftlichen Kommunikationsmedium für Wissenschaftler werden. Für viele deutschsprachige Wissenschaftler ist diese Anforderung nicht unproblematisch, jedoch nicht ausschließlich aufgrund mangelnder Fremdsprachenkompetenz: Andere Theorietraditionen, Methodenschulen und rhetorische Anforderungen (vgl. z.B. Clyne 1987) in globalisierten Diskursen stellen sie vor Herausforderungen, die auch über sprachliche Gesichtspunkte im engeren Sinne hinausgehen. 36 Ich gehe davon aus, dass die Teilnahme an einem Diskurs dem Individuum bestimmte Verhaltensweisen und Normen auferlegt, wie z.B. das wissenschaftliche Publizieren auf Englisch. Diskurse ermöglichen aber auch Abweichung oder Widerstand. Selbst wenn also alle Naturwissenschaften auf Englisch publizieren, gäbe es beispielsweise Möglichkeiten, seinem Vorzug für die deutsche Sprache (aus welchen Gründen auch immer) dadurch Ausdruck zu verleihen, dass man Besprechungen und Lehre auf Deutsch abhält oder in Verbandszeitschriften und der Populärwissenschaft deutschsprachig publiziert. Es existieren folglich metaphorisch gesprochen Zonen der Wahlmöglichkeit, in denen sich Individuen im Diskurs Handlungsoptionen bieten. <?page no="77"?> 77 Im Zusammenhang mit der zunehmenden Globalisierung der Wissenschaftsdiskurse finden Machtverlagerungen statt. Während in prototypisch nationalen Diskursen die Machtverteilung und -hierarchisierung innerhalb der Landesgrenzen stattfand, richten sich lokale Diskurse nun vermehrt auf globalisierte Diskurse aus. Der Besuch internationaler Tagungen, das Publizieren in internationalen Fachzeitschriften usw. tragen dazu bei, dass Teile der diskursiven Macht auf andere Diskurse übertragen werden. Da die vorher lokal agierenden Forscher nun immer häufiger in globalisierten Diskursen nach Gehör und Anerkennung streben, verändern sich auch lokale Diskurse in vielfacher Hinsicht. Vorstellbare Rückwirkungen wären z.B., dass sich die Methodik eines Faches durch den im globalisierten Diskurs vorherrschenden Mainstream verändert oder auch bei Publikationen im Inland Englisch als Wissenschaftssprache bevorzugt wird. Dennoch sind wissenschaftliche Institutionen immer in einem lokalen, räumlich-sozialen Kontext angesiedelt. Diskursive Macht wird folglich nicht ins globale ‚Nirgendwo‘ verlagert, sondern auf bestimmte Institutionen und dort tätige Akteure übertragen, die dann eine privilegierte Position im globalisierten Diskurs geltend machen können. Dies können z.B. Herausgeber internationaler Fachzeitschriften sein, auch wenn sie in Deutschland arbeiten. Um den Unterschied zwischen lokalen und globalisierten Gemeinschaften besser zu konzeptualisieren, hat Swales (1998: 204) eine komplementär angelegte Unterscheidung zwischen place und focus discourse communities eingeführt: Unter place discourse communities werden Gruppen verstanden, die im Rahmen eines gemeinsamen Projektes vor Ort zusammenarbeiten, wodurch beispielsweise kollektiv genutzte Textsorten und Fachsprachen sowie zumindest teilweise geteilte Vorstellungen über die Aufgaben der Gemeinschaft entstehen (vgl. Prior 2003: 2). Focus discourse communities kommen ohne lokale Zusammenarbeit aus, sie sind vielmehr durch Raum und Zeit getrennte Gemeinschaften, die über diskursive Praktiken und gemeinsame Ziele Zusammenhalt erzeugen (ebd.). Place discourse communities zeigen deutliche Ähnlichkeiten zu Praxisgemeinschaften auf. Es wird daher in der vorliegenden Arbeit von einer Komplementarität von Diskursgemeinschaft (Fernkommunikation) und Praxisgemeinschaft (lokale Kommunikation) ausgegangen. Ein Vorteil der Verwendung einer räumlich geteilten Gemeinschaftskonzeption liegt vor allem darin, bestimmte Erkenntnisse für eine lokal verortete Gruppe von Wissenschaftlern erheben zu können, ohne zwingend anzunehmen, dass diese auch für den globalisierten Teil der Diskursgemeinschaft gelten. Um Aussagen über deutsche Wissenschaftler und ihr Selbstverständnis treffen zu können, ist eine erhebungsmethodische Verankerung im Lokalen wichtig, da man sonst Gefahr läuft, übergeneralisierte Aussagen für Gruppen zu treffen, die man nicht untersucht hat (vgl. Prior 2003: 5). Darüber hinaus erlaubt eine zweigeteilte Konzeptualisierung es, Spannungsverhältnisse und Diskrepanzen zwischen lokalen sowie globalisierten Diskursen und Praktiken abzubilden und herauszuarbeiten. Bei- <?page no="78"?> 78 spielsweise stellt Hyland (2009a: 51) fest, dass Aufgaben im (lokalen) universitären wissenschaftlichen Alltag, wie Lehre, Betreuung, Verwaltung und Forschung, Zielen wie Konferenzbesuchen und Publikationen oft entgegenstehen. Spannungsverhältnisse zwischen lokalen und globalen Anforderungen an die interviewten Wissenschaftler bieten vor diesem Hintergrund eine weitere Analyseebene in der Auswertung der Interviews (siehe Kap. 5.2.2). 2.3.7 Disziplinäre Verortung von Gemeinschaften Die Grenzziehung zwischen eigenständigen wissenschaftlichen Gemeinschaften kann problematisch sein, da Mitglieder einer bestimmten Gruppe häufig mit einer Vielzahl anderer Gruppen bzw. deren Mitgliedern kommunizieren, wodurch sich weitreichende Überlappungen und Unschärfen ergeben können. Verdeutlichen lässt sich dieses Problem, indem man popularisierte Vorstellungen von Wissenschaftsgemeinschaften wie der sogenannten scientific community hinterfragt: Wählt man den ‚Einzugsbereich‘ einer Diskursgemeinschaft zu weit und bezieht sich wie im Beispiel auf die Gesamtheit aller Wissenschaftler, ist es fragwürdig, ob ein „Diskurs solch nebulöser Gemeinschaften“ (Borg 2003: 339, Übers. FR) überhaupt auf sinnvolle Weise beschrieben und analysiert werden kann. Hinzu kommt, dass keine ‚allgemeinwissenschaftlichen‘ Diskurse existieren, denn Studiengänge, Publikationsorgane, Methoden oder Genres sind immer auf bestimmte Gegenstandsbereiche bezogen und in spezifischer Form institutionalisiert (siehe Kap. 2.3.5.1). Im Zuge der Beschreibung und Kategorisierung von Diskursgemeinschaften ist es daher unerlässlich, die Problematik fachlicher Abgrenzung zu berücksichtigen. Jedoch laufen auch Beschreibungen von Diskursgemeinschaften, die sich an Disziplin- und Fächergrenzen orientieren, Gefahr, diskursive und praxisbezogene Unterschiede innerhalb der Fächer zu vernachlässigen und somit ein verzerrtes bzw. übergeneralisiertes Bild der untersuchten Gruppen abzubilden. So sind beispielsweise nicht alle Geschichtswissenschaftler Mitglieder der gleichen Diskursgemeinschaft, nur weil sie sich als Geschichtswissenschaftler bezeichnen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die diskursive Verortung eines Wissenschaftlers mit Forschungsinteressen, Arbeitsgruppen und -projekten innerhalb eines Faches zusammenhängt. Der hohe Ausdifferenzierungsgrad der Wissenschaften ist somit ein zu beachtendes Kriterium für eine sinnvolle Konzeption der Diskursgemeinschaften. Zwar gibt es auch zwischen Fächern einen gewissen Austausch, wenn z.B. Ideen und Theorien einer wissenschaftlichen Gemeinschaft von einer anderen rezipiert werden; aber Wissenschaftler nehmen zumeist nur an einem kleinen Ausschnitt ihres Faches teil, sodass eine Fachbezeichnung wie Biologe oder Geschichtswissenschaftler immer eine weitergehende Präzisierung erfordert. Ein weiteres Problem bei der Abgrenzung der Diskursgemeinschaften ist die Tatsache, dass Wissenschaftler häufig an mehreren <?page no="79"?> 79 Diskursen teilnehmen. Ein Beispiel hierfür sind z.B. populärwissenschaftliche Veröffentlichungen, die anderen diskursiven Regeln gehorchen als englischsprachige Forschungsartikel. Ein weiteres Abgrenzungsproblem ergibt sich bei sogenannten Bindestrich-Disziplinen (z.B. Bio-Technologie, Ethno- Mathematik), die sich einer traditionellen disziplinären Kategorisierung häufig entziehen, da sie als Hybride Eigenschaften mehrerer Fächer aufweisen. Die geschilderten Probleme werfen die Frage auf, wie eine sinnvolle Unterscheidung und Abgrenzung verschiedener Diskursgemeinschaften vorgenommen werden kann. Wie bereits erwähnt, sind Unterscheidungskategorien wie Disziplin oder Fach nicht immer ausreichend, eine Diskursgemeinschaft genau zu bestimmen und abzugrenzen. Interdisziplinarität und Teilnahme an mehreren Diskursen erschweren eine Einordnung zusätzlich. Aus diesem Grund bietet sich das Kontinuum der Wissensdomänen (vgl. Hyland 2009a: 63) im Sinne einer kriteriengestützten Beschreibung und Verortung von Diskursgemeinschaften an: Abbildung 5: Erweitertes Kontinuum der Wissensdomänen nach Hyland (2009a: 63) 37 Die neun Kriterien sind Anhaltspunkte für eine diskursiv-disziplinäre Verortung von Wissenschaftlern in Diskursgemeinschaften. Das Kontinuum erstreckt sich von den Naturwissenschaften (hard sciences) zu den Geisteswissenschaften (soft sciences) 38 , mit den Sozialwissenschaften in einer Mischposition. Eine Einordnung der untersuchten Wissenschaften auf diesem Kontinuum hilft zu beschreiben, durch welche Faktoren ein Diskurs charak- 37 Die Kriterien Anwendungsgrad, Grad der Anglophonie und ökonomische Verwertbarkeit stammen nicht von Hyland, sondern wurden aus der Fachliteratur übernommen, da sie meines Erachtens wichtige Ergänzungen des Modells darstellen. 38 Die Einteilung in hard und soft sciences ist weder von Hyland (2009a) noch von mir als Aussage über die Güte verschiedener Wissenschaften oder das von ihnen generierte Wissen intendiert. <?page no="80"?> 80 terisiert ist. Die einzelnen Variablen, ebenfalls als Kontinuum zu verstehen, sollen im Folgenden vorgestellt werden: 39 - Empirisch und objektiv vs. explizit interpretativ: Während empirische Forschung heutzutage in vielen Wissenschaften zur Normalität geworden ist, geht es hier eher darum, ob die Forscher ihre eigenen Methoden als objektiv sehen, oder ob sie glauben, dass ihre Daten der expliziten Interpretation bedürfen bzw. es objektive Ergebnisse gar nicht geben kann. - Lineares Wissenswachstum vs. zerstreutes Wissen: Die in den Naturwissenschaften verbreitete Vorstellung von linearem Wissenswachstum (normal science, Kuhn 1970: 10; Airey 2012) beruht auf der inzwischen nicht mehr unproblematischen Annahme, dass neues Wissen immer auf vorherigem Wissen aufbaut, dieses ausbaut und so letztlich zum stetigen Anwachsen des Fachwissens führt. In vielen geisteswissenschaftlichen Fächern ist es dagegen nicht einfach festzustellen, ob ein bestimmtes Ergebnis einen kumulativen Wissenszuwachs innerhalb einer Theorie darstellt oder ein weiteres Wissensfeld beschreibt und somit einen anderen Blickwinkel auf einen Gegenstand offeriert. - Experimentelle Methoden vs. Argumentation: Während in manchen Wissenschaften, besonders in Bereichen der Sozialforschung, die durch Faktorenvielfalt charakterisiert sind, vorwiegend überzeugend vorgetragene Argumente zählen, ist diese Art des Argumentierens und Abwägens in experimentellen Fächern weniger verbreitet. Kontrolle der Variablen und Reproduzierbarkeit von Ergebnissen werden hier häufig als wichtiger empfunden. - Quantitativ vs. qualitativ: Je nach fachlicher Perspektive und Gegenstand lassen sich bestimmte Phänomene nutzbringend anhand quantifizierbarer Daten beschreiben, andere Phänomene lassen sich eher im Lichte qualitativer Forschung sinnhaft erfassen (siehe Kap. 3). - Konzentrierte vs. breite Leserschaft: Die Leserschaft bestimmter Fachzeitschriften umfasst aufgrund des hohen Grades der Ausdifferenzierung bestimmter Wissenschaften manchmal nur wenige Spezialisten. Andere Wissenschaftler veröffentlichen dagegen in Publikationsorganen, die aufgrund ihrer Interdisziplinarität oder Anbindung an weitere, zum Beispiel berufliche Diskurse von einer breiteren Leserschaft rezipiert werden. Im Sinne der Adressatenorientierung übt die vom Autoren antizipierte Leserschaft Einfluss auf die Ausgestaltung wissenschaftlicher Texte aus. - Strukturierte vs. variable Genres: Textsorten wie der Forschungsartikel erlauben in den Naturwissenschaften oft keine Abweichung von einer vorgegebenen Struktur (z.B. IMRaD, siehe Fußnote 24, S. 57), wogegen viele geisteswissenschaftliche Genres den Autoren mehr Freiheiten bei der Organisation ihrer Texte einräumen (siehe Kap. 4.1.1). 39 Dabei ist zu beachten, dass die einzelnen Variablen in Abhängigkeit voneinander auftreten können, dass also beispielsweise die Verwendung experimenteller Methoden oft mit der Erwartung einhergeht, objektives Wissen zu gewinnen. <?page no="81"?> 81 Die von Hyland vorgeschlagenen Kategorien zur genaueren Bestimmung des disziplinären Hintergrundes können durch einige zusätzliche Faktoren erweitert werden. Zwar beziehen sie sich nicht direkt auf Wissensdomänen, stellen aber dennoch weitere Orientierungsmöglichkeiten hinsichtlich der Verortung der jeweiligen Diskursteilnehmer dar: - Anwendungsgrad: Diese Variable entspricht einem Kontinuum zwischen den Endpunkten Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Bei Grundlagenforschung treten Anwendungsbezüge in den Hintergrund, weltweite Kommunikation wird als wichtig aufgefasst. Angewandte Forschung bedient dagegen oft eher lokale Unternehmen oder Institutionen. Die hierfür erforderliche Kooperation mit lokalen Akteuren und Gesetzen sowie die möglichst unmittelbare Anwendbarkeit derartiger Forschung scheint unter anderem Auswirkungen auf die verwendeten Arbeits- und Publikationssprachen zu haben. Die textuellen Unterschiede zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung lassen sich mit Hilfe des von Hoffmann (1985: 64-70) geprägten Konzepts der vertikalen Schichtung von Fachsprachen erklären, wonach fünf unterschiedliche Abstraktionsgrade in der jeweiligen Fachsprache bestehen. Tendenziell kann davon ausgegangen werden, dass Texte mit hohem Abstraktionsgrad (=Sprache der theoretischen bzw. experimentellen Grundlagenwissenschaften) eher auf Englisch, Texte mit niedrigerem Abstraktionsgrad (=Sprache der materiellen Produktion und Konsumtion) eher auf Deutsch publiziert werden. - Grad der Anglophonie: Die von Skudlik (1990) getroffene Unterscheidung beschreibt das Ausmaß, mit dem die englische Sprache in einer Disziplin verwendet wird. Es wird dabei zwischen anglophonen, anglophon geprägten sowie nationalsprachlich geprägten bzw. polyglott orientierten Fächern differenziert (Skudlik 1990: 213). In den anglophonen Fächern, wie der Biologie, wird (fast) ausschließlich das Englische in der schriftlichen Wissenschaftskommunikation verwendet. In anglophon geprägten Wissenschaften, wie etwa in Teilen der Soziologie, gilt dies nur für internationale Wissenschaftskommunikation, in anderen Bereichen wird aufgrund nationaler Forschungstraditionen oder lokaler Anwendungsgebiete die Nationalsprache eingesetzt (a.a.O.: 215). Dagegen ziehen nationalsprachlich geprägte und polyglott orientierte Wissenschaften, wie die Geschichtswissenschaft, deren Inhalte eng mit der Nationalsprache verknüpft sind, „die Sprachenvielfalt als Erkenntnisinstrument ins Kalkül“ (ebd.). - Finanzielle Ausstattung: Diese Variable gibt Auskunft über die finanzielle Förderung, die eine Fachrichtung genießt. Dazu gehören beispielsweise einwerbbare Drittmittel und staatliche Zuweisungen, die für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stehen. In der vorliegenden Studie wird auf diesen Faktor nicht weiter eingegangen, es steht aber außer Frage, <?page no="82"?> 82 dass die finanzielle Ausstattung von Fächern stark unterschiedlich ist. 40 Eine Unterfinanzierung kann unter Umständen Probleme bei der Erfüllung von Forschungs- und Publikationsaufgaben verstärken (vgl. Canagarajah 1996, Ferguson 2007), wie z.B. bei der Finanzierung von Korrekturlesediensten im Zuge der Veröffentlichung englischsprachiger Texte. In der Zusammenschau erlauben die vorgestellten Kriterien eine aussagekräftigere Verortung von Diskursteilnehmern, als dies durch eine bloße Angabe des Faches möglich ist. Sie können außerdem dazu beitragen, vorhandene Unterschiede zwischen Wissenschaftlern innerhalb einer Disziplin, wie z.B. zwischen Mikrobiologen und Botanikern, aufzudecken und in Beziehung zur diskursiven Praxis der Befragten zu setzen. Die hier aufgeführten Überlegungen werden an anderer Stelle der Arbeit zur Beschreibung der empirisch untersuchten Fächer - Biologie, Maschinenbau, Germanistische Linguistik und Geschichtswissenschaft - herangezogen (siehe Kap. 3.4.2.2). 2.3.8 Macht und Stratifizierung Wie bereits en passant angedeutet, ist Macht ein in allen Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften präsentes Phänomen. Dies gilt auch für Diskurs- und Praxisgemeinschaften, die laut Pogner (2007: 3) „nicht notwendigerweise und zu jeder Zeit harmonische Gruppen ohne Konflikte oder gar immer frei von ungleich verteilter diskursiver, sozialer oder ökonomischer Macht“ sind. Pogner ist prinzipiell zuzustimmen, dass Diskursgemeinschaften in Verbindung mit Macht stehen, er unterschätzt allerdings die Omnipräsenz der Machtdimension: Macht ist inhärenter und stets präsenter Bestandteil aller Gemeinschaften und nicht nur eine gelegentlich auftretende ‚Begleiterscheinung‘. Konflikte sind darüber hinaus sogar institutionalisierter Bestandteil wissenschaftlicher Diskursgemeinschaften und spiegeln sich z.B. in konkurrierenden Ideen und dem Umgang mit diesen im Diskurs wider. Da Macht auf verschiedene Weise konzeptualisiert werden kann, soll zunächst geklärt werden, was in der vorliegenden Untersuchung darunter verstanden wird. Wenger (1998: 15) fasst die Problematik bei der Wahl einer Definition von Macht (power) treffend zusammen: „The challenge is to find conceptualizations of power that avoid simply conflictual perspectives (power as domination, oppression, or violence) as well as simply consensual models (power as contractual alignment or as collective agreement conferring authority to, for instance, elected officials)“. Obwohl Wenger sich der Bedeutung und verschiedenen Auslegungen von Macht offensichtlich bewusst ist, werden managementorientierte Adaptionen des Konzeptes der Praxisgemeinschaft als ein einvernehmliches, auf kommerzielles Handeln fokussiertes Gebilde 40 Siehe dazu z.B. die Broschüre „Zahlen und Fakten 2013“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2013), in der unter anderem die Veteilung der vorhandenen Fördermittel auf einzelne Wissenschaftsbereiche aufgeschlüsselt wird. <?page no="83"?> 83 kritisiert (vgl. Prior 2003: 10). So entsteht mitunter der Eindruck, Fragen der Machtausübung sollen weniger oder gar nicht verfolgt werden (siehe z.B. Wenger 2006). Dies ist auch daran zu erkennen, dass ein Definitionskriterium der Praxisgemeinschaft ‚Freiwilligkeit‘ der Teilnahme ist. Inwieweit eine Teilnahme unter finanziellem oder sozialem Druck zustande kommt, spielt in dieser Gemeinschaftskonzeption keine Rolle. In diesem Sinne liegt eine mögliche Gefahr der Konzeption der Praxisgemeinschaft „in einem angepassten Pragmatismus“, das heißt, es wird gutgeheißen und idealisiert, „was bestehende Ordnungen repräsentiert“ (Reich 2001: 361). Das Konzept der Diskursgemeinschaft ist offener im Hinblick auf die Berücksichtigung von Macht, denn latente Machtverhältnisse werden offengelegt und so der Analyse zugängig gemacht. So geht Hyland davon aus, dass die Stratifizierung, die soziale Schichtung innerhalb einer Gruppe von Menschen oder einer Gesellschaft, in wissenschaftlich orientierten Gemeinschaften zumindest teilweise durch die Diskurskompetenz der Teilnehmenden bestimmt wird: „Hierarchical relationships within disciplines are then, at least in part, a consequence of the ability to effectively manipulate, exploit and perhaps innovate its generic and rhetorical conventions and as a result academic disciplines are highly stratified“ (Hyland 2009a: 53). Diskursive Macht wird ferner dann sichtbar, wenn es für jemanden möglich ist, den Zugang zu einem Diskurs zu regulieren. Diese Akteure, gatekeeper genannt, üben dadurch Macht aus, dass sie diskursiven Produkten und damit ihren Verfassern den Zutritt zum Diskurs entweder gestatten oder verwehren können. Die Machtstruktur einer Diskursgemeinschaft wird im Inneren durch Stratifizierung und im Äußeren durch die Abgrenzung gegenüber Nichtmitgliedern charakterisiert (vgl. Hyland 2009a: 53), wie z.B. gegenüber Studierenden oder fachfremden Wissenschaftlern. Innere Machtstrukturen sind unter anderem am Besitz von Titeln, Positionen und wissenschaftlichem Renommee ablesbar. Abgrenzung nach außen werden beispielsweise angezeigt durch die Existenz eigener Fachzeitschriften, Terminologien, Methoden- und Theorietraditionen sowie der Notwendigkeit, eine bestimmte ‚Ausbildung‘ zu durchlaufen, um als vollständiges Mitglied anerkannt zu werden. Aus diesen Überlegungen kann somit festgehalten werden, dass Wissensproduktion und Macht miteinander verbunden sind. Machtverhältnisse sind zudem in vielfacher Hinsicht diskursiv, z.B. „in der Bestimmung der Form, die [eine] Äußerung annehmen darf, der Personen, die sprechen dürfen, den Orten, an denen diese Diskurse stattfinden können“ (Maasen 2009: 42). Wie aber werden Wissen und Macht im Einzelnen ausgehandelt? Nach Hyland (2010: 161) geschieht dies vor allem dadurch, dass die Verwendung „rhetorischer Ressourcen“ in wissenschaftlichen Diskursen eingeschränkt wird: [P]owerful discourses, such as those authorized by academic disciplines, act to restrict the rhetorical resources participants can bring from their past expe- <?page no="84"?> 84 riences and constrain what they might take from those made available by the context. Such discourses, of course, exhibit a certain stability and power; after all, they are the principal means by which disciplines produce, assess, and authorize knowledge, train neophytes, distinguish members, and legitimate their authority in the world. (Hyland 2010: 161) In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, dass der Funktionsmodus der Wissenschaft, nämlich die ‚Wahrheit‘ über einen Gegenstandsbereich herauszufinden, zur Zuteilung gesellschaftlicher Macht an wissenschaftliche Diskurse geführt hat. Der Anspruch vieler Wissenschaften, die Realität zuverlässiger zu beschreiben als andere Wissenssysteme (wie z.B. Religion, Journalismus oder Laien) führt letztlich zu einer ‚Interpretationshoheit‘ der Wissenschaften über andere Systeme der Wissensschaffung. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Wissenschaft wird im Gegenzug dadurch unterstützt, dass wissenschaftliche Diskurse das Einbringen außerwissenschaftlicher Erfahrungen einschränken (vgl. ebd.), also dezidierte Anforderungen hinsichtlich der Methodik, der Erkenntnistheorie und der Versprachlichung der Ergebnisse stellen. Wissenschaftliche Gemeinschaften besitzen also die Macht, diskursiv festzulegen, was als ‚Wissen‘ in ihrem Bereich zählt und können ihre Auffassungen (zumindest teilweise) in der Gesellschaft geltend machen. Dafür müssen sie sich allerdings von anderen Diskursen abgrenzen und auch innerhalb des Systems Wissenschaft sind verschiedene Formen der Macht ein integraler Bestandteil um Studierende von Professoren und ‚zentrale‘ von ‚randständigen‘ Mitgliedern der Gemeinschaft zu unterscheiden. 2.3.9 Zusammenfassung In der folgenden Übersicht werden in tabellarischer Form Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Diskurs- und Praxisgemeinschaften dargestellt. Die im Vorangegangenen erörterten Aspekte wurden zu diesem Zweck gebündelt und in geraffter Form gegenübergestellt. Kriterium Diskursgemeinschaft Praxisgemeinschaft Theoretische Fundierung  Entstehung aus der Kritik an positivistischen und kognitivistischen Wissenschaftsvorstellungen  Betonung der kommunikativen Fundierung sozialer Systeme  Problembehafteter Übergang von lebensweltlichen zu universitären Diskursen bedingt „sozialkognitive und -interaktive Schreibforschung“ (Pogner 2007: 2)  Entstehung aus der Kritik am institutionalisierten bzw. ‚dekontextualisierten‘ Lernen  Betonung der Omnipräsenz situierten Lernens und der Notwendigkeit „sozial orientierte[r] Lernforschung“ (Pogner 2007: 2)  Wissen wird als soziales Phänomen verstanden („learning as participation“, Wenger 1998: 4) <?page no="85"?> 85 Gemeinsamkeiten  Verwendung eines Gemeinschaftsbegriffs (community- Begriff) als sozialer Bezugsrahmen für individuelle Handlungen und Formierung von Identität  Gemeinsam vorhandenes Interesse an einem Thema bzw. einer Aufgabe bildet eine Voraussetzung für die Existenz von Gemeinschaften  Kommunikation als Grundlage der Teilnahme: Gemeinschaften sind geprägt durch „wechselseitige Abhängigkeit von Sprachgebrauch und Mitgliedschaft in der Gemeinschaft.“ (Pogner 2007: 2; vgl. auch Lave/ Wenger 1991: 105) Unterschiede  basiert auf Diskursbegriff  Anwendung überwiegend in schreibpädagogischen Kontexten (Ziel: Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Diskursen)  Rückbindung an Texte ermöglicht Analyse diskursiver Produkte und Prozesse  basiert auf Praxisbegriff  Anwendung überwiegend in unternehmensbezogenen (Ziel: Effizienzsteigerung) und pädagogischen Kontexten  Inhärente Lernperspektive ermöglicht Analyse von Sozialisations-, Lern- und Identitätsformungsprozessen Beispielhafte Kritik In bestimmten Spielarten der Diskursgemeinschaft wird  das Individuum durch Diskurse determiniert  den Teilnehmern implizit Homogenität unterstellt  die lokale Fundierung von Diskursen wenig berücksichtigt In bestimmten Spielarten der Praxisgemeinschaft wird  die inhärente Machtdimension vernachlässigt  die Terminologie teilweise vage gehalten (z.B. „mutual engagement“)  die geschichtliche Entwicklung von Gemeinschaften ausgeblendet Verwendung in der vorliegenden Arbeit  Verortung von Wissenschaftlern in überwiegend räumlich entfernten, fachbezogenen Diskursen (z.B. Veröffentlichungen in journals)  Untersuchung des Zusammenhangs von Diskursnormen, sprachbezogenen Einstellungen und wissenschaftlichen Identitäten  Verortung von Wissenschaftlern in überwiegend lokal agierenden Gemeinschaften (z.B. soziale Praktiken in Arbeitsgruppen)  Untersuchung von (An-)Lernprozessen des wissenschaftlichen Nachwuchses anhand legitimer peripherer Partizipation (LPP) Tabelle 2: Synoptische Übersicht der Konzepte Praxis- und Diskursgemeinschaft In diesem Kapitel wurde ein soziales, gemeinschaftsorientiertes Verständnis von Wissenschaft und wissenschaftlichem Schreiben und Publizieren entworfen. Vor dem Hintergrund konstruktivistischer Annahmen, die sich inzwischen zunehmend in verschiedenen Disziplinen etablieren, wird auch in <?page no="86"?> 86 der Schreibforschung vermehrt die Nützlichkeit soziokultureller Perspektiven anerkannt. Die Konzepte der Diskurs- und Praxisgemeinschaft wurden in ihren theoretischen Zusammenhängen beschrieben und kritisch gewürdigt. Ihre Stärken, wie die Modellierung von Text- und Wissensproduktion als sozialer Vorgang, sowie ihre Schwächen, wie die Gefahr der Überdeterminierung des Individuums, wurden dabei herausgestellt. Für den empirischen Teil der Arbeit werden die Konzepte Praxis- und Diskursgemeinschaft gelegentlich unter dem Begriff Wissenschaftsgemeinschaft zusammengefasst, um auf die sozialkonstruktiven Perspektiven beider Konzepte zu rekurrieren. Eine Differenzierung beispielsweise nach Diskurs oder Praxis, lokal oder global wird dabei je nach Fokus der jeweiligen Untersuchungsfrage vorgenommen. Eine komplementäre Verwendung dieser Gemeinschaftskonzepte ermöglicht es, die Befragten in einen Gruppenbezug einzuordnen und so die kommunikative Konstitution von Texten, Wissen, Diskursnormen, wissenschaftlicher Identität und sprachbezogenen Einstellungen für die Auswertung der Wissenschaftler-Interviews zu nutzen. Im Zentrum steht somit das Zusammenspiel von Individuum (Wissenschaftler) und Gemeinschaft. Wie bereits angedeutet, kann eine Betrachtung von Wissenschaft als kommunikatives System neue Einsichten zum wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren eröffnen. Für das Verständnis von Wissenschaftlern und deren Umgang mit dem Englischen ist diese Perspektive besonders geeignet, da einerseits Prozesse wie die Produktion und Verbreitung von Wissen auf Kommunikation basieren und andererseits auch Phänomene wie die Anglisierung der Wissenschaften und die Konstruktion von Wissenschaftler-Identitäten über Diskurse und Praktiken reguliert sind. Am Kristallisationspunkt der Wissenschaftsgemeinschaft lassen sich folglich Prozesse der Wissens- und Identitätskonstruktion analysieren und rekonstruieren. Die (Fremd-)Sprache ist in diesem Zusammenhang mehrfach relevant: Sie ist sowohl Mittel der Wissensproduktion als auch Mittel der Verhandlung darüber, was als wissenswert anerkannt wird (z.B. in peer reviews und Forschungsanträgen) und spielt darüber hinaus eine zentrale Rolle bei der Versprachlichung (englischsprachige Literatur verfassen) dieser Prozesse. Weiterhin kann festgehalten werden, dass sowohl die Diskursgemeinschaft als auch die Praxisgemeinschaft wichtige Einblicke in wissenschaftliche Sozialisationsprozesse und die damit verbundene Identitätsbildung ermöglichen. Der Partizipations- und Lernfokus im Konzept der Praxisgemeinschaft ist besonders geeignet, alltägliche und lokale wissenschaftsorientierte Praktiken zu konzeptualisieren und so bisher wenig beachtete Sozialisationsmuster und -methoden ‚aufzudecken‘. Eine soziale, gruppenorientierte Perspektive auf den Zusammenhang von (Fremd-) Sprache und Wissenschaft bildet somit den konzeptuellen Rahmen für die empirische Analyse in der vorliegenden Arbeit. <?page no="87"?> 87 3 Beschreibung der empirischen Untersuchung Eine ausführliche methodische Reflexion der Datenerhebung und -auswertung ist notwendig, um die Möglichkeiten und Grenzen der verwendeten Methoden zu verstehen, sodass diese bestmöglich für die Zwecke der Untersuchung eingesetzt werden können. Die Beschreibung und Definition der empirischen Werkzeuge sind dabei zentrale ‚Kettenglieder‘ jeder datenbasierten Studie. Zunächst wird das Projekt Publish in English or Perish in German? (PEPG) vorgestellt, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit entstand (Kap. 3.1). Anschließend werden Überlegungen zur Wahl des Erhebungsverfahrens angestellt. Vor dem Hintergrund der Forschungsfragen wird die Studie methodologisch eingeordnet und die Erhebungsmethode beschrieben. Gründe für die Wahl des Interviews als Methode der Datengewinnung liegen unter anderem im Kompromiss aus methodischer Offenheit und Vergleichbarkeit, in der Möglichkeit Nachfragen zu stellen, Einsichten in ‚nichtbeobachtbare‘ Zusammenhänge zu erhalten und in der großen Erhebungsökonomie (Kap. 3.2). Im Anschluss daran steht die Beschreibung der Methodik des Experteninterviews im Zentrum (Kap. 3.2). Aus der Diskussion verschiedener, in der Literatur auffindbarer Expertenbegriffe ergeben sich die durch die Interviews zu eruierenden Wissensformen, die durch technisches, aber auch Prozess- und Deutungswissen charakterisiert sind (Kap. 3.3.1). Ausgehend von der Kritik an der Konzeption der Interviewsituation als eine ‚verzerrte‘ Erhebungssituation wird ein alternatives Verständnis der Gesprächssituation als eine gemeinsam von Befragtem und Interviewer hergestellte kommunikative Leistung beschrieben. Diese Sichtweise klammert vorhandene Statusunterschiede zwischen Interviewer und Interviewtem nicht aus, sondern reflektiert und berücksichtigt sie bei der Datenauswertung (Kap. 3.3.2). Weiterhin wird auf die Funktion und die Konstruktionsprinzipien des Interviewleitfadens im Zuge der Datenerhebung eingegangen. Dieser hat mit der Integration des theoretischen Vorwissens der Forschenden sowie im Hinblick auf eine grundlegende thematische Orientierung während des Interviews einen zentralen Stellenwert in der Dramaturgie der Befragung (Kap. 3.3.3). Schließlich werden der Pilot- und Hauptstudie zugrundegelegte Annahmen vorgestellt, die das Vorwissen der Forschenden in hypothesenähnlicher Form bündeln (Kap. 3.3.4). Im darauffolgenden Abschnitt werden die Vorbereitung und Durchführung der Interviews beschrieben (Kap. 3.4). Im Vordergrund stehen dabei in erster Linie die Fallauswahlprinzipien der Pilot- (maximale Variation) und Hauptstudie (Fachkultur und Karrierestufe) sowie der zu erwartende theoretische und empirische Erkenntnisgewinn durch diese sampling-Strategien (Kap. 3.4.1 und 3.4.2). Besondere Aufmerksamkeit wird den beiden Variab- <?page no="88"?> 88 len Karrierestufe (Kap. 3.4.2.1) und Fachkultur (Kap. 3.4.2.2) gewidmet. Sie strukturieren nicht nur die Auswahl der Interviewteilnehmer, sondern finden auch im empirischen Teil der Arbeit als Analyse- und Kontrastfolie Verwendung. Zusätzlich wird auf praktische Gesichtspunkte der Erhebung, wie die Rekrutierung der Befragten, eingegangen (Kap. 3.4.3). Zur besseren Übersicht über das Interviewkorpus werden zudem einige Rahmendaten zu den Interviewten, wie deren Fachzugehörigkeit, Karrierestufe etc. vorgestellt (Kap. 3.4.4). Schließlich ist die Auswertung der Daten als wichtige Tätigkeit empirisch Forschender nach der Datenerhebung zu reflektieren (Kap. 3.5). Die Transkription der Interviewdaten, die bereits einen ersten interpretativen Schritt darstellt, wird beschrieben und das zugrundegelegte Transkriptionssystem erläutert (Kap. 3.5.1). Im Zuge der Datenauswertung finden drei komplementäre Verfahren Verwendung. Wissenschaftler-Sprachportraits fokussieren einzelne Interviews und nähern sich über eine narrative Darstellung dem Gegenstand. Die intensive Auseinandersetzung mit Einzelfällen erlaubt es, die Befragten ‚holistisch‘ zu betrachten und legt zudem die Grundlage für das Codieren (Kap. 3.5.2.1). Die fragenspezifische Auswertung erlaubt es, sämtliche Antworten der Befragten zu einer spezifischen Interviewfrage in tabellarische Übersichten zu übertragen und so vorhandene Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Datenmaterial hervorzuheben (Kap. 3.5.2.2). Die fragenübergreifende Auswertung schließlich umfasst das thematische Codieren und anschließende Gruppieren von Datenbeständen. Dieses Verfahren erlaubt den Einbezug des kompletten fachspezifischen Korpus zur Untersuchung von Forschungsfragen (Kap. 3.5.2.3). 3.1 Vorstellung des PEPG-Projekts In diesem Abschnitt wird das Forschungsprojekt Publish in English or Perish in German? (PEPG) 41 vorgestellt, dessen Zielsetzung es ist, die Herausforderungen, Lösungsstrategien und Einstellungen deutscher Wissenschaftler sowie Herausgeber und Verlagsmitarbeiter beim englischsprachigen Schreiben und Publizieren mithilfe von Experteninterviews zu untersuchen. Ausgangsbasis war, dass für den deutschen Sprachraum nur wenige Untersuchungen darüber existieren, wie Wissenschaftler den Prozess des Schreibens wissenschaftlicher Texte in englischer Sprache verstehen und bewerkstelligen. Ebenso fehlte es an Studien zum Einfluss der Anglisierung auf das Deutsche als Wissenschaftssprache. Vor diesem Hintergrund wurde das PEPG-Projekt im Jahr 2010 von Herrn Professor Claus Gnutzmann ins Leben gerufen und seitdem geleitet. Wissenschaftliche Mitarbeiter im Projekt waren Frau Dr. Jenny Jakisch und 41 Weitere Informationen über das Forschungsprojekt finden sich unter https: / / www.tubraunschweig.de/ anglistik/ seminar/ esud/ projekte (eingesehen am 08.01.2015). <?page no="89"?> 89 der Autor der vorliegenden Arbeit. Das Projekt setzt sich zum Ziel, einen Beitrag zum Verständnis der Rollen des Englischen und Deutschen im wissenschaftlichen Schreib- und Publikationsprozess zu leisten. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es weniger die Produkte des Schreibens selbst in den Blick nimmt, sondern die mit dem Schreiben und Publizieren verbundenen Prozesse in ihrer sozialen Dimension disziplinspezifisch betrachtet. Erforscht werden soll also, welche Tätigkeiten die Textproduktion und -rezeption umgeben und wie die Diskursteilnehmer diese wahrnehmen (vgl. Hyland 2012: 36f.). Das Projekt gliedert sich in zwei Phasen und zwei Teile. In einer ersten Phase, der Pilotstudie, wurden 17 Interviews mit Wissenschaftlern durchgeführt und vorläufig ausgewertet. Anschließend wurden weitere 19 Interviews mit Wissenschaftlern sowie 16 Interviews mit Herausgebern wissenschaftlicher Fachzeitschriften und Verlagsmitarbeitern durchgeführt. Das Projekt umfasst somit zwei Teilbereiche: Auf der einen Seite wird der Forschungsgegenstand aus Sicht von Wissenschaftlern untersucht. Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Perspektive. Auf den Projektteil Herausgeber und Verlagsmitarbeiter, der den Einfluss der Anglisierung auf das Publikationswesen untersucht, kann im Kontext dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden. 42 3.2 Wahl und Begründung des Erhebungsverfahrens Vor dem Hintergrund der in der Einleitung erarbeiteten relevanten Diskurse zum Gegenstandsbereich sowie der leitenden Forschungsfragen (Kap. 1.9) sollen im Folgenden verschiedene methodische Entscheidungen beschrieben und im Hinblick auf die gewählte Erhebungsmethode begründet werden. Zu diesem Zweck wird die vorliegende Untersuchung anhand verschiedener Kriterien zuerst genauer methodologisch beschrieben und eingeordnet. Dieser Schritt ist vor allem notwendig, da jeder Forschungs- und Erhebungsmethode „bestimmte erkenntnistheoretische Positionen und Zielsetzungen sowie Annahmen über die Beschaffenheit des Gegenstandbereichs“ zugrundeliegen (Grotjahn 2003: 494). Als eine erste Annäherung an die methodologische Positionierung der Studie können die von Grotjahn (ebd.) vorgeschlagenen empirischen Extrempositionen dienen. Während sich ein Endpunkt des forschungsmethodologischen Kontinuums auf die statistisch gesicherte Überprüfung von Hypothesen bezieht („analytisch-nomologisch“), beschreibt das andere Ende die Erkundung eines Feldes zur Hypothesengewinnung („explorativ-interpretativ“). Wissenschaftliche Untersuchungen entsprechen allerdings selten diesen prototypischen Positionen; sie treten in der Forschung häufig in Mischformen auf, was eine genauere Betrachtung 42 Ausgewählte Ergebnisse dieses Projektteils sind in Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe (2015b, 2015d) abgedruckt. <?page no="90"?> 90 der einzelnen empirischen Forschungsabschnitte nötig macht. Durch eine Aufgliederung in die Bereiche Datenerhebung, Datentyp und Datenauswertung kann jedoch zumindest eine erste methodologische Verortung der Studie erfolgen (vgl. Riemer/ Settinieri 2010): Die Charakterisierung der Datenerhebung hängt vom Kontext ab, in dem die Daten erhoben werden. Dieser kann eher ‚offen‘ oder erkundend sein, wie in einer möglichst wenig vorstrukturierten Erhebungssituation, oder eher ‚geschlossen‘, wie in einer möglichst kontrollierten Erhebungssituation, zu der z.B. ein Experiment zählt. Das in der vorliegenden Studie verwendete Experteninterview vereint Elemente beider Positionen, da es die Interviewsituation durch einen Leitfaden vorstrukturiert, aber die Befragten frei antworten und elaborieren lässt. Datentypen können unterschieden werden in verbalskalierte oder numerische Formen. Die im Rahmen dieser Untersuchung erhobenen Daten sind hauptsächlich verbaler (d.h. sprachlicher, nichtskalierbarer) Natur, aber auch numerische Daten finden Eingang in die Untersuchung. Die über die Interviews erhobenen numerischen Daten, wie beispielsweise die Anzahl an englischsprachigen Publikationen der Befragten, haben zum einen die Funktion publikationsrelevante Kontextdaten der Teilnehmer zu gewinnen. Sie können zum anderen aber auch in Bezug zu verbalen Aussagen im Interview gesetzt werden. Das gleichzeitige Vorkommen verbaler und numerischer Daten muss letztlich auch zu einer differenzierten Datenauswertung führen, wie sie im Abschnitt Auswertung der Daten (Kap. 3.5) genauer beschrieben wird. Die Ausführungen über die Dimensionen empirischer Forschung verdeutlichen, dass die Einstufung einer Untersuchung als ‚qualitativ‘ oder ‚quantitativ‘ zumeist verkürzt ist und dass stattdessen die einzelnen Schritte der Untersuchung, d.h. die Erhebung der Daten, die Eigenschaften der erhobenen Daten und die Auswertung der Daten, auf ihre Passung zur zugrundeliegenden Fragestellung und zueinander überprüft werden müssen (vgl. Gläser/ Laudel 2010: 25). Eine Kombination erkundender sowie hypothesentestender Komponenten erschien daher in der vorliegenden Studie unumgänglich: Einerseits kann so bereits vorliegendes Wissen aus der wissenschaftlichen Literatur (siehe Kap. 1) empirisch am Beispiel des Wissenschaftsraums Deutschlands überprüft werden (d.h. theoretische Vorannahmen und Ergebnisse können mit den Daten der Untersuchung abgeglichen werden), andererseits bietet eine konzeptuelle und ergebnisoffene Erkundung des Feldes möglicherweise neue Einsichten, die über Reproduktion und Abgleich existierender Ergebnisse hinausgehen. Neben einer groben methodologischen Einordnung wird in der Methodik-Literatur auf die Notwendigkeit der reflektierten und begründeten Auswahl des Erhebungsverfahrens hingewiesen: „Man sollte sich nicht zuletzt fragen, ob nicht ein alternatives Verfahren - quantitative Befragungen, Beobachtungen, Tests usw. - besser oder schneller zum Ziel führen können“ (Trautmann 2012: 222). Zu diesem Zweck werden im Folgenden verschiede- <?page no="91"?> 91 ne Erhebungsmethoden diskutiert und im Hinblick auf ihre Eignung für die vorliegende Untersuchung geprüft. Dazu werden zunächst drei wichtige Erhebungsklassen der empirischen Sozialforschung, Beobachtung, Introspektion und Befragung (vgl. Nunan 2000: 517), auf ihre Tauglichkeit zum Erreichen der Untersuchungsziele überprüft und es wird begründet, warum das Interview als Erhebungsmethode gewählt wurde. 43 Im Bereich der empirischen Sozialforschung sowie als Grundlage ethnographischer Forschung sind Formen der Beobachtung weit verbreitet. Hierbei folgen Wissenschaftler Einzelpersonen oder Gruppen über einen bestimmten Zeitraum, um empirische Daten zu gewinnen. Der größte Vorteil dieser von Nunan (2000: 517) als „natürlichste“ Form der Datenerhebung bezeichneten Methode ist der direkte Feldzugang. Die große Natürlichkeit bringt allerdings auch einige Nachteile mit sich: Neben dem Problem der Nichtbeeinflussung der Beobachteten stellt vor allem die notwendige Beobachtungsdauer eine forschungspraktische Herausforderung dar - sogar die Beobachtung von nur einer Person kann sich sehr zeitaufwändig gestalten und große Datenmengen produzieren. Um Phänomene wie das wissenschaftliche Schreiben und Publizieren in actu zu beobachten, wären lange und wiederkehrende Beobachtungszeiträume notwendig, was viele Wissenschaftler möglicherweise als störend empfänden, sodass mit Problemen bei der Probandengewinnung gerechnet werden muss, wie auch Jakobs (2005: 15) betont: „Die Forschung wird dadurch erschwert, dass nur wenige Unternehmen und Institutionen bereit sind, Forscher als teilnehmende Beobachter zuzulassen und Unternehmensdaten zur Verfügung zu stellen.“ Hinzu kommt, dass beobachtbare Handlungs- und Kommunikationsprozesse, die Wissenschaftler auf dem Weg zur Publikation durchlaufen, zwar gut mit dieser Methode nachvollziehbar sind, nicht direkt zugängliches Deutungswissen, wie z.B. Einstellungen zum Englischen als Wissenschaftssprache, möglicherweise aber nie von den Probanden unaufgefordert thematisiert wird (vgl. Riemer/ Settinieri 2010: 771). Eine weitere Erhebungsmöglichkeit sind auf Introspektion (d.h. Selbstbeobachtung) basierende Methoden, wie das Führen eines Tagebuches oder das Anlegen eines Laut-Denk-Protokolls. Formen der Introspektion werden häufig in der Fremdsprachenforschung eingesetzt und zielen auf die Untersuchung der Beziehung von Denken und Verhalten ab (vgl. Nunan 2000: 518). Es ist allerdings umstritten, inwiefern Sprachdaten wie lautes Denken wirklich über zugrundeliegende kognitive Prozesse Auskunft erteilen können (vgl. ebd.; Hyland 2009b: 23). Zur Erreichung der Ziele der vorliegenden Studie wären introspektive Erhebungsmethoden wenig geeignet, da die Erforschung psycholinguistischer oder kognitiver Prozesse nicht im Vordergrund steht. 43 Grundlegende Teile dieser Auseinandersetzung fanden vor der Datenerhebung im Rahmen des PEPG-Projektes statt, wurden jedoch für die vorliegende Arbeit nach der Festlegung der Erhebungsmethode weiter aufbereitet. <?page no="92"?> 92 Eine besondere Rolle bei der Beschreibung und Analyse von Schreibprozessen spielen Textentstehungsprotokolle. Dazu werden alle an einem Text vorgenommenen Änderungen mithilfe einer Software 44 in ein Protokoll eingetragen, wodurch es Forschenden möglich wird, diese nachzuvollziehen und zu analysieren. Im Gegensatz zu einem Versionenvergleich können hierbei Aussagen über den eigentlichen Vertextungsstil der Probanden, wie Löschungen, Springen im Text usw., getroffen werden. Während die Methode für die Erforschung des Schreibbzw. Formulierungsprozesses im engeren Sinn äußerst vielversprechend erscheint, kann sie aufgrund ihrer textuellen Ausrichtung zur Beantwortung einiger Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit nicht ohne Weiteres eingesetzt werden. So wären keinerlei Rückschlüsse auf Einstellungen, Ansichten oder Sozialisation der Probanden möglich, da der soziale Kontext des Schreibens, zumindest bei alleiniger Benutzung dieser Methode, weitgehend ausgeklammert wird. Zu Verfahren, die auf dem Prinzip der Elizitation beruhen, also den Teilnehmern etwas ‚entlocken‘ sollen, zählen unter anderem Tests, Rollenspiele, Fragebögen und Interviews (vgl. Nunan 2000: 518). Fragebögen zeichnen sich vor allem durch ihre Verwendbarkeit für eine potenziell hohe Teilnehmerzahl, quantitativer Auswertbarkeit der erhobenen Daten und die Möglichkeit statistischer Repräsentativität der Untersuchung aus. Eine Beschränkung im Hinblick auf das verstehende Erklären sozialer Phänomene stellt in der Regel die konzeptuelle Geschlossenheit des Fragebogens dar, die eine Andersdeutung und Bedeutungsdifferenzierung durch die Befragten selten erlaubt. Dies kann anhand einer von Ehlich/ Steets (2004) durchgeführten Studie zum wissenschaftlichen Schreiben exemplifiziert werden: In einer fächerübergreifenden Fragebogenuntersuchung wurde nach der Verwendung der Textsorten „Mitschrift, Protokoll, Exzerpt und schriftliche Hausarbeit“ (Ehlich/ Steets 2004: 130) in der Hochschullehre gefragt. Dass die Befragten allerdings keine Möglichkeit hatten, Textsorten wie das Laborprotokoll oder den Projektbericht zu nennen, die in den Natur- und Ingenieurwissenschaften eine nicht unerhebliche Bedeutung haben, verdeutlicht die Einschränkungen dieses Erhebungsinstruments. Aus diesem Grund sollte das Untersuchungsfeld für einen Einsatz dieser Methode bereits konzeptuell weitgehend erschlossen sein. 45 Angesichts des in der Einführung erarbeiteten Vorwissens kann jedoch vermutet werden, dass bisher nur wenig empirische Forschung zu den hier gewählten Themen vorliegt, besonders aus einer gemeinschaftsorientierten Perspektive und im Hinblick auf deutschsprachige Wissenschaftler. 44 z.B. Scriptlog oder Inputlog (http: / / www.writingpro.eu/ logging_programs.php, eingesehen am 08.01.2015) 45 Das soll jedoch nicht heißen, dass Fragebögen immer methodisch geschlossen sein müssen. Es ist durchaus möglich, offene Fragen in Fragebögen zu integrieren (vgl. Trautmann 2012: 219; siehe außerdem Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe 2014: 114 für eine gemischt offen-geschlossene Fragebogenkonzeption). <?page no="93"?> 93 Nach Trautmann (2012: 231) ist der Einsatz von Interviews vor allem dann lohnenswert, wenn zumindest eines von drei Kriterien auf die Untersuchung zutrifft. Eine erste Bedingung, die bereits ausreichend begründet wurde, ist, dass bisher wenig über den Gegenstand bekannt ist. Weiterhin soll ein „ausführliches Interesse an Hintergründen und Sinnkonstruktionen (Erklärungen, Argumentationen, Beschreibungen, Erfahrungen usw.)“ (ebd.) existieren. Da große Teile der Untersuchung die Rekonstruktion verschiedener sprach- und fachbezogener Sichtweisen, Identitäten, Begründungen und Praktiken erfordern, kann diese Bedingung für essentielle Teile der Studie ebenfalls als erfüllt gelten (siehe z.B. Kap. 5.2, in dem Einstellungen und Sichtweisen der Befragten im Vordergrund stehen). Eine dritte Bedingung ist, dass derartige Daten nicht ohne Weiteres auf anderem Wege zu beschaffen wären. Die vorangegangenen Überlegungen zu Alternativmethoden haben verdeutlicht, dass einige der Einsichten ebenfalls über die Methode der Beobachtung zu gewinnen wären, wogegen sich über Interviews in erster Linie „subjektive Sichtweisen rekonstruieren oder Informationen beschaffen, nicht tatsächliche Handlungsweisen erfassen“ lassen (Trautmann 2012: 231). Zugangsprobleme zum Feld und der hohe Zeitaufwand sprechen zu diesem Zeitpunkt jedoch für die Verwendung von Interviews. Überdies erscheint es unabdingbar, dass den Befragten im Zuge der Untersuchung die Möglichkeit geboten wird, eigene Schwerpunkte zu setzen und diese in Erzählungen umzusetzen. Vor diesem Hintergrund sind Interviews den Zielen der Untersuchung angemessen, denn sie erlauben die nötige Offenheit hinsichtlich der Relevanzsetzungen der Befragten sowie flexibles Nachfragen des Interviewenden. Gleichzeitig können Interviews so vorbereitet und ausgewertet werden, dass eine Systematisierung der Daten ermöglicht wird (siehe Kap. 3.5.2). Von den Teilnehmern verwendete akademische Praktiken und Sichtweisen im Kontext des wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens können folglich effizient eruiert werden. Im Folgenden wird das Experteninterview als spezifische Form der Methode Interview vorgestellt und diskutiert. 3.3 Methodik des Experteninterviews Die Vielfalt existierender Interviewverfahren mit ihren unterschiedlichen Einsatzvoraussetzungen, Erhebungszielen und theoretischen Fundierungen erfordert eine ausführliche methodische Reflexion. Zu diesem Zweck werden zunächst einige allgemeine Charakteristika mündlicher Befragungen herausgestellt sowie spezifisch für das Experteninterview gültige Eigenschaften erörtert. Darüber hinaus soll geklärt werden, was in dieser Untersuchung unter Wissen verstanden wird, wer dieses besitzt und wie es erhoben werden kann. Als methodisches Problem kommt im Fall des Experteninterviews hinzu, dass es sich, wie andere Interviewformen auch, durch eine <?page no="94"?> 94 große methodische Flexibilität auszeichnet, bei der Voraussetzungen, Ziele und Umsetzung stark variieren (vgl. Bogner/ Menz 2009: 62). Während manche Forscher es als Vorteil ansehen, das Experteninterview für verschiedenste Befragungen einsetzen zu können, konzipieren es andere wesentlich enger, nämlich als eine Erhebungsmethode, die nur für Gespräche unter ‚Experten‘ und Personen mit vergleichbarem sozioökonomischen Status genutzt werden sollte, für Gespräche also, in denen die Interviewteilnehmer „auf gleicher Augenhöhe reden“ (Pfadenhauer 2009: 107). Unabhängig von der Ausgestaltung des Experteninterviews handelt es sich dabei nie um eine idealtypisch ‚reine‘ Form qualitativer oder quantitativer Datenerhebung, sondern immer um „eine forschungspragmatisch begründete Mischform“ (Liebhold/ Trinczek 2009: 37). Beispielsweise stellt der Leitfaden, der unter Einbezug theoretischer Vorarbeit und Literaturrecherche erstellt wird, einen eher dem quantitativen Paradigma zugeordneten Bestandteil dar, wogegen das Prinzip der Erzählgenerierung sowie die partielle Übernahme von Konzepten der Befragten einen eher qualitativen Zuschnitt besitzen. Diese Verbindung von qualitativen und quantitativen Elementen wird auch als „geschlossene Offenheit“ (ebd.) bezeichnet. Diese und andere methodische Reibungspunkte sollen im Folgenden weiter vertieft und im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung zu einem Typ des Experteninterviews zusammengeführt werden, der sich zur Beantwortung der Forschungsfragen eignet. 3.3.1 Der Expertenbegriff Veränderungen in der Wissensproduktion, wie die zunehmende Bedeutung von (fachlicher) Spezialisierung und Spezialwissen bei gleichzeitiger Entstehung von Gegenexperten (unter anderem Nichtregierungsorganisationen wie Umweltschutzgruppen), erschweren es zu bestimmen, wer genau ein Experte ist (vgl. Meuser/ Nagel 2009: 39-42). Vor diesem Hintergrund beeinflusst das einer Untersuchung zugrundeliegende Expertenbild große Teile der Methodik des Experteninterviews. Da allerdings keine Einigkeit darüber besteht, wer als Experte bezeichnet werden kann (vgl. Flick 2007: 655), soll diese Frage zumindest für die vorliegende Untersuchung beantwortet und im Folgenden drei einschlägige Expertendefinitionen vorgestellt und diskutiert werden. Eine Einengung auf Eliten charakterisiert den Expertenbegriff Pfadenhauers (2009: 107): „Entgegen der nachgerade inflationären Etikettierung aller möglichen Arten von Gesprächen als ‚Experteninterview‘ plädieren wir dafür, nur jene Gesprächsform als ‚Experteninterview‘ zu bezeichnen, die sich auf die Kurzformel ‚auf gleicher Augenhöhe reden‘ bringen lässt.“ Pfadenhauer kritisiert die schwierige Unterscheidung des Experteninterviews von anderen Interviewformen und thematisiert damit ein oft in der Methodenliteratur geäußertes Problem (vgl. z.B. Bogner/ Menz 2009: 67). Dieses <?page no="95"?> 95 Expertenbild erreicht die Abgrenzung zu anderen Interviewformen vor allem dadurch, dass es nur Gespräche unter Personen als Experteninterviews anerkennt, die unter anderem mit ähnlichen Titeln (d.h. kulturellem Kapital verschiedener Provenienz) ausgestattet sind und eine vergleichbare soziale Position innehaben. Eine solche Konzeptualisierung ist aber nicht unbedingt für die vorliegende Untersuchung ergiebig, noch erscheint diese Bedingung sonderlich überzeugend, wenn man bedenkt, dass in derartigen Gesprächen normative Prämissen seltener elaboriert werden, da sie bereits als bekannt und von beiden Interviewteilnehmern geteilt vorausgesetzt werden (vgl. a.a.O.: 79). Im konkreten Fall der vorliegenden Untersuchung wären dies beispielsweise gemeinsam geteilte Annahmen über die Funktionsweise der Wissenschaft. In forschungspraktischer Hinsicht wäre darüber hinaus eine Durchführung derartiger Experteninterviews durch den Autor dieser Studie nicht möglich gewesen, da auch Interviews mit Professoren und Institutsleitern stattgefunden haben, mit denen der Interviewer nach Pfadenhauers Verständnis nicht ‚auf Augenhöhe‘ sprechen kann. Jedoch müssen, wie weiter unten beschrieben wird, Statusunterschiede der Interviewteilnehmer nicht nachteilig sein, sondern können sogar produktiv genutzt werden (siehe hierzu Kap. 3.3.2). Ein zweites Expertenbild priorisiert den vermuteten Wissensvorsprung bzw. die Exklusivität des Wissens der Befragten als Abgrenzungsmerkmal zu anderen Interviewformen: Als ‚Experten‘ werden im landläufigen Sinne Sachverständige, Kenner oder Fachleute bezeichnet, also Personen, die über besondere Wissensbestände verfügen. (Liebhold/ Trinczek 2009: 33) Eine Person wird im Rahmen eines Forschungszusammenhangs als Experte angesprochen, weil wir wie auch immer begründet annehmen, dass sie über ein Wissen verfügt, das sie zwar nicht notwendigerweise alleine besitzt, das aber doch nicht jedermann in dem interessierenden Handlungsfeld zugänglich ist. (Meuser/ Nagel 2009: 37) Sowohl die gesellschaftliche Wahrnehmung von Personen als Experten als auch die Zuschreibung eines Expertenstatus durch das Forscherinteresse spielen eine wichtige Rolle in dieser Begründung von Interviewpersonen als Experten. Dieses Expertenverständnis betont, dass die Frage, wer Experte ist, nicht losgelöst vom sozialen Kontext betrachtet werden kann. Jedoch offenbart diese Sichtweise auch Schwachstellen. Während in der Definition von Liebhold/ Trinczek nur gesellschaftlich sanktionierte Personen als Experten anerkannt werden, kann nach Meuser/ Nagel jeder Experte sein, der etwas weiß, was andere nicht wissen. Dies birgt allerdings die Gefahr, dass jegliche Unterscheidungskraft des Begriffes ‚Experte‘ verloren geht. Ein drittes Expertenbild soll aufgrund der dezidierten Anforderungen an Personen, die als Experten interviewt werden, als Expertendefinition für die vorliegende Untersuchung zugrundegelegt werden. Hierzu gehört un- <?page no="96"?> 96 ter anderem die Nennung und Beschreibung der zu erhebenden Wissenstypen sowie der Hinzunahme eines neuen Kriteriums, der sozialen Wirkung des Expertenwissens: Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf ein spezifisches Handlungsfeld bezieht, in dem er in relevanter Weise agiert (etwa in einem bestimmten organisationalen oder seinem professionellen Tätigkeitsbereich). Insofern besteht das Expertenwissen nicht allein aus systematisiertem, reflexiv zugänglichem Fach- oder Sonderwissen, sondern es weist zu großen Teilen den Charakter von Praxis- oder Handlungswissen auf […]. Das Wissen des Experten, seine Handlungsorientierungen, Relevanzen usw. weisen zudem […] die Chance auf, in der Praxis in seinem Handlungsfeld […] hegemonial zu werden, d.h., der Experte besitzt die Möglichkeit zur (zumindest partiellen) Durchsetzung seiner Orientierungen. (Bogner/ Menz 2009: 73f.) Diese zunächst sehr umfänglich erscheinende Beschreibung legt drei Eigenschaften zugrunde, die zusammen einen methodischen Referenzrahmen bezüglich des Konstrukts Experte bieten und deshalb für die vorliegende Untersuchung nutzbar gemacht werden: 1. Das erste Kriterium ist die organisationale Eingebundenheit des Experten. In der vorliegenden Untersuchung sind die Interviewteilnehmer im universitären Kontext verortet und folgen damit, trotz der teils ausgeprägten Unterschiede zwischen und innerhalb der Fachkulturen, bestimmten Vorstellungen und Leitbildern der Organisation Universität. Die Berücksichtigung dieses Kriteriums kommt der Forderung Hopfs entgegen, „in sich strukturierte soziale Situationen“, wie man sie in Organisationen vorfindet und die durch eine „klarere Rollenteilung und -definition gekennzeichnet“ sind, als Handlungszusammenhang der darin Tätigen zu berücksichtigen (Hopf 1993: 19). 2. Das zweite Kriterium ist eine differenzierte Konzeptualisierung von Expertenwissen, die über Dichotomien wie privates und berufliches Wissen oder Alltags- und Sonderwissen hinausgeht. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass im Experten Formen des Fach-, Prozess- und Deutungswissens zusammenkommen. Bogner/ Menz (vgl. 2009: 70f.) kommen zu dem Schluss, dass je nach Zielsetzung einer Untersuchung drei Wissensdimensionen durch Experteninterviews elizitiert werden können. Im Einzelnen handelt es sich um „Technisches Wissen“, „Prozesswissen“ und „Deutungswissen“: - Technisches Wissen umfasst „die Herstellbarkeit und Verfügung über Operationen und Regelabläufe, fachspezifische Anwendungsroutinen, bürokratische Kompetenzen usw.“ (a.a.O.: 71). Dieser Wissenstyp entspräche in etwa Fachwissen, das beispielsweise durch ein Studium angeeignet werden kann, und das sich durch einen systematischen Aufbau und Fachbezogenheit am besten von Alltagswissen unterscheiden lässt (vgl. ebd.). Obwohl die in der vorliegenden Arbeit befragten Wissenschaftler als Experten ihres Faches gelten, können Teile des fachspezifischen technischen Wissens, z.B. wie man ein Elektronenmikroskop bedient oder <?page no="97"?> 97 eine historische Quelle fachgerecht auswertet, im Interview nur am Rande berücksichtigt werden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass technisches Wissen auch für englischsprachiges Schreiben und Publizieren von Bedeutung ist. Wissenschaftler sind zwar nicht notwendigerweise Publikationsexperten, wie beispielsweise hauptberufliche Journalisten, müssen aber dennoch häufig englischsprachig publizieren und sich zu diesem Zweck (deklaratives und prozedurales) Wissen zu diesem Problemfeld aneignen. - Prozesswissen bezieht sich dagegen auf „Einsichtnahme und Informationen über Handlungsabläufe, Interaktionsroutinen, organisationale Konstellationen sowie vergangene oder aktuelle Ereignisse“ (Bogner/ Menz 2009: 71). Diese Wissensform entspricht in etwa dem Praxiswissen, das Befragte z.B. im Zuge längerer Tätigkeit in einem Beruf erwerben. Es ist wesentlicher Bestandteil des in der vorliegenden Untersuchung erhobenen Expertenwissens, wie beispielsweise in der Beschreibung von Schreib- und Publikationsroutinen durch die Befragten. - Zum Deutungswissen zählen die „subjektiven Relevanzen, Regeln, Sichtweisen und Interpretationen des Experten“ (ebd.). 46 Dieser Wissenstyp ist „Ausdruck subjektiver Sinnkonstruktion des Befragten“ (a.a.O.: 72) und muss zur Erschließung durch sozialwissenschaftliche Verfahren rekonstruiert werden. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung sind damit unter anderem Einstellungen zum Schreiben auf Englisch und Deutsch, zum Wissenschaftsbetrieb oder zu Sprachnormen gemeint. Um Deutungswissen erheben zu können, „bedarf es der methodischen Integration des Experten als ‚Privatperson‘“ (ebd.). Es muss allerdings angemerkt werden, dass im Experteninterview nicht das Privatleben der Befragten im Vordergrund steht, sondern Privates nur dann untersuchungsrelevant wird, wenn es einen Einfluss auf berufliche Tätigkeiten und Wahrnehmungen hat (vgl. Meuser/ Nagel 2009: 46). Dies ist unter anderem der Fall, wenn Forscher über private Fremdsprachenlernerfahrungen berichten, die auf ihre berufliche Schreib- und Publikationspraxis rückwirken. 3. Das dritte Kriterium ist die soziale Wirkmächtigkeit (vgl. Bogner/ Menz 2009: 67) des Expertenwissens. So wird in der vorliegenden Untersuchung davon ausgegangen, dass die Befragten die Chance haben, eigene Einstellungen und Deutungen - beispielsweise bezüglich der Notwendigkeit auf Englisch zu publizieren - gegenüber anderen innerhalb ihres institutionellen Kontextes, wie z.B. Nachwuchswissenschaftlern, durchzusetzen. Der hierarchische Aufbau des Wissenschaftssystems und die normalerweise von etablierteren Mitgliedern mitverantwortete Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses (siehe Kap. 6.1 und 6.2) sprechen eindeutig für die Annahme, dass das Wissen und die Einstellungen der Befragten soziale Wirkungsmacht entfalten können. 46 Die begriffliche Lage ist im Feld der empirischen Sozialforschung sehr uneinheitlich, wie auch Trautmann (2012: 219) anmerkt: „Gesprochen wird u.a. auch von Alltagswissen, Sinngehalten, sozialen Konstruktionen, Deutungsmustern und Identitäten.“ <?page no="98"?> 98 Es kann festgehalten werden, dass die im Zuge der Erhebung befragten Wissenschaftler erstens durch eine organisationale Einbindung charakterisiert sind, die bestimmten Handlungen Sinn verleiht (z.B. dem Schreiben und Publizieren wissenschaftlicher Aufsätze). Zweitens verfügen sie über verschiedene Wissenstypen, wobei die Forschungsfragen, die der Untersuchung zugrundeliegen, sowohl auf technisches als auch auf Prozess- und Deutungswissen abzielen. Drittens - und dies hängt direkt mit der organisationalen Eingebundenheit zusammen - besteht die Möglichkeit, dass das von den Wissenschaftlern vertretene Wissen andere beeinflussen kann. Vor diesem Hintergrund bietet sich die von Bogner/ Menz (2009) vorgenommene Verortung des Experten zur Orientierung bei der Erhebung und Auswertung der Interviewdaten an. Die drei erläuterten Kriterien stellen somit einen Maßstab dar, der hilft, Experten von anderen Personengruppen abzugrenzen und im Idealfall zu erhebendes Wissen zu beschreiben. Im nächsten Abschnitt wird die kommunikative und interaktionale Basis von Interviewmethoden diskutiert und reflektiert, wie die kommunikative Gebundenheit des Interviews die Datenerhebung und -auswertung beeinflusst. 3.3.2 Kommunikation in der Interviewsituation Bogner/ Menz (vgl. 2009: 75-77) stellen zwei grundlegende Annahmen über Interviewkommunikation auf: Das archäologische Modell geht von der „Idee einer Datenproduktion unter laborähnlichen Bedingungen“ (a.a.O.: 94) aus, „von der Existenz kontextunabhängiger, ‚wahrer‘ und ‚eigentlicher‘ Einstellungen, Situationsdefinitionen und Handlungsorientierungen, […] die möglichst in Reinform mittels geeigneter Interviewtechniken ans Tageslicht befördert werden sollen“ (a.a.O.: 75). Dieses Modell ist der naturwissenschaftlichen Forschungsauffassung des Positivismus entlehnt, die eine möglichst ‚objektive‘, das heißt von sozialen Faktoren freie Datenerhebung fordert (vgl. Flick 2008: 92f.). Dieser Sichtweise steht das Interaktionsmodell gegenüber, das davon ausgeht, dass jedes Interview „Kommunikation [ist], und zwar wechselseitige, und daher auch ein Prozess“ (Helfferich 2011: 12). In diesem Sinne entsteht das Produkt Interview aus einem „gemeinsamen Interaktionsprozess, von Erzählperson und interviewender Person gemeinsam erzeugt - das gilt für jeden Interviewtypus“ (ebd.). Während das archäologische Modell die Interviewsituation als möglichst neutrale und streng zu kontrollierende Erhebungssituation begreift, die im Idealfall ohne ‚verfälschende‘ Interaktionseffekte ablaufen soll, sind im Interaktionsmodell die gleichen Phänomene konstitutiv für alle Kommunikationssituationen, einschließlich des Interviews, und unter bestimmten Umständen sogar produktiv für diese nutzbar (vgl. Bogner/ Menz 2009: 75). Die fundamentalen Unterschiede in der Konzeption der Interviewsituation haben weitreichende Auswirkungen für die Datenerhebung und -auswertung. Auf dem archäologischen Modell basierende Kommunikationsmo- <?page no="99"?> 99 delle der Interviewsituation fordern strikte Neutralität des Interviewers und erhoffen sich dadurch eine Nichtbeeinflussung des Interviewten: „Zentral […] ist vor allem, dass die Fragen verständlich sind und die Befragten nicht in ihrem Antwortverhalten beeinflussen sollen“ (Riemer/ Settinieri 2010: 774; vgl. auch Liebhold/ Trinczek 2009: 36). Die Beeinflussbarkeit der Interviewsituation findet sich ebenfalls in methodischen Ratgebern als prominenter Nachteil von Interviewmethoden wieder. 47 Von den Vertretern einer von vornherein als ‚beeinflusst‘ verstandenen Interviewsituation wird diese Idealvorstellung der Erhebungssituation als unrealistisch kritisiert (vgl. Talmy/ Richards 2011: 2; Helfferich 2011: 12), denn sie sind „der Vorstellung verhaftet, der Interviewer könne gewissermaßen ‚unsichtbar‘ bleiben und durch Nicht-Beeinflussung die Äußerung möglichst ‚reiner‘, kontext- und situationsunabhängiger Handlungsorientierungen, Einstellungen usw. provozieren“ (Bogner/ Menz 2009: 76). Realistischer als die Eliminierung von Interaktionseffekten und im Einklang mit qualitativen Forschungsprinzipien ist hingegen eine Berücksichtigung und Reflexion der kommunikativen Situiertheit des Interviews (vgl. Helfferich 2011: 12). Der Beschaffenheit der Interviewsituation sollte demnach in allen Phasen der Befragung Rechnung getragen werden. Beispielsweise ist es erforderlich, im Zuge der Auswertung die erhobenen Daten als kommunikativ erzeugt und situativ eingebettet zu behandeln. Darüber hinaus ermöglicht die Einsicht, dass der Interviewer immer aktiv am Gespräch beteiligt ist und dieses mitkonstituiert, eine gezielte methodische Reflexion seiner Rolle im Interviewzusammenhang (vgl. Mann 2011: 8). In Konsequenz der sozialen und kommunikativen Situiertheit des Interviews müssen Statusunterschiede der Gesprächsteilnehmer, die sich unter anderem in Unterscheidungsmerkmalen wie Alter, Geschlecht oder sozioökonomischem Status ausdrücken, bei der Datenauswertung berücksichtigt werden (vgl. Meuser/ Nagel 2009: 54f.). Man kann darüber hinaus in Erweiterung dieser Konzepte davon ausgehen, dass sich im Interview „die Äußerungen des Befragten […] wesentlich an seinen Vorstellungen und Mutmaßungen bezüglich Kompetenz, fachlicher Herkunft, normativen Orientierungen und Einstellungen sowie der untersuchungsfeldrelevanten Einflusspotenziale des Interviewers orientieren“ (Bogner/ Menz 2009: 76). Diese Zuschreibungen (vgl. a.a.O.: 76-89) sind dynamisch, das heißt, sie bilden sich oft erst während des Interviews heraus und können sich im Verlauf eines 47 Hierzu ein Ausschnitt aus einem Online-Lernportal zur qualitativen Sozialforschung: „Neben der grundlegenden Abhängigkeit von der Antwortbereitschaft der angesprochenen Person ist es wichtig, das Interview als reaktives Messverfahren zu sehen. Die damit verbundenen Risiken stellen die hauptsächliche Kritik am Interview dar. Dies sind mögliche Verzerrungseffekte und Beeinflussung durch den Interviewer, hervorgerufen durch die Interaktion zwischen Interviewer und Befragtem oder durch Unterschiede im Geschlecht, in der Nationalität, in der Sprache, in der Kleidung, im Auftreten oder in der Schichtzugehörigkeit.“ http: / / qsf.e-learning.imb-uni-augsburg.de/ node/ 560, eingesehen am 08.01.2015. <?page no="100"?> 100 Gesprächs verändern. Durch eine Berücksichtigung derartiger Attribuierungen werden unvermeidbare Interaktionseffekte des Interviews der Re-flexion zugänglich gemacht und eine Rückbindung der erhobenen Interviewdaten an den Entstehungszusammenhang ermöglicht. Darüber hinaus flossen antizipierte Zuschreibungen der Befragten in die Vorbereitung der Interviews ein, z.B. bei der Erstellung des Leitfadens. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden drei Dimensionen der Zuschreibung vorgestellt und ihre Auswirkungen auf die Erhebungssituation verdeutlicht: 1. Dem Interviewenden zugeschriebene Fachkompetenzen sind von Bedeutung in der Interviewsituation, da es sich bei Experteninterviews ausdrücklich um Gespräche im beruflichen Kontext handelt. Fachwissen wird für Außenstehende zunächst über die erreichten Bildungsabschlüsse wahrnehmbar und insbesondere im universitären Kontext lässt sich anhand akademischer Qualifikationen, wie z.B. einer Promotion, auf die Position der Interviewteilnehmer in einer Wissenschaftsgemeinschaft schließen. Werden Gespräche mit fachfremden Wissenschaftlern auf der gleichen Hierarchieebene geführt, erscheint es nicht abwegig, dass die Befragten dem Interviewenden eine äquivalente Fachkompetenz in seinem Fachzusammenhang einräumen. In diesem Fall wird der Interviewer vermutlich als „Experte einer anderen Wissenskultur“ (Bogner/ Menz 2009: 80) wahrgenommen, wogegen bei Gesprächen mit fachlich deutlich höher qualifizierten Befragten eher von einer Wahrnehmung des Interviewers als „Laie“ (ebd.) ausgegangen werden kann. In beiden Fällen, insbesondere jedoch bei der Zuschreibung eines Laienstatus, führt die fachliche ‚Fremdheit‘ bzw. ‚Unwissenheit‘ des Interviewers dazu, dass „die fachlichen Begründungsmuster und Orientierungen des Experten hier in der Regel deutlicher zu Tage treten“ (a.a.O.: 82), da nicht von einem gemeinsamen fachlichen Hintergrund ausgegangen werden kann und somit ein Erklärungsanreiz entsteht. Dieser Umstand ist im Rahmen der Untersuchung bedeutsam, da angenommen wird, dass die Zugehörigkeit der Befragten zu einer Fachkultur großen Einfluss auf Problemwahrnehmungen und Einstellungen hinsichtlich der englischen Sprache ausübt. Die unter Wissenschaftlern, die aus dem gleichem Fachkontext stammen, latent bleibende Fach- und Handlungslogik sowie das vertretene Relevanzsystem werden somit im Idealfall im Interview thematisiert und so der Analyse zugänglich gemacht. 2. Die vermutete normative Positionierung der Interviewteilnehmer zueinander beeinflusst ebenfalls die Gesprächssituation, wobei vor allem die Rollenzuschreibungen von Interviewer und Befragtem ausschlaggebend sind. Anders als beispielsweise bei Interviews von Wissenschaftlern mit Managern oder Politikern stammen die Interviewteilnehmer im Rahmen dieser Untersuchung beide aus dem Wissenschaftskontext, sodass zumindest von einigen grundlegenden normativen Übereinstimmungen ausgegangen werden kann. Dazu zählt unter anderem die in den Interviewfragen unterstellte Bedeutsamkeit fachwissenschaftlicher Publikationen. Eine unterschiedliche fachliche Sozialisation und die damit verbundene Positionierung gegenüber anderen Wissenschaften können dagegen abweichende Haltungen der In- <?page no="101"?> 101 terviewteilnehmer hinsichtlich bestimmter Themen zur Folge haben. Allerdings ist eine gewisse normative Diskrepanz beider Interviewpartner auch hier erwünscht, weil die Befragten dadurch einen Anreiz haben, ihren Standpunkt zu erklären und eventuell argumentativ zu untermauern. Bei Deckungsgleichheit der normativen Hintergründe, ähnlich zu den vermuteten Fachkompetenzen oben, werden diese dagegen in der Regel nicht weiter thematisiert, da sie als ‚gegeben‘ angesehen werden (vgl. Bogner/ Menz 2009: 87). 3. Die vermuteten sozialen Auswirkungen des Interviews sind vor allem im Zusammenhang mit Evaluationsgesprächen oder Interviews, die als solche empfunden werden, zu sehen. Relative „soziale Folgenlosigkeit“ ist eine Voraussetzung, um Informationen über sensible Themenbereiche wie Problembeschreibungen zu gewinnen (vgl. Bogner/ Menz 2009: 85). Der Interviewer in der vorliegenden Untersuchung ist aufgrund der niedrigen Position in der akademischen Hierarchie (d.h. Doktorand) und der damit verbundenen geringen wissenschaftlichen Autorität sowie als Vertreter eines anderen Faches mangels institutioneller Macht nicht in der Lage, eine fachliche Evaluation durchzuführen bzw. größeren sozialen oder professionellen Druck aufzubauen. Möglicherweise waren die Befragten so eher bereit, über Probleme oder ‚heikle‘ Themen zu sprechen, die sie mit statushöheren Interviewpersonen nicht angesprochen hätten. Die im Vorfeld der Erhebung mehrfach, auch schriftlich zugesicherte Anonymisierung der Interviews trug zusätzlich zum Bild eines ‚harmlosen‘ Interviewers bei. Es ist jedoch nicht völlig auszuschließen, dass einige Befragte das Interview als Bewertungssituation empfanden und deshalb z.B. über Themen wie Probleme beim Schreiben und Publizieren keine Informationen preisgeben wollen. 48 Es wurde aber bei der ersten Kontaktaufnahme per E-Mail sowie im Telefongespräch vor dem Interview darauf geachtet, dem Eindruck einer Evaluationssituation entgegenzuwirken bzw. diesen gar nicht erst entstehen zu lassen. Es kann festgehalten werden, dass das Neutralitätsideal einer im archäologischen Modell verorteten sozialwissenschaftlichen Forschung überholt ist und im Rahmen dieser Studie durch eine explizite Berücksichtigung der Interaktionsstruktur des Interviews ersetzt wird. Die drei vorgestellten Zuschreibungsdimensionen erlauben dabei eine Offenlegung und Analyse der Gesprächssituation hinsichtlich der wahrgenommenen Fachkompetenz, der normativen Positionierung und des Einflusspotenzials des Interviewenden. Ebenfalls einen großen Einfluss auf die Interaktion in der Interviewsituation 48 Reibungspunkte im Bezug auf die Interviewaufzeichnung ergaben sich lediglich bei einem Interviewten, der aus seiner beruflichen Erfahrung heraus darauf insistierte, dass eine Tonaufzeichnung wenig sinnvoll sei, da die Befragten dann nicht mehr ‚ehrlich‘ kommunizierten. Wenngleich dies für Interviews mit Regierungsbeamten oder Managern zutreffen mag, für die an die Öffentlichkeit gelangte Aussagen nicht sozial folgenlos bleiben, empfanden alle anderen Befragten die Aufzeichnung als methodisch konsequent im Sinne der vereinfachten Datenauswertung. <?page no="102"?> 102 hat der im Experteninterview verwendete Interviewleitfaden, der im nächsten Abschnitt methodisch erörtert wird. 3.3.3 Die methodische Rolle des Leitfadens Der Interviewleitfaden nimmt als einziges schriftliches Dokument in einer ansonsten mündlichen Erhebungssituation eine besondere Stellung ein. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die Funktionen des Interviewleitfadens, die mit seinem Einsatz verbundenen Vor- und Nachteile sowie seine Konstruktionsprinzipien darzulegen. Darüber hinaus wird begründet, warum der Einsatz eines Leitfadens essentiell für die vorliegende Untersuchung ist. Der Interviewleitfaden kann metaphorisch als ein Kristallisationspunkt verstanden werden, in den Vorwissen des Forschenden einfließt. Die Erstellung eines Leitfadens entspricht demnach einem Übersetzungsvorgang, in dem das Forschungsinteresse, das z.B. in Form von (impliziten) Hypothesen oder Annahmen vorliegt, „in den Kontext des Erfahrungshintergrundes der Befragten“ (Gläser/ Laudel 2009: 116) übertragen wird. Während des Interviews erfüllt der Leitfaden eine wichtige Steuerungsfunktion, indem er sicherstellt, dass keine für die Untersuchung relevanten Gesprächsthemen vergessen werden (vgl. Liebhold/ Trinczek 2009: 39; Helfferich 2011: 164). Darüber hinaus ermöglicht in den Leitfaden eingebrachtes Vorwissen dem Interviewer zu entscheiden, ob das Gesagte für die verfolgte Fragestellung relevant ist und wann Nachfragen angebracht sind. Der Einsatz eines Leitfadens verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen methodischer Offen- und Geschlossenheit von Interviewmethoden. Während offene Interviewkonzeptionen, wie das narrative Interview, die Benutzung eines Leitfadens ablehnen, da dieser den Alltagscharakter der Gesprächssituation einschränkt und die Relevanzsetzungen der Befragten beeinflussen könnte (vgl. Lamnek 2010; Trautmann 2012: 220f.), fordern standardisierte Interviewverfahren einen möglichst geringen Einfluss des Interviewers sowie eine möglichst hohe Vergleichbarkeit der Interviews durch die Fixierung des Wortlautes und der Abfolge der Fragen im Leitfaden (vgl. Prüfer/ Stiegler 2002: 2). Bei Experteninterviews wird die Verwendung eines Leitfadens normalerweise empfohlen, „wobei der Grad der Strukturierung im Einzelnen davon abhängt, ob eher Informationen oder Deutungswissen erhoben werden soll“ (Helfferich 2011: 164). Die für die vorliegende Untersuchung verwendete Erhebungsvariante des Experteninterviews ist in einer Mittelposition des Kontinuums methodischer Offen- und Geschlossenheit zu verorten: Zwar wird ein Leitfaden eingesetzt, um eine grundsätzliche thematische Vergleichbarkeit der Interviews zu gewährleisten, durch die Einbindung offener Fragen und Erzählanregungen werden indessen individuelle Schwerpunktsetzungen der Befragten ermöglicht. <?page no="103"?> 103 Die im Interview gestellten Fragen zielen sowohl auf direkt abrufbare Informationen, also bewusst zugängliches Wissen der Befragten, als auch auf narrative Daten, wie z.B. Deutungen, die einer interpretativen Rekonstruktion bedürfen. Als Informationen deklarierte Daten werden nicht interpretativ ausgewertet; sie „werden als wahr unterstellt und nicht als Konstruktion, deren Sinngehalt es zu entschlüsseln gilt“ (Helfferich 2011: 166), behandelt (vgl. auch Bogner/ Menz 2009: 65). Dazu zählt beispielsweise die Frage nach den Anteilen rezipierter und publizierter englischsprachiger Literatur, die in der Regel mit einer Prozent- oder Mengenangabe beantwortet wurde. Derartige Angaben finden unter anderem als Hintergrundinformationen der einzelnen Interviewten oder Fachgruppen Verwendung. 49 Narrative Daten bilden dagegen die Textgrundlage zur Rekonstruktion von Deutungen (vgl. Meuser/ Nagel 2009: 52f.) und können durch erzählgenerierende Fragen im Leitfaden elizitiert werden. Erzählungen, oder „narrative Passagen“ (ebd.), sind als „ursprüngliche Form der Reflexion“ (Witzel 2000: 4) ein wichtiger Bestandteil des Experteninterviews, denn immer wenn Experten „fortfahren und erläutern, extemporieren, Beispiele geben oder andere Formen der Exploration verwenden“, teilen sie „mehr über ihre funktionsbezogenen Relevanzen und Maximen“ mit (Meuser/ Nagel 2009: 52). Hinsichtlich der zu elizitierenden Wissenstypen ist zu beachten, dass sich die Befragten im Kontext ihres Berufes zum Interview bereit erklärt haben, also in erster Linie als Experten und Wissenschaftler, nicht aber als Privatpersonen sprechen. Diese kommunikative Rahmung hat zur Folge, dass sich ein von Anfang an auf die Erzeugung von Narrationen abzielender Interviewstil nachteilig auf die Interviewsituation auswirken könnte. Offene und unstrukturierte Erzählaufforderungen wie „Erzählen Sie doch mal! “ (Witzel 2000: 13) könnten die Teilnehmer als nicht ausreichend zielgerichtet bzw. als nicht ihrer Expertenrolle angemessen empfinden. Wahrscheinlicher ist, dass die meisten Wissenschaftler, allein aufgrund des allgegenwärtig vorherrschenden Zeit- und Termindrucks, „an eine kurze und bündige Kommunikation“ (Helfferich 2011: 8) gewöhnt sind und ein auf Informationsabfrage ausgerichtetes Interview erwarten. Diese Erwartungshaltung kann mit dem Ziel der Erhebung narrativer Daten verbunden werden, indem eine Sequenzierung von Informationsfragen und erzählgenerierenden Fragen im Interview eingehalten wird. Dabei stehen Informationsfragen eher am Anfang des Interviews, um so die vermuteten Erwartungen der Wissenschaftler zu bestätigen. Offenere, Narrationen erzeugende Fragen werden zu einem spä- 49 Der auf Informationen abzielende Teil einer Befragung kann während des Gesprächs oder durch einen separaten Kurzfragebogen erhoben werden (vgl. Helfferich 2011: 35). In der vorliegenden Studie wurden solche Informationsfragen in die Interviews integriert, weil dadurch unter anderem eine separate Fragebogenerhebung überflüssig wurde und unverzüglich etwaige Nachfragen zu den gemachten Angaben gestellt werden konnten. <?page no="104"?> 104 teren Interviewzeitpunkt gestellt, nachdem die Rollenverteilung sowie der expertenorientierte Tenor des Interviews hergestellt wurden. Aus den vorangegangenen Überlegungen wurde deutlich, dass dem Leitfaden verschiedene thematische, kommunikative und dramaturgische Aufgaben in der Strukturierung der Interviewsituation obliegen. Im Einzelnen erfüllt der entworfene Leitfaden folgende Kriterien: - Das Vorwissen des Interviewers, geprägt durch wissenschaftliche Literatur zum Untersuchungsthema sowie eigene Erfahrungen und Erhebungsziele, wird explizit bei der Leitfadenerstellung berücksichtigt. - Die Fragen sind nicht geschlossenen Typs, weisen also keine vorgegebenen Antwortkategorien auf. Sie sind so formuliert, dass den Befragten möglichst keine Sichtweisen aufgedrängt werden. Es wird zudem eine ‚laiengerechte‘ Formulierung der Fragen, das heißt eine weitgehende Vermeidung angewandt-linguistischer Fachbegriffe, angestrebt. - Es sind sowohl Informationsfragen als auch erzählgenerierende Fragen im Leitfaden enthalten, wobei Erstere möglichst an den Anfang des Interviews gestellt werden. Im Anschluss an die Erörterung der Funktionen des Leitfadens im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, insbesondere der Inklusion des vorhandenen Vorwissens, des Verhältnisses von Offen- und Geschlossenheit sowie der Unterscheidung zwischen Informations- und erzählgenerierenden Fragen, wird im nächsten Abschnitt konkret auf die im Leitfaden verankerten Inhaltsbereiche eingegangen. 3.3.4 Konstruktion von Annahmen Im Anschluss an eine kritische Literaturdurchsicht zum Thema Englisch als Wissenschafts- und Publikationssprache wurden im Rahmen einer Pilotstudie erste Forschungsfragen und Zuspitzungen formuliert und unter Berücksichtigung befragungsmethodischer Prinzipien in Interviewfragen übertragen (Operationalisierung). Es handelt sich dabei jedoch nicht im strikten Sinne um Hypothesen, die etwa durch Experimentalmethoden falsifiziert werden können. Vielmehr liefern die formulierten Überlegungen wichtige Anregungen für die Erhebung und Auswertung der Daten und eignen sich, die Entwicklung des Wissensstandes im Verlauf der Literaturaufbereitung, Erhebung und Auswertung zu dokumentieren. Vor der Erstellung des Interviewleitfadens wurde von folgenden, inzwischen stellenweise revidierten Annahmen, ausgegangen: Bereich 1: Erfahrung im Umgang mit dem Englischen, Anglisierung der Wissenschaften, Genre- und Diskursunterschiede - Sprachkompetenz/ -biographie interagiert mit Publikationspräferenz. - Das Englische erobert immer mehr wissenschaftsrelevante Domänen. <?page no="105"?> 105 - Die Quantität und Bedeutung englischsprachiger Literatur im Wissenschaftsbetrieb nimmt zu. - Die zunehmende Relevanz (wissenschaftlich, Karriere) englischsprachiger Publikationen zeigt sich in den Bibliographien von Wissenschaftlern. - Durch die Verwendung der englischen Wissenschaftssprache werden auch deren Diskursnormen übernommen. Bereich 2: Hilfsmittel, Publikationsprozess, Mehrautorenschaft, Schnittstelle Herausgeber-Wissenschaftler, Entwicklung über die Zeit - Die Nutzung von Hilfsmitteln wie Wörterbüchern nimmt im englischsprachigen Publikationsprozess im Vergleich zu deutschsprachigen Veröffentlichungen zu. - Wissenschaftliche Zweisprachigkeit schlägt sich im Publikationsprozess nieder. - Es fehlt professionelle Hilfe beim englischsprachigen Publizieren. - Der Veröffentlichungspfad unterscheidet sich von Disziplin zu Disziplin. - Mehrautorenschaft verändert den Forschungs- und Publikationsprozess. - Unterstützende Herausgeber-Wissenschaftler-Kommunikation hilft beim Publizieren auf Englisch. - Einhergehend mit der Schreib- und Publikationspraxis in der Fremdsprache über einen längeren Zeitraum ändern sich auch Einstellungen und Fähigkeiten zum Publizieren auf Englisch. Bereich 3: Die Zukunft der Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch, Opportunitätskosten und Ungleichheiten von Mutter- und Nichtmuttersprachlern, Zukunftsentwurf - Das Publizieren auf Englisch bringt erhöhte Opportunitätskosten mit sich. - Der Status als Nichtmuttersprachler bedingt sowohl Vorals auch Nachteile beim wissenschaftlichen Publizieren. - Hilfsmittel personaler und sachlicher Art können den Schreib- und Publikationsprozess entscheidend beeinflussen. - Der Einfluss des Englischen auf deutschsprachige Terminologie variiert zwischen verschiedenen Disziplinen, wird aber insgesamt gesehen größer. - Studierende sind zunehmend von einer Art ‚halber‘ Lese- und Schreibfertigkeit betroffen. Diese zum Teil aus dem Literaturstudium gewonnenen Vorannahmen wurden zunächst in einen Interviewleitfaden ‚übersetzt‘. Dieser wurde im Anschluss mehrfach mit den im PEPG-Projekt involvierten Mitarbeitern diskutiert und sukzessive verfeinert. Mit fortschreitender Projektlaufzeit wurden diese Ausgangsannahmen überarbeitet und den empirischen Einsichten angepasst. So entstanden im Anschluss an die vorläufige Auswertung der Pi- <?page no="106"?> 106 lotstudien-Interviews neue Annahmen. Sie werden hier abgebildet, da sie Ausdruck des inhaltlich-theoretischen Fortschritts der Untersuchung sind: - Englisch wird in Deutschland nicht nur zur internationalen Kommunikation eingesetzt, sondern durchdringt, in Abhängigkeit von der Disziplin inzwischen alle Domänen wissenschaftlicher Kommunikation, von rein theoretischen bis hin zu angewandten und alltäglichen Bereichen. - Der wachsende Einfluss des Englischen als Wissenschaftssprache reduziert die Benutzung und den Ausbau deutscher Fachsprachen und verdrängt sie in manchen Disziplinen. - Mit der zunehmenden Benutzung des Englischen als Wissenschaftssprache gehen eine Annäherung an oder sogar eine Übernahme angloamerikanischer Diskursmuster einher. - Publizieren auf Englisch bedeutet erhöhte finanzielle Kosten und Opportunitätskosten für Nichtmuttersprachler des Englischen. - Mehrsprachige Wissenschaftler profitieren von der Teilnahme an mehreren Wissenschaftsdiskursen, sind aber gleichzeitig gegenüber rein anglophonen Forschern benachteiligt, da sie Kompetenzen in mehreren Wissenschaftssprachen entwickeln und aufrechterhalten müssen. - Mit zunehmender Schreiberfahrung verbessern Nichtmuttersprachler des Englischen ihre Schreibfertigkeiten und -strategien in der Fremdsprache. Diese überarbeiteten Thesen bildeten nicht nur die Grundlage für die Erweiterung des Leitfadens im Rahmen der disziplinvergleichenden Hauptstudie, sondern stellen auch eine Form des Wissensfortschritts dar, der aus den Pilotstudien-Interviews gewonnenen wurde. Es werden somit sowohl ausgewählte Ergebnisse in Kurzform festgehalten als auch der Lernprozess im Verlauf der Studie offengelegt. Thematisch orientiert sich der Interviewleitfaden mit 20 Hauptfragen und zahlreichen optionalen Unterpunkten („Prompts“) an den beschriebenen Annahmen, berücksichtigt aber auch andere Faktoren und setzt diese überwiegend in offene, Narrationen generierende Fragen um (vgl. Witzel 2000). So zielt beispielsweise die Leitfaden-Frage „Welche Sprachen verwenden Sie in Ihrem Institut, also z.B. in der Lehre oder im Labor? “ darauf ab, das tatsächliche Ausmaß der Anglisierung, gerade in Bereichen außerhalb des schriftlichen Publizierens, genauer zu erfassen. Während derartige Fragen wichtiges Hintergrundwissen zur Situation der Befragten eruieren sollen, spielen Prozessbeschreibungen zum Erstellen, Überarbeiten und Publizieren von Artikeln eine noch zentralere Rolle. Ferner wurden Fragen zur Wahrnehmung einer Bevor- oder Benachteiligung als Nichtmuttersprachler, zum Umgang mit Hilfsmitteln oder zum Status des Englischen in der Lehre gestellt. Die Einstellungen der Befragten wurden dabei nur in geringem Umfang direkt abgefragt, sondern zumeist von den Wissenschaftlern im Rahmen anderer Fragen geäußert. So hat die Frage nach der Rolle des Englischen in der universitären Lehre die Befragten häufig angeregt, zu begründen, warum sie der Meinung sind, dass das Englische eine wichtigere Rolle <?page no="107"?> 107 in der Lehre einnehmen solle. Durch derartige Ausführungen werden die Befragten ‚gezwungen‘, zugrundeliegende Prämissen und Einstellungen in Form von Begründungen darzulegen. Der in der fachvergleichenden Hauptstudie verwendete Leitfaden kann im Anhang (siehe Anhang B) eingesehen werden. 3.4 Vorbereitung und Durchführung der Interviews Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten wichtige methodische Entscheidungen im Hinblick auf das Experteninterview begründet wurden, wird im Folgenden die Vorbereitung und Durchführung der Interviews mit den Wissenschaftlern beschrieben. Dazu gehören die Auswahl der Befragungsteilnehmer sowie die Beantwortung der Fragen, auf welchem Wege die Teilnehmer kontaktiert wurden und wie sich die eigentliche Erhebungssituation gestaltete. Zusätzlich wird auf die beiden wichtigsten Erhebungskriterien, Fachkultur und Karrierestufe, eingegangen. Die gewählte Strategie der Fallauswahl stellt einen wichtigen methodischen Entscheidungspunkt im Zuge der Datenerhebung dar. Da immer nur eine begrenzte Menge an Daten erhoben werden kann, muss jede empirische Untersuchung notwendigerweise eine Auswahl- oder Samplingstrategie verwenden. Neben der Begrenzung der Datenmenge wird durch die Auswahl der Interviewpartner „jeweils ein spezifischer Zugang zum Verstehen des Feldes und der ausgewählten Fälle realisiert“ (Flick 2007: 170). Auswahlentscheidungen müssen daher an verschiedenen Stellen einer empirischen Untersuchung getroffen werden, nämlich bei der Datenerhebung, der Dateninterpretation sowie der Ergebnisdarstellung (vgl. Flick 2007: 155). Hier soll es zunächst um Auswahlentscheidungen hinsichtlich der Datenerhebung gehen, also erörtert werden, welche Personen aus welchen Gründen befragt wurden. Eine grundlegende Prämisse ist, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen keine homogene Gruppe darstellen, sondern dass sie sich z.B. berufsbiographisch und hinsichtlich der fremd- und muttersprachlichen Ausbildung teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Die Auswahl der ‚richtigen‘ Interviewpartner ist somit nicht dem Zufall zu überlassen, sondern muss unter Rückbezug auf die Untersuchungsziele erfolgen. Grundlegende Anforderungen an die Untersuchungsteilnehmer sind, dass sie über Wissen zum Themengebiet verfügen, dieses artikulieren können und Bereitschaft zur Teilnahme an einem Interview zeigen (vgl. Flick 2007: 166). Dass deutschsprachige Wissenschaftler bereits als interessierende Zielgruppe bestimmt wurden, ist durch den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit und den geringen Umfang empirischer Forschung zu dieser Zielgruppe hinreichend begründet. Entschieden werden musste jedoch, ob die Fallauswahl vor den Interviews „festgelegt und durch den Erhebungsprozess gefüllt oder schrittweise während der Auswahl, Erhebung und Inter- <?page no="108"?> 108 pretation entwickelt und weiter differenziert“ wird (Flick 2007: 170). Bei dem hier in abgeschwächter Form angewandten theoretischen Sampling (vgl. a.a.O.: 158-162), wie es auch im Rahmen der Grounded Theory verwendet wird (vgl. Kuckartz 2010: 78), werden während der Untersuchung stets neue Fälle im Hinblick auf den zu erwartenden inhaltlichen Gewinn für die im Entstehen begriffene Theorie selektiert. Die Besonderheit dieser Strategie ist die Prozessorientierung, das heißt, dass im Forschungsprozess ein ständiger Wechsel zwischen Datenerhebung, -auswertung und Fallauswahl stattfindet. Neue Fälle werden demnach aufgrund der neuesten Auswertungserkenntnisse ausgewählt, wodurch die Fallauswahl im Sinne noch offener Fragen und Datenlücken genutzt werden kann. In der vorliegenden Untersuchung wurde für eine Mischung aus theoretischem Sampling und vorher festgelegten Auswahlkriterien optiert. So wurden die Fall-Auswahlkriterien in der ersten Phase, der Pilotstudie mit 17 Interviews, vor der eigentlichen Erhebung festgelegt. Vor der Datenerhebung in der Folgestudie wurden die Kriterien allerdings aufgrund bereits vorliegender Ergebnisse und Einsichten überarbeitet und, wie beim theoretischen Sampling, dem veränderten Erkenntnisinteresse angepasst. 3.4.1 Fallauswahl in der Pilotstudie Das leitende Prinzip der Samplingstrategie im Rahmen der Pilotstudie war eine „maximale Variation“ (Flick 2007: 165; Hervorh. FR) der Untersuchungsteilnehmer im Feld deutschsprachiger Wissenschaftler, die auf Englisch publizieren. Ziel war es somit nicht, repräsentative Aussagen zu treffen. Vielmehr sollte die Vielfältigkeit des Feldes Wissenschaft abgebildet werden, um so „Aussagen über die Verteilung beispielsweise von Sicht- und Erfahrungsweisen treffen zu können“ (Flick 2007: 167; vgl. auch Kelle 2010: 109). Das Prinzip der maximalen Variation bezog sich für die Pilotstudie zunächst auf den Einschluss von Wissenschaftlern mit möglichst vielen verschiedenen Fächern und Altersstufen. Im Rahmen der Pilotstudie wurden 17 Wissenschaftler aus den Bereichen der Geistes-, Sozial-, Ingenieur-, Natur- und Formalwissenschaften verschiedenen Alters und variierender Schreiberfahrung interviewt (siehe Tabelle 25). Eine Bedingung, die für alle Interviewten sowohl in der Pilotals auch in der Folgestudie galt, war, dass sie zumindest eine Publikation in englischer Sprache vorweisen können müssen. Grund für diese Anforderung an die Teilnehmer war, dass die vorliegende Arbeit den Umgang mit dem Englischen (und Deutschen) unter den Bedingungen zunehmender Anglisierung der Wissenschaften untersucht. Vor diesem Hintergrund konnten Wissenschaftler, die ausschließlich auf Deutsch publizieren, nicht interviewt werden. Dies stellt allerdings keine Wertung dar, sondern liegt im Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie begründet (siehe Kap. 1.9). <?page no="109"?> 109 3.4.2 Fallauswahl in der Hauptstudie Für die Samplingstrategie im Rahmen der Hauptstudie waren zwei Kriterien besonders wichtig. Erstens sollten die Befragten aus unterschiedlichen Fachkulturen stammen. Dies liegt darin begründet, dass aufgrund der Ergebnisse der Pilotstudie davon ausgegangen wurde, dass Disziplinarität großen Einfluss auf Schreiborganisation, Publikationsziele und -ansprüche ausübt. Werden mehrere Fachkulturen einbezogen, können jeweils vorherrschende Denk- und Argumentationsmuster eher herausgearbeitet und kontrastiert werden. So kann davon ausgegangen werden, dass die Sozialisation in einer Fachkultur, erfolgt z.B. durch Studium, fachlichen Austausch und Anlernprozesse, die Einstellungen zu Sprache als Wissenschaftsmedium im Allgemeinen sowie zum Englischen und Deutschen als Wissenschaftssprachen im Speziellen prägt. Es wurde weiterhin beschlossen, dass sich die Hauptstudie auf vier Fächer beschränken sollte, dafür aber eine größere Anzahl Wissenschaftler befragt werden sollte. Die vier zu untersuchenden Fächer wurden nach dem Kriterium der exemplarischen Repräsentativität für eine bestimmte Fachkultur ausgewählt. Im Einzelnen waren dies die Biologie für die Naturwissenschaften, der Maschinenbau für die Ingenieurwissenschaften sowie die Germanistische Linguistik und die Geschichtswissenschaft für die Geisteswissenschaften. Der Vorteil der Einbeziehung mehrerer Wissenschaftler pro Disziplin bestand vor allem darin, dass so die Vielfalt aber auch etwaige Übereinstimmung der vorherrschenden Denk- und Argumentationsmuster in den verschiedenen Fächern besser herausgearbeitet werden können. Im Abschnitt Fachkultur werden die ausgewählten Fächer vorgestellt (siehe Kap. 3.4.2.2 unten). Ein zweites Auswahlkriterium für die Hauptstudie war die sogenannte Karrierestufe der Wissenschaftler. Im Zuge der Auswertung der Pilotstudie fiel auf, dass das Alter der Befragten eine sehr unspezifische Variable war, die wenig Auskunft über die Aufgaben, Kompetenzen und institutionelle Position der Befragten erteilte. Daher wurde festgelegt, dass pro Disziplin im Korpus jeweils zwei Befragte auf der Stufe des Doktoranden, des Postdoktoranden und des Professors sein sollten. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass sozialisationsbedingte Unterschiede sowie Fragen zum Zusammenspiel von wissenschaftlicher Erfahrung und Schreib- und Publikationskompetenz dezidiert untersucht werden können. Weiterhin erlaubt die Verteilung auf die drei Karrierestufen ein realistischeres Bild einer Disziplin, da somit nicht nur bereits in der Fachgemeinschaft etablierte Vertreter in die Datenerhebung miteinbezogen werden, sondern auch diejenigen, die erst im Begriff sind, dort Fuß zu fassen. Diese Überlegungen führten zu einer Auswahlstrategie, die sich an funktionalen Unterschieden zwischen Doktoranden, Postdoktoranden und Professoren orientierte (siehe Kap. 3.4.2.1 unten). Es wurde aufgrund des explorativen Charakters der Studie als ausreichend eingeschätzt, für jedes der vier Fächer sechs Interviews (auf drei ver- <?page no="110"?> 110 schiedenen Karrierestufen) als Datengrundlage für das disziplinspezifische Korpus zu erheben. 50 Somit besteht das disziplinspezifische Korpus der Untersuchung aus insgesamt 24 Interviews. Die 12 Interviews, die nicht in das disziplinspezifische Korpus übernommen wurden, werden teilweise ebenfalls in die Auswertung einbezogen. 51 Sie spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle als fachlich weiter gestreute ‚Vergleichsinstanz‘, vor deren Hintergrund man disziplinspezifische Ergebnisse besser verorten kann. Die untenstehende Tabelle zeigt die Verteilung des disziplinspezifischen Korpus hinsichtlich der Fächer und Karrierestufen der Teilnehmer: Doktoranden Postdoktoranden Professoren Interviews pro Fach Biologie 2 2 2 6 Maschinenbau 2 2 2 6 Germanistische Linguistik 2 2 2 6 Geschichte 2 2 2 6 Interviews im disziplinspezifischen Korpus insgesamt 24 Tabelle 3: Anzahl und Verteilung der Interviews im disziplinspezifischen Korpus (n=24) Eine anonyme Auflistung aller 36 interviewten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aus der unter anderem die Fachzugehörigkeit hervorgeht, findet sich im Anhang der Arbeit (siehe Anhang A). Im Folgenden werden die Auswahlkriterien Karrierestufe und Fachkultur weiter elaboriert. 3.4.2.1 Karrierestufe Ausschlaggebend dafür, dass Interviews mit Wissenschaftlern verschiedener Karrierestufen geführt wurden, war unter anderem der variierende Grad, mit dem die einzelnen Interviewten im Zentrum ihrer scientific community ‚angekommen‘ waren. Die Befragung von Diskursteilnehmern verschiedener Karrierestufen verleiht der Untersuchung eine Sozialisationsperspektive, die sprachliche und identitäre Prozesse miteinschließt. Geht man davon aus, dass erfolgreiche Mitglieder einer Gemeinschaft die vorherrschenden Diskursregeln bzw. Praktiken verinnerlicht haben und sie gegenüber dem Nachwuchs vertreten, so ist die Frage, wie und in welchen Schritten dies ge- 50 In drei der ausgewählten Fächer lag bereits jeweils ein Interview vor, im Fach Maschinenbau sogar zwei, sodass im Zuge der Hauptstudie insgesamt 19 weitere Interviews erhoben wurden, um die bereits vorhandenen Interviews zu komplettieren. 51 Für die Kapitel 4.2, 5.1 und 6 wurden alle Wissenschaftlerinterviews zugrundegelegt (n=36). Die empirische Datengrundlage der Kapitel 4.1 und 5.2 basiert dagegen ausschließlich auf dem disziplinspezifischen Korpus (n=24). <?page no="111"?> 111 schieht, von Interesse für die vorliegende Studie (siehe Kap. 6.2). Derartige Einsichten tragen unter anderem zu einem besseren Verständnis von (sprachlichen) Sozialisationsprozessen innerhalb wissenschaftlicher Disziplinen bei, wie z.B. den Beziehungen zwischen wissenschaftlichen Novizen und erfahrenen Mitgliedern. Zudem kann unter Bezugnahme auf das Konzept der legitimen peripheren Partizipation (siehe hierzu Kap. 2.3.5.2) festgestellt werden, dass sich die Rolle des Englischen oder Deutschen als Wissenschaftssprachen in den einzelnen Gemeinschaften besser vor dem Hintergrund der Sozialisation neuer Gemeinschaftsmitglieder verstehen lässt. Es wird davon ausgegangen, dass sich in der Sozialisationspraxis der jeweiligen Wissenschaften Zusammenhänge zwischen gängiger Praxis, diskursiven Anforderungen und Identitäten der Mitglieder zeigen. Herrscht in der Biologie etwa eine dezidierte Arbeitsteilung hinsichtlich der Datenbereitstellung im Labor und der Verschriftlichung vor (verantwortungsvollere Schreibaufgaben werden erst bereits etablierteren Mitgliedern der Gemeinschaft überantwortet), ist das von Professoren begleitete Verfassen und Publizieren von Doktoranden in sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern gängige Sozialisationspraxis. Verantwortlich hierfür könnten unter anderem der höhere Stellenwert von Laborarbeit in der Biologie sein sowie die Tendenz, Artikel in großen Gruppen zu verfassen. An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass sich über eine Betrachtung der Sozialisationspraktiken einzelner Wissenschaftlergruppen wertvolle Einsichten in deren Funktionsweise ergeben, welche wiederum in enger Verbindung mit den sprachlichen Anforderungen und der wissenschaftlichen Identität einer Gemeinschaft stehen. Die folgenden Karrierestufen wurden unterschieden: - Doktoranden machen erste Publikationserfahrungen teilweise erst gegen Ende ihrer Promotion und sind besonders von Interesse im Hinblick auf typische Probleme wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens von Novizen sowie hinsichtlich Fragen der Wissenschaftssozialisation. Ist wissenschaftliches Schreiben und Publizieren auf Englisch für Nachwuchswissenschaftler besonders schwierig oder sind sie, wie häufig implizit vermutet wird, mit einem ‚Jugendbonus‘ im Umgang mit der englischen Sprache ausgestattet? Immer häufiger absolvierte Auslandsaufenthalte während des Studiums sowie die zunehmende Englischpräsenz im Alltag deuten zumindest in diese Richtung. Weiterhin stellen Nachwuchswissenschaftler eine Art ‚Trendbarometer‘ dar, denn sie repräsentieren eine zukünftige Generation von promovierten Forschern und Professoren. Ihre Einstellungen und Sichtweisen hinsichtlich der Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch könnten somit zu einem späteren Zeitpunkt ihrer wissenschaftlichen Laufbahn die nächste Generation Nachwuchswissenschaftler beeinflussen. - Die als postdocs oder Postdoktoranden bezeichnete Gruppe umfasst Wissenschaftler, die die Promotion abgeschlossen haben, aber keine Professur innehaben. Es wird davon ausgegangen, dass Wissenschaftler dieser Gruppe den meisten direkten Forschungsbzw. ‚Textkontakt‘ haben, also <?page no="112"?> 112 inhaltlich sowie sprachlich am intensivsten an Forschungspublikationen mitarbeiten. Außerdem wird erwartet, dass englischsprachige Veröffentlichungen einen besonders hohen Stellenwert für die wissenschaftliche Karriere dieser Gruppe haben. Daher könnte der Druck, auf Englisch zu publizieren, hier am stärksten ausgeprägt sein. - Die Gruppe der Professoren befindet sich auf der höchsten wissenschaftlichen Karrierestufe. Es ist daher anzunehmen, dass sie beispielsweise in den Naturwissenschaften weniger im Labor arbeiten, dafür aber wissenschaftliche und publikationsbezogene Standards für ihre Arbeitsgruppe bzw. ihr Institut festlegen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass sie wissenschaftsstrategische Funktionen übernehmen und in der Nachwuchsausbildung aktiv sind. Sie sind somit im Hinblick auf publikationsbezogene Sprachenpolitik und Nachwuchsausbildung sowohl Wissensals auch Machtträger. Unterschiede zwischen den drei beschriebenen Karrierestufen werden nicht bei allen hier behandelten Forschungsfragen dezidiert berücksichtigt, sondern werden nur dann expliziert, wenn sie etwas zur theoretischen oder empirischen Erkenntnis der Auswertung beitragen können. 3.4.2.2 Fachkultur Der Begriff der Fachkultur stellt ein theoretisches Konzept für die Beschreibung und Analyse wissenschaftlicher und sprachlicher Praxis dar. In einem weiter gefassten Verständnis kann Kultur zunächst wie folgt definiert werden: „It embodies the traditional and social heritage of a people; their customs and practices; their transmitted knowledge, beliefs, law and morals; their linguistic and symbolic forms of communication and the meanings they share“ (Becher 1994: 152). Überträgt man dieses zunächst allgemein gehaltene Verständnis auf einen wissenschaftlichen Kontext, bedeutet dies, dass z.B. erkenntnistheoretische Positionen, Fach- und Sprachideologien 52 , aber auch die Daten, die über bestimmte Methoden produziert werden können, deutlich zwischen Fachkulturen variieren. Zudem ist die in verschiedenen Fachkulturen verwendete Fachsprache eng mit deren Praxis und Selbstverständnis verbunden: „[L]anguage is intimately related to the different epistemological frameworks of the disciplines and inseparable from how they understand the world“ (Hyland 2013: 59). Fachkultur geht über Begriffe wie Fach oder Disziplin hinaus 53 , indem sie eine soziologisch-kommunikative Dimension berücksichtigt, die sich durch das Zusammenkommen von Wissenschaftlern in Praxis- und Diskursgemeinschaften ergibt. Eine Fachkultur beschreibt somit die in Wissenschaftlergemeinschaften verbreiteten Einstellungen und Überzeugungen, (Fach-)Ideologien sowie alltägliche Wis- 52 Ideologie soll hier wertfrei im Sinne fach- und sprachbezogener Einstellungen und Narrationen verstanden werden (siehe Kap. 5.2.1 zur Ideologieforschung). 53 Zu definitorischen Problemen der Begriffe Fach und Disziplin siehe Multrus (2004). <?page no="113"?> 113 senschafts-, Schreib- und Sozialisationspraktiken. Nichtsdestotrotz impliziert das Konzept der Fachkultur nicht notwendigerweise Uniformität oder Homogenität. Um die Gefahr einer Übergeneralisierung zu vermeiden, müssen Heterogenität und Individualität innerhalb einer Gruppe berücksichtigt werden (vgl. Prior 2003). Beispielsweise unterscheidet sich die verwendete Fachsprache und Methodik häufig auch innerhalb der Natur- oder Geisteswissenschaften, da sich immer weitere fachliche Spezialisierungen ausbilden, die wiederum eigene Sozialisationsmechanismen entwickeln (wie z.B. spezielle Studiengänge, Fachzeitschriften, Methoden etc.). Dennoch lassen sich in den hier untersuchten Fachkulturen durchaus disziplinäre Trends und Tendenzen feststellen. In der vorliegenden Arbeit wurden insbesondere die Fächer Biologie, Maschinenbau, Germanistische Linguistik und Geschichtswissenschaft untersucht. Da es eine der Aufgaben der Untersuchung ist, fachspezifische und fachübergreifende Eigenschaften hinsichtlich des Umgangs mit der englischen Sprache herauszuarbeiten, sollen die untersuchten Fächer zunächst beschrieben werden (siehe Kap. 2.3.7 für mögliche disziplinäre Unterscheidungsfaktoren). Eine grundlegende Schwierigkeit ist dabei, wie oben angemerkt, dass selbst Fächer, die auf den ersten Blick relativ homogen erscheinen, prinzipiell mehrere Fachkulturen beinhalten: „If, for example, one adopts the distinction between cumulative nomothetic disciplines like most natural sciences and interpretive ideographic ones like literary criticism, one will identify a division which divides disciplines like philosophy and sociology down the middle“ (Shaw 2008: 6). Vor diesem Hintergrund wird in den folgenden Ausführungen eine Beschreibung der untersuchten Fachkulturen durchgeführt und dabei auf Notionen wie fachliche Homogenität bzw. Heterogenität der Befragten sowie ihre Positionierung innerhalb einer Disziplin eingegangen. Eine erste Möglichkeit, die untersuchten Fächer zu verorten, ist der Grad der Anglophonie, gemessen an den auf Englisch rezipierten und publizierten wissenschaftlichen Beiträgen der Befragten: 54 Anteil englischsprachiger Literatur in den vier untersuchten Fächern des disziplinspezifischen Korpus Disziplin Rezeption Publikation Interview Anteil ø Interview Anteil ø Biologie 2 100% 99,8% 2 100% 100% 18 100% 18 100% 19 100% 19 100% 20 100% 20 100% 21 99% 21 100% 35 100% 35 100% 54 Zu beachten ist, dass es sich bei den Angaben um Selbstauskünfte handelt. <?page no="114"?> 114 Maschinenbau 5 80% 90% 5 80% 90% 14 90% 14 100% 23 80% 23 70% 24 100% 24 100% 25 100% 25 100% 36 90% 36 90% Germanistische Linguistik 3 50% 81% 3 50% 74,7% 27 90% 27 80% 31 95% 31 100% 32 90% 32 85% 33 95% 33 33% 34 66% 34 100% Geschichte 55 16 - 69,2% 16 - 34,5% 22 50% 22 20% 26 66% 26 - 28 70% 28 35% 29 70% 29 50% 30 90% 30 33% Tabelle 4: Anteil gelesener und verfasster englischsprachiger Literatur, Einzelinterviews und Fach Hinsichtlich des Grades der Anglophonie (vgl. Skudlik 1990: 213) kann festgestellt werden, dass die befragten Biologen angeben, ausschließlich englische Literatur zu lesen und schreiben. Die Maschinenbauer können mit je 90% englischsprachiger Fachliteratur ebenfalls als stark anglophon charakterisiert werden, obwohl es hier noch deutschsprachige Nischen zu geben scheint. Im Gesamtüberblick unerwartet hoch erscheinen die Werte für die Germanistischen Linguisten. Allerdings lassen sich hier innerhalb der untersuchten Gruppe relativ große Unterschiede ausmachen, auf die weiter unten eingegangen wird. Die Geschichtswissenschaft weist unter den untersuchten Fächern den geringsten Anglophoniegrad auf, wobei hier relativ große Unterschiede zwischen den Durchschnittswerten zu Rezeption (69,2%) und Publikation (34,5%) englischsprachiger Werke liegen. Diese Daten können mit Ergebnissen einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Auftrag gegebenen Studie (DFG 2005) verglichen werden, die das Rezeptions- und Publikationsverhalten über 1000 DFGgeförderter Wissenschaftler aus Deutschland mithilfe von Fragebögen untersuchte. Hinsichtlich der verwendeten Sprachen bei der Lektüre und Publikation wissenschaftlicher Beiträge ergab sich folgendes Bild: 55 In den Interviews mit den Geschichtswissenschaftlern hat eine Interviewte keine quantifizierbare Angabe zu gelesener und veröffentlichter Literatur auf Englisch gemacht (G16PD). Eine weiterer Interviewter hat keine Angabe zum Anteil englischer Werke an der veröffentlichen Literatur gemacht (G26D). Die Datenbasis ist somit für die Geschichte eingeschränkt. <?page no="115"?> 115 Fachkultur Rezeption auf Englisch Publikation auf Englisch Naturwissenschaften 88,9% 91,9% Ingenieurwissenschaften 79,6% 78,0% Geisteswissenschaften 48,5% 36,1% Tabelle 5: Prozentualer Anteil rezipierter und veröffentlichter englischsprachiger Publikationen (nach DFG 2005: 30f.) Für die Natur- (Vergleichsfach im Korpus: Biologie) und Ingenieurwissenschaften (Vergleichsfach: Maschinenbau) liegen die in der DFG-Studie festgestellten Werte ca. 10% niedriger als in der vorliegenden Studie. Es liegt nahe, dass diese Abweichungen dadurch zustande kommen, dass es sich bei den DFG-Ergebnissen um aggregierte Daten handelt, also beispielsweise weniger anglophile Disziplinen innerhalb der Natur- und Ingenieurwissenschaften ebenfalls Berücksichtigung finden. 56 Für die Geisteswissenschaften (Vergleichsfächer: Germanistische Linguistik und Geschichte) wird dies ebenfalls deutlich. Die Autoren der Studie weisen selbst darauf hin, dass eine große Streubreite innerhalb der Geisteswissenschaften existiert, da dort relativ anglophone Fächer wie Psychologie und Wirtschaftswissenschaften ebenfalls verzeichnet sind. Für die Geschichtswissenschaft decken sich die von den Interviewten gemachten Aussagen hinsichtlich der Publikation englischsprachiger Werke mit denen der DFG-Studie, die Befragten der vorliegenden Studie rezipieren aber deutlich mehr englischsprachige Literatur. Die Germanistische Linguistik weicht stark von den ermittelten Werten der DFG ab, sodass diese Diskrepanz einer Erklärung bedarf (siehe unten). Unterschiede zwischen Natur-, Geistes- und Ingenieurwissenschaften existieren nicht nur hinsichtlich der Rezeptions- und Veröffentlichungssprachen, sondern auch hinsichtlich generischer Präferenzen. Zwar rezipieren alle Fächergruppen häufig Aufsätze in Zeitschriften, es gibt jedoch auch disziplinspezifische Präferenzen: Naturwissenschaftler lesen überdurchschnittlich häufig Forschungsartikel, Ingenieurwissenschaftler Konferenzbände (proceedings), in den Geisteswissenschaften werden Beiträge in Sammelbänden bzw. Monographien rezipiert (vgl. DFG 2005: 22; Hicks 2004). Ähnlich verhält es sich für die Publikationsmuster: Alle Gruppen publizieren einen großen Teil ihrer Arbeiten in Fachzeitschriften, wenn auch hinsichtlich der Anzahl publizierter Artikel deutliche Fachunterschiede existieren. Die oben erwähnten disziplinspezifischen Rezeptionsstrategien gelten jedoch auch größtenteils für die Publikation (vgl. DFG 2005: 24f.). Neben einer Einteilung der untersuchten Fächer hinsichtlich ihrer Publikationsmus- 56 Weiterhin wurden für die vorliegende Arbeit nur Wissenschaftler interviewt, die mindestens eine englischsprachige Veröffentlichung vorliegen hatten, was nicht für die DFG-Studie galt. <?page no="116"?> 116 ter ist es für die Untersuchung von Vorteil, die untersuchten Fächer in fachkultureller Hinsicht genauer zu beschreiben 57 : Das Fach Biologie kann nicht notwendigerweise als eine homogene fachliche Gruppe beschrieben werden. Gründe dafür liegen unter anderem in den verschiedenen Arbeitsweisen von Fachrichtungen wie Botanik und Molekularbiologie (vgl. Shaw 2008: 6). Faktoren wie Interdisziplinarität und Orientierung hin zu Grundlagenforschung oder Anwendung können ebenfalls ein Rolle spielen, wie Samraj (2002: 14) an den Unterschieden zweier Teildisziplinen der Biologie erklärt: „Conservation Biology is an applied field, whereas Wildlife Behavior is a theoretical field, the former is interdisciplinary, while the latter is disciplinary, and, finally, the former is a relatively young field while the latter is a field with historical depth“ (vgl. auch Samraj/ Swales 2000). In einer ethnographischen Studie hat Knorr-Cetina (1988) unter anderem Molekularbiologen in Laboratorien begleitet und folgende Eigenschaften festgestellt: Typisch für die Arbeitsumgebung sei das „Arbeitsbanklabor“, das räumlich sehr offen und durch Gruppenstrukturen charakterisiert ist, von einer „Präsenz aller für alle in der räumlichen Einheit des Labors sowie der damit in Verbindung stehenden Gesprächskultur“ (a.a.O.: 89). Eine Besonderheit ist die häufige Abwesenheit des Leiters, der nur selten praktische Tätigkeiten im Labor erledigt: „Er/ Sie ist nicht nur Bindeglied zur ‚scientific community‘, sondern Teil derselben und vertritt diese im Labor“ (a.a.O.: 89). Dieser Umstand wurde ebenfalls in den beiden Interviews mit Biologieprofessoren deutlich und unterstreicht, dass eine Differenzierung der Interviewten nach Karrierestufe dazu beiträgt, intradisziplinäre Unterschiede zu berücksichtigen. Eine weitere Besonderheit scheint eine gewisse Konkurrenz zwischen einzelnen Laboren zu sein (vgl. a.a.O.: 89), wie auch in einigen Interviews im Kontext des peer review geäußert wurde. Biologielaboratorien sind nach Knorr-Cetina (1998: 94) durch Mündlichkeit charakterisiert, was zur (Arbeits-)Gruppenbildung beiträgt. Betont wird somit das Lokale und Mündliche; Faktoren, die besonders in der Konzeption der Praxisgemeinschaft Berücksichtigung finden (vgl. Lave/ Wenger 1991). Im Labor durch Apparatschaften erzeugte Daten werden nach Knorr-Cetina (1988: 94) unter anderem über die Mittel der wissenschaftlichen Alltagssprache („Gesprächsmaschinerie“) interpretiert und zu wissenschaftlichen Erkenntnissen verdichtet: „Mündlichkeit wird im Arbeitsbanklabor zum technischen Instrument gesteigert: in Form von shop talk, von technischen Gesprächen, ist sie Instrument der Erzeugung von Wissen aus dem Händisch- 57 Die Datenlage zu den einzelnen Fächern ist sehr unterschiedlich. Während für die Biologie zahlreiche Studien vorlagen (z.B. Myers 1990, Swales 1998), war z.B. für die Geschichtswissenschaft nur wenig einschlägige, ‚fachcharakterisierende‘ Literatur auffindbar. <?page no="117"?> 117 en und Apparativen des Labors.“ 58 Die für die Interviews ausgewählten Biologen arbeiteten, bis auf die beiden Professoren (B18P, B19P), alle in Laboratorien und sind demnach als experimentell arbeitende Biologen zu charakterisieren. Sie bilden somit fachlich gesehen eine relativ homogene Gruppe von Wissenschaftlern, können allerdings nicht als repräsentativ für das Fach Biologie insgesamt gesehen werden. Drei Befragte aus der Biologie wurden am selben Lehrstuhl interviewt (ein Professor, zwei Doktoranden) und stehen in einer Hierarchiebeziehung. Hier kann zusätzlich von einer Ausbildungsbeziehung und Überlappungen bei den Forschungsthemen ausgegangen werden. Das Fach Maschinenbau zeichnet sich durch eine starke Anbindung an die Industrie und Wirtschaft aus, wie auch in einigen Interviews von den Befragten erwähnt wurde. Auf sprachlicher Ebene stellt Hyland (2013: 62) fest, dass wissenschaftliches Vokabular auch im selben Register innerhalb der Ingenieurwissenschaften relativ stark variieren kann und selbst bei der Verwendung gleicher Wörter bildeten diese häufig andere Kollokationen. Dies spricht für relativ separate Diskurse innerhalb des umfassenderen Feldes der Ingenieurwissenschaften und auch innerhalb der verschiedenen Fachströmungen des Maschinenbaus. Trotz der Zugehörigkeit der Interviewten zur Disziplin Maschinenbau ist also davon auszugehen, dass unter den Befragten eine gewisse Streubreite hinsichtlich Forschungsgebiet, verwendeter Methodik und Industrieanbindung besteht. Die ausgewählten Forscher sind sich demnach nicht in allen Fällen besonders ähnlich. Drei Interviews wurden jedoch am selben Lehrstuhl durchgeführt; die drei Befragten (Professor, Postdoktorand, Doktorand) standen in beruflichem Kontakt und einer Hierarchie zueinander, sodass hier von hoher fachlicher und thematischer Homogenität ausgegangen werden kann. Die Germanistische Linguistik ist nicht problemlos als Geisteswissenschaft zu klassifizieren, wie Fløttum et al. (2008: 18) in textlinguistischen Untersuchungen feststellten: „Linguistics in particular is difficult to place. It shares features with all three branches of science“, womit die Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften gemeint sind. Ähnlich äußert sich Shaw (2008: 6), der betont, dass Bereiche wie Soziolinguistik, Transformationsgrammatik und Zweitsprachenerwerb sich hinsichtlich ihrer Text- und Diskursstruktur deutlich unterscheiden. Schlür (2014: 7, 9) stellte in einer Untersuchung von Linguisten mit anglistischer, germanistischer und romanistischer Arbeits- 58 Die Gesprächsprotokolle informeller Laborkommunikation ‚zwischen Tür und Angel‘ in Knorr-Cetina (1988: 95f.) verdeutlichten die große Bedeutung alltäglicher Wissenschaftssprache für die Erkenntnisfabrikation in Laboratorien. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Untersuchung lohnend, wie derartige Kommunikation beispielsweise unter Nichtmuttersprachlern bewerkstelligt wird, die möglicherweise in geringerem Maße auf die Elemente der deutschen oder englischen Alltagssprache zurückgreifen können bzw. wie diese Form der Kommunikation unter Bedingungen wissenschaftlicher Zwei- und Mehrsprachigkeit hergestellt wird. <?page no="118"?> 118 schwerpunkten fest, dass besonders Forscher mit didaktischer und angewandter Ausrichtung weniger häufig auf Englisch publizierten als Linguisten mit experimenteller oder struktureller Ausrichtung. Die fünf Germanistischen Linguisten in Schlürs (2014: 6) Studie publizierten im Schnitt weniger häufig auf Englisch als die hier Interviewten (nur zu ca. 17% verglichen mit 74,6% in der vorliegenden Arbeit), ein Befragter zudem ausschließlich auf Deutsch. Die Unterschiede im Publikationsverhalten können somit zumindest teilweise auf die Samplingstrategie zurückgeführt werden, da in der vorliegenden Studie nur Wissenschaftler berücksichtigt wurden, die bereits mindestens eine Publikation auf Englisch angefertigt hatten. Das Teilkorpus der Germanistischen Linguistik war von allen untersuchten Fächern das heterogenste. Neben den Auswahlkriterien kann dies anhand der Vielfalt der Forschungsgegenstände und methodischen Ausrichtungen erklärt werden. So definierten die Befragten sich trotz ihrer offiziellen Verortung in Germanistikinstituten teilweise ebenfalls als Allgemeine Linguisten, Kognitionswissenschaftler und Psycholinguisten. Ungeachtet aller methodischen Heterogenität sind die Befragten im Bereich der Germanistik angesiedelt und, wie sich in der Auswertung herausstellt (siehe Kap. 5.2.2.2), hat diese institutionelle Verortung einen Einfluss auf die Wahl ihrer Veröffentlichungs- und Lehrsprachen. Diese Vielfalt an Fachkulturen unter dem ‚Schirm‘ der Germanistischen Linguistik würde auch die relativ anglophone Ausrichtung in den Rezeptions- und vor allem Publikationspraktiken der Befragten erklären. Die hohe innerfachliche Heterogenität der Teilnehmer hat allerdings den Vorteil, dass mit den sechs Befragten ein breites Spektrum dessen abgedeckt wird, was in das erweiterte Fachgebiet Germanistische Linguistik hineinfällt. In der Germanistischen Linguistik wurden ebenfalls drei Personen (Professor, Postdoktorand, Doktorand) desselben Lehrstuhls interviewt. Die Interviewten aus der Geschichtswissenschaft sahen sich als relativ international ausgerichtete Vertreter ihres Faches an, die regelmäßig auf Englisch publizieren, obwohl dies in ihrem Fach durchaus nicht der Regelfall sei (siehe Kap. 5.2.2.1, Item Internationalität des Themas). Die interne Homogenität der ausgewählten Gruppe kann als groß gelten, die Befragten arbeiten z.B. alle an international ausgerichteten Themen oder Themen, in denen englischsprachige Quellen und Rezeption im Ausland von Bedeutung sind. Dies bedeutet jedoch auch, dass die ausgewählten Befragten nicht repräsentativ für das Fach Geschichtswissenschaft insgesamt sein können. Eine Auswahl von Befragten, die eher zu national relevanten Geschichtsthemen arbeiten, hätte jedoch möglicherweise mit der Auflage konfligiert, zumindest eine englischsprachige Publikation veröffentlicht zu haben. Bondi (2008: 68, 84) charakterisiert die Geschichtswissenschaft als überwiegend auf die Untersuchung von Dokumenten ausgerichtet, aber der differenzierte Einbezug von Expertenstimmen („expert voices“) und sprachlicher Repräsentationen von zeitlichen Abläufen führt zu verschiedenen Stimmen und Rollen der Autoren in geschichtswissenschaftlichen Beiträgen. Diese rheto- <?page no="119"?> 119 risch anspruchsvolle ‚Mehrstimmigkeit‘ in (englischen) Geschichtstexten deutet darauf hin, dass hohe sprachliche Anforderungen an ihre Veröffentlichung bestehen. In der Geschichtswissenschaft stammen ebenfalls drei der Befragten (Professor, Postdoktorand, Doktorand) von einem Lehrstuhl, sodass auch hier eine gewisse thematische Homogenität unterstellt werden kann. Im nächsten Abschnitt werden die erhebungspraktischen Schritte der Kontaktherstellung sowie Vorbereitung auf die Durchführung der Interviews besprochen. 3.4.3 Kontaktaufnahme und Durchführung Eine Vorauswahl infrage kommender Wissenschaftler kam vor allem durch Internetrecherchen auf Institutsseiten und über berufliche Kontakte zustande. Trautmann (2012: 222f.) beschreibt zwei Möglichkeiten, Zugang zu Interviewpersonen in Organisationen zu erhalten: In erster Linie gelänge dies über Personen, die sich in einer Schlüsselposition in der untersuchten Organisation befinden. Hier ist die Schlüsselrolle des Projektleiters Herrn Prof. Gnutzmann hervorzuheben, der aufgrund seines Status als Professor und über ein ausgebautes berufliches Netzwerk viele ansonsten verschlossene Türen öffnen konnte. Besonders im Rahmen der anschließenden Haupterhebung wurde nach dem zweiten Prinzip vorgegangen, dem Schneeballverfahren (vgl. a.a.O.): Hier konnten bereits existierende Kommunikationswege genutzt werden, um weitere Personen für die Interviews zu gewinnen. Dies zeigt sich vor allem daran, dass in der Hauptstudie die Möglichkeit konsequent genutzt wurde, mehrere Wissenschaftler an einer Institution zu interviewen. Nachdem eine zufriedenstellende Anzahl potenzieller Teilnehmer erreicht war, wurde gemeinsam mit dem Leiter des PEPG-Projektes ein Anschreiben entworfen und per E-Mail an die Wissenschaftler versandt (siehe Anhang C). Darin wurde das Untersuchungsziel („mehr über den Zusammenhang von Wissenschaftssprachen, Publikationen und internationaler Forschung herauszufinden“) grob umrissen, der geplante Einsatz der Interviewmethode sowie das weitere Vorgehen dargelegt. Darüber hinaus wurde angekündigt, in den nächsten Tagen telefonisch Kontakt mit den Wissenschaftlern aufzunehmen. In diesem anschließenden Telefongespräch wurde bei Bereitschaft der Wissenschaftler, an der Befragung teilzunehmen, der Interviewtermin und -ort abgesprochen und explizit Einverständnis dafür eingeholt, das Interview elektronisch aufzuzeichnen. Diese Zustimmung wurde erneut direkt vor der Aufzeichnung des Interviews eingeholt und dann zur Dokumentation aufgenommen. Unter forschungsethischen Gesichtspunkten wurde ebenfalls eine Anonymisierung der Interviewtranskripte zugesichert. Schritte, die nach Trautmann (2012: 223f.) zu wichtigen forschungsethischen Maßnahmen zählen, wurden eingehalten: So wurde von den Befragten eine informierte Zustim- <?page no="120"?> 120 mung (informed consent) eingeholt. Bereits im Anschreiben wurden die Befragten über den Zweck der Forschung und den befragten Personenkreis aufgeklärt. Vertraulichkeit, Nichtweitergabe der Aufzeichnungen und Anonymisierung bei Veröffentlichung wurden gewährleistet. Abschließend wurde den Teilnehmern angeboten, offene Fragen zur Untersuchung zu klären. Sämtliche Interviews der Pilot- und Hauptstudie (n=36) wurden in den Arbeitsräumen der Befragten vom Verfasser der vorliegenden Studie durchgeführt und mit einem digitalen Audiorekorder aufgezeichnet. 3.4.4 Informationen zu den Befragten und zum Datensatz Die Übersicht in Tabelle 25 (in Anhang A) gibt Auskunft über einige Rahmendaten der 36 interviewten Wissenschaftler. Die Spalte Fachzugehörigkeit gibt eine grobe fachliche Verortung der Befragten an; aus Gründen der Wahrung von Anonymität wurden jedoch keine präzisen Fachbezeichnungen angegeben. Interviewte, die sich im disziplinspezifischen Korpus befinden, sind fett hervorgehoben. Neben dem Geschlecht der Befragten und der laufenden Nummerierung der Interviews wird in der Übersicht auch die Karrierestufe der Befragten (Professor, Postdoktorand, Doktorand) und die jeweilige Interviewdauer angegeben. Die horizontale Trennlinie zwischen Interviews 17 und 18 stellt die Grenze zwischen Pilot- und Hauptstudie dar. Das jeweilige Interviewkürzel, das bei Zitaten der Übersichtlichkeit halber eingesetzt wird, setzt sich für Interviews im fachspezifischen Korpus aus folgenden Teilen zusammen: - Fachalias o B für Biologie o M für Maschinenbau o L für Germanistische Linguistik o G für Geschichte - Laufende Interviewnummer o Zahlen 1-36 - und Karrierestufe o P für Professor o PD für Postdoktorand o D für Doktorand So verweist das Kürzel „B2PD“ auf einen Postdoktoranden aus der Biologie mit der laufenden Interviewnummer 2. Die Interviewnummer hat hierbei lediglich die Funktion, eine eindeutige Zuordnung zu ermöglichen. Für Interviews, die im Rahmen der Pilotstudie erhoben wurden, wird die laufende Interviewnummer gefolgt von der Karrierestufe und der Angabe der (wenn möglich gekürzten) Fachzugehörigkeit angegeben. Beispielsweise verweist das Kürzel „6PD BWL“ auf einen Postdoktoranden aus der Betriebswirtschaftslehre. <?page no="121"?> 121 Um einen ersten Eindruck über den Umfang und die Beschaffenheit der erhobenen Datenmenge geben zu können, wurde die Interviewdauer der Interviews der Pilot- und Hauptstudie addiert. Diese Meta-Informationen sind vor allem als Bestandsaufnahme der erhobenen und ausgewerteten Daten zu sehen. Datensatz Interviewdauer in Stunden Pilotstudie (17 Interviews) 10,8 Stunden Hauptstudie (19 Interviews) 17,9 Stunden Gesamt (36 Interviews) 28,7 Stunden 59 Tabelle 6: Interviewdauer in Pilot- und Hauptstudie Im folgenden Abschnitt wird nun, nach erfolgter methodischer Reflexion des Erhebungsinstrumentes sowie der Vorbereitung und Durchführung der Interviews, auf Aspekte der Datenauswertung eingegangen. 3.5 Auswertung der Daten Die Analyse der Interviews kann nicht als linearer Prozess verstanden werden, sondern ist als ‚zirkulär‘ zu charakterisieren. Das heißt, dass Ergebnisse, die in einem Auswertungsschritt gewonnen wurden, jederzeit wieder hinterfragt, neu interpretiert oder verworfen we r den können. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn neue Erkenntnisse durch komplementäre Auswertungsansätze entstehen. Aus diesem Grund werden verschiedene, im Rahmen der Studie verwendete Auswertungsmethoden vorgestellt sowie ihre Vor- und Nachteile hinsichtlich der durch sie etablierten Perspektiven auf die Interviewdaten diskutiert. Die im Folgenden beschriebene Verschriftlichung der Interview-Audiodateien stellt dabei bereits einen ersten Auswertungsschritt dar, da die verwendeten Transkriptionsregeln die ursprünglich in gesprochener Sprache vorliegenden Daten in ihrer Komplexität reduzieren, filtern und in ein schriftliches Produkt transformieren (vgl. Deppermann 2013). 3.5.1 Transkription der Aufzeichnungen An die Durchführung der Interviews schließt sich die Transkription der Tonaufzeichnungen an. Hierzu wurde auf ein eigenes Transkriptionssystem 59 Nach Berechnungen mithilfe des Konkordanzprogramms Antconc besteht das gesamte Interviewkorpus (n=36) aus 286.217 Wörtern. Die durschnittliche Interviewdauer beträgt ca. 48 Minuten. Das kürzeste Interview dauerte ca. 26 Minuten, das längste ca. 1 Stunde und 26 Minuten. <?page no="122"?> 122 zurückgegriffen, das weitgehend der deutschen Standardorthographie entspricht, jedoch zusätzlich einige verbale (z.B. Überlappungen) sowie paraverbale Merkmale (z.B. Häsitationen) und Pausen berücksichtigt, die für mündliche Gesprächssituationen typisch sind (siehe untenstehende Tabelle). Diese Zusätze zur Standardorthographie sind wichtig, da das Interviewtranskript nicht als monologischer oder autonomer Text zu verstehen ist, sondern als Abbild einer mündlichen Interaktionssituation, in der „Formulierungsprozess und Formulierungsweise“ die Bedeutung der Interviewsequenz mitprägen (Deppermann 2013: 12). Zeichen Erklärung … kurze Pause (bis ca. 1 Sekunde) (4) Pausendauer in Sekunden (> 1 Sekunde) I: [Hallo! ] B: [Guten] Tag! überlappend gesprochen ( ) unverständlich (solala) vermuteter Wortlaut {Anonymisierung} anonymisierte Textstellen, die eine Identifizierung des Sprechers ermöglichen könnten ((lachend)) nichtsprachliche Handlungen und Begleiterscheinungen des Sprechens, z.B. ((öffnet Fenster)), ((lacht)) LAUT durchgehende Großschreibung bedeutet, dass das Wort mit hoher Lautstärke ausgesprochen wurde Si: cher Ein Doppelpunkt innerhalb eines Wortes zeigt eine deutlich hörbare Dehnung des Vokals vor dem Zeichen an Tabelle 7: Im Transkriptionssystem verwendete Annotation Die Transkription der Interviews wurde computergestützt mithilfe des Programms „f4“ 60 vorgenommen. Um Tipp- oder Hörfehler zu verhindern, die letztlich die Qualität der Datenbasis verschlechtern könnten, wurden sämtliche Transkripte nach Abschluss der Verschriftlichung von jeweils zwei Personen durchgesehen und abschließend zusätzlich von mir überprüft. 61 Im Sinne der Forschungsethik werden in dieser Arbeit genutzte Zitate anonymisiert, indem Textstellen, die eine Identifizierung der Befragten erlauben könnten, durch Platzhalter ersetzt bzw. ausgelassen werden. 60 F4 ist eine Software, mit der Audio- und Videodaten transkribiert werden können. http: / / www.audiotranskription.de/ f4.htm (eingesehen am 08.01.2015) 61 Hiermit möchte ich herzlich den an der Transkription und Überarbeitung beteiligten studentischen Hilfskräften - Saskia Arnecke, Anne-Kathrin Böker, Joana Koenders, Jenny Mielke, Jeanie Neumann und Eric Wünschmann - für ihre ausdauernde Mitarbeit danken. <?page no="123"?> 123 3.5.2 Vorstellung der Auswertungsverfahren Für die Auswertung der Daten wurde verstärkt auf die Ausführungen von Kluge (2000) und Kluge/ Kelle (2010) rekurriert. Ihre in der qualitativen Sozialforschung verankerte Arbeit ist auf die Bildung von Typologien ausgerichtet, die hier auch ansatzweise verfolgt wird, gibt aber insbesondere wertvolle Hinweise auf notwendige Arbeitsschritte zur Sichtbarmachung von Regelmäßigkeiten und Widersprüchen im Datenmaterial. Ermöglicht werden derartige Einsichten unter anderem über die Schritte der Einzelfallanalyse, der empirisch begründeten Kategorienbildung und der fallvergleichenden Kontrastierung (siehe Abbildung 6 unten). Auf das Erkenntnisinteresse der Arbeit zugeschnittene Adaptionen dieser Auswertungsschritte finden in der Datenaufbereitung und -auswertung Anwendung. Im Unterschied zu eher sequenzialisierenden Verfahren wie der Inhaltsanalyse nach Mayring (vgl. Riemer und Settinieri 2010: 776) zeichnet sich Kluges Stufenmodell durch eine größere methodische Offenheit aus, da variierende Forschungsinteressen und Datenbeschaffenheit hier stärker berücksichtigt werden können. Im Vordergrund steht eine flexible Handhabung der Auswertungsschritte, mit dem Ziel „die Trennung zwischen den verschiedenen Ansätzen zu überwinden“ (Kluge 2000: 14). Eine Übersicht möglicher Auswertungsschritte im Rahmen des von Kluge (a.a.O.: 13) vorgeschlagenen Stufenmodells empirischer begründeter Typenbildung wird hierunter gegeben. <?page no="124"?> 124 Abbildung 6: Auswertungsmethoden im Stufenmodell empirisch begründeter Typenbildung nach Kluge (2000: 13) Die vorgestellten Auswertungsmethoden und -techniken entsprechen somit zwar keinem festen ‚Programm‘, teilen jedoch gängige Prinzipien der sozialwissenschaftlichen Datenauswertung, deren Elemente sich in verschiedenem Umfang auch in anderen Ansätzen finden lassen. 62 Ihre Verwendung wurde unter Bezug auf die Zielstellung der Arbeit „undogmatisch für die eigenen Zwecke“ (Trautmann 2012: 226) angepasst und führte zur Anwendung von drei adaptierten Auswertungsverfahren: 62 Vergleiche hierzu z.B. das Zusammenspiel induktiver und deduktiver Kategorienentwicklung in Mayring (2000: 9-15) sowie den Einsatz vergleichender Verfahren im Zuge der Typenbildung in Bohnsack (2010: 142f.). <?page no="125"?> 125 Abbildung 7: Für die Datenanalyse verwendete Auswertungsverfahren Diese Verfahren bieten jeweils eigenständige Perspektiven auf die Interviewdaten, werden aber auch kombiniert. Im Folgenden wird auf diese Verfahren genauer eingegangen, indem ihr Anwendungsbereich sowie mögliche Erkenntnishorizonte und Einschränkungen besprochen werden. Darüber hinaus wird aus Gründen der Nachvollziehbarkeit zu jedem Auswertungsverfahren auf ein Auswertungsbeispiel verwiesen, dass aus der vorliegenden Untersuchung stammt und die Möglichkeiten und Grenzen bzw. die Komplementarität der verschiedenen Ansätze verdeutlicht. Als erste Form der Interviewauswertung wird das Wissenschaftler-Sprachportrait vorgestellt. 3.5.2.1 Wissenschaftler-Sprachportraits Der erste inhaltsanalytische Schritt in der vorliegenden Untersuchung kann als ein interviewspezifisches Auswertungsverfahren umschrieben werden. Fallbezogene Verfahren sind in der qualitativen Sozialforschung, wenn auch unter variierender Schwerpunktsetzung, weit verbreitet, da sie zumeist die „Grundlage aller Auswertungsarbeit“ (Witzel 2000: 19) darstellen. Das von Bohnsack (2010: 139-141) beschriebene Verfahren der Fallbeschreibung, in der die „Gesamtgestalt des Falles“ im Vordergrund steht, die von Kluge (2000: 13) als Einzelfallanalyse bezeichnete Methode oder die Fallanalyse Witzels (2000: 19) weisen dementsprechend Ähnlichkeiten auf. Die grundlegende Idee des Wissenschaftler-Sprachportraits im Kontext der vorliegenden Arbeit ist es, erste Interpretationsideen zu entwickeln, es soll „[...] über die jeweiligen Perspektiven, Relevanzsetzungen sowie institutionelle Rahmenbedingungen von Interviewpersonen - in unserem Fall Experten - Auskunft geben“ (Liebhold/ Trinczek 2009: 42f.). Es geht dabei um eine ‚holistische‘ Sichtweise auf den Befragten, das heißt, er oder sie wird als wissenschaftliche Gesamtperson beschrieben, weshalb zu diesem Zeitpunkt auch Ungereimtheiten und Widersprüche interessieren (vgl. a.a.O. 42). Zu Datenauswertung Fragenübergreifende Auswertung (Codieren) Wissenschaftler- Sprachportraits (Fallstudien) Fragenspezifische Auswertung (Fallübersichten ) <?page no="126"?> 126 diesem Zweck wurden auf Grundlage der 17 Interviews der Pilotstudie Wissenschaftler-Sprachportraits angefertigt, die in der Regel einen Umfang von etwa acht Textseiten haben (siehe Anhang D für ein Beispiel-Sprachportrait). Alle 17 Portraits wurden von meiner Kollegin Jenny Jakisch durchgesehen und auf Konsistenz und Verständlichkeit überprüft. Dadurch wurde unter anderem gewährleistet, dass thematisch Außenstehende der in den Sprachportraits dargelegten Darstellung folgen können. Zudem wurde so unilateralen Interpretationen entgegengewirkt und das Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit bereits in den Anfängen der Interview-Auswertung als Prüfstein etabliert. Umgesetzt werden Wissenschaftler-Sprachportraits vor allem über eine verdichtend-narrativierende Beschreibung, bei der Aussagen des Interviewten in Beziehung zueinander gesetzt werden. Eine Markierung der hervorstechendsten Fallmerkmale im Hinblick auf die Fragestellungen der Untersuchung und das Vorwissen des Auswertenden wird vor allem durch Paraphrasen von Begründungszusammenhängen sowie das Zitieren wichtig erscheinender Interviewsequenzen gewährleistet. Der relativ niedrige Seitenumfang und die Darstellung in einem Fließtext zwingen den Verfasser zu einer eher zusammenfassend beschreibenden Darstellungsweise, in der erste Interpretationen noch sprachlich vom Interviewmaterial getrennt sind. Ferner gibt die gebotene Kürze Anlass zu einer ersten Vorentscheidung hinsichtlich interessierender Themen, die für die Beantwortung der Fragestellungen der vorliegenden Arbeit relevant erscheinen. In diesem Sinne besteht eine weitere Aufgabe des Wissenschaftler-Sprachportraits in der thematischen Fokussierung und Reduzierung der Datenfülle. Besonders die Beschreibung ‚neuer‘, das heißt dem Verfasser bisher unbekannter Phänomene erlaubt eine Erweiterung des bisherigen Wissensstandes und trägt dazu bei, Vergleichsdimensionen für die anderen Auswertungsverfahren zu erarbeiten. Aber auch sprachliche Auffälligkeiten wie Häufungen bestimmter Wörter oder Satzfragmente der Befragten stechen bei Konzentration auf ein Einzelinterview hervor, wie beispielsweise die Verwendung des Wortbestandteils Stress (z.B. „Stressprozess“, „Stresssituation“) an insgesamt 9 Stellen eines Interviews, was auf eine als emotional als belastend empfundene Situation hinweisen könnte. Die Konzentration auf einzelne Befragte in der Anfangsphase der Auswertung erlaubt es somit, zunächst nach subjektiven Sinnstrukturen und individuellen Einstellungen zum Schreiben und Publizieren auf Englisch zu suchen. Die in den Wissenschaftler-Sprachportraits behandelten Themen sind darüber hinaus Ausgangspunkt für weitere Auswertungsansätze; sie bilden unter anderem eine Grundlage für das spätere Kodieren der Interviews (vgl. Kelle/ Kluge 2010: 110). Durch die intensive Auseinandersetzung mit individuellen Fällen wird es möglich, einzelne Aussagekomplexe in Form von „Kategorien“ zu bündeln. Sie „repräsentieren Themen, ähneln Überschriften, die mehr oder weniger präzise sein können und ggf. im Zuge <?page no="127"?> 127 des Auswertungsprozesses ausdifferenziert werden müssen“ (Kuckartz 2010: 86). Anschließend können sie unter Nutzung von kontrastiven Verfahren (wie der fragenübergreifenden Auswertung) mit anderen Interviews abgeglichen werden. Forschungsmethodisch wird folglich „am Einzelfall angesetzt [...], bevor zu vergleichenden bzw. allgemeinen Aussagen übergegangen wird“ (Flick 2007: 96). 3.5.2.2 Fragenspezifische Auswertung Die Erstellung von sogenannten Fallübersichten ermöglicht eine Auflistung von Antworten der Befragten zu ausgewählten Fragen im Leitfaden. 63 Die häufig gewählte tabellarische Anordnung erlaubt es, eine kompakte Übersicht über alle im Interviewkorpus vorhandenen Merkmalsausprägungen zu einer bestimmten Frage zu erhalten. Dabei geht es „um den systematischen Vergleich der inhaltlichen Passagen“ und darum, „die erhobenen Daten zu reduzieren und in einer verdichteten Geordnetheit wiederzugeben“ (Liebhold/ Trinczek 2009: 43). Oft werden Zusammenhänge erst in solchen Übersichten deutlich und Sonderfälle stechen hervor. Neben der Herstellung von inhaltlichen Zusammenhängen kann die Auszählung der Häufigkeit bestimmter Antworten der Befragten wertvolle quantitative Einsichten liefern, beispielsweise in Bezug auf die Interviewfrage, welche Hilfsmittel von den Wissenschaftlern beim Schreiben englischer Texte eingesetzt werden. So wurde beispielsweise herausgefunden, dass unter den befragten Wissenschaftlern LEO.org das am häufigsten verwendete Onlinewörterbuch ist. Tabellarische Fallübersichten sind außerdem dazu geeignet, die Daten im Interviewkorpus über Visualisierungsformen wie Diagramme abzubilden und die häufig komplexe Datenlage übersichtlich darzustellen. Die fragenspezifische Auswertung stellt bereits eine Form der Typologiebildung dar. ‚Kleine‘ (dimensionale) Typologien werden bereits dann gebildet, wenn man z.B. Interviewdaten in Bezug zu den Variablen Fachkultur und Karrierestufe setzt oder „Einzelfälle hinsichtlich relevanter Gemeinsamkeiten und Unterschiede“ gruppiert (Trautmann 2012: 228). Hierbei werden für interessierende Teilthemen die entsprechenden Passagen aus den verschiedenen Interviews systematisch inhaltlich miteinander verglichen, um jeweils Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus zu arbeiten. Diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden dann für jedes Teil-Thema typologisierend verdichtet, sodass am Ende dieses Schrittes eine Vielzahl von ‚dimensionalen Typologien‘ erstellt ist. (Liebhold/ Trinczek 2009: 44) 63 In diesem Kapitel wäre ein Beispiel für das Ergebnis einer solchen Auswertung Tabelle 4: „Wie viel der von Ihnen gelesenen und veröffentlichten wissenschaftlichen Literatur ist auf Englisch? “. Tabellarische Übersichten und Abbildungen, die auf Fallübersichten basieren, finden sich zudem an zahlreichen Stellen im empirischen Teil der Arbeit. <?page no="128"?> 128 Zu den Vorteilen der fragenspezifischen Auswertung zählt die konzise Darstellung relevanter Aussagen aller Befragten zu einem Interviewthema. Ferner können über Kreuztabellen quantitative und qualitative Auswertungen und dezidierte Vergleiche durchgeführt werden (vgl. Kelle/ Kluge: 110). Als Nachteil dieser Auswertungsform ist die enge Orientierung an den Leitfadenfragen-Grenzen zu nennen, die durch die anderen Verfahren kompensiert werden muss. Zwar ermöglicht die Ausrichtung an den Interviewfragen eine Reduktion der auszuwertenden Datenmenge (es wird zumeist jeweils nur eine Leitfadenfrage in einer Fallübersicht dargestellt), einige komplexere Themenbereiche, wie z.B. die Einstellungen und Sichtweisen der Befragten zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch, sind aber verstreut im gesamten Interviewkorpus zu finden und würden sich dieser Auswertungsmethode entziehen. Für Themen, die Leitfragengrenzen ‚transzendieren‘, bietet sich die im Folgenden vorgestellte fragenübergreifende Auswertung an. 3.5.2.3 Fragenübergreifende Auswertung Über dieses Auswertungsverfahren kann das gesamte Interviewkorpus untersucht werden, was im Folgenden an einem Beispiel demonstriert werden soll. Ausgangspunkt war, dass einige Wissenschaftler es als relativ einfach empfanden, englischsprachige Texte zu schreiben, wogegen andere dies als Herausforderung sahen. Eine Fallkontrastierung zweier entgegengesetzt wirkender Wissenschaftleraussagen, die bei der Erstellung der Wissenschaftler-Sprachportraits aufgefallen waren, förderte diese Diskrepanz deutlich zu Tage: Physik Politikwissenschaft Das sind natürlich auch bestimmte Redewendungen, die man dann in einer Tour immer wieder benutzt. […] [M]an könnte im Prinzip in manchen Texten fast von Textmodulen ausgehen ((lacht)), wo man bloß die Substanz austauscht und die Diskussion natürlich austauscht. (4P Physik 00: 13: 52-3) Es ist viel, viel schwerer, wenn man einen historischen, theoretischen Aufsatz oder so mit Feinheiten verfasst, wenn man nicht Muttersprachler ist. (8P Politik 00: 26: 04-0) Tabelle 8: Beispiel einer Fallkontrastierung Der offensichtliche Unterschied in der wahrgenommenen Schreibschwierigkeit der beiden Befragten wurde zum Anlass genommen, alle 24 Interviews im fachspezifischen Korpus auf die darin thematisierten sprachlichen und fachlichen Anforderungen durchzusehen. Um derart umfangreiches Datenmaterial zu strukturieren und zu kondensieren, wurde eine Kombination von induktiver und deduktiver Codierung sowie anschließender Gruppierung und Kontrastierung von Interviewaussagen mithilfe von MAXQDA, einer <?page no="129"?> 129 Software zur Unterstützung der Analyse qualitativer Daten, angewendet (vgl. Kelle/ Kluge 2010; Thomas 2006: 238; Witzel 2000: 25). Textstellen, die sprachliche oder fachliche Anforderungen thematisierten, wurden dazu zunächst markiert und mit einer umschreibenden Bezeichnung, einem sogennannten Code, etikettiert. Anschließend wurden alle markierten Interviewpassagen aus ihrem Interviewzusammenhang extrahiert und so angeordnet, dass ähnliche Aussagen zusammen gruppiert werden konnten. Dadurch wurden Gemeinsamkeiten, aber eben auch Unterschiede zwischen den Fachkulturen und Karrierestufen sichtbar. Es wurde außerdem verzeichnet, wie häufig bestimmte sprachliche Anforderungen thematisiert wurden. Die Auswertung zeigt unter anderem, dass sprachliche und fachliche Anforderungen in einem Zusammenhang zueinander stehen und dass disziplinäre Besonderheiten, wie die Art der Datengewinnung oder die Sprachnormen der adressierten Zielgruppe, großen Einfluss auf die von den Interviewten wahrgenommenen sprachlichen Schwierigkeiten haben (siehe Kap. 4.1). Aufgrund des großen Lese- und Analyseaufwandes bietet sich die fragenübergreifende Auswertung besonders für Themen an, die an mehreren Stellen des Interviews besprochen werden und sich somit einer an den Fragegrenzen orientierten Auswertung entziehen. Neben den soeben erwähnten fachlichen und sprachlichen Anforderungen an die Befragten wurden auch die von den Wissenschaftlern verbalisierten Einstellungen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch mithilfe dieser Auswertungsstrategie bearbeitet (siehe Kap. 5.2). Der auffälligste Nachteil dieser Form der Auswertung ist der große Zeitaufwand, der sich aus der mehrfachen Durchsicht der einbezogenen Interviews und der Strukturierung des Datenmaterials ergibt. Eine Verkürzung des Zeitaufwandes, z.B. über die Suche nach Schlüsselwörtern, ist jedoch nur bedingt hilfreich, denn die Befragten verwenden nicht immer die als Schlüsselwörter identifizierten Suchbegriffe, sondern umschreiben die Thematik in eigenen Worten, die mithilfe von Textsuchfunktionen nicht ohne Weiteres aufgefunden werden können. Ferner ist vor dem Hintergrund des Interviews als interaktive Gesprächssituation zu beachten, dass die durch Interaktionen entstandenen Interviewabschnitte aus ihrem Gesprächskontext entfernt und somit stellenweise dekontextualisiert werden (vgl. Deppermann 2013: 23; Talmy 2011: 27; Wilton/ Stegu 2011: 4). Der Vorteil der Methode besteht in der Möglichkeit, Fragengrenzen zu ignorieren und Themen zu untersuchen, die nicht nur in einer Leitfadenfrage besprochen werden. Es ist außerdem ein nicht zu unterschätzender Vorteil, dass durch dieses Verfahren Themen untersucht werden können, die während der Konzeptionsphase des Leitfadens noch nicht als Untersuchungsinteresse definiert waren und die sich erst im Laufe des Auswertungsprozesses ergeben haben. <?page no="130"?> 130 4 Themenkomplex I: Anforderungen und Ressourcennutzung 4.1 Sprachliche und fachliche Anforderungen an Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen Englisch ist in vielen Fachgebieten derzeit die vorherrschende Sprache für wissenschaftliche Publikationen. 64 Obwohl dieser Trend in den Geistes- und Sozialwissenschaften weniger ausgeprägt ist, kann auch hier eine Internationalisierung und Anglisierung der Forschungskommunikation beobachtet werden. Diese Tendenzen wurden von einer Vielzahl von Studien aufgezeigt, die sich u.a. mit dem Aufstieg des Englischen als Publikationssprache (Ammon 2001), mit dem Einfluss dieser Entwicklung auf Forscherkarrieren (Flowerdew 2007), aber auch mit den Auswirkungen auf andere Wissenschaftssprachen (Ehlich 2004 für das Deutsche, Hamel 2007 für Portugiesisch und Spanisch) beschäftigen. Ähnliche Entwicklungen finden in vielen industrialisierten Ländern statt (vgl. z.B. Flowerdew/ Li 2009 für China; Lillis/ Curry 2010 für Portugal, die Slowakei, Spanien und Ungarn; Okamura 2006 für Japan; Bolton/ Kuteeva 2012 für Schweden). Deutschland stellt in diesem Zusammenhang keine Ausnahme dar (vgl. Gnutzmann 2008), denn auch hier nahm im letzten Jahrzehnt der Anteil englischsprachiger Publikationen stark zu. 65 Der Übergang zum Englischen als Publikationssprache lässt sich auch daran ablesen, dass die auf Englisch eingereichten Dissertationen, wie z.B. an der Technischen Universität Braunschweig, erheblich zugenommen haben (siehe Abbildung 1, S. 17). Diese Daten legen nahe, dass das Englische nicht nur, wie bereits bekannt, in internationalen Zeitschriftenartikeln Verwendung findet, sondern immer häufiger auch in die ‚Frühphasen‘ wissenschaftlicher Karrieren fällt. Dass immer mehr Wissenschaftler auf Englisch schreiben und publizieren, hat in der Folge zu einer intensiven Beschäftigung mit den einhergehenden Vor- und Nachteilen für Nichtmuttersprachler geführt (z.B. Ferguson 2007; Lillis/ Curry 2010; Pérez-Llantada/ Pló/ Ferguson 2011). Häufig wird dabei jedoch nicht systematisch der Einfluss der Fächerzugehörigkeit auf die Ausgestaltung des Schreib- und Veröffentlichungsprozesses sowie den damit verbundenen sprachlichen Anforderungen berücksichtigt. So kann z.B. der Eindruck entstehen, alle 64 Dieses Kapitel orientiert sich an Gnutzmann/ Rabe (2014a) und Rabe (2016). 65 Es kann jedoch aus der Omnipräsenz des Englischen als Publikationssprache nicht auf eine generelle Marginalisierung anderer universitärer Wissenschaftssprachen geschlossen werden, wie die Beiträger einer Sonderausgabe des International Journal of the Sociology of Language konstatieren: „English rarely exists all by itself at the international university, but rather tends to play a role in [a] system in which the local language (or languages) will often also have an important place“ (Haberland/ Mortensen 2012: 4). <?page no="131"?> 131 deutschsprachigen Wissenschaftler hätten mit dem Englischen zu kämpfen, wie Ammon dies wiederholt behauptet hat: If even for Germans, who are culturally and linguistically so close to Britain, it seems nearly impossible to master the subtleties of Anglophone scientific text conventions (cf. Clyne 1987), how egregious must then be the difficulties for scientists of culturally or linguistically remote languages. (Ammon 2012: 341). Andere Autoren konstatieren dagegen keine größeren Schwierigkeiten für Nichtmuttersprachler beim Schreiben englischsprachiger Veröffentlichungen, die nicht auch bei Muttersprachlern des Englischen auftreten würden: The difficulties typically experienced by non-native speaking academics in writing English are (certain mechanics such as article usage aside) au fond pretty similar to those typically experienced by native speakers. (Swales 2004: 52, Hervorh. i.O.) Beiden Analysen scheint eine gewisse Übergeneralisierung hinsichtlich der Schreibschwierigkeit englischsprachiger Texte gemein zu sein; eine stärkere Berücksichtigung des Zusammenspiels textueller und fachlicher Normen in der Wissenschaftskommunikation könnte daher nützlich sein. Vor diesem Hintergrund untersucht das Kapitel die sprachlichen Anforderungen, die an deutschsprachige Wissenschaftler in verschiedenen Fächern gestellt werden bzw. von ihnen wahrgenommen werden, wenn sie englischsprachige Artikel schreiben. Ausgangsannahme ist dabei, dass - neben Faktoren wie kultureller und sprachlicher Distanz - disziplinäre Praxis eine zentrale Einflussvariable im Sinne der ‚Text-Schreibschwierigkeit‘ ist. Den Anstoß zur vorliegenden Untersuchung gab ein Fallvergleich zweier Wissenschaftlerin t erviews (siehe Kap. 3.5.2 für Informationen zum verwendeten Auswertungsverfahren). Bei der Gegenüberstellung der Interviews fiel auf, dass die Forscher trotz längerer Aufenthalte im englischsprachigen Ausland die Aufgabe, englischsprachige Publikationen zu erstellen, unterschiedlich schwierig bewerteten. Während der interviewte Physiker das Schreiben in englischer Sprache aufgrund wiederverwendbarer Textbausteine als relativ unkompliziert empfand, nahm ein ebenfalls interviewter Politologe insbesondere das Schreiben nichtempirischer Aufsätze als sehr herausfordernd wahr (für die komplette Darstellung der Fallkonstrastierung siehe Tabelle 8). In den folgenden vier Abschnitten (Kap. 4.1.1-4.1.4) sollen die Ergebnisse vorgestellt und diskutiert werden. Im ersten Themenfeld wird die von den Befragten beschriebene Rigidität bzw. Flexibilität der Textsorte wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz inklusive der darin verwendeten Sprache erörtert und in Bezug zu den damit assoziierten sprachlichen Anforderungen gesetzt. <?page no="132"?> 132 4.1.1 Genrerigidität und sprachliche Formelhaftigkeit Eine Frage, die allen Wissenschaftlern im Interviewkorpus gestellt wurde, war, ob es einen Grundaufbau von Texten in ihrem Fachgebiet gibt, nach dem sie sich beim Schreiben englischsprachiger Artikel richten. Alle sechs Befragten aus dem Bereich der Biologie wiesen darauf hin, dass sie sich beim Verfassen ihrer Aufsätze an Spielarten des IMRaD-Schemas (d.h. Introduction, Methods, Results and Discussion) orientierten. Außerdem betonten sie, dass dieses Schema im Allgemeinen von den Fachzeitschriften verlangt werde und sich Variationen hauptsächlich bezüglich formaler Gesichtspunkte wie der grafischen Auflösung von Abbildungen oder der Verwendung von Fußnoten ergeben. Eine ähnliche Dominanz des IMRaD-Schemas fand sich bei den Befragten im Maschinenbau (5/ 6 Befragten), wobei drei Interviewpartner (M23P, M25D, M36D) hier zusätzlich anmerkten, dass der Hauptteil eines Artikels dann relativ frei gestaltet werde könne, wenn es um eher theoretische statt um empirisch-experimentelle Inhalte geht. Für die Germanistische Linguistik spielte die Teildisziplin, in der die Wissenschaftler aktiv waren, eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Genrerigidität. Drei von sechs Interviewten (L27PD, L31D, L32P) berichteten, dass Publikationen im Gebiet der theoretisch orientierten Linguistik durch mehr Spielraum bei der Organisation von Artikeln gekennzeichnet seien, wogegen eher experimentell ausgerichtete Beiträge wie in der Psycholinguistik in der Regel einer IMRaD-ähnlichen Struktur folgten. Zwei weitere Germanistische Linguisten (L3P, L34PD) gaben an, dass es kein striktes Muster gäbe, sondern eher eine lose Struktur, die sich an den Gliederungspunkten theoretischer Hintergrund, Analyse und Implikationen orientierte, wobei größere Abweichungen möglich wären. Im Vergleich zu den anderen Fachkulturen wird die eher geteilte Position der Germanistischen Linguistik als empirisch-experimentelle sowie theoretisch orientierte Disziplin deutlich. Fünf von sechs Befragten im Fach Geschichte führten aus, dass es keine verbindliche bzw. lediglich eine sehr lose Struktur (Einleitung, Hauptteil, Fazit) gäbe, die, abhängig von Faktoren wie der Publikationssprache der Adressatengruppe und persönlichen Vorlieben der Autoren, variieren kann: „Man bekommt nachher oft hinterher noch Auflagen, aber so, dass ich nicht sagen kann, es gibt sozusagen ein Schema. Eigentlich hätte ich das ganz gerne, weil eigentlich für jede Veröffentlichung eine andere Struktur auch erwartet wird. [...] Das ist sehr, sehr unterschiedlich, finde ich“ (G30PD). Tabelle 9 fasst diese Ergebnisse zusammen: <?page no="133"?> 133 Fachkultur Schema Abweichungen/ Ausnahmen Biologie IMRaD (6/ 6) Variation nur bei Regeln zu Fußnoten, Auflösung von Abbildungen etc. Maschinenbau IMRaD (5/ 6) 3 Befragte: wenn Artikel nicht empirisch, kann Mittelteil variabler sein Germanistische Linguistik je nach Forschungsrichtung 3 Befragte: IMRaD wenn psycholinguistisch, sonst flexibler 2 Befragte: Theorie, Analyse, Implikationen Geschichte keins bzw. rudimentär (5/ 6) Große Variabilität Tabelle 9: Verwendete Textschemata und Abweichungen in den untersuchten Fächern Nachdem die Genre-Rigidität beschrieben wurde, soll nun die sprachliche Rigidität bzw. Formelhaftigkeit in den hier untersuchten Fachkulturen genauer betrachtet werden. Formelhafte Sequenzen, wie z.B. Kollokationen, sind fester Bestandteil von Sprache (vgl. Aguado 2002; Fiedler 2011: 85; Wray 2009), spielen aber auch in der Wissenschaft eine herausragende Rolle: „Lexical bundles, or frequently occurring word sequences [...] are a key way that particular disciplines produce community specific meanings and contribute to a sense of distinctiveness and naturalness in a register“ (Hyland 2013: 64). Ohne dass diese Frage im Interview gestellt wurde, gaben fünf Biologen (B2PD, B18P, B19P, B21D, B35PD), zwei Maschinenbauer (M5PD, M23P), ein Germanistischer Linguist (L32P), aber kein Geschichtswissenschaftler an, dass die in ihrem Feld verwendete Sprache sehr formelhaft sei. Ein Doktorand und ein Professor aus der Biologie beschreiben dies wie folgt: Also, wenn ich eine Publikation lese und ich wüsste nicht, ob das deutsche Autoren sind oder asiatische oder amerikanische, könnt’ ich es vom Stil her, glaub’ ich, kaum unterscheiden, weil die Stile einfach so gleich sind. Jedes Paper liest sich fast gleich, also natürlich stehen da andere Werte und andere Bilder, aber der Stil ist immer sehr ähnlich. (B21D 00: 36: 49-5) Ich bin also eigentlich ein relativer Krüppel, glaub’ ich, in der gebildeten englischen Konversation. Also ich könnte in so einem englischen Club oder so, würde ich nur peinlich herumstammeln, weil mir die echten Wörter der Umgangssprache und auch der Literatur in Englisch, der Romanliteratur, der historischen Literatur, vollkommen fehlen. Ich kann halt einfach nur diese Phrasen, wie man sie in unserem wissenschaftlichen Gebiet verwendet, diese Phrasen kann ich zur Perfektion miteinander verbinden. Das klingt dann auch gut und es hört sich auch gut an. (B18P 00: 13: 37-9) Viele der soeben aufgezählten Befragten erwähnten darüber hinaus, dass die Tendenz zur Verwendung rigider Sprachmuster sowie ein stark begrenztes Fachvokabular eine gewisse Erleichterung für das englischsprachige Schrei- <?page no="134"?> 134 ben und Publizieren darstelle: „Ich will nicht sagen, dass man mit 100 Worten auskommt, aber bestimmt mit 200 Worten“ (B19P 00: 32: 39-4). Im Zusammenhang mit der hohen Genrerigidität und Formelhaftigkeit steht die im Biologiekorpus weit verbreitete Praxis der systematischen Wiederbenutzung von Sprache, auch als „language re-use“ (Flowerdew 2007: 19) bezeichnet. Die verwendeten Praktiken umfassen u.a. das Kopieren kompletter sprachlicher Sequenzen aus veröffentlichten Artikeln anderer Autoren, bei dem lediglich enthaltene Werte bzw. Daten ausgetauscht wurden, oder auch das systematische Sammeln formelhafter Sequenzen, die später als Unterstützung beim Schreiben englischsprachiger Artikel herangezogen werden können. Am anderen Ende des fachlichen Kontinuums, zumindest im hier untersuchten Korpus, befinden sich die Geschichtswissenschaftler. Sie berichten überwiegend von größerer Freiheit bezüglich der Strukturierung von Artikeln (siehe oben). Dieses größere Maß an Freiheit bedeutet jedoch auch, dass sie im Allgemeinen weniger Orientierung hinsichtlich der Strukturierung der Textsorte erhalten und wahrscheinlich nur in geringem Umfang formelhafte Sprache verwenden können, was auf höhere sprachliche Anforderungen hindeutet, denen diese Wissenschaftler genügen müssen. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Wiederbenutzung formelhafter Sprache findet im Zusammenhang mit der Ressourcennutzung der Befragten statt (Kap. 4.2.3.1). Zusammenfassend kann als Erklärungsansatz angeboten werden, dass ein höherer Grad an Genre-Rigidität und sprachlicher Formelhaftigkeit weniger ‚sprachliche Kreativität‘ beim Schreiben wissenschaftlicher Artikel erfordert. Dies kann, besonders unter Nutzung bestimmter Strategien wie language re-use, zu niedrigeren sprachlichen Anforderungen führen. Die hohe Rigidität der Textsorte Artikel und in der Folge die formelhafte Sprachnutzung in der Biologie - und ansatzweise auch im Maschinenbau - steht wahrscheinlich mit einer experimentellen Ausrichtung in Verbindung (siehe Kap. 4.1.4). Die daraus resultierende rhetorische Struktur von Artikeln ist in der Biologie somit eine andere: „In hard knowledge fields [...] argument is more highly standardised and less discursive, drawing on semiotic resources which are graphical, numerical and mathematical rather than simply textual“ (Hyland 2013: 64). Im nächsten Abschnitt geht es um verschiedene Formen der Schreibkooperation unter den befragten Wissenschaftlern und die sprachlichen Anforderungen, die mit dieser Art der Zusammenarbeit einhergehen. 4.1.2 Schreiborganisation Alle sechs Interviewten aus der Biologie gaben an, dass sie in Arbeitsgruppen arbeiten, die aus Doktoranden, Postdoktoranden, Professoren und (Labor)Technikern bestehen. Die Arbeit in diesen Teams wird im Allgemeinen je nach Spezialisierung und Hierarchieposition verteilt und die jeweili- <?page no="135"?> 135 gen Verantwortlichkeiten sind klar abgegrenzt. Doktoranden erledigen dabei hauptsächlich Laborarbeit und schreiben häufig nur wenig (vgl. auch Pérez-Llantada et al. 2011: 24), Postdoktoranden erledigen einen Großteil der Schreibarbeit zusätzlich zur Koordination von Projekten und dem Erteilen von Rückmeldungen an die Doktoranden, während die Professoren an Artikeln häufig erst dann arbeiten, wenn diese sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befinden: „Wenn sie eine größere Gruppe haben, so wie das bei mir der Fall ist, dann kriegen sie einen 80 Prozent Entwurf und müssen nicht von Null anfangen“ (B19P 00: 06: 30-7). Ihre Aufgabe liegt also eher darin, sich - bedingt durch ihren größeren Überblick und ihre Erfahrung - der ‚strategisch wichtigen‘ Teile eines Artikels, wie etwa der Einführung und der Diskussion der Ergebnisse, anzunehmen. Obwohl dies sicher nicht in allen Biologieinstituten der Fall ist, beschreiben alle Interviewten im Korpus einen dem folgenden Zitat ähnlichen Aufbau: Das Institut bei uns ist so aufgebaut, es ist ein relativ großes Institut, wo eine Professorin am Kopf sitzt sozusagen und dann gibt es darunter ja mehrere langjährige wissenschaftliche Mitarbeiter, die dann Doktoranden betreuen oder die jungen postdocs betreuen, so. Und das heißt, die sind erst mal der erste Ansprechpartner, wenn man dann (3) ja, also zum Beispiel die Reihenfolge des Ergebnisabschnitts, wenn man sich da was überlegt hat, dann will man es erst mit demjenigen diskutieren, dann schreiben, dann wird der es korrigieren. Und je nachdem, wie viel Zeit und wie hoch das Interesse an genau diesem Projekt bei der Professorin ist, kommt sie dann entweder dann auch schon rein oder ganz am Ende, bekommt sie es einmal zu lesen. (B35PD 00: 16: 14-1) Eine Form der Arbeitsteilung existiert ebenso im Bereich des Maschinenbau, auch wenn sie sich teilweise von dem in der Biologie vorgefundenen Muster unterscheidet. So sagten alle sechs Befragten, dass sie regelmäßig in Teams arbeiten und schreiben; diese waren aber in der Regel kleiner (nicht mehr als 2-3 Autoren) als in der Biologie und die Verteilung der Schreibaufgaben war nicht so spezifisch. Ein Schreibmodus, der von vier Maschinenbauern beschrieben wurde (M14P, M23P, M24PD, M25D) war dahingehend ähnlich zu dem der Biologen, dass ein Doktorand hauptsächlich die Daten und einzelne Elemente des Textes lieferte, während Postdoktoranden und Professoren den Großteil der Schreib- und Koordinationsarbeit übernahmen. Ein weiteres Schreibmodel wurde von zwei Interviewten beschrieben (M5PD, M36D): Hier arbeiten jeweils zwei Wissenschaftler ‚auf Augenhöhe‘ an verschiedenen Teilen eines Artikels; anschließend korrigieren und verbessern die Koautoren die Textteile des jeweils anderen. In den als ‚theoretisch‘ bezeichneten Gebieten im Bereich Germanistische Linguistik wird das Schreiben englischsprachiger Aufsätze häufig allein, gelegentlich aber auch in Zweiergruppen bewältigt (L3P, L33D, L34PD), insbesondere wenn ein Doktorand involviert ist. Im eher empirisch-experimentell ausgerichteten Bereich der Germanistischen Linguistik dagegen wurden gleich drei ver- <?page no="136"?> 136 schiedene Schreibmodi beschrieben (siehe Tabelle 10 unten). Es erscheint wenig überraschend, dass vier von sechs Befragten im Fach Geschichte (G16PD, G22P, G28P, G30PD) angeben, überwiegend allein zu schreiben. Es finden sich nur wenige Ausnahmen im Korpus und diese beziehen sich lediglich auf die inhaltliche Koordination eines Sammelbandes oder auf professionelle Korrekturdienstleistungen, die von den Befragten vor der Fertigstellung des Manuskripts in Anspruch genommen werden. Beide Doktoranden (G26D, G29D) berichten jedoch, dass sie auf ihre englischsprachigen Entwürfe Rückmeldungen von ihren Betreuern erhalten. Man kann somit nicht vom „solitary researcher“ (Becher 1994: 158) sprechen, denn die Befragten stehen durchaus in regem inhaltlichen Austausch mit anderen Wissenschaftlern - dennoch scheint der Typ des ‚solitary writer‘ besonders nach der Doktorandenphase unter den Geschichtswissenschaftlern stärker verbreitet zu sein als in den anderen hier untersuchten Disziplinen. Die folgende Tabelle fasst die verschiedenen Schreibmodi zusammen: Fachkultur Schreibmodi Biologie 6/ 6 Befragten: hierarchischer Schreibmodus auf mehreren Ebenen; Arbeitsteilung nach Karrierestufe und Spezialisierung Maschinenbau 4/ 6 - ähnlich wie in Biologie 2/ 6 - 2er Team: jeder schreibt eigene Textteile, dann Durchsicht durch jeweils anderen Germanistische Linguistik Verschiedene Organisationsformen: allein bzw. im Verbund mit Doktorand (3/ 6); jeder Autor hat Expertise in einem Feld (L2PD); hierarchische Organisation (L3D); kapitelweise Aufteilung (L4P) Geschichte 4/ 6 Befragten schreiben überwiegend alleine Die 2 Doktoranden erhielten auf Entwürfe Feedback von Betreuern Tabelle 10: Übersicht typischer Schreibmodi im fachspezifischen Korpus In einigen Fachkulturen, insbesondere in der Biologie und im Maschinenbau, ist das Schreiben in (größeren) Teams der übliche Schreibmodus (vgl. auch Becher 1994: 158; Pérez-LLantada et al. 2011: 24). Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, ist, inwiefern z.B. Geschichtswissenschaftler von einer engeren Schreibkooperation mit Kollegen profitieren könnten, das heißt, ob sich höhere sprachliche Anforderungen dadurch möglicherweise kompensieren ließen. Es wurde darüber hinaus deutlich, dass Doktoranden im Bereich der Biologie völlig andere Aufgaben und möglicherweise geringere sprachliche Anforderungen zu bewältigen haben als im Fach Geschichtswissenschaft. Dies soll nicht implizieren, dass eine Promotion für Biologen weniger anspruchsvoll oder herausfordernd ist; sie scheinen jedoch das Schreiben auf Englisch selten als gewichtiges Problem <?page no="137"?> 137 wahrzunehmen. Studienergebnisse zu den Herausforderungen des Schreibens auf Englisch, in denen befragte Naturwissenschaftler häufig angaben, dass die Textteile Einführung oder Diskussion die am schwierigsten zu verfassen seien (vgl. z.B. Moreno et al. 2012: 168; Pérez-Llantada et al. 2011: 24), könnten durch Informationen über die in den Disziplinen üblichen Schreibmodi in neuem Licht erscheinen: Die teilweise hochdifferenzierte Schreib- und Arbeitsteilung müsste bei der Interpretation solcher Ergebnisse berücksichtigt werden, denn viele Wissenschaftler schreiben nicht allein bzw. alle Teile eines Aufsatzes (siehe auch Jakobs 2005: 25 für kooperative Textproduktion in beruflichen Kontexten). 4.1.3 Sprachliche Zielnormen von Fachzeitschriften Ein weiterer Erklärungsansatz für die unterschiedlichen sprachlichen Ansprüche, denen Wissenschaftler genügen müssen, liegt, vereinfacht ausgedrückt, in der Relation zwischen Mutter- und Nichtmuttersprachlern des Englischen in einem Fachgebiet. Nehmen viele Muttersprachler am Diskurs teil, sind die Sprachnormen tendenziell muttersprachlich ausgerichtet; sind es dagegen viele Nichtmuttersprachler, kann dies in veränderten, toleranteren sprachlichen Zielnormen resultieren. Dafür ist jedoch nicht ausschließlich die schiere Anzahl nichtmuttersprachlicher Diskursteilnehmer ausschlaggebend, zusätzlich müssen diese sich in ‚privilegierten‘ Positionen befinden - also z.B. Herausgeber und Gutachter englischsprachiger Fachzeitschriften sein - um eine Anpassung der sprachlichen Zielnormen zu ermöglichen (vgl. auch Tardy 2004 zum Thema gatekeeping in englischsprachigen Fachzeitschriften). In der vorliegenden Untersuchung waren diese Bedingungen am ehesten im Bereich Maschinenbau erfüllt: So gaben vier von sechs Interviewten (M5PD, M14P, M24PD, M36D) an, dass in ihrem Fachgebiet international eine Mehrheit der Wissenschaftler ebenso wie die Herausgeber und Gutachter Nichtmuttersprachler des Englischen seien: „So viele englische Muttersprachler auf dem Gebiet gibt es nicht. Also, deswegen sind die Gutachter sehr häufig auch wieder Deutsche oder auch andere Europäer“ (M5PD 00: 10: 58-5). Eine Praxis, die in zwei weiteren Interviews (M14P, M23P) besprochen wurde, könnte man als ‚Neuverhandlung von Korrektheitsnormen‘ interpretieren: Zum anderen aber auch vielleicht an vielen Stellen einfach mal sagt: ‚Ok, jetzt lass’ mal sein, an dem Satz feile ich jetzt nicht noch drei Mal‘. Ich bin halt Deutscher, wenn der jetzt nicht hundertprozentig geschliffen ist, dann sei es drum. Die wissen ja auch, wenn sie auf meine Adresse gucken [...] wo ich herkomme. Die können von mir eigentlich keinen hundertprozentig korrekten Text erwarten in dem Sinne (M23P 00: 32: 40-7). Diese Interviewten gaben zu verstehen, dass sie aufgrund ihres Status als Nichtmuttersprachler des Englischen nur ein begrenztes Zeitkontingent in die sprachliche Verbesserung ihrer Manuskripte investieren und auch Texte <?page no="138"?> 138 einreichen, von denen sie wissen, dass sie muttersprachlichen Ansprüchen möglicherweise nicht vollständig genügen. Diese Einstellung spiegelt sich auch in der Nutzung muttersprachlicher Korrekturdienstleistungen wider: Drei Maschinenbauer (M5PD, M14P, M36D) sagten, dass sie ohne muttersprachliche Hilfe erfolgreich auf Englisch publizieren können. Drei weitere Befragte (M23P, M24PD, M25D), die sich in einer Arbeitsgruppe befinden, nehmen nur in besonderen Fällen muttersprachliche Hilfe in Anspruch. Ein weiteres Indiz dafür, dass ein Übergewicht nichtmuttersprachlicher Herausgeber und Gutachter gültige Korrektheitsnormen beeinflussen könnte, findet sich in Interview M24PD. Obwohl der Befragte äußerte, dass die Vorgaben des IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) als de facto Standard in seinem Fachgebiet gelten, weicht er von den darin beschriebenen Angaben bewusst ab: Das heißt dann, ja machen Sie kurze Sätze, schreiben Sie nicht passiv und Tradition ist aber ‚here are to be found‘, also alles eben möglichst passiv zu machen. So, das heißt, wenn man sich nach den Richtlinien oder den Empfehlungen hält, steht man da, als ob man kein Englisch könnt’, weil es halt alle anderen, weil die meisten auf den Konferenzen sind halt keine Amerikaner, sind halt auch Deutsche oder Inder oder was weiß ich was, und das hat sich da irgendwie so ein bisschen so eingebürgert. (M24PD 00: 05: 55-6) Wenn man diese ‚Beweisstückchen‘ zusammenführt, so scheint es, als ob die Gruppe der Maschinenbauer sich das in Fachpublikationen verwendete Englisch für ihre eigenen Zwecke zu einem gewissen Grad zu eigen gemacht und an ihre Bedürfnisse angepasst hat. Eine Interviewte aus dem Bereich Maschinenbau drückt dies wie folgt aus: „Das ist einfach unsere Sprache. Also, die benutzen wir halt in der Wissenschaft. Das ist ok“ (M14P 00: 15: 42-9). In den Interviews mit Vertretern der Geschichte ist eine andere Situationsbeschreibung vorzufinden. Die Befragten streben überwiegend Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Sammelbänden an, die von Muttersprachlern des Englischen herausgegeben und begutachtet werden, was zu einer Durchsetzung muttersprachlich orientierter Zielnormen beitragen könnte. Dieser Fokus hat unter anderem mit den Arbeitsthemen der Befragten zu tun, die sich in Bereichen wie amerikanischer, britischer, Migrations-, Militär- oder Kolonialgeschichte bewegten. Daher sahen die meisten Befragten es als wichtig an, in angloamerikanischen Kontexten zu publizieren. Drei von ihnen (G16PD, G28P, G30PD) berichteten darüber hinaus, dass es nur wenige oder keine einschlägigen deutschen Fachzeitschriften oder Konferenzen gäbe, sodass sie in internationalen Foren publizierten, um ihrer Forschung ‚Sichtbarkeit‘ zu verleihen: Weil ich sonst in der Forschungsdomäne, in der ich wahrgenommen werden will, nicht wahrgenommen werde. Also, das heißt, man kann es auch umdrehen und sagen, also die englischsprachigen Kollegen lesen kein Deutsch, egal was man da, welche sensationellen Dinge man da publizieren kann. (G28P 00: 25: 25-0) <?page no="139"?> 139 Einschränkend sollte hinzugefügt werden, dass die von den Befragten beschriebenen Schreib- und Publikationspraktiken nicht für das Fach Geschichtswissenschaft generell gelten, sondern eher typisch für jene Wissenschaftler sind, sie sich mit stärker international diskutierten Themen beschäftigen. 66 Vier der befragten Geschichtswissenschaftler (G16PD, G26D, G28P, G29D) merkten an, dass das Fach teilweise noch stark in nationalen Grenzen denke, was sie nicht für gut hießen, da „die Grenzen von Nationalstaaten nicht unbedingt Ereignisse definieren, sondern dass alles auch mal mit anderen Dingen zusammenhängen kann, die hinter diesen Grenzen liegen“ (G26D 00: 24: 32-4). Es kommt somit eine Verkettung mehrerer Faktoren im Hinblick auf die sprachlichen Anforderungen zusammen: Erstens gab es für die Befragten wenige einschlägige deutschsprachige Publikationsforen oder diese wurden in ihrer Ausrichtung nicht als ‚international‘ genug empfunden. Zweitens mussten die Wissenschaftler aufgrund ihrer fachlichen Ausrichtung den relativ hohen Ansprüchen hauptsächlich angloamerikanischer Fachzeitschriften nachkommen, die in ihren Forschungsbereichen stark vertreten sind. Hinzu kommen dezidierte Vorstellungen der Herausgeber, wie die Artikel der Befragten inhaltlich und strukturell aufgebaut sein sollen, was die Befragten teilweise als unangebrachte Einmischung in ihre akademische Freiheit betrachteten: „Das ist auch schon oft vorgekommen, wo ich gesagt habe, nö, das ist mir viel zu viel oder ich schreib’ meinen Aufsatz so wie ich das will, nicht wie die Vorstellungen des Herausgebers sind“ (G28P 00: 16: 26-3). Solche Aussagen legen ein abweichendes Wissenschaftsverständnis deutscher und angloamerikanischer Autoren und Herausgeber nahe. Dass vier von sechs Geschichtswissenschaftlern (G22P, G28P, G29D, G30PD) angaben, auf eine muttersprachliche Korrektur ihrer Manuskripte für deren Veröffentlichung angewiesen zu sein, könnte als ein weiterer Indikator für die relative strikte Orientierung an muttersprachlichen Sprachnormen dienen: „Ich muss aber dazu sagen, dass es mir eigentlich nie gelingt, in keiner dieser ... Versionen also ein wirklich abgabefähiges Manuskript zu erstellen, selber. Das geht immer nochmal sozusagen zur Sprachkontrolle in die Hände irgendeines muttersprachlichen Editors“ (G28P, 00: 07: 37-2). Obwohl die Englischkompetenzen der Befragten offensichtlich eine Rolle spielen, legt der Umstand, dass drei dieser vier Befragten längere berufliche Aufenthalte im englischsprachigen Ausland vorzuweisen hatten, nahe, dass dies als Erklärung für ‚obligatorische‘ muttersprachliche Durchsichten allein nicht ausreicht. Zusätzlich könnten unter anderem bereits erörterte Faktoren, wie ein geringer Anteil wiederverwendbarer formelhafter Sprache, wenig Schreibkooperation sowie die soeben beschriebene Verortung der Publikationsorgane im angloamerikanischen Wissenschaftsraum 66 Weitere Informationen zu den einzelnen untersuchten Fächern finden sich in Kapitel 3.4.2.2. <?page no="140"?> 140 von Bedeutung für die hohen sprachlichen Anforderungen an die Geschichtswissenschaftler sein. Im Biologie-Korpus fand sich dagegen eher die Auffassung, dass ein Fokus auf sprachlicher Korrektheit kontraproduktiv für den Fortgang der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit wäre (vgl. Airey 2012 zu ähnlichen Einstellungen schwedischer Physiker), wie das folgende Zitat anschaulich illustriert: Das ist aber wirklich mittlerweile [...] immer mehr zum Usus geworden, dass man halt auch Sachen durchwinkt - ich bin selber ja auch Editor von drei Journalen - wo man sagt: Ach komm, das Englisch ist zwar jetzt nicht perfekt [...] aber dafür, wenn dann halt die wissenschaftlichen Ergebnisse ganz faszinierend und interessant und gut sind und so, dann will man natürlich auch nicht von uns aus irgendwie jetzt so arrogant sagen: ‚Lernt erst mal Englisch, dann könnt ihr wiederkommen.‘ (B18P 00: 25: 47-2) Wie oben bereits dargelegt (siehe Kap. 4.1.1), nehmen die Biologen ihre Fachsprache als stark formelhaft wahr, was im Gegenzug das Schreiben und Publizieren auf Englisch vergleichsweise einfacher gestaltet. Zugleich scheint es jedoch eine starke Ausrichtung auf englischsprachige Länder zu geben. So erwähnten drei Interviewte (B18P, B21D, B35PD) die große Bedeutung eines postdoc-Aufenthaltes in einem englischsprachigen Land, vorzugsweise in den USA, für eine wissenschaftliche Karriere. Weiterhin zeigen einige Aussagen der Befragten die enge Verbindung von fachlichen Ansprüchen (das heißt, von und mit den Besten lernen und arbeiten) und sprachlichen Erwartungen auf: „Weil die USA einfach so eine, ... also die Leute sind ehrgeizig und die Leute ... haben eine gute Idee und versuchen die dann auch umzusetzen, [...] und das ist glaub’ ich so das Wichtigste, was man da mitkriegen kann und dabei eben natürlich dann auch den sprachlichen Teil (B18P 01: 02: 42-3). Obwohl also die USA für diese drei Biologen (und sicherlich viele weitere) als fachliches und sprachliches ‚Vorbild‘ fungieren, heißt dies jedoch offenbar nicht automatisch, dass die deutschen Wissenschaftler muttersprachliche Zielnormen erfüllen möchten. Dies könnte darüber hinaus bedeuten, dass die oben dargelegte Sichtweise auf sprachliche Korrektheit durchaus von anglophonen Herausgebern und Gutachtern toleriert, wenn nicht sogar geteilt wird, was im Fach Geschichte nicht der Fall war. In diesem Zusammenhang ist es aufschlussreich, wem die Biologen die Durchsicht ihrer Manuskripte anvertrauen. Zwei Biologie-Professoren (B18P, B19P) geben explizit in den Interviews an, keinerlei muttersprachliche Hilfe beim Korrekturlesen in Anspruch zu nehmen. Dies gilt auch für zwei Doktoranden (B20D, B21D), die in denselben Arbeitsgruppen arbeiten. Eine Biologin nutzt die Möglichkeit muttersprachlicher Durchsicht bei außergewöhnlich wichtigen Veröffentlichungen: „Die Publikationen, die zu, ja … besonders (5) relevanten Journalen, sag’ ich jetzt mal, gehen [...] die wurden nochmal zu so einer scientific writerin, die halt Muttersprachlerin ist [...] geschickt, die das dann nochmal durchgelesen hat auf Sprache“ (B35PD <?page no="141"?> 141 00: 19: 45-0). Ein weiterer Biologe (B2PD) greift nur dann auf muttersprachliche Hilfe zurück, wenn ein eingeschicktes Manuskript von den Gutachtern als sprachlich verbesserungswürdig eingestuft wird. Es zeichnet sich somit im Biologie-Korpus eine relativ starke Unabhängigkeit gegenüber muttersprachlichen Durchsichten ab. In der Germanistischen Linguistik ist die Position der Muttersprachler des Englischen weniger stark als in der Geschichtswissenschaft - zumindest für diejenigen, die empirisch-experimentell arbeiten: Wir Linguisten sind ja eigentlich eher ein bisschen bescheidene Menschen, was die sprachliche Präsentation angeht. [...] Und ob jetzt irgendwas mit dem letzten rhetorischen Feinschliff rübergebracht wird, interessiert eigentlich in der Linguistik niemanden. Wir haben ja meistens eine empirisch-analytische Wissenschaft. Man hat ein Problem und möchte das analysieren und so machen das die Kollegen auch. (L32P 00: 33: 09-9) Auch in diesem Zitat wird - ähnlich zur Aussage des Biologen weiter oben - das Primat des fachlichen Fortschritts über Korrektheitsansprüche betont. Es ginge vorwiegend um linguistische Problemstellungen, nicht um sprachlichen „Feinschliff“. Dennoch sahen die Germanistischen Linguisten Muttersprachler des Englischen als sprachlich bevorteilt an und schrieben ihnen unter anderem die folgenden Eigenschaften zu: grammatische Intuition, Idiomatizität (L31D); nur das Wissenschaftliche zählt, da die Sprache perfekt beherrscht wird (L33D); brillanter Ausdruck, Fähigkeit zum Spielen mit Sprache (L27PD); bessere Textkohärenz (L3P). Trotz dieser Wahrnehmung muttersprachlicher Überlegenheit existiert ein gewisser Konsens darüber, dass das Erreichen muttersprachlicher Zielnormen in Artikeln nicht vordergründig ist: „Der [Beitrag] ist dann sicher rhetorisch nicht das Highlight, das er wäre, wenn es jetzt ein berühmter englischer Linguist geschrieben hätte, aber er erfüllt dann, glaube ich, alle Standards einigermaßen gut“ (L32P 00: 25: 25-2). Obwohl die Befragten also Muttersprachler des Englischen durchaus als sprachlich überlegen charakterisieren, reicht es für ihre Publikationen aus, wenn ihre Veröffentlichungen „grammatisch korrekt [und] stilistisch nicht ganz blöd“ sind. Sie müssen jedoch nicht „brillant“ sein (L3P 00: 10: 17-4). Nichtsdestotrotz verlassen sich zumindest einige der interviewten Germanistischen Linguisten auf muttersprachliche Korrekturleser: So vertrauen zwei der sechs Befragten ausschließlich auf Muttersprachler des Englischen (L3P, L31D), zwei (L27PD, L32P) entscheiden je nach Wichtigkeit der Publikation, ob ein Muttersprachler hinzugezogen werden soll und zwei weiteren (L33D, L34PD) genügte dagegen nichtmuttersprachliches Feedback im Zuge der Veröffentlichung englischsprachiger Aufsätze. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Biologie eine starke Ausrichtung der Wissenschaftspraxis an anglophonen Ländern vorherrscht, fachlicher Inhalt somit als erheblich wichtiger als die Form erachtet wird, in der er präsentiert wird. Obwohl in der germanistischen Linguistik ein großer Teil der Diskursteilnehmer Nichtmuttersprachler des Englischen <?page no="142"?> 142 sind und die sprachlichen Eigenansprüche auf ein realistisches Maß begrenzt zu sein scheinen, ist eine muttersprachliche Korrektur immer noch relativ verbreitet. Ein anderer Trend konnte im Maschinenbau beobachtet werden, wo Nichtmuttersprachler in der Überzahl waren und in Folge dessen sprachliche Normen neu verhandelt werden bzw. sich teilweise von muttersprachlichen Normen wegentwickeln. 67 Die Geschichtswissenschaftler dagegen nehmen an einem von Muttersprachlern des Englischen dominierten Diskurs teil und ihre Publikationen müssen dementsprechend muttersprachlichen Anforderungen genügen. Vergleicht man diese unterschiedlichen Diskursausprägungen mit Mauranens (2012: 10) optimistischer Hypothese, dass muttersprachliche Herausgeber und Gutachter an Einfluss über den Zugang von Nichtmuttersprachlern zu internationalen Fachzeitschriften verlieren, so scheint dies im Interviewkorpus zumindest für die Maschinenbauer der Fall zu sein. Ein toleranter Umgang mit Abweichungen von muttersprachlichen Standards ist somit noch längst nicht der Regelfall. Im vierten und letzten Themenfeld werden nun die in den verschiedenen Fachkulturen verwendeten Datenformen und ihr Einfluss auf die sprachlichen Anforderungen genauer untersucht. 4.1.4 Beschaffenheit der Daten Die in einer Fachkultur verwendeten Datentypen sind ein wichtiger Einflussfaktor hinsichtlich der sprachlichen Anforderungen an die Autoren. So gibt es ein Kontinuum zwischen Datenformen‚ die weitgehend ‚für sich selbst sprechen‘, wie z.B. Abbildungen experimenteller Ergebnisse, und solchen, die im Rahmen der Verschriftlichung sorgsam interpretiert und erörtert werden müssen (vgl. Hyland 2009a: 63; siehe auch Kap. 2.3.7 für das Kontinuum der Wissensdomänen). Die Interviewten der Biologie konzeptualisierten das Schreiben überwiegend „als nachgeordnete Tätigkeit, die der ‚eigentlichen‘ Arbeit folgt“ (Lehnen 2009: 281), wobei mit Arbeit die Datenerhebung und -analyse gemeint ist. Diese Sichtweise kann in vielen Interviews rekonstruiert werden, besonders an Stellen, an denen die Biologen ihr Vorgehen beim Schreiben englischsprachiger Artikel beschreiben. So ist eine Annahme, dass es beim Schreiben lediglich um „Fakten, Fakten, Fakten“ (B2PD 00: 14: 02-7) oder um „Fakten aneinander gereiht“ (B20D 00: 07: 53-8) ginge, das heißt, dass es sich dabei lediglich um die Vertextung objektiver, 67 Allerdings hängt die Ausrichtung der Korrektheitsnormen ebenso von der Position und der Einstellung der Nichtmuttersprachler im Diskurs ab, nicht nur von deren Anzahl (vgl. Tardy 2004: 248). Um effektiv gültige Korrektheitsnormen ändern zu können, müssten Nichtmuttersprachler Schlüsselpositionen im Diskurs einnehmen und darüber hinaus die Einstellung teilen, dass auch nichtmuttersprachliche Elemente einen Platz in der Wissenschaftssprache haben. <?page no="143"?> 143 sprachunabhängiger Ergebnisse handele. 68 Einschränkend muss hier hinzugefügt werden, dass es auch Teildisziplinen der Biologie gibt, wie beispielsweise die Botanik, in denen weder eine experimentelle Ausrichtung noch eine Orientierung am IMRaD-Schema (siehe Kap. 4.1.1) vorherrscht (vgl. auch Samraj/ Swales 2000: 42). Die oben zitierten Beispiele beschränken sich also auf die Fachkultur experimentell arbeitender Biologen, die im Rahmen der Arbeit befragt wurden. Diese Wissenschaftler führen üblicherweise Experimente im Labor durch und erstellen im Rahmen der Auswertung Tabellen, Chromatogramme sowie andere Visualisierungsformen und kontextualisieren diese später durch das Hinzufügen eines Fließtextes. Alle sechs Biologen beschreiben einen typischen Publikationsablauf, dem zufolge die Planung und Durchführung von Experimenten der erste Schritt ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Schreibprozess als linear gesehen wird, da die Wissenschaftler ebenfalls angaben, Experimente wiederholen oder Textteile neu schreiben zu müssen. Dennoch bilden experimentelle Daten den Ausgangspunkt des Schreibprozesses, wie die folgenden Zitate verdeutlichen: Im Prinzip ist es bei uns auch so, dass wir um Abbildungen herum schreiben. [...] Das heißt, wir haben irgendein Tabellenchart oder eine Abbildung oder irgendein Bild, was wir gemacht haben, oder irgendwelche Chromatogramme oder so was. Und das sind Abbildungen im Text und die stellen eigentlich schon mal das dar, was wir gemacht haben. Und um diese rum müssen wir noch quasi Fülltext schreiben, dass man erklärt, was das ist und wie man sie deuten kann und so. Aber im Prinzip sind die Abbildungen das Wichtige aus dem Paper. (B2PD 00: 25: 07-4) Dann [d.h. nach den Experimenten und der Erstellung der Abbildungen] habe ich den Ergebnisteil drum rum geschrieben und dann die Einleitung. (B35PD 00: 12: 43-6) Im Bereich Maschinenbau finden sich einige Ähnlichkeiten bezüglich des Verhältnisses von Daten und sprachlichen Anforderungen, wie eine ausgeprägte Orientierung an experimentellen Daten und mathematischen Darstellungsformen. Wie in der Biologie wird das Schreiben in dieser Fachkultur überwiegend als nachgelagerte Aktivität gesehen (M5PD, M23P, M24PD, M25D), mit der erst nach dem Vorliegen von empirischen Daten begonnen wird: „Wenn die Ergebnisse alle da sind, also die Diagramme, die gezeigt werden sollen, und die Gleichungen, die rein sollen, [...] dann muss man ja ‚nur noch‘ den Text drum rum schreiben. Und da kann dann eigentlich nichts mehr schiefgehen“ (M23P 00: 27: 50-5). 68 Diese Wahrnehmung stellt darüber hinaus einen Teil der Fachideologie der experimentell arbeitenden Biologen dar und ist Teil ihrer beruflichen Identität. Diese Identität wird unter anderem über die Abgrenzung zu anderen Fachkulturen verdeutlicht, wie im Fall zweier Interviewten (B2PD, B19P), die ihren Schreibstil als nüchtern und funktional beschreiben, im Gegensatz zu dem als „Prosa“ oder „blumig“ bezeichneten Stil anderer Disziplinen. <?page no="144"?> 144 Wie bereits oben angedeutet wurde, ist die Germanistische Linguistik methodisch und im Bezug auf Datentypen variabler als die anderen hier einbezogenen Fachkulturen. Während einige Interviewte berichten, dass sie sich experimenteller Methoden bedienen (L27PD, L31D, L32P), hatten andere eher theoretische Arbeitsschwerpunkte. Zwei Interviewte (L3P, L27PD) betonten in den Interviews, dass sie im internationalen Diskurs von ihrem Wissen über die deutsche Sprache (z.B. vom Zugang zu psycholinguistischen Sprachdaten) profitieren könnten. Obwohl die eher experimentell ausgerichteten Linguisten fast ausschließlich auf Englisch veröffentlichten, wurde dem Deutschen als Wissenschaftssprache dennoch eine gewisse Bedeutung beigemessen: So berichteten drei Interviewte (L27PD, L32P, L34PD), dass Stellen für Linguisten häufig an Germanistik-Instituten ausgeschrieben werden und einige deutschsprachige Publikationen hier nützlich wären, um zu zeigen, dass man „nach wie vor auch die Fähigkeiten [hat], wissenschaftliche Sachverhalte auf Deutsch rüberzubringen“ (L32P 00: 55: 32-8). Trotz der Übermacht des Englischen als Publikationssprache können also institutionelle Anforderungen, wie z.B. der Wunsch nach einer bestimmten Veröffentlichungssprache, Einfluss auf die Sprachwahl haben (siehe Petersen/ Shaw 2002: 372 für weitere Überlegungen zu diesem Thema). Die interviewten Wissenschaftler im Bereich der Geschichte verwenden hauptsächlich sprachliche Daten. Eine Interviewte beschreibt besonders anschaulich, welche Auswirkungen die Verwendung dieser Datenform hinsichtlich der sprachlichen Anforderungen für Publikationen mit sich bringt: Weil Geschichte eben auch so stark über die Sprache vermittelt wird und einfach die Beherrschung dieser Sprache ganz essentiell ist, um seine Gedanken und Argumente rüberzubringen. Es ist halt wenig mit Zahlen, es ist wenig mit irgendwie Statistiken oder so, dass man da sozusagen hauptsächlich sowieso eine andere Sprache verwendet und das dann nur kurz kommentiert oder sowas, sondern das ist wirklich, ja hauptsächlich Sprache. Und wenn man das dann halt nicht so beherrscht als Nichtmuttersprachler, dann ist man da immer im Nachteil. (G16PD 00: 29: 23-3) Ähnliche Nachteile wurden auch von anderen Geschichtswissenschaftlern wahrgenommen, wie auch der regelmäßige Einsatz und die Notwendigkeit muttersprachlicher Korrekturleser nahelegen. Deutlich vorteilhafter für die Geschichtswissenschaftler erscheint dagegen die von vier Befragten (G16PD, G28P, G29D, G30PD) genannte Praxis, deutsche Primärquellen in den internationalen Diskurs einzubringen - ein ‚Alleinstellungsmerkmal‘ mehrsprachiger Wissenschaftler. Zwar erlaubt die vorhandene Zweisprachigkeit den Geschichtswissenschaftlern somit, deutschsprachige Quellen - in englischer Übersetzung natürlich - im internationalen Fachdiskurs zu verbreiten. Die dafür nötigen Übersetzungskompetenzen erhöhen allerdings wiederum die sprachlichen Anforderungen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Beschaffenheit der Daten, auf die eine Fachkultur sich überwiegend bezieht, einen wich- <?page no="145"?