Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität
Untersuchungen zum Zusammenspiel von Inhalten, Aufgaben und dialogischen Lernprozessen
0316
2020
978-3-8233-8424-3
Gunter Narr Verlag
Michael Schart
Der vorliegende Band dokumentiert ein Forschungsprojekt zum fach- und sprachintegrierten Lehren und Lernen an Universitäten und ermöglicht so vielfältige Einblicke in das Zusammenspiel von relevanten Inhalten, anspruchsvollen Aufgaben und dialogischen Lernprozessen im universitären Fremdsprachenunterricht. Über mehrere Jahre hinweg wurden in einem Programm für Deutschlandstudien an einer japanischen Universität Daten zu den Interaktionsprozessen im Unterricht, zur Entwicklung der Lernenden und ihrer Sicht auf das Geschehen erfasst und mit Hilfe verschiedener Forschungsansätze ausgewertet. Aus der Studie ergeben sich wichtige Impulse für die Planung fach- und sprachintegrierter Programme und deren Erforschung.
<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Schart Fach- und sprachintegrierter Unterricht 2.A. Michael Schart Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität Untersuchungen zum Zusammenspiel von Inhalten, Aufgaben und dialogischen Lernprozessen 2. Auflage ISBN 978-3-8233-8424-3 Der vorliegende Band dokumentiert ein Forschungsprojekt zum fach- und sprachintegrierten Lehren und Lernen an Universitäten und ermöglicht so vielfältige Einblicke in das Zusammenspiel von relevanten Inhalten, anspruchsvollen Aufgaben und dialogischen Lernprozessen im universitären Fremdsprachenunterricht. Über mehrere Jahre hinweg wurden in einem Programm für Deutschlandstudien an einer japanischen Universität Daten zu den Interaktionsprozessen im Unterricht, zur Entwicklung der Lernenden und ihrer Sicht auf das Geschehen erfasst und mit Hilfe verschiedener Forschungsansätze ausgewertet. Aus der Studie ergeben sich wichtige Impulse für die Planung fach- und sprachintegrierter Programme und deren Erforschung. 18424_2_Umschlag.indd 3 18424_2_Umschlag.indd 3 10.03.2020 09: 08: 11 10.03.2020 09: 08: 11 <?page no="1"?> Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Michael Schart Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität Untersuchungen zum Zusammenspiel von Inhalten, Aufgaben und dialogischen Lernprozessen 2., durchgesehene Auflage <?page no="4"?> 2., durchgesehene Auflage 2020 1. Auflage 2019 © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8424-3 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0224-7 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 7 13 93 125 237 261 295 299 Inhalt Michael Schart Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Schart Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . Davide Orlando, Hidemi Hamano Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden . . . . . . . . . . . Michael Schart Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grit Liebscher / Sara Marsh Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen im Klassenzimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olga Czyzak Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden im fach- und sprachintegrierten Anfängerunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Schart Rück- und Ausblick: Bedingungen dialogischen Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="7"?> 1 Einleitung Michael Schart Wie lassen sich im Klassenraum Bedingungen schaffen, unter denen es Lernende als sinnvoll und zugleich als persönlich bereichernd empfinden, sich in einer fremden Sprache auszutauschen, obwohl alle Anwesenden die Muttersprache teilen? Wie ermutigt man sie, ihre Gedanken, Gefühle oder Intentionen in noch wenig vertraute Worte zu fassen, dabei mit der Fremdsprache zu experimen‐ tieren und immer wieder an die Grenzen ihres Könnens zu gehen? Wie finden das Erlernen der Fremdsprache und die Beschäftigung mit relevanten Inhalten zu einer Symbiose? Und wie können Lehrende den Unterricht so arrangieren, dass er die Teilnehmenden dazu einlädt, sich als eine Lerngruppe zu verstehen, in der gemeinsam neues Wissen erschlossen und Fähigkeiten entfaltet werden? Diese Fragen bilden eine treibende Kraft der vorliegenden Studie. Denn in der Auseinandersetzung mit ihnen entwickelte sich das Konzept von Fremd‐ sprachenunterricht, auf das wir in den folgenden Kapiteln aus vier unterschied‐ lichen Perspektiven Schlaglichter werfen möchten. Es handelt sich aber zugleich auch um jene Fragen, mit denen man unweigerlich konfrontiert wird, sobald man sich auf die nunmehr fast fünf Jahrzehnte währende Geschichte des kom‐ munikativen Paradigmas der Fremdsprachendidaktik einlässt. Auf den ersten Blick zeigt sich diese vor allem als eine Erfolgsstory: Welche Forscherin, welcher Lehrer und erst recht welcher Lehrbuchverlag würde heute noch offensiv und ohne Selbstzweifel den Anspruch von sich weisen, Teil dieser kommunikativen Bewegung zu sein? Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass das Bemühen um einen kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterricht auf vielfältige Wider‐ stände und Beharrungstendenzen trifft, die sich über die Jahrzehnte hinweg als sehr beständig erwiesen haben. Gemeint sind damit nicht die offensichtlichen Probleme, die ihre Ursache in den institutionellen Rahmenbedingungen finden, in großen Klassen beispielsweise oder in Backwash-Effekten bestimmter Prü‐ fungsformate. Ich denke eher an jene Hemmnisse, die sich auch in einem insti‐ tutionell günstigen Umfeld unmittelbar aus den Entscheidungen über einzelne <?page no="8"?> 1 siehe auch Burwitz-Melzer et al. (2015); Edelhoff et al. (1988); Rymarczyk (2013) Elemente des Unterrichtsgeschehens ergeben, etwa aus der Strukturierung von Inhalten und Lernaktivitäten, aus dem kommunikativen Verhalten von Leh‐ renden und Lernenden bzw. ihren subjektiven Vorstellungen darüber, wie In‐ teraktion lernförderlich organisiert werden sollte. Als Folge kommt es zu jenen vielfach kritisierten Begleiterscheinungen des kommunikativ orientierten Fremdsprachenunterrichts, der Künstlichkeit und Realitätsferne des Austauschs im Klassenraum beispielsweise oder dem Phä‐ nomen, dass fremdsprachliches und intellektuelles Niveau nicht deutlich von‐ einander unterschieden werden, was gerade bei erwachsenen Lernenden leicht zur Unterforderung, wenn nicht Infantilisierung führt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Dominanz der Lehrperson. Mit ihr geht die Tendenz einher, das interaktive Potenzial der Lerngruppe auf eine Abfolge von Zwiegesprächen oder sogar nur ein monotones Abfrageritual zu verengen. Und da ist schließlich auch die Herausforderung, Lern- und Interaktionsprozesse so zu verschmelzen, dass die Fremdsprache nicht nur als ein zu erlernender Ge‐ genstand erlebt wird, sondern tatsächlich auch als ein Mittel, mit dem sich Handlungsabsichten erreichen lassen. Seit Anbruch des kommunikativen Zeitalters in den 1980er Jahren verwendet die Fremdsprachendidaktik einen beträchtlichen Teil ihrer Energie darauf, solche Schwierigkeiten aufzuzeigen und ihnen mit innovativen Konzepten zu begegnen. Dabei lassen sich drei unterschiedliche Lösungsansätze beobachten. Als einen ersten, inzwischen weit verbreiteten Ansatz möchte ich die zahlrei‐ chen Versuche anführen, der Künstlichkeit des Sprechens zu entkommen, indem man die Selbstbezogenheit des Klassenraums durchbricht und direkte Kontakte zu Menschen aus der Kultur der Zielsprache aufbaut. Die vor allem durch die digitale Revolution erweiterten Möglichkeiten haben es seit den 1990er Jahren erheblich erleichtert, diese Idee in die Unterrichtspraxis umzusetzen. Es wurden eine Vielzahl von sogenannten living language links (Legutke/ Müller-Hartmann 2000) für alle Niveaustufen und in unterschiedlichen Formen der Kommunika‐ tion entwickelt (Biebighäuser et al. 2012). Solche Begegnungen mit Spreche‐ rinnen und Sprechern der Fremdsprache sind natürlich nicht auf virtuelle Räume beschränkt. Lernende können mit ihnen auch in einen unmittelbaren Austausch treten. Das beginnt mit der Einladung von Gästen in den Klassen‐ raum, reicht über Recherchen im näheren Umfeld der Schule, etwa einem Flug‐ hafen (Legutke 2006) oder einer Jugendherberge bis hin zu Studienreisen in die betreffenden Regionen 1 . 8 Michael Schart <?page no="9"?> Ein zweiter Lösungsansatz besteht darin, die Künstlichkeit des Geschehens selbst sinnvoll zu nutzen. Der grundlegende Gedanke dabei ist es, dass sich der Gebrauch der Fremdsprache auch dann mit realitätsnahen Handlungsintenti‐ onen verbindet, wenn der Klassenraum zu einer fiktiven Welt wird, mit der sich die Lernenden tatsächlich identifizieren, weil sie für deren Entstehen und deren Entwicklung Verantwortung übernehmen. Die bereits zum traditionellen In‐ ventar der Fremdsprachendidaktik zählenden Rollenspiele werden dadurch auf eine qualitativ neue Ebene geführt und in ihrem Lernpotenzial erheblich erwei‐ tert. Denn Lernende erhalten die Chance, selbständig Situationen in der Fremd‐ sprache zu konstruieren, diese auszugestalten und in ihnen zu agieren. Auch dieser Ausformung kommunikativen Unterrichts lassen sich wiederum eine ganze Reihe didaktischer Konzepte zuordnen, etwa die Improvisationen, wie sie Kurtz (2001) beschreibt, Storyline-Projekte (Bell 2013; Kocher 1999), globale Si‐ mulationen (Arbeitsgruppe Simulationen 2005, Arendt 2003) oder Theaterpro‐ jekte (Birnbaum 2013; Kirsch 2013). Der dritte Lösungsansatz schließlich soll im Zentrum des vorliegenden Bandes stehen. Er setzt auf die Prämisse, dass sich die Bedingungen für einen realitätsnahen Gebrauch der Fremdsprache vor allem dann verbessern, wenn die Motivation zum sprachlichen Handeln von den Inhalten ausgeht. Sobald diese Inhalte die Notwendigkeit des Fremdsprachenlernens in sich tragen, so die Hoffnung, wird gleichsam en passant authentisch kommuniziert, denn die fremde Sprache dient nur noch als ein Medium, das Informationen von Interesse und Relevanz transportiert: „the ultimate dream of Communicative Language Teaching“, wie Dalton-Puffer (2007: 3) es formuliert. Auf der Basis dieser Überlegungen entstanden in Kanada und in der Sowjet‐ union bereits in den frühen 1960er Jahren - und damit die kommunikative Wende vorwegnehmend - Immersionsprogramme (Snow 1993; Stryker/ Leaver 1997). Diese Anstöße wurden dann ab Mitte der 1980er Jahre von der Fremd‐ sprachendidaktik aufgegriffen und fanden in Konzepten wie dem Content-based Language Learning (CBI, auch: Modern Languages across the Curriculum; vgl. Brinton/ Snow 2017; Grenfell 2002), dem bilingualen Sachfachunterricht (Diehr et al. 2016; Rüschoff et al. 2015) bzw. Content and Language Integrated Learning (CLIL, Ball et al. 2015; Coyle et al. 2010) oder dem Integrated Content and Lang‐ uage in Higher Education (ICLHE, Schmidt-Unterberger 2018; Smit 2015) eine sehr konsequente praktische Umsetzung. Parallel zu diesem, dezidiert inhaltsorientierten Zugang vollzog sich inner‐ halb der Fremdsprachendidaktik jedoch noch eine weitere Entwicklung, die sich weniger auf die Inhalte als auf die Lehr- und Lernaktivitäten konzentrierte. Ihr lag die Idee zugrunde, dass eine realitätsnahe Interaktion im Klassenraum vor 9 Einleitung <?page no="10"?> allem durch eine aufgabenbasierte Gestaltung erreicht werden könne. Rückbli‐ ckend stellt sich die Frage, weshalb dabei die Inhalte zunächst vernachlässigt wurden. Natürlich finden sich eine Reihe von Publikationen, in denen diese Tendenz frühzeitig erkannt und kritisiert wurde (siehe Kap. 2.5), doch ein breiter gestreutes Bewusstsein für das große Potenzial, das sich aus den Synergieef‐ fekten einer Verbindung von Inhalten und Aufgaben ergibt, lässt sich erst in jüngster Zeit erkennen (Ahmadian/ García Mayo 2017; Rüschoff 2015). Die Nachteile einer weitgehenden Separation dieser beiden Aspekte treten inzwischen deutlich zu Tage. Da steht beispielsweise auf Seiten des inhaltsba‐ sierten Unterrichtens die Einsicht, dass die Interaktionsprozesse im Klassen‐ raum allein durch die Integration fachlicher Inhalte den traditionellen, lehrer‐ dominierten Mustern nicht entkommen (Bonnet 2013; Dalton-Puffer 2007; Hall 2010). Und da ist auf Seiten des aufgabenbasierten Unterrichts die ernüchternde Erkenntnis, dass man auch nach mehr als 30 Jahren intensiver empirischer Er‐ forschung einzelner Aufgaben zu keinem Unterrichtskonzept gelangt ist, mit dem sich ein mehrwöchiger Kurs sinnvoll füllen ließe (Ellis 2018; Skehan 2016). Und wenn van den Branden (2016) als einer der aktivsten Akteure auf diesem Themenfeld durchaus selbstkritisch bezweifelt, ob es weltweit überhaupt Leh‐ rende gäbe, die das Konzept des aufgabenbasierten Lehrens und Lernens (Task based language teaching/ TBLT) tatsächlich konsequent umsetzten, so ist das ein weiterer deutlicher Ausdruck dafür, dass der Ansatz eher ein akademisches Pro‐ jekt darstellt als ein praxisnahes didaktisches Modell (siehe auch Kap. 2.5). Ein Problem, dass sich nicht zuletzt auf eine einseitige Betonung der Aktivitäten zurückführen lässt. Eine Erwiderung auf van den Brandens Bedenken liefern die Autorinnen und Autoren dieses Buches. In vier Teilstudien dokumentieren sie Antworten auf die eingangs genannten Fragen anhand eines konkreten Lehr- und Lernumfeldes - dem Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio. Und sie widerlegen dabei van den Brandens Skepsis, denn in diesem Programm werden - das kommunikative Paradigma konsequent weiterführend - der inhaltsbasierte und der aufgabenbasierte Ansatz auf sehr entschlossene Art und Weise miteinander verknüpft. Die Studie kann somit veranschaulichen, wie das Zusammenspiel von relevanten Inhalten (Kap. 2.4), anspruchsvollen Aufgaben (Kap. 2.5) und dialogischen Lernprozessen (Kap. 2.6) in der Praxis des DaF-Unterrichts vor dem Hintergrund der Bedingungen an japanischen Universitäten gestaltet werden kann. Es wird zugleich deutlich, welche Möglichkeiten dieses Konzept von Fremdsprachenunterricht eröffnet und vor welche Herausforderungen es Lehrende wie Lernende stellt. 10 Michael Schart <?page no="11"?> Auch hinsichtlich des Untersuchungsdesigns zeichnet sich die Studie durch eine besondere Herangehensweise aus, denn sie vereint mehrere Forschungs‐ perspektiven, die auf der Basis unterschiedlicher methodologischer und metho‐ discher Überlegungen dieselben Daten fokussieren. Das ermöglicht nicht nur eine detaillierte Untersuchung des Geschehens vor Ort, sondern macht zugleich am Beispiel eines unterrichtlichen Kontextes deutlich, welchen Beitrag ver‐ schiedene Ansätze in der Fremdsprachenforschung zu einem besseren Ver‐ ständnis der Lehr- und Lernprozesse leisten können - aber auch, wo ihre je‐ weiligen Grenzen liegen. Die vier vertretenen Perspektiven nehmen jeweils ein eigenes Kapitel dieses Buches ein. Nachdem in einem Überblickskapitel das Forschungsdesign des Ge‐ samtprojekts und das untersuchte Unterrichtskonzept dargestellt wurden (Kap. 2), leiten Davide Orlando und Hidemi Hamano mit einer Evaluationsstudie zum empirischen Teil des Buches über (Kap. 3). Sie greifen auf die Daten aus stu‐ dentischen Unterrichtsevaluationen der Studienjahre 2009/ 10 bis 2015/ 216 zu‐ rück, wobei sie sich vor allem auf die Grundstufe (A1/ A2) konzentrieren, diese jedoch auch in den größeren Kontext des gesamten Programms einordnen. Sie stützen sich dabei sowohl auf eine statistische Auswertung als auch auf quali‐ tative Verfahren der Datenanalyse. Die weiteren drei Forschungsperspektiven nutzen einen anderen Daten‐ korpus. In den Studienjahren 2012/ 13 und 2015/ 16 wurde in zwei vergleichbaren Lerngruppen die unterrichtliche Interaktion zu jeweils einer gesamten thema‐ tischen Einheit („Wohlstandsindikatoren“ und „Rechtliche Regelungen zum Pfänden“) aufgezeichnet. Daraus ergaben sich 600 Minuten dokumentiertes Un‐ terrichtsgespräch im Plenum und in Gruppenarbeiten, die komplett transkri‐ biert wurden und den Ausgangspunkt für die drei unterschiedlichen Analy‐ seansätze bilden. Einem soziokulturellen Ansatz folgend untersucht Michael Schart in seiner Teilstudie das Lernen als einen kollektiven Prozess und betrachtet die Interak‐ tionsmuster im Klassenraum (Kap. 4). Er verbindet dabei die soziokulturelle Diskursanalyse (Littleton/ Mercer 2013) mit Verfahren, wie sie zur Untersuchung von Lern-Engagement entwickelt wurden (Lambert et al. 2017; Philp/ Duchesne 2016). Sein Augenmerk liegt auf der Frage, welche Aushandlungsprozesse unter den Bedingungen des oben beschriebenen Unterrichtsdesigns stattfinden, ob bzw. wie die Lernenden zu gemeinsamer Wissensproduktion kommen und welche Rolle dabei die Materialien und die Lehrkraft spielen. Im Unterschied zu vergleichbaren Interaktionsstudien beschränkt er sich nicht auf die sprachbe‐ zogenen Episoden in der Interaktion bzw. jene Phasen, in denen der Austausch auf sprachliche Hürden stößt. Dem Schwerpunkt des Unterrichtskonzepts ent‐ 11 Einleitung <?page no="12"?> 2 http: / / forschung.id-keio.org/ unterrichtsforschung/ clil sprechend, bezieht er auch die thematische Ebene in seine Analyse ein und be‐ schreibt unterschiedliche Niveaus der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Texten bzw. Aufgabenstellungen. Grit Liebscher und Sara Marsh befragen in Kapitel 5 die Interaktionsdaten aus konversationsanalytischer Perspektive. Am Beispiel von Situationen, in denen die Interaktion durch Lachen der Teilnehmenden unterbrochen oder be‐ gleitet wird, verdeutlichen sie, wie sich einzelne Phänomene in der unterricht‐ lichen Interaktion mit der Qualität der Lehr- und Lernprozesse in Verbindung bringen lassen. Ihr Beitrag veranschaulicht das Potenzial, das eine mikroanaly‐ tische Sicht auf eng begrenzte Phasen von Interaktion im Unterricht birgt. Ein weiterer Zugang zu den Daten findet sich in Kapitel 6: Olga Czyzak wählt einen kognitiven Ansatz, denn sie interessiert sich für die individuellen Lern‐ prozesse, die durch das Unterrichtsdesign angeregt werden. Dafür muss sie zu‐ nächst die Interaktionsdaten in ein Format bringen, in welchem sie einer Lern‐ ersprachenanalyse zugänglich werden. Ein Verfahren, das sie eingehend thematisiert, bevor sie die Sprachverwendung der einzelnen Lernenden im Hin‐ blick auf Komplexität, Korrektheit und Wortschatz untersucht. Die Autorin kann dabei aufzeigen, wie sich der Erwerb formaler Strukturen in einem Un‐ terricht ohne grammatischen Syllabus bis zum Zeitpunkt der Aufnahmen nach ca. 6-7 Monaten Unterricht vollzogen hat. Sie liefert damit wichtige empirische Evidenz zur fachdidaktischen Auseinandersetzung um die „richtige“ Balance zwischen Inhalt und Sprache im fach- und sprachintegrierten Unterricht und vergleichbaren Kontexten. In den einzelnen Kapiteln zu den vier genannten Forschungsansätzen geht der Darstellung und Diskussion der Ergebnisse jeweils eine eingehende Be‐ schäftigung mit methodologischen und methodischen Aspekten voraus. Der Band möchte auf diese Weise am Beispiel eines konkreten Untersuchungskon‐ textes auch dazu beitragen, die Interaktionsforschung als bedeutsamen Bereich der Fremdsprachendidaktik weiterzuentwickeln. Und er versteht sich ausdrück‐ lich als eine Einladung, die Daten aus weiteren Blickwinkeln zu betrachten. Alle Daten zum Projekt sind daher frei auf einer Internetseite zugänglich 2 . 12 Michael Schart <?page no="13"?> 2 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext Michael Schart 2.1 Vorbemerkung Die vorliegende Studie ist von Grenzgängen geprägt. Sie lässt sich als Gesamt‐ projekt nicht passgenau einschlägigen Kategorien der Fremdsprachenforschung zuordnen. Sowohl hinsichtlich des Forschungsdesigns als auch beim For‐ schungsgegenstand führt sie Ansätze zusammen, die in der Fremdsprachenfor‐ schung bislang eher getrennt voneinander praktiziert wurden. Dieser unkon‐ ventionelle Charakter der Studie ergibt sich unmittelbar aus ihrer Anlage, denn sie betrachtet unterrichtliches Geschehen in einem konkreten lokalen Kontext aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Gerade darin lag für die Beteiligten ein besonderer Reiz der gemeinsamen Arbeit. Aber zugleich wird es dadurch notwendig, die Problematik der Verortung des Forschungsprojekts etwas aus‐ führlicher darzulegen, was ich mit diesem Kapitel des Bandes leisten möchte. Das Bild von den Grenzgängen lässt sich dabei im buchstäblichen Sinne zu‐ nächst auf uns selbst beziehen, die Forschungsgruppe, die sich zu diesem Projekt zusammengefunden hat. Wir bewegen uns in unserer Arbeit zwischen Sprachen und Kulturen und leben zum größten Teil seit vielen Jahren in Ländern, die wir als zweite oder sogar dritte Heimat empfinden. Aber dieser Aspekt soll nicht im Fokus stehen, wenn ich an dieser Stelle von Grenzgängen spreche. Im Fachbe‐ reich Deutsch als Fremdsprache sind solche beruflichen Biografien wohl eher der Normalfall und Kooperationen, die mehrere Kontinente überspannen, kommt ebenfalls kein Seltenheitswert zu. Weitaus wichtiger erscheint mir der Hinweis darauf zu sein, dass wir auch in unserer alltäglichen Arbeit zwischen zwei Welten pendeln, denn wir überschreiten beständig jene Grenzlinie, die zwischen Theorie und unterrichtlicher Praxis geschaffen wurde. Das liegt in der Natur unserer beruflichen Aufgaben. Es gehört zu den Besonderheiten und großen Vorzügen der DaF-Forschung außerhalb des deutschsprachigen Raumes, dass sie zumeist von Personen betrieben wird, die zur gleichen Zeit auch als Deutschlehrende tätig sind. Beide Aufgabenbereiche wechseln einander ab, <?page no="14"?> 1 Das Konzept für den Unterricht entstand in enger Kooperation mit Hidemi Hamano, der mit mir gemeinsam auch die Lehrveranstaltungen durchführt. gehen ineinander über oder sind - wie im vorliegenden Fall - untrennbar mit‐ einander verwoben. Ein Aspekt, auf den in den folgenden Kapiteln noch mehr‐ fach Bezug genommen wird. In diesem Kapitel möchte ich mich zunächst auf zwei weitere Grenzgänge konzentrieren, die aus meiner Sicht den Charakter dieser Studie in besonderer Weise prägen. Ein erster wird bereits im Titel dieses Buches benannt und auch in der Einleitung angerissen. Er bezieht sich auf den Gegenstand unserer Un‐ tersuchung, einen Lehr- und Lernkontext, von dem sich nicht so genau sagen lässt, ob es sich nun eher um Fremdsprachenunterricht mit inhaltlichem Schwer‐ punkt handelt oder um thematischen Unterricht, der in einer Fremdsprache ab‐ gehalten wird (mehr dazu siehe Kap.2.4 und 2.5). Aber auch mit Blick auf die unterschiedlichen Forschungsansätze über‐ winden wir mit dieser Studie einige der Grenzen, die sich in der empirischen Unterrichtsforschung der letzten Jahrzehnte etabliert und bedauerlicherweise auch verfestigt haben. Unser multiperspektivisches Vorgehen setzt somit not‐ wendigerweise forschungsmethodologische und -methodische Überlegungen voraus, denen ich mich im folgenden Abschnitt ausführlicher zuwenden werde. Dabei geht es zum einen um die unterschiedlichen Rollen der Beteiligten im Forschungsprozess und angemessene Verfahren der Datenerhebung, -aufberei‐ tung und -analyse. Zum anderen wird aber auch zur Sprache kommen, wie un‐ terschiedlich der Prozess des Fremdsprachenlernens in den einzelnen Teilstu‐ dien konzipiert wurde, um das Unterrichtsgeschehen in einem möglichst facettenreichen Bild nachzeichnen zu können. 2.2 Forschungsperspektiven 2.2.1 Impulse Der Beginn des Forschungsprojekts, das die Autorinnen und Autoren in diesem Band aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten werden, lässt sich nicht genau datieren. Es reiht sich nahtlos ein in eine Folge von Studien, die während der letzten 15 Jahre im Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juris‐ tischen Fakultät der Keio Universität Tokio durchgeführt wurden (Kap. 2.8.2). Ein entscheidender Impuls ging jedoch von einer curricularen Veränderung im Jahr 2009 aus. Zu dieser Zeit wagten wir - u. a. als Konsequenz aus einer um‐ fassenden Evaluation des Programms in den vorangegangenen Jahren - eine Neuausrichtung mit ungewissem Ausgang: Wir 1 stellten einen der Anfänger‐ 14 Michael Schart <?page no="15"?> kurse konsequent auf die Prinzipien des aufgaben- und inhaltsbasierten Unter‐ richts um. Seit diesem Neubeginn vor nunmehr fast zehn Jahren konzipieren wir die Aufgaben mit dem Anspruch, kollaborative Interaktion bzw. kollaboratives Lernen im Klassenraum zu fördern. Die Beschäftigung mit formalen Fragen der deutschen Sprache verlagern wir in reflexive Phasen, die der inhaltlichen Arbeit immer unterbzw. nachgeordnet sind. Alle Materialien werden nach inhaltli‐ chen Kriterien erstellt. Sie zeichnen sich durch einen relativ hohen Grad an Komplexität aus und bieten damit vielfältige Möglichkeiten zum selbstständigen Experimentieren und Entdecken. Die Lernenden sollen durch die Kombination von herausfordernden Aufgabenstellungen und Themen ermutigt werden, die Fremdsprache intensiver als zuvor bedeutungsbezogen und kreativ zu benutzen (siehe Kap. 2.5). Im Zuge der Umstellung des Unterrichtskonzepts begannen wir zugleich damit, verstärkt Inhalte aus dem Fachstudium (Fachbereiche Jura und Politik‐ wissenschaft) bereits in die ersten Unterrichtsmonate zu integrieren. Wir ver‐ suchen also, Überlegungen zum aufgabenbasierten Unterricht (TBLT), wie sie etwa von Samuda/ Bygate (2008) oder Willis/ Willis (2007) vorgelegt wurden, mit inhaltsbasierten Konzepten zu verbinden und unter den Bedingungen unseres Lehr- und Lernkontextes möglichst stringent umzusetzen (zum Unterrichts‐ konzept siehe ausführlicher Kap. 2.3 bis 2.6). Es war nicht so, dass wir uns blauäugig in diese Herausforderung begaben. Van den Brandens (2006: 1) Bedenken hinsichtlich der Alltagstauglichkeit der akademischen TBLT-Konzeptionen war für uns zu diesem Zeitpunkt weit mehr als eine Vermutung. Da wir in den Jahren zuvor bereits vielfältige Erfahrungen mit aufgaben- und inhaltsbasierten Unterrichtssettings gesammelt hatten - manche eher ernüchternd (Schart 2008), andere ermutigend (Schart 2005; Schart et al. 2010; siehe auch Kap. 2.8.2) - , waren wir uns im Klaren darüber, dass uns diese Form des Unterrichtens vor vielfältige Schwierigkeiten und Hindernisse führen würde. Wir wussten beispielsweise, mit welchen Bedenken und Wider‐ ständen wir auf Seiten der Studierenden zu rechnen hatten. Wir konnten somit absehen, dass uns ein langwieriger Prozess bevorstehen würde, in dem ver‐ schiedene Komponenten aufeinander abzustimmen wären: nicht nur die Mate‐ rialentwicklung oder die Gestaltung der Interaktionsmuster, sondern auch As‐ pekte wie die Unterrichtsatmosphäre oder die Erwartungshaltungen sowie die Wahrnehmung des Geschehens auf Seiten aller Beteiligten. Unser gestalteri‐ scher Enthusiasmus war daher von Beginn an immer eingehegt von einer selbst‐ kritischen Haltung und der Frage: Was bedeutet dieser Wechsel der Unterrichts‐ 15 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="16"?> 2 Einige theoretische Abschnitte dieses Bandes beruhen auf früheren Arbeiten und sind entsprechend gekennzeichnet. So geht dieser Abschnitt auf den theoretischen Teil der Studie von Mohr/ Schart (2016) zurück. 3 Im Umfeld der Fremdsprachendidaktik gehören dabei practioner research, teacher re‐ search, reflective practice, exploratory practice und practioner teacher inquiry zu den ver‐ breitetsten. konzeption eigentlich für die Lernenden, für die Lernprozesse und für uns als verantwortliche Lehrende? Somit ist das Erkenntnisinteresse, das dieser Studie zugrunde liegt, genuin aktionsforschender Natur, auch wenn es sich im Verlauf des Forschungspro‐ zesses weiterentwickelte und sich letztlich zu einem multiperspektivischen Pro‐ jekt mit mehreren Fragestellungen auffächerte. Unser wichtigstes Anliegen war und ist es, ein deutlicheres Bild von den Auswirkungen des eigenen Handelns als Lehrende zu bekommen, als dies durch spontane Reflexionen im oder nach dem Unterricht möglich ist. Diese ursprüngliche Motivation bringt es mit sich, dass der Charakter der vorliegenden Studie von den besonderen Merkmalen der Aktionsforschung geprägt wird (vgl. Altrichter et al. 2018: 113ff; Schart/ Schocker 2013). 2.2.2 Aktionsforschung Die Aktionsforschung 2 basiert auf dem bereits von Dewey (2012 [1916]: 142) formulierten Grundgedanken, dass Forschung kein Privileg von Personen dar‐ stellen dürfe, die sich hauptberuflich mit akademischer Wissensproduktion be‐ schäftigen. Und er verwies in seinen Arbeiten immer wieder auf die Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern, ihre alltäglichen Erfahrungen mit Unterricht und Schule eingehend zu reflektieren und anhand der gewonnenen Erkenntnisse das eigene Handeln zu verbessern. Seit Deweys Tagen erlebte die Idee von for‐ schenden Lehrenden jedoch eine sehr wechselvolle Geschichte: Zeiten der be‐ sonderen Aufmerksamkeit folgten Jahrzehnte, in denen sie kaum Beachtung fand. Sie wurde immer wieder neu entdeckt und mit unterschiedlichen Akzent‐ setzungen beschrieben, so dass sie uns heute in einer zuweilen verwirrenden Vielfalt von Begriffen begegnet: als Aktionsforschung oder Handlungsfor‐ schung, LehrerInnenforschung oder Praxisforschung (siehe auch Altrichter et al. 2014: 285f). Noch weitaus facettenreicher stellt sich die Situation im eng‐ lischsprachigen Raum dar, wo sich unter dem Oberbegriff action research zahl‐ reiche Konzepte subsumieren lassen. 3 Ungeachtet der Unterschiede im Detail und der - nicht immer überzeugenden - gegenseitigen Abgrenzungsbemühungen steht bei all diesen Konzepten das bereits von Dewey vorgezeichnete Prinzip im Zentrum: Lehrende arbeiten kon‐ 16 Michael Schart <?page no="17"?> 4 vgl. Legutke (2008); Legutke/ Rotberg (2018); Schocker-von Ditfurth (2001); Warneke (2007) tinuierlich und selbstverantwortlich an der Weiterentwicklung ihres Arbeits‐ umfeldes, indem sie die eigene Praxis systematisch untersuchen. Mit der so ge‐ wonnenen empirischen Evidenz ergänzen sie ihre Intuition und ihre Erfahrungen. Sie schaffen sich gleichsam einen weiteren Trittstein, der ihnen Standsicherheit verleiht, wenn sie in den komplexen, ungewissen und mitunter auch paradoxen Situationen ihres Berufsalltags Entscheidungen treffen müssen (vgl. Schart/ Legutke 2012: 157ff). Seit den 1990er Jahren lässt sich beobachten, wie dieses Verständnis von Pro‐ fessionalität eine stetig wachsende Bedeutung erfährt und sich in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrenden etabliert. 4 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Diskussionen um die Aktionsforschung von Beginn an immer auch geprägt waren von den Zweifeln an ihrer Realisierbarkeit und ihrem Potenzial. Kritisiert wurden und werden in erster Linie all jene As‐ pekte, die diese Form einer vermeintlichen Laienforschung vor dem Hinter‐ grund akademischer Qualitätskriterien als mangelbehaftet erscheinen lassen. Die Argumente der Skeptiker haben über die zurückliegenden Jahrzehnte hinweg mehrfach ausführliche Erwiderungen erfahren - von Blum (1955) über Altrichter (1990: 157ff), Zeichner/ Noffke (2002) bis hin zu Greenwood (2015). Sie brauchen daher an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert zu werden. Ich möchte mich hier auf die beiden zentralen Kritikpunkte an einer von Lehrenden in Eigenregie betriebene Forschung konzentrieren: Sie betreffen zum einen das methodische Vorgehen beim Forschungsprozess und zum anderen die Art des generierten Wissens. Im Hinblick auf die wissenschaftlichen Gütekriterien ist die Kritik an der Aktionsforschung leicht nachvollziehbar. Daten zu sammeln und sie zu struk‐ turieren, ergibt noch keine Wissenschaft, wie Greenwood (2002: 136) treffend bemerkt. Wer einen bestimmten Wissenschaftsbereich mit neuen Erkenntnissen bereichern will, kommt nicht umhin, die Vorleistungen anderer Forscherinnen und Forscher zu rezipieren und sich mit den methodologischen und methodi‐ schen Gepflogenheiten des betreffenden Gebietes auseinanderzusetzen. Güte‐ kriterien wie die Objektivität, verstanden als Distanz zum untersuchten Gegen‐ stand, und die Validität, verstanden als Gültigkeit und Generalisierbarkeit der Ergebnisse, können dabei - je nach Fragestellung und Gegenstand - unerläss‐ liche Qualitätskriterien darstellen. Die Schwäche dieser Argumentation zeigt sich jedoch, sobald man die Be‐ weggründe forschender Lehrerinnen und Lehrer in Augenschein nimmt. Einen 17 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="18"?> 5 beispielsweise das Konzept der potentially exploitable pedagogic activities bei Hanks (2015), siehe auch Cooke (2013), Mennim (2012), Rowland (2011), Schart (2013b) 6 siehe die Praxiserkundungsprojekte (PEPs) im Programm Deutsch Lehren Lernen (Le‐ gutke/ Rotberg 2018; Mohr/ Schart 2016) oder die Classroom Action Research Projects (CARPs) aus dem E-Lingo-Projekt (Legutke 2008, Benitt 2015) Beitrag zur Wissenschaft zu leisten, gehört sicher nicht zu ihren dringlichsten Anliegen. Ihr Fokus ist vielmehr auf das eigene Arbeitsumfeld gerichtet. Der Versuch, persönliche Distanz zum Untersuchungsfeld zu schaffen, wäre somit geradezu kontraproduktiv. Und auch die Forderung nach generalisierbaren Er‐ kenntnissen erscheint aus dieser Perspektive wenig zielführend. Ausschlagge‐ bend ist letztlich, ob bzw. in welcher Weise der Forschungsprozess dazu beiträgt, die Praxis besser zu verstehen und sie weiterzuentwickeln. Deshalb können forschende Lehrkräfte auch auf den zweiten der oben ge‐ nannten Kritikpunkte - die Zweifel am Wert des generierten Wissens - mit Gelassenheit reagieren, liegt es doch im Wesen von Aktionsforschungspro‐ jekten begründet, dass idiosynkratische Erkenntnisse entstehen. Eine enge Bin‐ dung des Wissens an einen lokalen Kontext erscheint unabdingbar und es ist für die Qualität solcher Unternehmungen vollkommen unerheblich, ob dabei der Stand des wissenschaftlichen Diskurses letztlich nur ein weiteres Mal be‐ stätigt wird. Diese Sichtweise „demystifiziert“ (Bray et al. 2014) den akademi‐ schen Betrieb und stellt das traditionelle Prestigefälle zwischen Wissenschaft und Unterricht in Frage: eine nicht zu unterschätzende Triebkraft für das pro‐ fessionelle Selbstbewusstsein von Lehrenden. Möglich wird diese Form von Aktionsforschung aber erst dadurch, dass Leh‐ rende für ihre Untersuchungen auf Instrumente zur Datengewinnung und -ana‐ lyse zurückgreifen können, die sie trotz ihrer vielfältigen Arbeitsaufgaben hand‐ haben können. Prinzipiell steht ihnen zwar der gesamte Werkzeugkasten der empirischen Sozialforschung zur Verfügung, doch die begrenzten Ressourcen erfordern eine sehr genaue Abwägung von Aufwand und Nutzen. Und so sind in den letzten Jahren vielfältige alltagskompatible Ansätze von Aktionsfor‐ schung entstanden. Sie sollen Lehrende dabei unterstützen, die kritische Refle‐ xion des eigenen Arbeitsumfeldes mit Evidenz anzureichern, ohne dafür einen wissenschaftlich fundierten und dementsprechend aufwändigen Forschungs‐ prozess initiieren zu müssen. Zu solchen alltagskompatiblen Verfahren gelangt man beispielsweise, indem man übliche Lernaufgaben zugleich auch nutzt, um Daten über Lernprozesse zu gewinnen 5 , oder indem man Modelle bereitstellt, an denen sich Lehrende bei ihren Untersuchungen orientieren können 6 . Sofern Lehrende ihre Aktionsforschung als eine Strategie der beruflichen Weiterentwicklung und der Verbesserung von Schule und Unterricht konzi‐ 18 Michael Schart <?page no="19"?> pieren, brauchen sie akademischen Qualitätsstandards nur sehr bedingt gerecht zu werden. Sie müssen weder generalisierbares Wissen anstreben noch sich punktgenau im wissenschaftlichen Diskurs verorten. Was in erster Linie zählt, ist die ökologische Validität des hervorgebrachten lokalen Wissens im Sinne der Bewährung im Unterrichtalltag. Der Frage, mit welcher Intention Lehrerinnen und Lehrer beginnen, ihr berufliches Umfeld systematischer in den Blick zu nehmen, und in welcher Rolle sie sich selbst dabei sehen, kommt somit eine maßgebliche Bedeutung zu. Diesem Punkt möchte ich mich daher genauer zu‐ wenden. 2.2.3 Rollenfindung Für mich als einen der Lehrer in all jenen Kursen, aus denen die Daten für dieses Forschungsprojekt stammen, nahm die Studie ihren Ausgang an der Reflexion des eigenen Unterrichts. Ich wollte wissen, inwiefern es mir gelingt, durch das Zusammenspiel von Aufgaben, Materialien und Lehrerhandeln Räume für dia‐ logische Lernprozesse zu schaffen. Wie ich weiter unten (Kap. 2.6) noch aus‐ führlicher beschreiben werde, ging es mir also darum, zu einem besseren Ver‐ ständnis der interaktiven Prozesse im Klassenraum zu gelangen. Damit sind zunächst zwei zentrale Merkmale der Aktionsforschung angesprochen: Die Studie setzt an Themen an, die sich unmittelbar aus der Unterrichtspraxis er‐ geben und sie wird von den betroffenen Lehrenden selbst konzipiert und durch‐ geführt. Meine Rolle verstand ich somit von Beginn an als die eines forschenden Lehrers. Ich kann mich also im weiteren Textverlauf nicht als vermeintlich ob‐ jektiver Beobachter hinter der Analyse eines Geschehens verbergen, an dessen Zustandekommen ich unmittelbar beteiligt war. Die persönliche Einbindung in die untersuchten Prozesse werde ich daher immer wieder thematisieren. Eine weitere Besonderheit der Aktionsforschung liegt darin, dass sie auf langfristige Forschungszyklen setzt. Auch das trifft auf diese Arbeit zu, denn sie ist - wie im Detail noch zu zeigen sein wird - eng verknüpft mit weiteren Stu‐ dien, die sich demselben Unterrichtskontext widmen. Als im Jahr 2003 mit der empirischen Erforschung des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio begonnen wurde, geschah dies unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit und in der Überzeugung, dass eine kontinuierliche Entwicklung von Curriculum und Unterrichtsgestaltung nur auf dem Fundament evidenzbasierter Entscheidungen möglich sein würde (siehe Kap. 3). Dass dieses Fundament durch unterschiedliche Perspektiven auf das Geschehen und methodische Herangehensweisen an Stabilität gewinnen würde, lag auf der Hand. Und so wurden von Beginn an kleinere Aktionsforschungs‐ 19 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="20"?> 7 auch bekannt unter den Bezeichnungen Design Based Research, Development Research, Design Experiments u. a. m. (Bakker 2018: 4; McKenney/ Reeves 2012) projekte, die ich in einzelnen Lerngruppen durchführte, durch umfassendere Untersuchungen ergänzt, an denen auch andere Forschende teilnahmen. Auch in der vorliegenden Studie war es daher ein naheliegender Schritt, nach Möglichkeiten zu suchen, weitere interne und externe Kolleginnen und Kol‐ legen in den Forschungsprozess zu integrieren. In diesem Bestreben, verschie‐ dene Sichtweisen einzubinden und das Projekt zugleich in der professionellen Gemeinschaft von Lehrenden zu verankern, spiegeln sich typische Eigenarten von Aktionsforschung. Zugleich führt diese Erweiterung jedoch auch dazu, dass der Charakter der Studie mit dem Begriff der Aktionsforschung nur unzurei‐ chend beschrieben werden kann. Da wir uns als Forschungsgruppe verstehen, die neben der kontinuierlichen Programmentwicklung auch einen Beitrag zur Wissensgenese in den Bereichen Deutsch als Fremdsprache bzw. in der Fremd‐ sprachenforschung leisten möchte, weist unser Projekt ebenso einige Gemein‐ samkeiten zum Konzept der Entwicklungsorientierten Forschung auf, was ich im Folgenden detaillierter begründen werde. 2.2.4 Entwicklungsorientierte Forschung Es gibt eine Reihe guter Gründe dafür, weshalb die vorliegende Studie neben der Aktionsforschung zugleich auch der Entwicklungsorientierten Forschung 7 zu‐ gerechnet werden kann. In der Fremdsprachenforschung der letzten Jahre trifft dieser Ansatz auf stetig wachsende Resonanz, was sich meines Erachtens auf die Hoffnung zurückführen lässt, endlich einen Weg gefunden zu haben, die oft beschriebene und viel kritisierte Kluft zwischen Theorie und Praxis zu über‐ winden. Die Entwicklungsorientierte Forschung verheißt somit dem akademi‐ schen Betrieb, seine Legitimation gegenüber der Praxis zu stärken. Auch die Fachdidaktiken haben diesen Ansatz im Rahmen ihrer Bestre‐ bungen, das forschende Lernen zu fördern, für sich entdeckt (z. B. unter der Bezeichnung „Fachdidaktische Entwicklungsforschung“, Prediger et al. 2012). Er wird als eine effektive Möglichkeit wahrgenommen, um Studierende mit dem Einsatz empirischer Methoden vertraut zu machen, die Herausbildung einer „forschenden Grundhaltung“ bei angehenden Lehrerinnen und Lehrern zu för‐ dern (Wissenschaftsrat 2001, siehe auch Fichten 2017; Lehmann/ Mieg 2018) und nicht zuletzt, um Brücken aus der Welt der Theorie in den unterrichtlichen Alltag zu schlagen (z. B. Grünewald et al. 2014; Lindner/ Mayerhofer 2017). Die wissenschaftlich reflektierte Auseinandersetzung mit dem Design von Praxis wird so zu einem wichtigen Element der Vorbereitung auf die künftige Berufs‐ 20 Michael Schart <?page no="21"?> tätigkeit, wodurch sich wiederum die Lehramtsausbildung ihrem Charakter nach anderen Professionswissenschaften wie etwa der Architektur oder der In‐ formatik annähert. Aus akademischer Perspektive fällt dabei die Abgrenzung zur oben ge‐ nannten Aktionsforschung leicht. Beide tragen zwar interventionistischen Cha‐ rakter, aber letztere - so eine verbreitete Sichtweise - werde vornehmlich von Lehrenden selbst betrieben und kümmere sich um die Lösung vermeintlich kleinteiliger praktischer Probleme oder das Verstehen eng begrenzter Situa‐ tionen (vgl. Bakker 2018: 15). Die Entwicklungsorientierte Forschung tritt hin‐ gegen mit dem Anspruch auf, pädagogische Innovationen auf der Basis von Theoriewissen zu konzipieren und deren Umsetzung in der Unterrichtspraxis systematisch in einem iterativen Prozess zu untersuchen, um die Ergebnisse dann wieder in die wissenschaftliche Theoriebildung einspeisen zu können. Ein erstes spezifisches Merkmal der Entwicklungsorientierten Forschung in der Fachdidaktik ergibt sich demnach aus der engen Verknüpfung von theore‐ tischen und unterrichtspraktischen Aspekten. Im Unterschied zum experimen‐ tellen Zugang zu Lehr- und Lernprozessen, wie er beispielsweise von der psy‐ cholinguistischen Fremdsprachenforschung praktiziert wird, geht es nicht darum, die Faktorenvielfalt des Unterrichtsgeschehens auf laborähnliche Be‐ dingungen zu reduzieren. Vielmehr akzeptiert die Entwicklungsorientierte For‐ schung die Komplexität gelebter Praxis und versucht, an deren Verbesserung mitzuwirken. Nicht das Überprüfen von Theorien steht im Fokus, sondern das Übersetzen von Theorien in einen konkreten unterrichtlichen Kontext. Als Er‐ gebnis entstehen Ideen für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung unter‐ richtlicher Arrangements. Sie können zu neuen Materialien ebenso führen wie zu innovativen Lösungen für einzelne Unterrichtsaktivitäten oder komplette Programme. Immer jedoch wird die Intervention holistisch gedacht. Sie ergibt sich erst aus der Abwägung der im betreffenden Praxisumfeld wirkenden Fak‐ toren und Interessen. In diesem Sinne muss sie als ein „Produkt eines Kontextes“ (Reimann 2005: 63) gesehen werden. Die Qualität der Entwicklungsorientierten Forschung zeigt sich daher zunächst - und dabei deutliche Parallelen zur Akti‐ onsforschung aufweisend - an der Innovationskraft der eingebrachten Ideen, der Nützlichkeit der Intervention und auch ihrer Nachhaltigkeit (Bakker/ van Eerde 2015: 6; Reinmann 2005). Die zentrale Frage bei diesem Forschungsansatz ist somit, ob es den Han‐ delnden tatsächlich gelingt, sich auf die Komplexität eines unterrichtlichen Kontextes einzulassen und erfolgreich Weiterentwicklungen in der Unterrichts‐ praxis anzustoßen. Dem steht die Gefahr entgegen, die Rolle des Interventions‐ designs überzubetonen, wie Richter/ Allert (2017) anmerken. Denn das würde 21 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="22"?> 8 siehe auch Bakker (2018); Euler (2014a); Plomp (2013) den Forschungsprozess auf seine technologischen Aspekte verengen. Sie emp‐ fehlen daher als naheliegende Maßnahme, die Handelnden in der Praxis mög‐ lichst umfassend zu beteiligen, womit freilich auf eine weitere Verbindungslinie zur Aktionsforschung verwiesen wird. Das zweite spezifische Merkmal der Entwicklungsorientierten Forschung wird darin gesehen, dass die Akteurinnen und Akteure im folgenden Schritt auch die Verantwortung für ihre theoriebasierten Entwürfe übernehmen und der Frage nachgehen, welche Folgen sich aus diesen für den unterrichtlichen Alltag ergeben. Dafür steht ihnen die gesamte Palette der empirischen Verfahren zur Verfügung, denn die Entwicklungsorientierte Forschung versteht sich nicht als eine Forschungsmethode, sondern eher als ein forschungsmethodologischer Rahmen. Es wird ein iterativer Prozess in Gang gesetzt, um die Auswirkungen der Intervention gleichlaufend zu ihrer praktischen Umsetzung zu erfassen und auf der Grundlage datenbasierter Einsichten das Design immer wieder neu an‐ zupassen. Die Unterschiede zur Aktionsforschung ergeben sich dabei wohl vor allem durch die Konsequenz, mit der die Instrumente empirischer Sozialfor‐ schung Anwendung finden und sind somit nicht grundsätzlicher, sondern al‐ lenfalls gradueller Natur. Dass die Ergebnisse aus solchen praktischen Problemlösungen dann wie‐ derum - vor allem in Form von Design-Prinzipien - in die Theoriebildung ein‐ fließen, macht das dritte spezifische Merkmal der Entwicklungsorientierten Forschung aus. 8 Dieser Anspruch erzeugt jedoch ein Spannungsfeld zwischen der bereits genannten praktischen Relevanz als Gütekriterium und jenen An‐ forderungen, die an die Qualität wissenschaftlicher Theoriebildungsprozesse gestellt werden. Als Lösungsmöglichkeit bietet es sich an, die unterschiedlichen Perspektiven von Forschung und Praxis zum ersten anzuerkennen und zum zweiten zielgerichtet als Quelle für den Erkenntnisgewinn zu nutzen (Brahm/ Jenert 2014: 50). Mit ihrer Akzentuierung der Genese theoretischen Wissens hebt sich die Entwicklungsorientierte Forschung also zunächst deutlich von der Ak‐ tionsforschung ab, um sich ihr jedoch im nächsten Schritt gleich wieder anzu‐ nähern. Diese Widersprüchlichkeit tritt auch an der Frage zu Tage, welche Reichweite die aus Entwicklungsorientierter Forschung resultierenden Theorien anstreben sollten. Während etwa Prediger (2018) den lokalen Charakter der Theorien er‐ wähnt und damit - der Aktionsforschung gleich - die ökologische Validität be‐ tont, sehen andere Autorinnen und Autoren (z. B. Barab/ Squire 2004; Collins et al. 2004; McKenney/ Reeves 2012: 8) den Wert dieses Vorgehens gerade in der 22 Michael Schart <?page no="23"?> 9 Euler (2014b: 18); McKenney/ Reeves (2012: 38); Sloane (2014: 125) externen Validität der Forschungsergebnisse. Sie verweisen auf das Potenzial, auch solche Theorien bzw. Gestaltungsprinzipien zu formulieren, die weit über den begrenzten Kontext hinausweisen, in dem sie entstanden sind. Diese beiden Interpretationen zur Reichweite der Theoriebildung bei Ent‐ wicklungsorientierten Forschungsprojekten schließen sich bei genauerer Be‐ trachtung allerdings nicht aus. Es muss vielmehr von einem Kontinuum an Möglichkeiten ausgegangen werden. 9 Sie sind mithin eher ein Zeichen für die Variabilität des Ansatzes. Sowohl bei den Zielsetzungen als auch bei den Ge‐ genständen und den beteiligten Personen bieten sich verschiedenartige Kon‐ stellationen an (Cobb et al. 2003: 9f; van den Akker 2013: 62ff). So kann diese Art von Forschung beispielsweise eingesetzt werden, um theo‐ retische Prinzipien in ein konkretes Umfeld zu überführen. Diese Variante findet sich beispielsweise dann, wenn - wie bereits eingangs dieses Kapitels erwähnt - Entwicklungsorientierte Forschung in die Ausbildung angehender Lehrender integriert wird (z. B. Gess et al. 2017; Grünewald et al. 2014; Prediger 2018). Der Ansatz erfüllt in solchen Fällen in erster Linie die Funktion, den Studierenden die Relevanz wissenschaftlicher Konzepte für Belange des Unterrichtsalltags näher zu bringen und damit ihren Professionalisierungsprozess zu unterstützen. Eine ganz andere Situation ergibt sich, wenn es zu Kooperationen zwischen Akteuren aus der Wissenschaft und der schulischen Praxis kommt, wenn also Lehrende oder auch Schulverwaltungen nach Lösungen für ein bestehendes Problem in ihrem lokalen Kontext suchen und dabei auf akademische Expertise zurückgreifen (z. B. Sloane 2014: 116). Nicht nur die Zielsetzung der Entwick‐ lungsorientierten Forschung verschiebt sich dadurch, sondern vor allem auch die Rollenverteilung der Beteiligten. Dass letztlich die Definition der Rollen aller Beteiligten auch in der Entwicklungsorientierten Forschung ein entscheidendes Moment darstellt, wie Euler (2014b: 20) hervorhebt, tritt an dieser Stelle beson‐ ders deutlich zum Vorschein. So spricht prinzipiell nichts dagegen, dass Leh‐ rende diesen Forschungsansatz selbstverantwortlich anwenden, ohne zusätzlich externe Forschende als Experten hinzuzurufen. Gerade wenn sich die Untersu‐ chung auf die Praxis des Hochschulunterrichts selbst bezieht, liegt diese Vari‐ ante natürlich besonders nahe und sie wird im Bereich der Fremdsprachendi‐ daktik der letzten Jahre auch zunehmend praktiziert (Aguado et al. 2013; Egbert et al. 2015; Hung 2017; Moreno/ Kilpatrick 2018). Allerdings verdeutlicht diese Tendenz auch einmal mehr, wie schwierig es ist, die Entwicklungsorientierte Forschung von der Aktionsforschung abzu‐ 23 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="24"?> 10 weiterführend zu dieser Problematik Collins et al. (2004); Hathaway/ Norton (2018) 11 Dieser Abschnitt basiert in Teilen auf Schart (2013a). grenzen. 10 Für die vorliegende Studie lässt sich aus diesen Überlegungen der Schluss ziehen, dass sie an der Grenze dieser beiden Forschungsansätze anzu‐ siedeln ist. Wie ich im vorangegangenen Abschnitt zeigte, folgt sie einerseits einem aktionsforschenden Impetus. Ich wollte als Lehrer der betreffenden Klassen in Erfahrung bringen, was eigentlich die Interaktion in meinem Unter‐ richt ausmacht und welche typischen Muster sich erkennen lassen. Es ging also zunächst um das Verstehen, Erklären und Verbessern einer konkreten unter‐ richtlichen Situation. Andererseits untersucht dieses Forschungsprojekt aber nicht nur, was ist, sondern auch, was sein könnte, um eine prägnante Definition Entwicklungsorientierter Forschung von Schwartz et al. (2005: 2) aufzugreifen. Damit schließt es sich deren Anspruch an, auch Vorhersagen über Lehr- und Lernprozesse zu treffen und Designprinzipien zu formulieren (Bakker 2018: 8). Die Studie macht sich somit die Synergieeffekte nutzbar, die sich durch die Grenzgänge zwischen Forschungsansätzen ergeben. Den Prinzipien der Ent‐ wicklungsorientierten Forschung folgend, bindet sie Theorien an einen kon‐ kreten Kontext, sie beschreibt, wie auf dieser Basis Innovationen entwickelt wurden und begleitet deren Umsetzung aus verschiedenen Perspektiven. Die Untersuchung soll effektive praktische Lösungen für die Integration fachorien‐ tierter Materialien in den Anfängerunterricht und für die Organisation dialog‐ ischer Lernprozesse finden. Sie soll Aufschluss darüber erbringen, in welcher Weise dieses Design in der Unterrichtspraxis wirkt. Und nicht zuletzt soll sie einen Beitrag leisten zur Theoriebildung im Bereich des fach- und sprachinte‐ grierten Unterrichts. Und in all diesen Zielsetzungen spiegeln sich die metho‐ dischen Prinzipien Entwicklungsorientierter Forschung, wie ich sie in diesem Abschnitt nachgezeichnet habe. 2.2.5 Evaluationsforschung Es klang bereits in der Einleitung an, dass noch ein weiterer Forschungsansatz Beachtung finden muss, wenn man den Charakter der vorliegenden Studie um‐ fassend beschreiben möchte: die Evaluationsforschung 11 . In jener Spielart je‐ doch, wie sie in diesem Forschungsprojekt eingesetzt wird, gestaltet sich die Abgrenzung zu den zuvor besprochenen Forschungsansätzen als schwierig. Der Begriff der Evaluation steht hier für eine Forschungsmaßnahme, die das untersuchte Programm über viele Jahre hinweg begleitet und dabei Erkenntnisse für dessen kontinuierliche Weiterentwicklung hervorbringt. Sie trägt also - ebenso wie die Aktionsforschung oder die Entwicklungsorientierte Forschung - 24 Michael Schart <?page no="25"?> deutlich iterative Züge (vgl. Gess et al. 2014). Und da die drei Forschungsansätze zugleich die große Vielfalt an möglichen methodischen Vorgehensweisen teilen, bietet sich einmal mehr der Blick auf die Rollen der Akteurinnen und Akteure an, um sie voneinander zu unterscheiden: Evaluierende Forschende bewerten zwar ein Programm, aber sie sind im Unterschied zur Entwicklungsorientierten For‐ schung und auch zur Aktionsforschung nicht an dessen Gestaltung beteiligt. Mit dieser Definition ist zweifellos ein häufig anzutreffendes Wesensmerkmal von Evaluationen in pädagogischen Kontexten erfasst. Sie greift jedoch für die vor‐ liegende Studie zu kurz, weshalb ich in diesem Abschnitt unser Verständnis der Evaluation und ihrer Funktion im Projekt vor dem Hintergrund der theoreti‐ schen Diskussionen zu diesem Forschungsansatz verdeutlichen möchte. Zwei Prämissen sollten jeder Programmevaluation zugrunde liegen: Zum einen die Gewissheit, dass es kein objektives Maß für den Erfolg pädagogischer Unternehmungen geben kann - also keine „Qualität alles in allem“, wie Kromrey (2006: 251) es beschreibt; und damit zum anderen das Wissen darum, dass jede Aussage über die Qualität eines Programms das Nachdenken über Sinn und Zweck der untersuchten Lehr- und Lernprozesse voraussetzt. Ohne engen Bezug zu curricularen Überlegungen fehlt einer Evaluation also der Dreh- und Angelpunkt. Die in einem Curriculum festgehaltenen Bildungsziele entspringen pädago‐ gischen Werturteilen, sind mithin also immer normativer Natur. Aus ihnen wird ersichtlich, welches Bild die für die Programmgestaltung Verantwortlichen von den Lernenden haben und welche Entwicklungen und Lernprozesse sie sich von ihnen erhoffen. Auch ihre Vorstellungen über die Natur des Unterrichtsgegen‐ standes und seine Bedeutung im Bildungsprozess werden deutlich. Nicht zuletzt lassen sich Rückschlüsse über ihre Annahmen von erfolgreichem und effek‐ tivem (Fremdsprachen)Lernen ziehen. Und selbst wenn das Curriculum eines Programms all diese Punkte ausspart und sich auf die Angabe von Unterrichts‐ zeiten, Lerngruppengrößen, zu bearbeitenden Lehrwerken und Prüfungsfor‐ maten beschränkt, wie es im Fall des Deutschunterrichts an japanischen Uni‐ versitäten häufig der Fall ist, kommen diese Werturteile implizit zum Vorschein und entfalten als Teil des hidden curriculum im Unterrichtsalltag ihre Wirkung (vgl. Jackson [1969] 2009). In Kap. 2.3 werde ich daher ausführlich auf die cur‐ ricularen Grundlagen des untersuchten Unterrichts zurückkommen. Gleichwohl entscheidet sich die Qualität eines Programms natürlich nicht daran, ob oder wie überzeugend und umfassend Bildungsziele und Bildungs‐ prozesse curricular vorgezeichnet wurden. Ein Curriculum kann nie mehr dar‐ stellen als eine Hypothese, denn erst im Unterricht selbst, also im Zusammen‐ wirken von Lehrenden, Lernenden, Materialien, Aufgabenstellungen und 25 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="26"?> 12 In ihrem Funktionsmodell erwähnen Stockmann/ Meyer (2014: 154ff) darüber hinaus noch zwei weitere Ansätze mit den Funktionen der Kontrolle und der Legitimation. Diese spielen in der vorliegenden Studie keine Rolle und werden daher nicht themati‐ siert. vielfältigen weiteren Kontextfaktoren nimmt es konkrete Gestalt an. Qualität entsteht immer auf der Ebene des praktischen Handelns und genau dort muss das kritische Nachfragen ansetzen. Ohne eine kontinuierliche Begleitung durch Evaluationsforschung, so die logische Konsequenz, laufen die im Curriculum niederlegten Qualitätsansprüche Gefahr, Luftschlösser zu bleiben oder von den Routinen des Unterrichtsalltags verformt zu werden. In diesem Sinne lassen sich Evaluationen - um es mit einer Metapher von Yang (2009: 77) zu beschreiben - als das Herz eines Programmes verstehen, das alle anderen Elemente mitein‐ ander verbindet und ihnen die notwendige Energie zuführt. Umso erstaunlicher ist es, dass die Evaluationsforschung innerhalb der internationalen Fremdspra‐ chendidaktik zu jenen Forschungsansätzen gezählt werden muss, die sich der‐ zeit eher am Rande der Aufmerksamkeit bewegen (vgl. Norris 2016: 169). Um die Funktion der Programmevaluation in diesem Forschungsprojekt zu verdeutlichen, möchte ich zunächst zwei unterschiedliche Zugangsweisen ge‐ genüberstellen: den diagnostischen Ansatz und den explorativen Ansatz 12 . Ers‐ terer rückt die summative, retrospektive Bewertung in den Vordergrund, fragt also nach dem zählbaren Ertrag von Bildungsprozessen. Die Studie von Pin‐ heiro-Cadd (2018), in der die Auswirkungen einer grundlegenden Reform der Fremdsprachenausbildung an einer US-amerikanischen Universität anhand von Einschreibezahlen und erreichten Noten analysiert werden, ist hierfür ein an‐ schauliches Beispiel. Der diagnostische Ansatz kann zugleich auf Theoriebil‐ dungsprozesse zielen, indem Aussagen über den Effekt bestimmter Maßnahmen (z. B. didaktischer Konzepte) getroffen werden. Zu diesem Zweck werden auf der Grundlage eines (quasi)experimentellen Designs komplexe Wirkungsme‐ chanismen auf wenige Faktoren reduziert und ausgewählte Variablen nach Kau‐ salzusammenhängen untersucht. Ein prototypisches Beispiel aus dem Bereich der Fremdsprachenforschung liefern Klapper/ Rees (2003) mit ihrer Studie zum Grammatikerwerb unter variierenden Unterrichtsbedingungen. Der explorative Ansatz hingegen trägt eher Züge einer formativen Evalua‐ tion. Die Lehr- und Lernprozesse im Programm begleitend sollen dessen Stärken und Schwächen aufgedeckt und Ansatzpunkte für Verbesserungen identifiziert werden (vgl. Scriven 1991: 159; Stockmann/ Meyer 2014: 111ff). Unbestritten ist natürlich, dass es der messbaren Erträge aus diagnostischen Evaluationen bedarf, um die Qualität eines Programms einschätzen zu können (vgl. Gräsel/ Parchmann 2004; Helmke 2009). Doch gerade Bildungsziele, die sich 26 Michael Schart <?page no="27"?> 13 vgl. Doyle (2013: 98f); Helsper (2001); Meyer (2011: 102) auf die Persönlichkeitsentwicklung von Lernenden beziehen, volitionale As‐ pekte des Lernens ebenso berühren wie soziale, widersetzen sich einem Ursache-Wirkung-Denken und können nur langfristig und multiperspektivisch auf ihren Erfolg hin untersucht werden. Das diagnostische Modell von Evalua‐ tion tendiert hingegen dazu, Unterricht auf einen technologischen Akt zu re‐ duzieren, der sich auf den Transfer von vermeintlich gesichertem Wissen oder von Kompetenzen richtet (vgl. die Kritik bei Schön 1983) und sich durch struk‐ turelle Veränderungen steuern lässt. Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass sich Bildungsprozesse vor allem durch die Komplexität des Geschehens auszeichnen, durch Widersprüche und Antinomien 13 . In den Hintergrund tritt die soziale Di‐ mension von Unterricht, die Tatsache also, dass in pädagogischen Programmen Individuen mit ihren je eigenen Persönlichkeiten, Verhaltensweisen, Erwar‐ tungen und Interessen zusammenfinden. Im Miteinander bilden sich Bezie‐ hungen heraus, gemeinsame Routinen oder Rituale, die Breen (1985: 142) als Kultur des Klassenraums beschrieben hat. Dieser besondere Charakter von Bil‐ dungsprozessen macht es nicht nur Lehrkräften unmöglich, Unterricht detail‐ liert zu planen. Er erschwert es auch Forschenden erheblich, kausale Bezie‐ hungen in Lehr- und Lernprozessen aufzudecken. Für die Evaluation von Programmen führen diese Überlegungen zu entschei‐ denden methodologischen und methodischen Konsequenzen: Da eine Fixierung auf ausgewählte Erträge und Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge die Sicht auf die Vielfalt möglicher Faktoren verstellt, die den Programmalltag bestimmen, muss sie sich auch als ein „heuristisches Experiment von Forschung und Un‐ terrichtspraxis“ (Heiner 1998: 25) verstehen. Und genau diese Perspektive wird durch den explorativen Ansatz von Evaluation gestärkt; von Graves (2008: 173) auch als illuminative evaluation bezeichnet. Er will nicht nur einzelne Erträge eines Programms beschreiben, sondern zugleich den Prozessen ihres Zustande‐ kommens näherkommen (Wholey 2015). Das Gelingen und Misslingen praktischen Handelns in sozialen Kontexten soll in seiner Vielschichtigkeit verstanden werden. Der explorative Ansatz be‐ schränkt sich also nicht darauf zu untersuchen, was die Beteiligten zu einem bestimmten Zeitpunkt können oder wissen. Er schließt beispielsweise ebenso die Frage ein, wie sie selbst das Geschehen erleben und deuten. Und er lenkt die Aufmerksamkeit auf die im Programm ablaufenden Prozesse - etwa die Inter‐ aktion im Unterricht, die Veränderung von Einstellungen und Beziehungen oder die Etablierung von Handlungsmustern. Van Lier (2004) bezeichnet diesen um‐ fassenden Blick auf die in Bildungsprogrammen wirkende Faktorenvielfalt als 27 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="28"?> 14 Beispiele finden sich in Graves (2008); Kramsch (2008); Pennington/ Hoekje (2010); Tudor (2003), siehe auch Kap. 2.2.7. 15 vgl. Joss (2001); Stern (2001) „ökologische Perspektive“. Ein Konzept, das sich in der Fremdsprachendidaktik in den letzten beiden Jahrzehnten als sehr inspirierend erwiesen hat. 14 Explora‐ tive Evaluationen stellen eine Möglichkeit dar, eine solche ökologische Per‐ spektive in konkretes Forschungshandeln zu übersetzen und damit die Weiter‐ entwicklung eines einzelnen Programms in einem bestimmten zeitlichen und lokalen Kontext voranzutreiben. Wie Beywl (2006) ausführlich diskutiert, kommt der Stellung der Werte im Gesamtkonzept von Evaluationen eine besondere Bedeutung zu. Der diagnos‐ tische Ansatz strebt in diesem Sinne nach Wertneutralität, liegt doch der Schwerpunkt auf der Gewinnung möglichst objektiver Informationen über das zu untersuchende Programm. Der explorative Ansatz dagegen bezieht den „per‐ sonalen Faktor“ (Patton 2014) ein und muss mit Beywl (2006) als „wertpriori‐ sierend“ bzw. „wertpositioniert“ bezeichnet werden. Er ist dadurch charakte‐ risiert, dass die Entscheidung über die zu untersuchenden Gegenstände und Fragestellungen auf einem Aushandlungsprozess zwischen den beteiligten Per‐ sonen (Stakeholdern) beruht. Deren pädagogische Wertvorstellungen prägen somit den Verlauf der Evaluation entscheidend mit. Gemeinsam wird zunächst geklärt, welche Aspekte des Programms untersuchungswürdig sind. Für den Bereich der Fremdsprachenforschung bieten die Studien von Towell/ Tomlinson (1999) oder Yang (2009) anschauliche Beispiele für ein solches Vorgehen. Wenn aber die unmittelbar involvierten Lehrenden selbst als Initiatoren der Evaluation auftreten, wie es auch in der vorliegenden Studie der Fall ist, stehen sie beständig vor der Herausforderung, eine „dialektische Bewegung zwischen Engagement und Distanzierung“ (Kardoff 2006: 87) bewältigen zu müssen. In diesem Punkt weist die Evaluationsforschung deutliche Parallelen mit der Ak‐ tionsforschung auf. Um angesichts dieser Schwierigkeit nicht in eine „publi‐ kumswirksame Selbstprofilierung“ (Schnell/ Kopp 2001: 32) abzugleiten oder ihrer „Betriebsblindheit“ (Stockmann/ Meyer 2014: 88) zu erliegen, sind verschie‐ dene Gegenmaßnahmen erforderlich. Zum ersten kann es hilfreich sein, externe bzw. nicht unmittelbar mit dem Untersuchungsgegenstand befasste Forschende einzubeziehen, wie wir es auch in dieser Studie praktizieren. 15 Zum zweiten sollte ein hoher Grad an Transpa‐ renz angestrebt werden. Mit unserer Projektseite versuchen wir, diesem An‐ spruch gerecht zu werden. Sie ermöglicht es, alle Forschungsinstrumente und Daten einzusehen und lädt ausdrücklich dazu ein, die Ergebnisse der Analysen nachzuvollziehen und zu hinterfragen. Zum dritten schließlich halte ich es für 28 Michael Schart <?page no="29"?> unabdingbar, die auf die Evaluation einwirkenden Wertvorstellungen zu the‐ matisieren und damit der reflektierten Subjektivität als einem Kernkriterium für die Güte empirischer Forschung (Steinke 2008) nachzukommen. Die eigene Rolle im Forschungsprozess und das persönliche Verhältnis zum untersuchten Gegenstand sind daher Punkte, auf die ich immer wieder zurückkommen werde. Die Diskussion zur Rolle der Werte zeigt, dass Evaluationen - ebenso wie die Gestaltung von Curricula - als politische Prozesse verstanden werden müssen, in denen normative Überzeugungen miteinander ringen. Aber gerade aus diesen Aushandlungsprozessen kann ein besonderer Mehrwert von Evaluationen für eine Institution erwachsen. Denn die gemeinsame Verständigung darüber, welche Kriterien bei der Bewertung einzelner Aspekte des Kurses herangezogen werden sollten, kann entscheidend zu einem Klima der Offenheit und Zusam‐ menarbeit beitragen. Patton (2008) sieht in diesem „Prozessnutzen“ sogar einen der wesentlichen Effekte: Evaluativ zu denken, sich dabei der eigenen Werte bewusst zu werden und diese mit anderen zu diskutieren, hält er für eine not‐ wendige Alternative zur verbreiteten „Outcome-Manie“ wertdistanzierter Eva‐ luationen, bei der die normativen Grundlagen häufig hinter vermeintlich ob‐ jektiven Leistungsmaßen versteckt würden. Aber auch Patton möchte keineswegs auf die Erkenntnisse aus bewertenden, summativen Evaluationen verzichten. In seinem Modell einer „nutzenfokus‐ sierten Evaluation“ finden der diagnostische Ansatz und der explorative Ansatz in einer Synthese zusammen. Nach diesem Verständnis, das auch für die vor‐ liegende Studie richtungsweisend ist, schließen sich die Beschreibung der Ef‐ fektivität eines Programms und das Verstehen des Geschehens vor Ort mit seinen unterschiedlichen Einflussfaktoren nicht aus (vgl. auch Kiely 2009: 32ff). Somit steht der Begriff der Evaluation hier für einen Forschungsprozess, mit dessen Hilfe Informationen über die Struktur von Programmen und die Merk‐ male der in ihrem Rahmen ablaufenden alltäglichen Praxis gewonnen werden, über die Erträge und Auswirkungen des Unterrichts und nicht zuletzt über die Wahrnehmung des Geschehens durch die Beteiligten. Tabelle 2.1 gibt einen Überblick über die Vielfalt an Kriterien, die sich diesem umfassenden Ansatz von Evaluation zufolge anbieten, um die Qualität eines Programms zu beschreiben. Anhand dieser Tabelle möchte ich die Forschungs‐ schwerpunkte verdeutlichen, die wir für die vorliegende Studie gewählt haben. 29 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="30"?> Kriterien Unterkriterien Beispiele für zu untersuchende Aspekte Struktur‐ qualität organisatorische Rahmenbedin‐ gungen Klassengröße, Anzahl der Unterrichts‐ stunden, Prinzipien des Personaleinsatzes Management und Qualitätssi‐ cherung Grundsätze der Curriculumgestaltung, Lehrmethoden und -materialien, Führungs‐ system, Konzepte der Evaluation, Entwick‐ lung und Dokumentation Prozess‐ qualität Lernkultur/ Lernklima Unterrichtsdesign, Leistungsanforde‐ rungen, Umgang miteinander, Kurs als Le‐ bensraum, Formen der Beteiligung Lernprozesse Interaktionsprozesse im Unterricht, Sprech‐ anteile von Lehrenden und Lernenden, Auf‐ gabenverteilung im Unterricht, Gestaltung der Lernzeit außerhalb des Unterrichts Professionalität der Lehrenden berufliches Selbstverständnis, Verhalten ge‐ genüber den Studierenden, Qualifikations‐ profil, Fortbildung Ergebnis‐ qualität Lernergebnisse Arbeitsergebnisse der Lernenden, Fähig‐ keiten, Niveaustufen, Schlüsselqualifika‐ tionen, Abschlüsse/ Qualifikationen Entwicklungs‐ prozesse Zufriedenheit, Persönlichkeitsbildung/ Selbstkompetenz, Engagement Auswirkungen Fluktuation/ Abbrecherquote, Vermittelbar‐ keit, Karrierewege Tab. 2.1: Aspekte von Qualität bei der Evaluation von Bildungsprogrammen (nach Ernst 2006: 194; siehe auch Noris 2016: 177; Scriven 1991: 277ff; Rindermann 1996: 241ff) Zunächst erscheint es an dieser Stelle wichtig, noch einmal darauf zu verweisen, dass nicht das Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio in seiner Gesamtheit den Gegenstand der Untersuchung bildet. Im Fokus liegt vielmehr einer der Grundstufenkurse. Er wird jedes Jahr für Studierende des ersten Studienjahres angeboten und zeichnet sich durch seine konsequente Ausrichtung an den Prinzipien des fach- und sprachintegrierten und zugleich aufgabenbasierten Lernens aus. Es handelt sich also um eine, sich über zwei Semester erstreckende Abfolge von Unterrichts‐ einheiten, die hier als kohärentes Ganzes gesehen wird (vgl. Graves 2008: 149), 30 Michael Schart <?page no="31"?> auch wenn der Kurs selbst wiederum in einen größeren curricularen Rahmen eingebunden ist (ausführlicher dazu Kap. 2.3). Wie ich bereits weiter oben darstellte, geht es uns bei der vorliegenden Studie nicht um die Frage, ob dieses fach- und sprachintegrierte Konzept für die Grund‐ stufe funktioniert. Dem Erkenntnisinteresse von nutzenorientierten Evalua‐ tionen folgend, wollten wir vielmehr wissen, was genau funktioniert, in welcher Weise, mit welchen Konsequenzen und warum - oder auch warum nicht (vgl. Patton 2014: 48). Die Prozessqualität und die Ergebnisqualität liegen somit im Zentrum der Aufmerksamkeit. An Tabelle 2.1 lässt sich jedoch leicht ablesen, dass wir angesichts der Vielzahl von Aspekten, die sich für eine Untersuchung anbieten, eine Auswahl treffen mussten. Die Studie wird sich daher hinsichtlich der Prozessqualität auf die In‐ teraktion im Unterricht und auf die Lernkultur konzentrieren. Bei der Ergeb‐ nisqualität liegt die Aufmerksamkeit zum einen auf der Entwicklung der Ler‐ nersprache und zum anderen auf den Veränderungen der Selbstwahrnehmung der Lernenden, ihrer Einstellung zum Fremdsprachenlernen und ihren weiteren Lernwegen im Gesamtprogramm. Auch der Aspekt der Strukturqualität wird zur Sprache kommen, allerdings nicht als Gegenstand einer empirischen Ana‐ lyse. Kap. 2.3 widmet sich in deskriptiver Form dem curricularen Rahmen und den Grundsätzen der Unterrichtsgestaltung im untersuchten Kurs. 2.2.6 Zwischenbetrachtung Nach der ausführlichen Darstellung der unterschiedlichen Forschungsperspek‐ tiven, die in dieser Studie verknüpft werden, bietet sich an dieser Stelle ein kurzes Zwischenfazit an. Als eine erste Konsequenz aus den bisherigen Über‐ legungen zum Forschungsdesign lässt sich festhalten, dass wir uns an den Grenzlinien mehrerer Forschungsansätze bewegen. Aber was bedeutet das kon‐ kret für die Anlage der Studie? Aus der Aktionsforschung fließt in dieses Projekt neben den ursprünglichen Beweggründen für das Forschungsvorhaben (siehe Kap. 2.2.1) vor allem die Erkenntnis ein, dass es bedeutsam ist, mein eigenes Selbstverständnis als forschender Lehrer, meine persönliche Einbindung in das Projekt und meine Beziehung zum Gegenstand zu thematisieren. Die Entwicklungsorientierte Forschung lenkt die Aufmerksamkeit auf die theoriegeleitete Konzeption des untersuchten Kurses. Zugleich verweist sie aber auch auf eine wichtige Zielsetzung dieses Projektes: Es will nicht nur im Sinne der Aktionsforschung konkrete Praxis verbessern, sondern strebt auch danach, einen Beitrag zur Generierung neuen theoretischen Wissens zu leisten. Die Er‐ gebnisse unserer Analysen sollen also über den lokalen Kontext hinausweisen 31 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="32"?> und damit die Entwicklung des fach- und sprachintegrierten Unterrichts im tertiären Bereich voranbringen. Und auf die Evaluationsforschung schließlich geht der multiperspektivische Ansatz zurück, unser Bemühen also, dem Facettenreichtum von Lehr- und Lern‐ prozessen gerecht zu werden. Die Studie bringt Forschende zusammen, die zu einem unterschiedlichen Grad in den untersuchten Kurs eingebunden sind und ihre je eigene Sicht auf das Geschehen beisteuern. Das wiederum führt zu einer in der Fremdsprachenforschung eher selten anzutreffenden Synthese: einerseits von unterschiedlichen Definitionen des Untersuchungsgegenstandes, vor allem dem Verständnis dessen, was Lernen oder Interaktion ausmachen; andererseits den sich daraus ergebenden Methoden der Datenerhebung, -aufbereitung und -analyse. Diese Art von Grenzgängen wird der folgende Abschnitt betrachten. 