> 145 tigen Einflussfaktor hinsichtlich der gestellten sprachlichen Anforderungen darstellt. Das Vorhandensein experimenteller Daten, wie in der Biologie und im Maschinenbau, könnte außerdem zur Einstellung der Befragten beitragen, dass Inhalt (z.B. in Gestalt von Abbildungen) wichtiger als Form ist. Neben einer relativ standardisierten Beschreibungssprache könnte dies auch zu geringeren sprachlichen Anforderungen an die Forscher führen. Im Gegensatz dazu wird das Schreiben in der Geschichtswissenschaft als entscheidender Bestandteil der Wissensschaffung angesehen, wobei Sprache sowohl als kognitives Instrument als auch als Forschungsobjekt dient. Die Arbeits- und Sichtweisen der germanistischen Linguisten waren weniger homogen als in den anderen hier untersuchten Fachkulturen, sodass einige der Befragten eher als experimentell arbeitend charakterisiert werden können, andere dagegen eher in geisteswissenschaftlicher Tradition. 4.1.5 Fazit und Implikationen Ziel der vorangegangenen Überlegungen war es, herauszufinden, welche sprachlichen Anforderungen an Wissenschaftler, die auf Englisch publizieren, in verschiedenen Fachkulturen gestellt werden. Es wurde aufgezeigt, dass die Fachkultur - als Sammelbegriff für fachlich orientierte Schreib- und Veröffentlichungspraktiken, verbreitete Einstellungen und Sichtweisen sowie institutionelle Besonderheiten - ein nützlicher Erklärungsfaktor im Hinblick auf die gestellten sprachlichen Anforderungen ist. Weiterhin wurde festgestellt, dass die ‚tatsächlich‘ benötigte Sprachkompetenz für Veröffentlichungen in englischer Sprache zwischen den hier untersuchten Fächern, aber auch abhängig von der Karrierestufe, variiert. Dies bedeutet letztendlich, dass die fortschreitende Anglisierung der Wissenschaften unterschiedliche Auswirkungen auf Wissenschaftler verschiedener Fachkulturen hat. Präzisierend muss hinzugefügt werden, dass die hier vorgestellten Ergebnisse nicht für ganze Disziplinen gelten, da diese in manchen Fällen eine Reihe von teildisziplinären Fachkulturen beinhalten, wie hier im Fall der Geschichtswissenschaftler und Biologen bereits dargelegt wurde. Dennoch ist das zugrundegelegte Interviewkorpus in zweierlei Hinsicht ausgewogen: Erstens integriert es Wissenschaftler mehrerer deutscher Universitäten und verringerte so die Wahrscheinlichkeit eines universitätsspezifischen Bias, zweitens wurden der Status der Wissenschaftler innerhalb ihrer Fachkultur berücksichtigt, indem die Variable Karrierestufe Berücksichtigung fand. Besonders sinnvoll erwies sich dies bei den Doktoranden, die häufig keinen Eingang in ähnliche Untersuchungen finden (z.B. Pérez-Llantada et al. 2011: 20; Moreno et al. 2012: 162). Es ist jedoch bereits in der Phase der Promotion eine Zunahme englischsprachiger Publikationen zu verzeichnen und in einigen Fachgebieten wird die Veröffentlichung in englischsprachigen Fachzeitschriften inzwischen sogar als Voraussetzung für den Abschluss der Promotion verlangt (vgl. Hyland 2012: 38; siehe auch FN 129). Wichtiger ist <?page no="146"?> 146 jedoch, dass Doktoranden einen Teil der ‚Schreibteams‘ bilden, was je nach Fachkultur zu variierenden sprachlichen Anforderungen beim wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren führt. Die Hauptergebnisse für die einzelnen hier untersuchten Fachkulturen können, in Reihenfolge der Eindeutigkeit der Ergebnisse, wie folgt zusammengefasst werden: - Die Geschichtswissenschaftler im Korpus mussten den höchsten sprachlichen Anforderungen gerecht werden und sind daher häufig von muttersprachlichen Korrekturlesern abhängig. Ihre zweisprachige Arbeitsweise ermöglicht es ihnen zwar, sowohl zum deutschals auch zum englischsprachigen Diskurs beizutragen, aber dies verlangt wiederum ausgebaute Übersetzungskompetenzen. Weiterhin arbeiten sie überwiegend mit sprachlichen Daten und publizieren hauptsächlich in thematisch einschlägigen Publikationsorganen angloamerikanischer Provenienz, was in der Regel an Muttersprachler angelehnte Sprachnormen zur Folge hat. Sie kooperieren kaum beim Schreiben und können wenig bis gar nicht von der Orientierungsfunktion eines rigiden Textschemas und direkt wiederverwendbarer Textbausteine profitieren. - Die Biologen schreiben innerhalb sehr rigider Genre- und Sprachmuster und kommen überwiegend ohne Hilfe von Muttersprachlern aus. Es herrscht eine hierarchische Form der Schreibkooperation und Arbeitsteilung vor, bei der Wissenschaftler verschiedener Karrierestufen unterschiedlich verantwortungsvolle und anspruchsvolle Schreibaufgaben übernehmen. Obwohl eine klare Karriere-Orientierung zu englischsprachigen Ländern (insbesondere den USA) besteht, führt dies scheinbar nicht zu strikteren Sprachnormen. Vielmehr wird häufig der Primat von Inhalt über Form betont. - Die befragten Maschinenbauer profitieren von einer ‚Übermacht‘ nichtmuttersprachlicher Gutachter und Herausgeber in ihrem Feld, was in Ansätzen zu ‚Verhandlungen‘ über gültige sprachliche Normen geführt hat. In der Regel kooperieren sie beim Schreiben englischsprachiger Beiträge. Wie bei den Biologen ist die Genre-Rigidität und sprachliche Formelhaftigkeit relativ hoch, was mit einer überwiegend experimentell-mathematischen Arbeitsweise zusammenhängen könnte. - Die Germanistischen Linguisten bilden eine eher heterogene Fachkultur 69 , in der sich sowohl experimentelle als auch sprachtheoretische Ansätze finden. Je nach Teildisziplin gibt es verschiedene Formen der Schreibkooperation. Einige der Befragten konnten zwar von ihren Deutschkenntnissen profitieren, es wird von ihnen aber auch verlangt, in beiden Sprachen zu veröffentlichen, was einen höheren sprachlichen ‚Wartungsaufwand‘ als z.B. bei den einsprachig publizierenden Biologen bedeuten könnte. Sie sehen Muttersprachler des Englischen zwar als 69 Möglicherweise bilden die hier untersuchten Linguisten auch zwei Fachkulturen, die durch ihre institutionelle Verortung an Germanistik-Instituten zwar gewisse Eigenschaften gemein haben, wie z.B. die wichtige Rolle des Deutschen, aber hinsichtlich sonstiger diskursiver Muster relativ heterogen sind (siehe auch Kap. 3.4.2.2). <?page no="147"?> 147 sprachlich überlegen an, weisen aber zugleich darauf hin, dass ihre eigenen Beiträge nicht unbedingt muttersprachlichen Ansprüchen genügen müssten. Verortet man die untersuchten Fächer entlang eines Kontinuums, das die vier hier berücksichtigten Faktoren enthält, lassen sich die relativ gesehen hohen bzw. niedrigen sprachlichen Anforderungen an englischsprachige Publikationen gut überblicken: Abbildung 8: Ausprägungen der untersuchten Faktoren im Hinblick auf die ‚Schreibschwierigkeit‘ Abschließend soll noch einmal deutlich gemacht werden, dass individuelle fremdsprachliche Fähigkeiten und insbesondere Schreibkompetenzen ohne Zweifel eine wichtige Rolle beim englischsprachigen Publizieren spielen. Dies festzustellen war jedoch nicht das Ziel dieses Kapitels. Vielmehr ging es darum, herauszufinden, inwiefern die Verortung in bestimmten Fachkulturen entweder relativ höhere oder niedrigere sprachliche Anforderungen für die involvierten Wissenschaftler zur Folge hat. Während also Sprachkompetenz ein wichtiger Einflussfaktor für erfolgreiches englischsprachiges Publizieren bleibt, sollte anerkannt werden, dass einige Wissenschaftler deutlich höheren sprachlichen Anforderungen gerecht werden müssen als andere, um erfolgreich auf Englisch zu publizieren. Diese Differenzierung muss auch bei Analysen über die Auswirkungen der zunehmenden Anglisierung der Wissenschaften Berücksichtigung finden. Die von den Maschinenbauern beschriebenen Sprachnormen können als erste Anzeichen für eine Entwicklung hin zu nichtmuttersprachlichen Normen des Englischen gelten, bedingt durch eine starke nichtmuttersprachliche Präsenz und die weitestgehend geteilte Annahme, dass es beim Schreiben wissenschaftlicher Aufsätze in erster Linie um das Verbreiten von Forschungsdaten, das heißt Fachinhalten, ginge. Die Neuverhandlung vorherrschender Sprachnormen durch Nichtmuttersprachler in englischsprachigen Diskursen (vgl. Mauranen 2012: 10) wäre ein wichtiger Schritt in Richtung internationale Fachzeitschriften, die diesen Namen auch verdienen. Eine solche Entwicklung ginge allerdings über zurecht gestellte Forderun- <?page no="148"?> 148 gen - wie eine größere Toleranz gegenüber „sprachlichen Eigenarten“ nichtmuttersprachlicher Wissenschaftler (Ammon 2000: 111; Übers. FR) - weit hinaus. Letztendlich hängt es jedoch von den Diskursteilnehmern ab, insbesondere den Herausgebern und Gutachtern sowie den Verlagen, welche Standards sie in ihrem Fachgebiet etablieren möchten. Die vorgestellten Ergebnisse haben außerdem deutlich gemacht, dass Schreib- und Veröffentlichungspraktiken sowie Einstellungen gegenüber dem Englischen (und Deutschen) als Wissenschaftssprache aus der Perspektive der jeweiligen Fachkultur verstanden werden müssen. <?page no="149"?> 149 4.2 Wahrgenommene Probleme deutschsprachiger Wissenschaftler und ihre Ressourcennutzung Im Gegensatz zu ihren anglophonen Kollegen müssen nichtmuttersprachliche Wissenschaftler, abgesehen von Ausnahmefällen, mit weniger Sprachkompetenz im Englischen auskommen. 70 Die effektive Nutzung vorhandener sprachlicher und fachlicher Ressourcen gewinnt deshalb insbesondere für Wissenschaftler an Bedeutung, die in einer Fremdsprache schreiben und publizieren. Diese Ansicht hat sich in der Fremd- und Fachsprachenforschung bereits seit geraumer Zeit durchgesetzt, wie die langjährige Tradition von Untersuchungen zum wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren von Nichtmuttersprachlern (z.B. bereits St. John 1987) nahelegt. Viele Studien zur Strategienutzung von Nichtmuttersprachlern sind im amerikanischen bzw. britischen Universitätskontext situiert (z.B. Davis 2013; Dong 1998; Parkhurst 1990; Shaw 1991). Einige in diesen Kontexten festgestellte Probleme, wie die Abgeschnittenheit der Nachwuchswissenschaftler von lokalen wissenschaftlichen und sozialen Netzwerken sowie eine unzureichende Betreuung (vgl. Dong 1998: 384f.), gelten für die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung befragten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen jedoch nur bedingt. Weitere Studien zur Strategienutzung konzentrieren sich auf nicht-englischsprachige bzw. mehrsprachige Kontexte, wobei unter anderem (Nachwuchs-)Wissenschaftler in Hongkong (Cheung 2010; Flowerdew 1999, 2007; Hyland 2013b), Japan (z.B. Gosden 1996; Okamura 2006), China (Lei 2008), aber auch Spanien (Pérez-Llantada et al. 2011, St. John 1987) untersucht wurden. Meines Wissens sind bisher jedoch nur wenige empirische Studien zu den von deutschen Wissenschaftlern verwendeten Strategien zum fremdsprachigen wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren erschienen (z.B. Lange 2012). 71 Explizite Vergleiche der Strategienutzung hinsichtlich verschiedener Fachkulturen und Erfahrungsstufen der untersuchten Wissenschaftler wurden ebenfalls noch nicht durchgeführt und versprechen somit neue Einsichten in die Prozesse des Schreibens und Publizierens englischsprachiger Fachtexte. Vor diesem Hintergrund untersucht das vorliegende Kapitel die von den interviewten Wissenschaftlern beim Schreiben, Überarbeiten und Publizieren englischsprachiger Fachartikel verwendeten Ressourcen. Dazu wird in einem ersten Schritt auf die begrifflichen und methodischen Grundlagen eingegangen, was eine Diskussion des Ressourcenbegriffs als Erweiterung des klassischen Strategiebegriffs einschließt (Kap. 4.2.1). Anschließend werden die von den Befragten geschilderten Problemwahrnehmungen vorge- 70 Teile des Kapitels wurden in englischer Sprache in Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe (2015a) veröffentlicht. 71 Für den Bereich Deutsch als wissenschaftliche Fremdsprache sind ebenfalls Untersuchungen erschienen (z.B. Büker 1998), die jedoch außerhalb des Untersuchungsfokus der vorliegenden Studie liegen. <?page no="150"?> 150 stellt (Kap. 4.2.2). Sie können wichtige Anhaltspunkte dazu geben, welche Bereiche des Schreibens und Publizierens die Befragten als besonders anspruchsvoll empfinden. Im darauffolgenden Ergebnisteil werden die von den Befragten thematisierten Ressourcen während des Schreibens, Überarbeitens und Publizierens englischsprachiger Artikel untersucht (Kap. 4.2.3- 4.2.5). Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse sowie einigen forschungsmethodischen und didaktischen Implikationen (Kap. 4.2.6). 4.2.1 Der Ressourcenbegriff: Strategien, peers und Techniken Eine Untersuchung der Ressourcennutzung deutscher Wissenschaftler erfordert einerseits eine Klärung dessen, was als Strategie bzw. Ressource zählt; andererseits müssen die Möglichkeiten von Interviews, Daten zu diesem Thema zu generieren, einer methodischen Reflexion unterzogen werden. Im Folgenden sollen daher die begrifflichen und konzeptuellen Grundlagen einer Untersuchung der Ressourcennutzung deutscher Wissenschaftler gelegt werden. Eine erste Möglichkeit, sich dem Thema zu nähern, stellen die im Bereich des Zweitsprachenerwerbs (Second Language Acquisition) untersuchten Lern- und Kommunikationsstrategien dar. Eine auf den ersten Blick recht allgemein gehaltene Definition des Begriffes Strategie wird von Ellis (1994: 295) angeboten: „In general, the term is used to refer to some form of activity, mental or behavioural, that may occur at a specific stage in the overall process of learning and communicating“. Unter Strategie kann also eine Tätigkeit (activity) verstanden werden, die sich entweder auf mentaler (hier kognitiver) und affektiver Ebene (mental) oder im Verhalten einer Person (behavioural) äußert und im Rahmen von Lern- und Kommunikationsprozessen auftritt. Eine wichtige Eigenschaft von Strategien, die sie von mentalen Prozeduren unterscheidet, ist zudem, dass sie bewusst und zielgerichtet eingesetzt werden (vgl. Oxford 2003: 9; Wolff 2009: 141f.). Oxford (1990: 17) hat in diesem Sinne eine ausdifferenzierte Taxonomie verschiedener Lernstrategien vorgelegt, die sich in die Kategorien kognitive und metakognitve, Gedächtnis-, Kompensations-, affektive sowie soziale Strategien (diese werden im vorliegenden Kapitel weitestgehend als sozioakademische Ressourcen bezeichnet) unterteilen lassen. Für die Ziele der Untersuchung ist eine derartig feingliedrige Aufteilung jedoch zu engmaschig, denn sie birgt die Gefahr, Handlungsmuster der Befragten zu übersehen, da sie in keiner der bereits existierenden Kategorien aufgehen. Für den Forschungsbereich des Fremdsprachenerwerbs liegt konzeptuell und empirisch orientierte Literatur zu Lern- und Kommunikationsstrategien vor (z.B. Grotjahn 1997; Hawkins 1998; Oxford 1990; Rampillon/ Zimmermann 1997; Raupach 2009). In Studien, die die Strategienutzung wissenschaftlicher Autoren untersuchen, wird der Begriff jedoch selten definiert (z.B. weder in Flowerdew 1999; Okamura 2006; Pérez-Llantada et al. 2011), sondern zu- <?page no="151"?> 151 meist als allgemein bekanntes Konzept vorausgesetzt. Eine spezifische Definition von Schreibstrategie findet sich bei Gračner (2011: 233f.): Schreibstrategien sind Strategien, die als Handlungspläne zum Lösen von Schreibproblemen verwendet werden. Dabei können Schreibprobleme in allen Teilprozessen des Schreibens auftreten. Schreibstrategien können sich dabei auf verschiedene Aspekte beziehen (vgl. Plag 1996: 239): den Umfang und die äußere Form des Textes (die Textgestaltung bzw. den Textaufbau), den Stil, auf das Wissen des Schreibers über Eigenschaften einzelner Textsorten (das Textsortenwissen) und auf das Umgehen von Problemen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen wie der Semantik (z.B. Wortfindungsprobleme), Morphologie (z.B. Genus der Substantive) und Syntax (z.B. Wortstellung). Hier wird vor allem Augenmerk auf die textuelle Dimension des Schreibens gelegt. Eine solche Konzeptualisierung wird jedoch der komplexen Situation des wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens nur teilweise gerecht, denn diese umfasst nicht nur individuelle Texterstellung, sondern ebenso kommunikative, kollaborative und identitäre Elemente (vgl. Canagarajah 2002: 30, 2011: 417; Hyland 2009a: 65; Lei 2008: 219). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, textbasierte korpuslinguistische oder genre-analytische Untersuchungsmethoden durch interviewbasierte Methoden zu ergänzen: Interviews ermöglichen eine Beschreibung und Rekonstruktion (impliziter) wissenschaftssprachlicher Praktiken und professioneller Identitäten. Zusätzlich zu den direkt auf den Texterstellungsprozess bezogenen Strategien ist für die vorliegende Untersuchung somit die ‚sozio-akademische‘ oder kommunikative Strategiedimension sowie die Nutzung technischer Hilfsmittel von Bedeutung. Sie bilden einen wichtigen Teil wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens, wie z.B. bei Nutzung von Computern und Textverarbeitungsprogrammen, beim Schreiben im Team, beim Kontakt mit Korrekturlesern oder Herausgebern etc. Um den etablierten Strategiebegriff an die soziale, kommunikative und technisch-mediale Einbettung wissenschaftlichen Schreibens anzupassen, wurde der vorliegenden Untersuchung eine Begriffs-Trias zugrundegelegt, die sich an den Ressourcen orientiert, auf die die Befragten Zugriff haben. Die drei damit verbundenen Konzepte - Strategien, peers und Techniken - zeigen zwar gewisse Überlappungen auf, die gewählte Unterscheidung hat jedoch den Vorteil, den Untersuchungsfokus auf involvierte Akteure (sozioakademische Ressourcen oder peers) sowie dabei verwendete technische Medien (im Sinne von Software) beim Schreiben und Publizieren zu erweitern. Es wird somit nicht nur das Individuum in seiner beispielsweise kognitiven oder affektiven Strategienutzung betrachtet, sondern der sozialen Einbettung von Wissenschaftlern in Diskursbzw. Praxisgemeinschaften Rechnung getragen. Weiterhin kann folglich komplexes und längerfristiges strategisches Handeln (wie einen Text auf bestimmte Adressaten zuzuschneiden) sowie eher räumlich und zeitlich begrenzte Vorgehensweisen (d.h. <?page no="152"?> 152 medial basierte Techniken wie die Benutzung eines Online-Wörterbuches) unterschieden werden. Die folgende Abbildung verdeutlicht die Zusammenwirkung der drei Ressourcentypen: Abbildung 9: Die Beziehung strategischer, sozio-akademischer (peers) und technischer Ressourcen Strategische Ressourcen werden in der vorliegenden Arbeit als bewusst eingesetzt definiert. Sie sind charakterisiert durch eine Art Handlungsplan und zielen auf die Lösung von (wahrgenommenen) Problemen ab. Komplexere Strategien integrieren häufig andere Ressourcen, wie z.B. Techniken und peers. Zum Erreichen der Ziele eines Handlungsplanes werden beispielsweise sozioakademische Ressourcen wie Kollegen, Korrekturleser, Herausgeber und Gutachter eingesetzt. Dabei nutzen die Befragten Fremdkompetenzen, d.h. die sprachlichen oder fachlichen Fähigkeiten anderer. Weiterhin spielen für die Erreichung der Strategie-Ziele medienbasierte, zeitlich-räumlich abgegrenzte, teils ‚mechanistische‘ Handlungen, die Techniken, eine wichtige Rolle. Wissenschaftliches Schreiben und Publizieren setzt in der Regel die Nutzung verschiedenster Medien und Software (z.B. eine Textverarbeitung oder ein Online-Wörterbuch) voraus. Techniken und peers sind häufig Teil umfassenderer Strategien: So ist z.B. die Überprüfung einer Kollokation mithilfe von Google oder die Vorlage eines Manuskriptes bei einem Korrekturleser ein technischer bzw. sozioakademischer Teilschritt auf dem Weg zur Veröffentlichung eines englischsprachigen Artikels. In diesem Sinne sind Techniken und Peers also häufig in umfangreichere Stra- <?page no="153"?> 153 tegien integriert und werden zu deren Umsetzung herangezogen. Zusammen bilden sie die verfügbaren Ressourcen der Befragten. Wie dies bereits im Kapitel über die methodologischen Grundlagen der Untersuchung erklärt wurde (siehe Kap. 3.3), muss bei der Untersuchung der verwendeten Ressourcen beachtet werden, dass in den Interviews geäußertes „Strategiewissen und tatsächlicher Strategiegebrauch bei einer Person erheblich auseinanderfallen“ (Grotjahn 1997: 63) können. Die hier vorgestellten und aus den Interviews gewonnenen Daten bieten zweifellos wertvolle Einsichten in das Strategiewissen der Befragten, können jedoch von der tatsächlichen, alltäglichen Ressourcennutzung der Befragten abweichen. Die konzeptuelle Erörterung des Ressourcenbegriffs soll durch ein Interviewzitat illustriert werden, in dem die Durchsicht eines Manuskriptes besprochen wird: Abbildung 10: Die Verteilung von Strategien, peers und Techniken anhand eines Interviewbeispiels Der Befragte nutzt sozioakademische (d.h. eine Korrekturleserin) und technische (den Änderungen verfolgen-Modus in Word) Ressourcen, um eine aus seiner Sicht effiziente Überarbeitung von Manuskripten (Strategie) zu gewährleisten. Er wählt dazu eine zweistufige Durchsichtsstrategie, bei der er die direkten Textänderungen der Korrekturleserin zunächst akzeptiert und beim Durchlesen des Manuskriptes zusätzliche Anmerkungen der Korrekturleserin bewertet und unter Umständen mit in die Überarbeitung einbezieht. Die Analyse dieses Interviewausschnitts zeigt die Komplexität typischer Fälle von Ressourcennutzung, die sowohl sozioakademische, technische als auch strategische Elemente enthalten können. Die vorgeschlagene begriffliche Differenzierung des Ressourcenbegriffs könnte zudem pädagogisch sinnvoll sein. Wenngleich dies nicht immer <?page no="154"?> 154 direkte Übertragbarkeit in einen genuin wissenschaftlichen Kontext bedeutet, können Techniken aufgrund ihrer begrenzten zeitlich-räumlichen Komplexität Gegenstand in wissenschaftlichen Schreibkursen werden (z.B. das ‚Ergoogeln‘ fachsprachlicher Ausdrücke, die Benutzung von Wörterbüchern, das Entnehmen formelhafter Sequenzen aus wissenschaftlichen Artikeln, die effiziente Nutzung des Änderungen verfolgen-Modus in Word). Die Nutzung sozialer Ressourcen wie Korrekturlesern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig (z.B. Verfügbarkeit, Finanzierbarkeit), könnte aber wichtiges Orientierungswissen für erfolgreiches wissenschaftliches Schreiben und Publizieren in wissenschaftlichen Diskursgemeinschaften bilden. Das Unterrichten von Schreib- und Lernstrategien, auch anhand von Beispielen guter Praxis aus den Interviews, könnte darüber hinaus zur verbesserten Vorbereitung auf wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache Englisch dienen. Eine gewisse Vorsicht ist dennoch geboten, da die effiziente Nutzung von Strategien möglicherweise eine gewisse Schreib- und Publikationserfahrung bedingt bzw. sich aufgrund von gelebten Erfahrungen in einer bestimmten Diskursgemeinschaft erst ausbildet. Dies ist z.B. der Fall, wenn Nachwuchswissenschaftler im Rahmen der Veröffentlichung ihrer ersten wissenschaftlichen Publikationen lernen, welche Fachzeitschriften einschlägig sind und an ihren Manuskripten interessiert sein könnten. Unterschiede hinsichtlich der Strategienutzung existieren nicht nur zwischen den Gruppen mutter- und nichtmuttersprachlicher Autoren 72 , auch innerhalb der Gruppe der Nichtmuttersprachler des Englischen kann die Nutzung strategischer, sozioakademischer und technischer Ressourcen stark variieren. Deshalb werden die Befragten hinsichtlich der Fachkulturen und Karrierestufen, die einen großen Einfluss auf die Schreib- und Veröffentlichungspraxis individueller Wissenschaftler ausüben können, unterschieden (zu grundlegenden Überlegungen zu Disziplinarität und Fachkulturen siehe Kap. 2.3.7 und 3.4.2.2). So beschäftigen sich zahlreiche Untersuchungen (z.B. Dong 1998; Flowerdew 1999; Gosden 1996; Parkhurst 1990; Shaw 1991; St. John 1987) hauptsächlich mit den sciences, also mit den Natur- und Technikwissenschaften. Als Begründung für diese Wahl wird häufig angeführt, dass diese Disziplinen globaler orientiert seien als andere Wissenschaften (vgl. Okamura 2006: 70). Zwar spielt international wahrnehmbare Forschung in den Naturwissenschaften eine besonders wichtige Rolle, aber Germanistische Linguisten und Geschichtswissenschaftler zeigen im Interviewkorpus gleichfalls eine zunehmend internationale Ausrichtung ihrer Forschungs- und Veröffentlichungspraxis (siehe Kap. 5.2.2.1). Eine Untersuchung, auf welche schreib- und publikationsrelevanten Ressourcen Geistes- 72 Wenngeich Muttersprachler des Englischen zweifellos Unterschiede in der Ressourcennutzung aufzeigen, ist es ebenso offensichtlich, dass Nichtmuttersprachler des Englischen besonders in sprachlicher Hinsicht stärker auf eine effiziente Ressourcennutzung angewiesen sind. Ein Beleg dafür ist die weitverbreitete Nutzung von Wörterbüchern und (professionellen) Korrekturlesern. <?page no="155"?> 155 wissenschaftler zurückgreifen, stellt somit eine Ergänzung bisheriger Forschungen in Aussicht. Es soll in diesem Zusammenhang zudem die Frage beantwortet werden, inwiefern Ressourcen fächerübergreifend verwendet werden oder häufiger in bestimmten Fachkulturen zum Einsatz kommen. Den meisten oben angeführten Studien ist weiterhin gemein, dass sie sich auf Nachwuchswissenschaftler konzentrieren. Die Untersuchung der unterschiedlichen verwendeten Lern-, Kommunikationsbzw. Schreibstrategien wurde demnach hauptsächlich im Hinblick auf die didaktische Verwertbarkeit der Ergebnisse für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses durchgeführt. Zwar spielt diese Orientierung in der vorliegenden Untersuchung ebenfalls eine Rolle, es sollen jedoch alle Statusgruppen (Doktoranden, Postdoktoranden, Professoren) im Korpus mit einbezogen werden, da sich so eine weitere Vergleichsdimension erschließt und möglicherweise erfahrungs- und sozialisationsbedingte Unterschiede in der Ressourcennutzung aufgedeckt werden können. 4.2.2 Wahrgenommene Probleme der Befragten Im Rahmen der Untersuchung wird, wie bereits oben dargelegt, davon ausgegangen, dass nichtmuttersprachliche Wissenschaftler im Normalfall geringer ausgeprägte Englischkompetenzen besitzen als Muttersprachler des Englischen und dass dieser Umstand eine intensivere Nutzung sprachlichfachlicher Ressourcen nötig macht. Die von den Befragten im Rahmen der Untersuchung genannten Problemfelder (siehe Abbildung 11) können dabei ein erster Anhaltspunkt dafür sein, in welchen Bereichen die Befragten am ehesten Schwierigkeiten beim englischsprachigen Schreiben und Publizieren wahrnehmen. 73 Abbildung 11: Wahrgenommene Problemfelder der Befragten (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) 73 Unter dem Begriff „Problem“ werden in diesem Zusammenhang Äußerungen der Befragten verstanden, die ein Hindernis auf dem Weg zur Publikation thematisieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle interviewten Wissenschaftler die genannten Schwierigkeiten als unüberwindbar ansahen. 19 12 9 9 6 0 5 10 15 20 Anzahl Nennungen (n=51) Von den Befragten wahrgenommene Problemfelder beim Schreiben und Publizieren auf Englisch Sprachlich Publikationsbezogen Inhaltlich Organisatorisch Sonstige <?page no="156"?> 156 Wie aus Abbildung 11 hervorgeht, teilten die 36 Befragten im Korpus insgesamt 51 Probleme beim Schreiben und Publizieren auf Englisch mit. Es liegt nahe, dass die Befragten ‚Lösungen‘ für diese Probleme finden müssen, wenn sie dennoch erfolgreich publizieren möchten. 74 Das erste Item der Abbildung, sprachliche Probleme (19 Nennungen) stellt die quantitativ größte Antwortkategorie dar. Von den 19 Nennungen der Wissenschaftler beziehen sich 12 auf Formulierungsschwierigkeiten und sieben auf Probleme in einem grammatischen oder lexikalischen Bereich. So konstatierten viele Befragte in dieser Gruppe, dass beim englischsprachigen Schreiben vermehrt Formulierungsunsicherheiten auftreten können, wie eine Auswahl an Beispielzitaten aus den Interviews verdeutlichen kann: Ja, also dass [...] aufgrund dieser eigenen fehlenden Sprachpraxis das nicht so ... nuanciert, sophisticated, oder wie immer das dann ausgedrückt wird, im Englischen formulieren kann wie im Deutschen. (6PD BWL 00: 26: 48-5) Also es ist natürlich immer ein Problem, dass man eben nicht ganz formulierungssicher ist. Also man hat zwar den Vorteil, dass eben die ganzen Fachtermini auf Englisch eben existieren und auf Deutsch mittlerweile nicht mehr. Aber dann, wenn man doch mal was umschreiben muss irgendwie, dann ja, ist es problematisch. Auf Deutsch ist das natürlich einfacher. (9D Informatik 00: 16: 01-3) 75 Also, dass einem so die Wörter fehlen und man nicht so weiter kommt [...], weil ich vielleicht in dem Moment gar nicht so (2), ja so eine Vielzahl an Wortschatz oder so zur Verfügung habe, um mich so auszudrücken, wie wenn ich jetzt das auf Deutsch schreiben wollen würde. (G29D 00: 08: 54-3) Zwar werden begrenzte Ausdrucksmöglichkeiten in der Fremdsprache nicht von allen Forschern im Korpus als problematisch angesehen (siehe Kap. 5.2.5), die Interviewten in dieser Kategorie sahen das ‚Gefälle‘ der rhetorischen Fähigkeiten zwischen der Erst- und Zweitsprache jedoch als eine Herausforderung an. Dies wird beispielsweise im zweiten Interviewausschnitt deutlich, in dem der befragte Informatiker einerseits die Sicherheit im Umgang mit der (nur auf Englisch vorhandenen) Fachterminologie betont, andererseits aber einräumt, bei umschreibenden Abschnitten, die eher auf allgemeinsprachliche Phraseaologie des Englischen basieren, Probleme zu haben. Die festgestellten Ausdrucksprobleme stimmen mit Ergebnissen anderer Studien (vgl. Dong 1998; Flowerdew 1999; Okamura 2006: 71) überein, in denen sie ebenfalls als häufiges Problem für Wissenschaftler, die Nichtmuttersprachler des Englischen sind, herausgestellt wurden. Als ein Problem in 74 Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass bereits gelöste Probleme möglicherweise nicht in den Interviews thematisiert wurden, da diese, z.B. durch den Einsatz vorhandener Ressourcen, nicht länger als Problem wahrgenommen werden. 75 Die Betonung des Wortes „umschreiben“ lässt darauf schließen, dass der Befragte sich hier auf die verbale Beschreibung eines Sachverhaltes bezieht und nicht auf das Überarbeiten von Textfragmenten. <?page no="157"?> 157 einem spezifisch grammatischen Bereich wird unter anderem angesehen, dass „die Satzstellung im Deutschen anders“ (M5PD 00: 18: 13-4) sei. Die Unterschiede in der Syntax des Englischen und Deutschen führe für einige Befragte zur Notwendigkeit „die deutschen Denk- und Satzstrukturen“ (11P Automatisierung 00: 11: 18-8) so „zu transformieren“ (6PD BWL 00: 43: 56-7), dass sie dem Englischen eher entsprechen. Die zweite Kategorie, publikationsbezogene Probleme (12 Nennungen), beinhaltet Aussagen, die Schwierigkeiten nach dem eigentlichen Schreiben des Manuskripts thematisieren. Fast alle Nennungen beziehen sich auf das wissenschaftliche Begutachtungs- oder peer review-Verfahren, und thematisieren beispielsweise umfangreiche oder nicht nachvollziehbare Änderungswünsche der Herausgeber als problematisch. Dabei können die gewünschten Änderungen sich auf inhaltliche, formelle aber auch sprachliche Gesichtspunkte beziehen, wie die folgenden Beispiele illustrieren: Dass irgendetwas nicht akzeptiert wird, weil man ein falsches Format hat oder weil eine Grafik […] als nicht ausreichend von der Qualität eingestuft wird. (10P Chemie 00: 11: 25-2) Also natürlich, die heutigen Zeitschriften, je höherrangig man wird, desto mehr bekommt man zur Revision zurück. Dann muss man entweder nur rewording machen, also am Sprachlichen arbeiten, das ist das einfachste oder man muss zusätzliche Versuche machen. (B19P 00: 12: 47-7) Äußerungen in der dritten Kategorie, inhaltliche Problemfelder (9 Nennungen), beziehen sich überwiegend auf die Argumentation in Fachartikeln, wie z.B., dass ein „Ergebnis [...] mehr diskutiert werden“ (M5PD 00: 10: 58-5) muss oder das ‚Verrennen‘ in eine Idee, „dass man einfach merkt, man ist auf dem Holzweg gewesen“ (12D Elektrotechnik 00: 10: 11-5). Im Problemfeld Organisation (9 Nennungen) wurde unter anderem Zeitmangel als ein typisches Problem geschildert: „Es gibt natürlich immer ein Zeitproblem, ne? Das ist ja bei jeder Abgabe so. Das ist auch nicht sprachspezifisch. Muss man dann schauen, dass man innerhalb der Zeit da die Inhalte zusammenschreibt“ (12D Elektrotechnik, 00: 10: 11-5). Zeitprobleme können ebenso dadurch entstehen, dass „neuere Publikationen, die dann plötzlich auf den Tisch kommen“ (G22P 00: 16: 21-5), kurzfristig in das Manuskript eingearbeitet werden sollen. Hinter der Bezeichnung sonstige Problemfelder (6 Nennungen) verbergen sich beispielsweise finanzielle Probleme, die im Bezug zur Veröffentlichung auf Englisch stehen: Das ist ja [...] ein großes Problem, warum zum Teil auch nicht in englischer Sprache [...] so auf Dissertationslevel oder so, nicht veröffentlicht wird, weil man in der Regel hier die meisten jemanden brauchen, der wirklich das also auch seriös überall überarbeitet und das ist, das ist eine Preisfrage einfach. (G30PD 00: 21: 47-6) Die befragte Geschichtswissenschaftlerin betont die finanzielle Bürde für muttersprachliche Durchsichten besonders längerer Werke und konstatiert, <?page no="158"?> 158 dass aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung bisher nur wenige Dissertationen in der Geschichtswissenschaft in englischer Sprache veröffentlicht werden. Aus der Begutachtung der am häufigsten genannten Probleme der Befragten ergibt sich unmittelbar die Frage, ob sie ähnliche Probleme wahrnehmen, wenn sie auf Deutsch veröffentlichen. Erwartungsgemäß berichten jedoch viele Wissenschaftler, die parallel auf Deutsch publizieren oder dies im Laufe ihrer Karriere bereits getan haben, weniger sprachorientierte Ressourcen für deutschsprachige Veröffentlichungen zu benötigen. 76 Auf die Interviewfrage, ob sie beim Schreiben deutschsprachiger wissenschaftlicher Artikel ähnlich vorgehen würden, nannten die meisten Interviewten interessante Unterschiede, wie z.B., dass sie weniger Nachschlagewerke benutzen oder dass sie ihre Artikel entweder gar nicht oder zumindest weniger intensiv sprachlich korrigieren ließen. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Unterschied ist zudem, dass die Korrekturleser, die für Durchsichten deutschsprachiger Texte eingesetzt werden, im Normalfall Muttersprachler des Deutschen sind, somit also in der Regel keine Notwendigkeit besteht, externe Sprachprüfer zu bezahlen. Wenngleich dies im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter untersucht werden soll, kann festgehalten werden, dass die meisten Befragten angaben, weniger sprachliche Ressourcen für deutschsprachige Veröffentlichungen in Anspruch zu nehmen. Hinsichtlich der wahrgenommenen Probleme kann konstatiert werden, dass die Befragten am häufigsten sprachliche sowie mit der Veröffentlichung von Manuskripten zusammenhängende Hindernisse thematisieren, aber auch inhaltliche, organisatorische, finanzielle und zeitliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. Um trotz dieser wahrgenommenen Schwierigkeiten erfolgreich auf Englisch zu publizieren, kann eine effiziente Ressourcennutzung ausschlaggebend sein. Vor diesem Hintergrund werden in den folgenden Abschnitten systematisierte Daten aus den Interviews mit den befragten Wissenschaftlern vorgestellt, diskutiert und so verschiedene Praktiken der Ressourcennutzung beleuchtet. In den folgenden Abschnitten werden in den Interviews vorgefundene Themenfelder im Hinblick auf die Nutzung von Ressourcen vorgestellt und diskutiert. Dabei wurde zur besseren Übersichtlichkeit eine Aufteilung gewählt, die sich an typischen Phasen im Schreib- und Publikationsprozess orientiert: In Kapitel 4.2.3 wird demnach die Ressourcennutzung der Befragten beim Schreiben, in Kapitel 4.2.4 während der Überarbeitung und in Kapitel 4.2.5 im Verlauf des Publikationsvorgangs vorgestellt. Trotz dieser linear orientierten Einteilung sollte beachtet werden, dass sowohl Schreibals auch Publikationsvorgänge in der Regel iterativ und rekursiv sind (vgl. Flower/ Hayes 1981), also in Wiederholungsschleifen ablaufen, und die vor- 76 Siehe dazu auch die Beispiel-Interviewpassagen im Problemfeld Sprache oben, wo alle drei Befragte den Kontrast zu ihren Kompetenzen im Deutschen hervorheben. <?page no="159"?> 159 genommene Gliederung somit nur eine idealisierte Annäherung an die tatsächlich durchlaufenen Phasen sein kann. 4.2.3 Ressourcennutzung während des Schreibens In der ersten hier vorgestellten Phase spielen vor allem technische bzw. lexikalische Ressourcen, wie die Verwendung von Wörterbüchern, eine wichtige Rolle für die Befragten (Kap. 4.2.3.1). Weiterhin wird auf eine Schreibstrategie eingegangen, bei der der inhaltliche Schreibprozess von der formalen und sprachlichen Überarbeitung getrennt wird, um so die Anforderungen an den Schreibprozess in der Fremdsprache zu verringern (Kap. 4.2.3.2). Den dritten inhaltlichen Schwerpunkt bilden in den Interviews thematisierte Schreib-, Übersetzungs- und Denkroutinen (Kap. 4.2.3.3). Dabei wird es unter anderem darum gehen, warum die meisten Befragten angeben, lieber direkt auf Englisch zu schreiben als eine Komplettbzw. Teil-Übersetzung deutschsprachiger Vorlagen anzufertigen. 4.2.3.1 Lexikalische Ressourcen Beim Verfassen englischsprachiger Texte fehlen den Autoren häufig Ausdrucksmittel verschiedener Art (siehe Item sprachliche Probleme in Abbildung 11, S. 155); für Ergebnisse in anderen nicht-anglophonen Kontexten siehe z.B. Flowerdew 2007 und Pérez-Llantada/ Pló / Ferguson 2011). Zwar ist dies beim Schreiben in der Muttersprache ebenfalls nicht ungewöhnlich, dennoch scheint die Häufigkeit und Intensität der Nutzung lexikalischer Ressourcen beim Schreiben in der Fremdsprache Englisch wesentlich höher ausgeprägt zu sein. Die von den Befragten verwendeten lexikalischen Ressourcen werden im Folgenden zuerst in der Übersicht dargestellt (siehe Abbildung 12 hierunter), anschließend im Detail beschrieben und hinsichtlich ihrer Bedeutung für das englischsprachige Schreiben diskutiert. <?page no="160"?> 160 Abbildung 12: Lexikalische Ressourcen, die zum Schreiben und Überarbeiten von Texten genutzt werden (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Die Benutzung verschiedener Wörterbuchtypen ist wenig überraschend und unter den Befragten aller Fächer weit verbreitet. Besonders auffällig ist hierbei jedoch, dass 29 der 36 Wissenschaftler (also ca. 80%) angeben, zweisprachige Online-Wörterbücher, insbesondere LEO 77 , zu benutzen. Diese Vormachtstellung zweisprachiger Wörterbücher kann man unter anderem als Indiz dafür werten, dass die Deutschkompetenzen der Interviewten als sprachlich-fachliche Ressource weiterhin eine wichtige Rolle spielen und die zunehmende Anglisierung der Wissenschaft (bisher) nicht zu einer wissenschaftlichen Einsprachigkeit der Befragten geführt hat. Mit Ausnahme eines Amerikanisten (1PD Amerikanistik) nutzen die Interviewten keine einsprachigen Wörterbücher, die ebenfalls im Internet frei verfügbar sind, sondern verlassen sich auf ihren deutschen Wortschatz um englischsprachige Äquivalente für ihre wissenschaftlichen Publikationen zu finden. 78 Dieses Ergebnis spricht darüber hinaus für eine fundierte deutschsprachige Wissenschaftssozialisation der Befragten; ihnen scheinen deutschsprachige Begriffe zumeist präsenter zu sein, was die Nutzung eines zweisprachigen Wörterbuches effizienter bzw. sogar notwendig macht. Zweisprachige papierene Wörterbücher spielen ebenfalls noch eine Rolle (10 Nennungen), insbesondere wenn disziplinspezifischer Fachwortschatz im Zentrum steht. Lediglich vier 77 „Link Everything Online“ (http: / / dict.leo.org/ ende/ index_de.html, eingesehen am 08.01.2015) 78 Dies schließt natürlich nicht aus, dass manche Wissenschaftler bilinguale Wörterbücher einsetzen, um deutschsprachige Übersetzungen für ausschließlich auf Englisch bekannte Fachbegriffe zu finden. 29 11 10 8 7 4 3 0 5 10 15 20 25 30 Anzahl Nennungen (n=72) Von den Befragten genannte lexikalische Ressourcen Online-Wörterbücher Fachpublikationen Papierene Wörterbücher Google Word-Korrekturhilfe Synonymwörterbücher Maschinelle Übersetzung <?page no="161"?> 161 Befragte gaben an, Synonymwörterbücher zu verwenden, um z.B. Wortwiederholungen zu vermeiden. Weniger verbreitet als die Nutzung von Wörterbüchern ist die Verwendung von Google, um z.B. englischsprachige Formulierungen auf ihre Verbreitung hin zu überprüfen (8 Nennungen). Die folgenden zwei Beispielzitate veranschaulichen, wie die Befragten diese technische Ressource einsetzen: Ein richtiges Problem ist diese Adverbstellung bei Verben: I always think, I think always oder sonst was. Also das wär’ so, da bin ich mir teilweise nicht sicher dann, was machen. Dann google ich es. Dann google ich und schaue, wie häufig die Phrase vorkommt. (L27PD 00: 15: 27-2) Ich arbeite […] übrigens mit Google, um Formulierungen nachzuschlagen. Was kann man sagen, was kann man nicht sagen. (8P Politik 00: 06: 58-9) Die beiden Befragten orientieren sich also an den Ergebnissen der Suchmaschine um zu überprüfen, ob das Geschriebene bereits in anderen Texten verwendet wurde. Darüber hinausgehend nutzen jedoch nur einige wenige Befragte die Möglichkeiten von Google noch effizienter aus. Sie versuchen beispielsweise ‚Schwachstellen‘ gängiger zweisprachiger Wörterbücher auszugleichen (9D Informatik), wie die fehlende Angabe von Kollokationen, oder berücksichtigen neben den Häufigkeitsangaben zusätzlich die Herkunft der Suchergebnisse: Also sowas wie LEO hab’ ich dann immer meistens als erstes offen. [...] Also man ist ja oft nicht sicher, in welchem Kontext man welche Vokabel wie benutzen soll. Dann, ja, versuche ich auch das einfach zu googeln, ob man das irgendwie, ob man da Beispielpassagen findet aus anderen Texten. (9D Informatik, 00: 07: 49-1) Und ich habe dann oft festgestellt, dass ich schon mal zu Denglisch neige, dass man bestimmte Formulierungen dann plötzlich nur bei deutschsprachigen websites findet. (6PD BWL 00: 14: 26-9) Dass insgesamt lediglich acht Befragte angeben, von den sprachlichen Überprüfungsmöglichkeiten der Suchmaschine Gebrauch zu machen, sollte dazu motivieren, die Handhabung von Google in Schreibkursen und Workshops zu intensivieren. Weitergehende technische Recherchemöglichkeiten wurden in den Interviews nicht thematisiert, obwohl diese eine zusätzliche Ressource für die Befragten beim Schreiben und Überarbeiten englischsprachiger Texte bieten könnten. So eröffnen Suchanfragen über die Oberflächen von Google Books oder Google Scholar die Möglichkeit, ausschließlich in bereits veröffentlichten Büchern bzw. wissenschaftlichen Artikeln zu recherchieren und so die berücksichtigten Genres und Quellen weiter in Richtung wissenschaftsspezifische Veröffentlichungen einzugrenzen. Ebenso wenig wurden fachspezifische Korpora von den Befragten erwähnt, obwohl beispielsweise das frei verfügbare Corpus of Contemporary Academic English (COCA, http: / / <?page no="162"?> 162 corpus.byu.edu/ coca/ ) deutlich spezifischere sprachorientierte Suchanfragen erlaubt als Google (vgl. Davies 2013 für einen Vergleich von Google Scholar und COCA im Hinblick auf sprachliche Recherchemöglichkeiten). Es ist weiterhin auffällig, dass Webseiten wie die Academic Phrasebank der Universität Manchester (http: / / www.phrasebank.manchester.ac. uk), die Formulierungshilfen für zahlreiche typische Sprachhandlungen in wissenschaftlichen Aufsätzen bereithält, nicht von den Interviewten genannt werden. 79 Insbesondere im Bereich elektronischer Online-Korpora dürften sich also bisher noch nicht erschlossene technische Ressourcen für das wissenschaftliche Schreiben in englischer Sprache nutzbar machen lassen. Weitere elf Befragte geben an, Fachpublikationen als sprachliche Ressource zu nutzen. Dieses Ergebnis widerspricht Okamuras (2006: 73) Strategie-Klassifizierung, in der das Lesen von Fachpublikationen als fachbezogene Strategie beschrieben wird. Ihre Kategorisierung von Lernstrategien in subject-oriented strategies und language-oriented strategies (vgl. ebd.) ist deshalb zu reduktionistisch, weil eine klare Trennung von Sprache und Fachlichem nicht immer möglich ist. So werden beim Lesen von Fachliteratur nicht nur Inhalte, sondern ebenso Fachbegriffe sowie genre- und fachspezifische Versprachlichungsmuster erlernt, die für eine diskursive Teilnahme am Fach unabdingbar sind. In diesem Sinne ist fachliche Praxis immer in sprachlicher Praxis verankert (vgl. Hyland 2013a: 59), wie einige ausgewählte Beispiele verdeutlichen: Da hilft eigentlich nur, ja die übliche englische Fachliteratur wirklich zu lesen, bis man so ein Gefühl dafür kriegt, wie formuliert man das eigentlich und welche Fachwörter benutzt man. (M25D 00: 09: 01-7) Da hab’ ich das Gefühl, dass die Formulierungen zum Teil einfach durch das Lesen von englischen Artikeln dann irgendwie klarer sind oder auch wissenschaftlicher, also nicht mehr ganz so student-like. (L31D 00: 27: 24-9) Zum einen steckt man natürlich, wenn man in einem bestimmten Thema ist, in bestimmten Formulierungen auch drin, weiß, was dort auch immer wieder auftaucht. Es gibt ja so bestimmte key words, die dann immer wieder kommen, und die kann man ja dann schon auch quasi schon übernehmen. (6PD BWL 00: 14: 26-9) Und auch mit anderen englischen Texten, wo ich das auch noch mal vergleiche, was man faktisch, realistischerweise sagt. (8P Politik 00: 06: 58-9) Wie in den Aussagen deutlich wird, lesen die Befragten englischsprachige Aufsätze also nicht nur als inhaltliche, sondern auch als sprachliche Res- 79 In diesem Zusammenhang ist das Formulierungswörterbuch UniComm (http: / / www.mumis-unicomm.de) zu erwähnen, das Studierenden und Lehrenden sprachliche Sequenzen für die Lehrveranstaltungskommunikation an die Hand gibt (vgl. auch Knapp/ Timmermann 2012). <?page no="163"?> 163 source. 80 Sie eignen sich in wissenschaftlichen Texten vorgefundene Formulierungen und Fachbegriffe an, um sie in ihrer eigenen Schreibpraxis zu verwenden. In diesem Zusammenhang spielen formelhafte Sequenzen, wie z.B. Kollokationen, nicht nur in der Gemeinsprache eine herausragende Rolle (vgl. Aguado 2002; Fiedler 2011: 85), sondern auch in der Wissenschaft: „Lexical bundles, or frequently occurring word sequences [...] are a key way that particular disciplines produce community specific meanings and contribute to a sense of distinctiveness and naturalness in a register“ (Hyland 2013a: 64). Die Befragte L31D beschreibt diesen Umstand mit der Aussage, dass ihre Formulierungen nicht mehr „ganz so student-like“ klängen, sich also zunehmend mit der Fachsprache in Publikationen decken. In den vorgestellten Beispielzitaten geschieht die Annäherung an die fachsprachlichen Anforderungen überwiegend implizit, also durch eine Form der Lese-Immersion, die den Befragten ein „Gefühl“ (M25D, L31D) dafür gibt, wie man fachlich angemessen schreibt bzw. welche „Formulierungen“ und „key words“ (6PD BWL) man „realistischerweise“ (8P Politik) verwendet. Mit einiger Sicherheit kann somit davon ausgegangen werden, dass das Lesen englischsprachiger Fachtexte eine zentrale sprachliche Ressource sämtlicher Wissenschaftler darstellt, selbst wenn diese nicht in allen Fällen in den Interviews erwähnt wurde. Vertiefend soll nun auf die explizite Wiederbenutzung von Sprache eingegangen werden („language re-use“, Flowerdew 2007: 19). Besonders auffällig in Bezug auf die Wiederverwendung formelhafter Sprache ist es, dass fünf der sechs befragten Biologen wissenschaftliche Publikationen darüber hinaus als Schreibressource verwendeten, aber nur zwei Maschinenbauer sowie je ein Germanistischer Linguist und Geschichtswissenschaftler. Die von diesen Befragten beschriebenen Praktiken umfassen unter anderem das Kopieren kompletter sprachlicher Sequenzen aus Fachpublikationen, bei denen lediglich enthaltene Werte oder Daten ausgetauscht wurden, oder das systematische Sammeln formelhafter Sequenzen, die zu einem späteren Zeitpunkt als Unterstützung beim Schreiben englischsprachiger Artikel herangezogen werden können. Einige Interviewausschnitte können dazu beitragen, die Alltäglichkeit und Normalität dieser Kopierpraxis unter den Biologen im Korpus zu illustrieren: Wenn man genügend von diesen Papern gelesen hat, da weiß man halt, dass man manche Sachen so nicht sagen kann, sondern da gibt es so einen feststehenden Termini und den hat man so oft gelesen, da schreibt man einfach, das übernimmt man im Prinzip, ja? Das ist ... auch nur ein Satz, der da steht. Der muss da stehen, weil das so gemacht wurde [...] Also, einfach das nehmen, was da, was immer dort steht, und dann ist gut. (B2PD 00: 38: 32-7) 80 Diese Annahme wird weiterhin von den erhobenen sprachbiographischen Daten der Befragten gestützt. So teilten 16 von 36 Befragten mit, dass sie ihre Englischkenntnisse unter anderem durch das Lesen englischsprachiger Fachliteratur erworben haben. Nach „Schulbesuch“ und „Auslandsaufenthalten“ ist dies die dritthäufigste Antwort im Korpus. <?page no="164"?> 164 Ich habe also zum Beispiel eine Sammlung von Phrasen, die man aus dem Kontext herausnimmt, die in allen Papern immer wieder aufkommen, die mir dann, wenn mir irgendwas nicht einfällt, einfach weiterhelfen. (B19P 00: 27: 00-1) Also man wird natürlich besser und schneller, weil man dann die Satzbausteine halt hat. [...] Also für mein erstes Poster hab’ ich zwei Wochen gebraucht, jetzt schreib’ ich das in drei Tagen. (B21D 00: 34: 04-6) Die befragten Biologen erwerben ihre (Fach-)Englischkenntnisse somit nicht nur implizit durch das Lesen englischsprachiger Artikel, sondern sie nutzen die in Fachtexten vorkommende Sprache darüber hinaus explizit als Ressource für die eigene Sprachproduktion. Vor diesem Hintergrund muss auch die Plagiarismus-Debatte als eine fachkulturell geprägte Diskussion verstanden werden: In naturwissenschaftlichen Fächern wird das Kopieren von Satzfragmenten bereits im Studium als ‚normal‘ angesehen und sogar tradiert (vgl. Lehnen 2009: 291f.). In den Geisteswissenschaften dagegen wird diese Praxis tendenziell als geistiger Diebstahl betrachtet. Eine mögliche Erklärung für die verschiedene Handhabung in den Fachrichtungen ist, dass experimentell-empirisch ausgerichtete Wissenschaften Schreiben in erster Linie als eine Verschriftlichung der in Experimenten produzierten Daten wahrnehmen, wobei Phrasen-‚Hülsen‘ eine wertvolle Hilfe für Nichtmuttersprachler darstellen. In geisteswissenschaftlich orientierten Fächern wird das Kopieren von Textfragmenten dagegen oft mit dem als Unrecht angesehenen Diebstahl von Ideen und Konzepten in Verbindung gebracht. Dies ist ebenso verständlich, wenn man berücksichtigt, dass diese Fächer in der Regel Sprache sowohl als Erkenntnis- und Kommunikationswerkzeug einsetzen, aber ebenso als Forschungsgegenstand untersuchen. Ob man Kopierpraktiken gutheißt oder nicht, es stellt sich in jedem Fall die Frage, wie Nachwuchswissenschaftler (und Studierende) die Sprache ihres Faches erlernen können, ohne diese zu imitieren und zu kopieren, sei es bewusst oder unbewusst. Es reicht deshalb nicht aus, darauf hinzuweisen, dass Plagiarismus ein wissenschaftliches Fehlverhalten darstellt. Vielmehr sollte im Rahmen wissenschaftlicher Schreibkurse vermittelt werden, wie man sich fachsprachliche Textroutinen einer Disziplin für die eigene Arbeit zu Nutze machen kann (z.B. über language moulds), ohne dabei geistigen Diebstahl zu begehen oder die wissenschaftliche Kreativität zu gefährden. Die Word-Korrekturhilfe (7 Nennungen), die bestimmte grammatische und orthografische Fehler beim Erstellen von Dokumenten durch farbige Markierungen anzeigt, wurde zwar nur von sieben Befragten explizit in den Interviews genannt. Es ist aber davon auszugehen, dass zumindest den Wissenschaftlern, die ihre Entwürfe nicht mit dem Textsatzprogramm LaTeX verfassen, standardmäßig eine Form der Rechtschreibprüfung in ihrer Textverarbeitung zur Verfügung steht. Nur von wenigen Befragten (3 Nennungen) wird die maschinelle Übersetzung als sprachliche Ressource angege- <?page no="165"?> 165 ben. Ein Beispiel kann dabei den eingeschränkten Verwendungskontext von Übersetzungsprogrammen verdeutlichen: Wenn ich aus einem deutschen Text produziere, finde ich es spaßig, es über ein Übersetzungsprogramm laufen zu lassen, um Vokabelvorschläge darin zu sehen [...] und dann daraus einen englischen Text zu basteln. (8P Politik 00: 06: 58-9) Der interviewte Politologe beschreibt, welche Ergebnisse von dieser Art der Übersetzung realistischerweise zu erwarten sind. Nicht etwa eine (abgabefertige) Übersetzung, sondern eher einen ersten Übersetzungsvorschlag für bestimmte Termini, von dem ausgehend der Entwurf in eine fachsprachlich angemessene Form gebracht werden kann. 4.2.3.2 Freewriting-ähnliche Strategien Bei dieser Schreibstrategie wird von den Befragten versucht, eine Trennung von Phasen der Inhalts- und Sprachorientierung umzusetzen, um den Gedanken- und Schreibfluss nicht durch Korrekturtätigkeiten zu unterbrechen. Diese Vorgehensweise ist dem freewriting dahingehend ähnlich, dass ein erster Entwurf geschrieben wird, „ohne jeden einzelnen Satz, stilistisch oder auf Korrektheit oder was auch immer zu überprüfen“ (B18P 00: 16: 32-8). Der so produzierte Text wird dann zu einem späteren Zeitpunkt unter Rückbezug auf die sprachlichen Vorgaben der jeweiligen Fachsprache überarbeitet. Von den vier Befragten (L31D, B20D, 12D Elektrotechnik, B18P), die Variationen dieser Strategie einsetzen, teilt eine Interviewte (B20D) mit, dass sie bei Vokabellücken deutsche Wörter und Wortgruppen in den englischen Text einsetze und diese dann später durch englische Begriffe ersetzt (es handelt sich also um eine zweisprachige Schreibpraxis): Also, manchmal schreibe ich gemischtes Englisch und Deutsch [...] total wild durcheinander. [...] Das überlegt man sich dann später noch einmal in schön. Aber dass man erst mal so Gedanken aufschreibt. (B20D 00: 11: 16-9) Um so ein bisschen Druck rauszunehmen, zu sagen: ‚Ich schreib’ einfach nur auf und dann kann ich es dann immer noch bearbeiten, das muss jetzt nicht der perfekt fertige Satz sein‘. (L31D 00: 27: 24-9) Und der Prozess hier ... ja, ist sicherlich, dass ich mir zunächst halt die Struktur dann überlege. Also: Was sind die Oberkapitel? Was sind die Unterkapitel? Und dann, wie vorhin schon gesagt, eben relativ schnell versuche, in schlechtem Englisch die Inhalte zu sammeln, aus der Literatur zu aggregieren aus den Forschungsergebnissen zu aggregieren, und es dann in der, weiß ich nicht, letzten Woche vor der eigenen Abgabe dann sauber auszuschreiben. (12D Elektrotechnik 00: 08: 55-9) Hinsichtlich der Karrierestufe ist es auffällig, dass von den vier Befragten, die eine freewriting-Strategie in den Interviews beschrieben, drei Doktoranden sind. Aber auch ein Biologieprofessor bedient sich dieser Strategie: <?page no="166"?> 166 Ich tipp’ es sofort einfach so rein, ohne auf jeden einzelnen Satz, auf stilistisch oder auf Korrektheit oder was auch immer zu überprüfen und das ist dann ein zweiter, dritter, vierter, fünfter Schritt, dass man es immer wieder verfeinert und verbessert. (B18P 00: 16: 32-8) Die Befragten betonen in ihren Aussagen die Rekursivität und Iteration bei der Erstellung wissenschaftlicher Texte (vgl. Flower/ Hayes 1981), die im Zusammenspiel mit der Verbreitung computerbasierter Schreibprogramme eine gewisse Trennung von inhaltlichen und formal-sprachlichen Gesichtspunkten beim Schreiben von Wissenschaftstexten ermöglicht. Die Wissenschaftler wurden im Zuge der Interviews nicht direkt nach von Ihnen verwendeten Schreibstrategien gefragt, sondern äußerten sich häufig im Rahmen anderer Fragen dazu. Es wäre daher möglich, dass weitere Befragte im Korpus diese Strategie einsetzen, ohne darüber in den Interviews berichtet zu haben. In diesem Zusammenhang wäre es ferner interessant zu untersuchen, ob die im Kreativen Schreiben verbreitete Strategie an Bedeutung gewinnt, da die Befragten beim Schreiben in der Fremdsprache möglicherweise mit zusätzlichen lexikalischen und kognitiven Herausforderungen umgehen müssen. 4.2.3.3 Schreib-, Übersetzungs- und Denkroutinen Im Unterschied zu einsprachigen Autoren verfügen zwei- oder mehrsprachige Wissenschaftler über Möglichkeiten, Ressourcen aus den individuell beherrschten Sprachen zum Schreiben von englischsprachigen Artikeln einzusetzen. Prinzipiell kommen somit viele Alternativen der Texterstellung in Frage, die zwischen den Varianten ausschließliches Schreiben auf Englisch und der Übersetzung deutschsprachiger Texte angesiedelt sind. Im Rahmen der Interview-Auswertung wurde die von Lange (2012: 142f.) vorgelegte Kategorisierung mehrsprachiger Schreibstrategien verwendet, um mehr über die Nutzung des Deutschen und Englischen beim wissenschaftlichen Schreiben herauszufinden. Viele der von Lange im Zuge eines wissenschaftlichen Schreibkurses festgestellten Kategorien, z.B. einzelne Textteile in unterschiedlichen Sprachen erstellen, wurden jedoch von den Befragten nur selten oder gar nicht genannt, wie aus Abbildung 13 hervorgeht: <?page no="167"?> 167 Abbildung 13: Vorgehensweisen der Befragten beim Schreiben englischsprachiger Texte (Datengrundlage: 30 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Angesichts der quantitativen Verteilung der Ergebnisse sollen nur die ersten beiden Kategorien im Detail vorgestellt werden. Als erstes Ergebnis kann festgehalten werden, dass die überwiegende Mehrheit der befragten Wissenschaftler angibt, bereits ab dem ersten Textentwurf direkt auf Englisch (27 Nennungen) zu schreiben. Dass einige Befragte ferner angeben, selbst Notizen und Gliederungen bereits auf Englisch anzufertigen, legt nahe, dass das Englische auf allen Karrierestufen der hier untersuchten Fachkulturen offenbar fest etabliert ist. Sowohl in St. Johns (1987: 116) als auch in Okamuras (2005: 76) Untersuchung gaben die meisten Befragten an, Texte direkt auf Englisch zu schreiben. Handelte es sich dabei ausschließlich um Naturwissenschaftler, wurden in der vorliegenden Untersuchung auch Ingenieur- und Geisteswissenschaftler miteinbezogen, die ebenfalls das direkte Schreiben auf Englisch bevorzugen. Nur wenige Befragte begründen diese Wahl explizit in den Interviews, was bedeuten könnte, dass sie diese Entscheidung als selbstverständlich bzw. als nicht weiter erklärungsbedürftig empfinden. Die wenigen Wissenschaftler, die ihre Schreibpraxis begründen, können jedoch Hinweise darauf geben, warum dieses verbreitete Vorgehen als vorteilhafter wahrgenommen wird, als eine Eigenübersetzung einer deutschen Vorlage: Wenn man jetzt auf Englisch etwas schreibt, sollte man das nicht übersetzen vom Deutschen ins Englische, weil dann wird es Denglisch. [...] Man sollte bei englischen Aufsätzen immer direkt im Englischen schreiben. (6PD BWL 00: 24: 05-1) Wenn ich Englisch schreibe, muss ich Englisch denken. (G22P 00: 13: 26-3) Mit Übersetzen als Zwischenschritt mach’ ich nicht. Nö, das liegt mir nicht, [...] weil man da halt ein anderes Sprachgefühl hat und da schreibt man es lieber gleich in Englisch, weil Deutsch hat halt andere Redewendungen bzw. anderen Textfluss. (M24PD 00: 20: 38-3) 27 5 1 1 0 5 10 15 20 25 30 Anzahl Nennungen (n=34) Wie schreiben die Befragten Texte? Schreiben direkt auf Englisch Eigenübersetzung einer deutschen Vorlage Planen und Formulieren in versch. Sprachen Mischen der Sprachen im Textentwurf <?page no="168"?> 168 Ich finde es einfacher, gleich auf Englisch zu schreiben. Wenn ich es erst mal auf Deutsch hab, dann tue ich mich viel schwerer damit, das nochmal zu übersetzen. (M25D 00: 07: 08-7) Der erweiterte sprachliche Handlungsraum, der sich mit der wissenschaftlichen Zweisprachigkeit der Befragten auftut, wird von den zitierten Befragten als eine Problemquelle beim Schreiben wissenschaftlicher Artikel auf Englisch wahrgenommen, da das Übersetzen etwa mit einem unzureichenden sprachlichen Ergebnis, Interferenzen („Denglisch“) oder einem erhöhten Aufwand assoziiert wird. Vor diesem Hintergrund wird auch der Unterschied zwischen einem ausgebildeten Übersetzer und den meisten interviewten Wissenschaftlern offenbar: Während ein professioneller Übersetzer sich der nötigen Anpassungen in Bereichen wie Phraseologie, Syntax und Textorganisation bewusst ist, haben sich die meisten Wissenschaftler eher ‚immersiv‘, also über langjähriges Lesen und Schreiben englischer Fachartikel, das nötige Sprachkönnen angeeignet. Daher empfinden sie das direkte Schreiben auf Englisch häufig als unkomplizierter als das Übersetzen deutscher Vorlagen. Vermutlich fehlt den meisten Befragten zudem die übersetzerische Kompetenz, Texte adäquat und ohne einen erheblichen Mehraufwand ins Englische zu übertragen. Dies könnte besonders dann der Fall sein, wenn die Befragten hauptsächlich auf Englisch publizieren. Einige Befragte sprachen in den Interviews darüber, in welcher Sprache beim Schreiben gedacht wird. Okamura (2006: 76) und Lange (2012: 142) unterscheiden deshalb zwischen dem Denken und Schreiben auf Englisch. Lediglich ein Biologe wies darauf hin, beim Schreiben englischsprachiger Artikel auf Deutsch zu denken und die jeweiligen Sätze beim Schreiben simultan auf Englisch zu übersetzen: „Und dann überleg’ ich mir das auf Deutsch, also quasi im Kopf, überleg’ ich mir das, was ich jetzt sagen will, und übersetz’ das dann quasi Satz für Satz ins Englische, während ich da schreib’“ (B2PD 00: 09: 34-6). Im Gegenzug gaben vier Befragte explizit an, dass sie beim Schreiben ‚auf Englisch denken‘ (15P Mathematik, G22P, L34PD und M36D), wie die Aussage einer Mathematik-Professorin exemplarisch zeigt: „Also wenn Sie bei mir eine Schublade aufmachen, da wo Mathematik ist, ist Englisch. Also das ist im ... gesamten Prozess findet das bei mir schon alles auf Englisch statt“ (15P 00: 09: 01-3). Da diese Befragten längere Zeit im englischsprachigen Ausland verbracht haben, wäre es möglich, dass das Denken auf Englisch eine erhöhte Fremdsprachenkompetenz bzw. eine gewisse Automatisierung bei der Sprachverarbeitung anzeigt. Eine Interviewmethodik ist jedoch nicht dazu geeignet, aufzudecken, wie die Interviewten ihre Schreibvorgänge mental verbalisieren. Lediglich fünf Befragte geben an, dass sie eine Eigenübersetzung einer deutschen Vorlage (5 Nennungen) anfertigen, wenn bereits ein deutscher Ausgangstext oder zumindest Textfragmente existieren: Manchmal hab’ ich schon Fragmente, die ich deutsch veröffentlicht habe, die ich dann für eine englische Publikation noch einmal verwende. Dann werd’ <?page no="169"?> 169 ich das direkt übersetzen, wenn es ein neues Thema ist. Wenn es keine deutsche Referenzveröffentlichung gibt, dann schreib’ ich sie gleich auf Englisch. (13D Elektrotechnik 00: 06: 04-9) Die Übersetzung ist, wie im Beispielzitat angegeben, allerdings nur dann eine Perspektive für die meisten Befragten, wenn bereits deutschsprachige Textteile vorliegen. Ein besonders intensiver Fall von Übersetzungsarbeit ist dagegen der eines Politologen: Also ich würde sagen, der erste Schritt […] ist ein deutscher Vortrag für eine deutsche Tagung, der zweite Schritt ist ein deutscher Beitrag für einen Sammelband und der dritte Schritt, [...] auf Grundlage des deutschen Textes mach’ ich eine englische Powerpoint-Präsentation, die ich auf Englisch vorstelle. Und danach mach’ ich daraus ein englisches Papier. (8P Politik 00: 10: 52-2) Diese zweisprachige Schreib- und Publikationsspraxis muss im Zusammenhang mit der Teilnahme des Befragten an mehreren wissenschaftlichen Fachdiskursen verstanden werden. 81 Im Fall des Politologen ist eine Präsenz sowohl im deutschals auch englischsprachigen Diskurs für die wissenschaftliche Wahrnehmung bzw. die Karriere des Befragten wichtig: „Und dann merkt man aber irgendwann, dass man nur Karriere machen kann, wenn man auch englische Fachzeitschriftsaufsätze macht“ (8P Politik 00: 10: 52-2). Die geringe Zahl der Nennungen im Korpus ist möglicherweise dem Umstand geschuldet, das Übersetzungsvorgänge nicht immer bewusst von den Befragten reflektiert werden. So gaben beispielsweise fünf von sechs Geschichtswissenschaftlern an, direkt auf Englisch zu schreiben. Im weiteren Interview-Verlauf jedoch wird bei mehreren Geschichtswissenschaftlern deutlich, dass eine strikt einsprachige Schreibweise für sie gar nicht möglich ist: Das basiert natürlich im Endeffekt auf einer gemischten deutsch-englischen Literatur und Quellenlage. Das heißt, da sind entsprechende, also ich schreibe mir Sachen eigentlich immer in Deutsch auf außer natürlich Zitate, die in der Originalsprache. (2) Und das ist dann eben das, was an Text vorher vorhanden war. (G26D 00: 06: 20-1) Besonders in der zweisprachig angelegten Fachkultur der Geschichtswissenschaftler im Korpus erscheint es bei genauerer Betrachtung der Diskursbedingungen der Befragten ohnehin nur schwer möglich, ohne Übersetzungsvorgänge auszukommen, selbst wenn es sich dabei ‚nur‘ um ins Englische übertragene Primärquellen handeln sollte (siehe zur typischerweise mehrsprachigen Arbeitsweise der Geschichtswissenschaftler Kap. 4.1.4). Ein weiteres Beispiel für mehrsprachige Ressourcennutzung findet sich bei einigen 81 Für einen ausführlichen Fallvergleich zwischen einem Natur- und einem Sozialwissenschaftler hinsichtlich der Rollen des Deutschen und Englischen, ihrer Publikationspraktiken und Problemwahrnehmungen siehe Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe (2015b). <?page no="170"?> 170 Biologen. Zwar geben alle sechs Biologen an, direkt auf Englisch zu schreiben (vgl. ähnliche Aussagen in Pérez-Llantada, Pló, Ferguson 2011: 24f.), drei von ihnen (B20D, B21D, B35PD) erklären aber auch, dass ihre Laborbücher - in denen Informationen zu durchgeführten Experimenten und Aufbauten verschriftlicht sind - auf Deutsch geführt werden. Es wäre also zumindest naheliegend, dass beim Schreiben englischsprachiger Texte oder Präsentationen die in den Laborbüchern vorgefundenen versprachlichten Daten zum Einsatz kommen und somit eine Form der Übersetzung angewandt wird. Diese Anhaltspunkte suggerieren, dass möglicherweise einige ‚Nischen‘ der Mehrsprachigkeit existieren, die von den Befragten nicht wahrgenommen werden. 4.2.3.4 Zwischenfazit Es kann resümiert werden, dass die Befragten lexikalische, zumeist technischmediale Ressourcen im Zuge der Erstellung englischsprachiger Manuskripte nutzen. Neben zweisprachigen (Online-)Wörterbüchern sind dies vor allem Beispielpublikationen und Google. Zweisprachige Wörterbücher werden von fast allen Befragten eingesetzt, was darauf schließen lässt, dass das Deutsche als sprachliche Ressource auch für englischsprachige Publikationen wichtig ist. Die Suchmaschine Google wird bisher nur von einigen Befragten zur Verifizierung sprachlicher Konstrukte eingesetzt, aber nicht alle sprachlichen Recherchemöglichkeiten werden voll ausgeschöpft. Im Internet frei verfügbare Korpora werden bisher nicht von den Befragten verwendet, sollten also in schreibpädagogischen Kontexten stärker berücksichtigt werden. Einen besonderen Stellenwert als lexikalische Ressource wird die Nutzung von Beispielpublikationen beigemessen: Wenngleich nur elf Befragte angeben, diese als sprachliche Lernressource einzusetzen, ist es wahrscheinlich, dass alle Teilnehmer zumindest implizit auf Publikationen im Fach zurückgreifen, um englischsprachige Genre- und Sprachkonventionen zu verinnerlichen. Einige Befragte, insbesondere in der Biologie, kopierten sogar ganze sprachliche Sequenzen und verwendeten Sie mit leichten Änderungen in ihren eigenen Publikationen. Die Verbreitung von implizitem und explizitem ‚Sprachborgen‘ wirft in diesem Zusammenhang Fraugen des Umgangs mit Plagiarismus auf, besonders da nicht-anglophone Wissenschaftler nur eingeschränkt die Möglichkeit besitzen, wissenschaftliche Sachverhalte variiert auszudrücken, und sie nicht in gleichem Maße auf die Gemeinsprache zurückgreifen können wie Muttersprachler des Englischen. Im Abschnitt freewriting-ähnliche Strategien wurde eine Schreibpraxis vorgestellt, bei der Phasen der Inhalts- und Sprachorientierung zeitlich getrennt werden, um so den Gedanken- und Schreibfluss nicht durch Korrekturtätigkeiten zu unterbrechen. Dabei stammten drei der vier Nennungen von Doktoranden. Auch hier kamen teilweise zweisprachige Arbeitsweisen zum Einsatz, wenn z.B. deutsche Wörter in einen englischen Entwurf eingesetzt wer- <?page no="171"?> 171 den, um den Schreibfluss nicht durch das Nachschlagen von Vokabeln zu unterbrechen. Für die Schreib-, Übersetzungs- und Denkroutinen kann festgehalten werden, dass ein Großteil der Befragten in den Interviews angibt, direkt auf Englisch zu schreiben. Nur fünf Befragte teilten dagegen mit, dass sie auf Eigenübersetzungen zurückgreifen, wenn bereits deutsche Vorlagen existieren. Es wurde weiterhin festgestellt, dass die Befragten Übersetzungsprozesse in den Interviews nicht immer bewusst reflektieren und beispielsweise die Arbeit mit deutschsprachigen Laborbüchern oder das Übersetzen von Quellen von Ihnen nicht als Übersetzung wahrgenommen werden. Die meisten Befragten empfinden das Deutsche beim Schreiben englischer Artikel eher als ein Hindernis als eine Ressource, denn das gleichzeitige Arbeiten mit beiden Sprachen wird als anspruchsvolles Vorgehen beschrieben, das zumeist suboptimale Ergebnisse produziere. Es gibt jedoch auch Fälle (z.B. die Geschichtswissenschaftler und ein Politologe), die eine zweisprachige Arbeitsweise prinzipiell als Vorteil bzw. Notwendigkeit sehen. Im nächsten Abschnitt wird der Ressourceneinsatz der Befragten im Zuge der Überarbeitung englischsprachiger Aufsätze vorgestellt. 4.2.4 Ressourcennutzung während des Überarbeitens Die Wissenschaftler im Korpus bedienen sich im Zuge der Überarbeitung ihrer Manuskripte verschiedener sozioakademischer Ressourcen. In besonderem Maße greifen sie dabei auf verschiedene Typen von Korrekturlesern zurück (z.B. Kollegen, Bekannte, Mutter- und Nichtmuttersprachler). Diese verschiedenen Personengruppen werden in Kapitel 4.2.4.1 anhand des Interviewmaterials vorgestellt. Im Anschluss wird der Frage nachgegangen, ob die Befragten im Prozess der Überarbeitung sowohl sprachlich als auch inhaltlich korrigieren oder ausschließlich auf Korrekturen inhaltlicher Art Wert legen (Kap. 4.2.4.2). Die herausgehobene Stellung einiger Korrekturleser für ganze Abteilungen und Arbeitsgruppen wird in Kapitel 4.2.4.3 beschrieben. 4.2.4.1 Korrekturleser von Manuskripten Eine wichtige Ressource im Überarbeitungsprozess von Manuskripten sind die Rückmeldungen von Kollegen und anderen Korrekturlesern (vgl. Hyland 2013b: 231). Wer auf welche Art in die sprachliche und inhaltliche Überarbeitung eines Manuskriptes involviert ist, hat eine große Bedeutung für den gesamten Publikationsprozess, wie Lillis und Curry (2006: 4) in ihrer Untersuchung von Mediationsprozessen beim Schreiben und Veröffentlichen englischsprachiger Manuskripte feststellen. Es sind vor allem sogenannte literacy brokers, die zum ursprünglichen Text beitragen und helfen, ihn zu transformieren: <?page no="172"?> 172 [I]n addition to named authors, successful English-medium academic text production is influenced by a significant number of others - ‘literacy brokers,’ such as editors, reviewers, academic peers, and English-speaking friends and colleagues, who mediate text production in a number of ways. (Lillis/ Curry 2006: 4) Überträgt man diese Erkenntnis auf die vorliegende Untersuchung, wird die Nutzung sozioakademischer Ressourcen in den Interviews deutlich. Die folgende Abbildung stellt die vier Personengruppen vor, auf die die Befragten bei der Überarbeitung englischsprachiger Texte zurückgreifen: Abbildung 14: Korrekturleser englischsprachiger Manuskripte (Datengrundlage: 34 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Die vier in der Abbildung dargestellten Datenpunkte enthalten Mehrfachnennungen, wie im dritten Datenpunkt (nutze sowohl Nichtmuttersprachler als auch Muttersprachler) ersichtlich wird. Diese Mehrfachnennungen sind ein erster Hinweis darauf, dass einige Befragte versuchen, verschiedene Korrekturleser zu gewinnen. Ein zentrales Ergebnis ist in diesem Zusammenhang, dass fast alle Befragten (n=34) im Laufe des Entstehungsprozesses ihrer englischsprachigen Artikel eine Korrektur- und Rückmeldephase einplanen. Dies mag man als selbstverständlich ansehen, gehört bei deutschsprachigen Texten aber nicht für alle Befragten zu einem normalen Schreib- und Publikationsvorgang (siehe Kap. 4.2.2). Die zahlenmäßig größte Gruppe der im Überarbeitungsprozess Involvierten stellen nichtmuttersprachliche Korrekturleser (26 Nennungen) dar. Sie sind im Normalfall Kollegen oder Koautoren der Befragten und dementsprechend fachlich einschlägig qualifiziert. Es existieren verschiedene Modelle der Durchsicht, wie z.B. eine mögliche Variante im Feld der Ingenieurwissenschaften: Das Manuskript wird zumindest von einer Person gegengelesen, die häufig gleichzeitig Koautor ist, bevor es das Institut in Richtung Fachzeitschrift verlässt (12D und 13D Elektrotechnik). Eine Abwandlung davon ist die zusätzliche Vorlage des Manuskriptes beim Gruppenbzw. Insti- 26 17 9 5 0 5 10 15 20 25 30 Anzahl Nennungen (n=57) Korrekturleser englischsprachiger Manuskripte nichtmuttersprachliche Kollegen/ Ko-Autoren Muttersprachler des Englischen sowohl NMS als auch MS andere Korrekturleser <?page no="173"?> 173 tutsleiter (z.B. 7P Brandschutz, 11P Automatisierung, M36D). Es ist darüber hinaus bemerkenswert, dass von den 26 Befragten in dieser Kategorie 17 angeben, ausschließlich nichtmuttersprachliche Korrekturleser einzusetzen. Dies bedeutet, dass in diesen Fällen eine muttersprachliche Durchsicht, zumindest auf Seiten der Autoren, nicht zum regulären Vorgehen bei englischsprachigen Veröffentlichungen gehört, also entweder für unnötig oder für nicht umsetzbar (z.B. finanzielle Bürde; Mangel qualifizierter Korrekturleser) befunden wird. Im Hinblick auf Fachvergleiche kann festgehalten werden, dass sich Vertreter fast aller Fächer im Korpus häufig der nichtmuttersprachlichen Durchsicht bedienen. Eine Ausnahme bildet das Fach Geschichtswissenschaft, wo lediglich drei von sechs Befragten nichtmuttersprachliche Korrekturleser einsetzen, dafür aber vermehrt auf eine muttersprachliche Durchsicht Wert gelegt wird. Dieses Ergebnis steht in direktem Zusammenhang zur zweiten Kategorie aus Abbildung 14 (S. 172), der Durchsicht durch Muttersprachler des Englischen (17 Nennungen). Hinsichtlich der Fachverteilung fällt auf, dass alle sechs Geschichtswissenschaftler die Dienstleistungen muttersprachlicher Korrekturleser nutzen, drei von ihnen sogar ausschließlich auf diese Personengruppe zurückgreifen. Dieser im Vergleich zu den anderen Disziplinen (G 6/ 6, B 2/ 6, M 2/ 6, L 4/ 6) besonders starken Ausrichtung auf muttersprachliche Korrekturen könnten verschiedene Ursachen zugrundeliegen: Zum einen die Annahme des höheren sprachlichen Anspruchs in geschichtswissenschaftlichen Artikeln, der durch die vorwiegend sprachliche Verankerung der Fachkultur und -methodik bedingt ist. Zum anderen der Anspruch der interviewten Geschichtswissenschaftler in anglophonen Fachzeitschriften nordamerikanischer oder britischer Provenienz zu publizieren, in denen eine Einhaltung angloamerikanischer Diskurs- und Sprachnormen offenbar eine wesentliche Voraussetzung einer Veröffentlichung ist (siehe Kap. 4.1.3). Neben den Geschichtswissenschaftlern nutzen auch die Germanistischen Linguisten (4 von 6 Befragten) muttersprachliche Korrekturleser relativ häufig, was möglicherweise damit zusammenhängen könnte, dass muttersprachliche Normen als authentischer und Muttersprachler somit häufig als Garant eines korrekten Englisch wahrgenommen werden (vgl. dazu Dong 1998: 380). Während die nichtmuttersprachliche Durchsicht von den Befragten regelmäßig eingesetzt wird, verhält es sich bei der muttersprachlichen Korrektur differenzierter. Eine Aufschlüsselung der Kategorie hinsichtlich der in den Interviews angegebenen Häufigkeiten und Begründungen erlaubt weitere Einsichten in die Nutzungsmuster muttersprachlicher Korrekturleser: <?page no="174"?> 174 Nennungen (von 17) Unterkategorie 6 Häufigkeit: regelmäßige Nutzung von Muttersprachlern 4 Häufigkeit: gelegentliche Nutzung von Muttersprachlern 3 Grund: besondere Wichtigkeit der Veröffentlichung 2 Grund: Koautoren sind Muttersprachler 2 Grund: Korrekturleser vom journal bereitgestellt Tabelle 11: Unterkategorien des Datenpunktes Muttersprachler des Englischen Von 17 Befragten, die angaben, muttersprachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sagten nur sechs, dass sie diese Hilfe regelmäßig nutzen. Eine wichtige Rolle scheint hier die Verfügbarkeit eines als qualifiziert erachteten Muttersprachlers zu spielen, denn alle Wissenschaftler in dieser Gruppe hatten eine längerfristige Korrektur-Beziehung zu einem Muttersprachler aufgebaut, was sie als Gewinn für ihre Publikationstätigkeit ansahen. Vier Befragte in dieser Gruppe waren Geschichtswissenschaftler. Weiterhin nutzten vier Wissenschaftler die Dienstleistungen von Muttersprachlern gelegentlich. Aus den Antworten der Befragten ging jedoch nicht hervor, aus welchen Gründen diese Dienstleistung nur in unregelmäßigen zeitlichen Abständen in Anspruch genommen wird. Es kann jedoch spekuliert werden, dass finanzielle Gesichtspunkte sowie die Verfügbarkeit qualifizierter Muttersprachler hier ebenfalls von Bedeutung sind, denn im Gegensatz zum Schreiben auf Deutsch können qualifizierte muttersprachliche Korrekturleser für das Englische nicht immer gewonnen werden: Das Problem für mich ist, wenn ich jetzt auf Englisch schreibe, kann ich das nicht so vielen Leuten geben, die es kritisch Korrektur lesen, als wenn ich jetzt was auf Deutsch schreibe. Also wenn ich jetzt auf Deutsch mit sowas Probleme habe, dann kann ich das eher jemandem geben, der sich das nochmal anguckt und mir auch da gerade weiterhilft, wenn ich da irgendwie festhänge. (G29D 00: 08: 54-3) Bei deutschsprachigen Texten kann der Befragte auf ein funktionierendes Netzwerk an Korrekturlesern zurückgreifen, was bei englischsprachigen Veröffentlichungen nicht immer der Fall ist. Neben diesen Gesichtspunkten spielen ebenfalls die in den drei folgenden Unterkategorien angegebenen Begründungen eine Rolle. Drei Befragte entscheiden demnach je nach Wichtigkeit der Veröffentlichung, ob eine muttersprachliche Durchsicht nötig ist, wobei diese Form der Durchsicht nur dann gewählt wird, wenn beispielsweise ein Artikel bei einer prestigeträchtigen internationalen Fachzeitschrift eingereicht werden soll. Zwei Interviewte nutzen nur dann eine muttersprachliche Durchsicht, wenn die Koautoren eines Artikels Muttersprachler <?page no="175"?> 175 sind und zwei weitere nur dann, wenn muttersprachliche Korrekturleser vom journal bereitgestellt werden (siehe Tabelle 11, S. 174). Hier soll noch einmal auf die bereits angesprochenen Mehrfachnennungen Bezug genommen werden. Von den 17 Befragten, die muttersprachliche Hilfe in Anspruch nehmen, nutzen nur acht Interviewte ausschließlich diese Hilfe. Von den 26 Befragten, die Nichtmuttersprachler bei der Korrektur ihrer Manuskripte einsetzten, gaben 19 Interviewte an, keine zusätzliche muttersprachliche Durchsicht zu veranlassen. Diese Zahlen lassen mehrere Interpretationen zu: Neben den bereits genannten Problemen der Finanzierbarkeit und Verfügbarkeit muttersprachlicher Dienstleistungen muss vor allem (fehlende) Notwendigkeit als weiterer Faktor berücksichtigt werden. Insbesondere in den Fachkulturen Biologie und Maschinenbau nehmen einige Befragte muttersprachliche Durchsichten eher als ‚Luxus‘ oder teilweise sogar als überflüssig wahr, nicht aber als notwendig für die Publikation ihrer Arbeit: Es ist immer schön, einen Muttersprachler als Koautor zu haben, dem man diese Arbeit sozusagen aufdrücken kann, dass man sagen kann: „Pass mal auf, ich hab’ da jetzt, mir das gar nicht mehr so intensiv angeguckt, mach du es mal schön“. [...] Aber ich bilde mir auch ein ... ich hab’ jetzt ein paar sehr gute Publikationen, wo eben dann kein Muttersprachler dabei war [...] und das klingt glaub’ ich auch dann ganz gut. Dauert aber länger. (B18P 00: 17: 19- 2) Weitere mögliche Einflussfaktoren für diese Entwicklung sind demnach vor allem die gewachsene Englischkompetenz der Befragten und eine intensive Ressourcennutzung. Es ist weiterhin aufgrund der fortschreitenden Anglisierung davon auszugehen, dass die Englischkompetenz der meisten Wissenschaftler seit der Studie von St. John (1987), in der die Befragten noch überwiegend auf muttersprachliche Durchsichten Wert legten, gewachsen ist. Darüber hinaus sind technische Ressourcen wie Online-Wörterbücher oder die Google-Stringsuche heute einfach über das Internet zugänglich. Ein weiterer, wenn auch zeitlich relativ unabhängiger Faktor, ist in der in den Natur- und Technikwissenschaften verbreiteten Einstellung zu sehen, dass es beim wissenschaftlichen Publizieren in erster Linie um Informationsaustausch ginge und nicht um das Erreichen muttersprachlicher Zielnormen (siehe Kap. 5.2.4). Es stellt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls die Frage, ob die Interviewten eine einschlägige fachliche Qualifikation erwarten, wenn sie Muttersprachler des Englischen zum Korrigieren ihrer Texte heranziehen. Zu diesem Zweck wurden die Interviews nach Anhaltspunkten dafür durchsucht, ob den Befragten muttersprachliche Kompetenz für wissenschaftliches Korrekturlesen als ausreichend erscheint oder zusätzliche fachliche und lektorale Kompetenzen als notwendig angesehen werden. Um die verschiedenen Positionen im Korpus aufzuzeigen, wurden die Fundstellen <?page no="176"?> 176 zwischen den Polen geringere fachliche und lektorale Kompetenz und ausgeprägtere fachliche und lektorale Kompetenz angeordnet: Geringere fachliche und lektorale Kompetenz Anruf bei der englischsprachigen Gastfamilie (M36D) Anstellung einer muttersprachlichen studentischen Hilfskraft (L31D, L3P) Dienstleistung eines muttersprachl. Wissenschaftlers einer anderen Disziplin (M24PD) Dienstleistung einer muttersprachlichen Sekretärin mit Abschluss im Fach (8P Politik) Inanspruchnahme eines professionellen Korrekturlesers im gleichen Fach (B35PD, L32P) Dienstleistung einer muttersprachl. Professorin im gleichen Fach (G28P, G29D, G30PD) Ausgeprägte fachliche und lektorale Kompetenz Abbildung 15: Fachliche und lektorale Kompetenzen muttersprachlicher Korrekturleser Wie aus der Übersicht hervorgeht, sieht die Mehrheit der Befragten einschlägige wissenschaftliche und lektorale Kompetenzen als Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit einem muttersprachlichen Korrekturleser an, wenn auch teilweise mit Abstrichen (z.B. wissenschaftliche Hilfskräfte). Eine Ursache für die geforderte fachliche Qualifikation liegt wohl darin, dass wissenschaftliche Register- und Genrenormen teilweise stark von der Standard- oder Allgemeinsprache abweichen. Deshalb können selbst ‚gebildete‘ Muttersprachler nur bedingt als fachsprachliche Autoritäten herangezogen werden, wenn sie nicht zumindest mit den Regeln einer ähnlichen Fachkultur vertraut sind (vgl. Harwood, Austin, Macaulay 2009: 175 zu Sichtweisen muttersprachlicher Korrekturleser zu diesem Thema). Eine weitere Gruppe Interviewter bezieht sowohl Muttersprachler als auch Nichtmuttersprachler (9 Nennungen) in den Korrekturprozess ein. Besonders in der Geschichte (3/ 6 Befragten) und der Linguistik (3/ 6 Befragten), die zwei Drittel der Nennungen abdecken, ist dieses Vorgehen relativ häufig vorzufinden. Einige der Befragten gaben in diesem Zusammenhang an, dass sie ihre Arbeiten zunächst inhaltlich von Nichtmuttersprachlern durchsehen lassen und im Anschluss daran eine muttersprachliche, oft sprachlich orientierte, Durchsicht anstreben (G22P, G26D, G28D). Eine Durchsicht entweder nur von Muttersprachlern, die fachlich zumeist nicht als Experten eingestuft werden, oder nur von Fachkollegen, denen oft weniger sprachliche Kompetenz zugeschrieben wird, wird demnach als nicht ausreichend angesehen. Zumindest in den Fächern Germanistische Linguistik und Geschichte erfolgt deshalb häufig eine Kombination mutter- und nichtmuttersprachlicher Korrekturleser. Dieses Nutzungsmuster lässt darauf schließen, dass sowohl fachlichen als auch sprachlichen Gesichtspunkten ein wichtiger Stellenwert in diesen Fachkulturen zukommt. Die Kategorie andere Korrekturleser (5 Nennungen) unterscheidet sich dahingehend von den vorigen Formen der Durchsicht, dass es sich hierbei <?page no="177"?> 177 hauptsächlich um sogenanntes convenience editing (vgl. Willey/ Tanimoto 2013) handelt. Dies bedeutet, dass Personen für eine Korrektur in Anspruch genommen werden, auf die man im persönlichen Umfeld privilegierten Zugriff hat. Es handelt sich in vier der fünf Fälle im Korpus um die Partnerinnen der Befragten, die z.B. als Lehrerin beruflich mit dem Englischen zu tun haben und als weitere Korrekturinstanz herangezogen werden. 4.2.4.2 Sprachliche oder inhaltliche Korrektur Während Muttersprachler des Englischen in erster Linie für eine sprachliche Korrektur eingesetzt werden, gilt dies nicht uneingeschränkt für die Nichtmuttersprachler. So fiel bei der Analyse der Interviews auf, dass ein Teil der Interviewten lediglich eine inhaltliche Durchsicht vornimmt, während andere zusätzlich auch sprachliche Aspekte bei ihren Korrekturen berücksichtigen. Die folgende Übersicht kontrastiert zur Veranschaulichung zwei Beispiele, eine ausschließlich inhaltliche Korrektur und eine sprachliche-inhaltliche Korrektur: Maschinenbauer Elektrotechniker Ja, wenn ich damit fertig bin, da gebe ich sie zwei Kollegen in der Regel zum Durchlesen, sowohl inhaltlich als auch verständlich als auch vielleicht sprachlich. [...] Lustigerweise ist es schon so, dass ich mich danach immer mit meinen Kollegen über gewisse Ausdrücke im Englischen streite. (M36D 00: 20: 44-9) Man hilft sich natürlich gegenseitig, wobei das ist jetzt weniger [...] sprachlich bezogen als halt fachlich bezogen, weil wir haben halt keinen englischen Muttersprachler hier im Institut, der dann halt diese Korrektur vornehmen könnte. (12D Elektrotechnik 00: 09: 30-3) Tabelle 12: Fallkontrastierung bezüglich inhaltlicher bzw. inhaltlicher als auch sprachlicher Korrektur Der im Interview des Elektrotechnikers (12D) angegebene Grund für eine hauptsächlich fachliche Durchsicht ist die Nichtmuttersprachlichkeit der Involvierten. Ein ähnliches Beispiel ist im Interview B2PD zu finden. Obwohl jeder Text während der Überarbeitungsphase ca. 10-15 mal zwischen den Beteiligten hin- und hergeschickt wird, spielen sprachliche Gesichtspunkte dabei nur eine geringe Rolle, denn der Befragte habe keinen Zugriff auf einen Muttersprachler, „keinen, [...] wo ich sagen würde, ja, das nehm’ ich mal so blind, weil ich weiß, dass das passt, ne? “ (B2PD 00: 12: 56-6). Dieses mangelnde Vertrauen in die Sprachkompetenz nichtmuttersprachlicher Kollegen gilt dabei auch für die Befragten selbst, die beispielsweise keine sprachbezogenen Urteile abgeben möchten, wenn sie Manuskripte für eine englische Fachzeitschrift begutachten: Wenn man was begutachtet, soll man eigentlich sich auch immer dazu äußern, ob das vom Englisch her akzeptabel ist. Und da halte ich mich immer <?page no="178"?> 178 zurück, weil ich denke: Naja, da bin ich gerade nicht diejenige, die sich das anmaßen soll, das zu beurteilen. Es sei denn, es ist ganz offensichtlich, dass man das kaum verstehen kann. (10P Chemie 00: 15: 01-3) Die aufgezeigten Beispiele unterscheiden sich recht drastisch vom expliziten sprachlichen Fokus von M36D im obigen Fallvergleich, denn der Befragte bespricht neben dem Inhalt und der Verständlichkeit eines Entwurfs auch sprachlich strittige Punkte mit seinen Kollegen. 4.2.4.3 Besondere Korrekturbeziehungen und -praktiken Wie aus den obigen Daten hervorgeht, können sowohl mutterals auch nichtmuttersprachliche Korrekturleser wertvolle Hilfestellung beim Schreiben und Überarbeiten englischsprachiger Artikel geben. Es sollen nun einige Beispielfälle vorgestellt werden, in denen Korrekturleser eine Schlüsselrolle als language broker (vgl. Lillis/ Curry 2006) für das Erstellen englischsprachiger Artikel einnahmen: Im Moment laufen die Dinge meistens bei Herrn {anonymisiert} über den Tisch. Er muss es dann nochmal checken, weil er am frischesten in der Sprache drin ist. Das ist also natürlich eine ganz andere Basis, wenn man ein Jahr lang irgendwo im Land war und zwar wissenschaftlich dort gearbeitet hat. Das ist sicherlich ein unschätzbarer Vorteil, den dann die anderen Mitarbeiter obligatorisch nutzen müssen ((Befragter lacht kurz)). (7P Brandschutz 00: 10: 18-7) Also die [Mitarbeiterin] ist Ingenieurin und sie spricht einfach nur, also als Muttersprache Arabisch, spricht sehr gut Deutsch und in den USA ist sie aufgewachsen und ja. Also das ist jetzt sicher nicht, immer noch nicht, kein native speaker, aber so, dass ich mich eigentlich immer gut drauf verlassen kann, dass das da passt. (M14P 00: 05: 46-3) In der Aussage des Professors (7P Brandschutz) wird beschrieben, dass ein Großteil der englischsprachigen Manuskripte des Institutes durch die Hände eines, durch ein Auslandsstudium fachlich und sprachlich qualifizierten, nichtmuttersprachlichen Korrekturlesers gehen. Der Befragte erwähnt an anderer Stelle des Interviews, dass im Normalfall keine muttersprachliche Hilfe für englischsprachige Publikationen in Anspruch genommen wird. Der zweite Fall findet sich im Bereich Maschinenbau (M14P), wo ebenfalls eine sprachlich und fachlich versierte Mitarbeiterin eine wichtige ‚Ressource‘ für die befragte Professorin bei der Anfertigung und Korrektur von Manuskripten darstellt. Es kann gefolgert werden, dass die jeweiligen Mitarbeiter in beiden geschilderter Fällen besonders aufgrund der Integration fachlicher und sprachlicher Kompetenzen eine große Hilfe im Publikationsalltag der Befragten darstellen. Abschließend sollen die Korrekturbeziehungen zweier Gruppen (jeweils drei Geschichtswissenschaftler und drei Biologen) vorgestellt und zum besseren Verständnis visualisiert werden: <?page no="179"?> 179 Abbildung 16: Korrekturbeziehung dreier Geschichtswissenschaftler im Korpus Wie aus Abbildung 16 hervorgeht, schicken alle drei Geschichtswissenschaftler (G28P, G29D, G30PD) ihre inhaltlich bereits durchgesehenen Entwürfe an die gleiche muttersprachliche Sprachprüferin. Diese wird von allen drei Befragten als sehr kompetent (und zudem erschwinglich) eingeschätzt: „Wir haben die Kollegin, die eben Literaturwissenschaftlerin ist, inzwischen im Ruhestand, aber die auch das Sprachgefühl hat [...] hab’ ihr manchmal auch geschrieben ‚Can read my mind‘, weil sie das einfach sehr schön dann auch umsetzt, was ich wohl meine“ (G30PD 00: 20: 49-8). Ein anderes Korrekturgeflecht findet sich bei einigen Befragten aus der Biologie (siehe Abbildung 17), die nicht auf muttersprachliche Korrekturleser zurückgreifen, deren Schreib-, Korrektur- und Arbeitsteilung sich also von der Praxis der Geschichtswissenschaftler unterscheidet: <?page no="180"?> 180 Abbildung 17: Korrekturbeziehung dreier Biologen im Korpus Die Doktoranden (B20D, B21D) liefern hierbei in erster Linie Daten und einige Textfragmente zu einer Veröffentlichung, die dann von einem postdoc zusammengestellt und zu einem Manuskript erweitert werden. Der Postdoktorand gibt den Doktoranden Rückmeldungen. Der Leiter der Arbeitsgruppe (B19P) arbeitet erst zu einem späteren Zeitpunkt am Entwurf, der nach eigenen Angaben bereits zu 80% fertig ist. Neben der Abnahme des Textes nimmt sich der Professor der ‚schwierigen‘ Teile des Aufsatzes an, wie Einführung und Diskussion der Ergebnisse (für eine Diskussion weiterer Schreibmodi siehe Kap. 4.1.2). Die beiden vorgestellten Korrekturbeziehungen sind sehr unterschiedlich: Die drei Geschichtswissenschaftler korrigieren sich in der Regel nicht sprachlich, sondern überlassen diese Aufgabe ihrer muttersprachlichen Korrekturleserin. Die Biologen dagegen nutzen gar keine muttersprachliche Durchsicht, die Komplexität der Schreibaufgaben scheint aber mit der Karrierestufe und Erfahrung anzuwachsen. 4.2.4.4 Zwischenfazit Im Unterkapitel Korrekturleser von Manuskripten (Kap. 4.2.4.1) stand zunächst die quantitative Verteilung der eingesetzten Korrekturleser im Zentrum. Es wurde dabei festgestellt, dass die Mehrheit der Befragten aller Fächer regelmäßig Kollegen als Korrekturleser einsetzen, die keine Muttersprachler des Englischen sind (27 Nennungen). Muttersprachliche Korrekturleser (17 Nennungen) wurden dagegen nicht immer regelmäßig eingesetzt, sondern eher <?page no="181"?> 181 beim Eintreten bestimmter Bedingungen, wie einer besonders wichtigen Veröffentlichung, oder wenn sie als Koautoren verfügbar waren. Besonders die Geschichtswissenschaftler scheinen jedoch auf eine muttersprachliche Durchsicht angewiesen zu sein, denn alle sechs Interviewten verließen sich auf muttersprachliche Korrekturleser. In den Natur- und Ingenieurwissenschaften wurde eine muttersprachliche Durchsicht hingegen häufig als ‚Luxus‘ gesehen, der aber nicht für das erfolgreiche Publizieren notwendig sei. Gründe für die gewachsene Unabhängigkeit gegenüber natives könnten unter anderem in der effizienten Ressourcennutzung, der gestiegenen Englischkompetenz der Wissenschaftler sowie den unterschiedlichen Funktionen von Sprache in den Fächern liegen. Es wurde zudem gezeigt, dass die meisten Befragten, die Muttersprachler des Englischen einsetzen, einen gewissen Wert auf fachliche und lektorale Kompetenzen legen, wobei dennoch eine beachtliche Streuung existiert. Einige wenige Befragte setzten auch Gelegenheits-Korrekturleser aus dem privaten Umfeld ein. Für den Abschnitt Sprachliche oder inhaltliche Korrektur (Kap. 4.2.4.2) kann festgehalten werden, dass einige Befragte sowohl sprachlich als auch inhaltlich korrigieren (lassen), andere dagegen versuchen, ausschließlich fachliche bzw. inhaltliche Gesichtspunkte bei der Korrektur ihrer Manuskripte zu berücksichtigen. Besonders in dieser Gruppe werden fachliche und sprachliche Korrekturen weitestgehend nach bestimmten Personengruppen getrennt (fachlich/ inhaltlich = Kollegen, sprachlich = Muttersprachler). Diese Aufteilung wird damit begründet, dass es außerhalb des eigenen Kompetenzbereichs läge, sprachliche Korrekturen vorzunehmen bzw. damit, dass Unsicherheit über die Richtigkeit der von Nichtmuttersprachlern vorgeschlagenen Änderungen vorherrscht. Dass sprachliche Gesichtspunkte nicht thematisiert werden, könnte man insofern als eine ineffiziente Strategie deuten, als dass dabei eine Gelegenheit vertan wird, sich über sprachliche Problemfälle zu verständigen und so im Team der Autoren und (nichtmuttersprachlichen) Korrekturleser mehr fachbezogene Sprachkompetenz zu erarbeiten. Sind sprachliche Durchsichten und Diskussionen strittiger Elemente jedoch Teil des Korrekturprozesses, könnte dies nicht nur die Chancen auf eine sprachlich ausgereiftere Veröffentlichung erhöhen, sondern auch die Abhängigkeit von Muttersprachlern des Englischen im Rahmen des wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens weiter verringern. Abschließend wurden Besondere Korrekturbeziehungen und -praktiken anhand verschiedener Korrekturkonstellationen vorgestellt, die die Funktion des language brokering verdeutlichten. Sowohl mutterals auch nichtmuttersprachliche Mitarbeiter und Korrekturleser können diese vermittelnde Funktion einnehmen. Während die Geschichtswissenschaftler stark von einer muttersprachlichen Durchsicht abhängig sind, scheinen die Biologen, wohl auch aufgrund ihrer Schreiborganisation, ohne Rückgriff auf Muttersprachler des Englischen erfolgreich zu publizieren. Es wird zudem deutlich, dass auch Mitarbeiter, die weniger englischkompetent sind, in Zusammenarbeit <?page no="182"?> 182 mit sprachlich und fachlich kompetenten Kollegen erfolgreich publizieren können. 4.2.5 Ressourcennutzung während des Publizierens In diesem Abschnitt werden Themenfelder besprochen, die sich auf die Phase der Einreichung des Manuskriptes bei einer Fachzeitschrift beziehen. Es werden strategische Ressourcen behandelt, die die Befragten einsetzen, um beispielsweise Rückmeldungen zu ihrem Artikel zu erhalten oder Zeit und Geld bei der Veröffentlichung englischsprachiger Aufsätze zu sparen (Kap. 4.2.5.1). Weiterhin werden Ergebnisse zur Auswahl passender Fachzeitschriften vorgestellt (Kap. 4.2.5.2). Wenngleich die diskutierten Ressourcen sich nicht direkt auf das Schreiben und Überarbeiten beziehen, sind sie dennoch essentieller Bestandteil jeglicher wissenschaftlichen Veröffentlichung. 4.2.5.1 Manuskripte ungeprüft einreichen Eine Strategie, die manche Befragte bewusst wählen, ist das Einreichen von englischsprachigen Manuskripten, ohne sie vorher sprachlich überprüfen zu lassen. Während ein Befragter aus der Germanistischen Linguistik (L3P) diese Strategie wählt, weil er den Aufwand für mehrfache sprachliche Durchsichten als zu hoch erachtet, sieht ein Interviewter aus der Politik (8P) diese Strategie kritischer und betont deren Ambivalenz. Beide Aussagen sollen zur Verdeutlichung in einem Fallvergleich kontrastiert werden: Germanistischer Linguist Politologe Bei der Ersteinreichung von Aufsätzen beispielsweise ist es so, dass ich die unkorrigiert einreiche. Man kriegt ja dann ein Gutachten und dann wird das angenommen oder abgelehnt, und wenn es angenommen ist, muss man es eigentlich immer überarbeiten ... inhaltlich. Wenn ich es dann inhaltlich fertig habe, dann geb’ ich es erst einem Korrekturleser. Weil es lohnt sich ja nicht Zwischenfassungen ... ordentlich hinzukriegen. Und mein Englisch ist nicht so schlecht, dass ich aus solchen Gründen abgelehnt werde. (L3P 00: 11: 14-9) Ein großes Problem sind die vielen Zwischenvarianten. [...] Das hab’ ich selber in England auch erlebt, [...] dass die Aufsätze von Deutschen abgelehnt haben, weil das Englisch zu schlecht war. [...] Wenn man es also vorher nicht einem Muttersprachler gibt, bevor man ins review kommt, wird man auch mit ordentlichem Inhalt vielleicht von den Reviewern abgeschossen. Das Problem ist, dass fast immer aus einem review nochmal eine neue Version entsteht, und da braucht man wieder einen Muttersprachler, was die Sache aufwändig macht. (8P Politik 00: 12: 36- 6) Tabelle 13: Fallkontrastierung im Hinblick auf das Einreichen von englischsprachigen Manuskripten <?page no="183"?> 183 Im Zuge des Fallvergleichs wird deutlich, dass der Germanistische Linguist (L3P) diese Strategie anwendet, um den Korrekturaufwand für Manuskripte zu reduzieren. Er fügt hinzu, dass seine Englischkompetenz für dieses Vorgehen ausreiche. Der zweite Befragte (8P Politik) ist sich diesbezüglich weniger sicher, wie er anhand einer Narration über die review-Praktiken englischer Fachkollegen erklärt. Die Gefahr einer Ablehnung schätzt der Interviewte als zu hoch ein, weshalb er sowohl vor der Begutachtung als auch nach der Überarbeitung des Manuskriptes eine muttersprachliche Korrekturleserin einsetzt. Zwar teilt er die Auffassung des Germanistischen Linguisten, dass dieses Vorgehen sehr aufwändig (und kostspielig) sei, er sieht jedoch bisher keine Alternative zur mehrfachen muttersprachlichen Durchsicht. Ein weiterer Befragter (L34PD) reicht seine Beiträge aus einem anderen Grund ungeprüft ein. Es geht ihm nicht darum, Geld oder Zeit zu sparen, sondern darum, ‚ehrliches‘ Feedback von den Gutachtern zu erhalten: Eine andere Möglichkeit ist, dass ich es einfach an eine Zeitschrift, an ein journal schicke schon in vollem Bewusstsein, dass [...] es so nicht veröffentlicht wird. Einfach, dass man von Leuten, die ganz weit weg von dem sind sozusagen, die sich mit dem [Thema] zwar auskennen, aber dich persönlich nicht kennen, auch mal echte Kommentare bekomme. (L34PD 00: 10: 17-7) Der interviewte Germanistische Linguist geht, wie im Zitat beschrieben, bewusst das Risiko ein, dass sein Beitrag abgelehnt wird. In der Absicht „echte Kommentare“ zu erhalten, schickt er (möglicherweise unfertige) Manuskripte an Zeitschriften ein. In diesem Sinne könnte man diese Praxis auch zur Phase der Überarbeitung eines Manuskriptes zählen, nur das der Befragte fachliche (und möglicherweise auch sprachliche) Rückmeldungen nicht von Kollegen oder Korrekturlesern im unmittelbaren Umfeld ersucht, die er als weniger ‚offen‘ einschätzt, sondern von den zumeist anonymen Gutachtern wissenschaftlicher Zeitschriften. Eine mögliche Gefahr dieses Vorgehens ist, dass das ohnehin angespannte peer review-System zunehmend überlastet werden könnte, sollte diese Strategie von vielen Wissenschaftlern angewendet werden (vgl. Hyland 2012: 38). Der Fallvergleich zwischen dem Politologen und dem Germanistischen Linguisten verdeutlicht, dass es für manche Autoren durchaus das Ablehnungsrisiko erhöhen kann, ein Manuskript sprachlich ungeprüft einzureichen. Es handelt sich also um eine Strategie, die nicht von allen Befragten risikofrei angewendet werden kann. Anders verhält es sich, wenn man ohnehin mit einer Ablehnung rechnet und in erster Linie an den Rückmeldungen der Gutachter interessiert ist (L34PD). Diese Resultate legen nahe, dass Strategien wie das ungeprüfte Einreichen nicht im Sinne von ‚Rezepten‘ unterrichtet werden sollten, sondern eine Berücksichtigung beispielsweise der individuellen Sprachkompetenz und des Fachkontextes bedingen. <?page no="184"?> 184 4.2.5.2 Gezielte Platzierung einer Veröffentlichung Eine wesentliche Strategie im Publikationsprozess stellt die Auswahl einer Fachzeitschrift dar, in der ein Beitrag veröffentlicht werden soll. Teilweise werden die Auswahlprinzipien von Publikationsorganen durch die Fachkultur beeinflusst: Für die Biologen im Korpus spielt beispielsweise der Impact Factor 82 eine wichtige Rolle bei der Auswahl von in Frage kommenden Fachzeitschriften, wie zwei Beispiel-Interviewzitate illustrieren: Es geht ja hier nicht nur um Publikationen per se, es geht um den Impact- Faktor der Zeitschrift. Es geht, danach schielen alle, es geht um die Zitationshäufigkeit, wenn man eine schöne Story hat. (2) Publikationen per se ist nichts. Es geht darum, wo man publiziert und wie häufig das auch zitiert wird. (B19P 00: 11: 34-4) Aber diese [indischen, chinesischen] journals, zumindest die älteren Professoren raten davon ab, weil halt der Impact-Faktor noch nicht feststeht bei diesen journals, ne? Die sind halt noch nicht etabliert. (B21D 00: 29: 02-0) Es finden sich insgesamt fünf Fälle in den Interviews, in denen der Impact- Faktor als zentrales Auswahlkriterium erwähnt wird (10P Chemie, B18P, B19P, B21D, M36D). Neben den Naturwissenschaften spielen beispielsweise Akzeptanzraten bei Konferenzen und der „impact und das Renommee von journal-Artikeln“ (M36D 00: 27: 03-4) insbesondere im Bereich des Maschinenbaus eine Rolle. Eine doppelte Auswahlstrategie wird von einer Germanistischen Linguistin beschrieben: Ja, also praktisch entweder das prestigeträchalso ich meine das allerprestigeträchtigste [journal] nicht, aber so, dass was man so das Gefühl hat, das könnte es vielleicht noch annehmen. Ja, oder irgendwelche journals, bei denen man aus persönlichem Kontakt weiß, dass die meinetwegen relativ schnell irgendwas begutachten. Also praktisch, wo man so irgendwie durch persönlichen Kontakt eine Idee hat, dass das eine gute Sache wäre. Klar und dann würde ich weiter runtergehen oder sind wir auch schon weiter runtergegangen. (L27PD 00: 23: 07-4) Auch sind Überlegungen der Passung von wissenschaftlichen Meriten und Publikationsorgan durchaus von Bedeutung, denn je nach eigener Einschätzung des wissenschaftlichen Wertes einer Veröffentlichung wird auch eine dementsprechende Fachzeitschrift gewählt. Es spielen jedoch auch weitere Faktoren mit in die Auswahl hinein, wie eine geringe Begutachtungszeit oder die persönliche Bekanntschaft mit dem Herausgeber einer Fachzeit- 82 Die jährlich vom Privatunternehmen Thomson Reuters herausgegebenen Impact Factors sollen die Qualität wissenschaftlicher Zeitschriften messen. Sie basieren auf einer Zitationsanalyse der Zeitschriften, die in den Journal Citation Reports (ebenfalls Thomson Reuters) verzeichnet sind (vgl. http: / / wokinfo.com/ essays/ impact-factor/ , eingesehen am 08.01.2015) und sind vor allem für die Natur- und Technikwissenschaften relevant. <?page no="185"?> 185 schrift. Besonders letzteres kann als sozioakademische Ressource verstanden werden, denn so lassen sich die Chancen auf eine erfolgreiche Veröffentlichung bereits vor Einsendung des Manuskriptes über informelle Kommunikationskanäle besser abschätzen. Es ist anzunehmen, dass das wissenschaftliche Veröffentlichen durch verschiedene strategische Entscheidungen charakterisiert ist. Andere Studien berichten über weitere Auswahlstrategien. So beschreibt Okamura (2006: 73) die Strategie, Einfluss auf Forscher im gleichen Feld auszuüben, indem eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift angestrebt wird, indem auch eine konkurrierende Gruppe Wissenschaftler publiziert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Befragten in der Biologie bei der Auswahl adäquater Veröffentlichungsorgane offenbar relativ strikt nach quantitativ messbaren rankings, wie dem Impact-Faktor, vorgehen. In anderen Fachkulturen zusätzlich herangezogene Auswahlkriterien, wie z.B. persönlicher Kontakt zum Herausgeber oder eine geringe Begutachtungszeit, konnten hier nur anhand eines Beispiels angerissen werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es je nach Fachkultur, Karrierestufe, ein- oder zweisprachiger Publikationspraxis, eher national oder international ausgerichteten Themen etc. eine Vielzahl von Auswahlstrategien in Frage kommt. Die Auswahl eines geeigneten Publikationsorgans kann also, zumindest außerhalb der Naturwissenschaften, nur bedingt anhand schematischer ‚Rezepte‘ unterrichtet werden, sondern muss im Einzelfall unter Berücksichtigung der genannten Begebenheiten bei jeder anstehenden Veröffentlichung erneut entschieden werden. 4.2.6 Fazit und Implikationen Im vorliegenden Kapitel wurde gezeigt, dass die Befragten verschiedene strategische, sozio-akademische und technischen Ressourcen einsetzen, um ihr Ziel - das Veröffentlichen in einer englischsprachigen Fachzeitschrift - zu erreichen. Ausgehend von einer konzeptuellen Diskussion und Erweiterung des Strategiebegriffs sowie von den Interviewten im Schreib- und Publikationsprozess wahrgenommenen Problemen wurde die Ressourcennutzung der Wissenschaftler während des Schreibens, Überarbeitens und Publizierens vorgestellt. Die Erweiterung des klassischen Strategiebegriffes auf die Betrachtung von Ressourcen sozioakademischer und technischer Art hat sich als vorteilhaft herausgestellt, da so der Fokus vom Individuum auf die soziale und institutionelle Umgebung der Autoren sowie ihren Medieneinsatz gerichtet wird. Im Hinblick auf technische und lexikalische Ressourcen kann konstatiert werden, dass fast alle Befragten zweisprachige Ressourcen wie Online- Wörterbücher nutzen, ungeachtet des Grades der Anglisierung im Fach. Aber auch beim Schreiben selbst kann die Verwendung des Deutschen entweder explizit (z.B. beim Übersetzen vorliegender deutschsprachiger Text- <?page no="186"?> 186 fragmente) oder implizit (beim Bezug auf Primärquellen und deutschsprachige Literatur) teilweise festgestellt werden. Obwohl die große Mehrheit der Interviewten angibt, Fachartikel direkt auf Englisch zu verfassen, ist der wissenschaftliche Schreib- und Publikationsprozess somit trotz fortschreitender Anglisierung der Publikationslandschaft nach wie vor von der Zweisprachigkeit der Befragten geprägt. Dieser Umstand muss unter anderem bei Untersuchungen des wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens berücksichtigt werden, da eine ausschließliche Fokussierung auf die zunehmende Anglisierung der vorherrschenden Mehrsprachigkeit nicht gerecht wird. Weiterhin benutzten die Befragten lexikalische Ressourcen wie die Suchmaschine Google, besonders um Formulierungen auf ihre Verbreitung hin zu überprüfen. In allen Disziplinen ist der Spracherwerb durch das immersive Lesen englischsprachiger Fachpublikationen zumindest implizit etabliert. In der vorliegenden Untersuchung sind es jedoch vor allem die Biologen, die explizit formelhafte Sprache aus Fachpublikationen anderer direkt in ihren eigenen Texten wiederverwenden, also eine copy&paste-Praxis erkennen lassen. Der weitverbreitete Rückgriff auf Korrekturleser bzw. sozio-akademische Ressourcen zeigt die Vorteile einer Modellierung von Schreib- und Publikationsprozessen als soziales Handeln in Praxis- und Diskursgemeinschaften auf. Nur durch die Einnahme einer sozialen Perspektive auf wissenschaftliches Schreiben und Publizieren konnten maßgebliche Ressourcen und Abläufe erkannt werden. Nichtmuttersprachliche Korrekturleser bzw. das von Ihnen bereitgestellte Feedback sind für die Interviewten eine wichtige, wenn nicht die wichtigste, sozio-akademische Ressource beim Überarbeiten von Entwürfen. In besonderen Fällen ermöglichen sie ganzen Abteilungen und Arbeitsgruppen die Veröffentlichung englischsprachiger Beiträge, ohne dass Muttersprachler des Englischen hinzugezogen werden müssen. Diese Form der Ressourcennutzung eröffnet somit auch sprachlich weniger kompetenten Wissenschaftlern eine Möglichkeit, ihre Forschung in englischsprachige Diskurse einzubringen. Muttersprachler des Englischen wurden beim Korrekturlesen weniger häufig eingesetzt als Nichtmuttersprachler. Obwohl dieses Ergebnis auch in Abhängigkeit der Verfügbarkeit und Finanzierbarkeit qualifizierter muttersprachlicher Korrekturleser gesehen werden muss, zeichnet sich ebenfalls ab, dass die untersuchten Wissenschaftler, zumindest außerhalb der Geschichtswissenschaft, nicht generell von muttersprachlichen Durchsichten abhängig sind. Vielmehr greifen viele Befragte auf Muttersprachler weniger regelmäßig und nur unter bestimmten Bedingungen zu. Im Zuge einer Überarbeitung von Manuskripten kommen verschiedene Möglichkeiten der Durchsicht zum Tragen. Häufig werden entweder sprachliche oder inhaltliche Gesichtspunkte priorisiert und bestimmten Personengruppen zugeordnet (d.h. Muttersprachler = Sprachprüfung, Kollegen = überwiegend fachliche Rückmeldungen). Die Gründe dafür sind einerseits in der als gering wahrgenommenen fachlichen Kompe- <?page no="187"?> 187 tenz muttersprachlicher Korrekturleser zu sehen, sowie darin, dass es außerhalb des Kompetenzbereiches von Nichtmuttersprachlern läge, über die sprachliche Korrektheit von Manuskripten zu urteilen. Es gibt jedoch auch Ausnahmen dieser Ordnung, beispielsweise wenn Muttersprachler gleichzeitig Koautoren sind oder Nichtmuttersprachler sich im Team dezidiert mit sprachlich strittigen Punkten auseinandersetzen. Im Zusammenhang mit den Erkenntnissen zu den Korrekturlesern kann außerdem festgestellt werden, dass die individuelle Sprachkompetenz nicht immer für den Publikationserfolg ausschlaggebend ist und durch gezielte Ressourcennutzung zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden kann. Wenn auch quantitativ nur gering im Korpus ausgeprägt, spielen strategische Ressourcen für die Befragten ebenso eine wichtige Rolle. Besonders in der Biologie wurde der Impact-Faktor als ein Hauptkriterium für die Auswahl einer geeigneten Fachzeitschrift angeführt. Dieses Auswahlkriterium scheint außerhalb der Natur- und Teilen der Ingenieurwissenschaften weniger wichtig zu sein, da hier andere Strategien bei der Auswahl passender Publikationsorgane in den Vordergrund rücken, wie z.B. die Passung zwischen wissenschaftlichen Ergebnissen und anvisierter Fachzeitschrift, aber auch die persönliche Bekanntschaft mit einem Herausgeber. Einige Forscher sahen keine Notwendigkeit, ihre englischsprachigen Artikel vor Einsendung an eine Fachzeitschrift von Muttersprachlern korrekturlesen zu lassen. Wenngleich diese Strategie keine zusätzlichen finanziellen und zeitlichen Verausgabungen hervorruft, setzt sie jedoch eine höhere Sprachkompetenz und eine genaue Kenntnis des Veröffentlichungssystems im jeweiligen Fach voraus. Obwohl die Wissenschaftler-Interviews wichtige Einblicke in die Ressourcennutzung und die soziale Funktionsweise vieler schreib- und publikationsrelevanter Praktiken ermöglichen, wurden ebenso einige methodische Einschränkungen deutlich. Ein Problempunkt ist in diesem Zusammenhang, dass die genannten Strategien nicht notwendigerweise mit der tagtäglichen Praxis der Befragten zusammenfallen (vgl. Grotjahn 1997: 63). Weiterhin ist es durch die prinzipielle Offenheit der Interviews wahrscheinlich, dass die Befragten keine erschöpfende Liste der verwendeten Ressourcen nennen, sondern sich auf einige Punkte konzentrieren, über die sie sprechen möchten oder ihnen während des Gesprächs einfallen. Aus diesem Grund könnte zukünftige Forschung beispielsweise darauf abzielen, das komplexe Zusammenspiel der Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch (sowie verwendeter Drittsprachen) während des Schreibens und Überarbeitens unter Nutzung weiterer Methoden zu modellieren (siehe dazu auch Kap. 4.2.3.3): Denken Wissenschaftler tatsächlich überwiegend auf Englisch beim Erstellen eines Manuskriptes? Inwiefern fungiert das Deutsche bzw. Englische als textuelle, kognitive, konzeptuelle und psycholinguistische Ressource oder Hindernis? Eine Komplementierung von Interviews durch ethnografische Verfahren wie Beobachtung und psycholinguistisch orien- <?page no="188"?> 188 tierte Verfahren wie die Protokollierung lauten Denkens könnte die ‚toten Winkel‘ der jeweiligen Methoden ausgleichen. Eine soziale Perspektive auf wissenschaftliches Schreiben und Publizieren wäre somit bei gleichzeitiger Berücksichtigung kognitiv-psycholinguistischer sowie beobachtbarer Datenbestände gewährleistet. Die untersuchte Ressourcennutzung hat darüber hinaus didaktische Implikationen. Neben individuellen Strategien (Welche Möglichkeiten gibt es z.B., einen Artikel zu schreiben und zu überarbeiten? ) sollte die Handhabung technischer Ressourcen wie die Google-Stringsuche oder der Änderungen verfolgen-Modus in der Textverarbeitung verstärkt Bestandteil solcher Kurse werden. Die kompetente Benutzung technischer Ressourcen (wie z.B. LEO) stellt zudem für die meisten Wissenschaftler eine wesentliche Erleichterung beim Schreiben und Veröffentlichen englischsprachiger Beiträge dar. Bisher noch wenig genutzte lexikalische Ressourcen wie fachsprachlich orientierte Korpora (z.B. COCA), die eine sprachliche Verifizierung des Geschriebenen anhand veröffentlichter Fachtexte erlauben, könnten die Unabhängigkeit von muttersprachlichen Durchsichten weiter erhöhen und gleichzeitig das Bewusstsein über die fachlich angemessene Versprachlichung wissenschaftlicher Inhalte fördern. In diesem Zusammenhang sollte auch darüber nachgedacht werden, wie man sich fachsprachliche Textroutinen für die eigene Arbeit zu Nutze machen kann, ohne dabei geistigen Diebstahl zu begehen oder die wissenschaftliche Kreativität zu gefährden. Dass wissenschaftliches Schreiben im Normalfall kein Einzelunterfangen ist, sondern vielmehr auf intensiver Kooperation und der strategischen Einbindung von muttersowie nichtmuttersprachlichen Korrekturlesern beruht, ist bisher noch zu selten Gegenstand von Schreibkursen. In diesem Zusammenhang könnte überlegt werden, wie eine Feedback-Kultur in verschiedenen Fachkontexten etabliert werden kann, bei der sowohl inhaltliche als auch sprachliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zwar gibt es Zweifel daran, dass Strategien tatsächlich unterrichtet werden können (vgl. Hawkins 1998: 196), in jedem Fall könnte aber ein stärkeres Bewusstsein der sozialen, technischen und kommunikativen Einbettung akademischer Praxis - im Sinne einer academic language awareness - für (Nachwuchs-)Wissenschaftler aller Fächer von Vorteil sein. <?page no="189"?> 189 5 Themenkomplex II: Einstellungen und Sichtweisen 5.1 Konzeptionen von Mutter- und Nichtmuttersprachlichkeit in der Wissenschaft Während das „Konstrukt des Native Speaker“ (Antos 1996: 257) in früheren Jahrzehnten unumstritten zu den konzeptuellen Grundpfeilern in Disziplinen wie der Linguistik, der Spracherwerbsforschung und der Fremdsprachendidaktik gehörte 83 , wird das Begriffspaar nunmehr deutlich kontroverser diskutiert und teilweise komplett in Frage gestellt (vgl. z.B. Davies 2004: 438; Rampton 1990). Vor diesem Hintergrund sowie der häufig vermuteten Benachteiligung von Nichtmuttersprachlern des Englischen beim wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren wird in diesem Kapitel eine Untersuchung des Konzeptes anhand der empirischen Interviewdaten angestrebt. Einführend soll zuerst ein Eindruck davon vermittelt werden, wie zentral das Muttersprachlerkonzept für die (angewandte) Linguistik und die Spracherwerbsforschung ist und inwiefern es sich gewandelt hat. Vor etwa 20 Jahren war beispielsweise Swales (1990) noch vom muttersprachlicher Kompetenz als sprachlicher Zielvorstellung für das Fremdsprachenlernen überzeugt: It is worth remembering that in the average world of English as a second language, the highest expectation of an instructional program is to raise the level of students’ language proficiency to somewhere fairly close to that of an average native speaker, however we might attempt to define such a person. Native-speaker competence is a point of arrival. (Swales 1990: 10) Obwohl er bereits Unsicherheiten bei der Definition dessen anspricht, was unter einem durchschnittlichen Muttersprachler verstanden werden kann, galt diese Position lange Zeit als Gemeingut und de facto Standard und Ziel jeglicher niveauvollen Englischausbildung. Circa 15 Jahre später hat sich die Position Swales und anderer Forscher (vgl. z.B. Ferguson 2007) zur Muttersprachlichkeit deutlich gewandelt: The difficulties typically experienced by non-native speaking academics in writing English are (certain mechanics such as article usage aside) au fond pretty similar to those typically experienced by native speakers. (Swales 2004: 52) 83 Siehe dazu auch den von Coulmas (1981) herausgebebenen Sammelband A Festschrift for native speaker, dessen Beiträge das Konzept aus verschiedenen Perspektiven präzisieren, kritisieren und würdigen. <?page no="190"?> 190 Wie aus einem Vergleich der Zitate ersichtlich wird, nivelliert Swales im zweiten Zitat die Bedeutsamkeit der Muttersprachler/ Nichtmuttersprachler- Unterscheidung (ab hier: MS/ NMS-Unterscheidung) für das wissenschaftliche Schreiben, während er near nativeness im ersten Zitat noch als Lernziel thematisiert. Er sieht wissenschaftliches Schreiben und Publizieren als Phänomen an, das von Muttersprachlichkeit losgelöst ist und das, abgesehen von formalen Kleinigkeiten, sich bei Mutterals auch Nichtmuttersprachlern ähnlich gestaltet. Im Folgenden sollen zur Erklärung einige zentrale Themen und Diskussionspunkte nachgezeichnet werden, die zu diesem veränderten Verständnis des Konzeptes und seiner Dekonstruktion beigetragen haben. 5.1.1 Der Muttersprachlerbegriff Unterschiedliche Vertreter der Angewandten Linguistik und Fremdsprachenforschung haben sich mit dem Begriff des Muttersprachlers auseinandergesetzt, ihn kritisiert (vgl. z.B. Rampton 1990) oder sogar gänzlich infrage gestellt (vgl. z.B. Paikeday 2003). Eine Definition, inklusive der komprimierten Kritik am Begriff, soll hier der weiteren Diskussion vorangestellt werden: A native speaker is traditionally considered to be a person who, having acquired a language in infancy, has expertise and intuitions about its grammaticality, uses it automatically, accurately and creatively, and identifies with a community in which it is spoken. This view, however, combines criteria which do not necessarily occur together: language history, expertise and loyalty. Some argue that it is not a satisfactory linguistic notion, but one used to declare or deny group membership. This is disturbing to entrenched opinion both in linguistics, where ‘native-speaker intuition’ has been a source of evidence, and in language teaching, where native-speaker teachers are often considered the best. (Cook 1998: 227) Cook beschreibt neben einigen zentralen Definitionskriterien des Begriffes, wie mehrere soziale, geschichtliche und kompetenzorientierte Perspektiven in teilweise problematischer Weise in dem Begriff zusammenkommen. Viele traditionelle Definitionen des Muttersprachlers weisen darüber hinaus eine einseitige Ausrichtung auf einen bestimmten Typ Sprecher auf, „das Konzept des Native Speaker ist am erwachsenen, gesunden, monolingualen Sprecher einer Standardvariante einer Sprache orientiert“ (Antos 1996: 258). Eine derartige Definition ist dahingehend problematisch, dass somit beispielsweise Kinder, Mehrsprachige, Schreibende und Beherrscher von Fachsprachen ausgeschlossen werden. Angesichts dieser Unschärfe des Begriffes wurden von Davies (2004: 436) verschiedene Definitionen des native speakers auf Stichhaltigkeit hinsichtlich ihrer Definitionskriterien überprüft. Die folgenden Kriterien wurden dabei zugrundegelegt: <?page no="191"?> 191 1. childhood acquisition 2. intuitions about ideolectal grammar 3. intuitions about the standard language grammar 4. discourse and pragmatic control 5. creative performance 6. interpreting and translating Davies kommt zu dem begründeten Schluss, dass die Kriterien 2-5 abhängig vom ersten Kriterium seien, und selbst der Spracherwerb in der Kindheit ließe sich durchaus als Minimalbedingung eines Muttersprachlers umgehen: „[T]he limitations imposed by the later acquisition, when it is very successful, are likely to be psycholinguistic rather than sociolinguistic“ (Davies 2004: 437). Es erscheint nachvollziehbar, dass einige der Definitionskriterien auch auf Nichtmuttersprachler des Englischen zutreffen können. So bildet beispielsweise kreative Sprachnutzung (Punkt 5) einen Bereich, der, je nach Definition, in der Regel auch von Nichtmuttersprachlern erfüllt wird (vgl. Cook 1999), sogar dann, wenn sie eine geringe Sprachkompetenz aufweisen. Diese Überlegungen führen Davies (2004: 438) zur Annahme, dass Muttersprachler und Nichtmuttersprachler in einigen Fällen letztlich nur durch ihre Autobiographie unterschieden werden können. Von Cooks (1998: 227) Definition und ihren vielschichtigen Problemlagen ausgehend, wird im Folgenden auf verschiedene fachliche Perspektiven eingegangen, die die Diskussion um das Konzept der Muttersprachlichkeit prägen. Im Bereich der Spracherwerbsforschung wird im Zusammenhang mit dem Konzept des Muttersprachlers häufig Chomsky und die vom ihm begründete Linguistiktradition kritisiert (vgl. z.B. Mahboob 2005: 67; Mukherjee 2005: 9; Paikeday 2003; Piller 2001: 4; Prior 2003: 6). Insbesondere steht dabei eine komplett von gesellschaftlichen Bezügen abgelöste Übergeneralisierung und Abstraktion des Muttersprachler-Konzeptes im Zentrum der Kritik (der „ideale Sprecher-Hörer“), wie sie sich im Kern des Chomskyschen Forschungsparadigmas widerspiegelte: Linguistic theory is concerned primarily with an ideal speaker-listener, in a completely homogeneous speech-community, who knows its language perfectly and is unaffected by such grammatically irrelevant conditions as memory limitations, distractions, shifts of attention and interest, and errors (random or characteristic) in applying his knowledge of this language in actual performance. (Chomsky 1965: 3) Diese idealisierte Vorstellung von Muttersprachlichkeit wurde lange unkritisch von Teilen der Linguistik akzeptiert. Es wurde davon ausgegangen, dass der Muttersprachler durch das Aufwachsen mit der Sprache eine Art ‚Deutungshoheit‘ für sprachliche Korrektheit („Schiedsrichter der Grammatikalität“, Antons 1996: 256) innehat und als „einzige zuverlässige Quelle sprachlichen Wissens“ gelten könne (Antos 1996: 258). Zur Verteidigung <?page no="192"?> 192 Chomskys merkt Davies (2004: 432) an, dass dieser Sprache als universelles, abstraktes und nicht an Einzelsprachen gebundenes System beschreiben wollte (universal grammar), ohne dabei weiter auf andere ‚Störfaktoren‘ wie soziolinguistische Variation einzugehen. Inzwischen werden jedoch auch andere linguistische Theorien, wie Selinkers (1972) interlanguage hypothesis dafür kritisiert, dass sie Nichtmuttersprachlichkeit automatisch mit einem Defizit gleichsetzen (vgl. Cook 1999: 189; Mahboob 2005: 67-69). Der Interimssprachen-Hypothese wird zu Recht entgegengesetzt, dass Fremdsprachenlerner nicht unbedingt muttersprachliche Kompetenz in der L2 entwickeln möchten und sich deshalb auch nicht nach damit verbundenen Zielvorstellungen richten müssten (vgl. Cook 1999: 195). Es gibt aber weiterhin Vertreter der Linguistik, die aus verschiedenen Gründen am Muttersprachler-Konzept festhalten. So tritt Mukherjee (2005: 7) für die sprachwissenschaftliche und pädagogische Nützlichkeit des Muttersprachlers ein. Als sprachliche Vergleichsnorm hat das Konzept insbesondere dann Bestand, wenn es nicht auf einer idealisierten Form des Muttersprachlers basiert, wie Chomsky und Selinker sie beschreiben, sondern auf der tatsächlichen Nutzung der Sprache, wie sie in Korpora abgebildet werden kann. Eine weitere Perspektive auf Muttersprachlichkeit bieten biologische und psycholinguistische Konzeptionen. Untersucht werden hier unter anderem Art und Weise der Signalverarbeitung im Gehirn und inwiefern sich diese bei Mutter- und Nichtmuttersprachlern unterscheidet. So untersuchten Morgan-Short et al. (2012: 1), ob immersive Unterrichtsmethoden bei erwachsenen Lernern eher zu einer Sprachverarbeitung wie bei Muttersprachlern führt als andere Methoden. Es ist dabei aus psycholinguistischer Perspektive gesehen relativ unstrittig, dass sich die Sprachverarbeitung von Mutter- und Nichtmuttersprachlern (also bilingualen Sprechern) unterscheidet (vgl. Cook 1999: 192). Psycholinguistische Erkenntnisse sind jedoch weniger relevant für die in diesem Kapitel diskutierten soziolinguistischen Fragestellungen, die sich hauptsächlich auf Einstellungen, Sichtweisen und Identitätskonstruktionen beziehen. In der Diskussion um das Konzept des Muttersprachlers prallen häufig (psycho)linguistische und soziolinguistische Perspektiven aufeinander: For the psycholinguist no test is ever sufficient to demonstrate conclusively that native speakers and non-native speakers are distinct: once non-native speakers have been shown to perform as well as native speakers on a test, the cry goes up for yet another test. For the sociolinguist there is always another (more) exceptional learner who will, when found, demonstrate that (exceptional) non-native speakers can be equated to native speakers on ultimate attainment. (Davies 2004: 438) Diese Differenzen erscheinen teilweise unüberbrückbar und könnten der Vielfalt linguistischer Methoden geschuldet sein, die auf dem Konzept des Muttersprachlers aufbauen: „Die einen interessieren sich gemäß ihren theoretischen Prämissen für das, was ein Native Speaker sagt, die anderen dafür, <?page no="193"?> 193 was er über seine Sprache weiß, und die dritten glauben, daß man ihrem Gegenstand nicht gerecht werden kann, wenn man nicht erklären kann, was der Native Speaker tut“ (Antos 1996: 259). Der Versuch einer als ‚rein linguistisch‘ bezeichneten Betrachtung des MS-Konstruktes ist zum Beispiel bei Mukherjee (2005: 11) vorzufinden: „It needs to be emphasised that from an ideologically neutral perspective, nativeness is about nothing else but linguistic competence as instantiated in language use.“ Während Mukherjee der Linguistik und ihrer Methodik Wertneutralität bescheinigt, stellt er die soziale Konstruktion des Muttersprachlerbegriffs und seine Auswirkungen als ideologisch gefärbt dar: „Non-linguistic approaches, on the other hand, very often lead to definitions of the native speaker on the basis of individual speaker attitudes or on purely ideological grounds“ (a.a.O.: 8). Diese perspektivische Verengung auf eine abstrakte linguistische Beschreibung ist, ähnlich wie Chomskys Abstrahierung des Muttersprachlers, zwar linguistisch nachvollziehbar, wird den gesellschaftlichen Konstruktion des Konzeptes und den Auswirkungen der MS/ NMS-Dichotomie, wie sie beispielsweise nichtmuttersprachliche Lehrkräfte und Wissenschaftler erfahren, allerdings nicht gerecht. Darüber hinaus muss die Annahme, dass es eine objektive bzw. ‚neutrale‘ Wissenschaft geben könne, kritisch gesehen werden (vgl. z.B. Angermüller 2012: 709; Hyland 2009a: 39), denn Linguistik, wie alle Wissenschaften, ist als von Menschen durchgeführtes Unterfangen eben nicht ideologisch neutral (siehe Kap. 2.1). Vielmehr ist davon auszugehen, dass jede Betrachtung des MS-Konzeptes nicht nur eine linguistische, sondern auch eine soziale Komponente hat. Diese sollte nicht als ideologisch gefärbt abgetan, sondern als sozial wirkmächtig untersucht werden, wie Mahboob (2005: 79) konzis schlussfolgert: „[T]he issue of being native is not simply a linguistic issue, but rooted in economic, political and cultural issues“. Es kann demnach bei der Reflexion des MS-Begriffs nicht nur um Sprachbeschreibung gehen. Vielmehr müssen soziolinguistische und gesellschaftliche Faktoren mit einbezogen werden. Im Zentrum dieses Kapitels stehen deshalb soziolinguistische Überlegungen zum Muttersprachlerkonzept, die zusammengefasst werden können mit der Leitfrage, welche realweltlichen Auswirkungen die MS/ NMS-Unterscheidung zeitigt. Das bedeutet, es geht in erster Linie um „real-world parameters of the native speaker“ (Davies 2004: 432). Ausgehend von der Annahme, dass gesellschaftlich relevante Kategorisierungen konstruktiven Charakter haben und somit potenziell der Umdeutung durch ihre Benutzer unterliegen, wird hier argumentiert, dass Muttersprachlichkeit nicht nur durch Sprachkompetenz und -wissen definiert wird, sondern ein soziales Konstrukt ist, das in Verbindung steht mit sprachlicher Identität, Gruppenzugehörigkeit und Macht. Eine weitere soziolinguistisch relevante Annahme ist, dass der Begriff des Muttersprachlers im wissenschaftlichen Alltagsgebrauch jenseits der kritischen Diskussion in der Sprachwissenschaft kaum bzw. überhaupt nicht hinterfragt wird. Muttersprachlichkeit bildet somit ei- <?page no="194"?> 194 ne soziale Kategorie, die, wenn auch in geringerem Ausmaß, anderen gesellschaftlich konstituierten Kategorien wie Gender, Ethnizität und Nationalität ähnlich ist und oft als ‚gegeben‘ und ‚natürlich‘ wahrgenommen wird. In einigen Studien wird auf ein gewisses ‚Unbehagen‘ durch die dichotomisierende Wirkung der MS/ NMS-Unterscheidung hingewiesen, wie Faez (2011: 246) zum Ausdruck bringt: „Based on the cases provided, it is obvious that the native/ nonnative dichotomy generates discomfort for the participants and tends to misrepresent them“ (vgl. auch Brutt-Griffler/ Saminy 2001: 101). Im Untersuchungskorpus dagegen schienen alle Befragten mit der Zuweisung des Status als Nichtmuttersprachler einverstanden zu sein (siehe Frage 13 im Interviewleitfaden, Anhang B). Dies könnte daran liegen, dass die meisten Menschen in Expanding Circle-Ländern (Kachru 1985) 84 wie Deutschland sich relativ eindeutig als Nichtmuttersprachler charakterisieren lassen. Obwohl die Kategorisierung von Individuen als MS oder NMS im Einzelfall also durchaus problematisch sein kann, kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass sich ein Großteil der Menschen in derartigen Kontexten nach wie vor eindeutig einordnen lässt (vgl. Sutherland 2012: 59f.) bzw. selbst einordnen (vgl. Gnutzmann et al. 2012: 79). So beziehen sich die beiden Studien, die die Unzulänglichkeit der binären Kategorisierung als Mutter- oder Nichtmuttersprachler thematisieren, hauptsächlich auf Inner Circle-Kontexte wie Kanada und die USA, wo aufgrund internationaler Mobilität zahlreiche Menschen leben, die hinsichtlich einer Zuordnung als MS oder NMS eher als ‚hybrid‘ (oder generation 1.5) bezeichnet werden können. Darunter fallen beispielsweise Einwanderer der ersten Generation, die einen Teil ihrer Schul- oder Universitätsbildung im Zielland absolviert haben und sich folglich einer eindeutigen Kategorisierung als Mutter- oder Nichtmuttersprachler entziehen (vgl. Faez 2011: 245). Um die soziale Tragweite der Konstruktion Muttersprachler an einem Beispiel aufzuzeigen, wird in folgenden Abschnitt auf einige Entwicklungen eingegangen, die Lehrkräfte und den Englischunterricht betreffen, bevor zum eigentlichen Hauptthema Muttersprachlichkeit im Kontext wissenchaftlichen Schreibens und Publizierens übergegangen wird (siehe Kap. 5.1.3). 5.1.2 Muttersprachlichkeit in Lehr-Lern-Kontexten Verbunden mit der Auseinandersetzung um die Qualitäten mutter- und nichtmuttersprachlicher Lehrkräfte ist die Idee des native-speakerism (vgl. Sutherland 2012: 60). Diese diskriminatorische Praxis, die ausschließlich Muttersprachler als kompetente Englischlehrkäfte sieht, ist in einigen Teilen 84 Eine Erklärung des ‚Three Circles‘-Modell Kachrus findet sich in Kap. 6.1.3 (auf S. 246). <?page no="195"?> 195 der Welt stark ausgeprägt (vgl. a.a.O.: 61). 85 In diesem Zusammenhang haben sich verschiedene Forscher kritisch zu den theoretischen Positionen geäußert, die dieser Sichtweise zugrundeliegen. So kritisiert Philipson (1992: 185) beispielsweise die Annahmen, dass Englisch am besten von Muttersprachlern unterrichtet werden müsse (the native-speaker fallacy) oder dass der Unterricht möglichst einsprachig abzuhalten sei (the monolingual fallacy). Er legt dar, dass diese Maximen des Englischunterrichts geschichtlich in der englischen ‚Reform‘-Bewegung um Sweet und Palmer zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwurzelt sind (vgl. a.a.O.: 186), aber in fremdsprachendidaktischer Hinsicht hinterfragt werden müssten. 86 Aber auch nichtmuttersprachliche Lehrer selbst haben versucht, ihre Fähigkeiten und Positionen im Bereich des Englischunterrichts besser zu verstehen und selbstbewusster zu ‚vermarkten‘. Gebündelt wurden diese Bemühungen durch die NNEST-Bewegung (Non-native-English-speaking-Teachers), die durch die Vertretung der Rechte und Kompetenzen nichtmuttersprachlicher Lehrer, die Schätzungen zufolge ca. 80% aller Englischlehrer weltweit stellen (vgl. Braine 2011: x), zur Kritik des MS-Konzeptes im Kontext des Fremdsprachenunterrichtes beigetragen hat. Jedoch wird hier nicht die MS/ NMS-Unterscheidung per se kritisiert, wie z.B. der Aufsatztitel Native or non-native: who’s worth more? (vgl. Medgyes 1992) verdeutlicht. Vielmehr geht es um sprachliche und didaktische Kompetenzen, über die mutter- und nichtmuttersprachliche Lehrer typischerweise verfügen und wie sich diese ergänzen können. 87 Braine (2011: 10) vermutet, dass diese beruflichen und identitären Problemlagen nicht von allen nichtmuttersprachlichen Lehrkräften wahrgenommen werden, sondern vermutlich nur in solchen Ländern virulent sind, in denen Englisch die Hauptsprache ist. Allerdings spielen diese Fragen auch in Ländern eine Rolle, in denen Englisch als Fremdsprache unterrichtet wird. So warb Seidlhofer (1996: 63) bereits vor fast zwanzig Jahren mit dem Aufsatztitel The importance of being a non-native teacher of English für die Anerkennung des Umstandes, dass die meisten Englischlehrer auf der Welt Nichtmuttersprachler sind und forderte beispielsweise, die Kenntnis der Erstsprache und -kultur der Schüler produktiv als Unterrichtsressourcen zu nutzen. Als Gründe führt Seidlhofer unter anderem die Vielseitigkeit nichtmuttersprachlicher Lehrkräfte an: Sie haben 85 Allerdings werden eben nicht englischsprachige MS aller Nationen, Ethnizitäten und Akzente anerkannt. So werden manchmal indische und phillipinische Muttersprachler nicht als solche anerkannt, nur weiße Kandidaten eingestellt oder britische Akzente bevorzugt (vgl. Bonfiglio 2010: 1; Sutherland 2012: 61). Die zahlreichen Beispiele untermauern die Notwendigkeit, das MS-Konzept auch in seinen sozialen Funktionen zu untersuchen. 86 Dies gilt weniger für die ‚deutsche‘ Reformbewegung, die, maßgeblich von Viëtor (1886) beeinflusst, nicht für eine völlige Einsprachigkeit eintrat, sondern z.B. Übersetzungen in die Muttersprache akzeptierte. 87 Für eine Zusammenfassung zugeschriebener Vor- und Nachteile von muttersowie nichtmuttersprachlichen Englischlehrkräften siehe Sutherland (2012: 62-66). <?page no="196"?> 196 die Unterrichtssprache selbst erlernen müssen und sind somit mit den damit verbundenen Sprachlernproblemen vertraut; sie können aber auch auf die Herkunftssprache und -kultur der Schüler eingehen (vgl. a.a.O. 66f.), was bei muttersprachlich englischen Lehrkräften, die keine zweite Sprache erlernt haben, nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Das zunehmende Bewusstsein für die Benachteiligung nichtmuttersprachlicher Lehrkräfte hat beispielsweise die British Association for Applied Linguistics (BAAL) dazu veranlasst, Stellenanzeigen, die ausschließlich um Muttersprachler werben, im Newsletter der Gesellschaft nicht mehr zuzulassen: „BAAL mail no longer accepts advertisements for employment which discriminate against non-native speakers of English by seeking only native speakers“ (BAAL Mailingliste vom 3.9.2011). Es fällt auf, dass hier ebenfalls nicht die MS/ NMS-Unterscheidung als solche angegriffen wird, sondern eine diskriminatorische Praxis, bei der Nichtmuttersprachler ungeachtet ihrer tatsächlichen Sprach- und Unterrichtskompetenz nicht als Lehrkräfte in Betracht gezogen werden. Im Zusammenhang mit der Globalisierung des Englischen wurde zudem wiederholt die Frage aufgeworfen, ob muttersprachliche Kompetenz als Lernziel für alle Fremdsprachenlerner dienen sollte (vgl. Davies 2004: 441; Mahboob 2005: 68; Seidlhofer 2003). An diesem Ziel wird vor allem kritisiert, dass dies für einen Großteil der Lerner unrealistisch sei und nichtmuttersprachliche Vorbilder geeigneter für mehrsprachige ‚Benutzer‘ des Englischen wären (vgl. z.B. Cook 1999: 195; Mauranen 2012: 4-6; Rampton 1990: 99). Fiedler (2011: 87f.) hat in diesem Zusammenhang anschaulich gezeigt, dass Nichtmuttersprachler sprachlich-kulturelle Elemente der Erst- und Zweitsprache in ihren persönlichen Gebrauch des Englischen integrieren, unter anderem zu Zwecken der Identitätsbildung (vgl. dazu die gegenteilige Meinung in House 2003). Sie stellt jedoch ebenfalls fest, dass in der Öffentlichkeit sowie in den Medien ein hohes Maß an Intoleranz besteht, was die (vermeintlich defizitäre) Englischkompetenz prominenter deutscher Politiker angeht und resümiert: „[T]he wider public is not ready to accept nonnative-speaker-like forms of English“ (ebd.). Dennoch drängt sich durch eine zunehmend globale Nutzung des Englischen die Frage auf, in welchem Ausmaß muttersprachliche Normen in Bildungskontexten ausschlaggebend sein sollten, in denen überwiegend Nichtmuttersprachler miteinander kommunizieren. Obgleich es naheliegt, dass für unterschiedliche Lernkontexte je spezifische sprachliche Zielnormen infrage kommen, ändert dies nichts an der Notwendigkeit eines Lernzieles per se: „The theoretical debate about native speakers may be unresolved, but in the daily practice of language teaching and testing resolution is necessary and agreement on a model and a goal required“ (Davies 2004: 441). Wenngleich eine strikte Ausrichtung an muttersprachlichen Zielvorstellungen in den meisten fremdsprachlichen Unterrichtskontexten unrealistisch erscheint, sollte die verbindende Funktion von Standard English als über- <?page no="197"?> 197 regionale Norm nicht unterschätzt werden. Ein einheitlicher Standard für geschriebenes Englisch bietet wichtige sprachliche Orientierungsmöglichkeiten sowohl für Mutterals auch Nichtmuttersprachler (vgl. Gnutzmann 2012: 324). Entgegen der Annahme Pillers (2001: 12), dass Standardsprache ein Mythos sei, von dem nur wenige profitieren und der große Bevölkerungsteile benachteilige, ist anzunehmen, dass die Notwendigkeit eines Standards in Zukunft sogar noch zunehmen wird, bedingt durch eine nahezu unüberschaubare Vielzahl muttersprachlicher Varietäten sowie nichtmuttersprachlicher Englishes. Insbesondere wenn das Englische weiterhin eine Funktion als globale Verkehrssprache erfüllen soll, muss gewährleistet bleiben, dass zumindest die Normen für schriftliche Kommunikation als einigendes Band fungieren können. Dass eine Standardsprache bestimmte Sprecher benachteiligen kann, die diese nicht beherrschen (siehe Davies 2004: 434), ist dagegen eher ein gesellschaftlicher Ab- und Ausgrenzungsmechanismus, dem auf verschiedene Weise begegnet werden kann. 88 5.1.3 Muttersprachlichkeit im Kontext wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens Bevor das Konzept der Muttersprachlichkeit weiter im Hinblick auf seine Rolle beim wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren diskutiert wird, soll hier in Erinnerung gerufen werden, in welcher Situation sich Nichtmuttersprachler im Berufsfeld Wissenschaft befinden. Die Anglisierung und Internationalisierung der Wissenschaften wirkt sich in besonderem Maße auf Nichtmuttersprachler des Englischen aus. Dem Schreiben und Publizieren englischsprachiger Artikel kommt in der Berufsbiographie sowohl mutterals auch nichtmuttersprachlicher Wissenschaftler inzwischen herausragende Bedeutung zu. Für die Wissenschaftler, deren Muttersprache nicht Englisch ist, ist der wachsende Einfluss des Englischen als Wissenschaftssprache jedoch oft ungleich problematischer. So haben Gnutzmann et al. (2004: 28) festgestellt, dass über die Hälfte des wissenschaftlichen Personals einer deutschen Universität die eigenen Englischkenntnisse als allenfalls durchschnittlich einschätzt und ca. 70% der 611 Teilnehmer der Studie sich Englischkurse für Lehrende sowie einen universitären Sprachenservice wünschten. Benachteiligungen nichtmuttersprachlicher Wissenschaftler werden in diesem Zusammenhang seit längerem international diskutiert (z.B. Ferguson 2007; Hamel 2007; Lillis, Curry 2010; siehe Kap. 1.5). Unter anderem sehen sich nichtmuttersprachliche Wissenschaftler mit der Tatsache konfrontiert, 88 Hier sei beispielsweise die Abkehr der BBC (British Broadcasting Corporation) vom Sprecher mit received pronunciation zu Radio- und Fernsehsprechern eher lokaler Herkunft zu nennen, was einen Kompromiss zwischen lokaler Identität und überregionaler Kommunikationsreichweite darstellt. Auch im English Pronouncing Dictionary von Roach und Hartman (1997, 15. Ausgabe) finden sich inzwischen Sprecher, die nicht im strengen Sinne die Kriterien der received pronunciation erfüllen. <?page no="198"?> 198 dass internationale Fachzeitschriften häufig hohe Ansprüche an die sprachliche Kompetenz der Autoren stellen und muttersprachliche Wissenschaftler als gatekeeper fungieren können, die Beiträgen aus anderen Wissenschaftsdiskursen den Zutritt zur internationalen Wissenschaftsgemeinschaft verwehren (Tardy 2004: 248). Nichtmuttersprachler stellen dabei allerdings keine homogene Gruppe mit gleichen sprachlichen Kompetenzen dar. Es wird daher von erheblichen Unterschieden in der Fremdsprachenkompetenz deutschsprachiger Wissenschaftler ausgegangen, die beispielsweise durch absolvierte Ausbzw. Weiterbildungen, Auslandsaufenthalte und die Einstellung zur englischen Sprache bedingt sind. Dennoch sind sich die Befragten durch ihre Verankerung in (mindestens) zwei Wissenschaftskulturen, die Verwendung des Englischen als Fremdsprache sowie ihre berufliche Verortung im deutschen Wissenschaftssystem ähnlich. Diese Gemeinsamkeiten lassen eine erste gemeinsame Kategorisierung der Befragten als Nichtmuttersprachler sinnvoll erscheinen. Ein evidentes Problem auch im Bezug auf die Wissenschaft ist die bereits oben erwähnte Unschärfe des Muttersprachler-Begriffes (Davies 2004: 438), die eine kontrovers geführte, aber fruchtbare Diskussion über die Bedeutung von Mutter- und Nichtmuttersprachlichkeit ausgelöst hat. Diese Unschärfe zeigt sich unter anderem darin, dass je nach Kontext vom Muttersprachler als abstrahiertes oder personifiziertes Lehrmodell, Sprachkorrektor, gatekeeper oder aber Vertreter einer Nationalität und Kultur gesprochen wird. Letztlich sind die mit dem Begriff bezeichneten Personengruppen sprachlich, sozial und fachlich so heterogen, dass es schwierig ist, typische gemeinsame Charakteristika zu finden (vgl. Hyland 2012: 38). Um dieser Dekontextualisierung des Begriffes entgegenzuwirken muss je nach Fokus und Fragestellung einer Untersuchung deshalb im Umgang mit dem Begriff Muttersprachler genauer spezifiziert werden, auf welche Personengruppen man sich bezieht. Soll eine Untersuchung etwa wissenschaftlich tätige Mutter- und Nichtmuttersprachler vergleichen, so müssen andere Einflussfaktoren möglichst kontrolliert werden. Eine Möglichkeit den Kreis infragekommender Mutter- und Nichtmuttersprachler einzuschränken kann beispielsweise durch die Forderung einer bestimmten professionellen Einbindung, wie der Universität, geleistet werden. So ist die Aneignung von standard- und fachsprachlicher Intuitionen, wie sie muttersprachlichen Wissenschaftlern häufig zugeschrieben wird, eng mit dem Absolvieren von Bildungsgängen verknüpft (vgl. Davies 2004: 435). Dies lässt sich beispielsweise daran nachvollziehen, dass die Mehrheit der Wissenschaftler im Korpus darauf besteht, dass muttersprachliche Korrekturleser zusätzlich fachliche und lektorale Kompetenzen, wie typischerweise durch ein Universitätsstudium erworben, mitbringen (siehe Kap. 4.2.3.2). <?page no="199"?> 199 5.1.4 Erfahrung und Expertise: alternative Kategorisierungen Aus der Kritik am Muttersprachlerkonzept im Rahmen der Untersuchung wissenschaftlichen Schreibens sind Alternativvorschläge entstanden, von denen zwei vorgestellt werden sollen. Es handelt sich um die Konzepte Erfahrung und Sprachexpertise, wobei hier zuerst auf Erfahrung („experience or expertise“ Römer 2009: 99) eingegangen wird. Einige Forscher gehen davon aus, dass Muttersprachler des Englischen nur einen sehr geringen Vorteil bei internationalen Publikationen hätten, da diese wie Nichtmuttersprachler die Konventionen des wissenschaftlichen Schreibens erlernen müssten (vgl. Ferguson 2007: 33; Swales 2004: 56; Swales/ Feak 2009: xi). Daraus wird gefolgert, dass Schreib- und Publikationsprobleme auf Englisch eher Wissenschaftler mit geringer Publikationserfahrung betreffen, relativ unbeeinflusst von deren Muttersprache oder den rhetorischen Anforderungen der Disziplin. Diese Sichtweise scheint jedoch zu vernachlässigen, dass gerade die Muttersprache als sprachlicher, kognitiver und kultureller Bezugsrahmen je nach Distanz zur Zielsprache die Aneignung einer Fremdsprache deutlich erschweren kann. Darüber hinaus werden Besonderheiten in den Lernprozessen von Mutter- und Nichtmuttersprachlern durch eine undifferenzierte Nutzung des Expertise-Konzepts möglicherweise verdeckt. Fremdsprachenlernfähigkeit spielt jedoch eine wesentlich größere Rolle bei Nichtmuttersprachlern als dies für einen ‚typischen‘ Muttersprachler des Englischen der Fall sein kann. Das Argument, dass mit dem wissenschaftlichen Schreiben verbundene Herausforderungen sowohl von Mutterals auch von Nichtmuttersprachlern zu bewältigen wären, verdeckt diesen Umstand. Ein weiterer Einwand gegen ‚Erfahrung‘ als alleinige Erklärungsvariable ist die mangelnde Unschärfe des Begriffs. So bleibt die Frage bisher unbeantwortet, wie genau Erfahrung gemessen werden kann. Schwierig einzuordnen sind beispielsweise mehrsprachige Wissenschaftler, die ohne Weiteres in ihrer Erstsprache publizieren können (also nach dieser Auffassung Erfahrung oder Expertise besitzen), aber bei Veröffentlichungen auf Englisch weniger erfolgreich sind. Derartige Fälle und vorliegende empirische Daten zu den verschiedenen sprachlich-fachlichen Anforderungen an Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen legen nahe, dass Erfahrung nicht das alleinige Kriterium für die Beurteilung von Anforderungen an Wissenschaftler sein kann (siehe Kap. 4.1). Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass wissenschaftliche Erfahrung und die Positionierung in der Diskursgemeinschaft eine wichtige Rolle bei der Beschreibung wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens spielen, wie auch die folgende Aussage eines Biologieprofessors nahelegt: I: Sie sind ja Nichtmuttersprachler des Englischen. Welche Auswirkungen hat das denn auf Ihre Publikationspraxis? Also gibt es zum Beispiel irgendwelche Vor- oder Nachteile? <?page no="200"?> 200 B: Nicht mehr. Weil nachdem das dann irgendwann, nachdem ich das irgendwann assimiliert hatte, habe ich das dann auch aktiv immer so vertreten, dass das einfach sinnvoll ist. (B18P 00: 41: 45-0) Offensichtlich hat der Befragte zu einem früheren Zeitpunkt seiner Karriere durchaus eine Benachteiligung gegenüber Muttersprachlern des Englischen wahrgenommen, die er aber aufgrund seiner gewachsenen Kompetenz jetzt nicht mehr erfährt. Aus diesem Grund wurde in der vorliegenden Untersuchung neben der Variable Fachkultur auch die Variable Karrierestufe gezielt bei der Datenerhebung berücksichtigt (siehe Kap. 3.4.2.1). Karrierestufe ist allerdings nicht immer deckungsgleich mit Erfahrung/ Expertise, da ein Voranschreiten im System Wissenschaft nicht automatisch mit mehr Kompetenz im wissenschaftlichen Schreiben korrelieren muss. Wissenschaftler unterschiedlicher Karrierestufen übernehmen verschiedene Aufgaben, die nicht immer mit dem Schreiben wissenschaftlicher Artikel zusammenhängen (z.B. hat ein Institutsleiter völlig andere Schreibaufgaben als ein Doktorand und ist teilweise eher ‚strategisch‘ aktiv als selber Artikel zu schreiben). Die zunehmende Erfahrung eines Wissenschaftlers sollte demnach nicht gleichgesetzt werden mit einem linearen Voranschreiten der Schreibfähigkeiten in der jeweiligen Wissenschaftssprache, sondern hängt mitunter von der Ausgestaltung der alltäglichen Aufgaben ab. Ein weiterer Alternativvorschlag zielt darauf ab, den MS-Begriff mit dem Konzept des language expert oder expert speaker zu ersetzen (vgl. z.B. Faez 2011: 232; Piller 2001: 12f.; Rampton 1999: 100). Idealerweise soll ein Zertifizierungsprozess „für Sprachexperten im Sinne von Kompetenzzielen“ (Piller 2001: 13, Übers. FR) dafür sorgen, dass sowohl Mutterals auch Nichtmuttersprachler bestimmte Kompetenzniveaus nachweisen müssen und dadurch als Sprachexperten anerkannt werden. Dieses Vorgehen wäre sicherlich, soweit es nicht bereits durch länderübergreifend anerkannte Sprachzeugnisse und den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) umgesetzt ist, eine gute Möglichkeit für nichtmuttersprachliche Lektoren und Wissenschaftler, ihre Kompetenz im Umgang mit der englischen Sprache zu dokumentieren. Allerdings ist zu beachten, dass mit dem Begriff native speaker nicht immer ein language expert gemeint ist, sondern ein Wissenschaftler, der in anglophonen Ländern aufgewachsen ist, dort wissenschaftlich ausgebildet wurde und sich deshalb durch diskursive Sicherheit im Umgang mit einer dominanten Wissenschaftskultur und Wissenschaftssprache auszeichnet. Der Begriff Language expert suggeriert dagegen eher, dass eine Person sich beruflich mit sprachlichen Belangen beschäftigt, wie es beispielsweise ein professioneller Korrekturleser tut. Es ist weiterhin fraglich, ob diese Bezeichnung und der Zertifizierungsprozess von den Wissenschaftlern anerkannt würde, die heute überwiegend auf Muttersprachler bei der Korrektur von Manuskripten zurückgreifen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Bezeichnungen, die den Begriff des Muttersprachlers ersetzen sollen, wertvolle Ergänzungen <?page no="201"?> 201 und Präzisierungen zum Begriff der Muttersprachlichkeit sind. Sie verdeutlichen aber auch, dass es nicht die zugeschriebenen sprachlichen Kompetenzen allein sind, die einen Muttersprachler qualifizieren, sondern dass es ebenso auf fachliche Fähigkeiten und das wissenschaftliche Prestige des Herkunftslandes ankommt. Wichtig erscheint, systematisch offenzulegen, wo Muttersprachlichkeit dazu gebraucht wird, um zu diskriminieren und Machtpositionen zu erhalten (vgl. Sutherland 2012: 60) oder wo es als abstrahierter, kompetenzorientierter Standard eine Grundlage für Unterricht und Ausbildung legen kann. Des Weiteren sollte der Einfluss wissenschaftlicher Erfahrung und sprachlicher Kompetenz auf das wissenschaftliche Schreiben nicht derart verstanden werden, dass Nichtmuttersprachler keinerlei Nachteil gegenüber ihren muttersprachlichen Kollegen erfahren. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die von Nichtmuttersprachlern wahrgenommene Benachteiligung je nach Fachkultur sowie wissenschaftlicher und sprachlicher Erfahrung entweder als stärker oder geringer ausgeprägt empfunden wird (siehe Kap. 4.1). 89 5.1.5 Wissenschaftliche Ein- und Zweisprachigkeit Piller (2001: 4) kritisiert das Konzept des Muttersprachlers als unzulässig in der Einsprachigkeit verankert. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung mehrsprachig ist, dient ihr als Beweis dafür, dass das Konzept eher eine Ausnahmeerscheinung beschreibt - einen monolingualen Sprecher - und deswegen keinen oder nur einen geringen Erklärungswert besäße (vgl. ebd.). Ähnlich argumentiert Mauranen, die festhält: „[M]onolingualism is neither the typical condition nor the gold standard“ (Mauranen 2012: 4). Im Folgenden soll das Argument, dass Einsprachigkeit eher eine Ausnahme als die Regel sei, genauer betrachtet werden. Zuerst muss festgestellt werden, dass die Tatsache, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung mehrsprachig ist, monolinguale Muttersprachler nicht zur Seltenheit macht. Viele Kulturen haben im Zuge der Entwicklung zu Nationalstaaten Prozesse durchlaufen, die, unter anderem bedingt durch den einschlagenden Erfolg des Druckkapitalismus, bestimmte Sprachen als überregionale Kommunikationsmittel etabliert haben (vgl. Anderson 1991: 43-46; siehe auch Bonfiglio 2010: 21-41 über „Nativity and the nation state“). Es existieren somit heute Dutzende Nationen, die überwiegend einsprachig ausgerichtet sind, weitgehende öffentliche Einsprachigkeit als konstitutiv ansehen, die jeweilige Nationalsprache als privilegierte Sprache in Schule, Politik, Medien etc. fest- 89 Trotz der mit dem Terminus Muttersprachler verbundenen Problematik verwenden viele Wissenschaftler, die den Begriff kritisieren, ihn weiterhin (vgl. z.B. Mauranen 2012 im Buchtitel; Römer 2009: 90). Dies ist vermutlich nicht zuletzt einer gewissen Griffigkeit des Begriffes geschuldet. Dass die vorgeschlagenden Alternativen sich bisher weder in der Fachliteratur noch im Alltagsgebrauch durchsetzen konnten (vgl. Sutherland 2012: 60), stützt diese Vermutung. <?page no="202"?> 202 legen und so einen „monolingualen Habitus“ (vgl. Gogolin 2001: 2) pflegen. Ohne diese Verankerung der Nationalsprachen in der Gesellschaft bewerten zu wollen, kann man realistischerweise davon ausgehen, dass es Millionen weitgehend einsprachige Muttersprachler - nicht zuletzt auch des Englischen - auf der Welt gibt. Einsprachigkeit ist also genauso typisch wie Mehrsprachigkeit. Es erscheint jedoch richtig, dass der einsprachige Muttersprachler nicht der einzige Maßstab für sprachwissenschaftliche Vergleiche oder die Formulierung von Unterrichtszielen sein darf, denn Mehrsprachige besitzen eine andere Form der Sprachenkompetenz: „While monolinguals use their language to fulfil all their linguistic needs, multilinguals usually employ each language for different functions and in different domains“ (Piller 2001: 5; vgl. auch Cook 1999: 195). Das zweite vorgebrachte Argument, dass Einsprachigkeit nicht das Maß der Dinge („gold standard“) sei, kann als normativ verstanden werden: Ist Mehrsprachigkeit wünschenswert oder nicht? Da berufliche und soziale Mobilität sowie Interaktion in mehreren Sprachen in weiten Teilen der Welt als erstrebenswerte Ziele verstanden werden, stimmt es, dass bestimmte Formen der Mehrsprachigkeit oder zumindest die Beherrschung des Englischen als privilegierteste Fremdsprache eine bedeutende Rolle für das Gros der Nicht-Englisch-Sprecher spielt. In diesem Zusammenhang konnten in den Interviews Aussagen gefunden werden, die Muttersprachler des Englischen mit Einsprachigkeit in Verbindung bringen (L3P, L33D, B35PD, G22P, G29D). So kritisiert ein Germanistischer Linguist einsprachige Wissenschaftler auf ironisierende Weise: „Gerade Amerikaner können ja im Schnitt nur eine Sprache, nämlich Englisch“ (L3P 00: 28: 50-7). Aber auch andere Wissenschaftler sehen wissenschaftliche Einsprachigkeit als problematisch an: Andererseits finde ich es manchmal etwas amüsierend, wenn man auf Tagungen ist und die Leute auch wirklich nur Englisch können [...] Ob das dann nicht zu sehr auch den Blick verengt in Bezug auf Forschungsfelder. (G29D 00: 28: 42-0) Der befragte Geschichtsdoktorand hinterfragt die fachliche Kompetenz monolingualer anplophoner Wissenschaftler, da sie lediglich Quellen in einer Sprache rezipieren könnten und ihnen somit der Zugang zu Quellen in anderen Sprachen verwehrt bliebe. Ein Interviewzitat einer Biologin thematisiert in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, auf Englisch zu präsentieren, da MS des Englischen in der Regel einsprachig seien und man somit keine andere Wahl habe, als englisch zu sprechen: Und das ist genau das Problem auch beim Präsentieren auf Englisch. Die meisten oder ja, das wird bei den meisten Leuten noch schlimmer, wenn ein native speaker da ist, dass sie dann denken, oh und jetzt muss ich vor denen Englisch reden. Aber in der Regel könnten sie in keiner anderen Sprache mit ihm reden, weil er nur das eine kann und das muss einem ja das Selbst- <?page no="203"?> 203 bewusstsein geben, das man dann braucht bei so einer Präsentation. (B35PD 01: 16: 08-7) Die Darstellung von Muttersprachlern des Englischen als einsprachig, und die verschiedenen Nachteile, die damit verbunden sein können, lassen auf eine Identitätskonstruktion der Wissenschaftler als mehrsprachige Wissenschaftler schließen. Die Befragten heben die vom ihnen wahrgenommenen Nachteile von Einsprachigkeit indirekt hervor und versuchen teilweise ihre Zweisprachigkeit als einen Mehrwert zu beschreiben. Welche Rolle spielen aber das Deutsche und Englische bzw. Zweisprachigkeit in der wissenschaftlichen Sozialisation der Befragten? Grundlegend kann hier festgehalten werden, dass Wissenschaftler aus Deutschland überwiegend zweisprachig wissenschaftlich sozialisiert werden, wobei ebenfalls davon ausgegangen werden kann, dass die große Mehrheit der Muttersprachler des Englischen (besonders im Inner Circle) einsprachig wissenschaftlich sozialisiert wird (vgl. Canagarajah/ Jersky 2009: 481). Die zweisprachige Sozialisation deutscher Wissenschaftler spiegelt sich unter anderem im Studium wider: In der überwiegenden Mehrzahl der Bachelor-Studiengänge - Ausnahmen bilden Studiengänge wie Anglistik, in denen das Englische umfangreich in Lehrveranstaltungen genutzt wird - ist das Deutsche nach wie vor die vorherrschende Unterrichtssprache, ebenso wie die Sprache der Lehrbücher, Klausuren, Besprechungen mit Professoren etc. Das Englische spielt allerdings bereits eine Rolle in den Fachtexten (vgl. Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe 2015c: 24). Es wird, wenn es sich bei dem studierten Fach um eine anglophile Disziplin handelt, jedoch oft erst im Masterstudium bzw. während der Promotion zum wichtigsten Medium. Es handelt sich bei den hier untersuchten Wissenschaftlern somit also um zwei- oder mehrsprachige Individuen (vgl. Cook 1999: 192), die fast immer grundlegend im Deutschen wissenschaftlich sozialisiert wurden und so fachliche Konzepte, Textsorten und Wissensbestände zuerst über das Deutsche erworben haben, bevor das Englische in Lehre und schließlich in Forschung und Publikation zunimmt. Demnach verfügen fast alle Wissenschaftler in Deutschland über unterschiedlich ausgeprägte wissenschaftliche Biliteralität, d.h. sie können sich in zwei Wissenschaftssprachen bewegen, was für die meisten Muttersprachler des Englischen nicht gilt. Zwar ist der zeitliche und finanzielle Aufwand, zwei Wissenschaftssprachen aufrecht zu erhalten, nicht zu unterschätzen und kann als Nachteil gegenüber einsprachigen Muttersprachlern des Englischen gewertet werden. Es sollte darüber hinaus aber nicht ignoriert werden, dass Mehrsprachigkeit von den Befragten besonders in geisteswissenschaftlichen Fächern (siehe Kap. 5.1.6.1) auch konstruktiv für eine Teilnahme an englischsprachigen Diskursen genutzt werden kann, beispielsweise durch das Einbringen von Quellen, Perspektiven und Theorien (vgl. auch Canagarajah/ Jersky 2009: 474). <?page no="204"?> 204 Lernen Ein- und Mehrsprachige gleich? Wie bereits oben herausgestellt wurde (Kap. 5.1.4), ist es richtig, dass sowohl Mutterals auch Nichtmuttersprachler wissenschaftsbezogene Lexik, Genres etc. in speziellen Bildungsgängen im Laufe ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit erlernen müssen und diese Kompetenz nicht native, im Sinne von angeboren, sein kann. Dass Muttersprachlichkeit an sich noch keine hinreichende Bedingung für korrektes wissenschaftliches Schreiben ist, wird in mindestens einem Interview direkt bekundet: Ich glaube, dass man, wenn man das als Muttersprachler beherrscht, dann hat man einfach von vornherein viel weniger Mühe etwas zu schreiben [...]. Andererseits weiß ich natürlich auch vom Deutschen her, ich kriege ja nun auch immer hier unsere Protokolle auf Deutsch, dass die Muttersprachlichkeit auch keine Garantie für exakte Formulierungen ist. Da staunt man mitunter auch, dass die Bezüge falsch sind, dass so Laborjargon dann in die Protokolle wandert. Also eine Garantie für gutes Schreiben ist das dann auch immer noch nicht, ne? (10P Chemie 00: 26: 19-5) Daraus lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres schließen, dass typischerweise auftretende Lernvorgänge oder -probleme bei Mutter- und Nichtmuttersprachlern des Englischen essentiell die gleichen seien, wie dies von Swales (2004: 52) und Römer (2009) festgestellt wurde. 90 Diese Problematik soll anhand von Römer (2009) erörtert werden, die den Standpunkt vertritt, dass Muttersprachlichkeit keinen Einfluss auf wissenschaftliche Schreibkompetenz habe. In einer korpuslinguistischen Untersuchung zeigt Römer (2009: 96), dass Mutter- und Nichtmuttersprachler des Englischen ähnliche phraseologische Kombinationen oder n-grams einsetzen, wie zum Beispiel „on the one hand“ (ein 4-gram, da es vier Bestandteile hat). Sie folgert daraus, dass beide Gruppen ähnliche Lernprozesse in der wissenschaftlichen Schreibentwicklung durchlaufen müssten. Sie vermutet sogar, dass Nichtmuttersprachler besser als Muttersprachler schreiben, da die nichtmuttersprachlichen n-grams veröffentlichten Fachartikeln ähnlicher waren als die der muttersprachlichen Kohorte: „This may indicate that our German advanced learners have a higher degree of academic writing competence and are more aware of the phraseological items commonly used in this genre than their native-speaker peers“ (Römer 2009: 92). 91 Man könnte aller- 90 Die Annahme, dass sowohl Mutterals auch Nichtmuttersprachler beim wissenschaftlichen Schreiben mit denselben Herausforderungen konfrontiert sind, könnte auch damit zusammenhängen, dass viele Studien zum wissenschaftlichen Schreiben ausländische Studierende an amerikanischen Universitäten untersuchen (vgl. Matsuda 2003: 28). Häufig wird vom ESL-speaker als Normalfall ausgegangen, wogegen in Ländern wie Deutschland eher von einem EFL-speaker ausgegangen werden kann. 91 Römer vergleicht dazu Studierende der Anglistik aus den USA und Deutschland miteinander. Es ist hier anzumerken, dass die Auswahl anderer Disziplinen, die nicht vordergründig auf das Erlernen von Sprache und Kultur abzielen, möglicherweise andere Resultate ergeben hätte. <?page no="205"?> 205 dings ebenso vermuten, dass die Nichtmuttersprachler sich vor allem deshalb auf formelhafte Sprache verließen, weil ihnen weniger allgemeinsprachliche Argumentationsstrukturen zur Verfügung standen (vgl. Gnutzmann 2009: 519) und sie die englische Wissenschaftssprache überwiegend aus journal-Artikeln, dem dritten Vergleichsgegenstand der Untersuchung, gelernt hatten. Eine naheliegende Interpretation wäre deshalb, dass das Ergebnis der Untersuchung ebenso als sprachliche Unsicherheit der non-natives verstanden werden kann, denn eine eng an Fachartikeln angelehnte formelhafte Sprache muss aufgrund eingeschränkter allgemeinsprachlicher Kompetenz zwingend verwendet werden. Es erscheint daher zumindest fraglich, ob Nichtmuttersprachler deshalb Muttersprachlern des Englischen im wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren ebenbürtig bzw. sogar überlegen sind. Eine Übernahme der Prämisse, dass Mutter- und Nichtmuttersprachler identische Probleme beim wissenschaftlichen Lernen haben, birgt darüber hinaus die Gefahr, dass daraus eine ähnliche Pädagogik für beide Gruppen gefordert wird. Dies ist stellenweise im Bereich des ‚bilingualen‘ Unterrichts geschehen, der von einigen Vertretern als ‚Sachunterricht auf Englisch‘ konzipiert wird (vgl. auch Airey 2012 für die universitäre Lehre) und so die vorhandene Zwei- oder Mehrsprachigkeit der Lernenden ignoriert. Im folgenden Abschnitt wird in Rahmen einer fragenspezifischen Auswertung die Leitfadenfrage „Sie sind ja Nichtmuttersprachler des Englischen - welche Auswirkungen hat dies auf Ihre Publikationspraxis? “ ausgewertet und diskutiert. 92 5.1.6 Wahrgenommene Vor- und Nachteile für Nichtmuttersprachler des Englischen Zunächst kann hier festgehalten werden, dass unter den Befragten weitgehend Konsens darüber zu herrschen scheint, dass Muttersprachler des Englischen generell rhetorisch gegenüber Nichtmuttersprachlern bevorteilt sind. Ein erstes Indiz hierfür ist die Häufung von Variationen des Adjektivs ‚natürlich‘ im Interviewkorpus im Zusammenhang mit Aussagen über die Benachteiligung von Nichtmuttersprachlern bzw. der Bevorteilung von Muttersprachlern. Muttersprachler seien demnach „durchaus im Vorteil. Das liegt in der Natur der Sache“ (4P Physik 00: 23: 58-8). Insgesamt äußern 26 von 36 Befragten (ca. 72%) eine derartige naturgemäße und generalisierte Bevorteilung als Muttersprachler des Englischen bzw. eine Benachteiligung als Nichtmuttersprachler des Englischen. Wie ausgeprägt jedoch diese eher generellen und dekontextualisierten Aussagen als persönliche Benachteili- 92 Zur Fokussierung wurde den Befragten nach Beantwortung der Leitfrage zwei Nachfragen gestellt: „Gibt es da Ihrer Meinung nach Nachteile? Wo liegen diese? “ und „Gibt es Vorteile (z.B. wiss. Mehrsprachigkeit)? Wo liegen diese? “. <?page no="206"?> 206 gung wahrgenommen wird, scheint unter anderem zwischen den Disziplinen stärker zu variieren. In diesem Abschnitt wird es folglich darum gehen, sich genauer mit den Argumenten für eine von den Befragten wahrgenommene Bevorbzw. Benachteiligung gegenüber Muttersprachlern des Englischen auseinanderzusetzen. Zunächst werden die von den Befragten wahrgenommenen Nachteile vorgestellt und diskutiert (siehe Abbildung 18). Im Anschluss wird im Gegenzug auf die wahrgenommenen Vorteile der Nichtmuttersprachlichkeit bzw. Mehrsprachigkeit der Interviewten eingegangen (siehe Abbildung 19). In der das Kapitel abschließenden Zusammenfassung sollen beiden Seiten aufeinander bezogen und abgeglichen werden. 5.1.6.1 Von Nichtmuttersprachlern wahrgenommene Nachteile Aus der untenstehenden Abbildung geht auf den ersten Blick hervor, dass viele Befragte sich gegenüber Muttersprachlern rhetorisch benachteiligt fühlen. Abbildung 18: Wahrgenommene Nachteile als Nichtmuttersprachler des Englischen (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Auf die abgebildeten Items sowie einige quantitativ weniger bedeutsame, die nicht in der Übersicht aufgeführt wurden, wird im Folgenden genauer eingegangen. Die beiden Punkte rhetorische Defizite (15) und Nachteile in einem sprachlichen Teilbereich (8) sind zwar in der Abbildung in eigenen Kategorien dargestellt worden, können aber durchaus als unterschiedlich starke Ausprägungen derselben Wahrnehmung gesehen werden, nämlich sprachbezogener Nachteile gegenüber Muttersprachlern des Englischen. 15 11 8 8 7 5 0 4 8 12 16 rhetorische Defizite größerer Zeitaufwand Nachteile in einem sprachlichen Teilbereich Verständigungsprobleme in mündlicher Kommunikation Auswirkungen auf wissenschaftlichen Erfolg und Karriere keine nennenswerten Nachteile Anzahl Nennungen (n = 54) <?page no="207"?> 207 Am häufigsten wurden rhetorische Defizite (15 Nennungen - 2xB, 2xM, 4xL, 1xG) 93 oder Formulierungsschwierigkeiten angegeben. Hierunter fallen nicht in erster Linie Fehler, wie sie sich z.B. im Bereich der Syntax oder der Zeitformen niederschlagen, sondern es wird in dieser Kategorie in zumeist allgemeinsprachlichen Begriffen eine mangelnde Kenntnis von muttersprachlichen idiomatischen Ausdrucksweisen im Englischen beklagt. So nehmen die Befragten gegenüber Muttersprachlern ihr eigenes Schreiben als weniger elegant (1PD Amerikanistik, B2PD, G16PD, B18P) wahr oder sehen sich nicht in der Lage, „rhetorische Feinheiten“ (L32P; auch 6PD BWL, 8P Politik) auszudrücken. Viele Befragte, die rhetorische Defizite thematisierten, nehmen sich als relativ kompetent im Umgang mit der Fremdsprache wahr, verfügen jedoch nicht über die Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten, die sie sich für das Schreiben auf Englisch wünschen: Ansonsten hab’ ich halt so eher das Gefühl, dass ich natürlich als Nichtmuttersprachler eher so ein beschränktes Repertoire hab’. Also so, aber eigentlich nicht, dass mich irgendwas hindert, das auszudrücken, was ich ausdrücken will, aber dass natürlich man als Muttersprachler viel besser mit der Sprache spielen kann. (L27PD 00: 15: 27-2) Ja, also Muttersprachler haben natürlich den Vorteil, dass sie vielleicht schönere Formulierungen hinbekommen, schneller hinbekommen, die wir vielleicht erst in einer späteren Version haben. (B19P 00: 32: 39-4) Ich bin froh, wenn ich eine Formulierung gefunden habe, um das aufzuschreiben, was ich sagen möchte. Und auf Deutsch hätte ich die Möglichkeit, das auf verschiedene Weisen zu sagen und dann noch mehr Bedeutung reinzulegen als das, was ich im Englischen hinkriege. (15P Mathematik 00: 25: 39- 0) An diesen Aussagen wird unter anderem deutlich, dass diese Art von Nachteil die Befragten nicht an der Teilnahme am englischsprachigen Diskurs hindert, aber es ihnen offenbar verwehrt bleibt, sich mit derselben Vielfalt, Genauigkeit und Idiomatizität auszudrücken, wie sie es in ihrer Muttersprache könnten. Das Fehlen dieser Feinheiten wird von den Befragten teilweise als etwas Permanentes angesehen, das durch Übung oder Erfahrung nicht behoben werden kann (vgl. auch die oben angesprochene ‚Natürlichkeit‘ mit der Muttersprachler als bevorteilt wahrgenommen werden). Dass in dieser Kategorie vergleichsweise viele Germanistische Linguisten vorkommen, könnte zumindest teilweise damit zusammenhängen, dass sich die Sprachwissenschaftler in besonderem Maße Phänomenen wie Idiomatizität bewusst sind. So stellt eine Befragte fest, dass ein von ihr geschriebener Text zwar sprachlich korrekt und akzeptabel sei, aber „mit Sicherheit Formu- 93 Die Kürzel geben die Häufigkeit der Nennungen in den Fächern (B)iologie, (M)aschinenbau, Germanistische (L)inguistik und (G)eschichtswissenschaft an. „4xB“ bedeutet demnach, dass vier Biologen einer Kategorie zugeordnet wurden. <?page no="208"?> 208 lierungen enthält, die man so jetzt als Muttersprachler nicht sagen würde“ (L31D 00: 38: 16-3). In der Kategorie Nachteile in einem sprachlichen Teilbereich (8 Nennungen - 0xB, 1xM, 1xL, 1xG) dagegen gaben die Befragten spezifische Probleme an, die durchaus die wissenschaftliche Kommunikation stören könnten. Diese Nennungen fanden sich entweder im Bereich der Grammatik (4 Nennungen), Syntax (=Satzstellung, 3 Nennungen) oder Wortschatz (5 Nennungen). Im Bereich der Grammatik stellte ein Befragter beispielsweise Interferenzprobleme fest, er neige dazu, „mit einer deutschen Grammatik ins Englische“ (12D Elektrotechnik 00: 19: 44-1) zu gehen. Im Bereich des Wortschatzes wurden unter anderem Probleme im Umgang mit phrasal verbs festgestellt (6PD BWL). Für den Bereich der Syntax stand im Vordergrund, dass die englische Satzstellung problematisch sein kann. Einige Interviewte nannten Nachteile in mehreren Teilbereichen, wie im folgenden Zitat deutlich wird: Der Befragte wisse „halt nicht, (2) welche Vokabeln man jetzt in welchem Kontext verwenden darf und naja, also Grammatik und Rechtschreibung ist natürlich dann auch immer ein Problem. Also vielleicht sogar noch mehr die Grammatik“ (9D Informatik 00: 30: 52-6). Als zweithäufigste Nennung auf die Frage, welche Nachteile Nichtmuttersprachler gegenüber Muttersprachlern des Englischen hätten, wird ein größerer Zeitaufwand (11 Nennungen - 1xB, 3xM, 1xL, 1xG) für das Schreiben englischsprachiger Artikel angeführt. So glaubt ein Befragter aus dem Maschinenbau, dass man als Muttersprachler „halt zweimal so schnell auf Englisch“ (M24PD 00: 42: 07-0) schreibe. Dennoch wird dieser Umstand von den meisten Befragten nicht als ‚kategorischer Nachteil‘ gesehen, der nichtmuttersprachliche Autoren von der Kommunikation ausschließt. Vielmehr wird die Notwendigkeit, auf Englisch zu schreiben, als ein Nachteil gesehen, „der sich über einen höheren Zeitaufwand dann wiederum ausgleichen lässt“ (12D Elektrotechnik 00: 19: 44-1). Eine ähnliche Aussage trifft auch B19P in der Kategorie rhetorische Defizite oben. Eine weitere Kategorie bündelt Aussagen, die Verständigungsprobleme in der mündlichen Kommunikation (8 Nennungen - 2xB, 0xM, 3xL, 0xG) thematisieren. Dass dieses Thema trotz des Fokus auf wissenschaftliches Schreiben und Publizieren genannt wurde, weist darauf hin, dass die Befragten der gesprochenen Wissenschaftssprache eine große Bedeutung beimessen und hier eine weitere Benachteiligung gegenüber Muttersprachlern ausmachen. So hätten einige Interviewte Probleme, sich in gleichem Maße sicher in der englischen Sprache zu artikulieren wie Muttersprachler des Englischen: Ähm, wenn ich an Anfang letzten Jahres zurückdenke, eine Tagung in Kanada, da waren auch relativ junge Wissenschaftler, junge postdocs oder fast fertige Doktoranden, aus Kanada oder auch aus Amerika, die da schon Kurzvorträge gehalten haben, halt native speaker. Die hatten natürlich ein viel <?page no="209"?> 209 sicheres Auftreten als die, die jetzt aus Deutschland einen Vortrag gehabt haben und die mehr oder weniger ähnliche Positionen hatten. (B21D 00: 36: 49-5) In diesem Zusammenhang wird auch die Benachteiligung von Nichtmuttersprachlern beim networking herausgestellt (L3P, B21D); ein Bereich der englischen Sprache, der sich nicht ohne Weiteres über fachwissenschaftliche Wege, wie dem Lesen wissenschaftlicher Literatur, erarbeiten lässt. Einige Wissenschaftler äußern zudem ein gewisses Unvermögen, insbesondere schnellsprechenden Muttersprachlern auf Tagungen zu folgen, wie eine Maschinenbauprofessorin darlegt (ebenfalls L33D): Ich glaube, die Muttersprachler verstehen manchmal nicht, dass es für Nichtmuttersprachler gar nicht so einfach ist, ihre Muttersprache zu verstehen. [...] Also wenn ein Australier einen Vortrag auf einer internationalen Tagung hält, dann kann das manchmal schon gewöhnungsbedürftig sein. Also wenn das ein Deutscher macht, na klar, den Akzent versteht man. Aber selbst wenn es ein Franzose macht, dann versteht man das. Beim Amerikaner, Neuseeländer muss das nicht unbedingt so der Fall sein. (M14P 00: 19: 42-9) Interessanterweise werden nichtmuttersprachliche Akzente (deutsch, französisch) von der Befragten als leichter verständlich aufgefasst. Mögliche Ursachen für die wahrgenommenen Nachteile in der mündlichen Wissenschaftskommunikation könnten darin liegen, dass sie sich unter anderem aufgrund der zeitlichen Gebundenheit, spezifischer Lexik und Phraseologie von schriftlicher Wissenschaftskommunikation deutlich unterscheidet und somit nicht ohne Weiteres durch die gezielte Nutzung von Ressourcen ausgeglichen werden kann (siehe Kap. 4.2). In die Kategorie Auswirkungen auf wissenschaftlichen Erfolg und Karriere (7 Nennungen - 2xB, 0xM, 0xL, 1xG) fallen Nennungen, die die Nichtmuttersprachlichkeit der Befragten mit dem Erfolg im Wissenschaftssystem verbinden. Es handelt sich also um Nachteile, mit denen Nichtmuttersprachler im Laufe ihrer wissenschaftlichen Karriere zu kämpfen haben, wie z.B., dass bei Gutachten von nichtmuttersprachlichen Artikeln implizit davon ausgegangen werde, es handele sich um fehlerhaftes Englisch (4P Physik). Aber auch die Chancen im peer review abgelehnt zu werden, seien als Nichtmuttersprachler deutlich höher (8P Politik). Weitere hier genannte Nachteile sind beispielsweise, Fördermittel auf Englisch einwerben zu müssen (17P Soziologie) oder dass Muttersprachler dadurch bevorteilt sind, mehr forschen zu können: „Sie tun die gleiche Arbeit, aber sie können es eben in ihrer gewohnten Sprache machen“ (7P Brandschutz 00: 21: 16-8). Ein fachlich relevanter Nachteil wird von einer Geschichtswissenschaftlerin (G16PD) eingebracht: Da der Forschungsgegenstand in ihrem Fach vor allem über Sprache vermittelt werde, seien Nichtmuttersprachler prinzipiell immer beim wissenschaftlichen Schreiben auf Englisch benachteiligt. Fünf Befragte sahen sich im Vergleich zu Muttersprachlern gar nicht oder nur sehr gering benachteiligt, nahmen also keine nennenswerten <?page no="210"?> 210 Nachteile (5 Nennungen - 4xB, 1xM, 0xL, 0xM) wahr. Eine Befragte teilte in diesem Zusammenhang mit, dass es in ihrem Feld eine Überzahl von Nichtmuttersprachlern gebe und daher Nichtmuttersprachlichkeit als solches kein Nachteil wäre (M14P). In einem anderen Interview wurde konstatiert, dass keinerlei Nachteile gegenüber Muttersprachlern zu erwarten seien, da das „Fachvokabular“ beherrscht werde: B: Letztendlich ist das nicht so als würde man miteinander sprechen und sich was erzählen, sondern es ist ja Fachvokabular. Und von daher ... I: Ist da nicht so eine große Benachteiligung, quasi? B: Nö. (B20D 00: 26: 43-9) Die befragte Biologiedoktorandin versteht den fachwissenschaftlichen Diskurs als auf Fachvokabular beschränkt und nimmt daher keine Benachteiligung gegenüber Muttersprachlern wahr. Es fällt besonders eine Häufung der Biologen in dieser Kategorie auf: Vier der fünf Nennungen stammen von Biologen, die sich am wenigsten als Nichtmuttersprachler benachteiligt sehen (vgl. auch die Kategorie keine wissenschaftsrelevanten Vorteile in Abbildung 19 unten). Im letzten Themenfeld, das aufgrund der wenigen Nennungen nicht in Abbildung 18 aufgeführt wird, merken zwei Befragte (1PD Amerikanistik, M24PD) an, dass sie als Nichtmuttersprachler auf ständige Anwendung des Englischen angewiesen seien, um die Sprache nicht wieder zu verlernen. Im nächsten Abschnitt werden nun die von den interviewten Wissenschaftlern wahrgenommenen Vorteile ihrer Zweisprachigkeit vorgestellt. 5.1.6.2 Von Nichtmuttersprachlern wahrgenommene Vorteile Die Daten in Abbildung 19 zeigen, dass die Situation, in der sich die nichtmuttersprachlichen Befragten befinden, nicht ausschließlich als Benachteiligung gegenüber Muttersprachlern verstanden wird. Vielmehr können viele Interviewte ihrer wissenschaftlichen Zweisprachigkeit und sogar ihrem nichtmuttersprachlichen Status Positives abgewinnen. <?page no="211"?> 211 Abbildung 19: Wahrgenommene Vorteile als Nichtmuttersprachler des Englischen (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Die zahlenmäßig häufigste Oberkategorie ist die Erweiterung des Forschungsfeldes und -diskurses (16 Nennungen - 0x Biologie, 1x Maschinenbau, 6x Germanistische Linguistik, 5x Geschichte). Innerhalb dieser Kategorie gibt es drei Unterkategorien, die hier besprochen werden sollen, da sie eine verfeinerte inhaltliche Aufgliederung erlauben. Die erste, der Zugriff auf deutschsprachige wissenschaftliche Literatur, Quellenbestände und Sprachdaten (6 Nennungen), thematisiert die Möglichkeit der Verwendung deutschsprachiger Medien, die wiederrum teilweise in englischsprachige Diskurse eingebracht werden können. Ein Beispiel sind z.B. deutschsprachige Quellen, die in internationalen Veröffentlichungen eine Rolle spielen können (siehe unten für eine detaillierte Diskussion im Fachkontext der Geschichtswissenschaft). Eine zweite Unterkategorie ist die Erweiterung des potenziellen Publikationsradius (6 Nennungen), Nennungen also, die auf die Möglichkeit hinweisen, als Zweisprachiger sowohl in deutschals auch in englischsprachigen Diskursen veröffentlichen zu können. Diese Notwendigkeit wurde unter anderem von einem Befragten aus einer Ingenieurwissenschaft erörtert: „Wir publizieren natürlich auch, um Dinge zu bewegen, um bestimmte Ergebnisse in die Praxis zu tragen, und da bedienen wir uns ganz bewusst der deutschen Sprache und da würde ich mit Englisch keinen Erfolg haben“ (7P Brandschutz 00: 22: 38-1). Die dritte Unterkategorie, Mehrsprachigkeit ermöglicht internationale Vernetzung (4 Nennungen), betont die Möglichkeit des Aufbauens von Kontakten sowohl im Inals auch im Ausland. Besonders auffällig ist an dieser Kategorie die fachliche Herkunft der Nennungen: Kein Biologe und lediglich ein Maschinenbauer nannten diesen Punkt, dafür sahen aber alle sechs Linguisten und fünf von sechs Geschichtswissenschaftlern Vorteile in der Erweiterung ihres Forschungsfeldes und -diskurses. Während die Geisteswissenschaftler ihre Zweisprachigkeit als Vorteil zu begreifen scheinen, spielt dieser Punkt bei den Befragten der Natur- und Ingenieurwissenschaften keine Rolle. Dies deutet darauf hin, 16 8 6 5 2 0 4 8 12 16 20 Erweiterung des Forschungsfeldes und -diskurses keine wissenschaftsrelevanten Vorteile für Nichtmuttersprachler gelten andere Sprachnormen Sprachreflexion und Zwang zur Vereinfachung bessere Karrierechancen durch Mehrsprachigkeit Anzahl Nennungen (n =37 ) <?page no="212"?> 212 dass die Natur- und Ingenieurwissenschaftler im Korpus keine Vorteile in der wissenschaftlichen Nutzung ihrer Erstsprache sehen. Im Folgenden soll vertieft auf die Begründungen der Fächer Geschichtswissenschaft und Germanistische Linguistik eingegangen werden. Vier von sechs Geschichtswissenschaftlern (G16PD, G28P, G29D, G30PD) setzen ihre Zweisprachigkeit ein, um deutschsprachige Quellen einer englischsprachigen Wissenschaft zugänglich zu machen. Es scheint sich hierbei um ein Alleinstellungmerkmal im Vergleich zu den anderen hier untersuchten Disziplinen zu handeln. Die folgenden Zitate veranschaulichen einerseits die wahrgenommene Notwendigkeit zum Publizieren auf Englisch, andererseits wird betont, dass es eine wissenschaftliche ‚Chance‘ sei, deutschsprachige Quellenbestände zu übersetzen und in den internationalen Diskurs einzubringen: 94 Das [d.h. deutschsprachige Quellen] bleibt ja englischsprachiger Forschung verschlossen und insofern ist das natürlich eine große Chance, sozusagen, diesen wichtigen deutschsprachigen Quellenbestand der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung zu stellen [...]. Aber das muss in Englisch geschehen, ja. (G28P 00: 25: 25-0) Also ich bearbeite jetzt ein Thema, wo ein Großteil der Quellen deutschsprachig ist [...]. Von daher ist dieser ganze Quellenbestand relativ wenig bearbeitet worden [...], jedenfalls nicht von englischsprachigen Autoren, die dann irgendwelche Zusammenfassungen, die es auch gibt, verwendet haben, aber ich kann wirklich eben an die Originalquellen ran. (G30PD 00: 51: 10-8) Man kann es auf Englisch publizieren, aber man hat einfach auch die deutschsprachige Kompetenz, um die Quellen und das alles zu lesen und das ist glaube ich, also gerade für deutsche Geschichte, es gibt ja auch sehr viele Amerikaner und Engländer, die deutsche Geschichte betreiben, die das auch sehr, sehr gut machen und auf einem hohen Niveau. Aber die müssen natürlich sich dann die ganzen Quellen, aus dem 19. Jahrhundert oder so, dann mühsam auf Deutsch halt aneignen. (G16PD 00: 32: 41-4) Die Fähigkeit, deutschsprachige Quellen verarbeiten zu können, erlaubt den Befragten darüber hinaus teilweise einen produktiven Austausch mit anglophonen Forschern im gleichen Fach, wie ein Doktorand der Geschichte beschreibt: Gerade zu meinem Thema, wo viele Amerikaner auch mit diesen deutschsprachigen Quellen arbeiten, aber nicht so gut Deutsch können, ist das halt immer ein ganz angenehmer Austausch, wenn man natürlich da diesen Muttersprachler-Deutsch-Vorteil hat. (G29D 00: 23: 25-9) 94 Diese Arbeitsweise legt darüber hinaus nahe, dass die befragten Geschichtswissenschaftler über ausgeprägte Übersetzungskompetenzen verfügen müssen, wenn sie beispielsweise Zitate und historische Quellen ins Englisch übertragen möchten. Die dafür nötigen sprachlichen Kompetenzen tragen möglicherweise zu den erhöhten Anforderungen für das Publizieren in englischer Sprache bei (siehe Kap. 4.1.4). <?page no="213"?> 213 Es fällt auf, dass der Befragte sich direkt auf seine Muttersprachlichkeit im Deutschen bezieht. Diese wird von einigen amerikanischen Forschern als ausreichend wertvoll betrachtet, um im Gegenzug für Hilfe bei Übersetzungen aus dem Deutschen die Texte des Befragen Korrektur zu lesen. Eine aktive Inanspruchnahme ihrer Zweisprachigkeit für Forschungs- und Veröffentlichungszwecke grenzt die hier interviewten Geschichtswissenschaftler deutlich von den Befragten des Maschinenbaus und noch deutlicher von denen der Biologie ab. Im Fach Germanistische Linguistik sehen alle sechs Befragten Vorteile in ihrer Zweisprachigkeit. Die wahrgenommenen Vorteile hängen zumindest bei zwei Befragten mit dem Forschungsgegenstand deutsche Sprache zusammen. So sieht eine psycholinguistisch orientierte Germanistische Linguistin (L27PD) es als vorteilhaft an, im deutschsprachigen Kontext zu arbeiten, da sie so eher über eine ausreichende Zahl deutschsprachiger Probanden verfügen kann, die sie für sprachvergleichende Experimente benötigt. Gleichzeitig hat sie aufgrund ihrer Englischkompetenz die Möglichkeit, als Teil eines internationalen Forschungsverbandes zu agieren: „Dass ich für eine deutsche Linguistin sehr gut Englisch kann und auch sehr viel auf Englisch publiziert habe, ist sicher auch ein guter Vorteil“ (L27PD 00: 38: 39-2). Obwohl die Person also fast ausschließlich auf Englisch veröffentlicht, ist der Zugang zur deutschen Sprache offenbar elementar für ihre Forschungstätigkeit. Ein weiterer Befragter sieht unmittelbare Vorteile darin, Muttersprachler des Deutschen zu sein, da er so als „Muttersprachenlinguist“ (L3P 00: 30: 59-4) arbeiten könne und Theorien entwickele, die ohne muttersprachliche Kenntnis des Deutschen nicht entstehen könnten. Die Beispiele der Historiker und Germanistischen Linguisten zeigen, dass in diesen Fachkulturen wissenschaftliche Mehrbzw. Zweisprachigkeit eine wichtige Rolle spielt und vor dem Hintergrund der zunehmenden Internationalisierung sogar noch wichtiger werden könnte. Sie implizieren darüber hinaus, dass eine Internationalisierung von Forschungsdiskursen nicht in jedem Fall mit einem Relevanzverlust des Deutschen bzw. der jeweiligen National- oder Bildungssprache einhergehen muss (vgl. auch Petersen/ Shaw 2002). Dabei scheint die wissenschaftliche Methodik und die dadurch bedingte Beschaffenheit der Daten der jeweiligen Fächer eine große Rolle zu spielen: Denn während beispielsweise Geschichtswissenschaftler deutschsprachige Quellenbestände zur Bearbeitung international relevanter Themen heranziehen können, profitieren Biologen aufgrund ihrer experimentellen Ausrichtung kaum von deutscher Literatur oder Kompetenzen im Deutschen (mit Ausnahme von einigen populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen: B2PD, B18P)(siehe auch Kap. 4.1.4). Die zweite Kategorie aus Abbildung 19, keine wissenschaftsrelevanten Vorteile (8 Nennungen - 6xB, 1xM, 0xL, 0xG), bestätigt die im Abschnitt über die wahrgenommenen Nachteile getroffenen Aussagen über die Biologie. Alle sechs Biologen haben an dieser Stelle des Interviews gesagt, dass <?page no="214"?> 214 es für sie keinerlei wissenschaftsrelevanten Vorteile aufgrund ihrer Zweisprachigkeit gebe: „Also in der Biologie definitiv nicht, außer vielleicht man ruft bei einer Firma an, die keinen englischsprachigen Kundendienst hat, [...] aber ansonsten ... seh’ ich jetzt keinen Vorteil Deutsch zu können in der Biologie“ (B21D 00: 37: 32-0). Ähnlich äußert sich ein Biologieprofessor, der aussagt, seine Mehrsprachigkeit nicht wissenschaftlich einsetzen zu können, aber glaubt, es sei „im normalen Umgang mit Leuten [...] natürlich absolut wichtig ja, oder auch um Webseiten durchzugucken“ (B18P 00: 43: 03-9). Dagegen haben nur ein Maschinenbauer und weder Germanistische Linguisten noch Geschichtswissenschaftler eine solche Aussage getroffen. Die ausgeprägte Präsenz der Biologen in dieser Kategorie unterstreicht die Dominanz des Englischen in diesem Fach. Die dritthäufigste Kategorie beinhaltet als positiv wahrgenommene Nennungen, die aussagen, dass andere Sprachnormen für Nichtmuttersprachler (6 Nennungen - 0xB, 3xM, 0xL, 0xG) gelten als für Muttersprachler des Englischen. Von den insgesamt sechs Nennungen sind drei Befragte aus dem Bereich des Maschinenbaus (sowie ein Doktorand aus der Elektrotechnik 12D). Zwei dieser Befragten nahmen Vorteile wahr, die sich spezifisch auf ihren Status als Nichtmuttersprachler, im Gegensatz zum Status als zweisprachig, beziehen: Dass man aber auch vielleicht an vielen Stellen einfach mal sagt: ‚Ok, jetzt lass’ mal sein, an dem Satz feile ich jetzt nicht noch drei Mal, ich bin halt Deutscher. Wenn der jetzt nicht hundertprozentig geschliffen ist, dann sei es drum. Die wissen ja auch, wenn sie auf meine Adresse gucken, [...] wo ich herkomme. Die können von mir eigentlich keinen hundertprozentig korrekten Text erwarten in dem Sinne‘. (M23P 00: 32: 40-7) I: Gibt es da auch Vorteile, Nichtmuttersprachler zu sein? Und wie könnte man diese stärker nutzen, wenn es sie gibt? B: (5) Vielleicht ist es schon ein Vorteil. Ich bin Nichtmuttersprachler, also habe ich nicht das Gefühl, perfekt zu sein zu müssen, an der Stelle. (M14P 00: 18: 09-1) Besonders interessant ist die Annahme, dass beim Schreiben auf Englisch weniger strenge Korrektheitsansprüche gelten, als dies bei deutschsprachigen Veröffentlichungen der Fall sei. Diese Aussagen implizieren im Gegenzug, dass deutschsprachige Texte wohl höheren sprachlichen Ansprüchen als englischsprachige Texte genügen müssten, was damit zusammenhängen könnte, dass deutschsprachige Fachtexte in der Regel von Muttersprachlern des Deutschen gelesen und korrigiert werden. Dies verhält sich bei englischsprachigen Veröffentlichungen im Bereich des Maschinenbaus offensichtlich nicht immer so, denn hier scheint es hingegen eine Überzahl an nichtmuttersprachlichen Autoren und Herausgebern zu geben, wie an anderer Stelle bereits erörtert wurde (siehe Kap. 4.1.3). <?page no="215"?> 215 In der vierten Kategorie, Sprachreflexion und Zwang zur Vereinfachung (5 Nennungen - 0xB, 1xM, 0xL, 0xG), befinden sich Nennungen, die die rhetorischen Einschränkungen, die das Englische den Autoren als Nichtmuttersprachler auferlegt, als positiv für das eigene Schreiben charakterisieren. So empfinden einige Befragte in dieser Kategorie ihren Stil im Deutschen als zu komplex und sehen im Schreiben auf Englisch eine Möglichkeit, zu einem einfacheren, konzisen und klaren Stil ‚gezwungen‘ zu werden: Ich seh’ es eher als Vorteil an, weil es gelingt, komplexe Zusammenhänge oder weil man gezwungen ist, komplexe Zusammenhänge recht einfach zu beschreiben. In der Muttersprache ist man eher versucht, komplexe Dinge auch in ihrer Komplexität zu beschreiben. (13D Elektrotechnik 00: 20: 10-5) Ja, Vorteile ... liegen vielleicht darin, dass man ... gezwungen wird, durch die doch insgesamt einfachere Grundstruktur auch klarer und eindeutiger und schneller vielleicht auf den Punkt zu kommen. (6PD BWL 00: 46: 49-0) Es fällt hierbei auf, dass die Befragten offensichtlich davon ausgehen, dass dieser Vorteil dem nichtmuttersprachlichen Schreiber automatisch zuteilwird und sich sozusagen ‚natürlich‘ beim Schreiben auf Englisch einstelle. Keiner der Befragten hat aus derartigen Überlegungen jedoch den Schluss gezogen (oder dies zumindest in den Interviews mitgeteilt), eine vereinfachte und konzisere Schreibweise im Deutschen zu kultivieren. Ähnliche Zuschreibungen, die aber an anderer Stelle des Interviews genannt wurden, werden im Abschnitt Sprachliche und kulturelle Zuschreibungen erörtert (siehe Kap. 5.2.5). Die letzte in der Übersicht aufgeführte Kategorie, bessere Karrierechancen durch Zweisprachigkeit (2 Nennungen - 0xB, 0xM, 1xL, 1xG), spielt quantitativ nur eine marginale Rolle. Ein Geschichtswissenschaftler hat seine Zweisprachigkeit dazu genutzt, Anstellungslücken in Deutschland durch berufliche Aufenthalte im englischsprachigen Ausland zu überbrücken. Eine Germanistin hat den überwiegenden Teil ihrer wissenschaftlichen Karriere im englischsprachigen Ausland verbracht und nimmt an, dass ihr die erworbenen Kompetenzen zum Vorteil beim Wettbewerb um eine Professur in Deutschland gereichen werden. Beide nutzten also ihre vorhandene wissenschaftliche Zweisprachigkeit, um sich beruflich Vorteile zu sichern. Nicht in Abbildung 19 aufgeführt wurden Einzelnennungen (6 Nennungen - 0xB, 0xM, 1xL, 0xG). Sie sollen der Vollständigkeit halber in paraphrasierter Form in der untenstehenden Tabelle abgebildet werden. <?page no="216"?