2.2.7 Lernprozesse als Untersuchungsgegenstand Im Verlauf der bisherigen Darstellung habe ich bereits darauf hingewiesen, dass der Fremdsprachenunterricht - wie jede andere Form institutionalisierten Leh‐ rens und Lernens - als ein von den Beteiligten gestalteter sozialer Prozess ge‐ deutet werden kann und auch sollte. Die Relevanz einer solchen ökologischen Perspektive auf das Geschehen in Klassenräumen wird bereits seit den 1980er Jahren diskutiert und von Autoren wie Block (2003), Breen (1985), Firth/ Wagner (1997, 2007), Holliday/ Cooke (1983), van Lier (1997) oder Tudor (2003) überzeu‐ gend dargestellt. Gleichwohl bilden empirische Studien, die sich konsequent diesem Ansatz verschreiben, nach wie vor eine Minderheit (Benson 2019: 62). Das liegt vor allem an der starken Konkurrenz der psycholinguistisch orien‐ tierten Tradition, die mit ihren Themensetzungen und Vorgehensweisen die empirische Fremdsprachenforschung in den letzten Jahrzehnten dominierte. Sie lenkt das Forschungsinteresse eher auf die kognitiven Aspekte des Lernens, was wiederum mit der weit verbreiteten Vorstellung korrespondiert, dass sich Lern‐ prozesse ausschließlich in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler abspielten. Dieser Fokus auf das Lernen als kognitiven Vorgang hat die Fremdsprachen‐ forschung fraglos ein großes Stück vorangebracht. So wurde das Bewusstsein für die Bedeutung empirischer Untersuchungsdesigns geschärft und die Er‐ kenntnisse konnten auch zur Weiterentwicklung didaktischer Konzepte bei‐ tragen, beispielsweise im Bereich der Aufgabengestaltung (vgl. Ellis 2018: 256f; siehe dazu auch Kap. 2.5). Zugleich beflügelt die psycholinguistisch geprägte Perspektive mit ihrem grundlegenden Konzept des generalisierbaren Lerners (vgl. die Kritik bei Benson 2019: 66) aber auch unrealistische Vorstellungen von den Möglichkeiten akademischer Forschung. Sie hält die in der Fremdsprachen‐ forschung verbreitete Annahme am Leben, Unterricht ließe sich kontextunab‐ 32 Michael Schart <?page no="33"?> hängig und mit wissenschaftlich begründeten Methoden als ein potenziell vor‐ hersehbarer und damit detailliert planbarer Prozess konzipieren. Weshalb die Erwartungen an eine solche „Erzeugungsdidaktik“ (Arnold/ Gómez Tutor 2007: 178) unerfüllt bleiben müssen, wird deutlich, wenn man sich aus ökologischer Perspektive dem Fremdsprachenunterricht nähert. Die Ler‐ nenden können dann nicht mehr nur als typische Exemplare einer umfassen‐ deren Population oder als Probanden gesehen werden. Sie sind zugleich Indivi‐ duen, die in einem jeweils besonderen kulturellen, historischen oder politisch-ökonomischen Umfeld agieren. Das lernende Subjekt wird demnach in deutlicher Abgrenzung zur kognitiv orientierten Fremdsprachenforschung ge‐ deutet. In beiden Fällen richtet sich zwar der Blick auf einzelne Lernende, aber aus ökologischer Perspektive werden diese nicht auf ihre mentalen Vorgänge redu‐ ziert. Benson schlägt deshalb vor, diesen Unterschied begrifflich deutlich zu fassen und er grenzt lernerzentrierte Ansätze von personenzentrierten Ansätzen ab. Ob die Fremdsprachenforschung, wie Benson (2019) weiter argumentiert, tatsächlich gerade einen Epochenwechsel durchlebt, bei dem erstere durch letz‐ tere verdrängt werden, sehe ich als eine Prognose, die eher von der Hoffnung getragen wird als von nüchterner Analyse. Auffällig ist jedoch, dass der von Block (2003) nachgezeichnete social turn in den zurückliegenden Jahren viel Bewegung ins Forschungsfeld gebracht hat. Unter der Bezeichnung „soziokul‐ turelle Ansätze“ ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die zu einem besseren Verständnis des komplexen Gegenstands Fremdsprachenunterricht beiträgt. Die soziokulturellen Ansätze finden ihre theoretische Verankerung in den ent‐ wicklungspsychologischen Arbeiten von Wygotsky und Leontjev oder in den philosophischen Schriften Bachtins zum sozialen Charakter von Sprache. Die Be‐ deutung dieser argumentativen Verbindungslinien wurde bereits vielfach und ausführlich beschrieben (Lantolf et al. 2015; Zuengler/ Miller 2006) und soll daher an dieser Stelle nicht vertieft werden. Für die vorliegende Studie sind die sozio‐ kulturellen Ansätze vor allem deshalb so inspirierend, weil sie die Rolle der Lern‐ gruppe als eine miteinander und voneinander lernende Gemeinschaft betonen und damit die sozialen Aspekte des Lernens und der Wissensgenerierung ins Zentrum der Betrachtung rücken. Individuelle Entwicklungen werden als das Ergebnis einer Interaktion von Individuen mit ihrer kulturell geformten Umwelt gedeutet (siehe dazu auch Sloman/ Fernbach 2017: 107ff). Sprache ist folglich weitaus mehr als ein Input, der Lern- oder Denkprozesse auslöst. Vielmehr muss sie als eine Ressource gesehen werden, die es den Individuen ermöglicht, aktiv an einer Gruppe teilzuhaben. Mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht ergibt sich daraus die Konsequenz, dass sich das Erlernen der Fremdsprache und ihre Verwendung nicht trennscharf voneinander scheiden lassen: „Learning is about mediated par‐ 33 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="34"?> 16 Formulierung von Lantolf/ Pavlenko (2001: 109), Übersetzung des Autors 17 Formulierung von Firth/ Wagner (1997: 303), Übersetzung des Autors 18 ausführlicher zu diesem Gedanken siehe Allwright (2005); Crabbe (2003); Schart/ Legutke (2012: 63ff); van Lier (2001) ticipation”, wie Lantolf/ Pavlenko (2001: 148) es beschreiben. Und auch bei Freeman (2016: 36) findet sich dieser Gedanke: “The conventional view that content is language with a social dimension needs to be recast. In the language classroom, the content is social processes, which have a lan‐ guage dimension. The social processes are fundamental to the classroom as a class‐ room; the new language fits into that ecology.” Wichtig bei diesem Forschungsansatz ist, dass die Lernenden weder als „infor‐ mationsverarbeitende Maschinen“ 16 noch als „defizitäre Versionen eines ideali‐ sierten, monolingualen Experten in Linguistik“ 17 gesehen werden. Sie sind aktiv und gemeinsam mit anderen an der Konstruktion von Wissen beteiligt. Das Ziel der Forschung besteht deshalb auch nicht darin, universelle Regeln des Fremd‐ sprachenerwerbs zu formulieren, sondern die Bedingungen zu verstehen, die in einem konkreten Kontext das Lernen beeinflussen. Vor dem Hintergrund der weiter oben erwähnten kognitiv geprägten Tradi‐ tionen in Forschung und schulischer Praxis muss die Vorstellung natürlich zu‐ nächst befremdlich wirken, das Lernen könne sich gleichsam zwischen den an einem Unterricht beteiligten Personen vollziehen, in ihrer Interaktion, dem ge‐ meinsamen Ringen um Verstehen und dem Suchen nach Erklärungen und Lö‐ sungen. Und so ist die soziokulturelle Sicht bis heute weit davon entfernt als ein gleichwertiges Pendant zur kognitiven Perspektive anerkannt zu werden. Das mag auch an den Konsequenzen liegen, die sich aus ihr zwangsläufig ergeben. Unterricht müsste folgerichtig als eine „Ermöglichungsdidaktik“ (Arnold/ Gómez Tutor 2007: 178) gedacht werden, eine Abkehr von kleinschrittiger, eng führender Planung hin zum Schaffen von vielfältigen Lerngelegenheiten und Herausforderungen. 18 Und Forschung müsste sich mehr auf den Facetten‐ reichtum lokaler Kontexte einlassen, der Versuchung widerstehen, Komplexität vorschnell zu reduzieren und vor allem die Scheu vor idiosynkratischen Er‐ kenntnissen überwinden. Wer sich als Forscherin oder Forscher intensiv den Lernprozessen in einer einzelnen Lerngruppe widmet und dabei beispielsweise die Herausbildung eines Beziehungsgeflechts detailliert nachvollzieht, kommt sicher nicht zu Erkennt‐ nissen, die sich ohne weiteres auf das gesamte Bildungssystem übertragen lassen, nicht einmal Aussagen über das Geschehen in der Parallelklasse sind wahrscheinlich. Und dennoch bringen sie die Forschung voran, denn sie machen 34 Michael Schart <?page no="35"?> 19 siehe auch das Konzept naturalistic generalization (Melrose 2010; Stake 2009) greifbar, was es konkret bedeutet, wenn wir von der Vielfalt der Einflussfaktoren auf Lehr- und Lernprozesse in Institutionen sprechen. Annahmen allgemeinerer Art lassen sich überhaupt erst dann treffen, wenn wir tiefere Einsichten in dieses komplexe Gebilde aus individuellen Entschei‐ dungen, Kontextbedingungen, persönlichen Charakteristika und Unterrichts‐ aktivitäten sowie deren Zusammenspiel mit Einflussgrößen wie persönlicher Erfahrung, Motivation, Inspiration oder Konventionen erlangen. Die Güte einer solchen Studie lässt sich also nicht an der externen Validität der Ergebnisse festmachen. Sie zeigt sich vielmehr darin, ob es gelingt, deren Zustandekommen nachvollziehbar darzustellen und sie verständlich zu beschreiben. Das schafft die Voraussetzung für die Transferabilität (Lincoln/ Guba 2009: 40) 19 von Er‐ kenntnissen. Larsen-Freeman (2018) fordert daher in ihrem Ausblick auf künf‐ tige Fremdsprachenforschung zurecht mehr Arbeiten, die der Tendenz zur Re‐ duktion von Komplexität widerstehen und sich stattdessen darauf einlassen, die Lehr- und Lernprozesse in einem konkreten Kontext ganzheitlich zu erfassen. 2.2.8 Überblick zum Forschungsprojekt Wenn im vorangegangenen Abschnitt der Schwerpunkt auf den soziokultu‐ rellen Ansatz gelegt wurde, so lässt sich das zum einen mit seiner randständigen Position innerhalb der empirischen Fremdsprachenforschung begründen, was eine ausführlichere Darstellung notwendig erscheinen lässt. Vor allem ergibt sich diese besondere Aufmerksamkeit aber aus der zentralen Bedeutung der so‐ ziokulturellen Perspektive für das vorliegende Forschungsprojekt. Abb. 2.1 veranschaulicht, welche Schwerpunkte die vier Teilstudien bei der Da‐ tenanalyse wählen. Den oben beschriebenen Prämissen des soziokulturellen An‐ satzes folgen dabei drei der Teilprojekte. Dass die kognitive Perspektive nur bei der Untersuchung zur Lernersprache in Kap. 6 im Zentrum steht, soll jedoch ihren Wert nicht schmälern. Erst die Integration auch dieser Perspektive verleiht der Ge‐ samtstudie ihren Charakter eines multiperspektivischen Forschungsprojekts. Dieses Kapitel stellte bis hierhin dar, wie mehrere forschungsmethodische Grenzgänge in ein Konzept für das Gesamtprojekt mündeten. Fragen zur For‐ schungsmethodologie, insbesondere zum Rollenverständnis und zu den Gütekrite‐ rien, kamen dabei bereits mehrfach zur Sprache. Weitere, die Anlage der einzelnen Teilstudien betreffende Aspekte werden in den entsprechenden Kapiteln ausge‐ führt. Zuvor möchte ich jedoch das unterrichtliche Umfeld ins Blickfeld rücken, denn auch dort zeichnet sich eine Reihe von Grenzgängen ab, deren Darstellung für das Verständnis der vorliegenden Studie von ausschlaggebender Bedeutung ist. 35 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="36"?> Abb. 2.1: Überblick über das gesamte Forschungsprojekt 36 Michael Schart <?page no="37"?> 20 Gemessen an der Zahl der Lernenden im Jahr 2012. Auf Oberschulen entfielen dagegen nur 3 Prozent der Lernenden. 2.3 Forschungskontext 2.3.1 Genese des Programms Alle empirischen Daten, die in diese Studie eingeflossen sind, entstammen dem Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio und damit einem Studienangebot, das seine Legitimität und sein Selbstverständnis aus einer Grenzüberschreitung ableitet. Denn als es die verantwortlichen Programmgestalter in den frühen 1990er Jahren entwarfen, ließen sie sich vor allem von der Idee leiten, einen Lernort zu schaffen, an dem akademische Disziplinen in bislang ungewohnter Weise verknüpft werden (vgl. Sambe 1996). Um die innovative Kraft dieses Konzepts zu verstehen, ist es hilf‐ reich, einen kurzen Blick auf die Rolle der Deutschausbildung im japanischen Universitätssystem zu werfen. Die Möglichkeit, im Rahmen des Bildungssystems eine zweite Fremdsprache zu erlernen, eröffnet sich vielen jungen Japanerinnen und Japanern erst dann, wenn sie mit einem Hochschulstudium beginnen. Und so finden mehr als 93 Prozent des Deutschunterrichts in Japan an den Hochschulen statt ( JGG-Ko‐ mitee 2013: 19) 20 , entweder in Sprachenzentren oder in speziellen Fremdspra‐ chenprogrammen der einzelnen Fakultäten. In beiden Fällen wird Deutsch je‐ doch von Lehrenden unterrichtet, die sich eigentlich als Germanisten verstehen (vgl. Schart/ Ohta 2018). Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Konzeption der Curricula bzw. die Gestaltung des Unterrichts, denn die Lehrenden legen ihren Schwerpunkt auf die Vermittlung systematischen Sprachwissens oder sie wählen für ihre Veranstaltungen im Rahmen der Deutschausbildung literatur- und kulturwissenschaftliche Themen, und das ganz unabhängig davon, wel‐ chem Fachbereich die Studierenden angehören. Der Deutschunterricht wird also im Sinne eines Studium Generale als Teil der Allgemeinbildung betrachtet, die gerade in den ersten beiden Studienjahren an japanischen Universitäten eine bedeutsame Stellung einnimmt. Das Konzept für ein neu zu errichtendes Intensivprogramm an der Juristi‐ schen Fakultät der Keio Universität brach Anfang der 1990er Jahre mit dieser Tradition und griff stattdessen eine naheliegende Idee auf: Man wollte den Stu‐ dierenden Lernräume bieten, in denen sie mit Themen konfrontiert würden, die ihnen auch in ihrem Hauptfach - Jura oder Politikwissenschaft - begegneten. Nur sollte das im Medium der Fremdsprache Deutsch geschehen und aus der Perspektive des deutschsprachigen Raumes. Man setzte also auf die Synergie‐ 37 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="38"?> effekte, die sich aus der Verbindung von fremdsprachlichen und inhaltlichen Lernprozessen ergeben, wobei dieses Konzept in den ersten Jahren seiner Um‐ setzung jedoch kaum mit unterrichtsmethodischen Überlegungen unterfüttert wurde. Auch die sich zeitlich parallel vollziehenden Entwicklungen in der Fremdsprachendidaktik wie etwa aufgaben- oder inhaltsbasierte Ansätze (siehe Kap.2.4 und 2.5) blieben unberücksichtigt. Und nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass in der Phase der Aufbauarbeit die Ressourcen fehlten, um die Lehr- und Lernprozesse systematisch zu untersuchen. Es konnte daher über mehrere Jahre hinweg nicht aufgezeigt werden, inwieweit sich das Innovative des Pro‐ gramms über die gefühlte und erhoffte Evidenz hinaus zugleich auch in Erfolgen niederschlägt. Das änderte sich im zweiten und dritten Jahrzehnt seines Beste‐ hens mit einer Reihe von empirischen Studien, auf die ich weiter unten noch eingehen werde und deren Kulminationspunkt die vorliegende Arbeit bildet. 2.3.2 Programmstruktur Am Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio können Studierende der Fachbereiche Jura und Politik‐ wissenschaft über die gesamte Dauer ihres vierjährigen Bachelor-Studiums hinweg teilnehmen. Die meisten Lernenden beginnen das Programm ohne Vor‐ kenntnisse der deutschen Sprache und sie belegen im Normalfall vier Semester‐ wochenstunden (à 90 Minuten). Die besonderen Merkmale dieses Studienange‐ bots ergeben sich demnach aus seiner Intensität, der Kontinuität und der bereits erwähnten Verknüpfung von fremdsprachlichem und fachlichem Lernen. Allerdings weist das Programm keine einheitliche Struktur auf. Die Gründe dafür liegen in den Entwicklungsprozessen, die dieses Studienangebot in den 25 Jahren seines Bestehens durchlaufen hat. Personelle Veränderungen haben in der Gestaltung ebenso ihre Spuren hinterlassen wie die Erkenntnisse aus Eva‐ luationen oder Impulse aus der fremdsprachendidaktischen Forschung. Zum Verständnis der Ergebnisse in diesem Band ist es nicht notwendig, alle Modifi‐ kationen nachzuzeichnen, die die ursprüngliche Konzeption des Programms er‐ fahren hat. Eine für dieses Forschungsprojekt entscheidende Tendenz des letzten Jahrzehnts muss ich jedoch hervorheben, denn sie bildet den Ansatzpunkt für die vorliegende Studie. In den 1990er Jahren gingen die verantwortlichen Programmgestalter noch davon aus, dass die Integration von Fach und Sprache erst auf der Grundlage solider fremdsprachlicher Kompetenzen möglich und sinnvoll sei. Sie blieb daher vor allem den Kursen für die Studierenden des 3. und 4. Studienjahres vorbehalten. Als Folge einer umfassenden Evaluation des Programms und meh‐ rerer empirischer Unterrichtsstudien (siehe dazu Kap. 2.8) wurde dieser Ansatz 38 Michael Schart <?page no="39"?> allerdings teilweise revidiert. Inzwischen arbeitet ein Großteil der Kurse im 2. Studienjahr themenbasiert. Für dieses Forschungsprojekt ist indes entscheidend, dass auch eine der beiden Grundstufenkurse seit mehreren Jahren auf eine möglichst frühzeitige Integration fachlicher Aspekte in den fremdsprachlichen Lernprozess zielt. Und die Frage, was diese Veränderung des Programms für die Lernenden und auch die Lehrenden bedeutet, bildet den Rahmen für die vier Teilprojekte dieser Studie. Abb. 2.2 bietet einen Überblick über die derzeitige Struktur des Programms. Ins Auge fällt dabei unter anderem der unterschiedliche Charakter der beiden Grundstufenkurse GA und GB. Hinter der abweichenden Verteilung der Lernzeit auf die beiden Lehrenden verbirgt sich eine grundlegend andere Idee von Fremdsprachenunterricht. Während im Grundstufenkurs GA der Schwerpunkt des Unterrichts darauf liegt, den Studierenden systematisches Wissen über die Funktionsprinzipien und Strukturen der deutschen Sprache zu vermitteln, ar‐ beitet der Grundstufenkurs GB konsequent fach- und sprachintegriert (siehe dazu Kap. 2.4 - 2.6). An den beiden Kursen lässt sich studieren, wie sich be‐ stimmte Vorstellungen über die Natur von Sprache und fremdsprachlichen Lernprozessen in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts niederschlagen (vgl. Kap. 2.2.7): Während der Kurs GA eher ein Beispiel für eine kognitive Heran‐ gehensweise darstellt, werden im Kurs GB die soziokulturellen Aspekte des Un‐ terrichts betont. Diese Gegensätze erzeugen zwangsläufig ein Spannungsfeld, das sich bislang für die Weiterentwicklung des Intensivprogramms als äußerst produktiv er‐ wiesen hat. Es regt dazu an, Routinen und vermeintliche Gewissheiten über angemessene Wege des Lehrens und Lernens beständig zu hinterfragen, es be‐ lebt die didaktischen Diskussionen innerhalb des Programms und nicht zuletzt kristallisieren sich immer wieder neue Fragestellungen heraus, an denen empi‐ rische Forschungsprojekte ihren Ausgang nehmen. Diese Studie ist dafür nur eines von mehreren Beispielen aus den vergangenen 15 Jahren. Abb. 2.2 verdeutlicht, wie vielfältig die Fragen sind, die sich aus der Struktur des Intensivprogramms ergeben: Welche Lernwege nehmen beispielsweise Stu‐ dierende, die über die verschiedenen Zugangswege in das Programm gelangten? Was motiviert Teilnehmende, das Programm über vier Jahre hinweg zu durch‐ laufen und welche Gründe führen zu vorzeitigen Abbrüchen? Was zeichnet die Lehr- und Lernprozesse in einzelnen Kursen aus und welche niveaustufenüber‐ greifenden Merkmale prägen das Programm? Diese Aufzählung ließe sich noch durch zahlreiche weitere Fragen ergänzen und es liegt auf der Hand, dass wir für diese Studie eine Auswahl treffen mussten. Wir werden unseren Fokus daher auf das Geschehen im Grundstufenkurs GB richten und dessen Einbindung in 39 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="40"?> 21 siehe: http: / / www.admissions.keio.ac.jp/ fac/ policy; http: / / www.law.keio.ac.jp/ en/ [07.01.2019] das Gesamtprogramm nur dann thematisieren, wenn es zu einem besseren Ver‐ ständnis der Datenanalyse sowie der Interpretation der Ergebnisse beiträgt. Abb. 2.2: Struktur des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio (L1=Japanisch, L2=Deutsch) 2.3.3 Curriculum Diese Studie untersucht einen Grundstufenkurs, in dem der Schwerpunkt auf der Integration von fremdsprachlichem und fachlichem Lernen liegt, in dem die Studierenden sich mit herausfordernden Aufgaben auseinandersetzen und zu kollaborativem Lernen ermutigt werden sollen. Bevor ich ausführlicher auf dieses Konzept eingehen kann, möchte ich zunächst darstellen, wie es sich zu den Bildungszielen jener Institution verhält, in die das Intensivprogramm für Deutschlandstudien eingebettet ist. Die Juristische Fakultät der Keio Universität fasst ihren Bildungsauftrag in wenigen Sätzen zusammen 21 . Es handelt sich um Formulierungen, die zunächst einmal wenig überraschend wirken, weil sie einem allgemeinen Anspruch an universitäre Bildung in demokratisch gefassten Gesellschaften entsprechen: So sollen die Studierenden im unabhängigen, kreativen und kritischen Denken ge‐ schult werden. Die Veranstaltungen in der Juristischen Fakultät sollen ihnen dabei helfen, Selbstwertgefühl, Verantwortungsgefühl, Kooperationsbereit‐ 40 Michael Schart <?page no="41"?> schaft und Führungsqualitäten zu entwickeln. Vor allem sieht die Fakultät ein wichtiges Ziel darin, die Fähigkeit herauszubilden, gesellschaftliche Prozesse aus fachlicher Perspektive analysieren und bewerten zu können. Und nicht zu‐ letzt geht es ihr darum, jungen Menschen internationale Perspektiven zu öffnen, weshalb die fremdsprachlichen Anteile im Studienprogramm auch einen maß‐ geblichen Raum einnehmen. Auf welche Weise diese Bildungsziele in die Gestaltung von Lehrveranstal‐ tungen einfließen, bleibt allerdings offen und damit der Interpretation der Leh‐ renden überlassen. Das Intensivprogramm für Deutschlandstudien ging daher einen Schritt weiter und fächerte die curricularen Zielsetzungen der Fakultät in einzelne Kompetenzbereiche auf. Diese sollen in den Kursen auf allen Niveau‐ stufen berücksichtig werden (siehe Sambe 1996; Schart 2010). Die folgende Auf‐ zählung fasst diese Überlegungen zusammen. • Fremdsprachliche Kompetenzen in allen vier Fertigkeiten (z. B. kontext‐ angemessene, kommunikative Kompetenz in Wort und Schrift) • Fachkompetenz/ politische Bildung (z. B. fachspezifisches Beschreiben, Erklären und Analysieren von Ereignissen, Prozessen und Strukturen) • Studienkompetenz (z. B. Informationen finden, bewerten, verarbeiten und darstellen; kritisches Denken und Problemlösefähigkeiten) • Methodenkompetenz (z. B. Lern- und Arbeitstechniken; Präsentations‐ techniken) • Interkulturelle Kompetenz (z. B. Mediationskompetenz und Diskurskom‐ petenz im Austausch zwischen Japan und Deutschland) • Selbstkompetenz (z. B. Kreativität, Initiative, Ausdauer, Selbstwertgefühl) • Sozialkompetenz (z. B. Teamfähigkeit, Konflikt- und Kritikfähigkeit) Auch aus dieser etwas detaillierteren Auflistung von sprachlichen, fachlichen und generischen Kompetenzen lässt sich noch nicht unmittelbar auf einzelne methodische Arrangements schließen. Der damit umrissene curriculare Rahmen ist beispielsweise weit genug, um dem oben beschriebenen Spannungs‐ verhältnis zwischen einem kognitiven und einem soziokulturell orientierten Zugang zu Sprache und Fremdsprachenlernen Raum zu geben. Zugleich schließt er jedoch eine Reihe von in Japan weit verbreiteten Unterrichtskonzeptionen für den Deutschunterricht aus, etwa eine Konzentration auf alltagssprachliche oder touristische Themen oder eine Beschränkung auf das kontextlose Erlernen von fremdsprachlichen Strukturen. Offen legt dieser curriculare Rahmen aber zugleich, wie hoch die Anschluss‐ fähigkeit einerseits zu Konzeptionen fach- und sprachintegrierten Fremdspra‐ chenlernens ist (vgl. Bonnet/ Breidbach 2013; Coyle et al. 2010: 27), andererseits 41 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="42"?> zu aufgabenbasierten Arrangements (Ellis 2018; Long 2015, 2016). Diese Ver‐ bindungslinien nachzeichnend möchte ich in den folgenden Abschnitten schritt‐ weise das Konzept des hier untersuchten Grundstufenkurses herausarbeiten. 2.4 Unterrichtskonzeption I: Die Inhalte “Why should not the lesson on physics or his‐ tory be employed as the theme of a lesson in German or French? ” (Gouin, zitiert nach Kelly 1976: 289) Aus heutiger Sicht wirkt Gouins Überlegung sicher wenig spektakulär, gehört es doch zum Alltag an vielen deutschen Schulen, Geschichte auf Französisch zu lehren und lernen oder Biologie auf Englisch. Das Interessante an ihr ist daher vor allem der Entstehungskontext, denn der französische Pädagoge brachte sie bereits im Jahr 1880 zu Papier. Es musste also noch ein ganzes Jahrhundert ver‐ gehen, bis diese im Grunde schlichte und auch plausible didaktische Idee in nennenswertem Umfang die unterrichtliche Praxis erreichte. Der fach- und sprachintegrierte Unterricht kann somit als ein markantes Beispiel dafür gelten, welche Beharrungskräfte innovativen Konzepten zuweilen im Bildungssystem entgegentreten. Im Zusammenhang mit seiner Umsetzung in unterrichtliches Handeln werde ich weiter unten noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen, denn das Ringen mit solchen Widerständen scheint in diesem Fall immer noch anzuhalten. Weltweit findet man heute eine große Diversität an Unterrichtsmodellen auf allen Stufen des Bildungssystems, die praktische Antworten auf die von Gouin aufgeworfene Frage liefern: Sie kombinieren das Erlernen einer Fremdsprache mit dem Erwerb von Wissen und Fähigkeiten auf Fachgebieten wie Mathematik, Erdkunde oder Sport. Im Kern geht es ihnen also darum, die Synergieeffekte zu nutzen, die sich aus der Integration von fachlichen und sprachlichen Lernpro‐ zessen ergeben. 2.4.1 Begriffliche Vielfalt Dieser gemeinsame Grundgedanke gerät jedoch leicht aus dem Blickfeld ange‐ sichts der Vielzahl an Begriffen, die sich in den letzten Jahrzehnten im Umfeld dieses didaktischen Ansatzes herausgebildet haben. Das führte uns als For‐ schungsteam zu der Frage, welche der Bezeichnungen für den von uns unter‐ suchten Kontext eigentlich geeignet wären. Wir konnten uns - dem europäi‐ schen Sprachgebrauch folgend - für das Label CLIL (Content and Language 42 Michael Schart <?page no="43"?> Integrated Learning) entscheiden oder aber für die im nordamerikanischen Dis‐ kurs dominierenden Begriffe CBI (Content-Based Instruction) bzw. CBLT (Con‐ tent-Based Language Teaching). Auch die Akronyme LAC (Language Across the Curriculum; Grenfell 2002), SCLT (Sustained Content Language Teaching; Murphy/ Stoller 2011), EMI (English Medium Instruction; Macaro 2018), EAP (English for Academic Purposes; Chazal 2014), TBLI (Theme-Based Language In‐ struction; James 2006) oder ICLHE (Integrated Content and Language in Higher Education; Schmidt-Unterberger 2018) boten sich als alternative Möglichkeiten an. Von vornherein ausschließen konnten wir eigentlich nur die im deutschen Sprachraum weit verbreitete Bezeichnung bilingualer Unterricht oder Sach‐ fachunterricht (Hallet/ Königs 2013) bzw. das englischsprachige Pendant Bilin‐ gual Education (Mehisto 2012). Sie werden für den tertiären Bildungsbereich nicht verwendet und stellen daher die Besonderheiten des fach- und sprachin‐ tegrierten Unterrichts bis zur Sekundarstufe heraus, etwa die Bindung an die nationalen bzw. regionalen Lehrpläne, die klare Zuordnung zum Fachunterricht oder die Leitung durch muttersprachliche Fachlehrende (siehe Dalton-Puffer 2017: 155). Diese begriffliche Vielfalt bei den fach- und sprachintegrierten Konzepten ist weit mehr als das Resultat einer zu ehrgeizigen akademischen Profilbildung. Sie ergibt sich vor allem aus den sehr unterschiedlichen Konstellationen, unter denen diese Form von Unterricht entworfen und durchgeführt wird. Nehmen wir als Beispiele den bilingualen Geschichtsunterricht an einer deutschen Re‐ alschule und einen Deutschkurs für angehende Pflegekräfte, die sich am Goethe Institut in Hanoi auf eine zukünftige Tätigkeit in Deutschland vorbereiten. Zu‐ mindest bei flüchtiger Betrachtung trennt die beiden Lehr- und Lernsituationen mehr voneinander als sie verbindet. Und man braucht mit den Unterschieden nicht bis ins Detail vertraut zu sein, um zu verstehen, dass die konkrete Gestal‐ tung fach- und sprachintegrierter Kursangebote von zahlreichen Faktoren ge‐ prägt wird, von sprachenpolitischen Entscheidungen beispielsweise, von der Einbindung in Institutionen mit ihren Bildungszielen, curricularen Richtlinien oder personellen Ressourcen und nicht zuletzt von den Erwartungen und Ein‐ stellungen der Beteiligten. Und dennoch handelt es sich in beiden Fällen letztlich nur um Spielarten des fach- und sprachintegrierten Ansatzes. Die Vielgestaltigkeit ist dem Phänomen somit inhärent und eine beständig anwachsende Zahl an Akronymen erscheint mir kein geeignetes Mittel zu sein, um sie begrifflich zu fassen. Löst man sich hingegen von den Details und be‐ trachtet die Heterogenität der Konzepte aus einiger Distanz, dann stößt man auf einen Aspekt, der sich als wesentliches Kriterium der Unterscheidung anbietet. Es ist die Frage, ob die Lehr- und Lernprozesse eher aus der Perspektive eines 43 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="44"?> Sachfachs entworfen werden oder eher von fremdsprachendidaktischen Über‐ legungen geprägt sind. Der Bereich des fach- und sprachintegrierten Unterrichts entfaltet sich also entlang eines Kontinuums. Den Extrempunkt auf der einen Seite bilden fachdominierte Konzepte wie etwa die auf Englisch gehaltenen Fachvorlesungen an deutschen Universitäten. Das Ende des Kontinuums auf der anderen Seite markieren fremdsprachendidaktisch geprägte Programme wie beispielsweise themenbasierte Kursangebote (Brinton/ Snow 2017: 8; Cameron 2010: 180ff; Lyster 2017: 87). Dalton-Puffer (2017: 154) schlägt vor, diese Extrem‐ punkte mit den Bezeichnungen hard CLIL-type und soft CLIL-type zu versehen. Ein solches Kontinuum wird natürlich die von Smit (2015: 92) kritisierte zu‐ nehmende Verwässerung der Begrifflichkeiten nicht eindämmen können. Gleichwohl halte ich es für ein sehr hilfreiches gedankliches Konstrukt. Denn es ermöglicht nicht nur eine erste Orientierung in diesem unübersichtlichen Bereich, sondern es eignet sich in seiner Flexibilität auch als ein heuristisches Instrument, um Programme, Kurse oder einzelne Unterrichtsstunden zu cha‐ rakterisieren. So lässt sich vor dieser Folie erklären, weshalb sich die Zuordnung des hier untersuchten Kurses zu einem der eingangs genannten Begriffe so pro‐ blematisch gestaltet: Das sich über vier Studienjahre erstreckende Intensivpro‐ gramm für Deutschlandstudien an der Keio Universität Tokio deckt ein relativ breites Spektrum des Kontinuums ab. Mit dem Übergang von einer Niveaustufe in die nächste verschiebt sich zugleich der Schwerpunkt kontinuierlich von einem eher fremdsprachendidaktisch angelegten Angebot hin zu einem fachlich orientierten. Dabei kann aber auch die Position der einzelnen Kurse durchaus variieren, wie ich weiter unten am Beispiel des Grundstufenunterrichts auf‐ zeigen werde. Angesichts dieser Unbestimmtheit haben wir uns dafür ent‐ schieden, den Gegenstand dieser Studie sehr allgemein als fach- und sprachin‐ tegrierten Unterricht zu bezeichnen. Aber auch CLIL - als ein Oberbegriff verstanden und nicht als Synonym für bilingualen Unterricht (Coyle 2007: 545) - halten wir für eine geeignetes Label, um dieses Projekt in der derzeitigen Fachdiskussion zu verorten. Solche Bemühungen um begriffliche Klärung sind natürlich nur dann er‐ giebig, wenn sie in einem nächsten Schritt dazu führen, die Ebene der konkreten Gestaltung von Unterricht zu thematisieren. Bevor ich mich eingehend dieser Aufgabe zuwende, möchte ich jedoch zurückblicken auf die Ursachen des ge‐ wachsenen Bewusstseins für die inhaltliche Dimension des Fremdsprachenun‐ terrichts. 44 Michael Schart <?page no="45"?> 22 zu frühen Arbeiten siehe Hallet (1998); Jurasek (1988); Mohan (1986); Krueger/ Ryan (1993); Leaver/ Stryker (1989); Snow/ Brinton (1997); Wode (1995) 23 Der japanische Lehrwerkmarkt mit seiner unüberschaubaren Anzahl an Titeln für den Deutschunterricht auf den Niveaustufen A1 und A2 bietet dafür ein sehr ergiebiges Reservoir an illustrativen Beispielen. 2.4.2 Inhaltliche Relevanz Eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen sach- und fachintegrierter Lehr- und Lernprozesse setzte erst in den 1980er und 1990er Jahren ein 22 . Im Hinblick auf das Schulsystem in europäischen Ländern waren dafür die länderübergreifenden sprachenpolitischen Initiativen ein ausschlag‐ gebender Faktor. Ein weiterer wichtiger Impuls für diese Entwicklung ging je‐ doch auch von den Problemen aus, die sich in der Praxis des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts abzeichneten. Gemeint ist hier vor allem die Ten‐ denz, die Auswahl und die Gestaltung von Texten und Aktivitäten vorrangig an sprachlichen Lernzielen bzw. der Förderung einzelner sprachlicher Fertigkeiten zu orientieren und damit die Inhalte zu vernachlässigen oder sogar zu triviali‐ sieren (vgl. Legutke/ Thomas 1991: 15; Pennycook 1990: 13). Die Folgen lassen sich bis heute an vielen Lehrwerken ablesen, die oft ein buntes Sammelsurium an mehr oder weniger beziehungslos aneinanderge‐ reihten und eher oberflächlich aufbereiteten Themen enthalten 23 . Auf diese Weise erhöhen sich zwar die Chancen, ein breites Spektrum an Interessen der Lernenden abzudecken, doch der inhaltliche Tiefgang leidet. Beispielsweise wird das Potenzial, das jeder Gegenstand bietet, um die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven anzustoßen und damit Differenzerfahrungen zu ermöglichen, tendenziell nicht ausgeschöpft. Die dezidierte Kritik an dieser Schwachstelle kommunikativ ausgerichteter Settings setzte bereits in den 1980er Jahren ein, sie wurde in der Folgezeit vor allem von Überlegungen zum literarischen und interkulturellen Lernpotenzial des Fremdsprachenunterrichts vorangetrieben (z. B. Bredella/ Legutke 1985; Hunfeld 1990; Kramsch 1993) und hat bis heute nichts an Überzeugungskraft eingebüßt (vgl. Byram/ Wagner 2018). Zweifellos lassen sich - diese Kritik beiseiteschiebend - viele gute Gründe dafür finden, den Fremdsprachenunterricht auf das Training sprachlicher Fer‐ tigkeiten für den alltäglichen Gebrauch zu konzentrieren, wie es im Deutsch‐ unterricht an japanischen Universitäten überwiegend der Fall ist (vgl. JGG-Ko‐ mitee 2013: 32). Das bedeutet jedoch, die Möglichkeiten der kommunikativen Didaktik auf einen engen Ausschnitt zu begrenzen. Der fach- und sprachinte‐ grierte Ansatz ruft in Erinnerung, dass diese ihre Legitimität aus der Relevanz der Interaktion im Klassenraum gewinnt. Es geht nicht in erster Linie darum, 45 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="46"?> die fremde Sprache einzuüben oder ihren Gebrauch zu imitieren. Die Lernenden sollen sie vielmehr als ein Instrument erleben, das ihnen neue Sicht- und Denk‐ weisen erschließt, das ihnen hilft, ihr Selbstverständnis weiterzuentwickeln und das es ihnen nicht zuletzt ermöglicht, gemeinsam mit anderen zu handeln. The‐ matische Beliebigkeit und Belanglosigkeit tragen dazu bei, diese Basis der kom‐ munikativen Fremdsprachendidaktik zu untergraben (vgl. auch Grenfell 2002: 26; Stoller/ Grabe 2017). Der fach- und sprachintegrierte Ansatz stellt somit keinen Gegenentwurf zur kommunikativen Fremdsprachendidaktik dar, sondern eine ihrer Varianten. Konsequent wird die Schlüsselfunktion, die den Inhalten bei der Entwicklung fremdsprachlicher Diskursfähigkeit zukommt in den Fokus gerückt, ohne zu‐ gleich ein bestimmtes methodisches Vorgehen nahezulegen (Brinton/ Snow 2017: 15). Fach- und sprachintegriertes Unterrichten gründet auf der Annahme, dass Fremdsprachen in einem institutionellen Kontext gerade dann effektiv ge‐ lernt werden können, wenn sie als Werkzeug dienen, um an der Bewältigung inhaltlicher Fragestellungen zu arbeiten. Die Energiequelle des Unterrichts wird also im kognitiven Engagement der Lernenden mit den Inhalten gesehen. Es geht um die Verknüpfung von anspruchsvollen Denkprozessen mit einer auf akademisches Niveau abzielenden sprachlichen Entwicklung (Llinares/ Morton 2010; Llinares et al. 2012: 47). Formale Syllabi oder die isolierte Förderung ein‐ zelner fremdsprachlicher Fertigkeiten haben daher in diesem Ansatz nur am Rande Platz. Der große Vorteil des fach- und sprachintegrierten Unterrichts wird darin gesehen, dass die Lernenden der fremden Sprache, ihren Formen und Funk‐ tionen, in vielfältigen Verwendungssituationen und Textsorten begegnen, immer eingebunden in einen thematischen Zusammenhang. Das, so die Hoff‐ nung, führe zu nachhaltigeren Sprachlernprozessen und einem authentischeren Sprachgebrauch. Nicht zuletzt setzt man auf die motivierenden Effekte, die von einer Beschäftigung mit als relevant und herausfordernd empfundenen Inhalten ausgehen (Brinton/ Snow 2017: 4). 2.4.3 Empirische Erkenntnisse Empirische Forschungen kamen in den zurückliegenden Jahren tatsächlich immer wieder zu dem Ergebnis, dass Lernende in fach- und sprachintegrierten Settings größere fremdsprachliche Lernfortschritte erreichen als Lernende in eher konventionellen kommunikativen Unterrichtsdesigns. Diese Tendenz zeigt sich etwa bei den rezeptiven Fertigkeiten und der lexikalischen Kompetenz. Auch die Diskurskompetenz entwickelt sich besser, was sich unter anderem an der Flüssigkeit und Komplexität der Äußerungen ablesen lässt, an den strategi‐ 46 Michael Schart <?page no="47"?> schen Fähigkeiten der Lernenden, aber auch an ihrer Selbstsicherheit beim Ge‐ brauch der Fremdsprache (Dalton-Puffer 2011; Lasagabaster/ Sierra 2010; Lyster 2007: 6f). Sehr deutlich treten diese Effekte beispielsweise in der DESI-Studie zu Tage. „Die Ergebnisse der Untersuchungen zum bilingualen Sachfachunterricht Eng‐ lisch in DESI belegen erstmalig in einer großen Stichprobe, dass das Konzept von bilingualem Sachfachunterricht die mit ihm verbundenen Hoffnungen um‐ fassend erfüllt.“, wie Nold (2008: 457) die Erkenntnisse zusammenfasst. Die be‐ treffenden Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse waren hinsichtlich des sprachlichen Niveaus in Englisch ihren Altersgenossen um mindestens ein Schuljahr voraus. Eine Garantie für das Gelingen inhaltsbasierter Unterrichtskonzepte geht mit solchen Ergebnissen natürlich nicht einher, denn sie sind immer an die beson‐ deren lokalen Kontexte gebunden. So kann sich etwa der bilinguale Sachfach‐ unterricht in der Sekundarstufe auch auf die Kompetenzen stützen, die zeitgleich im regulären Fremdsprachenunterricht gefördert werden bzw. sich dort zuvor herausgebildet haben. Und die positiven Resultate in Vergleichsstudien sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass sich vor allem die leistungsstärkeren Schüle‐ rinnen und Schüler von bilingualen Zweigen angezogen fühlen (Dalton-Puffer 2011: 186). Auch die positiven Effekte auf die Motivation der Lernenden in fach- und sprachintegrierten Programmen, wie sie von Lyster (2017) beschrieben werden, ergeben sich nicht unmittelbar aus der Verbindung von Fach und Sprache, sondern erfordern weitere förderliche Bedingungen. So lässt sich aus der Studie von Merino/ Lasagabaster (2018) lernen, wie die motivierende Wir‐ kung von Programmen mit ihrer Intensität zusammenhängen kann. Zum Gesamtbild gehören somit auch die Erkenntnisse, die auf die Schwach‐ stellen fach- und sprachintegrierter Unterrichtskonzepte hinweisen und die unter bestimmten Bedingungen ausschlaggebend für deren Erfolg - oder eben auch Misserfolg sein können. Auf einen dieser problematischen Punkte verweist die Frage, wie es Lernenden gelingt, sich eine fremde Sprache anzueignen, ohne deren Systematik zu reflektieren. Zunächst ging man bei diesem Ansatz im Sinne der Input-Hypothese (Kra‐ shen 1981) tatsächlich davon aus, dass sich die positiven Effekte auf die fremd‐ sprachlichen Kompetenzen gleichsam en passant einstellen würden. Empirische Befunde legen jedoch eine differenziertere Sicht auf die Rolle formaler Aspekte des Spracherwerbs nahe oder wie Lightbown (2014: 129) es formuliert: „Lan‐ guage aquisition does not take care of itself.“ Als konkretes Beispiel wird dabei gerne auf Immersionsprogramme verwiesen, bei denen sich immer wieder her‐ 47 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="48"?> ausstellte, dass für die Lernenden höhere Niveaustufen grammatischer Kompe‐ tenz kaum zu erreichen sind (vgl. Ellis/ Shintani 2014: 16). Um die Lernenden auch bei der Entwicklung der formalen Korrektheit ihres Sprachgebrauchs zu unterstützen, so der momentane Forschungsstand, sollten inhaltsbasierte Unterrichtsdesigns Phasen vorsehen, in denen über sprachliche Formen und Funktionen gezielt nachgedacht wird. Und diese sind vor allem dann notwendig, wenn die Lernenden - im Unterschied zum bilingualen Sach‐ fachunterricht an deutschen Schulen - keine begleitenden Fremdsprachenkurse besuchen. Lyster (2007/ 2017) plädiert daher für einen counterbalanced ap‐ proach, ein Modell fach- und sprachintegrierten Unterrichts, der ausreichend Raum lässt für formale und funktionale Sprachbetrachtung: Auch wenn der Schwerpunkt auf den inhaltlichen Lernprozessen liegt, wird der Unterricht so gestaltet, dass die Aufmerksamkeit der Lernenden immer wieder darauf gelenkt wird, welche Rolle sprachlichen Strukturen bei der Realisierung von Hand‐ lungsabsichten und bei der Bedeutungskonstitution zukommt. 2.4.4 Gestaltungsprinzipien Dieses Prinzip der Ausgewogenheit von Inhalt und Form wird auch in dem Kursangebot verfolgt, mit dem sich die vorliegende Studie befasst. Wie ich in Kap. 2.3 bereits schilderte, ist der Grundstufenunterricht Bestandteil eines um‐ fassenderen Programms, in dem die Studierenden über vier Studienjahre hinweg fach- und sprachintegriert lernen können. Mit den voranschreitenden fremd‐ sprachlichen Kompetenzen der Teilnehmenden verändert sich auf den verschie‐ denen Niveaustufen des Programms auch das Verhältnis zwischen Fachinhalten und Fremdsprache. Auf dem oben beschrieben Kontinuum wandert es gleichsam von einem eher fremdsprachlich orientierten Konzept zu einem fachbasierten. Oder um es mit den Begriffen von Dalton-Puffer (2017: 154) zu beschreiben: von einer softeren Variante fach- und sprachintegrierten Unterrichts zu einer här‐ teren. Obwohl der Einsatz von Materialien, die sich an den Studienfächern Politik und Jura orientieren, im Laufe der letzten Jahre zu einem immer früheren Zeit‐ punkt erfolgte, ist der Unterricht gerade in den ersten Lernmonaten noch relativ stark von fremdsprachendidaktischen Überlegungen geprägt. Die Studierenden werden also nicht bereits in den ersten Wochen mit komplexen politischen oder juristischen Fragestellungen konfrontiert. Der Schwerpunkt liegt zunächst darauf, sich mit einer neuen Sprache und zugleich mit einer neuen Art des Fremdsprachenlernens vertraut zu machen (siehe dazu auch Kap. 2.7 und 2.8). Gleichwohl ist der Unterricht aber von Beginn an thematisch ausgerichtet und orientiert sich an den curricularen Prinzipien des Programms. Es geht also von 48 Michael Schart <?page no="49"?> der ersten Unterrichtsstunde an darum, neben den fremdsprachlichen Kompe‐ tenzen auch jene Kompetenzen zu fördern, die einer Hochschulbildung ange‐ messenen sind (siehe Kap. 2.3). Es wäre an dieser Stelle zu raumgreifend, das Konzept des gesamten Pro‐ gramms oder auch nur des ersten Studienjahres detailliert auszuführen. In wei‐ teren Publikationen sind dazu umfassende Beschreibungen zu finden (Schart 2008, 2010; Schart et al. 2010; siehe auch die Projekt-Homepage). Um den Ansatz nachvollziehbar zu machen, möchte ich jedoch zumindest in groben Zügen dar‐ legen, wie der von Lyster (2007) geforderte counterbalanced approach in unserem Fall umgesetzt wird. Da der Unterricht auf eine Steuerung durch einen formalen oder funktionalen Syllabus verzichtet und auch das isolierte Üben einzelner sprachlicher Phäno‐ mene ausspart, stellt sich als erstes die Frage, wie die Aufmerksamkeit der Stu‐ dierenden auf die sprachlichen Aspekte gerichtet wird. Sprachlicher Fokus Die von uns praktizierten Vorgehensweisen lassen sich in zwei Gruppen unter‐ teilen. Da sind zum einen die ungeplanten Prozeduren, die sich spontan aus der Beschäftigung mit den Inhalten ergeben. Sie werden in der Analyse der unter‐ richtlichen Interaktion in Kap. 4 ausführlicher betrachtet. Zum anderen setzen wir eine Reihe von Techniken geplant ein, um Sprachlernprozesse zu unter‐ stützten. Das zeigt sich zunächst an der Textauswahl und -gestaltung. Die Mehrzahl der Texte wird so bearbeitet, dass die Lernenden durch Anzahl und Schwierigkeitsgrad der enthaltenen sprachlichen Strukturen nicht entmu‐ tigt werden und sich in einer überschaubaren Zeit die Inhalte erschließen können. Es werden daher eher selten Texte in ihrer Originalform verwendet. Den Einsatz authentischer Texte, die einige Autorinnen und Autoren als we‐ sentliches Merkmal fach- und sprachintegrierten Unterrichts betrachten (z. B. Stryker/ Leaver 1997), sehe ich also eher kritisch. Die Leidenschaftlichkeit, mit der zuweilen die Authentizität von Materialien eingefordert wird, ist eine - durchaus verständliche - Überreaktion auf ungelenk konstruierte Dialoge und Sachtexte, wie man sie bis heute in Lehrwerken findet (vgl. die Kritik bei Kramsch 1993: 177). Ob aber ein Text in originalgetreuer oder adaptierter Form im Unterricht eingesetzt wird, ist von zweitrangiger Bedeutung. Entscheidend muss sein, ob er dabei hilft, die gewünschten Lernprozesse anzuregen. Und ad‐ aptierte Texte können diese Funktion gerade auf den unteren Niveaustufen oft‐ mals besser erfüllen. Long (2015: 251) argumentiert in diesem Sinn, wenn er das besondere Poten‐ zial elaborierter Texte hervorhebt. Die Bearbeitung originaler Texte muss kei‐ 49 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="50"?> 24 siehe z. B. die Aufgaben 1 und 2 des Arbeitsmaterials „Pfänden“, www.forschung.id-kei o.org/ clil neswegs zu inhaltlich weniger anspruchsvollem Material führen. Es geht nicht um Vereinfachung, sondern um die Integration von Redundanzen, sprachlichen Regularitäten, Paraphrasen, Wiederholungen oder expliziten Signalen, die das Verständnis der Niveaustufe entsprechend erleichtern. „Amplify, don’t simplify“ lautet die griffige Formel, in der Walqui/ van Lier (2010: 39) diesen Denkansatz fassen. Ein Text kann also durch die Bearbeitung an Komplexität gewinnen, aber für Lernende dennoch zugänglicher werden. Und gerade wenn das gelingt, kann man von einem authentischen Lerntext sprechen. Letztlich wird daher die Lehr‐ person erst durch die gezielten Eingriffe in das Original ihrer pädagogischen Verantwortung gerecht (van Lier 1996: 128; Widdowson 1990/ 2010). Festzuhalten bleibt, dass die Vorbereitung von Materialien, die den Lernenden die Begegnung mit realistischen Beispielen des Sprachgebrauchs ermöglichen, ohne sie zu überfordern, eine sehr anspruchsvolle, zeitaufwändige Phase bei der Konzipierung fach- und sprachintegrierten Unterrichts darstellt (siehe auch Long 2015: 249). Um das Verständnis der Lernenden für das Zusammenspiel von sprachlicher Struktur und Funktion zu unterstützen, spielen neben diesen elaborierten Texten aber auch die Aufgabenstellungen eine wichtige Rolle. Sie sind häufig so gestaltet, dass sich für ihre Bewältigung bestimmte sprachliche Formen an‐ bieten. Die Lernenden erhalten dadurch eine Orientierung, sollen aber zugleich nie in ihrer Kreativität beim Gebrauch sprachlicher Mittel übermäßig eingeengt werden. 24 Ein weiteres wichtiges Element der geplanten Maßnahmen für die Unter‐ stützung des sprachlichen Lernens sind schließlich auch die von den Studie‐ renden selbst gestalteten Reflexionsphasen, die regelmäßig stattfinden. Jeweils zwei Studierende führen Protokoll über die vier Unterrichtseinheiten einer Woche. Aus ihren Notizen zur Interaktion im Unterricht, zum Tafelbild und aus dem Lernmaterial wählen sie sich sprachliche Phänomene aus, die sie für in‐ teressant halten oder noch nicht verstanden haben. Sie untersuchen diese zu‐ nächst selbstständig, stellen sie dann auf der Lernplattform zur Diskussion und besprechen sie abschließend im Plenum mit der gesamten Lerngruppe, wobei sich die Lehrperson im Hintergrund hält und nur bei Schwierigkeiten oder Missverständnissen eingreift. Diese Reflexionsphasen werden allerdings auf Ja‐ panisch durchgeführt und sind daher kein Teil der Interaktionsdaten, die in dieser Studie analysiert werden. 50 Michael Schart <?page no="51"?> 25 vgl. ähnliche Programmkonzepte bei Cammarata (2016) und Pessoa et al. (2012) Inhaltlicher Fokus Der Blick auf die Förderung der fremdsprachlichen Kompetenzen sollte ver‐ deutlichen, wie wir uns an Longs Konzept des focus on form (Long 1991) orien‐ tieren und ab der ersten Unterrichtsstunde auf die Inhalte das Hauptaugenmerk legen. Auch wenn sich die inhaltliche Gestaltung entsprechend der sprachlichen und fachlichen Entwicklung der Studierenden verändert, so zielen doch die Pla‐ nungen auf allen Niveaustufen des Intensivprogramms darauf, Lernräume zu schaffen, in denen die akademische Neugier gefördert wird und die kritische Auseinandersetzung mit sozialen, politischen und juristischen Fragen im Zen‐ trum steht. 25 Gerade in den ersten Lernmonaten geht es dabei um Gegenstände, die sich auch in jedem kommunikativen Lehrwerk finden, etwa das Thematisieren der eigenen Person und des unmittelbaren Lebensumfelds. Die grundlegende Idee des gesamten Programms liegt jedoch darin, solche Themen möglichst mehr‐ perspektivisch anzugehen, zur Auseinandersetzung mit dem Gewohnten anzu‐ regen und dabei, soweit möglich, auch wissenschaftliche Betrachtungsweisen einzubeziehen. Das Ziel sind somit eher disziplinbezogene Inhalte als disziplin‐ determinierte Inhalte, wie Widdowson (2010) diesen Unterschied begrifflich markiert. Konkret bedeutet das beispielsweise, dass wir uns in den ersten Wo‐ chen des Unterrichts nicht nur damit beschäftigen, wer wir sind oder welche Hobbys wir pflegen. Es werden zugleich auch die gesellschaftlichen Rollen the‐ matisiert, die unser Handeln und Fühlen in bestimmten Situationen beein‐ flussen. Aus der unterschiedlichen Wahrnehmung von Rollen wie „ältester Sohn/ älteste Tochter“, „Studentin/ Student“, „Frau/ Mann“ oder „Japanerin/ Ja‐ paner“ ergeben sich bereits in den ersten Unterrichtsstunden Anknüpfungs‐ punkte für jene Differenzerfahrungen, in denen Bonnet/ Breidbach (2013: 28) das besondere Bildungspotenzial fach- und sprachintegrierten Unterrichts sehen. Studienjahr (Niveaustufen) Leitbegriffe Beispiel für thematische Schwer‐ punkte 1. Studienjahr (A0- A1/ 2) Identität • personale Identität und soziale Rollen • Dinge und Identität • Beziehungen zu Menschen • Beziehungen zu Orten 2. Studienjahr (A1/ 2- B1) Generation • Lebensziele, Lebenswege und gesell‐ schaftliches Engagement 51 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="52"?> • „Erwachsen werden“ in Deutschland und Japan • Geschlechterbeziehungen 3./ 4. Studienjahr (B1- B2/ C1) Gesellschaft (Recht und Gerechtig‐ keit) • Politische Kultur • Rechtskultur und Gerechtigkeit • Migration und Integration • Demografischer Wandel und Bevöl‐ kerungspolitik • Widerstand, Protest und gesellschaft‐ liche Umbrüche • Geschichts- und Identitätspolitik Tab. 2.2: Thematische Gestaltung des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio (pro Studienjahr ca. 60 UE à 90min) Wie Tab. 2.2 verdeutlicht, bezieht sich die inhaltliche Planung im ersten Studi‐ enjahr schwerpunktmäßig auf die verschiedenen Facetten von Identität, inte‐ griert in den folgenden Studienjahren aber mehr und mehr gesellschaftspoliti‐ sche und juristische Aspekte (siehe dazu auch Kap. 2.5.3). So entfaltet sich im zweiten Studienjahr die thematische Gestaltung anhand des Leitbegriffs „Ge‐ neration“. Daher kommen beispielsweise die Entwicklungsaufgaben zur Dis‐ kussion, die junge Menschen beim Hineinwachsen in eine Gesellschaft bewäl‐ tigen müssen. In den letzten beiden Studienjahren stehen mit Leitbegriffen wie „Soziale Gerechtigkeit“, „Politische Kultur“ oder „Demografischer Wandel“ die Fachinhalte im Vordergrund. Sie werden jeweils über ein gesamtes Semester oder auch Studienjahr hinweg bearbeitet. Das Bestreben, die politische Bildung der Studierenden umfassend zu fördern, schlägt sich in der Konzeption der oberen Niveaustufen am deutlichsten nieder. Dass es seinen Ausdruck aber ebenso in den Kursen auf Grundstufenniveau findet, möchte ich an zwei Beispielen illustrieren. Diese sind nicht zuletzt auch deshalb von besonderem Interesse, weil die entsprechenden Unterrichtsse‐ quenzen eine wichtige Datengrundlage für die vorliegenden Studie bilden. Zwei Beispiele Die beiden Sequenzen, die ich im Folgenden kurz beschreiben möchte, spiegeln die inhaltlichen Gestaltungsprinzipien im Unterricht des ersten Studienjahres wider. Sie wurden in zwei unterschiedlichen Lerngruppen nach sieben bis acht Lernmonaten behandelt und sind beide eingebettet in einen größeren Themen‐ komplex, der sich über das gesamte zweite Semester erstreckt und sich der Frage 52 Michael Schart <?page no="53"?> widmet, wie unsere Identität geprägt wird durch die Dinge, die uns umgeben und mit denen wir uns umgeben. In der ersten Sequenz setzen sich die Studierenden mit dem Begriff Wohlstand auseinander. Sie untersuchen beispielsweise anhand des Glücksatlas der Deut‐ schen Post die Faktoren für die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit der Men‐ schen mit ihrem Leben in unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Sie ent‐ wickeln anschließend eigene Parameter für den Wohlstand eines Landes und recherchieren Informationen dazu. Auf dieser Grundlage vergleichen sie dann die Situation in Deutschland und Japan. Das auf diese Weise entstehende, viel‐ schichtige Bild von Wohlstand bietet schließlich den Anknüpfungspunkt, um das Bruttoinlandsprodukt als gängiges Maß zu hinterfragen und sich gemeinsam in alternative Modelle von Wohlstandsindikatoren einzuarbeiten. Die zweite Unterrichtssequenz hat einen juristischen Schwerpunkt. Sie nimmt ihren Ausgang an dem vom Grundgesetz geforderten Schutz der Würde des Menschen. Gemeinsam wird zunächst rekonstruiert, wie sich dieser in In‐ stitutionen und Gesetzen widerspiegelt. Als ein konkretes Beispiel kommen dann die gesetzlichen Vorgaben zum Pfänden ins Spiel. Dieses Gesetz ist aus zwei Gründen von besonderem Belang für die Zielgruppe. Zum einen wurde das entsprechende Regelwerk in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts direkt aus dem Deutschen übersetzt. Es bietet sich daher an, diesen Übertragungsprozess zu beleuchten: An welchen Stellen wurde beispielsweise der Text variiert, um den kulturellen Besonderheiten Rechnung zu tragen? Zum anderen ist die Frage, welche Dinge einer Person gepfändet werden dürfen und welche nicht, ein er‐ giebiger Unterrichtsgegenstand für politische Bildung, weil sich das Gesetz über die vielen Jahrzehnte seines Bestehens hinweg beständig den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen musste. So reflektiert es kulturelle und technologische Veränderungen ebenso wie sich wandelnde ethische Urteile. 2.4.5 Umsetzung In den bisherigen Ausführungen kam immer wieder das große Potenzial zur Sprache, das dem fach- und sprachintegrierten Unterricht im Hinblick auf die Förderung einer ganzen Reihe von Kompetenzen beigemessen wird. Auch auf empirische Erkenntnisse, die solche Hoffnungen zumindest teilweise rechtfer‐ tigen, konnte verwiesen werden. Gleichwohl besteht kein Anlass für überzogene Erwartungen. Didaktische Konzepte, so überzeugend und faszinierend sie auch wirken mögen, gewinnen ihre Kontur erst in der praktischen Umsetzung - und der unterrichtliche Alltag kann sich dabei zuweilen als äußerst widerspenstig erweisen. Für dieses Problem bietet auch der fach- und sprachintegrierte Un‐ terricht durchaus Anschauungsmaterial. 53 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="54"?> Betrachtet man beispielsweise nur das Ausmaß, in dem sich bilinguale Zweige in den europäischen Schulsystemen seit den 1990er Jahren verbreiten konnten, scheinen die oben erwähnten institutionellen Beharrungskräfte längst be‐ zwungen. Blickt man hingegen in die unterrichtliche Praxis, bietet sich ein deutlich anderes Bild. Dort zeigt sich, was unweigerlich passiert, wenn hohe Erwartungen auf nicht weniger hohe Hürden treffen: Das erhoffte Lernpotenzial schrumpft beträchtlich. So wird der bilinguale Unterricht entgegen aller theo‐ retischen Entwürfe als stoff- und lehrerzentriert (Bonnett/ Breidbach 2013: 190) oder transmissionsorientiert (Coyle 2007: 548) beschrieben. Empirische Unter‐ suchungen illustrieren, wie durch die Gestaltung der Interaktion die Räume für selbstständiges Denken und Argumentieren verengt und Aushandlungspro‐ zesse unter den Lernenden verhindert werden (Nikula et al. 2013: 73ff; Dalton-Puffer 2007: 253ff; Llinares et al. 2012: 76). Es dominiert der triadische Dialog, also die beständige Abfolge von Impulsen der Lehrperson, auf die ein‐ zelne Lernende mit eher wenig komplexen Äußerungen reagieren (auch IREbzw. IRF-Sequenz, recitation script, tryadic structur; Walsh 2011: 17). Ein „schlecht gemachtes fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch“ (Leisen 2015: 132) beschneidet die Möglichkeiten des fach- und sprachinte‐ grierten Unterrichts erheblich. Das ist vor allem auf die doppelte Herausforde‐ rung zurückzuführen, der sich die Lernenden gegenübersehen. Ihnen begegnen in solchen unterrichtlichen Settings fortwährend fachliche Konzepte in der Fremdsprache, die sie sich auch in der Muttersprache erst erschließen müssen. Und gerade diese Konzeptentwicklung kann durch ein diskursives Miteinander im Klassenraum unterstützt werden (vgl. Leisen 2015). Dafür müssen die Ler‐ nenden jedoch vielfältige Möglichkeiten erhalten, ihre Vorstellungen und ihr Vorwissen einzubringen, Hypothesen zu formulieren, ihre Ideen zu vergleichen oder zu hinterfragen und gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Ein solcher Pro‐ zess der Bedeutungsaushandlung gilt daher als Motor der Kompetenzentwick‐ lung in fach- und sprachintegrierten Unterrichtssettings (Donato 2016; Palmer/ Ballinger/ Peter 2014; siehe auch Kap. 2.6). Die Planung fach- und sprachintegrierten Unterrichts darf sich demnach nicht darauf beschränken, relevante Inhalte auszuwählen und kohärent aneinander zu reihen. So wesentlich dieser erste Schritt auch ist: Eine nicht weniger große Sorg‐ falt sollte in einem zweiten Schritt der Frage gelten, wie sich diese Inhalte in Ver‐ bindung mit Aktivitäten und Interaktionsformen zu herausfordernden Lernsitu‐ ationen arrangieren lassen. Erst die Verbindung von substanziellen Themen mit angemessenen Aktivitäten ermöglicht es den Lernenden, mit der Fremdsprache zu experimentieren, Neues zu entdecken und nicht zuletzt: sinnvoll zu inter‐ agieren. Meine Ausführungen zur Unterrichtskonzeption haben an dieser Stelle 54 Michael Schart <?page no="55"?> daher nur eine Zwischenstation erreicht und richten sich den beiden folgenden Abschnitten auf die Gestaltung von Aufgaben und Interaktion. 2.5 Unterrichtskonzeption II: Die Aufgaben “I find it impossible to imagine how one could have a contend-based course without tasks, because one has to do something with the con‐ tent.” (Nunan 2017: 130) Auch das einleitende Zitat für diesen Abschnitt ist nur scheinbar trivial. Aus der Perspektive der Unterrichtspraxis betrachtet formuliert Nunan tatsächlich wohl nicht viel mehr als eine Binsenweisheit. Dass er es dennoch für notwendig er‐ achtet, in einer aktuellen Publikation zum fach- und sprachintegrierten Unter‐ richt auf die symbiotische Beziehung von Inhalten und Lernaktivitäten zu ver‐ weisen, wirft daher vor allem ein Licht auf die akademischen Diskussionen. Nunan thematisiert eine der zentralen Bruchlinien, von denen die Fremdspra‐ chendidaktik durchzogen wird. Sie trennt zwei Forschungsbereiche vonein‐ ander, die eigentlich eng verbunden sein sollten. Da sind auf der einen Seite die Forschungen, die sich mit der inhaltlichen Dimension des Fremdsprachenun‐ terrichts beschäftigen und denen sich Kap. 2.4 widmete. Auf der anderen Seite der Bruchlinie hat sich die empirische Aufgabenforschung eingerichtet. Eine entscheidende Ursache für diese Aufspaltung liegt zweifellos in der zu eng gefassten Vorstellung davon, was eine Aufgabe im Fremdsprachenunter‐ richt eigentlich leisten sollte. So definieren Samuda/ Bygate (2008: 67) sie als eine Herausforderung, die die sprachliche Entwicklung der Lernenden fördere. Wes‐ halb ein solches, weit verbreitetes Verständnis von Aufgaben, das die inhaltliche Dimension ausklammert, zu kurzsichtig ist, möchte ich in diesem Abschnitt eingehender darstellen. 2.5.1 Probleme der Aufgabenforschung Kritik an der aus unterrichtspraktischer Sicht kontraproduktiven Trennung von Aufgaben und Inhalten wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten in vielfäl‐ tiger Form geäußert. So verwies beispielsweise Snow, eine frühe Exponentin des Content-based Language Teaching, auf diese Problematik als sie bemängelte, dass die Methoden eine häufig vernachlässigte Komponente in inhaltsbasierten Pro‐ grammen darstellten (Snow 1993: 44). Und auch van Lier (z. B. 1996: 205) mahnte in seinen Arbeiten an, Inhalte und Aufgaben als Einheit zu betrachten, weil nur 55 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="56"?> so vermieden werden könne, dass ein an Inhalten orientierter Unterricht in Transmissionsprozesse abgleite. In pädagogisch ausgerichteten Publikationen zum aufgabenbasierten Ansatz finden sich gleichfalls immer wieder Stimmen, die vor einseitiger Betonung entweder der inhaltlichen oder der methodischen Dimension warnen (z. B. Nunan 2009; Rösler 2006). Und gerade im deutschen Sprachraum lassen sich rückblickend vielfältige Initiativen ausmachen, die dem Auseinanderdriften der beiden Diskussionsstränge entgegenarbeiteten: etwa die Überlegungen von Piepho (2003) zu einer Szenariendidaktik oder Legutkes Anstöße zur Integration der Projektidee in die Fremdsprachendidaktik (Legukte/ Thomas 2001; Legutke 2006, siehe auch Beckett 2005). Weshalb die getrennte Betrachtung von Inhalten und Aktivitäten aus der Perspektive der Praxis so bedenklich erscheint, lässt sich gerade am Beispiel des Projektunterrichts sehr gut veranschaulichen. Natürlich blieb auch dieses Thema nicht frei von einseitigen Betrachtungen. So werden Projekte zuweilen auf die Abfolge bestimmter methodischer Schritte reduziert (vgl. die Kritik in Schart 2003: 74). In der konkreten Planung und Durchführung eines Projekts zeigt sich jedoch, dass es eines flexiblen Zusammenspiels von Inhalten und Vor‐ gehensweisen bedarf. Nicht jedes Thema lässt sich auf die gleiche Art und Weise erkunden bzw. bearbeiten und für jede Lerngruppe wiederum sind andere Ak‐ tivitäten in unterschiedlicher Anordnung zielführend. Solche Entscheidungen vor Ort kompetent zu treffen, macht den Kern des Lehrberufs aus. In der empirischen Forschungspraxis hingegen wird Unterricht weitaus we‐ niger komplex konzipiert. Diese Reduzierung auf ausgewählte Aspekte ist zu‐ meist auch unerlässlich, um das unübersichtliche Geschehen in Lehr- und Lern‐ prozessen überhaupt systematisch erfassen zu können. Im Fall der Aufgabenforschung hat diese Herangehensweise jedoch leider dazu geführt, dass sich auch trotz der vielfältigen Forschungsaktivitäten der letzten Jahre keine unterrichtsrelevanten Erkenntnisse zur Planung von Unterricht ergeben haben. Ein Problem, das besonders augenfällig wird an der Selbstverständlich‐ keit, mit der die empirische Forschung auf sogenannte Spot-the-difference-Auf‐ gaben setzt. Dabei handelt es sich um eine Aktivität, bei der zwei Lernende Bilder er‐ halten, die nur in wenigen Details voneinander abweichen. Die Herausforderung besteht darin, dem Gegenüber diese Unterschiede zu erklären. Dass auf diesem Wege interessante Daten über den mündlichen Sprachgebrauch der Lernenden produziert werden, liegt auf der Hand. Als Lehrperson fragt man sich jedoch, wie sich eine solche Aufgabenstellung überhaupt sinnvoll in einen Unterrichtsablauf integrieren lässt. Mit einiger didaktischer Fantasie findet man natürlich eine Reihe 56 Michael Schart <?page no="57"?> 26 z.B. Andon/ Eckerth (2009); Breen (1987); Carless (2004); McDonough (2015); Müller-Hartmann/ Schocker (2017); Samuda (2015); Vandommele et al. (2018); zu den Erkenntnissen siehe Kap. 2.8.1 inhaltlicher Kontexte, bei denen es pädagogischen Sinn ergibt, Unterschiede auf Bildern zu suchen, etwa wenn sich eine Lerngruppe anhand verschiedener histo‐ rischer Fotos mit stadtplanerischem Wandel beschäftigt. Auch als spielerischer Impuls bietet sich dieser Aufgabentyp an. Die pädagogisch vertretbare Frequenz und damit ihre Bedeutung entspricht jedoch bei weitem nicht der Aufmerksam‐ keit, die diese Aufgabenform in der Forschung erfährt (vgl. auch Lyster 2007: 74). Dass auch einflussreiche Vertreter dieser Forschungsrichtung wie Ellis (2018) und Skehan (2016) inzwischen eher ernüchternde Analysen zur Aussagekraft bisheriger empirischer Erkenntnisse vorlegen, kann daher nicht verwundern. All die Jahre intensiver Betrachtung einzelner Faktoren der Aufgabenbewälti‐ gung haben letztlich nicht dazu geführt, dass wir heute auf ihrer Grundlage sagen könnten, wie ein aufgabenbasierter Syllabus für einen mehrwöchigen Kurs oder auch nur eine 90minütige Unterrichtseinheit aussehen sollte. Was passiert, wenn Forschungen im pädagogischen Bereich die ökologische Validität zu weit aus den Augen verlieren, lässt sich an diesem Beispiel daher besonders eindrücklich studieren. Die Aufgabenforschung konzentrierte sich bislang auf zu eng begrenzte Aus‐ schnitte von Unterrichtspraxis, untersuchte beispielsweise in quasi-experimen‐ tellen Settings die Auswirkungen von Planungszeiten oder von unterschiedlichen Komplexitätsgraden einer Aufgabe auf die (oft) mündliche Sprachproduktion. Man gewinnt beim Lesen solcher Studien unweigerlich den Eindruck, als voll‐ ziehe sich die Aufgabenbearbeitung in einem gleichsam luftleeren Raum und beim Fremdsprachenunterricht ginge es ausschließlich um Lernziele, die sich aus lin‐ guistischer Perspektive beschreiben lassen. Ein umfassenderes Verständnis der Einbindung von Aufgaben in einen konkreten pädagogischen Kontext mit Leh‐ renden, Lernenden und sonstigen Interessengruppen, lokalen Bedingungen und vielschichtigen Lernzielen bleibt bei dieser Form von Forschung unerreichbar. Eine Trendwende zeichnet sich seit einigen Jahren zumindest im Hinblick auf die Rolle von Lehrenden und Lernenden ab. Ihr schenkt die empirische Aufga‐ benforschung zunehmend größere Beachtung. 26 Der Zusammenhang von Auf‐ gaben und Inhalten hingegen muss nach wie vor als unterbelichtet gelten. Die vorliegende Studie versteht sich daher als ein Beitrag, diese von vielen Seiten kritisierte Forschungslücke (Ellis 2018; Kumaravadivelu 2007; Samuda/ Bygate 2008: 258) anzugehen. Unsere Untersuchung wird verdeutlichen, weshalb sich die Aufgabenforschung durch die Vernachlässigung der Inhalte bislang einen wichtigen Zugang zu praxisrelevanten Erkenntnissen verbaute. 57 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="58"?> 2.5.2 Prinzipien aufgabenbasierten Lehrens und Lernens Vom aufgabenbasierten Ansatz - und das verbindet ihn mit den oben beschrie‐ benen Überlegungen zur Integration von Fach und Sprache - geht ein wichtiger Impuls für die Weiterentwicklung der kommunikativen Didaktik aus. Deren ra‐ santer Aufstieg zum Standardmodell des Lehrens und Lernens von Fremdspra‐ chen seit den 1980er Jahren war nur möglich, indem sie in der unterrichtlichen Praxis sehr flexibel gehandhabt und nicht selten an ihren innovativsten Ideen gestutzt wurde. Der im akademischen Betrieb zurecht als Paradigmenwechsel empfundene Übergang zum kommunikativen Unterricht gestaltete sich daher in den Klassenräumen wohl eher als ein geschmeidiger und auch langwieriger Veränderungsprozess. Somit ist die gewisse Konturlosigkeit des Konzepts, die wir heute beklagen, eigentlich die Voraussetzung seines so umfänglichen Er‐ folgs. Zugleich bieten sich dadurch zahlreiche Ansatzpunkte, das Profil der kommunikativen Didaktik zu schärfen. Und während sich in diesem Bemühen der fach- und sprachintegrierte Ansatz auf die Inhalte konzentriert, lenkt der aufgabenbasierte Ansatz das Augenmerk auf die methodische Gestaltung. Die kommunikative Fremdsprachendidaktik muss sich in der Unterrichts‐ praxis mit der bis heute weit verbreiteten Vorstellung arrangieren, dass sich fremdsprachliches Lernen als linearer Prozess vollziehe, bei dem sich in den Köpfen der Lernenden diskrete Komponenten von Sprache nach und nach zu einem vollständigen Ganzen fügen. Eine Annahme, aus der weitreichende Kon‐ sequenzen für das Konzipieren von Unterricht erwachsen: Um die Fremdsprache einer Planung zugänglich zu machen, wird sie zunächst in kleinere Einheiten zerlegt. Derart isolierte sprachliche Phänomene, seien sie nun formaler oder funktionaler Natur, können dann in eine bestimmte Reihenfolge (Progression) gebracht und anschließend mit Hilfe von verschiedenen Texten und Arbeits‐ aufträgen zu einer Lernumgebung arrangiert werden. Ellis/ Shintani (2014: 50) merken sehr treffend an, dass bei dieser Sichtweise die Fremdsprache selbst im Zentrum stehe und nicht das Fremdsprachenlernen. Anhand einer vorab entwickelten Progression sollen die Lernenden die fremde Sprache in immer differenzierterer Weise kennen und darauf aufbauend auch verwenden lernen. Dabei stehen sie vor der Herausforderung, die Synthese der zuvor isoliert geübten sprachlichen Einzelteile zu erbringen, weshalb man auch von einem synthetischen Ansatz spricht (Nunan 2009: 11). Folgerichtig enthält ein typisches Unterrichtsdesign den Dreischritt von der Präsentation (neuer) sprachlicher Elemente, über das Einüben dieser Elemente bis hin zu ihrer selbstständigen Produktion. Den Ideen der kommunikativen Didaktik öffnet sich dieses Unterrichtsmodell vor allem in der dritten Phase, in der die Lernenden zum - mehr oder weniger 58 Michael Schart <?page no="59"?> - selbstbestimmten Gebrauch der Fremdsprache angehalten werden. Die nega‐ tiven Folgen dieses eher dürftigen Rückgriffs auf die Möglichkeiten, die der kommunikative Ansatz eigentlich bietet, wurden vielfach beschrieben. Sie zeigen sich etwa in der mangelnden Aktivität und Kreativität der Lernenden oder der fehlenden Relevanz der Interaktionen (z. B. Legutke/ Thomas 1991: 7ff). Es war somit nur eine Frage der Zeit, bis man sich daran machte, die kom‐ munikative Didaktik konsequenter zu denken und umzusetzen und der aufga‐ benbasierte Ansatz gehört sicher zu den prominentesten Beispielen dieser Be‐ wegung. Er bricht mit dem soeben umrissenen Modell von Unterricht und setzt ihm ein vollkommen anderes Verständnis von fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen entgegen. Der Fokus der Unterrichtsplanung liegt dabei nicht auf den formalen oder funktionalen Aspekten der Fremdsprache, sondern auf ihrer selbstbestimmten und kreativen Anwendung. Die Lernenden sollen der Fremd‐ sprache von Beginn an in möglichst komplexer Form begegnen, eingebettet in einen bestimmten kommunikativen Kontext und verbunden mit Handlungsab‐ sichten. Im Unterschied zu einem Unterrichtskonzept, das formalen oder funktionalen Progressionen folgt, sehen sich hier also die Lernenden mit der Herausforderung konfrontiert, eigene Lernwege zu erschließen, indem sie die Fremdsprache ana‐ lysieren und deren Regelmäßigkeiten und Konventionen verstehen. Nunan (2009: 11) beschreibt diesen Prozess als analytischen Ansatz des Fremdsprachen‐ lernens. Übungssequenzen, bei denen ausgewählte sprachliche Elemente in iso‐ lierter Form trainiert werden, spielen bei der Planung des Unterrichts eine un‐ tergeordnete oder - wie im hier untersuchten Unterricht - keine Rolle. Denn es entspricht der Zielsetzung von Aufgaben, dass sie die Aufmerksamkeit der Ler‐ nenden vor allem auf die Bedeutung sprachlicher Äußerungen lenken. Sie sollen animiert werden, ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren, um die Aufgabe zu bewältigen. Ein einheitlicher Lernprozess aller Teilnehmenden eines Unter‐ richts, wie er beispielsweise mit einer grammatischen Progression angestrebt wird, ist somit nicht intendiert. Da der aufgabenbasierte Unterricht auf bekannte und bewährte Vorgehens‐ weisen setzt, wäre es ein Missverständnis, ihn als eine neue Methode des Fremd‐ sprachenunterrichts zu begreifen. Dass die Lernenden beispielsweise angeregt werden, Informationen aus komplexen Zusammenhängen zu extrahieren, in andere Textformen umzuformen oder sie neu zu anzuordnen, gehört zum tra‐ ditionellen Inventar von fremdsprachendidaktischen Aufgabenstellungen. Das Neue oder Innovative der Aufgabenbasierung ergibt sich daher nicht aus den Unterrichtstechniken, sondern aus den Prinzipien, nach denen diese arrangiert werden. Diese lassen sich in wenigen Punkten zusammenfassen (vgl. Long 59 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="60"?