> 216 Interview Paraphrasierte Aussage 4P Physik NMS beherrschen Rechtschreibung teilweise besser als MS 4P Physik (mündlich) Weniger Scheu, Rückfragen zu stellen, da man als NMS zugeben kann, dass man sprachlich nicht folgen konnte 8P Politik MS des Deutschen haben Vorteil im Bezug auf hiesige Politik, da sie diese besser verstehen können als NMS 9D Informatik NMS schreiben Texte häufig formaler/ standardisierter; diese sind dadurch verständlicher für andere NMS 10P Chemie Dominanz des Englischen schaffe die nötige Motivation und den Druck, eine Fremdsprache zu erlernen L32P (mündlich) Dank sprachlicher Unsicherheiten fasse man sich kürzer auf Konferenzen Tabelle 14: Paraphrasierte Einzelnennungen zum Thema Vorteile wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit (n=6) Die Aussage des interviewten Informatikers (9D Informatik) illustriert anschaulich die Auffassung des Befragten, dass Nichtmuttersprachler durchaus die fachsprachlich besseren Autoren sein können: Also manchmal, wenn ich englische Texte lese, also wo man merkt, der Verfasser war vielleicht US-Amerikaner, da kommen mir manchmal die Formulierungen dann noch ein bisschen zu flapsig rüber. Also, man merkt das halt schon, wenn sich einer Mühe gibt, auf Englisch zu schreiben und Englisch nicht die Muttersprache ist, dann ist es doch immer ein bisschen formaler, meistens. Und auch leichter verständlich für andere Leute, die vielleicht auch Nichtmuttersprachler sind. Dass das Vokabular so ein bisschen reduziert ist auf die ... ja, Vokabeln, die man halt so kennt, auf die paar Hundert. (9D Informatik 00: 31: 51-4) Der Befragte begründet seine Meinung, dass Nichtmuttersprachler besser nachvollziehbar für andere Nichtmuttersprachler schreiben können, damit dass sie in der Regel ein reduziertes, formaleres Vokabular benutzten und diese Regelhaftigkeit (bzw. der Verzicht auf Idiomatizität) zum Verständnis der Texte beitrage. Darüber hinaus wird das Einbringen umgangs- und alltagssprachlicher Formulierungen, wie es Muttersprachlern des Englischen unterstellt wird, als nicht den Zielen des wissenschaftlichen Diskurses entsprechend und „ein bisschen zu flapsig“ kritisiert. 5.1.7 Authentizität in universitären Kontexten Die im folgenden Zitat angesprochene Orientierung an Muttersprachlichkeit als Kriterium für gute englische Lehre auf der einen Seite und der Status des Englischen als von Muttersprachlichkeit abgehobenes, globales Kommunikationsmedium auf der anderen Seite konturieren eine Umbruchsituation, in der das Englische sich im Bereich der Wissenschaft momentan befindet: <?page no="217"?> 217 Wobei man dann schauen sollte, dass man, [...] einen native speaker hereinbekommt. Das wäre das Vernünftigste. Weil ansonsten lernen sie bloß unsere eigenen Unarten ((lacht)) [...] also da sollten wir dann schon darauf achten, dass man sie dann wirklich mit gutem Englisch in Verbindung bringt. [...] Wobei dieses Fachenglisch natürlich auch jetzt, ich sag’ ja auch immer, das ist scientific pidgin. Das ist nicht mehr das Englisch. Das ist eine eigene Sprache für sich. Aber das hat natürlich den Vorteil, dass es wirklich Lingua franca geworden ist. (4P Physik 00: 32: 05-8) Für die Diskussion ist vor allem der nicht aufgelöste Widerspruch in der Aussage des Befragten interessant. Einerseits sollen die Studierenden möglichst ‚gutem‘ Englisch ausgesetzt werden, was der Interviewte durch die Anstellung eines Muttersprachlers gewährleistet sieht. Auf diesem Wege soll erreicht werden, dass die Lerner nicht das potenziell fehlerhafte sprachliche Verhalten nichtmuttersprachlicher Dozenten übernehmen (der Befragte schließt sich hier ein). Andererseits gibt der Interviewte im gleichen Interviewabschnitt zu bedenken, dass das in der Wissenschaft verwendete Englisch nur wenig mit einer muttersprachlichen Varietät zu tun habe („das ist nicht mehr das Englisch“) und eigentlich eine eigenständige Sprache geworden ist („eine Sprache für sich“). Die Aussagen des Befragten zeigen somit ein Spannungsverhältnis auf, das sich zwischen der Orientierung an muttersprachlichem Englisch als Ideal-Lernziel und der Lingua franca-ähnlichen Rolle des Englischen, besonders in den Naturwissenschaften, auftut. Einige Teilnehmer der Studie sahen die Verwendung des Englischen in der universitären Lehre als nicht authentisch an. Der Mangel an Authentizität wurde von diesen Befragten als ein Grund dafür angegeben, selbst nicht mehr auf Englisch zu unterrichten bzw. Wissenschaftler in die Lehre einzubinden, die des Deutschen nicht mächtig sind: 95 Als Nichtmuttersprachler eine englischsprachige Veranstaltung zu machen mit nichtmuttersprachlichen Studierenden ist eine unheimlich künstliche Angelegenheit. Ich würde das wieder machen, wenn ich wüsste, dass es mehrheitlich englischsprachiges Publikum, Studierende gibt [...] und ich wüsste, da kann ich mich jetzt in Englisch den Studierenden gegenüber differenzierter verständlich machen, als sie mein Deutsch verstehen können [...]. Aber mit nur deutschsprachigen Studierenden ist das eine total künstliche Situation, die albern ist und selbst mit der Anglistikkollegin fand ich es künstlich und albern, ... aufgesetzt. (G28P 00: 38: 48-9) Hier spricht der Befragte eine Situation an, die ihm aufgrund der wahrgenommenen Künstlichkeit nicht akzeptabel, ja sogar „albern“ und „aufgesetzt“ erscheint. Für ihn wäre eine Lingua franca-ähnliche Kommunikations- 95 Siehe in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer von Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe (2014: 119) durchgeführten Befragung von über 1000 Studierenden zu ihren Einstellungen zum Englischen. Einem ausschließlich von Nichmuttersprachlern verwendetem Englisch wurde beispielsweise Artifizialität und mangelnde Authentizität unterstellt. <?page no="218"?> 218 situation Voraussetzung dafür, die Lehre auf Englisch abzuhalten. Diese Einstellung hat sich auch durch das Teamteaching mit einer Anglistin nicht verändert. Es wird also deutlich, wie wichtig für den Befragten die Wahrnehmung einer kommunikativen Notwendigkeit ist, um Englisch als Unterrichtssprache einzusetzen. Auch im zweiten Beispiel zeigt ein befragter Biologieprofessor ähnliche Einstellungen. So gibt der Interviewte zwar im Masterbereich teilweise Vorlesungen auf Englisch, es gelingt ihm aber nicht, diese Praxis in den Laborpraktika umsetzen: Man kommt sich dabei sehr doof vor, dumm vor, wenn da nur Deutschsprachige sind, man selber ist auch deutscher Muttersprachler und dann redet man auf Englisch mit denen, wo gerade die Studierenden eben nicht so firm drin sind. Dann ist das manchmal so gekünstelt, dass es keinen Sinn mehr macht, ja, und dann verfällt man ins Deutsche. (B18P 00: 04: 04-9) Zumindest in Veranstaltungen, in denen die Studierenden deutschsprachig sind, wird das dialogische Unterrichten auf Englisch (ähnlich zur Beschreibung von G30P oben in Seminaren) vom Befragten als „gekünstelt“ und wenig authentisch empfunden. Dies wiederum hat den Biologieprofessor dazu motiviert, das Laborpraktikum von einer Lehrkraft betreuen zu lassen, die nur wenig Deutsch spricht, um gezielt eine Lingua franca Situation herbeizuführen und so den Anteil englischsprachiger Lehre weiter zu erhöhen. Im Gegensatz zum oben zitierten Physikprofessor ist es für den Biologen nicht entscheidend, ob diese Lehrenden Muttersprachler des Englischen sind; entscheidend ist, dass der Eindruck für die Studierenden entsteht, sie könnten im Laborpraktikum nur über Rückgriff auf das Englische kommunizieren. Als Grund dafür nennt der Interviewte, dass „viele Studierende einfach nicht mit der harten Realität des englischsprachigen Forscherlebens sozusagen genug meines Erachtens in Kontakt kommen“ (B18P 00: 04: 04-9). Zwar handelt es sich bei den in diesem Abschnitt besprochenen Beispielen um Einzelfälle, die nicht verallgemeinert werden können, sie erscheinen jedoch als Konstrastfolie im Vergleich mit der Anglistik aufschlussreich, wo fast alle Lehrveranstaltungen (häufig von NMS) auf Englisch abgehalten werden und mangelnde Authentizität nicht zum Unterrichten auf Deutsch führt. Es fällt zudem auf, dass in den meisten Fächern ohne weitere Probleme auf Englisch veröffentlicht wird, das Abhalten von englischsprachigen Lehrveranstaltungen allerdings nicht derart selbstverständlich behandelt wird. Es wäre in diesem Zusammenhang interessant zu erforschen, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, eine englischsprachige Lehrumgebung zu erschaffen und zu erhalten. Eine erste Hypothese ist, dass die Befragten sich nicht als Sprach-, sondern eher als Fachlehrer sehen (vgl. Airey 2012: „I don’t teach language“). In diesem Zusammenhang stellt Airey (2012: 65) außerdem für Schweden fest, dass die Anwesenheit eines einzigen nichtschwedischen Studierenden in universitären Physikkursen ausreicht, um von Schwedisch auf Englisch <?page no="219"?> 219 als Unterrichtssprache zu wechseln. Ähnlich verhält es sich mit zumindest einer Befragten im Interviewkorpus: Ich habe zurzeit eine [Veranstaltung], da ist ein englischer, ein nicht-deutschsprachiger Student. Und wenn der da ist, muss es auf Englisch gehalten werden und wenn der nicht da ist, dann spreche ich deutsch. Da muss ich mich auch spontan drauf einstellen, ne? (10P Chemie 00: 02: 34-1) Ähnlich wie in Aireys Untersuchung zu schwedischen Unterrichtspraktiken scheint für die Befragte bereits die Anwesenheit eines nicht-deutschsprachigen Studierenden hinreichend, um die Nutzung des Englischen über die Begründung der kommunikativen Notwendigkeit zu legitimieren (ungeachtet der anderen deutschsprachigen Teilnehmer der Veranstaltung). Die Nutzung des Englischen wird dabei als alternativlos dargestellt („muss es auf Englisch gehalten werden“, „muss ich mich auch spontan drauf einstellen“) und verdeutlicht, dass die Befragte dieses Vorgehen für normal hält. Obwohl die vier Befragten, deren Sichtweisen hier vorgestellt wurden, unterschiedliche Ausgangsbedingungen und Lösungsansätze für das Unterrichten auf Englisch angeben, haben sie eine Gemeinsamkeit: Es erscheint ihnen nicht gangbar, interaktive englischsprachige Lehre vor ausschließlich deutschsprachigen Studierenden durchzuführen. Die Tatsache, dass Lehrende und Studierende häufig Muttersprachler derselben Sprache sind, hat demnach weitreichende Auswirkungen auf die Gestaltung der Lehrpraxis. So bremst die Wahrnehmung mangelnder Authentizität in diesen Kontexten möglicherweise die Anglisierung der Lehre. Um diese Authentizitätshürde zu umgehen und einen Kontext kommunikativer Notwendigkeit herzustellen, nutzen Befragte die Präsenz einzelner ausländischer Studierender (10P Chemie), setzen nichtdeutschsprachige Lehrende ein (B18P) oder bevorzugen es, Muttersprachler des Englischen einzustellen (4P Physik). Die in diesem Abschnitt behandelten Themen und Beispiele zeigen, wie sich die Kategorien Mutter- und Nichtmuttersprachler in Kontexten der universitären Lehre entfalten und mit kommunikativer Bedeutung gefüllt werden. Die Interviewzitate verdeutlichen, wie der Begriff mit bestimmten sozialen und kommunikativen Rollenvorstellungen gefüllt wird, beispielsweise wer als authentischer Lehrer geeignet erscheint. 5.1.8 Fazit und Implikationen Am Anfang des Kapitels wurde die kritische Diskussion des Muttersprachlerkonzeptes in der Angewandten Linguistik und angrenzenden Disziplinen nachvollzogen. Dabei wurden sowohl die Grenzen des Konzeptes als auch seine unbestreitbare Zentralität für die Linguistik, Fremdsprachenforschung und den Fremdsprachenunterricht aufzeigt. Die Aufteilung in Mutter- und Nichtmuttersprachler hat nicht nur sprachliche Auswirkungen, sondern kann in Lehr-Lern-Kontexten sowie in Forschung und Lehre ökonomische <?page no="220"?> 220 (z.B. bessere Karrierechancen), soziale (z.B. Wahrnehmung als kompetenter oder interessanter) und machtbezogene (z.B. gatekeeping) Wirkung entfalten. Unabhängig davon, dass der Muttersprachlerbegriff inzwischen mitunter kritisch betrachtet wird, haben die Befragten diese Unterscheidung bereitwillig akzeptiert und fühlten sich durch die Zuweisung des Nichtmuttersprachler-Status nicht diskriminiert (für ein gegensätzliches Beispiel vgl. Faez 2011: 246). Dies könnte bedeuten, dass die Unterscheidung bis auf wenige Ausnahmen nicht als gesellschaftlich konstruiert gesehen wurde, sondern von den Befragten als allgemeingültig und unabänderbar akzeptiert wird. Anzeichen für eine Infragestellung genereller muttersprachlicher Überlegenheit finden sich jedoch im Kapitel über die Ressourcennutzung der Wissenschaftler, wo ein Großteil der Befragten, der auf muttersprachliche Korrekturleser zurückgriff, dennoch auf zusätzliche fachliche und lektorale Kompetenzen Wert legte (siehe Kap. 4.2.4.1). In dieser Hinsicht spielen die oben erörterten Alternativkonzepte Erfahrung und Expertise bereits eine wichtige Rolle in der Auswahl von Korrekturlesern. Wie aber füllen die Befragten das Konzept von Mutter- und Nichtmuttersprachler im Einzelnen? Ein Großteil der Befragten (26 von 36) stellt zwar einen ‚natürlichen‘ Unterschied zwischen Mutter- und Nichtmuttersprachlern fest, diese generelle Aussage steht aber teilweise zu den weiteren Aussagen der Befragten in Kontrast und wird je nach wahrgenommener Benachteiligung weiter ausgebaut oder revidiert. In der universitären Lehre empfinden einige Befragte es als ‚künstlich‘, dialogisch ausgerichtete Veranstaltungen auf Englisch abzuhalten, wenn nicht zumindest ansatzweise eine kommunikative Notwendigkeit dazu besteht. Der ‚typische‘ Muttersprachler des Englischen wird von einigen Befragten als einsprachig beschrieben. Diese Eigenschaft wird teilweise kritisch gesehen und im Kontrast dazu charakterisieren sich einige Befragte explizit als mehrsprachige Wissenschaftler. Ein Großteil der Befragten nahm sprachbezogene Nachteile (n=54) gegenüber Muttersprachlern des Englischen wahr. Dabei wurden sowohl rhetorische Defizite als auch grammatische, lexikalische sowie syntaktische (=Wortstellung) Nachteile festgestellt. Rhetorische Defizite äußerten sich vor allem darin, dass die Befragten annahmen, weniger elegante, stilsichere und idiomatische Formulierungen schreiben als natives (für ähnliche Ergebnisse siehe Kap. 4.2.2). Diese Defizite wurden jedoch nicht als derart schwerwiegend eingeschätzt, dass sie den Publikationserfolg verhindern. Vielmehr glaubte ein Teil der Befragten, diesen Nachteil über einen erhöhten Zeiteinsatz kompensieren zu können, wodurch sie sich gegenüber Muttersprachlern, denen zusätzliche Korrektur- und Fremdsprachenlernprozesse in der Regel erspart bleiben, benachteiligt sahen. Ferner sahen die Befragten Verständigungsprobleme in mündlichen Kommunikationssituationen wie Konferenzen als eine Benachteiligung gegenüber Muttersprachlern des Englischen an. Auch negative Auswirkungen auf die berufliche Laufbahn werden <?page no="221"?> 221 aufgrund sprachlicher Einschränkungen, z.B. beim Beantragen von Forschungsgeldern und beim Reviewverfahren, vermutet. Einige Befragten erfahren jedoch auch Vorteile durch ihre vorhandenene Zweisprachigkeit und ihre Nichtmuttersprachlichkeit. So stellte die Erweiterung des Adressatenkreises und damit des potenziellen Publikationsradius einen häufig genannten Vorteil dar. Ebenso galten der Zugriff auf deutschsprachige Literatur, Quellen und Sprachdaten sowie die internationale Vernetzung als handfeste Vorteile für die Befragten. Von den 16 Interviewten, die diese und ähnliche Vorteile im Sinne ihrer Mehrsprachigkeit nannten, waren sechs Befragte Germanistische Linguisten und fünf Geschichtswissenschaftler. Dies deutet darauf hin, dass die geisteswissenschaftlichen Fächer von ihrer Zweisprachigkeit am meisten profitieren. Einige Befragte, besonders aus dem Maschinenbau und anderen Ingenieur- und Formalwissenschaften sahen es als Vorteil, dass sie als Nichtmuttersprachler nicht den gleichen sprachlichen Anforderungen genügen müssten wie Muttersprachler des Englischen. Einige schienen ihren Status als Nichtmuttersprachler sogar strategisch einzusetzen, um weniger Zeit in Überarbeitungen investieren zu müssen. Die rhetorischen und sprachlichen Einschränkungen, die bei den Nachteilen gegenüber Muttersprachlern genannt wurden, werden von einigen Befragten im Gegenzug als vorteilhaft beschrieben, da sie die Wissenschaftler zu konziser sprachlicher Darstellung zwängen und ihre Gedanken durch diesen Vereinfachungszwang deutlicher hervortreten (ähnliche Resultate finden sich in Kap. 5.2.5) Die Biologen nahmen als einzige Fachkultur im Korpus an, als Nichtmuttersprachler oder mehrsprachiger Wissenschaftler weder nennenswert bevor- oder benachteiligt zu sein. Auf der einen Seite schreiben sie den natives wenige Vorteile zu, da die Befragten davon ausgehen, die Fachsprache, wie sie in Forschungsartikeln verwendet wird, ausreichend zu beherrschen. Zumindest im Bezug auf das wissenschaftliche Schreiben und Publizieren sehen sie sich somit weitgehend mit den Muttersprachlern des Englischen auf gleicher Augenhöhe. Andererseits hat das Englische einen derart hohen Stellenwert, dass die Beherrschung des Deutschen als mögliche zweite Publikationssprache von den Befragten nicht als Vorteil gewertet wird. Die geisteswissenschaftlichen Fächer profitieren von ihrer ausgeprägten Zweisprachigkeit in mehrfacher Hinsicht. Sie können durch die zunehmende Anglisierung sowohl an deutschals auch englischsprachigen Diskursen teilnehmen, was zur Folge hat, dass sie sich besser international vernetzen können und ihre Publikationen potenziell auch international rezipiert werden. Speziell die Geschichtswissenschaftler gaben in den Interviews an, dass sie von ihrer Zweisprachigkeit profitieren können, indem sie beispielsweise deutschsprachige Quellenbestände sichten und in den internationalen Diskurs einbringen können. <?page no="222"?> 222 5.2 Einstellungen und Sichtweisen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch Einstellungen und Sichtweisen gegenüber Sprache sind überall anzutreffen. Aus der Dialektforschung ist bekannt, dass Sprechern bestimmter Dialekte Eigenschaften wie ‚gebildet‘, ‚erfolgreich‘ oder ‚ehrlich‘ und ‚sympathisch‘ zugeschrieben werden (vgl. Garret 2001: 627f.). Einstellungen gegenüber Varietäten können sich aber auch auf Fremdsprachen beziehen. So wurde im Rahmen einer Befragung von Studierenden an der Technischen Universität Braunschweig festgestellt, dass ein Großteil der Teilnehmer eine Orientierung an als ‚authentisch‘ aufgefassten muttersprachlichen Varietäten des Englischen bevorzugten (vgl. Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe 2014: 123). Da das Englische im Zuge der Internationalisierung der Wissenschaft zunehmend an kommunikativer (z.B. Ammon 1998), beruflicher (z.B. Flowerdew 2001) und identitärer (z.B. Duszak/ Lewkowicz 2008) Bedeutung gewinnt, bietet es sich an, die bisher noch wenig erforschten Einstellungen und Sichtweisen von deutschsprachigen Wissenschaftlern in verschiedenen Fächern zu untersuchen. Zwar kann die bestehende Wissenschaftspraxis durch eine solche Untersuchung nur bedingt geändert werden, aber die Interviews mit den Wissenschaftlern erlauben Einblick in zugrundeliegende Motive, in englischer oder deutscher Sprache zu publizieren und das fachliche Selbstverständnis der Befragten. Umgesetzt wird dies, indem die in den Interviews enkodierten Annahmen, Einstellungen und Sichtweisen zu Englisch und Deutsch als Wissenschaftssprachen herausgearbeitet, systematisiert und in Bezug zum wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren gesetzt werden. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die Zweisprachigkeit der untersuchten Wissenschaftler im Hinblick auf ihre alltägliche Verwendung von Wissenschaftssprachen. Zwar wurde die Vormachtstellung des Englischen als Publikationssprache in einer Reihe von Disziplinen vielerorts belegt und diskutiert; dennoch kann in den meisten Fällen nicht von einer ‚Alleinherrschaft‘ des Englischen ausgegangen werden, besonders wenn man die Verwendung des Deutschen in der Lehre, der Populärwissenschaft, der Kommunikation unter Kollegen sowie auf regional bzw. national bedeutsamen Konferenzen berücksichtigt. So ist davon auszugehen, dass trotz der Dominanz des Englischen in einigen Bereichen ein komplexes Sprachgefüge den universitären Bereich in nicht-anglophonen Ländern prägt: „English rarely exists all by itself at the international university, but rather tends to play a role in [a] system in which the local language (or languages) will often also have an important place“ (Haberland/ Mortensen 2012: 4, Einfügung FR; vgl. außerdem Söderlundh 2012). Eine Untersuchung der Einstellungen und Sichtweisen deutscher Wissenschaftler erfordert in diesem Sinne eine Berücksichtigung der häufig mehrsprachigen Situation in <?page no="223"?> 223 Forschung und Lehre. Im Fokus des Kapitels stehen die folgenden thematischen Leitfragen, entlang derer die Auswertung vorgenommen wird: 1. Wie begründen die Interviewten die Wahl der Publikations- und Lehrsprachen Englisch und Deutsch? In den Interviews ausgeführte Einschätzungen und Begründungen können unter anderem Aufschluss darüber geben, warum das Deutsche oder das Englische von den Wissenschaftlern als ‚geeigneter‘ für eine bestimmte Aufgabe oder Domäne wahrgenommen wird. Im Einzelnen wird es um die Domänen wissenschaftliche Publikationen, Dissertationen und Lehre gehen (Kap. 5.2.2). 2. Ergibt sich für die Befragten die Notwendigkeit, das Deutsche als Wissenschaftssprache zu unterstützen? Welche Gründe werden für oder gegen ein solches Vorhaben angeführt? Bereits seit mehr als einem Jahrzent wird in der Fachliteratur (vgl. z.B. Ehlich 2000) auf mögliche Gefahren einer zunehmenden Anglisierung der Wissenschaft hingewiesen. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, wie die Interviewten selbst die sprachliche Situation in ihren Fächern einschätzen und ob ihrer Meinung nach Handlungsbedarf besteht, das Deutsche in der Wissenschaft gezielt zu fördern (Kap. 5.2.3). 3. Welchen Stellenwert hat Sprache für die Wissenschaftler bei der Wissensproduktion und -verbreitung? Aussagen der Interviewten zu den Aufgaben von Sprache in Schreib- und Publikationsprozessen lassen unter anderem Rückschlüsse darauf zu, ob Sprache eher als essentieller Wissensträger und Erkenntnisinstrument verstanden wird oder aber als eine ‚zusätzliche‘ Umschreibung bereits in anderer Form vorliegender Daten. In diesem Sinne soll analysiert werden, welchen Stellenwert die Befragten der Sprache beim Forschen, Schreiben und Publizieren beimessen (Kap. 5.2.4). 4. Welche sprachlichen und kulturellen Eigenschaften weisen die Interviewten den Wissenschaftssprachen Deutsch und Englisch zu? Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Zweisprachigkeit sollte es den Interviewten möglich sein, Vergleiche zwischen den beiden betrachteten Sprachen anzustellen. Deshalb ist es aufschlussreich zu untersuchen, welche Attribute (z.B. Kürze, Präzision) dem Englischen bzw. Deutschen zugewiesen werden und inwiefern diese Zuschreibungen etwas über die Wahrnehmung deutscher und angloamerikanischer Wissenschaftskulturen aussagen (Kap. 5.2.5). Die interviewbasierte Untersuchung von Einstellungen und Sichtweisen der befragten Wissenschaftler kann einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftssprachforschung leisten, da hierdurch unter anderem disziplinäre Selbst- und Fremdwahrnehmungen als auch wissenschaftliche und sprachliche Ideologien ‚sichtbar gemacht‘ und somit der Analyse zugeführt werden können. Vor diesem Hintergrund werden in diesem Kapitel die sprach- <?page no="224"?> 224 bezogenen Einstellungen und Sichtweisen der 24 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im fachspezifischen Interviewkorpus untersucht, das jeweils sechs Vertreter aus den Fächern Biologie, Maschinenbau, Germanistische Linguistik und Geschichtswissenschaft enthält. Beachtung finden soll hierbei, inwiefern die in den Interviews geäußerten Einstellungen und Sichtweisen eher fachspezifisch sind, also geprägt durch die fachliche Sozialisation z.B. als Biologe oder Geschichtswissenschaftler, oder von allen hier untersuchten Fächergruppen vertreten werden und somit für das untersuchte Korpus als fächerübergreifend gelten können. Das folgende Teilkapitel stellt zum einen die Laien-Linguistik und Ideologieforschung als theoretische Ansätze der sprachbezogenen Einstellungsforschung vor (Kap. 5.2.1). Darauf aufbauend werden empirische Befunde anhand der vier oben aufgeführten Leitfragen vorgestellt und zueinander in Beziehung gesetzt. Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und dem Aufzeigen von Implikationen (Kap. 5.2.6). 5.2.1 Zur sprachlichen Einstellungs- und Ideologieforschung Sowohl das Feld der language ideology 96 als auch die Laien-Linguistik sowie ihr angloamerikanisches Pendant folk linguistics betreiben sprachbasierte Ideologieforschung. Beide Ansätze sind oft nicht eindeutig voneinander zu unterscheiden (vgl. Preston 2011: 16), weshalb hier nicht auf die Unterschiede einegangen eingegangen werden soll. Die Grundannahme von language ideology wird dabei wie folgt beschrieben: „[T]his initiative seeks to show that how language is treated in the traditional practices of a speech community may clearly illustrate beliefs and belief systems“ (ebd.). Die Laien- Linguistik hat das etwas spezifischere Ziel, sprachbezogene Sichtweisen von Nichtlinguisten bzw. linguistischen Laien festzustellen, um sie als Forschungsdaten für angewandt-linguistische Fragestellungen zu verwenden. Beide Ansätze teilen die soziolinguistische Annahme, dass die Bewertung und Wahrnehmung sprachlicher Phänomene (etwa ob das Deutsche oder das Englische die ‚bessere‘ Wissenschaftssprache sei) nicht nur aufgrund linguistischer Eigenschaften erfolgt, sondern auch auf sozialen und politischen Kriterien beruht, wie z.B. der Dominanz oder Marginalisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppierungen. Die aus den Interviews rekonstruierten Einstellungen und Sichtweisen der Befragten sind daher nicht als ‚richtig‘, ‚wahr‘ bzw. ‚falsch‘ oder ‚naiv‘ zu verstehen, sondern dienen in erster Linie als Datenquelle („View as data“, Wilton/ Stegu 2011: 2) zur Untersuchung des Themenbereichs wissenschaftliches Schreiben und Publizieren. Sprache nimmt in der Laien-Linguistik einen zentralen Platz ein; dies gilt ebenso für das ethnolinguistisch orientierte Feld der language ideology: 96 Im angloamerikanischen Raum wird language ideology nicht nur als soziolinguistisches Konzept verstanden, sondern ist ein eigenständiger Forschungsbereich der linguistischen Anthropologie (vgl. Blommaert 2006: 51; Gal 2006: 179). <?page no="225"?> 225 „[L]anguage embodies and articulates the experience of social struggle, transition, and contest, and consequently the linguistic sign is seen as deeply ideological“ (Blommaert 2006: 511). Da für Vertreter von language ideology jeglicher Sprachgebrauch ideologisch ist, kann es keine ‚neutralen‘ Äußerungen geben, vielmehr werden diese immer durch die Sprechenden bzw. Schreibenden kontextualisiert bzw. ideologisiert: Whenever people communicate, they produce forms that fit a particular genre, carry concomitant stylistic features, and thus produce metapragmatic messages about content, direction and interpretation, situatedness in a particular event, social identities, and relationships valid in the event. Utterances are therefore packed with indexical meaning: every utterance is genred, topically organized, linguistically coded, gendered, accented, stylized, and so forth. (Blommaert 2006: 513) Für den Bereich der Wissenschaftssprache stellen unter anderem Duszak/ Lewkowicz (2008: 109) fest, dass jegliches wissenschaftliche Schreiben und Publizieren eine Form der Identitätsausübung darstellt und nicht auf ‚handwerkliche‘ Schreib- und Fachkompetenzen allein reduziert werden kann. Beispielsweise kann das Publizieren in englischer Sprache als Wunsch der Zugehörigkeit zu einer internationalen Diskursgemeinschaft gesehen werden, besonders wenn prinzipiell die Möglichkeit bestünde, auch auf Deutsch zu veröffentlichen. In Übereinstimmung mit der Feststellung, dass Sprachgebrauch nie neutral ist, wird der Begriff Ideologie hier als nicht-wertend verstanden. 97 Er beschreibt hier vielmehr die narrativ in den Interviews konstruierten Grundannahmen über die Aufgaben von Wissenschaft sowie die Rolle, die Sprache (bzw. Sprachen) bei der Erfüllung dieser Aufgaben zukommt. In diesem Sinne gehe ich davon aus, dass Entscheidungen für die eine oder andere Wissenschaftssprache ideologisch motiviert sind: Sei es, die deutsche Wissenschaftssprache unterstützen zu wollen, eine internationale (oder nationale) wissenschaftliche Karriere anzustreben oder mit ausländischen Kollegen in Austausch zu treten. In jedem dieser Fälle spielen Annahmen der Befragten dazu eine Rolle, welche Aufgaben Wissenschaft hat und welchen Stellenwert Sprache (bzw. Sprachen) bei der Verwirklichung dieser Aufgaben innehat. Das Aufgabenfeld der Laien-Linguistik besteht nach Antos (1996) zum einen in der Beschreibung und Analyse von Themen und Medien, für die Nichtlinguisten sich interessieren und für die sie sich beispielsweise aus Büchern Rat holen. 98 Zum anderen beschäftigt die Laien-Linguistik aber 97 Größen der Ideologieforschung wie Durkheim, Bloch und Whorf haben im Gegensatz zu einer marxistischen Tradition den Ideologiebegriff ebenfalls neutral definiert als „the deeper layers of culture and society, the unspoken assumptions that, as some kind of ‘social cement,’ turn groups of people into communities, societies, and cultures“ (Blommaert 2006: 510). 98 Laut Garret (2001: 628) interessieren sich Laien z.B. besonders für ‚korrekten‘ Sprachgebrauch. <?page no="226"?> 226 auch „die korrespondierende Fragestellung nach dem linguistischen Interesse an ‚Alltags-Theorien‘ sprachwissenschaftlicher Laien“ (Antos 1996: 5, Hervorh. i.O.). Diese Auffassung soll hier Anwendung finden. Die Laien-Linguistik entwickelt sich momentan zu einem Forschungsschwerpunkt der Angewandten Linguistik, wie das Forschungsnetzwerk (AILA Research Network) sowie die Publikation eines AILA Review Bandes zum Thema Applied Folk Linguistics (Wilton/ Stegu 2011) zeigt. Untersuchungen wurden bisher unter anderem zu Sprachratgebern und Kommunikationstrainings (vgl. Antos 1996), Erst- und Zweitsprachenerwerb (vgl. Cruz-Ferreira 2011; Pasquale 2011; Hüttner/ Dalton-Puffer/ Smit 2013) sowie zur Akzentologie und Dialektologie durchgeführt (vgl. Preston 2011). 99 Beispielsweise kam Cruz-Ferreira in einer Studie der Sichtweisen von Laien zum Erstspracherwerb zu dem Schluss, dass dieser für gewöhnlich als lernerunabhängig und unbewusst ablaufend, ja sogar als „wondrous and infallible“ angesehen wird (Cruz-Ferreira 2011: 79). Die Laien-Linguistik untersucht also sprachbezogene Einstellungen und Sichtweisen von Nichtlinguisten unter der Annahme, dass deren Ansichten relevante Informationen über Sprachgebrauch und -wahrnehmung bereitstellen können (vgl. Wilton/ Stegu 2011: 1): „[Folk linguistics includes] not only the comments that nonlinguists make about linguistic topics but also the reactions they have to varieties of language and language use, including overt as well as subconscious responses“ (Preston 2011: 15). Es soll im Zuge der Auswertung der Interviewdaten nicht zwischen bewusst geäußerten Theorien (folk linguistic theories) und unbewusst artikulierten Sichtweisen (language attitudes) unterschieden werden, da auch bewusst geäußerte Aussagen über Sprache implizite und unbewusste Annahmen beinhalten können (vgl. Preston 2011: 15, 35). Die Laien-Linguistik geht ferner davon aus, dass die von Nichtlinguisten vertretenen Einstellungen sowie ihr sprachliches Wissen eine wichtige Funktion in der alltäglichen bzw. beruflichen Entscheidungsfindung haben (vgl. Wilton/ Stegu 2011: 6). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Spitzenmanager beschließen, das Englische als alleinige Arbeitssprache in einem Unternehmen zu verankern, weil dieses ‚internationaler‘ ausgerichtet werden soll. Im Bereich der Wissenschaft könnte man beispielhaft die Entscheidung eines Arbeitsgruppenleiters nennen, dass sämtliche Publikationen auf Englisch zu verfassen sind, da dies dem ‚Standard‘ der anvisierten Diskursgemeinschaft entspräche. Ein weiteres, im Korpus vorzufindendes Beispiel ist die Praxis einer Chemieprofessorin, Vorlesungen und Seminare „spontan“ in englischer Sprache abzuhalten, sobald ein ausländischer Studierender anwesend 99 Für Wilton und Stegu (2011: 9) sind die Felder Language Awareness, d.h. die Konzepte Sprachbewusstsein und Sprachbewusstheit (vgl. Gnutzmann 2003, Gnutzmann/ Jakisch 2013), und Laien-Linguistik verwandt, denn beide hätten das Ziel, implizit vorhandene Einstellungen und Sichtweisen durch Bewusstmachung der Reflexion zugängig zu machen. <?page no="227"?> 227 ist (vgl. auch Airey 2012: 65), da sie dies als ein „Gebot der Höflichkeit, als eine Selbstverständlichkeit“ wahrnimmt (10P Chemie 00: 02: 34-1). Diese Beispiele legen nahe, dass sprachbezogene Einstellungen und Sichtweisen von Nichtlinguisten soziale Wirkmächtigkeit entfalten können, da diese Personengruppen häufig sprachpolitische Entscheidungen treffen (vgl. Bogner/ Menz 2009: 67; Hüttner/ Dalton-Puffer/ Smit 2013: 280; Wilton/ Stegu 2011: 11). Eine Untersuchung sprachbezogener Einstellungen und Sichtweisen verspricht somit einen Einblick zu gewähren, welche Gesichtspunkte in der Entscheidungsfindung der Befragten eine Rolle spielen. Als linguistische Laien werden in der Regel Personen verstanden, die keine Berufslinguisten sind. Die Germanistischen Linguisten aus dem Interviewkorpus erfüllen dieses Kriterium zwar streng genommen nicht, sollen aber dennoch in die Untersuchung einbezogen werden, da Wissensbestände, die im Zuge theoretischer und professioneller Auseinandersetzung erworben wurden, nicht notwendigerweise in eigene Ansichten oder Praktiken übertragen werden (vgl. Preston 2011: 15). Ferner hatte keiner der befragten Germanistischen Linguisten das Thema Wissenschaftssprache als Forschungsbereich angegeben oder während der Interviews einen ‚Expertenstatus‘ auf diesem Gebiet reklamiert. Die Perspektiven der Germanistischen Linguisten bilden somit eine wertvolle Ergänzung zu denen anderer Fächer, da sie Sprache nicht nur als Kommunikationsmedium verwenden, sondern sich professionell mit ihr als Forschungsgegenstand beschäftigen. Es sollte weiterhin erwähnt werden, dass Einstellungen und Sichtweisen selten homogene ‚Einstellungsgebäude‘ ergeben, sondern häufig durch eine gewisse Widersprüchlichkeit gekennzeichnet sind (vgl. Hüttner/ Dalton-Puffer/ Smit 2013: 270; Wilton/ Stegu 2011: 11). So nahm beispielsweise ein Biologe die von Gutachtern rückgemeldeten sprachlichen Mängel als „Kleinigkeiten“ wahr, obwohl sie zur Ablehnung seines Manuskriptes geführt hatten. Andererseits wollte der Befragte keine Zeit in Sprachkurse oder das Verbessern seiner Englischkenntnisse investieren, da er die englische Sprache prinzipiell als „simpel“ empfand (vgl. Gnutzmann/ Rabe 2014b: 42-47). Die Laien-Linguistik hat keine theoriespezifischen Auswertungsmethoden entwickelt, sondern bedient sich einer weitgefächerten Palette qualitativer und quantitativer methodischer Repertoires, wie z.B. der Ethnographie oder der Diskursanalyse (vgl. Preston 2011: 15). Die Nutzung von Interviews für Zwecke der Einstellungsforschung bringt bestimmte Vor- und Nachteile mit sich. Das Interviewformat ermöglicht es den Befragten, ihre eigenen Positionen narrativ zu konstruieren und erlaubt somit Einblicke in ihre Sichtweisen, Einstellungen und Annahmen, die stärker fokussierte Erhebungsmethoden wie Fragebögen in der Regel nicht bieten können. Allerdings ist die ‚Elizitation‘ von Einstellungen aufgrund des Konstruktionscharakters von Interviews nicht immer unproblematisch, denn Interviews werden erst durch die Gesprächsteilnehmer konstituiert und sind somit von situativen und sozialen Umständen geprägt (vgl. Talmy 2011: 27; Wil- <?page no="228"?> 228 ton/ Stegu 2011: 4). Dies bedeutet, dass die thematisierten Einstellungen und Sichtweisen nur bedingt ohne das Mitdenken dieses Kontextes und der Produktionsbedingungen verstanden, interpretiert oder gar generalisiert werden können. Zwar werden die Produktionsbedingungen der Interviewsituation in der Auswertung der Daten berücksichtigt (siehe Kap. 3.3), die Interviewäußerungen selbst wurden jedoch thematisch codiert und durch den Codier- und Kategorisierungsvorgang teilweise aus ihrem diskursiven Kontext entfernt, sodass dieser nur bedingt in die Auswertung miteinbezogen werden kann. Diesen Kompromiss gehe ich aufgrund der Vorteile ein, die eine thematische Kategorisierung der Antworten ermöglicht, wie z.B. eine (fach)vergleichende Perspektive. Weiterhin erlaubt dieser Auswertungsmodus die Feststellung der quantitativen Verteilung der Antworten und gibt somit Hinweise auf den Verbreitungsgrad bestimmter Einstellungen und Sichtweisen unter den hier untersuchten Fachvertretern. Die ausgewerteten Themenfelder stützen sich auf Interviewmaterial, das aufgrund der inhaltlichen Schwerpunktsetzung des PEPG-Projektes auf wissenschaftliches Schreiben und Publizieren in der Fremdsprache Englisch quantitativ recht unterschiedlich ausfällt. Aus diesem Grund finden sich beispielsweise weniger Begründungen für das Publizieren in deutscher Sprache (siehe Kap. 5.2.2.2). Die Ausführungen der Befragten sind jedoch auch in quantitativ weniger umfangreichen Themenfeldern, wie z.B. den Begründungen für bzw. gegen den Erhalt des Deutschen als Publikationssprache, für ein besseres Verständnis der Einstellungen und Sichtweisen aufschlussreich. Dass im Rahmen der vorliegenden Studie Wissenschaftler interviewt wurden, die bereits mindestens eine englischsprachige Publikation veröffentlicht hatten, ist ein weiterer relevanter Faktor in diesem Zusammenhang. Die Verwendung anderer Auswahlprinzipien, z.B. dass mindestens eine deutschsprachige Publikation vorliegt, hätte zwar zu mehr Datenmaterial im Bereich der Sprachwahlbegründungen für das Publizieren auf Deutsch geführt, aber auch die Biologen und einen Teil der Ingenieurwissenschaftler aus dem Korpus ausgeschlossen. Eine oft implizit vorausgesetzte Prämisse der Einstellungsforschung ist, dass vorhandene Einstellungen das Handeln beeinflussen (vgl. Wilton/ Stegu 2011: 10). Es liegt jedoch außerhalb der Möglichkeiten der vorliegenden Arbeit, zu untersuchen, inwiefern die von den Wissenschaftlern vertretenen Einstellungen in Handlungen übersetzt werden und ob eine auf Einstellungsänderung abzielende Intervention im Einzelnen auch zu einer Verhaltensänderung führen kann. Ein Korrektiv der hier vorgestellten Einstellungen und Sichtweisen ist, wenn überhaupt, nur behutsam und möglichst in der ‚Denkart‘ der Befragten anzugehen, da es sonst als aufgezwungen empfunden werden könnte (vgl. a.a.O.: 6). Eine vertiefte Kenntnis fächerübergreifender und fachspezifischer Einstellungen und Sichtweisen kann jedoch eine Grundlage bilden, den Dialog über eine angemessene Rolle von Sprache in der universitären Forschung und Lehre voranzutreiben. <?page no="229"?> 229 Nach der Besprechung der Ziele und Grenzen der Untersuchung sowie der theoretisch-methodischen Grundlagen werden im folgenden Abschnitt die vier eingangs beschriebenen Leitfragen mithilfe der Daten aus dem Interviewkorpus analysiert und, wo dies möglich ist, in Beziehung zueinander gesetzt. Dies geschieht durch eine Kombination aus quantitativ orientierten Übersichtsdarstellungen sowie vertiefenden Interpretationen auf der Grundlage ausgewählter Interviewpassagen. Beim ersten Themenfeld steht im Vordergrund, wie die Interviewten ihre Sprachwahl in bestimmten wissenschaftsrelevanten Bereichen begründen. Im Einzelnen handelt es sich um die Begründungen für das wissenschaftliche Publizieren in englischer bzw. deutscher Sprache sowie die Überlegungen zur Sprachwahl in Dissertationen und der universitären Lehre. 5.2.2 Sprachwahlbegründungen Geht man davon aus, dass das Englische und Deutsche in verschiedenen Disziplinen in unterschiedlichen Konstellationen als Publikations-, Lehr und Kommunikationssprachen etabliert sind (vgl. Haberland/ Mortensen 2012: 4; Petersen/ Shaw 2002: 359), stellt sich die Frage, wie die getroffenen Sprachwahlentscheidungen von den Wissenschaftlern selbst eingeschätzt und begründet werden. Die in den Interviews angebotenen Erklärungen können unter anderem Aufschluss darüber geben, warum eine der beiden untersuchten Sprachen als ‚geeigneter‘ für eine bestimmte Aufgabe oder Domäne wahrgenommen wird. Die hier vorgestellten Interview-Ausschnitte stammen aus mehreren Fragekontexten. Eine Frage, die jedoch besonders häufig begründende Stellungnahmen zur Sprachenwahl elizitierte, war „Welche Rolle werden die Sprachen Englisch und Deutsch in Ihrer akademischen Arbeit in der Zukunft einnehmen? “. Bei Bedarf wurde zudem nachgefragt, wie die Befragten zu dieser Perspektive stehen. Der erste Teilabschnitt fokussiert Aussagen der Interviewten im Hinblick auf das wissenschaftliche Publizieren in englischer Sprache. 5.2.2.1 Für das Publizieren in englischer Sprache Veröffentlichungen in englischer Sprache haben in einigen Disziplinen bereits einen derart hohen Stellenwert, dass man annehmen könnte, die Wahl des Englischen bedürfe eigentlich keiner expliziten Begründung mehr. 100 Dennoch scheinen die Wissenschaftler den Wunsch zu verspüren, sich für diese Entscheidung zu rechtfertigen, wie die folgende Übersicht (Abbildung 20) zeigt: 100 Teile von Kapitel 5.2.2.1 wurden in Rabe (2015) veröffentlicht. <?page no="230"?> 230 Abbildung 20: Sprachwahlbegründungen für das Englische als Publikationssprache (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Die aus dem Interviewmaterial konstruierten Kategorien werden in Reihenfolge der Häufigkeit ihres Vorkommens diskutiert. Dies soll nicht implizieren, dass seltener genannte Nennungen weniger aussagekräftig sind oder häufig vorkommende Nennungen mehr über die Einstellungen einzelner Befragter aussagen. Eine Berücksichtigung der Vorkommenshäufigkeit gibt jedoch Hinweise darauf, wie verbreitet ähnliche Aussagen im Korpus sind und als wie ‚typisch‘ diese für eine bestimmte Disziplin gelten können. Bei der Kategorie Internationale Kommunikation / Sichtbarkeit / Kooperation (16 Nennungen - 4x Biologie, 4x Maschinenbau, 4x Germanistische Linguistik, 4x Geschichte) handelt es sich um die am häufigsten angeführte Begründung für die Wahl des Englischen als Publikationssprache. Sie ist zudem fächerübergreifend vorzufinden - jeweils zwei Drittel der hier berücksichtigten Fachvertreter führen die Notwendigkeit des internationalen Austausches als Grund für die Wahl des Englischen als Publikationssprache an. Die Begründungsmuster der Befragten spiegeln dabei die zunehmende Internationalisierung der Wissenschaft wider. Hinter der Kategorie verbergen sich teilweise recht unterschiedliche Formulierungen und Positionierungen, deren Facetten anhand dreier Interviewzitate nachvollziehbar gemacht werden soll: 4 2 2 4 5 5 7 8 14 16 0 5 10 15 Internationale Kommunikation / Sichtbarkeit / Kooperation Internationales Kommunikationsmedium notwendig / Mehrsprachigkeit hinderlich Fachliteratur ist auf Englisch TINA there is no alternative Internationalität des Themas Sprachinhärente Gründe Karriere / berufliche Mobilität Intervenieren in bestimmte Diskurse Neugier / Spaß am Schreiben auf Englisch Einzelnennungen / nicht zuordenbar Anzahl Nennungen (n = 67) <?page no="231"?> 231 Weil ich sonst in der Forschungsdomäne, in der ich wahrgenommen werden will, nicht wahrgenommen werde. Also, das heißt, man kann es auch umdrehen und sagen, also die englischsprachigen Kollegen lesen kein Deutsch, egal was man da, welche sensationellen Dinge man da publizieren kann. (G28P 00: 25: 25-0) Und mittlerweile ist es auch so, gerade wenn wir jetzt natürlich auch EU- Projekte haben, internationale Kooperationen, natürlich müssen wir auf Englisch reden und natürlich müssen wir mit den Leuten die Anträge auf Englisch schreiben und die Aufsätze auf Englisch schreiben. (L32P 00: 27: 21-3) Da ist der deutsche Markt einfach deutlich zu begrenzt [...]. Und deswegen ist es für uns natürlich ganz wichtig, dass wir dann internationale Veröffentlichungen haben, die auf der ganzen Welt gelesen werden können. (M5PD 00: 04: 24-1) Im ersten Zitat verweist ein Professor der Geschichte (G28P) auf den Wunsch, seine Forschung international wahrgenommen zu wissen (d.h. internationale Sichtbarkeit), und er erklärt, warum dies nicht auch auf Deutsch passieren könne. Dass Muttersprachler des Englischen kein Deutsch lesen, wird zwar kritisch kommentiert, aber der Wunsch nach internationaler Rezeption überwiegt letztendlich. Der zweite hier zitierte Interviewte (L32P) betont die Internationalisierung durch EU-Projekte (d.h. internationale Kooperationen), in denen Englisch die übliche Antrags- und Publikationssprache sei. Er baut eine Argumentation der Notwendigkeit auf, indem er hervorhebt, dass im Rahmen internationaler Zusammenarbeit „natürlich“ Englisch gesprochen und geschrieben werden „muss“. Im dritten Interview-Ausschnitt (M5PD) spielen (wissens)ökonomische Begründungen eine Rolle: Der deutsche „Markt“ sei „zu begrenzt“, möglicherweise im Sinne von dort aktiven Wissensproduzenten und -konsumenten. Es könnten jedoch auch Belange der internationalen Anerkennung von Patenten eine Rolle spielen (vgl. Ehlich 2004: 174f.). An den Aussagen wird deutlich, dass die Befragten die Anglisierung der Wissenschaft mit der Notwendigkeit internationaler Kommunikation rechtfertigen. Die einzelnen Begründungen beziehen sich, wie in den Beispielen ersichtlich wird, dabei unter anderem auf gezielte Interventionen in englischsprachige Diskurse (G28P), internationale Kooperationen (L32P) oder eine Erweiterung des potentiellen Leserkreises (M5PD). Aussagen, die in die Kategorie Internationales Kommunikationsmedium notwendig / Mehrsprachigkeit hinderlich (14 Nennungen - 2xB, 5xM, 5xL, 2xG) eingeordnet wurden, argumentieren für eine gemeinsame Wissenschaftssprache, ohne dass dabei immer explizit auf das Englische abgehoben wird. Eng verbunden mit der Notwendigkeit einer gemeinsamen Wissenschaftssprache ist die Wahrnehmung, dass wissenschaftliche Mehrsprachigkeit hinderlich für die internationale Wissenschaftskommunikation sei: Ich glaub’, was sozusagen das Ziel ist, ist eine funktionierende Kommunikation. Und was blöd ist, ist wenn Leute sich irgendwie treffen und nicht kom- <?page no="232"?> 232 munizieren können. Und wie kann man das lösen? Man kann das irgendwie lösen, indem beide eine Sprache sprechen, sowas wie Englisch und da hat sich Englisch irgendwie rausetabliert, weil sie schön leicht ist und vielleicht auch aus politischen Gründen [...] also man muss immer irgendeine gemeinsame Kommunikation finden so. (L31D 01: 03: 10-9) Also ich bin halt sehr überzeugter Europäer und es gab früher ja so eine Sache, dass man sagte, ok man muss neben dem Englischen eben auch noch zumindest das Französische, Spanische und Deutsche vielleicht noch [...] - dann würde jetzt noch irgendwann Japanisch und Chinesisch natürlich dazukommen - auch noch irgendwie bewahren als Wissenschaftssprache und so weiter, aber ich glaub’, das ist einfach Blödsinn. (B18P 01: 01: 10-7) Eine Doktorandin aus der Germanistischen Linguistin (L31D) erklärt, warum ihr eine gemeinsame Wissenschaftssprache so wichtig ist, und stellt Vermutungen über die Gründe an, die das Englische in diese Position gebracht haben. Sie betont, dass es in erster Linie um „(irgend-)eine Sprache“ ginge, die diese Form der Kommunikation ermöglicht. Englisch habe sich dann, eine recht passivische Formulierung, „irgendwie rausetabliert“. Der Interviewausschnitt eines Biologieprofessors (B18P) hebt die wahrgenommene Problematik wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit anhand einer übertreibenden Analogie mit der Europäischen Union hervor, nämlich dass man als Wissenschaftler heutzutage eine Vielzahl von Wissenschaftssprachen beherrschen müsse. Obwohl sich der Befragte als überzeugter Europäer zu erkennen gibt, sieht er individuelle Mehrsprachigkeit nicht als Voraussetzung dafür an. 101 Hier wird somit ein Einsprachigkeitsargument vorgetragen, das mit einem hohen Lernzeitaufwand im Falle mehrsprachiger Fachkommunikation untermauert wird. Die Sichtweise, dass wissenschaftliche Mehrsprachigkeit hinderlich sei, wird ferner an der Beschreibung der wissenschaftlichen Lese- und Zitierpraxis der Befragten deutlich: Gleich vier Interviewte (B35PD, M2PD, M36D, L31D) verweisen darauf, dass wissenschaftliche Literatur, die nicht auf Englisch vorliegt, nicht von anderen gelesen werden kann bzw. den Wissenschaftlern selbst nicht zugänglich ist: Da fängt auch wieder so das Problem an, wenn es französische Arbeitsgruppen sind [...] und die verweisen dann auf ihre Artikel, die sie vorher auf Französisch veröffentlicht haben. Und man liest dann das Ding und denkt sich an der Stelle „Oh, das ist interessant, das will ich lesen, das ist genau mein Ding“ und hat dann die Referenz auf den französischen Artikel. Dann ist man schon angesäuert. (M36D 01: 01: 29-8) Dieses Zitat ist dahingehend interessant, dass ein Anglisierungsmechanismus beschrieben wird, der eine starke ‚Sogwirkung‘ entfalten kann. Konsequent weiter gedacht müssten demnach sämtliche wissenschaftlichen Publi- 101 Siehe Gnutzmann/ Jakisch/ Koenders/ Rabe (2012: 77) für Sichtweisen von Studierenden zum Thema Mehrsprachigkeit in der Europäischen Union. <?page no="233"?> 233 kationen auf Englisch veröffentlicht werden, damit die eigene Arbeit international wahrgenommen wird: Der Nachteil von einer deutschen Publikation ist folgender: Ich kann es auch nirgends zitieren. Selbst die Dissertation nicht. Dissertation ist meistens auf Deutsch. Wenn ich ein englisches paper schreib’, und dann [eine] deutsche Referenz mach’, die kann ja keiner lesen [...]. Sie lesen auch kein paper wenn sie dann wichtige Referenzen auf Italienisch oder Russisch, Chinesisch [haben]. Das kann man eigentlich nicht bringen und deswegen ist das halt dann eine verlorene Veröffentlichung. (M24PD 00: 59: 19-3) Der Befragte aus dem Maschinenbau denkt die angesprochene Einsprachigkeitslogik zu Ende und kommt zu dem Schluss, dass auch Dissertationen in deutscher Sprache „verlorene Veröffentlichungen“ seien, da diese ja „keiner“ lesen könne. Die Bezeichnung „keiner“ ist zwar nicht korrekt, denn deutschsprachige Wissenschaftler könnten sie lesen, suggeriert aber, dass der Befragte dem deutschsprachigen Fachdiskurs einen geringen Stellenwert einräumt. Die Tendenz, in englischsprachigen Artikeln nur englischsprachige Referenzen anzugeben und solche in anderen Sprachen zu ‚unterschlagen‘, wurde unter anderem bereits von Fung (2008) für den Bereich der Medizin kritisiert. Es ist davon auszugehen, dass diese Praxis den Sog ins Englische noch verstärkt, da nicht-englische Publikationen somit international nicht einmal im Literaturverzeichnis ‚sichtbar‘ werden und dadurch ein weiterer Anreiz geschaffen wird, auf Englisch zu publizieren. Das in dieser Kategorie vorgebrachte Einsprachigkeitsargument existiert also in verschiedenen Variationen - weltweite Kommunikation funktioniere am besten über eine Sprache, Mehrsprachigkeit sei hinderlich, deutschsprachige Texte nicht zitierbar, nicht-englische Texte nicht lesbar. Alle diese Begründungen haben jedoch gemeinsam, dass sie für das Publizieren ein universelles, internationales Kommunikationsmedium fordern. Eine mögliche Folge dieser Logik könnte darin liegen, dass eine mehrsprachige Wissenschaft allgemein als „unsinnig, ja den Zielen der Wissenschaft gegenüber schädlich“ wahrgenommen wird (Ehlich 2000: 48). Eine weitere weit verbreitete Begründung für die Verwendung des Englischen als Publikationssprache ist, dass ein Großteil oder gar sämtliche Fachliteratur auf Englisch vorliegt („Fachliteratur ist auf Englisch“, 8 Nennungen - 3xB, 3xM, 2xL, 0xG). So betont beispielsweise ein Biologieprofessor die Historizität dieser Entwicklung: „Die ganzen Texte in den Biowissenschaften sind auch vor dreißig Jahren alle nur auf Englisch gewesen“ (B19P 00: 01: 34-2). Ein Doktorand desselben Faches beschreibt die Notwendigkeit, Primärliteratur auf Englisch heranzuziehen, im Kontrast zu seinen Studienerfahrungen: „Im Studium war es noch anders. Da hat man noch viel für Klausuren oder so natürlich aus Lehrbüchern gelernt, aber jetzt für konkrete Fragestellungen zu meiner Doktorarbeit gibt es nichts auf Deutsch mehr, ne? “ (B21D 00: 06: 21-0). Während diese Aussagen eher deskriptiv angelegt sind, ist ein Teil der Nennungen in dieser Kategorie jedoch normativ zu ver- <?page no="234"?> 234 stehen, in dem Sinne, dass ‚gute‘ wissenschaftliche Literatur nur auf Englisch veröffentlicht werde: B: Wenn man es auf Deutsch macht, übersetzt man es höchstens vom Englischen wieder ins Deutsche. Aber eigentlich, nein, da läuft es eigentlich schon so, dass eine deutsche Veröffentlichung eigentlich eine Zweitverwertung ist. I: Aha. [Also man macht es erst auf Englisch.] B: [Ja, weil] einfach eben auch Zeitschriften so international sind einfach, zählt einfach auch viel mehr als eine nationale Konferenz oder eine nationale Zeitschrift. (M24PD 00: 08: 44-7) Also ich denke, eigentlich würde ich es von Linguisten auch erwarten, dass sie sich für andere Sprachen interessieren und damit auch jetzt Englisch lesen und schreiben können, ja. Also das ist natürlich eventuell in anderen Fächern nicht ... unbedingt. Oder vielleicht doch? Nee, Moment, wenn man Wissenschaftler werden will, dann muss man einfach wissen, dass die wichtigen Sachen, also die guten Sachen auf Englisch erscheinen. (L27PD 00: 48: 33-5) Im Zitat des Maschinenbau-Postdoktoranden (M24PD) wird die wahrgenommene ‚Zweitklassigkeit‘ bzw. Nachrangigkeit deutschsprachiger Veröffentlichungen thematisiert. In seiner Bewertung dessen, was als ‚gute‘ Literatur zählt, spielen somit auch karrierebzw. leistungsbezogene Faktoren hinein. Die befragte Germanistische Linguistin (L27PD) im zweiten Zitat beginnt ihre Argumentation mit einer fachbezogenen Unterstellung, nämlich dass Linguisten „sich für andere Sprachen interessieren“ sollten, schwenkt dann aber zur Logik um, dass „die guten Sachen“ generell auf Englisch erscheinen (L27PD). Die Äußerungen in dieser Kategorie bilden somit eine Hierarchisierung von englischbzw. deutschsprachiger Literatur ab, in der das Englische als Sprache der Fachliteratur mit Wissenschaftlichkeit gleichgesetzt wird und somit das Deutsche im besten Fall als zur „Zweitverwertung“ (M24PD) einsetzbar beschrieben wird. Eine weitere Begründung für die Wahl des Englischen als Publikationssprache ist TINA - there is no alternative (7 Nennungen - 2xB, 2xM, 2xL, 1xG). In den Interviewaussagen dieser Kategorie wird das Veröffentlichen auf Englisch, wie im folgenden Zitat, als alternativlos dargestellt: Meine Einstellung? Ja, ähm (4), ich sag’ mal, es ist ... es gibt ja keine Alternative. Also ich mein’, entweder man schreibt auf Englisch oder man schreibt gar nicht. [...] Es ist jetzt nicht so, dass ich total auf Englisch stehe oder so, aber es ist einfach die einzige Form der Kommunikation und damit muss dann halt jeder klarkommen. (B21D 00: 33: 24-8, Hervorh. FR) Der Biologie-Doktorand (B21D) akzeptiert die Dominanz des Englischen als Publikationssprache. Er gibt weiterhin zu verstehen, dass dies nicht aus Sympathie gegenüber dem Englischen geschehe („Es ist jetzt nicht so, dass ich total auf Englisch stehe“), sondern aus einer wahrgenommenen Notwendigkeit heraus. In der Gesamtansicht der Interviewantworten dieser Katego- <?page no="235"?> 235 rie wird deutlich, dass die Verbreitung des Englischen von den Befragten - wenn auch nicht euphorisch - akzeptiert und ihr eigener Handlungsspielraum in dieser Frage entweder komplett verneint oder als begrenzt angesehen wird. Dies manifestiert sich in Aussagen wie „es muss sein“ (G30PD 00: 45: 04-2), „es geht kein Weg dran vorbei“ (L32P 00: 26: 56-4) oder „von daher ist das alternativlos“ (B2PD 00: 51: 03-7). Die Antworten in dieser Kategorie zeigen darüber hinaus auf, dass eine häufig zugrundegelegte Annahme, nämlich dass die Forscher die Publikationssprache aus ‚freien Stücken‘ wählen (vgl. z.B. Hveem et al. 2006: 5; Ylönen 2013), problematisch sein kann. So argumentieren zumindest die Befragten, dass kein Entscheidungsraum für eine Sprachwahl bestünde, sondern diese durch institutionelle Zwänge oder den Konsens der Diskursgemeinschaft bereits determiniert sei (vgl. auch Peterson/ Shaw 2002: 368). Der Umstand, dass die Nutzung des Englischen von einigen Wissenschaftlern als alternativlos empfunden wird, weist zudem auf ein fortgeschrittenes Anglisierungsniveau im Arbeitsumfeld der jeweiligen Befragten hin. Ausschließlich Historiker führten die Begründung an, dass die Internationalität des Themas (5 Nennungen - 0xB, 0xM, 0xL, 5xG) einen Einfluss auf die Wahl der Publikationssprache hat: Ich habe relativ spät also die afrikanische Geschichte entdeckt, die ja, also wenn man anglophones Afrika bearbeitet, eben eigentlich fast ausschließlich aus englischen Texten besteht [...] und DAS war, also dieses Interesse an dem Fach, an der afrikanischen Geschichte, war dann irgendwie für mich ein Anlass also auch das zumindest lesen zu können. (G30PD 00: 02: 36-3) Also bei mir in meinem Bereich [...] erlebe ich, dass die Publikationspraxis sich da schon erheblich geändert hat, dass die Notwendigkeit in diesem Bereich von Geschichte auf Englisch zu schreiben so deutlich ist, weil die Themen international abgehandelt werden, es geht gar nicht anders. Also es gibt jetzt keine Themen, die man nur auf Deutsch schreiben kann, was bei Allgemeinhistorikern, also so allgemeine politische Geschichte, Kulturgeschichte, Wirtschaftsgeschichte und so keineswegs der Fall ist. (G22P 00: 40: 05-5) Aus diesen Aussagen könnte gefolgert werden, dass das Publizieren auf Englisch in der Geschichtswissenschaft noch kein Automatismus ist, sondern einer thematischen Begründung (wie z.B. die Geschichte des anglophonen Afrikas) bzw. der Teilnahme an einer überwiegend im anglophonen Ausland vertretenen Diskursgemeinschaft bedarf. Fünf von sechs Historikern im Korpus argumentieren somit aus einer gänzlich anderen Position heraus für Veröffentlichungen auf Englisch als dies bei anderen Fachvertretern der Fall ist, wo das Forschungsthema als Begründungsmuster keine Rolle spielt. Die von den Geschichtswissenschaftlern vorgebrachte Argumentation würde auch mit den unterschiedlichen Anglisierungsgraden der untersuchten Disziplinen übereinstimmen (vgl. Skudlik 1990: 213ff.): In der Geschichtswissenschaft als nationalsprachig geprägte Disziplin ist das Deutsche als Publikationssprache nach wie vor dominant; eine Fokussierung auf eng- <?page no="236"?> 236 lischsprachige Veröffentlichungen ist dementsprechend fallbzw. themenabhängig zu begründen und erstreckt sich nicht auf die gesamte Disziplin. Die Äußerungen weisen darüber hinaus auf eine anglophone Positionierung der Befragten innerhalb der Geschichtswissenschaft hin, die für gewöhnlich als überwiegend deutschsprachig porträtiert wird (vgl. z.B. das Zitat von G22P oben). Sprachwahlbegründungen, die auf bestimmte Eigenschaften einer Wissenschaftssprache abheben, also sprachinhärente Gründe (5 Nennungen - 2xB, 1xM, 1xL, 1xG), können ebenfalls im Korpus gefunden werden, sind allerdings in der Minderzahl. Hier soll zuerst die Aussage eines Biologen vorgestellt werden: Weil ich Englisch für eine gute Sprache halte, die Dinge viel, viel kürzer und präziser ausdrücken kann als auf jeden Fall Französisch und wahrscheinlich auch als Deutsch. Also wenn man einen englischen Abstract der deutschen Zusammenfassung gegenüberstellt [...] also es sind keine Zusammenhänge da drin, die nicht auch genauso aus dem englischen Text hervorgehen, der dann aber viel kürzer ist. (B18P 00: 41: 45-0) Der Befragte führt vermeintliche Vorzüge des Englischen, wie Kürze und Präzision, gegenüber dem Deutschen bzw. Französischen an. Zu hinterfragen wäre, inwiefern längere Abstracts oder Texte im Zeitalter online veröffentlichter Fachzeitschriften problematisch sind. Eine weitere Facette dieser Kategorie sind Urteile über die Einfachheit bzw. Schwierigkeit bestimmter Sprachen. So wird teilweise damit argumentiert, dass man mit dem Englischen eine gute internationale Wissenschaftssprache gewählt habe, die leicht zu erlernen sei (für weitere Aussagen zu diesem Thema siehe Kap. 5.2.5): Also Englisch ist ja jetzt auch halbwegs zugänglich für Jedermann. Also ich mein’, Russisch würde jetzt allen schwerer fallen oder so. (M25D 00: 18: 57-2) Diese Veröffentlichungen sind auf Englisch, weil die meisten Leute, egal ob man jetzt aus China ist, da hat man noch andere Zeichen sogar, es kann ja eigentlich jeder lesen. Darum geht es. Also, weiß nicht, ob sich das woanders hin entwickelt, dass vielleicht mal irgendwann alles auf Chinesisch ist. Aber ich denk’, der Aufwand ist da zu hoch, na gut, aus unserer Sicht, mit den normalen Buchstaben. (B21D 00: 45: 57-5) Hier offenbart sich eine problematische Annahme in der Argumentation der Doktoranden aus dem Maschinenbau und der Biologie: Das Englische sei eine gute Wahl als Wissenschaftssprache, da es für alle Diskursteilnehmer leicht zu erlernen bzw. zu lesen sei. Führt man sich die sprachtypologische und kulturelle Nähe des Deutschen und Englischen vor Augen, stellt dies in der Tat eine vergleichsweise günstige Ausgangsposition für Sprecher des Deutschen dar. Dies gilt jedoch nicht für alle Sprachen in gleichem Maße (vgl. Ammon 2012: 340), so z.B. für die in den Zitaten genannten Sprachen Russisch und Chinesisch. <?page no="237"?> 237 In die Kategorie Karriere / berufliche Mobilität (4 Nennungen - 0xB, 1xM, 2xL, 1xG) wurden codings eingeordnet, die die Sprachwahl Englisch in Verbindung mit dem Ziel einer Karriere thematisierten. Dazu gehört beispielsweise der Wunsch, später im englischsprachigen Ausland zu arbeiten (G26D, L31D) sowie die Notwendigkeit, für das berufliche Fortkommen in englischsprachigen Fachzeitschriften zu publizieren: Und bei uns ist es auch mittlerweile ein sehr großer Leistungsfaktor, das heißt, du musst halt auch für eine Promotion, der wissenschaftliche Mitarbeiter muss publizieren, der Professor, je mehr Veröffentlichungen er hat, desto mehr Mittel kriegt er oder sonst irgendwas, [...] eine internationale Zeitschrift zählt mehr als eine internationale Konferenz und noch viel mehr als eine nationale. (M24PD 00: 54: 08-7) Der befragte Postdoktorand aus dem Maschinenbau schildert eindrücklich den von ihm wahrgenommenen Zusammenhang englischsprachiger Publikationen und Karrierefortschritt bzw. Mittelzuweisung. Dass drei der vier Befragten in dieser Kategorie Doktoranden bzw. Doktorandinnen sind, spricht dafür, dass berufliche Ziele besonders für Nachwuchswissenschaftler einen gewichtigen Grund darstellen, auf Englisch zu publizieren. Dieser Umstand kann unter anderem über das Konzept der legitimen peripheren Partizipation (vgl. Lave/ Wenger 1991) erklärt werden, in dessen Rahmen Nachwuchswissenschaftler von der Peripherie in das Zentrum der Praxis- und Diskursgemeinschaft vorzurücken, indem sie die Praktiken erfahrenerer Wissenschaftler erlernen und anwenden. Da etablierte Mitglieder der meisten Wissenschaftsgemeinschaften auf Englisch publizieren können müssen, stellt diese Praxis für den wissenschaftlichen Nachwuchs also auch eine Art Beweis ihrer wissenschaftlichen Fähigkeiten dar. 102 Die Abwesenheit der Biologen in dieser Kategorie könnte zudem darauf hinweisen, dass die Verwendung des Englischen hier keine besonders karrierefördernde Wirkung mehr innehat, sondern bereits zur Norm geworden ist. Diese Funktion scheint bei den Biologen vielmehr der postdoc-Aufenthalt in einem englischsprachigen Land, möglichst den USA, zu übernehmen, wie von drei Interviewten an anderer Stelle dargelegt wird (siehe Kap. 4.1.3). Die beiden letzten Kategorien werden aufgrund der geringen quantitativen Ausprägung lediglich angerissen. Zwei Befragte gaben das Intervenieren in bestimmte Diskurse (2 Nennungen - 0xB, 0xM, 1xL, 1xG) als Begründung für das Publizieren auf Englisch an. So entschied sich ein Germanist (L3P), eine Rezension auf Englisch zu schreiben, um sie dem anglophonen Autor des Buches zugänglich zu machen. Zwei Doktoranden gaben weiterhin an, dass das Schreiben auf Englisch Neugierde wecke bzw. Spaß bereite (2 Nennungen - 0xB, 1xM, 0xL, 1xG). Sie sahen das Schreiben und Publizieren auf Englisch als persönliche Bereicherung, brachten allerdings auch 102 Siehe Kap. 6.2 für eine sozialisationsorientierte Diskussion der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. <?page no="238"?> 238 gute Voraussetzungen mit: Beide hatten bereits mindestens einen Aufenthalt im englischsprachigen Ausland absolviert und schätzten ihre Englischkenntnisse als überdurchschnittlich gut ein. Um den Umfang der Auswertung nicht weiter zu erhöhen, sollen die vier Einzelnennungen hier nicht vertiefend diskutiert, sondern lediglich der Vollständigkeit halber in paraphrasierter Form abgebildet werden: Interview Paraphrasierte Aussage B35PD Vorarbeiten sind bereits auf Englisch, daher sei es konsequent, weiter auf Englisch zu publizieren B35PD Europäische Fördertöpfe fordern englischsprachige Anträge L3P Wurde von Kollegen aufgefordert, auf Englisch zu publizieren G28P Übersetzungen sind zu teuer bzw. von minderer Qualität Tabelle 15: Paraphrasierte Einzelnennungen zu den Sprachwahlbegründungen für das Publizieren auf Englisch (n=4) Es kann im Hinblick auf die Sprachwahlbegründungen für das Publizieren auf Englisch festgehalten werden, dass die beiden mit Abstand am häufigsten genannten Motive sich auf den internationalen Austausch beziehen, wobei internationale Kommunikation und Kooperation als besonders wichtig eingeschätzt wurden. Die Befragten betonten aber auch den Umstand, dass diese Kommunikation nicht über individuelle Mehrsprachigkeit zu erreichen sei, sondern über das Etablieren einer Wissenschaftssprache - des Englischen. Einige Interviewte bewerteten die Anglisierung der Publikationslandschaft in ihrem Fach als derart fortgeschritten, dass sie die Alternativlosigkeit des Englischen hervorhoben. Sie sind der Meinung, sie hätten wenig oder keinen Handlungsspielraum bezüglich der Wahl einer Publikationssprache. In eine ähnliche Stoßrichtung gehen Argumentationen, die unterstreichen, dass die wissenschaftliche Literatur im Fach nur auf Englisch vorliege oder ‚gute‘ Fachliteratur generell auf Englisch verfasst werde. Die Begründungen hinsichtlich der internationalen Kommunikation und der dadurch implizierten wissenschaftlichen Einsprachigkeit wurden fächerübergreifend genannt, lediglich die Geschichtswissenschaftler im Korpus unterstreichen die besondere Internationalität ihrer Forschungsthemen. Dies spricht für eine Sonderstellung der Geschichte als Geisteswissenschaft: Während die befragten Biologen möglicherweise implizit davon ausgehen, dass die bearbeiteten Themen ohnehin international von Interesse sind, ist die Geschichtswissenschaft stärker im nationalsprachlich geprägten Diskurs verankert, dessen ‚Aufbrechen‘ einer expliziten Begründung bedarf. Erwartbar wären mehr Aussagen gewesen, die eine angestrebte wissenschaftliche Karriere bzw. Mobilität als Grund für das Publizieren in englischer Sprache anführen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass das Publizieren auf Englisch als Minimalbedingung einer wissenschaftlichen Laufbahn bereits zur Normalität geworden ist, sodass dieses Argument hauptsächlich von Nach- <?page no="239"?> 239 wuchswissenschaftlern genannt wird. Im nächsten Abschnitt werden nun die Begründungen für die Wahl des Deutschen als Publikationssprache vorgestellt. 5.2.2.2 Für das Publizieren in deutscher Sprache Trotz des geringen quantitativen Umfangs des Datenmaterials sind die Begründungen der Befragten, auf Deutsch zu publizieren, für ein besseres Verständnis der Sprachenwahl insgesamt aufschlussreich, indem sie die Aussagen der Interviewten zum Englischen ergänzen. Eine Übersicht der genannten Sprachwahlbegründungen findet sich in Abbildung 21: Abbildung 21: Sprachwahlbegründungen für das Deutsche als Publikationssprache (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Als wichtiges fachspezifisches Ergebnis kann bereits vor der Diskussion der einzelnen Datenpunkte festgestellt werden, dass die Biologen als einzige Fächergruppe keinerlei wissenschaftliche Literatur auf Deutsch veröffentlichen und somit nichts über ihre diesbezüglichen Motivationen und Begründungen mitteilen konnten. Die erste Kategorie, andere Qualität längerer Werke (4 Nennungen - 0x Biologie, 1x Maschinenbau, 2x Germanistische Linguistik, 1x Geschichte), beinhaltet Aussagen, die beschreiben, dass die für wissenschaftliche Artikel zutreffenden Eigenschaften nicht notwendigerweise auch für umfangreichere Werke gelten. Im Einzelnen sind damit Monographien und Herausgeberschaften gemeint, für die beispielsweise die Kosten der Durchsicht durch einen Muttersprachler des Englischen deutlich höher ausfallen als für kürzere Aufsätze (G30P). Aber auch zeitlich wird ein Unterschied zwischen dem Schreiben kürzerer und umfangreicherer Werke festgestellt, was eine deutschsprachige Publikation vorteilhafter erscheinen lässt (L3P). Zusätzlich kann mangelnde sprachliche Variation bei längeren Werken für eine Veröffentlichung auf Deutsch ausschlaggebend sein (M23P): „Ein kurzes Paper zu schreiben ist relativ einfach, [...] eine Dissertation auf Englisch zu schreiben 6 2 3 3 4 0 5 Andere Qualität längerer Werke Schutzraum-Funktion des deutschen Diskurses Karriere Thema national relevant Einzelnennungen / nicht zuordenbar Anzahl Nennungen (n = 18) <?page no="240"?> 240 ist sehr, sehr schwierig, weil man dann irgendwie nach der zehnten Seite merkt: ‚Oh Gott, ich schreib’ ja immer das Gleiche‘“ (00: 29: 30-7). Ein weiterer Faktor, der den Zeit- und Arbeitsaufwand für das englischsprachige Publizieren erhöhen kann, ist die Korrektur der eingesendeten Beiträge. Eine Germanistische Linguistin (L27PD) argumentiert für die Benutzung des Deutschen in umfangreichen Sammelbänden, da dies für sie als Herausgeberin arbeitsökonomischer sei: In dem Sammelband die Beiträge werden hauptsächlich deutsche sein und dann war so eine Sache, dass ich dachte: „Oh Gott, ich möchte nicht [...] 400 Seiten Englisch von Deutschen korrigieren müssen als Herausgeber“. Also das war so meine Hauptsache, das kostet mich zu viel Zeit und Nerven. (L27PD 00: 35: 06-3) Die Äußerungen der zitierten Befragten legen das Bild des Deutschen als der besser beherrschten Wissenschaftssprache nahe, in der stilistische Variation, herausgeberische Effizienz etc. auch für umfangreichere Werke eher gewährleistet werden können als dies für das Englische der Fall ist. In der Kategorie Schutzraum-Funktion des deutschen Diskurses (3 Nennungen - 0xB, 2xM, 1xL, 0xG) wird das Deutsche als Einstiegsmedium in die Wissenschaft, aber auch als Zwischenschritt hin zu internationalen Veröffentlichungen beschrieben. Es erfüllt für die Befragten somit einerseits die Funktion eines geschützten Raumes, denn es erlaubt wissenschaftlichen Einsteigern die Veröffentlichung „im kleinen Kreis“ und entlastet sie dadurch vom Druck, ihre Ergebnisse gegenüber einer internationalen Diskursgemeinschaft ‚verteidigen‘ zu müssen. Beispielsweise, so erklärt ein Maschinenbau-Postdoktorand, wird auf einigen einschlägigen Konferenzen „auch mal was auf Deutsch gemacht, find’ ich eigentlich sehr gut, weil man da auch einen guten Einstieg hat, erst mal im kleinen Kreis, wenn man jetzt vielleicht noch nicht so gut Englisch kann oder man diskutiert da auch viel entspannter“ (M24PD 00: 54: 08-7). 103 Das Publizieren auf Deutsch wird als positiv bewertet, da es dem Befragten (oder anderen Nachwuchswissenschaftlern) erlaubt, ohne die Einschränkungen, die das fremdsprachliche Sprechen und Schreiben mit sich bringt, in einer eher lokal ausgerichteten Diskursgemeinschaft zu interagieren. Andererseits stellt diese Verwendung des Deutschen eine Art ‚Sprungbrett‘ hin zu englischsprachigen Veröffentlichungen dar: Das war meine erste Veröffentlichung, das war eine nationale deutsche Sache. So ein kleineres Ding, was eine schöne, ganz tolle Sache war, wo man als junger Doktorand anfangen kann, mal so Veröffentlichungen zu schreiben und seine ersten Sachen einem kleinem Publikum zu publizieren. Und das 103 Der Befragte beschreibt zwar die Verwendung des Deuschen auf Konferenzen, häufig schließt sich bei einer deutschsprachigen Konferenz jedoch ebenfalls eine schriftliche Ausarbeitung in deutscher Sprache an. <?page no="241"?> 241 habe ich gemacht, es hat funktioniert. Und danach, mit mehr Material, bin ich dann auf die internationale Ebene gegangen. (M36D 00: 10: 47-2) Von der Möglichkeit, sich Feedback von der ‚national‘ ausgerichteten Diskursgemeinschaft einzuholen, um anschließend eine englischsprachige Veröffentlichung anzustreben, macht auch ein Befragter außerhalb des disziplinspezifischen Korpus Gebrauch. 104 Eine mögliche Folge dieses Verwendungsmusters ist, dass das Deutsche zur ‚Ausbildungssprache‘ reduziert und abgelegt wird, sobald englischsprachige Veröffentlichungen zur Routine geworden sind. Die Zitate zeigen jedoch gleichzeitig eine wichtige Funktion (sprachlich) parallel existierender Diskurse (und Diskursgemeinschaften) auf: Sie erlauben häufig verschiedene Sichtweisen und Rückmeldungen zur eigenen Arbeit und können wie im Beispiel als ‚Katalysator‘ wissenschaftlicher Ideen und Publikationen wirken. Während das Englische in der wissenschaftlichen Literatur häufig mit Karrieremöglichkeiten oder -notwendigkeiten assoziiert wird (vgl. z.B. Ammon 2012: 342), ist dies im Umkehrschluss für das Deutsche als Veröffentlichungssprache weniger offensichtlich. Umso interessanter sind die Nennungen aus der Germanistischen Linguistik in der Kategorie Karriere (3 Nennungen - 0xB, 0xM, 3xL, 0xG): Es gibt durchaus eine Gruppe von Nachwuchswissenschaftlern, die halt in so einem internationalen Umfeld sind, die orientieren sich sehr stark an Stanford, an Amherst, am MIT und sollen sie auch, das sind ja wirklich, also wenn man Champions League spielen möchte, dann sind das natürlich auch die Fixpunkte, an denen man sich orientieren sollte. Man sollte aber auch nicht ganz vergessen, dass die eine oder andere Stelle nachher durchaus in der Germanistik vergeben wird. Da ist es sicher nicht schlecht, wenn man auch mal ein, zwei schöne Publikationen auf Deutsch hat und zeigen kann, man nimmt Deutsch als Wissenschaftssprache ernst, man hat auch nach wie vor auch die Fähigkeiten, wissenschaftliche Sachverhalte auf Deutsch rüberzubringen. (L32P 00: 55: 32-8) Also früher, vor allen Dingen als ich im Ausland war, da war es klar, man schreibt gute Artikel nur auf Englisch, denn sonst werden sie nicht gelesen. Und im Augenblick denk’ ich, verdammt, wenn ich eine Professur hier in Deutschland will, vielleicht sollte ich doch ab und zu einen deutschsprachigen Artikel schreiben, damit die Leute ihn lesen können - weil ja auch viele (2) Linguisten, Germanisten lesen nicht gerne Englisch - damit mir da nicht nachher irgendwelche Arroganz, Überheblichkeit vorgeworfen wird. (L27PD 00: 33: 06-7) 104 Dort beschreibt ein Politologe (8P Politik) seine zweisprachige Publikationspraxis, die von einer deutschen Präsentation zu einer deutschen Veröffentlichung und anschließend über eine englische Präsentation zu einer englischen Publikation führt (vgl. Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe 2015b). <?page no="242"?> 242 Der Befragte L32P hält Nachwuchswissenschaftler trotz ihrer internationalen bzw. US-Karrieren dazu an, auf Deutsch zu publizieren, da die Auswahl wissenschaftlichen Personals in der Germanistik auch über deutschsprachige Veröffentlichungen funktioniere. Die befragte Germanistin (L27PD) scheint zu einer ähnlichen Erkenntnis gelangt zu sein, wenn auch aufgrund anderer Annahmen (Sorge, als überheblich wahrgenommen zu werden; Englisch werde nicht gerne von Germanisten gelesen), was zu einer Reflexion über ihre bisherige Publikationspraxis geführt hat. Die Beispiele illustrieren eindrücklich die institutionelle Einbettung diverser fachlicher Ausrichtungen, wie der Allgemeinen Linguistik (zu der L32P sich zählt) oder der Psycholinguistik (zu der L27PD sich zählt), im Rahmen der Germanistik und die damit einhergehenden sprachlichen Anforderungen, wie die Verwendung des Deutschen als Publikationssprache. Sie werfen ebenfalls die Frage auf, welche Möglichkeiten (Fach-)Institutionen haben, die Nutzung des Deutschen als Publikationssprache über Sprachanforderungen zu steuern. In der Germanistischen Linguistik liegt die Beherrschung des Deutschen als Wissenschaftssprache für viele Befragte auf der Hand, denn die Verwendung des Deutschen als Forschungs- und Lehrsprache ist stark verankert im fachlichen Selbstverständnis: (Mit Bezug auf die Lehre: ) „Wir sind ja Germanisten, wir sprechen nur Deutsch“ (L3P 00: 01: 35-6) (Mit Bezug auf englische Publikationen, ironisierend: ) „Als Germanist schreibt man auf Deutsch, was denkt denn die nur, auf Englisch zu schreiben“ (L27P 00: 33: 06-7) „Wir sind ja noch in der Germanistik und bei uns ist natürlich Deutsch auch eine wichtige Wissenschaftssprache“ (L32P 00: 28: 47-9) Institutionelle Sprachanforderungen spielen auch in anderen Fächern, wie dem Maschinenbau, eine Rolle, wenn beispielsweise öffentliche Auftraggeber deutschsprachige Berichte erwarten und so einen Anreiz setzen, das Deutsche als Wissenschaftssprache zu verwenden. Zwei Interviewte begründen ihre Sprachwahl damit, dass ihr Thema national relevant (2 Nennungen - 0xB, 0xM, 1xL, 1xG) sei. Sie argumentieren unter anderem dafür, dass bestimmte Themen ein größeres Interesse bei deutschen Lesern auslöse oder es sprachlich ökonomischer sei, auf Deutsch zu schreiben, da keine Begriffe übertragen werden müssen: Und dann gibt es natürlich so [...] ganz deutsche Themen, was weiß ich was, Deutsch als Zweitsprache oder so, wo man wirklich denkt, dass man vielleicht die besser auf Deutsch schreiben kann, weil man alle möglichen kulturspezifischen Ausdrücke nicht extra erklären muss. Ja, weiß ich was ‚sprachlicher Ergänzungsunterricht‘ oder solche Sachen, ja. Und wo man einfach das Gefühl hat, dass die interessierte Leserschaft auf Deutsch, dass da mehr ist. (L27PD 00: 33: 06-7) <?page no="243"?> 243 Die Adressatenorientierung spielt hier also bei der Wahl der Publikationssprache eine Rolle. Dieselbe Wissenschaftlerin gibt weiterhin zu verstehen, dass sie allgemeingültig wahrgenommene (in diesem Fall psycholinguistische) Ergebnisse auf Englisch veröffentlicht, lokale bzw. auf einen Schulkontext bezogene Texte jedoch auf Deutsch (L27PD 00: 52: 35-9). Die folgenden Einzelnennungen (n=6) kamen jeweils nur einmal im Korpus vor und können daher nicht in einer gesonderten Kategorie beschrieben werden. Sie werden in Tabelle 16 umschrieben: Interview Paraphrasierte Aussage M14P Die Benutzung des Deutschen hat „Tradition“ L3P Studierende wollen Deutsch lesen L27PD Wenn es zu einem Thema noch keine Publikationen auf Deutsch gibt - Publikationslücke G22P Widerstand gegen Anglisierung G22P Andere sprachliche Qualität deutscher Texte / Pflegen deutscher Wissenschaftskultur G22P Vorarbeiten existieren auf Deutsch Tabelle 16: Paraphrasierte Einzelnennungen zu den Sprachwahlbegründungen für das Publizieren auf Deutsch (n=6) Es hätte erwartet werden können, dass Argumente wie der bewusste Erhalt des Deutschen (oder anders formuliert der bewusste Widerstand gegen die Anglisierung der Wissenschaften, G22P) häufiger in den Interviews thematisiert werden. Es sollte jedoch bedacht werden, dass die Auswahl der Befragten, der Fachkulturen und der primäre Fokus auf die englische Sprache in der Untersuchung zur weitgehenden Abwesenheit dieser Argumente beigetragen haben könnten. Zu den Sprachwahlbegründungen für das Deutsche kann zusammenfassend festgehalten werden, dass finanzielle, kompetenzorientierte und zeitökonomische Gesichtspunkte sowie Karriereüberlegungen eine Rolle bei der Nutzung des Deutschen als Publikationssprache spielen. Auch eine nationale Adressatenorientierung und die Möglichkeit, den Schreibprozess vorerst frei von fremdsprachenbezogenen Bedenken zu bewerkstelligen, werden als Beweggründe angeführt, das Deutsche als Publikationssprache zu verwenden. Im nächsten Abschnitt werden die Sprachwahlentscheidungen der Nachwuchswissenschaftler im Korpus im Hinblick auf die Textsorte Dissertation vorgestellt. Da es sich nur um wenige Fälle handelt - jeweils zwei Befragte der vier Fächer im Korpus sind Doktoranden und Doktorandinnen - wird die Auswertung nicht nach der gewählten Publikationssprache differenziert. <?page no="244"?> 244 5.2.2.3 Für Dissertationen Die Sprachwahlbegründungen der Promovenden werden überblicksartig in der untenstehenden Tabelle abgebildet: Interview anvisierte Sprache der Dissertation Begründung M25D Überlegung, auf Englisch zu schreiben Mehr Leser bei Veröffentlichung auf Englisch M36D Überlegung, auf Englisch zu schreiben (Pro: ) mehr Leser; Karriere; Wiederverwendung von Textbausteinen (Contra: ) Doktorvater empfiehlt deutschsprachige Dissertation L31D Englisch Keine Begründung L33D Deutsch Keine Begründung G16PD 105 Englisch Institution wünschte englischsprachige Dissertationen G26D Deutsch Wunsch zu Englisch zu wechseln, es wurde aber bereits zu viel auf Deutsch geschrieben G29D Überlegung, auf Englisch zu schreiben (Pro: ) mehr Leser auf Englisch; Karriere (Contra: ) hohe sprachliche Ansprüche des Prüfers; Kosten der Sprachprüfung Tabelle 17: (Voraussichtliche) Publikationssprache der Dissertation sowie Überlegungen zur Sprachwahl (n=7) Die beiden Doktoranden der Biologie (B20D, B21D) fehlen in der Übersicht, da das Thema in den Interviews nicht angesprochen wurde. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie ihre Dissertationen auf Englisch schreiben und publizieren werden, denn das in der Biologie inzwischen verbreitete kumulative Promotionsverfahren, bei dem mehrere journal-Veröffentlichungen zu einer Dissertation zusammengestellt werden, impliziert die Wahl des Englischen als Publikationssprache. 106 Besonders die Interviews mit den drei Doktoranden, die sich zum Interviewzeitpunkt noch nicht für eine Publikationssprache entschieden hatten (d.h. G29D, M25D, M36D), können darüber Aufschluss geben, welche Überlegungen auf Seiten der Nachwuchswissenschaftler in die Wahl einer Publi- 105 Bei der Geschichtswissenschaftlerin G16PD handelt es sich bereits um eine Postdoktorandin. Sie berichtet im Interview jedoch über ihre noch nicht zu weit zurückliegende Promotion und die damit zusammenhängenden Sprachwahlentscheidungen und wurde deshalb in die Übersicht aufgenommen. 106 Die Tendenz, bereits zu Beginn der wissenschaftlichen Laufbahn in Fachzeitschriften zu veröffentlichen, wird nicht von allen Wissenschaftlern gutgeheißen. So befürchtet Hyland (2012: 38), dass die Last der ‚Ausbildung‘ des wissenschaftlichen Nachwuchses auf die ehrenamtlichen Gutachter der Fachzeitschriften übertragen wird und das System des peer review zudem durch die stetige Zunahme an Einsendungen überlastet werden könnte. <?page no="245"?> 245 kationssprache eingehen: In erster Linie soll die Arbeit mehr Lesern zugänglich gemacht werden, also durch die Wahl des Englischen internationale Sichtbarkeit erlangen (G29D, M25D, M36D). Von zwei Doktoranden wurde aber auch das Ziel einer wissenschaftlichen Karriere als Begründung genannt (G29D, M36D), was die oben aufgestellte Vermutung, dass berufliche Gründe besonders für den wissenschaftlichen Nachwuchs eine Rolle spielen, untermauert. Ein Doktorand der Geschichte äußerte im Interview zwar den Wunsch, seine Dissertation auf Englisch zu schreiben, zögerte aber, weil er glaubte, bereits zu viel Text auf Deutsch geschrieben zu haben, um einen solchen Schritt zu wagen (G26D). Hier hat also ein Umdenken im Verlauf der Promotionsphase stattgefunden. Ein weiterer interessanter Fall ist der Maschinenbauer M36D, der seine Dissertation gerne auf Englisch verfassen möchte, dessen Betreuer jedoch von dieser Sprachwahl mit der Begründung abrät, die Schreibschwierigkeit sei zu hoch. Der Befragte fühlt sich jedoch kompetent genug, diese Aufgabe zu meistern. Ein weiterer Grund, den er für die Wahl des Englischen angibt, ist die Möglichkeit, Textbausteine aus der englischsprachigen Dissertation im Anschluss an die Promotion beim Schreiben von Fachartikeln wiederverwenden zu können. Bei einer deutschsprachigen Dissertation wären hier zusätzliche Übersetzungsarbeiten nötig. Es fällt auf, dass die Doktoranden teilweise ähnliche Begründungen für die Veröffentlichung der Dissertation in englischer Sprache anführen, wie die bereits zuvor zitierten, erfahreneren Kollegen. Es geht in erster Linie um den Wunsch, einen (potenziell) größeren Leserkreis zu erschließen. Spezifisch für die Doktoranden ist die Begründung, mit der Wahl des Englischen eine Grundlage für eine wissenschaftliche Laufbahn zu legen. Es wird also eine deutliche Ausrichtung auf die Zeit nach der Promotion erkennbar sowie die Verschränkung der Ziele der internationalen Rezeption und der Förderung der wissenschaftlichen Laufbahn durch eine Veröffentlichung in englischer Sprache. 5.2.2.4 Für die universitäre Lehre Forschung und Lehre bilden nicht nur idealtypisch im Sinne des Humboldt’schen Bildungsideals eine Einheit, denn Forschende sind in der Regel auch Lehrende, ihre Einstellungen zum Englischen und Deutschen können jedoch in beiden Kontexten variieren. Die Sprachwahlbegründungen der Befragten zum Themengebiet Lehre tragen folglich dazu bei, die bisherigen Ergebnisse zum Publizieren zu komplementieren, zu erweitern und anhand einer angrenzenden Domäne zu kontrastieren. 107 Wie Abbildung 22 zu ent- 107 Die Interviewdaten zum Thema Lehre stammen unter anderem aus den Leitfragen „Wie wirkt sich das Englische auf die Studierenden aus? “ und „Welche Sprachen verwenden Sie in Ihrem Institut, also z.B. in der Lehre oder im Labor? “, in deren Rahmen bedarfsweise mehrere Nachfragen (prompts) gestellt wurden. <?page no="246"?> 246 nehmen ist, wurden nur wenige Aussagen gefunden, die die Wahl des Englischen in der Lehre begründen: Abbildung 22: Begründungen der Interviewten zum Thema Lehre bzw. Lehrtexte auf Englisch (Datengrundlage: 24 Interviews) Die geringe Fallzahl hängt auch damit zusammen, dass viele Befragte ihre Lehre weitestgehend deutschsprachig durchführen, wenn man von der Verwendung englischer Texte absieht, die in allen hier untersuchten Fächern zum Einsatz kommen. Ferner wurden nur solche Interviewstellen berücksichtigt, in denen sich auch eine Begründung für die vorgetragene Meinung entnehmen ließ. In die Kategorie englischsprachige Texte sind besser geeignet / wissenschaftsnäher (4 Nennungen - 1x Biologie, 0x Maschinenbau, 1x Germanistische Linguistik, 2x Geschichte) wurden Aussagen eingeordnet, in denen Befragte zum Ausdruck brachten, dass englischsprachige Texte als wissenschaftlicher wahrgenommenen werden. Vorab kann festgestellt werden, dass die Ausrichtung auf englischsprachige Texte in der Lehre nicht notwendigerweise zu englischsprachigem Unterricht führt. So gaben die vier hier vertretenen Wissenschaftler an, dass der Unterricht in Seminaren sowie die Präsentationen und Hausarbeiten der Studierenden in deutscher Sprache abgehalten bzw. verfasst werden. Die folgenden Zitate verdeutlichen die verschiedenen Argumentationslinien der Befragten: Also wenn man sich in der Naturwissenschaft bewegt und will sagen, OK, sag’ mir doch mal die neuesten Erkenntnisse zur Schweinegrippe, dann gibt es da irgendein Statement, was weiß ich, von ‚Focus‘ und ‚Stern‘ oder was, ja. Aber das wird den Ansprüchen nicht gerecht, die die Studenten da präsentieren sollen, sondern die müssen halt wirklich Wissenschaft da zeigen, also muss man in die Primärliteratur, und das ist dann halt auf Englisch. (B2PD 00: 47: 23-5) Ich mache [den Studierenden] eigentlich klar, dass sie sozusagen an der Universität sind und dass sie Wissenschaft irgendwie, also wissenschaftlich arbeiten sollen und wissenschaftlich arbeiten heißt, sich international sichtbar zu machen und sich international sichtbar zu machen heißt, auf einer Sprache zu publizieren, die alle Leute verstehen und deswegen [sind] sozusagen englische Texte gang und gäbe. (L31D 00: 55: 17-9) 4 3 0 5 Englischsprachige Texte sind besser geeignet / wissenschaftsnäher Internationalisierung n = 7 <?page no="247"?> 247 Beiden Aussagen kann entnommen werden, dass Wissenschaftlichkeit in der Lehre nur über englischsprachige Texte zu erreichen sei. Während dies im Fall des Biologen B2PD durchaus daran liegen könnte, dass keine wissenschaftliche Literatur im engeren Sinne mehr auf Deutsch vorliegt, hat es den Anschein, als würde die befragte Germanistische Linguistin (L31D) ein für sie persönlich relevantes Begründungsmuster für das Publizieren in englischer Sprache auf die Lehre übertragen. Sie erläutert, dass „wissenschaftlich arbeiten“ bedeute, „international sichtbar“ zu sein. Offen bleibt jedoch, inwiefern dies für die Studierenden relevant ist, von denen ein Großteil womöglich keine wissenschaftliche Karriere anstrebt. Es wäre daher möglich, dass die Befragte zu stark aus der Position einer Forscherin denkt und andere (Aus-)Bildungsziele des Studiengangs der Verwendung englischer Texte unterordnet. Hier werden somit Eigenansprüche auf die Studierenden projiziert. 108 Beide Befragte aus der Geschichtswissenschaft (G30PD, G16PD) betonen hingegen die bessere thematische Passung englischsprachiger Texte, wie dies für die Historiker bereits in den Sprachwahlbegründungen für das Publizieren auf Englisch festgestellt wurde. So lägen beispielsweise nur wenige deutschsprachige Texte zur Geschichte Südafrikas vor (die dann auch Verwendung finden), sodass hier auf englische Texte in den Seminaren zurückgegriffen werde (G16PD). Dies ist ein Unterschied zum Fall des Biologen (B2PD), wo prinzipiell alle Themen ab einem bestimmten Studienniveau auf Englisch behandelt werden, da wissenschaftliche Primärliteratur generell auf Englisch vorliegt. Diese Begründung ähnelt wiederum dem obigen Argument, dass es keine Alternative gebe, wissenschaftliche Literatur auf Englisch zu veröffentlichen. In der zweiten Kategorie, Internationalisierung (3 Nennungen - 1xB, 1xM, 1xL, 0xG), bezieht sich einer der Interviewten (L32P) auf den Wunsch, einen international orientierten Linguistik-Masterstudiengang einzurichten. Ziel sei es „internationale Studierende hierher zu locken“ (00: 39: 02-3), was der Befragte in Anbetracht international abnehmender Deutschkenntnisse am ehesten über das Englische als Lehrsprache für realisierbar hält. Ein anderer Wissenschaftler (M23P) beklagt, dass das Deutsche als Lehrsprache zum Scheitern internationaler Austauschprogramme beitrüge und sieht in der Verwendung des Englischen in der Lehre die Möglichkeit, dem entgegenzuwirken: „Man hat das Problem bei Austauschprogrammen immer: Die Deutschen können irgendwo hingehen. Da sind dann die Vorlesungen auf Englisch, von da kann aber keiner kommen, weil die Leute in der Regel kein Deutsch können“ (M23P 00: 04: 14-1). Ein Biologe (B18P) möchte schließlich durch englischsprachige Lehre „ab einem bestimmten Semester sozusagen den Studierenden mehr Internationalität vermitteln und denen die Möglich- 108 An anderer Stelle findet sich ein weiteres einschlägiges Zitat eines Biologieprofessors, der Laborpraktika auf Englisch abhalten lässt, da „viele Studierende einfach nicht mit der harten Realität des englischsprachigen Forscherlebens sozusagen genug meines Erachtens in Kontakt kommen“ (B18P 00: 04: 04-9)(siehe Kap. 5.1.7). <?page no="248"?> 248 keit geben, sich eben auf so einer internationalen Bühne auch zu behaupten“ (00: 55: 26-8). Die Motivation der drei Wissenschaftler für mehr Englisch in der Lehre besteht demnach darin, die Studierenden auf internationale Kooperationen/ Interaktionen vorzubereiten (B18P) und den potenziellen Kreis internationaler Studierender an der eigenen Hochschule zu erhöhen (M23P, L32P). Auf Grundlage der wenigen Begründungen kann festgestellt werden, dass einige Befragte die Lehre ebenfalls als prinzipiell internationales Vorhaben einschätzen und daher universitäre Austausche, Lehrtexte und Lehrsprache diesem Internationalisierungstrend folgen sollen. Es ist zu vermuten, dass einige Befragte ihre sprachlichen (Eigen-)Erwartungen als Berufswissenschaftler - bewusst oder unbewusst - auf die Studierenden übertragen und so einer möglicherweise dysfunktionalen Anglisierung der Lehre Vorschub leisten könnten. Mit den Worten eines Germanistikprofessors (L3P) ließe sich daher beispielsweise fragen: „Wir müssen natürlich auch sehen, dass wir sehr viele Grundschullehrer ausbilden und da kann man sich fragen: Müssen die so gut Englisch können? “ (00: 40: 33-2). Für das Deutsche Begründungen für die Verwendung des Deutschen als Lehrsprache wurden häufiger im Korpus gefunden als für das Englische (n=17 verglichen mit n=7). Dies könnte unter anderem damit zusammenhängen, dass einige der Befragten in den Interviews bekräftigen, dass eine - zumindest grundständige - deutschsprachige Lehre auch dann erhalten bleiben sollte, wenn ein Großteil der wissenschaftlichen Literatur auf Englisch publiziert wird. Eine Übersicht der thematischen Kategorisierung ist der folgenden Abbildung zu entnehmen: Abbildung 23: Begründungen der Interviewten zum Thema Lehre bzw. Lehrtexte auf Deutsch (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Die erste Kategorie enthält Aussagen von Biologen und Maschinenbauern, die schildern, dass der fachliche Anspruch zu hoch bzw. die Sprachkompetenz der Studierenden zu niedrig (5 Nennungen - 2xB, 3xM, 0xL, 0xG) sei, 5 2 2 8 0 5 Fachlicher Anspruch zu hoch bzw. Sprachkompetenz zu niedrig Studierende sind dagegen Verwendung des Englischen in der Lehre ist ‚künstlich‘ Einzelnennungen / nicht zuordenbar Anzahl Nennungen (n = 17) <?page no="249"?