> 2016: 7; Ellis 2018: 175; Nunan 2009: 35; Samuda/ Bygate 2008: 69; Samuda 2015; Willis/ Willis 2007: 34): 1. Die Triebkraft des Unterrichts bilden Aufgabenstellungen, also offen ge‐ staltete Impulse, die zu einem kreativen, selbstständigen und zielgerich‐ teten Gebrauch der Fremdsprache anregen. 2. Das Unterrichtsgeschehen wird von Lückenaktivitäten (gap activities) ge‐ prägt. Das sich aus der Heterogenität von Meinungen, Ideen, Argumen‐ tationen oder Lösungsansätzen ergebende Potenzial für den Austausch und das Lernen wird planvoll genutzt. 3. Der Unterricht zielt auf die Verknüpfung von Sprachgebrauch und Spra‐ chenlernen. Die „intuitiven Heuristiken“ (Kumaravadivelu 1994: 32) der Lernenden werden aktiviert. Systematische Sprachbetrachtungen er‐ folgen immer eingebunden in einen inhaltlichen Kontext und sind nach‐ geordnet (focus on form). 4. Die individuellen Lernwege der Lernenden werden respektiert und ge‐ fördert. Sie erhalten vielfältige Möglichkeiten, ihre sprachlichen und nicht-sprachlichen Kompetenzen einzubringen und weiterzuentwickeln. 5. Zugleich wird das Potenzial kooperativen Lernens intensiv genutzt. Es werden permanent Räume geschaffen, in denen die Lernanlässe von den Lernenden selbst ausgehen und sich Aushandlungsprozesse unter den Beteiligten vollziehen können. 6. Die Materialien zeichnen sich durch reichhaltigen, elaborierten und an‐ spruchsvollen sprachlichen Input aus. Wie man auf der Grundlage solcher Prinzipien zu einem Kurskonzept gelangt, möchte ich im folgenden Abschnitt thematisieren. 2.5.3 Kursgestaltung Diesen sechs Prinzipien aufgabenbasierten Unterrichtens kann man sicherlich entgegenhalten, sie blieben im Ungefähren und seien somit kaum dazu geeignet, Lehrenden eine Hilfestellung für ihre Planungsprozesse zu bieten. Tatsächlich wäre es ja auch nicht das erste ambitionierte akademische Projekt, das erheblich an Strahlkraft verliert, sobald es sich im Unterrichtsalltag bewähren muss. Der für den aufgabenbasierten Ansatz so zentrale Leitgedanke der Selbstbestimmt‐ heit beispielsweise findet sich auch schon in den frühen Entwürfen einer kom‐ munikativen Didaktik (z. B. Piepho 1974). Dass er dazu beitragen konnte, die Spielräume für die Lernenden beträchtlich zu erweitern, lässt sich jedoch - wie weiter oben diskutiert - nur bedingt behaupten. 60 Michael Schart <?page no="61"?> Das Prinzip der Lücke Bei genauerer Betrachtung der Prinzipien wird jedoch erkennbar, dass der auf‐ gabenbasierte Ansatz der Gefahr einer beliebigen Auslegung vorbaut, indem auch die konkrete Ausgestaltung unterrichtlicher Aktivitäten einbezogen wird. So spiegelt sich etwa die Maxime der Förderung von Selbstbestimmtheit und individuellen Lernwegen unmittelbar in der Art der Aufgabenstellungen wider. Wie am zweiten Prinzip der Liste deutlich wird, gehören vor allem sogenannte gap-activities zum unabdingbaren Inventar aufgabenbasierten Unterrichts (Ellis 2018: 159; Johnson 1982; Willis 2004). Die Aufgabengestaltung orientiert sich am Lernpotenzial von Heterogenität, sie nutzt die Spannung, die das Zusammentreffen von Unterschieden erzeugen kann. Mit Hilfe von Lückenaktivitäten lassen sich Situationen arrangieren, in denen die Lernenden ihre eigenen Ideen, Meinungen oder Lösungen einbringen können und sich zugleich mit anderen abstimmen müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Zum einen wird die bereits vorhandene Vielfalt der Lern‐ gruppe genutzt, etwa wenn die Aufgaben dazu anregen, persönliche Meinungen oder Erfahrungen mit den anderen zu teilen. Zum anderen können die Aufgaben aber auch so gestaltet sein, dass sie Differenzen und Diskrepanzen selbst erst generieren, beispielsweise indem sich die Lernenden zunächst voneinander ab‐ weichende Informationen erarbeiten, diese vergleichen, diskutieren oder in einer Synthese zusammenzuführen. Lückenaufgaben erhöhen die Chance, dass das Geschehen im Klassenraum tatsächlich von Situationen charakterisiert wird, in denen die Lernenden selbst‐ bestimmt ihre sprachlichen und nicht-sprachlichen Ressourcen einbringen und erweitern können. Aus der etwas diffusen Idee der Selbstbestimmtheit wird da‐ durch ein greifbares Element der Unterrichtsgestaltung. Solche Aktivitäten können natürlich in sehr unterschiedliche Konzepte von Fremdsprachenunterricht integriert werden. Das entscheidende Merkmal auf‐ gabenbasierter Settings besteht deshalb darin, dass sie den Motor der Lehr- und Lernprozesse bilden. Im hier untersuchten Kursangebot äußert sich das Prinzip der Lücke beispielsweise in der wichtigen Rolle, die der sogenannten Think-Pair-Share-Technik (Lyman 1981) zukommt. Durch die Lernmaterialien mit Texten und Aufgaben bzw. Impulsen wird zunächst eine Lücke innerhalb der Lerngruppe erzeugt, oft in Form eines Informationsgefälles oder der Begeg‐ nung mit einem kognitiven Konflikt (vgl. Gillies 2014). Es folgt ein methodischer Dreischritt, der von der individuellen Auseinandersetzung mit der Problematik über den Austausch in Kleingruppen zur Präsentation und Diskussion im Plenum führt. 61 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="62"?> Auch wenn sich die Think-Pair-Share-Technik in besonderer Weise anbietet, um das Prinzip der Lücke in einen kohärenten unterrichtlichen Ablauf einzu‐ binden, so lässt sich doch der aufgabenbasierte Ansatz nicht auf eine bestimmte Abfolge methodischer Schritte reduzieren. Über die oben genannten Prinzipen hinaus beschränkt er sich darauf, Hilfestellungen in Form von Aufgabentypo‐ logien bereitzustellen. Diese Typologien verdeutlichen die große Bandbreite an Gestaltungsvarianten. Sie schärfen das Bewusstsein für die verschiedenen As‐ pekte, die bei der Entscheidung für eine bestimmte Aktivität relevant sind. Sollen sich beispielsweise die Lücken in den gap activities auf Informationen beziehen, auf Meinungen oder auf Argumentationen (Nunan 1987: 46ff)? Und welche kognitiven Fähigkeiten werden von einer Aufgabe angesprochen? Geht es eher darum, Informationen nur zu ordnen und aufzulisten, oder können und sollten größere Anforderungen an die Lernenden gestellt werden, etwa indem sie Vergleiche anstellen, Synthesen bilden oder eigenständig Problemlösungen entwickeln (Willis 1996)? Die Typologien nutzen auch gerne Dichotomien, um das Spektrum an Einsatzmöglichkeiten aufzuzeigen: So können Aufgaben eher Input-fokussiert angelegt sein oder Output-fokussiert, schriftliche oder münd‐ liche Aktivitäten auslösen, auf konvergente oder divergente Ergebnisse zielen, offen oder geschlossen gestaltet sein, einseitig - etwa im Sinne einer Präsenta‐ tion - oder zweiseitig, wenn ein Austausch angestrebt wird. Lehrenden wird somit eine sehr breite und flexibel handhabbare Palette von gestalterischen Optionen geboten, auf deren Grundlage sich ein abwechslungs‐ reiches Unterrichtsgeschehen arrangieren lässt. Aber die Abwechslung allein, so wichtig und motivierend sie für erfolgreiche Lernprozesse auch sein mag, verleiht einem Kursangebot noch keine Stringenz. An dieser Stelle tritt das Kernproblem des aufgabenbasierten Unterrichts zutage (vgl. Nunan 2009: 30): Wenn man bewusst auf das Gerüst verzichtet, das grammatische Progressionen bereitstellen, und wenn zugleich die empirische Aufgabenforschung kaum hilf‐ reiche Erkenntnisse für eine systematische Unterrichtsplanung hervorbringt (siehe Kap. 2.5.1), welches Kriterium bleibt Lehrenden und Programmgestaltern dann, um das vielfältige Angebot an Aufgaben zu einem pädagogisch sinnvollen Verlauf anzuordnen? Die Antwort ist offenkundig und sie kam in der bisherigen Argumentation bereits mehrfach zur Sprache: Soll ein „Schrotflinten-Syllabus“ (van Lier 1996: 205), also eine mehr oder weniger beliebige Aneinanderreihung von Im‐ pulsen vermieden werden, dann bedarf die Planung aufgabenbasierten Unter‐ richts eines inhaltlichen Rahmens. Auch sehr kreative und anregende Aufga‐ benstellungen können zu frustrierenden Aktivitäten führen, wenn sie sich nicht zugleich auf Gegenstände beziehen, die von den Lernenden als interessant, her‐ 62 Michael Schart <?page no="63"?> ausfordernd oder motivierend empfunden werden. Fitzsimmons-Doolan et al. (2017: 22) weisen daher meines Erachtens zurecht darauf hin, dass Lückenakti‐ vitäten ohne überzeugende thematische Einbettung leicht als gekünstelte oder konstruierte Unternehmung wahrgenommen werden. Wie zutreffend diese Kritik ist, lässt sich am Beispiel der Aufgabensammlung von Ur (2015) illus‐ trieren, in der ansprechende methodische Ideen unter der sie begleitenden in‐ haltlichen Beliebigkeit leiden. Es kommt beim aufgabenbasierten Unterricht - ganz anders als es die Be‐ zeichnung suggeriert - demnach keineswegs vor allem auf die Aufgabenstel‐ lungen an. Tatsächlich entfaltet sich sein Potenzial erst durch die Komposition von Aufgaben und Inhalten. Verknüpfung von Aufgaben und Inhalten Eine der stringentesten Konzepte für eine inhaltsbasierte Anordnung von Auf‐ gaben zu einem Syllabus stammt von Long (2015). Er setzt an einer Bedarfsana‐ lyse an, fragt also zunächst danach, auf welche Situationen in der Arbeitsbzw. Lebenswelt ein Kurs die Teilnehmenden vorbereiten soll. Diese Situationen werden dann in unterrichtliche Aufgaben übersetzt, sodass sich das Geschehen innerhalb des Klassenraums schrittweise jenem außerhalb annähert. Nur auf diese Weise, so Longs Argumentation, sei es überhaupt möglich, einen kohä‐ renten Syllabus aufgabenbasierten Unterrichts zu erstellen. Die traditionelle Unterscheidung zwischen dem Gegenstand eines Unterrichts und der Methode wird somit weitgehend aufgehoben (vgl. auch van den Branden 2006: 6). Longs Vorgehensweise hat zweifellos Charme, denn sie erleichtert es Leh‐ renden erheblich, die Relevanz des Unterrichts zu verdeutlichen. Wenn bei‐ spielsweise die Teilnehmenden an einem fach- und sprachintegrierten Vorbe‐ reitungskurs für ausländische Pflegekräfte bereits im Klassenzimmer mit Aufgaben konfrontiert werden, die sich sehr eng an den Anforderungen ihrer künftigen beruflichen Tätigkeit orientieren, dann ist dieses Vorgehen unmit‐ telbar einsichtig und bedarf keiner weiteren Begründung. Und es finden sich auch im Kontext japanischer Universitäten Versuche, Longs Ideen umzusetzen. So beschreibt Lambert (2010), wie er auf der Grundlage einer Bedarfsanalyse bei potenziellen künftigen Arbeitgebern seiner Studierenden den Englischunter‐ richt neu konzipiert. Und Iizuka (2019) führt eine Bedarfsanalyse durch, um das bevorstehende Auslandsstudium seiner Lernenden besser vorbereiten zu können. Durch Umfragen und Interviews - beispielsweise mit erfahrenen Gast‐ familien - versucht er systematisch die kommunikativen Anforderungen wäh‐ rend des Auslandsaufenthaltes zu erfassen, die dann in einem zweiten Schritt in die Planung eines aufgabenbasierten Kurses einfließen. 63 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="64"?> Wie diese Beispiele verdeutlichen, überzeugt das von Long vertretene Kon‐ zept - das er selbst als das einzig sinnvolle betrachtet - durch seine Stringenz. Gleichwohl gehen Longs Überlegungen weit an den unterrichtlichen Bedin‐ gungen vorbei, wie sie viele Lehrende in den Bildungssystemen weltweit vor‐ finden. Zumeist lassen sich die Anforderungen, vor denen die Lernenden in Zukunft stehen werden, nur sehr grob umreißen. Daher gewinnen bei der Pro‐ grammgestaltung neben den fremdsprachlichen und fachlichen Kompetenzen die generischen Kompetenzen als Bildungsziele eine besondere Bedeutung. Sie werden mit Themen verknüpft, die auf das Interesse der Teilnehmenden stoßen oder - wie im hier untersuchten Fall - sich am Studienfach orientieren. Je nach Kontext können auf diesem Wege sehr unterschiedliche Modelle einer Ver‐ knüpfung von Inhalten und Impulsen entstehen. Sie weisen letztlich nicht we‐ niger Kohärenz als der von Long favorisierte Ansatz auf, auch wenn der un‐ mittelbare Zusammenhang mit künftigen Gebrauchssituationen fehlt. Als ein Beispiel lässt sich Breens (1987) Prozess-Syllabus anführen, der kon‐ sequent von den Interessen der Teilnehmenden ausgeht und seine Gestalt erst durch einen gemeinsamen Findungsprozess aller Beteiligten erhält. Wenn in‐ stitutionelle Bedingungen jedoch diesem sehr offenen Ansatz entgegenstehen, bietet sich ein themenbasierter Syllabus an. Dessen Struktur wird eher von den Entscheidungen der Lehrperson bzw. curricularen Vorgaben geprägt. Sowohl beim Prozess-Syllabus als auch beim themenbasierten Syllabus kann sich die konkrete inhaltliche Planung an unterschiedlichen Leitgedanken ori‐ entieren. So schlägt Cameron (2010) vor, jedes Rahmenthema in die Aspekte Menschen, Objekte, Aktionen, Prozesse, typische Ereignisse und Orte zu unter‐ gliedern. Ellis (2003) gruppiert in seinem „Themengenerator“ die Inhalte kon‐ zentrisch um das lernende Individuum. Im unmittelbaren Umfeld der Lernenden befinden sich somit die Gegenstände der alltäglichen Lebenswelt, am weitesten entfernt globale Themen und auch die Welt der Imagination. Mit fortschrei‐ tender fremdsprachlicher Kompetenz, so die Idee, erschließen sich die Ler‐ nenden nach und nach den derart vorgezeichneten Raum. Diese Vorschläge für die Strukturierung der inhaltlichen Planung richtet sich an Kursangebote, deren Curriculum sich im Unterschied zu Longs Konzept nicht an fest umrissenen, zukünftigen (beruflichen) Anforderungen orientieren kann. Sie sind daher auch für das Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Keio Universität von besonderem Interesse. Wie bereits in Kap. 2.4.4 anklang, inspirierte vor allem der Themengenerator dessen inhaltliches Konzept. So be‐ fasst sich der Unterricht im ersten Studienjahr schwerpunktmäßig mit Fragen der Identität und richtet sich in den folgenden Studienjahren auf die Themen‐ bereiche Generation und Gesellschaft. Die Übergänge sind jedoch fließend ge‐ 64 Michael Schart <?page no="65"?> staltet, was sich gerade an den mit dieser Studie untersuchten Unterrichtsein‐ heiten ablesen lässt. Obwohl sich die Lernenden mit einem Gegenstand beschäftigen, der ihre alltägliche Lebenswelt unmittelbar betrifft - die Bezie‐ hung zwischen den Menschen und den Dingen, die sie umgeben -, geht es zu‐ gleich um gesellschaftspolitische bzw. juristische Fragen (siehe Kap. 2.4.4). Nach dem Abstecken des inhaltlichen Rahmens kann sich die Planung der Frage zuwenden, wie sich darin Aufgaben sinnvoll integrieren lassen. Auch hierfür wurde eine Reihe unterschiedlicher Vorgehensweisen entwickelt. Die einzelnen Aufgaben können beispielsweise so arrangiert werden, dass sie die Lernenden nach und nach zu einer Zielaufgabe führen. Der Planungsprozess setzt also an den Kompetenzen an, die Lernende entwickelt haben müssen, um ein bestimmtes Endprodukt hervorzubringen. Von diesem Punkt aus rückwärts blickend werden vorbereitende Aufgaben zu längeren Unterrichtssequenzen bzw. Lernszenarien (Legutke 2006; Piepho 2003) verknüpft. Auch für Modelle, die auf Vorwärtsplanung gerichtet sind, finden sich in der Fremdsprachendidaktik Beispiele. Detailliert ausgearbeitet ist etwa der Six T’s approach von Stoller/ Grabe (2017: 53ff). Bei diesem Ansatz werden Rahmen‐ themen (themes) zunächst in Unterthemen (topics) zerlegt, und anschließend mit Materialien (texts) und geeigneten Aufgaben (tasks) zu Unterrichtssequenzen arrangiert. Gezielt geplante Übergänge (transitions) und sich im Unterricht eher spontan ergebende Verknüpfungen (threads) sorgen für eine insgesamte kohä‐ rente Struktur eines Kursangebots. Das lineare Modell von Ellis (2018) setzt ebenfalls an einem Rahmenthema an, geht jedoch dann direkt zu den Aufgabenstellungen über: Deren Verbindung führt zu der oben beschriebenen Lücke und der Entscheidung für ein bestimmtes Ergebnis. Erst dann werden die Materialien entwickelt, die im Modell von Stoller/ Grabe als Bestandteil des Themas betrachtet werden. Im hier untersuchten fach- und sprachintegrierten Kurs für Studierende auf Grundstufenniveau werden diese unterschiedlichen Planungsansätze zusam‐ mengeführt. Während also einige Unterrichtseinheiten aus einer Rückwärts‐ planung hervorgehen (z. B. Schart 2013), entstehen andere eher aus einem vor‐ wärts gerichteten Verfahren. In einigen Fällen stehen interessante Texte am Beginn der Entwicklung einer Unterrichtseinheit, in anderen beginnt die Pla‐ nung bei zu fördernden Kompetenzen und entsprechenden Aufgabentypen. Anders als es die oben beschriebenen linearen Modelle nahelegen, gestaltet sich die Planung jedoch in der Praxis normalerweise als ein iterativer Prozess. Die Auswahl und Formulierung von Aufgaben einerseits und die Gestaltung der Texte andererseits werden kontinuierlich aufeinander bezogen. Neben der Ori‐ entierung an einer inhaltlichen Kohärenz sind im Intensivprogramm für 65 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="66"?> Deutschlandstudien dabei zwei weitere Prinzipien von zentraler Bedeutung. Zum einen werden die Unterrichtseinheiten so konzipiert, dass die Studierenden auf kognitive Konflikte stoßen. Die Planung wird also beständig dahingehend hinterfragt, inwiefern sie zu intellektuell herausfordernden Situationen führen kann (vgl. Gillies 2014: 795). Im Einklang mit der inhaltlichen Relevanz liegt hierin eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass die Lernenden animiert werden, sich einer Thematik zu stellen, Problemstellungen motiviert anzugehen und sich auf den Austausch mit den anderen einzulassen. Interaktion wird da‐ durch zu einem inhärenten Merkmal des Unterrichtsgeschehens. Und hier zeigt sich das dritte Prinzip der Planung: die Inhalte und Aktivitäten werden so ar‐ rangiert, dass sie Austausch- und Aushandlungsprozesse nicht nur ermöglichen, sondern auch wahrscheinlich machen. Und weil sich daraus eine Art des Un‐ terrichtens ergibt, die von bisherigen Darstellungen des interaktiven Gesche‐ hens in fach- und sprachintegrierten Programmen abweicht (Kap. 2.4.5), möchte ich sie im folgenden Abschnitt eingehender betrachten. 2.6 Unterrichtskonzeption III: Dialogisches Lernen “CLIL students may be able to do more than we think, if we provide them with more inter‐ actional space to articulate their under‐ standing.” (Llinares/ Morton 2010: 62) Llinares/ Morton formulieren ihre Annahme über die Bedeutung interaktionaler Räume für das Lernen in fach- und sprachintegrierten Unterrichtssetttings zu‐ recht mit Bedacht, zeichnen doch bisherige empirische Studien in dieser Hin‐ sicht ein eher desillusionierendes Bild (siehe Kap. 2.4.5). Sie geben jedenfalls nicht - oder nur sehr bedingt - zu erkennen, wie ein Unterricht aussehen könnte, der den Lernenden weitgehende interaktionalen Freiheiten zugesteht. Weitaus deutlicher führen sie vor Augen, dass die Kombination aus relevanten Inhalten und ansprechenden Aufgaben nicht zwangsläufig lebhafte Interakti‐ onsprozesse in Gang setzt. Das Frage-Antwort-Rückmeldungs-Muster (Richert 2005) bzw. IFR/ IRE-Sequenzen bleiben das Patentrezept für die Interaktion im Klassenraum, auch im fach- und sachintegrierten Unterricht, und das trotz aller Kritik aus dem akademischen Betrieb und entgegen all der Rufe nach einem Austausch, bei dem Rederechte und Redeanteile gleichmäßiger verteilt werden (z. B. Llinares et al. 2012: 63ff; Lyster 2007: 21; Moate 2011; Mehisto 2012: 44ff; Mehisto et al. 2008). Dieses eher skeptisch stimmende Bild wird auch von Ni‐ kulas (2012) Studie kaum aufgehellt. Sie zeigt zwar, dass sich in CLIL-Settings 66 Michael Schart <?page no="67"?> eine größere interaktionale Symmetrie andeutet, die IRF-Sequenzen beispiels‐ weise häufiger von den Lernenden selbst initiiert werden und zu längeren sowie komplexeren Redebeiträgen führen, aber das grundlegende Muster der Inter‐ aktion wird nicht durchbrochen. 2.6.1 Dialogische Wende Dass Lehrende ungern auf das Mittel der engen Gesprächsführung verzichten, lässt sich natürlich sehr gut nachvollziehen. Es sichert ihnen nicht nur die Kon‐ trolle über die Rollenverteilung im Klassenraum. Es hilft ihnen vor allem, die geplanten Stundenziele zu erreichen, denn Unterricht verläuft - selbst unter idealen Bedingungen - als unvorhersehbarer, von zahlreichen Faktoren beein‐ flusster Prozess. Zum Kern der pädagogischen Verantwortung zählt es, dieses potenzielle Chaos einzudämmen und den Fortgang des Geschehens auf dem gewünschten Kurs zu halten. Und dafür ist das Frage-Antwort-Rückmel‐ dungs-Muster ein probates und von allen Beteiligten über Jahre hinweg einge‐ übtes Verfahren. Es hat die Lernbiografien vieler Menschen so nachhaltig ge‐ prägt, dass seine Nachteile leicht als missliche, aber leider unabwendbare Begleiterscheinungen wahrgenommen werden: die überbordende Dominanz der Lehrperson bei den Redeanteilen beispielsweise oder die tendenziell kurzen und nur wenig komplexen Äußerungen auf Seite der Lernenden. Wenn sich die Lernenden auf einen Bruchteil der Redezeit in einer Unter‐ richtsstunde beschränken müssen, während die Lehrperson ausgiebig zu Wort kommt, dann lässt sich nur schwer von der Hand weisen, dass diese Art der Interaktion ein suboptimales Umfeld erzeugt, um fremdsprachliche Fähigkeiten zu fördern. Aber die Einwände gegen eine enge Unterrichtsführung be‐ schränken sich keineswegs auf solche zeitökonomischen Überlegungen und sie zielen - obgleich sie den Fremdsprachenunterricht in besonderer Weise be‐ treffen - auf die gesamte Interaktion in schulischen Lernprozessen. Denn Ge‐ sprächskompetenz zu entwickeln, also die Fähigkeit, in komplexen und inhalt‐ lich anspruchsvollen Dialogen angemessen zu agieren und sich in Prozesse der Entscheidungsfindung und Meinungsbildung einzubringen, gehört zu den Kern‐ aufgaben des Bildungssystems in demokratischen Gesellschaften (vgl. Ruf 2008). Die Kritik reicht jedoch noch weiter und berührt letztlich die Frage, was Lernen in Gemeinschaften eigentlich ausmacht. Das große Potenzial von Klas‐ senräumen liegt ja nur vermeintlich darin, Wissen effizient von einer Person auf zehn, zwanzig oder dreißig Lernende zu übertragen. Betrachtet man das Geschehen aus soziokultureller Perspektive (vgl. Kap. 2.2.7) erhellt sich, dass es vor allem dann Sinn macht, Menschen zum Lernen in Gruppen zu versammeln, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, zusammen an Herausforderungen zu ar‐ 67 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="68"?> beiten, um Erklärungen und Lösungen zu ringen und dabei nicht nur Wissen anzuwenden oder zu übernehmen, sondern auch gemeinsam neues Wissen zu produzieren. Solche Prozesse jedoch bedingen einen selbstbestimmten sprach‐ lichen Austausch. In diesem Sinne ist die Qualität des Lernens in einem Klas‐ senraum unmittelbar mit der Qualität der Interaktion verknüpft. Und diese Qualität lässt sich beobachten: Sie zeigt sich an Anzahl und Umfang der Äuße‐ rungen von Lernenden, sie zeigt sich darin, wie Lernende mit ihren Redebei‐ trägen aufeinander reagieren, an zuvor Gesagtes anknüpfen, es erweitern oder hinterfragen. Und sie zeigt sich auch in den Hilfestellungen, die sie sich gegen‐ seitig anbieten. Ein Unterricht, der dieses intensive Miteinander zulässt und fördert, trägt einen vollkommen anderen Charakter als ein von enger Gesprächsführung durch die Lehrperson gekennzeichnetes Klassenraumgeschehen. Und selbst wenn man in Rechnung stellt, dass es sich beim Frage-Antwort-Bewertungs‐ muster um eine übermäßig reduzierte Variante des fragend-entwickelnden Un‐ terrichts handelt, die dessen mäeutische Möglichkeiten bedauerlicherweise brach liegen lässt, bleiben die Unterschiede eklatant. Gewährt man als Lehrkraft tatsächlich interaktive Freiräume, wie Llinares/ Morten (2010) sie in ihren eingangs zitierten Überlegungen anmahnen, kann das gesamte „Kommunikationssystem des Unterrichts“ (Barnes 2008: 2) ins Wanken geraten. Viele der Grundregeln unterrichtlicher Interaktion stehen dann zur Disposition, etwa die, dass nur die Lehrperson anderen das Rederecht erteilen darf, dass nur sie ohne Erlaubnis einzuholen spricht und andere ungefragt kor‐ rigiert, oder dass Lernende zügig auf die Impulse der Lehrperson reagieren sollten (vgl. Mercer/ Howe 2012). Es ist daher folgerichtig, dass Begriffe wie dialogische Wende (dialogic turn) bzw. dialogische Haltung (dialogic stance) geprägt wurden, um die grundsätz‐ liche Verschiedenartigkeit des Interagierens zu markieren, die aus einem sol‐ chen Ansatz erwächst (vgl. Wegerif 2005; Wells 2009; Wells/ Ball 2008). Der Be‐ griff des Dialogs bezieht sich dabei - seiner ursprünglichen Bedeutung entsprechend - auf ein „Fließen von Worten“ zwischen allen am Unterricht be‐ teiligten Personen. Die gebräuchliche Verwendung des Begriffs im Umfeld des Fremdsprachenunterrichts als Zwiegespräch mit Hilfe bestimmter Redemittel, führt also in doppelter Hinsicht zu einem verkürzten Verständnis: Ein Dialog ist nicht auf eine bestimmte Anzahl von Akteuren beschränkt und er verliert seinen Charakter, sobald er auf gelenktes oder sogar genötigtes Sprechen hinausläuft. 68 Michael Schart <?page no="69"?> 27 Als Gegenbeispiel siehe die Studien von Hunter (2012) sowie Illés/ Akcan (2017), die Smalltalk untersuchen. 2.6.2 Merkmale der Interaktion Die dialogische Haltung kommt in einer großen Offenheit gegenüber den Er‐ fahrungen und Ideen aller Beteiligten zum Ausdruck. Der Unterricht wird als ein Ort gemeinsamen Denkens gestaltet, wobei sich alle gleichermaßen ein‐ bringen können. Littleton/ Mercer (2013) bezeichnen den daraus hervorge‐ henden Prozess daher auch als interthinking. Es wird angenommen, dass neues Wissen dann besonders effektiv konstruiert wird, wenn es aus der gemeinsamen Anstrengung der Lernenden resultiert, ein kognitiv herausforderndes Problem zu lösen. Die Lernenden werden also als aktive Produzenten von Wissen ernst genommen (Haneda/ Wells 2008; Skidmore 2006). Und man geht davon aus, dass sie die Dialoge, an denen sie aktiv teilhaben, als Modelle für eigene Denkpro‐ zesse internalisieren. Diese dialogische Haltung spiegelt sich unmittelbar in der unterrichtlichen Interaktion wider, deren Charakter Alexander (2008) in den folgenden fünf Merkmalen beschreibt: 1. Die Interaktion wird kollektiv gestaltet und richtet sich auf ein gemein‐ sames Ziel. Alle Beteiligten können ihre Ideen, Vorstellungen und Er‐ kenntnisse einbringen. 2. Die einzelnen Äußerungen beziehen sich wechselseitig aufeinander. Man hört einander zu, geht auf die Ideen der anderen ein, führt diese fort oder hinterfragt sie. 3. Als ein kohärenter und kumulativer Prozess mündet das gemeinsame Denken und Aushandeln in neuem Wissen, das mehr umfasst als die Summe dessen, was die Einzelnen einbringen. Es handelt sich demnach um eine Form von Unterricht, die emergentes Lernen fördert. 4. Die Beteiligten nehmen selbstbestimmt teil, in der Gewissheit, dass ihre Stimme gehört und ernst genommen wird. Sie können sich auf das Wohl‐ wollen und die Unterstützung der anderen verlassen. 5. Der dialogische Austausch verläuft planvoll und zielgerichtet. Es geht also nicht darum, Räume für Smalltalk zu schaffen. 27 Diese fünf Merkmale geben eine erste Vorstellung davon, wie sehr sich ein Un‐ terricht, der dialogischen Prinzipien folgt, von lehrerdominierten Verfahren der Interaktion unterscheidet. Es wird aber zugleich auch deutlich, dass er eine Reihe von Bedingungen voraussetzt, etwa ein ausreichendes Interesse der Lernenden an den Inhalten oder ein Unterrichtsklima, das ihnen die notwendige Sicherheit 69 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="70"?> verleiht, um sprachlich wie inhaltlich möglicherweise noch unausgereifte Bei‐ träge einzubringen. Eine horizontal bzw. symmetrisch organisierte Lerngruppe, wie sie Canagarajah (2004) als safe house beschreibt (vgl. auch Pratt 1991), erhöht somit die Chancen, dass sich dialogische Lernprozesse entwickeln. Aus der Auflistung der fünf Merkmale lässt sich ebenso schließen, dass der Lehrperson eine besondere Rolle zufällt. Um dialogisches Lernen zu ermögli‐ chen, reicht es gewiss nicht aus, sich von einer dominierenden Rolle zurückzu‐ ziehen und damit die pädagogische Verantwortung abzugeben. Vielmehr fällt der Lehrperson die Aufgabe zu, den Übergang zu dieser Form des Austausches aktiv zu planen, zu begleiten und zu fördern. Das reicht von der Etablierung neuer Regeln für das Miteinander, über einen bewussten Einsatz von Sprache, der den Lernenden als Modell dient, bis hin zum Öffnen von Räumen, in denen sich Interaktion entfalten kann, zum Beispiel durch die Art der Aufgabenge‐ staltung oder die Formulierung von Fragen und Feedback (Mercer/ Howe 2012; Palmer/ Ballinger/ Peter 2014). 2.6.3 Dialogisches Lernen im Fremdsprachenunterricht Was diese, zunächst einmal relativ abstrakte Beschreibung dialogischen Lernens für den Fremdsprachenunterricht auf der Niveaustufe A bedeuten kann, möchte ich an einem Beispiel aus den Daten dieser Studie veranschaulichen. Die fol‐ gende Episode ist ein Ausschnitt aus einem Plenumsgespräch einer Lerngruppe mit zwölf Beteiligten (eine Lehrperson, elf Studierende). In der betreffenden Unterrichtseinheit beschäftigen sich die Studierenden mit den gesetzlichen Regelungen zum Pfänden. Nachdem sie sich - der oben beschriebenen Think-Pair-Share-Technik folgend - zunächst als individuelle Vorbereitung zu‐ hause und dann in kleineren Gruppen die entsprechenden Gesetze in Japan und Deutschland angesehen haben, diskutieren sie nun im Plenum mögliche For‐ mulierungen, die in der Rechtspraxis zu Problemen führen könnten. Es entwi‐ ckelt sich ein Austausch, an dem sich fast die Hälfte der anwesenden Personen aktiv mit längeren oder kürzeren Redebeiträgen beteiligt. Beispiel: U8, Plenum III (3: 15 min) 12 l ok gibt es andere ideen? 13 sb08 mhm 14 l ja bitte herr p [sb08] 70 Michael Schart <?page no="71"?> 15 sb08 ich kann nicht ah ich weiß nicht wie wie viel ist 一か月間の生 活に必要な食料及び燃料 (die für einen Monat notwendige Menge an Lebensmitteln und Brennmaterial) [liest aus dem Gesetzestext vor] 16 ss [lachen] 17 sb08 oder 二か月間の必要生計費 (notwendiger Geldbetrag für den Lebensunterhalt für zwei Monate) [liest aus dem Gesetzestext vor] 18 sb04 auf deutsch auf deutsch 19 l genau 20 sb08 neteh nötig nötig geld 21 l nötiges geld 22 sb08 nötiges geld zu leben zwei monat (.) wieich weiß nicht wie vie wie viel ist das (.) ja 23 sb13 ja aber zu zu konkret gesetz ist nicht gut 24 sb08 aber 25 sb04 ja ja ja 26 sb08 aber weil das ist nicht konkret ich ich mein das ist zu wenig oder zu viel werden kann 27 sb03 kannst du noch einmal noch einmal wiederholen bitte 28 sb08 wawenn das gesetz ist nicht konkret man kann nicht verstehen wie wenig wenig geld oder wie viel geld kann 29 sb13 ja ich verstehe das idee aber zu konkret ist nicht gut 30 sb08 wawarum nicht gut? ich möchte das grund wissen 31 sb013 es gibt viele leute also ein gesetz kann nicht ein zu konkret ge‐ setz kann nicht ah (2) なんだろう (Wie kann ich das sagen? ) passen zu viele person (2) zum beispiel 32 sb05 schreiben alles? 33 sb013 ja vielleicht 34 sb03 wenn es war wenn das gesetz war zu konkret es kann nicht gehört zu alle leute? 71 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="72"?> 28 zu den Transkriptionsregeln siehe Anhang 29 Mit der Bezeichnung „Lehrkraft“ möchte ich meine Person nicht hinter vermeintlicher Objektivität verbergen. Es ist vielmehr der Versuch, bei der Analyse der Transkripte aus der Rolle des verantwortlichen Lehrers herauszutreten und Abstand zur Erhe‐ bungssituation zu gewinnen. Weshalb es sich bei dieser Studie im Kern um Aktions‐ forschung handelt und welche methodologischen Konsequenzen mit diesem Ansatz einhergehen, wurde in Kap. 2.2.2 ausführlich thematisiert. 35 sb013 ja ja ja und vielleicht ein person kann benutzen das konkret gesetz und und なんだろう (Wie kann ich das sagen? ) zum bei‐ spiel in in in ein gesetz wenn in ein gesetz steht ein gold ist gold kann zum beispiel ein gold kann eh pfänden kann denn ein person kann haben silver silver 銀って何 (Was ist Silber? ) 36 sb08 ah 37 l silber 38 ss silber 39 l ja ja ja ein gutes beispiel (5) Tab. 2.3: Auszug aus einem Plenumsgespräch, Lerngruppe LGb, U8/ Plenum III, 17. Nov. 2015; 21. Unterrichtswoche (nach 126 Stunden, A1) 28 Auffällig an dieser Episode ist zunächst, dass der Lehrkraft 29 besondere Rechte zufallen: Sie eröffnet die Sequenz und erteilt einem Studenten (sb08) das Rede‐ recht (Zeile 12 bzw. Zeile 14). Sie korrigiert spontan und ungefragt (Zeilen 21 und 37) und sie schließt letztlich auch die Sequenz ab (Zeile 39). Es sind also durchaus traditionelle Aufgaben, die die Lehrperson wahrnimmt. Und dennoch unterscheidet sich dieser Ausschnitt merklich von einem Unterricht, der durch das Frage-Antwort-Bewertungsmuster geprägt ist. Das sticht hervor, sobald man die Spalte mit den Bezeichnungen der Akteure ausblendet und versucht, die handelnden Personen zu identifizieren. Da sich die Studierenden auf der Niveaustufe A befinden, können natürlich bereits aus den fehlerhaften Formu‐ lierungen Rückschlüsse gezogen werden. Gleichwohl stellt diese Übung durchaus eine Herausforderung dar, denn die Studierenden agieren auf eine für diesen Unterricht spezifische Weise. Sie ergreifen spontan das Wort, wobei sie das zuvor Gesagte unterstützen (Zeile 25), in Frage stellen (Zeile 23) oder um Präzisierungen bitten (Zeilen 30; 32). Sie übernehmen auch unbefangen tradi‐ tionell eher der Lehrperson zufallende Aufgaben, indem sie andere ermahnen (Zeile 18) und Rückmeldungen geben (Zeile 25). 72 Michael Schart <?page no="73"?> Der gesamte Ausschnitt ist durchzogen von Signalen, die den jeweils Spre‐ chenden versichern, dass ihr Beitrag Gehör findet. Bereits an dieser relativ kurzen Sequenz wird somit ersichtlich, was einen kollektiven und wechselsei‐ tigen Prozess des interaktiven Denkens auszeichnet. Und es lässt sich ebenfalls erkennen, wie daraus neues Wissen hervorgehen kann. In diesem Beispiel ist es vor allem dem kritischen Nachfragen von Student sb13 zu verdanken, dass die ursprüngliche Idee des Studenten sb08 in ihrer Überzeugungskraft relativiert wird und sich im Austausch eine neue Perspektive auf die komplexe Beziehung zwischen der notwendigen Abstraktheit rechtlicher Formulierungen und der Vielfalt der konkreten Lebenswelt von Rechtssubjekten eröffnet. So wertvoll der Begriff des dialogischen Lernens auch ist, um das Bewusstsein für das Potenzial unterrichtlicher Interaktion zu schärfen, so wenig eignet er sich jedoch als Überschrift für einen neuen fremdsprachendidaktischen Hype. Zum einen ist das Gespräch als Modus des Lernens gleichsam bereits in den Genen der kommunikativen Didaktik angelegt und findet auch in zwei promi‐ nenten Thesen der Spracherwerbsforschung eine solide theoretische Basis: der Output-Hypothese (Swain 2000) und der Interaktionshypothese (Long 2003). Zum anderen wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten eine ganze Reihe von Überlegungen zur konkreten Gestaltung von unterrichtlicher Praxis formuliert, die dem oben skizzierten Verständnis von Dialog als kollaborativer Wissensbil‐ dung sehr nahekommen. So beschreibt etwa Swain (2000) in ihrem Konzept des languaging den selbst‐ bestimmten Austausch unter Lernenden als eine wichtige Quelle des Lernens im Fremdsprachenunterricht, auch wenn sie sich dabei auf die gemeinsame Re‐ flexion sprachlicher Schwierigkeiten beschränkt und damit die inhaltliche Di‐ mension ausblendet. Auch Kumaravadivelu (1994) sieht interaktive Aushand‐ lungsprozesse als eine seiner Mikrostrategien für den Fremdsprachenunterricht im postmethodischen Zeitalter. Nicht anders als van Lier (2001), der jedoch den Begriff conversation bevorzugt, um ein Gegenmodell zu transmissionsorien‐ tierten Interaktionsformen zu entwerfen. Van Lier schildert einen Austausch im Klassenraum, der sich durch Offenheit für das Neue und Ungewisse auszeichnet sowie durch spontanen, reziproken und symmetrischen Sprachgebrauch und somit Merkmale aufweist, wie sie weiter oben dialogischen Lernprozessen zu‐ gesprochen wurden. Und auch Breen (2001) und Allwright (2005) betonen den Zuwachs an Lernmöglichkeiten, der aus der aktiven und selbstbestimmten Rolle der Lernenden im Unterrichtsgespräch erwächst (siehe auch Garton 2012; Gib‐ bons 2015: 32ff). All diesen Überlegungen gemeinsam ist die Vorstellung vom Fremdsprachen‐ unterricht als einem interaktiven Prozess innerhalb einer Lerngemeinschaft, zu 73 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="74"?> dem alle Mitglieder aktiv beitragen. Das Erlernen der Fremdsprache wird dabei gefördert, weil die Lernenden: • intellektuell herausfordernde Situationen erfahren, die zum kognitiven Engagement sowie zum kritischen Denken einladen, • ihre sprachlichen Ressourcen beständig aktivieren und kreativ einbringen können, • potenziell mehr, längere und komplexere Redebeiträge beisteuern, • fortwährend selbstbestimmte Entscheidungen treffen und ihre Interessen einbringen können, was sich positiv auf ihre Motivation auswirkt, • vielfältige Möglichkeiten erhalten, Kommunikationsstrategien zu entwi‐ ckeln, • sich kontinuierlich mit alternativen Sichtweisen und Ausdrucksmöglich‐ keiten auseinandersetzen, • aufgrund der kollaborativen Prozesse der Wissensproduktion und Aus‐ handlung ein tieferes, nachhaltigeres Verständnis sowohl für die behan‐ delten Inhalte als auch für die Fremdsprache entwickeln, • engere Beziehungen zueinander aufbauen, die zu einer angstfreien At‐ mosphäre führen und die individuelle Identität ebenso stärken wie die kollektive, • den Unterricht als einen Ort erleben, an dem sie demokratische Teilhabe praktizieren können (vgl. Breen/ Littlejohn 2000: 19; Gibbons 2015: 32; Ha‐ neda/ Wells 2008; Mercer/ Howe 2012; van Lier 2001). Eine solche Auflistung von Merkmalen leistet natürlich zunächst einmal nicht viel mehr, als das Potenzial dialogischer Lernprozesse zu umreißen. Dass mit ihr auch die Lehr- und Lernprozesse in konkreten Kontexten von Fremdsprachen‐ unterricht abgebildet werden, ist bislang eher eine hypothetische Überlegung - oder auch nur vage Hoffnung. Das öffnet der Kritik weite Räume und im Umfeld der Fremdsprachendidaktik wurde diese vor allem von Seedhouse (2010) vor‐ getragen. Er bezweifelt, dass sich im Unterricht aufgrund der institutionell fest‐ gelegten Machtunterschiede dialogische Kommunikationssituation herstellen ließen (siehe auch O’Connor/ Michaels 2007). Dieser Einwand ist durchaus berechtigt, wie auch das weiter oben bespro‐ chene Transkript verdeutlicht: Das Machtgefälle im Klassenraum lässt sich nicht kaschieren und die Lehrperson muss ihrer pädagogischen Verantwortung auch dann gerecht werden, wenn die Interaktion im Unterricht mehr darstellen soll als Smalltalk. Was Seedhouse jedoch in seiner Kritik übersieht, ist der Unter‐ schied, der zwischen Gleichheit und Symmetrie besteht. Die Kontrolle der Un‐ terrichtsprozesse durch die Lehrperson und ein sehr hohes Maß an Initiative 74 Michael Schart <?page no="75"?> durch die Lernenden schließen sich keineswegs aus (Legutke 2018; Stevick 1980: 20; van Lier 2013). Lehrende können also den Raum für dialogisches Lernen schaffen und den Lernenden im Gespräch auf Augenhöhe begegnen, ohne dafür ihre berufliche Rolle ausblenden zu müssen. Und auch wenn immer wieder un‐ vorhersehbar ist, in welche Richtung sich ein dialogischer Austausch entwickelt, so lassen sich die Interaktionsprozesse doch anbahnen und auch handhaben (Bygate 2017). Die Frage wie gut dies gelingt, kann freilich nicht argumentativ beantwortet werden. Mich führte die Auseinandersetzung mit dem Konzept des dialogischen Lernens deshalb dazu, die Interaktionsprozesse in meinen Unterrichtsstunden systematisch zu untersuchen (vgl. Kap.2.2). Dabei ging es mir zum einen darum, meine Rolle bei deren Gestaltung zu reflektieren und besser zu verstehen, wie sich eine Balance zwischen eigener Kontrolle und Initiative der Lernenden er‐ reichen lässt. Zum anderen wollte ich die aus theoretischer Perspektive so über‐ zeugenden Vorteile dialogischer Lernprozesse mit empirischen Daten aus meinem Arbeitsumfeld konfrontieren. Doch bevor ich mich den Erkenntnissen aus dieser Unternehmung zuwende, möchte ich der Darstellung des Forschungskontextes noch einen letzten Aspekt hinzufügen. In den zurückliegenden Abschnitten habe ich die Unterrichtskon‐ zeption detailliert dargestellt und aufgezeigt, dass diese durch ein Zusammen‐ spiel von relevanten Inhalten, herausfordernden Aufgaben und dialogisch an‐ gelegten Interaktionsprozessen charakterisiert werden kann. Bislang wurde jedoch die Frage, inwiefern dieses Konzept mit dem kulturellen Umfeld kom‐ patibel ist, nur angerissen. Ihr möchte ich mich im Folgenden daher ausführli‐ cher widmen. 2.7 Lernkultur “If learners have been conditioned by years of instruction through a synthetic approach, they may question the legitimacy of a pro‐ gram based on an analytical view of language learning.” Nunan (2009: 15) Ist Nunan mit seinen mahnenden Worten möglicherweise zu vorsichtig? Han‐ delt es sich bei dem in dieser Studie beschriebenen Versuch, dialogische Lern‐ prozesse in einer japanischen Universität zu verankern, nicht vielmehr um eine Form des „technokratischen Imperialismus“ durch Methodenexport (Sampson 1984: 21)? Auf den ersten Blick könnte man annehmen, meine Darstellung habe 75 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="76"?> 30 Dieser Abschnitt stützt sich auf Überlegungen aus dem Beitrag von Schart/ Schütterle (2007), die grundlegend überarbeitet und aktualisiert wurden. 31 In 16 Prozent der gesamten Unterrichtszeit findet Gruppenarbeit statt, in 25 Prozent der Zeit lässt sich nach King (2013) keine Interaktion beobachten. mit dem Thema Lernkultur 30 nun eine weitere Grenzlinie erreicht, die es zu überwinden gilt. Weshalb ich die Situation nach fast zwei Jahrzehnten der Lehr‐ erfahrung in einem ostasiatischen Land als weitaus weniger dramatisch emp‐ finde und den Verweis auf einen vermeintlichen Methodenimperialismus für überzogen halte, möchte ich in diesem Abschnitt erläutern. 2.7.1 Attribuierungen Es gibt kaum Studien, die uns Einblicke in die Interaktion im Fremdsprachenun‐ terricht an japanischen Universitäten gewähren. Besonders verdienstvoll ist daher die Untersuchung von King (2013), die den Englischunterricht in 30 Kursen an neun japanischen Universitäten unter die Lupe nimmt. Mit mehr als 900 betei‐ ligten Studierenden und einer breiten Auswahl universitärer Kontexte zeichnet diese Arbeit - so lässt sich vermuten - ein durchaus repräsentatives Bild des Ge‐ schehens in solchen Lehrveranstaltungen. Zumindest handelt es sich um die um‐ fassendste Studie, die in diesem Bereich meines Wissens momentan zugänglich ist. Und ihr Ergebnis muss verstören, denn während die Lehrenden mehr als 62 Prozent der Sprechzeit in den Plenumsphasen beanspruchen, machen die mündlichen Beiträge von Studierenden durchschnittlich nur ca. 6 Prozent der im Plenum geführten Unterrichtszeit aus. Von diesen punktuellen Redebeiträgen wiederum interpretiert King weniger als ein Prozent als lernerinitiiert und das wohlgemerkt bei Kursen mit Studierenden, die bereits mindestens sechs Jahre Englischunterricht im Sekundarbereich hinter sich haben. 31 Solche Zahlen wirken natürlich wenig ermutigend, wenn man - wie im vor‐ angegangenen Abschnitt beschrieben - einen dialogisch gestalteten Austausch mit japanischen Studierenden anstrebt. Und sie fügen sich gleichsam passgenau in eine weit verbreitete Vorstellung vom Wesen japanischer (bzw. ostasiatischer) Lernender. Ein beliebtes Vorgehen bei der Charakterisierung des für Japan ver‐ meintlich typischen Lehrens und Lernens im Fremdsprachenunterricht beginnt mit dem Beschreiben von auffälligen oder ungewohnten Verhaltensweisen, die sich in der Wahrnehmung der betreffenden Autorinnen und Autoren, die zu‐ meist selbst als Lehrende tätig sind, störend oder hemmend auf den Unter‐ richtsverlauf auswirken. In einem zweiten Schritt folgt dann der Versuch, diese durch den Bezug auf den gesellschaftlichen Kontext zu erklären, sie also kultu‐ rell zu verorten, wobei unterschiedliche Einflussfaktoren angeführt werden. Die Bandbreite der genannten Ursachen reicht dabei von der schulischen Sozialisa‐ 76 Michael Schart <?page no="77"?> tion der Lernenden bis tief hinein in historische Entwicklungen. Dieses Argu‐ mentationsmuster findet sich in zahlreichen Veröffentlichungen und exempla‐ risch möchte ich im Folgenden einige symptomatische Beiträge herausgreifen (vgl. auch die Überblicke bei Bohn 2004; Guest 2006; Jin/ Cortazzi 1998). Für Fuchs (2001) etwa ist ein besonders auffällig hervortretendes Verhaltens‐ merkmal im Unterricht die Ruhe. Fehlende verbale Aktivität sowie ausbleibende Reaktionen auf an die gesamte Klasse gerichtete Fragen und dadurch hervor‐ gerufene Frustrationen auf beiden Seiten führt sie auf unterschiedliche Erwar‐ tungen an den Unterricht zurück. Diese wiederum verbindet die Autorin un‐ mittelbar mit kulturellen Differenzen, die ihr als „Wurzel allen Übels” (Fuchs 2001: 34) gelten. Sie begründet die Zurückhaltung bei der freiwilligen Wortmel‐ dung mit dem in Japan verbreiteten Bedürfnis, die Harmonie der Gruppe zu erhalten. Die Schwierigkeiten dabei, die Studierenden zum aktiven und auch selbstständigen Mitlernen, etwa von Vokabeln, zu bewegen, sieht Fuchs als Er‐ gebnis der schulischen Lerntradition. Burrows (2008) kommt in seiner Studie zu dem Schluss, dass das Konzept des aufgabenbasierten Unterrichts nicht zur kollektivistischen Kultur in Japan passe, denn die Studierenden zeigten kaum Bereitschaft, von sich aus Diskus‐ sionen zu beginnen, neue Themen oder Ideen einzubringen, gegenseitig auf‐ einander einzugehen, zum Beispiel durch Rückfragen, oder auch nur auf die Fragen des Lehrenden zu antworten. Damit steht Burrows in einer Reihe mit weiteren Beiträgen, die die Möglichkeiten aufgabenbasierten Unterrichtens im asiatischen Kontext sehr skeptisch betrachten (vgl. den Überblick bei Lai 2015). Sie enden oft in der Erkenntnis, dass dieser fremdsprachendidaktische Ansatz nur für Lernende höherer Niveaustufen sinnvoll sei, aber im Anfängerbereich zur Verdrossenheit bei Lehrenden wie Lernenden führe. Der Frage weshalb das Lernverhalten von Studierenden in Japan durch Pas‐ sivität, Schweigen oder sogar Apathie gekennzeichnet ist, treibt auch Tomoda (2000) um. Und er gelangt zu dem Ergebnis, dass dem Einfluss des Bildungssys‐ tems sowie der Sozialisation in Schule und Kindergarten eine entscheidende Bedeutung beigemessen werden sollte. Tomoda geht jedoch noch einen Schritt weiter, denn er versucht diese Unterrichtspraxis auf das konfuzianistische Bil‐ dungsideal zurückzuführen, das im 7. Jahrhundert gemeinsam mit der Beam‐ tenprüfung aus China übernommen wurde. Eine Folge dieser Entwicklung sei die starke Orientierung an Aufnahmeprüfungen, die sich auch heute noch un‐ mittelbar auf das Geschehen im Klassenraum auswirke, indem sie den Wissen und Daten vermittelnden Lehrermonolog sowie die fast ausschließlich rezipie‐ rende und reproduzierende Lernhaltung der Studierenden begünstige. Andere wichtige Kompetenzen wie das kritische Hinterfragen von Informationen, das 77 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="78"?> Begründen und Argumentieren von Sachverhalten oder das Erkennen von Zu‐ sammenhängen und Strukturen hingegen würden kaum gefördert. Unter anderen Aspekten betrachten Schmitz (2002) und Reibert (2003) die Bedeutung der japanischen Ideengeschichte für den gegenwärtigen Deutsch‐ unterricht. Ersterer verweist, um das Schweigen oder die Tendenz zum Aus‐ wendiglernen grammatischer Regeln zu erklären, auf die Praxis, klassische Schriften des Konfuzianismus oder buddhistische Sutren auswendig zu lernen und zu rezitieren. Letzterer erläutert das konfuzianistische Denken, um das aus seiner Sicht typische Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden in japani‐ schen Bildungseinrichtungen zu deuten. Die Lehrperson werde als Autorität angesehen, die unfehlbar und allwissend sei. Ihr Fragen zu stellen oder sich ihr anzuvertrauen sei nicht üblich und würde gegen das japanische Kooperations‐ prinzip verstoßen. Allerdings, so Reibert, beinhalte diese Autoritätsbeziehung, sich unter die Verantwortung der Lehrperson begeben zu können und so auch die Verantwortung und Aktivität im Unterricht an ihn abzugeben. In nahezu allen Arbeiten zum Thema - und empirische Forschungen zu den subjektiven Theorien von Lehrenden, die in Japan bzw. Ostasien tätig sind, be‐ stätigen diese exemplarische Auswahl (vgl. die Übersicht bei Cheng 2000: 436ff) - werden als auffällige Besonderheiten des Lernverhaltens das Schweigen, eine allgemeine Passivität und Zurückhaltung, die Schriftlichkeitsfixierung und das Auswendiglernen genannt. Merkmale, die unmittelbar auf gesellschaftliche Be‐ dingungen zurückgeführt werden und mithin als kulturelle Orientierungen aller japanischer Lernenden gelten. 2.7.2 Lernkultur als Forschungsgegenstand Auch wenn sich zahlreiche Autorinnen und Autoren gegenseitig in ihren Be‐ schreibungen des Lernverhaltens in Japan und dessen Begründung mit reli‐ giösen Praktiken, historischen Entwicklungen oder Sozialisationsprozessen be‐ stätigen, so zeigt dies nur einen bestimmten Ausschnitt unterrichtlicher Realität. Und in den letzten Jahren gewinnen jene Stimmen an Gewicht, die dieser Wahr‐ nehmung entschieden entgegentreten und eine differenziertere Sichtweise der Möglichkeiten und Grenzen eines interaktiven, aufgabenbasierten Unterrichts in Japan anmahnen. Ein erstes Argument bezieht sich dabei auf den „Anteil der Selbsttäuschung bei der Konstruktion des Anderen“, wie Schubert (2005) es formuliert. Wenn japanische Lernende als nach Harmonie strebende, sich beständig an der Gruppe orientierende oder zu kritischem Denken unfähige Personen beschrieben werden, dann finden in diesen Attribuierungen primär die pädagogischen Ideale der Autorinnen und Autoren ihren Ausdruck. Schubert (2005: 161ff) stellt am 78 Michael Schart <?page no="79"?> 32 http: / / timss2015.org/ download-center 33 www.oecd.org/ pisa Beispiel des Begriffspaares Gruppenorientierung vs. Individualismus überzeu‐ gend dar, wie durch solche binären Schematisierungen Unterschiede verabso‐ lutiert und damit mystifiziert werden (siehe auch Kubota 1999 zum Ethnozen‐ trismus von derartigen dichotomen Abgrenzungen). Neben dieser Tendenz zu einer ethnozentristischen Perspektive kann auch die Idee von Kultur kritisiert werden, auf der Beschreibungen eines Gegensatzes von vermeintlich westlichen Unterrichtsmethoden und ostasiatischem Lern‐ verhalten beruhen. Wenn auch oft unausgesprochen liegt ihnen ein essentialis‐ tischer Kulturbegriff zugrunde: Kulturen oder Kulturkreise werden hierbei als statische, prinzipiell voneinander abgrenzbare Einheiten aufgefasst. Dem lässt sich jedoch der prozesshafte Charakter und die prinzipielle Hybridität kultu‐ reller Phänomene entgegenhalten. Ein weiterer Einwand gegen die oben angeführte Charakterisierung japani‐ scher Lernender betrifft die Art und Weise, wie in einigen Arbeiten das Ge‐ schehen in Schulen und Universitäten einer modernen, komplexen Gesellschaft mit zum Teil weit zurückliegenden geschichtlichen Ereignissen verknüpft wird. Diese Verbindung sei, so etwa die Kritik bei Cheng (2000), Guest (2006), Hess (1999) oder Mitschian (1999) keineswegs zwingend. Beispielsweise könne man, wie Cheng (2000: 440ff) kritisiert, Konfuzius auf der Grundlage seiner Texte ebenso als einen der Vordenker des entdeckenden Lernens sehen. Problematisch erscheinen historisch oder religiös argumentierende Arbeiten daher vor allem dann, wenn sie aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu wenig Aufmerk‐ samkeit schenken. Und nicht zuletzt lassen sich eine Reihe empirischer Studien anführen, die den eingangs beschriebenen Ergebnissen der Studie von King (2013) widerspre‐ chen und es somit nahelegen, deren Erkenntnispotenzial nicht zu überschätzen. Zum Nachdenken regt beispielsweise das sehr gute Abschneiden japanischer Schülerinnen und Schüler bei internationalen Vergleichsstudien wie TIMSS (mathematisches und naturwissenschaftliches Grundverständnis) 32 oder PISA (Kompetenzen in Mathematik, Lesefähigkeit und naturwissenschaftlichem Denken) 33 an. Wenn es so etwas wie eine einheitliche japanische Lernkultur gäbe und diese zugleich jenen Charakter trüge, wie er von den weiter oben darge‐ stellten Arbeiten beschrieben wurde, dann hätten sich diese Erfolge eigentlich nicht einstellen dürfen. Sind fehlende Kreativität, Schweigen und Apathie viel‐ leicht nur Merkmale des Lernverhaltens im Fremdsprachenunterricht? Das wäre paradox. Aber dieser Widerspruch lässt sich leicht auflösen, und zwar indem 79 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="80"?> man Lernverhalten nicht nur nach dem Augenschein beurteilt und es dann mit hypothetischen Annahmen über die Wirkung peripherer Faktoren verknüpft, sondern sich intensiv und systematisch mit dem Geschehen in einzelnen Lern‐ gruppen auseinandersetzt. Dann verliert die Idee einer einheitlichen japani‐ schen bzw. ostasiatischen Lernkultur sehr schnell an Überzeugungskraft. Untersuchungen wie jene von Helmke/ Schrader (1999) verdeutlichen, wes‐ halb es so wichtig ist, das Augenmerk zunächst auf den Unterricht selbst zu lenken, um die Lernkultur einer Gruppe von Lernenden besser zu verstehen. Als ein Ergebnis ihrer longitudinal angelegten quantitativen Untersuchung, mit der sie Lernstrategien bei vietnamesischen und deutschen Studierenden verglei‐ chen, können die Autoren zum Beispiel zeigen, weshalb westliche Kategorien zur Beschreibung von Lernverhalten mit Bedacht gewählt werden sollten. Mehr‐ faches Wiederholen etwa empfinden vietnamesische Studierende keineswegs als eine mechanische Tätigkeit, die ein vertiefendes Verständnis ausschließt. Solche unterschiedlichen Interpretationen derselben Situation werden auch bei anderen Aspekten beobachtet. So legt Bao (2013) dar, dass vietnamesische Ler‐ nende Stille im Englischunterricht anders deuten als ihre ausländischen Leh‐ renden. Und Karas (2017) erhellt durch eine Interaktionsstudie im Englischun‐ terricht mit angolanischen und chinesischen Studierenden, weshalb Stille (silence) nicht vorschnell mit Verschlossenheit (reticence) gleichgesetzt werden sollte. Cheng (2000) und Li (2004) beschreiben, wie verschieden der Begriff der un‐ terrichtlichen Aktivität verstanden werden kann. Während sich die Lehrperson in der Studie von Li redlich darum bemüht, ein lerneraktivierendes Umfeld zu schaffen, erleben die Studierenden die Situation als zu spielerisch, frustrierend, infantilisierend und planlos (siehe auch Kap. 2.8.2). Helmke/ Schrader (1999) können als Ergebnis ihrer Untersuchung letztlich keine Unterschiede bei anspruchsvollen, tiefenorientierten Lernstrategien in beiden kulturellen Kontexten nachweisen, womit sie genau das bestätigen, was bereits Hu (1996) in ihrer qualitativen Studie zu den subjektiven Theorien von Fremdsprachenlernenden in Deutschland und Taiwan beschrieben hat: Typi‐ sche taiwanesische oder deutsche Haltungen zum Fremdsprachenlernen lassen sich in ihren Daten nicht aufzeigen. Der Einfluss der lokalen Gegebenheiten in den Institutionen erscheint Hu daher weitaus entscheidender als makrokultu‐ relle Faktoren. Für Cheng (2000: 442) ist das vermeintlich spezifische Verhalten ostasiatischer Lernender daher in erster Linie ein Artefakt der jeweiligen Situa‐ tion: “When behaviour of reticence and passivity is observed in class, it may result from un‐ suitable methodology, lack of required language proficiency, irrelevant or even offensive 80 Michael Schart <?page no="81"?> topics, lack of rapport between the teacher and the students, lack of motivation, and even student’s mood on a particular day.“ (Cheng 2000: 442) Und in gleicher Weise argumentieren auch Ellwood/ Nakane (2009) und Mack (2012). Bei seiner Analyse stützt sich Cheng (2000) vor allem auf das, was die Lernenden selbst über ihre Erwartungen an den Fremdsprachenunterricht äu‐ ßern. Dies steht in einem auffälligen Kontrast zu den oben beschriebenen Wahr‐ nehmungen von Lehrenden. Auch Littlewood (2000) findet als Resultat einer vergleichenden quantitativen Fragebogenstudie mit mehr als 2000 Studierenden in acht ostasiatischen Ländern keine überzeugenden Anhaltspunkte für die mutmaßliche Passivität und Inflexibilität ostasiatischer Lernender. “They want to explore knowledge themselves and find their own answers. Most of all, they want to do this together with their fellow students in an atmosphere which is friendly and supportive.” (Littlewood 2000: 34) Ein Befund, der von weiteren Studien bestärkt wird, die bei ostasiatischen Stu‐ dierenden Kritikfähigkeit ebenso nachweisen wie originäres Denken und sehr differenzierte Vorstellungen über verschiedene Unterrichtsmethoden (Li 2004; Littlewood 2010; McKinley 2013; Ockert 2011; Sakui/ Gaies 1999; Stapleton 2002). Natürlich sagen solche, von Lernenden geäußerten Präferenzen nur wenig darüber aus, wie diese sich im Unterricht tatsächlich verhalten. Dass Bohn (2004) bei ihrer ethnographischen Studie mit japanischen Lernenden an einer nord‐ amerikanischen Universität auf eine große Diskrepanz in dieser Hinsicht stößt, kann kaum überraschen. Die Lernenden berichten beispielsweise, dass sie sich so aktiv am Lerngeschehen beteiligen möchten, wie ihre amerikanischen Kom‐ militonen, aber sie verhalten sich dann tatsächlich deutlich zurückhaltender, vermeiden Augenkontakt und liefern weniger Redebeiträge. Die Konsequenz, die Bohn aus diesem Ergebnis zieht, erscheint schlüssig: Solche Diskrepanzen lassen sich nur abwenden, indem man über die individuellen Erwartungen und Wahrnehmungen ins Gespräch kommt und dadurch gemeinsam an einer Kultur des Miteinanders im Klassenraum arbeitet (siehe auch Nunan 2009). Aber diese Art von Aushandlung ist keineswegs nur dann hilfreich, wenn in einer Unter‐ richtssituation Personen aus unterschiedlichen Kulturkreisen aufeinander‐ stoßen. Wie Zhou (2015) auf der Grundlage von Interviews mit Studierenden und Lehrenden im Bereich Englisch an einer chinesischen Universität aufzeigt, entstehen solche Differenzen auch aufgrund institutioneller Rollen und können beispielsweise die übergreifenden Bildungsziele betreffen oder den Wert, der einzelnen Kompetenzen beigemessen wird. In den letzten Jahren wird im Zusammenhang mit der Etablierung einer kommunikativen Atmosphäre in ostasiatischen Klassenräumen verstärkt auf 81 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="82"?> 34 empirische Evidenz dazu siehe Aubrey (2011); Cao (2014); Kayi-Aydar (2013); Vongsila/ Reinders (2016) den Begriff der Partizipationsbereitschaft (Willingness to Communicate WtC oder Willingness to Participate WtP) Bezug genommen. Gemeint ist damit die beobachtbare Intention von Lernenden, sich auf den Austausch mit den anderen Personen in der Lerngruppe einzulassen; also gerade jene Haltung, die ostasia‐ tischen Lernenden gerne abgesprochen wird. WtC wird dabei als ein komplexes Konstrukt gedacht, das neben individuellen Dispositionen wie dem Selbstbe‐ wusstsein vor allem die Bedeutung der Lernatmosphäre in einem lokalen Kon‐ text hervorhebt (MacIntyre et al. 1998). Und die Ergebnisse entsprechender em‐ pirischer Studien legen nahe, dass sich die Teilnahme der Lernenden an der Interaktion aktiv fördern lässt, beispielsweise durch den Aufbau vertrauens‐ voller Beziehungen, durch interessante Themen und Aufgaben, durch erkenn‐ bares Engagement der Lehrenden und nicht zuletzt dadurch, dass diese ihre Lehrphilosophie offen legen und zur Diskussion stellen. 34 Leider mangelt es jedoch nach wie vor an Arbeiten, die den Zusammenhang zwischen individuellen und kollektiven Vorstellungen auf Seiten von Lernenden und Lehrenden mit systematischen Untersuchungen von unterrichtlicher In‐ teraktion verbinden. Gerade deshalb ist Boeckmanns Studie zur regionalen Lehr- und Lernkultur in Japan so wertvoll (Boeckmann 2006). Er verlässt sich nicht auf die Überzeugungskraft von Erklärungsmustern, die Verhalten auf makrokulturelle Gegebenheiten zurückführen, sondern beobachtet das Ge‐ schehen in japanischen Unterrichtsräumen selbst und versucht mit Hilfe un‐ terschiedlicher Forschungsinstrumente ein möglichst vielschichtiges Bild kon‐ kreter Praxis zu zeichnen. Als eines der Ergebnisse seiner Analyse kann Boeckmann demonstrieren, wie flexibel sich die Lernenden auf unterschiedliche Unterrichtssituationen einzu‐ stellen vermögen. Er macht damit sehr deutlich, weshalb der Einfluss einer ver‐ meintlich typisch japanischen Lernhaltung nicht überschätzt werden darf. Zu‐ gleich veranschaulicht Boeckmann den Zwiespalt, in dem sich viele japanische Deutschlernende befinden: Einerseits offen für kommunikative Unterrichts‐ formen, formulieren sie andererseits auch immer wieder ihr Bedürfnis nach Si‐ cherheit und Strukturierung. Dieser Widerspruch entsteht unter anderem da‐ durch, dass ihre Vorstellungen von kommunikativem Unterricht oft weniger klar umrissen sind als jene von grammatikorientiertem Unterricht. Der nicht selten geäußerte Wunsch nach mehr Grammatik kann daher als eine Metapher für den Ruf nach mehr Sicherheit interpretiert werden, wie z. B. auch Fischer (2008) in ihrer Studie mit italienischen Studierenden aufdeckt. 82 Michael Schart <?page no="83"?> Wenn Unterricht partizipativ organisiert ist und nicht nur gelegentliche An‐ gebote zur Beteiligung offeriert, so ein Fazit in Boeckmanns Studie (2006), dann sind japanische Lernende entgegen der eingangs zitierten Attribuierungen durchaus bereit, das Geschehen aktiv und kreativ mitzugestalten. Dass unter solchen Bedingungen auch Unterrichtsarrangements, die ein hohes Maß auto‐ nomen Lernens erfordern, durchgeführt werden können, veranschaulichen nicht zuletzt viele praktische Beispiele aus dem Deutschunterricht (Arbeits‐ gruppe Simulationen 2005; Czyzak 2018; Schart 2013; Schlak 2003; Schütterle/ Hamano 2018) oder aus dem Englischunterricht (Thomas/ Reinders 2015) mit japanischen Lernenden. Diese konkreten Unterrichtsprojekte machen zugleich deutlich, weshalb Lernkulturen nicht als stabile Erscheinungen betrachtet werden dürfen, die sich unmittelbar auf makrokulturelle Elemente wie die Religion oder die Geschichte eines Landes zurückführen lassen. Eine so verstandene Lernkultur verflüchtigt sich zusehends, sobald man versucht, sie auf der Ebene einzelner Unterrichts‐ stunden zu fassen. Was dagegen zu Tage tritt, ist eine Kultur des Klassenraums, die gemeinsam von den beteiligten Individuen gestaltet wird. Dass in diesem Prozess kulturelle Selbstverständlichkeiten und Muster eine gewisse Rolle spielen und das Geschehen immer in soziale, ökonomische oder politische Pro‐ zesse eingebunden bleibt, soll damit nicht bestritten werden. Entscheidend ist gleichwohl die Frage, auf welcher Ebene nach Erklärungen gesucht wird. Der momentane Stand der Forschung legt nahe, zunächst den Unterricht selbst in den Blick nehmen und nicht vorschnell nach Antworten in makrokul‐ turellen Strukturen zu suchen. Und gerade für Lehrende ist es wichtig, ihren eigenen Anteil am Entstehen einer bestimmten Unterrichtskultur zu erkennen, wie das von Farrell (2004) beschriebene Beispiel eindrücklich zeigt. Farrell be‐ richtet von einem Englischlehrer, der immer der Meinung gewesen war, sehr lernerzentriert und kommunikativ zu unterrichten - bis er seine Stunden auf‐ nahm und sich dann die Transkripte etwas genauer ansah. Für ihn eine augen‐ öffnende Erfahrung, denn er bemerkte, dass sein Verhalten im Klassenraum die Interaktion bislang eher verhindert als gefördert hatte. So waren die meisten Impulse für den Austausch von ihm selbst ausgegangen. Er hatte beispielsweise seine Lernenden mit Fragen überhäuft, deren Antwort er zumeist schon wusste, und ihnen wenig Spielraum für eigene Beiträge gelassen. Tatsächlich, so musste er erkennen, war sein Unterricht sehr lehrerzentriert verlaufen. Diese Erkenntnis lässt sich unmittelbar auf die weiter oben geschilderten Wahrnehmungen von Stille, Passivität und Apathie japanischer Lernender über‐ tragen: Anstatt aus solchen Beobachtungen auf unüberwindbare Grenzen zwi‐ schen Lernkulturen zu schließen, sollten Lehrende sich zunächst selbst in ihrem 83 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="84"?> Handeln und der Deutung des Unterrichtsgeschehens hinterfragen. Und dieser Gedanke weist zurück an den Beginn dieses Kapitels und die dort beschriebene Intention für die vorliegende Studie. Meinen eigenen Ansatz zu einem besseren Verständnis dessen, was in meiner Zusammenarbeit mit japanischen Studie‐ renden konkret passiert, möchte ich in Kapitel 4 ausführlich darlegen. 2.8 Empirische Erkennisse als Ausgangspunkt “Does TBLT work for teachers and learners in the classroom as well as it does for SLA re‐ searchers? Is TBLT more than a fascinating pedagogical approach that looks good and convincing on paper? ” (van den Branden 2006: 1) Van den Branden richtet seine Bedenken zwar gezielt auf den aufgabenbasierten Ansatz, doch dieser Skepsis müssen sich ebenso die beiden anderen zentralen Elemente des Unterrichtskonzepts stellen, die in diesem Kapitel eingehend be‐ handelt wurden. Wie sich das Zusammenspiel von fach- und sprachinte‐ griertem, aufgabenbasiertem und dialogischem Lernen in einem konkreten un‐ terrichtlichen Kontext vollzieht, welche positiven Effekte mit ihm einhergehen und auch welche Schwierigkeiten es verursacht, lässt sich nicht auf theoreti‐ scher Ebene klären. Dass van den Branden an einen wunden Punkt des akademischen Betriebs rührt, zeigt auch Swans (2005) viel zitierte Kritik, mit der er der Begeisterung für aufgabenbasierte Settings in der Fremdsprachenforschung entgegentritt und unter anderem auf den Mangel an empirischer Evidenz verweist. Sein Vorwurf einer legislation by hypothesis kann letztlich nur mit umfassenden Studien aus dem Unterrichtsalltag entkräftet werden. Die Fremdsprachenforschung tut sich jedoch schwer damit, diese Herausfor‐ derung anzunehmen. Wie ich weiter oben am Beispiel der Aufgabenforschung demonstrierte, beschränkt sie sich lieber auf kleinteilige Untersuchungen zu einzelnen Aspekten der Gestaltung und des Einsatzes von Aufgaben und verliert dabei allzu oft den Unterricht als ein komplexes Geschehen aus dem Blick. Als Folge sei die Aufgabenorientierung, so konstatiert Norris (2015), von einer in‐ novativen Idee zu einer Technik geschrumpft. Auch die bereits kritisierte Fo‐ kussierung auf linguistische Aspekte bei gleichzeitigem Desinteresse für das inhaltliche Lernen hat viel zur übermäßigen Selbstbeschränkung der Aufga‐ benforschung beigetragen (vgl. Mohan et al. 2015). Und so besteht trotz der 84 Michael Schart <?page no="85"?> vielfältigen Untersuchungen zur Funktion von Aufgaben beim Fremdsprachen‐ erwerb nach wie vor eine große Unsicherheit bei der Frage, ob bzw. unter wel‐ chen Bedingungen Aufgaben als grundlegendes Prinzip bei der Gestaltung von Fremdsprachenunterricht tatsächlich funktionieren. Ich möchte deshalb in diesem abschließenden Teil des Kapitels die verschie‐ denen Stränge, entlang derer das Konzept des hier untersuchten Unterrichts dargestellt wurde, zusammenführen, mit relevanten empirischen Erkenntnissen ergänzen und damit zum empirischen Teil der vorliegenden Studie überleiten. 2.8.1 Vergleichbare Programme Sowohl zu aufgabenbasierten als auch fach- und sprachintegrierten Pro‐ grammen liegen bislang kaum Arbeiten vor, die den Unterricht aus verschie‐ denen Perspektiven beleuchten (vgl. dazu auch die Kritik bei Edwards 2005; Norris 2015; van den Branden 2016: 175). Und die Interaktionsprozesse in ent‐ sprechenden Kursangeboten wurden - soweit ich die Forschungslage überblicke - ebenfalls nur sehr selten in einem Umfang untersucht, wie es das vorliegende Projekt anstrebt. Gleichwohl lassen sich Verbindungslinien zu einigen Unter‐ suchungen ziehen, die ich in diesem Abschnitt nachzeichnen werde. Als wichtiges Beispiel muss in diesem Zusammenhang zunächst das Banga‐ lore Communicational Teaching Project (CTP) als ein erster, systematisch doku‐ mentierter Versuch genannt werden, ein aufgabenbasiertes Programm konse‐ quent umzusetzen (Beretta 1992; Beretta/ Davies 1985). Dass dieses Vorhaben gerade in einem asiatischen, wenn auch nicht konfuzianistisch geprägten Land angesiedelt war, wirft zunächst noch einmal ein bezeichnendes Licht auf die weiter oben kritisierten Attribuierungen. Trotz des bedauerlichen Schwach‐ punktes, dass diese Evaluation keine Einblicke in der Interaktionsprozesse er‐ möglicht, kann sie als eine bahnbrechende Studie bezeichnet werden. Denn sie ließ erkennen, dass Grammatikerwerb auch dann stattfindet, wenn sich die un‐ terrichtlichen Aktivitäten konsequent auf Inhalte richten. Die Arbeit von Markee (1997) ist eines der wenigen Beispiele für eine Studie, die sich umfänglich auf einen lokalen Kontext einlässt und ein aufgabenbasiertes Programm aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick nimmt. Interessant an dieser Untersuchung ist auch heute noch, dass Markee verdeutlicht, weshalb mit einer innovativen Veränderung der Unterrichtsgestaltung nur ein erster Schritt der Programmentwicklung getan ist. Sie muss begleitet werden von einer weitergehenden Innovationsbereitschaft, die die gesamte Institution einbezieht. Nur so lasse sich, wie Markees Studie nahelegt, gewährleisten, dass alle Betei‐ ligten die Veränderungen auch langfristig mittrügen. Eine Erkenntnis, die im Zusammenhang mit dem Thema Lernkultur bereits zur Sprache kam und auf 85 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="86"?