> 249 um die Lehre in der Fremdsprache Englisch zu bewältigen. Die erstere Perspektive findet sich dabei vor allen bei Nachwuchswissenschaftlern, die ihre Studienzeit noch gut in Erinnerung haben und sich darauf in ihren Narrationen beziehen: Also eigentlich find’ ich, dass man schon genug mit den Grundlagen zu kämpfen hat und sich vielleicht nicht noch unbedingt mit dem Englischen an der Stelle rumschlagen sollte. (M25D 00: 37: 00-3) Also aus meiner Sicht ist es so, dass das Studium schon relativ anspruchsvoll ist in Bereichen, nicht in allen. [...] Und wenn man dann noch zu früh mit Fremdsprachen die Studenten noch weiter überfordert, ist das, glaub’ ich, nicht von Vorteil. Es gab bei uns auch im Bachelor schon einen Professor, der schon ab dem ersten Semester nur auf Englisch Vorlesung gehalten hat und die Reaktion war einfach, dass seine Vorlesung ziemlich leer war und die Leute halt gesagt haben „Okay, ich lese es im Buch nach“ und ... die deutschen [Vorlesungen] halt mehr oder weniger voll waren. (B21D 00: 51: 47-5) In den Aussagen der beiden Doktoranden wird auf die wahrgenommene Doppelbelastung des gleichzeitigen Erwerbs von Inhalt und Fremdsprache hingewiesen. Um eine Überlastung zu vermeiden, sehen es die Befragten als sinnvoller an, zumindest in den grundständigen Studiengängen weiterhin das Deutsche zu verwenden. Zwei weitere Nennungen beziehen sich auf die zweite Perspektive, nämlich, dass die Studierenden keine ausreichenden Sprachkenntnisse auf Englisch mitbrächten, um der Lehre auf Englisch folgen zu können (M23P, M24PD). So unterstreicht der Maschinenbauer M24PD, dass (Fremd-)Sprachenkompetenz und wissenschaftlicher Lernerfolg Hand in Hand gehen, denn „gerade im wissenschaftlichen Bereich ist es wichtig, dass man sich gut ausdrücken kann“ (M24PD 01: 21: 33-7). Diese Voraussetzung sieht er bei den meisten Studierenden als nicht gegeben an. Die Aussagen der beiden Doktoranden in der obigen Kategorie legen nahe, dass der Beibehalt des Deutschen, besonders in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern, wohl auch mit der überwiegend ablehnenden Einstellung der Studierenden gegenüber englischsprachigen Vorlesungen zu tun haben könnte (siehe auch Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe 2015c: 30-32). Dieser Aspekt steht in den Aussagen der nächsten Kategorie, Studierende sind dagegen (2 Nennungen - 1xB, 0xM, 0xL, 1xG), im Vordergrund: Es ist schwer genug, den oft sehr komplexen Inhalt, deutschen Inhalt zu begreifen. Wenn man dann noch das in einer anderen Sprache bekommt, das ist [den Studierenden] zu viel gewesen. Deswegen haben wir Professoren dann wieder zurückgesteckt und unsere Vorlesungen, die wir für Diplomer auf Englisch hatten, wieder für Bachelor und Master auf Deutsch gehalten. Wobei wir jetzt ab und zu mal einen … Ausfall machen in Richtung Englisch. (B19P 00: 44: 57-2) Der Biologieprofessor beschreibt die Zunahme deutschsprachiger Lehrveranstaltungen, die durch die Neuordnung der Studiengänge aus Sicht der <?page no="250"?> 250 Studierenden nötig wurde, und zeigt scheinbar Verständnis für deren ablehnende Einstellung hinsichtlich des Unterrichts auf Englisch. Dennoch sieht er diese Entscheidung als ein kollektives „Zurückstecken“ auf Seiten der Lehrenden an und hält sich die Option offen, englischsprachigen Unterricht punktuell wieder einzuführen, um sich so an eine verstärkte englischsprachige Lehre ‚heranzutasten‘. Charakteristisch für das Konfliktpotenzial zwischen Studierenden und Lehrenden ist zudem der militärisch anmutende Ausdruck „einen Ausfall machen“, der einen Ausbruchsversuch aus einer feindlichen Umklammerung beschreibt. 109 Ein weiteres Beispiel für die wahrgenommene Rolle der Studierenden als ‚Bremse‘ der Anglisierung in der Lehre findet sich in der Geschichtswissenschaft. Die Versuche eines Geschichtsprofessors, auf Englisch zu unterrichten, seien gescheitert, da „dieses Angebot nicht gut angenommen worden ist hier von der Studierenden. Und dann ist das auch wieder eingeschlafen“ (G28P 00: 05: 14-7). Die Verwendung des Englischen in der Lehre schließt für einige Interviewte auch Fragen der Authentizität ein, wie die Äußerungen in der Kategorie Verwendung des Englischen in der Lehre ist ‚künstlich‘ (2 Nennungen - 1xB, 0xM, 0xL, 1xG) zeigen. Sie beziehen sich auf eine Lehrsituation, in der (fast) ausschließlich Muttersprachler des Deutschen interagieren, wodurch eine Lehre auf Englisch als „eine unheimlich künstliche Angelegenheit“ (G28P 00: 38: 48-9) empfunden wird. Die beiden Befragten bevorzugen es, Englisch in Lingua franca-Situationen in solchen Momenten einzusetzen, in denen keine ‚echte‘ kommunikative Notwendigkeit für die Verwendung des Englischen gegeben ist (eine detaillierte Auswertung zum Thema Authentizität findet sich in Kap. 5.1.7, S. 216). 110 Die Begründungen für die Verwendung des Deutschen in der Lehre enthalten eine Reihe von Einzelnennungen (7 Nennungen - 2xB, 3xM, 3xL, 0xG), die nicht weiter in Kategorien eingeordnet werden konnten. Tabelle 18 gibt einen Überblick über die paraphrasierten Aussagen der Befragten: 109 Quellen: Duden online, http: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ ausfallen; Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS), http: / / www.dwds.de/ ? view=1&qu= ausfallen (beide eingesehen am 08.01.2015). 110 Dass die fachlich-sprachliche Ausrichtung einzelner Disziplinen diese Einstellungen mitprägt, wird bei Betrachtung der gängigen Lehrpraxis in Studiengängen wie Anglistik und Amerikanistik deutlich. Der Unterricht wird von den Lehrenden und Lernenden trotz fehlender Lingua franca-Situation in der Regel in englischer Sprache umgesetzt. Ähnliches kann für den bilingualen Sachfachunterricht z.B. an Sekundarschulen festgestellt werden. Authentizität scheint in diesen Kontexten also anders konstruiert zu werden. <?page no="251"?> 251 Interview Paraphrasierte Aussage B18P Vorlesungen im Grundstudium auf Deutsch (ohne Begründung - Englisch wäre „irrsinnig“) B21D Vorlesung auf Englisch, Fragen auf Deutsch - dadurch mehr Fragen von den Studierenden M23P Kritische Masse von 80 Millionen Muttersprachlern des Deutschen, ausreichend Grundlagenliteratur M24PD Mehrarbeit und Vermittlungsnachteile für Lehrende bei englischer Lehre M24PD Bei Lehre auf Englisch keine (sprachliche) Bindung ausländischer Studierender an Deutschland nach dem Studium L3P Ausbildung von Deutschlehrern bedingt Frage nach der Notwendigkeit des Englischen L34PD Durch Erfahrungen in den Niederlanden unsicher, ob zu viel Englisch in der Lehre gut sei Tabelle 18: Paraphrasierte Einzelnennungen zur Begründung deutschsprachiger Lehre (n=7; enthält Mehrfachnennungen) Da hier nicht alle Einzelnennungen diskutiert werden können, soll die Auswertung auf zwei besonders aufschlussreiche Aussagen beschränkt werden. Der Beibehalt des Deutschen als Lehrsprache wurde bisher hauptsächlich mit der ablehnenden Haltung der Studierenden und ihrer mangelnden Englischkompetenz begründet. Bedenken hinsichtlich der Fremdsprachenkompetenz der Lehrenden spielen in den Interviewantworten jedoch nur eine marginale Rolle. Eine Ausnahme stellt der Interviewte M24PD dar: Englisch lesen ist das eine, in der Vorlesung halt’ ich es, also es ist ja schon schwierig, den Stoff zu verstehen, wenn ich da jetzt auch noch [...] aus sprachlichen Gründen den Dozenten nicht verstehe? Das ist vielleicht schön, dass er [der Studierende] dann gleichzeitig noch Englischunterricht hat, aber er lernt es nicht besser und nicht schneller. Eigentlich ist das für beide ein Hemmnis. Der Dozent muss langsamer machen, weil er selber nicht so schnell reden kann, oder er stottert sich eins zurecht, oder schmeißt mal die Grammatik durcheinander, weil er es halt spontan dann doch nicht perfekt spricht und für die Studenten ist es schwieriger zu folgen und zu verstehen. (M24PD 01: 06: 54-7) Zwar ist jeglicher Fachunterricht, auch deutschsprachiger, durch sprachliche und kommunikative Komponenten charakterisiert, der Befragte möchte aber prioritär das fachliche Verständnis sicherstellen und sieht es nicht als seine Aufgabe an, simultan „Englischunterricht“ zu erteilen. 111 Die zweite hier ge- 111 Lehrende an tertiären Bildungseinrichtungen in Deutschland erhalten in der Regel weder Unterstützung noch gezielte Weiterbildung im Hinblick auf die Planung und Durchführung englischsprachiger Lehrveranstaltungen (vgl. z.B. Fandrych/ Sedlaczek 2012: 39). <?page no="252"?> 252 wählte Aussage thematisiert die Problematik, die Studierenden zum Lesen englischsprachiger Literatur zu bewegen: Es ist, glaub’ ich auch so, dass englische Literatur dann eher gemieden wird. Solange es was Deutsches gibt, greift der deutsche Studierende, glaub’ ich, eher zu dem deutschen Lehrbuch als zum englischen Lehrbuch. Also ich hab’ mal die Aussage bekommen, als ich Bücher für eine meiner Vorlesungen bestellt habe, eine weiterführende Vorlesung, die Universitätsbibliothek gebeten habe, dort fünf Titel anzuschaffen, also fünfmal das gleiche, für die Lehrbuchsammlung: „Naja, das ist auf Englisch. Das liest doch sowieso keiner.“ [...] Und ich hab’ dann ein Jahr später noch mal fünf Titel bestellen wollen, [...] fünf Exemplare eines anderen Buches, da kam die Rückmeldung: „Ja, machen wir meinetwegen, aber die fünf Bücher, die Sie vor einem Jahr bestellt haben, hat noch nie einer ausgeliehen“. (M23P 00: 46: 44-0) Erneut zeigt sich, dass die Wünsche der Studierenden als ein Haupteinflussfaktor für den Erhalt des Deutschen als Lehr- und Textsprache thematisiert werden. Wie im Zitat beschrieben, ist in der Disziplin des Befragten ausreichend deutschsprachige Grundlagenliteratur vorhanden, sodass es für die Studierenden keine unmittelbare Notwendigkeit gibt, englische Fachliteratur zu lesen. Die Kompetenzen und Einstellungen der Studierenden werden in zwei von drei hier besprochenen Kategorien als Begründung für die Fortsetzung der deutschsprachigen Lehre angeführt. Sie sind somit ein wesentlicher Grund dafür, dass die Anglisierung in diesem Bereich noch nicht weiter fortgeschritten ist. In Zukunft sollte daher vermehrt über die tatsächlich notwendigen und angemessenen (fremd-)sprachlichen Zielkompetenzen in den einzelnen Studiengängen nachgedacht werden. So könnten beispielsweise Sprachanforderungsprofile erstellt werden und in die Fach-Curricula Eingang finden. Die vorgestellten Interviewaussagen hinterlassen teilweise den Eindruck, dass eine überstürzte Fixierung auf das Englische in der Lehre den Bildungsauftrag der Universität untergraben könnte (schlechteres Fachverständnis wird wahrgenommen, Studierende vermeiden diese Lehrveranstaltungen teilweise). Die geäußerten Begründungen für die englischsprachige Lehre (z.B. Wissenschaftsnähe englischer Texte, Internationalisierung der Hochschule) sind nicht immer erkennbar auf eine verbesserte Bildung der Studierenden hin ausgerichtet, sondern wohl auch den wahrgenommenen Notwendigkeiten von Berufsforschern geschuldet, die sie auf den Lehrkontext übertragen. 5.2.3 Unterstützung des Deutschen als Wissenschaftssprache? In diesem Abschnitt werden die Einstellungen und Sichtweisen der Befragten hinsichtlich der Notwendigkeit einer Unterstützung des Deutschen als Wissenschaftssprache vorgestellt. Ziel ist es, festzustellen, wie die interviewten Forscher die aktuelle Sprachsituation einschätzen und ob ihrer Meinung <?page no="253"?> 253 nach Handlungsbedarf besteht, das Deutsche in der Wissenschaft zu fördern. Die Antworten gehen überwiegend aus einem Interview-Prompt hervor, in dem gefragt wurde, ob die Wissenschaftler es für notwendig hielten, die Position des Deutschen zu stützen und wenn dies zuträfe, durch welche Maßnahmen dies geschehen könnte. 112 Auf die potenziellen Gefahren eines Domänenverlustes und die Bedeutung der Nationalsprachen in der Wissenschaft wird in der Fachliteratur seit mehr als einem Jahrzehnt hingewiesen. So befürchten viele Forscher negative Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit und Kreativität deutschsprachiger Wissenschaftler vor allem in den Sozial- und Geisteswissenschaften, einen Verlust der Durchgängigkeit zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Diskursen sowie negative Auswirkungen aufgrund mangelnder sprachlicher, gedanklicher und methodischer Vielfalt (vgl. z.B. Ehlich 2000; Gnutzmann 2006; Meyer 2004; Mocikat 2007). Auf der anderen Seite vermuten Forscher wie Mukherjee (2008), dass die Verwendung des Englischen in der Wissenschaft aufgrund des reduktionistischen und instrumentellen Charakters eines pidgins dem Deutschen nicht per se schaden könne. Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu untersuchen, wie die interviewten Forscher als wichtige Akteure in der Wissenschaft diese Situation bewerten. Lediglich vier der 19 Befragten geben zu verstehen, dass sie das Deutsche als wissenschaftliche Publikationssprache explizit unterstützen möchten. Erreicht werden könne dies vor allem durch gleichzeitiges Publizieren in deutsch- und englischsprachigen Publikationsorganen (4 Nennungen - 0x Biologie, 2x Maschinenbau, 1x Germanistische Linguistik, 1x Geschichte), wie beispielhaft anhand von zwei Zitaten verdeutlicht werden soll: 113 Ach, naja, so ein bisschen Unterstützung ist glaub’ ich schon gut, insofern, dass man eben sagt, dass es gut ist, wenn man beides macht und nicht immer gleich auf Englisch das publizieren muss. (L33D 00: 24: 32-0) Eine deutsche Zeitschrift zweisprachig anzulegen und das Deutsche aber ganz entSCHIEDEN mit dem gleichen Gewicht zu erhalten. (G22P 00: 45: 47-1) Auffällig ist, dass die Befragten in dieser Kategorie bis auf L33D keine Erklärung dafür angeben, warum sie das Deutsche als Publikationssprache erhalten wollen. Es wird zwar der Wunsch geäußert, die Sprache zu fördern, im Gegensatz zu den folgenden Argumenten, die sich gegen besondere Maßnahmen richten, wird dies aber nicht weitergehend begründet. Dies könnte darauf hindeuten, dass selbst unter den wenigen Wissenschaftlern im Korpus, die das Deutsche fördern wollen, ein Bewusstsein hinsichtlich der mög- 112 Die Frage wurde lediglich 19 von 24 Befragten im disziplinspezifischen Korpus gestellt. Dies ist auf die Erweiterung des Interviewleitfadens im Anschluss an die Pilotstudie zurückzuführen. 113 Zwei Beispiele für bewusst zweibzw. mehrsprachig angelegte Publikationen sind die von Gnutzmann (2008) und Abendroth-Timmer/ Henning (2014) herausgegebenen Bände. <?page no="254"?> 254 lichen Vorteile wissenschaftlicher Zweibzw. Mehrsprachigkeit nur ansatzweise entwickelt ist. Der überwiegende Teil der Interviewten, die eine Einschätzung abgaben, sahen keinen Bedarf, Maßnahmen zu ergreifen, um das Deutsche zu erhalten (15 Nennungen - 5xB, 2xM, 4xL, 4xG). Viele der Befragten lassen trotz ihrer ablehnenden Antwort eine gewisse Ambivalenz bei der Beantwortung dieser Frage anklingen. Sie wägen verschiedene Argumente ab und versuchen beide Seiten in ihrer Positionierung im Interview zu berücksichtigen: Das [d.h. der Erhalt des Deutschen als Wissenschaftssprache] ist sehr zwiespältig, muss ich sagen, für mich persönlich, weil es ja auch immer so eine emotionale Sache ist. (M36D 01: 01: 29-8) 114 Hab’ ich ein gespaltenes Verhältnis zu. Ich bin mir da nicht sicher. Einerseits ja, natürlich. Andererseits in der Praxis denke ich, ach ja, muss das jetzt sein? (B18P 00: 47: 00-4) Diese ‚Zwiespältigkeit‘ ist möglicherweise ein Anzeichen dafür, dass im Kontext dieser Frage verschiedene soziale Erwartungshaltungen zusammenkommen: Einerseits berufen sich die Befragten auf die weitläufig in der Wissenschaft akzeptierte Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit des Englischen als Publikationssprache. Andererseits könnten die zunehmende Anglisierung bzw. eine ablehnende Positionierung gegenüber dem Deutschen die (sozial erwünschte) Loyalität zur Muttersprache infrage stellen. Letztendlich entscheiden sich aber 15 der 19 Wissenschaftler in den Interviews gegen eine Einflussnahme zugunsten des Deutschen. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Begründungen, die die Wissenschaftler gegen eine explizite Unterstützung anführen (siehe Abbildung 24): 114 Dass sich bei Argumenten für das Englische oft auf rationale Logik berufen wird, die Diskussion um das Deutsche aber eher als „emotional“ wahrgenommen wird, spiegelt die von Gal (2012: 29, 40) beschriebene Unterscheidung von Sprache der Wirtschaft (language of profit/ modernity/ reason) und Sprache ‚des Herzens‘ (language of pride / tradition/ passion) wider. <?page no="255"?> 255 Abbildung 24: Argumente der Interviewten gegen eine Unterstützung des Deutschen (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Am häufigsten ist im Korpus die Einschätzung, das Deutsche sei als Wissenschaftsbzw. Publikationssprache nicht gefährdet (7 Nennungen - 0xB, 0xM, 4xL, 3xG) und daher wären, zumindest zu diesem Zeitpunkt, keine Unterstützungsmaßnahmen vonnöten. Diese Sichtweise ist fachspezifisch, alle sieben Befragten in dieser Kategorie stammen aus der Germanistischen Linguistik und der Geschichtswissenschaft, können also grob als Geisteswissenschaftler charakterisiert werden. Sie glauben, dass die Stellung des Deutschen als Wissenschaftssprache relativ stark ist, wie das Zitat eines Professors der Germanistischen Linguistik stellvertretend illustriert: „Ich bin mir nicht sicher, ob man momentan was für den Erhalt von Deutsch als Wissenschaftssprache machen MUSS. Weil mein Eindruck ist, dass es nach wie vor sehr viele wissenschaftliche Publikationen auf Deutsch gibt, auch in unserem Feld“ (L32P 00: 43: 02-1). 115 Ein weiterer germanistischer Linguist 116 sieht dies ähnlich und beschreibt detailliert die Überlegungen hinter verschiedenen Sprachwahloptionen: Einerseits glaub’ ich, dass der wissenschaftliche Diskurs international sein sollte, und deswegen muss man sich auf eine Sprache einigen, andererseits 115 Der Interviewte erwähnt darüber hinaus die Zunahme von Lehrbüchern, die sich in Form von Bachelor- und Mastereinführungen (z.B. auf den Gebieten der Pragmatik, Semantik und Werbesprache) überwiegend auf Deutsch durchgesetzt hätten. Die Zunahme deutschsprachiger Lehrbücher könnte mit der verstärkten Modularisierung der Bachelor- und Masterstudiengänge im Zusammenhang stehen und ist ein Beispiel dafür, dass eine zunehmende Anglisierung im Bereich wissenschaftlicher Publikationen nicht notwendigerweise mit einer Anglisierung in der Lehre einhergeht. 116 Der Interviewte, der sich als zweisprachig bezeichnet, ist niederländischer Herkunft, lebt und arbeitet aber seit geraumer Zeit in Deutschland. Seine Arbeit in zwei Wissenschaftssystemen ermöglicht ihm somit komparative Einblicke. 7 5 4 2 0 5 Das Deutsche wird nicht als gefährdet gesehen Steht dem wissenschaftlichen Fortschritt im Weg Es ist zu spät für eine Unterstützung des Deutschen / nicht möglich Einzelnennungen / nicht zuordenbar Anzahl Nennunen (n = 18) <?page no="256"?> 256 denke ich, dass es immer gut ist, wenn Leute in ihrer eigenen Muttersprache zumindest die Fähigkeit haben, den gleichen Diskurs in der eigenen Muttersprache zu führen. Fürs Deutsche seh’ ich da eigentlich noch keine Probleme, weil wenn ich unterrichte, dann mach’ ich das auf Deutsch, und wenn ich auf einem Niveau unterrichte, wo ich auch eher moderne oder neue Theorien vorstelle, dann geht das auf Deutsch. Auch wenn ich vielleicht einen Text zu lesen gebe auf Englisch, dann im Seminar machen wir das auf Deutsch. Auch wenn wir mit Kollegen unter uns reden, geht das auf Deutsch. Ja, also da glaub’ ich, also wie gesagt, ich find’ es wichtig, dass Wissenschaftler das können. Zumindest in meinem Feld seh’ ich da fürs Deutsche keine Probleme. (L34PD 00: 36: 13-8) Der Fokus hier liegt weniger auf dem Deutschen als Publikationssprache, sondern eher auf den Domänen der Lehre und Kommunikation unter Kollegen. So wird die Lehre trotz englischer Texte auf Deutsch abgehalten und mit Kollegen auch über fachliche Inhalte auf Deutsch gesprochen. Der Befragte empfindet die Verwendung des Deutschen in diesen Domänen als wichtig und differenziert klar zwischen gewollt internationalen und damit englischsprachigen Publikationen und der ebenfalls als wichtig empfundenen deutschsprachigen Lehre. Ähnlich zu den Germanistischen Linguisten unterstreichen die drei Geschichtswissenschaftler die Stärke des deutschsprachigen Diskurses und kommen zu dem Schluss, dass sie als englischsprachig Publizierende eher eine Ausnahme im Fach darstellen - und somit kein Anlass für eine Unterstützung des Deutschen bestünde: „Ich sehe keine Notwendigkeit, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Das Deutsche scheint mir gerade in der Geschichtswissenschaft überhaupt nicht gefährdet ((B lacht))“ (G26D 00: 24: 32-4). Ein weiterer Befragter (G29D) geht davon aus, dass die zweibzw. mehrsprachige Arbeitsweise der Geschichtswissenschaft der deutschen Sprache auch im internationalen Diskurs eine gewisse Bedeutung verleiht: „Also ich seh’ es nicht grundsätzlich gefährdet als Wissenschaftssprache, (3) da gerade in meinem Arbeitsbereich alle auch mit deutschen Quellen [...] arbeiten, auch Amerikaner, deswegen ein bisschen Deutsch kennen müssen zumindest“ (G29D 00: 27: 20-1). Es kann somit für diese Kategorie resümiert werden, dass die Befragten das Deutsche als Wissenschaftssprache nicht als gefährdet einschätzen und dementsprechend auch keine zwingende Veranlassung sehen, es durch besondere Maßnahmen zu unterstützen. Die zunehmende Anglisierung wissenschaftlicher Publikationen wird zumindest hingenommen, teilweise aber sogar bewusst herbeigeführt und als wissenschafts- und kommunikationsförderlich begründet. Deutschsprachige Fachdiskurse in den Fächern Germanistische Linguistik und Geschichtswissenschaft sind nach Auskunft der Befragten aber stabil und auch für den Bereich der Lehre wird keine Verdrängung des Deutschen durch das Englische festgestellt. <?page no="257"?> 257 Zumindest jeweils ein Befragter der vier hier untersuchten Fächer begründet die ablehnende Haltung bezüglich der Unterstützung des Deutschen damit, dass dies kontraproduktiv für den wissenschaftlichen Fortschritt (5 Nennungen - 2xB, 1xM, 1xL, 1xG) wäre: Ich finde es schade, wenn Deutsch als Wissenschaftssprache irgendwie untergeht und verschwindet. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass ich so vom wissenschaftlichen Gedanken denke, alles was Leute irgendwie erforschen und machen, sollte allen zugängig gemacht werden. Und das funktioniert aber nicht, wenn das auf Deutsch ist. (M36D 01: 01: 29-8) Ich würde sagen, dass Wissenschaft ja schon ein internationales Anliegen ist, also und eben Arbeitsgruppen in den USA an den gleichen Themen forschen wie Arbeitsgruppen hier. Insofern ist es nicht möglich, wenn man, ja, und meiner Meinung nach auch nicht nützlich, so. [...] Ja, also ist glaube ich nicht machbar und auch, ja, empfinde ich nicht hilfreich, um wirklich an den topaktuellen Themen mitzuforschen sozusagen. (B35PD 01: 01: 29-6) 117 Die hier von den Interviewten hervorgebrachten Argumente sind den Begründungen für das Publizieren auf Englisch ähnlich (siehe Kap. 5.2.2.1): Es wird die Notwendigkeit internationalen Austausches sowie weltweiter Kooperation beschrieben und die essentielle Rolle des Englischen für den internationalen wissenschaftlichen Fortschritt unterstrichen. Das Deutsche soll in diesem Zusammenhang keine Unterstützung erfahren, weil es dieser Entwicklung im Weg stünde. Beide Zitate entwerfen ein global orientiertes Wissenschaftsbild, in dem sämtliche Forschung überall und jedem zugänglich sein sollte. Es könnte jedoch eingewandt werden, dass Wissenschaft nicht immer international relevant ist, sondern auch national und regional orientierte Wissenschaft sowie angewandte Forschung eine Daseinsberechtigung haben, die von den Befragten in dieser Gruppe in ihren Überlegungen nicht berücksichtigt wird. Die dritte Kategorie in diesem Abschnitt beinhaltet Äußerungen, in denen betont wird, dass es zu spät für eine Unterstützung des Deutschen (4 Nennungen - 4xB, 0xM, 0xL, 0xG) wäre bzw. die Umsetzung dieses Vorhabens zum Scheitern verurteilt sei. Alle Zuordnungen zu dieser Kategorie stammen von Biologen, sodass hier eine weitere fachspezifische Begründung gegen eine Unterstützung des Deutschen vorliegt (vgl. die fachspezifische Argumentation der Geschichtswissenschaftler und Germanistischen Linguisten oben). Die Haltung der Wissenschaftler in dieser Kategorie lässt sich mit den Worten eines Biologieprofessors wie folgt zusammenfassen: „Zur Erhaltung des Deutschen ja, also in den modernen Biowissenschaften ist, 117 Allerdings schätzt die Befragte B35PD die Verbandszeitschrift der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie, die in der Regel in deutschsprachigen Beiträgen Ergebnisse angrenzender Forschungsbereiche vorstellt (BIOspektrum). Sie sieht dies als eine gute Möglichkeit an, sich in deutscher Sprache über aktuelle Wissenschaft zu informieren. <?page no="258"?> 258 steht die Frage nicht mehr. Wir sind da, wie heißt es so schön, beyond the point of no return“ (B19, 00: 37: 52-1). Eine ähnliche Denkfigur, wenn auch unter Verwendung einer deutschsprachigen Redewendung, führt ein weiterer Biologieprofessor an: „Also ich glaub’, [...] da ist der Zug abgefahren und das wären Kämpfe gegen Windmühlen, die einfach nur Energie binden würden, die anderswo viel, viel sinnvoller eingesetzt werden könnte“ (B18P 00: 49: 21-5, Hervorh. FR). Die gegenwärtige Situation wird also als irreversibel und nicht beeinflussbar eingeschätzt (vgl. TINA-Argument in Kap. 5.2.2.1). Die sich in den Zitaten andeutenden Sichtweisen werden unter anderem von Ehlich (2000: 60) kritisiert, denn sie „zeichnen ein Bild, demzufolge sich der neue wissenschaftssprachliche Monolingualismus mit der Macht eines Naturprozesses entwickelt. Wer sich ihm entgegenstellt, werde davon überrollt; ja, sein Agieren erscheint als eine wissenschaftliche Donquichotterie“ (Hervorh. FR). Die von Ehlich beanstandete, häufig bei Naturwissenschaftlern vorzufindende Einstellung stimmt bezeichnenderweise auch in der Metaphorik mit der vorhergehenden Aussage überein, was dafürspricht, dass nicht nur die Biologen im Korpus, sondern auch andere Naturwissenschaftler so denken. Eine Einzelnennung soll hier ebenfalls kurz besprochen werden. Sie stammt von einem Maschinenbau-Professor, der ebenfalls keine Maßnahmen für das Deutsche ergreifen, sondern lieber ‚der Natur‘ ihren Lauf lassen möchte: Also ich würde jetzt keine Maßnahmen machen, die man, ich würd’ es einfach so laufen lassen. Wenn es in fünfzig Jahren weg ist, ist es weg. Dann ist es eben auf natürlichem Wege gewissermaßen wegdiffundiert. Aber ich würde keine Maßnahmen machen, um es gezielt zu erhalten und ich würde auch keine Maßnahmen machen, um es gezielt abzuschaffen. (M23P 00: 40: 23-0) Der Befragte stellt hier einerseits die ‚Natürlichkeit‘ der ablaufenden Anglisierungsprozesse fest (vgl. Ylönen 2013: 41f. für weitere Beispiele in diesem Zusammenhang). Andererseits setzt er einen physikalischen Fachbegriff ein, um das mögliche Ergebnis zu erläutern, nämlich das ‚Verschwinden‘ des Deutschen als Wissenschaftssprache, das „auf natürlichem Wege gewissermaßen wegdiffundiert“. Der Befragte versucht somit seine Nichteinmischung bzw. ‚Neutralität‘ in dieser Frage zu signalisieren. Ob ein Laissez faire-Ansatz im Hinblick auf das Deutsche als Wissenschaftssprache jedoch wirklich Neutralität gleich- oder auch nur nahekommt, kann bezweifelt werden, denn der Befragte ergreift in seiner alltäglichen Lehr- und Publikationspraxis eindeutig Partei für das Englische. Linn (2010: 298ff.) fordert in diesem Sinne, dass verantwortlicher Umgang mit Sprache(n) fester Teil des beruflichen Aufgabenkatalogs von Wissenschaftlern werden sollte, ähnlich wie das bereits für Bereiche wie Forschungsethik (z.B. Plagiatsvermeidung, Einverständniserklärungen bei Befragungen etc.) geschehen ist. Zwar sieht er eine politische Steuerung der Sprachnutzung in Demokratien als grundsätzlich problematisch an, kommt aber am Beispiel von Norwegen zu folgendem <?page no="259"?> 259 Schluss: „The blunt message then has to be, either we take domain loss seriously and require professionals to act, or we simply accept the inevitability of Language Shift“ (Linn 2010: 303). Eine Nichteinmischung bzw. ‚Neutralität‘ könnte dagegen gleichbedeutend mit einer stetig weiter fortschreitenden Ausbreitung des Englischen sein. Dass die meisten Befragten im Korpus (15 von 19) keine Notwendigkeit für den Einsatz gezielter Maßnahmen zur Unterstützung des Deutschen als Wissenschaftssprache sahen, erhärtet diesen Verdacht zunächst. Die Argumentationslinien der Wissenschaftler könnten jedoch verschiedener nicht sein: Die Geschichtswissenschaftler und Germanistischen Linguisten argumentieren von einer als stark wahrgenommenen Position des Deutschen heraus und kommen deshalb zu dem Schluss, dass etwaige Maßnahmen unnötig seien. Die Biologen (und auch Vertreter anderer Fächer) befürchten dagegen eine Hemmung des wissenschaftlichen Fortschritts, betonen die Unwiderruflichkeit der Anglisierung und die Aussichtslosigkeit jeglicher Maßnahmen. Vertreter aller Fächergruppen und die große Mehrheit der Befragten kommen somit trotz verschiedener Ausgangssituationen zu einem ähnlichen Schluss, nämlich dass das Deutsche keine dezidierte Unterstützung erfahren solle. 5.2.4 Der Stellenwert von Sprache in Wissensproduktion und -verbreitung In diesem Kapitel soll erarbeitet werden, welchen Stellenwert die Befragten Sprache in der Wissensproduktion und -verbreitung zuweisen und was dies über ihr Verständnis von Wissen und dessen sprachlicher Gebundenheit aussagt. In den Natur- und Ingenieurwissenschaften wird Sprache in der Regel als sekundär für die wissenschaftliche Arbeit empfunden; in den Geisteswissenschaften und Teilen der Sozialwissenschaften wird Sprache dagegen häufig als untrennbar von wissenschaftlicher Erkenntnis selbst aufgefasst (vgl. z.B. de Swaan 2001: 77f.; Gnutzmann 2006: 195; Jakobs/ Lehnen/ Schindler 2005: 7; Lehnen 2009: 291). Um die Interviews gezielt nach Textstellen zu durchsuchen, die eine Kategorisierung in dieser Hinsicht ermöglichen, wurde das Konzept der Sprachlichkeit in Anlehnung an Ehlich (2000: 58) eingeführt: Es kann definiert werden als die sprachliche Verankerung von Fach(lern)prozessen und Prozessen der Produktion und Verbreitung von Fachwissen. Es geht also darum, welche Funktion Sprache in Wissenschaftsprozessen in den Augen der Befragten einnimmt. In der wissenschaftlichen Literatur werden Fragen der Sprachlichkeit, wenn sie auch nicht so benannt werden, häufig implizit berücksichtigt. So befragte Huang (2010: 38) elf taiwanesische Doktoranden und drei Professoren aus den Ingenieur- und Naturwissenschaften und kam zu dem Ergebnis, dass viele der Interviewten Sprache nur eine untergeordnete Rolle in der Entstehung von wissenschaftlichen Artikeln zuweisen. Sie <?page no="260"?> 260 vermutet, dass diese Einstellung dazu beiträgt, dass die Wissenschaftler keine Schreibkurse besuchen wollten bzw. die Laborarbeit als relevanter für den Publikationserfolg bewerteten. Einige der Interviewten gaben darüber hinaus an, trotz Schreibproblemen und eines damit einhergehenden Gefühls der Benachteiligung beim Publizieren in englischer Sprache keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern (vgl. a.a.O.: 36). Die aus den Interviews im PEPG-Korpus konstruierten Kategorien beziehen sich unter anderem darauf, welchen Stellenwert die Befragten der Sprache im Vergleich zum Inhalt oder zur Organisation einer wissenschaftlichen Arbeit zuweisen. Aber auch die Sprachlerntheorien der Wissenschaftler können Aufschluss über das zugrundeliegende Verständnis des Zusammenhangs von Sprache und Wissenschaft geben. Abbildung 25 gibt einen ersten Kategorienüberblick zum Thema Sprachlichkeit: Abbildung 25: Nennungen der Interviewten zum Stellenwert von Sprache in der Wissensproduktion und -verbreitung (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Die ersten vier Kategorien ähneln sich dahingehend, dass sie Aussagen bündeln, die implizit oder explizit Inhalt, Struktur oder andere wissenschaftsrelevante Elemente gegenüber Sprache priorisieren bzw. diese Elemente als von Sprache getrennt konzeptualisieren. Sie stellen also verschiedene Ausprägungen derselben zugrundeliegenden Wahrnehmung von Sprache dar. Sie ähneln sich weiterhin in ihrer fachlichen Zusammensetzung: Von den insgesamt 14 Nennungen in den ersten vier Kategorien ist nur eine von einem Germanistischen Linguisten, alle anderen stammen von Biologen und 5 3 4 3 2 3 4 5 0 5 Inhalt / Fachliches ist wichtiger als Sprache Strukturierung eines Artikels ist wichtiger als Sprache bzw. getrennt davon Sprache hat keine Erkenntnisfunktion Forschung ist sprachunabhängig Sprache und Inhalt sind schwer trennbar Sprachlerntheorien Fachbzw. Eigenwahrnehmungen Einzelnennungen / nicht zuordenbar Anzahl Nennungen (n = 29) <?page no="261"?> 261 Maschinenbauern. Es handelt sich hierbei also um weitgehend fachspezifische Kategorien. In der ersten Kategorie, Inhalt / Fachliches wichtiger als Sprache (5 Nennungen - 2x Biologie, 2x Maschinenbau, 1x Germanistische Linguistik, 0x Geschichte), wird der Primat der Fachlichkeit gegenüber sprachlichen Gesichtspunkten betont. So stellt ein befragter Biologe (B18P) fest, dass inhaltlich interessante Veröffentlichungen, genuine Forschungsergebnisse und die Vermeidung von Plagiaten produktiver für die Wissenschaft seien als das Insistieren auf sprachlicher „Perfektion“. Dies habe zur Folge, dass „einfach was durchgewunken [wird], was eben sprachlich nicht so perfekt ist“ (B18P 00: 25: 47-2). Eine Befragte aus dem Maschinenbau sieht dies ähnlich: „Das geht immer erst um den Inhalt. Also es geht nur um den Inhalt eigentlich“ (M14P 00: 08: 07-3). Ein weiteres Beispiel stammt von einem Interviewten, der die Ablehnung eines Manuskriptes aus sprachlichen Gründen nur bedingt nachvollziehen kann: Entweder man genügt den Ansprüchen nicht, das ist ja OK. Also ist nicht OK, ist bitter, aber da kann man halt nichts machen. Also, wenn das fachlich nicht passt, dann ist es so. Ist halt ein Jammer, wenn es fachlich gut ist und dann sprachlich hapert, und diese Angst hab’ ich zumindest perm-, also nicht permanent, aber wenn ich veröffentliche, weiß ich genau, man könnt’ es besser schreiben wahrscheinlich. (B2PD 00: 34: 32-2) Der befragte Biologe könnte selbstkritisch akzeptieren, wegen fachlicher Defizite abgelehnt zu werden, sieht es aber als „Jammer“ an, wenn eine Veröffentlichung an sprachlichen Mängeln scheitert. Trotz des im Zitat ausgedrückten Bedauerns ist der Befragte wenig motiviert, wissenschaftliche Schreib- oder Sprachkurse zu besuchen, um seine Englischkompetenzen zu verbessern, was ebenfalls dafürspricht, dass er der Sprache nur einen geringen Stellenwert beim wissenschaftlichen Publizieren einräumt. Ein Beispiel aus der Fachliteratur zeigt eine ähnliche Wahrnehmung von Sprache auf: The reviewer rejected me intentionally, because the reviewer listed more than 90 questions. How absurd. The reviewer criticized that this sentence was problematic and that sentence was problematic, but the sentences had the same grammatical error. The reviewer could have simply mentioned this error once, since that was only about grammar. (Elektrotechniker in Huang 2010: 38) Unabhängig von der Frage, ob ein fehlerbehaftetes Manuskript es verdient, abgelehnt zu werden, besteht in der Priorisierung des Fachlichen bzw. der ‚Geringschätzung‘ sprachlicher Gesichtspunkte beim Schreiben und Publizieren eine Gemeinsamkeit der beiden Wissenschaftler. Während es für den Befragten B2PD ein „Jammer“ ist, an sprachlichen Mängeln zu scheitern, fühlt der befragte Elektrotechniker aus Huang (2010) sich ungerecht behandelt, da „es ja nur um Grammatik ging“, also nicht den als eigentlich wichtig wahrgenommenen Inhalt des Artikels betrifft. Beide scheinen nicht der Mei- <?page no="262"?> 262 nung zu sein, dass grundlegende sprachliche Probleme das Verständnis eines Fachartikels unmöglich machen können. Eine Frage, die sich beim Lesen der bisherigen Zitate auftut, ist, was genau die Befragten meinen, wenn sie sagen, dass etwas „sprachlich hapert“ (B2PD), „nicht so perfekt ist“ (B18P) oder wann ein Beitrag „rhetorischen Feinschliff“ (L32P) besitzt und wann nicht. Was die Interviewten genau unter diesen Etikettierungen verstehen, kann nicht allein auf der Grundlage von Interviews nachvollzogen werden. Um die tatsächliche Bedeutung dieser Etikettierungen in grammatischer, lexikalischer und phraseologischer Hinsicht zu ermitteln, bedürfte es ergänzender textueller und textrezeptiver Untersuchungen, die über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Es wird jedoch in den Interviews deutlich, dass Sprache als etwas wahrgenommen wird, dass keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf und nicht immer als legitime Begründung für die Ablehnung eines Manuskriptes gesehen wird. Sprache wird in diesem Sinne häufig nur eine randständige Funktion in der Wissensproduktion und -rezeption zugestanden. Die zweite Kategorie fasst Aussagen zusammen, die hervorheben, dass die Strukturierung eines Artikels wichtiger als Sprache an sich bzw. getrennt davon (4 Nennungen - 2xB, 2xM, 0xL, 0xG) ist. Dabei gehen die Befragten davon aus, dass der Aufbau eines Artikels losgelöst von Sprache funktioniert: Ich glaub’ auch wichtiger als das Englisch ist dann häufig halt auch, wie bau’ ich überhaupt so was richtig sinnvoll auf, von der Struktur her. Ist ja wie im Deutschen auch, in der Erörterung, welche Argumente bring’ ich als letztes oder als erstes, das ist dann eigentlich dann auch vielleicht noch wesentlicher als jetzt, ob ich da ein Komma zu viel oder zu wenig hab’. (M24PD 00: 48: 54- 3) Wie soll es beim - ja es muss immer so ein bisschen, es muss einfach zu lesen sein. Also es muss irgendwie easy to read sein. In welcher Reihenfolge will ich das Material organisieren? Ich glaub’, das ist viel, viel wichtiger als die eigentliche Sprache. (M23P 00: 55: 51-1) Wie die Beispiele verdeutlichten, legen die Befragten in dieser Kategorie eher Wert auf die „Reihenfolge“ (M23P) und die „Struktur“ (M24PD), es gehe um „Redundanzen oder schärfere Schlussfolgerungslinien, Kausalketten, die aufgebaut werden, wenn das zu schwammig ist. Aber sprachlich, nein“ (B19, 00: 25: 21-2). Es fällt auf, dass die Artikelstruktur und -organisation nicht als sprachlich gebundenes Phänomen aufgefasst wird, sondern getrennt davon konzeptualisiert wird. Ferner werden unter dem Begriff Sprache häufig Bereiche wie Zeichensetzung („ein Komma zu viel oder zu wenig“, M24PD) subsumiert, nicht aber strukturierende sprachliche Handlungen wie Erklären, Beschreiben, Gliedern (vgl. Dalton-Puffer 2007) oder „Kausalketten“ (B19P). <?page no="263"?> 263 Beim dritten ähnlichen Punkt, Sprache hat keine Erkenntnisfunktion (3 Nennungen - 2xB, 1xM, 0xL, 0xG), vertraten die Befragten die Position, dass das eigentlich Wichtige an einem Artikel die Ergebnisse sind, z.B. in Form von Tabellen, Zahlenwerten oder Diagrammen, nicht aber die Sprache: Und da sind Abbildungen im Text und die stellen eigentlich schon mal das dar, was wir gemacht haben. Und um diese rum müssen wir noch quasi Fülltext schreiben, dass man erklärt, was das ist und wie man sie deuten kann und so. Aber im Prinzip sind die Abbildungen das Wichtige aus dem paper. (B2PD 00: 25: 07-4) Dass es sich beim Schreiben lediglich um „Fülltext“ handelt bzw. „um Abbildungen herum“ geschrieben wird, spiegelt wider, dass das Schreiben als Aufschreiben empfunden wird (vgl. Lehnen 2009: 291f. für weitere Beispiele). Dem Text wird dabei keine direkte Erkenntnisfunktion zugestanden, er soll lediglich bereits vorliegende Daten kontextualisieren. Es kann resümiert werden, dass diese Sichtweise auf Sprache hauptsächlich in den Natur- und Ingenieurwissenschaften vorkommt und wohl mit der starken Fokussierung auf Experimente und (nichtsprachlicher) Empirie zusammenhängt. 118 Ob eine solche ‚Unterordnung‘ von Sprache für die Publikationspraxis der Befragten oder die Wissensproduktion und -verbreitung problematisch ist, kann hier nicht geklärt werden. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass zumindest einige Herausgeber natur- und ingenieurwissenschaftlicher Zeitschriften der sprachlichen Gestaltung von Fachaufsätzen mehr Aufmerksamkeit schenken (vgl. Gnutzmann/ Jakisch/ Rabe 2015b: 154). Dies würde zudem erklären, warum z.B. die Manuskripte des Befragten B2PD und des Elektrotechnikers in Huang (2010: 38), wie oben dargestellt, abgelehnt wurden. Die Kategorie Forschung ist sprachunabhängig (2 Nennungen - 1xB, 1xM, 0xL, 0xG) beinhaltet zwei Nennungen, die sich in den bisherigen Tenor einer vermuteten Sprachunabhängigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis einfügen: Der Forschungsprozess ist, das ist ein, ich würd’ sagen, das ist ein naturwissenschaftlicher, das hat nichts mit Sprache zu tun. [...] Also ich hab’ ein Experiment und dieses Experiment muss ich durchführen oder will ich durchführen ... und ... der Prozess, in dem das passiert, das sind dann unsere naturwissenschaftlichen Methoden. (B2PD 00: 17: 04-7) Die Äußerung des Befragten ist in der Aussage der Universalitätshypothese von Widdowson (1979: 51f., siehe Kap. 1.8 für eine Definition) ähnlich. Es wäre jedoch einzuwenden, dass auch Wissenschaftskommunikation ohne die an Sprache gebundenen kognitiven und erkenntnistragenden Prozesse nicht auskommt (vgl. Ehlich 2000: 51). 118 Die Wahrnehmung des Schreibens als Aufschreiben wird an einem anderen Ort im Zusammenhang mit der methodischen Ausrichtung der Natur- und Ingenieurwissenschaften vertiefend diskutiert (siehe Kap. 4.1.4). <?page no="264"?> 264 Die Kategorie Sprache und Inhalt sind schwer trennbar (3 Nennungen - 0xB, 0xM, 1xL, 2xG) beinhaltet Äußerungen, mit denen - im Gegensatz zu den vorigen Kategorien - für eine unauflösbare Verbindung von Sprache und Inhalt argumentiert wird. Ein Germanist (L3P), der selbst auch Herausgeber einer Fachzeitschrift ist, beschreibt die Problematik, die sich bei der Einsendung sprachlich unzureichender Beiträge ergeben kann: Das [Manuskript] schick’ ich dann immer an die reviewer weiter ... aber auch schon mal mit dem Hinweis, dass die sich nicht die Qualität des Englischen anschauen sollen, das wird noch verbessert im Falle der Publikation, sondern die sollen auf den Inhalt achten. Nun ist es aber für reviewer manchmal nicht leicht, schlechtes Englisch zu verstehen. (L3P 00: 18: 12-7) Der Befragte wählte in diesem Fall einen Gutachter mit der nötigen Deutschkompetenz aus, um das „Halbenglisch“ (L3P 00: 18: 12-7) des Autors zu begutachten, nachdem der zuerst ausgewählte amerikanische Gutachter sich aufgrund sprachlicher Mängel nicht in der Lage sah, das Manuskript zu beurteilen. Hier wird also die Verbindung von Sprache und Inhalt herausgestellt, wobei auch ‚guter‘ Inhalt nur dann als solcher erkennbar ist, wenn er aufgrund der verwendeten Sprache für den Leser verständlich ist. Diese Art der Argumentation spiegelt den Stellenwert von Text als Inhaltsträger in den Geisteswissenschaften wider, im Gegensatz zur verbreiteten Wahrnehmung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, dass andere Darstellungsformen (wie Abbildungen) bereits den Hauptteil der Informationen bereitstellen und Text daher als weniger zentral gesehen wird. Subjektive Sprachlerntheorien (4 Nennungen - 3xB, 1xM, 0xL, 0xG) von Wissenschaftlern haben bisher nur wenig Aufmerksamkeit in der Wissenschaftssprachforschung erhalten. 119 Die Einführung englischsprachiger Lehre, die Diversifizierung der Studierendenschaft sowie neueste Erkenntnisse zur Bedeutung von Bildungssprache (vgl. z.B. Vollmer/ Thürmann 2013) unterstreichen jedoch die Notwendigkeit einer laienlinguistisch orientierten Untersuchung der Sprachlerntheorien von Unterrichtenden. Es ist zudem davon auszugehen, dass Lehrende den Unterricht aufgrund ihrer (impliziten) Annahmen über Fachbzw. Sprachlernen gestalten wollen, selbst wenn sich Diskrepanzen zwischen Vorstellung und Praxis ergeben (vgl. Pasquale 2011: 89). Wenn ein Wissenschaftler beispielsweise davon ausgeht, dass englischsprachige Lehre nur über einsprachige Unterrichtsszenarien funktioniere, wie lange Zeit teils dogmatisch in Fremdsprachenkontexten befürwortet 119 Eine Ausnahme stellen Hüttner/ Dalton-Puffer/ Smit (2014) dar, die Sprachlerntheorien von Fachlehrern im bilingualen Unterricht untersuchen. Es handelt sich hierbei zwar nicht um Wissenschaftler im engeren Sinne, jedoch um Lehrer naturwissenschaftlicher, technischer und ingenieurwissenschaftlicher Fächer. Sie ähneln den interviewten Biologen und Maschinenbauern also nicht nur in fachlicher Hinsicht, sondern auch dahingehend, dass sie, anders als die meisten CLIL-Lehrer im deutschsprachigen Raum, keine Lehrbefähigung für das Fach Englisch besitzen, sondern ihre Englischkompetenzen über die Verwendung in beruflichen Kontexten erworben haben (vgl. a.a.O. 273, 275). <?page no="265"?> 265 wurde, dann kann das weitreichende Folgen für die Wissensvermittlung und Ausbildung der Studierenden haben. Die im Korpus vorgefundenen Aussagen zum Sprachenlernen betonen dagegen, dass grundlegende Kenntnisse zuerst „auf Deutsch“ vorliegen müssten, bevor diese ins Englische übertragen werden können: Wenn ich nicht Deutsch gelernt hätte mit der ganzen Grammatik, mit dem ganzen Mist, mit dem ganzen Detail, das ist einfach so, dann hätte ich auch mehr Schwierigkeiten Englisch überhaupt zu verstehen. Es ist eben ganz wichtig, dass man eben eine Muttersprache richtig beherrscht erst mal. (B18P 00: 43: 03-9) Ob man das im Englischen oder im Deutschen macht, es fängt erst mal im Deutschen an. [...] Und da, ich behaupte immer, wenn man in einer Sprache gut ist und das sprachlich kann und flüssig kann und auch weiß, wie ich da strukturiert denk’ und was aufbau’, [...] kann ich das auch im Englisch. (M24PD 01: 12: 08-3) Diese von einigen Natur- und Ingenieurwissenschaftlern geteilte Sichtweise hat eine gewisse inhaltliche Ähnlichkeit zu der von Cummins (1991) entwickelten Interdependenz-Hypothese. Sie besagt, dass der Erstspracherwerb möglichst vollständig sein muss, damit eine zweite Sprache effektiv auf den zugrundeliegenden kognitiven Kompetenzen der Erstsprache aufbauen kann und diese sprachübergreifend verfügbar werden. Ein Physiker drückt die Abhängigkeit der Zweitsprachentwicklung von der Entwicklung der Erstsprache wie folgt aus: „Und wenn es eben im Deutschen schon nicht richtig funktioniert, wie soll es dann erst im Englischsprachigen gehen“ (4P Physik 00: 20: 39-6). Diese Beispiele deuten darauf hin, dass dem Deutschen als Muttersprache eine gewisse kognitive und lerntheoretische Bedeutung zugesprochen wird, die trotz der wahrgenommenen Notwendigkeit der Anglisierung von Forschung und Lehre (zumindest bisher) nicht infrage gestellt wird. Für die zitierten Befragten bilden ausgeprägte Deutschkenntnisse eine grundlegende wissenschaftssprachliche und kognitive Vorbedingung für den Erwerb von Kompetenzen im Englischen. Wenngleich also Plädoyers für den Erhalt der deutschen Wissenschaftssprache in diesen Fächern auf wenig fruchtbaren Boden fallen - „Es geht ja gar nicht darum, dass man irgendwie die Sprache erhält, sondern dass man Informationen austauscht“ (B20D 00: 45: 57-5) - könnten lerntheoretische Begründungen durchaus als Argument für die Nutzung des Deutschen als Lehr- und Unterrichtssprache fungieren und somit einen Ansatzpunkt für eine Diskussion über die Funktionen von Sprache in der Aneignung von Fachwissen bieten. Einige Wissenschaftler äußerten sich zu Fachbzw. Eigenwahrnehmungen (3 Nennungen - 1xB, 1xM, 1xL, 0xG), das heißt, sie gaben Auskunft über ihr sprachliches Verständnis anderer Fächer oder versuchten, ‚typische‘ Eigenschaften ihrer eigenen Fächer zu beschreiben. So vertrat ein Germanistischer Linguist die Meinung, dass die Physik unabhängig von der jeweiligen <?page no="266"?> 266 Versprachlichung in einer bestimmten Sprache funktioniere (L3P 00: 36: 14-6) und übernimmt damit unter Naturwissenschaftlern verbreitete Konzeptualisierungen. Jeweils eine Biologin und ein Maschinenbauer waren der Auffassung, dass ihr Fach hauptsächlich Personen anziehe, die weniger ‚sprachinteressiert‘ sind: Das sind ja Ingenieure, die wollen ja irgendwie, die wollen ja keine Sprache lernen [...] ((lacht)) Und die wollen auch in der Regel nicht mit Leuten reden, sondern einfach da schön an ihrem Computer sitzen. (M36D 00: 56: 52-0) Weil in den Naturwissenschaften ja auch viele Leute sich ansammeln, die eben gerade mit so Texten eher nicht mehr so viel mehr zu tun haben wollen ((lacht)). (B35PD 00: 53: 46-6) Ob diese Charakterisierung auch auf die Befragten selbst zutrifft, wird im Interview nicht geklärt, die Wahrnehmung entspricht allerdings gängigen populärkulturellen Stereotypen (man denke z.B. an die Sozialfigur des ‚nerd‘). Eine ähnliche Position äußert auch ein von Jakobs (2005: 21) interviewter Ingenieur: „Wie oft schreibst Du? - Täglich. - Schreibst du gerne? - Nein! - Warum nicht? - Weil ich lieber programmieren und forschen würde (.), statt zu schreiben“. Es erscheint interessant, dass das Schreiben (und Kommunizieren im Allgemeinen) zwar einen integralen Bestandteil der täglichen Arbeit von Ingenieuren darstellt, diese Tätigkeit aber selten als motivierend oder zentral für die Karriereentwicklung wahrgenommen wird (vgl. Jakobs 2005: 21). In Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Schreiben konnten darüber hinaus fachlich-sprachliche Abgrenzungen (bzw. „Grenzziehungen“, Lehnen 2009: 290) zwischen eigenen und fremden Fachkontexten gefunden werden: Das [Schreiben in der Biologie] ist schon ziemlich ... also Fakten, Fakten, Fakten. Man muss da nicht viel Prosa und viel blumig schreiben. (B2PD 00: 14: 02- 7) Ja, also die schönen, blumigen, tollen Formulierungen sind das nicht, sondern es ist doch ein arg begrenzter Wortschatz. (B19P 00: 28: 44-2) Es ist halt, ich denke mal, es ist relativ simpel. Man vermeidet da ... wie gesagt, das ... literarisch da groß zu verkleiden. Es soll einfach möglichst klar und nüchtern sein. (10P Chemie 00: 15: 01-3) Meistens geht es [in Publikationen in der Informatik] wirklich darum, einfach irgendwas Technisches zu erklären und nicht, um die Leute irgendwie emotional zu berühren. (9D Informatik 00: 31: 51-4) Diese Äußerungen zeigen auf, wie die als randständig wahrgenommene Position von Sprache in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern über eine diskursive Abgrenzung zu Kontexten hergestellt wird, in denen „Prosa“ verfasst und „literarisch“ geschrieben wird. Derartige Schreibpraxen werden in diesem Zusammenhang häufig als ‚nichtwissenschaftlich‘ aufge- <?page no="267"?> 267 fasst, „[s]ie stehen tendenziell im Verdacht, verunklarend und entstellend zu sein“ (Lehnen 2009: 291), denn die Befragten bevorzugen es, „klar und nüchtern“ (10P Chemie) zu schreiben und sich an die „Fakten“ (B2PD) zu halten. Im Korpus gab es weiterhin Einzelnennungen (4 Nennungen - 2xB, 1xM, 0xL, 1xG), die hier der Vollständigkeit halber in tabellarischer Form aufgeführt werden. Interview Paraphrasierte Aussage B19P Narrativität als Anforderung an Fachartikel (nicht Deskription) B20D Sprachliche Komplexität schlecht für Verständnis - daher sei Englisch ideal M36D Beschäftigung mit Sprache / kompetente Zweisprachigkeit wird positiv bewertet G30PD Veränderung des Deutschen (Interferenzen) bei Studierenden durch englische Literatur Tabelle 19: Paraphrasierte Einzelnennungen zum Thema Sprachlichkeit (n=4) Eine Einzelnennung, die hier besprochen werden soll, ist die des Biologieprofessors B19P, der auch eine Fachzeitschrift herausgibt. Sprache wird im unten zitierten Interviewausschnitt im Gegensatz zum gängigen Tenor in den Naturwissenschaften ein anderer Stellenwert zugeschrieben - es wird betont, wie wichtig Narrativität, also Wissenskonstruktion über Erzählungen, für den Publikationserfolg sei: Also ein ganz schlimmes Wort ist, damit kann man jedes Manuskript abschießen: Es ist descriptive. Descriptive ist heutzutage also ein Totschlagargument. [...] Und das Gegenwort dazu ist novel, dazu muss man eine Geschichte erzählen, wie man zu der novelty gekommen ist. Man muss es heutzutage, das ist überall in der Gesellschaft, ich will nicht sagen aufpeppen, aber man muss, während noch vor 10, 20 Jahren das neutrale Ergebnis gezählt hat, muss man es heute gut verpacken und verkaufen. Und das zählt in der Biologie sehr stark. (B19P 00: 26: 40-4) Der Befragte scheint die Tendenz, Wissen „verpacken und verkaufen“ zu müssen, zwar nicht übermäßig zu begrüßen, versteht aber das überzeugende „Schreiben als Demonstration fachlicher Expertise“ (Jakobs 2005: 21) und bedient sich dazu narrativer Strukturen („eine Geschichte erzählen“). Diese Darstellung widerspricht zumindest teilweise der Sichtweise der anderen Natur- und Ingenieurwissenschaftler, die Sprache überwiegend als „Fülltext“ (vgl. B2PD oben) verstehen. Die Wahrnehmung des Befragten könnte mit den Aufgaben eines Herausgebers bzw. eines erfahreneren Wissenschaftlers (Karrierestufe Professor) zusammenhängen, denn es ist wahrscheinlich, dass mit steigender Verantwortung für Publikationen und Arbeitsgruppen (siehe Kap. 4.1.2) diese Sichtweise auf den Zusammenhang von Sprache und Wissen in den Vordergrund rückt. <?page no="268"?> 268 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Interviewäußerungen zu Sprachlichkeit weitestgehend mit denen in der Fachliteratur decken: Die Natur- und Ingenieurwissenschaftler sehen Sprache häufig nur als sekundär zu Daten und Methoden, als getrennt vom Erkenntnisprozess und Inhalt eines wissenschaftlichen Textes. Die geisteswissenschaftlichen Vertreter betonten dagegen, dass Inhalte nur schwer von ihrer sprachlichen Präsentation getrennt werden können. Es wird darüber hinaus deutlich, dass bei den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachvertretern ein reduktionistisches Verständnis von Sprache vorherrscht: Sie wird auf Grammatik, Fachwörter oder Zeichensetzung reduziert, Sprachfunktionen wie Begründen, Definieren, Hypothesenbilden, Erklären, Vergleichen etc. werden jedoch nicht berücksichtigt, obwohl „höhere kognitive Funktionen ohne Sprache schwer vorstellbar sind“ (Dalton-Puffer 2007: 69). Zudem wird der Sprache eine erkenntnistragende Funktion verwehrt, wie sie z.B. von Ehlich (2000: 51) bekräftigt wird: „Sprache ist nicht einfach eine Ansammlung von Wortmarken, die den sprachunabhängigen Wissenselementen angehängt würden. Vielmehr erfolgt die Organisation, Speicherung und Weitergabe des Wissens selbst in sprachlicher Form.“ Wenngleich die Natur- und Ingenieurwissenschaftler Sprache und Wissen als weitestgehend getrennt voneinander konzeptualisieren, beschrieben einige Interviewte ebenso die Notwendigkeit, das Deutsche gut zu beherrschen, bevor man Lehre und Publikationen auf Englisch einfordere. Diese Überlegungen räumen dem Deutschen zumindest in der (grundständigen) Lehre einen festen Platz ein. 5.2.5 Sprachliche und kulturelle Zuschreibungen Im letzten empirischen Teilkapitel dieses Themenkomplexes sollen Aussagen der Interviewten vorgestellt werden, in denen den Wissenschaftssprachen Deutsch und Englisch sprachliche und kulturelle Eigenschaften zugeschrieben werden. Im Einzelnen wird es um die Frage gehen, auf welche wissenschaftskulturellen und sprachlichen Attribute die Befragten Bezug nehmen, um die beiden Sprachen zu beschreiben und zu bewerten. Bereits vor geraumer Zeit hat St. John (1987: 116) in Interviews mit spanischen Naturwissenschaftlern festgestellt, dass diese das Spanische im Vergleich zum Englischen als „less precise, longer, and more variable in structure“ wahrnehmen. Wie Abbildung 26 zu entnehmen ist, empfinden analog zu diesem Ergebnis sieben Wissenschaftler, dass das Englische eine kürzere und konzisere Sprache als das Deutsche sei: <?page no="269"?> 269 Abbildung 26: Den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch zugeschriebene sprachliche und kulturelle Eigenschaften (Datengrundlage: 24 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Die Kategorie Englisch ist kürzer / konziser als Deutsch (7 Nennungen - 2x Biologie, 1x Maschinenbau, 2x Germanistische Linguistik, 2x Geschichte) gruppiert Aussagen, die die relative Knappheit des Englischen gegenüber dem Deutschen betonen. Es fällt auf, dass Vertreter aller untersuchten Fächer in diesem Code vertreten sind, was auf eine eher fachübergreifende Sichtweise schließen lässt. Die Begründungen sind jedoch teilweise unterschiedlich. So betonen einige der Befragten (G22P, B18P, B19P, L3P) die Kürze der englischen Sprache an sich, die unabhängig von den eigenen Schreibfähigkeiten existiere, ihr also sprachlich und kulturell ‚inhärent‘ sei (siehe auch Kategorie sprachinhärente Gründe in Kap. 5.2.2.1): „Die englischsprachigen [Texte] neigen zu einer konziseren Strukturierung und (2) die fallen knapper aus. Und das liegt nicht nur an der Sprachstruktur, sondern das liegt auch an der Schreibkultur“ (G22P 00: 06: 22-9). Neben sprachtypologischen Überlegungen werden ebenfalls die durch angloamerikanische Schreibkultur geprägte Diskursmuster als Begründung für diese Kürze angeführt. Die anderen drei Befragten (L32P, G26D, M25D) in dieser Kategorie sehen den Grund für dieses Attribut des Englischen auch in den eigenen sprachlichen Fähigkeiten begründet: Ich neige zu kurzen Sätzen im Englischen, was vielleicht damit zu tun hat, dass ich nicht dazu in der Lage bin lange Sätze zu formulieren oder so, ich weiß es nicht. Bin ich schon, klar, aber ja, fremde Sprache, man hält sich ein bisschen kürzer, macht es prägnanter und dadurch werden die Gedanken klarer. (G26D 00: 16: 40-5) Diese Aussage legt nahe, dass der Historiker das Englische nicht als ‚inhärent‘ kürzere Sprache auffasst, sondern dieser Umstand durch seine begrenzten sprachlichen Fähigkeiten bedingt ist. Die Interviewten, die diesen Aspekt ansprachen, fassten es überdies als Vorteil auf, zu knapperen Formulierungen angehalten zu sein („dadurch werden die Gedanken klarer“). So 7 5 3 9 0 2 4 6 8 10 Englisch ist kürzer/ konziser als Deutsch Englisch ist einfacher als Deutsch Deutsch ist präziser als Englisch Einzelnennungen/ nicht zuordbar Anzahl Nennungen (n = 27) <?page no="270"?> 270 berichtet eine Maschinenbauerin, dass sie auf Deutsch zu Schachtelsätzen („Bandwurmsätze“, M25D) neige, was auf Englisch nicht passieren könne, „weil man irgendwie von allein besser über die Sätze nachdenkt, die man da formuliert“ (M25D 00: 20: 18-8). Eine geringer ausgeprägte Sprachkompetenz im Englischen wird von diesen Befragten demnach nicht als Problem aufgefasst, sondern als Möglichkeit, stilistische Probleme wie Schachtelsätze zu umgehen und Gedanken aufgrund des Vereinfachungszwangs prägnanter zu fassen. 120 Der ersten Kategorie teilweise ähnlich, finden sich in der nächsten Kategorie, Englisch ist einfacher als Deutsch (5 Nennungen - 2xB, 0xM, 3xL, 0xG), Nennungen von Biologen und Germanistischen Linguisten. Unter anderem wird der begrenzte Fachwortschatz im Englischen als Begründung hierfür angeführt (L27PD 00: 50: 01-7), aber auch die Wahrnehmung, das Englische sei generell eine einfach zu erlernende Sprache: Ich find’ ja Englisch als Sprache schon irgendwie geeignet für eine Weltsprache. Also, ich bin überhaupt kein Sprachgenie und wenn ich das hinkrieg’ ... im Englischen, dann muss das schon Vorzüge haben. Ich denk’ mal, es ist wesentlich schwieriger für ... Nichtdeutsche, Deutsch zu lernen, weil das halt, die Sprache wesentlich komplexer ist. Ich glaub’, Englisch ist schon ein ziemlich ... ziemlich simples Ding. (B2PD 00: 52: 56-0) Drei Befragte in diesem Item untermauern ihre Einschätzung, dass das Englische leichter sei, dahingehend, dass man sich im Gegenzug im Deutschen „möglichst kompliziert und unverständlich“ (L27PD 00: 50: 01-7) sowie „wissenschaftlich und wichtig klingend“ (L31D 00: 34: 25-6) ausdrücken müsse. Für das Englische gelte dies nicht, denn die Sprache vermittele „Sachen sehr leicht und sehr leicht verständlich“ (L27PD 00: 50: 01-7) und es gebe keine ausgeprägten Unterschiede „zwischen Wissenschaftssprache und Umgangssprache“ (L31D 00: 34: 25-6). Auch in dieser Kategorie sehen die Befragten somit Vorteile in der Benutzung dieser Sprache für wissenschaftliche Publikationen. Die Annahme, Deutsch ist präziser als Englisch (3 Nennungen - 0xB, 1xM, 1xL, 1xG), wird von drei Wissenschaftlern in den Interviews erwähnt. Besonders eine Befragte aus der Geschichte beschreibt eindrücklich, wie sie die Unterschiede zwischen dem Deutschen und Englischen wahrnimmt: Aber ich hab’ schon das Gefühl gehabt, dass man auf Englisch [...] über manche Klippen so ein bisschen drüber segeln kann mit der Sprache und es klingt trotzdem alles sehr überzeugend. Und wenn [man] das aber ins Deutsche dann übertragen müsste, dann müsste man schon sagen: Nee, ich glaube, hier müsste man schon noch ein bisschen genauer schreiben, was man jetzt 120 Hier besteht eine weitere Parallele zum bilingualen Unterricht. So wird häufig vermutet, dass die Arbeit in einer nicht vollständig beherrschten Fremdsprache z.B. eine intensivere kognitive Verarbeitung der Unterrichtsgegenstände auf Seiten der Schüler bedingt (siehe dazu z.B. Hüttner/ Dalton-Puffer/ Smit 2014: 271). <?page no="271"?> 271 meint oder so. Und Englisch ist aber alles so gender, class, identity blablabla. (G16PD 00: 25: 59-3) Die Einschätzung, dass Englisch etwas schwammiger und leichter gut zu schreiben sei, Deutsch dagegen mehr Präzision und Tiefgang erfordere, ist dabei der Argumentation ähnlich, dass Englisch die einfachere Sprache sei. Der Unterschied zu den Aussagen in der vorigen Kategorie besteht darin, dass die Geschichtswissenschaftlerin dieses erhöhte Maß an Präzision nicht unbedingt als nachteilig empfindet, sondern im Gegenteil das Englische als oberflächlich an Schlüsselbegriffen orientiert charakterisiert („gender, class, identity blablabla“). Ein weiterer Befragter in dieser Kategorie, ein Germanistischer Linguist, berichtet, dass er in der Anfangsphase seiner Karriere Artikel erst auf Deutsch verfasst und anschließend übersetzt hat, „weil man auf Deutsch präziser und besser denken kann. Dann teilt man den Erarbeitungsprozess und den sprachlichen Übertragungsprozess“ (L3P 00: 09: 19-8). Ein drittes Beispiel, diesmal auf Ebene der Fachterminologie, findet sich im Interview mit einer Maschinenbau-Professorin: Es ist immer noch so, dass das deutsche Fachvokabular ... geeigneter ist, um bestimmte Details auszudrücken. Ein schönes Beispiel in der Mechanik: Platte und Scheibe. Also ... etwas Dünnes, Flaches, von dem die Länge und die Breite größer ist als die Dicke. Das kann im Deutschen entweder eine Platte oder eine Scheibe sein, hängt davon ab, ob ich es senkrecht belaste oder in Plattenrichtung. Im Englischen gibt es nur einen Begriff dafür und das macht es uns dann manchmal schwer. (M14P 00: 20: 48-0) Die hier aufgeführten Beispiele sind somit prinzipiell als Gegenstück zur obigen Kategorie zu verstehen. Wogegen dort die ‚Einfachheit‘ des Englischen bzw. die ‚Kompliziertheit‘ des Deutschen festgestellt wurde, werden dieselben Eigenschaften in dieser Kategorie in einem positiven Licht dargestellt: Das Deutsche wird als präziser und das Englische entweder als ungenau (L3P - auf kognitiver Ebene, M14P - auf Ebene der Fachlexik) und oberflächlich (G16P) charakterisiert. Aufgrund der großen Anzahl an Einzelnennungen (9 Nennungen - 4xB, 0xM, 3xL, 2xG) können nur ausgewählte Äußerungen im Detail diskutiert werden. <?page no="272"?> 272 Interview Paraphrasierte Aussage B18P Verteidiger des Deutschen sind konservativ und nutzen ‚hochtrabende‘ Sprache B2PD Deutsche Texte sind weniger wissenschaftlich (da populärwissenschaftlich) B20D Wissenschaftsenglisch beschränkt sich weitestgehend auf Fachvokabular B35PD Schreiben wissenschaftlicher Texte auf Englisch ist anders als das Schreiben ‚normaler‘ Texte L3P Deutsch als Muttersprache ist ein Vorteil für Germanisten L27PD Lehr-Lernkultur Englisch (eher Beispiele, Witze) vs. Deutsch (eher Theorie, Definitionen) L33D Englisch erfordert mehr Höflichkeit in Emails G26D Deutsche Texte sind methodiklastiger als englische; Englisch ist gekennzeichnet durch Vokabelreichtum und Verbalstil G30PD Englische Texte sind stärker genormt (mehr Eingriffe in die Freiheit der Autoren) Tabelle 20: Paraphrasierte Einzelnennungen zum Thema Wahrnehmungen von Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen (n=9) Eine der hier vorgestellten Äußerungen beschreibt Befürworter des Deutschen als Publikationssprache (wohlgemerkt in der Biologie, in der fast ausschließlich auf Englisch publiziert wird) in eher negativen Tönen: Diejenigen, die das eben versuchen, das Deutsche sozusagen noch hochzuhalten und zu behaupten, [...] verwenden ein sehr hochtrabendes Deutsch, was dann auch recht weit weg von den Menschen noch ist, sodass das dann eben auch nochmal zusätzlich abschreckt. Also es sind dann häufig sehr konservative Menschen, die auch sowieso schon … sehr hochgestochen reden und sehr komplizierte Sätze bilden und seltene Worte benutzen im Deutschen und das sind die, die dann eben die Bedeutung des Deutschen … auch argumentativ vertreten. Und das ist so ein bisschen abschreckend, weil [...] so würd’ ich sowieso auch nicht reden wollen, auch im Englischen würde ich so nicht reden wollen, ja? Ich will präzise, kurz, sachlich formulieren. (B18P 00: 53: 16-9) Die Meinung des Befragten verdeutlicht die Verbindung von sprachbezogenen Praktiken und Einstellungen sowie (wissenschaftlicher) Identität: Die Selbstwahrnehmung des Interviewten ist die eines progressiven Wissenschaftlers, der „präzise, kurz, sachlich“ formulieren will und sich damit von seines Erachtens eher „konservative[n]“ Vertretern seiner Disziplin abheben möchte, die versuchen, das „Deutsche sozusagen noch hochzuhalten und zu behaupten“. Die Werte, die bereits an mehreren Stellen dieses Kapitels von Naturwissenschaftlern vertreten wurden, wie z.B., dass das Englische eine ‚leichte‘ Sprache sei, kommen hier in anderer Form wieder zum Vorschein. Das komplizierte und irgendwie ‚überholte‘ Deutsche wird in erster Linie <?page no="273"?> 273 den Befürwortern des Deutschen als Wissenschaftssprache zugeschrieben. In der modernen Biologie hätten sprachliche Belange in den Augen des Befragten keinen Raum mehr, sie stünden eher dem wissenschaftlichen Fortschritt im Weg (vgl. Ehlich 2000: 48). Eine weitere interessante Aussage ist die kulturvergleichende Erzählung einer befragten Germanistischen Linguistin (L27PD). Ihre Einschätzung ‚englischer‘ und ‚deutscher‘ Wissenschaftskultur wird bei der Besprechung des Themas Fachlehrbücher deutlich: Englische Lehrbücher fangen an mit Beispielen, Bildern, einschlägigen Witzen, ja? Deutsche Lehrbücher ((Befragte lacht)), das regt mich echt immer auf, zunächst mal irgendwie Theorie, irgendwie 25 Definitionen von einem Phänomen bevor das überhaupt jemals erklärt wird, was ein Adjektiv ist oder so irgendwie. Bei englischen Büchern wird ein Adjektiv, da kam irgendwie so ein witziger Cartoon [...] und erst dann als Beispiele, dann so vielleicht langsam aufgebaut die Theorie. Deutsche Lehrbücher erschlagen einen mit der Theorie. (L27PD 00: 57: 56-8) Die Befragte bevorzugt offensichtlich den als eher zugänglich beschriebenen angloamerikanischen Ansatz, da er ihr weniger theorielastig erscheint und durch geschickt präsentierte Beispiele und Medieneinsatz womöglich eher für Studierende ansprechend wirkt. Ein ähnlicher Fall wird von einer Mathematik-Professorin beschrieben: B: Die Amerikaner, also zumindest die Lehrbücher, die wir hier in unserem Bereich so haben, die sind deutlich konkreter und lebensnaher als das, was in den deutschen Lehrbüchern, vergleichbaren Lehrbüchern, steht. Die sind eher theoretischer und abgehobener. HAT auch Vorteile, weil man dadurch einen GANZ anderen Zugang zur Mathematik kriegt, wenn man das über diese theoretischere Schiene macht, ist aber für Einsteiger viel schwieriger, als wenn man dieses etwas Praxis-, Lebensnähere wählt. I: Gerade für Bachelorstudenten dann eigentlich? Also… B: Ja, aber das ist auch wieder sehr personenabhängig. Also man kann das nie sagen, das eine ist besser als das andere. Es hat beides Vor- und Nachteile und ich halt’ es für gut, dass man den Studierenden hier mehr so beide Varianten präsentiert und dann können die sich aussuchen, was ihnen besser gefällt. (15P Mathematik 00: 36: 50-0) Die Aussagen der beiden Befragten decken sich dahingehend, dass sie Unterschiede im Vermittlungsstil von angloamerikanischen und deutschen Lehrwerken feststellen. Die Sichtweisen beider Befragten auf Lehrwerke spiegeln die bereits oben geschilderte Dichotomie der ‚Einfachheit‘ der englischen und der ‚Präzision/ Wissenschaftlichkeit‘ der deutschen Wissenschaftssprache wider. Die interviewte Germanistische Linguistin sieht die deutschen Lehrbücher jedoch in pädagogischer Hinsicht als eindeutig unterlegen an, wogegen die Mathematikerin die festgestellte Komplementarität in der Lehre nutzen möchte und von persönlichen Vorlieben geprägt sieht. <?page no="274"?> 274 Die beiden Lehrbuch-Beispiele wie auch die oben vorgestellten Kategorien unterstreichen, dass sich die Konzepte Wissenschaftssprache und Wissenschaftskultur nur schwer voneinander trennen lassen und daher im Hinblick auf ihre Wechselwirkungen in Zukunft genauer untersucht werden müssen. Letztlich bleibt es schwierig, die Frage zu beantworten, ob eine positive Einstellung gegenüber der englischen Wissenschaftssprache und -kultur nicht eher auf ihrer momentan dominanten Position beruht als auf sprachlichen Gesichtspunkten. Im letzten Abschnitt werden nun die wichtigsten Ergebnisse der einzelnen Themenfelder aufeinander bezogen und zusammengefasst. Auf Grundlage der Resultate sollen außerdem Implikationen für die Wissenschaftssprachforschung aufgezeigt werden. 5.2.6 Fazit und Implikationen In diesem Kapitel standen die in den Interviews thematisierten Einstellungen und Sichtweisen der Befragten zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch im Vordergrund. Grundannahme der Analyse war, dass eine laienlinguistisch orientierte Untersuchung der Daten differenzierte Zugänge zum sprachlichen und fachlichen Selbstverständnis der Wissenschaftler erlaubt. Die am Anfang des Kapitels aufgestellten Leitfragen sollen hier in einer Zusammenschau der einzelnen Themenblöcke beantwortet werden. 1. Wie begründen die Interviewten die Wahl der Publikations- und Lehrsprachen Englisch und Deutsch? Zählt man die Nennungen der ersten beiden Kategorien zusammen, so stellt man fest, dass sich allein 30 der 67 Begründungen für das Publizieren in englischer Sprache auf den internationalen Austausch beziehen. Es wird zudem der Umstand betont, dass dieser nicht über individuelle Mehrsprachigkeit zu erreichen sei, sondern nur über die Nutzung einer globalen Wissenschaftssprache - des Englischen. Diese Überlegungen wurden von Vertretern aller hier untersuchten Fächer angeführt, sind also nicht an eine bestimmte Fachkultur gebunden. Für einige Befragte (n=7) war die Anglisierung im Fach zudem bereits so weit fortgeschritten, dass sie die Alternativlosigkeit des Englischen herausstellten, unter anderem da (‚gute‘) Fachliteratur ausschließlich auf Englisch vorliege (n=10). Ein eindeutig fachspezifisches Ergebnis ist die Begründung der Historiker (n=5), dass das von ihnen bearbeitete Forschungsthema besonders international sei und deshalb auf Englisch publiziert werde. Dies spricht für eine immer noch bestehende nationalsprachliche Verankerung der Geschichtswissenschaft, deren ‚Aufbrechen‘ die Befragten hier durch ihre thematischen Arbeitsschwerpunkte rechtfertigen. Diese Annahme wird weiterhin dadurch gestützt, dass kein Historiker die Ansicht vertrat, (‚gute‘) Fachliteratur läge nur auf Englisch vor. Die Abwesenheit der Geschichtswissenschaftler in diesen Kategorien legt nahe, dass ausreichend deutschsprachige Literatur existiert. Berufliche Mobilität und Karrierechancen (n=4) wurden erstaunlich selten genannt. Dieses Argument wurde zudem hauptsächlich von Nachwuchswissen- <?page no="275"?> 275 schaftlern angeführt, die zwar noch eine Wahl zwischen dem Publizieren auf Englisch und Deutsch haben, sich aber aufgrund einer anvisierten Karriere im In- oder Ausland für das Publizieren auf Englisch entscheiden. Dementsprechend fehlen die Biologen in dieser Kategorie, da es hier laut den Befragten ohnehin keine ‚wirkliche‘ Wahl mehr gibt. Begründungen für das Publizieren in deutscher Sprache (n=15) finden sich aufgrund der Erhebungslogik, d.h. der Fokus lag auf der Wissenschaftssprache Englisch, deutlich seltener im Korpus. An den Ergebnissen fällt auf, dass die Biologen nichts zu diesem Thema mitteilen, was als ein weiteres Indiz dafür gesehen werden kann, dass sie keinen triftigen Grund sehen, auf Deutsch zu publizieren. Weiterhin kann konstatiert werden, dass stilistische, kompetenzorientierte und zeitökonomische Gesichtspunkte (n=4), eine nationale Themen- und Adressatenorientierung (n=2) sowie in der Germanistischen Linguistik eine wissenschaftliche Karriere (n=3) als Gründe für die Nutzung des Deutschen als Publikationssprache angegeben werden. Dass die Teilnahme am deutschsprachigen Diskurs (n=3) von einigen Befragten als ‚Sprungbrett‘ bzw. ‚Schutzraum‘ gesehen wird, unterstreicht die Notwendigkeit national und regional orientierter Publikationsforen. In den wenigen Begründungen für die Wahl des Englischen in der Lehre (n=7) kann für die Befragten festgestellt werden, dass Wissenschaft ein internationales Unterfangen (n=3) sei und wissenschaftliche Texte (n=4) diesem Trend folgen müssten. Aus einigen Zitaten geht hervor, dass die Befragten ihre Erwartungen an Berufswissenschaftler auf die Studierenden projizieren und so einer dysfunktionalen Anglisierung der Lehre Vorschub leisten könnten. In zwei von drei Kategorien im Themenbereich Begründungen für die Wahl des Deutschen in der Lehre (n=17) wurden der hohe fachliche Anspruch bzw. die (mangelnden) sprachlichen Kompetenzen der Studierenden (n=5) sowie deren zurückhaltende Einstellung gegenüber dem Englischen (n=2) als Beweggründe für die deutschsprachige Lehre angeführt. Die Gruppe der Studierenden kann somit, zumindest aus Sicht der Interviewten, als Akteur gesehen werden, der die Anglisierung in der Lehre bremst. Darüber hinaus stellen zwei Befragte einen Mangel an ‚Authentizität‘ in englischsprachigen Lehrsituationen (n=2) fest, in denen Lehrende wie Lernende Muttersprachler des Deutschen sind. 2. Ergibt sich für die Befragten die Notwendigkeit, das Deutsche als Wissenschaftssprache zu unterstützen? Welche Gründe werden für oder gegen ein solches Vorhaben angeführt? Lediglich vier der 19 zu dieser Frage Interviewten empfanden es als wünschenswert, das Deutsche beispielsweise durch zweisprachige angelegte Publikationen zu unterstützen. Die restlichen 15 Befragten sehen, trotz einer gewissen Ambivalenz hinsichtlich der Marginalisierung des Deutschen als Publikationssprache, keinen Handlungsbedarf. Die dafür angeführten Begründungen sind jedoch fachspezifisch äußerst unterschiedlich: 121 So argu- 121 Die Datenbasis bei den Befragten aus dem Maschinenbau war nicht ausreichend, um fachspezifische Vergleiche anzustellen. <?page no="276"?> 276 mentieren Germanistische Linguisten und Historiker (n=7), dass das Deutsche als Wissenschaftssprache nicht gefährdet sei, was Maßnahmen zum Erhalt der Sprache unnötig mache. Die Biologen unterstreichen dagegen die Unwiderruflichkeit der Anglisierung (n=4) und die Aussichtslosigkeit etwaiger Maßnahmen zum Erhalt des Deutschen. Die Wissenschaftler kommen somit trotz verschiedener Ausgangssituationen zu einem ähnlichen Schluss, nämlich dass das Deutsche zumindest als Publikationssprache keine dezidierte Unterstützung erfahren solle. Jeweils mindestens ein Vertreter der untersuchten Fächer befürchtet zudem eine Hemmung des wissenschaftlichen Fortschritts (n=5), sollte etwa stärker auf deutschsprachigen Veröffentlichungen insistiert werden. 3. Welchen Stellenwert hat Sprache für die Wissenschaftler bei der Wissensproduktion und -verbreitung? Die Interviewäußerungen bezüglich der sprachlichen Verankerung von Wissen bestätigen weitgehend den Erkenntnisstand der Fachliteratur: Die Natur- und Ingenieurwissenschaftler sehen Sprache häufig nur als sekundär zu Daten und Methoden, als getrennt von Erkenntnisprozess und Inhalt eines wissenschaftlichen Textes (insgesamt 15 Nennungen in vier Kategorien). Die wenigen geisteswissenschaftlichen Vertreter in diesem Abschnitt dagegen betonen, dass Inhalte nur schwer von ihrer sprachlichen Präsentation getrennt werden können (n=3). Dabei konzeptualisieren natur- und ingenieurwissenschaftliche Fachvertreter Sprache überwiegend als (z.B. grammatische) ‚Oberflächenphänomene‘, lassen aber häufig kognitive, wissenskonstruktive und kommunikative Funktionen außer Acht. Dennoch verwiesen sie auf die Notwendigkeit, das Deutsche gut zu beherrschen, bevor eine englischsprachige Lehre eingefordert werden kann (n=4), was dafür spricht, dass sie der Mutterbzw. Bildungssprache Deutsch zumindest einen gewissen Stellenwert einräumen. Diese Aussagen suggerieren zugleich, dass sich englisch- und deutschsprachiges Schreiben kaum unterscheide, da man die im Deutschen aufgebauten Kompetenzen ‚einfach‘ ins Englische übertragen könne. 4. Welche sprachlichen und kulturellen Eigenschaften weisen die Interviewten den Wissenschaftssprachen Deutsch und Englisch zu? Die Interviewanalyse zeigt auf, dass einige Befragte davon ausgehen, dass das Englische kürzer als das Deutsche sei (n=7). Die Gründe dafür werden teils in der Sprache selbst und der anglophonen Schreibkultur gesehen, teils in der begrenzten eigenen Fremdsprachenkompetenz. Interessanterweise empfanden einige Interviewte es als vorteilhaft, sich knapper ausdrücken zu müssen und sahen diesen ‚Vereinfachungszwang‘ als förderlich an, um Sätze stärker zu durchdenken. Zwei weitere Kategorien enthalten jeweils Aussagen, die das Englische als die einfachere (n=5) bzw. das Deutsche als die präzisere Sprache (n=3) charakterisieren. Bei genauerer Betrachtung bilden beide Kategorien jedoch die Endpole derselben Dichotomie ab, wenn auch mit jeweils positiven bzw. negativen Attributen, die den Wissenschaftssprachen Englisch oder Deutsch zugeschrieben werden: So charakterisieren In- <?page no="277"?> 277 terviewte das Englische als zugängliche Sprache, die das Deutsche als überkompliziert empfinden und das Deutsche wird als präzisere Sprache erachtet, wenn im Kontrast dazu das Englische als ‚schwammiger‘ beschrieben wird. In den zwei Aussagen zu englischen und deutschen Lehrbüchern wird darüber hinaus besonders deutlich, dass die festgestellten sprachlichen Unterschiede eine kulturelle Dimension haben: Die Befragten bevorzugen nicht nur eine Wissenschaftssprache, sondern auch die mit dieser Sprache assoziierten wissenschaftskulturellen Eigenschaften. So stellte eine Germanistische Linguistin sowohl die Zugänglichkeit der englischen Sprache heraus, als auch die pädagogische Überlegenheit englischsprachiger (bzw. angloamerikanischer) Lehrbücher gegenüber den als zu theoretisch und trocken empfundenen deutschen Lehrbüchern. Es wurde aufgezeigt, dass eine laienlinguistisch orientierte Betrachtung der Wissenschaftssprachen Deutsch und Englisch Untersuchungsansätze wie die Genreanalyse oder Bibliometrieforschung komplementieren kann. Die Ergebnisse tragen zu einer besseren Datenlage im deutschen Wissenschaftskontext bei und geben Auskunft über die vielfältigen diskursiven Positionierungen der Befragten in Bezug auf die Verwendung von Wissenschaftssprachen, die Argumente für oder gegen eine Anglisierung bestimmter Domänen sowie den Stellenwert, den sie Sprache in ihrer Arbeit einräumen. Wird die Anglisierung unter der Annahme vorangetrieben, dass Wissenschaft nur im internationalen Rahmen funktioniere und weitestgehend sprachunabhängig sei, so liegt dieser Argumentation häufig ein naturwissenschaftliches ‚Weltbild‘ zugrunde. In der Folge könnte dies anderen Wissenschaftskulturen, wie großen Teilen der Geistes- und Sozialwissenschaften, schaden. Eine gemeinsame ‚Sprachlösung‘ für alle Fächer ist demnach nicht nur unrealistisch, sondern birgt zudem Gefahren für mehrsprachig arbeitende Fächer. Für einen Einsatz der Wissenschaftssprachen, der mit der jeweiligen Wissenschaftskultur kompatibel ist, sind demnach disziplinspezifische ‚Lösungsansätze‘ in Forschung und Lehre nötig: So wird in den Naturwissenschaften (Beispiel Biologie) kaum eine zwei- oder gar mehrsprachige Publikationspraxis durchsetzbar sein, in der Lehre und Populärwissenschaft hat das Deutsche jedoch nach wie vor, auch in den Augen der Forscher selbst, eine Daseinsberechtigung. Die Kenntnis fachtypischer Argumentationslinien bietet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, den Dialog über die Bedeutung des Deutschen und Englischen als Wissenschaftssprachen ‚in den Worten‘ der jeweiligen Fachkultur fortzusetzen. Die vorgestellten Interviewaussagen hinterlassen den Eindruck, dass eine zu starke Fokussierung auf das Englische in der Lehre den Bildungsauftrag der Universität untergraben könnte. Es sollte daher beispielsweise über die Erforschung (fremd-)sprachlicher Anforderungsprofile für verschiedene Ausbildungsziele in den jeweiligen Studiengängen nachgedacht werden: Wie viel Englisch ist für welche Zielgruppe notwendig? Wie greifen deutsch- und englischsprachige Lehre ineinander und bauen aufeinander <?page no="278"?> 278 auf? Eine systematische Berücksichtigung sprach- und fachdidaktischer Gesichtspunkte in der Lehre kann dabei helfen, mit den Herausforderungen Internationalisierung, Mehrsprachigkeit und Diversifizierung produktiv umzugehen. <?page no="279"?> 279 6 Themenkomplex III: Ausbildung und Sozialisation 6.1 Maßnahmen zur Unterstützung von Nachwuchswissenschaftlern beim englischsprachigen Schreiben und Publizieren Da Nachwuchswissenschaftler im Zuge zunehmender Internationalisierung und Anglisierung der Wissenschaft immer häufiger auch englischsprachig vortragen, schreiben und publizieren, stellt sich die Frage, wie sie dabei gefördert werden können (vgl. z.B. Flowerdew 2000; Wegener/ Tanggaard 2013). Im vorliegenden Kapitel stehen daher die von den Befragten geäußerten Fördermöglichkeiten im Vordergrund, die darauf abzielen, Nachwuchswissenschaftler, die Englisch als Fremdsprache verwenden, beim Schreiben und Publizieren in englischer Sprache zu unterstützen. 122 Vorgestellt wird dabei im ersten Schritt, welche Maßnahmen die Befragten häufiger oder weniger häufig nennen (quantitative Bedeutung) und welche etwaigen Möglichkeiten und Einschränkungen mit den jeweiligen Fördermaßnahmen verbunden werden (qualitative Bedeutung). So nennen mit Abstand die meisten befragten Wissenschaftler Sprach- und Schreibkurse als Unterstützungsmaßnahme. Die Effektivität dieser Maßnahme wird aber an bestimmte Bedingungen geknüpft. An zweiter Stelle steht die Kategorie learning by doing, in der die Befragten beschreiben, wie durch Praktiken wie gemeinsames Schreiben und Publizieren sowie das Halten von Vorträgen Nachwuchswissenschaftler ausgebildet werden. In Analogie zu anderen Kapiteln wird ebenfalls darauf eingegangen, inwiefern eine bestimmte von den Befragten vorgeschlagene Maßnahme als eher fachspezifisch oder fächerübergreifend gelten kann. In besonderem Maße steht in diesem Kapitel jedoch die Karrierestufe der Wissenschaftler im Fokus: Im Anschluss an die Vorstellung der einzelnen Maßnahmen werden in einer vertiefenden Analyse die Sichtweisen der Befragten zum sprachlichen und fachlichen Lernen in der Praxisgemeinschaft (z.B. Wenger 1998) genauer betrachtet. Vordergründig soll dabei erörtert werden, inwiefern die Befragten die Ausbildung von Doktoranden über die bereits an anderer Stelle vorgestellte legitime periphere Partizipation (LPP, siehe Kapitel 2.2), eine häufig kooperativ ausgerichtete Form der Einbindung des wissenschaftlichen Nachwuchses in die Schreib- und Publikationspraktiken einer Fachgemeinschaft, weitgehend gewährleistet sehen. In diesem Zusammenhang 122 Die korrespondierende Interviewfrage lautet: „Was könnte getan werden, um die Situation der nichtmuttersprachlichen Wissenschaftler zu verbessern, insbesondere für das wissenschaftliche Publizieren und Schreiben? “. <?page no="280"?> 280 werden Überlegungen dazu angestellt, inwiefern Schreibkurse (und andere institutionalisierte Lernangebote) die sprachlich-fachliche Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses komplementieren und fördern können. Der dritte Themenkomplex ist wie folgt aufgebaut: Zunächst werden von den Befragten genannte Maßnahmen zur Unterstützung deutschsprachiger Nachwuchswissenschaftler vorgestellt und diskutiert (Kap. 6.1.1-6.1.7). Die Kategorie learning by doing soll daran anschließend als eine Form der Sozialisation in wissenschaftliche Diskurs- und Praxisgemeinschaften vertiefend untersucht werden (Kap. 6.2.1-6.2.2). Darauf folgend werden Überlegungen dazu angestellt, wie diese Sozialisationspraxis sinnvoll durch Kursangebote und andere Lernarrangements komplementiert werden kann (Kap. 6.2.3). Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse und Implikationen im Hinblick auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zusammengefasst (Kap. 6.2.4). Die Befragten äußerten zahlreiche Vorschläge, wie deutschsprachige Nachwuchswissenschaftler Förderung im Hinblick auf das wissenschaftliche Schreiben und Publizieren auf Englisch erfahren könnten. In der untenstehenden Abbildung werden die häufigsten Nennungen aufgeführt: Abbildung 27: Von den Befragten thematisierte Fördermaßnahmen für den wissenschaftlichen Nachwuchs (Datengrundlage: 36 Interviews; enthält Mehrfachnennungen) Wie aus der Abbildung hervorgeht, werden neben institutionellen Maßnahmen wie Sprach- und Schreibkursen auch ‚inoffizielle‘ Maßnahmen, wie learning by doing oder die Zusammenarbeit mit englischsprachigen peers, von den Befragten als mögliche Fördermaßnahmen genannt. Die Häufigkeit der genannten Maßnahmen ist dabei nicht immer mit einer uneingeschränkten Befürwortung der Befragten gleichzusetzen (siehe z.B. das Item Sprach- und 27 17 13 11 6 5 4 0 5 10 15 20 25 30 Sprach- und Schreibkurse Learning by doing Auslandsaufenthalte Curriculare Einbindung des Englischen Korrekturdienstleistungen Zusammenarbeit mit englischsprachigen Peers Änderungen im Schulsystem Anzahl Nennungen (n = 83) <?page no="281"?> 281 Schreibkurse unten). Die einzelnen Kategorien werden in absteigender Häufigkeit der Nennungen besprochen. 6.1.1 Sprach- und Schreibkurse Circa 75% aller Befragten nahmen in den Interviews Bezug auf Sprach- und Schreibkurse (27 Nennungen - 5x Biologie, 4x Maschinenbau, 5x Germanistische Linguistik, 4x Geschichte), als sie nach möglichen Unterstützungsmaßnahmen für deutschsprachige Wissenschaftler gefragt wurden. Ungeachtet der Bewertung dieser Angebote durch die Wissenschaftler werden Sprach- und Schreibkurse demnach fächerübergreifend als ein probates Mittel zur Förderung von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern thematisiert. Die Befragten äußerten im Rahmen der Besprechung der Maßnahmen interessante Wünsche und Kritikpunkte, von denen einige der untenstehenden Tabelle zu entnehmen sind: Unterkategorie Nennungen Gewünschter Zeitpunkt für Schreibkurse 9 Fachspezifische Ausrichtung wird gefordert 7 Kritik an Schreibkursen 5 Schreibkurse für das Deutsche als Wissenschaftssprache 2 Tabelle 21: Unterkategorien des Items Sprach- und Schreibkurse Zwar werden nach Aussagen der meisten Befragten bereits Sprachkurse am Sprachenzentrum der jeweiligen Universität angeboten, dies gilt allerdings nur selten für Schreibkurse. In einigen Fällen wurden Schreibkurse gelegentlich im Rahmen von Graduiertenschulen angeboten, und nur in einem Fall waren sie fester Bestandteil der Studienstruktur (1PD Amerikanistik). Viele Wissenschaftler in dieser Kategorie (4P Physik, 6PD BWL, M14P, 15P Mathematik, G16PD, B19P, G30PD, L31D) sind daher der Meinung, dass die Einrichtung von Schreibkursen sinnvoll ist und nachgeholt werden sollte. Die Verantwortung für derartige Angebote solle nach Meinung der Befragten in universitären Institutionen wie Sprachenzentren und Graduiertenschulen liegen. Von den Befragten, die sich über Schreibkurse äußerten, forderten zwei ihre Einführung bereits während des Bachelor-Studiums, drei auf Masterniveau und vier forderten Schreibkurse speziell für Doktoranden. Diese Verteilung lässt darauf schließen, dass die Befragten mit den erwähnten <?page no="282"?> 282 Schreibkursen jeweils verschiedene Zielgruppen und Ziele verbinden. 123 Sie bezeichnen demnach nicht nur „Englischkurse, die dann direkt auf dieses spezielle Berufsfeld und diese wissenschaftlichen Publikationen hin, ja ausgerichtet sind“ (G16PD 00: 34: 00-8), wie aus Bezeichnungen wie „Publishing in English“ (9D Informatik, 00: 34: 30-0) oder „Publizieren auf Englisch“ (15P Mathematik 00: 27: 13-4) eindeutig hervorgeht. Sie können sich ebenfalls auf die Bewältigung von Schreibaufgaben im Studium, sogenanntes „Academic Writing“ (1PD Amerikanistik 01: 01: 11-2), beziehen. Zwei Befragte (4P Physik, L3P) betonen, dass die Einführung von Schreibkursen für das Deutsche als Wissenschaftssprache noch dringlicher sei als englischfokussierte Schreibkurse: Dass man auch Kurse anbietet für wissenschaftliches Schreiben auf Englisch ist gut, aber wir müssten das auch mal auf Deutsch anbieten [...]. Ist halt auch eine Lücke. Das sollten wir vielleicht als Erstes machen. (L3P 00: 33: 57-7) Das [Deutsche] ist für mich eigentlich die Basis und ich wollt’ eigentlich schon mal sagen, wir bräuchten in der Tat, wir bräuchten Kurse in Scientific Writing, aber auch auf Deutsch. (4P Physik 00: 20: 39-6) Beide Interviewte befürworten zwar prinzipiell die Einrichtung englischer Schreibkurse, möchten aber auch, dass Schreibkurse für das Deutsche als Wissenschaftssprache möglichst bereits während des Bachelorstudiums eingeführt werden. Dieser Wunsch geht unter anderem auf die von den Interviewten festgestellten studentischen Defizite bei der Verwendung des Deutschen als Wissenschaftssprache zurück. 6.1.1.1 Kritik an Schreibkursen Auch wenn Sprach- und Schreibkurse am häufigsten von den Wissenschaftlern als Fördermaßnahme genannt worden sind, haben nur sehr wenige Befragte selbst derartige Kurse besucht. Lediglich zwei der befragten Wissenschaftler (G29D, L33D) geben explizit an, dass sie bereits einen Englischkurs besucht hätten. Mindestens sechs Wissenschaftler (13D Elektrotechnik, B19P, B20D, G22P, M23P, G26D) verneinen dies dagegen explizit. Bei vielen weiteren Befragten ist dies indirekt aus den Interviewaussagen zu erschließen. Dieser Umstand muss bei der Interpretation der in diesem Abschnitt vorgestellten Kritik berücksichtigt werden, ebenso wie die Tatsache, dass viele Befragte den Nachwuchswissenschaftlern in ihren Arbeitsgruppen den Besuch von Schreibkursen dennoch empfehlen. 123 Eine Befragte begründet den späteren Einführungszeitpunkt damit, dass „man aber auch erst an einem gewissen Punkt im Studium sein [muss]. Wenn man das ohnehin noch nicht versteht, was Wissenschaft ist und wie man wissenschaftlich arbeitet, dann braucht man auch noch keinen Kurs über scientific writing“ (10P Chemie 00: 29: 03-6). Writing to learn-Ansätze, die Schreiben als eine Lernform betrachten, stehen dieser Annahme kritisch gegenüber. <?page no="283"?> 283 Sechs Interviewte (B2PD, 13D Elektrotechnik, B18P, B20D, M23P, G26D) äußern direkt Kritik an Schreibkursen. So teilt ein Befragter mit, anstelle eines Kurses könne „man sich auch mal irgendwie, weiß nicht, ein Buch kaufen. (2) Das Chicago Manual of Style oder MLA oder irgendwie so etwas und da einfach mal gucken, was muss ich denn beachten? “ (M23P 00: 34: 38-3). Der Befragte impliziert somit, dass ein Schreibkurs ein ähnliches Leistungsspektrum umfasse wie ein erweitertes Stylesheet, sich also überwiegend mit der Vermittlung von Formalien beschäftige. Eine Befragte aus der Biologie geht davon aus, dass Schreibkurse überflüssig seien, denn „man lernt das auch so. Wenn man die Sachen auch liest, weiß man ja auch ungefähr, in welchem Stil das geschrieben werden muss“ (B20D 00: 07: 42-0). Hier wird die Wahrnehmung geäußert, dass Schreibkurse nur bedingt für das Schreiben und Publizieren auf Englisch nötig sind, da man sich die nötigen Kompetenzen über das Lesen der wissenschaftlichen Literatur aneignen kann. Ein Doktorand aus der Geschichte charakterisiert sich eher als „Feind von Kursen und Leute zu viel an die Hand nehmen“ (G26D 00: 20: 54-9) und bevorzugt es, sich Kenntnisse zum wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren selbstorganisiert anzueignen. Ein weiterer Fall ist der eines Biologen (B2PD), der keine Kurse belegen möchte, da er hierdurch keine unmittelbare Hilfe bezüglich seiner Schreib- und Publikationsprobleme erwarte: „Weiß ich nicht, ob [...] mir das sofort hilft“ (B2PD 00: 20: 28-2). Besonders aufschlussreich erscheint die Kritik eines Interviewten aus der Elektrotechnik. Obwohl er allgemeine Sprachkurse sinnvoll findet, kritisiert er Schreibkurse: Wissenschaftliches Schreiben auf Englisch, halt’ ich nicht ganz so viel von, ohne es selbst gemacht zu haben, eben weil (2) zwei Kompetenzen für mich die zentralen sind: Einmal eine solide sprachliche Kompetenz. Dass man des Englischen mächtig ist und sich verständlich machen kann ... in Ergänzung mit LEO dann auch die Fachbegriffe alle drauf hat. Und das zweite, den Transfer zu schaffen aus dem Labor in die Veröffentlichung. Also die Inhalte aufzubereiten, verständlich zu machen. [...] Und da ist das Letztgenannte wahrscheinlich die größte Herausforderung. [...] Sprachkurse können diesen Punkt der Wissensaufbereitung nicht adressieren. Ist auch gar nicht die Aufgabe. Und es hilft, glaub’ ich, eher [...] in der jeweiligen Muttersprache das Verständnis dafür zu ermitteln oder zu entwickeln und in einer Fremdsprache eben den Wortschatz zu erweitern. (13D Elektrotechnik 00: 25: 41-8) In der Wahrnehmung des Befragten sind Sprachkurse zwar nützlich, um den englischsprachigen Wortschatz zu erweitern. Aber auch hier wird sich auf ein relativ enges Verständnis von Schreibkursen als Vermittler von Lexik berufen. Diese fast mechanistisch anmutende Aufgabe empfindet der Interviewte jedoch als weniger anspruchsvoll als die Wissensvermittlung und -aufbereitung im Zuge englischsprachiger Publikationen („sich verständlich machen“). Das könne von englischsprachigen Sprachkursen jedoch nicht geleistet werden, sondern sei vielmehr in der deutschen Sprache zu bewerk- <?page no="284"?> 284 stelligen. 124 Wissenstransformation und -kommunikation wird als außerhalb des Aufgabenfeldes von (englischsprachigen) Schreibkursen gesehen. Aus schreibdidaktischer Sicht besteht jedoch durchaus die Möglichkeit, wenn nicht gar die Notwendigkeit, diese und andere schreibrelevante Themen in wissenschaftliche Schreibkurse zu integrieren (vgl. z.B. Limburg 2014). Die Urteile der Befragten über die Beschränkungen von Schreibkursen sind vor dem Hintergrund der Tatsache, dass nur sehr wenige von ihnen selbst an derartigen Angeboten teilgenommen haben (z.B. „ohne es selbst gemacht zu haben“), daher in erster Linie als Anreiz zu verstehen, Entscheidungsträger in den Fächern von den Vorteilen wissenschaftlicher Schreibkurse zu überzeugen. Fünf Wissenschaftler (B2PD, B20D, B21D, M24PD, G30PD) problematisieren die schwierige Vereinbarkeit von Sprach- und Schreibkursen mit dem beruflichen Alltag. So würden Kurse zu ungünstigen Zeiten angeboten, wie zwei Doktoranden aus der Biologie finden: „Mit den Laborzeiten, mit den Praktika, die man hat, war es oftmals nicht unter einen Hut zu bringen“ (B21D 00: 02: 22-1). Diese Termin- und Zeitproblematik wurde auch in Huang (2010: 39) von mehreren Naturwissenschaftlern thematisiert. Kompakt-, und Wochenendkurse könnten für im Labor tätige Wissenschaftler möglicherweise eine Alternative zu semesterbegleitenden Kursen sein. 6.1.1.2 Fachspezifische Schreibkurse Bevor auf die Sichtweisen der Befragten zu diesem Thema eingegangen wird, soll zunächst die Unterscheidung zwischen fächerübergreifenden und fachspezifischen Schreibkursen thematisiert werden. Besonders an US-Universitäten sind fächerübergreifende college composition-Kurse obligatorisch am Anfang des Studiums zu belegen. Dass derartige Kurse verpflichtend sind, verdeutlicht die Schlüsselposition des Schreibens für Studium und Lernerfolg in den englischsprachigen Ländern, die es in Deutschland in der Regel nicht innehat. Diese Kurse haben nicht die Aufgabe, fachspezifische Normen und Regeln des Schreibens zu vermitteln, sondern sollen Studierenden dabei unterstützen, Schreiben als Lernwerkzeug einzusetzen. Es wird angenommen, dass es einen gemeinsamen Kern (common core, Etherington 2008: 27) wissenschaftlichen Schreibens gibt, wie beispielsweise die Einbettung fremder Quellen im eigenen Text (vgl. a.a.O.: 28). Organisatorisch gesehen haben fächerübergreifende Schreibkurse den Vorteil, dass sie prinzipiell von Studierenden aller Fächer belegt werden können. Es sprechen aber auch gute Argumente für fachspezifische Kurse, denn wissenschaftliches Schreiben wird über Fachdiskurse und -praktiken umgesetzt, 124 Siehe hierzu Kruse (2012), der sich dafür einsetzt, wissenschaftliches Schreiben mehrsprachig und kontrastiv (z.B. Deutsch/ Englisch) zu unterrichten. Er plädiert weiterhin dafür, die teilweise kontraproduktive Verbindung von Englisch als Lehrsprache und Kursgegenstand zu hinterfragen. <?page no="285"?