> die ich auch im weiteren Verlauf der Darstellung noch mehrfach Bezug nehmen werde. Was die Umstellung eines Programms auf den aufgabenbasierten Ansatz auf Seiten der Lernenden bewirkt, demonstrieren Towell/ Tomlinson (1999) in ihrer Evaluation eines Französischprogramms an einer britischen Universität. Mit Hilfe von Umfragen und Tagebüchern zeichnen sie ein positives Bild der stu‐ dentischen Wahrnehmung, allerdings sind auch hier die Interaktionsprozesse nicht Gegenstand der Analyse. Dass ein aufgaben- und inhaltsbasiertes Konzept für Englischkurse an einer japanischen Universität den individuellen Interessen der Lernenden entgegen‐ komme, resümiert Lingley (2006). Mit seiner Studie reiht er sich ein in eine Gruppe von Arbeiten, die zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen. So zieht Pinner (2013) als Resultat einer Umfrage unter Studierenden aus CLIL-Kursen an einer japanischen Universität den Schluss, dass die Lernenden vor allem auf‐ grund der Inhalte das Klassenraumgeschehen als authentisch empfunden hätten. Nach ihrer Erfahrung mit CLIL-Kursen, so Pinner, werde grammatiklas‐ tiger Englischunterricht von den Studierenden mehrheitlich abgelehnt und ein lernerzentriertes und inhaltsbasiertes Vorgehen eingefordert. Vergleichbare, optimistisch stimmende Ergebnisse zu aufgabenund/ oder inhaltsbasierten Angeboten finden sich bei Cutrone/ Beh (2014); Murphey (1997); Nunn (2006); Sampson (2010) und in mehreren der von Thomas/ Reinders (2015) zusammen‐ gestellten Projekte. Als eine der wenigen Studien, die Daten aus der unterricht‐ lichen Interaktion einbeziehen, analysiert Stone (2012) den aufgabengestützten Austausch japanischer Studierender und zeigt dabei, wie wichtig interpersonale Beziehungen für die Performanz und den Erfolg der Aufgabenbearbeitung sind. Insgesamt lässt sich festhalten: Bisherige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass mit aufgaben- und inhaltsbasierten Kursangeboten auch in Japan bzw. Ostasien positive Lerneffekte einhergehen können. Die sprachliche Ent‐ wicklung wird gefördert und auch die Wahrnehmung der Lernenden spricht keineswegs gegen eine Einführung solcher Ansätze in diesem kulturellen Kon‐ text. Allerdings, und diese Einschränkung ist gerade vor dem Hintergrund des hier untersuchten Unterrichts bedeutsam, profitieren davon anscheinend vor allem Lernende jenseits des Anfängerniveaus (vgl. Übersicht bei Lai 2015). Es ist also durchaus mit negativen Effekten zu rechnen, wenn man die cur‐ riculare Umgestaltung zu ambitioniert vorantreibt. Diese werden von mehreren empirischen Studien beschrieben. Die Arbeiten von Watson Todd (2006) sowie McDonough/ Chaikitmongkol (2007) in Thailand beispielsweise führen vor Augen, wie die Umstellung auf ein konsequent aufgabenbasiertes Konzept Ab‐ wehrreaktionen auf Seiten der Lernenden hervorrufen kann. Beide Arbeiten 86 Michael Schart <?page no="87"?> plädieren daher für einen Ansatz, der Elemente eher traditioneller Unterrichts‐ formen und Phasen aufgabengestützten Lehrens und Lernens miteinander kom‐ biniert. Eine in diesem Sinne abgeschwächte Variante der Innovation untersucht auch Ikeda (2013). Der Fokus liegt dabei auf fach- und sprachintegrierten Kurs‐ angeboten für Lernende an einer japanischen Oberschule. Die Analyse richtet sich zum einen auf die schriftlichen Fertigkeiten und kommt zu dem Ergebnis, dass sich in den Essays der Lernenden eine positive Entwicklung bei Flüssigkeit und Komplexität des L2-Sprachgebrauchs (Englisch) abzeichnet, während sich bei der Korrektheit keine Verbesserung konstatieren lasse. Damit bestätigen Ikedas Resultate den in Kap. 2.4.3 diskutierten Forschungsstand. Zum anderen nimmt diese Studie mit Hilfe von Umfragen, Interviews, Portfolios und Beob‐ achtungen aber auch die unterrichtlichen Prozesse und Sichtweisen der Betei‐ ligten in den Blick. Hierbei zeigt sich einmal mehr, dass die Lernenden die ko‐ gnitiven Herausforderungen, den Zuwachs an inhaltlichem Wissen und die Verbesserung ihrer kommunikativen Fertigkeiten als Vorteile empfinden. Ikeda führt zudem aus, dass der Erfolg des Konzepts sehr stark von einer gezielten Vorbereitung der Lehrenden für diese Form des Unterrichts abhänge. Damit verweist diese Studie auf eine zentrale Problematik, die in Arbeiten zum aufgabenbasierten bzw. fach- und sprachintegrierten Unterricht im ost‐ asiatischen Kontext immer wieder genannt wird: Neben institutionellen Bar‐ rieren wie bestimmten Prüfungsformaten, großen Klassen oder der Tradition des Frontalunterrichts kommt dabei immer wieder die Rede auf die Lehrenden (Adams/ Newton 2009; Butler 2011, 2017; Harada 2017). Wir wissen aus zahlrei‐ chen empirischen Studien, dass sich die Einstellung der Lehrpersonen zu ihrem Fach und ihrer Rolle im Lernprozess unmittelbar auf verschiedene Aspekte des Unterrichtsgeschehens auswirkt, die Motivation der Lernenden beispielsweise (vgl. Dörnyei/ Ushioda 2011: 79; Sakai/ Kikuchi 2009; Zhang 2007), das Klassen‐ raumklima oder die Interaktionsformen (siehe dazu Kap. 4). Wie Breen (1989) bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Diskussionen um aufgabenbasiertes Lehren und Lernen ausführte, muss konsequent zwischen der Form einer Aufgabe (task as workplan) und ihrer Umsetzung im Unterricht (task as process) unterschieden werden. Zunächst wurde diese Abgrenzung vor allem mit Blick auf die Lernenden getroffen, doch sie hat natürlich für Lehrende nicht weniger Relevanz: Dieselbe Aufgabe kann von Lehrpersonen sehr ver‐ schieden in unterrichtliches Handeln übersetzt werden (siehe z. B. Calvert/ Sheen 2015; McDonough 2015; Samuda 2015). Und auch für fach- und sprach‐ integrierte Ansätze liegen vergleichbare Studien vor, die verdeutlichen, weshalb den einzelnen Lehrenden bei der Umsetzung innovativer Vorhaben eine zentrale Funktion zufällt (z. B. Cammarata 2010; Lo 2014, 2017; Pessoa et al. 2007). 87 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="88"?> Die Arbeit von Schütterle/ Hamano (2018) halte ich in diesem Zusammenhang für besonders aussagekräftig. Die beiden Lehrer legen in einer autoethnogra‐ fisch angelegten Studie am konkreten Beispiel eines Deutschprogramms an einer japanischen Universität sehr eindrücklich die Schwierigkeiten offen, auf die sie bei der Implementierung einer konsequenten Variante des aufgabenba‐ sierten Unterrichts (analytischer Syllabus) stießen. Sie thematisieren die Irrwege und Erfolge, mit denen sie während dieses Prozesses konfrontiert wurden, wobei immer wieder erkennbar wird, von welch essenzieller Bedeutung die Lehrphi‐ losophien der beteiligten Lehrenden sind. So ergaben sich zum Beispiel dann Probleme bei der Umsetzung, wenn Unterrichtsentwürfe von anderen Leh‐ renden einfach übernommen wurden, ohne zuvor gemeinsam die hinter der Aufgabenauswahl und -anordnung liegende pädagogische Idee besprochen zu haben. Zugleich wird an der Studie von Schütterle/ Hamano greifbar, dass auf‐ gabenbasierter Unterricht hohe Ansprüche an die Flexibilität und auch Kreati‐ vität von Lehrenden stellt. Letztlich ist diese Studie ein überzeugendes Plädoyer für eine von den vor Ort tätigen Lehrenden eigenverantwortlich geplante und zugleich systematisch er‐ forschte Implementierung einer pädagogischen Innovation. Sie macht an einem konkreten Beispiel nachvollziehbar, wie eine kontextsensitive Integration von aufgabenbasierten oder auch fach- und sprachintegrierten Konzepten in Ost‐ asien aussehen kann (vgl. dazu auch Butler 2017; Murphey 1997). Und genau diesem Anspruch folgen auch die Forschungen im Umfeld des Intensivpro‐ gramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Univer‐ sität, die ich - dieses Kapitel abschließend - im Folgenden überblicksartig dar‐ legen möchte. 2.8.2 Das Intensivprogramm als Forschungsfeld Es wurde bereits mehrfach darauf verwiesen, dass die vorliegende Studie als ein Element der kontinuierlichen Forschungsaktivitäten verstanden werden muss, die in den letzten 15 Jahren im hier untersuchten Studienangebot durchgeführt wurden. Bevor die Darstellung in ihren empirischen Teil übergeht, empfiehlt es sich daher, bisherige Erkenntnisse über die Lehr- und Lernprozesse im Inten‐ sivprogramm für Deutschlandstudien zu rekapitulieren. Dabei möchte ich mich auf jene Arbeiten konzentrieren, denen Tragweite für die sich anschließenden Kapitel zukommt. Erste wegweisende Einsichten erbrachten die Arbeiten von Mori (2007) und Schart (2008). In einer Kombination von ethnografischer Studie und Aktions‐ forschung wurde in diesem Projekt über ein Studienjahr hinweg eine Lern‐ gruppe im Anfängerbereich begleitet. Der Kurs folgte einem aufgabenbasierten 88 Michael Schart <?page no="89"?> Ansatz. Es handelte sich mithin um die ersten Versuche, die weiter oben darge‐ legten konzeptionellen Überlegungen in unterrichtliche Praxis zu überführen. Die bereits erwähnten Ergebnisse der Arbeiten von Watson Todd (2006) sowie McDonough/ Chaikitmongkol (2007) bestätigend, gab die Studie zunächst eher Anlass zur Skepsis als zu Optimismus, denn das Kursangebot wurde nur von einem Drittel der Lerngruppe positiv aufgenommen. Der Rest der Klasse emp‐ fand es entweder als zu anspruchsvoll oder die Lernenden fühlten sich unter‐ fordert. Als verantwortlichem Lehrenden gelang es mir in dem betreffenden Kurs nicht, die Idee hinter der Gestaltung des Unterrichts überzeugend zu vermitteln, was sich nicht zuletzt auf meine eigene Unsicherheit zurückführen ließ. Um den unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden, verschob ich den Fokus der Aufgaben immer wieder vom eher spielerischen und kreativen Sprachgebrauch hin zu inhaltlich herausfordernden Situationen, ohne dabei auf inhaltliche Ko‐ härenz zu achten. Auch über das Schaffen von Räumen für dialogisches Lernen machte ich mir zu diesem Zeitpunkt noch zu wenige Gedanken. In der Lern‐ gruppe entwickelte sich keine Atmosphäre des vertrauensvollen Miteinanders aller Beteiligten und im Vergleich zum parallel laufenden Grammatikkurs schätzten die Studierenden den aufgabenbasierten Kurs nicht nur als weniger effektiv für ihren Sprachlernprozess ein, sondern auch als weniger interessant - eine durchaus desillusionierende Einsicht. Dass nicht nur mangelnde Professionalität bei der Unterrichtsgestaltung, sondern auch institutionelle Bedingungen diese eher enttäuschenden ersten Er‐ fahrungen mit einem aufgabenbasierten Design begünstigten, zeigte sich in einer Evaluationsstudie, die den Zeitraum von 2003 bis 2007 umfasste (Schart 2010). Als eine zentrale Schwierigkeit kristallisierte sich in dieser Untersuchung die besondere Struktur der Grundstufe heraus, die in Kap. 2.3.2 bereits thema‐ tisiert wurde. Die vier 90minütigen Unterrichtseinheiten, die von Studierenden im ersten Studienjahr wöchentlich besucht werden, waren im ursprünglichen Programmkonzept in zwei parallellaufende Unterrichte unterteilt. Der eine, von einer japanischen Lehrperson durchgeführt, nahm drei Viertel der zur Verfü‐ gung stehenden Zeit ein und war der Beschäftigung mit dem Sprachsystem des Deutschen vorbehalten. Der andere Unterricht lag in den Händen einer Lehr‐ person mit der Muttersprache Deutsch und sollte die kommunikativen Kompe‐ tenzen fördern. Diese Konstruktion erschwerte es in beachtlichem Maße, den Studierenden das Potenzial des aufgabenbasierten Unterrichts näher zu bringen, denn das „richtige Lernen“ fand in ihren Augen im zeitlich dominierenden Grammatikkurs statt. 89 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="90"?> 35 siehe auch die Dokumentation des Projekts unter www.forschung.id-keio.org/ unter richtsforschung/ aufgabenbasierter-unterricht Von diesen beiden Studien ging der Anstoß zu einer grundlegenden Umge‐ staltung in der Grundstufe aus und das weiter oben beschriebene Konzept eines fach- und sprachintegrierten Kurses mit einem hohen Anteil dialogischer Lehr- und Lernprozesse nahm Schritt für Schritt konkrete Gestalt an. Als eine erste Maßnahme wurden die vier Unterrichtseinheiten zwischen japanischer und deutscher Lehrkraft ausgeglichen verteilt und durch die gemeinsame Entwick‐ lung des Unterrichtsmaterials zugleich eng verzahnt. Um den Bedenken bezüglich dieses gravierenden Eingriffes in die traditio‐ nelle Programmstruktur gerecht zu werden und die weiteren curricularen Ent‐ scheidungen auf der Grundlage empirischer Evidenz treffen zu können, bildete sich eine Forschungsgruppe von insgesamt sieben Personen, zu der sowohl am Programm beteiligte Lehrende als auch externe Forschende gehörten. Ausge‐ hend von der Frage, wie das Verhältnis zwischen aufgabenbasierten Unter‐ richtsphasen und systematischer Grammatikarbeit im Intensivprogramm ef‐ fektiv gestaltet werden kann, begleitete sie die Lernprozesse in drei Kursen mit unterschiedlichen Anteilen aufgabenbasierten Lernens (Schart et al. 2010 35 ). Dabei wurde die Entwicklung der mündlichen Sprachkompetenz von jeweils 5 Studentinnen und Studenten aus jeder der Lerngruppen über drei Semester hinweg ausgewertet. Zudem floss über Gruppeninterviews, Lerntagebücher und schriftliche Befragungen auch deren subjektive Wahrnehmung des Unterrichts‐ geschehens in die Datengrundlage ein. Als eine zentrale Erkenntnis dieses Projekts konnte die Forschungsgruppe konstatieren, dass sich keine nachteiligen Effekte zeigen, wenn der Unterricht konsequent den Prinzipien des aufgabenbasierten Ansatzes folgt. Auffällige Tendenzen ergaben sich vor allem bei der Komplexität der studentischen Äu‐ ßerungen. Je größer der Anteil aufgabenbasierter Lernprozesse, so das Ergebnis der Analyse, desto höher lagen die Werte für die Komplexität der verwendeten Sprache. Im Hinblick auf die Lexikvarianz und die Korrektheit hingegen konnten keine besonders auffälligen Unterschiede zwischen den Studierenden der drei Kurse ausgemacht werden. Für die weitere Gestaltung des Unterrichts im Intensivprogramm war diese Untersuchung von großer Bedeutung, denn sie konnte Vorbehalte ausräumen und anschaulich belegen, dass die Lernenden auch dann zu einem grammatisch angemessenen mündlichen Sprachgebrauch gelangen, wenn sie im Unterricht ausschließlich einen analytischen Ansatz der Beschäftigung mit Grammatik er‐ fahren hatten (vgl. Kap. 2.5.2). 90 Michael Schart <?page no="91"?> 36 aus dem Japanischen übersetzt, Originaltranskript siehe Schütterle/ Schart/ Meyer (2010) Auch von der Auswertung der Daten zur studentischen Perspektive gingen ermutigende Impulse aus. Die weiter oben beschriebenen Probleme mit den ersten Versuchen aufgabenbasierten Unterrichtens konnten mit einer durch‐ dachteren Herangehensweise weitgehend aus dem Weg geräumt werden. Neben der konsequenten Umsetzung der Prinzipien von Aufgabenbasierung (siehe Kap. 2.5) und der engen Verzahnung aller Unterrichtsstunden bildete die kon‐ tinuierliche Reflexion der Lehr- und Lernprozesse mit den Studierenden einen wichtigen Bestandteil des Kurskonzepts. Das trug nachweislich zu einer deutlich größeren Akzeptanz der ungewohnten Unterrichtsform bei. Die Studierenden erkannten beispielsweise das Potenzial, das im gemeinsamen Lernen und im aktiven Austausch ruht. Sie betrachteten den aufgabenbasierten Unterricht nunmehr als ebenso interessant wie effektiv und sie veränderten schließlich auch ihre Sicht auf die Rolle der Grammatik beim Fremdsprachenlernen - wohl die größte Barriere, die sich der Umsetzung aufgabenbasierten Fremdsprachen‐ unterrichts in ostasiatischen Kontexten entgegenstellt (vgl. Ellis 2018: 244). Mit einem Auszug aus einem Gruppeninterview mit acht Studierenden (s1-s8), das am Ende des ersten Lernjahres durchgeführt wurde, möchte ich diese Entwick‐ lung illustrieren 36 : s1: Es heißt immer, wir machen keine Grammatik, aber irgendwie verstehe ich sie trotzdem. Im April war ich noch sehr unsicher, aber jetzt verstehe ich sie. Deshalb meine ich, es kann so weiter gehen. Wir lernen Grammatik auch so. s2: Genau, es ist nicht so, dass wir hier keine Grammatik machen. Wir ignorieren sie nicht. s3: Ja, wir machen Grammatik, aber nicht in konzentrierter Form. s1: Nur das, was wir brauchen. s2: Wir lernen sie durch das, was wir brauchen, um zu kommunizieren. s4: Ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Unterricht Grammatik machen, die man wirklich benutzen kann. So motivierend die Ergebnisse zu den mündlichen Sprachkompetenzen der Stu‐ dierenden und ihrer Sicht auf das Fremdsprachenlernen für uns Lehrende auch waren, diese Studie warf zugleich neue Fragen auf. Da die Daten für die Analyse der sprachlichen Entwicklung nicht unmittelbar aus der unterrichtlichen Inter‐ aktion stammten, sondern in prüfungsähnlichen Formaten erhoben wurden, blieb beispielsweise vorerst unklar, mit welchen konkreten Prozessen im Klas‐ senraum die Resultate in Verbindung standen. Ebenso unsicher war, ob es uns 91 Grenzgänge: Forschungsdesign und Forschungskontext <?page no="92"?> gelingen würde, den Unterricht in den folgenden Jahren nachhaltig weiterzu‐ entwickeln und dadurch die ersten positiven Effekte zu verstetigen. Und so waren in den Erkenntnissen bereits die nächsten Forschungsaktivitäten ange‐ legt. Deren Ausgang soll in den nun folgenden vier Kapiteln dokumentiert werden. 92 Michael Schart <?page no="93"?> 1 Das Studienjahr dauert von April bis zum März des darauffolgenden Jahres. 3 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden Davide Orlando, Hidemi Hamano 3.1 Einleitung Das Potenzial von Evaluationen liegt vor allem in ihrer doppelten Funktion: Sie dienen einerseits einer rückblickenden Standortbestimmung und einer Rechen‐ schaftslegung anhand von Wirkungsergebnissen. Anderseits lässt sich mit ihrer Hilfe aber auch die stetige Verbesserung des Evaluationsgegenstandes voran‐ treiben (vgl. hierzu Döring 2004: 171; Rindermann 2003: 233f). Und in Kap. 2.2.5 wurde bereits auf den wichtigen Stellenwert verwiesen, der den studentischen Einschätzungen zum Unterricht in solchen Evaluationen zukommt. Dieses Ka‐ pitel stellt daher die subjektive Sicht der Studierenden auf den fach- und sprach‐ integrierten Unterricht im Rahmen des Intensivprogramms für Deutschland‐ studien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio ins Zentrum der Betrachtung. Es wird dabei auf die studentischen Lehrveranstaltungsbewer‐ tungen zurückgegriffen, die in allen Kursen des Programms am Ende jedes Stu‐ dienjahres durchgeführt werden. Aus dem umfassenden Korpus der Jahrgangs‐ stufen 2009/ 10 bis 2016/ 17 1 sind jene Daten extrahiert, die von den Teilnehmenden der Grundstufenkurse mit einem sprach- und fachintegrierten Unterrichtsdesign (siehe Kap. 2.3) eingereicht wurden. Die Analyse geht der Frage nach, wie die Studierenden des ersten Studien‐ jahres über einen Zeitraum von acht Jahren hinweg dieses Unterrichtskonzept einschätzen. Wo sehen sie die Vorzüge und Herausforderungen einer für sie ungewohnten Lernumgebung und welche Rückschlüsse lassen sich aus der stu‐ dentischen Evaluation für die Weiterentwicklung des Intensivprogramms, aber auch für den Bereich der Deutschlandstudien an japanischen Universitäten ziehen? Die Antworten ergeben sich zum einen durch einen detaillierten Blick darauf, wie die Studierenden einzelne Aspekte des Unterrichts wahrnehmen und beurteilen, etwa die Interaktionsprozesse, die Lernatmosphäre oder die Mate‐ <?page no="94"?> 2 Die Anzahl der Fragen hat sich basierend auf den Evaluationsergebnissen und Gesprä‐ chen mit Lehrenden und Studierenden über die Jahre hinweg verändert. Zudem wurde der Fragebogen den sich wandelnden Untersuchungsschwerpunkten angepasst (vgl. Schart 2010: 29ff). rialien. Zum anderen lassen sich jedoch aus den Angaben der Studierenden in den offenen und geschlossenen Fragestellungen der Lehrveranstaltungsbewer‐ tung auch wichtige Erkenntnisse über deren Lernprozesse und motivationalen Veränderungen ableiten. 3.2 Anlage der Teilstudie 3.2.1 Fragestellungen Im Kern zielt die folgende Analyse der studentischen Lehrveranstaltungsbe‐ wertungen auf das Verstehen der lokalen Lernkultur in den untersuchten Grundstufenklassen. Sie knüpft unmittelbar an die Ausführungen an, die in Kap. 2.2.7 zu den Lerntraditionen in Japan angestellt wurden, die - zumindest auf den ersten Blick - in einem deutlichen Kontrast zum sprach- und fachinte‐ grierten Unterrichtsdesign stehen. Es ist daher aus einer evaluativen Perspektive von zentraler Bedeutung, die Begegnung der Studierenden mit einem unge‐ wohnten Konzept von Fremdsprachenlernen aus deren eigener Sicht zu doku‐ mentieren und die Auswirkungen nachzuvollziehen. Dieses Forschungsinte‐ resse lässt sich in die folgenden Fragen aufschlüsseln: 1. Wie wirkt sich das Unterrichtskonzept auf die Lernmotivation der Stu‐ dierenden aus? 2. Wie beurteilen die Studierenden die an sie gestellten Anforderungen? 3. Wie beschreiben die Studierenden das Geschehen im Klassenzimmer, ins‐ besondere die Interaktionsprozesse? 4. Wie wird die Rolle der Lehrenden und die der Peers wahrgenommen? 5. Wie werden die Lernmaterialien in Gestaltung und Wirkung beurteilt? 3.2.2 Fragebogen Um einen weitreichenden Einblick in das Unterrichtsgeschehen zu erhalten, werden alle Teilnehmenden am Intensivprogramm bereits seit dem Jahr 2003 regelmäßig zu ihrer Meinung über den Unterricht und das Gesamtprogramm befragt. Das Erhebungsinstrument ist ein Fragebogen mit ca. 40 2 geschlossenen und offenen Items, der jeweils am Ende jedes Semesters anonym über ein Web‐ 94 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="95"?> 3 Im Verlauf der zurückliegenden Jahre wurden verschiedene Softwarelösungen für die Befragung eingesetzt, u. a. LimeSurvey, Moodle und in den letzten Jahren Google Docs. 4 www.forschung.id-keio.org/ clil tool 3 ausgefüllt wird. Aufgrund ihrer langen Tradition ist diese Befragung im Umfeld des Deutschunterrichts in Japan einzigartig. Als Längsschnittstudie ge‐ währleistet sie eine gute Vergleichbarkeit und Wiederverwendbarkeit der Er‐ gebnisse, die zudem noch, wie an dieser Stelle schon vorwegzunehmen sei, durch die sehr hohen Rücklaufquoten unterstützt wird. In seiner für die vorliegenden Studie relevanten Version untergliedert sich der Fragebogen in insgesamt 41 Items, von denen 36 geschlossen gestaltet sind (zumeist Likert-Skalierung) und fünf Items offen. Letztere spielen für das hier zugrundeliegende Forschungsinteresse eine entscheidende Rolle, denn es ist of‐ fensichtlich, dass sich die weiter oben beschriebenen Fragestellungen nicht al‐ lein anhand von Zahlenwerten aus geschlossenen Items beantworten lassen. Die fünf offen ausgerichteten Fragen sind daher so angeordnet, dass sie einzelne Themenbereiche abschließen. Dadurch werden die vorausgegangenen quanti‐ tativen Bewertungen besser nachvollziehbar. Wie alle für diese Studie rele‐ vanten Daten ist auch der Fragebogen über die Projektseite zugänglich 4 . Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über dessen Struktur. Nr. Item Messskala I. Lerneinstellung I-a Teilnahme am Unterricht 3 Stufen: ≥ 90 %, 70-80%, < 70% I-b Motivationsverlauf im Studien‐ jahr, unterteilt in 6 Zeitpunkte 5-stufige Skala von 1=sehr niedrige Moti‐ vation bis 5= sehr hohe Motivation I-c Lernzeit außerhalb des Unter‐ richts pro Woche 6 Antwortmöglichkeiten von weniger als eine Stunde bis mehr als 5 Stunden I-d eigene Beteiligung im Unterricht 5-stufige Likert-Skala von 1= nicht aktiv bis 5= sehr aktiv II. Unterrichtskonzept II-a Transparenz und Nachvollzieh‐ barkeit der Ziele des Unterrichts 5-stufige Likert-Skala von 1= keine Zu‐ stimmung bis 5= hohe Zustimmung II-b Erfolgreiche Umsetzung der Un‐ terrichtsziele II-c Anforderungen des Unterrichts insgesamt 95 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="96"?> II-d a) Lernerzentrierte vs. b) lehrerzentrierte Phasen 5-stufige Skala von 1= zu viel a) über 3=genau richtig bis 5= zu viel b) II-e a) Grammatikorientierung vs. b) Inhaltsorientierung II-f a) Fachliche Inhalte vs. b) Inhalte aus dem Alltagsleben II-g Lesefertigkeit 5-stufige Skala von 1= zu wenig über 3=genau richtig bis 5= zu viel II-h Schreibfertigkeit II-i Hörverstehen II-j Sprechfertigkeit II-k Unterricht ist interessant und lädt zur Mitarbeit ein 5-stufige Likert-Skala von 1= keine Zu‐ stimmung bis 5= hohe Zustimmung II-l Unterricht fördert selbstständiges und kreatives Denken II-m Unterricht verstärkt Interesse an deutscher Gesellschaft/ Kultur II-n Unterrichtszeit wird effektiv ge‐ nutzt II-o Unterrichtsbewertung insgesamt 5-stufige Likert-Skala von 1= sehr niedrig bis 5= sehr hoch II-p Kommentare zum Unterrichts‐ konzept offene Antwortmöglichkeit III. Lehrperson III-a Lehrperson arbeitet gewissenhaft und engagiert 5-stufige Likert-Skala von 1= keine Zu‐ stimmung bis 5= hohe Zustimmung III-b Lehrperson ist freundlich, fair und respektvoll III-c Lehrperson ist kompetent III-d Kommentare zur Lehrperson offene Antwortmöglichkeit IV. Unterrichtsatmosphäre IV-a Kooperative Atmosphäre unter den Studierenden 5-stufige Likert-Skala von 1= keine Zu‐ stimmung bis 5= hohe Zustimmung IV-b Kooperative Atmosphäre von Stu‐ dierenden und Lehrperson 96 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="97"?> IV-c Kommentare zur Unterrichtsat‐ mosphäre offene Antwortmöglichkeit V. Unterrichtsmaterial V-a Material ist interessant 5-stufige Likert-Skala von 1= keine Zu‐ stimmung bis 5= hohe Zustimmung V-b Material ist effektiv V-c Lernplattform Moodle wurde ef‐ fektiv genutzt V-d Kommentare zu den Unterrichts‐ materialien offene Antwortmöglichkeit VI. Intensivprogramm VI-a Verknüpfung der Unterrichte beider Lehrpersonen 5-stufige Likert-Skala von 1= keine Zu‐ stimmung bis 5= hohe Zustimmung VI-b Zufriedenheit mit eigenen Lern‐ fortschritten VI-c Zufriedenheit mit dem Intensiv‐ programm insgesamt VI-d Vorschläge zur Weiterentwick‐ lung des Programms offene Antwortmöglichkeit Tab. 3.1: Überblick zu den Items des Fragebogens 3.2.3 Datengrundlage Die für diese Untersuchung grundlegenden Daten entstammen zwei Quellen. Zum einen wurden die studentischen Unterrichtsevaluationen der Studienjahre 2009/ 10 bis 2016/ 17 ausgewertet. Zum anderen wurde jedoch auch eine detail‐ lierte Analyse der Teilnehmerlisten aus diesem Erhebungszeitraum durchge‐ führt. Zwischen April 2009 und März 2017 waren insgesamt 205 Teilnehmende als Erstsemester in den Grundstufenkursen eingeschrieben. Nach Abzug der Studierenden, die dem Intensivprogramm bereits zu Beginn fernblieben oder diesen im Laufe des ersten Semesters abgebrochen haben, beträgt die tatsäch‐ liche Anzahl der Studierenden, die die Grundstufe absolvierten, 183. Die Zahl der auszuwertenden Fragebögen liegt jedoch darüber, denn von jedem Studierenden sind während der Grundstufenzeit pro Studienjahr zwei Datensätze auszufüllen, jeweils einen für den Unterricht beim muttersprachli‐ 97 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="98"?> 5 Siehe dazu Kap. 2.3.2, in dem die Struktur des Intensivprogramms ausführlich be‐ schrieben wird. chen und beim japanischen Lehrenden 5 . Für den Erhebungszeitraum 2009 - 2016 beträgt die Grundgesamtheit an Fragebögen daher 366. Studienjahr 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Kurs GB (n) 9 14 10 13 14 13 14 7 Grundstufe Gesamt (n) 24 27 20 25 25 22 27 14 Tab. 3.2: Anzahl der Studierenden im Grundstufenkurs GB (2009 - 2016) Die Datengrundlage für den Hauptteil dieser Arbeit bilden allerdings die den Grundstufenkursen GB angehörigen Kohorten. Das bedeutet, dass für den Er‐ hebungszeitraum 2009 bis 2016 insgesamt 94 Studierende der betreffenden Kurse nach deren Beurteilungen befragt werden konnten (vgl. Tabelle 3.2). Studienjahr 2009 2010 2012 2013 2014 2015 2016 Studierende (=n) 9 14 13 14 13 14 7 möglicher Rücklauf (=n) 18 28 26 28 26 28 14 tatsächlicher Rücklauf (=n) 16 20 21 25 23 28 13 Rücklauf (in %) 89 71 89 89 88 100 93 Tab. 3.3: Rücklaufquote im Grundstufenkurs GB, Jahrgänge 2009/ 10 - 2016/ 17. Die Nen‐ nungen schließen das Studienjahr 2011/ 12 aus, in dem aufgrund vieler organisatorischer Veränderungen unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima auf die Evalua‐ tion in gewohnter Form verzichtet wurde. Aus der Tabelle 3.3 wird deutlich, dass die anstehende Auswertung der Frage‐ bögen auf einer hohen, und daher sehr aussagekräftigen sowie repräsentativen Rücklaufquote von durchschnittlich 87 % fußt. Diese Zahl vermittelt bereits ein Gefühl dafür, wie sehr sich die meisten Studierenden mit dem Konzept des In‐ tensivprogramms auseinandersetzen. Wie sich im Zusammenhang mit der wei‐ teren Analyse zeigen wird, erklärt sich aus den Zahlen die hohe motivationale 98 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="99"?> Komponente und das Interesse fast aller Studierenden, sich die nötige Zeit für das Ausfüllen der umfassenden Fragebögen zu nehmen. Zudem verweist diese hohe Rücklaufquote noch auf eine weitere Erkenntnis dieser Studie: die große Verbundenheit der Studierenden mit den besuchten Kursen. Die sehr positiven Werte, die die Studierenden der empfundenen Atmosphäre untereinander, aber auch zwischen ihnen und den Lehrenden zurechnen, stützen diese Einschätzung (siehe hierzu Kap. 3.3.6). Andererseits skizziert die hohe Ausschöpfungsquote auch die Überzeugung, Einfluss auf spätere Entscheidungen nehmen zu können, d. h. einen Beitrag zur Verbesserung des Programms zu leisten. Friedrichs (1990: 236 f.) sieht in den Determinanten einer Rücklaufquote zum einen die Antwortbereitschaft und zum anderen die Antwortfähigkeit der be‐ fragten Interaktanten. Der zuletzt genannte Aspekt spiegelt sich beispielsweise im Textumfang der offenen Antworten wider. Bei über 90 % der abgegebenen Antworten beschränken sich die Studierenden nicht auf das Verwenden kurzer, floskelartiger Ausdrücke. Die Antworten zeichnen sich vielmehr aus durch: • tiefgehende Beobachtungen der Lernumgebung • konstruktive Kritik • den Gebrauch fachspezifischen Vokabulars • einen hohen Anteil an Funktions- und Füllwörtern Im Verlauf der weiteren Datenanalyse soll diese grobe Beschreibung des Da‐ tenmaterials an zahlreichen konkreten Textbeispielen veranschaulicht werden. 3.2.4 Vorgehen bei der Analyse Wie bereits bei der Darstellung des Erhebungsinstruments erwähnt, wurde in dieser Teilstudie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, quantitative und qua‐ litative Analysemethoden zu kombinieren, um die Stärken beider Herangehens‐ weisen nutzbar zu machen (vgl. Brewer/ Hunter 1989: 17). Mittels der längs‐ schnittlich angelegten quantitativen Erhebung lässt sich aufdecken, wie mehrere Kohorten von Studierenden auf ihrem Weg durch das Grundstudium diverse Kontextfaktoren tendenziell wahrgenommen haben. Quantitative Aus‐ wertungen sind zudem von Bedeutung, um den Motiven für die Bewertungser‐ gebnisse anhand von Korrelationen näher zu kommen. Die Analyse darf sich also nicht auf die Zusammenfassung der Daten zu Mittelwerten beschränken. Das würde den Informationsgehalt der erhobenen Daten einschränken und bringt die Gefahr mit sich, Auswertungsartefakte zu produzieren (vgl. Kromrey 2005: 26 f.). Die Einbeziehung der Streuungswerte und der Blick auf korrelative Zusammenhänge sind daher entscheidende Schritte der quantitativen Analyse. 99 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="100"?> Zudem weist Dörnyei (2007: 35) auf die Wichtigkeit hin, auch die Motive für einzelne Bewertungen zu ergründen: „(…) by working with concepts of averages it is impossible to do justice to the sub‐ jective variety of an individual life. Similar scores can result from quite different un‐ derlying processes, and quantitative methods are generally not very sensitive in un‐ covering the reasons for particular observations or the dynamics underlying the examined situation.“ Die qualitative Analyse verfolgt daher das Ziel, den Beweggründen der Studie‐ renden für ihre Bewertungen näher zu kommen. Wie wichtig die Kombination beider Herangehensweisen ist, zeigt eine detaillierte sprachliche Analyse der offenen Antworten. Beispielsweise sind hohe quantitative Auswertungsergeb‐ nisse dann mit Vorbedacht zu betrachten, wenn die Antworten in den betref‐ fenden offenen Items viele Konjunktionaladverbien enthalten, mit denen posi‐ tive Bewertungen nuanciert abgeschwächt werden. Für die Analyse der quantitativen Daten wurden in der vorliegenden Studie die Softwarelösung SPSS eingesetzt. Die qualitativen Daten wurden mit Hilfe der Software MAXQDA ausgewertet. Dabei wurden die insgesamt 289 Ant‐ worten zu 13 Kategorien zusammengefasst, die sich an den Fragestellungen aus Kapitel 3.2.1 orientieren. Sie werden im Folgenden näher betrachtet. 3.3 Ergebnisse 3.3.1 Überblick In einem ersten Schritt sollen zunächst überblicksartig die studentischen Ein‐ schätzungen wichtiger Kursvariablen vorgestellt werden. Die ausgewerteten Daten werden nicht getrennt nach den einzelnen Studienjahren aufgeschlüsselt, sondern resultieren aus der Addition aller im Erhebungszeitraum erfassten Werte. Auch gehen die Kurse des japanischen und des muttersprachlichen Leh‐ renden, wenn nicht explizit dargestellt, zusammengefasst in die Analyse ein. Dies erscheint angebracht, da nicht dozentenbezogene Verhaltensformen im Fokus des Forschungsinteresses stehen, sondern eher die kursbezogene Evalua‐ tion durch die Studierenden. Tab. 3.4 enthält zentrale Items des Fragebogens nach der Rangfolge ihrer Einschätzung durch die Studierenden. Durchgängig fällt in allen Studienjahren die Bewertung der Lehrenden am positivsten aus: angesichts der hohen Zufrie‐ denheit mit dem Kursangebot insgesamt und dem in der Pädagogik unumstrit‐ tenen engen Zusammenhang von Lehrtätigkeit und Unterrichtsqualität kein unerwarteter Befund (vgl. Hattie 2008; Helmke 2011; Lipowsky 2006). Auf die 100 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="101"?> Bewertung der Lehrpersonen wird weiter unten daher noch detaillierter einzu‐ gehen sein. Item n MD* SD* Lehrende - Engagement (III-a) 145 4.81 .486 Lehrende - Fairness (III-b) 144 4.74 .626 Lehrende - Kompetenz (III-c) 145 4.68 .574 Unterricht insgesamt (II-o) 144 4.62 .603 Förderung selbstständigen Denkens (II-l) 144 4.59 .641 Material - Interessantheit (V-a) 144 4.58 .598 Intensivprogramm Zufriedenheit (VI-c) 146 4.58 .662 Atmosphäre Lehrende/ Studierende (IV-b) 145 4.57 .621 Unterricht - Interessantheit (II-k) 144 4.56 .677 Material - Effektivität (V-b) 142 4.52 .660 Interesse an Gesellschaft/ Kultur (II-m) 144 4.46 .737 Atmosphäre Studierende/ Studierende (IV-a) 145 4.39 .810 Umsetzung der Unterrichtsziele (VI-b) 145 3.88 .832 Einsatz von Moodle (V-c) 143 3.88 .960 eigene Aktivitäten (I-d) 145 3.75 1.146 eigene Lernfortschritte (VI-b) 146 3.50 1.288 *MW = Mittelwert, SD = Standardabweichung Tab. 3.4: Items mit den höchsten und niedrigsten Bewertungen auf einer fünfteiligen Likert-Skala mit 1= sehr niedrig bis 5 = sehr hoch (n = 142 - 46). Hervorzuheben ist zudem das von den Studierenden hoch bewertete Item „För‐ derung selbstständigen und kreativen Denkens” (II-l). Diese Wahrnehmung deutet darauf hin, dass es sich für die Studierenden um ein Kursangebot handelt, das sie kognitiv herausfordert. Ein wichtiges Bildungsziel des Intensivpro‐ gramms (siehe Kap. 2.3.3) wäre damit aus Sicht der Studierenden im Unter‐ richtsprozess tatsächlich erreicht worden. 101 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="102"?> Die Zusammenschau der Daten verdeutlicht darüber hinaus, wie sehr die Materialien (V-a, V-b) von den Studierenden angenommen werden. Da die Ziel‐ setzung bei der Materialerstellung in der Verbindung fachlichen und sprachli‐ chen Lernens besteht und die Materialien in der Einschätzung der Kursteil‐ nehmer sehr gute Ergebnisse erhalten, kann - wenn auch zunächst mit Vorsicht - von ihrem zielorientierten und erfolgreichen Einsatz ausgegangen werden. Für die Studierenden stellen somit die von den Lehrenden entwickelten Lehr‐ materialien in Verbindung mit dem unterrichtlichen Lehrerverhalten den zen‐ tralen Bezugsrahmen im Unterricht dar, wie sich auch in den Korrelationsdaten des Items „Förderung des selbständigen und kreativen Denkens“ (II-l), zur In‐ teressantheit (II-k, r=.543) oder auch zur Effektivität der Materialien (V-b, r=.470) widerspiegelt. Die allgemeine Bewertung des Intensivprogramms (II-o) erreicht mit 4,62 auf der fünfteiligen Likert-Skala ebenfalls einen hohen positiven Mittelwert und ist zugleich Indiz für die Wirksamkeit des Programms. Darüber hinaus ergeben sich mit dem gemittelten Wert vornehmlich mittelstarke bis stark positive lineare Zusammenhänge mit den Variablen, die in enger Verbindung mit den curricu‐ laren Zielen des Intensivprogramms stehen. Der Unterricht wird hoch bewertet, wenn er als interessant (II-k, r=0,71) betrachtet wird und gleichzeitig das selbst‐ ständige und kreative Denken stimuliert (II-l, r= 0,37), die Beschäftigung mit kulturellen und sprachlichen Phänomenen fördert (II-k, r=0,59), sowie als gut strukturiert empfunden wird (II-a, r=0,54), und wenn die Materialien als effektiv (V-b, r=0,53) und interessant (II-k, r=0,51) sowie die Kompetenzen und die Fair‐ ness der Lehrenden (III-c, r=0,43 respektive III-b, r=0,41) als gegeben angesehen werden. Zu denken geben die Items, denen eine weniger positive Bewertung zu‐ kommt. Sie betreffen die Einschätzung der eigenen Aktivität im Unterricht (I-d) und die eigenen Lernfortschritte (VI-b). Zudem wird eine Kluft zwischen den ursprünglichen Zielen des Unterrichts und dem von der Lerngruppe tatsächlich Erreichten (II-b) wahrgenommen. Diese Items weisen darauf hin, wie wichtig es ist, im Verlauf der weiteren Analyse die Erwartungen und motivationalen Veränderungen genauer ins Blickfeld zu rücken. Aus der Kodierung der studentischen Aussagen in den offenen Items ergeben sich insgesamt 13 Kategorien (siehe Tab. 3.5), die für die Beantwortung der in Kap. 3.2. genannten Fragestellungen bedeutsam sind. Es zeigt sich dabei, dass die positiven Nennungen zu den lehrerspezifischen Handlungen und Lernma‐ terialien proportional den positiv bewerteten Items aus den geschlossenen Ant‐ worten ähneln. Gleichwohl lassen sich offene und punktuell in Nebensätzen verdeckte, kritische Nuancen festmachen, die zuweilen die positiven Aussagen 102 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="103"?> in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen und bei denen die geäußerte Kritik als Unzufriedenheit betrachtet werden kann. Für Vorschläge zur Weiter‐ entwicklung des Kurses ist eine detaillierte Analyse vor allem dieser Äuße‐ rungen bedeutsam. Im folgenden Überblick (Tab. 3.5) werden jedoch zunächst nur die im Analyseprozess gebildeten Kategorien aufgelistet. Die Anzahl der Nennungen bezieht sich auf die in der Gesamterhebung anzutreffenden Fund‐ stellen in den Antworten der Studierenden zu den offenen Items. Nr. Kategorie Anzahl a Bewertung des Unterrichts/ Anerkennung der Leistungen der Lehrenden 128 b Akzeptanz einer neuen Lernphilosophie (z. B. Lernme‐ thoden, Lernmaterialien, Lehrerrolle) 98 c Kursatmosphäre, die zur freiwilligen Teilnahme und zum Sprechen aus Eigeninitiative anregt 97 d proaktive und autonome Teilnahme am Unterricht 92 e Kritik oder Verbesserungsvorschläge gegenüber Leh‐ renden und Unterricht 74 f Gefühl von Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen 72 g kooperatives Lernen mit anderen Studierenden 71 h Kritik an Kommilitonen und Reflexion über das eigene Handeln und Denken 67 i Themen und Unterrichtsmaterialien, die zu vertieften Dis‐ kussionen anregen und selbstständiges Denken aktivieren 65 j Lernprozesse, die über das reine Erlernen der deutschen Sprache hinausgehen 31 k zu hohe Erwartungen sowie Abhängigkeit von Mitstudier‐ enden und Lehrpersonen 24 l Verteidigen der traditionellen Lernphilosophie 12 m Stagnation im Lernprozess durch eine zu lockere Atmo‐ sphäre 10 Tab. 3.5: Überblick über die Ergebnisse der Kategorienbildung zu den Antworten der Studierenden auf die offenen Items des Fragebogens 103 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="104"?> 6 Die im Original auf Japanisch verfassten Kommentare können auf der Projekt-Home‐ page eingesehen werden. In den Klammern: Nummerierung im Dokument „Antworten der offenen Items“, Studienjahr, aus dem das Zitat stammt. 7 Diese Studentin gehört zu den wenigen Ausnahmen, die bereits während der Ober‐ schulzeit in geringem Ausmaß Deutschunterricht belegen konnte. 3.3.2 Lerntraditionen Die offenen Antworten der Studierenden - vor allem jene, die in Tab. 3.5 auf die Kategorien b und i entfallen - dokumentieren, dass für den Großteil der Teil‐ nehmenden der Unterricht im Intensivprogramm eine Abkehr von der erfah‐ renen rezeptiv vermittelten Wissensaneignung im schulischen Kontext be‐ deutet. Es finden sich unter anderem mehrere direkte Thematisierungen in Bezug auf die Unterschiede zum Sprachenlernen während der Oberschulzeit, wie diese drei Zitate verdeutlichen 6 : „Ich habe Deutsch in der Schule gelernt 7 , aber das war ein reiner Grammatikunterricht und ich hatte keine Chance, Deutsch zu sprechen. An der Universität habe ich aber dann im Intensivprogramm in jedem Unterricht Gelegenheiten bekommen zu spre‐ chen. Das war ganz neu für mich. Vor allem im GB-Kurs haben wir von Anfang an die grammatischen Phänomene nicht als Ganzes gelehrt bekommen. Stattdessen haben wir uns die Grammatik und das Vokabular nach und nach durch Sprechen und Hören selbst erarbeitet. Damit es nicht langweilig wird, sollten wir immer Mitdenken. Das war ein vollkommen anderer Unterricht, als ich ihn an der Oberschule erlebt hatte, und ich fand ihn sehr interessant.“ (620, 2015) „Ich habe den Unterricht als sehr innovativ empfunden. Er war anders als das mir bekannte Fremdsprachenlernen. Um ein Beispiel zu nennen: Anstelle der üblichen Reihenfolge Grammatik merken → Üben, mussten wir durch den Vergleich von au‐ thentischen Texten oder unseren Essays und deren Korrekturen den Gebrauch der Grammatik selbst entdecken. Ich hatte in diesem Unterricht immer das Gefühl, effi‐ zient zu lernen.“ (533, 2014) „Es wurde nur die Grammatik vermittelt, die die Studierenden brauchen. Die Ler‐ nenden haben die Grammatik selbst erfahren und mussten auch selbst darüber nach‐ denken.“ (103, 2009) Neben solchen Verweisen auf eine gewandelte Wahrnehmung der Grammatik beleuchten weitere Zitate den Einfluss der studentischen Aktivitäten auf den Unterricht sowie die Entwicklung fachlich-methodischer Kompetenzen: „Anders als beim Sprachenlernen in der Oberschule habe ich nicht einfach nur Infor‐ mationen von der Lehrperson bekommen. Ich musste selbst meine Meinung formu‐ lieren und diese Art des Unterrichts empfand ich als interessant. Wenn man seine 104 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="105"?> Meinung ausdrückt, übt man gleichzeitig Deutsch, und nicht nur das: im Unterricht ging es nicht nur um Fremdsprachenlernen, sondern darum, die Denkfähigkeiten zu entwickeln.“ (396, 2013) Die Sammlung der offenen Antworten bietet ein umfangreiches Reservoir an Beispielen, in denen die Lernenden die Kriterien und Qualitätsmerkmale des Intensivprogramms als eine für sie komplett neue Lernkultur beschreiben und im Hinblick auf die Aufgaben und Materialien die ungewohnte Herangehens‐ weise betonen. „Das Unterrichtsmaterial war so vielfältig, dass ich immer wieder überrascht davon war und mich herausgefordert fühlte. Es war ein vollkommen anderer Ansatz von Fremdsprachenlernen, als ich es bis dahin gewohnt gewesen war. Ich hatte durchweg ein belebendes Gefühl.“ (424, 2013) Der Erwerb reiner Sprachkenntnisse stehe dabei nicht im Vordergrund, sondern eher, wie von einem Studierenden beobachtet, die Förderung reflexiven Den‐ kens, auch über sich selbst und die persönliche Zukunft. „Vor allem im Unterricht mit dem japanischen Lehrer ging es weniger darum, Deutsch zu lernen als Deutsch selbst zu entdecken. Wir haben auch viele Möglichkeiten be‐ kommen, über uns selbst und unsere Zukunft nachzudenken. Auch in diesem Sinne war der Unterricht sehr bereichernd.“ (334, 2012) Die überwiegend positiven Bemerkungen lassen erahnen, dass von den Studie‐ renden der untersuchten Lerngruppen das Unterrichtskonzept in der Grund‐ stufe angenommen wird. Dass die Grammatik dabei nicht mehr den Mittelpunkt des Fremdsprachenlernens ausmacht, bedeutet für die meisten unmissverständ‐ lich eine neue Erfahrung. Die hohe Gesamtzahl an offenen Antworten, die die neuen Lernperspektiven, Lernmaterialien und Lernmethoden thematisieren oder die die Kurse nicht als reinen Sprachunterricht bezeichnen (siehe Katego‐ rien b und j in Tab. 3.5), bestätigen dies. Es stechen zusammenfassend die fol‐ genden vier Punkte hervor, die diese Unterschiede veranschaulichen und die im Verlauf dieses Kapitels noch mehrmals Erwähnung finden. 1. Der Unterricht wurde in erster Linie vom kognitiven Engagement und den Redebeiträgen der Studierenden getragen. 2. Kenntnisse über Deutschland, über die Sprache und über die Gesellschaft/ Kultur können auf verschiedenen Wegen erarbeitet werden. 3. Die Grammatikvermittlung verläuft anders als zu Oberschulzeiten. 4. Die Lehrenden respektieren sowohl die Lerngruppe als Ganzes als auch die einzelnen Teilnehmenden. 105 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="106"?> 8 Gemeint sind hier die wöchentlichen Präsentationen der Studierenden zu den Unter‐ richtsprotokollen (siehe Kap. 2.4.4) Andererseits stellt sich, wenn auch nur für einen geringen Anteil von Studie‐ renden, das Fehlen einer systematischen Grammatikvermittlung und entspre‐ chenden Übungsphasen als Hürde beim Erlernen der Sprache dar: „Ich verstehe, dass sich der Unterricht auf Konversation konzentriert hat, aber ohne in gewissem Maße strukturiert Grammatik zu lernen, kann langfristig kein Lernerfolg erwartet werden. Ich hätte mir gewünscht, dass es für das Selbststudium mehr Mate‐ rialien zu einzelnen grammatischen Phänomenen gibt. Dass man sich solche Gram‐ matikbücher selbst kaufen musste, finde ich nicht gut.“ (156, 2010) „Ich dachte, es wäre besser gewesen, sich mit Unterrichtsmaterialien zu beschäftigen, die Grammatik und Beispielsätze etwas mehr zusammenfassen.“ (88, 2009) „Was die Grammatik anbelangt, würde ich gerne nicht nur bei den Präsentationen 8 , sondern auch zu geeigneten anderen Zeitpunkten mehr Kommentare hören.“ (401, 2013) Vereinzelt merken Studierende an, dass sie sich gerne den Unterricht des eher grammatikorientiert arbeitenden Parallelkurses angesehen hätten. Hinter dem Wunsch nach Austausch mit den dortigen Studierenden verbirgt sich mögli‐ cherweise eine höflichere Form der Kritik. Diese Kommentare legen jedenfalls nahe, künftig mehr Möglichkeiten des Austauschs zwischen den Kursen und der gemeinsamen Reflexion zu schaffen. Es gibt jedoch nur sehr wenige Studierende, die das fach- und sprachinte‐ grierte Konzept des Kurses grundsätzlich hinterfragen. Nicht geklärt werden kann leider, ob es sich dabei um eine Projektion von Lernproblemen auf die Grammatik handelt, wie sie in Kap. 2.7 bereits diskutiert wurde. Treten Lern‐ fortschritte nicht wie erhofft ein, so wird dies gerne mit noch nicht ausrei‐ chender Grammatikkompetenz begründet. Dadurch wird letztlich das gesamte Unterrichtskonzept in Frage gestellt. Die Lehrenden sollten daher frühzeitig das Gespräch mit solchen Studierenden suchen und gemeinsam Lösungsmöglich‐ keiten entwickeln oder ihnen, wenn möglich, die Chance eröffnen, in den gram‐ matikorientierten Parallelkurs zu wechseln. Darüber hinaus erlauben die Daten auch keine Aussagen darüber, wie nach‐ haltig die neuen Erfahrungen für die Studierenden sind. Überdauern sie als investment, wie Kiely (2009) es bezeichnet, eine längere Zeit oder handelt es sich um eine vorübergehende Wahrnehmung, die vor allem durch den Reiz des Neuen ausgelöst wird. Es besteht die Möglichkeit, dass die zur Schulzeit erlebte Lernkultur die Erwartungshaltung der Studierenden dennoch beeinflusst. Die 106 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="107"?> Sehnsucht nach einer gewohnten Lernumgebung könnte nach einer Phase der Neugier wieder aufbrechen. Um dieser Problematik auf den Grund zu gehen, sollten einzelne Lernende im Intensivprogramm über den gesamten Zeitraum der vier Jahre hinweg intensiver verfolgt werden. Ebenfalls könnten ehemalige Studierende in den Evaluationsprozess involviert werden. 3.3.3 Motivation Studienwege Die hohe Rücklaufquote sowie die erste Auswertung der Antworten auf die of‐ fenen Items und die Ergebnisse der deskriptiven Statistik lassen vermuten, dass zwei wesentliche Ziele des Intensivprogramms erreicht wurden, nämlich die der Partizipation der Studierenden und der Motivierung. Studentische Verlaufswege können viel über die Motivation und gleichzeitig über die Wirksamkeit des Intensivprogramms aussagen. Denn Motivation leitet nicht zuletzt die subjektive Entscheidung darüber, bis zu welchem Stadium so‐ wohl die Aufmerksamkeit am Lernprozess gehalten als auch die Teilnahme am Intensivprogramm fortgesetzt wird. Ihr Einfluss auf das Sprachenlernen ist in der Fachdiskussion unbestritten. Sie ist zuständig a) für die Beweggründe, die der Teilnahme an einem Programm zugrunde liegen, b) für den Zeitraum, in dem sich Lernende den Anforderungen des Sprachenlernens stellen möchten und c) für den Grad ihres Engagements im Lernprozess (Dörnyei/ Ushioda 2011: 4, zum Lern-Engagement siehe auch Kap. 4). Tabelle 3.6 zeigt die Anzahl der Studierenden, die den Grundstufenkurs GB absolviert haben und gleichzeitig für den Übergang in die Mittelstufe berechtigt waren. Von den 94 Studierenden, die im Erhebungszeitraum 2009/ 10 bis 2016/ 17 an den Grundstufenklassen GB teilgenommen haben, führten dabei insgesamt 70 Teilnehmer (74,5 %) das Programm nach der Grundstufe fort. Jahr 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 TN* GS* (n) 9 14 10 13 14 13 14 7 TN in MS* (n) 9 10 8 12 8 7 10 6 TN in MS (%) 100 71,3 80 92,3 57,1 53,6 71,3 85 *TN = Teilnehmende, GS = Grundstufe, MS = Mittelstufe Tab. 3.6: Übergang der teilnehmenden GB-Studierenden (TN GB) in die Mittelstufe (2009 - 2016) 107 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="108"?> Tabelle 3.7 informiert über den Anteil der Studierenden, die dem Kurs bis in die Oberstufe treu bleiben, d. h. über mindestens drei Studienjahre hinweg teil‐ nehmen (zur Struktur des Programms siehe Kap. 2.3.2). Von den 94 Grundstu‐ fenstudierenden der GB-Klassen schaffen dabei 20 Studierende den Sprung in die Oberstufe, was einem prozentualen Anteil von 21,2 % entspricht. Jahr 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 TN* GS* (n) 9 14 10 13 14 13 14 7 TN OS* (n) 4 0 3 4 1 4 4 0 TN OS (%) 44,4 0 33,3 30,7 7,1 30,8 28,6 0 *TN = Teilnehmende, GS = Grundstufe, OS = Oberstufe Tab. 3.7: Anzahl der teilnehmenden GB-Studierenden (TN GB) in der Oberstufe (2009 - 2016) Auf den ersten Blick erscheint die Zahl der Studierenden, die auf dem Weg zwi‐ schen Grundstufe und Oberstufe ihre Teilnahme am Intensivprogramm abbre‐ chen, mit 71,4% relativ hoch zu sein. Sie darf jedoch nicht überbewertet werden. Vor allem der Übergang in das sprachlich wie inhaltlich sehr anspruchsvolle Programm des 3. und 4. Studienjahres erfordert von den Studierenden eine be‐ wusste Entscheidung für einen Studienschwerpunkt, der nicht unmittelbar mit einer Erweiterung der beruflichen Perspektiven verbunden ist. Die Studie‐ renden müssen also über eine ausreichende intrinsische Motivation verfügen, um neben dem Fachstudium Ressourcen in die Bewältigung des Intensivpro‐ gramms zu investieren. Entwicklung der Motivation Im Hinblick auf die Lernmotivation besteht Einigkeit darüber, diese als ein mul‐ tidimensionales, dynamisches Konstrukt anzusehen. Motivation stellt also kein stabiles Persönlichkeitsmerkmal dar. Sie ergibt sich vielmehr aus einem Wech‐ selspiel von persönlichen Charakteristika und Interessen mit situationsgebun‐ denen Anreizen (Dörnyei/ Ushioda 2011; Kleppin 2002; Riemer 2013). Nach der Selbstbestimmungstheorie regulieren die psychologischen Grundbedürfnisse, wie die Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit, die Handlungen und Motivation der Lernenden. Die Motivation selbst unter‐ scheidet sich nach der Stärke und Qualität in fünf unterschiedlichen Motivati‐ onstypen, von der eine als intrinsische und vier als extrinsische (identifizierte, 108 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="109"?> introjizierte, externale und Amotivation) Handlungsregularien definiert werden (Krapp/ Ryan 2010; Ryan/ Deci 2004). Dass auch bei den Studierenden des Intensivprogramms die Motivation nicht über das gesamte Studienjahr stabil bleibt, lässt sich anhand der rückblickend getätigten Schätzungen belegen (Tab. 3.8). Die Motivation zeigt in den meisten Lerngruppen einen ähnlichen Verlauf: Sie fällt in den ersten Monaten kontinu‐ ierlich ab, um sich dann gegen Ende des Studienjahres wieder zu erholen und zumindest in die Nähe der hohen Ausgangswerte vom April zu gelangen. Motivation April Mai Juli Oktober November Januar MW 4.24 4.07 3.89 3.80 3.93 4.03 SD 1,10 0,98 0,971 0.84 0,85 0,89 Tab. 3.8: Motivation auf der fünfteiligen Likert-Skala von 1= überhaupt nicht motiviert bis 5 = sehr motiviert; 2009 - 2016 Diese Resultate widersprechen auffällig den Forschungsergebnissen von Fuji‐ wara (2013) in einem anderen universitären Deutschprogramm in Japan. In ihrer empirischen Studie zu den motivationalen Prozessen japanischer Erstsemes‐ terstudierender kommt Fujiwara zu dem Schluss, dass die anfängliche Motiva‐ tion bis zum Ende des Unterrichts oft nicht gehalten werden könne und dass Lernende mit der Zeit stärker äußeren Zwang empfänden, sogar die Amotiva‐ tion bis zum Ende des Unterrichts ansteige (Fujiwara 2013: 33 ff.). Die unter‐ schiedlichen Ergebnisse verdeutlichen u. a. die Abhängigkeit der Lernmotiva‐ tion von den vorliegenden Kursbedingungen. Die von Fujiwara gewonnenen Erkenntnisse sind nicht auf das Intensivprogramm übertragbar und unterstrei‐ chen die Notwendigkeit von Untersuchungen, die sich gezielt einem bestimmten lokalen Kontext widmen. Es wird angenommen, dass dem u-förmigen Verlauf der Motivationsentwick‐ lung im Intensivprogramm ein komplexes Faktorenbündel zugrunde liegt, das sich allein durch den Fragebogen nicht entflechten lässt. Gleichwohl finden sich in den Antworten der Studierenden einige Hinweise, die Interpretationen er‐ möglichen. So kann ein direkter und auch plausibler Zusammenhang mit den noch geringen Sprechfertigkeiten zu Beginn des Studiums gesehen werden. Es kann einen entmutigenden Einfluss haben, dass der Unterricht vorwiegend auf Deutsch gehaltenen wird: 109 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="110"?> 9 In den letzten Jahren ist die Unausgewogenheit bei der Wahrnehmung aller vier Fer‐ tigkeiten zurückgegangen. Der Unterschied zwischen der Förderung der Sprechaktivi‐ täten und den anderen drei kommunikativen Fertigkeiten, die sich immer mehr anglei‐ chen, ist damit am Ende des Erhebungszeitraums nicht mehr allzu hoch. „Im Frühjahrssemester konnte ich das Deutsch des Lehrers überhaupt nicht verstehen, aber im Herbstsemester hatte ich dann das Gefühl, 90 Prozent zu verstehen.“ (586, 2015) Erst mit wachsender Kompetenz in der Unterrichtssprache Deutsch erhöht sich auch die Motivation. Da die Zielsprache von Anfang an als Verständigungsmittel im Unterricht dient, braucht es bei den Studierenden Zeit, um sich an die Un‐ terrichtsroutinen zu gewöhnen und um sich am Unterrichtsgeschehen aktiv zu beteiligen. Auch die anfängliche Unerfahrenheit mit der neuen Lernmethode kann sich hemmend auf die Förderung der Lernmotivation auswirken, wie sich an den folgenden Kommentaren von Studierenden ablesen lässt: „Der Unterricht hat meine Erwartungen weit übertroffen. Aber ich erinnere mich daran, dass ich bei Studienbeginn, als wir den Kurs wählen sollten, zunächst zweifelte, ob sich im Kurs GB tatsächlich Sprechkompetenzen entwickeln ließen. Ich dachte, dass man unbedingt so wie im Kurs GA die Grammatik lernen müsste.“ (307, 2012) „Es gab Phasen, in denen meine Motivation sank, da ich die Grammatik nicht ver‐ stehen konnte, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden, weil ich viele grammatische Strukturen auf natürliche Weise benutzen konnte, indem ich an den Schreibaufgaben arbeitete.“ (316, 2012) 9 „Die Lehrer zielten nicht darauf ab, dass wir von Beginn an schöne Sätze schreiben oder sprechen. Wir sollten zunächst einmal versuchen, unsere Gedanken irgendwie schriftlich oder mündlich in Worte zu fassen. Erst danach halfen sie uns.“ (571, 2014) „Am Anfang war ich durch den vollkommen anderen Ansatz des Unterrichts sehr verwirrt, am Ende jedoch sehr zufrieden. Sowohl was die Inhalte betrifft als auch die Art, Grammatik zu lernen, war das genau das Gegenteil dessen, was ich kannte. Ich finde, es ist ein sehr kreativer Ansatz.“ (718, 2016) Indikatoren für Motivation Werden Zufriedenheit (VI-c), Anwesenheit (I-a) und Interessantheit der Kurse (II-k) als Indikatoren für Motivation hinzugezogen, so erscheinen diese sehr ausgeprägt zu sein. Bei einem Mittelwert von 4,58 (SD: 0,66) auf der fünfteiligen Likert-Skala geben nahezu 92 % der Studierenden an, mit dem Intensivpro‐ gramm zufrieden zu sein (eher zufrieden = 24,7 %; sehr zufrieden = 67 %). Inter‐ 110 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="111"?> essant ist, dass der korrelierte Wert zwischen der Zufriedenheit und der Moti‐ vation dem leichten Anstieg der Motivationskurve ähnelt. Die Werte der signifikanten Zusammenhänge zwischen der unterrichtlichen Interessantheit und anderen Unterrichtsdimensionen unterstreicht ebenfalls, inwieweit auf die Interessen der Studierenden eingegangen wird. Die Interes‐ santheit korreliert dabei zwischen sehr stark und stark mit der Förderung selbst‐ ständigen Denkens (II-l, r=.657), den thematischen Schwerpunkten (II-m, r=.635), der Lehrerkompetenz (III-c, r=.603), dem Lehrerengagement (III-a, r=.572), der Effektivität des Materials (V-b, r=.565) und dem fairen Verhalten der Lehrenden (III-b, r=.447), Die Einschätzung der eigenen aktiven Teilnahme (I-d) und der Zufriedenheit mit dem eigenen Fortschritt (VI-b) werden dagegen mit den gemittelten Werten von 3.75 (SD: 1,14) beziehungsweise 3.5 (SD: 1,28) sehr zurückhaltend einge‐ schätzt. Es drängt sich hierbei die Frage auf, inwieweit der hohe Anteil an Re‐ flexion in der Unterrichtskonzeption überhaupt als praktische Aktivität be‐ trachtet wird. Oder anders gefragt: Was verstehen die Studierenden eigentlich unter Aktivität? Eine befriedigende Antwort lässt sich auf der Grundlage der hier analysierten Daten nicht geben. Dafür wäre eine Studie notwendig, die sich intensiver mit den einzelnen Lernenden beschäftigt und sie in ihrem Lernpro‐ zess begleitet. Die im Vergleich zu den anderen Werten eher als niedrig angesehenen Wahr‐ nehmungen der eigenen Aktivität (I-d) und der Lernfortschritte (VI-b) wirken sich im Fall des hier untersuchten Kurses jedoch nicht auffällig nachteilig auf die Motivation aus. Es lassen sich jedenfalls keine negativen Korrelationseffekte mit den anderen Items ausmachen. Vielmehr korreliert die Zufriedenheit des eigenen Lernfortschritts positiv mit fast allen anderen Items auf einem mittel‐ starken Niveau. Motivationsförderliche Aspekte Aus den Kodierungsergebnissen der Fragebogenauswertung (siehe Kap. 3.4.1) geht hervor, dass die drei Faktoren a) Lehrerverhalten, b) interaktive Atmo‐ sphäre und c) Materialien (Kategorien a-c), sehr positiv von den Studierenden aufgenommen werden und ihnen das Gefühl vermitteln, sich auch als Persön‐ lichkeit weiterentwickeln zu können. „Nicht nur im Hinblick auf das Fremdsprachenlernen, sondern auch hinsichtlich des persönlichen Wachstums bietet das Programm eine ideale Lernumgebung.“ (16, 2009) Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass die genannten Aspekte einen förderlichen Effekt auf die intrinsische Motivation ausüben. Bemerkens‐ 111 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="112"?> wert erscheint zudem die hohe Zahl an positiven Bemerkungen zu den neuar‐ tigen Lernmethoden (Kategorie g) und zu einem Konzept von Fremdsprachen‐ unterricht, das weit mehr umfasst als die Entwicklung kommunikativer Kompetenzen (Kategorie h). Im Folgenden sollen aus den Kategorien prototy‐ pische Aussagen zitiert werden, die die motivationsförderlichen Faktoren er‐ klären: Lernerfolge: „Ich habe mich manchmal außerhalb der Klasse mit Leuten aus dem deutschspra‐ chigen Raum unterhalten können. Dabei wurde ich mehrmals dafür gelobt, nach so kurzer Zeit schon zu gut sprechen zu können. Ich bin wirklich glücklich, dass ich an diesem Unterricht teilnehmen konnte.“ (584, 2015) „Es war sehr interessant, Themen wie Identität, Politik oder Gesellschaft zu behandeln. Nach und nach fiel es mir leichter, Deutsch zu sprechen. Das war ein Erfolgsgefühl.“ (458, 2014) Lernen als sozialer Prozess: „Die Diskussionen bei der Gruppenarbeit liefen komplett auf Deutsch. Das war ein Zeichen für unsere Fortschritte und ich fand das einfach toll. Wenn jemand aus der Gruppe etwas nicht verstand, musste man versuchen, es anders zu formulieren. Das war nicht nur gut, um Paraphrasieren zu üben. Wir haben auch die Einstellung trai‐ niert, uns durch Kooperation verständlich zu machen.“ (412, 2013) Inhaltliche Relevanz und kognitive Herausforderung: „Die Themen, die wir im Unterricht behandelten, waren sehr interessant. Da wir als Studierende alle unsere eigene Meinung haben und überzeugende Gründe dafür an‐ führen können, führten auch abstrakte Themen zu tiefgehenden Diskussionen. Das fand ich interessant.“ (588, 2015) Autonomie und Kompetenzgefühl: „Wir konnten nach eigenen Interessen und Möglichkeiten lernen. So wurde den Ler‐ nenden unmittelbar selbst bewusst, welche Fortschritte sie machen. Das habe ich als effektiv empfunden.“ (571, 2014) Engagement der Lehrenden: „Im Intensivprogramm begeistert mich, dass man bei den Lehrern spürt, wie engagiert sie sind. Ich finde das sehr wichtig. Dadurch wird natürlich der Unterricht weiter verbessert, aber die Begeisterung überträgt sich auch auf die Studierenden. Sie geben sich auch selbst viel mehr Mühe.“ (82, 2009) 112 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="113"?> Gewissheit, Kontinuität und langfristige Planung: „Da es (im Intensivprogramm) einen konkreten Plan über den langen Zeitraum von 4 Jahren gibt, fällt es leichter, die Lernmotivation aufrecht zu erhalten. Das Lernen er‐ scheint sinnvoll.“ (80, 2009) 3.3.4 Unterrichtskonzept Anforderungen Für den gesamten achtjährigen Erhebungszeitraum erhält das Item Anforderung auf einer semantischen Differenzialskala (von 1 = deutlich gering bis 5 = deutlich zu hoch und dem Wert 3 = ausgewogen) einen Mittelwert von 3.18 mit einer Standardabweichung von SD = 0,555. Die Studierenden empfinden den Kurs nicht als zu überfordernd, denn in 71.9 % der Fälle werden die Anforderungen durch die Konzeption des Intensivprogramms als angemessen bewertet. 22,6 % der Studierenden empfinden sie als etwas zu hoch und lediglich 0,7 % wählt bei diesem Item die höchste bzw. niedrigste Bewertungsstufe. Wie zu erwarten war, nehmen die Studierenden den Kurs als besonders in‐ haltsorientiert wahr und erkennen zugleich ein Übergewicht bei der Förderung mündlicher Sprachfähigkeiten gegenüber dem Training des Hör- und Lesevers‐ tehens oder der schriftlichen Kompetenzen. Der fach- und sprachintegrierte Unterricht stellt die Studierenden vor die doppelte Herausforderung, inhaltliche und sprachliche Schwierigkeiten parallel bewältigen zu müssen. Dies wird auch tatsächlich als Problem wahrgenommen, führt jedoch nicht zwangsläufig zu einem demotivierenden Effekt, wie folgende Aussage veranschaulicht: „Bei den Themen in der zweiten Hälfte (des Semesters) dominierten jene Studierenden, die umfangreiches sozialwissenschaftliches Wissen hatten. Deshalb konnte ich mich bei Themen, über die ich nicht viel wusste, nicht so gut einbringen. Aber ob man sich nun selbst äußert oder während man nachdenkt den anderen zuhört, beides bringt Vorteile mit sich.“ (310, 2012) Unterrichtsklima und Interaktion Auch bei den Items, die sich mit dem Unterrichtsklima und der Interaktion be‐ fassen, ergibt sich zunächst ein sehr positives Bild. In den Antworten der Stu‐ dierenden wird ein förderliches Umfeld für den Austausch beschrieben. Wie die Kommentare in den offenen Items verdeutlichen, spielen für das Gelingen der Interaktionsprozesse vor allem die folgenden Faktoren eine zentrale Rolle: 113 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="114"?> Lernumfeld Der Austausch geschieht in einem offenen, angstfreien Raum, in dem viel ge‐ lacht wird und eine entspannte und friedliche, zuweilen humorvolle Lernatmo‐ sphäre vorherrscht. Der Kurs wird daher von einigen Studierenden auch als homeroom (z. B. 346, 2013) bezeichnet. Der konstruktive Umgang mit Fehlern wird von den Studierenden sehr geschätzt und beeinflusst maßgeblich die Zu‐ sammenarbeit der Studierenden untereinander (vgl. 589, 2015). „Ich brauchte keine Angst vor Fehlern zu haben und konnte mich daher immer ganz ohne Hemmungen äußern.“ (6, 2009) „Ich konnte mich viel aktiver einbringen als in anderen Kursen.“ (586, 2015) „Es gab eine gute Balance zwischen lockeren Phasen und solchen, in denen wir sehr konzentriert arbeiteten.“ (584, 2015) „Die Themen haben mich alle interessiert und dazu animiert, meine Ideen zu äußern und Fragen zu stellen.“ (698, 2016) Einerseits überträgt sich die begeisternde und engagierte Arbeitsweise der Leh‐ renden auf die Studierenden. Andererseits motivieren sich die Teilnehmenden aber auch gegenseitig: „In diesem Kurs gibt es viele Studierende, die sich sehr aktiv beteiligen. Das hat mich ermuntert mitzumachen.“ (82, 2009) Unterstützung und Kollaboration Immer wieder betont wird der Wert der gegenseitigen Hilfe. Beispielsweise würden leistungsstärkere Studierende mit Vorkenntnissen leistungsschwächere unterstützen (z. B. 19, 2009; 304, 2012). Im Unterschied zu anderen Klassen käme es in dieser Atmosphäre zu einem kollegialen Miteinander und auch zum Aufbau von Freundschaften. „Es gab eine Atmosphäre, in der sich die Studierenden gegenseitig halfen. Ich hatte immer das Gefühl, dass die 90 Minuten wie im Fluge vergehen. Es war eine harmo‐ nische und lustige Atmosphäre.“ (139, 2010) „Es gab viel Gruppenarbeiten und damit die Möglichkeit, sich mit den Meinungen der anderen Studierenden auseinanderzusetzen. Anders als bei den Kommilitonen in an‐ deren Kursen wurden hier kollegiale Beziehungen aufgebaut.“ (657, 2015) Aufmerksamkeit sowie Interesse und Wertschätzung für die Meinung der an‐ deren erweisen sich als wichtige Elemente des Arbeitsklimas im Klassenraum. „Das Schöne am Sprechen in der GB war, dass sich alle gegenseitig zuhörten. Auch Studierende, die sich nicht so aktiv beteiligten, wendeten den Kopf zu den Spre‐ 114 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="115"?> chenden, sahen sie an und hörten zu. Das war in den meisten Unterrichten eine sehr gute Atmosphäre. Man konnte auch sofort fragen, wenn etwas unklar war.“ (644, 2015) „Ich mochte die Atmosphäre in der Klasse sehr, weil sich alle bemühten, sich gegen‐ seitig zuzuhören und zu Wort kommen zu lassen. Ich bin sehr traurig, dass es nun vorbei ist.“ (644, 2015) Autonomie der Lernenden Die Studierenden haben den Eindruck, sich immer mit ihren eigenen Ideen und Meinungen einbringen zu können, ohne dass dabei die Gruppe als Ganzes ver‐ nachlässigt werde. „Es war prinzipiell so, dass wir von den Ideen und Meinungen der Studierenden aus‐ gegangen sind. Das hat es leicht gemacht, zu sprechen.“ (126, 2009) „Ich hatte den Eindruck, dass diese Klasse zu einer Einheit zusammenwuchs, auch wenn alle Studierenden zugleich eigene Ziele und Interessen hatten.“ (24, 2009) „Es war kein einseitiger Unterricht. Der Unterricht hat sich von den Meinungen der Studierenden ausgehend entfaltet. Auch wenn wir zwei Unterrichtseinheiten hinter‐ einander hatten, wurde es daher nie langweilig.“ (428, 2013) „Ich habe unabhängig Lernen gelernt! “ (470, 2014) Relevante Inhalte Die Auseinandersetzung mit Themen, die im Interessenbereich der Studie‐ renden liegen, führen nach den Aussagen der Studierenden zu tiefgründigen Diskussionen und kognitiver Aktivierung. „Auf der Grundlage sehr interessanter Themen haben wir in diesem Unterricht oft unsere Meinungen diskutiert. Der Unterricht hat mir viel gebracht.“ (688, 2015) „Es gab oft Themen, über die wir selbstständig nachdenken mussten. So konnten wir unsere Denkfähigkeiten entwickeln.“ (550, 2014) Kompetenzzuwachs Als förderlich für die Interaktion erweist sich auch das von den Studierenden beschriebene Gefühl, sich weiterzuentwickeln. Neben der Aneignung von Sprachfertigkeiten und Diskurskompetenzen, trage der Kurs auch zum mensch‐ lichen Wachstum bei. „Ich habe besonders viel über Kommunikation gelernt. Was ist notwendig, um auf Deutsch zu kommunizieren, auch wenn ich fast keine Wörter kenne.“ (531, 2014) „Das Reizvollste am Intensivprogramm ist, dass es keine große Kluft zwischen Stu‐ dierenden und Lehrenden gibt. Es ist nicht nur ein Ort, wo man Deutsch lernt, sondern auch als Mensch wächst. Eine ideale Lernumgebung, finde ich.“ (82, 2009) 115 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="116"?> Bei der Analyse der offenen Fragen fallen aber auch vereinzelte Aussagen auf, hinter denen vor allen zurückhaltendere Studierende vermutet werden können. Sie betrachten sich von ihren Kommilitonen als nicht ausreichend anerkannt. Und sie fühlen sich überfordert, worunter das Interesse ebenso leidet wie das Selbstbewusstsein: „Ich mag es nicht, im Kurs laut zu sprechen. Bevor ich meine Meinung ausdrücke, möchte ich gut überlegen. Ich bemerke, dass die anderen deswegen irgendwie frus‐ triert wirkten.“ (96,2009) Die Aussagen zur Atmosphäre enthalten auch kritische Anmerkungen zu den Folgen ungleich verteilter Partizipation. Für den Erhebungszeitraum von 2009 bis 2016 gibt es bei den insgesamt 52 abgegebenen Antworten zum Item Unter‐ richtsatmosphäre (IV-c) 16 Aussagen (30,7%), die den Unterschied zwischen ak‐ tiven und passiven Teilnehmenden thematisieren: „Da der Unterricht ein Ort ist, an dem viel Deutsch gesprochen wurde, habe ich auch den Unterschied zwischen den Studierenden gespürt, die täglich Deutsch lernen, und denen, die das nicht tun.“ (146, 2014) „Ich denke, dass man leider einen klaren Unterschied zwischen den Studenten mit hoher Motivation und denen mit niedriger Motivation erkennen konnte.“ (150, 2010) „Im Verlauf des Jahres wurde der Unterschied zwischen motivierten und weniger mo‐ tivierten Studierenden immer deutlicher. Das liegt meines Erachtens ausschließlich in der Verantwortung der Studierenden. Aber Lehrende und Studierende sollten ge‐ meinsam ein Umfeld schaffen, in dem alle ihre Motivation bis zum Ende des Studien‐ jahres aufrechterhalten können.“ (151, 2010) Interessanterweise wird kein Zusammenhang zwischen der fehlenden Motiva‐ tion und der Einschätzung der Atmosphäre gesehen. Die fallende Motivation oder auch die Verweise auf Phasen der Stille im Unterricht werden entweder in den persönlichen Verantwortungsbereich oder dem der gesamten Lerngruppe verortet. Weitaus kritischer wird hingegen der Aspekt der ineffektiv benutzten Lernzeit angesehen. Vor allem der Beginn einer Unterrichtseinheit sollte vielen Kommentaren zufolge nach geregelten Ritualen ablaufen und nicht durch Stu‐ dierende gestört werden, die sich verspäten oder die sich nicht auf den Unter‐ richtsbeginn konzentrieren. Es wird ein strengeres Vorgehen seitens der Leh‐ renden gefordert. Sie sollen Studierende ermahnen, die den Unterricht und das Lernklima beispielsweise durch Privatgespräche stören. Insgesamt erwarten die Studierenden ein konsequenteres Eingreifen der Lehrpersonen in Situationen, die eine effektive Zusammenarbeit gefährden. Ein konkretes Beispiel findet sich in folgendem Kommentar: 116 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="117"?> „Wenn einmal mehr Japanisch benutzt wurde, hatte ich das Gefühl, dass die Studie‐ renden sich weniger bemühten. In solchen Situationen hätte ich mir ein Einschreiten gewünscht.“ (326, 2012) Lehrmaterialien und Aufgaben Item n Mittelwert SD Material Interessantheit (V-a) 143 4.58 0,59 Material Effektivität (V-b) 142 4.52 0,66 Material Moodle (V-c) 143 3.88 0,96 Tab. 3.9: Deskriptive Werte zu den materialspezifischen Dimensionen Interessantheit, Effektivität und Arbeit mit der Lernsoftware Moodle auf der fünfteiligen Likert-Skala mit 1= sehr niedrig bis 5 = sehr hoch. Tabelle 3.9 zeigt die Einschätzungen der Studierenden im Hinblick auf die drei Dimensionen der Lehrmaterialien: deren Interessantheit und Effektivität sowie die Nutzung der Lernplattform Moodle. Beim Vergleich wird ersichtlich, dass die Materialien zwar sehr positiv angenommen werden, die Arbeit mit der Lern‐ software Moodle jedoch nur bedingt an die Bedürfnisse der Studierenden adres‐ siert zu sein scheint. In den Daten aus den Items zu den Lernmaterialien spiegelt sich das Unter‐ richtskonzept mit seinem Zusammenspiel von Inhalten, kognitiv herausfor‐ dernden Aufgaben und dialogischem Lernen. So weisen die Items Materialien Interessantheit (V-a) und Materialien Effizienz (V-b) mittelstarke bis starke Zu‐ sammenhänge mit den Items Verstärkung des Interesses an Gesellschaft/ Kultur (II-m, r = .566 respektive r = .484) und Förderung des selbstständigen und kreativen Denkens (II-l, r = .457 respektive r = .514) auf. Auch die 65 Nennungen, die der Kategorie Förderung des selbstständigen und kreativen Denkens zugeordnet sind (siehe Tab. 3.5; Kategorie i) belegen, wie sehr die Studierenden die bereitge‐ stellten Lerngelegenheiten als kognitive Herausforderungen wahrnehmen. „Es gab viele Gelegenheiten, schwierige Themen auf Deutsch zu durchdenken. Ich hatte den Eindruck, dass es dabei weniger um das Thema ging als um das Training von Denkkompetenz. Ich habe die Beschäftigung mit den Themen oft als sehr hart empfunden. Dabei ging es natürlich darum, das Deutsch zu verbessern, aber ebenso wurde die Kompetenz trainiert, mit anderen zu kommunizieren.“ (19, 2009) 117 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="118"?> „Es wurden vielfältige Materialien benutzt, so dass ich nicht das Gefühl hatte, Deutsch zu lernen, sondern durch Deutsch zu lernen. Dieser Unterrichtsansatz liegt mir sehr.“ (709, 2016) „Anhand verschiedener Bilder und Texte haben wir schwierige Themen diskutiert und sind dabei sehr tief gegangen. Die Inhalte waren sehr interessant und die Unterrichts‐ zeit verging rasend schnell.“ (36, 2009) Die Themen werden als interessant, verständlich, hilfreich, abwechslungsreich und vielfältig beschrieben, zuweilen aber auch als abstrakt. Trotz der kognitiven Anforderung sieht man der Entwicklung des Themas im Verlauf einer Unter‐ richtseinheit sehr gespannt entgegen: „Ich weiß nicht, ob wir alle Themen, die uns die Lehrenden aufzeigten und über die wir nachdenken sollten, tatsächlich gründlich durchdenken konnten, aber ich war vor dem Unterricht immer sehr gespannt, welches Thema wir behandeln würden oder wie sich die Stunde entwickeln würde.“ (302, 2012) Die Aufgaben selbst werden selten als zu schwierig oder zu kompliziert cha‐ rakterisiert. Vielmehr erhalten Adjektive wie kreativ, abstrakt, innovativ oder originell Eingang in die Kommentare. Der Einsatz von Texten, die gesellschafts‐ bezogen und zugleich an das Lebensumfeld der Teilnehmer angelehnt sind, finden eine positive Resonanz. Dass die inhaltlichen Herausforderungen auch in der Muttersprache nicht ohne weiteres zu bewältigen sind, kann einerseits das Selbstwertgefühl stärken, sich andererseits aber auch negativ auf die Wahr‐ nehmung der eigenen Fortschritte auswirken: „Ich finde es toll, dass wir uns mit verschiedenen Themen beschäftigen konnten. Aber es war auch schwierig, weil es oft Fragen gab, auf die ich auch auf Japanisch keine Antwort wusste. Wenn man so etwas machen muss, kann man vielleicht keine Fort‐ schritte erwarten.“ (165, 2015) Eine der Herausforderungen des Intensivprogramms besteht darin, den Ler‐ nenden die Möglichkeit zu bieten, sich selbst neues Wissen anzueignen bezie‐ hungsweise Lösungswege zu entdecken und diese mit den anderen Studie‐ renden auszutauschen. Sie sollen zudem in der Lage sein, ihre Lernprozesse zu beobachten und darüber hinaus auch Interaktionskompetenzen zu entwickeln, um die fremde Sprache in realen Begebenheiten situations- und kontextge‐ bunden benutzen zu können. Ein zentraler Vorteil der Materialien ist den Stu‐ dierenden zufolge die sich bietende Möglichkeit, alle Meinungen in den Lö‐ sungsfindungsprozess zu integrieren sowie selbstständig Lern- und Lösungswege zu entwickeln, da „es immer mehrere richtige Antworten gibt“ (68, 2010) und die Themen „aus verschiedenen Perspektiven“ (77, 2014) behandelt 118 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="119"?> würden. Die Studierenden benennen damit direkt einige grundlegenden Prin‐ zipien der Kursgestaltung (vgl. Kap. 2.4-2.6): Der Unterricht entwickelt sich durch die Vielfalt, der von den Studierenden eingebrachten Ideen und Mei‐ nungen anhand der offenen Aufgaben. Die hohen Mittelwerte, mit denen die Materialien in Bezug auf Interessantheit und Effektivität evaluiert werden, verbergen konkrete Hinweise auf die Kritik‐ punkte, die zwar verhältnismäßig selten auftreten, von denen aber zwei beson‐ ders auffallen. Kritisch wird von einigen Teilnehmern die Fülle der verteilten Unterrichtskopien betrachtet. Sie würden ein Lehrwerk bevorzugen, mit dem sie den Unterrichtsstoff nacharbeiten oder vertiefen könnten. Gerade letzterer Aspekt bezieht sich auf die Lerntraditionen und auf das Fehlen strategisch-me‐ thodischer Kompetenzen. Durchaus ambivalent wird auch die Integration der Lernplattform Moodle angesehen. Die vergleichsweise geringe Zustimmung aus den geschlossenen Fragen spiegelt sich dabei auch in den offenen Antworten wider. Einerseits wird die Lernplattform als nützlich betrachtet, weil sie einen einfachen Zugang zu den Lernmaterialien, zu den Texten anderer Studierender und auch zu den Un‐ terrichtsprotokollen (siehe Kap. 2.4.4) ermögliche. Diese Vorteile wiegen jedoch die Nachteile nicht auf. Die negativen Eindrücke beziehen sich vor allem auf die Ineffektivität, basierend auf der Tatsache, dass a) Moodle in erster Linie nur zum Herunterladen von Lernmaterialien benutzt werde, b) die Nutzung der Lern‐ plattform sich nicht in den aktiven Unterrichtsprozess eingliedern lasse, dem‐ zufolge dem eigentlichen Unterricht nur eine begleitende Funktion zukomme, c) die Studierenden ihre Materialien erst kurz vor Beginn des Unterrichts auf Moodle stellten, wodurch eine Vorarbeit unmöglich sei und d) das Potential von Moodle nicht ausgiebig genutzt werde und es an ausreichenden Erklärungen der Funktionsweise mangele. Zusammenfassend lässt sich zu diesem Punkt festhalten, dass die verantwortlichen Lehrenden künftig systematischer in den Einsatz der Lernplattform einführen und den effektiven Gebrauch mit der Lern‐ gruppe gezielter einüben sollten. 3.3.6 Lehrende In der Forschung ist die Schlüsselfunktion, die den Lehrpersonen für das Ge‐ lingen von Unterricht zukommt, unbestritten (vgl. Hattie 2014; Lotz/ Lipowsky 2015; Rindermann 2003: 408). Es kann daher nicht überraschen, dass angesichts der insgesamt positiven Einschätzung des Kurses durch die Studierenden die lehrerspezifischen Items Engagement (III-a) Freundlichkeit (III-b) und Kompe‐ tenz (III-c) eine sehr hohe Bewertung erhalten. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese drei Items die Rangliste der höchsten Mittelwerte anführen. Mögli‐ 119 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="120"?> cherweise tendieren gerade japanische Studierende dazu, Lehrkräfte als höher gestellte Personen unkritisch darzustellen (vgl. Boeckmann 2006). Dieser Aspekt muss beim Blick auf die abgegebene Bewertung der Studierenden zweifellos in Betracht gezogen werden. Gleichwohl erscheint die Meinung der Studierenden sowohl bei den geschlossenen als auch bei den offenen Items nahezu einstimmig positiv, womit ein Ergebnis Bestätigung findet, das bereits im ersten Evaluati‐ onsbericht für die Jahre 2003-2008 beschrieben wurde (vgl. Schart 2010: 45ff). In ihren Kommentaren attestieren die Studierenden den Lehrkräften eine Reihe von Fähigkeiten: • Sie verstehen es, die Studierende zu begeistern (169, 2010) und ihnen An‐ reize zu geben, sich für das Fach zu interessieren, „intellektuelle Neugier“ (563, 2014) zu entwickeln und sich aktiv zu beteiligen. • Sie reflektieren gemeinsam mit den Lernenden über den Lernprozess, die Lernfortschritte und die Struktur des Unterrichts. • Sie gestalten den Austausch im Klassenraum offen, so dass sich die Stu‐ dierenden jederzeit mit ihren Ideen und Meinungen einbringen und mit ihren Wünschen auch den Stundenverlauf spontan beeinflussen können (140, 2010; 157, 2010; 141, 2010) • Sie fördern alle Studierenden individuell, gehen auf die unterschiedlichen Interessen und Erwartungen ein und zeigen den Teilnehmenden gegen‐ über eine hohe Wertschätzung, Auch schwächere Studierende werden zur Mitarbeit ermutigt (353, 2013). • Sie schaffen ein Unterrichtsklima, das durch ein enges persönliches Ver‐ hältnis zu den Studierenden geprägt ist und von dem die „größte Anzie‐ hungskraft“ (82, 2009) des Intensivprogramms ausgeht. In den Aussagen der Studierenden kristallisieren sich jedoch auch einige Kri‐ tikpunkte heraus. Den Konventionen der japanischen Sprache folgend sind diese oft nicht direkt formuliert, sondern müssen aus Andeutungen herausgelesen werden. Gerade am Beispiel des Items Freundlichkeit (III-b) zeigt sich, inwieweit die Präferenzen der Studierenden auseinandergehen können und wie sich dem‐ zufolge eine Einschätzung der Bewertungen auch innerhalb eines Jahrgangs als schwierig erweisen kann. Die überwiegende Mehrheit begrüßt zwar den freund‐ lichen, motivationsförderlichen Umgang ihnen gegenüber, ein sehr geringer Teil betrachtet jedoch das Sozialverhalten des Lehrenden eher widersprüchlich. Bei‐ spielsweise sieht ein Studierender in der Freundlichkeit des Lehrenden im Um‐ gang mit den Studierenden eine Beeinträchtigung des Arbeitsklimas, da sich einige Studierende dieses Entgegenkommen zunutze machten: 120 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="121"?> 10 amaeru ( 甘える ) steht für das Verlassen auf die elterliche Fürsorge, Nachgiebigkeit und Verwöhnung „Die Lehrenden sind wirklich sehr freundlich. Ich hatte den Eindruck, dass sie jeden einzelnen von uns beachten. Aber um ehrlich zu sein: diese Freundlichkeit wurde auch oft ausgenutzt.” (305, 2012) Vom Lehrenden wird u. a. erwartet, die Studierenden zurechtzuweisen, wenn sich diese nicht ernsthaft mit den Themen auseinandersetzten und den Unterricht eher als wenig anstrengendes Vergnügen betrachteten. Die Lehrenden seien zu nachgiebig und zu großherzig. Mehreren Studierenden zufolge sollten Diszi‐ plinlosigkeiten wie das erwähnte Stören des Unterrichts durch Privatgespräche unterbunden werden. An anderen Stellen wird das zurückhaltende Vorgehen der Lehrenden im lernerzentrierten Unterricht gelobt, aber nur solange, bis der Gesprächsfaden nicht verloren geht, denn dann sollten sie unterstützend ein‐ greifen (327, 2012). Indem ein anderer Studierender den japanischen Begriff amaeru 10 verwendet, wird die Freundlichkeit des Lehrenden konkret mit Ver‐ wöhnung gleichgesetzt. Es wird ein Verhalten der Lehrenden gefordert, das sich mehr durch eine angemessene Autorität auszeichnet. Interessant sind die Aussagen, bei denen unterrichtliche Verzögerungen eher auf atmosphärische Unregelmäßigkeiten und auf eigenes Unvermögen zurück‐ geführt und nicht dem Lehrenden zugeschrieben werden. „Der Lehrer war sehr freundlich und erzeugte eine großartige Atmosphäre, so dass es einfach war mitzumachen. Es tat mir sehr leid, wenn der Unterricht wegen uns ab‐ schweifte oder wir nur langsam vorankamen.“ (285, 2012) Hier zeigt sich, dass die Studierenden im Nachhinein die Verantwortung für eventuelle strukturelle Probleme im Klassenraum oder für eine nicht durchge‐ hend aktiv genutzte Lernzeit übernehmen. Gerade diese Aussagen lassen die Frage aufkommen, inwieweit nicht dadurch die Güte bzw. Validität der überaus positiven Aussagen zum Lehrenden und ihrem unterrichtlichen Handeln mit Vorsicht zu betrachten sind, da die Lehrenden von allen negativen Aspekten im Lernumfeld freigesprochen werden. 3.4 Fazit Zusammenfassend lässt sich bei den Studierenden nach einem Jahr der Ausein‐ andersetzung mit dem fach- und sprachintegrierten Unterricht eine deutlich veränderte Einstellung zum Lernen feststellen, auch wenn diese zuweilen noch nicht gefestigt erscheint. Es wurde deutlich, dass die Studierenden in den Mo‐ 121 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="122"?> naten nach Kursbeginn eine längere Phase der Eingewöhnung durchlaufen, deren Ergebnis von einer Reihe von Faktoren abhängt. Die Daten der Teilstudie zeigen, dass es auf Seiten der Studierenden grund‐ sätzlich zwei Möglichkeiten gibt, auf die Begegnung mit dem fach- und sprach‐ integrierten Konzept des Kurses zu reagieren. Wenn es gelingt, sich auf dieses Abenteuer einlassen, dann setzt allmählich ein Wandel der Wahrnehmung ein. Es wächst der Wunsch, am Kurs nicht nur teilzunehmen, sondern diesen auch durch eigenes Engagement voranzutreiben. Die von der Selbstbestimmungs‐ theorie beschriebenen psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, so‐ zialer Eingebundenheit und vor allem nach Autonomie nehmen zu. Und dieser Prozess kann durch positiv wirkende Faktoren gefördert werden. Dazu zählt die Transparenz der Ziele und Wege des Unterrichts sowie der anvisierten Lern‐ fortschritte. Zugleich sollten die Studierenden das Gefühl bekommen, in einem lernförderlichen Klima zu agieren, in dem ein gerechter und respektvoller Um‐ gang mit dem Lehrenden und untereinander praktiziert wird. Entscheidend ist demnach eine Balance zwischen einem vertieften Verständnis für das unter‐ richtliche Arrangement und dem eigenen Erleben im Klassenzimmer. Gelingt es jedoch nicht, die Lernenden über die anfänglichen Hürden und Widerstände zu begleiten, dann wächst die Gefahr, dass sie Unzufriedenheit mit der Situation empfinden, sich schwach oder minderwertig fühlen und nach an‐ deren Sicherheiten suchen, die sie beispielsweise in der Beschäftigung mit dem Regelwerk der Fremdsprache zu finden glauben. Verstärkt wird dieser Zusam‐ menhang durch negative Faktoren wie eine ineffektive Nutzung der Lernzeit, zu anspruchsvolle Lernmaterialien oder den Zerfall der Lerngruppe in aktive und passive Teilnehmende. Diese Teilstudie konnte anhand vieler Kommentare von Studierenden ver‐ anschaulichen, wie stark die verschiedenen Elemente eines Unterrichtskonzepts ineinandergreifen. Oftmals ließen sich die zu untersuchten Aspekte nicht von‐ einander isolieren. So ist beispielsweise die Motivation mit kognitiv anregenden Aufgabenstellungen ebenso verknüpft wie mit der Relevanz der Inhalte und dem Engagement der Lehrenden. Die Materialien wiederum entfalten ihre Wirkung, weil sie in einem angstfreien Raum zum Einsatz kommen und in einem kolla‐ borativen Prozess bearbeitet werden. Insofern macht diese Teilstudie an einem konkreten Kontext greifbar, wie komplex unterrichtliches Geschehen ist und dass man den Blick von den Details auf das Ganze weiten muss, wenn man die Umsetzung didaktischer Konzepte verstehen möchte. In der Analyse konnten mehrere Anknüpfungspunkte für die Weiterentwick‐ lung des Konzepts freigelegt werden. So wurde mehrfach auf die Differenz ver‐ wiesen, die sich zwischen eher aktiven und eher passiven Studierenden zeigt. 122 Davide Orlando, Hidemi Hamano <?page no="123"?> Hier gilt es, intensiver als bisher geschehen, gemeinsam mit den Studierenden die Ursachen zu ergründen. Es macht im Hinblick auf die erforderlichen Ge‐ genmaßnahmen einen bedeutsamen Unterschied, ob sich ein Student aufgrund mangelnder Fachkenntnisse in den Diskussionen zurückhält oder ob er das Kurskonzept prinzipiell in Frage stellt und sich daher amotiviert gibt. Nicht ausgeschlossen ist schließlich auch, dass es sich nur um scheinbare Inaktivität handelt, denn an den Kommentaren lässt sich ablesen, wie wichtig einige Stu‐ dierende das Zuhören für den eigenen Lernprozess empfinden. Potenzial für die Weiterentwicklung liegt auch im Verhalten der Lehrenden. Von ihnen wird mehrfach ein konsequenteres Eingreifen bei Störungen der Ar‐ beitsatmosphäre gefordert. Es gilt demnach, eine bessere Balance zwischen Freundlichkeit und pädagogischer Verantwortung zu finden. Entsprechende Regeln, die mit den Studierenden gemeinsam verabredet werden, erhöhen die Chance, dass dies gelingt. Die Auswertung der offenen und geschlossenen Studierendenbefragung in den Jahren 2009 bis 2016 erbrachte aber nicht nur wichtige Ergebnisse zu den Stärken und Schwächen des untersuchten Kursangebots, sondern verweist schließlich auch auf die Notwendigkeit, quantitative und qualitative For‐ schungsmethoden zu kombinieren. Interessanterweise fällt bei einem Großteil der subjektiven Einschätzungen in den offenen Items des Fragebogens auf, dass die anerkennenden Aussagen innerhalb eines Kommentars von kritischeren ge‐ folgt werden, wodurch auch bei positiv erscheinenden Bewertungen eine dif‐ ferenzierte Betrachtung notwendig wird. Um zu erfassen, inwieweit die Kurs‐ konzeption auf Akzeptanz bei den Studierenden stößt, reicht daher eine reine quantitative Auswertung nicht aus. 123 Evaluative Perspektive: Die Wahrnehmung der Studierenden <?page no="125"?> 4 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement Michael Schart 4.1 Einleitung und Fragestellung Es gehört zu den wesentlichen Erkenntnissen der Fremdsprachenforschung, dass die Motivation von Lernenden - vor allem wenn man sie über einen län‐ geren Zeitraum hinweg verfolgt - entscheidend von der Art des Miteinanders im Klassenraum beeinflusst wird (Dörnyei/ Ushioda 2011: 79f). Die Analyse der studentischen Lehrveranstaltungsbewertungen im vorangegangenen Kapitel bestätigte somit den Forschungsstand, denn auch im hier untersuchten Kontext zeigt sich dieser Zusammenhang in eindrücklicher Weise: In den Äußerungen der Studierenden zu unterschiedlichen Items des Fragebogens, ob diese nun eher positiv ausfallen oder negativ, finden sich immer wieder enge Bezüge zu den interaktiven Prozessen im Unterricht. Und so ist es ein folgerichtiger Schritt, wenn ich mich in diesem Kapitel dem Geschehen im Klassenraum intensiver zuwende und erhelle, was die Interaktion in den betreffenden Lerngruppen ei‐ gentlich konkret auszeichnet. Der Teilstudie in diesem Kapitel liegt die Prämisse zugrunde, dass es für die Professionalisierung von Lehrenden - in welcher Stufe des Bildungssystems sie auch tätig sind - von entscheidender Bedeutung ist, das Zusammenspiel von Interaktion und Lernen im eigenen Unterricht zu verstehen (vgl. Walsh 2011: 1). Denn Bildungsprozesse, so eine zweite Prämisse, vollziehen sich in erster Linie als Interaktionsprozesse. Deshalb liegt der Ausgangspunkt für die folgende Un‐ tersuchung in der Frage, welche Muster des mündlichen Austauschs sich in einem fach- und sprachintegrierten, aufgabenbasierten und auf dialogische Lernprozesse zielenden Unterricht entwickeln. In meiner doppelten Rolle als Lehrer und Forscher wollte ich in Erfahrung bringen, inwieweit es bereits in einem relativ frühen Stadium des Lernprozesses gelingen kann, das Gespräch in der Fremdsprache über anspruchsvolle Inhalte anzuregen und inwiefern sich dabei tatsächlich gemeinsame Wissensproduktion beobachten lässt. Mich in‐ teressierte, unter welchen Bedingungen die Räume für dialogisches Lernen er‐ <?page no="126"?> weitert oder verengt werden und welche Rolle dabei die Materialien (Texte und Aufgaben) sowie das individuelle Verhalten aller Beteiligten spielten. Die vorliegende Studie geht somit unmittelbar auf Impulse aus meiner Un‐ terrichtspraxis zurück. Ihre Ergebnisse weisen jedoch zugleich über diese enge lokale Einbindung hinaus und berühren die wissenschaftlichen Diskussionen zu Partizipationsstrukturen und Lernprozessen in vergleichbaren Unterrichtsset‐ tings. Der bisherige Forschungsstand zum fach- und sprachintegrierten Unter‐ richt (CLIL) bringt in erster Linie eine Diskrepanz zum Vorschein. Denn die bislang überschaubare Zahl an Untersuchungen (siehe dazu Dalton-Puffer 2017; Hall 2010; Viebrock 2013) stößt immer wieder auf den Widerspruch zwischen den theoretisch formulierten Ansprüchen und deren praktischer Umsetzung. Während nämlich in den didaktischen Entwürfen die Notwendigkeit der aktiven Interaktion von Lernenden betont wird, zeigen Forschungsergebnisse eher eine Dominanz von lehrerzentrierter Gesprächsführung, vor allem in Form von IRF-Sequenzen (vgl. Bonnet 2013; Hall 2010; Dalton-Puffer 2007; siehe auch Kap. 2.4.3). Hinzu kommt, dass diese Studien sich häufig auf die Betrachtung sprachlicher Phänomene konzentrieren, die inhaltliche Ebene also ausblenden und damit der Besonderheit fach- und sprachintegrierten Unterrichtens nur eingeschränkt ge‐ recht werden. Und nicht zuletzt sind mir kaum Untersuchungen bekannt, die sich anhand von vollständig transkribierten Unterrichtseinheiten mit der Frage befassen, wie Lernende bei der Beschäftigung mit Inhalten und Aufgaben in‐ teraktive Räume schaffen und nutzen (vgl. Samuda 2015). Aus diesen Gründen konnte ich mich bei der Konzeption der Teilstudie, die ich in diesem Kapitel vorstellen möchte, nur bedingt an Vorbildern orientieren. Ich musste mir eigene Wege der Datenerhebung, -aufbereitung und -analyse erschließen. Dabei erwies sich - wie ich noch ausführlicher darlegen werde - eine Kombination aus dem Denkansatz der Soziokulturellen Diskursanalyse (Littleton/ Mercer 2013) und den Vorgehensweisen, wie sie zur Untersuchung von Lern-Engagement entwickelt wurden (Personal Investment Approach, siehe Ellis 2018; Kong/ Hoare 2011; Lambert et al. 2017; Philp/ Duchesne 2016) als ein ergiebiger Ansatz. 4.2 Anlage der Studie 4.2.1 Forschungstendenzen Der Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden macht einen bedeutsamen Teil des Geschehens im Fremdsprachenunterricht aus. Und maßgebliche Theo‐ rien der Fremdsprachenforschung wie die Interaktionshypothese (Long 2003) 126 Michael Schart <?page no="127"?> oder die Output-Hypothese (Swain 2000) beruhen im Kern auf der Annahme, dass die Kommunikation eine zentrale Triebkraft für den Lernerfolg darstelle. Mit der Erforschung von Interaktionsprozessen verbindet sich daher die Hoff‐ nung, besser zu verstehen, wie sich im Verlauf eines Kurses Kompetenzen im Gebrauch der fremden Sprache herausbilden und welche Bedingungen sich für den Lernprozess als förderlich oder hinderlich erweisen. So überzeugend dieser Zusammenhang zwischen unterrichtlicher Interaktion und fremdsprachlichem Kompetenzzuwachs aus theoretischer Sicht auch sein mag, so schwierig lässt er sich empirisch erfassen. An der Problematik, wie die Anzeichen für Lernfortschritte systematisch zu dokumentieren und zu deuten sind, spalten sich die Forschungen zur Interaktion daher in mehrere Denkrich‐ tungen auf. Wird das Lernen beispielsweise eher als ein individueller, kognitiver Vorgang verstanden, dann rücken die Äußerungen einzelner Lernender ins Blickfeld. Psycholinguistisch geprägte Studien befassen sich auf dieser Grund‐ lage mit der Komplexität, Korrektheit oder Flüssigkeit des Sprachgebrauchs. Auch im vorliegenden Forschungsprojekt ist diese Perspektive vertreten. Mit ihrer Teilstudie in Kap. 6 verdeutlicht Olga Czyzak, wie aufschlussreich die Er‐ kenntnisse sein können, die aus diesem Zugriff auf die Interaktionsdaten her‐ vorgehen. In Kap. 2.2.7 wurde jedoch bereits darauf verwiesen, dass die kognitive Sicht nur eine Facette von Lernen abbildet. Sie betrachtet das Lernen als ein indivi‐ duelles Phänomen und es wird davon ausgegangen, dass sich in den einzelnen Redebeiträgen bereits zuvor individuell erworbene Fähigkeiten manifestieren. Das Lernen lässt sich jedoch ebenso als ein kollektives Phänomen deuten, das sich gleichsam zwischen Individuen vollzieht. Lernen und Interaktion werden demnach nicht über kausale Beziehungen aneinandergeknüpft. Sie fallen in eins. Und das Umfeld, in dem sich die Prozesse der Aushandlung und der gemein‐ samen Wissensproduktion abspielen, wird dabei als ein entscheidender Faktor angesehen. Auf diese Betrachtungsweise stützen sich soziokulturelle Ansätze. Eine vermittelnde Position findet sich in Arbeiten, die dem Interaktionsansatz (Interaction approach) zugeordnet werden. Sie interessieren sich für das Lern‐ potenzial von Interaktion und richten die Aufmerksamkeit deshalb insbesondere auf Situationen, in denen es zu Abbrüchen kommt, etwa weil das gegenseitige Verständnis gesichert werden muss. In solchen Momenten, so die Annahme, werde der Erwerb der Fremdsprache sichtbar und damit für die Forschung zu‐ gänglich. Im Unterschied zum psycholinguistischen Ansatz wird folglich der Interaktion selbst eine zentrale Funktion eingeräumt. Aber anders als in der soziokulturell orientierten Forschung bleibt der konkrete unterrichtliche Kon‐ text unterbelichtet. Daher gilt es auch nicht als problematisch, die Interaktions‐ 127 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="128"?> daten in relativ stark kontrollierten, zuweilen laborähnlichen Settings zu er‐ heben: Vom soziokulturellen Standpunkt aus betrachtet ein fragwürdiges Vorgehen, da es dem komplexen Charakter fremdsprachlicher Lehr- und Lern‐ prozesse widerspricht. Dieser Gegensatz verweist auf ein weiteres Kriterium, das die methodologi‐ schen Differenzen der drei Denkrichtungen offenlegt. Benson (2019) fasst es begrifflich, indem er lernerzentrierte und personenzentrierte Ansätze vonein‐ ander abgrenzt. Erstere zielen eher auf generalisierende Aussagen über Lern‐ prozesse und konzentrieren sich demnach auf das exemplarische Potenzial der untersuchten Phänomene. Der psycholinguistische Ansatz und der Interakti‐ onsansatz zählen zu dieser Kategorie. Personenzentrierte Zugänge hingegen lassen sich eher auf die lokalen Kontexte ein. Sie versuchen, eine Lehr- und Lernsituation in ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen und nehmen ihr gegenüber daher eine Haltung ein, die in Kap. 2.2 unter dem Begriff ökologische Perspektive ausführlich diskutiert wurde. Sie findet sich eher in soziokulturell orientierten Interaktionsstudien. Mit der Entscheidung für eine der angeführten Möglichkeiten, den Zusam‐ menhang von Interaktion und Lernen zu konzipieren, verknüpfen sich erheb‐ liche Konsequenzen für das gesamte Forschungsdesign, etwa die Frage, welche Daten überhaupt erhoben werden sollten. Müssen die zu analysierenden Se‐ quenzen unbedingt in eine Klassenraumsituation eingebettet sein oder ist es zielführender, diese in einer weniger komplexen Umgebung zu simulieren? Sind einige Minuten der Beobachtung - beispielsweise einer Gruppenarbeitsphase - ausreichend oder bedarf es einer möglichst langfristigen Begleitung einer Lern‐ gruppe? Ist es notwendig, die Interaktion aufzuzeichnen oder lassen sich die zu untersuchenden Aspekte von Interaktion auch mit Feldnotizen oder auf stan‐ dardisierten Beobachtungsbögen festhalten? Und wenn sich Aufnahmen als un‐ erlässlich erweisen: Führen Audioaufnahmen zu hinlänglich ergiebigen Daten oder versprechen Videoaufnahmen aussagekräftigere Ergebnisse? Im Fol‐ genden möchte ich aufzeigen, wie sich aus den Antworten auf diese Fragen die Struktur der vorliegenden Studie herausbildete. 4.2.2 Ansatz Im Zentrum meines Forschungsinteresses steht das dialogische Lernen. Es ging mir darum, ein besseres Verständnis für die Interaktion unter den Bedingungen eines fach- und sprachintegrierten bzw. themen- und aufgabenbasierten Unter‐ richtskonzepts zu gewinnen. Somit lag es auf der Hand, mich auf die kollektiven Lernprozesse zu konzentrieren, also einen soziokulturellen Zugang zu wählen und zugleich eine ökologische Perspektive anzustreben. 128 Michael Schart <?page no="129"?> 1 Ähnliche Überlegungen finden sich unter dem Begriff „soziokognitiver Ansatz“ bei Sato/ Ballinger (2016: 13). Mit der Soziokulturellen Diskursanalyse (SCDA) beschreiben Littleton/ Mercer (2013) einen Ansatz, zu dem sich meine Vorstellungen eines angemes‐ senen Vorgehens passgenau fügten. Littleton/ Mercer entwickeln ihr For‐ schungskonzept ebenfalls an der Frage, wie sich Dialoge im Klassenraum als ein sozialer Modus des Denkens untersuchen lassen. Sie beschreiben, auf welche Weise Lernende durch und mit Sprache kollaborativ agieren, gemeinsam Wissen konstruieren, kreative Ideen hervorbringen oder ein gemeinsames Verständnis erreichen. Dafür greifen sie auf bewährte Instrumente und Kategorien der Dis‐ kursanalyse zurück, adaptieren diese jedoch für ihre Zwecke. Entscheidend ist für Littleton/ Mercer, zu einem möglichst umfassenden Blick auf die Interaktion zu gelangen und diese Betrachtung immer sehr eng an das soziale und kulturelle Umfeld zu binden. Sie plädieren für eine kontextsensitive und flexible Heran‐ gehensweise, die sich nicht auf einen engen Ausschnitt des Geschehens - zum Beispiel aus der Interaktion isolierte sprachliche Elemente - beschränkt und ebenso offen für qualitative Datenformen und Analyseprozeduren ist wie für quantitative. Die Soziokulturelle Diskursanalyse 1 gibt somit keine detaillierten Handlungsanweisungen für die Untersuchung von Interaktionsprozessen. Sie steckt einen Forschungsrahmen ab, in den sich mein Projekt gut integrieren lässt, wie ich im Folgenden ausführen möchte. 4.2.3 Fokus Eine wichtige methodologische Schlussfolgerung, die aus meinem Forschungs‐ interesse erwuchs und für den Charakter der vorliegenden Studie prägend ist, betrifft die Frage, welche Interaktionsdaten als relevant für eine nähere Analyse betrachtet werden sollten. In der Interaktionsforschung hat sich in den zurück‐ liegenden Jahrzehnten in dieser Hinsicht ein relativ enges Verständnis etabliert, bei dem sprachliche Aspekte überhöht und inhaltliche vernachlässigt werden. So geht man im Interaktionsansatz - wie bereits erwähnt - von dem Gedanken aus, dass fremdsprachliches Lernen vor allem dann einsetze, wenn Lernende auf sprachliche Hürden stoßen. Entsprechende Studien konzentrieren sich daher auf das Erfassen und Auszählen bzw. Interpretieren von Aushandlungspro‐ zessen (Negotiation of/ for Meaning, NoM/ NfM), die aus sprachlichen Problemen erwachsen. Aber auch in den Arbeiten mit soziokultureller Ausrichtung zeichnet sich eine solche Verengung des Blickwinkels ab, denn sehr häufig gilt das Interesse ausschließlich sogenannten sprachbezogenen Episoden (Language Related Episodes, LRE), also Situationen, in denen die Lernenden während ihres 129 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="130"?> Austauschs auf sprachliche Probleme stoßen und diese gemeinsam auflösen (Swain/ Lapkin 1998: 326). In beiden Forschungsansätzen richtet sich die Aufmerksamkeit demnach vor allem auf jene Abschnitte in den Daten, in denen sich aufgrund unzureichender Kompetenz der Lernenden Brüche beobachten lassen. Ob die Interaktion dabei als Auslöser von Lernen verstanden wird (Interaktionsansatz) oder aber als Ausdruck von Lernen (soziokultureller Ansatz) ist dabei nebensächlich. Die Un‐ terbrechungen des Redeflusses werden als Episoden gedeutet, die Lernen sichtbar machen. Mit dieser Dominanz des sprachlichen Fokus transportiert die Forschung ein bestimmtes Konzept von Fremdsprachenunterricht. Nur selten tritt dieser Zu‐ sammenhang jedoch so offen zu Tage wie bei Seedhouse (2010: 183): “[…] the core institutional goal, which is that the teacher will teach the learners the L2. This core institutional goal remains the same wherever the L2 lesson takes place.” Mit den Augen von Seedhouse betrachtet, ist es nur konsequent, wenn die For‐ schung linguistische Gegenstände in den Mittelpunkt stellt. Es handelt sich je‐ doch ganz offensichtlich um ein sehr begrenztes Verständnis der Aufgaben und Ziele des Fremdsprachenunterrichts. Ich möchte deshalb an dieser Stelle an die Bedenken erinnern, die ich in Kap. 2.5.1 hinsichtlich der aus pädagogischer Sicht nur schwer nachvollziehbaren Konjunktur der Spot-the-difference-Aufgaben vorgebracht habe. Auch die Omnipräsenz von „NoM’s“ und „LRE’s“ beein‐ trächtig die ökologische Validität der betreffenden Studien. Wenn sich die Fremdsprachenforschung mit ihren Interessen und Vorgehensweisen zu weit von dem entfernt, wie Lernende und Lehrende Klassenräume wahrnehmen, be‐ raubt sie sich daher selbst eines Teils ihrer Legitimität. Wie unzureichend das Bild von unterrichtlicher Interaktion ist, dass von vielen Arbeiten des Interaktionsansatzes gezeichnet wird, haben beispielsweise Foster/ Ohta (2005) bereits vor geraumer Zeit aufgezeigt. Untersuchungen zu den NoM-Sequenzen beschränken sich sehr häufig darauf, die drei berühmten C’s (Pica 1987) in den Daten zu analysieren: comprehension check (Prüfen des Ver‐ stehens der anderen), confirmation check (Prüfen des eigenen Verständnisses) und clarification request (Bitte um Erklärung). In ihrer Studie nehmen Foster/ Ohta die Interaktion in Partnerarbeit umfassender in den Blick und demon‐ strieren dabei überzeugend, weshalb weitaus mehr Kategorien notwendig sind, um die Vorgänge angemessen zu erfassen. Sie beschreiben etwa, wie Lernende sich durch die gemeinsame Konstruktion von Sätzen unterstützen und damit Brüche überbrücken. 130 Michael Schart <?page no="131"?> Diese Argumentationslinie führe ich in der vorliegenden Studie fort. Die In‐ teraktion wird als ein vielschichtiger Prozess betrachtet: Inhaltliche Aspekte fließen ebenso ein wie sprachliche, Phasen des reibungslosen Ineinandergrei‐ fens von Redebeiträgen wechseln sich ab mit Sequenzen, in denen die Verstän‐ digung gesichert werden muss. Mein Ziel war es, dieses Geschehen in seiner Vielfalt zu erfassen. Phänomenen wie „NoM“ und „LRE“ kommt dabei fraglos eine zentrale Bedeutung zu. Ich knüpfe bei der Analyse also bewusst an eta‐ blierte Kategorien aus der Interaktionsforschung an. Um meinem Erkenntnis‐ interesse gerecht zu werden, musste ich jedoch ein weitaus umfassenderes In‐ strumentarium entwickeln, wie in Kap. 4.3 zu zeigen sein wird. Erst seit wenigen Jahren beginnt sich die Forschung in dieser Weise auch für inhaltliche Aspekte der Interaktion im Fremdsprachenunterricht zu interessieren. Untersucht wird beispielsweise, wie im Dialog von Lehrkraft und Lernenden (Sert/ Walsh 2013) oder in Partnerarbeiten ( Jakonen/ Morton 2015) Wissen bzw. Wissenslücken ge‐ handhabt werden. Die vorliegende Studie bewegt sich mit ihrem Schwerpunkt demnach auf wenig erschlossenem Gebiet. 4.2.4 Datenerhebung Schwieriger als diese Entscheidung für den Fokus auf die Daten erwies sich die Abwägung zwischen den möglichen Wegen der Datengewinnung. Von vorn‐ herein ausschließen konnte ich das in zahlreichen Studien praktizierte Vor‐ gehen, nur wenige Minuten zu Beginn einer Interaktionssequenz zu berück‐ sichtigen (z. B. Eckerth 2009; Sato/ Lyster 2012). Es ist vor allem dann sinnvoll, wenn man generalisierende Aussagen über Lernprozesse anstrebt. Steht jedoch - wie es in dieser Studie der Fall ist - die Interaktion und ihre Entfaltung in bestimmten Lerngruppen und über eine gesamte Lerneinheit hinweg im Zen‐ trum, verspricht eine umfängliche Dokumentation auch tiefgreifendere Ein‐ sichten. Hinzu kommt, dass es mir im Sinn der Entwicklungsorientierten For‐ schung (Kap. 2.2.4) ebenso um eine evidenzbasierte Weiterentwicklung der Lehrmaterialien ging, die in beiden Lerngruppen jeweils zum ersten Mal ein‐ gesetzt wurden. Auch diese Überlegung sprach dafür, die gesamten Unterrichts‐ einheiten in die Analyse einzubeziehen. Damit war jedoch noch nicht die Frage geklärt, auf welche Weise die Daten erfasst werden sollten. Lehrende können nur in einem sehr eingeschränkten Maße die Interaktion im Klassenraum zugleich organisieren und beobachten (vgl. Schart/ Legutke 2012: 157ff). Notizen und Beobachtungsbögen stellten daher für mich ungeeignete Instrumente zur Dokumentation des Geschehens dar. Es kamen somit nur Aufnahmen in Frage. In den Forschungen zur Interaktion finden sich jedoch sowohl Arbeiten, die sich auf das Audioformat beschränken, 131 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="132"?> als auch solche, die Videomitschnitte für unerlässlich halten. Für das Video sprechen dabei die Multimodalität der produzierten Daten: Neben den sprach‐ lichen Äußerungen können auch Mimik, Gestik oder Körperhaltung in die Ana‐ lyse einbezogen werden (z. B. Sert 2015; Feick 2016). Der Informationsgehalt der Daten sinkt somit beträchtlich, wenn die Aufzeichnung nur mit Audiorekordern erfolgt. Als forschender Lehrer musste ich aber vor allem Möglichkeiten finden, meine Untersuchung in das normale Unterrichtsgeschehen zu integrieren, ohne die Abläufe dadurch merklich zu beeinträchtigen. Videokameras stellen nicht nur einen offensichtlicheren Eingriff in den Ablauf des Unterrichts dar. Sie lassen sich bei den ständig wechselnden und oft unvorhersehbaren Konstella‐ tionen im Klassenraum zudem viel schwieriger handhaben, vor allem dann, wenn man als Lehrer zugleich Verantwortung für den Unterrichtsfortgang trägt. Audiorekorder werden von den Beteiligten als weniger invasiv wahrgenommen und sind flexibler einsetzbar. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen waren für mich letztlich jene beiden Aspekte ausschlaggebend, die für die Aktionsforschung von essenzieller Bedeutung sind: Wie gelingt es, den Forschungsprozess in den normalen Un‐ terrichtsverlauf zu integrieren, ohne letzteren übermäßig zu belasten oder zu verformen? Und wie lassen sich der für das Forschungsdesign notwendige Auf‐ wand und die beschränkten Ressourcen an Zeit und Energie in eine Balance bringen? Bei meiner Entscheidung für Audioaufnahmen setzte ich darauf, dass sich die Nachteile dieses Formats durch meine Vertrautheit mit den beiden Lerngruppen zumindest teilweise ausgleichen ließen und ich somit in der Lage wäre, die Si‐ tuationen auch ohne Video zu deuten. Den zeitlichen Umfang der Daten hielt ich letztlich für wichtiger als deren Multimodalität, denn so konnte ich den ge‐ samten Zyklus der Arbeit an einem Themenkomplex festhalten. 4.2.5 Datensätze Den Ursprung der vorliegenden Studie bildet eine kleinere Untersuchung aus dem Studienjahr 2012/ 2013, bei der ich in einer Lerngruppe ca. 300 Minuten Interaktion im Plenum zum Thema „Wohlstand“ audiographierte und im Hin‐ blick auf Interaktionsmuster untersuchte (Schart 2015). An den Daten konnte ich veranschaulichen, dass inhaltsbasiertes, interaktiv-dialogisches Lernen auch mit japanischen Lernenden auf Grundstufenniveau einen praktikablen Ansatz darstellt, der sich positiv auf die mündliche Sprachkompetenz auswirkt (vgl. auch Moore 2011: 533). Die in der Forschungsliteratur viel zitierten IRE-Se‐ quenzen spielten dabei keine nennenswerte Rolle. Stattdessen übernahmen die 132 Michael Schart <?page no="133"?> 2 vier Unterrichtseinheiten à 90min pro Woche Studierenden häufig die durch ein zurückhaltendes Lehrerverhalten freiwer‐ denden Räume für selbst-initiierte Interaktionen. Sie zeigten sich dabei als eine Lerngemeinschaft, die gemeinsam an der Erschließung des Themas arbeitete. Als negative Aspekte verdeutlichte die Analyse unter anderem die geringe Komplexität und Länge der Äußerungen sowie das Fehlen von Strategien, um kommunikative Hürden zu überwinden, also das, was Hoffmann (2017) und Hoshii/ Schramm (2017) als Unterrichtsgesprächskompetenz beschreiben oder Walsh (2013) als Classroom Interactional Competence. Schließlich wurde mir als Lehrer bewusst, wie ungleich die aktive Beteiligung innerhalb der Lerngruppe verteilt war und ich fragte mich, welches Bild sich ergäbe, wenn ich auch die Gruppenarbeitsphasen in die Analyse einbeziehen würde. So führte diese erste Untersuchung unmittelbar zu einer Folgestudie, die ich im Studienjahr 2015/ 2016 mit einer anderen, in Größe und Zusammensetzung vergleichbaren Lerngruppe umsetzte. Diesmal jedoch konnte ich den Unterricht so arrangieren, dass auch Aufnahmen der Gespräche in den Arbeitsgruppen möglich wurden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die beiden Un‐ tersuchungssituationen. Lern‐ gruppe Stu‐ dien‐ jahr Teil‐ neh‐ mende Thema Aufnahmezeit Unter‐ richts‐ woche 2 Plenum Gruppe LGa 2012/ 13 13 Wohlstand 299min - 25-27 LGb 2015/ 16 14 Pfänden 144min 164min 20-21 Tab. 4.1: Übersicht zur Datenerhebung Für diese Studie wurden somit etwas mehr als 10 Stunden Unterricht aufge‐ zeichnet. Ich habe diese Mitschnitte komplett transkribiert und mich dabei an der Minimaltranskription nach cGAT (Schmidt et al. 2015) orientiert. Dieses Datenmaterial bildet die Grundlage für die Analyse, der ich mich im folgenden Abschnitt zuwende. 133 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="134"?> 4.3 Analyseprozess 4.3.1 Interaktionssequenzen Wenn eine Gruppe von Menschen miteinander kommuniziert, kommt es leicht zu chaotisch anmutenden Konstellationen: Die einzelnen Äußerungen gehen ineinander über oder auch aneinander vorbei. Sie setzen neu ein, brechen un‐ vermittelt ab oder werden wiederholt, sie überschneiden oder ergänzen sich gegenseitig. Darin unterscheidet sich der Klassenraum nicht von anderen so‐ zialen Situationen, auch wenn spezifische Regeln wie das bereits mehrfach er‐ wähnte Frage-Antwort-Bewertungsmuster (IRE/ IRF-Sequenzen) die Unüber‐ sichtlichkeit in bestimmte Bahnen lenken. Die Forschung reagiert auf diese Situation, indem sie den Interaktionsverlauf sequenziert. Sie schafft sich mithin eine eigene Ordnung, durch die es erst mög‐ lich wird, bestimmte Phänomene isoliert zu betrachten, sie zum Beispiel auszu‐ zählen oder ihre Genese zu verfolgen. Jede Analyse von unterrichtlicher Inter‐ aktion erfordert daher begründete Entscheidungen über die zu untersuchenden Sequenzen. Individuelle Redebeiträge Ein erster naheliegender Schritt zu einer solchen Sequenzierung besteht darin, die Interaktion zu entflechten und die Äußerungen der Beteiligten deutlich von‐ einander abzugrenzen. Auch in der vorliegenden Studie wurden die Transkrip‐ tionen so angelegt, dass sie in individuellen Redebeiträgen ihre grundlegende Struktur finden. Und es ist eine wichtige Erkenntnis der Datenaufbereitungs‐ phase, dass es trotz des komplexen Settings - vor allem im Hinblick auf die Plenumsphasen, in denen über weite Strecken des Unterrichts hinweg bis zu zehn Studierende miteinander sprachen - und die Beschränkung auf Audioauf‐ nahmen zumeist problemlos möglich war, die Beiträge einzelnen Lernenden zuzuordnen. In vielen Studien zur unterrichtlichen Interaktion werden solche oft fragmentarischen Äußerungen in einem nächsten Schritt anhand von Into‐ nation und Sprechpausen oder auch auf der Grundlage syntaktischer, pragma‐ tischer oder semantischer Kriterien zu sprachlichen Einheiten gefasst (siehe ausführlicher dazu Kap. 6.2.1). In dieser Studie hingegen stehen sie für sich und fließen als Redebeiträge in die Analyse ein. Inhaltsbezogene Sequenzen (IBS) Wie bereits thematisiert zielen viele Interaktionsstudien darauf ab, im Verlauf der Sequenzierung des Datenmaterials kommunikative Brüche und sprachbe‐ zogene Phasen zu extrahieren. Da es mir jedoch in einem markanten Unter‐ 134 Michael Schart <?page no="135"?> schied zu diesen Arbeiten nicht nur um sprachliche Phänomene ging, sondern ebenfalls um inhaltliche Aushandlungsprozesse, musste ich einen anderen An‐ satz wählen, um zu einer zweiten Strukturebene zu gelangen. Als Orientierung boten sich die Modelle von Seedhouse (2010) und Walsh (2011) an, die beide für sich in Anspruch nehmen, den Besonderheiten des Fremdsprachenunterrichts gerecht zu werden. Seedhouse (2010) unterteilt das interaktive Geschehen im Klassenraum in vier Kontexte, während Walsh (2011) von Modi spricht. Mit der folgenden Tabelle möchte ich verdeutlichen, dass man trotz dieser abweichenden Begriffswahl bei den beiden Modellen auf große Überschneidungen stößt. Seedhouse (2010) Walsh (2011) Merkmale A procedural con‐ text managerial mode Lehrperson dominiert die Interak‐ tion, gibt Informationen bzw. Ar‐ beitsanweisungen B form/ accuracy context skills and system mode Lehrperson kontrolliert die Interak‐ tion, fragt, korrigiert; Fokus auf Kor‐ rektheit, IRE/ IRF C task-oriented context materials mode Interaktion durch Aufgaben beein‐ flusst, Fokus auf Korrektheit, Scaf‐ folding (vor allem durch die Lehr‐ kraft) D meaning/ flu‐ ency context classroom con‐ text mode längere Redebeiträge der Lernenden, Fokus auf Flüssigkeit und Inhalten, Scaffolding (alle Beteiligte) Tab. 4.2: Modelle der Interaktionssequenzen im Fremdsprachenunterricht Betrachtet man diese Übersicht vor der Folie des fach- und sprachintegrierten Unterrichts, wie ich ihn weiter oben umrissen habe, dann lässt sich leicht er‐ ahnen, auf welche Schwierigkeiten ich bei dem Versuch stoßen musste, diese Modelle auf die vorliegende Studie zu übertragen. In einem Unterricht ohne Strukturübungen fehlen Phasen, die sich der Rubrik B zuordnen lassen. Und zugleich wird es unmöglich, zwischen den Rubriken C und D zu unterscheiden, wenn die Aufgaben in erster Linie darauf zielen, inhaltsbasierte Interaktionen anzustoßen und zu unterstützen. Die einzige Unterrichtsphase in Tabelle 4.2, die sich auch in meinen Daten pro‐ blemlos identifizieren lässt, ist der Modus A, also jene Abschnitte der Interaktion, 135 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="136"?> 3 Die Prozentangaben beziehen sich auf den Umfang transkribierter Zeichen in den je‐ weiligen Unterrichtsphasen. 4 An den PBS lässt sich daher vor allem die Lehrersprache bei der Rahmung und Initiie‐ rung von Unterrichtsaktivitäten näher betrachten. Die Transkripte stehen für Sekun‐ däranalysen - auch unter diesem Gesichtspunkt - auf der Projekt-Homepage zur freien Verfügung. in denen ich als Lehrperson die Abläufe im Klassenraum organisiere. Sie findet sich vor allem an den Übergängen zwischen einzelnen Abschnitten des Unterrichts, etwa zu Beginn und am Ende der Stunde, bei der Einführung neuer Materialien oder Aufgabenstellungen oder beim Wechsel von Sozialformen. In Anlehnung an Seedhouse bezeichne ich sie als Prozessbezogene Sequenzen (PBS). Die zweite wichtige Erkenntnis der Analyse meiner Daten bestand somit darin, dass die hier untersuchte Form von Fremdsprachenunterricht eine andere Systematik bei der Identifizierung von Analyseeinheiten erfordert (vgl. auch Jakonen/ Morton 2013). Werden die in den Kap. 2.4 bis 2.6 beschriebenen Un‐ terrichtsprinzipien konsequent umgesetzt, ergibt sich zwangsläufig die Situa‐ tion, dass ein Großteil der Interaktion im Klassenraum vom Austausch über die Inhalte geprägt ist. Nach der Zuordnung der Redebeiträge zu einzelnen Lernenden untersuchte ich daher den Interaktionsverlauf nach inhaltlichen Zusammenhängen. Es zeigte sich, dass sich anhand dieses Kriteriums das gesamte Datenmaterial in 51 Abschnitte unterteilen lässt, in denen sich der Austausch jeweils unmittelbar auf die Bearbeitung einer Aufgabe bezieht. Sie werden im Folgenden als In‐ haltsbezogene Sequenzen (IBS) bezeichnet, dauern zwischen 2 und 29 Mi‐ nuten und stellen, den Redebeiträgen übergeordnet, die zweite Ebene von Ana‐ lyseeinheiten dar. Dieser Analyseschritt führte somit zunächst zu zwei, deutlich voneinander abgrenzbaren Unterrichtsphasen, den Prozessbezogenen Sequenzen (PBS) und den Inhaltsbezogenen Sequenzen (IBS). Letztere nehmen dabei einen deutlich größeren Raum ein, denn mit einem Anteil von 86 Prozent 3 konzentriert sich der überwiegende Teil des Austauschs in den beobachteten Klassen auf die In‐ halte. Davon wiederum entfallen 22 Prozent auf die Gruppenarbeit und 64 Pro‐ zent auf die Plenumsphasen. Nur 14 Prozent des aufgezeichneten Unterrichts lassen sich hingegen als Prozessbezogene Sequenzen (PBS) charakterisieren. Die PBS werden jedoch in dieser Studie nicht näher betrachtet. Diese Konzentration auf die Inhaltsbezogenen Sequenzen ergibt sich aus dem Forschungsinteresse, das sich vor allem auf die Phasen des Unterrichts richtet, in denen dialogisches Lernen möglich ist. Die PBS sind dagegen charakterisiert durch weitgehend monologische Redebeiträge der Lehrperson. 4 136 Michael Schart <?page no="137"?> Nebensequenzen Sieht man sich die Inhaltsbezogenen Sequenzen im Detail an, so stößt man immer wieder auf kürzere Episoden, in denen sprachliche Phänomene, lern‐ strategische Aspekte oder gruppendynamische Prozesse in den Vordergrund rücken. Sie sind zwar in den inhaltlichen Austausch eingebettet, lassen sich je‐ doch von diesem mehr oder weniger eindeutig abgrenzen. In diesen, zumeist nur wenige Redebeiträge umfassenden Nebensequenzen verschiebt sich also der Schwerpunkt des Austausches weg von der unmittelbaren Aufgabenbearbei‐ tung. Die innere Struktur der Inhaltsbezogenen Sequenzen wird anhand der wech‐ selnden Kodierungen deutlich, mit denen die Transkripte im Analyseprozess versehen wurden. Sie lässt sich in Form von sogenannten „Dokumentenportäts“ visualisieren, wie sie die Software MAXQDA erstellt. Alle Kodierungen in einem Dokument werden dabei unterschiedlich farblich markiert und anhand ihrer Position im zeitlichen Verlauf und ihres Umfangs zu einem Raster gefügt. Abb. 4.1 zeigt das Ergebnis dieser Berechnung am Beispiel von IBS08. Abb. 4.1: Dokumentenporträt der Inhaltsbezogenen Sequenz IBS08 Wie sich an diesem Beispiel sehr gut verfolgen lässt, werden Unterbrechungen des inhaltlichen Austausches (Farbton II) vor allem notwendig, um sprachliche 137 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="138"?> Probleme zu klären (Farbton III). Innerhalb der Inhaltsbezogenen Sequenzen nehmen diese Sprachbezogenen Sequenzen (SBS) etwa ein Viertel aller Äu‐ ßerungen ein (siehe Tab. 4.3). Sie entsprechen der in der Diskursforschung eta‐ blierten Analyseeinheit Language Related Episodes (LRE; Swain/ Lapkin 1998). Und einer weit verbreiteten Praxis dieser Forschungsrichtung folgend wurden sie auch in der vorliegenden Studie anhand des jeweils thematisierten Phäno‐ mens in die Grammatik, den Wortschatz und die Aussprache betreffende SBS unterteilt. Plenumsphasen Gruppenarbeitsphasen Sprachbezogene Sequenzen (SBS) gesamt 21 25 Aussprache 1 0 Wortschatz 14 21 Grammatik 6 4 Gruppenbezogene Sequenzen (GBS) 2 3 Strategiebezogene Sequenzen (StBS) 2 0 Tab. 4.3: Verteilung der Nebensequenzen innerhalb der Inhaltsbezogenen Sequenzen nach ihrem prozentualen Anteil an den transkribierten Zeichen Tab.4.3 gibt Aufschluss über die Anteile der Nebensequenzen in Plenums- und Gruppenarbeitsphasen. Es bestätigt sich zunächst eine Tendenz, die auch in an‐ deren Studien beschrieben wird: In selbstbestimmter Interaktion von Lernenden ergeben sich sprachbezogene Sequenzen eher an lexikalischen Hürden als an grammatischen (vgl. García Mayo 2010; Watanabe/ Swain 2007; siehe Kap. 4.4.5). Zudem wird aus der Übersicht deutlich, dass sich zwei weitere Typen von Ne‐ bensequenzen identifizieren lassen, die jedoch nur eine geringe Rolle spielen. Es handelt sich dabei zum einen um Gruppenbezogene Sequenzen (GBS), in denen die Studierenden persönliche Befindlichkeiten ansprechen oder explizit auf verschiedene Aspekte der Unterrichtsatmosphäre eingehen. Zum anderen finden sich in den Daten auch einige Strategiebezogene Sequenzen (StBS), die sich mit der Organisation des Austausches oder der unterrichtlichen Akti‐ vitäten beschäftigen. Tab. 4.4 bietet eine Zusammenschau aller Sequenztypen mit Beispielen aus den Daten. 138 Michael Schart <?page no="139"?> Sequenz Merkmale Beispiele (in Auszügen) Prozessbezogene Sequenzen (PBS) Der Unterrichtspro‐ zess wird organisiert; Lernaktivitäten werden erklärt, er‐ öffnet oder beendet. 266 l: entschuldigung (.) wir haben nur noch fünf minuten (.) wir müssen leider beginnen (.) ok können sie bitte ihre fragen geben? ich schreibe sie hier an die tafel (.) wo gibt es fragen? (U3/ PBS06) Inhaltsbezogene Sequenzen (IBS) Die Interaktion be‐ zieht sich auf den thematischen Schwerpunkt der Unterrichtssequenz. 20 sb05: das gericht (2) pfänden persons B etwas wichtig 21 sb11: mhm ja ja 22 sb05: zum beispiel haus 23 sb03: ja gericht pfänden etwas von person B oder? (U7/ IBS35) Sprachbezogene Sequenzen (SBS) Das System der Fremdsprache (Aus‐ sprache, Wortschatz, Grammatik) wird thematisiert; man korrigiert sich selbst oder andere. 200 sa05: asien länder 201 l: asiatische länder 202 sa05: asiatische länder fühlen sich glücklicher als fünzig perpercent (U3/ IBS16) Gruppen‐ bezogene Sequenzen (GBS) Die Interaktion be‐ zieht sich auf inter‐ personale oder per‐ sönliche Aspekte bzw. auf das Lern‐ klima. 302 l: sie sind heute so ruhig (.) sind sie müde? 303 sa07: ja ich bin müde weil ich habe ge‐ schlaft geschlafen nicht 304 ss: eh [überrascht] 305 sa07: gestern 306 sa05: warum? 307 sa07: ich ich habe mit meinen freunden gesprechen 308 ss: freunden? freundin? (U4/ PBS02) Strategie‐ bezogene Sequenzen (StBS) Der Lernprozess selbst bzw. Strategien der Teilnahme an der Interaktion werden thematisiert. 76 sa06: gibt es eine stadt mit hoher pro‐ zent von die beschäftigkeitbeschäfti‐ gungsquote in osten? 77 sa01 noch einmal bitte 78 sa06 von wo? (U1/ IBS02) Tab. 4.4: Typen von Interaktionssequenzen 139 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="140"?> Die Abgrenzung der unterschiedlichen Interaktionssequenzen markierte eine wichtige Zwischenstation im Analyseprozess. Für die weitere Datenauswertung mussten nun Möglichkeiten gefunden werden, die einzelnen Sequenzen genauer zu charakterisieren. So stellte sich mir vor allem die Frage, ob die 51 Inhaltsbe‐ zogenen Sequenzen typische Muster der Interaktion aufweisen würden und welche Zusammenhänge mit der jeweiligen Unterrichtssituation sich ausma‐ chen ließen. Um diesem Erkenntnisinteresse nachzugehen, wählte ich unter‐ schiedliche Zugangswege zu den Daten, die ich im Folgenden nachzeichen möchte. 4.3.2 Modell unterrichtlicher Interaktion Eine erste Perspektive auf die Inhaltsbezogenen Sequenzen eröffnet sich anhand des in Abb. 4.2 dargestellten Modells von unterrichtlicher Interaktion. Es geht auf Überlegungen zurück, wie sie sich in den Arbeiten von Mortimer/ Scott (2003: 25); Llinares/ Morton/ Whittaker (2012: 54) und auch van Lier (1996) finden. Abb. 4.2: Modell unterrichtlicher Interaktion nach Mortimer/ Scott (2003: 25); Llinares/ Morton/ Whittaker (2012: 54) und van Lier (1996) Das Modell beruht auf der Idee, dass sich interaktive Prozesse im Klassenraum anhand von dichotomisch angeordneten Merkmalsausprägungen voneinander abgrenzen lassen. Als eine zentrale Dimension gilt dabei der Grad an Selbstbe‐ stimmtheit, mit dem Lernende sich äußern. Eine andere, für den Charakter der 140 Michael Schart <?page no="141"?> Interaktion wesentliche Dimension betrifft das Ausmaß, zu dem sich mehrere Lernende mit eigenen Äußerungen an der betreffenden Sequenz beteiligen. Anhand der beiden Dimensionen „Selbststeuerung/ Fremdsteuerung“ und „Dialog/ Monolog“ können die einzelnen Phasen des Unterrichts unterschied‐ lichen Qualitäten zugeordnet werden. Sie verlaufen beispielsweise dann mono‐ logisch und fremdgesteuert, wenn Lernende einen von der Lehrperson vorge‐ gebenen Text vortragen. Handelt es sich dagegen um Redebeiträge, in die eigene Gedanken der Lernenden einfließen, verschiebt sich die betreffende Sequenz in Richtung Selbststeuerung. Beteiligen sich in einer Phase des Unterrichts mehrere Lernende mit Äuße‐ rungen, nimmt sie eher dialogischen Charakter an. Aber auch solche dialogi‐ schen Sequenzen können fremdgesteuert verlaufen, etwa wenn Lernende zwar miteinander reden, aber kaum Freiräume für eigene Ideen erhalten. Dem Modell liegt somit ein sehr weites Verständnis des Begriffs „Dialog“ zugrunde, denn sobald Lernende in irgendeiner Art und Weise miteinander sprechen, wird diese Unterrichtsphase bereits als dialogisch bezeichnet. Das erscheint sinnvoll, um eine möglichst große Vielfalt an unterrichtlichen Arrangements abzudecken. Zugleich unterscheidet sich diese Auffassung signifikant von der Definition des dialogischen Lernens, wie ich sie in dieser Studie vertrete. Die Darstellung in Kap. 2.6 verdeutlichte, dass ein gewisses Maß an Selbstbestimmtheit den dialo‐ gischen Lernprozessen nach meinem Verständnis inhärent ist. Mit der Verortung einer Unterrichtsphase in dieser Vier-Felder-Matrix geht kein Urteil über ihren pädagogischen Wert einher. Es handelt sich um ein heu‐ ristisches Modell, darf also nicht als ein Instrument zur normativen Beschrei‐ bung von Unterricht missverstanden werden. Auch wenn ich im Folgenden vor allem auf die Kombination von dialogischen und zugleich selbstgesteuerten Prozessen eingehen werde, ist damit keine Abwertung der anderen Interakti‐ onsformen verbunden. Was unter lokalen Kontextbedingungen als wünschens‐ werte, machbare oder effektive Aktivität gilt und welche Schwerpunkte in einer Stunde gesetzt werden, ist eine Entscheidung, die in der Verantwortung der vor Ort Handelnden liegt. Das Modell ermöglicht zwar einen ersten Überblick über unterschiedliche Interaktionsvarianten im Klassenraum, als Analyseinstrument eingesetzt, er‐ reichte es in dieser Studie jedoch schnell seine Grenzen. Die Schwächen liegen auf der Hand, kann doch die Zuordnung einzelner Unterrichtsphasen zu den vier Feldern immer nur sehr grob erfolgen und dadurch allenfalls Tendenzen abbilden. Nimmt man das Modell als Folie, um die 51 Inhaltsbezogenen Se‐ quenzen anzuordnen, versammeln sich diese mehr oder weniger deutlich im Quadranten dialogisch/ selbstgesteuert. Selbst jene IBS, bei denen auch ein mo‐ 141 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="142"?> 5 siehe: www.gluecksatlas.de nologisches Vorgehen möglich gewesen wäre, etwa wenn Studierende eigene Recherchen im Plenum vorstellen, sind von dialogischen Abschnitten durch‐ zogen, wie ich an einem Beispiel verdeutlichen möchte. Der Auszug zeigt den Beginn einer Präsentationsphase in der Unterrichts‐ einheit zum Themenbereich „Wohlstand“. Zuvor haben sich die Lernenden in kleinen Gruppen mit dem Abschneiden einzelner Bundesländer bei der Glücks‐ atlas-Studie 5 beschäftigt. Die Studierenden sa01 und sa02 stellen nun im Plenum ihre Erkenntnisse über die Lebenssituation in Bayern vor. Es entsteht ein für die Präsentationsphasen in den Daten typischer Austausch. IBS11 (U3/ Plenum III) 116 sa02 wir haben das papier von bayern 117 sa04 bayern? 118 sa02 bayern 119 sa01 bayern 120 sa02 bayern ist ah bayern steht dritte eh dritte position in deutsch‐ land in zufriedenheit so (3) der deutlichst faktor ist arbeit (2) verstehen sie? 121 ss mhm 122 ss [leise] deutlichst? 123 sa05 wichtigste faktor? 124 sa02 ah ja 125 sa01 faktor von für? zufriedenheit ist arbeit 126 sa02 zum beispiel [ermutigt sa01] 127 sa01 zum beispiel? (2) 128 sa02 brutto- [leise] 129 sa01 ah bruttoinlandsprodukt ist höher als deutschland (2) das be‐ deutet manmenschen 130 sa02 kann können 131 sa01 können gute leben 142 Michael Schart <?page no="143"?> 132 sa02 eh? 133 sa01 eh? 134 sa02 nein nein nein 135 sa01 nein? 136 ss [lachen] 137 sa13 was ist? 138 sa02 bruttbruttoinlandsprodukt ist die menschen können 何だろ う (Wie sagt man? ) prodakt machen in 139 l produzieren? 140 sa02 produzieren 141 l produzieren (.) produkte machen bedeutet produzieren 142 sa02 ja ja ja ah produzieren produzieren in jede region ist höher als deutschland und なんと言う (Wie sagt man? ) (2) ah herr s. [an den Lehrer gerichtet] 143 l ja? 144 sa02 wie lesen sie das? [zeigt auf das Arbeitsblatt] 145 l lohnniveau 146 sa02 lohnniveau ist höher als deutschland auch lohnniveau ist man 何だろうな (Wie sagt man? ) [zu sa01] 147 sa01 lohnniveau? 148 sa07 entschuldigung was bedeutet lohnniveau? Tab. 4.5: Auszug aus IBS11, Lerngruppe LGa, U3/ Plenum III, 17. Dez. 2012; 26. Unter‐ richtswoche Die beiden Studierenden sa01 und sa02 gestalten ihre Präsentation nicht als monologische Phase. Vielmehr kooperieren sie und beziehen von Beginn an auch die anderen Studierenden ein, beispielsweise durch die Prüfung des Ver‐ ständnisses in Zeile 120. Zugleich herrscht in der Lerngruppe ein Konsens dar‐ über, dass alle Beteiligten sich jederzeit mit Rückfragen oder auch Kommentaren zu Wort melden können. Durchgängig monologische Unterrichtsphasen kommen daher nicht zustande. 143 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="144"?> 6 Die Arbeitsmaterialien sind auf der Projekt-Homepage einsehbar. Es finden sich allerdings immer wieder einzelne Abschnitte in den Inhalts‐ bezogenen Sequenzen, die aufgrund zu eng führender Impulse durch den Lehrer bzw. die Aufgabenstellung phasenweise fremdgesteuerten Charakter annehmen (siehe 4.4.2). Betrachtet man jedoch deren gesamten Verlauf, tendieren auch sie in Richtung dialogisch/ selbstgesteuert. Ein weiteres Beispiel soll das veran‐ schaulichen. Es kommt aus einer Unterrichtsstunde, mit der zum Thema Wohl‐ standsindikatoren übergeleitet werden soll. Das Arbeitsblatt 6 enthält ein Punkt-Diagramm, das den Zusammenhang von Bruttoinlandsprodukt und Zu‐ friedenheit in einer Reihe von Ländern darstellt. Die Namen der Länder sind erkennbar, doch die Beschriftung der Koordinaten wurde teilweise entfernt und die Buchstaben (a) bis (d) als eine Hilfe zur Beschreibung der Grafik eingefügt. Die erste, weniger anspruchvolle Aufgabe besteht darin, passende Wörter für die vier Buchstaben zu finden. Die zweite, deutlich schwierigere Aufgabe fragt nach einer möglichen Kategorie für die y-Achse (im Original: Zufriedenheit der Bevölkerung). Nach einer kurzen Gruppenarbeitsphase zu diesen beiden Auf‐ gaben entwickelt sich im Plenum der folgende Dialog. IBS15 (U3/ Plenum II) 1 l ok vielleicht vielleicht beginnen wir bei der x-achse das ist einfach (.) was zeigt die x-achse? frau s. [sa09] was zeigt was zeigt die x-achse? können sie das sagen? 2 sa09 ah die pro-kopf-einkommen in us-dollar pro jahr 3 l ok (.) das muss man nur lesen ne die x-achse zeigt das pro-kopf-einkommen pro jahr darum (.) was sind dann die buch‐ staben c und d? welche wörter passen hier? frau a. [sa03] welche wörter passen hier bei c und d? (2) bei c und bei d welche wörter passen? (2) 4 sa03 c ist niedrig pro-kopf-einkommen 5 l ok niedriges pro-kopf-einkommen und? 6 sa03 d ist hohe pro-kopf-einkommen 7 l gut. perfekt. gibt es andere ideen? 8 ss nein 9 l nein? (2) also hoch und niedrig (2) ja ganz einfach sie können auch sagen arm und reich (3) arm und reich (.) auch eine mög‐ 144 Michael Schart <?page no="145"?> lichkeit gut (.) aber die wichtige frage ist ja was zeigt die y-achse? (2) welche ideen haben sie? 10 sa01 bitte bitte [zu sa04] 11 sa04 ich bin peinlich 12 l [lacht] es muss nicht peinlich sein bitte fangen sie 13 sa04 no no wir hat 14 sa01 wir? nicht wir [verweist darauf, dass die Idee von sa04 kommt] 15 sa04 viele ideen 16 l zum beispiel 17 sa04 zum beispiel 何だっけ (Wie sagt man? ) zum beispiel (2) kinder gehen zu schule oder familie mit auto とか (und so weiter) 18 sa01 und wind- 19 sa04 ah 風力発電 ? (Windenergie) 20 sa05 was ist? 21 ss [lachen] 22 sa01 wind- 23 sa04 wir denken das 24 ss [sprechen durcheinander, suchen das deutsche Wort für Wind‐ kraft] 25 sa04 ja windkraft weil niederland ist höchst (.) so wir denken so 26 sa01 ja wir? … Tab. 4.6: Auszug aus IBS15, Lerngruppe LGa, U3/ Plenum II, 18. Dez. 2012; 26. Unter‐ richtswoche Der Ausschnitt beginnt mit einer Situation, die aus zwei Gründen bemerkens‐ wert ist. In den Daten gibt es nur relativ selten Phasen, in denen der Lehrer auf diese Weise die Interaktion dominiert, denn normalerweise werden Lernende nicht durch namentliches Aufrufen zu einem Redebeitrag animiert. Und auch Abschnitte, in denen das Frage-Antwort-Bewertungsmuster den interaktiven Freiraum der Lernenden derart einschränkt, bilden eher die Ausnahme. 145 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="146"?> Durch das Aufrufen von sa03 und sa09 kommen zwar Studierende zu Wort, die sich normalerweise nicht spontan am Austausch beteiligen, dennoch er‐ scheint dieser Einstieg missglückt. Gerade weil die erste Aufgabe keine hohen Ansprüche stellt, hätte es einer solchen Engführung durch den Lehrer eigentlich nicht bedurft. Vor allem jedoch lässt sich anhand dieses kurzen Auszugs aus einem Ple‐ numsgespräch demonstrieren, wie fließend sich der Übergang von fremdge‐ steuerten zu selbstgesteuerten Phasen vollzieht. Ab Zeile 11 übernehmen die Studierenden den Dialog in die eigene Regie und in den verbleibenden 15 Mi‐ nuten dieser Sequenz zieht sich der Lehrer auf eine eher unterstützende Rolle zurück, wie sie in Kap. 2.6.3 bereits an anderen Daten besprochen wurde. Ein weiterer Aspekt, der am Auszug in Tab. 4.6 deutlich wird, ist die unmit‐ telbare Wirksamkeit der Ergebnisse von Studien, die sich - wie die vorliegende - als Aktionsforschung verstehen. Denn die Analyse dieser Sequenz trug einer‐ seits dazu bei, dass ich als Lehrer die Interaktion in vergleichbaren Unterrichts‐ situationen bewusster wahrnehme und gestalte. Andererseits veränderte ich das betreffende Material, so dass es weniger stark zur interaktiven Steuerung ver‐ leitet. Aber die zentrale Erkenntnis der Annäherung an die Daten mit Hilfe des oben beschriebenen Interaktionsmodells lässt sich darin zusammenfassen, dass alle Inhaltsbezogenen Sequenzen - mehr oder weniger ausgeprägt - den Charakter dialogischen Lernens tragen. Es beteiligen sich also in allen Fällen mehrere Ler‐ nende am Austausch und zugleich wird der Selbstbestimmtheit über weite Stre‐ cken hinweg Raum geben. Mit Blick auf die Fragestellungen dieser Teilstudie brachte mich dieses Zwischenergebnis allerdings nur einen sehr kleinen Schritt voran, denn ihre Beantwortung erforderte eine deutlich differenziertere Analyse der Inhaltsbezogenen Sequenzen. 4.3.3 Modi dialogischen Lernens Ein vielversprechender Ansatz zu einer solchen tiefergehenden Analyse der Daten eröffnete sich über die Beschreibung verschiedener Modi dialogischen Lernens von Wegerif/ Mercer (1997; siehe auch Mercer 2010). In einer Serie von Arbeiten zur muttersprachlichen Interaktion in Partner- und Gruppenarbeit identifizieren Wegerif/ Mercer drei divergente und zugleich pädagogisch rele‐ vante Modi, in denen sich die gemeinsamen Denkprozesse von Lernenden voll‐ ziehen können. 146 Michael Schart <?page no="147"?> Das Modell der sozialen Modi des Denkens Es ist die grundlegende Idee des dreistufigen Modells von Abb. 4.3, dass dialo‐ gische Lernprozesse aufgrund der Partizipationsstrukturen qualitative Unter‐ schiede aufweisen. Im Gegensatz zur Vier-Felder-Matrix in Abb. 4.2 hat dieses Modell daher eine normative Komponente: Es soll nicht nur einen heuristischen Rahmen bieten, um unterrichtliche Interaktion zu beschreiben, sondern zugleich auch verdeutlichen, dass bestimmte dialogische Prozesse aus pädagogischer Sicht besonders wünschenswert erscheinen. Mit Hilfe dieser Systematik sollten sich daher die Inhaltsbezogenen Sequenzen, so meine Überlegung, zum einen eindeutiger voneinander abgrenzen lassen als es bei der weiter oben vorge‐ stellten Vier-Felder-Matrix der unterrichtlichen Interaktion der Fall war. Zum anderen ergab sich für mich aus diesem Modell zugleich die Möglichkeit, die Inhaltsbezogenen Sequenzen nach ihrer didaktischen Qualität zu beurteilen. Doch bevor ich die Umsetzung dieses Gedankens im Analyseprozess themati‐ siere, möchte ich zunächst darauf eingehen, wie Wegerif/ Mercer ihre drei so‐ zialen Modi des Denkens begrifflich fassen. Abb. 4.3: Modi dialogischen Lernens (nach dem Modell der sozialen Modi des Denkens von Wegerif/ Mercer 1997) Disputationaler Modus Auf der untersten Stufe verlaufen dialogische Prozesse im Klassenraum in einem disputationalen Modus. Er ist gekennzeichnet von individuellen Entschei‐ dungen und Divergenzen. Wegerif/ Mercer (1997: 54) beschreiben diesen Modus der Interaktion als einen Wettbewerb, bei dem die Beteiligten bestrebt sind, nur 147 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="148"?> eigene Interessen zu vertreten und durchzusetzen. Die Lernenden definieren sich über die Differenzen zu anderen. Es werden daher kaum Anstrengungen unternommen, Berührungspunkte auszuloten, Ideen zu bündeln und über kon‐ struktive Kritik zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Auf der Ebene der Äu‐ ßerungen dominiert der kurze Austausch von Behauptungen und Gegenbe‐ hauptungen. Dieser Modus der Interaktion wird vor allem in Studien zur Interaktion in Partner- und Gruppenarbeiten thematisiert, wenn auch mit anderen Begriffen versehen. So findet er sich etwa in der viel zitierten Arbeit von Storch (2002) und wird dort als eine Form des Austauschs in Partnerarbeit charakterisiert, bei der zwei - mit Blick auf die sprachlichen Anteile - dominant auftretende Ak‐ teure divergierende Interessen verfolgen. Storch macht mit ihrer Studie darauf aufmerksam, dass in der Analyse unterrichtlicher Situationen zwischen der sprachlichen Aktivität von Lernenden und dem Ausmaß ihres kooperativen Verhaltens unterschieden werden sollte. Eine Überlegung, auf die ich weiter unten noch ausführlicher eingehen werde. Auch Feick (2016) greift sie in ihrer Untersuchung im DaF-Unterricht auf der Niveaustufe B1 auf. Sie analysiert Entscheidungsprozesse in Kleingruppenarbeit und betrachtet dabei unter an‐ derem die sprachlichen Anteile der einzelnen Lernenden und den Grad ihrer Kooperation in der Gruppe getrennt voneinander. Als Ergebnis ihrer Analyse beschreibt sie ebenfalls einen Stil der dominanten Nicht-Kollaboration, bei dem Lernende durch ihre aktive Beteiligung zwar die Interaktion in der Gruppe auf‐ rechterhalten, dabei jedoch gegenläufige Absichten verfolgen (Feick 2016: 146). An dieser Stelle kann ich vorwegnehmen, dass der disputationale Modus der Interaktion in den Daten der vorliegenden Studie keine Rolle spielt. Eine Ursache dafür ist sicher beim Sprachniveau der Lernenden im hier untersuchten Kontext zu suchen. Ihre noch wenig ausgeprägten sprachlichen Kompetenzen verhin‐ dern möglicherweise in einigen Situationen einen eher disputationalen Aus‐ tausch. Ein weiterer Grund ergibt sich aus dem Konzept der analysierten Un‐ terrichtseinheiten, die - etwa im Unterschied zur Studie von Feick (2016) - keine Aufgaben enthalten, deren Bearbeitung einen Gruppenkonsens erfordert bzw. Entscheidungsprozesse in Gang setzt. Vielmehr zielt die überwiegende Zahl der Aufgaben darauf ab, Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu be‐ trachten und die Lernenden anzuregen, eigene Ideen einzubringen. Nicht zuletzt lässt sich das Fehlen disputationaler Dialoge darauf zurück‐ führen, dass ein großer Teil der Interaktionen im Plenum verläuft. Wie Barnes (1999) in ihrer Studie demonstriert, wirkt bei Gesprächen der gesamten Lern‐ gruppe - neben einem kooperativen Lernklima - die Anwesenheit der Lehrkraft bzw. ihre Steuerung der Interaktionsprozesse solchen eher konfrontativen 148 Michael Schart <?page no="149"?> Formen des Austauschs entgegen. Gleichwohl bedeutet das nicht, dass es in den Plenums- und Gruppenarbeitsphasen keine unterschiedlichen Grade der inter‐ aktiven Beteiligung gibt, wie ich weiter unten an konkreten Daten verdeutlichen möchte. Kumulativer Modus Ein Merkmal des kumulativen Modus dialogischer Prozesse ist die kooperative Einstellung der Lernenden. Sie identifizieren sich mit der Gruppe, in der sie gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten. Entscheidend dabei ist, dass sie den Re‐ debeiträgen der anderen Gruppenmitglieder zwar positiv entgegentreten, diese aber zugleich akzeptieren, ohne auf mögliche Widersprüche oder Kritikpunkte einzugehen. Im Gespräch sammelt sich auf diese Weise ein Reservoir an hete‐ rogenen Ideen oder Meinungen an. Die individuellen Sichtweisen werden also in erster Linie miteinander geteilt. Das Bemühen um die Synthese oder Weiter‐ entwicklung des Wissens ist dagegen kaum ausgeprägt. Die stufenförmige Anordnung der drei Modi in Abb. 4.3 soll veranschauli‐ chen, dass der kumulative Modus des Dialogs aus pädagogischer Sicht wün‐ schenswerter erscheint als der disputationale. Zugleich bleibt das große Poten‐ zial dialogischen Lernens zum Teil ungenutzt, wenn sich eine Lerngruppe nicht in die kritische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Perspektiven begibt. Die Entwicklung neuen gemeinsamen Wissens, so die Annahme, wird somit nur bedingt gefördert. Das lässt sich am folgenden Beispiel nachvoll‐ ziehen. Es handelt sich um einen Auszug aus einem Gruppengespräch. Die vier Studierenden haben sich als Vorbereitung für diese Unterrichtseinheit die recht‐ lichen Regelungen zum Pfänden in Japan und Deutschland angesehen und wurden gebeten, sich in dieser Gruppenphase über mögliche Problempunkte in den Gesetzestexten auszutauschen. IBS45 (U8/ Gruppenarbeit II/ 2) 21 sb13 ich denke in beides in japan und deutschland der richter habe 何 だろう (Wie kann ich das sagen? ) stark 何だろう (Wie kann ich das sagen? ) 決定する (entscheiden) (2) richter habe eh richter ist stark also ich denke richter kann (2) kann (2) richter kann (2) 決 定する (entscheiden) (leise) 22 sb02 entent- 23 sb09 entscheiden 24 sb13 entscheiden das 何だっけ (Wie war das noch? ) limit って何だっ け (Was war Grenze noch mal? ) 149 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="150"?