> 285 die sich teilweise stark voneinander unterscheiden (siehe Kap. 2.3.7; vgl. auch Lehnen 2009: 281f.). Die Existenz fachspezifischer Textsorten wie Laborbericht, Essay, Gesetzeskommentar und Unterrichtsentwurf unterstreicht diese disziplinäre Verankerung. Sollen Studierende dabei unterstützt werden, sich in diesen Fächern schriftlich regelkonform zu bewegen, kann dies nur über Kurse mit einer fachspezifischen Komponente geschehen. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass sieben Befragte (4P, 15P, G16PD, B18P, B19P M24PD, G29D) eine stärker fachspezifische Ausrichtung wissenschaftlicher Schreikurse anregen, sich jedoch keiner der befragten Wissenschaftler für eine fächerübergreifende Konzeption von Schreibkursen aussprach. Beispielsweise berichtet ein Doktorand aus der Geschichte (G29D), dass selbst ein einschlägig benannter Kurs nicht ausreichend auf fachliche Textsorten ausgerichtet war. So sei der Kurs, den der Interviewte belegt hatte („English for social scientists“), durch ein „sehr … bodenständiges Niveau, wo man mehr so Kurzreferate über Land und Leute dann gehalten hat“ (G29D 00: 25: 21-8), charakterisiert gewesen. Die Befragten äußern daher in den Interviews verstärkt den Wunsch nach Fachorientierung: „Wenn das Sprachenzentrum hier Kurse anbieten würde, Publizieren auf Englisch, und das dann noch nach Fachgebieten ein bisschen sortiert, so etwas wäre sicherlich hilfreich“ (15P Mathematik 00: 27: 13-4). Wie in der folgenden Fallkontrastierung hervorgehoben wird, haben die Wissenschaftler allerdings divergierende Vorstellungen davon, wie ‚eng‘ die fachliche Orientierung im Idealfall sein sollte: Physiker Biologe Das müsste wirklich spezifisch zugehen dann auf die Naturwissenschaftler. Man könnt’ sicher die Physiker und die Chemiker und Biologen vielleicht da zusammenfassen, das ist nicht so dramatisch unterschiedlich. (4P Physik 00: 20: 39-6) Da müsste man sagen, Englisch für Biologen, Englisch für Chemiker, Englisch für Physiker, weil es dort auch schon eben die unterschiedlichen Kulturen gibt. (B19P 00: 47: 27-8) Tabelle 22: Fallkontrastierung zweier Interviewaussagen hinsichtlich der Fachspezifik von Schreibkursen Aus dem Vergleich geht hervor, dass für die Befragten verschiedene Grade der fachlichen Differenzierung sinnvoll erscheinen. Während der befragte Physiker (4P) eine Trennung nach Geistes- und Naturwissenschaften bereits für ausreichend hält, fordert der interviewte Biologe (B19P) eine weitere Unterteilung innerhalb der Naturwissenschaften, da in einzelnen Fächern wie Chemie und Biologie unterschiedliche Fachkulturen existierten. Der Wunsch der Interviewten, Schreibkurse möglichst im Fachzusammenhang der jeweiligen Studiengänge und Fächer anzubieten, ist nachvollziehbar. Ohne die Zuweisung zusätzlicher Ressourcen und ohne intensive Kooperation zwischen Fachwissenschaftlern und Schreibdozenten erscheint es jedoch zumin- <?page no="286"?> 286 dest schwer vorstellbar, dass die Sprachenzentren für zahlreiche Fächer einer Universität spezielle Schreibkurse anbieten können (vgl. auch Vogel 2007: 192-194). Die Befragten sind sich möglicherweise nicht immer der kommunikativen und finanziellen Herausforderungen bewusst, die die Erarbeitung und Erteilung eines fachlich stark differenzierten Kursangebotes impliziert (vgl. dazu Etherington 2008: 39; Gnutzmann/ Lipski-Buchholz 2013: 119). Als weiteres Problem kommen die selbst innerhalb der Fächer divergierenden sprachlichen, fachlichen, methodischen und epistemologischen Positionen hinzu. Diese Diversität führt dazu, dass Schreibkurse der ständig zunehmenden Spezialisierung der Wissenschaften insbesondere auf Ebene der Doktoranden nur bedingt gerecht werden. Angesichts dieser Problematik stellt sich die Frage, welchen Beitrag Schreibkurse zur Förderung von Nichtmuttersprachlern beim Schreiben und Publizieren in den Disziplinen leisten können. Diese Frage soll in Verbindung mit den Erkenntnissen der Kategorie learning by doing unter Bezugnahme auf die Konzepte der Praxis- und Diskursgemeinschaft in Kapitel 6.2.3 weiterverfolgt werden. 6.1.1.3 Überlegungen der Befragten zur Gestaltung von Schreibkursen Über die fachspezifische Ausrichtung hinausgehend schlagen einige Wissenschaftler konkrete Inhalte und Strukturen von Schreibkursen vor, um sie relevanter für die eigenen Ausbildungsziele zu machen. Als einziger Wissenschaftler im Korpus fordert ein Amerikanist (1PD) einen wissenschaftskulturellen Fokus in den Sprach- und Schreibkursen ein: Den Leuten zu vermitteln, das sind andere Zeitschriften, die gehen anders mit ihren Lesern um, die haben andere Profile und andere Ansprüche an Aufbau, Rhetorik und Verständlichkeit und Kommunikation. […] Kommunikation von Wissenschaft ist in den angelsächsischen Ländern viel wichtiger als in Deutschland ... und das [...] schlägt sich auch auf die Sprache nieder. (1PD Amerikanistik 00: 47: 41-6) Der Interviewte sieht, vor dem Hintergrund seiner fachlichen Ausrichtung verständlich, angloamerikanische Zeitschriften und Kommunikationsnormen prinzipiell als überlegen an und möchte, dass die Studierenden sich stärker in Richtung „angelsächsische Wissenschaftstradition“ entwickeln. Zwei Wissenschaftler (6PD BWL, B18P) plädieren dafür, das Erfahrungswissen etablierter Wissenschaftler für solche Kurse nutzbar zu machen, dass „Professoren aus ihrer eigenen Publikationspraxis mal erzählen, [...] welche Erfahrungen sie gesammelt haben [...]. Das Entscheidende ist, dass hier auch Erfahrungen transferiert werden und genutzt werden, die da sind“ (6PD BWL 00: 48: 41-8). Die Weitergabe von Erfahrungswissen verspricht in einigen Kontexten hilfreich zu sein, man muss jedoch die unterschiedlichen Erfahrungsstufen zwischen Professoren und Nachwuchswissenschaftlern beachten: Während der erfahrene Wissenschaftler bereits seit langem publi- <?page no="287"?> 287 ziert und sich hervorragend mit den Normen einer Diskursgemeinschaft auskennt, sind Nachwuchswissenschaftler häufig mit der Bewältigung der ersten Publikationen beschäftigt, und können somit, zumindest ohne didaktischen Zuschnitt, vom Wissen Fortgeschrittener möglicherweise nur in geringem Ausmaß profitieren. Als letztes Beispiel soll die Idee eines Biologieprofessors diskutiert werden. In folgendem Zitat beschreibt er, wie seines Erachtens ein Tandem- Schreibkurs mit einem Fachwissenschaftler und einem Schreiblehrer aussehen könnte: Also das muss eine Mischung letztendlich sein, von jemandem, der wirklich viel publiziert - wie ich - der dort hingehen kann und Tipps geben kann, aber eben auch irgendjemand anders, ein Didaktiker oder so, der auch diese Erfahrung hat, aber der wirklich sich ganz klar überlegt hat: „Wie bringe ich das am besten den Leuten bei? “ [...] Solche Kurse, die dann aber wirklich mit ganz starkem Praxisbezug sein müssen, da muss auch rein: Was ist ein impact-Faktor? Wie kann ich sehen, ob ein journal gut genug ist? Wie entscheide ich, welche Koautoren? [...] Wie funktioniert das System mit editor, mit peerreview und so weiter und sofort? […] Im Grunde so ein ... einen … Englischunterricht, der wirklich knallhart darauf abzielt: Was für ein Englisch brauche ich denn im tagtäglichen Job als Naturwissenschaftler. [...] Man braucht halt einen Menschen, der wirklich Englisch Grammatik, Englisch Stil, Schreibstil vermitteln kann [...] und dann jemanden, der aus der Praxis kommt und sagt: ‚Okay, das ist alles schön und gut, aber wir müssen das jetzt so und so anwenden‘. (B18P 00: 52: 08-0) Aus der hier nur gekürzt abgebildeten Konzeption des Befragten wird deutlich, welche Rolle den Schreibkurslehrern zu teil werden soll: Es geht um die Bereitstellung einer eng abgesteckten Dienstleistung, nämlich der zum Publizieren brauchbaren Sprache. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, ein Leitfaden mit fachsprachlichen Konstruktionen würde als Beitrag zum Kurs von Seite der Sprachexperten ausreichen. Sprachliche Belange wären in der Vorstellung des Interviewten deutlich den fachlichen Belangen (impact factor, journal- und Koautorenwahl) untergeordnet, wie die Aussage „das ist alles schön und gut, aber wir müssen das jetzt so und so anwenden“ suggeriert. Diese stark instrumentalisierende Sichtweise auf Schreibkurse lässt zudem Probleme erahnen, die im Rahmen einer Zusammenarbeit von Sprachexperten und Fachvertretern entstehen können (für Probleme der Zusammenarbeit zwischen Sprach- und Fachdozenten siehe z.B. Davison/ Trent 2007). Das Ziel für den Befragten ist es dabei, „nicht zu viel Zeit da in die Perfektion der Sprache zu investieren, sondern mehr in die Perfektion der dahinterliegenden Wissenschaft“ (B18P 00: 52: 08-0). Somit wird Sprache lediglich eine Ästhetik-Funktion zugestanden, die neben der „dahinterliegenden“ Wissenschaft nur eine marginale Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund ist es aufschlussreich, andere Formen der Kooperation zwischen Fach- und Sprachexperten vorzustellen. Mindestens drei <?page no="288"?> 288 Typen des gemeinsamen Wirkens kommen zwischen Fach- und Schreiblehrern prinzipiell in Frage: Kooperation, Zusammenarbeit („collaboration“) und Teamteaching (vgl. Etherington 2008: 37f., basierend auf Dudley- Evans/ St. John 1998). Unter Kooperation wird verstanden, dass Schreiblehrer Informationen über Kursinhalt, zu schreibende Textsorten, Versprachlichungsmuster etc. eines bestimmtes Faches in Erfahrung bringen und so ihre fachspezifischen Schreibkurse besser auf die Zielgenres etc. ausrichten können. Zusätzlich können Fachvertreter z.B. gebeten werden, erfolgreiche und weniger erfolgreiche studentische Schreibbeispiele bereitzustellen und zu erklären, welche Eigenschaften sie auszeichnen. Die Wissenschaftler können außerdem interviewt werden, um mehr über die in der jeweiligen Fachkultur gültigen Normen zu erfahren (vgl. Etherington 2008: 37). Bei dieser Form der Kooperation ist die Verantwortung und der Aufwand des Fachexperten als gering einzuschätzen. Unter Zusammenarbeit („collaboration“) wird unter anderem verstanden, dass Schreib- und Fachlehrer gemeinsam Aufgaben und Materialien entwickeln, die dann in einem Schreibkurs eingesetzt werden, der einen Fachkurs begleitet. Schreiblehrer können so den Fachlernprozess der Studierenden unterstützen und dabei auf einen ‚genuinen‘ wissenschaftlichen Kontext (z.B. eine Hausarbeit, einen Projektreport, einen Laborbericht) rekurrieren. Ein Beispiel sind die von Verhein-Jarren (2008: 43) durchgeführten Schreibtrainings für Studierende der Ingenieurwissenschaften, die parallel zu projektorientierten Fachveranstaltungen stattfinden. Diese Form der Zusammenarbeit erlaubt es den Teilnehmenden, eine fachliche Aufgabenstellung in Verbindung mit begleitender Schreibschulung zu bearbeiten; es besteht ein unmittelbarer Anwendungszusammenhang. Teamteaching, wie beispielsweise im obigen Beispiel des Biologen B18P beschrieben, ist der am schwierigsten zu implementierende Kooperationsmodus. Die Statusunterschiede der Kooperationspartner und begrenzte zeitliche Ressourcen erschweren die Organisation (vgl. Etherington 2008: 39). Die für die Einrichtung fachsprachlicher Kurse erforderliche Kommunikation zwischen Fach- und Sprachlehrenden gestaltet sich nicht zuletzt aufgrund verschiedener institutioneller Rahmenbedingungen schwierig, denn ein „ungleicher Status der beteiligten Einrichtungen (forschend bzw. nichtforschend) sowie das unterschiedliche Selbstverständnis der Lehrenden (Sprachbzw. Fachlehrer)“ können eine Zusammenarbeit erschweren (Gnutzmann/ Lipski- Buchholz 2013: 119). In Bezug auf die Interviewdaten fällt auf, dass bis auf den oben zitierten Biologieprofessor (B18P) keiner der Befragten Formen der Zusammenarbeit zwischen Fach- und Schreiblehrern erwähnt. Besonders aus schreibdidaktischer Sicht könnte jedoch bereits eine relativ unverbindliche Kooperation wertvolle Einsichten in die fachspezifischen Schreib- und Textnormen liefern und so die Erarbeitung fachspezifischer Kurse erleichtern. Für darüberhinausgehende Formen der Zusammenarbeit müssten Fachwissenschaftler von der Nützlichkeit von Schreibkursen für die Verbesserung der eigenen Fachlehre überzeugt werden. <?page no="289"?> 289 6.1.2 Learning by doing 17 (ca. 47%) der interviewten Wissenschaftler haben learning by doing (17 Nennungen - 2xB, 4xM, 4xL, 2xG) entweder explizit oder implizit als ein Unterstützungssystem von Nachwuchswissenschaftlern thematisiert. Dabei bezogen sich zehn Wissenschaftler auf das gemeinsame Verfassen englischsprachiger Publikationen, sieben Befragte nannten das Erarbeiten englischsprachiger Konferenzvorträge. Vom Großteil der Befragten dieser Kategorie (13 von 17 Nennungen) wird learning by doing nicht als institutionalisierte Fördermaßnahme verstanden, wie z.B. Schreibkurse, sondern eher im Sinne einer individuellen Unterstützung von (Nachwuchs-)Wissenschaftlern. Dennoch wird hier auf dieses Item eingegangen, da die Prozesse, die beim gemeinsamen Erstellen von Artikeln und Konferenzpräsentationen ablaufen, viel über die Funktionsweise der sprachlich-fachlichen Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses im Alltag verrät. Auf den Aussagen der interviewten Wissenschaftler basierend wird learning by doing wie folgt definiert: Es bezeichnet einen sprachlich-fachlichen Lern- und Sozialisationsprozess, in dem Nachwuchswissenschaftler durch kooperatives und projektbezogenes Arbeiten, unter anderem das Schreiben und Publizieren wissenschaftlicher Texte, in eine Praxis- und Diskursgemeinschaft eingeführt werden. Beim Verfassen der Texte wie auch beim Vorbereiten der Vorträge unterstützen erfahrenere Wissenschaftler durch Koautorenschaft und Korrekturrückmeldungen die wissenschaftlichen Novizen. Im Zentrum dieses Lern- und Sozialisationsprozesses steht für die Befragten dabei häufig nicht das Erlernen der englischen Sprache (anschlussfähige Kompetenzen hierin werden in der Regel ohnehin vorausgesetzt), sondern das Erlernen wissenschaftlicher, meist diskursiver Praxis im Fachgebiet. Diese Definition soll im Folgenden anhand einiger Interviewzitate verdeutlicht werden. So lässt sich die handlungsorientierte Funktionsweise dieses Prozesses mit den Worten eines Germanistischen Linguisten zusammenfassen: „Man übt es, indem man es macht“ (L3P 00: 33: 57-7). Es sollen hier zwei Interview-Ausschnitte vorgestellt werden, die das gemeinsame Schreiben und Publizieren (B19P) sowie das Vortragen auf einer internationalen Konferenz beschreiben (15P Mathematik), da hierdurch der Anwendungsaspekt dieser Praxis deutlich wird: Das heißt, mit jemandem das zusammen machen und schreiben. Also innerhalb der Hierarchie. Das heißt, das ist dann der eigentliche Betreuer, der dann zusammen mit denjenigen das schreibt, wobei der Doktorand zuerst doch den Entwurf schreibt und dann geht das hin und her und hin und her. Also letztlich ist das das, was ich als learning by doing bezeichne. (B19P 00: 36: 11-3) Und wir schicken die [Doktoranden] dann auch alleine auf internationale Tagungen. […] Also das machen wir sehr gezielt und das hängt dann natürlich auch immer davon ab. Im ersten Jahr muss man das noch nicht machen, aber <?page no="290"?> 290 im dritten Jahr sollte man schon seine Arbeit irgendwo auf einer internationalen Tagung vortragen. […] Das ist kein Freizeitspaß, sondern das gehört zur Ausbildung, so zum Promovieren. (15P Mathematik 00: 29: 07-1) Dem ersten Zitat kann entnommen werden, dass der gemeinsame Schreib- und Publikationsprozess hierarchisch organisiert ist, dass ein Doktorand auf Entwürfe Rückmeldungen eines erfahreneren Wissenschaftlers erhält und so über wiederholte Feedbackprozesse ein wissenschaftlicher Text entsteht. Das zweite Zitat geht weniger auf den Prozess der Erstellung eines Konferenzbeitrags ein, sondern vielmehr auf die zeitliche und kompetenzbedingte Strukturierung dieser Form der „Ausbildung“ (15P Mathematik 00: 29: 07-1). Der Umstand, dass Nachwuchswissenschaftler über längere Zeiträume behutsam an die Praxis der wissenschaftlichen Gemeinschaften (z.B. Artikel schreiben, Konferenzvorträge halten) herangeführt werden, kann plausibel über die Theorie der legitimen peripheren Partizipation erklärt werden. Eine vertiefende Betrachtung der eben bereits angesprochenen Sozialisations- und Enkulturationsprozesse wird im Kapitel 6.2 vorgestellt. Die erfahreneren Wissenschaftler selbst wurden häufig über ähnliche Mechanismen ausgebildet: Mindestens sieben Befragte teilen an anderer Stelle des Interviews mit, dass während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung keine Schreibkurse angeboten wurden und sie sich ihre englischsprachigen Schreibkompetenzen somit in Kooperation mit anderen (z.B. L27PD) oder selbstständig (z.B. L32P) angeeignet hätten. Stellvertretend sollen hier die Erfahrungen zweier Germanistischer Linguisten vorgestellt werden: Und diese Artikel habe ich da mit meiner Doktormutter zusammen geschrieben, [...] sie schreibt sehr gut, schreibt auch sehr gut auf Englisch und schreibt auch sehr gerne - und in der Zeit habe ich quasi von ihr gelernt, wie das eben durch learning by doing oder by doing together, wie man einen wissenschaftlichen Artikel schreibt. (L27PD 00: 27: 22-2) Ich hab’ keine Sprachkurse mehr besucht, aber ich hab’ mich dann mehr oder weniger so ein bisschen learning by Doing in einem englischsprachigen Umfeld mit dem nötigen linguistischen Fachvokabular und dem typischen Satzbau für linguistische Aufsätze und Publikationen vertraut gemacht. (L32P 00: 01: 22-3) Die Befragten weisen also nicht nur darauf hin, über learning by doing das Englische an die Nachwuchswissenschaftler vermitteln zu wollen, sondern haben nach eigener Wahrnehmung über diese Methode das Schreiben auf Englisch gelernt. Es stellt somit einen Sozialisationsweg dar, über den sie erfolgreich zum englischsprachigen Publizieren gelangt sind. Außerdem könnten die Erfahrungen der Befragten auch ihre teilweise vorhandene Skepsis hinsichtlich der Effektivität von Schreibkursen erklären. <?page no="291"?> 291 6.1.3 Auslandsaufenthalte Die dritthäufigste Kategorie im Korpus waren Auslandsaufenthalte verschiedener Art (13 Nennungen - 2xB, 2xM, 3xL, 2xG). Im Ausland soll dabei in erster Linie die englische Sprache vertieft werden, denn andere Sprachen finden keine Erwähnung. Unter Auslandsaufenthalten verstehen die meisten Befragten „längere“ (7P Brandschutz 00: 24: 53-4) Aufenthalte, die sich von ca. einem halben Jahr bis zur Dauer eines postdoc-Vertrages (B18P, B21D), in der Regel bis zu drei Jahre, erstrecken können. Die organisatorische Einbindung der Maßnahme kann indes variieren, unter anderem kommen ein Doppelabschluss-Abkommen zwischen einer deutschen und einer amerikanischen Universität (7P Brandschutz), aber auch individuelle Initiativen für Auslandspraktika (4P Physik) und Kooperationsverträge zwischen Universitäten (G28P, M36D) in Frage. Dass diese Form der Förderung von vielen Befragten als sehr effektiv empfunden wird, wird dadurch unterstrichen, dass einige Befragte mitteilen, ein Auslandsaufenthalt sei „die größte Bereicherung“ (12D Elektrotechnik 00: 20: 49-3) für einen Nachwuchswissenschaftler. Es ist aufschlussreich, dass 20 der 36 Befragten (ca. 55%) selbst längere Zeit im Ausland verbracht haben (also 6 Monate und länger) und vier Befragte kürzere Aufenthalte hatten. Der Auslandsaufenthalt scheint sich somit zur Norm in der Sozialisation von Wissenschaftlern zu entwickeln und wird dementsprechend dem wissenschaftlichen Nachwuchs empfohlen. Viele der Befragten beziehen sich in ihren Ausführungen auf die Zielländer des Aufenthaltes. Um eine ungefähre geographisch-sprachliche Einordnung dieser Nennungen zu ermöglichen, sollen diese Länder in das von Kachru (1985) entworfene, und lediglich als Anhaltspunkt zu verstehende Modell der ‚Three Circles‘ eingeordnet werden. Sechs Interviewte (7P Brandschutz, 15P Mathematik, B18P, B21D, L31D, M36D) erwähnen Inner Circle- Länder wie die USA, Kanada und England. Das in diesen Ländern gesprochene Englisch wird häufig als international gültige Sprachnorm angesehen. Die zwei Biologen empfehlen hierbei insbesondere die USA als Destination (B18P, B21D). Keiner der Befragten erwähnt Outer Circle-Länder wie Nigeria oder Singapur, in denen das Englische als koloniales Erbe häufig einen offiziellen Status innehat. Expanding Circle-Länder wie die Schweiz, die Niederlande oder Finnland, in denen Englisch also nicht die Amtssprache ist, wurden von vier Befragten (4P Physik, G28P, G22P, M36D) erwähnt: Einordnung der genannten Länder in das Modell der ‚Three Circles‘ Nennungen Inner Circle 6 Outer Circle 0 Expanding Circle 4 Tabelle 23: Genannte Ländergruppen für Auslandsaufenthalte (nach Kachru 1985) <?page no="292"?> 292 Ein Befragter sieht beispielsweise Vorteile darin, dass die meisten Gesprächspartner in Expanding Circle-Ländern Nichtmuttersprachler des Englischen sind, da dies die vorhandene sprachliche Diversität internationaler Forschungsgruppen eher abbilde und „man [...] sich daran gewöhnt, dass also das Englische nicht unbedingt immer rein Englisch ist [...] plus eben das komische scientific pidgin dann noch dazu“ (4P Physik 00: 23: 04-9). Ein weiterer Befragter glaubt, dass ein der Englischkompetenz förderlicher Auslandsaufenthalt sich inzwischen relativ einfach umsetzen lässt, „und wenn es in den Niederlanden ist. [...] Die Niederländer sind in der Regel ziemlich perfekt in Englisch“ (G22P 00: 40: 58-2). Die Idee, dass diese Länder eine ‚Alternativlösung‘ für Inner Circle-Länder sein könnten, klingt auch im Interview eines Maschinenbauers an, in dem ein Austausch mit einer Universität in Finnland besprochen wird: „Es wird sicherlich die englische Sprache fördern, weil das [Englische] dann dort die Kommunikationssprache ist mit. Aber es ist nicht muttersprachlich.“ (M36D 00: 58: 11-6). Die Möglichkeit, englischförderliche Auslandsaufenthalte auch in Ländern durchzuführen, in denen Englisch nicht muttersprachlich gesprochen wird, wird also zunehmend in Betracht gezogen. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass das Englische dort zunehmend als wissenschaftliche Lehr- und Kommunikationssprache eingesetzt wird (siehe Kap. 1.4). Es fällt auf, dass kein Outer Circle- Land Erwähnung findet. Da Englisch in diesen Ländern ebenfalls meist eine weitverbreitete Kommunikationssprache ist, greifen sprachliche Gründe allein womöglich zu kurz, um die Abwesenheit dieser Länder-Gruppe in den Zieldestinationen der Befragten zu erklären. Möglicherweise könnte die als weniger stark wahrgenommene wissenschaftliche Position dieser Länder hierbei eine Rolle spielen. Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, welche Begründungen für einen Auslandsaufenthalt von den Befragten angeführt werden. Die untenstehende Tabelle zeigt die Hauptmotive dafür auf: Gründe für Auslandsaufenthalte Nennungen Verbesserung der Fremdsprachenkompetenz 6 Vernetzung und Zusammenarbeit mit ausländischen Wissenschaftlern 6 Tabelle 24: Genannte Ziele des Auslandsaufenthaltes Wie bereits in der Auswahl der Zielländer anklang, stellt die Entwicklung der Fremdsprachenkompetenzen einen wichtigen Grund für die Unterstützung dieser Maßnahme dar. Sechs Befragte (L3P, G22P, M36D, 7P Brandschutz, M5PD, L31D) nennen eine verbesserte Fremdsprachenkompetenz als erwartetes Ergebnis eines Auslandsaufenthaltes. Einige bezogen sich dabei direkt auf das Sprechen, also z.B. auf Konferenzen besser networking und smalltalk betreiben zu können. Andere blieben hinsichtlich der genau zu <?page no="293"?> 293 erwerbenden sprachlichen Kompetenzen eher vage: Es ginge darum, die „Sprachkenntnisse zu verbessern“ (L31D 00: 40: 18-7) oder „Sicherheit“ (7P Brandschutz 00: 24: 53-4) im Umgang mit dem Englischen zu gewinnen. Als weitere Begründungen wurde angeführt, ein „ganz anderes Gefühl für Sprache“ zu entwickeln und „Ängste zu nehmen“ (M5PD 00: 19: 32-9). Im Zusammenhang mit dem Ziel der Verbesserung der Fremdsprachenkompetenz heben vier Befragte (M5PD, 4P Physik, G22P, M36D) hervor, dass es vorteilhaft sei, während eines Auslandsaufenthalten gezwungen zu sein, das Englische zu verwenden. Die grundlegende Überlegung der Befragten ist, dass eine längerfristige Notwendigkeit, das Englische zu verwenden, die Entwicklung der Fremdsprachenkompetenz deutlich begünstige. Ein befragter Maschinenbau-Doktorand beschreibt hierzu im Sinne einer Immersionsmethodik seine Erfahrungen im englischsprachigen Ausland: Alle sprechen Englisch, keiner spricht Deutsch. [...] Der einzige Kommunikationsweg ist Englisch. Ich muss zuhören, ich muss so häufig zuhören und nachfragen, bis ich es verstanden hab’ und muss halt mit meinen limitierten Antwortmöglichkeiten zurecht kommen und die Kommunikation funktioniert irgendwo so. Und sie wird immer besser, weil ich auch ganz stark gefordert werde, dass ich das, dass es besser wird. Sowohl vom Verständnis, damit ich nicht dreimal nachfragen muss, als auch versuchen feinfühliger auszudrücken, was ich eigentlich möchte. (M36D 00: 55: 34-5) In der Narration über die eigene Fremdsprachenlernerfahrung begründet der Befragte seine Überzeugung, dass Auslandsaufenthalte eine geeignete Maßnahme zur Fortführung und Erweiterung des Fremdsprachenerwerbs sind. Ein befragter Physikprofessor (4P Physik) setzt ebenfalls auf den Spracherwerb durch den ‚Englisch-Zwang‘. In den Auslandspraktika, an denen seine Studierenden teilnehmen, ist die Verwendung des Englischen jedoch den vielen verschiedenen Herkunftssprachen einer internationalen Forschungseinrichtung geschuldet. Ein weiteres Ziel von Auslandsaufenthalten wird in der Vernetzung und Zusammenarbeit mit ausländischen Wissenschaftlern gesehen, die von sechs Befragten (4P Physik, 15P Mathematik, B18P, B21D, G28P, M36D) erwähnt wird. In den Interviewantworten einiger Befragten wird jedoch deutlich, dass die fachliche Vernetzung sich nur schwer von sprachlichen Belangen trennen lässt. Besonders die Bedeutung eines postdoc-Aufenthaltes in den USA (B18P, B21D) für die Biologen ist weder ausschließlich durch sprachliche noch fachliche Gesichtspunkten zu erklären: Ich sag’ natürlich JEDEM: „Geht ins Ausland, ihr müsst ins Ausland gehen und spätestens für einen postdoc, aber wenn es geht, geht jetzt schon! [...]“ Einfach, weil es ist ganz, hat jetzt nicht nur mit dem Schreiben und mit der Sprache zu tun, sondern das ist eine allgemeine Geschichte, dass einfach die Konkurrenz hart ist, gerade in unserem eher klassischen Bereich der Biologie und wenn man dann einen Unterschied machen will und sozusagen bestehen will, dann muss man einfach bestimmte Dinge beherrschen, man muss einen <?page no="294"?> 294 bestimmten Ehrgeiz haben. Und das hat damit zu tun, zum Beispiel in die USA hinzugehen, wo die Leute ganz anders ticken. (B18P 00: 46: 28-9) Im Zitat wird die Vermengung sprachlicher, fachlicher und persönlichkeitsorientierter Zielvorstellungen deutlich, die in einem postdoc-Aufenthalt in der USA ‚gipfeln‘. In einem anderen Zitat wird der Auslandsaufenthalt als eine Art Initiationsritus (oder rite of passage) thematisiert. Ein Biologiedoktorand erzählt von seinen Erwartungen an einen solchen Aufenthalt, den er noch absolvieren will: „Wenn man es geschafft hat in einem anderen Land in deren Sprache zu publizieren, dann hätte man es geschafft“ (B21D 00: 40: 31- 0). Hier wird die starke Ausrichtung auf die USA erneut deutlich und in diesem Zusammenhang die Funktion eines Auslandsaufenthaltes als Katalysator einer wissenschaftlichen Karriere. Die Sichtweise eines Geschichtsprofessors über die Bedeutung eines Auslandsaufenthaltes für eine wissenschaftliche Karriere ist ähnlich geartet: „Also wenn jemand Karriere macht, muss man davon ausgehen, dass er solche Sachen gemacht hat. Sonst wird das nichts ((Befragter lacht))“ (G22P 00: 40: 58-2). Insgesamt sprechen lediglich drei Befragte (B18P, B21D, 15P Mathematik) direkt schreib- und publikationsbezogene Ziele in Verbindung mit Auslandsaufenthalten an (siehe z.B. das Zitat von B18P oben). Diese Begründung scheint somit, besonders für Auslandsaufenthalte während des Studiums, eine untergeordnete Rolle zu spielen. Zwei Doktoranden (L31D, 12D Elektrotechnik), die sich während ihres Studiums selbst im englischen Ausland aufgehalten haben, sind derart überzeugt von den Vorteilen eines Auslandsaufenthaltes, dass sie in Erwägung ziehen, einen Pflichtaufenthalt im Ausland von sechs bzw. zwölf Monaten im Rahmen des Promotionsstudiums zu verankern. Obwohl diese Idee sicherlich nicht flächendeckend umsetzbar wäre, zeigt sie den hohen Stellenwert, den die Befragten Auslandsaufenthalten beim Erlernen des Englischen beimessen. Selbst wenn Auslandsaufenthalte nicht obligatorisch sind, können indes organisatorische Probleme einen Aufenthalt im englischsprachigen Ausland erschweren. So stellt ein Geschichtsprofessor fest, dass nicht nur „bürokratische und finanzielle Hindernisse“ auftreten können, sondern dass die „Sprachbarriere Deutsch“ (G30P 00: 30: 52-1) einem gegenseitigen Austausch im Wege stünde, da nur wenige Studierende aus den englischsprachigen Ländern an deutschen Universitäten studieren wollten, wodurch auf dem Papier existierende Kooperationsabkommen in der Praxis scheitern könnten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in erster Linie nicht das Erlernen des wissenschaftlichen Schreibens in der Fremdsprache, sondern die Verbesserung mündlicher Englischkompetenzen durch Auslandsaufenthalte angestrebt wird. Zwar ist auch die Vernetzung mit ausländischen Wissenschaftlern von Bedeutung, jedoch werden dabei immer auch sprachliche Kompetenzgewinne einkalkuliert. Besonders Aufenthalte während des Studiums zielen darauf ab, durch Immersion in einer englischspra- <?page no="295"?> 295 chigen Umgebung eine höhere Verwendungssicherheit im Englischen zu erreichen. Dass für diese Zielstellung in zunehmendem Maße auch Länder in Betracht gezogen werden, in denen Englisch von Nichtmuttersprachlern verwendet wird, könnte auf eine Abschwächung der starken Orientierung an muttersprachlichen Varietäten hinweisen. 6.1.4 Curriculare Einbindung Zum Item curriculare Einbindung (11 Nennungen - 2xB, 2xM, 1xL, 2xG) werden Maßnahmen gezählt, bei denen nicht die Förderung des Englischen im Zentrum steht (wie z.B. im Normalfall bei Sprachkursen), sondern das Sprachenlernen in Verbindung mit fachlichem Lernen organisiert wird. Die anvisierte Zielgruppe sind dabei in erster Linie Studierende. Die Befragten beziehen sich im Einzelnen auf englischsprachige Lehrveranstaltungen (8 Nennungen) und schriftliche Studien- oder Abschlussarbeiten (5 Nennungen), wobei zwei Befragte (11P Automatisierung, G30PD) beide Maßnahmen forderten. Die Wissenschaftler geben in den meisten Fällen zwar keine Erklärung dahingehend ab, welchen Lerngewinn sie vom integrierten Sprach- und Fachlernen erwarten, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Studierenden auf die Arbeit in einem englischsprachigen Wissenschaftsumfeld vorbereitet werden sollen und dass durch die vermehrte Verwendung des Englischen ein Zuwachs an Sprachkompetenz erwartet wird (vgl. Gnutzmann/ Lipski-Buchholz 2013: 119f.). Die acht Befragten, die englischsprachige Lehrveranstaltungen als Maßnahme erwähnten, bezogen sich überwiegend auf Vorlesungen und Seminare, also z.B. darauf, „im Studium auch schon englische Vorlesungen zu hören“ (M5PD 00: 19: 32-9), aber ebenso auf Lektürekurse (B20D, G26D) und Praktika (z.B. 10P Chemie). Den meisten Befragten geht es augenfällig nicht darum, das Studium komplett auf Englisch umzustellen. Vielmehr sollen einerseits englischsprachige Lehrangebote geschaffen werden, indem man „zumindest einen Teil der Kurse auch auf Englisch anbietet“ (L32P 00: 39: 26- 5). Zwei Befragte (11P Automatisierung, M36D) möchten zudem die Verbindlichkeit englischsprachiger Lehrveranstaltungen erhöhen, indem sie „forciert“ (11P Automatisierung), d.h. im Studienplan verankert werden: „Das kommt auch auf die Fakultät drauf an, dass sie sagt: So, zu unserem Curriculum gehört das einfach, ja, so und so viel Prozent Leistungspunkte müssen von Veranstaltungen in englischer Sprache vermittelt werden“ (11P Automatisierung 00: 25: 06-1). Es kann somit festgestellt werden, dass ein gewisses Gefälle existiert zwischen Befragten, die gerne mit dieser Unterrichtsform ‚experimentieren‘ möchten und solchen, die die Verbindlichkeit derartiger Angebote erhöhen möchten. Einige Befragte antizipieren vor dem Hintergrund der Einführung englischsprachiger Lehre Probleme für die Studierenden, wie z.B. bei Laborpraktika: <?page no="296"?> 296 Das wäre aus meiner Sicht schon ein Punkt, wo man noch stärker auch fordern könnte, englischsprachige Literatur zu verwenden, oder man könnte da auch sagen, wir machen die Seminarvorträge mal auf Englisch, aber, naja, da ist immer so viel Anderes noch an Neuem, dass man damit nicht auch noch kommt. (10P Chemie 00: 29: 03-6) Die Chemieprofessorin könnte sich vorstellen, den englischsprachigen Teil der Lehre zu erhöhen, glaubt aber, dass diese zusätzliche Arbeitsbelastung die Studierenden überfordern könnte. Ähnliche Aspekte geben zwei weitere Befragte zu bedenken: So glaubt eine Geschichtswissenschaftlerin, dass es „eine große Überwindung für die Studierenden“ (G30PD 00: 52: 47-5) bedeute, an englischsprachigen Seminaren teilzunehmen und ein Maschinenbauer denkt, dass man die Studierenden „irgendwie dazu bringen [muss], auf Englisch zu kommunizieren, was sicherlich ganz schwierig ist. Das sind ja Ingenieure, die wollen ja keine Sprache lernen“ (M36D 00: 55: 34-5). Mögliche Probleme einer englischsprachigen Lehre werden also eher auf Seiten der Studierenden antizipiert, als bei den Lehrenden. Dies ist zwar wenig überraschend, denn „Studierende in fremdsprachigen Studiengängen sind in den meisten Fällen auch Fremdsprachenlernende, die neben der Wissensvermittlung zudem gezielte Förderung beim Spracherwerb benötigen“ (Gnutzmann/ Lipski-Buchholz 2013: 119). Die von den Befragten konstatierte abweisende Haltung der Studierenden gegenüber englischsprachigen Lehrveranstaltungen (siehe Kap. 5.2.2.4) ist jedoch nicht in allen nationalen Kontexten vorzufinden. In Aireys und Linders (2006: 555) Untersuchung schwedischer Physikseminare, die auf Englisch abgehalten wurden, sah die große Mehrheit der Studierenden die Englischkompetenz der Lehrenden als begrenzenden Faktor an, nicht aber ihre eigene Sprachkompetenz, die häufig als mit der Erstsprache gleichauf eingeschätzt wurde. Lediglich ein Befragter stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob „die Dozenten überhaupt in der Lage [sind], diese Qualität zu haben“ (11P Automatisierung 00: 25: 06-1). Dennoch ist anzunehmen, dass das Unterrichten in englischer Sprache für einen großen Teil der Lehrenden ohne spezifische Weiterbildungsprogramme mit Qualitätsverlusten einhergehen könnte, denn selbst fachlich und sprachlich kompetente Forscher sind sich häufig nicht der besonderen Anforderungen des integrierten Fach- und Sprachlernens bewusst. Knapp (2008: 137f.) bringt diese Problematik auf den Punkt: „Eine (relativ) problemlose Verwendung des Englischen als Forschungssprache impliziert noch nicht ihre ebenso problemlose Verwendung als Wissenschaftssprache und insbesondere als ‚Lehrsprache‘“. Ein Beispiel aus anderer Stelle des Interviewkorpus, es wird dort nicht über eventuelle Fördermaßnahmen gesprochen, kann diese Problematik anschaulich verdeutlichen: Und wenn ich mich in einen Hörsaal stelle, mit einem englischsprachigen Masterstudiengang, dann gibt es ein paar Muttersprachler, aber das ist die Minderheit. Man versteht sich dann schon. Also ich gebe zu, dass ich da nicht <?page no="297"?> 297 so den Anspruch habe, das brillante, perfekte Englisch zu sprechen. Das soll natürlich dem Inhalt schon angemessen sein, also es darf jetzt nicht vielleicht umgangssprachlich sein. Das ist klar, es muss schon irgendwie ... eine Form der Hochsprache sein, aber ... ich sehe es nicht so verkrampft. Und dann geht das auch zur Not mal mit Händen und Füßen. (M14P 00: 17: 48-6) Die befragte Maschinenbauprofessorin weist lehrbezogener fremdsprachlicher Kompetenz offensichtlich nur einen begrenzten Stellenwert zu. Dass eine derartige Einstellung kein Einzelfall ist, haben Fandrych und Sedlaczek (2012: 38f.) in ihrer Untersuchung internationaler Studiengänge festgestellt, in der sie Lehrenden wie Lernenden ein „erschreckendes Ausblenden von Sprache und Sprachlichkeit“ bescheinigen. Zwar ist die Interviewte für die möglicherweise gering ausgeprägten Englischkompetenzen ihrer Studierenden nicht verantwortlich, ob aber eine Verständigung mit „Händen und Füßen“ an das Vermittlungsniveau einer Veranstaltung heranreicht, in der Dozenten in ihrer Muttersprache lehren und ausländische Studierende, mit entsprechender sprachintensiver Vorbereitung, lernen, ist zu bezweifeln (vgl. Knapp 2008: 152). Dieses Beispiel für eine relativ unkritische Sichtweise auf den Unterricht in englischer Sprache legt nahe, dass „das Verhältnis von fachwissenschaftlichen und kommunikativen Kompetenzen der Dozenten in den Lehrveranstaltungen“ (Schumann 2008: 23) genauerer Untersuchung und möglicherweise Reglementierung bedarf. Während (ausländische) Studierende ihre Sprachkompetenzen häufig über Zertifikate und Prüfungen nachweisen müssen, existieren für Lehrende selten verbindliche Vorgaben im Hinblick auf ein Mindestmaß an fremdsprachlichen und didaktischen Kompetenzen für den Unterricht auf Englisch (vgl. Gnutzmann/ Lipski- Buchholz 2013: 119). Knapp (2008: 151f.) fragt zu recht in diesem Zusammenhang, ob „ein kritisches Niveau von Sprachkompetenz, unterhalb dessen erfolgreiches Lehren und Lernen an einer Universität nur schwer möglich erscheint“, existiert. Eine der wenigen kritischen Aussagen zur englischsprachigen Lehre im Korpus stammt von einem Maschinenbau-Postdoktoranden: in der Vorlesung halt ich es, also es ist ja schon schwierig den Stoff zu verstehen, wenn ich da jetzt auch noch aus sprachlichen Gründen den Dozenten nicht versteh’, das ist vielleicht schön, dass er dann gleichzeitig noch Englischunterricht hat, aber er lernt es nicht besser und nicht schneller. Eigentlich ist das für beide ein Hemmnis. (M24PD 01: 06: 54-7) Der Befragte sieht den Doppelerwerb von Fremdsprache und Fachwissen kritisch und bevorzugt es, in seiner Muttersprache zu unterrichten. Lehrende sind sich häufig nicht bewusst, dass bedeutende Unterschiede zwischen dem Unterricht in einer Erst- und Zweitsprache existieren (vgl. Airey/ Linder 2006: 558; Knapp 2008). So wird von keinem Befragten im Zuge der vorgeschlagenen Implementierung englischsprachiger Lehrveranstaltungen erwähnt, dass dafür eine besondere Vorbereitung oder Anpas- <?page no="298"?> 298 sung konventioneller fachorientierter didaktischer Ansätze nötig wäre. Um die Lehrqualität auch bei englischsprachigen Veranstaltungen aufrechtzuerhalten, sollte daher sowohl Studierenden als auch Lehrenden „Hilfestellungen zur Bewältigung der erhöhten sprachlichen Anforderungen und der zeitlichen Mehrbelastung angeboten werden“ (Gnutzmann/ Lipski-Buchholz 2013: 122). Lehrkräfte in englischsprachigen Veranstaltungen könnten den Teilnehmern z.B. Unterstützungsmaßnahmen (sogenanntes scaffolding) anbieten. So sollten sie beispielsweise schriftliche Aufzeichnungen vor einer englischsprachigen Veranstaltung bereitstellen, damit die Studierenden sprachliche Unklarheiten bereits im Vorfeld klären können und während der Lehrveranstaltung Aufmerksamkeitsressourcen für das Mitarbeiten und Mitdenken frei werden (siehe z.B. Airey/ Linder 2006: 557-559 für weitere Stützmaßnahmen). Eine weitere Möglichkeit, die potenziell negativen Effekte englischsprachiger Lehrveranstaltung zu verringern, wird von einem Biologiedoktoranden beschrieben: Inzwischen haben wir jetzt [...] gewechselt, dass (2) die Fragen [nach dem Vortragsteil der Veranstaltung] auf Deutsch sind. Aber das war nur eine Idee, um so ein bisschen die Studenten ein bisschen mehr einzubeziehen, dass die nicht so die Scheu haben, zum einem natürlich einmal fachlich was Dummes zu sagen oder dann halt auch noch sprachlich. Das hatte auch ein bisschen Erfolg. Es gab ein paar Leute, die danach mehr Wortmeldungen hatten. (B21D 00: 05: 38-6) Die zweisprachige Phasierung der Seminare scheint nach Aussage des Befragten von Erfolg gekrönt zu sein und stellt ebenfalls eine Stützstrategie dar. Die bisherige einsprachige Umsetzung hatte scheinbar negative Auswirkungen auf den dialogisch orientierten Teil der Lehre. Ähnliche Erfahrungen wurden in Untersuchungen englischsprachiger Lehrveranstaltungen gemacht, in denen weniger Fragen von Studierenden verzeichnet wurden als bei vergleichbaren Lehrveranstaltungen in der Nationalsprache (vgl. Airey/ Linder 2006: 556; Mocikat 2008: 59). Fünf Befragte sahen schriftliche Studien- und Abschlussarbeiten als eine Möglichkeit, das Englische stärker in das Fachstudium zu integrieren. Zwei Interviewte waren der Meinung, dass dies möglichst „frühzeitig“ (G30PD 00: 52: 47-5) geschehen sollte: „Wir fertigen inzwischen ja Bachelorarbeiten zum Teil auch bereits auf Englisch an. Das ist bei uns also durchaus üblich [...] weil einfach die Kooperationspartner, die irgendwie involviert sind, des Deutschen nicht mächtig sind“ (4P Physik 00: 20: 39-6). Andere gaben keinen genauen Zeitpunkt an oder wollten Studierende dazu bewegen, „während des Studiums“ (B35PD 00: 56: 09-4) zumindest eine wissenschaftliche Arbeit auf Englisch zu verfassen. Ein befragter Informatiker ging davon aus, dass ein günstiger Zeitpunkt für das Verfassen einer englischsprachigen Arbeit gegen Ende des Studiums sei. Er weist im folgenden Beispielzitat zudem auf mögliche Probleme bei der Betreuung englischsprachiger Abschlussarbeiten hin: <?page no="299"?> 299 Im Idealfall ist es ja so, dass man in seiner Abschlussarbeit spätestens übt, wissenschaftlich zu formulieren. Meistens geschieht das ja aber auf Deutsch. Also wir bieten zum Beispiel den Studenten an, dass die das auch auf Englisch verfassen. Das wird halt auch so ein bisschen geteilt aufgenommen. Manche sind da ganz begeistert und anderen ist das halt eher egal. Und was natürlich daran ein bisschen schade ist: Der Betreuer [...] steht natürlich auch ein bisschen in der Verantwortung, dann zu gucken: Ist das so richtig formuliert? Ist das lesbar überhaupt? Und da irgendwie Tipps und Anleitung zu geben, was ja eigentlich nicht unbedingt zu den irgendwie, ja, Kernleistungen gehört. (9D Informatik 00: 33: 54-7) Der Befragte spricht die Kompetenz der Betreuer an, die im Normalfall keine gesonderte Aus- oder Weiterbildung für die Korrektur einer fremdsprachigen Arbeit durchlaufen. Es ist daher wahrscheinlich, dass Fachlehrende es nicht immer gewohnt sind, Rückmeldungen zu fremdsprachlichen Gesichtspunkten zu geben und sprachliche Lernprozesse anzuleiten, die zur Fertigstellung einer derartigen Arbeit beitragen können. Selbst wenn sie jedoch mit den sprachlichen Normen im Fach aufgrund der Rezeption von Fachartikeln bestens vertraut sind, birgt eine Übertragung dieser sprachlichen Normen auf die Textsorte Hausarbeit die Gefahr einer Überforderung der Studierenden (vgl. Limburg 2014; siehe auch Sing 2015: 92f.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Befragten sowohl in englischsprachigen Lehrveranstaltungen als auch schriftlichen Arbeiten großes Potenzial für eine Verbesserung der Englischkompetenz der Studierenden vermuten. Ob die Befragten jedoch im Einzelfall gezielte Hilfestellung bei sprachlichen Problemen geben können, wie mangelndem Verständnis in einer Vorlesung oder beim Erstellen einer Hausarbeit, ist ungewiss und stellt ein hochaktuelles Forschungsdesiderat dar. Die Befragten selbst thematisieren Fragen zum integrierten Sach- und Fremdsprachenlernen nur bedingt; eine Begleitung und Unterstützung der Lehrenden und Studierenden erscheint gemessen am Anspruch einer qualitativ hochwertigen englischsprachigen Lehre jedoch notwendig. 6.1.5 Korrekturdienstleistungen Für sechs Befragte stellt die Verfügbarmachung von Korrekturdienstleistungen (6 Nennungen - 1xB, 0xM, 2xL, 0xG) eine wichtige Maßnahme zur Unterstützung nichtmuttersprachlicher Wissenschaftler dar. 125 Dabei können die Empfehlungen der Befragten in individuelle (3 Nennungen) und institutionalisierte (3 Nennungen) ‚Lösungen‘ aufgeteilt werden. Individuelle Initiativen wären beispielsweise die Einstellung englischsprachiger Erasmus-Studierender als Hilfskräfte (17P Soziologie, 12D Elektrotechnik), um englisch- 125 Wie die Befragten sozio-akademische Ressourcen, zu denen mutter- und nichtmuttersprachliche Korrekturleser zählen, in ihrer eigenen Schreib- und Publikationspraxis einsetzen, wird detailliert in den Kapiteln 4.2.4.1-4.2.4.3 erörtert. <?page no="300"?> 300 sprachige Texte zu korrigieren. Bei diesen Vorschlägen muss jedoch beachtet werden, dass diese Korrekturleser häufig nur bedingt fachsprachliche Zielnormen beherrschen (vgl. Abbildung 15, S. 176). Vorschläge, die sich auf eine institutionelle Unterstützung beziehen, sehen eine effiziente Korrektur eher durch die Einrichtung einer hochschulweit zentralisierten Anlaufstelle gewährleistet. Auch die Hochschulrektorenkonferenz fordert in ihren Empfehlungen zur Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen, dass für „nicht-englischsprachige Autoren [...] Übersetzungen gefördert bzw. Korrekturlesedienste angeboten werden“ (HRK 2011: 9) sollten. Diese Ansicht wird überraschenderweise nur von drei Befragten geteilt. Ein Befragter fordert eine solche Korrekturstelle direkt von den Universitäten ein: Also ich finde, die Unis müssen Infrastruktur anbieten. Auf jeden Fall eine Infrastruktur mit Muttersprachlern. Also es ist für, schon ein Unding, dass es an {dieser Hochschule} kein professionelles ... Angebot zum Redigieren von Texten gibt. (8P Politik 00: 29: 30-4) Während der befragte Politologe eine muttersprachliche Besetzung für eine solche Stelle fordert, kämen für einen Germanistischen Linguisten (L34PD) neben Muttersprachlern auch kompetente Nichtmuttersprachler in Frage. Es könnte sich indes schwierig gestalten, fachgenau ausgebildete, muttersprachliche Kandidaten für eine reine Korrekturlesertätigkeit zu gewinnen, insbesondere wenn wenige berufliche Aufstiegsmöglichkeiten existieren. Dass die Einrichtung einer Korrekturstelle nicht unproblematisch ist, legen weiterhin die Ausführungen eines Professors aus der Germanistischen Linguistik zur Finanzierungslogik einer solchen Institution nahe: Wenn Sie jetzt einen europäischen Antrag in einem Projektvolumen von acht Millionen schreiben, wird ihnen die Universität definitiv einen Korrekturleser zur Seiten stellen [...]. Wenn Sie jetzt einen wissenschaftlichen Aufsatz für eine Fachzeitschrift schreiben [...] oder wenn eine Doktorandin ihre Doktorarbeit fertig macht, ist es nicht selbstverständlich, dass die Universität dann jemanden kostenlos zur Verfügung stellt. (L32P 00: 37: 52-1) Der Befragte weist darauf hin, dass etwaige Korrekturdienstleistungen aufgrund der dafür anfallenden Kosten nicht für alle Textsorten und Kommunikationsanlässe verfügbar sein würden. Während beispielsweise Unterstützung bei der Durchsicht von Förderanträgen wahrscheinlich wäre, würden Dissertationen und Fachaufsätze (geschweige denn Internetauftritte) wohl nur beschränkt zur entgeltfreien Durchsicht zugelassen werden. Nichtmuttersprachlichen Autoren böte sich in diesem Fall jedoch zumindest eine Anlaufstelle für Durchsichten englischsprachiger Texte, auch wenn sie womöglich selbst für diese Dienstleistung aufkommen oder die finanziellen Mittel im Rahmen von Förderanträgen einwerben müssten. <?page no="301"?> 301 6.1.6 Zusammenarbeit mit englischsprachigen peers Fünf Befragte weisen in den Interviews darauf hin, dass die Zusammenarbeit mit englischsprachigen peers (5 Nennungen - 1xB, 0xM, 1xL, 1xG) wichtig für den wissenschaftlichen Nachwuchs sei. Ihre Vorschläge können dabei hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit differenziert werden. Eine Mathematikprofessorin beschreibt beispielsweise das gezielte Zusammenbringen von Promovenden mit ausländischen Wissenschaftlern als strukturierte Maßnahme: Wir versuchen das ganz explizit jeden, der hier promoviert, mit ausländischen Wissenschaftlern aus seinem Gebiet bekannt zu machen. Da sind selbstverständlich dann auch Muttersprachler dabei, weil nur so ... kommt man einmal in das Publizieren überhaupt rein, und dann aber auch in die Forschung um sich da so ein kleines Umfeld aufzubauen. (15P Mathematik 00: 28: 00-2) Es zeigt sich an diesem Beispiel erneut, dass sprachliche und fachliche Ziele nur bedingt getrennt werden können. So möchte die Befragte nämlich dabei helfen, ein wissenschaftliches „Umfeld“ für die Doktoranden aufzubauen, aber die Kooperation mit ausländischen, auch muttersprachlich Englisch sprechenden Wissenschaftlern steht auch im Zusammenhang mit der Aneignung der nötigen Englischkenntnisse für eine wissenschaftliche Karriere. Drei weitere Aussagen, alle von Doktoranden, zielen ebenfalls auf die Einbindung englischsprachiger Kollegen in den Wissenschaftsbetrieb ab: So erwähnt ein Elektrotechniker, dass ein Gastwissenschaftler an seinem Institut zum Spracherwerb beitrage: „Darüber lernen wir auch oder vertiefen wir die englische Sprache, ganz klar“ (13D Elektrotechnik 00: 26: 27-8). In ähnlicher Weise berichtet eine Biologin (B20D) über englischsprachige Gastvorträge ausländischer Wissenschaftler als gute Möglichkeit, von ihrer wissenschaftlichen Erfahrung zu profitieren und zugleich Englisch zu lernen. Ein Doktorand aus der Geschichte (G26D) schlägt vor, im Zuge der Promotion einen Zweitgutachter der Dissertation im englischsprachigen Ausland zu gewinnen, um so kompetente fachliche und sprachliche Hilfestellung in Anspruch nehmen zu können. Die teils stark individualisierten, teils strukturierten Maßnahmen weisen eine gewisse Ähnlichkeit zur Kategorie learning by doing auf, unterscheiden sich aber hinsichtlich des Fokus auf institutsexterne, englischsprachige Wissenschaftler, zu denen darüber hinaus nicht notwendigerweise dauerhaft Kontakt besteht und die nur begrenzt für die ‚Ausbildung‘ des wissenschaftlichen Nachwuchses verantwortlich sind. 6.1.7 Änderungen im Schulsystem Eine umfangreichere Verwendung des Englischen im Schulsystem (4 Nennungen - 0xB, 1xM, 3xL, 0xG) wurde nur von wenigen Befragten als Maßnahme in Erwägung gezogen, möglicherweise, da sie wohl eher langfristig <?page no="302"?> 302 Früchte tragen würde. Die Überlegungen der Interviewten gehen vor allem in Richtung bilingualer Sachfachunterricht in Schule (M23P) und sogar Kindergarten (L31D) oder sie thematisieren einen verstärkt auf kommunikative Kompetenzen ausgerichteten regulären Englischunterricht. So bemängelt ein Befragter, dass zumindest zu seiner Schulzeit „viel zu wenig geredet und zu viel über Literatur nachgedacht“ wurde, und somit „das Praktische fehlte“ (L3P 00: 32: 35-1). Ein weiterer Germanistischer Linguist ist überrascht, wie befangen sich die Studierenden im Umgang mit dem Englischen zeigen und fordert ebenfalls einen veränderten Englischunterricht, ohne genauer darauf einzugehen, wie dieser aussehen könnte: „Ich merk’ nach wie vor, wie viel Angst die Studierenden im ersten, zweiten Semester haben. Das wundert mich immer ein bisschen. Die haben alle Abitur, die sollten alle nötigen Englischkenntnisse haben“ (L32P 00: 36: 51-7). Der Befragte erwartet von einer veränderten Schulpraxis, dass die Hemmschwelle, das Englische zu verwenden, abgebaut wird. Schindler (2008: 1) stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die „systematische Schreibausbildung [...] einseitig an die Schule gekoppelt“ sei und dass selbst bei erfolgreicher schulischer Englisch- und Schreibausbildung nicht notwendigerweise auf Sicherheit bei der Verwendung des Englischen als Wissenschafts- und Fachsprache geschlossen werden kann; diese Kompetenzen müssten im Zuge des Studiums weiterentwickelt werden (vgl. Lehnen 2009: 284). Abschließend soll der Vollständigkeit halber auf eine Einzelnennung eingegangen werden. Das Modell des Schreibzentrums wurde, obwohl es inzwischen in Deutschland zahlreiche derartige Einrichtungen gibt 126 , lediglich von einer Wissenschaftlerin (L27PD) als mögliche Unterstützungsmaßnahme vorgeschlagen: „Sowas, solche Writing Center, fände ich für aber eigentlich im Augenblick eher so für die deutschsprachige, also für Studenten wichtig, ja“ (L27PD 00: 41: 34-0). Eine studien- und promotionsbegleitende Schreibberatung scheint also von den interviewten Wissenschaftlern noch nicht weiter in Betracht gezogen zu werden, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass den Interviewten diese Möglichkeit der Schreibförderung noch nicht bekannt ist. Dass Schreibzentren an vielen Hochschulen in Deutschland noch nicht existieren, wird häufig als Defizit aufgefasst (vgl. z.B. Schindler 2008: 6) und verdeutlicht, dass längst nicht alle Universitäten und Fachvertreter die Schreibausbildung als zentrale Aufgabe der Hochschulbildung begreifen. 6.1.8 Fazit und Implikationen Die Befragten nennen zahlreiche Ideen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Neben zu erwartenden Lernarrangements wie Sprach- 126 Hier sind z.B. die Schreiblabore des Karlsruhe Institute of Technology (KIT) und der Universität Bielefeld oder die Schreibzentren der Universitäten Freiburg und Frankfurt (Oder) zu nennen. <?page no="303"?> 303 und Schreibkursen sowie Auslandsaufenthalten heben die Wissenschaftler ihre eigene Rolle in der ‚Ausbildung‘ der Nachwuchswissenschaftler hervor. Die über Schreibkurse geäußerte Kritik ist aufschlussreich, da sie darüber Auskunft erteilt, was die Wissenschaftler von ihnen erwarten. Einschränkend sei hier hinzugefügt, dass eine Mehrzahl der Wissenschaftler ihre Aussagen nicht auf der Erfahrung des eigenen Kursbesuches fundieren. Dennoch wurde deutlich, dass Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben vor allem dann gutgeheißen werden, wenn diese eine fachspezifische Ausrichtung aufweisen (siehe Kap. 6.1.1.2). Es wurde ebenfalls deutlich, dass viele Wissenschaftler das Kursangebot zwar akzeptieren und schätzen, die Kurse aber eher als die Vermittlung eines eng abgesteckten sprachlichen Stoffgebietes begreifen, wie z.B. Wortschatz (13D Elektrotechnik) oder Grammatik (B18P). Learning by doing wird von vielen Befragten nicht als dezidierte Fördermaßnahme verstanden, sondern als etwas, was generell zum wissenschaftlichen Alltag dazugehört. Die Einbettung der Doktoranden in die Wissenschaftsgemeinschaft über Praktiken wie das gemeinsame Schreiben und Publizieren von wissenschaftlichen Artikeln sowie das Halten von Vorträgen wird von vielen Befragten als alternativlos für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses aufgefasst. Einerseits ist dies den Biographien der Befragten geschuldet, die darüber berichteten, ebenfalls auf diesem Wege in die Wissenschaftsgemeinschaft eingeführt worden zu sein und somit den Erfolg dieser Sozialisationspraxis demonstrieren. Andererseits wird die hohe Effizienz dieser Praxis darin vermutet, direkt auf das Forschungs- und Handlungsfeld der jeweiligen Fächer ausgerichtet zu sein. Auslandsaufenthalte stehen an dritter Stelle der am häufigsten genannten Fördermaßnahmen. Die Maßnahme wird von vielen Befragten als sehr wichtig für sprachlich selbstbewusstes Agieren in der Wissenschaft empfunden. Dabei verbinden die meisten Interviewten mit dem Auslandsaufenthalt eher eine Verbesserung der mündlichen Fremdsprachkompetenz und des ‚Sprachgefühls‘, weniger eine explizite Förderung der Schreibkompetenzen. Während Länder wie die USA immer noch an erster Stelle der Wunschländer stehen, werden inzwischen auch Länder als Alternative aufgefasst, in denen Englisch nicht muttersprachlich gesprochen wird. Dass ein Großteil der Befragten im Korpus bereits einen Auslandsaufenthalt absolviert hat und diese Form der Sprachförderung als sehr effektiv einschätzt, deutet darauf hin, dass sich diese Sozialisationspraxis, besonders in der Biologie (Rolle des postdoc-Aufenthalts im Ausland), zunehmend zur Norm entwickelt. Die curriculare Einbindung des Englischen in die universitäre Lehre und das Verfassen von schriftlichen Arbeiten wurden ebenfalls häufig im Zusammenhang mit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses genannt. Im Einzelnen möchten die Befragten stellenweise englischsprachige Lehre einführen bzw. durch die Erhöhung ihrer Verbindlichkeit ‚forcieren‘. Wenngleich die Befragten mögliche Probleme auf Seite der Studierenden <?page no="304"?> 304 konstatieren, werden eigene Defizite oder für die Durchführung englischsprachiger Lehre zu erwerbende Kompetenzen nicht thematisiert. Das Schreiben von englischsprachigen Haus- und Abschlussarbeiten ist eine der wenigen genannten Maßnahmen, die direkt auf die Förderung der schriftsprachlichen Kompetenzen des wissenschaftlichen Nachwuchses ausgerichtet sind. Auch hier stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Lehrenden angemessen auf eine (sprachliche) Anleitung und Begleitung wissenschaftlichen Schreibens studienrelevanter Textsorten vorbereitet sind. Korrekturdienstleistungen stellten eine weitere Möglichkeit der Förderung dar, wobei hier nicht die Erhöhung der sprachlichen Kompetenz im Vordergrund steht, sondern die Hilfestellung von Korrekturlesern im Zuge der Veröffentlichung von englischsprachigen Artikeln. Die Zusammenarbeit mit englischsprachigen peers stellt für einige Befragte eine gute Möglichkeit dar, gleichzeitig sprachliche und fachliche Kompetenzen zu fördern, indem z.B. über die Kommunikation mit ausländischen Mitarbeitern gleichzeitig Englischkenntnisse erworben werden. Lediglich vier Befragte nannten Änderungen im Schulsystem als frühzeitig einsetzende Fördermaßnahme für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Im Vordergrund stehen dabei Konzepte wie der bilinguale Unterricht und die Erhöhung der kommunikativen Ausrichtung des Englischunterrichts. Dass lediglich eine Befragte universitäre Schreibzentren zur Förderung der Schreibkompetenzen des wissenschaftlichen Nachwuchses thematisiert hat, deutet darauf hin, dass diese Institution noch nicht ausreichend bekannt ist und stärker beworben werden sollte. Bei den meisten Antwortkategorien zeichneten sich keine größeren disziplinären Unterschiede ab. Dies spricht dafür, dass die vorgeschlagenen Fördermaßnahmen nicht fachspezifisch sind, sondern von Wissenschaftlern aller hier untersuchten Disziplinen vorgeschlagen werden. Ein möglicher Unterschied wäre möglicherweise darin zu sehen, dass die Biologen bei Auslandsaufenthalten sehr stark auf die USA abzielen. Hinzu kommt, dass zumindest drei der sechs Biologen großen Wert auf postdoc-Aufenthalte im englischsprachigen Ausland legen, während die meisten Auslandsaufenthalte, die von anderen Fachvertretern vorgeschlagen wurden, sich eher auf ein Teilstudium oder Praktikum bezogen. Im folgenden Abschnitt wird vertiefend auf Sozialisationsprozesse in der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern eingegangen. Im Gegensatz zu einigen der soeben besprochenen Fördermaßnahmen, wie z.B. Schreibkursen, stellt das gemeinsame Vortragen, Schreiben und Publizieren von Doktoranden und erfahrenen Wissenschaftlern eine Form der direkten Enkulturation in die Praxis der jeweiligen Fachgemeinschaft dar. <?page no="305"?> 305 6.2 Überlegungen zur sprachlich-fachlichen Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses Unter Rückgriff auf die oben besprochenen Ergebnisse in den Kategorien Sprach- und Schreibkurse, learning by doing und Zusammenarbeit mit englischsprachigen peers werden in diesem Abschnitt Überlegungen zur wissenschaftssprachlichen Sozialisation behandelt. Es soll zwei übergreifenden Fragen nachgegangen werden: 1. Welches Potenzial zur Vermittlung von Schreibkompetenzen hat learning by doing aus Sicht deutscher Wissenschaftler? (siehe Kap. 6.2.1 und 6.2.2) 2. Inwiefern können Schreibkurse und andere institutionalisierte Lernarrangements diese Anlernpraxis komplementieren? (siehe Kap. 6.2.3) Als theoretischer Rahmen wird hierfür der von Lave/ Wenger (1991) entwickelte Ansatz des Situierten Lernens herangezogen. Speziell in seiner Ausgestaltung als legitimate peripheral participation (LPP) erlaubt dieses Konzept eine sozial-konstruktivistisch orientierte Perspektive auf die in den Interviews beschriebenen Sozialisationsvorgänge zur ‚Ausbildung‘ des wissenschaftlichen Nachwuchses. Dabei wird den ‚Novizen‘ der Einstieg durch Kooperation mit erfahrenen Mitgliedern erleichtert und zugleich ihr Status als Neulinge berücksichtigt, sodass sie zwar bereits an der Praxis der Wissenschaftsgemeinschaft teilnehmen können, aber noch nicht die volle Verantwortung für ihr Tun tragen müssen. Nachdem die theoretische Erörterung des Konzeptes der Praxisgemeinschaft bereits im Theorieteil der Arbeit vorgestellt wurde (siehe Kap. 2.3.5.2), konzentriert sich dieses Kapitel auf die empirische Anwendung. Zwar stellt Birch-Bécaas (2008: 2) fest, dass sich viele Studien zur Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses auf Beziehungen zwischen muttersprachlichen Betreuern und nichtmuttersprachlichen Doktoranden in einem angloamerikanischen Kontext konzentrieren. Dennoch können kulturelle Unterschiede, abweichende sprachlich-fachliche Erwartungen und ein Verständnis der Promotion als mehr oder weniger autonome Phase auch bei Kooperationen zwischen Nichtmuttersprachlern Kommunikations- und Sozialisationsprobleme verursachen. Die in der wissenschaftlichen Literatur angemerkte problematische Beziehung zwischen Mentor und Mentee (bzw. Protegé, Schützling) kann ebenfalls mit der institutionellen Ausgestaltung in Zusammenhang stehen. Die Verbreitungsgrad der graduate school ist z.B. deutlich geringer in der deutschen Wissenschaftslandschaft als in der amerikanischen. Zwar existieren Graduiertenkollegs hierzulande ebenfalls, doch ein großer Teil der Doktoranden wird im Zuge einer Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter ausgebildet (z.B. befanden sich alle interviewten Doktoranden in einem solchen Arbeitsverhältnis). Die diversen Aufgaben in Forschung, Lehre und Verwaltung, die damit verbundenen sind, betten den wissenschaftlichen Nachwuchs in einen institutionellen Handlungskontext <?page no="306"?> 306 ein, der sich von Graduiertenschulen unterscheidet. Dies soll nicht implizieren, dass die Betreuung in einem der Systeme notwendigerweise ‚besser‘ oder intensiver ist. Ein Vorteil von Graduiertenkollegs könnte beispielsweise darin liegen, dass es dort relativ einfach und sogar intendiert ist, die Paare von Betreuendem und Betreutem auszutauschen (vgl. Wegener/ Tanggaard 2013: 42), sodass verschiedene fachliche und sprachliche Praktiken und Schwerpunkte (z.B. wie Korrekturen durchgeführt werden, Kommunikationsstile, Vorlieben für bestimmte Themen und Methoden) von den Promovenden kennengelernt werden können. Ein potenzieller Nachteil einer Betreuenden-Doktoranden Beziehung und in anderen hierarchischen Arbeitsbeziehungen kann in dem inhärenten Machtungleichgewicht zwischen den Involvierten liegen. Eine mögliche Auswirkung dieses Umstandes kann beispielsweise in einem Verständnis von Ausbildung als die Verfügbarmachung günstiger oder gar unbezahlter Arbeitsleistungen sein (vgl. Lave 1996: 70). Huang (2010: 39f.) berichtet in einer Studie mit 14 Naturwissenschaftlern in Taiwan darüber, dass sich dort viele der Nachwuchswissenschaftler über die Abhängigkeit von ihren Betreuern im Hinblick auf die Genehmigung von Konferenzbesuchen oder dem Umschreiben ihrer Entwürfe beschweren. Wegener/ Tanggaard (2013: 40) sprechen die Problematik gemeinsamen Schreibens und Publizierens ebenfalls an: „Although a dominant practice within the sciences, it has been perceived negatively, particularly in the field of education, for ethical reasons regarding questions of ownership, autonomy and self-exploration.“ Diese Überlegungen sollen die Effizienz der vorgefundenen Sozialisationspraxis nicht in Frage stellen, zumal von den Doktoranden in den Interviews keine Missstände beklagt wurden. Betreuende und Betreute können jedoch über Vereinbarungen und Richtlinien möglicherweise dazu beitragen, dass die Zusammenarbeit für beide Seiten produktiv verläuft. Wegener/ Tanggaard (2013: 39) schlagen unter anderem folgende zwei Punkte für eine Schreibkooperation zwischen Betreuenden und Doktoranden vor: - Der Doktorand ist in allen Phasen der Erstellung und Publikation involviert. Dies bedeutet z.B. auch, dass der Betreuende den Textentwurf eines Nachwuchswissenschaftlers nicht einfach umschreibt, ohne die Änderungen zu besprechen (ein Beispiel dafür findet sich in Huang 2010: 40). In erster Linie soll diese Regel bewirken, dass die Doktoranden von Anfang an alle Phasen des Schreibens und Publizieren kennenlernen und so nach und nach mehr Verantwortung übernehmen können. - Der Betreuer sorgt für einen zeitnahen Austausch der Entwürfe. Diese Regel soll sicherstellen, dass sich keine Schreibblockaden oder ein Gefühl der Überwältigung einstellen, da beispielsweise Zeitabstände oder Arbeitspakete zu groß werden. Die Handlungsanweisungen des Betreuenden sollten dabei nicht zu detailliert sein, um Eigenständigkeit in der Umsetzung ermöglichen. <?page no="307"?> 307 Als Gegengewicht zu den obigen Überlegungen muss aber auch erwähnt werden, dass das gemeinsame Verfassen und Veröffentlichen wissenschaftlicher Artikel die Nachwuchswissenschaftler indirekt mit einer gewissen diskursiven Macht ausstattet. Eine regelgeleitete Ausbildungsphase ist daher besonders wichtig, denn die Doktoranden werden spätestens am Ende ihrer Ausbildung teilweise individuell publizierte Fachurteile abgeben können und somit direkt diskursive Macht ausüben (vgl. Wegener/ Tanggaard 2013: 41). Im Folgenden wird auf drei Studien eingegangen, die LPP als Analyseansatz für Sozialisationsvorgänge verwendet haben. Birch-Bécaas (2008: 3) hat in einer Interviewstudie die Beziehung zwischen zwei Doktoranden und ihren Betreuenden anhand von LPP untersucht, um der Frage nachzugehen, wie die Sozialisation der Nachwuchswissenschaftler in die jeweilige Diskursgemeinschaft vonstattengeht. Sie vermutet, dass nichtmuttersprachliche Betreuende aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit den Herausforderungen des fremdsprachlichen Schreibens und Publizierens sprachsensibler auf die Doktoranden eingehen können, dass eine Vorbereitung und Begleitung dieser Ausbildungspraxis, z.B. in genrepädagogisch orientierten Schreibkursen, aber dennoch nötig ist (vgl. Birch-Bécaas 2008: 8). In einer weiteren Fallstudie untersuchten Wegener/ Tanggaard (2013) - sie waren dabei selbst Doktorandin und Betreuerin - das gemeinsame Schreiben und Publizieren zweier wissenschaftlicher Artikel unter Bezugnahme auf LLP. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine solche Form der Kooperation eine effektive Ausbildungsmethode darstellt und nicht nur als eine Möglichkeit gesehen werden sollte, den Publikationsoutput zu erhöhen. Sprachlichen Gesichtspunkten wird im Zuge der besprochenen Anlernprozesse trotz zahlreicher Anknüpfungspunkte jedoch keinerlei Platz eingeräumt, obwohl die beiden Wissenschaftlerinnen zuerst einen dänischsprachigen Beitrag in einem Sammelband schreiben und veröffentlichen und darauf aufbauend einen englischen Artikel publizieren. Die Erstveröffentlichung in einem nationalsprachlichen Sammelband kann dabei zumindest in mehrsprachigen Disziplinen als typischer Schritt auf dem Weg zu einer englischsprachigen Publikation gesehen werden und wurde auch von einigen Befragten in der vorliegenden Arbeit beschrieben (siehe Item Schutzraumfunktion des deutschen Diskurses in Kap. 5.2.2.2). Flowerdew (2000) untersuchte unter Bezugnahme auf die Konzepte Diskursgemeinschaft und LLP die Publikationsversuche des Postdoktoranden „Oliver“, der nach seiner Promotion in den USA verschiedenste Anstrengungen unternimmt, um in internationalen (eher USamerikanischen; vgl. Flowerdew 2000: 135) Fachzeitschriften zu publizieren. Flowerdew versteht, teilweise abweichend von der gängigen Auslegung des Konzeptes in Lave/ Wenger (1991), den Begriff „Peripherie“ allerdings eher in einem wissenschaftsgeographischen Sinne als die Entfernung Hongkongs vom amerikanischen mainstream (vgl. Flowerdew 2000: 143). Die Fallstudie zeigt indes auf, wie sehr der Befragte von der Zusammenarbeit mit zwei <?page no="308"?> 308 muttersprachlichen Lektoren profitiert und welche Hindernisse sich auf dem Weg zur Publikation ergeben. In den folgenden beiden Abschnitten werden anhand von Interviewbeispielen typische Initiationswege in die Wissenschaftsgemeinschaft im Sinne einer legitimen peripheren Partizipation aufgezeigt. Einige der in den Interviews besprochenen Beispiele für learning by doing können dabei sprachlichwissenschaftlichen Sozialisationsstufen während der Promotion zugeordnet werden, wie zunächst am Beispiel von Konferenzbesuchen und -präsentationen aufgezeigt werden soll. 6.2.1 Konferenzteilnahme als legitimate peripheral participation Entgegen der Annahme, dass wissenschaftssprachliche Sozialisation ‚wildwüchsig‘ erfolge, soll gezeigt werden, dass (auch die sprachlichen) Ausbildungswege zumindest von Nachwuchswissenschaftlern deutlich systematischer verlaufen, als dies häufig angenommen wird: Wenn Lehrende des Fachs wissenschaftliches Schreiben vermitteln, dann agieren Fachexperten. Das Schreiben wissenschaftlicher Texte ist Ausdruck ihrer Sozialisierung und Professionalisierung. Die Vermittlung wissenschaftlichen Schreibens ist in der Regel nicht Bestandteil ihrer Ausbildung. Schreibspezifisches, besonders sprachliches Wissen werden sie sich eher unsystematisch, möglicherweise über die Lektüre von Ratgebern angeeignet haben. (Schindler 2008: 3) 127 Es ist Schindler dahingehend zuzustimmen, dass (nichtsprachwissenschaftliche) Fachexperten in der Regel nicht in der Vermittlung wissenschaftlichen Schreibens ausgebildet werden. Die Art der Aneignung bzw. Weitergabe sprachlich-fachlichen Wissens erscheint, wie im Folgenden gezeigt werden soll, dennoch auf systematische Weise zu erfolgen. Die an die Nachwuchswissenschaftler gestellten Aufgaben werden dabei, in Übereinstimmung mit der Theorie der LPP, mit zunehmendem Verbleib und Kompetenz sukzessive komplexer und unabhängiger vom Betreuer. Es soll jedoch nicht behauptet werden, dass die vorgestellten Sozialisationspraktiken auf alle Nachwuchswissenschaftler zutreffen, sie stellen aber eine idealisierte Annäherung an typische Sozialisationswege dar. Auf der ersten Stufe partizipieren Nachwuchswissenschaftler durch Beobachtung bzw. Teilnahme an gängigen Arbeits- und Kommunikationsabläufen, wie z.B. nationalen oder regionalen Fachkonferenzen: Was stark gefördert wird und das möchte die Professorin auch gerne [...], ist Teilnahme an Konferenzen und dann zum Beispiel am Anfang der Doktorarbeit, wenn man noch keine Daten hat, die man auf Konferenzen präsen- 127 Im vorliegenden Korpus gaben zwar vier Befragte an, Ratgeber zu besitzen und von Zeit zu Zeit zu benutzen, sieben Befragte empfanden Ratgeber jedoch als wenig hilfreich und bevorzugten es in der Regel, sich an Fachaufsätzen zu orientieren. <?page no="309"?> 309 tieren kann, dann kann man [...] auch trotzdem schon auf Konferenzen fahren, wo man dann ja zumindest Vorträge hört oder mit Leuten sich unterhält, was ja auch hilft auf jeden Fall. Und Konferenzen sind immer komplett auf Englisch auch. (35PD 00: 57: 55-8) Die befragte Biologin erklärt die Praxis ihrer Professorin, Doktoranden auch dann zur Konferenzteilnahme zu motivieren, wenn noch keine Forschungsergebnisse vorliegen sollten und kein Vortrag gehalten wird. 128 Die Teilnahme an Konferenzen erfüllt eine einführende Funktion in die jeweilige Wissenschaftsgemeinschaft, indem ein erstes Kennenlernen der fachlich gebundenen Konferenz-Praxis und des Konferenz-Diskurses ermöglicht wird, ohne bereits einen eigenen fachlichen Beitrag zu präsentieren. Doktoranden wird es damit ermöglicht, bereits im Sinne des networking Kontakte knüpfen; sie lernen beispielsweise, wie die Hierarchie der Gemeinschaft aufgebaut ist (wer z.B. einen keynote-Vortrag hält) oder welche sprachliche und fachliche Gestalt Beiträge zum Diskurs annehmen. In der Fachliteratur findet sich ein ähnlicher Fall einer französischen Doktorandin in den Naturwissenschaften, der vom Betreuer die Teilnahme an einer kleineren französischsprachigen Konferenz empfohlen wird, um die Praxis der Gemeinschaft ohne die sprachliche Zusatzhürde des Englischen kennenzulernen (vgl. Birch-Bécaas 2008: 5f.). Die Befragte B35PD unterscheidet sich dahingehend, dass es keine deutschsprachigen Konferenzen mehr in ihrem Fachgebiet gebe („Konferenzen sind immer komplett auf Englisch“). Es ist jedoch davon auszugehen, dass selbst auf offiziell englischsprachigen Konferenzen in bestimmten Kontexten das Deutsche Verwendung findet. Hier hätte die Befragte somit Gelegenheit, Verwendungsmuster des Deutschen und Englischen sowie gängige Regeln des codeswitching zu erlernen. Eine mögliche zweite Stufe beinhaltet, auf zumeist englischsprachigen Fachkonferenzen mit dem Betreuenden gemeinsam einen Vortrag zu halten. Der Professor kann bei der Ausarbeitung und beim Vortrag sprachliche und fachliche Unterstützung bereitstellen, wie die Aussage eines Germanistischen Linguisten zeigt: Ich geh’ gemeinsam mit einer Mitarbeiterin auf eine internationale Konferenz und wir halten zu zweit einen Vortrag und das muss dann auf Englisch stattfinden. Aber wir machen da eigentlich kein explizites Englischcoaching. [...] Wenn eine gewisse Unsicherheit da ist, ist überhaupt kein Problem. Das gibt den Mitarbeiterinnen ja dann ein bisschen, so wie ich das früher auch hatte, eine gewisse Rückendeckung zu sagen, im Notfall ist {der Professor} da und kann die Frage beantworten. [...] Das Komische ist, und das ist meine Erfahrung, dass es eigentlich im Alltag viel besser funktioniert als man eigentlich denkt. Natürlich haben alle vorher ein bisschen Bedenken und ein bisschen Angst, aber sobald man einmal in diesem Konferenzsetting ist, auch mit- 128 Diese Praxis wurde nicht überall festgestellt, denn zumindest ein Befragter (11P Automatisierungstechnik) teilt mit, dass Doktoranden nur dann an Konferenzen teilnehmen dürften, wenn sie einen Vortrag halten. <?page no="310"?> 310 kriegt wie andere das Problem lösen, auch mitkriegt, dass gerade eben nicht alle perfekt Englisch können, ist meiner Erfahrung nach einem halben Tag, vier, fünf Vorträge ist man so da drin, dass man dann auch die Scheu ein bisschen verliert. (L32P 00: 41: 37-8) Im Sinne der legitimen peripheren Partizipation bietet der Befragte seinen Doktorandinnen einen gewissen ‚Schutz‘, indem er gemeinsam mit ihnen vorträgt und im Falle sprachlicher oder fachlicher Probleme, wie z.B. kritischen Fragen des Publikums oder Ausdrucksproblemen, einen Gesichtsverlust oder Ähnliches verhindern kann. Diese Konstellation ermöglicht es, Stützmaßnahmen bei Bedarf einzusetzen und so eine Überforderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu verhindern. Eine solche Form des Lernens wird vom Befragten als sehr effektiv beschrieben, da sich eventuell vorhandene Ängste seiner Erfahrung nach so schnell abbauen lassen. Die sprachliche Dimension spielt diesbezüglich ebenfalls eine Rolle: Die Doktoranden sollen erfahren, dass viele Vortragende Nichtmuttersprachler des Englischen sind, die „nicht alle perfekt Englisch können“ (L32P 00: 41: 37-8). Zur Sozialisation in die Wissenschaftlergemeinde gehört für den Befragten zwar kein „explizites Englischcoaching“, aber die Erfahrbarmachung der vorherrschenden Sprachnormen auf Konferenzen. Diese Form der Ausbildung wird scheinbar systematisch bei neuen Doktoranden durch geschützte Teilnahme an den Praktiken der Diskursgemeinschaft vom Befragten umgesetzt. Eine mögliche dritte Stufe ist es, ohne Begleitung erfahrener Wissenschaftler auf einer internationalen Konferenz die eigene Arbeit, meist aus dem Promotionsprojekt, vorzustellen. Die Sozialisationspraxis einer Mathematikprofessorin ist dahingehend aufschlussreich: Im dritten Jahr sollte man schon seine Arbeit irgendwo auf einer internationalen Tagung vortragen. Natürlich dürfen die Vorschläge machen, wo sie hinfahren wollen unter den Tagungen, die in Frage kommen. Aber das muss sein und das finanzieren wir dann aber auch. [...] Das gehört einfach dazu, das muss man nachher können und dann, das ist kein Freizeitspaß, sondern das gehört zur Ausbildung, so zum Promovieren. (15P Mathematik 00: 29: 07- 1) Die Befragte weist expliziert auf die wahrgenommene Notwendigkeit dieser Praxis hin. Das Vortragen der eigenen Forschung auf internationalen Konferenzen sei Teil der wissenschaftlichen Ausbildung. Der wissenschaftliche Nachwuchs müsse an dieser Praxis teilhaben, da es für das Vorankommen in der Gemeinschaft nötig sei: „das muss man nachher können“. Dass das Vortragen auf einer internationalen Konferenz erst im dritten Jahr als Doktorand anvisiert wird, könnte dabei mehrere Gründe haben. Ein erster wurde bereits von der Biologie-Postdoktorandin oben (B35PD) erwähnt: Es müssen häufig erst Forschungsdaten ausgewertet und aufbereitet vorliegen. Ein weiterer Grund könnte in der anschließenden Umbruchphase der wissenschaftlichen Laufbahn liegen. Birch-Bécaas (2008: 6) berichtet beispielsweise <?page no="311"?> 311 über zwei Doktoranden in den Naturwissenschaften, die ebenfalls im dritten Jahr ihres Doktorats je einen Vortrag auf einer internationalen Konferenz hielten. Dieser Zeitpunkt ist nach Auskunft der Betreuenden kein Zufall, sondern im Hinblick auf eine anstehende Bewerbung als postdoc wichtig (vgl. Birch-Bécaas 2008: 6). Es vermengen sich also in dieser Sozialisationspraxis verschiedene Ausbildungsmotive: Die Doktoranden sollen einerseits zeigen, dass sie weitgehend ohne fremde Hilfe an einer essentiellen Praxis der Wissenschaftsgemeinschaft teilhaben können und auch in der Sprache des internationalen Diskurses ‚auf eigenen Beinen stehen‘ können. Gleichzeitig eröffnet die erfolgreiche Teilnahme an internationalen Konferenzen die Möglichkeit, weitere wichtige Praktiken der Diskursgemeinschaft zu erlernen, wie das Publizieren wissenschaftlicher Artikel. Erfolg in diesen Praktiken ist häufig eine Voraussetzung dafür, sich in einer Anstellung als postdoc weiter in das Zentrum der Gemeinschaft vorzuarbeiten. Denn die zu durchlaufenden Lernprozesse hören nach der Phase der Promotion nicht auf, da ständig neue Praktiken erlernt und bereits bekannte verbessert werden müssen. Der erreichte Status innerhalb der Gemeinschaft muss außerdem über erfolgreiche Publikationsprozesse „ratifiziert“ werden (Flowerdew 2000: 131, Übers. FR). Bei der Analyse der einzelnen Schritte fällt die systematische Art und Weise der Einführung in die wissenschaftliche Gemeinschaft auf. Die Schritte ähneln in vielerlei Hinsicht ‚Initiationsriten‘, die von allen Nachwuchswissenschaftlern durchlaufen werden müssen, bevor sie als vollständige Mitglieder der Gemeinschaft akzeptiert werden. In diesem Sinne stellen die von Becher (1994: 151) „academic tribes“ genannten ‚Stämme‘ eine passende Metapher dar. Denn obwohl alle randständigen Mitglieder von Fachgemeinschaften durch ihre Teilnahme an den Praktiken der Gemeinschaft sozialisiert werden und die Gemeinschaft dadurch als Ganzes reproduziert wird, unterscheiden sich die genauen Abläufe auch fachspezifisch. So besuchen die Biologen im Korpus beispielsweise keine deutschsprachigen Konferenzen, während diese Möglichkeit von anderen Betreuern zur Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses, besonders in mehrsprachigen Disziplinen, explizit genutzt wird (vgl. Wegener/ Tanggaard 2013). Das Englische spielt demnach in den hier betrachteten Sozialisationspraktiken eine besondere, aber je nach Fach unterschiedlich ausgeprägte, Rolle. Grundlegend scheint für die hier untersuchten Fächer zu gelten, dass in der Regel alle etablierten Diskursteilnehmer diese Sprache für wissenschaftliche Belange einsetzen können müssen. Die Beherrschung des Englischen für Konferenzen und schriftliche Publikationen stellt somit eine wichtige Voraussetzung für eine Fortsetzung der wissenschaftlichen Laufbahn in diesen Disziplinen dar. Während jedoch weitgehend einsprachige Fächer wie die Biologie sich nur auf das Englische konzentrieren, ist in anderen Fachzusammenhängen, wie z.B. in der Geschichte und der Germanistischen Linguistik, eine mehrsprachige Sozialisation integraler Teil der ‚Initiationsriten‘ - Nach- <?page no="312"?> 312 wuchswissenschaftler in diesen Fächern müssen in beiden Sprachen diskursiv agieren können. Im nächsten Abschnitt soll auf einige Beispiele eingegangen werden, in der legitime periphere Partizipation über die diskursive Praxis des Schreibens und Veröffentlichen von Artikeln bewerkstelligt wird. 6.2.2 Gemeinsames Publizieren als legitimate peripheral participation Wissenschaftliches Schreiben und Publizieren ist eine Schlüsselpraxis wissenschaftlicher Gemeinschaften. Englischsprachige, besonders in internationalen Zeitschriften erscheinende Publikationen gelten als Karriereindikator par excellence. Dies verstärkt in der Folge den Druck auf Nachwuchswissenschaftler auf Englisch zu publizieren, denn immer häufiger wird dies bereits während der Promotionsphase erwartet (vgl. z.B. Wegener/ Tanggaard 2013: 1). Besonders in naturwissenschaftlichen Fächern verdrängt die kumulative Dissertation, eine Zusammenstellung mehrerer journal-Artikel, zunehmend die traditionelle Form der Dissertation als Monographie. Einige Universitäten verlangen die Veröffentlichung einer bestimmten Anzahl internationaler Fachartikel als Bedingung für die Verleihung des Doktortitels. 129 Aber auch ohne eine offizielle Anforderung sind sich viele Nachwuchswissenschaftler der Bedeutung englischsprachiger Artikel bewusst: Die beiden von Birch- Bécaas (2008: 5) untersuchten Doktoranden aus Frankreich hatten z.B. das Ziel, bis zum Ende ihrer Promotion zwei begutachtete Fachaufsätze zu veröffentlichen. Im Vergleich zu Konferenzpräsentationen kann eine eventuell vorhandene allgemeinsprachliche Englischkompetenz (im Sinne von Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS), vgl. Cummins 1991) nur bedingt beim Schreiben fachsprachlich normierter Forschungsartikel herangezogen werden. Ein befragter Biologieprofessor beschreibt diesen Umstand anschaulich: Eine Spreche ist keine Schreibe. Selbst Studenten, die gut Englisch ihre Vorträge halten können, das heißt noch lange nicht, dass sie auch gut Englisch schreiben können. Das ist nun mal ein gewisser Kanon, den man sich aneignen muss an Formulierungen, an logischen Aufeinanderfolgen und das geht nur durch Übung. (B19P 00: 47: 27-8) 129 Beispielsweise müssen Doktoranden in den Ingenieurwissenschaften an der Colorado State University vor der Disputation einen Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlicht und einen weiteren eingereicht haben (siehe http: / / www.engr.colostate.edu/ me/ pages/ graduate/ PublicationRequirements.html, eingesehen am 08.01.2015). Zunehmend wird diese Praxis auch an deutschen Universitäten umgesetzt, wobei hier teilweise noch zwischen dem Verfassen einer Monografie und der kumulativen Dissertation gewählt werden kann (siehe z.B. die Promotionsordnung der Naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universität Halle-Wittenberg, http: / / www.verwaltung.uni-halle.de/ KANZLER/ ZGST/ ABL/ 2013/ 13_02_10.pdf, eingesehen am 04.08.2015). <?page no="313"?> 313 Der Interviewte betont die Wissensbestände (den fachsprachlichen „Kanon“), die sich Nachwuchswissenschaftler trotz ausgeprägter mündlicher Englischkenntnisse aneignen müssten. Erfolgreich könne diese Aufgabe nur über learning by doing bewältigt werden, genauer gesagt durch eine Form der Schreibkooperation („hin und her in einem iterativen Prozess Dinge zu verfassen“, B19P 00: 47: 27-8). Analog zu den Konferenzbesuchen existieren beim Schreiben und Publizieren ebenfalls Abstufungen hinsichtlich des Grades der Involviertheit der Nachwuchswissenschaftler sowie hinsichtlich der Stützmaßnahmen, die von Erfahreneren bereitgestellt werden. Ein möglicher Einstieg in die Wissenschaftsgemeinschaft wird von einem Physikprofessor beschrieben: Naja, es entsteht eigentlich meistens dadurch, dass man gemeinsam eine Publikation macht. Und dass man jetzt weniger eine große Publikation macht, sondern beispielsweise, [...] dass man zusammensitzt und aus so einer Masterarbeit, für eine Konferenz zum Beispiel, ein Poster vorbereitet. Konferenzabstract und so weiter, wo dann hinterher ein kleiner Konferenzbericht daraus werden soll. Da führt man die Leute am besten eigentlich mit ein. (4P Physik 00: 21: 52-9) In der Aussage des Befragten zeigt sich, dass auch die Praxis der Konferenzteilnahme häufig an schriftliche Textsorten wie das Abstract und den Konferenzbericht gebunden ist (sowie die inzwischen annähernd obligatorisch gewordene Powerpoint-Präsentation). Der Professor bietet den Masterabsolventen in diesem Sinne Hilfestellung an und sorgt dafür, dass ihre Beiträge den Normen der Wissenschaftsgemeinschaft, auch sprachlich, konform sind. Er begleitet die Absolventen bei wichtigen Genres (Abstract, Posterpräsentation, Konferenzbericht). Ein weiterer Grund für eine Kooperation mit erfahreneren Wissenschaftlern ist, neben der sprachlich-fachlichen Unterstützung, ihre größere Bekanntheit und Zentralität in der Diskursgemeinschaft. Etablierte Mitglieder können als ‚Türöffner‘ fungieren und Nachwuchswissenschaftlern den Einlass in die Diskursgemeinschaft erleichtern: „They [i.e. the newcomers] are granted access to the world of publication by the quality of the science, the quality of the draft but also by their association with an expert“ (Birch-Bécaas 2008: 6). Ein weiteres Beispiel eines Doktoranden aus dem Maschinenbau (M36D) zeigt, wie der Befragte von einer deutschsprachigen, als relativ peripher beschriebenen Publikation, zu einer internationalen Publikation gelangt ist: Das war meine erste Veröffentlichung, das war eine nationale deutsche Sache. So ein kleineres Ding, was eine schöne, ganz tolle Sache war, wo man als junger Doktorand anfangen kann, mal so Veröffentlichungen zu schreiben und seine ersten Sachen einem kleinen Publikum zu publizieren. Und das habe ich gemacht, es hat funktioniert. Und danach, mit mehr Material, bin ich dann auf die internationale Ebene gegangen. (M36D 00: 10: 47-2) <?page no="314"?> 314 Der Einstieg in die Diskurspraktiken der Wissenschaft über eine deutschsprachige Veröffentlichung könnte ebenfalls als eine Form von LPP verstanden werden. Die deutschsprachige Gemeinschaft hat den Beitrag des Befragten augenscheinlich für gut befunden und möglicherweise wertvolle Anregungen zur Weiterarbeit gegeben. Der Beitrag wurde somit von einer deutschsprachigen Wissenschaftsgemeinschaft ‚legitimiert‘, was der Befragte dazu genutzt hat, eine englischsprachige Veröffentlichung zu verfassen und zu publizieren. Ein ähnliches Beispiel sind Wegener/ Tanggaard (2013: 13), die in einem gemeinsamen Projekt als Doktorandin und Professorin eine erste Veröffentlichung in einem dänischsprachigen Sammelband (ihre L1) und anschließend in einem englischsprachigen Zeitschriftenartikel detailliert anhand von LPP beschreiben. Zwar kann über die Verbreitung dieser Praxis im Korpus wenig mitgeteilt werden, es spricht jedoch einiges dafür, dass die Verwendung der Erstsprache in sonst stark anglisierten Disziplinen unter anderem als (sprachlicher) ‚Schutzraum‘ oder ‚Sprungbrett‘ dienen kann (siehe Kap. 5.2.2.2). Aus Sicht der Doktoranden wird die Notwendigkeit für gemeinsames Schreiben und Rückmeldungen durch erfahrenere Mitglieder der Gemeinschaft ebenfalls gesehen, wie das folgende Zitat einer Biologin suggeriert (B20D). Sie beschreibt darin, wer ihr persönlich beim Schreiben und Publizieren hilft. Ein weiteres Interview-Zitat einer Maschinenbau-Doktorandin (M25D) hebt die aus ihrer Sicht gut funktionierende Unterstützung durch ihren Professor hervor: Also {der Professor} zum Beispiel, der hat so viele Sachen veröffentlicht, ich denke da kann man sich dann, also beide, {der Postdoktorand} und {der Professor}, da kann man aus der Erfahrung dann schon schöpfen. Und wenn die sagen, nee, die Abbildung ist voll hässlich, dann macht man die halt neu. (B20D 00: 11: 58-8) Also ich kann nur sagen, dass {der Professor} mich persönlich da jetzt ganz enorm unterstützt hat bei dem Ganzen, ist natürlich jetzt kein generelles Angebot für alle [...]. Ich denke, jeder, der hier was schreiben muss und sich ein bisschen schwer tut, wird da gut unterstützt. (M25D 00: 24: 30-8) Im ersten Beispiel werden die unterschiedlichen Erfahrungsstufen der Doktoranden und erfahreneren Wissenschaftlern thematisiert. Die Befragte erklärt, dass sie aufgrund der Publikationserfahrung ihren Betreuenden vertraue und ihre Rückmeldungen deshalb ohne sie zu hinterfragen umsetze. Zwar spricht die Befragte im Zitat von einer Abbildung, dies gilt aber analog für Formulierungen. Im zweiten Beispiel wird die als sehr wichtig empfundene Unterstützung des Professors beim Schreiben und Publizieren hervorgehoben. Im nächsten Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern Sprach- und Schreibkurse einen Mehrwert schaffen können, der sich nicht <?page no="315"?> 315 ohne Weiteres über Sozialisationsarrangements wie die besprochene legitime periphere Partizipation erreichen lässt bzw. diese komplementiert. 6.2.3 Schreibkurse vs. learning by doing? Wissenschaftliche Sozialisation findet nicht ausschließlich im Rahmen der Beziehung von Betreuendem und Doktorand statt. Besonders im Hinblick auf sprachlich-fachliche Gesichtspunkte könnten beispielsweise Schreibkurse, Formen der schreibintensiven Lehre sowie die schreibbezogene Beratung und Unterstützung von Studierenden und Lehrenden die ablaufenden LPP- Prozesse vorbereitend und begleitend unterstützen. Für die von den Befragten als learning by doing bezeichnete Sozialisationspraxis der legitimen peripheren Partizipation sprechen unter anderem die folgenden Gründe: - LPP oder learning by doing wird von vielen Befragten als eine sehr effiziente Strategie zur sprachlichen und fachlichen Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses angesehen. Dieser Umstand muss bei der Frage, welche Rolle Schreibkurse in der wissenschaftlichen und sprachlichen Sozialisation einnehmen können, berücksichtigt werden. - Institutionalisierte Lehr- und Lernangebote (wie z.B. Schreibkurse) können die aktive Teilnahme an der Wissenschaftsgemeinschaft nicht ersetzen. Schreiben und Veröffentlichen deutsch- und englischsprachiger Texte kann in Kursen zwar geübt, begleitet und reflektiert werden, nicht aber die Partizipation in der Wissenschaftsgemeinschaft, der die Nachwuchswissenschaftler angehören möchten: „[W]riting classes do not create access to research communities of publication“ (Wegener/ Tanggaard 2013: 5). - LPP und eine soziale Perspektive auf Wissenschaft legen nahe, dass (Fach-)Sprachenlernen in einer Gemeinschaft auch als Identitätstransformation verstanden werden kann: „[L]anguage learning can, of course, be considered in a technical sense as the expansion of available communication tools, but also in a more holistic way as the transformation of one’s concept of self and one’s position in and towards the world“ (Breidbach/ Küster 2014: 131). In diesem Sinne ist das Erlernen einer bestimmten Fachsprache als Ausdruck des Wunsches zu verstehen, Teil einer Wissenschaftsgemeinschaft zu werden. Diese Verbindungen von entstehender wissenschaftlicher Identität (z.B. als Biologin oder Geschichtswissenschaftler) und einhergehender sprachlicher Entwicklung (vortragen und schreiben wie Biologen) gehen Hand in Hand und setzen die Teilnahme an der Gemeinschaft voraus. - Die teilweise beachtlichen sprachlich-fachlichen Unterschiede selbst innerhalb einer von außen als homogen erscheinenden Disziplin, die sich in der Entstehung zahlreicher Nischen- und Teilfächer ausdrückt, können von Schreibkursen nur ansatzweise berücksichtigt werden. Das (Erfahrungs)Wissen über die in einem Feld gültigen Normen und Praktiken kann deshalb teilweise nur über LPP vermittelt werden (siehe Kap. 6.1.1.2 für die Problematik der fachlichen Spezialisierung). <?page no="316"?> 316 - Die nicht immer fachgenau abgestimmten Inhalte und das dort erworbene sprachbezogene Wissen wecken bei einigen Befragten den Eindruck, dass Schreibkurse ihnen nicht bei akuten Schreibproblemen helfen könnten. Nur wenige Befragte scheinen einen Zusammenhang zwischen fremdsprachlicher Kompetenz und Erfolg beim wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren wahrzunehmen und wären dementsprechend bereit, die für den Kompetenzaufbau nötige Zeit zu investieren. Mögliche Gründe dafür wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit bereits erörtert: Hierzu zählen vor allem die intensive Nutzung strategischer, technischer und sozio-akademischer Ressourcen (siehe Kap. 4.2) sowie die Wahrnehmung, dass englischsprachige Publikationen trotz geringer rhetorischer Leistung den fachlichen Anforderungen entsprechen können (siehe Kap. 4.1). Trotz des vorhandenen Publikationserfolgs der Befragten und der unbestreitbar essentiellen Sozialisationsfunktion legitimer peripherer Teilnahme haben Schreibkurse das Potenzial, Studierende und Doktoranden in mehrfacher Hinsicht dabei zu unterstützen, die Anforderungen der jeweiligen Wissenschaftsgemeinschaft erfolgreich zu ‚meistern‘. Für institutionalisierte Formen des Lernens sprechen unter anderem folgende Argumente: - Trotz der von einigen Befragten geäußerten Kritik an Schreibkursen hält ein großer Teil der interviewten Wissenschaftler deren Einrichtung, unter der Bedingung fachspezifischer Ausrichtung, für sinnvoll. Sie werden als nützliche Ergänzung der vorhandenen Ausbildung angesehen. So können beispielsweise genrebezogene Kurse dabei helfen, durch kontrollierte Produktion von Textmodellen diskursive Normen zu verinnerlichen und in systematischer Weise bereits während des Studiums aufzubauen (vgl. Birch-Bécaas 2008: 8; Limburg 2014: 6). Im besten Falle erleichtern die erworbenen Textsortenkompetenzen dem wissenschaftlichen Nachwuchs ebenfalls die Analyse und Produktion neu auftretender Genres. - Die anwendungsorientierte Praxis des LPP könnte bestimmten Lernertypen weniger entsprechen, da sie möglicherweise nicht als Sozialisationsarrangement, sondern lediglich als ‚Arbeit‘ wahrgenommen wird (vgl. Birch-Bécaas 2008: 8). Die Vermittlung einer Sichtweise auf das Promovieren als eine Phase der legitimen peripheren Partizipation könnte ein verstärktes Bewusstsein für in der Regel implizit bleibende Lernvorgänge schaffen und so reflexiveres Handeln der Nachwuchswissenschaftler in der Ausbildungsphase ermöglichen. Schreibkurse wären ein geeigneter Ort, das Schreiben und Publizieren als Schlüsselpraktiken wissenschaftlicher Gemeinschaften im Sinne der Teilnahme an Diskursgemeinschaften zu thematisieren und so anfangs abstrakt erscheinenden Tätigkeiten soziale Bedeutung zu verleihen. Die Aufgabe von Schreibkursen läge demnach unter anderem in der Unterstützung und Reflexion von LPP: „[C]lassroom time can be seen as an opportunity for facilitating and reflecting upon legitimate peripheral participation as opposed to an opportunity for the transmission of knowledge“ (Flowerdew 2000: 132). <?page no="317"?