> 7 Der Gesetzestext besagt, dass Schuldnern bei der Pfändung Nahrungsmittel für den Zeitraum von vier Wochen gelassen werden müssen. 25 sb09 grengrenzen 26 sb13 grenzen ja (4) そんな感じわからない 適当 (Das vermute ich. Ich weiß nicht so genau. Nur als spontane Idee.) [lacht] viel‐ leicht vielleicht (3) 27 sb02 was denkst du? [zu sb06] 28 sb06 ich kann nicht verstehen ich kann nicht verstehen von wann vier wochen beginnen (.) ich kann nicht verstehen 7 29 sb02 eh noch noch einmal bitte 30 sb06 ich kann nicht verstehen von wann vier wochen beginnen 31 sb09 von wann? (2) 32 sb13 ja ja ja das ist gut gute frage (? ) 33 sb06 klar? [zu sb09] 34 sb09 nein 35 sb06 also ich denke ich kann nicht verstehen wann vier wochen be‐ ginnen 36 sb09 mhm? wann vier wochen? 37 sb06 beginnen beginnen 38 sb09 ah なるほど (Ich verstehe.) 39 sb06 ich nicht verstehe das (45) Tab. 4.7: Auszug aus IBS45, Lerngruppe LGb, U8/ Gruppenarbeit II/ 2, 17. Nov. 2015; 21. Unterrichtswoche Diese Sequenz aus dem Gruppengespräch ist ein typisches Beispiel für eine Form der Interaktion, die in dieser Studie in den kumulativen Modus eingeordnet wurde. Auch wenn sie nur einen relativ kurzen Ausschnitt zeigt, so wird doch deutlich, dass sich die vier Studierenden (sb02, sb06, sb09, sb13) kooperativ ver‐ halten. Sie helfen einander bei der Formulierung von Redebeiträgen, sie ani‐ mieren sich zur Mitarbeit und geben sich gegenseitig Rückmeldung. Blickt man jedoch nur auf die inhaltliche Entfaltung des Gesprächs, so zeigt sich, dass die 150 Michael Schart <?page no="151"?> Lernenden die aufgeworfenen Punkte nicht vertiefen. Der Austausch bewegt sich daher an der Oberfläche und beschränkt sich auf das Ansammeln von Ideen. Explorativer Modus Im explorativen Modus des dialogischen Lernens beteiligen sich die Lernenden kritisch, aber konstruktiv am Austausch der Gruppe. Die eigenen Ideen werden als Beiträge zu einer gemeinsamen Lösung betrachtet und zur Diskussion ge‐ stellt. Man ist offen für die Einwände und Kommentare aus der Lerngruppe. Zugleich knüpft man an die Ideen der anderen Lernenden an, führt sie weiter oder mit eigenen Überlegungen zusammen und scheut sich auch nicht, auf pro‐ blematische Aspekte hinzuweisen. Mit dem disputationalen Modus des Dialogs hat der explorative Austausch gemein, dass er kompetitiven Charakter annimmt. Es sind jedoch nicht die ein‐ zelnen Personen, die in einen Wettbewerb treten, sondern Ideen und Argu‐ mente. Der Rahmen wird von einer kooperativen Einstellung der Beteiligten gebildet, worin der explorative Modus dem kumulativen Modus gleicht. Wie Wegerif/ Mercer (1997) herausstellen, kommen im explorativen Modus die sozialen Denkprozesse deutlicher zum Vorschein als in den anderen beiden Modi. Damit ist jedoch auch eine bedeutsame methodologische Konsequenz verbunden. Wenn dem explorativen Modus, wie es die Darstellung in Abb. 4.3. nahelegt, das größte Potenzial für die Förderung dialogischen Lernens zuge‐ sprochen wird, so bedeutet das nicht zwangsläufig, dass der Austausch in den anderen beiden Modi für einzelne Lernende weniger ergiebig wäre. Abb. 4.3. kann sich nur auf die Lernprozesse beziehen, die unmittelbar in der Interaktion zum Ausdruck kommen. Inwiefern die Lernenden einzelne Aspekte des Ge‐ schehens für sich persönlich als bedeutsam empfinden und individuelles Lernen angeregt wird, entzieht sich dem Analyseprozess dieser Studie. Die Unterscheidung zwischen kumulativem und explorativem Modus ergibt sich somit aus der Annahme, dass es für kollaborative Wissensbildung nicht ausreichend ist, Ideen, Meinungen oder Informationen zu teilen. Als entschei‐ dend wird die weitergehende Elaboration angesehen. Erst wenn Lernende sich kritisch aber konstruktiv mit den Redebeiträgen der anderen auseinandersetzen, auf Alternativen verweisen oder eigene Lösungsvorschläge zur Diskussion stellen, wird eine neue Qualität des Dialogs erreicht. Diese Form der unterrichtlichen Interaktion wurde unter verschiedenen Be‐ griffen beschrieben, etwa als exploratory talk (Barnes 2008; Mercer/ Dawes 2008), accountable talk (Resnick et al. 2018), dialogic teaching (Alexander 2008) oder auch collaborative dialoque (Donato 1994; Swain/ Watanabe 2013), doch über ihre 151 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="152"?> 8 siehe auch Muhonen et al. (2017); Rojas-Drummond/ Mercer (2003) grundlegenden Prinzipien herrscht Einigkeit. Nach Boblett (2018: 43) 8 können sie wie folgt zusammengefasst werden: 1. Alle relevanten Informationen werden geteilt. 2. Die Beteiligten streben danach, ein gemeinsames Verständnis zu entwi‐ ckeln. 3. Sie übernehmen gemeinsam Verantwortung für den Austausch/ die Ent‐ scheidungen. 4. Sie begründen ihre Meinungen. 5. Sie akzeptieren es, wenn ihre Redebeiträge hinterfragt werden. 6. Es werden verschiedene Alternativen abgewogen. 7. Die Beteiligten ermutigen sich gegenseitig, sich aktiv einzubringen. Die Auflistung der Prinzipien macht greifbarer, welche Merkmale den explora‐ tiven Modus vom kumulativen Modus trennen. Die Prinzipien 1, 3 und 4 bei‐ spielsweise lassen sich auch in Sequenzen nachweisen, die in dieser Studie dem kumulativen Modus zugeordnet wurden. Durch die Prinzipien 2, 5, 6 und 7 ge‐ winnt eine Sequenz explorativen Charakter. Das soll beispielhaft an einem Auszug aus einer Inhaltsbezogenen Sequenz vorgestellt werden. In der betreffenden Unterrichtsphase geht es um die At‐ traktivität unterschiedlicher Regionen Deutschlands. Die Studierenden haben sich mit einer Reihe von Statistiken zur Lebenssituation beschäftigt, wobei einer Gruppe auffiel, dass in den ostdeutschen Ländern der Anteil von Frauen an der Bevölkerung unter dem deutschen Durchschnitt liegt und zugleich viele un‐ eheliche Kinder geboren werden. Sie bringen diese beiden Ergebnisse in eine Kausalbeziehung und stellen ihre Erkenntnis im Plenum vor. IBS03 (U1/ Plenum I) 202 sa10 je wenig die frau wohnen desto mehr uneheliche kinder geboren geboren sind 203 sa06 aber was sagen das über die 何だっけ (Wie sagt man? ) thema? 204 l die situation oder die attraktivität (3) 205 sa06 ist das eine glücklich ding oder unglückliche ding? 206 sa05 そだね (i.S.v. Das ist eine gute Frage) 207 sa10 schwer (4) 152 Michael Schart <?page no="153"?> 208 sa06 unglücklich oder? 209 sa05 also viele frauen im norden osten deutschland 210 sa13 nicht verheiratet 211 sa05 heiraten nicht? 212 sa13 verheiraten nicht oder? 213 sa10 ja 214 sa13 das bedeutet das oder? 215 sa05 oder? 216 ss eh? 217 sa10 noch einmal bitte 218 sa13 was sagen sie bedeutet weniger frauen oder weniger leute ver‐ heiraten nicht oder? 219 sa10 ja genau 220 sa06 und ist das 221 sa04 glücklich oder unglücklich? 222 sa01 schwer Tab. 4.8: Auszug aus IBS03, Lerngruppe LGa, U1/ Plenum I, 11. Dez. 2012; 25. Unter‐ richtswoche Angesichts der sehr geringen Anzahl unehelicher Kinder in Japan ist es für die Studierenden zunächst unverständlich, weshalb in bestimmten Regionen Deutschlands diese Quote über 50 Prozent liegt. Und in der betreffenden In‐ haltsbezogenen Sequenz IBS03 kommen sie dem Problem auch nicht näher. Das ist an diesem Ausschnitt jedoch nicht der wichtige Punkt. Maßgeblich ist, dass die Lerngruppe die Information von sa10 nicht hinnimmt, sondern sich im Rahmen ihrer sprachlichen Möglichkeiten kritisch mit ihr auseinandersetzt. In solchen Phasen geht der Austausch daher in den explorativen Modus über. An den beiden Beispielen zum kumulativen und explorativen Modus sollte aufgezeigt werden, dass sich aus dem Modell der Modi dialogischen Lernens (Abb. 4.3) eine zweite Möglichkeit ergibt, um die Inhaltsbezogenen Sequenzen zu gruppieren. Die Zuordnung zum kumulativen oder explorativen Modus ver‐ mittelt zumindest einen ersten Eindruck von den unterschiedlichen Charakter‐ 153 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="154"?> zügen, die dialogische Lernprozesse im Klassenraum annehmen können. Wie auch Storch (2002) in ihrer Studie zum dyadischen Austausch anmerkt, lassen sich interaktive Prozesse aufgrund ihrer komplexen Natur jedoch immer nur unpräzise klassifizieren. Häufig bleibt daher in entsprechenden Studien unklar, wie genau einzelne Sequenzen dem zugrunde liegenden Modell zugeordnet wurden. Für mich ergab sich daraus die Frage, ob die Unterschiede zwischen den beiden Beispielen in Tab. 4.7 und 4.8 systematischer beschrieben werden könnten. Und mir wurde bewusst, dass ein weiterer Ansatz für die Kategorisie‐ rung der Daten notwendig wäre, um dies zu erreichen. 4.3.4 Interaktionale Funktion von Redebeiträgen Wegerif/ Mercer (1997) weisen darauf hin, dass sich die Unterschiede zwischen den Modi in ihrem Modell unmittelbar in den diskursiven Abläufen manifes‐ tieren. So sei der kumulative Modus beispielsweise vor allem von Wiederho‐ lungen, Bestätigungen und ausführlicheren Redebeiträgen gekennzeichnet. Der explorative Modus hingegen enthalte verstärkt Neueinsätze, Verzögerungen und verschiedene Varianten von Unterbrechungen. Um einen systematischeren Zugang zu den Inhaltsbezogenen Sequenzen zu erlangen, bot es sich daher an, diesen diskursanalytischen Blick auf die Daten zu vertiefen. Die Diskursanalyse stellt jedoch keinen klar umrissenen Forschungsansatz dar. Sie muss eher als ein Oberbegriff für eine sehr heterogene Ansammlung von Vorgehensweisen bei der Untersuchung unterrichtlicher Interaktion ver‐ standen werden (vgl. Dalton-Puffer 2017: 168). Dieses verästelte Forschungsge‐ biet mit seinen vielfältigen Traditionslinien und Forschungsinteressen kann an dieser Stelle jedoch nicht weiter ausgeleuchtet werden. Von Bedeutung sind hier vor allem die Instrumente, mit denen versucht wird, einzelne sprachliche Äu‐ ßerungen im Kontext von Unterricht zu kategorisieren. In ihnen finden sich zahlreiche Impulse, um das Geschehen in dialogischen Lernprozessen genauer zu erfassen. So stellen beispielsweise Hennessy et al. (2016) ein differenziertes Kodier‐ schema vor (Scheme for Educational Dialogue Analysis, SEDA), mit dem sie Dia‐ loge im Klassenraum aufschlüsseln. Für die vorliegende Studie liegt es sehr nahe, diese Arbeit einzubeziehen, denn auch Hennessy et al. wählen eine soziokultu‐ relle Sicht auf das Lernen und stützen sich dabei unter anderem auf die oben angeführten Überlegungen zu einer Soziokulturellen Diskursanalyse von Litt‐ leton/ Mercer (2013). Sie unterteilen in einem ersten Schritt das Unterrichtsge‐ schehen in drei Ebenen. Die einzelnen kommunikativen Akte (Communicative Acts) der Beteiligten bilden dabei die Mikro-Ebene. Sie lassen sich anhand ihrer 154 Michael Schart <?page no="155"?> 9 wie sie etwa auch in den Studien von Gillies (2016) oder Muhonen et al. (2017) praktiziert wird interaktionalen Funktion im jeweiligen sozialen Kontext identifizieren (Hen‐ nessy et al. 2016: 18). Diese kommunikativen Akte fügen sich zu einer größeren Einheit, wenn sie aufgrund einer Aufgabe oder der verhandelten Inhalte miteinander verknüpft sind. Es entstehen kommunikative Ereignisse (Communicative Events). In der vorliegenden Studie wurde für diese Meso-Ebene der Interaktion der Begriff Interaktionssequenzen gewählt. Die Inhaltsbezogenen Sequenzen (IBS) lassen sich daher als Communicative Events in das hierarchisch aufgebaute Modell von Hennessy et al. (2016) einordnen. Für die Makro-Ebene steht im SEDA-Modell der Begriff Communicative Situation. Das Gesamtkonzept des hier untersuchten Unterrichts wäre dafür ein Beispiel. Die Arbeit von Hennessy et al. (2016) ist für mich deshalb von Interesse, weil sie Ansatzpunkte für eine systematische Betrachtung der Mikro-Ebene bietet. SEDA lenkt die Aufmerksamkeit vor allem auf die Frage, wie sich die Beschäf‐ tigung mit einem Gegenstand dialogisch entfaltet: An welcher Stelle des Dialogs werden beispielsweise Impulse gegeben, damit sich andere am Austausch be‐ teiligen? Wo werden neue Ideen geäußert oder die Beiträge von anderen er‐ gänzt? Wann passiert die kritische Auseinandersetzung mit zuvor einge‐ brachten Ideen? Von diesem Ansatz der Aufschlüsselung der kommunikativen Akte bei Hennessy et al. (2016) ging eine wertvolle Anregung für die weitere Analyse der Inhaltsbezogenen Sequenzen aus. Für das vorliegende Projekt er‐ wies sich jedoch eine weniger detailreiche Kategorisierung der Redebeiträge als zielführender. 9 Die Notwendigkeit einer Anpassung des Kategoriensystems ergab sich nicht zuletzt daraus, dass meine Analyse über die Entfaltung der Inhalte hinaus auch die Besonderheiten der sprachlichen Umsetzung einbeziehen sollte. Ich konnte also nicht auf jene Systematisierungen verzichten, die sich bei der Diskursana‐ lyse von Fremdsprachenunterricht bereits vielfach bewährt haben. Zu solchen etablierten Kategorien gehören beispielsweise die bereits erwähnten drei C’s (siehe Kap. 4.2.3). Auch die Unterscheidung von referentiellen oder didaktischen Fragen oder die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen sich die Beteiligten einander Rückmeldung geben, flossen daher in die Analyse ein. Das Kategoriensystem dieser Studie entwickelte sich auf diese Weise in einem iterativen Prozess. Es würde jedoch die Darstellung in diesem Abschnitt sprengen, auf all die Neuansätze, Verwerfungen und Überarbeitungen einzu‐ gehen, die notwendig waren, um zu einem handhabbaren Instrument zu ge‐ 155 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="156"?> langen. Verkürzend möchte ich daher festhalten, dass ich mit Hilfe der Software MAXQDA die Interaktionsdaten in mehreren Durchgängen kodierte. Dieser Prozess mündete in einem Kategoriensystem, das den Besonderheiten der Daten gerecht wird und es erlaubt, einzelne Redebeiträge bzw. bestimmte Abfolgen von Redebeiträgen funktional voneinander zu trennen. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über dieses System. Hauptkatego‐ rien Erklärung Codes Impulse Redebeiträge, von denen eine Aufforde‐ rung an einzelne TN oder die Lerngruppe zur Beteiligung aus‐ geht • Initiieren (Aufrufen, Auffordern) • didaktische Frage • offene Frage (referentiell) • geschlossene Frage (referentiell) • Frage an die Lehrkraft Inhalte Redebeiträge, die eine Meinung zum Gegen‐ stand des Unterrichts enthalten • Information, Meinung, Fakt • Detail (eine Information wird er‐ gänzt, erweitert) • Kritik (eine Information wird hin‐ terfragt, Schwachpunkte der Ar‐ gumentation aufgezeigt) • Erklärung (Zusammenfassungen, Erklärungen der Lehrkraft) Hürden Redebeiträge, mit denen sprachliche Pro‐ bleme geklärt werden • Bitte um Unterstützung • Hinweis (Anmerkung oder Hilfe‐ stellung zu Formulierungen) • direkte Korrektur (sprachliche Fehler werden unmittelbar korri‐ giert) • Neuformulierung/ Recast (sprach‐ liche Fehler werden indirekt kor‐ rigiert, indem die richtige Formu‐ lierung genannt wird) • Bitte um Wiederholung, Erklä‐ rung, Anzeigen von Nicht-Ver‐ stehen (clarification request) • Abbruch (Äußerungen werden vorzeitig beendet) Schmier‐ stoff Redebeiträge, mit denen der Austausch in Gang gehalten wird • Kurze Reaktionen (z. B. Überra‐ schung, Nachdenken, Wiederho‐ lung des Gesagten) 156 Michael Schart <?page no="157"?> 10 Diese Hauptkategorie orientiert sich im Unterschied zu den vier anderen nicht an der Funktion im Austausch. Da sie jedoch in der diskusanalytischen Forschung zum Fremd‐ sprachenunterricht eine prominente Rolle spielt, wurde sie in das Kategoriensystem aufgenommen. • ja/ nein/ klar etc. (mit einem Wort wird Verstehen/ Zustimmung/ Ablehnung signalisiert) • Vergewisserung, ob eine Äuße‐ rung inhaltlich richtig ist • Verständnis der anderen prüfen (comprehension check) • eigenes Verständnis prüfen (con‐ firmation check) • kurze Kommentare (Rückmel‐ dungen zum Inhalt in wenigen Worten) • Metakommunikation (Austausch wird strukturiert oder themati‐ siert) Sprache 10 Sprache, in der ein Re‐ debeitrag bzw. der Teil eines Redebeitrags for‐ muliert wird • Japanisch • Englisch Pausen Pausen im Redefluss • Pausen unter 2 Sekunden • 2-3 Sekunden • 4-6 Sekunden • 6-10 Sekunden • mehr als 10 Sekunden Tab. 4.9: Kategoriensystem für die Kodierung der einzelnen Redebeiträge Auch an dieser Stelle möchte ich an einem Auszug aus der Interaktion veran‐ schaulichen, wie sich die Kodierung der Daten unter funktionalen Gesichts‐ punkten konkret gestaltete. Zum Teil erschließt sich die Entscheidung für einen der Codes jedoch erst aus dem größeren Kontext, im folgenden Beispiel vor allem der Redebeitrag in Zeile 5. Der Student sa07 hat zuvor mit sa12 in einer Gruppe gearbeitet. Mit seinem Redebeitrag präzisiert er daher die an das Plenum gerichtete Frage „Alles klar? “ von sa12 in Zeile 4. Es ist also ein Versuch, die Interaktion nicht abbrechen zu lassen und damit ein Beispiel für die „Schmier‐ stoff “-Funktion von Redebeiträgen. 157 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="158"?> IBS22 (U4/ Plenum II) Kategorie 1 l … frau h [sa12] möchten sie beginnen? Initiieren 2 sa12 ja ja/ nein/ klar etc. 3 l ja bitte hören die anderen (.) bitte hören sie zu (3) Initiieren 4 sa12 das bip zeigt nicht unterschied zwischen richten menschen und armen menschen (.) alles klar? (2) Information Verständnis prüfen 5 sa07 was warum verstehen sie nicht? (.) bitte erklären sie über bip Verständnis prüfen Initiieren 6 sa01 bip ist nur Information 7 sa07 durchschnitt durchschnitt Information Hinweis 8 sa01 durchschnittstendenz? also und man kann nicht sehen obereh (3) Information 9 sa07 ja ich denke auch so kurzer Kommentar 10 sa04 wir haben die ähnliche idee kurzer Kommentar 11 l also die gruppe hat die gleiche idee Meta-Kommunika‐ tion 12 sa08 weil das bip sehr absolut und konkret ist es gibt keine raum für diskussion oder? Detail 13 sa02 konkret? Bitte um Wiederho‐ lung 14 sa08 kein raum für diskussion Detail 15 sa07 warum? offene Frage 16 sa06 warum? Vergewisserung 17 sa04 so like alle person hat like ähnlich idee über das glück und das (? ) des landes Englisch Information 18 sa08 so also zum beispiel ah emis [sa04] daten gibt es zwei meinung über das aber aber über bip kann es gibt es keine Detail 19 sa04 nur eine direkte Korrektur 158 Michael Schart <?page no="159"?> 20 sa08 nur ein meinung über das Detail 21 sa07 aber bitte denken sie über beispiel über beispiel von china (.) china ist zweit zweite steht in der list von bip aber es gibtes gibt viel unterschied zwischen reiche und armen menschen und viel‐ leicht ich denke nicht dass alle leute in china kann fühlen sich glücklicher als zum beispiel japan oder deutschland (.) was denken sie? Kritik Initiieren Tab. 4.10: Auszug aus IBS22, Lerngruppe LGa, U4/ Plenum II, 7. Jan. 2013; 27. Unter‐ richtswoche 4.3.5 Dimensionen von Lern-Engagement Mit dem Ziel, eine systematische, nachvollziehbare Beschreibung unterschied‐ licher Muster von Interaktion im fach- und sprachintegrierten Unterricht zu erreichen, wurden in den bisherigen Analyseschritten die Daten in unterschied‐ liche Einheiten aufgegliedert. Anhand inhaltlicher Kriterien habe ich zunächst verschiedene Interaktionssequenzen voneinander abgegrenzt (Kap. 4.3.1). Auf diesem Wege konnte ich aus dem gesamten Datenmaterial 51 Inhaltsbezogene Sequenzen (IBS) isolieren und damit den zentralen Untersuchungsgegenstand dieser Teilstudie eingrenzen. In den folgenden beiden Schritten betrachtete ich die IBS vor der Folie päd‐ agogischer Kriterien. Dabei zeigte sich zunächst, dass alle Sequenzen - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung - die Merkmale dialogischer Lernpro‐ zesse aufweisen (Kap. 4.3.2). Um zu einer genaueren Charakterisierung der IBS zu kommen, wurde mit den drei Modi dialogischen Lernens ein weiteres, auf pädagogischen Überlegungen beruhendes Analyseinstrument eingeführt (Kap. 4.3.3). Dabei zeigten sich zwar Tendenzen der Zuordnung von einzelnen IBS zu den verschiedenen Modi, aber es wurde auch deutlich, dass für deren detaillierte Beschreibung die Mikro-Ebene der Interaktion, also die konkreten Äußerungen von Lernenden und Lehrkraft, einbezogen werden müssen. Und so folgte schließlich der Analyseschritt in Kap. 4.3.4, bei dem ich die Redebeiträge nach ihrer Funktion im Unterrichtsdiskurs kodierte. Diese schrittweise Zergliederung des Datenmaterials birgt die Gefahr, dass sich die Präsentation der Ergebnisse in den Einzelheiten verliert, zugleich immer weiter von der Unterrichtspraxis entfernt und damit genau jenen, für Lehrende unnahbaren Charakter annimmt, den ich weiter oben im Zusammenhang mit 159 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="160"?> der Aufgabenforschung kritisierte (Kap. 2.5.1/ Kap. 4.2.3). Am Ende des Analy‐ seprozesses stand für mich daher die Frage, wie ich die aus forschungsmetho‐ discher Sicht notwendige Atomisierung der Daten mit Hilfe einer übergrei‐ fenden Systematik wieder einfangen könnte. Und auf ein solches Ordnungsprinzip stieß ich in den Forschungen zum Lern-Engagement. Dieser, in der englischsprachigen Literatur als Personal Investment Approach (Ellis 2018: 145) firmierende Ansatz gehört zu den jüngeren Entwicklungen innerhalb der Fremdsprachenforschung. Insbesondere die Arbeiten von Kong/ Hoare (2011), Philp/ Duchesne (2016) sowie Lambert/ Philp/ Nakamura (2017) spielen daher eine Vorreiterrolle. Unter Engagement versteht man gemeinhin das wahrnehmbare Interesse und die Aktivität von Lernenden. Der Begriff der aktiven Beteiligung ist jedoch nicht klar umrissen (Ellis/ Shintani 2014: 197) und kann sich auf sehr unterschiedliche Aspekte beziehen. Svalberg (2009) bietet mit ihrer Definition daher eine erste differenzierte Annäherung an diesen Gegenstand, indem sie Lern-Engagement als ein multidimensionales Konstrukt beschreibt, das kognitive Zustände und Prozesse ebenso umfasst wie affektive und soziale: In the context of language learning and use, engagement with language (Engagement) is a cognitive, and/ or affective, and/ or social state and a process in which the learner is the agent and the language is the object (and sometimes vehicle). (Svalberg 2009: 247) Forschungen zur unterrichtlichen Interaktion zeichnen sich häufig durch einen relativ engen Fokus auf das Geschehen aus. Sie nehmen beispielsweise nur be‐ stimmte Aushandlungsprozesse in den Blick oder konzentrieren sich auf die Analyse von einzelnen Aspekten der Lernersprache (siehe Kap. 4.2.3). Vor diesem Hintergrund betrachtet, liegt der Verdienst des Lern-Engagement-An‐ satzes vor allem darin, das Sichtfeld zu weiten. Die Interaktion im Unterricht wird eher so betrachtet, wie auch Lehrende es aus ihrer beruflichen Praxis kennen: als ein komplexer Prozess, für dessen Qualität es beispielsweise uner‐ heblich sein kann, ob die Lernenden korrekt und flüssig agieren oder mitein‐ ander sprachliche Probleme aushandeln (vgl. Philp/ Duchesne 2016: 50f; Ellis 2018: 145f). Die Involviertheit der Lernenden wird in diesem Forschungsansatz daher nicht auf einen Aspekt beschränkt, sondern im Sinne der angestrebten umfassenden Perspektive als ein multidimensionaler Gegenstand verstanden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines mehrschrittigen Vorgehens, denn um kognitives, affektives oder soziales Engagement dokumentieren und analy‐ sieren zu können, müssen jeweils andere Wege beschritten werden. In ihren Arbeiten stellen Kong/ Hoare (2011), Philp/ Duchesne (2016) und Lambert/ Philp/ 160 Michael Schart <?page no="161"?> Nakamura (2017) dazu systematische Überlegungen an. Inspirierend für die vorliegende Studie ist ihr Forschungsansatz vor allem deshalb, weil er nicht nur auf konzeptioneller Ebene die verschiedenen Dimensionen von Lern-Engage‐ ment voneinander abgrenzt. Es werden zugleich auch Ansatzpunkte aufgezeigt, wie sich die einzelnen Dimensionen erfassen lassen. Um das kognitive Engagement in einer Lerngruppe zu beschreiben, wird bei‐ spielsweise vorgeschlagen, die Interaktion im Hinblick auf Fragen und Impulse von Seiten der Lernenden zu betrachten oder zu untersuchen, wie die Lernenden aufeinander eingehen oder sich gegenseitig unterstützen. Emotionales Engage‐ ment hingegen zeigt sich im wahrnehmbaren oder geäußerten Interesse der Lernenden, ihrem Enthusiasmus oder dem Gefühl der Verbundenheit mit den anderen Mitgliedern der Lerngruppe. Negative Indikatoren wären in diesem Fall Langeweile und Frustration. Abb. 4.4: Adaption der Dimensionen von Lern-Engagement Für meine Analyse knüpfe ich an die grundlegende Idee des Lern-Engage‐ ment-Ansatzes an. Ich bin jedoch - wie auch Philp/ Duchesne (2017: 67) selbst betonen - der Meinung, dass die einzelnen Dimensionen von Engagement und ihre Indikatoren kontextsensitiv bestimmt werden müssen. Angesichts der Viel‐ falt möglicher Konstellationen im Fremdsprachenunterricht kommen For‐ schende also nicht umhin, eine eigene Systematik für die Analyse zu entwickeln. So verzichte ich beispielsweise auf die Kategorie behavioral engagement. Deren Indikatoren fließen hier in das kognitive Engagement ein. 161 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="162"?> Abb. 4.4 stellt dar, zu welcher Konzeption von studentischem Engagement ich in der vorliegenden Studie gelangte. Lern-Engagement wird im Folgenden als ein Zusammenspiel von vier Dimensionen betrachtet. Diese Perspektive er‐ möglicht es, die im Verlauf des Kapitels 4.3 bislang beschriebenen Analyse‐ schritte zusammenzuführen, um letztlich zu einer nachvollziehbaren Charak‐ terisierung dialogischer Lernprozesse im fach- und sprachintegrierten Unterricht zu kommen. Mit der folgenden Tabelle möchte ich einen Überblick über die einzelnen Dimensionen und ihre Operationalisierung geben. Dimension Definition Indikatoren Inhaltliches kognitives Engagement macht sich daran be‐ merkbar, wie aktiv sich die Lernenden am inhaltlichen Aus‐ tausch beteiligen • Länge der Sequenzen • Pausen • Redeanteile von Lehrkraft und Studierenden • Anteil des inhaltlichen Aus‐ tauschs an den IBS (Kap.4.3.1) • Anzahl und Art der Redebei‐ träge in den Kategorien „Im‐ pulse“ und „Inhalte“ (Kap. 4.3.4) Sprachliches ko‐ gnitives Engagement wird daran deutlich, wie sich Lernende in die Aushandlungs‐ prozesse bei sprach‐ lichen Problemen einbringen • Anteil der Sprachbezogenen Sequenzen an den IBS (Kap.4.3.1) • Anzahl und Umfang der Rede‐ beiträge in der Kategorie „Hürden“ (Kap. 4.3.4) Soziales Engagement äußert sich darin, wie aktiv sich die Lernenden an der Aufrechterhaltung der Interaktion be‐ teiligen und einen gleichberechtigen Dialog anstreben • Anteil der Gruppenbezogenen Sequenzen an den IBS (Kap.4.3.1) • Anzahl und Umfang der Rede‐ beiträge in der Kategorie „Schmierstoff “ (Kap. 4.3.4) Motivationales Engagement zeigt sich am Inter‐ esse der Lernenden am Austausch zu einer Aufgabe und ihrer Bereitwilligkeit zur Mitarbeit • Anteil und Funktion mutter‐ sprachlicher Redebeiträge • Anzahl und Umfang der Rede‐ beiträge der einzelnen Ler‐ nenden • Sicht der Lernenden (Kap. 3) Tab. 4.11: Dimensionen von Lern-Engagement - Definition und Operationalisierung 162 Michael Schart <?page no="163"?> Diese Übersicht soll verdeutlichen, wie in diesem Analyseschritt die unterschied‐ lichen Zugriffe auf die Daten anhand der Systematik zum Lern-Engagement zu‐ sammengeführt wurden. Dabei kommen mehrere problematische Punkte der Vorgehensweise zum Vorschein. So fällt auf, dass die Indikatoren für die ein‐ zelnen Dimensionen zum überwiegenden Teil quantitativer Natur sind. Es stellt sich somit die Frage, inwieweit die grundlegende Idee der Soziokulturellen Dis‐ kursanalyse, qualitative und quantitative Verfahren zu verknüpfen (siehe Kap. 4.2.2), tatsächlich verwirklicht wurde. Diesem möglichen Einwand ist entgegen‐ zuhalten, dass viele der Indikatoren selbst erst auf der Grundlage einer qualita‐ tiven Analyse der Interaktionsdaten zustande kommen, wie ich in den Kap. 4.3.1 bis 4.3.4 darstellte. Darüber hinaus zielt die Untersuchung auf die Charakterisie‐ rung dialogischer Lernprozesse. Der Rückgriff auf die quantitativen Werte stellt also nur einen weiteren Zwischenschritt der Analyse dar, die letztlich in einer qualitativen Beschreibung der Modi dialogischen Lernens mündet. Schwerer wiegen andere Bedenken, die ein genauer Blick auf Tab. 4.11 hervor‐ ruft. Ich meine damit vor allem die Problematik der Abgrenzung der vier Dimen‐ sionen. An diesem Punkt schlägt sich die Eigenart interaktiver Prozesse im Unter‐ richt einmal mehr in forschungsmethodischen Kompromissen nieder. Wenn sich etwa Lernende aktiv in die gemeinsame Bewältigung sprachlicher Probleme ein‐ bringen und damit andere bei der Formulierung von Redebeiträgen unterstützen, so lassen sich daraus natürlich nicht allein Rückschlüsse auf kognitives Engage‐ ment ziehen. Man kann zugleich davon ausgehen, dass die betreffenden Lernenden sich für die Belange der gesamten Gruppe einsetzen (soziales Engagement) und auch ein gewisses Interesse an den verhandelten Gegenständen haben (motivationales Engagement). Auch Philp/ Duchense (2017: 60) erkennen diese Interdependenz und schlüsseln jede der Dimensionen derart auf, dass sie alle anderen als Unterkatego‐ rien enthält. Das verschiebt allerdings die Schwierigkeit der Abgrenzung nur auf eine andere Ebene, räumt sie jedoch nicht aus dem Weg. Ein weiteres Problem ergibt sich durch die Beschränkung dieser Teilstudie auf die mündlichen Interaktionsdaten aus dem Unterricht. Es liegt auf der Hand, dass sich über weitere Datenformate nicht nur mehr, sondern teilweise auch angemessenere Indikatoren für die verschiedenen Dimensionen von Engage‐ ment ergeben hätten. Um beispielsweise Aussagen über das motivationale En‐ gagement treffen zu können, sind Daten zur subjektiven Wahrnehmung der Lernenden unabdingbar. Durch die multiperspektivische Anlage der Gesamt‐ studie können daher einige Schwächen meines Vorgehens ausgeglichen werden. So widmete sich Kap. 3 ausführlich der Frage, wie die Lernenden den Zusam‐ menhang zwischen der unterrichtlichen Interaktion bzw. den Inhalten und Auf‐ gaben und ihrer Motivation beschreiben. 163 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="164"?> Dennoch bleiben Lücken, die sich aufgrund der Gesamtkonzeption dieser Studie nicht schließen lassen. So habe ich bereits begründet, weshalb ich wäh‐ rend der Datenerhebungsphase auf Videoaufnahmen des Unterrichts verzich‐ tete (Kap. 4.2.4). Eine Entscheidung, deren Konsequenzen an dieser Stelle nun deutlich hervortreten. Wie Lehrende aus alltäglicher Anschauung wissen, be‐ schränkt sich die Aktivität der Lernenden nicht auf mündliche Redebeiträge. Für die Interaktionsprozesse sind nonverbale Vorgänge wie Blickkontakte, Mimik oder Gesten nicht weniger bedeutsam. Deren Relevanz wird insbesondere in den Studien, die sich mit dem Konzept der Partizipationsbereitschaft (Willingness to Communicate/ Participate, siehe auch Kap. 2.7.2) befassen, immer wieder über‐ zeugend dargelegt (Evnitskaya/ Berger 2017; Sert 2015). Dass multimodale Daten, wie sie durch Videoaufnahmen möglich werden, weitere wichtige Er‐ kenntnisse zu allen vier Dimensionen von Engagement erbracht hätten, ist somit unbestritten (vgl. auch die Studien von Feick 2016 und Schwab 2009 oder die Beiträge in Schwab/ Schramm 2016). 4.3.6 Überblick zum Analyseprozess Die bis hierhin geschilderten Analyseschritte fügen sich zu einem komplexen Ablauf, den ich abschließend in einer Übersicht zusammenfassen möchte. Abb. 4.5 stellt die unterschiedlichen Ebenen der Analyse dar und zeigt zugleich die Reihenfolge, in der sie einbezogen wurden. Bereits während der Transkription der audiographierten Unterrichtsein‐ heiten (1) erfolgte die Unterteilung in einzelne Redebeiträge (2). Im nächsten Schritt richtete sich die Aufmerksamkeit von den Personen auf den jeweiligen Gegenstand der unterrichtlichen Interaktion. Inhaltlich verbundene Phasen wurden zu Interaktionssequenzen verknüpft (3). So konnten aus den 8 Unter‐ richtseinheiten 51 Inhaltsbezogene Sequenzen (IBS) als Basiseinheiten der wei‐ teren Analyse isoliert werden. Obwohl alle diese IBS Merkmale dialogischen Lernens aufweisen, ließ eine erste Gegenüberstellung auch deutliche Unter‐ schiede hinsichtlich der Qualität der in ihnen ablaufenden Interaktionsprozesse erkennen. Um diese Differenzen systematisch erfassen zu können, wurde die Analyse auf die Ebene der Redebeiträge zurückgeführt (4). Deren spezifische Funktionen im Interaktionsprozess einbeziehend, konnten die unterschiedli‐ chen Modi dialogischen Lernens anhand typischer Muster beschrieben werden. Dass mit den Aufgabentypen schließlich noch eine weitere Ebene in die Ana‐ lyse eingeschoben wurde (5), ergab sich als unmittelbare Konsequenz aus den ersten Ergebnissen. Ich werde daher auf diesen Schritt im nächsten Abschnitt zurückkommen. Zuvor möchte ich jedoch noch das letzte Element aus Abb. 4.5 erwähnen: Die Dimensionen des studentischen Lern-Engagements (6) dienen in 164 Michael Schart <?page no="165"?> Abb. 4.5: Überblick zum Analyseprozess dieser Studie als ein Rahmen, um der folgenden Darstellung der Ergebnisse eine übersichtliche Struktur zu verleihen. 4.4 Ergebnisse 4.4.1 Profile Inhaltsbezogener Sequenzen Die in Kap. 4.3 nachgezeichneten Annäherungen an die Daten führten zu einem Nebeneinander mehrerer, sich ergänzender Analyseraster. Auf dieser Grundlage konnten für die 51 Inhaltsbezogenen Sequenzen zunächst individuelle Profile erstellt werden, die einen ersten Eindruck vom Verlauf der Interaktion in den jeweiligen Abschnitten des Unterrichts vermitteln. Abb. 4.6 stellt beispielhaft ein solches Profil dar. Es besteht aus drei Grafiken, mit denen Informationen aus verschiedenen Analyseschritten zusammengeführt werden. Grafik 1 gibt die Verteilung der sprachlichen Aktivitäten in der betreffenden Sequenz auf die Beteiligten wieder. Das Diagramm enthält sowohl die Anzahl der Redebeiträge als auch deren Umfang in transkribierten Zeichen. Am Beispiel der Inhaltsbezogenen Sequenz IBS37 lässt sich anhand von Grafik 1 somit er‐ kennen, dass die Verteilung der Redebeiträge während dieser, etwa 17-minü‐ tigen Unterrichtsphase ein deutliches Ungleichgewicht aufweist. Neben der 165 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="166"?> Lehrkraft nehmen vor allem vier Studierende aktiv am Austausch teil, wobei der Lerner sb04 in dieser Situation vor allem deshalb die meisten Redebeiträge er‐ reicht, weil er die Leitung einer Diskussion übernommen hat. Der erste Ein‐ druck, den diese Grafik von IBS37 erweckt, ist zwiespältig: Einerseits agieren die Studierenden weitgehend selbstständig, was auf einen dialogischen Cha‐ rakter hinweist. Andererseits dominieren dabei nur wenige Lernende. Grafik 2 fügt dieser Einschätzung die Information hinzu, dass sich die Stu‐ dierenden bei ihrem Austausch tatsächlich weitgehend auf das Thema der Se‐ quenz fokussieren. In diesem Fall geht es darum, gemeinsam ein Modell zur Darstellung des Pfändungsprozesses zu erstellen. Unterbrochen wird die in‐ haltsbezogene Interaktion nur durch wenige Seitensequenzen, in denen vor allem lexikalische Probleme geklärt werden. Zu welchem Modus dialogischen Lernens IBS37 tendiert, lässt sich jedoch erst dann beantworten, wenn man auch Grafik 3 und die dazugehörigen Interaktionsdaten in die Analyse einbezieht. Abb. 4.6: Profil der Inhaltsbezogenen Sequenz IBS37 Grafik 3 ermöglicht eine Übersicht über die interaktionalen Funktionen, mit denen die Redebeiträge in IBS37 kodiert wurden. Diese Form der Darstellung einer Inhaltsbezogenen Sequenz als „Codeline“ ist eines der hilfreichen visuellen 166 Michael Schart <?page no="167"?> 11 Auf die Darstellung der Kategorien „Pausen“ und „Sprache“ wurde an dieser Stelle ver‐ zichtet, weil sie für die Beschreibung von IBS37 vorerst nicht relevant sind. 12 siehe das komplette Transkript auf www.forschung.id-keio.org/ clil Instrumente der Software MAXQDA. Um die Anschaulichkeit zu verbessern, wurden die Hauptkategorien markiert 11 . Die Kategorie „Impulse“ ist in diesem Beispiel gekennzeichnet durch eine vergleichsweise hohe Anzahl offener und geschlossener Fragen. Bei der Kate‐ gorie „Inhalte“ fällt auf, dass sich der Austausch nicht aus einer Aneinanderrei‐ hung verschiedener Ideen oder Meinungen zusammensetzt, sondern Redebei‐ träge dominieren, die zuvor Gesagtem Details hinzufügen oder Kritik anbringen: ein wichtiges Anzeichen für den explorativen Charakter dieser Phase. Für diese Einschätzung spricht auch die Struktur der beiden Kategorien „Schmierstoff “ und „Hürden“, denn die vergleichsweise hohe Anzahl der Kodierungen relati‐ viert das Bild, das durch Grafik 1 entsteht. Unzweifelhaft spielen die vier Stu‐ dierenden sb03, sb04, sb13 und sb14 für das Geschehen eine maßgebliche Rolle. Blickt man aber auf die Daten hinter den Kodierungen, so zeigt sich, dass die eher seltenen und zuweilen sehr kurzen Beiträge von sb02, sb05, sb07 und sb11 keineswegs belanglos sind. Ich möchte das an einem Auszug aus IBS37 verdeut‐ lichen. Die Studierenden beschäftigen sich anhand von Abb. 4.7 mit dem Ablauf des Pfändungsprozesses. Die genaue Lektüre des Transkripts in Tab. 4.12 bestätigt zunächst die weiter oben getroffene Bewertung dieser Sequenz als ein Beispiel für exploratives Lernen. Vor allem im zweiten Teil des Auszugs finden sich Hinweise darauf, wie sich die Lernenden durch Abwägen unterschiedlicher Ideen neue Sichtweisen erschließen. Die beiden von sb03 (ab Zeile 63) eingebrachten Vorschläge werden im weiteren, hier nicht dargestellten Verlauf dieser Sequenz eingehend disku‐ tiert 12 . Der Auszug führt jedoch vor allem vor Augen, weshalb aus der Verteilung der Redebeiträge keine voreiligen Rückschlüsse über die Qualität der betref‐ fenden Unterrichtssequenz gezogen werden sollten. So geht eine hohe Frequenz an Beteiligung nicht zwingend mit inhaltlichem Tiefgang der Äußerungen einher. Die Redebeiträge von sb14 liefern dafür - nicht nur in dieser Episode - gutes Anschauungsmaterial, denn eigentlich ist der Student von der Aufgabe überfordert. Er steuert kaum inhaltliche Impulse bei, ist für die Interaktion ins‐ gesamt aber dennoch wichtig. So trägt er entscheidend dazu bei, dass der Aus‐ tausch nicht zum Erliegen kommt. Er animiert andere sich zu beteiligen (Zeile 41) und übernimmt, indem er sein Nichtverstehen signalisiert und erneutes Er‐ klären einfordert, die Verantwortung für all jene Studierenden, die wie er selbst der Argumentation nicht mehr folgen können (Zeile 79). Und das geschieht 167 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="168"?> durchaus auf humorvolle Weise (Zeile 56), was wiederum zu einem positiven Klassenklima beiträgt (siehe dazu auch Kap. 5). Abb. 4.7: Auszug aus dem Unterrichtsmaterial zum Thema Pfänden Auf der anderen Seite darf eine geringe Beteiligung aber ebenso nicht vorschnell mit Desinteresse und Lustlosigkeit gleichgesetzt werden. Sehr häufig liegt sie, wie im vorliegenden Fall auch, in der Struktur des Unterrichts begründet. Bevor die Studierenden gemeinsam im Plenum den Pfändungsprozess konstruieren, haben sie sich über dieses Thema bereits in kleineren Gruppen Gedanken ge‐ macht (IBS34-36). Im Plenum werden dann diese Vorüberlegungen zusammen‐ getragen. Das schlägt sich unmittelbar in der Verteilung der Redebeiträge nieder. So gibt Lerner sb03 ab Zeile 60 das Ergebnis des kollektiven Denkprozesses in der vorangegangenen IBS35 wieder. Diese Gruppenphase jedoch ist durch eine sehr ausgeglichene Verteilung der Redebeiträge von sb03, sb05 und sb11 ge‐ kennzeichnet. Auch die Studierenden sb05, sb08 und sb12, die im Plenum kaum in Erscheinung treten, haben zuvor entscheidend zum Austausch in der Gruppe beigetragen (IBS 34 und 36). Darüber hinaus wird an dem Transkript in Tab. 4.12 deutlich, dass sich hinter sehr kurzen Äußerungen zuweilen wichtige Redebeiträge verbergen. Ein Bei‐ spiel dafür sind die Präzisierungen von sb05 (Zeile 80) und sb11 (Zeile 81, 83) oder 168 Michael Schart <?page no="169"?> auch der Einwurf von sb07 in Zeile 47, an dem sich ablesen lässt, wie die Studie‐ renden gemeinsam an einer interaktionsförderlichen Atmosphäre arbeiten. IBS37 (U7/ Plenum IV) 40 sb04 w [sb13] was was was passiert am ende? 41 sb14 ich denke k [sb02] weiß [lacht] 42 sb04 person B bekommt recht und was passiert? [fragt sb02] (4) 43 sb02 entschuldigung (.) ich weiß nicht 44 sb04 nein nein (.) du du wissen 45 ss [lachen] 46 l du weißt es 47 sb07 muss [Hinweis darauf, dass sb02 Jura studiert] 48 ss [lachen] 49 sb04 ja du muss (.) du musst 50 sb02 noch einmal bitte 51 sb04 wasalso person B verklagt A und person B rerecht 52 ss mhm 53 sb04 und nach person B ja bekommt recht was passiert zu person B? (2) oder und person A? 54 sb13 eh? noch noch einmal bitte 55 sb4 was passiert? 56 sb14 noch zweimal bitte 57 ss [ss lachen] 58 sb13 zweimal 59 sb04 法律学科 (alle Jura-Leute) (3) 60 l sie haben zwei ideen oder [zu Gruppe 1] 61 sb03 ja (3) 62 sb12 mhm 63 sb03 wir denken 64 sb04 ja 169 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="170"?> 65 sb03 wir haben zwei idee 66 sb04 zwei? 67 sb03 ah (2) eins ist gericht eh gericht geben recht geben person B (2) recht zu pfänden etwas von person A 68 sb04 [notiert an der Tafel, spricht dabei leise] zu pfänden pfänden 69 sb03 gericht geben person B das recht 70 sb04 noch einmal bitte 71 sb03 gericht pergericht geben person B recht 72 sb04 ja 73 sb03 zu pfänden 74 sb04 zu pfänden 75 sb03 dinge von person A 76 sb04 ja ja ja 77 sb03 alles klar? 78 sb04 aber was 79 sb14 mir ist nicht klar über pfänden 80 sb05 recht zu pfänden [sb04 ergänzt das Tafelbild] 81 sb11 recht zu pfänden 82 sb04 [spricht leise während er schreibt] recht zu pfänden 83 sb11 ja ja 84 sb03 ah ja entschuldigung geben ja 85 sb11 ja 86 sb04 eh? und was ist zweite? 87 sb03 eh gericht (2) ah person B verklagtist das verklagt? 88 sb04 ja verklagt verlagen verklagt 89 sb03 person B verklagt person A und gericht pfänden dinge von person A 90 sb04 ah Tab. 4.12: Auszug aus IBS37, Lerngruppe LGb, U7/ Plenum IV, 14. Nov. 2015; 20. Unter‐ richtswoche 170 Michael Schart <?page no="171"?> Die Besonderheiten von kumulativen und explorativen Interaktionsprozessen wurden in Kap. 4.3.3 in groben Zügen beschrieben. Und anhand von relativ kurzen Episoden aus dem Unterrichtsgespräch lässt sich eine Abgrenzung dieser beiden Modi dialogischen Lernens auch plausibel nachvollziehen. Möchte man sie jedoch im Hinblick auf komplexere Unterrichtsphasen treffen, so wie ich es mit den Inhaltsbezogenen Sequenzen in dieser Studie anstrebe, gestaltet sich diese Aufgabe weitaus komplizierter. Am Beispiel von IBS37 habe ich daher in diesem Abschnitt den Prozess der Charakterisierung einzelner Sequenzen durch die Verknüpfung von qualitativen und quantitativen Daten etwas ausführlicher beschrieben. Bei der Analyse der Profile aller 51 Inhaltsbezogenen Sequenzen auf der Grundlage dieser mehr‐ schrittigen Vorgehensweise kristallisierten sich mehrere Muster heraus, auf die ich nun im Einzelnen eingehen werde. Zunächst muss ich dabei auf eine wich‐ tige Erkenntnis des Analyseprozesses zu sprechen kommen: die Existenz eines weiteren, bislang nicht thematisierten Modus der Interaktion im Datenmaterial. 4.4.2 Lehrerdominierter Modus Gerade für mich als verantwortlichen Lehrer in den untersuchten Unterrichts‐ einheiten gehört es zu den wichtigen Ergebnissen der Analyse, dass sich kei‐ neswegs alle Inhaltsbezogenen Sequenzen den beiden Modi „explorativer Dialog“ und „kumulativer Dialog“ zuordnen lassen. Wie ich in Abb. 4.8 an einem Beispiel aufzeigen möchte, sperrte sich ein Teil der IBS gegen eine solche binäre Unterteilung. Grafik I und Grafik II stellen typische Verteilungsmuster der Redebeiträge im kumulativen und explorativen Modus dar. Sie unterscheiden sich im Hinblick auf die individuelle Beteiligung sowie das Verhältnis zwischen den Beiträgen von Lehrperson und Lernenden nur graduell voneinander und lassen sich an‐ hand allein dieses Kriteriums oft nicht differenzieren. Aber eine dritte Gruppe von Inhaltsbezogenen Sequenzen passt ganz offensichtlich nicht in dieses Muster, denn in ihnen dominiert - wie in Grafik III deutlich zu sehen ist - die Lehrperson die Interaktion und die Lernenden tragen kaum mit längeren Bei‐ trägen zum Unterrichtsgespräch bei. Neben dem kumulativen und dem explo‐ rativen Modus ergab sich im Verlauf der detaillierten Analyse daher noch ein dritter Modus, den ich als „lehrerdominiert“ bezeichne. 171 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="172"?> Abb. 4.8: Unterschiede bei den IBS anhand der Verteilung der Redebeiträge 172 Michael Schart <?page no="173"?> Abb. 4.9: Übersicht des Kodierungsverlaufs (Codeline) bei IBS04 173 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="174"?> Diese Etablierung eines weiteren Interaktionsmodus lässt sich durch die funk‐ tionale Analyse der Redebeiträge untermauern (Abb. 4.9). Die lehrerdominierten Phasen sind bei der Kategorie „Impulse“ gekennzeichnet durch zumeist didak‐ tische Fragen der Lehrkraft oder ihre Versuche, Beiträge von den Lernenden zu initiieren. Von den Lernenden hingegen gehen kaum Impulse aus. Die Kategorie „Inhalte“ zeichnet sich in diesem Modus vor allem dadurch aus, dass es zu einem Zusammenspiel von nur selten miteinander verknüpften Informationen bzw. Meinungsäußerungen der Lernenden einerseits und Erklärungen der Lehr‐ person andererseits kommt. Redebeiträge, die als kritische Einwürfe gewertet werden können, sind zumeist in wenige Worte gefasst. Eher kurze Kommentare und Reaktionen der Studierenden prägen auch die Kategorie „Schmierstoff “. Außerdem finden sich in dieser Kategorie vergleichsweise viele Rückfragen der Lernenden, mit denen sie ihr Verständnis prüfen. Auch bei der Kategorie „Hürden“ fällt auf, dass Fragen der Studierenden zum Inhalt einen großen Anteil der Kodierungen ausmachen. Ich möchte einen Einblick in die Interaktionsprozesse geben, die der Codeline in Abb. 4.9 zugrunde liegen. Die Episode erwächst aus einer Gruppenpräsenta‐ tion, bei der es zunächst um den Anteil unehelich geborener Kinder geht (IBS03, siehe Tab. 4.7). Am Ende dieser Sequenz lenkt die Lehrkraft die Aufmerksamkeit gezielt auf eine weitere Information, die der Gruppe vorliegt: die ungleiche Ver‐ teilung von Männern und Frauen in den verschiedenen Regionen der Bundes‐ republik. Es ist ein gutes Beispiel für eine kognitive Diskrepanz, an der Aus‐ handlungsprozesse ihren Ausgang nehmen können. Das gelingt jedoch hier, wie in anderen lehrerdominierten Sequenzen auch, nur unbefriedigend. IBS04 (U1/ Plenum I) 224 l was denken sie (.) warum gibt es so wenig frauen in dieser re‐ gion? 225 sa04 nicht sicher? 226 sa07 ich denke dass wirtschaft wirkt auf die themdie dateeh? 227 l die situation die wirtschaft wirkt auf die situation (.) wie? 228 sa06 in ostdeutschland? 229 l wie wirkt die wirtschaftliche situation auf die anzahl der frauen? 230 ss mhm 174 Michael Schart <?page no="175"?> 231 sa06 nicht so gut 232 l ja warum? 233 ss [lachen] 234 sa06 sozialismus? (7) 235 sa04 das frage ist so warum es gibt wenig frauen im norden 236 sa06 warum die wirtschaft ist nicht so gut 237 l ね (genau) moment die frage waralso herr w. [sa07] sagt diese wenigen frauen stehen im zusammenhang mit der wirtschaft (.) also die wirtschaft hat einen effekt auf anzahl der frauen (.) aber warum? 238 ss warum? mhm? (4) 239 sa05 ah ostdeutsch? 240 sa03 westen (2) westen deutschland hat viele großstadt und die großstadt hat viel arbeitenplatz so (2) so (4) 241 l ja (3) in den großstädten 242 sa06 ich habe eine idee 243 l ja einen moment sind sie fertig frau a. [sa03]? (2) also im westen gibt es mehr großstädte 244 sa07 und es gibt groß wohlfare wohlfahrt 何だっけ (Wie sagt man? ) auf englisch wellfare 245 ss あそう (ach ja) 246 l wohlfahrt aber das system der wohlfahrt ist gleich in ganz deutschland 247 ss ah eh (4) 248 sa05 was ist mit (sozialismus? ) 249 l also ich finde die idee gut nur wir haben noch keine antwort (.) warum gehen die frauen? (2) warum gehen nicht die männer? 250 ss mhm (3) 251 l die frauen gehen nach westdeutschland 252 sa05 weil ostdeutschland war sozialmus 175 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="176"?> 253 l sozialistisch 254 sa05 sozialistische stastaat oder? state 255 l ja 256 sa05 also das ist warum (2) der wirtschaft ist nicht so gut 257 l aber warum gehen die frauen? 258 sa01 männer auch oder? (5) 259 l was sagt ihre statistik? (2) wie ist das verhältnis von männern und frauen? 260 ss [sprechen leise auf Japanisch in der Gruppe] (20) 261 sa06 bitte bitte [zur verantwortlichen Gruppe für diese Grafik] 262 sa07 bitte 263 l hier haben sie die zahl oder? [zeigt der Gruppe die Zahlenan‐ gaben auf der Grafik] 264 sa03 ja 265 l also? (2) etwa? (3) 266 sa11 zweiundsiebzig (2) 267 sa01 frauen? 268 l zweiundsiebzig frauen auf einhundert männer 269 sa11 ja 270 sa01 eh? Tab. 4.13: Auszug aus IBS04, Lerngruppe LGa, U1/ Plenum I, 11. Dez. 2012; 25. Unter‐ richtswoche Diese Episode demonstriert zunächst, dass es sich auch bei den lehrerdomi‐ nierten Sequenzen keineswegs um monologische Unterrichtsphasen handelt, in denen die Lernenden in Passivität verharren (vgl. Kap. 4.3.2). Es zeigen sich zumindest vielfältige Versuche, sich in den Austausch einzubringen, ob nun mit kurzen Kommentaren (z. B. Zeile 230, 238 und 247), Lachen (Zeile 233) oder halbfertigen Gedanken (Zeile 225, 234). Ebenso offensichtlich ist jedoch auch die Dominanz der Lehrperson. Sie eröffnet die Sequenz, indem sie eine Frage 176 Michael Schart <?page no="177"?> aufwirft. Und das ist durchaus kennzeichnend für diesen Modus: Er entspinnt sich gerade nicht an Problemen, die von den Lernenden selbst eingebracht werden. Es ist das Interesse des Lehrers, von dem diese Phasen vorrangig geleitet sind, und das schlägt sich offensichtlich in den interaktiven Abläufen nieder. Aufschlussreich ist es zu beobachten, wie die Studierenden unmittelbar den didaktischen Charakter der Lehrerfrage erkennen und in ein Antwortverhalten fallen, das in zahlreichen Studien zur unterrichtlichen Interaktion als IRE-Muster beschrieben wird und bereits mehrfach Erwähnung fand. Eine für Klassenräume weltweit typische Mechanik kommt in Gang: Die Lernenden re‐ agieren auf die Impulse der Lehrkraft mit vergleichsweise kurzen Redebeiträgen, zum Teil mit Einwortsätzen, und werfen immer neue Ideen in die Runde, ohne dabei jedoch gegenseitige Bezüge herzustellen. Die Lehrkraft ihrerseits verengt die Spielräume, indem sie bestrebt ist, die Überlegungen zu bündeln und in die angepeilte Richtung zu lenken. Solche Phasen sind zwar für die in dieser Studie analysierten Daten nicht bestimmend, sie bergen für mich als Lehrer jedoch wertvolle Erkenntnisse. So wird gerade am Beispiel von Tab. 4.13 sehr deutlich, was geschieht, wenn die interaktionalen Freiheiten der Lernenden eingeschränkt werden, um ein be‐ stimmtes inhaltliches Ziel zu erreichen. Es ist eine Frage der Abwägung päd‐ agogischer Intentionen, ob das in einer konkreten unterrichtlichen Situation ein angemessenes Vorgehen darstellt. Dass man sich als Lehrkraft immer auch der Folgen bewusst sein sollte, die die Entscheidung für eine sehr eng geführte In‐ teraktion mit sich bringt, ruft dieser Auszug gleichwohl eindrücklich ins Be‐ wusstsein. Aus pädagogischer Sicht stellt sich zugleich die Frage, in welchen konkreten unterrichtlichen Situationen es zu dieser Art der Interaktion eigentlich kommt. Tatsächlich gleichen sich die Inhaltsbezogenen Sequenzen dieses Modus in zwei Merkmalen: Zum einen sind sie sehr stark von den Inhalten geprägt. Seitense‐ quenzen, in denen beispielsweise sprachliche Schwierigkeiten besprochen werden, lassen sich also kaum beobachten. Zum anderen finden sie immer dann statt, wenn der Austausch in der Lerngruppe auf eine für die Studierenden schwer zu beantwortende Frage stößt: Warum sind beispielsweise Frauen in der Bevölkerung der ostdeutschen Bundesländer deutlich unterrepräsentiert (IBS04), worauf ist die für Japaner ungewöhnliche Dichte an Theatern in Deutschland zurückzuführen (IBS07) oder welche Faktoren beeinflussen das Lohnniveau in einer Region (IBS13)? Lehrerdominierte Interaktion, so kann man aus diesen Situationen schließen, wird vor allem von inhaltlichen Anforde‐ rungen begünstigt, die sich spontan in der Interaktion ergeben und nicht zuvor didaktisch aufbereitet wurden. 177 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="178"?> Aber Unterrichtsphasen, in denen die Lehrkraft über mehrere Redebeiträge hinweg dominiert, finden sich auch in Sequenzen, die als Ganzes betrachtet eher dem explorativen oder dem kumulativen Modus dialogischen Lernens zuge‐ ordnet werden können. Und obwohl sie den Charakter dieser Sequenzen ins‐ gesamt nicht nachhaltig beeinflussen, führte mich die Datenanalyse dazu, die Bedingungen ihres Entstehens genauer zu untersuchen. Dabei zeigten sich deutliche Parallelen zur Episode in Tab. 4.13: Lehrerdominanz wird eher dann wahrscheinlich, wenn die Lehrkraft zu wenig Flexibilität an den Tag legt und die Orientierung an den Lernenden hinter anderen Aspekten zurückstellt. Das kann - wie im obigen Beispiel - die Intention sein, ein inhaltliches Pro‐ blem zu durchdringen, für dessen selbstständige Klärung die Studierenden mehr Informationen oder mehr Zeit benötigen würden. Das kann aber ebenso eine Aufgabenstellung sein, die zu einer Engführung der Interaktion verleitet. Ein typisches Beispiel für diese Situation ist der Auszug in Tab. 4.6, bei dem die Lehrkraft - die Aufgabenstellung eher phantasielos handhabend - in das IRE-Abfrageritual verfällt. Eine dritte Bedingung für Lehrerdominanz wird vor allem bei Sequenzen erkennbar, die am Ende einer Unterrichtsstunde liegen. Dann ist es in erster Linie Zeitdruck, der die Lehrkraft dazu verleitet, das dia‐ logische Potenzial der Situation einzuschränken bzw. anderen pädagogischen Zielen, wie etwa dem Abschluss eines Gedankens oder einer Aufgabe, den Vor‐ rang zu geben. Beispiele dafür liefern die Inhaltsbezogenen Sequenzen IBS17, 28 und 38. Das Thema Lehrerdominanz abschließend, möchte ich darauf verweisen, dass nicht alle Sequenzen, die an einer sich spontan ergebenden Frage ansetzen, derart lehrergesteuert verlaufen. Die folgende Episode bietet ein Gegenbeispiel. Ent‐ scheidend ist hier, dass die ursprüngliche Frage nicht von der Lehrperson aus‐ geht, sondern von den Studierenden selbst. Der Auszug in Tab. 4.14 ergibt sich unmittelbar aus IBS08, die mit der Überlegung der Studierenden endet, ob Kinos zum Kulturangebot einer Stadt gezählt werden könnten. Diesen Punkt greift der Lehrer in der sich anschließenden IBS09 auf und bringt die Rolle kommunaler Kinos ins Spiel, die es in Japan eher selten gibt. Er verändert damit die Richtung der Diskussion, weshalb eine neue Inhaltsbezogene Sequenz markiert wurde. Als ausschlaggebender Unterschied zum Ausschnitt in Tab. 4.13 erweist sich der Umstand, dass es der Lehrkraft in diesem Fall nicht vordergründig darum geht, die Lernenden zu einer bestimmten inhaltlichen Erkenntnis zu bringen. Mit seinem Beispiel eines kommunalen Kinos in einer deutschen Stadt bringt er eher einen offenen Impuls zum Weiterdenken ein. Das erleichtert es ihm an‐ scheinend, sich im weiteren Verlauf der Sequenz aus der Interaktion wieder zurückzuziehen, so dass die Episode nach und nach explorative Züge annimmt. 178 Michael Schart <?page no="179"?> IBS09 (U2/ Plenum II) 227 l ich glaube zehn zehn räume in einem kino das ist ein großes und dieses kino ist kommerziell (2) kommerziell von einer firma und dort kann man vor allem blogbuster sehen also hollywood filme oder auch bekannte deutsche filme (.) und es gibt ein ganz kleines kino das ist ein club-kino (2) und dieses kino finanziert auch die stadt mit geld 228 sa06 wirklich? 229 l und dort kann man nicht die großen filme sehen (.) dort kann man die kleinen filme sehen und auch seltene filme aus kleinen ländern (3) das ist der unterschied 230 sa06 es gibt keine kleiner kino wie in deutschland in japan 231 l in tokio vielleicht 232 sa06 und mit なんと言う (Wie sagt man? ) gouverment (? ) 233 sa01 eh? lauter bitte 234 sa06 es gibt keine kino (2) kein kino in japan mit ah bürger helfen bürgerhilfe bürgerhilfe? 235 sa01 hilf ? 236 sa06 hilfe 237 sa01 ah 238 sa08 gibt es solche kino in welt? (2) kino mit bürger helfen? was meinst du? 239 sa06 in deutschland 240 sa02 wirklich? 241 sa08 gibt es? 242 sa06 gibt es 243 sa05 ja es gibt viele 243 sa06 oder? 244 sa01 bürger bezahlt geld 245 sa06 wer sagt das? 246 sa08 herr s [l] sieht unsicher 179 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="180"?> 247 l ja ich sehe nur ob die anderen verstehen was sie gerade sagen (5) 248 sa08 verstehen sie? [zu den anderen ss] 249 sa06 was verstehst du? [zu sa01] 250 sa01 das bedeutet ein bürger bezahlt geld für kino? 251 sa06 ah ja 252 sa01 verstehe (.) eh? und? 253 sa06 das gehört nicht ah es gibt kein kino wie das in japan 254 sa01 in japan nicht? 255 sa06 mhm kein 256 sa08 wie kann bürger (2) ein kino öffnen 分からない (Ich habe keine Ahnung.) 257 sa06 mit geld 258 sa08 aber warum? 259 l sie möchten sagen ein kino das von der stadt 260 sa06 ja ja ja 261 l oder von dem land geld bekommt (2) nicht direkt von den bür‐ gern (2) ok ah ich weiß nicht ob es solche kinos gibt keine idee 262 sa06 nur museum 263 l nur museum ok (5) Tab. 4.14: Auszug aus IBS09, Lerngruppe LGa, U2/ Plenum II, 17. Dez. 2012; 26. Unter‐ richtswoche 4.4.3 Aufgabentypen und Verteilung der Modi Die Analyse des lehrerdominierten Modus gab den Anstoß dazu, neben der Charakterisierung der Inhaltsbezogenen Sequenzen im Hinblick auf die Merk‐ male der Interaktion auch das jeweilige unterrichtliche Umfeld genauer in den Blick zu nehmen. Wie ich im vorangegangenen Abschnitt aufzeigte, entspringen die lehrerdominierten IBS im hier untersuchten Datenmaterial immer an ver‐ gleichsweise anspruchsvollen Fragen, die sich spontan durch den Austausch im 180 Michael Schart <?page no="181"?> Plenum ergeben. Es handelt sich also nicht um einen geplanten bzw. durch das Material vorgezeichneten Arbeitsschritt, keine Aufgabenstellung im engeren Sinn. Die meisten IBS ließen sich jedoch unterrichtlichen Situationen zuordnen, bei denen die Interaktion auf die Bewältigung einer Aufgabenstellung zielte. An‐ hand des Kriteriums „Aufgabentyp“ wurden daher die 51 IBS in unterschiedliche Gruppen unterteilt (vgl. die Ebene „Aufgabentyp“ in Abb. 4.5). Es konnten vier solcher Gruppen identifiziert werden: • Plenum zu einer Informationslücken-Aufgabe (information gap activity), Präsentation von Gruppenergebnissen • Plenum zu einer Argumentationslücken-Aufgabe (reasoning gap activity), Diskussion von Gruppenergebnissen • Plenum zu einer sich spontan ergebenden Frage • Gruppenarbeit Diese Unterteilung ist ungewöhnlich, denn sie kombiniert verschiedene Syste‐ matiken, die sich in der Fremdsprachendidaktik etabliert haben. Sozialformen (Plenum, Gruppenarbeit) werden mit Kategorien aus der Aufgabenforschung vermengt. Ich halte dieses Vorgehen für angemessen, denn in ihm spiegelt sich letztlich der grundlegende Ansatz dieser Studie: Sie denkt den Forschungsge‐ genstand vom Unterrichtsgeschehen her, nicht von akademischen Theorien, Trends oder Traditionen. Damit komme ich zu einer ähnlichen Konsequenz wie Llinares/ Dalton-Puffer (2015), die sich in ihrer Studie ebenfalls für eine kon‐ textsensitive Unterteilung von Aufgabenformaten entscheiden. In ihrem Unter‐ suchungsfeld ermitteln sie fünf relevante Unterrichtsphasen (Diskussion im Plenum, Gruppendiskussion, individuelles Interview, mündliche Präsentation und Rollenspiel) und bezeichnen diese als ecologically viable task-types (Llinares/ Dalton-Puffer 2015: 71). Aus der bisher beschriebenen Systematisierung ergibt sich das folgende Bild der Verteilung der 51 Inhaltsbezogenen Sequenzen: Aufgabentyp Modus Dauer in Min (Anteil) Inhaltsbezogene Sequenzen (IBS) Lerngruppe LGa Lerngruppe LGb Informati‐ onslücke (information gap task) explo‐ rativ 79,6 (14,6%) 02, 03, 11, 12, 18, 19, 20 kumu‐ lativ 41,9 (7,7%) 01, 05, 06, 10, 14, 21 - 181 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="182"?> Argumentati‐ onslücke (reasoning gap task) explo‐ rativ 166,9 (30,5 %) 08, 15, 16, 22, 23, 24 37, 42, 47 kumu‐ lativ 63,5 (11,62 %) 17 28, 32, 33, 38, 51 Frage im Plenum explo‐ rativ 19,4 (3,5 %) 09, 13 lehrerdomi‐ niert 16,4 (3 %) 04, 07 43 Gruppenarbeit explo‐ rativ 77,0 (14,1 %) - I 25, 27 II - III 34, 35 IV 41 V 46 VI 48, 49, 50 kumu‐ lativ 81,8 (15,0 %) - I 26 II 29, 30, 31 III 36 IV 39, 40 V 44, 45 VI - Tab. 4.15: Verteilung der Inhaltsbezogenen Sequenzen (IBS01 - IBS51) nach Aufgabentyp, Modus, Dauer und Lerngruppe Ein detaillierter Blick auf die Verteilung der Inhaltsbezogenen Sequenzen bringt eine ganze Reihe von Tendenzen zum Vorschein. So sind die Unterrichtsein‐ heiten in den beiden Lerngruppen LGa und LGb hinsichtlich der Aufgabentypen unterschiedlich konzipiert. Während Aufgaben zu Informationslücken bei der Lerngruppe LGa in der Überzahl sind, kommen sie in der Lerngruppe LGb nicht vor. Dort werden ausschließlich Aufgaben zu Argumentationslücken bearbeitet. Diese Differenz beruht nicht auf forschungsmethodischen Überlegungen, son‐ 182 Michael Schart <?page no="183"?> dern sie ergab sich aus dem thematischen Schwerpunkt der beiden Unterrichts‐ einheiten. Auffällig sind auch die Unterschiede bei den Anteilen an der Gesamtdauer aller Inhaltsbezogenen Sequenzen. Fast ein Drittel dieser Zeit entfällt auf den explorativen Dialog im Plenum, der an Aufgaben zu Argumentationslücken an‐ setzt. Auch bei den Aufgaben zu Informationslücken überwiegen die explora‐ tiven Phasen. Bei den Gruppenarbeiten hingegen sind diese beiden Modi in an‐ nähernd gleichem Umfang vertreten. Eine vergleichsweise geringe Rolle spielt im Gesamtverlauf der Unterrichtseinheiten der Aufgabentyp „Frage im Plenum“. Das macht ihn jedoch nicht unerheblich. Denn aus der Lehrperspektive be‐ trachtet ist es sehr aufschlussreich zu erkennen, dass die Interaktion zu spon‐ tanen Fragen im Plenum eher im lehrerdominierten Modus verläuft, und zwar immer dann, wenn die Lehrkraft diese aufwirft (siehe Kap. 4.4.2). Aus Tab. 4.15 lässt sich jedoch auch ableiten, dass allein die Verteilung der IBS auf keinen Zusammenhang zwischen Aufgabentyp und Modus der Interak‐ tion verweist. Die verschiedenen Modi dialogischen Lernens verteilen sich viel‐ mehr relativ gleichmäßig über alle Aufgabentypen, was vor allem bei der Grup‐ penarbeit augenfällig wird. In der LGb wurden insgesamt 6 Gruppenphasen (I-VI) durchgeführt. Die Klasse teilte sich dafür in jeweils drei Untergruppen mit wechselnder Zusammensetzung auf. Diese Gruppenbildung erfolgte spontan und lag in den Händen der Studierenden. Wie Tab. 4.15 verdeutlicht, kommt es zu keinem Muster der Streuung von Sequenzen auf den kumulativen oder ex‐ plorativen Modus. Nur in zwei der Phasen (II und VI) wurden alle drei parallelen Gruppenarbeiten dem gleichen Modus zugeordnet. Nicht zuletzt bestätigt sich in den Kernaussagen von Tab. 4.15 der Diskussi‐ onsstand in der Aufgabenforschung. Die vorliegende Studie liefert einmal mehr Evidenz dafür, weshalb man aus der Aufgabenstellung allein nicht auf ihre Um‐ setzung im Klassenraum schließen sollte. Eine Problematik, auf die Breen bereits vor drei Jahrzehnten aufmerksam machte, indem er die Begriffe task as workplan und task as process voneinander abgrenzte (Breen 1987). Es sind vielfältige Kon‐ textfaktoren, die bei der Ausführung einer Aufgabe Wirkung entfalten (Batstone 2012; McDonough 2015). Die weitere Darstellung und Diskussion der Ergebnisse liefert ein wichtiges Puzzleteil zum besseren Verständnis dieser Zusammen‐ hänge. Denn sie fokussiert auf die Rolle, die den Modi des Dialogs bei der Auf‐ gabenbearbeitung zukommt. In diesem Abschnitt wurde die Verteilung der Modi dialogischen Lernens auf die Aufgabentypen einerseits und die Lerngruppen andererseits eingehender untersucht. Abgesehen vom lehrerdominierten Modus konnten auf diesem Wege jedoch keine auffälligen Muster ausgemacht werden. Die Betrachtung 183 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="184"?> führt deshalb zu der Erkenntnis, dass es einer anderen Herangehensweise be‐ darf, wenn man besser verstehen möchte, unter welchen Bedingungen die In‐ teraktion im kumulativen oder im explorativen Modus verläuft. In den fol‐ genden Abschnitten werde ich aufzeigen, dass sich über die Dimensionen von Lern-Engagement (siehe Kap. 4.3.5) tiefere Einblicke in das Geschehen eröffnen und eine systematischere Beschreibung der Interaktionsphasen möglich wird. 4.4.4 Inhaltliches kognitives Engagement Sequenzlänge und Pausen Die Länge einer Sequenz, auch als time on task bezeichnet (Philp/ Duchesne 2016: 55), ist ein erster Indikator, um das inhaltliche kognitive Engagement der Lernenden zu erfassen. Die Sequenzdauer ermöglicht Rückschlüsse darauf, wie intensiv sich die Studierenden mit einer Aufgabe beschäftigen. Eingeschränkt wird die Aussagekraft dieser Daten vor allem dadurch, dass der Abschluss einer Sequenz zumeist in die Verantwortung der Lehrkraft fällt und deren Entschei‐ dung wird nicht nur vom sichtbaren Grad des kognitiven Engagements der Ler‐ nenden beeinflusst. Im Fall der Gruppenarbeiten kommt hinzu, dass diese parallel verlaufen und sich anhand der Gesamtlänge somit nicht wesentlich unterscheiden. Das wie‐ derum lenkt den Blick auf einen weiteren Indikator: die Pausen in der Interak‐ tion. Denn die Dauer dieser Unterbrechungen bietet einen möglichen Ansatz‐ punkt, um die Interaktion in zwei Sequenzen der gleichen Länge zu vergleichen. Aber auch dieses Kriterium provoziert Einwände, denn Pausen lassen sich sehr unterschiedlich interpretieren: Die Zahlenwerte allein sagen nichts darüber aus, ob sie in der betreffenden Situation als Merkmal für abnehmendes kognitives Engagement gesehen werden sollten oder als Hinweis auf intensive Denkpro‐ zesse der Lernenden. Die Analyse von Sequenzlänge und Pausen verspricht deshalb vor allem dann einen Erkenntnisgewinn, wenn sie durch die Betrach‐ tung anderer quantitativer und qualitativer Daten ergänzt wird. Abb. 4.10 zeigt den ersten Schritt zu einer solchen mehrperspektivischen Herangehensweise. Alle Inhaltsbezogenen Sequenzen aus den Plenumsphasen wurden dafür zunächst nach ihrer Dauer angeordnet. Darüber hinaus wurden zwei weitere Datensätze integriert: die Modi des dialogischen Lernens sowie die Aufgabentypen. Die Abbildung gibt zwei deutliche Tendenzen zu erkennen: Zum einen verlaufen längere IBS eher im explorativen Modus und sie entfalten sich zugleich eher an Aufgaben zu Argumentationslücken. Zum anderen findet sich der kumulative Modus der Interaktion eher bei kürzeren IBS. Ein Zusam‐ menhang mit dem Aufgabentyp lässt sich jedoch auf der rechten Seite der Skala 184 Michael Schart <?page no="185"?> Abb. 4.10: Vergleich der Länge der Inhaltsbezogenen Sequenzen (Plenum) deutlich schwerer ausmachen als auf der linken, denn alle drei Varianten von Aufgaben sind in diesem Bereich vertreten. Allerdings fällt auf, dass es sich bei „Fragen im Plenum“ tendenziell eher um kürzere Phasen des Unterrichts han‐ delt. Abb. 4.10 legt somit nahe, dass vor allem die Kombination aus Aufgaben zu Argumentationslücken, explorativem Modus und Dauer der Sequenz ein be‐ sonderes Muster der Interaktion im Klassenraum begünstigen, wobei von einer Wechselwirkung der drei Faktoren ausgegangen werden kann. Der explorative Dialog erfordert ausreichende Spielräume, um sich zu entwickeln und im un‐ tersuchten Kontext zeigt sich, dass Argumentationslücken dafür einen guten Nährboden bieten. Um im nächsten Schritt die Bedeutung der Pausen beim Zustandekommen dieser Resultate einbeziehen zu können, musste zunächst eine geeignete Form der Operationalisierung dieses Indikators gefunden werden. Die einfachste Va‐ riante einer Berechnung wäre es gewesen, die Gesamtlänge jeder Sequenz der Summe ihrer Pausen gegenüberzustellen. Das hätte jedoch einen erheblichen Verlust an Informationsgehalt bedeutet, denn das Verhältnis von längeren und kürzeren Unterbrechungen wäre damit aus dem Blickfeld geraten. Deshalb ord‐ nete ich alle Pausen zunächst vier Kategorien zu und versah diese mit einer Gewichtung in Form von „Pausenpunkten“: • Pausen zwischen 2 und 3 Sekunden = 1 Punkt • Pausen zwischen 4 und 5 Sekunden = 2 Punkte 185 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="186"?> • Pausen zwischen 6 und 10 Sekunden = 3 Punkte • Pausen von mehr als 10 Sekunden = 5 Punkte Auf die Auswertung von Pausen unter zwei Sekunden habe ich in diesem Zu‐ sammenhang bewusst verzichtet, denn Unterbrechungen dieser Länge, in denen die Studierenden beispielsweise nach einer Formulierung suchen, gehören im Unterricht auf der Niveaustufe A zum normalen Verlauf der Interaktion und besitzen wenig Aussagekraft im Hinblick auf das inhaltliche kognitive Engage‐ ment. Zudem sind sie sehr typisch für die Übergänge zwischen Redebeiträgen und verweisen somit vor allem in den Plenumsphasen auch auf die besonderen Merkmale einer selbstbestimmten Diskursorganisation. Für jede IBS lässt sich als Indikator des kognitiven Engagements der Lern‐ gruppe ein Pausenquotient (PQ) errechnen, indem man die Dauer in Minuten durch die jeweiligen Pausenpunkte dividiert. Tab. 4.16 fasst die Ergebnisse dieses Analyseschritts aufgefächert nach Aufgabentypen und Modus der Interaktion zusammen. Je größer der Wert ist, den eine Sequenz beim Pausenquotient er‐ reicht, desto weniger fallen bei der Interaktion Pausen ins Gewicht. Wie ich in meinen Bedenken zur Aussagekraft der Pausen weiter oben bereits vorwegnahm, ist von einer solchen Aufstellung kein eindeutig interpretierbares Ergebnis zu erwarten. Die sich in den Daten abzeichnenden Muster sind den‐ noch von Interesse, weil sie Einsichten aus der qualitativen Analyse der Trans‐ kripte stützen. Da ist zunächst die markante Tendenz, dass die Interaktion zu Informationslücken-Aufgaben (PQ-Durchschnitt 0,54) insgesamt mit Abstand flüssiger verläuft als jene zu den Argumentations-Lücken (0,34), Fragen im Plenum (0,34) oder der Gruppenarbeit (0,35). Zugleich kommen in allen Aufga‐ bentypen explorativ verlaufende Sequenzen mit weniger Pausen aus als solche im kumulativen Modus. Die höheren Werte beim Pausenquotient entfallen fast ausschließlich auf explorative Phasen. Ein Blick auf die Durchschnittswerte be‐ stätigt diesen Trend: Der explorative Modus erreicht einen Pausenquotienten von 0,43, während der kumulative (0,36) und der lehrerdominierte (0,33) deutlich darunter liegen. IBS Pausenquotient Aufgabentyp Modus 03 0,85 Informationslücke explorativ 48 0,79 Gruppenarbeit explorativ 20 0,78 Informationslücke explorativ 11 0,72 Informationslücke explorativ 186 Michael Schart <?page no="187"?