> 317 - Für viele Wissenschaftler sind gültige fachspezifische Textnormen derart selbstverständlich, dass sie im Normalfall nicht als spezifische, fachgemeinschaftlich konstruierte Normen erkannt werden: „[D]iscipline-specific conventions of writing are rarely part of conscious knowledge held by subject lecturers. Writing is ‚taken for granted‘ implicit knowledge which has been gained through years of reading, writing and working within the area“ (Etherington 2008: 31-33; vgl. auch Schindler 2008: 3). Wenngleich erfahrene Wissenschaftler ihre Art wissenschaftlich zu schreiben als ‚natürlich‘ empfinden, gilt dies häufig nicht für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Schreibkurse mit fachvergleichenden und Sprachbewusstseins-Komponenten könnten diese textuellen Praktiken ‚sichtbar‘ machen (für ein derartiges Kurskonzept siehe z.B. Tardy/ Courtney 2008). - Besonders fachspezifische Schreibkurse könnten ein Forum bieten, Fach- und Sprachlehrer zusammenzubringen, um gemeinsam über Inhalte zu beraten, die für eine erfolgreiche sprachlich-fachliche Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses notwendig sind (vgl. Flowerdew 2000: 147). - Eine der Schwachstellen von LPP ist die Gefahr einer zu stark auf Reproduktion abzielenden Ausbildungspraxis. Dies kann unter Umständen zu intellektueller Konformität (vgl. Wegener/ Tanggaard 2013: 18), wissenschaftlicher Fehlpraxis aber auch zu identitären Problemen der Nachwuchswissenschaftler führen. Schreibkurse können durch eine Bewusstmachung von Mechanismen des wissenschaftlichen Diskurses nicht nur dabei helfen, fachsprachliche Normen und Regeln zu erlernen, sie können Nachwuchswissenschaftlern auch eine Stimme geben. So sieht Etherington (2008: 39) eine kritische ausgerichtete Lehrpraxis als Möglichkeit, die kanonisierten Regeln einer Disziplin kritisch zu hinterfragen. Im Sinne von Bildung als Persönlichkeitsentwicklung wäre dies auch eine Aufgabe von Schreibkursen. Es könnte sich jedoch als Herausforderung herausstellen, institutionelle Kooperationspartner, Geldmittel und Kursteilnehmer für Kursangebote zu finden, die die akzeptierten sprachlichen Regelungen einer Wissensgemeinschaft nicht nur weitergeben (viele Befragte haben derartige Angebote im Sinn, wenn sie Schreibkurse als Unterstützungsmaßnahme empfehlen), sondern auch reflektieren und hinterfragen. - Reflexive Kompetenzen können demnach auch als eine Bildungskomponente verstanden werden. Sie umfassen beispielsweise, nicht aber ausschließlich, das Lernen und Nachdenken über die Rollen, die das Deutsche und Englische als Wissenschaftssprachen in verschiedenen Domänen und Fächern spielen können. Weiterhin könnten Fragen wie die folgenden im Vordergrund stehen: Wie wird in einem Fach Wissen hergestellt? Wie unterscheidet sich diese Konstruktionsweise und damit auch das konstruierte Wissen von dem anderer Fächer? Was bedeutet das für den Schreibprozess? Diese Konzeption würde jedoch erfordern, dass Schreiblehrer sich nicht ausschließlich als Sprachlehrer, sondern ebenfalls als ‚Wissenschaftslehrer‘ verstehen. <?page no="318"?> 318 - Des Weiteren kann eine effiziente Ressourcennutzung Gegenstand von Schreibkursen werden. Der Fokus liegt dabei auf dem Erlernen übertragbarer und fachübergreifend anwendbarer Strategien und Techniken. So sollte beispielsweise nicht nur über Plagiarismus als ungewollte Praxis nachgedacht werden, sondern auch vermittelt werden, wie die Wiederverwendung gebräuchlicher formelhafter Sequenzen ohne eine Verletzung akademischer Standards geschehen kann. In diesem Zusammenhang spielt das Finden, Erstellen und kompetente Benutzen fachspezifischer Korpora eine wichtige Rolle (Formulierungen richtig googeln, Korpora benutzen und gegebenenfalls erstellen, Unterstützungsangebote wie die Manchester Phrase Bank). 6.2.4 Fazit und Implikationen Die Aneignung von Englischkenntnissen ist nicht getrennt von der Sozialisation in der Gemeinschaft zu sehen, sondern ist im Gegenteil ein integraler Teil der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern. Das Schreiben und Veröffentlichen der ersten englischsprachigen Artikel ist essentieller Teil der Praktiken der hier untersuchten Befragten. Ein Nachwuchswissenschaftler, der noch nicht auf Englisch publiziert hat, hat in den meisten Wissenschaften noch nicht den Status eines ‚peripheren‘ Mitglieds einer Fachgemeinschaft überwunden. In diesem Sinne ist das Englische in vielen Disziplinen zum Inbegriff einer erfolgreichen Wissenschaftssozialisation geworden. Hinsichtlich der Karrierestufe wurde im Rahmen des Kapitels aufgezeigt, dass die erfahreneren Befragten häufig eine Betreuerrolle für neue Mitglieder übernehmen und diese über LPP in zunehmendem Maße in die Wissenschaftsgemeinschaft einbinden. Im Gegenzug beschreiben viele der Doktoranden eine unterstützende Beziehung zum Professor oder Postdoktoranden, mit dem sie zusammenarbeiten. Es wurde aufgezeigt, dass Schreibkurse, bedingt z.B. durch einen nur approximativen Fachbezug, bestimmte Aufgaben nicht so effizient erfüllen können wie learning by doing. Sie können neben ihrer Kernaufgabe der Vermittlung fachspezifischer Sprachnormen jedoch die als legitime periphere Partizipation bezeichnete Praxis ergänzen und unterstützen. So könnte es ihre Aufgabe sein, Themen zu adressieren, die im direkten Anwendungsbezug des wissenschaftlichen Alltags ‚unter den Teppich fallen‘. Findet Schreibausbildung jedoch ausschließlich über eine Form der Ausbildung statt, wäre Reflexion über die Ziele von Wissenschaft, Methoden, Sprachwahlmöglichkeiten etc. kaum möglich und wichtiges Innovationspotenzial könnte verloren gehen. Für Schreiblehrer bietet eine Modellierung des Wissenschaftssystems auf Grundlage der Konzepte der Diskurs- und Praxisgemeinschaft sowie LPP nicht zuletzt nützliche Werkzeuge der Bedarfsanalyse. Ihre Verwendung ermöglicht unter anderem eine Einschätzung der von einer Wissenschaftsgemeinschaft geforderten Kompetenzen, der bereitgestellten Stützmaßnahmen <?page no="319"?> 319 sowie wissenschaftssprachlichem Förderbedarf. Die Konzepte ermöglichen aber vor allem, die Partizipation in einer Wissenschaftsgemeinschaft als identitäre Transformation von newcomer zu oldtimer zu verstehen. Die sich dabei wandelnden Identitätslagen und Aufgaben sollten bei der Planung von Schreibarrangements Berücksichtigung finden. <?page no="320"?> 320 7 Fazit und Ausblick Die zunehmende Anglisierung der wissenschaftlichen Publikationslandschaft, wie sie einer Vielzahl von Studien bereits zum Ausdruck gebracht wurde, hat sich auch in der vorliegenden Arbeit bestätigt. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Globalisierungs-, Europäisierungs- und Anglisierungsprozesse werden unter anderem Probleme wie sprachliche und materielle Ungleichheiten, Domänenverluste und Herausforderungen für nichtmuttersprachliche Wissenschaftler im Zuge ihrer Teilnahme an englischsprachigen Diskursen deutlich. Es konnte aufgezeigt werden, dass eine Betrachtung der sozialen Dimension des wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens mithilfe der Konzepte der Diskurs- und Praxisgemeinschaft zahlreiche wertvolle Einsichten in alltägliche Schreib- und Sozialisationspraktiken erlaubt. Wissenschaftliches Schreiben als soziales, gruppenorientiertes Handeln zu erfassen, eröffnet dabei neue Perspektiven auf einen Gegenstand, der über genre- und korpusanalytische Ansätze nicht in gleicher Weise erschlossen werden kann. Die im Zuge der Datenauswertung gewonnenen Einsichten zu Themen wie der sprachlich-fachlichen Sozialisation des Nachwuchses oder der sozio-akademischen Ressourcennutzung der Wissenschaftler wären ohne die eingenommene soziokulturelle Perspektive nicht möglich gewesen. Aber auch die in den Interviews geäußerten Einstellungen und Sichtweisen der Wissenschaftler, z.B. zum Englischen und Deutschen als Wissenschaftssprachen, erhalten erst durch ihren Bezug auf fachliche Gemeinschaften einen über das Individuum hinausgehenden sozialen Sinn und sind nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Es konnte somit gezeigt werden, dass der komplementäre Bezug auf die Konzepte Diskurs- und Praxisgemeinschaft in ihrer jeweiligen Schwerpunktsetzung einen geeigneten theoretischen Rahmen für Untersuchungen im Bereich der Wissenschaftssprachforschung bereitstellen kann und eine Modellierung der ablaufenden, sozial gebundenen Schreib- und Publikationsprozesse erlaubt (siehe Kap. 2). Im Folgenden werden die Hauptergebnisse der drei Themenkomplexe wiedergegeben. 7.1 Anforderungen und Ressourcennutzung Der erste Themenkomplex des empirischen Teils der Untersuchung (Kap. 4) konzentrierte sich auf die wahrgenommenen sprachlich-fachlichen Anforderungen der Befragten beim Schreiben und Publizieren englischsprachiger Artikel sowie auf die Ressourcennutzung der Wissenschaftler. Eines der Ziele bestand darin, die Herausforderungen sichtbar zu machen, denen deutschsprachige Wissenschaftler beim Schreiben auf Englisch begegnen und anschließend festzustellen, wie diese im Einzelnen bewältigt werden. <?page no="321"?> 321 Die befragten Wissenschaftler nahmen verschiedene sprachliche, publikationsbezogene, inhaltliche sowie organisatorische Hindernisse beim Schreiben und Publizieren auf Englisch wahr. Zu den häufigsten zählen ‚Ausdrucksunsicherheiten‘ wie z.B. fehlendes Sprachgefühl oder geringere sprachliche Exaktheit in der Fremdsprache Englisch sowie grammatische (z.B. Zeitformen) und lexikalische Probleme (z.B. Fachvokabular). Dies zeigt, dass die Interviewten trotz guter Englischkompetenz einen Mangel an Sprachgefühl durchaus als hinderlich empfinden. Durch geschickten Ressourceneinsatz sind sie aber sehr wohl in der Lage, die festgestellten Schreibherausforderungen zu bewältigen und erfolgreich zu publizieren. Die von den Befragten hierzu verwendeten Ressourcen können wie folgt klassifiziert werden: - Die Befragten bedienen sich regelmäßig personeller oder sozioakademischer Ressourcen, wie (professioneller) mutter- und nichtmuttersprachlicher Korrekturleser, Kollegen und Freunde, die zur Überarbeitung von Manuskripten herangezogen werden. Dabei offenbaren sich Unterschiede hinsichtlich des Einsatzes von mutter- und nichtmuttersprachlichen Korrekturlesern: Während fast alle Befragten regelmäßig nichtmuttersprachliche Korrekturleser einsetzen, variiert die Häufigkeit, mit der Muttersprachler des Englischen eingesetzt werden je nach Fachzugehörigkeit der Wissenschaftler und Wichtigkeit von Publikationsanlässen (siehe Kap. 4.2.4.1). Es fällt auf, dass Muttersprachler häufig ausschließlich für sprachliche Korrekturen herangezogen werden, wogegen Fachkollegen überwiegend die inhaltliche Korrektur obliegt. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass Muttersprachler des Englischen häufig als fachlich nicht ausreichend kompetent eingeschätzt werden und Fachkollegen im Gegenzug nicht immer die nötige Expertise für sprachliche Korrekturen zugestanden wird. - Weiterhin werden schreib- und publikationsbezogene Strategien eingesetzt. Ein Großteil der Wissenschaftler gibt an, englischsprachige Publikationen direkt auf Englisch zu schreiben. In einigen Fällen werden zwar bereits vorliegende deutsche Texte ins Englische übertragen, die Interviewten sind aber überwiegend der Meinung, dass das direkte Schreiben auf Englisch Übersetzungsvorgängen vorzuziehen ist, da sie das Übersetzen als schwierig empfinden und Interferenzen (‚Denglisch‘) befürchten. Diese Einschätzung könnte damit zusammenhängen, dass die meisten Befragten keine ausgebildeten Sprach- oder Übersetzungsexperten sind, sondern sich ihre fachbezogenen Englischkenntnisse zumeist über langjährige Lese-Immersion angeeignet haben (siehe Kap. 4.2.3.3). - Wichtig sind ebenfalls lexikalische Ressourcen (siehe Kap. 4.2.3.1). Fast alle Interviewten setzen zweisprachige Online-Wörterbücher wie LEO ein. Dass die Befragten kaum einsprachige Wörterbücher benutzen, zeigt, dass sie das Deutsche als Ressource einsetzen, um englischsprachige Entsprechungen zu finden. Von einigen Befragten werden grundlegende Möglichkeiten der Suchmaschine Google genutzt, um Formulierungen auf ihre (quantitative) Verbreitung und Akzeptanz zu überprüfen. Die <?page no="322"?> 322 Vermittlung fortgeschrittener Überprüfungsmöglichkeiten mit Google und die Nutzung wissenschaftsspezifischer Korpora könnte eine wichtige Aufgabe von Schreibkursen sein, um den Nutzen vorhandener Ressourcen noch zu erhöhen. - Ferner stellen englischsprachige Fachpublikationen eine wichtige lexikalische Ressource dar, die bisher nur wenig Beachtung findet. Fachpublikationen werden aber nicht nur zur impliziten Aneignung fachspezifischer Sprache über extensive Leseprozesse verwendet, sondern teilweise auch im Rahmen einer besonders unter den Biologen weitverbreiteten copy&paste- Praxis, in der typische Textbausteine aus veröffentlichten Fachaufsätzen in eigenen Texten wiederverwendet werden. Diese Praxis wirft jedoch insbesondere in den Geisteswissenschaften die Frage auf, wie Fachpublikationen zum Erwerb des wissenschaftlichen Registers in der Fremdsprache genutzt werden können, ohne dass die Gefahr des Plagiarismus entsteht. Die ‚Schwere‘ der wahrgenommenen Probleme und die Form und Ausprägung des Ressourceneinsatzes sind schließlich im Kontext der sprachlich-fachlichen Anforderungen verschiedener Fachkulturen zu bewerten, wie anhand eines Fächervergleiches deutlich wurde: So mussten die Geschichtswissenschaftler beispielsweise den höchsten sprachlichen Anforderungen im Korpus gerecht werden. Sie kooperierten selten beim Schreiben wissenschaftlicher Texte und konnten nicht von der Orientierungsfunktion eines rigiden Textschemas oder wiederverwendbarer Textbausteine profitieren. Die Biologen dagegen hatten die geringsten sprachlichen Anforderungen zu bewältigen. Sie schrieben und publizierten innerhalb rigider Text- und Sprachmuster, was die systematische Wiederbenutzung formelhafter Sprache stark begünstigt. Zudem herrschte eine hierarchische Form der Schreibkooperation vor, sodass in der Regel Wissenschaftler verschiedener Karrierestufen unterschiedlich verantwortungsvolle Schreibaufgaben übernehmen und der Schreibprozess auf mehrere Akteure verteilt wird. Die von den Befragten benötigte Sprachkompetenz für Veröffentlichungen in englischer Sprache variiert demnach zwischen den hier untersuchten Fächern, ist aber auch abhängig von der Karrierestufe. Im Interviewmaterial wurden vier Faktoren ausfindig gemacht, die die Schreibschwierigkeit beeinflussen: - Genrerigidität: Je normierter und rigider die Textsorten einer Disziplin sind, desto höher scheint die Formelhaftigkeit der verwendeten Sprache zu sein. Eine hohe sprachliche Formelhaftigkeit erlaubt, wie z.B. von den Biologen beschrieben, das Kopieren und Einfügen von Sprachformeln aus vorhandenen Aufsätzen (siehe Kap. 4.1.1 und 4.2.3.1). Für Disziplinen wie die Geschichtswissenschaft, die sich sprachlich näher an der Gemeinbzw. Standardsprache bewegen, ist eine solche Praxis nur bedingt umsetzbar. - Schreiborganisation: Das Schreiben und Publizieren von wissenschaftlichen Fachaufsätzen in größeren Teams, wie in der Biologie und Teilen des Maschinenbaus, erlaubt den Einbezug von (sprachlicher) Expertise anderer <?page no="323"?> 323 und eine differenzierte Schreibarbeitsteilung. Wird dagegen, wie in der Geschichtswissenschaft, überwiegend allein geschrieben, ist dies nicht im gleichen Umfang möglich. Die teilweise stark ausdifferenzierte Arbeitsteilung in der Biologie und möglicherweise anderer Naturwissenschaften sollte bei zukünftigen Untersuchungen zum wissenschaftlichen Schreiben verstärkt Berücksichtigung finden, da bisher noch häufig das Individuum und nicht die Gruppe als Texturheber gesehen wird (siehe Kap. 4.1.2). - Sprachliche Zielnormen von Fachzeitschriften: Wird von den Diskursteilnehmern (insbesondere Herausgebebern und Gutachtern) die Auffasung geteilt, dass Inhalt wichtiger sei als sprachliche Korrektheit bzw. ‚Lesbarkeit‘ oder ‚Stil‘, sind die sprachlichen Ansprüche womöglich geringer als bei journals, in denen diese Eigenschaften eine wichtigere Rolle spielen. Im Maschinenbau konnte beobachtet werden, dass Nichtmuttersprachler im Fachdiskurs in der Überzahl waren und in Folge dessen sprachliche Normen neu verhandelt werden bzw. sich teilweise von muttersprachlichen Normen wegentwickeln. Die Geschichtswissenschaftler hingegen nehmen an einem von Muttersprachlern des Englischen dominierten Diskurs teil und ihre Publikationen müssen dementsprechend höheren Anforderungen genügen (siehe Kap. 4.1.3). - Beschaffenheit der Daten: Bei Daten experimenteller Natur, wie sie häufig in der Biologie und im Maschinenbau Verwendung finden, wird in der Regel angenommen, dass Sprache lediglich die tatsächlich wichtigen nichtsprachlichen Daten beschreibe oder kontextualisiere. In der Geschichtswissenschaft dagegen wird das Schreiben als elementarer Bestandteil der Wissensproduktion angesehen, wobei Sprache sowohl als kognitives Instrument als auch als Forschungsobjekt dient (siehe Kap. 4.1.4). Diese Ergebnisse zeigen, dass die Fachkultur einen bedeutenden Einfluss auf die (wahrgenommene) Schreibschwierigkeit haben kann. Dieser Umstand muss unbedingt Berücksichtigung finden, wenn die Einstellungen von Wissenschaftlern verschiedener Fachkulturen gegenüber dem Englischen untersucht werden. So erscheint es beispielsweise vor dem Hintergrund der geringeren sprachlichen Anforderungen der Biologen verständlich, dass diese häufig keine größeren Probleme beim Schreiben wahrnehmen und in der Anglisierung der Wissenschaft, zumindest was das Schreiben betrifft, keine kategorische Benachteiligung ausmachen. Diese Perspektive wandelt sich jedoch deutlich, wenn man die höheren Anforderungen der Geschichtswissenschaftler denen der Biologen gegenüberstellt, denn erstere sehen sich häufig stärker sprachlich durch die Anglisierung herausgefordert bzw. benachteiligt. 7.2 Einstellungen und Sichtweisen Der zweite Themenkomplex des empirischen Teils (Kap. 5) zielte auf eine Rekonstruktion der von den Befragten thematisierten Konzeptionen von <?page no="324"?> 324 Mutter- und Nichtmuttersprachlichkeit sowie deren Einstellungen und Sichtweisen in Bezug auf die Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch. Eine der Ausgangsannahmen des PEPG-Projekts war die kommunikative Benachteiligung von Nichtmuttersprachlern des Englischen. Wiewohl keiner der Befragten die Trennung zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern in Frage stellte und sich alle eindeutig letzterer Kategorie zuordneten, greift eine ausschließlich defizitorientierte Sichtweise ebenfalls zu kurz: - Einerseits nahm ein Großteil der Befragten sprachbezogene Nachteile gegenüber Muttersprachlern des Englischen wahr. In erster Linie wurden dabei rhetorische Defizite festgestellt, die sich vor allem darin äußerten, dass die Befragten annahmen, weniger elegant, stilsicher und idiomatisch zu schreiben als natives (siehe auch Kap. 4.2.2). Diese Defizite wurden jedoch nicht als derart schwerwiegend eingeschätzt, dass sie den Publikationserfolg verhinderten. Vielmehr glaubte ein Teil der Befragten, diesen Nachteil über einen erhöhten Zeiteinsatz kompensieren zu können, worin sie sich gegenüber Muttersprachlern, denen zusätzliche Korrekturen und Fremdsprachenlernprozesse in der Regel erspart bleiben, benachteiligt sahen. Ferner gaben die Befragten Verständigungsprobleme in mündlichen Kommunikationssituationen, wie z.B. Konferenzen, als Nachteil gegenüber Muttersprachlern des Englischen an. Zudem wurden negative Auswirkungen auf die berufliche Laufbahn aufgrund sprachlicher Einschränkungen von einigen Befragten festgestellt, beispielsweise bei der Antragstellung von Forschungsgeldern und im Reviewverfahren (siehe Kap. 5.1.6.1). - Einige Befragte haben jedoch auch Vorteile wissenschaftlicher Zweisprachigkeit sowie ihrer eigenen Nichtmuttersprachlichkeit wahrgenommen. So stellte die Erweiterung des Adressatenkreises und damit des potenziellen Publikationsradius gegenüber ausschließlich deutschsprachig Publizierenden einen häufig genannten Vorteil dar. Ebenso gelten der Zugriff auf deutschsprachige Literatur, Quellen und Sprachdaten sowie die internationale Vernetzung als handfeste Vorteile für Teile der Befragten. Fast alle Interviewten, die diese und ähnliche Vorteile im Sinne ihrer Mehrsprachigkeit nannten, waren entweder Germanistische Linguisten oder Geschichtswissenschaftler. Dies deutet darauf hin, dass die geisteswissenschaftlichen Fächer von ihrer Zweisprachigkeit am meisten profitieren. Einige Wissenschaftler, besonders aus dem Maschinenbau und anderen Ingenieur- und Formalwissenschaften, sahen es als Vorteil, dass sie als Nichtmuttersprachler nicht den gleichen sprachlichen Anforderungen genügen müssten wie Muttersprachler des Englischen. Einige schienen ihren Status als Nichtmuttersprachler sogar strategisch einzusetzen, um die Überarbeitungzeit für englischsprachige Artikel zu begrenzen. Sie setzten dabei auf eine größere Toleranz gegenüber sprachlichen Fehlern aufgrund ihrer Nichtmuttersprachlichkeit. Die rhetorischen und sprachlichen Einschränkungen, wie sie auch bei den Nachteilen gegenüber Muttersprachlern genannt wurden (z.B. fehlende Ausdrucksmittel), wurden <?page no="325"?> 325 von einigen Befragten im Gegenzug als vorteilhaft beschrieben, da sie die Wissenschaftler zu konziser sprachlicher Darstellung zwängen und ihre Gedanken durch die Notwendigkeit der Vereinfachung deutlicher hervortreten (ähnliche Resultate finden sich in Kap. 5.3.4). Diese Ergebnisse können durch eine fachspezifische Betrachtungsweise weiter präzisiert werden: - Die Biologen nahmen als einzige Fachkultur im Korpus an, als Nichtmuttersprachler oder mehrsprachige Wissenschaftler weder nennenswert bevor- oder benachteiligt zu sein. Auf der einen Seite nehmen sie gegenüber den natives wenige Nachteile wahr, da die Befragten davon ausgehen, die Fachsprache, wie sie in Forschungsartikeln verwendet wird, ausreichend zu beherrschen. Zumindest im Bezug auf das wissenschaftliche Schreiben und Publizieren sehen sie sich somit weitgehend mit den Muttersprachlern des Englischen auf Augenhöhe. Andererseits hat das Englische einen derart hohen Stellenwert im Fach inne, dass die Beherrschung des Deutschen als Wissenschaftssprache von den Befragten nicht als Vorteil gewertet wird. - Die geisteswissenschaftlichen Fächer profitieren von ihrer ausgeprägten Zweisprachigkeit in mehrfacher Hinsicht. Sie können durch die zunehmende Anglisierung sowohl an deutschals auch englischsprachigen Diskursen teilnehmen, was zur Folge hat, dass sie sich besser international vernetzen können und ihre Publikationen potenziell auch international rezipiert werden. Speziell die Geschichtswissenschaftler gaben in den Interviews an, dass sie von ihrer Zweisprachigkeit profitierten, indem sie deutschsprachige Quellenbestände in internationale Diskurse einbringen. Auf die Lehre bezogen wurde außerdem ermittelt, dass einige Befragte einen Mangel an Authentizität in Unterrichtssituationen empfinden, in denen auf Englisch unterrichtet wird und sowohl Lehrende als auch Lernende Muttersprachler des Deutschen sind (siehe Kap. 5.1.7). Die Befragten versuchen teilweise, das Fehlen einer als authentisch empfundenen Kommunikationssituation entweder durch das Erzeugen einer Lingua franca-Situation (ausländische Studierende oder Lehrende nehmen am Unterricht teil) oder den Einsatz von Muttersprachlern des Englischen zu kompensieren. Im Hinblick auf die von den Interviewten angeführten Sprachwahlbegründungen für das Publizieren in englischer Sprache kann festgehalten werden, dass die beiden mit Abstand am häufigsten genannten Motive sich - und das fächerübergreifend - auf den internationalen Austausch beziehen, wobei internationale Kommunikation und Kooperation als besonders wichtig eingeschätzt wurden. Die Befragten betonten zudem den Umstand, dass eine derartige Kommunikation nicht über individuelle Mehrsprachigkeit zu erreichen sei, sondern über das Etablieren einer Wissenschaftssprache - des Englischen (siehe Kap. 5.2.2.1): - Hauptsächlich Interviewte aus den Fächern Biologie und Maschinenbau bewerteten die Anglisierung der Publikationslandschaft in ihrem Fach als <?page no="326"?> 326 derart fortgeschritten, dass sie die Alternativlosigkeit des Englischen hervorhoben. Sie waren der Meinung, sie besäßen wenig oder keinen Handlungsspielraum bezüglich der Wahl einer Publikationssprache. In eine ähnliche Stoßrichtung gehen Argumentationen, die unterstreichen, dass die wissenschaftliche Literatur im Fach ohnehin nur auf Englisch vorläge oder dass ‚gute‘ Fachliteratur generell auf Englisch verfasst werde. - Lediglich die Geschichtswissenschaftler im Korpus unterstrichen die besondere Internationalität ihrer Forschungsthemen: Während die befragten Biologen möglicherweise implizit davon ausgehen, dass die bearbeiteten Themen ohnehin international von Interesse sind, ist die Geschichtswissenschaft mehrheitlich weiterhin stärker im nationalsprachlich geprägten Diskurs verankert, dessen ‚Aufbrechen‘ einer expliziten Begründung bedarf, wie der inhärenten Internationalität des Forschungsthemas. Erwartbar wären mehr Aussagen gewesen, die eine angestrebte wissenschaftliche Karriere bzw. Mobilität als Grund für das Publizieren in englischer Sprache anführen. Eine mögliche Erklärung für die geringe Anzahl an Nennungen wäre, dass das Publizieren auf Englisch als Minimalanforderung einer wissenschaftlichen Laufbahn bereits zur Normalität geworden ist. Dies würde auch erklären, wieso dieses Argument hauptsächlich von Nachwuchswissenschaftlern angeführt wird (siehe Kap. 5.2.2.3 für ähnliche Ergebnisse in Bezug auf die Sprachwahl für Dissertationen). Hinsichtlich der Sprachwahlbegründungen für das Publizieren in deutscher Sprache kann festgehalten werden, dass hier z.B. finanzielle, sprachkompetenzorientierte und zeitökonomische Gesichtspunkte insbesondere bei der Erstellung umfangreicher Publikationen eine Rolle spielen. Karriereüberlegungen wurden ausschließlich bei den Germanistischen Linguisten als ein wesentlicher Grund für die Verwendung des Deutschen als Publikationssprache angeführt, was auf die institutionelle Einbettung verschiedener Fachrichtungen (wie sie auch von den Befragten vertreten werden) innerhalb der Germanistik hinweist und den sprachnormierenden Einfluss von Institutionen unterstreicht. Auch eine nationale Adressatenorientierung und die Möglichkeit, den Schreibprozess zunächst frei von fremdsprachlichen Hindernissen zu bewerkstelligen, wurden als Beweggründe angeführt, das Deutsche als Publikationssprache zu verwenden. Der bewusste Erhalt des Deutschen als Publikationssprache spielte wider Erwarten keine Rolle bei den Begründungen der Befragten. Fachspezifisch auffällig ist, dass keiner der Biologen im Korpus Gründe für die Wahl des Deutschen als Publikationssprache angeführt hat, was den hohen Anglisierungsgrad der Disziplin unterstreicht (siehe Kap. 5.2.2.2). Mit Blick auf die quantitativ gering ausgeprägten Begründungen für die universitäre Lehre auf Englisch wurde festgestellt, dass einige Befragte in Analogie zu den Begründungen für das englischsprachige Publizieren die Lehre ebenfalls als prinzipiell internationales Vorhaben einschätzen und daher universitäre Austausche, Lehrtexte und Lehrsprache diesem Internationalisierungstrend zu folgen hätten. Hinsichtlich der Begründungen für die Wahl <?page no="327"?> 327 des Deutschen in der Lehre wurden unter anderem die geringen Fremdsprachenkompetenzen und negativen Einstellungen der Studierenden gegenüber dem Englischen als Argument für die Fortsetzung und den Erhalt deutschsprachiger Lehre genannt. Die Studierenden werden somit als wesentlicher Grund dafür angeführt, dass die Anglisierung in der Lehre bisher noch nicht weiter fortgeschritten ist. Die Sprachwahlbegründungen zur Lehre insgesamt betreffend, kann vermutet werden, dass die Befragten teilweise ihre sprachlichen Erwartungen an Berufswissenschaftler - bewusst oder unbewusst - auf die Studierenden übertragen und so einer möglicherweise dysfunktionalen Anglisierung der Lehre Vorschub leisten könnten. Der Einsatz des Englischen im Studium scheint zumindest nicht immer durch tatsächlich notwendige Fremdsprachenkompetenzen im späteren Berufsleben determiniert zu sein, sondern eher von den Vorstellungen der Befragten hinsichtlich einer idealerweise internationalisierten und anglisierten Wissenschaft (siehe Kap. 5.2.2.4 und Kap. 5.1.7). In Zukunft sollte daher in den einzelnen Studiengängen vermehrt über tatsächlich notwendige und für eine spätere Berufsausübung angemessene (fremd-)sprachliche Zielkompetenzen nachgedacht werden. Nur wenige Befragte äußerten in den Interviews den Wunsch der Förderung des Deutschen als Wissenschaftssprache (siehe Kap. 5.2.3). Die überwiegende Mehrheit der interviewten Forscher ist gegen eine solche Einflussnahme. Die Begründungen hierfür variieren jedoch je nach Fachkultur: - Während Geschichtswissenschaftler und Germanistische Linguisten die Stellung des Deutschen als Wissenschaftssprache nach wie vor als stark einschätzten und dementsprechend keinen Handlungsbedarf sahen, erschien den meisten Biologen eine Unterstützung des Deutschen als wissenschaftlich kontraproduktiv bzw. aufgrund des als ‚alternativlos‘ wahrgenommenen Stellenwertes des Englischen als schlicht unmöglich. - Diese Äußerungen stehen möglicherweise mit den Anglisierungsgraden der jeweiligen Wissenschaften in Verbindung, denn die Geisteswissenschaftler im Korpus strebten eine stärkere Anglisierung der Publikationskultur an, wogegen die der Biologen bereits vollständig anglisiert war und eine Förderung des Deutschen als Publikationssprache als ein Rückschritt in die wissenschaftliche Provinzialität empfunden wurde. Die Befragten aus den Geistes-, Natur- und Ingenieurwissenschaften haben trotz aller Unterschiede in der Argumentation somit gemein, dass sie Wissenschaft als internationale Unternehmung verstehen. Während die Geisteswissenschaftler jedoch das Deutsche weiterhin als Wissenschaftssprache verwenden und eine parallele Nutzung des Englischen nicht unbedingt als Widerspruch gesehen wird, steht das Deutsche für die Naturwissenschaftler für eine Begrenzung auf den nationalen Wissenschaftsraum und folglich eine Einschränkung der Publikationsreichweite und Forschungseffizienz. Die Ergebnisse zur Relevanz von Sprache für die Wissensproduktion und -verbreitung decken sich weitestgehend mit denen in der Fachliteratur: <?page no="328"?> 328 Die Natur- und Ingenieurwissenschaftler sehen Sprache häufig nur als sekundär zu Daten und Methoden, als getrennt vom Erkenntnisprozess und Inhalt eines wissenschaftlichen Textes. Die wenigen geisteswissenschaftlichen Vertreter, die sich zu diesem Thema äußerten, betonten dagegen, dass Inhalte nur schwer von ihrer sprachlichen Präsentation getrennt werden können. - Es wurde darüber hinaus deutlich, dass bei den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachvertretern ein reduktionistisches Verständnis von Sprache vorherrscht. Sie wird häufig auf Grammatik, Fachwörter oder Zeichensetzung reduziert, an Sprache gebundene kognitive Operationen wie Erklären, Definieren, Hypothesenbilden etc. werden nicht explizit berücksichtigt. Zudem wird der Sprache eine erkenntnistragende Funktion verwehrt, sie diene lediglich der Kontextualisierung und Beschreibung von Daten. - Nichtsdestotrotz schrieben einige Wissenschaftler, insbesondere Naturwissenschaftler, dem Deutschen eine Schlüsselrolle für einen erfolgreichen Fremdsprachenerwerb zu. Sie betonten, dass die deutsche Sprache vollständig beherrscht werden müsse, bevor das Englische in der Lehre eingeführt werde. Hier bietet sich möglicherweise ein argumentativer Ansatzpunkt für die Umsetung sprachsensibler Lehre in den Naturwissenschaften. Der Stellenwert, der Sprache im Zuge von Wissensproduktion und -verbreitung zugeschrieben wird, variiert also je nach Fach stark zwischen den Extremen der Negierung eines sprachlichen Einflusses überhaupt und der Einstellung, dass Inhalt sich nur schwer von Sprache trennen ließe (siehe Kap. 5.2.4). Einige Befragte äußerten sprachliche und kulturelle Zuschreibungen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch. So gingen einige Interviewte davon aus, dass das Englische eine ‚kürzere‘ Sprache als das Deutsche sei. Gründe dafür wurden teils in der Sprache selbst sowie der anglophonen Schreibkultur gesehen, teils in der eigenen begrenzten Fremdsprachenkompetenz. Interessanterweise empfanden einige Wissenschaftler es als vorteilhaft, sich in der Fremdsprache knapper ausdrücken zu müssen und sahen diesen ‚Vereinfachungszwang‘ als förderlich an, um Geschriebenes stärker zu durchdenken (siehe auch Kap. 5.1.6.2). Weitere Aussagen der Interviewten postulierten das Englische als die einfachere und das Deutsche als die präzisere Sprache. Bei genauerer Betrachtung bilden beide Sichtweisen jedoch die Endpole derselben Dichotomie ab, wenn auch mit jeweils positiven bzw. negativen Vorzeichen: So charakterisierten hauptsächlich diejenigen das Englische als zugängliche Sprache, die das Deutsche als überkompliziert empfinden und umgekehrt wird das Deutsche als präzisere Sprache erachtet, wenn im Kontrast dazu das Englische als ‚schwammiger‘ beschrieben wird. Daher ist zu vermuten, dass die festgestellten sprachlichen Unterschiede zu einem großen Teil kulturell bedingt sind: Die Befragten bevorzu- <?page no="329"?> 329 gen nicht nur eine Wissenschaftssprache, sondern auch die mit dieser Sprache assoziierten wissenschaftskulturellen Eigenschaften (siehe Kap. 5.2.5). 7.3 Ausbildung und Sozialisation Im dritten Themenkomplex (Kap. 6) wurden zunächst sprachliche Fördermaßnahmen zur Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses untersucht (siehe Kap. 6.1). Die zahlreichen genannten Ideen folgten dabei keinem fachspezifischen Antwortmuster: - Sprach- und Schreibkurse wurden an erster Stelle genannt. Wissenschaftliche Schreibkurse wurden vor allem dann gutgeheißen, wenn sie eine fachspezifische Ausrichtung aufweisen. Es wurde ebenfalls deutlich, dass viele Wissenschaftler das vorhandene Kursangebot zwar akzeptierten und schätzten, die Kurse aber eher als die dienstleistende Vermittlung eines eng abgesteckten sprachlichen Stoffgebietes begriffen (wie z.B. Fachwortschatz oder Grammatik) und weniger als Bildungsangebot mit wissenschaftssprachlichem Fokus. Eine Vielzahl der Wissenschaftler begründet diese Forderungen jedoch nicht auf den Erfahrungen eines eigenen Kursbesuches (siehe Kap. 6.1.1). - Auslandsaufenthalte werden von vielen Befragten als sehr wichtig für sprachlich selbstbewusstes Agieren in der Wissenschaftskommunikation empfunden. Die meisten Interviewten verbanden indes mit einem Auslandsaufenthalt eine Verbesserung der mündlichen Fremdsprachenkompetenz und des ‚Sprachgefühls‘, weniger eine explizite Förderung der Schreibkompetenzen. Während Inner Circle-Länder wie die USA immer noch an erster Stelle der Wunschländer für Austausche stehen, werden inzwischen auch Länder anvisiert, in denen Englisch nicht muttersprachlich gesprochen wird. Dass ein Großteil der Befragten im Korpus selbst eine gewisse Zeit im Ausland verbracht hatte und diese Form der Sprachförderung als sehr effektiv einschätzte, deutet darauf hin, dass sich diese Praxis zunehmend zur Norm in der Sozialisation von Nachwuchswissenschaftlern entwickelt (siehe Kap. 6.1.3). - Einige Befragte hatten die Absicht, stellenweise englischsprachige Lehre einführen bzw. über eine erhöhte Verbindlichkeit zu ‚forcieren‘. Während die Interviewten hierbei Probleme auf Seiten der Studierenden antizipierten, wurden eigene Defizite oder für die Durchführung englischsprachiger Lehre zu erwerbende Kompetenzen - wie die methodisch anspruchsvolle Integration eines Sach- und Sprachfachs - kaum thematisiert (siehe Kap. 6.1.4). - Das Schreiben von englischsprachigen Haus- und Abschlussarbeiten war eine der wenigen genannten Maßnahmen, die direkt auf die Förderung der schriftsprachlichen Kompetenzen des wissenschaftlichen Nachwuchses abzielte. Es stellt sich hier jedoch ebenfalls die Frage, inwieweit die Lehrenden adäquat darauf vorbereitet sind, das Schreiben englischsprachiger <?page no="330"?> 330 studienrelevanter Textsorten (sprachlich) anzuleiten und zu begleiten (siehe Kap. 6.1.4). Dass universitäre Schreibzentren zur Föderung der Schreibkompetenzen des wissenschaftlichen Nachwuchses kaum thematisiert wurden, könnte darauf hindeuten, dass diese Institution noch nicht ausreichend bekannt ist und ihre Vorteile bei Förderung wissenschaftlicher Schreibkompetenzen stärker beworben werden müssten. Dieses Ergebnis spricht außerdem dafür, dass die zentrale Rolle von Sprache in der Aneignung von Fachwissen, wie sie zunehmend in Diskursen zur Bildungssprache und dem bilingualen (Fach)- Unterricht vertreten wird, bisher nicht von den Wissenschaftlern erkannt wird. Neben externen Lernarrangements, wie den bereits vorgestellten Sprach- und Schreibkursen, hoben die Wissenschaftler insbesondere ihre eigene Rolle bei der Förderung der Nachwuchswissenschaftler hervor. Die Praxis des learning by doing wurde von vielen Interviewten dabei weniger als dezidierte Fördermaßnahme verstanden, sondern als fachliche aber auch sprachliche ‚Ausbildung‘ im wissenschaftlichen Alltag. Anhand des Konzeptes der legitimen peripheren Partizipation wurde aufgezeigt, wie das wissenschaftlich-sprachliche Lernen der Nachwuchswissenschaftler durch die Teilnahme an den zentralen Kommunikations- und Wissenspraktiken der jeweiligen Fachgemeinschaft, insbesondere durch das Vortragen auf Konferenzen und das (gemeinsame) Schreiben und Publizieren wissenschaftlicher Aufsätze, organisiert und in systematischer Weise umgesetzt wird (siehe Kap. 6.2.1 und 6.2.2). Die von den Befragten als hoch eingeschätzte Effizienz dieser Praxis liegt unter anderem darin begründet, direkt auf das Forschungs- und Handlungsfeld des spezifischen Fachkontextes ausgerichtet zu sein: - Die Aneignung von Englischkenntnissen ist in diesem Zusammenhang als integraler Teil der Sozialisation von Nachwuchswissenschaftlern zu verstehen. Das Schreiben und Veröffentlichen der ersten englischsprachigen Artikel ist essentieller Bestandteil der wissenschaftsrelevanten Praktiken der Befragten und der Fachgemeinschaften, denen sie angehören. Folglich hat ein Nachwuchswissenschaftler, der noch nicht auf Englisch publiziert hat, den Status des ‚Peripheren‘ noch nicht überwunden. Englischsprachiges Schreiben und Publizieren ist somit in vielen Disziplinen zum Inbegriff einer erfolgreichen Wissenschaftssozialisation und der Etablierung einer wissenschaftlichen Identität geworden. - Hinsichtlich der Karrierestufe wurde aufgezeigt, dass erfahrenere Wissenschaftler häufig eine Betreuerrolle für neue Mitglieder übernahmen und sie sukzessive in die Fachgemeinschaft einbanden, indem sie ihnen beispielsweise zunehmend anspruchsvolle Aufgaben übertrugen und auch gemeinsam mit ihnen bearbeiteten (learning by doing together). Im Gegenzug beschrieben viele Doktoranden eine Beziehung zum verantwortlichen Professor oder Postdoktoranden, in der sie bei fachlichen, aber auch sprachlichen Gesichtspunkten Unterstützung erfuhren. <?page no="331"?> 331 7.4 Methodische Einschränkungen Die vorliegende Arbeit unterliegt einigen methodischen Einschränkungen, die beachtet werden müssen. Die erste Einschränkung ist mit der Einnahme einer bestimmten Sichtweise verbunden, die Interviews auf den Gegenstand erlauben. Eine andere Forschungsmethode, wie eine Analyse veröffentlichter Texte, hätte eine andere Perspektive auf den Gegenstand wissenschaftliches Schreiben und Publizieren und dementsprechend andere Ergebnisse ermöglicht. Die Interviewmethode hat somit, wie jede wissenschaftliche Methode, ‚blinde Flecken‘. Die vorgestellten Daten sprechen allerdings dafür, dass das Interview eine adäquate Erhebungsmethode für die Untersuchung des wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens darstellt und existierende Ergebnisse im Feld komplementieren kann. Weiterhin wurde die Erhebung durch die verwendete Samplingstrategie auf eine bestimmte Teilmenge aller Wissenschaftler ausgerichtet: So wurden Wissenschaftler interviewt, die bereits auf Englisch veröffentlicht hatten und diese Entscheidung schließt unter Umständen Forscher aus, die gravierendere Probleme beim Schreiben und Publizieren in englischer Sprache wahrnehmen. Eine ‚offenere‘ Samplingstrategie hätte jedoch eine fachkontrastive Befragung, zumindest aber den Einbezug der Biologen, deutlich erschwert. Eine dritte Einschränkung ist die begrenzte Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Wissenschaftskontexte: Zwar kann davon ausgegangen werden, dass Teile der Ergebnisse auch auf andere (mehrsprachige) Biologen, Geschichtswissenschaftler etc. zutreffen; die zunehmende fachliche Spezialisierung und Hybridisierung der Disziplinen (unter anderem sichtbar an sogenannten Bindestrich-Disziplinen wie Ethno-Mathematik oder Bio-Informatik) spricht jedoch ebenfalls dafür, dass eine Verallgemeinerung jeglicher Ergebnisse im Kontext Wissenschaft behutsam unternommen werden sollte. Ferner reicht die Anzahl der befragten Wissenschaftler nicht aus, um generalisierende Aussagen darüber zu treffen, ob beispielsweise alle Biologen in Deutschland änhliche Einstellungen gegenüber den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch aufzeigen. Letztendlich liegt die Stärke der vorliegenden Arbeit daher nicht in der Repräsentativität der Ergebnisse für ein komplettes Fach oder den gesamten Wissenschaftsraum Deutschland. Vielmehr wurden typische Fachkulturen innerhalb der Natur-, Ingenieur- und Geisteswissenschaften unter Berücksichtigung verschiedener Karrierestufen kontrastiv untersucht. Im Sinne einer Erweiterung der Datenbasis wäre es auf Grundlage der vorliegenden Arbeit allerdings möglich, Vertreter anderer Fachkulturen anhand ähnlicher Analysekritierien (z.B. sprachlich-fachliche Anforderungen, Einstellungen und Sichtweisen zu Sprache, Förderung und Ausbildung des Nachwuchses, Ressourceneinsatz) zu untersuchen. <?page no="332"?> 332 7.5 Schreibdidaktische Anknüpfungspunkte Wenngleich der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit nicht im schreibpädagogischen Bereich liegt, können einige schreibdidaktische Perspektiven aufgezeigt werden: - Beispielsweise wurde festgestellt, dass Schreibkurse, bedingt z.B. durch einen lediglich approximativen Fachbezug, bestimmte Aufgaben nicht so effizient erfüllen können wie learning by doing. Sie können neben der Vermittlung fachspezifischer Sprachnormen jedoch die als legitime periphere Partizipation umschriebene Sozialisationspraxis ergänzen und unterstützen. So könnte ihre Aufgabe sein, Themen zu adressieren, die im direkten Anwendungsbezug des wissenschaftlichen Alltags ‚unter den Teppich fallen‘. Findet die wissenschaftliche Schreibausbildung dagegen ausschließlich über eine Form der Teilnahme an Fachgemeinschaften statt, wäre Reflexion über die Ziele von wissenschaftlichem Schreiben, die Rolle von Sprache in Erkenntnis- und Kommunikationsprozessen, Sprachwahlmöglichkeiten etc. kaum möglich und wichtiges Innovationspotenzial ginge verloren. - Im Hinblick auf die Ressourcennutzung wurde deutlich, dass nicht nur individuelle Strategien wie das Schreiben und Überarbeiten eines Artikels Gegenstand wissenschaftlicher Schreibkurse sein können, sondern dass die Handhabung technischer Hilfsmittel (wie Google, Änderungen-Verfolgen-Modus) ebenfalls verstärkt Berücksichtigung finden sollte. Darüber hinaus wäre bei der Konzeption derartiger Kurse abweichend vom Fokus auf den einzelnen Autoren die soziale Dimension des Schreibens und Publizierens stärker zu beachten, das heißt, die Zusammenarbeit mit Kollegen, Korrekturlesern, Gutachtern und Herausgebern. - Mit der Zunahme englischsprachiger Lehre wird es unabdinglich, die Lehrenden auf die bevorstehenden Aufgaben vorzubereiten und sie bei der Umsetzung zu begleiten. Die Äußerungen einiger Befragter zur englischsprachigen Lehre und der Betreuung von englischsprachigen Hausarbeiten suggerieren, dass hier Eigenerwartungen der Wissenschaftler auf die Studierenden übertragen werden könnten. So kennen die Wissenschaftler in der Regel die Textsorte Hausarbeit nicht auf Englisch, da sie hauptsächlich Fachartikel in dieser Sprache rezipieren und publizieren. Hier besteht somit die Gefahr, dass sie von Studierenden die Imitation eines Genres verlangen, dass sie selbst nur bedingt kennen. Es stellt sich also die Frage, wie Lehrende z.B. bei der Betreuung von englischsprachigen Hausarbeiten unterstützt werden könnten und wie eine unangemessene Übertragung der eigenen Ansprüche auf überwiegend pädagogisch orientierte Textsorten verhindert werden kann. <?page no="333"?> 333 7.6 Forschungsperspektiven Die in der vorliegenden Arbeit behandelten Themen werfen neue Forschungsfragen auf, deren Bearbeitung einen Beitrag zur Wissenschaftssprachforschung leisten könnte. Zum anderen konnten im Verlauf der Arbeit einige Themen nur ansatzweise Berücksichtigung finden, da sie sich nicht direkt auf das englischsprachige Schreiben und Publizieren beziehen: - Weiterführende didaktisch orientierte Forschung könnte sich unter anderem dem Umgang mit Textbausteinen während des eigentlichen Schreibprozesses widmen. Wie funktioniert das Zusammenspiel von implizitem Sprachwissen der Autoren und die Nutzung von Sprachbausteinen aus Fachartikeln im wissenschaftlichen Alltag? Welche Hilfestellung könnte den Wissenschaftlern beispielsweise über die Verwendung fachspezifischer Aufsatzkorpora zuteil werden? Wie kann man den nutzbringenden und plagiatsvermeidenden Einsatz derartiger Korpora Wissenschaftlern verschiedener Fachkulturen vermitteln? - Die von den Befragten genannten Sprachlerntheorien (siehe Kap. 5.2.4) geben interessante Einblicke in die Vorstellungen der Wissenschaftler dazu, wie die Erst- und Zweitsprache interagieren und wie das Englische als Wissenschaftssprache aus Sicht der Forscher am besten gelernt werden kann. So stellte sich heraus, dass einige Befragte der Muttersprache einen wichtigen Platz im Fach- und Fremdsprachenerwerb zuwiesen. Diese Einstellung könnte eine wirkungsvolle Argumentationsgrundlage dafür darstellen, das Deutsche als Bildungssprache zumindest in grundständigen Studiengängen beizubehalten. Diese Ergebnisse konnten jedoch lediglich ansatzweise in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt werden; eine spezifische Untersuchung der Sprach- und Fachlerntheorien von Wissenschaftlern verschiedener Fächer bleibt somit ein Forschungsdesiderat. Vor dem Hintergrund der verstärkten Einführung englischsprachiger Lehre und der zunehmenden sprachlichen und kulturellen Diversifizierung der Studierendenschaft könnten Erkenntnisse über die Sprach- und Fachlerntheorien von Hochschullehrenden eine Orientierungshilfe bei der Entwicklung sprachsensibler Curricula sein. - Besonders in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen wird das Schreiben oft als nachgeordnet empfunden und nimmt einen dementsprechend niedrigen Stellenwert im Studium ein. Die schreibwissenschaftliche Erforschung dieser Studiengänge und der sprachlich-fachlichen Anforderungen, die sie an Studierende und Lehrende stellen, bleibt deshalb ein dringendes Forschungsdesiderat. Zudem könnte eine Verbesserung der wissenschaftlichen Schreibausbildung beispielsweise durch die Entwicklung fachlich orientierter Schreibkurse (Deutsch und Englisch) oder Schreiblehrtrainings für die Fachlehrenden im Vordergrund stehen. - Eine effektive Verzahnung von Sprache(n) und Inhalt bedarf der Erforschung universitärer Lehr-Lern-Prozesse unter den Bedingungen wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit. Inwiefern können beispielsweise Ergebnisse aus der CLIL-Forschung in die universitäre Lehre übertragen werden? <?page no="334"?> 334 Welche Stützmaßnahmen können Lehrende einsetzen, um z.B. deutsche und englische Fachtexte besser miteinander zu verbinden und so eine bessere Verzahnung und Kontinuität beim Aufbau mehrsprachiger fachspezifischer Sprachkompetenzen zu gewährleisten? Konzepte des sprachsensiblen Fachunterrichts sollten in diesem Zusammenhang auf ihre Übertragbarkeit in den Hochschulkontext untersucht werden. - Die Erforschung von Laborkommunikation, in der häufig individuelle Mehrsprachigkeit und Lingua franca-Kommunikation auf Englisch koexistieren, stellt ein weiteres Forschungsdesiderat dar. Wie wird Wissen in Laboren kommunikativ hergestellt, wenn ein Großteil der Teilnehmenden Englisch nicht als Muttersprache spricht? Welche Rolle kann dabei noch die wissenschaftliche Alltagssprache spielen, die möglicherweise nur rudimentär beherrscht wird? Untersuchungen hierzu könnten neue Einsichten in die Aufgaben von Sprache in der mündlichen Wissensproduktion der Naturwissenschaften produzieren. Die Interviewdaten geben Aufschluss darüber, dass auch in stark anglisierten Disziplinen wie der Biologie das Deutsche keineswegs bedeutungslos ist. Es wird in diesen Fachzusammenhängen zwar kaum noch als Publikationssprache verwendet, kommt jedoch in anderen Sprachverwendungssituationen zum Tragen, wie z.B. in der Lehre, der Arbeit im Labor oder in der Interaktion mit Kollegen. Eine dem Bildungs- und Forschungsauftrag der Hochschulen angemessene, mehrsprachige universitäre Sprachenpolitik befindet sich derzeit allerdings noch überwiegend in einem Anfangsstadium und sollte dringend weiterentwickelt werden: - Eine (auch international vergleichende) Analyse sprachenpolitischer Dokumente und Praxis an Universitäten stellt deshalb einen möglichen ersten Schritt dar, um anschließend Beispiele guter Praxis für eine durch Mobilität und Mehrsprachigkeit geprägte Sprachenpolitik an Hochschulen zu formulieren. Dabei reicht es nicht aus, über die Rolle des Englischen nachzudenken, auch das Deutsche und die anderen Sprachen der Studierenden und Lehrenden sollten Berücksichtigung bei der Erarbeitung einer universitären Sprachenpolitik finden. Ansätze wie die in skandinavischen Ländern häufig favorisierte Parallelsprachigkeit erscheinen daher nur bedingt hilfreich. Vielmehr muss dezidiert erforscht werden, welche Sprache welche Funktionen in Forschung und Lehre übernehmen könnte und welche Kompetenzen Absolventen der jeweiligen Studiengänge in bestimmten Sprachen zum Ende des Studiums vorweisen können müssen. Eine unkoordinierte und unreflektierte Anglisierung der Lehre jedoch, wie sie von einigen Befragten prinzipiell befürwortet wird und wohl auch durchgesetzt würde, wenn es nicht den ‚Widerstand‘ der Studierenden gäbe, könnte nicht nur dem Deutschen als Wissenschaftssprache nachhaltig schaden, sondern auch die Qualität der Lehre beeinträchtigen. <?page no="335"?> 335 7.7 Publish in English or perish in German? Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen des Projektes Publish in English or Perish in German? durchgeführt. Muss man nun aber als Wissenschaftler in Deutschland auf Englisch publizieren oder auf Deutsch untergehen? In der Biologie und Teilen des Maschinenbaus hat sich das Englische zur einzigen Publikationssprache entwickelt und wird von den Befragten als alternativlos akzeptiert, um Forschungsergebnisse in einen stark internationalisierten Diskurs einzuspeisen. Auch in der Germanistischen Linguistik und Geschichtswissenschaft besteht ein ausgeprägter Wunsch, international rezipiert zu werden und das Englische wird hierzu, zumindest von den Befragten im Korpus, systematisch eingesetzt. Während für die Biologen im Korpus diese Frage also bejaht werden muss, verlangt sie für die Befragten aus Fächern wie der Geschichtswissenschaft und Germanistischen Linguistik eine differenzierte Antwort. Wenngleich die Verwendung des Englischen als Publikationssprache auch hier stark zugenommen hat, ist momentan eher von einer Ko-Existenz deutsch- und englischsprachiger Diskurse auszugehen. Die Ergebnislage variiert also stark hinsichtlich der jeweiligen Fachkultur der Befragten, denn Fachvertreter, die den Naturwissenschaften zuneigen, gehen häufig davon aus, dass Wissenschaft nur im internationalen Rahmen auch als solche bezeichnet werden kann. Nationale oder regionale Forschung, unter Umständen sogar in der Nationalsprache, wird nicht als erstrebenswert angesehen, sondern als ein Rückschritt in die Provinzialität verstanden. Eine solche Sichtweise kann jedoch mit den Zielen der ‚weicheren‘ bzw. angewandten Wissenschaften kollidieren, wo zahlreiche Gründe existieren, auch im nationalen und regionalen Rahmen zu forschen und zu publizieren und in denen das Deutsche als Publikationssprache weiterhin eine wichtige Rolle spielt. Vetreter aller hier untersuchten Fächer sind sich jedoch dahingehend einig, dass eine Rückkehr zu einer ausschließlich deutschsprachigen Veröffentlichungskultur einen ‚Austritt‘ der deutschen Wissenschaft aus der internationalen Forschungsgemeinschaft und somit letztlich ihre Bedeutungslosigkeit nach sich ziehen würde. Abschließend sollte trotz des Fokus auf wissenschaftliches Schreiben und Publizieren nicht vergessen werden, dass Wissenschaft insgesamt nicht per se einsprachig ist. Eine Anglisierung der Publikationskultur bedeutet nicht automatisch, dass weitere Sprachen im erweiterten Kontext der Universität keine Rolle spielen. Im Gegenteil: Das Deutschen hat unabhängig vom Fach nach wie vor einen festen Platz in der Lehre, in der internen Kommunikation und im hochschulöffentlichen Leben. Die Unterstützung wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit darf sich demnach nicht nur auf Publikationen konzentrieren, sondern muss ebenfalls die verschiedenen Kontexte wissenschaftlicher Sprach- und Facharbeit berücksichtigen. <?page no="336"?> 336 Literaturverzeichnis Abendroth-Timmer, Dagmar / Henning, Eva-Maria (2014). Plurilingualism and multiliteracies. International research on identity construction in language education. Frankfurt am Main: Peter Lang. Aguado, Karin (2002). „Formelhafte Sequenzen und ihre Funktionen für den L2- Erwerb“. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 37, 27-49. Aguado, Karin (2010). „Sozial-interaktionistische Ansätze“. In: Krumm, Hans-Jürgen / Fandrych, Christian / Hufeisen, Britta / Riemer, Claudia (Hrsg.), 817-826. AILA Research Network (ReN). http: / / www.aila.info/ en/ research/ list-of-rens/ folklinguistics.html, eingesehen am 08.01.2015. Airey, John (2012). „‘I don’t teach language.’ The linguistic attitudes of physics lecturers in Sweden“. 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Linguistik m 3 Prof 0: 48: 00 L3P Physik m 4 Prof 0: 40: 53 4P Physik Maschinenbau m 5 PD 0: 27: 09 M5PD Betriebswirtschaftslehre m 6 PD 1: 07: 53 6PD BWL Brandschutztechnik m 7 Prof 0: 33: 43 7P Brandschutz Politikwissenschaft m 8 Prof 0: 41: 21 8P Politik Informatik m 9 Dok 0: 42: 29 9D Informatik Lebensmittelchemie w 10 Prof 0: 43: 45 10P Chemie Automatisierungstechnik m 11 Prof 0: 35: 48 11P Auto Elektrotechnik m 12 Dok 0: 27: 30 12D E-Technik Elektrotechnik m 13 Dok 0: 39: 00 13D E-Technik Maschinenbau w 14 Prof 0: 25: 55 M14P Mathematik w 15 Prof 0: 38: 17 15P Mathematik Geschichtswissenschaft w 16 PD 0: 42: 41 G16PD Soziologie m 17 Prof 0: 29: 41 17P Soziologie Biologie m 18 Prof 1: 03: 13 B18P Biologie m 19 Prof 0: 48: 45 B19P Biologie w 20 Dok 0: 47: 17 B20D Biologie m 21 Dok 0: 58: 55 B21D Geschichtswissenschaft m 22 Prof 1: 01: 14 G22P Maschinenbau m 23 Prof 1: 02: 23 M23P Maschinenbau m 24 PD 1: 26: 56 M24PD Maschinenbau w 25 Dok 0: 45: 35 M25D Geschichtswissenschaft m 26 Dok 0: 47: 22 G26D Germ. Linguistik w 27 PD 0: 58: 53 L27PD Geschichtswissenschaft m 28 Prof 0: 44: 43 G28P Geschichtswissenschaft m 29 Dok 0: 39: 18 G29D Geschichtswissenschaft w 30 PD 1: 06: 46 G30PD Germ. Linguistik w 31 Dok 1: 03: 40 L31D Germ. Linguistik m 32 Prof 0: 58: 31 L32P Germ. Linguistik w 33 Dok 0: 33: 52 L33D Germ. Linguistik m 34 PD 0: 45: 35 L34PD Biologie w 35 PD 1: 16: 42 B35PD Maschinenbau m 36 Dok 1: 16: 41 M36D Tabelle 25: Teilnehmer der Interviewstudie (n=36) <?page no="355"?> 355 B Interviewleitfaden der Hauptstudie 1 Wie haben Sie Ihre Englischkenntnisse erworben? - Prompt: Wann? (Zeit) - Prompt: Was genau getan? (Phasen) - Prompt: Wo und wie lange? (Ort & Dauer) - Prompt: Familie / Schule / Universität / Auslandsaufenthalt / Auslandsstudium / Forschungsaufenthalt / Kollegen / andere - Prompt: Weitere Sprachkenntnisse? 2 Welche Sprachen verwenden Sie in Ihrem Institut, also z.B. in der Lehre oder im Labor? - Prompt: schriftlich/ mündlich - Prompt: Forschung / Laborarbeit / (inter)nationale Konferenzen / Lehre / Kommunikation mit Fachkollegen / Email / Telefon / Briefe - Prompt: Aus welchen Gründen (wenn nicht angegeben) verwenden Sie welche Sprache? - Prompt: Benutzen Sie auch andere Sprachen? 3 Wie viel der von Ihnen gelesenen wissenschaftlichen Literatur ist auf Englisch? Nennen Sie bitte einen ungefähren Prozentsatz. 4 Wie hoch ist ungefähr der Anteil Ihrer auf Englisch publizierten Arbeiten? Nennen Sie bitte einen ungefähren Prozentsatz. 5 Gibt es einen Grundaufbau von Texten bzw. ein Publikationsschema, nach dem Sie sich in Ihrem Fachgebiet beim Schreiben englischer Fachtexte richten? - Prompt: z.B. Introduction / Methods / Results / Discussion (IMRaD-Schema) - Prompt: Gibt es Ihrer Meinung nach Unterschiede in der Struktur zwischen Veröffentlichungen auf Deutsch und Englisch? Wenn ja, welche? 6 Welche Hilfsmittel benutzen Sie zur Erstellung ihrer englischsprachigen Publikationen? - Prompt: Wörterbücher (auch online) / Word Korrekturhilfe / Internet-Foren / Literatur- und Ideenmanagement (z.B. Citavi) - Prompt: „Machen Sie das beim Schreiben auf Deutsch so ähnlich? “ - Prompt: Benutzen Sie „Ratgeberliteratur“ speziell für das wissenschaftliche Publizieren? Welche? Hilft Ihnen diese? 7 Beschreiben Sie bitte die verschiedenen Schritte auf dem Weg zu einer englischen Publikation im Detail. Wenn Sie den Weg zur Publikation in Phasen aufteilen müssten, welche wären das? - Prompt: Zunächst auf Deutsch und später Übersetzung, oder gleich auf Englisch? - Prompt: Wer hilft? - allein / durch Übersetzung der existierenden deutschen Publikation / professionelle Übersetzer / Durchsicht durch Muttersprachler des Englischen bzw. kompetenten Nichtmuttersprachler des Englischen - Prompt: Welche Probleme ergeben sich dabei? Wie versuchen Sie, diese Probleme zu lösen? <?page no="356"?> 356 - Werden Ihre Texte von jemandem durchgesehen (z.B. vom Institutsleiter / Abteilungsleiter / Kollege)? Und wenn Ihre Texte wieder zu Ihnen zurückkommen, welche Veränderungen werden dann normalerweise gewünscht? 8 Wenn Sie mit Koautoren etwas auf Englisch schreiben, wie verteilt sich in dem Fall die Arbeit? - Prompt: Macht jeder das gleiche oder gibt es Spezialisten für verschiedene Bereiche? (Arbeitsteilung) - Prompt: Welche Phasen und Probleme gibt es dabei? - Prompt: Welche technischen Hilfsmittel benutzen Sie? 9 Wie läuft die Interaktion mit den Herausgebern englischsprachiger Zeitschriften ab? - Prompt: Wirken diese eher unterstützend beim Publikationsprozess oder könnten diese hilfreicher sein? - Prompt: Welche Hilfestellungen stellen die Herausgeber zur Verfügung? (editieren, Korrektur, style sheets) - Prompt: Wie würden Sie sich die Interaktion wünschen? - Prompt: peer review - Wie läuft ein typischer Peer Review-Prozess ab? - Prompt: peer review - Wie (hilfreich) schätzen Sie die Rückmeldungen der Gutachter ein? - Prompt: peer review - Wie gehen Sie mit negativen Gutachten um? - Prompt: peer review - Verfassen Sie auch selber Peer Reviews (auf Englisch)? Wie sind Ihre Erfahrungen damit? 10 Wenn Sie auf Ihre Schreib- und Publikationspraxis zurückblicken: Welche Veränderungen haben Sie beim Schreiben Ihrer englischen Texte festgestellt? - Prompt: Wie sind Sie zum Publizieren auf Englisch gekommen? - Prompt: Warum publizieren Sie (eigentlich) auf Englisch? - Prompt: Wie lief/ war das bei Ihrer ersten Publikation auf Englisch? - Prompt: Haben Sie neue Kompetenzen/ Strategien erworben? - Prompt: Hat sich Ihre Einstellung zum Schreiben auf Englisch verändert? 11 Können Sie einschätzen, wie viel Extrazeit ihre Kollegen für Arbeit auf Englisch im Gegensatz zu Deutsch benötigen? - Prompt: Haben Sie den Eindruck, dass es bei anderen länger dauert bzw. bei gleicher Länge mehr Aufwand macht? 12 Benötigen Sie zusätzliche Zeit für Arbeiten auf Englisch? - Prompt: keine, < 25%, 25-50%, > 50-75% , > 75%, 100%, hängt von der Vertrautheit des Themas ab, geht sogar schneller … 13 Sie sind Nichtmuttersprachler des Englischen - welche Auswirkungen hat dies auf Ihre Publikationspraxis? - Gibt es da Ihrer Meinung nach Nachteile? Wo liegen diese? - Gibt es Vorteile (z.B. wiss. Mehrsprachigkeit)? Wo liegen diese? Wie kann man diese (stärker) nutzen? 14 Was könnte getan werden, um die Situation der Wissenschaftler, die nicht Muttersprachler des Englischen sind, zu verbessern, insbesondere für das wissenschaftliche Publizieren und Schreiben? <?page no="357"?> 357 - Prompt: Fortbildungskosten, englischsprachige Gastwissenschaftler, Einführung in das wissenschaftliche Schreiben auf Englisch - Prompt: Gibt es in Ihrem Institut bereits Maßnahmen, um Nichtmuttersprachler zu fördern? - Prompt: Was können Sie in Ihrem Bereich / Institut zum Erhalt des Deutschen als Wissenschaftssprache tun? - Prompt: Was würden Sie sich von Kollegen / anderen Wissenschaftlern / der Politik in dieser Hinsicht wünschen? 15 Wie schätzen Sie die Situation der Muttersprachler des Englischen ein? - Prompt: Wo liegen Vor- und Nachteile? 16 Wie sehen Sie den Einfluss des Englischen auf die Entwicklung des Fachvokabulars in Ihrem Fachgebiet? - Prompt: Werden z.B. deutsche Fachbegriffe durch englische ersetzt? - Prompt: Sind neue Fachbegriffe vorwiegend auf Englisch? - Prompt: Werden diese Fachbegriffe auch (noch) ins Deutsche übersetzt? - Prompt: Können Sie Beispiele geben? - Prompt: Was halten Sie von dieser Entwicklung? (begrüßend - negativ) 17 Wie wirkt sich das Englische auf die Studierenden aus…? - Wie (z.B. Seminare, Auslandsaufenthalte etc.) und ab wann kommen die Studierenden mit dem Englischen in Kontakt? - Z.B. beim Verständnis fachlicher Inhalte im Deutschen bzw. Englischen? (in fachlicher Hinsicht) - Z.B. bei der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit im Deutschen bzw. Englischen? (in sprachlicher Hinsicht) - Prompt: Woran machen Sie diesen Eindruck fest? - Prompt: Einschätzung Ihrerseits: „Zwischen den Stühlen“ versus „das Beste aus zwei Welten“ - Prompt: Wie ist die Einstellung der Studierenden zur Rolle des Englischen im Studium? 18 Was denken Sie: Welche Rolle werden die Sprachen Englisch und Deutsch in Ihrer akademischen Arbeit in der Zukunft einnehmen? - Prompt: Wie ist Ihre Meinung zu der von Ihnen beschriebenen Zukunftsperspektive? - Wie sehen Sie die Publikationslandschaft in Ihrer Disziplin in 10 Jahren? - Sollte man etwas dafür tun, die Sprachenvielfalt in der Wissenschaft zu erhalten bzw. zu fördern? - Welchen Rat würden Sie jungen Nachwuchswissenschaftlern zum Schreiben auf Englisch mit auf den Weg geben? 19 Möchten Sie wichtige Aspekte des Themas nennen, die Ihrer Ansicht nach im Interview zu wenig berücksichtig wurden? 20 Wären Sie so nett, mir Ihr Alter zu verraten? <?page no="358"?> 358 C Anschreiben Sehr geehrter Herr X, sehr geehrte Frau Y, Im Rahmen eines durch die DFG-Pauschale der TU Braunschweig geförderten Projektes untersuche ich mit Unterstützung von Herrn Frank Rabe die Besonderheiten und Herausforderungen des wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens in der Fremdsprache Englisch. Ein Ziel dieser Studie ist es, mehr über den Zusammenhang von Wissenschaftssprachen, Publikationen und internationaler Forschung herauszufinden. Zu diesem Zweck sollen Interviews mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verschiedener Fachgebiete durchgeführt werden. Ich würde mich freuen, wenn Sie und/ oder Mitglieder Ihres Institutes Zeit für ein solches Gespräch hätten. Alle gesammelten Daten werden vertraulich behandelt, anonymisiert und nicht an Dritte weitergegeben. Es wird eine Rückmeldung über die Ergebnisse der Studie für alle Teilnehmer geben, sobald diese vorliegen. Auf Ihre Bereitschaft zur Teilnahme hoffend, werde ich mich in den nächsten Tagen zur Klärung weiterer Einzelheiten telefonisch mit Ihnen in Verbindung setzen. Für Ihr Entgegenkommen im Voraus herzlichen Dank! Mit freundlichen Grüßen Claus Gnutzmann <?page no="359"?> 359 D Wissenschaftler-Sprachportrait: Ein Beispiel Das ist eine Sache, die müsste man eigentlich noch verbessern, dass man das auch als ein Gebot der Höflichkeit, als eine Selbstverständlichkeit sieht, dass sowie jemand da ist, der kein Deutsch spricht, dass man dann verdammt nochmal Englisch zu sprechen hat. (10P Chemie 00: 40: 55-0) Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse eines Gesprächs mit einer Vertreterin der Lebensmittelchemie dokumentiert. Sprachlernbiographie Die Befragte hat in der Schule bis zur 10. Klasse Englisch gelernt und sich danach für einen naturwissenschaftlichen Zweig ohne Fremdsprachen bis zum Abitur entschieden. Den zu ihrer Zeit abgehaltenen schulischen Englischunterricht hält sie für schlecht („Wir haben im Unterricht nur Deutsch gesprochen“, 00: 01: 10-2). Sie ist allerdings der Meinung, dass der heutige Englischunterricht wesentlich effektiver sei, ohne Gründe dafür anzugeben. Zusätzlich zum Englischen hat die Befragte eine Reihe anderer Sprachen nach Abschluss der Schule gelernt (Französisch, Dänisch und Schwedisch). Ihre Kenntnisse der englischen Sprache hat sie im Laufe ihrer Karriere durch verschiedene Auslandsaufenthalte vertiefen können. Sie absolvierte unter anderem einen Forschungsaufenthalt in Südafrika und arbeitet zurzeit an einer skandinavischen Universität mit Englisch als Unterrichtssprache. Anglisierungsgrad (verwendete Sprachen) In der Regel wird sowohl in Lehrveranstaltungen als auch im Labor Deutsch verwendet. Es besteht aber nach Angaben der Befragten eine intensive Kooperation mit südamerikanischen Forschungsinstituten, weshalb viele Mitarbeiter Spanisch sprechen. Für ausländische Mitarbeiter (in diesem Fall ein Forscher pakistanischer Herkunft) und Gäste wird jedoch auch Englisch verwendet. Anglisierungsgrad (Anteil der auf Englisch gelesenen und publizierten Arbeiten) Die Befragte liest und schreibt ausschließlich englischsprachige wissenschaftliche Literatur. Deutsch spiele eine Rolle im Publikationsorgan der Fachgesellschaft für Lebensmittelchemie und bei populärwissenschaftlichen Artikeln. Genre-Diskurs-Unterschiede D/ E (Publikationsschema) Das von der Interviewten beschriebene Publikationsschema entspricht in etwa dem IMRaD-Schema. Interessanterweise gibt es im Bereich der Chemie noch eine Zeitschrift, in der Forschungsartikel noch auf Deutsch veröffentlicht werden können (Angewandte Chemie), bzw. diese auch ins Deutsche übersetzt werden. Die Befragte betont den hohen Impact-Faktor, den diese <?page no="360"?> 360 Fachzeitschrift hat, und thematisiert die Stellung der Zeitschrift als letzte verbleibende Möglichkeit „in einem gehobenen Journal auch Deutsch publizieren“ (00: 06: 13-3) zu können. Hilfsmittel / Instrumente / Ressourcen Die interviewte Wissenschaftlerin nutzt nach eigenen Angaben hauptsächlich das zweisprachige Onlinewörterbuch LEO. Als kommunikatives Hilfsmittel nutzt sie die Videokonferenzsoftware Skype für ein gemeinschaftliches Projekt mit einer Firma in einem englischsprachigen Land. Die Befragte stellt allerdings Probleme mit dieser Technik fest: „Dann sitzt man da immer stundenlang am ((lacht)) und unterhält sich da über weite Strecken. Ja, das finde ich auch zum Beispiel recht anstrengend, weil es auch nicht immer so gut zu verstehen ist“ (00: 18: 28-1). Publikationsprozess (Phasen/ Schritte auf dem Weg zu einer englischen Publikation) Der naturwissenschaftliche Fachkontext der befragten Wissenschaftlerin wird unter anderem daran deutlich, dass vor jeder Publikation experimentelle Ergebnisse vorliegen müssen. Sind diese vorhanden, scheint ein Großteil der wissenschaftlichen Arbeit abgeschlossen zu sein, denn im Anschluss daran erfolge nur noch das „Zusammenschreiben“ (00: 10: 10-1). Die Endkorrektur der Manuskripte vor dem Einreichen zur Veröffentlichung wird im Normalfall von den Personen vorgenommen, die am Artikel beteiligt sind. Aus Sicht der Befragten sind sprachliche Fehler dabei nicht zentral: „Wobei man sich da meistens nicht so viel sprachlich korrigiert, es sei denn, es sind ganz offensichtliche Tippfehler oder dergleichen oder es ist ganz klar, dass da jemand deutlich besser ist und man froh ist, wenn der das nochmal sprachlich überarbeitet“ (00: 13: 07-3). Als Begründung für das Ausblenden sprachlicher Korrekturen führt die interviewte Wissenschaftlerin ihre begrenzte Sprachkompetenz im Englischen an: „Naja, da bin ich gerade nicht diejenige, die sich das anmaßen soll, das zu beurteilen. Es sei denn, es ist ganz offensichtlich, dass man das kaum verstehen kann“ (00: 15: 01-3). Diese Äußerungen könnten als Orientierung am Kriterium der ‚Verständlichkeit‘ hinsichtlich der anvisierten Korrektheitsnormen gesehen werden. Professionelle Hilfe bei der Manuskripterstellung und -korrektur, die beispielsweise durch eine im Institut angestellte Sekretärin vorhanden wäre, nimmt die Befragte nicht in Anspruch. Ähnlich verhält es sich mit muttersprachlicher Kontrolle englischsprachiger Artikel, die die Interviewte bei ihren Texten nicht für notwendig hält. In früheren Jahren habe sie häufiger Rückmeldungen von Gutachtern erhalten wie „language polishing“ oder „has to be rephrased“, jetzt aber gehe sie davon aus, „dass so zumindest im Fachlichen ich mich soweit ausdrücken kann, dass da in der Regel keine ... große ... Kritik mehr kommt ... an Sprachlichem. Und dann treibe ich jetzt einfach den Aufwand nicht noch“ (00: 15: 01-3). <?page no="361"?> 361 Mehrautorenschaft (Arbeitsverteilung) Im Zuge der Zusammenarbeit mit anderen Forschergruppen schreiben die beteiligten Gruppen im Normalfall ihre jeweiligen Teile selbst, Einleitung und Schluss werden hingegen gemeinschaftlich verfasst. Die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern unterscheide sich je nach Kompetenzniveau der Doktoranden: Das ist auch unterschiedlich, inwieweit ich eine Arbeit ganz und gar selber schreibe und die Mitarbeiter sozusagen nur die Daten oder experimentellen Teile liefern oder bei besseren Leuten, die wollen auch und können auch selber schreiben, dann überarbeite ich das halt und das geht dann hin und her. (00: 10: 10-1) Neben einer Unterscheidung in ‚normale‘ oder ‚bessere‘ Mitarbeiter wird an dieser Aussage deutlich, dass auch für Naturwissenschaftler der Schreibprozess oft dialogisch angelegt und durch wiederholtes Schreiben und Überarbeiten geprägt ist. Die Befragte erwähnt z.B., dass das „dann auch mehr so ein Lernprozess“ (00: 10: 10-1) sei und betont damit die Prozesshaftigkeit des gemeinsamen Schreibvorgangs. Die Wissenschaftlerin teilt mit, dass die Kommunikation mit anderen Fachkulturen teilweise problematisch verläuft, da hier nur bedingt ein Verständnis für die Fachkontexte der jeweils anderen existiere. Sie empfindet es deshalb als wichtig, dass „man dann sich nicht nur so rauspickt, was man aus der anderen Arbeit ... versteht und brauchen kann, […] sondern dass man wirklich versucht, das soweit zu durchdringen, dass man es auch ... verlässlich irgendwie deuten kann“ (00: 17: 50-3). Schnittstelle Herausgeber - Wissenschaftler Die befragte Wissenschaftlerin stellt fest, dass das Publizieren eines Artikels zwar immer automatisierter aber dennoch „anstrengender“ wird, da die Verlage einen Großteil der Arbeit an die Autoren übertragen. Sie bezeichnet vor allem detaillierte formale Vorgaben als problematisch, wie z.B. die Größe und Linienstärke der Zeichnungen oder der Zwang zur Nutzung bestimmter Software und Dateiformate. Hinzu komme, dass die Zeitschriften in ihren formalen Anforderungen variierten, wodurch ein großer Arbeitsaufwand entstünde. Die Befragte gibt an, dass die technischen Anforderungen der Zeitschriften oft verwirrend seien und dass solche Arbeiten in der Regel von Mitarbeitern erledigt würden. Der Herausgeber einer Fachzeitschrift kommuniziere im Normalfall nur, dass die Gutachten eingegangen sind und wann die Überarbeitung eingereicht werden soll. Informationen über die Qualität des Manuskriptes werden daher im Normalfall durch die Gutachten bereitgestellt. Die Interviewte bewertet die Qualität der Gutachten als „extrem unterschiedlich“: Man kann den Fall haben, dass man drei Gutachten kriegt und das eine lobt das über alles und eins zerreißt es völlig und das andere ist in der Mitte. Und meistens ist das in der Mitte dann am besten, weil man schon auch sieht, ob <?page no="362"?> 362 jemand einfach keine Lust und Zeit hatte, sich intensiv zu beschäftigen und vielleicht die Gruppe kennt und einfach schreibt: Ja, bestens, was die Gruppe gemacht hat, wie immer, oder so. Oder ob jemand sich auseinandersetzt oder ob jemand einfach nur wegen verletzter Eitelkeit oder, weil irgendetwas nicht zitiert ist, das alles in Bausch und Bogen zerreißt. Also da kann man nur staunen, was in der Anonymität von Gutachten so eigentlich abläuft. (00: 20: 31-8) Die befragte Person empfindet es aufgrund der oben beschriebenen Probleme als notwendig, dass mehrere Gutachten angefertigt werden. Sie empfindet konstruktive Gutachten zudem als sehr hilfreich, z.B. wenn Missverständnisse und Unklarheiten im Text rückgemeldet werden. Die Interviewte ist auch selbst als Gutachterin tätig und berichtet im Rahmen dieser Tätigkeit über eine zunehmende Tendenz zur Bewertung von Manuskripten über Tabellen und Skalen mit Zahlenwerten von 0-100, in denen z.B. die ‚Originalität‘ der Arbeiten eingeschätzt werden soll: Also, da neige ich dazu, wenn es nicht irgendwie gerade etwas ganz gewaltig Tolles ist oder ... eben ganz klar so ... absolut nichts Neues, dass man dann so, was weiß ich, vielleicht so bei 70% angibt. Aber ich habe jetzt selber auch so Gutachten zurückgekriegt, wo das abgelehnt worden ist wegen 70% Antworten. Das war denen schon zu wenig. Die wollten nur noch higher. Da hab' ich gedacht: Na, was tut man da manchen an, wenn man da 70 - also das ist auch schwer dann einzuordnen. (00: 23: 05-6) Dieses Zitat verdeutlicht die Schwierigkeit, Eigenschaften wie die Originalität oder den Neuheitsgrad eines Forschungsartikels anhand eines Zahlenwertes festzulegen und zeigt darüber hinaus Probleme des anonymen Begutachtungssystems auf. Die interviewte Wissenschaftlerin bevorzugt deshalb das Hinzufügen eines ausformulierten Gutachtentextes. Entwicklung über Zeit (Veränderungen beim Schreiben englischer Texte) Die Befragte stellt fest, dass sie im Laufe der Jahre vor allem „größere Routine“ erworben habe. Sie erwähnt, dass Sie früher sprachlich sehr unsicher war und „dass die Gutachter das vielleicht auch gar nicht richtig verstanden haben, was ich aussagen wollte“ (00: 24: 21-7). Durch jahrelanges Lesen englischsprachiger wissenschaftlicher Literatur habe sie sich ein Repertoire an Begriffen und „stehenden Redewendungen“ (00: 07: 25-9) aufgebaut, die ihr Sicherheit beim Publizieren geben. Dennoch nimmt die Interviewte Einschränkungen beim Schreiben auf Englisch wahr: Im Deutschen schreibe ich sehr - also jetzt nicht Fachliteratur - aber schreibe ich eigentlich gerne und formuliere auch gerne und lese auch sehr viel und genieße das, dass man mit Sprache ja auch Möglichkeiten hat, so Nuancen auszudrücken oder wie auch immer. Und das kann ich im Englischen eben nicht. Dieses Spielerische habe ich da nicht, weil ich eben nicht so Gefühl dafür hab', was ich eigentlich sage, ne? (00: 25: 15-6) <?page no="363"?> 363 Inwieweit „Spielerisches“ oder eine kreative Schreibweise in den Naturwissenschaften einen Platz haben, kann hier nicht beantwortet werden. Es wäre aber vorstellbar, dass eine nuanciertere und überzeugende Ausdrucksweise den Publikationserfolg beeinflussen könnte. Eine weitere interessante Entwicklung, die die Befragte bei sich selbst feststellt, ist eine Art Leserorientierung beim Schreiben wissenschaftlicher Aufsätze: Und ich glaube es ist insgesamt einfach so, dass man auch von der Strukturierung und wie man die Botschaft verständlicher rüberbringt, was das Wesentliche ist und womit man die Leute lieber nicht irgendwie belästigt, was einfach nur irgendwie ... alles aufalso verwirrend wirkt. Das sehe ich ja auch, dass selbst gute Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen das am Anfang so gar nicht im Blick haben. Da ist man ganz bei seiner eigenen Arbeit und möchte das alles mitteilen und hat keinen Blick dafür, wie das auf den Leser, Leserin wirkt. (00: 24: 21-7) Damit zeigt die interviewte Wissenschaftlerin gleichzeitig einen von ihr wahrgenommen Unterschied zwischen Anfängern und erfahrenen Autoren beim wissenschaftlichen Schreiben auf. Zusätzlich erwähnt sie, dass einige ihrer Mitarbeiter zwar besser Englisch sprechen könnten als sie selbst, der fachbezogene, formelhafte Sprachgebrauch hier allerdings nur gering ausgeprägt sei. Opportunitätskosten (Extrazeit für das Schreiben auf Englisch) Die Interviewte kann keine Auskunft über einen etwaigen Mehraufwand für Veröffentlichungen auf Englisch geben, da sie und ihre Kollegen wissenschaftliche Literatur ausschließlich auf Englisch publizieren. Ungleichheiten MS und NMS Die Befragte sieht es als Vorteil für Muttersprachler des Englischen an, mit weniger Mühe schreiben zu können. Gleichzeitig erwähnt sie, dass Muttersprachlichkeit jedoch „keine Garantie für exakte Formulierungen“ (00: 26: 19- 5) sei. Den deutschen „Laborjargon“ ihrer Mitarbeiter, den diese in schriftliche Protokolle übertrügen, führt sie als Beispiel für diese Vermutung an. Die Beherrschung mündlicher Laborkommunikation ließe also auch im Falle von Muttersprachlern nicht automatisch auf einen registerkonformen schriftlichen Ausdruck schließen, vielmehr müsse dieser explizit eingeübt werden. Möglichkeiten der Verbesserung der Situation von NMS Die befragte Professorin erwähnt in diesem Zusammenhang, dass einige ihrer Mitarbeiter Sprachkurse am Sprachenzentrum der Universität belegen und dass dort auch fachbezogene Kurse angeboten werden. Obwohl die Mitarbeiter in diesen Kursen ihre generelle Sprachkompetenz verbessern könnten, hält sie spezielle Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben zusätzlich für notwendig. Ein erfolgreicher Einsatz dieser Kurse setze nach Einschät- <?page no="364"?> 364 zung der Interviewten allerdings das Erreichen eines bestimmten fachwissenschaftlichen Niveaus voraus. Für die Gruppe der Studierenden erwähnt die Befragte zwei Möglichkeiten zur Verbesserung der Englischkompetenz: die Einführung englischsprachiger Vorlesungen sowie das Verwenden englischsprachiger Literatur in praktikumsbegleitenden Seminaren. Interessanterweise schränkt die Wissenschaftlerin diese Punkte umgehend wieder ein, da die Studierenden bereits viel Neues während der Praktika und den begleitenden Seminaren lernen müssten und solche Maßnahmen überfordernd wirken könnten. Die Aussagen der Befragten konturieren ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch, einen größeren Anteil des Studiums auf Englisch abzuhalten und den ohnehin bereits hohen inhaltlichen und zeitlichen Anforderungen an die Studierenden. Situationseinschätzung der Muttersprachler des Englischen Die Befragte sieht den Druck zum Englischlernen als Bereicherung an, denn ohne ihn „hätte man vielleicht nicht so einen Antrieb gehabt, das [Englische] zu lernen“ (00: 27: 22-9). Sie nimmt diesen Umstand als Vorteil im Vergleich zu Muttersprachlern des Englischen wahr, die keinen Anreiz zum Sprachenlernen hätten und denen dementsprechend die Motivation dazu fehle. Diese Einstellung wird komplementiert durch die Sichtweise der Interviewten, Wissenschaft auf Englisch als Herausforderung zu sehen: Wenn ich alles auf Deutsch schreiben würde und auf deutsche Tagungen, da hat man dann keine Herausforderung, sich überhaupt umzustellen. […] Aber, wie gesagt, Herausforderungen sind ja nicht grundsätzlich schlecht, weil man eben dabei auch etwas dazu lernt. (00: 31: 55-7) Die Sichtweise auf das Englische als Herausforderung, Bereicherung und Lerngelegenheit suggeriert eine positive Einstellung der Befragten in Hinblick auf die Benutzung des Englischen in der Wissenschaft. Deutsch als Wissenschaftssprache Die Befragte zeigt insgesamt eine differenzierte Einstellung zu den Wissenschaftssprachen Deutsch und Englisch. Sie erwähnt unter anderem terminologische Probleme bei deutschsprachigen Fachdiskussionen: „Manchmal weiß man gar keinen deutschen Ausdruck für bestimmte Sachen, weil die gar nicht mehr in Deutsch auftauchen und dann fällt einem keine passende Übersetzung ins Deutsche ein, um den Begriff auf den Punkt zu bringen“ (00: 33: 14-0). Aus dieser Aussage ließe sich schließen, dass Fachgespräche weiterhin auf Deutsch stattfinden können, englische Begriffe, für die keine deutschsprachigen Entsprechungen bekannt sind, allerdings zunehmen. Die interviewte Wissenschaftlerin berichtet von „großen Diskussionen“ um den Status des Deutschen als Wissenschaftssprache in ihrem Fach, in dem nicht alle Wissenschaftler mit dem Wandel zum Englischen zufrieden seien. Ebenso erwähnt sie eine gewisse Sympathie für diese Seite: „Ich find' <?page no="365"?> 365 es schon gut, wenn man die Sprache auch pflegt und dass es auch immer noch so Nischen gibt, in denen man auch deutsche Aufsätze schreibt“ (00: 33: 14-0). Letztendlich überwiegt für sie jedoch die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache: „Aber im Großen und Ganzen muss man akzeptieren: Wissenschaft ist international. Da muss man sich auf eine Sprache einigen“ (00: 33: 14-0). Die Wissenschaftlerin begründet ihre Einstellung mit dem Wunsch, international rezipiert zu werden: Letztendlich möchte man gelesen werden. Und wenn ich bei der Recherche Arbeiten finde, die auf Japanisch sind, dann kann ich eben nur das englische Abstract lesen und mehr eben nicht. Und das ist sozusagen die Literatur, die nicht existiert. Oder es gibt auch viel russische Literatur und das ist genauso. Die wird auch nicht zitiert und nicht wahrgenommen, weil man ja gar nicht weiß, was drinsteht. (00: 33: 58-9) Die Befragte beendet ihre Begründung mit einer Analogie: Kein Englisch zu benutzen sei in etwa so, als würde man keine E-Mails verschicken - es führe zur Isolation. Auswirkungen des Englischen auf die Studierenden Die Interviewte berichtet, dass wir inzwischen auch hier gefordert sind, Lehrveranstaltungen bei Bedarf eben dann auf Englisch zu halten. Ich habe zurzeit eine, da ist ein englischer, ein nicht-deutschsprachiger Student. Und wenn der da ist, muss es auf Englisch gehalten werden und wenn der nicht da ist, dann spreche ich Deutsch. Da muss ich mich auch spontan drauf einstellen, ne? (00: 02: 34-1) Die Wissenschaftlerin wechselt also die Unterrichtssprache für alle Teilnehmenden eines Seminars aufgrund der Anwesenheit eines einzelnen Studierenden. Sie scheint diesen Umstand als normal zu empfinden, fügt aber abschwächend hinzu, dass vor allem Masterstudierende und zum Teil Doktoranden an dieser Lehrveranstaltung teilnehmen. Die Befragte gibt an, dass sie das Unterrichten auf Englisch als anstrengender empfindet als die Lehre auf Deutsch. Obwohl sie mittlerweile auch einfach zwischen den Sprachen umschalten könne, strenge sie eine englische Vorlesung immer noch mehr an als eine deutschsprachige. Sie folgert daraus, dass die Präsentation neuer Inhalte in einer Fremdsprache höhere Anforderungen an die meisten Studierenden stelle, es sei denn, diese hätten bereits eine gewisse Zeit im Ausland verbracht. Die Interviewte teilt in diesem Zusammenhang mit, dass Studierende sich bereits über englische Vorlesungen beschwert und das Deutsche als Unterrichtssprache eingefordert haben: Und es hat ja auch durchaus ... mitunter Beschwerden gegeben, da, wo Vorlesungen auf Englisch angeboten worden sind, wegen einiger nicht deutschsprachiger, dass dann die deutschen Studenten gesagt haben, gerade so in den unteren Semestern: Wir wollen das aber auf Deutsch hören. (00: 36: 08-0) <?page no="366"?> 366 Die Befragte erklärt sich die abweisende Haltung der Studierenden gegenüber dem Englischen mit der zusätzlichen Last, sich neue Fachinhalte in einer Fremdsprache zu erarbeiten sowie einer mangelnden Sprachlernmotivation bei den Studierenden, die oft keine „Englischcracks“ seien. Es wäre in diesem Zusammenhang eine interessante Fragestellung, ob Studierende ein Recht auf ein deutschsprachiges Studium haben und inwiefern solche Überlegungen mit dem steigenden Internationalisierungsdruck in Forschung und Lehre vereinbar sind. Die Befragte prognostiziert diesbezüglich, dass sich die ablehnende Einstellung der Studierenden zukünftig ändern werde, da auch sie das Englische immer mehr als Notwendigkeit erkennen und Firmen in der Industrie eine hohe Englischkompetenz offenbar zunehmend voraussetzen. Sie sieht die Universität deshalb als „Schutzraum“, in dem man englischsprachige Kommunikation üben kann: „Wenn man da in der Vorlesung nicht so viel kapiert, blamiert man sich ja nicht, wie wenn man dann in der Firma mit dem Kollegen aus Midland nicht sich verständigen kann, ne? “ (00: 36: 08-0). Sollte das hier angedeutete Nichtverstehen in englischsprachigen Vorlesungen allerdings zu größeren Leistungsabfällen bei den Studierenden führen, liegt die Vermutung nahe, dass sich entweder die Ausbildungsdauer erhöhen oder das Ausbildungsniveau verringern könnte. Zukunftsdiagnose Die Befragte geht von einem Sprachverteilung aus, bei der das Deutsche den Stellenwert einer Organisations- und Alltagssprache innehat und das Englisch das eigentliche Medium der Wissenschaft ist. Die Befragte sieht Deutsch als Privatsprache, die ihr trotz einer solchen Entwicklung erhalten bleibt: Ja, und ich find' es jetzt auch nicht so bedauerlich, also. Ich find' schon wichtig, dass Sprachen nicht völlig verlorengehen und ... aber man hat ja auch noch was anderes als dieses Fachliche, ja? Das ist eben eher sowas, ja, innerhalb der Fachkultur da braucht man das [Englische] als Kommunikationsmittel und ansonsten ... hab' ich ja doch ausreichend Gelegenheit Deutsch zu lesen und zu schreiben. Also ich habe keine Sorge, dass mir das verloren geht. (00: 37: 48-2) Die interviewte Wissenschaftlerin steht dem Wegfall des Deutschen als Publikations- und Wissenschaftsprache relativ unkritisch gegenüber und betont die Möglichkeit der privaten Nutzung des Deutschen, die ihr persönlich ausreiche. Im Leitfaden nicht berücksichtigte Aspekte Die Befragte bemängelt die Bereitschaft ihrer Mitarbeiter, mit einem Mitarbeiter pakistanischer Herkunft Englisch zu sprechen, der seit 5 Jahren in Deutschland lebt. Obwohl es „am Anfang eine große Bereitschaft [gab], dann immer alles in Englisch zu machen im Seminar. Das hat sehr nachgelassen“ (00: 40: 55-0). Die Interviewte nennt eine Reihe von Gründen, warum sie ein solches Verhalten von ihren Mitarbeitern erwartet: „Gebot der Höflichkeit“, „Selbstverständlichkeit“, „ich weiß, wie das mit meinem Schwe- <?page no="367"?> 367 disch ist. Ich verstehe es im Prinzip auch, aber trotzdem kriege ich vieles nicht mit, wenn die da in einer Sitzung Schwedisch sprechen“ (00: 40: 55-0). Sie fordert daher, „dass sowie jemand da ist, der kein Deutsch spricht, dass man dann verdammt nochmal Englisch zu sprechen hat“ (00: 40: 55-0). Diese Aufforderung würde allerdings - verfolgte man sie konsequent - im sich zunehmend internationalisierenden Wissenschaftsbetrieb auf eine Übernahme aller universitätsrelevanten Domänen durch das Englische hinauslaufen, da eine nicht-deutschsprachige Person ausreichen würde, um alle sprachlichen Handlungen in einem Institut auf Englisch umzustellen. Einen interessanten Vergleich zieht die Befragte zwischen Deutschland und Schweden, wo sie ebenfalls an einer Universität arbeitet. Sie beschreibt die Schweden als generell des Englischen kundig („jeder Busfahrer oder jede Frau im Supermarkt kann auf Englisch mit Ihnen sprechen“, 00: 43: 29-3) und empfindet das Nutzung den Englischen im Alltag als sehr gastfreundlich. Gleichzeitig zeigt sie sich aber überrascht und verständnislos, wenn in institutionalisierten Zusammenhängen, in diesem Fall eine Professorenversammlung, auch in Anwesenheit von Ausländern Schwedisch gesprochen wird: „Das fand' ich aber eigentlich schon überraschend, weil ich gedacht hätte, dass es da viel selbstverständlicher sein könnte, dass man das Ganze auf Englisch macht“ (00: 43: 29-3). Wenngleich die Interviewte die Schweden für ihre Bereitschaft bewundert, im Alltag mit ausländischen Gästen Englisch zu sprechen, kann sie die Priorisierung des Schwedischen im Universitätsalltag nicht nachvollziehen: Ich bin jetzt zwar immer nur mit diesen Intervallen da, aber jetzt schon zwei Jahre und dann geht man davon aus, dann hat man die Sprache verdammt noch mal gelernt zu haben, ja? Also so ein bisschen. Es wird also sehr erwartet und viele der ausländischen Doktoranden und so weiter sind aus aller Herren Länder da, lernen auch Schwedisch. Werden auch Kurse angeboten und die jüngeren Leute kriegen das auch meistens schneller hin. Und wenn man dann auch dauerhaft da ist und so. (00: 43: 29-3) Die Befragte scheint diese schwedischen Erlebnisse aber nicht auf die Situation ihres Institutes in Deutschland zu beziehen, wo es möglicherweise effizienter wäre, einen langjährigen Mitarbeiter im Deutschen auszubilden, als alle Mitarbeiter auf Englisch kommunizieren zu lassen. Fazit Die Befragte vertritt eine Ansicht, die als Pro Englisch bezeichnet werden könnte. Sie akzeptiert die dominierende Stellung des Englischen in ihrer Disziplin und sieht in dieser nicht nur eine Notwendigkeit für die Wissenschaft, sondern eine persönliche Herausforderung und individuelle Bereicherung. Obwohl Mehrsprachigkeit einen gewissen Stellenwert in ihrer Biografie einnimmt (Französisch, Englisch, Dänisch, Schwedisch), sieht sie nur das Englische als wichtig für die Wissenschaftskommunikation an. Sie begrüßt zwar, dass man das Deutsche in ihrem Fach „pflegt“, ist aber damit <?page no="368"?> 368 einverstanden, es zukünftig vorwiegend im Privaten zu verwenden. Kommen Gäste aus dem Ausland in ihr Institut, um dort zu studieren oder zu forschen, dann liegt es nach Einschätzung der Interviewten in der Verantwortung der Gastgeber, die Kommunikation auf Englisch auszurichten und so Verständigung zu ermöglichen. Diese Art des sprachlichen Entgegenkommens erwartet die Befragte aber auch längerfristig von ihren Mitarbeitern; selbst bei Kollegen, die schon seit Jahren in einem deutschsprachigen Team arbeiten. <?page no="369"?> Zusammenfassung Es ist unbestritten, dass das Englische zur dominanten Sprache internationaler Forschungskommunikation avanciert ist. Obwohl dieser Trend in den Sozial- und Geisteswissenschaften weniger ausgeprägt ist, finden dort ebenfalls Prozesse der Internationalisierung und Anglisierung der Wissenschaftskommunikation statt. Die vorliegende Arbeit untersucht unter Berücksichtigung dieser Prozesse sowie der sprachlichen Besonderheiten des akademischen Kontextes in Deutschland die Schreib- und Veröffentlichungspraktiken deutschsprachiger Wissenschaftler. Hierbei finden Fachkulturen, wie sie in den Natur-, Ingenieur-, Sozial- und Geisteswissenschaften vorkommen, besondere Berücksichtigung in dieser Arbeit. Epistemologische Positionen, Forschungsmethoden und -desiderate, Schreibkonventionen sowie Einstellungen zu Sprache(n) unterscheiden sich teilweise deutlich zwischen den Fachkulturen, weshalb diese einen wichtigen Faktor in der Analyse wissenschaftlichen Schreibens und Publizierens darstellen. Vor diesem Hintergrund widmet sich die vorliegende Arbeit den Herausforderungen und Problemlösungsstrategien deutschsprachiger Forscher, die das Englische als Publikationssprache nutzen, sie erhebt deren Einstellungen zum Deutschen und Englischen als Wissenschaftssprachen sowie ihre Ansichten zur Ausbildung und Sozialisierung von Nachwuchswissenschaftlern und Studierenden. Der empirische Teil der Arbeit ist in drei Themenkomplexe gegliedert: Der erste Themenkomplex behandelt die sprachlichen Anforderungen, denen Wissenschaftler in verschiedenen Fachkulturen genügen müssen, und die von ihnen verwendeten Ressourcen, um eventuelle sprachliche Probleme zu überwinden. Es liegt nahe, dass das Schreiben und Publizieren in einer Fremdsprache nichtmuttersprachliche Nutzer vor erhebliche Herausforderungen stellen kann. Betrachtet wird daher im Einzelnen, wie die ausgewählten Forscher diese Hindernisse wahrnehmen und wie sie mit den Schwierigkeiten beim Schreiben und Publizieren auf Englisch, wie etwa begrenzter Sprachkompetenz und abweichenden Diskursnormen, umgehen. In diesem Zusammenhang ist es zudem interessant, festzustellen, wie sich die jeweilige Fachkultur und wissenschaftliche Erfahrung der Teilnehmer auf die zu bewältigenden sprachlichen Anforderungen auswirkt. Um mit den angesprochenen Schwierigkeiten produktiv umzugehen, setzen die Wissenschaftler eine Vielzahl von Ressourcen ein. Es wird daher aufgezeigt, wie die Befragten z.B. erfahrene nichtmuttersprachliche Kollegen, Muttersprachler des Englischen, Wörterbücher und andere verfügbare Hilfsinstanzen einsetzen, um erfolgreich auf Englisch zu publizieren. Der zweite Themenkomplex geht insbesondere auf die Einstellungen der Wissenschaftler in Bezug auf den Einsatz der Sprachen Englisch und Deutsch als Veröffentlichungs-, Forschungs- und Lehrsprachen ein. Die interviewgestützte Rekonstruktion dieser Einstellungen unter Berücksichti- 369 <?page no="370"?> gung einer fachkulturellen Perspektive erlaubt ein vertieftes Verständnis der Sprachwahldynamiken aus Sicht der Forscher. Es wird weiterhin untersucht, wie die befragten Wissenschaftler die linguistische Kategorie des Muttersprachlers konzeptualisieren, wie sie die Verwendung des Englischen und/ oder Deutschen in den Domänen der Lehre und Veröffentlichung begründen und ob sie die Notwendigkeit wahrnehmen, das Deutsche angesichts der wachsenden Dominanz des Englischen als Wissenschaftssprache zu unterstützen. Der dritte Themenkomplex befasst sich mit der Ausbildungs- und Sozialisationspraxis der teilnehmenden Forscher. Im Einzelnen werden von den Forschern vorgeschlagene Maßnahmen zur Förderung der Schreib- und Veröffentlichungskompetenz des wissenschaftlichen Nachwuchses vorgestellt und ausgewertet. Des Weiteren wird dargelegt, wie erfahrene Wissenschaftler die im Fach vorherrschende Schreib- und Veröffentlichungspraxis zur wissenschaftlichen und sprachlichen Sozialisation einsetzen. Dabei wird auch die Bedeutung institutioneller Lernungebungen, wie etwa von universitären Sprachenzentren ausgerichtete Sprach- und Schreibkurse, im Hinblick auf die Vorbereitung von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern auf eine Teilnahme an der Fachgemeinschaft reflektiert. Bereits vorhandene Einsichten aus Studien veröffentlichter wissenschaftlicher Texte müssen durch Analysen ergänzt werden, die das Schreiben und Publizieren dezidiert als eine sozial und institutionell verankerte Tätigkeit konzeptualisieren. Eine interviewbasierte Rekonstruktion bietet sich vor allem deshalb an, da hierdurch Informationen über die ‚ungeschriebenen‘ wissenschaftssprachlichen Praktiken und Sichtweisen der Teilnehmer gewonnen werden können. Aus diesem Grund wurden 36 leitfadengestützte Interviews mit Wissenschaftlern verschiedener deutscher Universitäten durchgeführt. Die Interviewten wurden nach Kriterien wie wissenschaftlicher Erfahrung, fachlicher Orientierung und Publikationserfahrung in der Fremdsprache Englisch ausgewählt, wodurch eine ausgewogene Auswahl getroffen werden konnte. Der Hauptfokus der Untersuchung liegt jedoch auf dem fachspezifischen Teilkorpus, das 24 Interviews mit Forschern aus vier Fächern enthält: Jeweils sechs Teilnehmer stammen aus der Biologe, dem Maschinenbau, der Germanistischen Linguistik und der Geschichtswissenschaft - diese Fächer können stellvertretend für die Natur-, Ingenieur- und Geisteswissenschaften gelten. Um zusätzlich sozialisationsbezogene Forschungsfragen bearbeiten zu können, wurden die Befra