> 33 0,68 Argumentationslücke kumulativ 02 0,66 Informationslücke explorativ 12 0,64 Informationslücke explorativ 21 0,61 Informationslücke kumulativ 16 0,58 Argumentationslücke explorativ 10 0,58 Informationslücke kumulativ 18 0,55 Informationslücke explorativ Tab. 4.16: IBS mit einem Pausenquotient ˃0,5 Dieses Ergebnis kann mit den unterschiedlichen Funktionen erklärt werden, die Pausen in den jeweiligen Kontexten erfüllen. Aufgaben zu Informations‐ lücken kommen tendenziell mit weniger Pausen aus, weil die Studierenden häufig vorbereitete Ergebnisse präsentieren. Gelingt es ihnen, die anderen Studierenden dadurch zum gemeinsamen Denken anzuregen, bleibt die Inter‐ aktion in Gang. Das spiegelt sich nicht zuletzt am geringeren Redeanteil der Lehrkraft wider. Bei den Sequenzen mit höheren Pausenquotienten liegt dieser zwischen 10 und 20 Prozent. Bei den Sequenzen mit niedrigem PQ zwi‐ schen 20 und 30 Prozent. Je deutlicher die Präsentationen der Studierenden darauf hinauslaufen, In‐ formationen nur darzubieten, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass der Dialog eher kumulative Züge annimmt und das Eingreifen der Lehrkraft not‐ wendig wird. Pausen sind dann ein Zeichen dafür, dass der Austausch ins Stocken gerät, die Studierenden keine weiteren Ideen beisteuern wollen oder können und ihr kognitives Engagement versiegt. An einem Beispiel möchte ich diesen, für Informationslücken-Aufgaben durchaus typischen Prozess ver‐ anschaulichen. In IBS14 stellen drei Studierende (sa05, sa07 und sa10) das Ab‐ schneiden des Bundeslandes Thüringen im Glücksatlas der Deutschen Post vor. Sie präsentieren dabei die wichtigen Punkte ihrer Recherche, haben also die inhaltliche Aufgabe bewältigt. Doch die Vorstellung im Plenum be‐ schränkt sich dann auf die Aufzählung von Informationen. Die Studierenden sind nicht auf den Fall vorbereitet, dass spontan keine Rückfragen oder Ein‐ wände aus dem Plenum kommen und so entstehen mehrere lange Pausen. Diese Episode aus IBS14 ist beispielshaft dafür, wie Aufgaben zu Informati‐ onslücken im kumulativen Modus verharren. 187 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="188"?> IBS14 (U3/ Plenum I) 125 sa07 und die leute in thüringen ah fühlen fühlen sich glücklich wenn ah jemand jemand einkommen ist gleich (2) gleich groß weil (2) hat hat es ein sozialpolitiksystem in thüringen before (.) so 何だ (Wie sagt man? ) so die leute in thüringen denkt das das ist sehr wichtige dinge wichtig ein ein ungleichheit 違う (Nein.) gleichheit ist sehr wichtig punkt 126 sa02/ sa01 gleichheit? [sprechen leise über das Wort] 127 sa07 manchmal denkt denken sie ein (2) unglück unglück unglück‐ lich mit demdemokratiesystem (.) das hat ein einflu- 何だっ け (Wie sagt man? ) einflueinfluence einflussen zu weniger interinteresse für politik 128 ss mhm (3) 129 sa05 ja und leute in thüringen fühlen sich (2) fühlen sich sicher als andere deutsche (2) ah alle deutschland (.) und die kriminalität der percent ratio? 130 l prozent 131 sa05 prozent (.) kriminalitätperzent ah ist weniger als alle deutsch‐ land (2) obwohl einkommen ist auch weniger als alle deutsch‐ land (.) also thüringen ist ein gute platz zu lernen (3) aber ah denke ich leute in thüringen möchte mehr geld (2) 132 sa10 und die leute in thüringen fühlen sich keine zufriedenheit mit demokratie aber in thüringaber die interinteresse für politik aber seine interesse für politik ist wenig (4) 133 sa01 [leise] aber interesse für politik? (2) 134 sa07 die leute auf thüringen ist allgemein niedriger als alle deutsch‐ land aber (2) kento [sa05] sagt aber die kriminalität ist ein biss‐ chen niedriger und die sicherheitsempfinden ist ein bisschen höher (2) 135 sa08 das hat kento [sa05] schon gesagt oder? 136 sa07 ja 137 ss [lachen] 138 l aber das ist ein wichtiger punkt (.) das können wir zweimal machen 139 ss [lachen] (4) 188 Michael Schart <?page no="189"?> 140 l ok? (7) 141 sa05 keine frage? 142 sa13 sicherheit [leise zur Nachbarin] 143 sa10 haben sie frage? 144 ss nein 145 sa08 verstehe Tab. 4.17: Auszug aus IBS14, Lerngruppe LGa, U3/ Plenum I, 18. Dez. 2012; 26. Unter‐ richtswoche Die Sequenzen, die im Gegensatz zu diesem Ausschnitt dem explorativen Modus angehören, erreichen einen höheren Pausenquotienten, sind also weniger von Unterbrechungen geprägt. Hinzu kommt, dass Pausen in ihnen häufig eine an‐ dere Funktion erfüllen. Sie sind weniger Anzeichen für mangelndes kognitives Engagement als eine Unterbrechung des Dialogs, um auf neue Ideen oder Ar‐ gumente zu kommen. Allerdings ist es in diesen Sequenzen nicht selten die Lehrkraft, die dazu an‐ regt, den Dialog nicht abbrechen zu lassen, bzw. durch längeres Warten auf Redebeiträge anzeigt, dass das Thema noch Potenzial für weiteren Austausch birgt. Es überrascht daher nicht, dass die Lehrkraft - gemessen an ihren Rede‐ beiträgen - einen überproportionalen Anteil der Pausen auf sich vereint (Tab. 4.18). Sowohl im Hinblick auf die Dauer der Sequenzen als auch bei den Pausen sensibilisiert die Analyse des kognitiven Engagements der Lernenden demnach auch für die Rolle der Lehrenden. Streben sie danach, das Lernen im explorativen Modus zu fördern, sollten sie ihr unterrichtliches Handeln entsprechend flexibel gestalten, also der Stundenplanung beispielsweise kein zeitliches Korsett an‐ legen und die Arbeitsaufträge zu eng takten. Dass sich gerade explorative Phasen in dieser Studie durch besondere Länge auszeichnen, stellt meines Er‐ achtens keinen Zufall dar. Der explorative Modus braucht angemessene Räume, um sich entfalten zu können. Die in der Interaktionsforschungen vielmals an‐ gemahnte Geduld der Lehrenden bei Redebeiträgen der Lernenden erfüllt hierbei eine wichtige Aufgabe. Man muss die Stille im Klassenraum aushalten können und auch nach zehn oder zwanzig Sekunden des Wartens den Impuls unterdrücken, durch eigenes Eingreifen die Kontrolle über das Geschehen (wieder) zu gewinnen. Auf diese wichtige Funktion von Denkzeit wird auch in der Studie von Boblett (2018: 273) verwiesen, die sich mit explorativen Dialogen auf der Niveaustufe B2 befasst (siehe ebenfalls Walsh 2013). 189 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="190"?> Dauer der Pausen in Sekunden Redeanteile in den Plenumsphasen in % ˃10 6-10 4-5 2-3 Anteil Umfang* Lehrkraft (Plenum) 12 29 49 235 25,8 36,9 Studierende (Plenum) 27 38 76 347 74,2 63,1 Tab. 4.18: Anzahl der Fundstellen zu den vier Pausen-Kategorien in den Plenumsphasen nach Akteuren (*in transkribierten Zeichen) An dieser Stelle sei abschließend auch noch einmal auf eine Erkenntnis ver‐ wiesen, die ich bereits in Kap. 4.4.2 diskutierte: Zeitdruck trägt entscheidend dazu bei, dass sich in mehreren IBS die Räume für exploratives Lernen schließen. In Fällen wie den IBS 17, 28 oder 38, die alle am Ende einer Unterrichtsstunde liegen und über den kumulativen Modus nicht hinauskommen, wäre es - vor der Folie der bisherigen Datenanalyse betrachtet - sinnvoller gewesen, die ent‐ sprechende Aufgabe für den Beginn des folgenden Unterrichts aufzusparen oder in eine Hausaufgabe einfließen zu lassen. Solche spontanen Entscheidungen setzen unter anderem voraus, dass sich Lehrende der konkreten Folgen ihres Handelns für die Interaktionsprozesse im Klassenraum bewusst sind. Weshalb der Faktor Zeit dabei besondere Beachtung verdient, konnte dieser Abschnitt verdeutlichen. Redeanteile und inhaltlicher Fokus Ein weiterer wichtiger Indikator für das inhaltliche kognitive Engagement der Lernenden stellt das Ausmaß dar, zu dem sich die Interaktion tatsächlich auf die Themenstellung der Unterrichtseinheit konzentriert. Wie ich bereits darlegte, werden die Inhaltsbezogenen Sequenzen (IBS) immer wieder von Phasen un‐ terbrochen, in denen die Studierenden sich mit sprachlichen Problemen ausein‐ andersetzen (SBS), auf die Beziehungsebene wechseln (GBS) oder metasprach‐ liche bzw. organisatorische Aspekte besprechen (StBS, vgl. Kap.4.3.1). Die Analyse der Interaktionen unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Ausrichtung führte zu der zentralen Erkenntnis, dass sich der überwiegende Teil des Austauschs in den hier untersuchten Kursen tatsächlich in einer sehr engen Verknüpfung zu den Texten und Aufgaben vollzieht (vgl. Tab. 4.3). Somit rücken die Unterschiede in den Fokus der Aufmerksamkeit, die sich beispielsweise beim Vergleich von Aufgabentypen und den Modi der Interaktion ergeben. Die Tab. 4.19 geht dieser Überlegung nach. 190 Michael Schart <?page no="191"?> Aufga‐ bentyp Modus Interaktions‐ sequenzen Anteil in % Redebeiträge Anteil in % IBS SBS Anzahl Umfang* Stud. Lehrk. Stud. Lehrk. Info.- Lücke explorativ 75,9 21,2 83,1 16,9 79,7 20,3 kumulativ 76,5 21,2 76,9 23,1 64,1 35,9 Arg.- Lücke explorativ 77,8 20,1 76,7 23,3 68,0 32,0 kumulativ 69,9 26,6 64,3 35,7 50,4 49,6 Frage Plenum explorativ 82,9 14,6 68,2 31,8 50,5 49,5 lehrerdom. 91,4 7,6 64,5 35,5 42,2 57,8 Gruppenarbeit explorativ 78,1 18,5 94,8 5,2 94,7 5,3 kumulativ 66,0 29,3 93,3 6,7 94,9 5,1 Tab. 4.19: Verteilung von Interaktionssequenzen (IBS/ SBS) und Redebeiträgen anhand von Aufgabentypen und Modi der Interaktion (* in transkribierten Zeichen) Eine erste Auffälligkeit in dieser Übersicht zeigt sich an den Daten für den Auf‐ gabentyp „Frage im Plenum“. Es wird deutlich, dass sich die Interaktion beson‐ ders intensiv auf die Inhalte richtet, wenn sie von der Lehrkraft stark gesteuert wird. Deren hohe Werte bei der Anzahl und insbesondere dem Umfang der Re‐ debeiträge im lehrerdominierten Modus (57,8 %) nähren zugleich Zweifel daran, ob die Daten bei diesem Aufgabentyp tatsächlich als ein Indikator für das in‐ haltliche Engagement der Lernenden herangezogen werden sollten, denn die Interaktion wird eher von der Lehrperson aufrechterhalten. Solche Phasen können natürlich trotzdem sehr sinnvoll sein, beispielsweise wenn sie darauf zielen, die Diskussion auf bestimmte Aspekte zu lenken. Die Zahlenwerte in Tab. 4.19 rufen jedoch eindringlich ins Bewusstsein, weshalb Lehrkräfte solche Phasen mit Bedacht gestalten sollten, sofern ihnen dialogische Lernprozesse im explorativen Modus am Herzen liegen. Ein vergleichbares Muster der Beteiligung findet sich in der Interaktion zu Aufgaben mit Argumentationslücken, die sich im kumulativen Modus voll‐ ziehen. Auch hier fallen Anzahl und Umfang der studentischen Redebeiträge vergleichsweise gering aus. Im Unterschied zum Aufgabentyp „Frage im Plenum“ liegt jedoch ebenso der Anteil des inhaltlichen Austauschs im unteren 191 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="192"?> Bereich (69,9%). Das verweist auf die grundlegende Problematik dieses Aufga‐ bentyps: Gelingt es nicht, dass sich die Lernenden auf eine intensive Auseinan‐ dersetzung mit unterschiedlichen Ideen einlassen, tendiert dieser Aufgabentyp dazu, lehrerdominierte Züge anzunehmen. Ihr besonderes Potenzial entfalten Aufgaben zu Argumentationslücken hin‐ gegen im explorativen Modus. Dort geht eine hohe Beteiligung der Studierenden mit einer inhaltlichen Fokussierung, also einem hohen Niveau inhaltlichen ko‐ gnitiven Engagements der Lernenden einher. Diese Ergebnisse stützen die Be‐ schreibung des explorativen Modus dialogischen Lernens in Kap. 4.3.3. Ein wei‐ teres Charakteristikum des Aufgabentyps „Argumentationslücke“ ist darin zu sehen, dass die Lehrkraft auch im explorativen Modus mit ihren Redebeiträgen immer relativ präsent bleibt, ohne jedoch das Geschehen zu dominieren. Ein anderes Bild zeichnet sich dagegen bei den Aufgaben zu Informationslü‐ cken ab. Das Ausmaß des inhaltlichen Austauschs bewegt sich dort auf einem mittleren Niveau, unabhängig vom Modus der Interaktion. Entscheidend für den Grad der Beteiligung ist daher, inwieweit die Lernenden mit der Vorstellung ihrer Informationen im Plenum Diskussionen anregen. Vollzieht sich auf diese Weise der Übergang in den explorativen Modus, kann sich die Lehrkraft weit‐ gehend aus dem Austausch zurückziehen. Andernfalls kommt es zu jenen Pro‐ zessen, die ich im vorangegangenen Abschnitt am Beispiel von Sequenzlänge und Pausen beschrieben und mit einem Auszug aus der Interaktion (Tab. 4.17) veranschaulicht habe. Komprimiert man die Analyse in diesem Abschnitt auf ihre Kernaussage, so bleibt festzuhalten, dass trotz der Eigenheiten der einzelnen Aufgabentypen die Unterschiede bei den Modi der Interaktion deutlich stärker ins Gewicht fallen. An ihnen entscheidet sich vor allem, wie sich die Redebeiträge zwischen Stu‐ dierenden und Lehrkraft verteilen und wie intensiv die Beschäftigung mit den Inhalten verläuft. Redebeiträge zu den Kategorien „Impulse“ und „Inhalte“ Nach den Ausführungen zum Verhältnis von Inhaltsbezogenen und Sprachbe‐ zogenen Sequenzen stellt sich die Frage, inwiefern sich das inhaltliche kognitive Engagement der Studierenden auch auf der Ebene einzelner Äußerungen ma‐ nifestiert. Als einen weiteren Indikator möchte ich daher die Redebeiträge in ihrer interaktionalen Funktion betrachten (vgl. Kap. 4.3.4). Die Abb. 4.11 und 4.12 geben eine Gesamtschau der Verteilung von Redebei‐ trägen auf die Aufgabentypen und die Modi der Interaktion. Die Ergebnisse bestätigen einige der Tendenzen, die sich in den Darstellungen der verschie‐ denen Modi dialogischen Lernens im bisherigen Verlauf der Argumentation be‐ 192 Michael Schart <?page no="193"?> reits andeuteten. Dennoch bringt dieser Zugang die Analyse zugleich einen Schritt voran, weil anhand der Daten zur Funktion der Redebeiträge die Be‐ schreibungen der Modi konkretisiert und entscheidend ergänzt werden können. Bei den Abbildungen 4.11 und 4.12 springen zunächst einige wenig überra‐ schende Ergebnisse ins Auge. Zu erwarten war beispielsweise der durchgängig hohe Anteil studentischer Beiträge in der Kategorie „Inhalte“ sowie der beach‐ tenswerte Umfang, zu dem sich die Studierenden durch „Impulse“ beteiligen, insbesondere mit offenen und geschlossenen Fragen („o-Frage“ und „g-Frage“). Hierin spiegelt sich letztlich der dialogische Charakter aller untersuchten Un‐ terrichtseinheiten wider. Auch die auffälligen Werte, die beim Aufgabentyp „Frage im Plenum“ auf die Lehrkraft entfallen - in Form von Erklärungen und didaktischen Fragen („d-Frage“) -, erscheinen nach den Darstellungen zum leh‐ rerdominierten Modus folgerichtig (vgl. Kap. 4.4.2). Ich möchte den Blick jedoch vor allem auf die Details zum explorativen und kumulativen Modus lenken, denn anhand dieser Perspektive auf die Daten lässt sich eindrücklich nachvollziehen, welche Muster der Interaktion beide Modi kennzeichnen. Typisch für den explorativen Modus ist zunächst ein sehr intensives Zusam‐ menspiel von Meinungsäußerungen („Info Meinung“), Ergänzungen vorange‐ gangener Redebeiträge („Detail“) und kritischen Einwänden („Kritik“) der Stu‐ dierenden auf der einen Seite sowie deren initiierenden Fragen auf der anderen Seite. Aus dieser Kombination entsteht die Triebkraft, die den inhaltsbasierten Austausch vorantreibt und die weiter oben beschriebenen Sequenzlängen nach sich zieht. In ihrer Studie zur Gestaltung dialogischen Lernens treffen Jesson et al. (2016) die Unterscheidung zwischen dem Erweitern und dem Vertiefen von interak‐ tiven Räumen (widen dialogic space vs. deepen dialogic space). Ich möchte diese Differenzierung übernehmen, denn sie erfasst meines Erachtens auch die beiden dominierenden Muster der Interaktion in den vorliegenden Daten. In den Phasen des kumulativen Modus werden die Räume für das dialogische Lernen eher erweitert. Die Studierenden stellen verschiedene Informationen, Ideen oder Lösungsansätze zu einer Thematik vor. Diese fließen jedoch nicht in einen Aus‐ handlungsprozess ein, wie an dem Verhältnis zwischen den Kodierungen „In‐ formation“ und „Detail“ sowie am geringen Anteil der Kodierungen zu „Kritik“ in allen untersuchten Unterrichtssituationen erkennbar wird. Vielmehr bleiben sie mehr oder weniger unverbunden nebeneinander stehen. Die Impulse der Studierenden in Form von Fragen zielen eher darauf ab, das eigene Verständnis zu sichern als ein gemeinsames Weiterdenken zu initiieren. Im explorativen Modus hingegen werden die Räume für das dialogische Lernen eher vertieft. Die 193 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="194"?> Abb. 4.11: Verteilung der Kategorien „Impulse“ und „Inhalte“ bei den Aufgabentypen „Argumentationslücke“ und „Informationslücke“ 194 Michael Schart <?page no="195"?> Abb. 4.12: Verteilung der Kategorien „Impulse“ und „Inhalte“ bei den Aufgabentypen „Frage im Plenum“ und „Gruppenarbeit“ 195 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="196"?> Studierenden denken sich miteinander in eine Thematik ein, indem sie sich ge‐ genseitig Impulse geben und in ihren Redebeiträgen aufeinander Bezug nehmen. Rolle der Lehrkraft Auch im explorativen Modus fällt der Lehrkraft eine nicht zu vernachlässigende Funktion zu. Auffällig sind etwa die relativ hohen Anteile von didaktischen Fragen und Erklärungen (z. B. Zusammenfassungen), mit denen sie die Vertie‐ fung in das Thema begleitet. Zwei Auszüge aus den Transkripten sollen diesen Zusammenhang illustrieren. In Tab. 4.20 lässt sich verfolgen, wie die Lehrkraft durch eine didaktische Frage (Zeile 171) die Diskussion beeinflusst. In diesem Fall erfolgt das Eingreifen allerdings etwas voreilig, denn nicht nur sa11 hat zu diesem Zeitpunkt - wie der weitere Verlauf der Sequenz zeigt - den Begriff „uneheliche Kinder“ noch nicht verstanden. Aber auch wenn das Beispiel einen Fehler der Lehrkraft offenlegt, so wird doch zugleich die Funktion der didakti‐ schen Frage deutlich: sie trägt dazu bei, den inhaltlichen Austausch auf eine neue Ebene zu bringen. IBS03 (U1/ Plenum I) 158 sa01 was bedeutet uneheliche kinder? 159 sa10 uneheliche kinder bedeutet das baby 160 sa01 ah nicht von eheliche couple [engl]? 161 sa10 ja 162 ss ah 163 sa10 nicht heiraten 164 sa01 mhm 165 sa06 nur ein eltern? 166 sa01 eh? 167 sa10 nein 168 ss [lachen] (3) 169 sa11 ich weiß nicht (2) 170 sa10 verstehen sie? 171 l wie viel prozent sind das etwa? 196 Michael Schart <?page no="197"?> 172 sa10 prozent? 173 l etwa 174 sa10 fünzig prozent uneheliche kinder geboren 175 l ok also mehr als fünzig prozent uneheliche kinder Tab. 4.20: Auszug aus IBS03, Lerngruppe LGa, U1/ Plenum I, 11. Dez. 2012; 25. Unter‐ richtswoche An einem weiteren Beispiel möchte ich die Kategorie „Erklärung“ näher be‐ leuchten. Es handelt sich um einen Ausschnitt am Ende einer Sequenz. Die Lehrkraft führt ab Zeile 129 den vorangegangenen Austausch in der Gruppe zusammen, indem sie den Prozess des Pfändens am Tafelbild erläutert. IBS37 (U7/ Plenum IV) 151 sb04 dann wir (2) wir sind nicht klar über pfänden aber wir (2) sagen welche das gericht oder person B pfänden 152 sb14 pfänden machen und geht über auktion 153 sb04 oktion also du verstehen nicht was oktion ist oder? oder? (3) 154 sb14 oktion ist ähnlich wie gerichtsvollzieher? 155 sb13 nein oktion ist なんだろう (Wie sagt man gleich? ) benutzen das dinge ah not benutzen 156 sb04 verkaufen etwas aber (7) 157 p tauschen 158 sb13 tauschen tauschen dinge zu geld 159 ss [lachen] 160 l verkaufen 161 sb13 verkaufen verkaufen (3) oktion (2) zum beispiel yahoo oktion 162 sb14 ja 163 l darf ich zu ende machen? [ergänzt das von sb04 erstellte Ta‐ felbild, während sich die Studierenden weiter austauschen] 164 sb04 [zu l] ja (.) [zu sa13] und oktion und? bekomme geld? 197 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="198"?> 165 sb13 bekomme geld und (2) und gericht なんだろう (Wie sagt man gleich? ) 166 sb04 gibt geld zu 167 sb13 zu B person B 168 sb04 ja das ist zu ende (2) ist das klar? (3) 169 l herr t. [sa04] erst einmal das war super (.) dankeschön (2) ich erkläre den prozess noch einmal (.) und sie sagen ob das ok ist für sie oder nicht (.) also (2) [erklärt am Tafelbild] person A (2) leiht sich geld von person B aber person B (.) eh? anders herum (.) entschuldigung (3) wewer leiht? 170 p A leiht 171 l A leiht sich geld von B (.) aber A kann das geld nicht zurück‐ zahlen (.) er hat nicht genug geld (.) oder er hat zu wenig geld (.) also (2) verklagt person B person A (2) was macht das gericht? das gericht sagt ja B hat recht (.) das ist nicht gut (2) also muss das gericht das geld von person A nehmen (2) sie haben das diskutiert in der gruppe (.) B darf nicht selbst pfänden (.) 172 ss mhm (2) 173 l ne das war eine idee in der gruppe (.) kann B in das haus gehen zu A und sich etwas nehmen? 174 ss nein 175 l das geht nicht (.) also das gericht oder der gerichtsvollzieher geht zu dem haus und nimmt dinge (2) aus dem haus (2) diese dinge werden verkauft 176 ss mhm (2) 177 l andereandere menschen kaufen die dinge 178 ss ja 179 l geben das geld- und das gericht gibt das geld B (.) und der pro‐ zess ist zu ende Tab. 4.21: Auszug aus IBS37, Lerngruppe LGb, U7/ Plenum IV, 14. Nov. 2015; 20. Unter‐ richtswoche (p=Praktikantin) Boblett (2018: 271) betont in der Ergebnisdiskussion zu seiner Studie über ex‐ plorative Dialoge im Fremdsprachenunterricht, wie wichtig die Funktionen 198 Michael Schart <?page no="199"?> sind, die Lehrerinnen und Lehrer in diesen Phasen erfüllen müssen. Auch wenn der Austausch hauptsächlich in den Händen der Lernenden liegt, so sind ihre Redebeiträge doch ausschlaggebend für das Gelingen solcher Sequenzen. Sie validieren, organisieren, unterstützen bei Formulierungen und schaffen ein sti‐ mulierendes Umfeld, indem sie an geeigneten Stellen Zwischenfazite ein‐ schieben oder Diskussionsstränge zusammenführen. Auch Pehmer et al. (2015) heben hervor, wie Lehrkräfte auf diese Weise ein Gerüst für das Denken der Lernenden (scaffolding) schaffen. Genau diese Prozesse lassen sich auch in den Plenumsphasen der vorliegenden Studie verfolgen, wie die Tab. 4.20 und 4.21 beispielhaft verdeutlichen. Es wäre daher ein Missverständnis, exploratives Lernen vor allem für die Gruppenarbeitsphasen anzustreben. Vielmehr zeigt sich in den Daten dieser Studie, dass es häufig des Plenums bedarf, um eine kumulative Sequenz in eine explorative zu überführen. Gemeinsame Wissenskonstruktion im explorativen Modus Hervorzuheben an der Szene in Tab. 4.21 ist ebenfalls, dass der Lehrer nicht nur eine inhaltliche Zusammenfassung liefert. Seine Redebeiträge zeichnen zugleich den Weg nach, den die gemeinsame Wissenskonstruktion der Studierenden zuvor genommen hat. IBS37 stellt somit ein typisches Beispiel dafür dar, wie in einer explorativ angelegten Interaktion im Klassenraum gemeinsam Wissen ge‐ neriert wird. Es gehört jedoch zu den wichtigen Ergebnissen der Analyse, dass sich solche Phasen nicht besonders häufig in den Daten finden lassen. Diese Studie kann zwar an zahlreichen Beispielen aufzeigen, wie der explorative Modus die Be‐ dingungen für kollaborative Wissensproduktion schafft und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Doch nur in wenigen Situationen kristallisiert sich dieser Prozess so prägnant heraus und führt zu einem so greifbaren Ergebnis wie in IBS37. In den meisten Fällen lässt sich nur sehr schwer einschätzen, ob man in der betreffenden Situation von einer gemeinsamen Wissensproduktion sprechen kann. Diese Schwierigkeit hängt auch damit zusammen, dass ich diesen Begriff im Unterschied zu vielen anderen Studien sehr eng fasse. Er be‐ zieht sich hier ausschließlich auf Situationen, in denen sich in einer Abfolge von Redebeiträgen die Weiterentwicklung fachlichen Wissens abzeichnet. Ko-Kon‐ struktionen, bei denen Lernende sich gegenseitig beim Formulieren von Äuße‐ rungen unterstützen (z. B. Foster/ Ohta 2005), klammere ich somit aus. Als ein Indikator für sprachliches kognitives Engagement sind sie ein Gegenstand von Kap. 4.4.5. Der bereits in Kap. 2 vorgestellte Auszug aus IBS47 (Tab. 2.3) stellt ein Beispiel für diese enge Auslegung des Begriffs der gemeinsamen Wissensgenerierung 199 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="200"?> dar. Die Studierenden diskutieren in dieser Episode über die sprachliche Ge‐ staltung von Gesetzestexten. Am Transkript lässt sich verfolgen, wie sie im Ple‐ numsgespräch ihr Verständnis für den Detailliertheitsgrad von juristischen For‐ mulierungen schärfen. Mit IBS26 soll im Folgenden ein weiteres Beispiel für eine solche gemeinsame Wissenskonstruktion aus einer Gruppenarbeit vorgestellt werden. Der Aus‐ tausch entfaltet sich hier an der Frage, was eigentlich den Unterschied zwischen den einzelnen, vom Grundgesetz geschützten Grundrechten und der im Artikel 1 verbrieften Würde des Menschen ausmacht. IBS25 (U6/ Gruppenarbeit I/ 1) 42 sb04 sprechen wir über recht oder würde? ja das ist was ich denke weil was ist unterschied zwischen- (.) unterschied? [vergewissert sich, ob das Wort richtig ist] 43 sb14 ja 44 sb04 unterschied zwischen die würde und die recht (.) ich denke das ist recht aber 45 sb14 sb08 ja 46 sb04 aber ich weiß nicht das ist auch würde 47 sb08 würde menschenwürdig mhm (4) 48 sb08 recht ist etwas man kökönnen etwas 49 sb04 können 50 sb08 aber würdig ist ander 51 sb04 ja ja ja 52 sb08 ja das ist natürlich 53 sb14 ja natürlich 54 sb08 natürlich 55 sb04 ist das mehr wie ah pride [engl] oder? 56 sb08 etwas ins person oder? ins person 57 sb04 ja ja ja 200 Michael Schart <?page no="201"?> 58 sb08 ja nicht aus person oder? was eine person denken oder was ein personich weiß nicht 59 sb04 was denkst du? [zu sb09] ja sie studiere jura 60 sb14 ja 61 sb09 über was? können? 62 sb08 nein (.) unterschied zwischen würdig und recht (.) würdig ist und recht 63 sb09 menschenwürde ist sein meinung haben kann können 64 sb08 mhm (15) 65 sb04 ehm als die würde ich denke kein mann? kein mann sollten sollen sollen was ist slave? [engl] [zu l, der gerade zur Gruppe kommt] 66 l sklave 67 ss sklave sklave 68 sb04 ich denke kein mann sollen sind sklave sind gegen von sein 意 志 (Wille) (.) zum beispiel er [meint sb14] möchte meine sklave sind 69 sb14 ja 70 sb04 sie kann (.) aber wenn sie nicht möchte sie kann nicht (.) ja ja ja sie muss muss nicht (.) sie müssen nicht (.) ich denke das ist ein teil von die würde des menschen (.) also haben oder muss alle mann muss nicht der sklave nicht sklave sind 71 sb14 ja 72 sb08 mhm (4) 73 sb04 was denkst du? (7) 74 sb08 das ist schwer 75 l noch zwei minuten [im Hintergrund an alle Gruppen gerichtet] 76 sb14 ja 77 sb08 sehr schwer 78 sb04 zwei minuten 79 sb14 zum beispiel haben 201 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="202"?> 80 sb04 haben? 81 sb14 ja du du hast das gesagt (.) haben sein idee 82 sb04 ah ja ja 83 sb08 meinung haben 84 sb09 ich denke das ist gleich 85 sb08 ja meinung haben können (.) ja meinung 86 sb04 ja idee meinung 87 sb14 ah ja 88 sb04 in meinem meinung [gibt ein Beispiel für die Verwendung des Wortes Meinung] 89 sb14 in meiner meinung (.) in seiner seinung? 90 sb04 [lacht] 91 sb08 alle person ist egal 92 sb14 ja 93 sb04 ja ja 94 sb08 gleich 95 sb04 minister und ich sind egal (.) a. [sb08] und seine ex so sind egal? 96 sb08 好きだな (Dieses Thema magst du.) 97 sb04 [lacht] (4) 98 sb14 haben sie andere idee? 99 l [im Hintergrund] entschuldigung wir haben nur noch zehn mi‐ nuten [beendet die Gruppenarbeit] Tab. 4.22: Auszug aus IBS25, Lerngruppe LGb, U6/ Gruppenarbeit I/ 1, 10. Nov. 2015; 20. Unterrichtswoche Es sind zu Beginn dieses Ausschnitts vor allem sb04 und sb08, die sich im Aus‐ tausch von Gedanken Schritt für Schritt einer Antwort auf die Frage nähern, wie sich die Begriffe Würde und Recht voneinander abgrenzen lassen. Student sb08 formuliert schließlich in den Zeilen 56 und 58 eine Definition, die sich aus Elementen der vorangegangenen Redebeiträge zusammensetzt. In der Folge 202 Michael Schart <?page no="203"?> versucht die Gruppe, die Thematik anhand von drei Grundrechten (Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Gleichheit) präziser zu fassen, woran sich alle vier Studierenden aktiv beteiligen. In dieser Sequenz fällt auf, dass neben dem kognitiven Engagement der Stu‐ dierenden das Gruppenklima einen wichtigen Faktor darstellt. Die Studierenden gehen nicht nur auf die Ideen der anderen ein, unterstützen sich gegenseitig oder bitten um Kommentare. Sie nutzen auch sich bietende Gelegenheiten für das Spiel mit Sprache (Zeile 89) oder um scherzhafte Bemerkungen einzu‐ flechten (Zeile 68, 95). Thematische Ernsthaftigkeit und eine gewisse Leichtig‐ keit im Umgang verbinden sich und begünstigen in dieser Situation, dass der Austausch nicht abbricht. In diesem Fall ist es daher wohl auch der besonderen Konstellation der Personen zu verdanken, dass die Gruppe in ihrer Diskussion tiefer in die Thematik vordringt als die beiden parallel verlaufenden Gruppen‐ arbeiten. Inwieweit der Ausschnitt in Tab. 4.22 jedoch tatsächlich eine nachhaltige Wissenserweiterung bei den vier Beteiligten dokumentiert und ob die Studie‐ renden meine Interpretation der Sequenzen teilen, kann diese Studie aufgrund ihrer Anlage nicht beantworten. Dafür hätte ich subjektive Wahrnehmung der Studierenden einbeziehen und zugleich der Frage nachgehen müssen, inwieweit dieses Wissen zu späteren Zeitpunkten aufgegriffen wird (vgl. James 2006). An dieser Stelle bleibt somit festzuhalten, dass die kollaborative Wissenspro‐ duktion nur in relativ wenigen Situationen wirklich greifbar wird. Es handelt sich um Phasen der Interaktion, in denen Elemente aus den Redebeiträgen meh‐ rerer Studierender in die Formulierung einer neuen Idee münden. Solche kol‐ laborativen Wissensproduktionen stehen im hier untersuchten Kontext in keiner engen Verbindung zu den Aufgabentypen. Den Versuch, sie mit Hilfe didaktischer Arrangements planen zu wollen, sehe ich daher eher kritisch. Gleichwohl lassen sich aus dem Vergleich von kumulativen und explorativen Sequenzen einige Konsequenzen für die Gestaltung der Materialien ableiten. So sind es gerade die offenen Impulse und die Konfrontation mit kognitiven Kon‐ flikten (vgl. Gillies 2014), die Studierende eher dazu bringen, einen explorativen Modus des Dialogs zu praktizieren. Aufgabenstellungen hingegen, bei denen es eher darum geht, ein vorgefertigtes Schema mit eigenen Ideen zu füllen, ver‐ leiten eher zum kumulativen Austausch. Als prototypische Beispiele für die ex‐ plorative Variante können die drei parallelen Gruppenarbeiten IBS48-50 gelten, bei denen es darum ging, die Ursachen für ein Phänomen zu ergründen. Die kumulative Variante findet sich exemplarisch in den Gruppenarbeiten IBS 29-31 verwirklicht. Hier bestand die Aufgabe darin, eigene Beispiele für ein Phänomen zu finden. 203 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="204"?> Dennoch spricht viel gegen eine Überbewertung des Faktors Aufgabenstel‐ lung. Das ist zum einen der soziale Charakter von Interaktionen, wie er in Tab. 4.22 zum Ausdruck kommt. Zum anderen deutet sich in den Daten an, dass das spontane interaktive Handeln der Lehrkraft gerade in den Plenumsphasen von besonderer Bedeutung ist. Im Verlauf dieses Abschnitts wurde beschrieben, wie sie, indem sie Impulse setzt, Ideen zusammenführt oder einfach nur ausreichend lange Denkzeiten gewährt, explorative Dialoge gezielt unterstützen kann. Zwischenbemerkung Die Ausführlichkeit, in der das inhaltliche kognitive Engagement der Studie‐ renden anhand mehrerer Indikatoren bis hierhin analysiert und beschrieben wurde, liegt darin begründet, dass vor allem an dieser Dimension des Lern-En‐ gagements die Unterschiede zwischen den verschiedenen Modi des dialogischen Lernens aufgezeigt werden können. Bei den nun folgenden drei Dimensionen des Lern-Engagements fällt es dagegen deutlich schwerer, sie derart ausdiffe‐ renziert darzustellen. Es kommt vielmehr eine Tendenz zum Tragen, die sich bereits in Kap. 4.4.4 andeutete: Dialogisches Lernen wird - ganz unabhängig vom Modus der Interaktion und dem jeweiligen Aufgabentyp - durch bestimmte Merkmale der Interaktion geprägt. So wurde weiter oben bereits deutlich, dass die Kategorie „Impulse“, insbesondere im Hinblick auf die Fragen von Seiten der Studierenden, über die untersuchten Unterrichtssituationen hinweg eine ähn‐ liche Ausprägung aufweist. Solche selbstinitiierten Impulse gehören somit zu den spezifischen Kennzeichen dialogischer Lernprozesse. Dieser Argumentati‐ onsstrang lässt sich fortführen, wenn man die Indikatoren zum sprachlichen kognitiven Engagement, zum sozialen Engagement und auch zum motivatio‐ nalen Engagement einbezieht. Das dialogische Lernen tritt dabei - unabhängig von konkreten Unterrichtsphasen - in seinen Charakteristika zum Vorschein. Da sich die Muster der Interaktion gleichen, bringt eine Aufschlüsselung der Sequenzen nach Modi oder Aufgabentyp nunmehr keinen zusätzlichen Gewinn an Erkenntnis. Die folgenden Abschnitte werden sich daher auf die übergrei‐ fenden Merkmale dialogischen Lernens konzentrieren. 4.4.5 Sprachliches kognitives Engagement Sprachlicher Fokus Die Sprachbezogenen Sequenzen (SBS) wurden im Verlauf der Darstellung be‐ reits an verschiedenen Stellen thematisiert. So ließ sich Tab. 4.19 entnehmen, dass sich über die Aufgabentypen und Modi der Interaktion hinweg ein relativ stabiler Anteil von etwa 25 Prozent der Redebeiträge auf sprachliche Probleme 204 Michael Schart <?page no="205"?> beziehen. Eine deutliche Ausnahme bildeten nur die lehrerdominierten Se‐ quenzen, in denen der Austausch vor allem inhaltsbezogen gestaltet wird. Die Entscheidung dafür, diese Studie entgegen dem Forschungstrend nicht ausschließlich auf linguistische Phänomene zu fokussieren, findet in diesem, vergleichsweise geringen Anteil sprachbezogener Sequenzen am Unterrichts‐ geschehen eine Bestätigung (Kap. 4.2.3). Gleichwohl ist es natürlich für das Ver‐ ständnis der interaktiven Prozesse im hier untersuchten Kontext entscheidend, auch den Umgang mit sprachlichen Hürden in den Blick zu nehmen. Wie aus Tab. 4.3 ersichtlich wurde, bekräftigt die vorliegende Studie den For‐ schungsstand zur Interaktion in fach- und sprachintegrierten Unterrichtsset‐ tings: Wenn sich während des Austauschs das Augenmerk auf sprachliche As‐ pekte richtet, dann sind zumeist lexikalische Probleme der Auslöser (vgl. Eckerth 2009; Foster 1998; Lasito 2013; Llinares/ Dalton-Puffer 2015: 71; García Mayo 2010; Watanabe/ Swain 2007). Ein anderes Ergebnis der bisherigen Forschung gerät jedoch anhand der Ana‐ lyse zum sprachlichen kognitiven Engagement in Zweifel: Wie McDonough (2015) in ihrem Überblick über die Erkenntnisse zu aufgabenbasiertem Unter‐ richt in asiatischen Ländern hervorhebt, muss sprachbezogenes Feedback als ein sehr seltenes Phänomen bei Lernenden dieser Region gelten (ebenso Kayi-Aydar 2013). Dass eine solche Verknüpfung von Lernerverhalten und kultureller Prä‐ gung grundsätzlich zu hinterfragen ist, sollte nach den Ausführungen in Kap. 2.7 bereits deutlich geworden sein. Und tatsächlich widersprechen die Daten in diesem Forschungsprojekt dem von McDonough (2015) zitierten Befund sehr auffällig. Denn Situationen, in denen die Lernenden sich sprachliches Feedback geben und sich gegenseitig bei der Formulierung von Äußerungen unterstützen, stellen im hier untersuchten Kontext ein typisches Merkmal der Interaktion dar, wie im Folgenden ausführlicher zu zeigen sein wird. Damit verortet sich diese Studie eher im Umfeld jener Forschungen, die von der Flexibilität der Lernkulturen ausgehen und die Veränderungsprozesse beim Verhalten oder den Einstellungen von Lernenden untersuchen. Im Hinblick auf den Aspekt Feedback ist beispielsweise die Arbeit von Sato/ Lyster (2012) zu nennen. Sie zeichnet nach, wie sich sprachliche Rückmeldungen auch mit Stu‐ dierenden in Japan gezielt trainieren lassen. Das veränderte Interaktionsver‐ halten beeinflusst - so ihr Ergebnis - nicht nur die Korrektheit und die Flüs‐ sigkeit des Sprachgebrauchs positiv, sondern auch das gegenseitige Vertrauen und die Atmosphäre im Klassenraum insgesamt. Vergleichbare Erkenntnisse liefern ebenfalls Fuji et al. (2016). Im Gegensatz zu Sato/ Lyster (2012), die ein quasi-experimentelles Design nutzen und vor allem Partnerarbeit in den Blick nehmen, untersucht die vor‐ 205 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="206"?> liegende Studie die Entwicklung des sprachlichen kognitiven Engagements in einem alltäglichen und somit komplexeren Unterrichtssetting. Das Training be‐ steht in diesem Kontext darin, dass die Studierenden vom ersten Tag ihrer Teil‐ nahme am Intensivprogramm dabei unterstützt werden, dialogische Lernpro‐ zesse selbst zu gestalten. Welchen Stand sie hinsichtlich der sprachbezogenen Interaktion am Ende des ersten Studienjahres erreicht haben, verdeutlicht Abb. 4.13 anhand der Ergebnisse der Kategorie „Hürden“. Abb. 4.13: Anzahl und Verteilung der Redebeiträge in der Kategorie „Hürden“ auf Lehr‐ kraft und Studierende sowie auf Gruppen- und Plenumsphasen Redebeiträge in der Kategorie „Hürden“ Dieser Kategorie wurden alle Redebeiträge zugeordnet, in denen sich der Aus‐ tausch auf sprachliche Probleme richtet und entsprechend ihrer interaktionalen Funktion kodiert. Ob damit die weiter oben zitierte Erkenntnis über den Sel‐ tenheitswert von Feedback bei japanischen Studierenden widerlegt wird, lässt sich aufgrund der fehlenden Vergleichsdaten schwer einschätzen. Es zeigt sich jedoch, dass es im hier untersuchten Kontext zum normalen Verhalten der Stu‐ dierenden gehört, sich gemeinsam auch mit sprachlichen Schwierigkeiten aus‐ 206 Michael Schart <?page no="207"?> einanderzusetzen. Wie aufgrund des Gesamtanteils der sprachbezogenen Se‐ quenzen an der Interaktion von ca. 25 Prozent nicht anders zu erwarten ist, lassen sich pro Minute deutlich weniger Redebeiträge der Kategorie „Hürden“ beobachten als bei den Kategorien „Impulse“ oder „Inhalte“ (vgl. Abb. 4.13). Dennoch kann keineswegs von einem seltenen Phänomen die Rede sein. Das liegt vor allem daran, dass die Lehrkraft und auch die Studierenden relativ häufig spontan Hilfen bei Formulierungen anbieten. Die Mehrzahl der Redebeiträge mit der Kodierung „Hinweis“ fällt in diese Gruppe. Zudem haben die Studie‐ renden offensichtlich keine Probleme damit, Wiederholungen des Gesagten einzufordern oder um Unterstützung zu bitten. Tendenziell passieren solche Si‐ tuationen etwas häufiger in den Gruppenarbeitsphasen als im Plenum. Aufschlussreich ist an der Übersicht von Abb. 4.13 vor allem, dass sich die Muster der Interaktion gleichen. So wird die traditionelle Rolle der Lehrkraft in den Gruppen wechselseitig von den Studierenden ausgefüllt. Und nicht selten lässt sich dieses Verhalten auch in den Plenumsphasen beobachten, wie die fol‐ genden beiden Beispiele veranschaulichen. IBS10 (U2/ Plenum III) 106 sa04 so vielleicht niedersachsen ist ein land ist ein 住みやすい (praktisch, einfach zu leben) wohnen? einfach für wohnen? viel‐ leicht [lacht] 107 l ein land wo 108 sa04 ein land wo 109 l man 110 sa04 man einfach 111 sa08 leben 112 sa04 leben 113 sa08 haben 114 sa04 ja vielleicht Tab. 4.23: Auszug aus IBS10, Lerngruppe LGa, U2/ Plenum III, 17. Dez. 2012; 26. Unter‐ richtswoche Zu Beginn des Ausschnitts in Tab. 4.23 formuliert Studentin sa04 eine Zusam‐ menfassung für ihre Präsentation über die Lebenssituation in Niedersachsen, deutet jedoch am Ende von Zeile 106 an, dass sie sich unsicher damit fühlt. Es 207 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="208"?> folgen in den Zeilen 107 und 109 zwei für die Kodierung „Hinweis“ typische Redebeiträge der Lehrkraft, in der sie Unterstützung anbietet. Interessant ist an dieser kurzen Episode vor allem, dass Student sa08 in Zeile 111 die Funktion der Lehrkraft unvermittelt für sich beansprucht und damit für die Studierenden die Aufgabe der Ko-Konstruktion übernimmt. Diese Form der Arbeitsteilung lässt sich auch im Plenum keineswegs selten beobachten. Noch deutlicher tritt dieser Prozess in Tab. 2.24 hervor. Student sb04 zeigt während der relativ langen Pause am Ende von Zeile 62 an, dass er den Rede‐ beitrag nicht verstanden hat. Die Lehrkraft bittet ihn, seine Frage zu formulieren (Zeile 63). Der sich anschließende Hinweis des Lehrers in Zeile 69 bringt jedoch keine Klärung, denn er verfehlt die Ursache des Problems von sb04, der an‐ scheinend das Wort „wen“ nicht kennt. Einen überzeugenderen Ansatz als die Lehrkraft wählt daraufhin sb05, der ab Zeile 70 die Erklärung übernimmt. Dass auch die gemeinsamen Bemühungen der Lerngruppe, sb04 zu helfen, letztlich nicht vollends zum Ziel führen, ist an dieser Stelle nebensächlich. Denn der Auszug soll vor allem die zentrale Rolle veranschaulichen, die den Studierenden in dialogischen Lernprozessen nicht nur bei der inhaltlichen Auseinanderset‐ zung zukommt, sondern auch dann, wenn sprachliche Hürden bewältigt werden müssen. IBS28 (U6/ Plenum II) 59 sb12 meine idee ist wir heiraten mit liebe person [l notiert den Vor‐ schlag an der Tafel, leise Gespräche zwischen ss] (5) 60 l ok ein wichtiges thema (.) 61 sb12 sb14 ja 62 l die menschen sollten heiraten können wen sie wollen (10) 63 l haben sie eine frage herr t [sb04]? 64 sb04 warum es gibt ein n? wenn? w-e-n doppel n, ah wenn? 65 sb03 ah 66 sb04 ja das spell [engl] stabieren buchstabieren (4) ich weiß nicht warum 67 l verstehen sie das problem? [an alle] 68 ss mhm ja 208 Michael Schart <?page no="209"?> 69 l also alles ist möglich heiraten können wenn man möchte (.) hei‐ raten können wen man möchte 70 sb05 wen ist nicht die zeit aber das person 71 sb14 ah 72 sb09 wer の 4 格 (Akkusativ von wer) 73 sb14 wer plus denn (den)? 74 sb04 ah? 75 ss [lachen] 76 l herr t [sb04] versteht noch nicht 77 sb05 wen ist nicht zum beispiel wenn mein haus brennt oder wenn ich wenn ich esse oder eewen ist nicht zeit 78 sb04 ja 79 sb05 das wen ist der person ich möchte heraten heiraten 80 sb04 mhm 81 sb03 also wen ist wer den(n) 82 sb14 ja 83 sb04 ah wer den(n)? 84 l eh? wenn wen [stark betonte Aussprache, zeigt auf Tafelbild] das ist nicht wenn (.) das ist wen (.) wen kommt von wer 85 sb04 eh? es ist nacht [zeigt auf seinen Kopf] 86 ss/ l [lachen] 87 l tja herr t [sb04] grammatik 88 sb04 ja ja ja ja ich will lesen 89 sb12 das ist wichtig 90 l das ist sehr wichtig (.) genau Tab. 4.24: Auszug aus IBS28, Lerngruppe LGb, U6/ Plenum II, 10. Nov. 2015; 20. Unter‐ richtswoche 209 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="210"?> 13 vgl. dazu auch die Studie von Sato/ Viveros (2016), die ein ähnliches Phänomen unter dem Begriff collaborative sentence completition beschreibt. Walsh (2013: 48) spricht mit Verweis auf McCarthy (2005) und in Abgrenzung zu der in Interaktionsstudien häufig untersuchten Flüssigkeit individueller Redebeiträge (fluency) von confluence. An einem dritten Beispiel aus einer Gruppenarbeit möchte ich schließlich zeigen, weshalb die Sozialform bzw. der Aufgabentyp im Hinblick auf das sprachliche kognitive Engagement keinen bedeutsamen Faktor darstellt. Auch ohne Beteiligung der Lehrkraft kommt es zu interaktiven Prozessen, die zu jenen im Plenum deutliche Parallelen aufweisen. Es finden immer wieder Ko-Kon‐ struktionen (vgl. Foster/ Ohta 2005) der Studierenden statt, bei denen gemeinsam nach geeigneten Formulierungen für einen Gedanken gesucht wird 13 . Der folgende Auszug stammt aus jener Gruppenarbeit, die der Plenumsphase von Tab. 4.24 unmittelbar vorgelagert war. Er zeigt, wie die Studentin sb12 ihre Idee von der freien Wahl des Ehepartners (Tab. 4.24, Zeile 59) zunächst in der Gruppe zur Diskussion stellte, bevor sie diese später im Plenum präsentiert. IBS27 (U6/ Gruppenarbeit I/ 3) 84 sb12 ich habe idee (.) wir wir heiraten 85 sb03/ sb05 ja mhm 86 sb12 mit wer wiwer wir leliebe 87 sb03 ja 88 sb12 das ist wichtig für mich 89 ss [lachen] 90 sb03 für ich auch 91 sb05 かわいいってなんていうんだっけ (Wie sagt man nochmal süß? ) 92 ss [alle lachen] 93 sb03 süß 94 sb05 süß [lachen] süß 95 sb03 ist das dürfen? 96 sb12 mhm können oder? 97 sb05 können か (i.S.v. Ob das richtig ist? ) (8) 210 Michael Schart <?page no="211"?> 98 sb12 mit liebe person かな (Oder? ) 99 sb05 jemand jemand ich liebe 100 sb12 jemand? (3) 101 sb03 jemand 102 sb12 jemand oder 103 sb03 ich liebe 104 sb12 mit jemand 105 sb05 mit jemand 106 sb12 mit liebe person? 107 sb05 ah mit liebe person (.) ist das ein worten? 108 l noch zwei minuten [im Hintergrund, an alle Gruppen ge‐ richtet] 109 sb12 nein liebe und person (14) [ss machen Notizen] Tab. 4.25: Auszug aus IBS27, Lerngruppe LGb, U6/ Gruppenarbeit I/ 3, 10. Nov. 2015; 20. Unterrichtswoche Einmal mehr verdeutlicht ein Transkript in verdichteter Form das Potenzial und die Probleme des hier untersuchten Unterrichtskonzepts: Einerseits bietet es der Interaktion ausgedehnte Spielräume, andererseits erhöht das Risiko, dass die Lernenden Irrwege einschlagen oder scheitern. In diesem Fall führt der Aus‐ tausch dazu, dass Ansätze für bessere Formulierungen der Idee von sb12 letztlich verworfen werden und sich eine weniger geeignete Variante durchsetzt. Aber das ist an dieser Stelle nicht ausschlaggebend. Wichtig ist in dieser Episode, dass sie nachvollziehbar macht, wie die Studierenden auch bei sprachlichen Hürden eine dialogische Haltung einnehmen, sich gegenseitig ergänzen und fehlerhafte Äußerungen in Kauf nehmen. Und wie in vorangegangenen Auszügen (z. B. Tab. 4.22) wird deutlich, dass die Atmosphäre in der Gruppe ein stützendes Element dieser Form des gemeinsamen Lernens darstellt (Zeile 88-92). Diesem Zusam‐ menhang möchte ich mich nun eingehender zuwenden. 211 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="212"?> 4.4.6 Soziales Engagement Bedeutung gruppenbezogener Sequenzen Der Anteil der Gruppenbezogenen Sequenzen an der Interaktion im Klassen‐ raum wurde in Kap. 4.3.5 als einer der Indikatoren für das Soziale Engagement der Studierenden angeführt. Blickt man ausschließlich auf diese Zahlenwerte, muss man zu dem Schluss gelangen, dass dieser Dimension des Lern-Engage‐ ments eigentlich keine besondere Relevanz zukommt. So ließ sich Tab. 4.3. ent‐ nehmen, dass nur 2 bis 3 Prozent des Austauschs auf Sequenzen entfallen, in denen die Lernenden die Beziehungsebene thematisieren. Weshalb diese ge‐ ringen prozentualen Anteile die eigentliche Bedeutung der sozialen Prozesse im hier untersuchten Kontext jedoch nicht angemessen widerspiegeln, wurde be‐ reits in den Ergebnissen von Kap. 3 deutlich: Aus Sicht der Studierenden ist das Gelingen des Unterrichtskonzepts im Intensivprogramm sehr eng mit der Qua‐ lität der persönlichen Beziehungen in der Lerngruppe verknüpft. Die Verbindungslinien, die sich zwischen dieser subjektiven Wahrnehmung und den konkreten Interaktionsprozessen ziehen lassen, kamen im Verlauf der bisherigen Darstellung bereits mehrfach zum Vorschein. So warfen die Trans‐ kripte des Unterrichtsgeschehens - obgleich es in ihnen vor allem um Aspekte wie den inhaltlichen Austausch oder die Bewältigung sprachlicher Hürden ging - unvermeidlich zugleich auch Schlaglichter auf die Beziehungsebene. Es wurde immer wieder deutlich, wie sehr sich dialogische Lernprozesse und ein vertrau‐ ensvolles Miteinander gegenseitig bedingen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass die Studierenden aus der Beschäftigung mit den inhaltlichen Fragen aus‐ brechen, der Ernsthaftigkeit eine gewisse Leichtigkeit entgegensetzen, indem sie sich necken oder mit Sprache spielen. In IBS25 (Tab. 4.22) findet sich dafür ebenso ein Beispiel wie in IBS27 (Tab. 4.25). Ich möchte in diesem Abschnitt jedoch noch einige weitere kurze Episoden vorstellen, um diesen Zusammen‐ hang anhand konkreter Daten zu verdeutlichen. Im folgenden Ausschnitt geht es eigentlich um die Frage, was die Verände‐ rungen bei der Körpergröße von Männern über den Wohlstand in einer Gesell‐ schaft aussagen. Der Gesprächsausschnitt beginnt damit, dass mehrere Studie‐ rende in einer Ko-Konstruktion eine sprachliche Hürde meistern. Er nimmt dann jedoch kurzzeitig sehr privaten Charakter an, da die Studentin sa10 mit den Redebeiträgen in den Zeilen 379, 382 und 389 ihre persönliche Vorliebe für einen bestimmten Männertyp ins Spiel bringt. 212 Michael Schart <?page no="213"?> IBS20 (U4/ Plenum I) 379 sa10 große männer scheint 380 sa03 scheint? 381 sa06 sehen aus 382 sa10 stark zu sein 384 sa08 scheinen って見える (Das bedeutet „aussehen“.) 385 sa02 あ そう (Ach so.) scheint 386 sa05 stark zu sein 387 sa04 so? 388 sa05 deshalb? 389 sa10 und so das thema ist wichtig 390 sa06 eh? 391 ss eh? 392 sa11 ich kann nicht verstehen 393 ss [lachen] 394 sa06 a. [sa10] denken sie je stärker männer sind glücklicher männer sind? die männer? 395 ss [lachen] 396 sa10 ja 397 sa03 あ そう (Ach so.) a. [sa10] liebe groß männer 398 sa10 ja 399 ss [lachen] 400 sa07 aber was aber was denken sie über die frauen? 401 ss [lachen] Tab. 4.26: Auszug aus IBS20, Lerngruppe LGa, U4/ Plenum I, 7. Jan. 2013; 27. Unterrichts‐ woche 213 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="214"?> Es sagt meines Erachtens bereits viel über die Atmosphäre in dieser Lerngruppe aus, dass es zum alltäglichen Unterrichtsgeschehen gehört, auch solche eher persönlichen Themen anzusprechen. Und die Reaktionen der anderen Studie‐ renden zeigen, weshalb dies bedenkenlos möglich ist: sa10 braucht sich nicht zu sorgen, bloßgestellt zu werden. Solche kurzen Sequenzen, in denen gemeinsam gescherzt und gelacht wird, entstehen immer wieder aus der Situation heraus. Sie sind eingebettet in den inhaltlichen Austausch und treten nur für wenige Momente in den Vordergrund. Sie durchziehen jedoch das Datenmaterial in beiden Lerngruppen und finden sowohl in den Plenumsals auch - wie die folgende Episode beispielhaft demonstriert - in den Gruppenarbeitsphasen statt. IBS25 (U6/ Gruppenarbeit I/ 1) 13 sb14 ja zum beispiel man sagt man sagen sagt 14 sb08 können (.) das passt zu können 15 sb14 zum beispiel du bist du bist seltsam 16 sb04 ich weiß das 17 sb14 ja 18 ss [lachen] Tab. 4.27: Auszug aus IBS25, Lerngruppe LGb, U6/ Gruppenarbeit I/ 1, 10. Nov. 2015; 20. Unterrichtswoche Die Studierenden diskutieren darüber, welche gesetzlichen Regelungen die Menschenwürde schützen und kommen dabei auf die Redefreiheit zu sprechen. Dass es sich bei dem Redebeitrag in Zeile 15 um eine schlagfertige, scherzhaft gemeinte Anmerkung handelt und nicht um eine Provokation wird klar er‐ kennbar, wenn man sich die Zusammenarbeit der beiden Studierenden sb14 und sb04 über mehrere Stunden hinweg ansieht. Sie lassen keine Gelegenheit aus, sich zu necken, kehren aber immer auch sehr schnell wieder zur ernsthaften Beschäftigung mit den Materialien und Aufgaben zurück. Dass dem gemein‐ samen Lachen unter anderem die Funktion zukommt, das soziale Gefüge der Lerngruppe zu stützen, wird ausführlicher in Kap. 5 analysiert. Redebeiträge in der Kategorie „Schmierstoff“ Als einen weiteren Indikator für das Soziale Engagement der Studierenden möchte ich die Ergebnisse aus der funktionalen Analyse der einzelnen Rede‐ 214 Michael Schart <?page no="215"?> beiträge anführen. Die Zusammenstellung der Kodierungen zur Kategorie „Schmierstoff “ führt in dieser Hinsicht zu einem sehr aufschlussreichen Bild. Wie sich an Abb. 4.14 erkennen lässt, ist die Interaktion gekennzeichnet durch eine relativ hohe Frequenz von Redebeiträgen, die dazu dienen, den Dialog in der Lerngruppe am Laufen zu halten. Es handelt sich zum einen um Äußerungen, die Missverständnissen oder Abbrüchen vorbeugen, etwa die von der kognitiven Interaktionsforschung bevorzugt untersuchten Kategorien comprehension check („Verständnis_andere“) und confirmation check („Verständnis_selbst“). Zum an‐ deren fasse ich unter der Kategorie „Schmierstoff “ jedoch auch Signale, mit denen die Akteure sich gegenseitig Interesse und Involviertheit anzeigen und damit den Fortgang des Gesprächs befördern (vgl. Foster/ Ohta 2005, Kap. 4.2.3). Abb. 4.14: Anzahl und Verteilung der Redebeiträge in der Kategorie „Schmierstoff “ in Plenums- und Gruppenarbeitsphasen Die Übersicht verdeutlicht, dass es - auch in den Plenumsphasen - vor allem die Lernenden selbst sind, die zur Aufrechterhaltung des Dialogs beitragen: Sie signalisieren mit kurzen Reaktionen und Kommentaren, dass sie dem Gespräch folgen und sie prüfen auch vergleichsweise häufig ihr eigenes Verständnis. In deutlich geringerem Umfang jedoch vergewissern sie sich gezielt bei anderen, ob ihr Redebeitrag inhaltlich korrekt bzw. überzeugend ist („Vergewisserung“) oder ob er verstanden wurde („Verständnis_andere“). 215 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="216"?> Die Daten bestätigen somit einerseits eine Erkenntnis aus anderen Interak‐ tionsstudien, die darauf hinweisen, dass in aufgabenbasierten Settings Redebei‐ träge der Kategorie „Schmierstoff “ relativ häufig zu beobachten sind (vgl. Seed‐ house 2010: 120). Andererseits legt die Analyse jedoch auch das Entwicklungspotenzial des dialogischen Lernens im hier untersuchten Kontext offen: Durch eine Bewusstmachung einzelner Funktionen von Redebeiträgen könnte die interaktive Kompetenz der Studierenden gezielt gefördert werden (vgl. Kap. 4.5). Nicht zuletzt zeigt die Untersuchung des sozialen Engagements unter funk‐ tionalen Gesichtspunkten, dass auch aus dieser Perspektive keine herausste‐ chenden Unterschiede zwischen Plenums- und Gruppenarbeitsphasen oder den jeweiligen Modi des Dialogs ausgemacht werden können. Das soziale Engage‐ ment der Lernenden in Form von Signalen, die die Interaktion stützen und vor‐ antreiben, muss als ein inhärenter Bestandteil des dialogischen Lernens ver‐ standen werden. 4.4.7 Motivationales Engagement Am Beginn dieses Abschnitts möchte ich auf die vielfältigen Einsichten ver‐ weisen, die in Kap. 3 durch die Analyse der studentischen Unterrichtsevaluati‐ onen gewonnen wurden. Denn ein maßgeblicher Zugang zum motivationalen Engagement der Lernenden eröffnet sich fraglos über deren subjektive Wahr‐ nehmungen. Die Ergebnisse von Kap. 3 sollen an dieser Stelle jedoch nicht de‐ tailliert wiederholt, sondern in nur wenigen Worten rekapituliert werden. So führten die Daten aus den Befragungen vor Augen, dass die Studierenden ihre Motivation sehr eng an der inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts, den kogni‐ tiven Herausforderungen, der Relevanz der Inhalte und dem Engagement der Lehrenden festmachen. Nicht weniger stark hängt ihre Motivation davon ab, inwieweit es gemeinsam gelingt, ein angstfreies Unterrichtsklima zu gestalten, in dem die Studierenden partnerschaftlich interagieren. An diese Erkenntnisse anknüpfend möchte ich in diesem Abschnitt zwei weitere Aspekte in den Blick nehmen, die als Indikatoren für das motivationale Engagement der Studierenden gewertet werden können: die Sprachenwahl und die individuelle Beteiligung mit Redebeiträgen. Sprachenwahl Hinter der Entscheidung für die Sprachenwahl als einen aussagekräftigen Indi‐ kator steht die Überlegung, dass es einer besonderen Motivation bedarf, um auch in sprachlich anspruchsvollen Situationen die einfachste Lösung zu meiden, nämlich jene, in die Muttersprache zu wechseln. In ihrer Zusammenschau von 216 Michael Schart <?page no="217"?> 14 Für eine etwa zehnminütige Phase des Unterrichts in Lerngruppe LGb (U7) wurde diese Regel ausgesetzt, weil die Studierenden in Gruppen die Übersetzung eines kurzen Textes ins Japanische erstellten. Diese Gruppenarbeit wurde nicht aufgenommen. Studien zum aufgabenbasierten Unterricht in asiatischen Ländern kommt McDonough (2015) zu dem Schluss, dass sich Lernende gerade in Gruppenar‐ beiten sehr häufig für diesen Ausweg entscheiden. Auch diese Tendenz in den Forschungen zum aufgabenbasierten Unterricht kann hier nicht bestätigt werden. Doch bevor ich auf die Daten zu sprechen komme, möchte ich einige Anmerkungen vorausschicken, die bei der Einordnung meiner Ergebnisse be‐ dacht werden müssen. Die Audiomitschnitte für diese Studie erfolgten in beiden Lerngruppen zu einem Zeitpunkt des Lernprozesses, zu dem die Studierenden bereits in der Lage waren, einen Großteil des Austausches im Klassenraum auf Deutsch zu bewäl‐ tigen. Es steht daher außer Frage, dass diese Momentaufnahme kein repräsen‐ tatives Abbild des gesamten ersten Studienjahres bzw. der gesamten Niveaustufe A darstellt. Noch wenige Wochen zuvor hätte sich gerade für die Gruppenar‐ beiten ein anderes Verhältnis von Mutter- und Fremdsprache ergeben als ich es im Folgenden vorstellen werde. Es ist in diesem Zusammenhang zudem wichtig zu erwähnen, dass sich beide Lerngruppen mit Beginn des zweiten Semesters (ab 15. Lernwoche) nach eingehenden Diskussionen bewusst dafür entschieden hatten, Japanisch möglichst nicht mehr im Klassenraum zu benutzen, also das „So-tun-als-ob“ und damit die grundlegende Voraussetzung kommunikativen Unterrichts in einem monolingualen Setting zu akzeptieren (vgl. Schart/ Legutke 2012: 103) 14 . Von den Aufnahmegeräten ging sicher eine disziplinierende Wir‐ kung aus, diese Absprache auch tatsächlich einzuhalten. Das lässt sich vor allem daran erkennen, dass die Studierenden zuweilen deutlich leiser werden, wenn sie während der Gruppenarbeiten ins Japanische fallen. Die auf Japanisch formulierten Äußerungen der Studierenden wurden vier Kategorien zugeordnet, die alle in den bisher präsentierten Ausschnitten bereits beispielhaft vertreten waren. So enthielt die Episode in Tab. 4.25 einen komplett auf Japanisch verfassten Redebeitrag (Zeile 91) und auch einen Redebeitrag, bei dem die Muttersprache in das Deutsche eingebettet wurde (Zeile 98). Auch für Ein-Wort-Äußerungen auf Japanisch sowie Füllwörter und spontane, oft emo‐ tional gefärbte Ausdrücke gab es zahlreiche Beispiele in den Transkripten. 217 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="218"?> Gruppenarbeit Plenum Lehr‐ kraft Studie‐ rende Lehr‐ kraft Studie‐ rende eingebettet in Deutsch 2,4% 5,5% 1,5% 3,4% Ein-Wort-Äußerung 1,2% 0,9% 0% 1,1% komplette Äußerung 0% 7,8% 0,2% 3,4% Füllwörter/ spontane Äußerungen 1,2% 3,6% 0,3% 4,4% Tab. 4.28: Japanisch in den Redebeiträgen, prozentualer Anteil am Gesamtumfang aller Redebeiträge (gemessen in transkribierten Zeichen) Fasst man das Vorkommen solcher Äußerungen im gesamten Datenkorpus zu‐ sammen, kommt man zu den Ergebnissen von Tab. 4.28. Es wird deutlich, dass Japanisch im hier untersuchten Kontext eine eher geringe Rolle spielt. Und diese Erkenntnis wird von der detaillierteren Analyse der Daten noch weiter unter‐ mauert. So zeigt sich vor allem: In nur sechs der 51 Inhaltsbezogenen Sequenzen folgen mehrere Redebeiträge auf Japanisch hintereinander. In diesen sechs Se‐ quenzen (IBS30, 34, 35, 39, 48, 49) finden sich 76 der insgesamt 204 kompletten Redebeiträge auf Japanisch. Zudem handelt es sich ausschließlich um Gruppen‐ arbeitsphasen. Im Plenum kommt es nur einmal (IBS33) zu einem höheren Anteil an Japanisch, weil die Lerngruppe die japanische Übersetzung eines kurzen Textes bespricht. Für die längeren Phasen auf Japanisch während der Gruppenarbeiten lassen sich zwei Motive ausmachen. In einem Teil der Fälle werden persönliche oder organisatorische Themen besprochen, etwa die Frage, wer die Verantwortung für das Protokoll übernimmt (IBS30). Hauptsächlich erfüllen diese Phasen je‐ doch die Funktion der inhaltlichen Klärung. Die Studierenden weichen auf Ja‐ panisch aus, weil sie das Gefühl haben, bei der Bearbeitung der Aufgabe nur auf diese Weise voranzukommen oder weil sie ein Missverständnis aus dem Weg räumen möchten. Wie auch in der Studie von Storch/ Aldosari (2010) wird die Muttersprache dadurch zu einem wichtigen kognitiven Werkzeug, um vor allem in den Gruppenarbeitsphasen die Herausforderung bewältigen zu können. Die Episode in Tab. 4.29 ist dafür ein gutes Beispiel. Die Studierenden disku‐ tieren über eine Übersicht im Unterrichtsmaterial, aus der hervorgeht, dass im Verlauf der letzten Jahrzehnte nach entsprechenden Gerichtsentscheidungen die Liste der unpfändbaren Gegenstände beständig erweitert wurde. Im fol‐ 218 Michael Schart <?page no="219"?> genden Ausschnitt richtet sich die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die Waschmaschine. Student sa02 vertritt die Meinung, dass es ausreichend wäre, das Waschbrett in die Liste aufzunehmen, weil man Kleidung auch ohne Wasch‐ maschine säubern könne. Die anderen beiden Studierenden der Gruppe, sb09 und sb13, haben sichtbar Schwierigkeiten, diesem Gedankengang zu folgen, weil es ihnen vor allem darum geht zu verstehen, weshalb Waschmaschinen ab 1980 von der Pfändung ausgenommen wurden. IBS49 (U8/ Gruppenarbeit III/ 2) 60 sb02 wenn deine meinung richtig ist waschmaschine ist 洗濯板 (Waschbrett) in das papier [gemeint ist das Arbeitsblatt] 61 sb09 mhm? 62 sb02 wenn- 63 sb09 waschmaschine ist maschine eine maschine nicht 洗濯板 (Waschbrett) 64 sb02 also denke ich man soll schreibt 洗濯板 (Waschbrett) 65 sb13 eh? 66 sb02 instead of [engl.] waschmaschine 67 sb09 aber seit neunzehnachtzig achtzehn gibt es gibt waschdie waschmaschine [seit 1980 dürfen laut Arbeitsblatt Waschma‐ schinen nicht mehr gepfändet werden] 68 sb02 だから 洗濯板でいいならこっちも洗濯板でいいんじゃな い ? (Wenn es mit dem Waschbrett geht, dann könnte doch auch hier "Waschbrett" stehen, oder? ) 69 sb13 eh? ich kann nicht verstehen 70 sb09 なんでそんなに洗濯板にこだわるの ? (Warum bist du so auf das Waschbrett fixiert? ) 71 sb02 だからさ洗濯板を差し押さえればいいじゃん (Also man kann doch auch Waschbretter pfänden.) 72 sb13 eh? [lacht] (unverständlich auf Japanisch) 73 sb02 洗濯板がないと leben じゃないでしょ (Ohne Waschbrett ist das doch dann kein Leben mehr.) 74 sb09 eh? [lacht] だから洗濯 - (deshalb Wasch-) maschwaschma‐ schine 219 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="220"?> 75 sb13 手で洗えるじゃん (Man kann ja mit der Hand waschen.) 76 sb02 mhm 77 sb09 so ohne waschmaschine 78 sb13 ein mann kann leben 79 sb06 können wir waschen unsere kleidung mit hand 80 sb02 じゃいいんじゃん (Dann ist es doch kein Problem, oder? ) 81 sb13 sb09 [lachen] Tab. 4.29: Auszug aus IBS49, Lerngruppe LGb, U8/ Gruppenarbeit III/ 2, 17. Nov. 2015; 21. Unterrichtswoche Wie bereits erwähnt, stellen solche Phasen, in denen die Studierenden über mehrere Redebeiträge hinweg beim Japanischen bleiben, eher die Ausnahme dar. Typisch für das dialogische Lernen im untersuchten Kontext sind dagegen Auszüge wie der nun folgende. Man kann an diesen Situationen sehr gut nach‐ vollziehen, wie sich die Studierenden bemühen, trotz der beschränkten Res‐ sourcen an der Fremdsprache festzuhalten und dafür zuweilen auch auf das Englische zurückgreifen. In dieser Episode suchen die drei Mitglieder der Gruppe gemeinsam nach einem besseren Verständnis für den Begriff Würde. IBS27 (U6/ Gruppenarbeit 1/ 3) 27 sb05 ah ich denke man kann nicht andere person なんだろう (Wie war das noch mal? ) tot? なんという (Wie sagt man das? ) [macht vermutlich eine erklärende Geste] 28 sb12 ah alles klar 29 sb03 それは人間の尊厳 ? (Das ist Menschenwürde? ) 30 sb12 mhm 31 sb05 also ich kann えーされない (also gemacht werden) ich werde nicht von eivon andere person tot 32 sb03 tot mhm ja 33 sb12 ich verstehe also 34 sb03 also ich ich kann leben 220 Michael Schart <?page no="221"?> 35 sb05 sb12 mhm ja 36 sb03 ohne crisis [engl.] 37 sb05 sb12 mhm ja 38 sb03 crisis [engl.] だっけドイツ語でなんだっけ (Wie sagt man das auf Deutsch? ) 39 sb05 それまだなかった (Das hatten wir noch nicht.) 40 sb03 危険なかった ? (Hatten wir nicht das Wort Gefahr? ) 41 sb12 also wir haben recht recht zu leben 42 sb05 ah 43 sb03 perfekt 44 sb05 perfekt 45 alle (lachen) Tab. 4.30: Auszug aus IBS27, Lerngruppe LGb, U6/ Gruppenarbeit I/ 3, 10. Nov. 2015; 20. Unterrichtswoche In dieser und vielen vergleichbaren Situationen fällt auf, wie sehr die Motivation dazu, das Japanische möglichst zu vermeiden, zugleich als ein Gruppenprozess gesehen werden muss. Manchmal ermahnen sich die Studierenden gegenseitig, eine japanische Äußerung noch einmal auf Deutsch zu versuchen, wie etwa im Auszug von Tab. 2.3. Zumeist geschieht dies jedoch dadurch, dass man einfach mit dem Sprecherwechsel ins Deutsche zurückkehrt und damit die anderen an das gemeinsame Vorhaben erinnert, die Fremdsprache zu lernen, indem man sie möglichst intensiv benutzt. Individuelle Redebeiträge Eine detaillierte Untersuchung der individuellen Äußerungen ist Gegenstand der Lernersprachenanalyse in Kap. 6. Ihr möchte ich an dieser Stelle nicht vorgreifen, weshalb es mir im Folgenden vor allem um die Muster der Beteiligung gehen wird. Die Redebeiträge werden dabei als ein Indikator für das motivationale Lern-Enga‐ gement betrachtet, weil die Studierenden im untersuchten Unterrichtskontext zu‐ meist selbst darüber entscheiden, wie aktiv sie sich in den Austausch einbringen. Wenn sie überhaupt dazu aufgefordert werden, einen mündlichen Beitrag zu 221 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="222"?> leisten, so geschieht dies eher durch andere Lernende als durch die Lehrkraft. Es handelt sich demnach um eine Lernumgebung, für die ein sehr hoher Grad an Selbstbestimmtheit bei der Interaktion charakteristisch ist. Daraus ergibt sich die grundlegende Annahme, dass der individuellen Motivation eine wesentliche Be‐ deutung im Hinblick auf die Anzahl und den Umfang der Redebeiträge zukommt. Im Licht der Daten gestaltet sich dieser Zusammenhang jedoch deutlich kom‐ plexer, als es diese Beschreibung zunächst nahelegt. So wird der Grad der wahr‐ nehmbaren Aktivität nicht ausschließlich von motivationalen Faktoren bedingt. Von einer geringen Beteiligung kann somit auch nicht direkt auf eine fehlende Mo‐ tivation geschlossen werden. Ich möchte daher in diesem Abschnitt zunächst den Weg nachzeichnen, auf dem ich zu einer Operationalisierung der individuellen Re‐ debeiträge als Indikator für das motivationale Lern-Engagement gelangte. Im Abschnitt zum inhaltlichen kognitiven Engagement (Kap. 4.4.4) wurde bereits diskutiert, wie sich die Sprechanteile von Studierenden und Lehrkraft über die verschiedenen Unterrichtsphasen hinweg verteilen. Dabei wurde au‐ genfällig, dass das unterrichtliche Konzept über die Aufgabentypen und Modi der Interaktion hinweg einen relativ hohen Anteil an studentischen Redebei‐ trägen ermöglicht. In den Plenumsphasen liegt dieser zwischen 64 und 83 Pro‐ zent (vgl. Tab. 4.17). An diesen Daten treten prägnante Unterschiede zu anderen Studien zu Tage, die sich ebenfalls mit fach- und sprachintegrierten Kontexten (z. B. Llinares/ Dalton-Puffer 2015) oder mit universitärem Fremdsprachenun‐ terricht in Japan (z. B. King 2013) beschäftigen. Allerdings halte ich es nur sehr eingeschränkt für sinnvoll, anhand eines eindi‐ mensionalen Vergleichs von Redeanteilen Rückschlüsse auf die Lernmotivation zu ziehen. Ein solches Vorgehen verbietet sich aufgrund der offenkundigen Unter‐ schiede bei den lokalen Bedingungen. Mit Vorbehalten sehe ich daher auch die Ar‐ gumentation von Hunter (2012), der die Anzahl studentischer Redebeiträge als ein Vergleichskriterium nutzt. In seinem auf Smalltalk ausgelegten Unterrichtssetting für die Niveaustufe B kommen die Studierenden auf 10,2 Redebeiträge pro Minute. Hunter stellt diesen Wert der Arbeit von Lyster/ Ranta (1997) gegenüber, in der nur 3,0 Redebeiträge pro Minute dokumentiert werden. Solche Gegensätze lassen zwei‐ fellos erste Schlüsse auf die jeweiligen Unterrichtsituationen zu. Wirklich aussage‐ kräftig werden sie jedoch erst dann, wenn man zugleich auch die verhandelten In‐ halte des Unterrichts, die Länge der einzelnen Redebeiträge, die Rolle der Pausen und vor allem das interaktive Verhalten der Lehrkraft in die Analyse einbezieht. Mit Hilfe der Angaben in Tab. 4.31 möchte ich diese Überlegung vertiefen. Die Übersicht lässt erkennen, dass die Werte für die Anzahl der Redebeiträge pro Minute in der vorliegenden Studie zwischen dem von Hunter (2012) be‐ schriebenen Ergebnis und den Werten bei Lyster/ Ranta (1997) liegen. 222 Michael Schart <?page no="223"?> 15 Soziale Faktoren, die auf das interaktive Verhalten einzelner Lernender wirken, werden auch in der Studie von Philp/ Mackey (2010) dokumentiert, etwa Erfahrungen in der Lerngruppe. Aufgabentyp Modus Anzahl der Redebeiträge pro Min. Studierende Lehrkraft Informations- Lücke explorativ 7,6 1,7 kumulativ 5,8 1,9 Argumenta‐ tions-Lücke explorativ 6,3 2,2 kumulativ 5,7 3,6 Frage im Plenum explorativ 5,8 2,8 lehrerdom. 6,6 4,2 Gruppenarbeit explorativ 9,2 0,4 kumulativ 8,2 0,7 Tab. 4.31: Anzahl der Redebeiträge pro Minute nach Aufgabentyp und Modus der Inter‐ aktion Aber zeigen sich in diesen Ergebnissen auch unterschiedliche Niveaus der Lern‐ motivation? Das wäre sicherlich eine zu schlichte Deutung des Geschehens. Und ein Blick auf die Schwankungen der Werte in der Tabelle erklärt auch, weshalb das so ist: Die jeweiligen Kontexte üben einen großen Einfluss auf den Grad der Beteiligung aus. Das kam im Verlauf der Ergebnisdarstellung bereits mehrfach zur Sprache. So steigt die Anzahl der Redebeiträge der Lehrkraft an, wenn sie zu unflexibel auf das Geschehen im Klassenraum reagiert, etwa angesichts des nahenden Stundenendes oder einer zu eng führenden Aufgabenstellung. Es kommt zu lehrerdominierten Phasen, in denen die Lehrkraft den Studierenden den Raum zur Entfaltung nimmt. Beschrieben wurde beispielsweise auch, wie die Studierenden bei der Präsentation von Arbeitsergebnissen im kumulativen Modus verharren. Sie produzieren weniger, dafür aber längere Redebeiträge und provozieren zugleich das Eingreifen der Lehrkraft. Es sei auch nochmals an die unterschiedliche Funktion von Pausen erinnert, die aus motivationaler Per‐ spektive sehr unterschiedlich interpretiert werden können. 15 Die bisherige Analyse konnte somit mehrere Faktoren beschreiben, die sich förderlich oder hinderlich auf die Redebeiträge der Studierenden auswirken. Um 223 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="224"?> vor diesem Hintergrund die individuelle Beteiligung überhaupt als einen Indi‐ kator für das motivationale Lern-Engagement nutzen zu können, bedarf es daher einer sehr fokussierten Betrachtungsweise. Ein Vergleich unterschiedlicher Be‐ teiligungsmuster erscheint nur dann sinnvoll, wenn man sich auf Unterrichts‐ situationen konzentriert, die sich hinsichtlich der Bedingungen für die indivi‐ duelle Aktivität möglichst stark unterscheiden. Und in Tab. 4.31 zeichnet sich eine solche Grenzlinie sehr markant ab: Sie verläuft zwischen den Gruppen- und den Plenumsphasen, was aufgrund der jeweiligen Besonderheiten dieser beiden Sozialformen auch nicht überraschen kann. Obwohl die Interaktion in den Gruppen- und Plenumsphasen gleichermaßen vom dialogischen Charakter ge‐ prägt ist, ergeben sich aufgrund der Anzahl der Beteiligten und abweichender Machtverhältnisse sehr unterschiedliche Möglichkeiten für die Studierenden, sich individuell einzubringen. Diese Konstellation führt schließlich zu der Über‐ legung, dass die Lernmotivation einzelner Studierender greifbar wird, indem man ihre Aktivitäten in Plenums- und Gruppenarbeitsphasen gegenüberstellt. Wenn eine Studentin bzw. ein Student motiviert ist, so die Annahme, äußert sich das am Grad der Beteiligung unter wechselnden Unterrichtsbedingungen. Ich werde daher die weitere Analyse auf die Lerngruppe LGb beschränken, weil nur für sie Daten aus beiden Sozialformen vorliegen. Bevor ich auf die Ergebnisse zu Sprechen komme, möchte ich aber noch einige Bemerkungen zur Beforschung des Zusammenhangs von Plenums- und Grup‐ penarbeitsphasen einfügen. In der Interaktionsforschung wurden diese Sozial‐ formen bislang zumeist getrennt voneinander untersucht. Dahinter steht die Mutmaßung, Interaktionsprozesse zwischen Lernenden verliefen deutlich an‐ ders als solche, in denen eine Lehrperson anwesend ist (vgl. Sato/ Ballinger 2016 mit Überblick). Gestützt wird diese These unter anderem dadurch, dass die Stu‐ dien immer wieder auf die Betrachtung von IRE/ IRF-Sequenzen hinauslaufen (vgl. Hall 2010). Sie vermitteln damit den Eindruck, dies sei die einzig mögliche Form der Interaktion im Plenum. Es ist aus dieser Perspektive folgerichtig, dass man zugleich annimmt, Lernende fühlten sich in der Gruppenarbeit weniger gestresst, gingen aktiver aufeinander ein und würden eher mit der Fremd‐ sprache experimentieren (vgl. Philp et al. 2014). Nach der bisherigen Argumentation sollte deutlich geworden sein, dass die Idee des dialogischen Lernens diese Trennung von Plenum und Gruppenarbeit grundsätzlich in Frage stellt. Sie konzipiert den Unterricht als eine Lerngemein‐ schaft, in die sich auch die Lehrperson einfügt. Sie gibt nicht die Kontrolle über das Geschehen ab, ist jedoch bestrebt, Dominanz zu vermeiden. Die zahlreichen Parallelen, die in den vorangegangenen Abschnitten im Hinblick auf das ko‐ gnitive und das soziale Lern-Engagement bei der Interaktion in beiden Sozial‐ 224 Michael Schart <?page no="225"?> 16 Der Student sb01 war bei keiner der aufgenommenen Unterrichtseinheiten anwesend und hat den Kurs später vorzeitig verlassen. formen beschrieben werden konnten, lassen sich als Konsequenz der dialogi‐ schen Haltung der Beteiligten deuten. Diese Gemeinsamkeiten kommen jedoch an ihr Ende, wenn man auf die Verteilung der individuellen Redebeiträge in den Plenums- und Gruppenarbeitsphasen blickt. Die ungleiche Verteilung der Redebeiträge innerhalb der Lerngruppe gehört zu den negativen Folgen von Interaktionsprozessen im Plenum, die von der Lehrperson nicht eng gesteuert werden. In diesem Punkt bestätigt die vorlie‐ gende Studie - zumindest auf den ersten Blick - das Ergebnis der früheren Analyse (Schart 2015): Dialogisches Lernen führt hinsichtlich der Redebeiträge zu einer sehr unterschiedlichen Beteiligung der Studierenden. So wird der Aus‐ tausch im Plenum offensichtlich von wenigen Teilnehmenden dominiert (sb03, sb04, sb13, sb14), wie sich Abb. 4.15 entnehmen lässt. Es ist jedoch nicht so, dass man aus diesem Ergebnis unmittelbar auf eine mangelnde Motivation der rest‐ lichen Mitglieder der Lerngruppe schließen könnte. Abb. 4.15: Anteil der Redebeiträge der Studierenden in Plenums- und Gruppenarbeits‐ phasen 16 (*Anzahl der Unterrichtseinheiten, bei denen die Studierenden nur teilweise anwesend waren oder fehlten) 225 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="226"?> An Abb. 4.15 wird auch deutlich, wie sich in der Gruppenarbeit Lernende mit Redebeiträgen hervortun, die im Plenum weniger in Erscheinung treten. Der Austausch in den Gruppen ruht somit auf weitaus breiteren Schultern. Das Be‐ teiligungsmuster der Studierenden sb05, sb08, sb09, sb11 und sb12 ist daher sehr aufschlussreich. Sie tragen zwar aktiv zum Gelingen der Gruppenarbeit bei, halten sich jedoch im Plenum eher zurück und überlassen den Raum Studie‐ renden wie sb04, der wiederum in der Gruppenarbeit eher zögerlich agiert. Es stellt sich somit die Frage, ob dieser Vergleich nicht eher die individuellen Cha‐ raktere hervortreten lässt als das motivationale Lern-Engagement. Die Interpretation wird noch anspruchsvoller, wenn man überdies die Daten für die Länge der einzelnen Redebeiträge hinzuzieht (Abb. 4.16). Die Beteiligung innerhalb der Lerngruppe führt aus dieser Perspektive zu einem erkennbar aus‐ gewogeneren Bild. Vor allem aber drängen sich plötzlich Studierende in den Vordergrund, die aufgrund ihrer Anteile an den Redebeiträgen eher als weniger motiviert erscheinen. Abb. 4.16: Länge der Redebeiträge in Plenum und Gruppenarbeit in durchschnittlicher Anzahl der transkribierten Zeichen pro Redebeitrag Insbesondere die Studentin sb06 verdient in diesem Zusammenhang eine be‐ sondere Erwähnung, weil ich ihren weiteren Weg im Intensivprogramm im An‐ schluss an die Aufnahmen zu dieser Studie über mehrere Jahre hinweg verfolgen 226 Michael Schart <?page no="227"?> 17 Dass sie mit ihren Redebeiträgen auch bei der Komplexität und Korrektheit überdurch‐ schnittliche Werte erreicht, bestätigt diese Einschätzung (siehe dafür Abb. 6.1 und 6.3) konnte. Bereits im ersten Studienjahr zeigte sie in ihren schriftlichen Arbeiten, dass sie über besondere Kompetenzen verfügt. Sowohl im Plenum als auch in der Gruppenarbeit hielt sie sich mit eigenen Beiträgen jedoch eher zurück. Dass sie bei der Länge ihrer Äußerungen einen so hohen Wert erreicht, ist ein wich‐ tiger Hinweis auf ihr Potenzial. Wie in Kap. 3 anhand der studentischen Eva‐ luationen bereits deutlich wurde, können auch zurückhaltende Studierende das Unterrichtskonzept für sich als gewinnbringend empfinden. Ihre Aktivität äu‐ ßert sich im konzentrierten Zuhören und nur wenigen, gut durchdachten Bei‐ trägen (vgl. auch Juzwik et al. 2013). Die Studentin sb06 ist dafür ein prototy‐ pisches Beispiel. 17 Sie verbrachte später ein Studienjahr an einer deutschen Universität und gehörte nach ihrer Rückkehr ins Intensivprogramm zu jenen Studierenden, die den Austausch in den Kursen tragen. Die Analyse zum motivationalen Lern-Engagement verdeutlicht somit letzt‐ lich, wie wichtig es ist, die einzelnen Lernenden in den Blick zu nehmen und von einer zurückhaltenden Beteiligung im Plenum nicht vorschnell auf unzu‐ reichende Motivation oder Unvermögen zu schließen. Studierende können sich aus sehr unterschiedlichen Motiven heraus dafür entscheiden, aktiv an einem Austausch in der Lerngruppe teilzunehmen oder diesem eher passiv - und zu‐ gleich aktiv zuhörend - zu verfolgen (vgl. auch Mack 2012; Zhu/ Mitchell 2012). Die Analyse mündet somit in der Erkenntnis, dass sich motivationales Lern-Engagement sehr unterschiedlich in den Redebeiträgen der Lernenden äu‐ ßern kann. Im Zusammenspiel von Plenums- und Gruppenarbeitsphasen bietet das hier untersuchte Unterrichtskonzept zwar gute Voraussetzungen für eine breite Beteiligung der gesamten Lerngruppe. Zugleich fördert es aber vor allem im Plenum Interaktionssituationen, die von wenigen, eher extrovertierten Stu‐ dierenden dominiert werden. Dem lässt sich nur entgegenwirken, indem man die Beteiligungsmuster thematisiert und gemeinsam mit allen Lernenden Lö‐ sungen entwickelt. 227 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="228"?> 4.5 Fazit “All visible evidence indicates that the inci‐ dence of exploratory talk is low in classrooms across the world.” (Littleton/ Mercer 2013: 72) Wie explorativer Dialog in einem fach- und sprachintegrierten Unterricht mit japanischen Lernenden auf der Niveaustufe A, also unter Ausgangsbedin‐ gungen, die auf den ersten Blick ungünstig erscheinen, aussehen kann, veran‐ schaulicht diese Studie an zahlreichen Beispielen. Somit legt es das einführende Zitat eigentlich nahe, ein wesentliches Ergebnis bereits darin zu sehen, dass explorativer Dialog als ein alltäglicher Modus des Lernens in einem - wie die Interaktionsforschung es gerne nennt - authentischen Unterricht dokumentiert werden konnte. Aus mehreren Gründen halte ich diese Argumentation jedoch gerade nicht für sinnvoll. Zum Ersten steht natürlich in Frage, inwieweit die hier vorgelegte Interpretation explorativen Lernens den Vorstellungen von Littleton/ Mercer (2013) überhaupt entspricht. Zum Zweiten bezweifle ich, dass dieser Form des Unterrichtsgesprächs tatsächlich ein solcher Seltenheitswert zukommt, wie ihn Littleton/ Mercer postulieren. Realistischer erscheint mir die Annahme zu sein, dass die Mehrzahl der Lehrkräfte, die explorative Dialoge ermöglichen, das Ge‐ schehen schlichtweg nicht festhalten und damit einer Analyse zugänglich ma‐ chen. Demnach hätte sich die akademische Forschung bislang einfach nur un‐ zureichend bemüht, Klassenräume ausfindig zu machen, die mehr zu bieten haben als eine Dominanz von IRE/ IRF-Sequenzen. Und als dritten und entschei‐ denden Grund möchte ich anführen, dass der Nachweis von explorativen Dia‐ logen in dieser Studie allenfalls ein Zwischenfazit darstellen kann. Mir ging es mit der Analyse von 10 Stunden unterrichtlicher Interaktion in erster Linie darum, besser zu verstehen, was genau die interaktiven Prozesse in meinem Unterricht auszeichnet. Ich wollte ergründen, unter welchen Bedin‐ gungen sich Räume für ein dialogisches Miteinander öffnen oder schließen und wie dabei das Handeln von Lehrkraft und Studierenden sowie die Anregungen aus den Materialien ineinandergreifen. Mit einer mehrschrittigen, multiperspektivischen Vorgehensweise konnte gezeigt werden, dass die acht dokumentierten Unterrichtseinheiten geprägt sind von einem dialogisch orientierten Austausch über die fachlichen Inhalte und mithin von einem hohen Maß an Selbstbestimmtheit der Lernenden in der In‐ teraktion. Das spiegelt sich in allen untersuchten Dimensionen des Lern-Enga‐ gements wider. So gehen bei der Beschäftigung mit den Inhalten die entschei‐ 228 Michael Schart <?page no="229"?> 18 zu vergleichbaren Ergebnissen siehe auch die Studien von Lee (2016) und Moore (2011) denden Impulse von den Lernenden selbst aus: Sie werfen Fragen auf, bringen fortwährend aus eigenen Stücken neue Ideen ein oder führen die Gedanken anderer weiter. Sie äußern aber auch Kritik oder verweisen auf Alternativen. Die Lernenden selbst spielen zudem eine wichtige Rolle bei der Bewältigung sprachlicher Hürden: Sie korrigieren sich gegenseitig und suchen gemeinsam nach angemessenen Ausdrücken. Ko-Konstruktionen, bei denen sich mehrere Studierende an der Ausformulierung von Gedanken beteiligen und dabei Auf‐ gaben übernehmen, die traditionell der Lehrkraft zufallen, gehören zum unter‐ richtlichen Alltag in beiden untersuchten Lerngruppen. Nicht zuletzt unterstützen sich die Lernenden einander unentwegt in den Interaktionsprozessen: Sie geben sich Rückmeldungen, kommentieren Redebei‐ träge, signalisieren Interesse und Involviertheit. Gerahmt wird diese Form des Austauschs von einem wertschätzenden Unterrichtsklima. Es lassen sich weder bei sprachlichen noch bei inhaltlichen Fehlern Situationen beobachten, die zu einem Gesichtsverlust von Studierenden führen. Sie lachen mit- und auch über‐ einander, brechen die Ernsthaftigkeit des inhaltlichen Austausches immer wieder auf, indem sie sich necken oder spontan in kurzen Episoden private Themen in den Vordergrund stellen. Aber der Dialog läuft dabei nie ernsthaft Gefahr, von der inhaltlichen Orientierung abzudriften bzw. von gruppendyna‐ mischen Problemen überlagert zu werden. Auch wenn gerade in den Plenums‐ phasen nur wenige Studierende das Geschehen dominieren, so konnte doch an vielen Ausschnitten gezeigt werden, weshalb es des Zusammenhalts der ge‐ samten Lerngruppe bedarf, um dialogisches Lernen über einen längeren Zeit‐ raum hinweg zu entwickeln und lebendig zu halten. In ihrer Beschreibung einer förderlichen Lernumgebung für den aufgaben‐ basierten Unterricht kommen Devlieger/ Goosens (2007: 97) zu dem Schluss, dass es für den Erfolg dieses Unterrichtskonzepts ausschlaggebend sei, anspruchs‐ volle Aufgaben und Materialien mit vielfältigen Möglichkeiten für selbstbe‐ stimmtes und kollaboratives Handeln der Lernenden, mit einem hohen Grad an interaktiver Unterstützung (scaffolding) sowie einem als sicher wahrgenom‐ menen Unterrichtsklima zu verbinden. Die vorliegende Studie verdeutlicht diesen Zusammenhang an den Interaktionsprozessen in einem konkreten un‐ terrichtlichen Kontext. 18 Die differenzierte Analyse der Interaktionsdaten führte zur Unterteilung des dia‐ logischen Lernens in drei Modi. Der lehrerdominierte Modus nimmt dabei zwar den mit Abstand geringsten Umfang ein, er ist jedoch mit Blick auf den aktions‐ forschenden Ansatz dieser Studie besonders aufschlussreich. In den betreffenden 229 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="230"?> Sequenzen werden die interaktiven Räume für die Studierenden am stärksten be‐ schränkt. Die Lehrkraft beherrscht das Geschehen durch ihre didaktischen Fragen und Erklärungen. Obwohl es in diesen Sequenzen zu einem sehr hohen Anteil inhaltsbasierter Interaktion kommt, müssen sie aus pädagogischer Sicht eher kri‐ tisch bewertet werden. Es wurden drei Situationen identifiziert, die das Entstehen lehrerdominierter Interaktion begünstigen. Die erste Gruppe bilden Sequenzen, in denen die Lehrkraft an Flexibilität einbüßt, indem sie sich zu stark an engfüh‐ renden Aufgabenstellungen orientiert und weniger an den Bedürfnissen der Stu‐ dierenden. In der zweiten Gruppe finden sich Sequenzen, die am Ende einer Un‐ terrichtseinheit liegen. In ihnen kann man verfolgen, wie die Lehrkraft sich vom Zeitdruck vereinnahmen lässt und den Austausch möglichst schnell zu einem aus ihrer Sicht sinnvollen Abschluss führen möchte. Die Sequenzen der dritten Gruppe schließlich sind ähnlich gelagert wie jene der zweiten: Hier ist es - un‐ abhängig vom Faktor Zeit - ein bestimmtes inhaltliches Ziel, von dem sich der Lehrer zu stark leiten lässt und dem er letztlich einen beträchtlichen Teil des in‐ teraktiven Freiraums der Studierenden opfert. In allen drei Fällen kommt eine für IRE/ IFR-Sequenzen typische Mechanik kommt in Gang: Die Lernenden lassen sich sofort auf eine eher passive Rolle zu‐ rückfallen. Sie reagieren auf die Impulse der Lehrkraft mit vergleichsweise kurzen Redebeiträgen, zum Teil mit Einwortsätzen. Sie werfen immer neue Ideen in die Runde, ohne dabei jedoch gegenseitige Bezüge herzustellen. Mit Blick auf die Ge‐ staltungsprinzipien dialogischen Lernens führt die Studie daher zu dem Er‐ gebnis, dass sich die Lehrkraft im Verlauf eines Unterrichts immer wieder be‐ wusst machen sollte, welchen Beschränkungen sie sich unterwirft und ob die Folgen für die Interaktion in der betreffenden Situation gerechtfertigt sind. Neben dem lehrerdominierten Modus konnte die Studie zwei weitere Modi des Dialogs besschreiben: den kumulativen und den explorativen. Sie teilen die Merkmale dialogischen Lernens, wie sie weiter oben dargelegt wurden. Der entscheidende Unterschied ergibt sich aus dem inhaltlichen kognitiven Enga‐ gement. Während im kumulativen Modus der Austausch eher erweitert wird, indem die Studierenden ihre Ideen aneinanderreihen, wird er im explorativen Modus vertieft. Aus pädagogischer Perspektive stellt der explorative Modus die erstrebenswertere Form des Austauschs dar, denn er schafft die Grundlage dafür, dass die Lernenden in einer kritischen Auseinandersetzung mit unterschiedli‐ chen Ideen zu einer kollaborativen Wissensgenerierung gelangen. Wegerif/ Mercer (1997) gehen davon aus, dass vor allem im explorativen Modus des Dialogs soziale Denkprozesse besonders deutlich zum Vorschein kommen. Diese Annahme konnte in der vorliegenden Studie nur in wenigen Einzelfällen mit Auszügen aus der Interaktion tatsächlich belegt werden. Zwar 230 Michael Schart <?page no="231"?> schafft der explorative Modus, wie zahlreiche Episoden verdeutlichten, günstige Bedingungen dafür, dass die Studierenden gemeinsam neues Wissen generieren. Diese Prozesse lassen sich jedoch nur sehr schwer an einzelnen Redebeiträgen festmachen. Ein überzeugenderer Zugang zur kollaborativen Wissensproduk‐ tion - so eine wichtige Erkenntnis dieser Studie - kann nur durch ein For‐ schungsdesign erreicht werden, dass auch die Wahrnehmung der Studierenden berücksichtigt. Was diese Studie zudem offenlegt, ist die Schwierigkeit, explorativen oder kumulativen Dialog detailliert zu planen. Die Aufgabentypen erwiesen sich je‐ denfalls als ein Faktor mit relativ geringer Wirkungskraft. Zumindest mit Blick auf dialogische Lernprozesse stellen die Analyseergebnisse somit jene For‐ schungen in Frage, die von der Konstruktion bestimmter Aufgabentypen auf den Verlauf der Interaktion im Klassenraum schließen (z. B. Bowles/ Adams 2015; siehe auch den Überblick bei Sato/ Ballinger 2016: 9). In den Daten zeigt sich vielmehr eine überzeugende Evidenz für jene Unterscheidung zwischen der Aufgabe als Arbeitsplan einerseits und der Aufgabe als Prozess andererseits, die von Breen (1985) bereits in den Anfängen des aufgabenbasierten Unterrichts getroffen wurde. Die Art der Interaktion entscheidet sich also weniger am Auf‐ gabentyp als an den sozialen Prozessen im Klassenraum, was die Argumentation in den Studien von Andon/ Eckerth (2009) oder Vandommele et al. (2018) unter‐ mauert. Besonders augenfällig tritt dieser Zusammenhang in den Gruppenarbeiten zutage. An derselben Aufgabenstellung entwickeln sich in den einzelnen Gruppen sehr unterschiedliche Interaktionsmuster. Dabei verbleibt in der Hälfte aller Gruppenarbeiten der Austausch im kumulativen Modus: Die Studierenden sind vor allem damit beschäftigt, ihre Ideen zusammenzutragen und sprachliche Probleme zu klären. Die Bedeutung des Plenums als einen Ort, an dem die Stu‐ dierenden im Anschluss an die Gruppenarbeiten tiefer in die Inhalte vordringen, wird dadurch immer wieder ersichtlich. Weitaus bedeutsamer als eine elaborierte Gestaltung der Aufgaben erscheint im Licht der Datenanalyse in dieser Studie die Unterrichtsgesprächskompetenz der Beteiligten (Classroom Interactional Competence, Walsh 2013), also die Fä‐ higkeit von Lernenden und Lehrkraft, die Interaktion voranzutreiben, ihr Steine aus dem Weg zu räumen und sie nach Abbrüchen wieder in Gang zu bringen (vgl. Hoffmann 2017; Hoshii/ Schramm 2018). So wurde etwa deutlich, dass bei Aufgaben zu Informationslücken die Interaktion häufig im kumulativen Modus abläuft, weil es den Studierenden an diskursiven Mitteln mangelt. Im Anschluss an die Präsentationen von Rechercheergebnissen gelingt es ihnen nicht, die Lerngruppe zum Weiterdenken zu animieren. Ihnen fehlt zum Beispiel die Kom‐ 231 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="232"?> petenz, die präsentierten Informationen mit anregenden Fragen an das Plenum zu verknüpfen. Entwicklungspotenzial zeigt sich bei den Studierenden auch im Hinblick auf das Soziale Engagement. So vergewissern sich die Studierenden vergleichsweise selten, ob die anderen ihren Ausführungen tatsächlich folgen können. Und es fällt ihnen ebenfalls schwer, Schwierigkeiten im Gesprächsverlauf zu erkennen und dann auch konkret zu benennen. Dass Strategiebezogene Sequenzen einen so geringen Anteil am Gesamtvolumen der Daten einnehmen, ist ein Ausdruck dieser Problematik. Viel zu selten finden sich in den Daten Episoden wie jene in Tab. 4.32, in der die Studierenden eine metasprachliche Perspektive ein‐ nehmen, um gemeinsam eine Störung in der Interaktion zu identifizieren und zu beheben. Im Ausschnitt von Tab. 4.32 bespricht die Lerngruppe alternative Indikatoren zur Messung von Wohlstand. Unmittelbar vor dieser Situation thematisierte Student sa05 die Definition des Indikators „ökologischer Fußabdruck“. Sie ent‐ hält die Formulierung: „Auch der Müll von jedem Bewohner wird verrechnet.“ Daraufhin signalisierte Studentin sa04 ihr Unverständnis. Es entspinnt sich der folgende Austausch. IBS23 (U5/ Plenum I) 23 sa05 ah verstehen verstehen sie was der müll bedeutet? 24 sa04 ja 25 sa05 und bewohner bedeutet? 26 sa04 ja 27 sa05 ok also was sie nicht verstehen ist ist verrechnet verrechnet oder? 28 sa04 ich verstehe es diese wort aber ich kann nicht warum diese satz ist in text eins verstehen (2) 29 sa05 warum? 30 ss [lachen] Tab. 4.32: Auszug aus IBS23, Lerngruppe LGa, U5/ Plenum I, 8. Jan. 2013; 27. Unterrichts‐ woche Erst durch den Wechsel auf die metasprachliche Ebene wird den Beteiligten klar, dass Studentin sa04 eine inhaltliche Frage zur Definition des Begriffs ökologi‐ 232 Michael Schart <?page no="233"?> 19 Die Studierenden können natürlich auch Transkripte des eigenen Unterrichts anfer‐ tigen und die Ergebnisse dann gemeinsam reflektieren (z. B. Cowie 2018; Schart 2013b). 20 siehe Fuji et al. (2016), Gilles (2004), Kim/ McDonough (2011), Mackey/ Fujii (2009), Sato (2013), Sato/ Lyster (2012) scher Fußabdruck hat und kein sprachliches Problem. Die Studie verweist darauf, dass das Bewusstsein der Studierenden für solche Situationen gestärkt werden sollte. Und die in dieser Studie erhobenen Daten bieten einen reichhal‐ tigen Fundus an Beispielen, um Unterrichtsmaterial zu entwickeln, das Lernende dabei unterstützen kann, sich mit den unterschiedlichen Funktionen von Rede‐ beiträgen beim dialogischen Lernen vertraut zu machen. 19 Dass sich gezieltes Training von interaktiver Unterstützung nicht nur positiv auf das Lernverhalten auswirkt, sondern auch auf das Selbstbewusstsein der Lernenden und die Un‐ terrichtsatmosphäre, wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen. 20 Das Thema Unterrichtsgesprächskompetenz betrifft allerdings die Lehrkraft nicht weniger als die Studierenden. Im Verlauf der Ergebnisdarstellung wurde mehrfach auf diesen Aspekt verwiesen. Besonders augenfällig wird er bei der Begleitung explorativer Dialoge zu Argumentationslücken-Aufgaben. Es wurde gezeigt, dass in diesen Sequenzen ein vergleichsweise hoher Redeanteil der Lehrkraft den explorativen Modus überhaupt erst ermöglicht. Indem sie den Studierenden ausreichend Denkzeiten einräumt, an geeigneten Stellen Zusam‐ menfassungen oder Erklärungen beisteuert oder alternative Sichtweisen an‐ spricht, trägt die Lehrkraft entscheidend dazu bei, dass die Studierenden den explorativen Modus erreichen. Weshalb ihre Rolle bei der Gestaltung dialogi‐ scher Lernprozesse nicht zu unterschätzen ist, stellte die Datenanalyse an vielen Beispielen dar. Das Ziel der Lehrkraft muss es sein, auf Dominanz in der Inter‐ aktion zu verzichten, ohne die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren. Sie bewegt sich dabei auf einem schmalen Grat und es wurde mehrfach deutlich, wie leicht sie dabei in Richtung engführender Steuerung abgleiten kann. Das Fazit dieser Studie möchte ich mit jenem Ergebnis abschließen, das mich am meisten überraschte: die offenkundigen Gemeinsamkeiten, die sich zwi‐ schen den Plenums- und Gruppenarbeitsphasen ergeben. In der Interaktionsforschung herrscht bislang eher die Tendenz vor, beide Sozialformen unabhängig voneinander zu betrachten. Man betont vor allem das Trennende. Diese Praxis wird beispielsweise von Littleton/ Mercer (2013) und Llinares et al. (2012) kritisiert, die dafür werben, auch die Wechselwirkungen zwischen Plenums- und Gruppenarbeitsphasen in den Blick zu nehmen. Und Henderson/ Palmer (2015) sowie Sato/ Ballinger (2016: 20) machen darauf auf‐ 233 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="234"?> 21 zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Nikula (2012) 22 Eine Abweichung besteht nur bei den didaktischen Fragen und den Erklärungen/ Zu‐ sammenfassungen, die vor allem von der Lehrkraft kommen und sich daher auf das Plenum konzentrieren. 23 siehe auch die Befunde zur Komplexität und Korrektheit der Redebeiträge in Kap. 6.4 merksam, dass die Forschung dem Einfluss der Lehrkraft nicht gerecht werde, wenn sie die Interaktion in Kleingruppen isoliert betrachte. Die wenigen Studien, die den Zusammenhängen zwischen Plenum und Gruppenbzw. Partnerarbeit auch empirisch nachgehen, bestärken diese Kritik. So zeichnen die Studien von Bloome (2015), Chavez (2007), Kayi-Aydar (2013) und Webb et al. (2006) anhand verschiedener Aspekte von Interaktion die Ver‐ bindungslinien zwischen den Sozialformen nach. Die vorliegende Studie erwei‐ tert den Forschungsstand um einen wichtigen Befund, denn sie legt offen, wie in dialogischen Lernprozessen die Sozialformen ineinander übergehen. Die Mehrzahl der hier untersuchten Indikatoren für das Lern-Engagement lassen die Parallelen zwischen den Plenums- und Gruppenarbeitsphasen deut‐ lich hervortreten. Es beginnt damit, dass sich die Interaktion in beiden Fällen vorwiegend auf die Inhalte richtet. Auch während der Gruppenarbeit konzen‐ trieren sich die Studierenden also auf die Beschäftigung mit den Materialien und Aufgaben und der Austausch verliert sich dort keineswegs öfter in Themen jen‐ seits des Unterrichts. 21 Auch die Anteile Sprachbezogener Sequenzen weisen markante Übereinstimmungen auf, auch wenn in den Gruppen tendenziell eher semantische Probleme geklärt werden und kaum grammatische. Die aus meiner Sicht aufschlussreichsten Gemeinsamkeiten finden sich je‐ doch auf der Ebene der funktionalen Betrachtung der Redebeiträge. Es ist un‐ erheblich, welche Kategorien man vergleicht, ob „Impulse“, „Inhalte“, „Hürden“ oder „Schmierstoff “: Die Unterschiede zwischen den Plenums- und Gruppen‐ arbeitsphasen im Hinblick auf die Funktionen der Äußerungen und deren Fre‐ quenz im Unterrichtsgespräch fallen marginal aus. 22 Und vor diesem Hinter‐ grund ist es dann auch folgerichtig, dass bei der gegenseitigen Unterstützung oder den sprachlichen Ko-Konstruktionen dieselben Mechanismen beobachtet werden können. Bis auf die Ebene der individuellen Redebeiträge lassen sich diese Ähnlich‐ keiten nachweisen. So können weder bei der Länge der Redebeiträge noch bei der Frequenz wesentliche Abweichungen festgestellt werden. 23 Auffällig ist je‐ doch - und hier liegt einer der wenigen Unterschiede -, dass einige Studierende sich eher im Plenum aktiv beteiligen, während es anderen offensichtlich in den Gruppenarbeiten leichter fällt, sich mit Redebeiträgen einzubringen. Die in der Interaktionsforschung häufig vertretene Annahme, Gruppenarbeiten böten den 234 Michael Schart <?page no="235"?> 24 zu den Vorzügen des Plenums siehe auch die Ausführungen bei Tomlinson (2017) Lernenden per se größere interaktive Freiräume und seien eher geeignet, Sprechhemmungen abzubauen (vgl. Sato/ Ballinger 2016 mit Überblick), muss im Lichte der Datenanalyse dieser Studie in Zweifel gezogen werden. Die Erkenntnisse zum dialogischen Lernen in dieser Studie führen zu der Konsequenz, Plenum und Gruppenarbeit als eng miteinander verflochtene Phasen zu betrachten. Hinsichtlich der Interaktionsprozesse weisen sie vielfäl‐ tige Gemeinsamkeiten auf. Wenn sich in dieser Studie Unterschiede zwischen den beiden Sozialformen ergaben, dann vor allem mit Blick auf das inhaltliche kognitive Engagement. In der Gruppenarbeit gelingt es häufig weniger gut, die Inhalte tiefergehend zu durchdringen, was unter anderem zu einem höheren Anteil muttersprachlicher Redebeiträge führt. Im Plenum sind die Chancen da‐ gegen deutlich größer, dass der Austausch explorative Züge annimmt. 24 Eine dem dialogischen Lernen förderliche Umgebung in einem fach- und sprachintegrierten Unterricht auf der Niveaustufe A lässt sich somit nicht durch die Verlagerung eines möglichst großen Anteils der Unterrichtszeit in Grup‐ penarbeiten erreichen. Diese Studie legt nahe, dass damit exploratives Lernen weniger wahrscheinlich würde und man der Entwicklung eines dialogischen Klimas in der Lerngruppe vermutlich keinen Gefallen täte. Transkriptionsregeln Markierung Bedeutung Beispiel sa; sb Redebeiträge einzelner Studierender sb06 ich denke menschen sollten können glauben ss mehrere Studierende sprechen gleichzeitig ss mhm ja nein lp Redebeitrag des Lehrers/ der Praktikantin l aber sie verstehen die bedeutung oder? (Nein.) Übersetzung ins Deut‐ sche sb12 ああそうなのね (Ach so ist das) alles klar [Beschreibung] nicht sprachliche Laut‐ äußerungen; Mimik, Gestik; Erklärungen zur Situation sb01 sb02 [lacht] er [meint sb13] ist besser ich denke 235 Soziokulturelle Perspektive: Modi dialogischen Lernens und studentisches Engagement <?page no="236"?> (.) Stimmsenkung mit Pause ≤ 2 Sekunden sb08 können (.) das passt zu können (Zahl) Pausen in Sekunden, ab 2 Sekunden sa08 was interessiert uns am meisten ist die kategorie einkommen (2) ver‐ stehen sie? - Wortabbruch sb13 nicht nur die reregeln (? ) unverständliches Wort sa07 das man kann das sehen nach (? ) (Wort) vermutetes Wort sa08 das ist eine (schlechte) system [engl] Wort mit englischer Aussprache sb05 ist das man [engl.] können sagen was man denkt ? Frageintonation sa06 beides beides ist über umwelt oder? 236 Michael Schart <?page no="237"?> 1 Weitere Informationen zum Korpus sind hier zu finden: http: / / forschung.id-keio.org/ u nterrichtsforschung/ clil 5 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen im Klassenzimmer Grit Liebscher / Sara Marsh 5.1 Einführung Die konversationsanalytische Perspektive ist einer von mehreren Zugriffen auf ein umfangreiches Datenkorpus zum Intensivprogramm für Deutschlandstu‐ dien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität in Tokio, die in dieses Buch eingegangen sind. 1 Dieser Perspektive liegt die Mikroanalyse der Unterrichts‐ aufnahmen zugrunde. Insbesondere gehen wir der Frage nach, wie bestimmte linguistische Ressourcen wie Lachpartikel von den Lernenden und der Lehrkraft in der Interaktion funktional eingesetzt werden. Die Funktionen schließen Be‐ deutungsaushandlung wie auch Verständnisssicherung im Rahmen der Inter‐ subjektivität und mit Blick auf die Ausführung bestimmter Lehr- und Lernpro‐ zesse ein. Das Kapitel beginnt mit einer Beschreibung der Konversationsanalyse als Methode mit Augenmerk darauf, was von den Sprechern interaktiv geleistet wird. Im Anschluss präsentieren wir Analyseergebnisse mit Fokus auf den Ge‐ brauch und die Funktionen von Lachen. Dabei geben wir zunächst einen Über‐ blick über die Verteilung von Lachen unter den Lernenden und der Lehrkraft, bevor wir die Ergebnisse der Analyse anhand konkreter Ausschnitte aus der Unterrichtskommunikation vorstellen. In Anlehnung an Forschung zur Kon‐ versationsanalyse für die Fremdsprachenforschung (CA-SLA) diskutieren wir insbesondere das Potenzial dieser Perspektive für die Fremdsprachenforschung und -praxis sowie die Lehrerausbildung. 5.2 Konversationsanalyse und Forschungsüberblick Die diesem Kapitel zugrunde liegende Methode ist die Konversationsanalyse (KA). Als qualitative Forschungsmethode ist sie ein spezifischer Ansatz inner‐ <?page no="238"?> halb der Interaktionsforschung mit mindestens drei Grundsätzen: die Arbeit mit Audio- und Video-Aufnahmen natürlicher Gespräche, minutiöse Transkrip‐ tionen und Mikroanalysen ausgewählter Interaktionsphasen. Der Ursprung der KA wird in Kalifornien in den 1960er Jahren mit Harvey Sacks, Emanuel Scheg‐ loff und später Gail Jefferson angesiedelt, wo conversation analysis unter dem Einfluss der Ethnomethodologie und Soziologie begann und wo auch heute noch ein Zentrum dieser Forschungsrichtung liegt. Inzwischen werden konversa‐ tions- oder gesprächsanalytische Ansätze in weiten Teilen der Welt praktiziert, was sich unter anderem darin zeigt, dass die ICCA (International Conference for Conversation Analysis) 2018 zum fünften Mal stattfand. In den letzten drei Jahrzehnten hat die KA verbreitet Anwendung auf die Erforschung des Unterrichtsgeschehens gefunden. Diese Richtung hat sich eta‐ bliert als CA-for-SLA (erstmals von Markee/ Kasper 2004 so bezeichnet) oder CA-SLA (Kasper/ Wagner 2011). Wie in der KA allgemein liegt auch hier das Augenmerk auf der Analyse von Interaktionsabschnitten, und insbesondere darauf, wie Inhalte und Bedeutungen im Zusammenspiel der Interaktionsteil‐ nehmer produziert werden. Dieses Zusammenspiel umfasst verbale Äuße‐ rungen ebenso wie multimodale Aspekte der Interaktion, wie zum Beispiel Mimik, Gestik, Lachen und Pausen. Diese mikroanalytische Sicht auf Phasen des Unterrichts hat zum Ziel, Funktionen und Muster bestimmter Aspekte, Inter‐ aktionsschritte (oder Turns) und Sequenzen zu identifizieren und zu be‐ schreiben. Dabei ist CA-SLA eine von mehreren Perspektiven der Interaktions‐ forschung, die sich zum Teil überschneiden oder aneinander anlehnen. Themen der CA-SLA Forschung sind zum Beispiel: Code-switching und Sprachalternie‐ rung (u. a. Filipi/ Markee 2018; Liebscher/ Dailey O'Cain 2004), Aufgabenplanung (u. a. Ortega 2005) und Bedeutungsaushandlung über Reparaturen oder andere diskursive Ressourcen (u. a. Kasper 2013). Desweiteren hat in den letzten Jahren der anwendungsbezogene Bereich von CA-SLA fruchtbringende Forschung produziert, wie beispielsweise für die Entwicklung von Unterrichtseinheiten und das Lehrertraining (Betz/ Huth 2014-2016). Auf die Möglichkeiten und Grenzen der KA für die Erforschung des Klassen‐ zimmers hat Markee (2015) in einem umfassenden Überblick zur Interaktions‐ forschung zur Unterrichtskommunikation hingewiesen. CA-SLA wird dabei als eine von mehreren Perspektiven der Interaktionsforschung vorgestellt und es wird argumentiert, dass sich ein umfassendes Verständnis des Unterrichtsge‐ schehens nur aus dem Zusammenspiel verschiedener Perspektiven ergibt. In diesem Sinne ist die in diesem Kapitel präsentierte Analyse als Teil der Gesamt‐ heit der Betrachtung des benutzten Datenkorpus zu sehen. 238 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="239"?> 5.2.1 Forschungsüberblick zum Lachen in der Interaktion Lachen als Teil der Interaktion wird schon seit längerer Zeit in der Literatur und Rhetorik, und in jüngerer Zeit in der Psychologie und Linguistik behandelt. La‐ chen schließt verschiedene Aspekte ein, wie z. B. körperliche Bewegungen und die Produktion von Lauten, und hat einen breiten Bedeutungshorizont innerhalb der Interaktion. Glenn (2003) beschreibt die Rolle von Lachen wie folgt: „In its ability to display affiliation, friendliness, or even intimacy, laughter plays an important role in the creation and maintenance of interpersonal relationships. It can also serve to mock, deride, and belittle others, when it is the laughter of cruelty and triumph. We laugh accompanying and responsive to all sorts of talk and actions: often but not always as a response to humor, but also when we feel nervous or simply when others are laughing.“ (Glenn 2003: 1) Darüber hinaus unterliegt Lachen in der Interaktion bestimmten Regelmäßig‐ keiten und Funktionen, die untersuchbar sind. So hat die KA von Lachen gezeigt, dass Personen in systematischen, sequenziellen und sozialorganisierten Sche‐ mata lachen (Glenn 2003: 2). Studien zum Lachen im Rahmen der KA begannen mit bahnbrechenden Ar‐ beiten von Jefferson (u. a. 1985) sowie Jefferson/ Sacks/ Schlegloff (1977, 1987). Seitdem gibt Forschung zum Lachen viele Einblicke in die Funktionen, die das Lachen in der Interaktion innehält. Als Ausgangspunkt der Analyse wird vorge‐ geben, dass mit Lachen, wie mit anderen Themen im Rahmen der KA, auf Fak‐ toren wie Sprecher, Position, Topos und Äußerung in der Analyse geachtet werden soll. Deshalb werden in Arbeiten zum Lachen zunächst folgende Aspekte als relevant angesehen: wer lacht (i.e. derzeitige/ r Sprecher_in oder andere/ r Teil‐ nehmer_in), wann gelacht wird (sequenzielle Position innerhalb oder zwischen Turns oder Sequenzen vom Gespräch), und wie gelacht wird (phonetische Merk‐ male, Verhältnis zum Lächeln oder ‚Lächelstimme‘). Dazu kommt, dass Lachen indexikalisch ist, d. h. worüber oder über wen/ was gelacht wird (d. h. das ‚Lach‐ bare‘, Engl. laughable) spielt ebenfalls eine große Rolle bei der Analyse, sowie das Lachen über bzw. das Lachen mit Personen (Glenn 1995, 2003; Glenn / Holt 2013). Funktionen von Lachen, die bereits erforscht und erklärt wurden, sind zum Beispiel: Vertrautheit und Distanzierung schaffen (Jefferson et al. 1987), Pro‐ blem-Widerstand (Engl. troubles-resistance) anzeigen (Jefferson 1984a), und heikle Themen oder Konflikte abschwächen (Raclaw/ Ford 2017; Haakana 2010; Nor‐ rick/ Spitz 2008). Lachen kann auch dazu dienen, sich auf einem Kontinuum zwi‐ schen Verbindung und Ablehnung zu Personen oder Aspekten in der Interaktion zu positionieren (Glenn 2003; Glenn/ Holt 2013; Fatigante/ Orletti 2013; Romaniuk 2013; Ticca 2013). Desweiteren kann Lachen das Ende eines Themas markieren 239 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="240"?> (Holt 2010). Letztendlich leistet Lachen einen Beitrag zum Konstruieren von Iden‐ titäten in Abgrenzung zu anderen Gesprächsteilnehmern (Boxer/ Cortés-Conde 1997; Clift 2013; Dominguez-Whitehead/ Whitehead 2014; Liebscher/ Dailey-O’‐ Cain 2013) wie auch im Etablieren von Gruppenidentitäten (Kampen Robinson 2017). Obwohl Lachen nicht ausschließlich etwas mit Humor oder Spaß zu tun haben muss, wie diese Forschung zeigt, kann Lachen natürlich etwas als humor‐ voll oder spaßig markieren. Es kann so zum Beispiel einen spielerischen Raum im Gespräch schaffen oder signalisieren, dass etwas als (nicht) Ernsthaft zu ver‐ stehen ist (Coates 2007; Holt 2013), trägt aber darüber hinaus viele weitere Funk‐ tionen. 5.2.2 Lachen in Institutionen und im Sprachunterricht Neben Untersuchungen zu Lachen in Alltagsgesprächen gibt es auch Forschung zu Lachen im institutionellen Kontext, wie beispielsweise in der medizinischen Kommunikation, in Wirtschaftstreffen und in Interviews (z. B. Glenn 2010; Grønnerød 2004; Haakana 2001; Jacknick 2013; Politi 2009; Romaniuk 2013). Dabei liegt der Fokus dieser Forschung zumeist darauf, wie Lachen in spezifi‐ scher institutioneller Umgebung anders als in Alltagskommunikation funktio‐ niert. So hat man beispielsweise herausgefunden, dass Lachen bestimmte insti‐ tutionelle Rollen und Asymmetrien beim Besprechen bestimmter Themen oder innerhalb bestimmter Aktivitäten (mit) etabliert. Die Analyse von Lachen im Fremdbzw. Zweitsprachenunterricht geht zu‐ meist auf das Konzept des language play (Cook 2000) im Klassenzimmer zurück. Für unsere Analyse besonders relevant ist Jacknick (2013), die in ihrer Studie zur Interaktion zwischen Lehrkraft und Lernenden im Englisch als Zweitsprache-Un‐ terricht beobachtet, dass affiliatives Lachen sowohl von den Lernenden als auch von der Lehrkraft initiiert werden kann. Sie weist vor allem auf zwei Funktionen des Lachens hin: die Markierung von Kommunikationsschwierigkeiten und von Zweifeln an Lehrkraftaussagen (Jacknick 2013: 186). Insbesondere bei Letzteren haben Lernende Lachen als eine Ressource benutzt, um bei Kritik an Lehrkraft- oder Textbuchaussagen das Anzweifeln der Lehrkraftkompetenz abzuschwä‐ chen. Sich sequenziell anschließendes Nichtlachen der Lehrkraft kann, laut Jack‐ nick (ibid.), Widerstand anzeigen, während Mitlachen das Anzweifeln entschärft und den „Konflikt“ abschwächt. Insgesamt hat Jacknick wichtige Schlussfolge‐ rungen zum Lachen in ihren Daten gezogen: gemeinsames Lachen kann dazu beitragen, 1) potenziellen Gesichtsverlust wiederherzustellen (z. B. die Position als Lehrkraft), 2) bestimmte Wissensbestände anzuzeigen und auszuhandeln und 3) die Beendigung eines Themas einzuleiten oder zu verzögern. 240 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="241"?> Mittlerweile umfasst die Forschung zum Thema Lachen im Zweit- und Fremd‐ sprachenunterricht diverse sprachliche und lokale Kontexte. Bushnell (2009) ana‐ lysiert Sequenzen mit Lachen als Teil von language play im Unterricht von Japa‐ nisch als Zweitsprache in den USA. Sie argumentiert, dass es Räume für das Lernen schaffe (Engl. affordances) und Ressource für die Organisation der Inter‐ aktion bilde. Pomerantz/ Bell (2011: 149) zeigen in ihrer Analyse von Spanisch als Zweitsprache-Daten in den USA, wie Lachen im Klassenzimmer zur Konstruk‐ tion von safe houses (cf. Pratt 1991) beiträgt und somit zur (Re)evaluierung und Neubestimmung von linguistischen Normen, Identitäten und Beziehungen im Unterricht beiträgt. Åhlund/ Aronsson (2015) schließlich fokussieren auf Lachen als Teil von Stilisierung von Schwedisch als Zweitsprache im Unterricht unter Migranten, insbesondere in Diskussionen über Sprache und Sprachgebrauch. Die Autorinnen argumentieren, dass gemeinsames Lachen, aber auch Nicht-Lachen, zur Konstruktion von Lerngemeinschaft und Sprachideologien dienen kann. 5.3 Datenkorpus und Einführung in die Analyse Die für dieses Kapitel verwendeten Analysedaten stammen aus dem diesem Buch zugrundeliegenden Datenkorpus, das in einem fach- und sprachinte‐ grierten Programm für Deutschlandstudien an einer japanischen Universität über fünf Jahre erstellt wurde und das in Kap. 2 dieses Bandes näher beschrieben wird. Aus diesem umfangreichen Datenkorpus, das auch Rückmeldungen der Studierenden umfasst, wurden für dieses Kapitel nur die Audioaufnahmen des Unterrichts verwendet. Diese Aufnahmen schließen sowohl Plenumsphasen als auch Gespräche während der Gruppenarbeit ein. Aus der Einführung zur KA oben wird deutlich, dass die KA im Idealfall mit Videodaten arbeitet. Die Sammlung von Audioaufnahmen im Fall des Daten‐ korpus ist vor allem dem ursprünglichen Zweck der Datensammlung ge‐ schuldet, der KA anfänglich nicht als Methode miteinschloss. Eine Limitation der Analyse ergibt sich daher durch den Gebrauch der Audiodaten aus dem Korpus daraus, dass nicht alle Lach-Instanzen mit Mitteln der KA analysiert werden konnten, da in einigen Fällen Mimik und Gestik wichtig zu sein schienen, die uns nicht zur Verfügung standen. Diese Lach-Instanzen haben wir zwar in die Zäh‐ lung des Lachvorkommens mit aufgenommen (s. u.), aber in der weiteren kon‐ versationsanalytischen Untersuchung nicht berücksichtigt. In der KA haben wir mit Beispielen gearbeitet, bei denen die Audioaufnahmen ausreichend für die Analyse waren. Im ersten Schritt der Analyse haben wir die bereits zur Verfü‐ gung stehende Ersttranskription weiter transkribiert, da in der konversationsa‐ nalytischen Praxis der Transkriptionsprozess selbst bereits Schwerpunkt der 241 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="242"?> 2 Eine Alternative für die Transkription in KA ist das in Nordamerika entstandene Trans‐ kriptionssystem von Gail Jefferson (1984b), in der Erweiterung um Mimik, Gestik und Stilaufnahmen, z. B. durch Charles Goodwin (1995). Da es sich beim Datenkorpus um zumeist deutschsprachige Interkationen handelt, haben wir uns jedoch für die Verwen‐ dung von GAT2 entschieden. Analyse ist (cf. Markee 2015b: 9f). Bezüglich Transkriptionskonventionen be‐ nutzen wir das in Deutschland entwickelte Gesprächsanalytische Transkriptions‐ system (GAT), insbesondere in der erweiterten Version von GAT2 (Selting et al. 2009). 2 Die wichtigsten Konventionen sind im Anhang zu finden. 5.4 Resultate der Analyse: Gebrauch von Lachen 5.4.1 Überblick zum Gebrauch von Lachen aus quantitativer Sicht Ein erster Einblick ins Korpus als Ganzes zeigt, dass Lachen sehr häufig passiert. Eine Grundzählung basierend auf dem Suchbegriff „lachen“ in den transkri‐ bierten Interaktionen findet 262 (=N) Passagen, in denen mindestens eine Person lacht. Wenn man diese Passagen dann genauer ansieht, lassen sich Kategorien in den Daten bestimmen. Die Untergliederung in Tabelle 1 zeigt, dass über 80 % (81,3%; n=213) der Passagen geteiltes Lachen (von mehr als einer Person) sind, Lachen von einzelnen Personen hingegen stellen nur 18,7% (n=49) der Lachins‐ tanzen dar. Die Lernenden lachen insgesamt viel häufiger als die Lehrkraft: 95,4% (n=251) von allen Instanzen im Vergleich zu 4,2% (n=11) der Lehrkraft, darin besonders als Gruppe (62,6%; n=164), aber auch oft allein (16,0%; n=42) oder während des Turns einer anderen Person (15,3%; n=40). Geteiltes Lachen n (%) Einzellachen n (%) Lernende lachen zusammen als eine Gruppe 164 (77,0%) Lernende lachen al‐ lein 42 (85,7%) Lernende lachen während des Turns einer/ s Lernenden 40 (18,8%) Lehrkraft lacht al‐ lein 7(14,3%) Lernende lachen während des Turns der Lehrkraft 5(2,4%) Lehrkraft lacht zusammen mit Lernenden als Gruppe 4(1,9%) Insgesamt 213 (81,3%) Insgesamt 49 (18,7%) Tab. 5.1: Verteilung von Lachen im Korpus (basierend auf einem diskursanalytischen Grobtranskript). N=262. 242 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="243"?> Einerseits sind diese Zahlen nur sehr grobe Einschätzungen, weil sie auf der diskursanalytischen Minimaltranskription beruhen (und deshalb wahrschein‐ lich die Instanzen von Lachen erheblich unterschätzen); andererseits gehen wir davon aus, dass die Zahlen relativ zueinander ein realistisches Bild geben. Ins‐ besondere stellen wir die Zahlen hier aus drei Gründen zur Verfügung: • Sie geben einen Gesamtüberblick über die Verteilung des Lachens in den Daten, und zeigen, wie oft Lachen passiert, insbesondere wer wann lacht. Diese Herangehensweise zeigt, wie man so einen großen Korpus mit einer emischen KA-Analyse angehen kann: indem man zuerst durch eine Grob‐ analyse erste Kategorien und Fragestellungen zum Gebrauch von z. B. Partikeln, Wörtern, Interaktionsabläufen oder linguistischen Verfahren wie Lachen entwickelt. Das gibt dann Hinweise darauf, wo man im zweiten Schritt tiefer in das Datenmaterial eindringen kann, um zu ent‐ scheiden, was genauer mit der KA analysiert werden soll. • Die relativen Zahlen zeigen interessante Verteilungen im Gebrauch von Lachen im Unterricht auf. Diese Ergebnisse scheinen die Schlussfolge‐ rungen und Resultate von früherer Forschung über Lachen in institutio‐ neller Interaktion zu bestätigen (cf. Glenn 2010; Glenn/ Holt 2013). Laut dieser Studien lachen Autoritätspersonen (z. B. Arzt, Lehrkraft, Mana‐ gerin) weniger als Nicht-Autoritätspersonen (z. B. Patientin, Kunde, Mit‐ arbeiter). Diese Studien zeigen, dass solche Ungleichheiten nicht nur Be‐ weis dafür sind, dass Lachen eine wichtige Rolle in institutioneller Gruppeninteraktion spielt, sondern auch, dass die sozialen Asymmetrien in solchen Kontexten teilweise durch Lachen konstituiert und sichtbar gemacht werden. • Letztendlich bietet ein solcher grober Überblick potenzielle Ideen und Fragestellungen für die weitere Forschung an. Unserer Meinung nach wird schon bei dieser ersten groben Analyse klar, dass dem Lachen eine besondere Bedeutung im Unterrichtsgeschehen zufällt. Interessant ist dabei besonders, dass es Gemeinsamkeiten mit Ergebnissen anderer in‐ stitutioneller Kommunikation zutage treten, wobei es natürlich auch Un‐ terschiede geben muss. Letzteres ist eine Fragestellung, die von zusätzli‐ cher Forschung profitieren würde, die jedoch den Rahmen dieses Kapitels sprengt. 5.4.2 Konversationsanalyse zum Gebrauch von Lachen Im Folgenden diskutieren wir vier Gesprächsausschnitte (Beispiele), die wir ge‐ wählt haben, weil sie verschiedene Funktionen des Lachens in den Unterrichts‐ daten aufzeigen. In den ersten beiden Beispielen geht es dabei im Wesentlichen 243 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="244"?> 3 siehe das gesamte Unterrichtsmaterial auf der Projekt-Homepage um den Gebrauch des Lachens bei der Aushandlung von Wörtern. Durch Lachen (oder Lachpartikeln bzw. Lächeln) kann hier beispielsweise markiert werden, dass eine Wortwahl nicht endgültig ist bzw. Wörter ausprobiert werden. Lach‐ anlass oder -gegenstand (Engl. laughable) kann dann zum einen der Sprachge‐ brauch selbst sein (z. B. das Wort), zum anderen aber auch die Handlung des Ausprobierens oder der Versuch des Sprechens eines Wortes. In solchen Fällen können Sprecher anzeigen, dass sie sich einer gewissen Verantwortung beim Gebrauch eines Wortes entziehen bzw. Distanzierung anzeigen (Liebscher/ Dailey-O’Cain 2013). Im dritten und vierten Beispiel kommt stattdessen Lachen im Zusammenhang mit Aufforderungen vor. Hierbei diskutieren wir, welche Rolle das Lachen bei face-bedrohenden Handlungen wie Aufforderungen spielen kann. Das (gemein‐ same) Lachen kann durch eine spielerische oder nicht-ernsthaft-gemeinte Orien‐ tierung dazu dienen, die Spannung in der Situation zu verringern und dabei das face von Lernenden zu schützen, wenn sie aufgefordert werden bzw. andere auf‐ fordern, d. h. ihr negatives bzw. positives Gesicht bedroht wird (Goffman 1981). Lachen bei der Aushandlung von Wörtern Beispiel 1 entstammt einer Aktivität zur Beurteilung der Attraktivität verschie‐ dener Regionen in Deutschland anhand von Materialien wie Texten, Statistiken und Diagrammen 3 . Bei dieser Aktivität haben die Lernenden zuerst in Gruppen diskutiert und danach die Ergebnisse der Gruppe in der Plenumsdiskussion vor‐ gestellt. Beispiel 1 stammt aus der Plenumsdiskussion. In ihrem Redebeitrag am Anfang des Beispiels hat sa11 offenbar Schwierig‐ keiten mit dem Wort ‚Puppen‘. Im gesamten Redebeitrag gibt es mehrere Ver‐ zögerungssignale („uhm“) und Pausen, und in Zeile 05 formuliert sa11 „puppen“ mit lächelnder Stimme und etwas zögerlich, was auf eine Wortsuche hindeutet, die sa11 außerdem im sofortigen Anschluss an das Wort durch Lachpartikeln markiert. Durch das Lachen macht sie auf die Schwierigkeiten bei der Formu‐ lierung aufmerksam, bringt diese aber durch das Lachen in einen spielerischen Rahmen (Glenn 2003; Coates 2007) und markiert somit ihre Wortsuche als spie‐ lerisch. Ihr Lachen wird sofort von anderen Lernenden aufgegriffen, die mit ihr lachen und damit in diesen spielerischen Rahmen einstimmen (Zeile 06). Auch sa11 lacht weiter mit (Zeile 08). 244 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="245"?> 4 Lachen ist fettgeschrieben. Die Sprecher sind jeweils als Student (s) oder Lehrer (l) bezeichnet, wobei einzelne Studenten nummeriert sind. Beiträge mehrerer Studenten werden durch „ss“ bezeichnet (z. B. gemeinsames Lachen) und nicht eindeutige Zuord‐ nungen als „s? “ gekennzeichnet. Wenn es von den Stimmen hörbar ist, dass der-/ diegleiche nicht-identifizierbare Lernende, spricht, haben wir diese Person mit dem gleichen Buchstaben (z. B. sX, sY) markiert. Beispiel 1: Puppe 4 (U2: Plenum III) Es wird auch deutlich, dass die anderen Beteiligten das Lachen als Einladung zur Mitbeteiligung und den Versuch von sa11 als Wortsuche verstanden haben: sa06 in Zeile 07 formuliert „puppen,“ markiert diesen Vorschlag aber sofort als 245 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="246"?> immer noch unzulänglich (sagt auf Japanisch: „das ist nicht richtig“) und for‐ muliert in Zeile 10 eine Alternative („kinder kinder kinder“), die durch die drei‐ fache Wiederholung als das richtige Wort markiert wird. Auch sa11 bestätigt „kinder“ in Zeile 11 als das von ihr gesuchte Wort. Das Lachen und damit der spielerische Rahmen werden jedoch fortgesetzt (Zeile 12), vielleicht auch des‐ halb, weil sa08 in Zeile 09 nachfragt, was ‚Puppe‘ bedeutet und damit den Kon‐ trast zwischen ‚Puppe‘ und ‚Kind‘ fokussiert, der im weiteren Verlauf durch weiteres zeitweiliges Lachen spielerisch bearbeitet wird, v. a. durch die Erklä‐ rung von ‚Puppe‘ durch ‚Barbie- oder Spielpuppe‘. Sa11 leitet dann das Ende der Sequenz ein, indem sie „kinder“ als das von ihr gesuchte Wort in Zeile 20 mit Reparaturmarker „eh“ bestätigt und außerdem nicht mehr mit lacht. Als sich das Lachen der anderen fortsetzt (Zeile 21), formuliert sa11 nochmals eine Bestäti‐ gung in Zeile 22, diesmal eingeleitet durch „okay,“ was die Akzeptanz verstärkt und das Ende der Sequenz markiert (cf. Reichert/ Liebscher im Druck). Alle Ler‐ nenden haben zu diesem Zeitpunkt das Lachen eingestellt. Nachdem auch die Lehrkraft in Zeile 23 „kinder“ als das richtige Wort bestätigt hat, fährt sa11 ab Zeile 24 mit ihrem Redebeitrag fort. Zusammenfassend lässt sich zur Funktion das Lachens im Beispiel 1 Fol‐ gendes sagen: Zum einen unterstützt das Lachen von sa11 ihren Versuch, das richtige Wort zu finden, indem sie durch das Lachen markieren kann, dass es sich um einen Versuch handelt, der spielerisch gemeint ist, wodurch sie sich einer gewissen Verantwortung gegenüber der Richtigkeit des Wortes entzieht. Gleichzeitig lädt sie durch das Lachen andere zur Wortsuche ein, die der Einla‐ dung auch folgen und durch das Lachen im Verlauf der Sequenz weiter den spielerischen Rahmen markieren. Das Lachen hilft so, Wörter auszuprobieren und Bedeutungen zu verhandeln. Ähnlich wie beim ersten Beispiel geht es auch beim zweiten Beispiel um die Funktion von Lachen bei der Verständnissicherung und Bedeutungsaushand‐ lung von Wörtern. Hinzu kommt, dass Lachen hier beim Manövrieren der Fo‐ kusausrichtung innerhalb eines Gesprächsabschnitts fungiert. Beispiel 2 stammt aus dergleichen Aktivität wie das erste Beispiel: dem Vergleich der Attraktivität von Regionen in Deutschland. Das Beispiel ist Teil der Plenumsdiskussion zum Austausch der Gruppenergebnisse. 246 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="247"?> Beispiel 2: gefährlich (U1: Plenum I) 247 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="248"?> 5 Die potenzielle alternative Bedeutung von ‘nicht sicher’ als ‘Ich bin nicht sicher, ob das richtig ist’ scheint hier keine Rolle zu spielen, da weder die Sprecherin noch die anderen Lernenden diese Bedeutung fokussieren. Eher wird in Zeile 40 deutlich, dass „nicht sicher“ als Alternative zu „kritisch“ behandelt wird. Am Anfang des Beispiels nennt die Studentin sa04 die hohe Straßenkriminalität in einigen deutschen Städten, was als Argument für die Nicht-Attraktivität dieser deutschen Städte verstanden werden kann. In Zeile 09, und analog einer Zusammenfassung oder eines Fazits am Ende ihres Turns, wählt sie die Formu‐ lierung “gefährlich: stadt.” Hier formuliert sie zögerlich und in einem Sprach‐ duktus, der Unheimlichkeit kommuniziert. Eventuell könnte auch Unsicherheit und dispräferierte Wortwahl als Teil von Wortsuche in diesem Sprachduktus verstanden werden, wie sich dies in Zeile 07 durch Abbrüche und Verzöge‐ rungen durch Pausen andeutet. Nach anschließender kurzer Pause, in der ein Sprecherwechsel relevant wird, beginnt sa02 mit einer minimalen Lachpartikel in einer leisen Äußerung (Zeile 11), bevor sa13 auch anfängt leise zu lachen. Daraufhin wiederholt sa02 leise die Formulierung von sa04, verstärkt aber das Bedeutungspotential der ‚Gefährlichkeit‘ durch die Betonung auf der zweiten Silbe “geFÄHRlich stadt,” worauf sa13 lauter lacht und sa02 in Zeile 17 in das Lachen einstimmt. Ohne sich am Lachen zu beteiligen, wiederholt sa05 „ge‐ fährlich? “ leise und mit Frageintonation, was einer klassischen Reparaturiniti‐ ierung im Sinne einer Nachfrage entspricht (Schegloff/ Jefferson/ Sacks 1977) und auf ein Verständnisproblem hindeutet. Ob als Reaktion auf das potentielle Verständnisproblem oder auf das Lachen, beginnt die Lehrkraft ab Zeile 19 mit einer Erklärung zum Aspekt ‚Gefährlich‐ keit‘, indem er Nord- und Süddeutschland vergleicht, aber die deutschen Städte als „so gefährlich nicht“ bezeichnet, worauf er Zuspruch von sa06 in Zeile 27 erhält („genau“), gefolgt vom Lachen einiger weniger Lernenden. An dieser Stelle, in Zeile 29, hinterfragt sa04 ihre Wortwahl, möglicherweise als Reaktion auf die Erklärungen der Lehrkraft, die als Reparaturinitiierungen verstanden werden können. Die Studentin sa04 bietet als Alternativen „nicht sicher“ in Zeile 30 und „sehr kritisch“ in Zeile 31 an. Sie präferiert dann „kritisch“ durch die zweifache Wiederholung in den Zeilen 37 und 39. 5 Diese Präferenz wird erstmals durch das Lachen einiger weniger Lernenden in Zeile 38 hinterfragt, und dann konkret abgelehnt von sa06 in Zeile 40 durch die betonte Wiederholung der anderen Alternative: „NICHT sicher“. Daraufhin folgt ein gemeinsames und verstärktes Lachen mehrerer Beteiligten in Zeile 41, das durch die Verstärkung und die Länge einen Abschluss des Gesprächsabschnitts markiert (Holt 2010). Diesen Abschluss formuliert die Lehrkraft in seinem folgenden Turn, zuerst in Zeile 42 durch ein „okay? “ zur Verständnisrückfrage, das auch die Funktion eines 248 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="249"?> pre-closing (Schegloff/ Sacks 1973) einnimmt, gefolgt von einem sequenzbeend‐ enden „Gut“ in Zeile 43 mit einem zusammenfassenden Fazit (Zeilen 43-44). Zur Funktion des Lachens in diesem Beispiel kann zusammengefasst werden, dass das Lachen am Anfang des Beispiels (Zeilen 13-18) zunächst (mit) indiziert, einen neuen Gesprächsabschnitt einzuleiten, bei dem eine bestimmte Wortwahl gewissermaßen unter die Lupe genommen wird. Die Bedeutung des Spieleri‐ schen, das Lachen oft zugeschrieben wird (play-frame in Glenn 2003), wird hier genutzt, um die Wortwahl einer anderen Person spielerisch (und nicht als Kritik oder Gesichtsbedrohung) als diskussionswürdig zu markieren. Während das Lachen und die Reparaturinitiierung von Lernenden ausgeführt werden, ist es die Lehrkraft, die auf diese Initiierung eingeht und die Diskussion der Wortwahl „gefährlich“ zum Schwerpunkt der Diskussion macht. Das Lachen gegen Ende des Beispiels (Zeile 41) trägt eine neue Funktion: es markiert das potenzielle Ende eines Gesprächsabschnitts (Holt 2010). Als ge‐ meinsames Lachen (fast) aller Lernenden trägt es außerdem als „Lachen mit“ dazu bei, die als Präferenz vorgeschlagene Wortwahl eines anderen Lernenden (Zeile 40) zu bestätigen und damit das gemeinsame Basiswissen bzw. den common ground wieder zu etablieren, der im Zuge der Aushandlung der Bedeu‐ tung von „gefährlich“ nicht bei allen Lernenden gleichermaßen bestand. Somit hilft das ‚Lachen miteinander‘, die Grundlage für das weitere Arbeiten im Klas‐ senzimmer zu schaffen und eine positive, gemeinschaftliche, Atmosphäre her‐ zustellen, auf deren Grundlage die weitere Diskussion geführt werden kann. Lachen als Abschwächung von Aufforderungen Beispiel 3 stammt ebenfalls aus einer Plenumsdiskussion, die auf eine Grup‐ penarbeit folgt, bei der die Lernenden Karten und Graphiken zu West- und Ost‐ deutschland vergleichen sollten. Dem Beispiel voran geht ein Redebeitrag der Lehrkraft, in dem er um Diskussionsbeiträge gebeten hat. Daraufhin entsteht eine relativ lange Pause, die die Lehrkraft beendet, indem sie eine Studentin zu einem Beitrag auffordert bzw. ermuntert. Beispiel 3 beginnt damit, dass die Lehrkraft einer Studentin (sa01) das Rede‐ recht erteilt (Zeile 01). Nach einer Pause, gefolgt von sa01 tiefem Einatmen und nochmaliger kurzer Pause, beginnt die Studentin zu sprechen (Zeile 05), wor‐ aufhin einige Lernende leise kichern (Zeile 06). Das Kichern leitet einen spiele‐ rischen Rahmen ein, der jedoch potenziell als ‚Lachen über‘ verstanden werden kann, in dem Fall als Schadenfreude, dass sa01 den ersten Beitrag nach der län‐ geren Pause liefern soll. Was als Nächstes in der Interaktion passiert, ist deshalb wichtig dafür, eine positive und gemeinschaftliche Atmosphäre (wieder) her‐ zustellen. Der nächste Turn von sa04 (Zeile 07) kann so verstanden werden, da 249 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="250"?> er sa01 lächelnd auffordert, lauter zu sprechen, wodurch er den spielerischen Faden beibehält, aber gleichzeitig sa01 zum Mitlachen (oder zumindest Mit‐ spielen) einlädt. Sa04’s lächelnde Stimme und die übertriebene Verlängerung der laut und deutlich gesprochenen Aufforderung zeigt diese spielerische Rahmung an. Dadurch schwächt er auch den Gehalt der Aufforderung ab und macht deut‐ lich, dass der Redebeitrag nicht als übliche und direkte Aufforderung zu ver‐ stehen ist, wie sie evtl. nur die Lehrkraft einfordern kann. Dadurch wird aus einer Aufforderung von Lerner zu Lerner, die potenziell gesichtsbedrohend sein kann, eine spielerische Aufforderung. Im Unterricht der Datenkollektion kommt diese Art Aufforderung mehrmals vor und scheint ein typischer Redebeitrag von Lehrkraft und/ oder Lernenden zu sein und als solcher markiert und erkannt zu werden. Darauf deutet in Beispiel 3 das gemeinsame laute Lachen von Ler‐ nenden und Lehrkraft in Zeile 08. Dieses gemeinsame Lachen wird selbst von sa01 als ‚Lachen mit‘ empfunden, da sie in Zeile 09 ins Spielerische der Auffor‐ derung einstimmt, indem sie nun viel lauter als erforderlich spricht, wie durch die Großschreibung im Transkript dargestellt ist. Durch dieses übertriebene laute Sprechen gibt auch sie einen spielerischen Redebeitrag, den einige Ler‐ nende durch Kichern (Zeile 10) würdigen. Erst durch die Wiederholung der Worte (‚leute in‘) in Zeile 11 verlässt sa01 den spielerischen Rahmen und setzt ihren Redebeitrag fort. Beispiel 3: Lauter (U1: Plenum I) Zusammenfassend lässt sich zur Funktion des Lachens bzw. Lächelns in diesem Beispiel sagen, dass es den Lernenden ermöglicht wird, eine anderweitig ge‐ sichtsbedrohende Aufforderung abgeschwächt zu verwenden. Desweiteren 250 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="251"?> scheint das Lachen hier konstitutives Element für die Gruppendynamik zu sein, indem das gemeinsame Lachen die Aufforderung als eine angemessene - wenn auch nicht vollkommen ernst gemeinte - Sprachhandlung (auch unter Ler‐ nenden) anerkennt. Zudem mag die Aufforderung das Rederecht für sa01 ver‐ stärkt ratifizieren, denn selbst trotz einiger Pausen, die auf Formulierungs‐ schwierigkeiten hindeuten (Zeile 09, 11, 13), helfen andere Lernende oder die Lehrkraft nicht bei potenzieller Wortsuche, wie dies bei anderen Unterrichts‐ abschnitten der Fall ist. Im Gegenteil: die spielerische Aufforderung macht eine Antwort von sa01 nicht nur relevant, sondern ermutigt die Studentin auch zu einem Beitrag. Das gemeinsame Lachen trägt dann dazu bei, dass das potentiell längere Warten auf eine Antwort akzeptiert wird, was sich dann im geduldigen Warten aller Beteiligten zeigt, in diesem wie auch in anderen ähnlichen Bei‐ spielen im Datenkorpus. Das vierte und letzte Beispiel stammt aus einer Plenumsdiskussion, die auf eine Gruppenaktivität folgt, bei der Lernende einen japanischen mit einem deutschen Gesetzestext vergleichen sollten. Kurz vor Beginn des transkribierten Abschnitts fragt die Lehrkraft, was in beiden Texten gleich ist und wo die Ler‐ nenden Unterschiede sehen. Das Beispiel setzt in Zeile 01 damit ein, dass die Lehrkraft die Lernenden ermuntert, Ideen wie auch Probleme aus den Grup‐ pendiskussionen ins Plenum zu bringen. Der Lernende sb02 in diesem Beispiel ist der Student namens Sato. Nachdem die Lehrkraft in Zeile 05 nach Freiwilligen für erste Redebeiträge fragt, schlagen zwei Lernende fast gleichzeitig den Studenten Sato vor. Zuerst flüstert sb03 Satos Namen in Zeile 07 als leichten Anstoßes zum Sprechen. Dann wiederholt sb14 laut den Namen Sato in Zeile 08, was nach einer stärkeren Auf‐ forderung klingt. Daraufhin flüstert sb03 wiederum den Namen Sato, was einer Wiederholung des leichten Anstoßes, aber auch einer Abschwächung der starken Aufforderung gleichkommt. Wie in Beispiel 3 beginnen mehrere Ler‐ nende im Anschluss an eine Aufforderung (hier eines Lernenden zum Sprechen durch einen anderen Lernenden) zu lachen. Durch dieses Gruppenlachen wird der Aufforderung ein spielerischer Rahmen gegeben. Dadurch wird ein Raum für Sato geschaffen, der Aufforderung nachzukommen, aber auch die Möglich‐ keit eines Auswegs, nicht der nächste Sprecher zu sein. Zum anderen kommen‐ tiert das Lachen möglicherweise die (lehrerhafte) Rolle von sb03 und sb14, Sato als Sprecher vorzuschlagen. Nach längerem Lachen und anschließendem Ki‐ chern einiger Lernender geht Sato der Aufforderung nach und setzt mit einem Redebeitrag ein (Zeile 14). 251 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="252"?> Beispiel 4: Sato (U8: Plenum II) 252 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="253"?> Die anschließende Pause, die Aufforderung zur Wiederholung und das Lachen einiger Lernenden deuten dann auf ein Verständnisproblem hin (Zeilen 17-21), wobei das Lachen ähnlich wie im Beispiel 3 als „Lachen über (Sato)“ (miss)ver‐ standen werden kann. Sato deutet das Verständnisproblem, indem er seinen Re‐ debeitrag wortwörtlich wiederholt, was von Selbstbewusstsein zeugt, den rich‐ tigen Beitrag geliefert zu haben (statt zum Beispiel eine Reparatur zu präsentieren). Daraufhin initiieren mindestens zwei Lernende eine genauere Reparatur, indem sie als Problemquelle „mobil“ wiederholen (Zeilen 24 und 25). Durch das Ausbleiben von Lachen an dieser Stelle verlassen die Lernenden hier den spielerischen Rahmen und die Reparatur wird zum Fokus der Interaktion. Weder Sato noch die anderen Lernenden lösen jedoch die Reparatur, sondern erst die Lehrkraft formuliert in Zeile 28 seine Vermutung nach einer relativ langen Pause: Sato hat eine Antwort auf eine spätere Aufgabe vorgegriffen. Als die Lehrkraft in Zeile 33 noch etwas ergänzen will, beginnen einige Lernende in Überlappung mit der Lehrkraft wiederum zu lachen (Zeile 34). Es ist nicht klar, ob Sato mitlacht und damit das Lachen zum „Lachen mit“ macht oder ob es als „Lachen über (Sato)“ ausgelegt werden kann, insbesondere auf die Fest‐ stellung der Lehrkraft folgend, dass Sato die falsche Information gegeben hat. Diese Mehrdeutigkeit könnte auch der Grund dafür sein, dass die Lehrkraft im nächsten Redebeitrag (Zeilen 35-36) positives Feedback gibt, wodurch der Aspekt des Fehlers und das „Lachen über“ abgeschwächt werden. Im Gegensatz zur Lehrkraft bewegen sich die Studierenden jedoch weiterhin im spielerischen Rahmen, allerdings wird jetzt das Lachen eindeutig als Necken (Engl. teasing, u. a. Boxer/ Cortés-Conde 1997) markiert, zum Beispiel durch die übertriebene Verlängerung des Namens von Sato innerhalb der spielerischen Ermahnung in Zeile 37 und dann nochmals im Redebeitrag eines anderen Studenten in Zeile 38. Dadurch wird auch dem Lehrer klar gemacht, dass es sich um Necken handelt und nicht um ein ‚Lachen über Sato‘. Möglicherweise hätte die Lehrkraft an dieser Stelle mitgelacht (wie im Beispiel 3), aber diese Möglichkeit ist hier se‐ quentiell schwierig, da die Lehrkraft sich inmitten einer Frage-Antwort-Sequenz mit Sato befindet, d. h. die Lehrkraft hatte in Zeile 36 Sato die Frage gestellt, ob er die Information später bringen kann (Zeile 36) und in Zeile 37 nochmals zur Antwort aufgefordert („ja? “). Anstelle der direkten Beantwortung (z. B. durch „Ja“), bringt Sato in Zeile 39 eine Entschuldigung, die gleichzeitig Antwort auf die Frage der Lehrkraft wie auch Orientierung auf die (spielerische) Ermahnung der anderen Studierenden ist. Die Lehrkraft weist Sato an, sich nicht zu ent‐ schuldigen (Zeile 42) und gibt nochmals positives Feedback (Zeile 45), was ein typischer Redebeitrag einer Lehrkraft im Rahmen der Fehlerkorrektur ist (Lyster/ Ranta 1997). 253 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="254"?> Mindestens einer der Studierenden reagiert auch in Zeile 44 durch eine spie‐ lerisch-neckende Ermahnung, als hätte Sato (wiederum) einen Fehler gemacht. Dies resultiert abermals in Lachen mehrerer Studierender (Zeile 46), das mehrere Funktionen haben kann: es applaudiert dem Studierenden des Beitrags in Zeile 44 für einen witzigen Kommentar, es mitigiert die Ermahnung (und potentiell den Gebrauch der Lehrerstimme als diejenige, die das Recht zu ermahnen hat), und es lädt zum Lachen aller Beteiligter, einschließlich der Lehrkraft, ein. Wie seit Beginn des Beispiels stimmt aber bis zum Schluss die Lehrkraft nicht in das Lachen ein, obwohl die mehrfachen Lachbeiträge der Lernenden auch als Insti‐ gation zum gemeinsamen Lachen gesehen werden können. Das Nicht-Lachen der Lehrkraft resultiert darin, dass das Lachen zu einer alleinigen Aktivität der Lernenden wird und die Lehrkraft ihre Rolle behält, den Unterricht zu steuern, aber auch Sato vom potenziellen ‚Lachen über‘ zu schützen. Beginnend in Zeile 48 schlägt dann die Lehrkraft auch direkt die nächsten Schritte im Unterrichts‐ geschehen vor und geht auch nicht auf einen weiteren Neck-Beitrag (Zeile 50) ein. Insbesondere durch die Verwendung von „okay“ (Zeile 52) markiert die Lehrkraft einen neuen Gesprächsabschnitt und nimmt den Lernenden hier alle Hoffnung auf ein weiteres spielerisches Geschehen. Das letzte Beispiel hat insbesondere deutlich gemacht, inwiefern sequenzielle Abfolgen (z. B. die Notwendigkeit einer Antwort auf eine Frage) die Interaktion steuern. Möglicherweise hätte ein Mitlachen der Lehrkraft die Necksequenz der Lernenden früher beendet, auch deshalb, da ein Nicht-Mit-Lachen der Lehrkraft als ernste (Tadel-)Perspektive gedeutet werden kann. Das könnte auch der Grund dafür sein, dass die Lehrkraft hier in besonderem Maße durch zweimaliges posi‐ tives Feedback angezeigt hat, dass Sato kein großer Fehler unterlaufen ist. 5.4.3 Zusammenfassung: Funktionen von Lachen Dieses Kapitel befasste sich mit einer detaillierten Betrachtung unterrichtlicher Interaktion unter Verwendung der Methode der Konversationsanalyse. Beson‐ deres Augenmerk lag dabei auf der Beschreibung der Funktionen von Lachen in Form von Lachpartikeln und Lächeln für die Bedeutungsaushandlung und Verständnisssicherung im Rahmen der Intersubjektivität in der Interaktion. Bei einem ersten allgemeinen Überblick über die Verwendung des Lachens im Datenkorpus hat sich gezeigt, dass sowohl von der Lehrkraft als auch von den Lernenden gelacht wird und dass mehr zusammen als allein gelacht wird. Diese Beobachtung überrascht nicht, ist aber dennoch interessant, da sie re‐ flektiert, dass der Gebrauch des Lachens in Unterrichtsinteraktionen der Kor‐ pusdaten in dieser allgemeinen Verwendung anderen Interaktionen auch au‐ ßerhalb des Klassenzimmers entspricht (s. Diskussion oben). 254 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="255"?> Bei der genaueren Untersuchung mittels der Konversationsanalyse haben wir uns dann insbesondere auf zwei Funktionen konzentriert, die zum einen mehr‐ fach in den Daten auftraten und zum anderen eine besondere Bedeutung inner‐ halb des Datenkorpus einnehmen. Beim ersten Gebrauch handelte es sich um Lachen bei der Aushandlung von Wörtern, wodurch Lernende den spielerischen Umgang beim Ausprobieren von Wörtern in der Fremdsprache markiert haben. Das gemeinsame Lachen hat dabei geholfen, das Suchen von Wörtern in der Fremdsprache zu einem gemeinsamen, also nicht nur einem individuellen Pro‐ blem und zu einem Fokusthema zu machen. Lachen kann so einen Raum schaffen, den Fluss der gegenwärtigen Gesprächssequenz kurzzeitig zu stoppen, um auf Wortwahl und Formulierungen einzugehen, ähnlich einer kurzzeitigen Rahmung, Sprache unter die Lupe zu nehmen. Beim zweiten Beispiel wurde außerdem deutlich, dass Lachen beim Manövrieren der Fokusausrichtung in‐ nerhalb eines Gesprächsabschnitts fungierte, in diesem Fall in der typischen Verwendung zur Beendigung von Gesprächssequenzen. Es ist wahrscheinlich, dass das Lachen durch die Fokussierung auf das Spielerische und auf die Wort‐ suche an sich zu deren Erfolg beigetragen hat. Eine Überprüfung dieser Vermu‐ tung unterliegt aber einer genaueren Untersuchung anhand von Beispielen mit Wortsuche ohne Lachen, was über die hier vorgestellte Analyse hinausgeht. Als zweite typische Funktion von Lachen im Datenkorpus haben wir disku‐ tiert, wie Lachen von Lernenden innerhalb von Aufforderungen, die normaler‐ weise mit der Rolle der Lehrkraft assoziiert werden, gebraucht wurde. Dabei hat die Analyse gezeigt, wie Lernende eine anderweitig potentiell gesichtsbedro‐ hende Aufforderung spielerisch verwendet haben, um Räume zum Sprechen (für andere Lernende) zu schaffen, und wie durch das Lachen die Rollen von Lehr‐ kraft und Lernenden in spielerischer Art und Weise innerhalb einer Neckse‐ quenz aufgegriffen werden. Hierbei, beim letzten Beispiel, wurde aber auch deutlich, welche interaktive Arbeit in Lachsequenzen geleistet wird. So gab die Lehrkraft mehrfaches positives Feedback zum Redebeitrag des Lernenden, der im Zentrum der Lachsequenz stand und die laughable geliefert hat. Möglicher‐ weise war es für die Lehrkraft wichtig, auf das Lachen zu reagieren, damit es zu einem ‚Lachen mit‘ statt eines ‚Lachens über‘ wird. Durch wiederholtes positives Feedback und Nicht-Mit-Lachen ist es dann der Lehrkraft auch gelungen, die Beendigung der Lachsequenz zu forcieren. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich die Analyse von Lachen in diesem Kapitel auf zwei Aspekte besonders konzentriert: 1) Momente, in denen Lernende neues Sprachmaterial ausprobieren (können), und 2) Momente, in denen sie die Regeln zum Lernen im Klassenzimmer mitbestimmen (oder sogar durchbrechen) können. Neben den in diesem Kapitel diskutierten Aspekten von 255 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="256"?> Lachen gibt es eine Spannbreite weiterer Möglichkeiten, wie Lachen und seine Formen verwendet und mit unterschiedlicher Bedeutung eingesetzt werden können. Trotz Beschränkung auf wenige dieser Funktionen hoffen wir, deutlich gemacht zu haben, welche wichtige Rolle das Lachen im Unterrichtsgeschehen haben kann und wie es als Ressource zur Verhandlung von Bedeutungen, In‐ tersubjektivität und Rollen eingesetzt wird. So können sich zum Beispiel auch eher zurückhaltende Lernende durch natürlich vorkommendes Lachen einen Raum zum Sprechen schaffen, um sich an der Diskussion zu beteiligen. Wir haben außerdem gezeigt, dass Lachen hilft, Wortfindungen in den Fokus zu rü‐ cken und gegebenenfalls zu fördern. Noch allgemeiner gefasst befördert Lachen (v. a. ‚Lachen mit‘) eine positive Gruppendynamik durch eine gemeinsame Be‐ teiligung aller, einschließlich der Lehrkraft. Mit anderen Worten scheint (ge‐ meinsames) Lachen ein auf die Partizipation aller ausgelegtes Unterrichtsge‐ schehens wie das im Kapitel 2 beschriebene zu unterstützen. 5.4 Ausblick: Potenzial der Konversationsanalyse Anhand der genaueren Betrachtung von Lachen haben wir versucht, das Po‐ tenzial der Konversationsanalyse für das Verständnis des Unterrichtsgesche‐ hens deutlich zu machen. Eine erste Erkenntnis ist, dass die sequenzielle Analyse Einsichten vermittelt, wie einzelne Redebeiträge aufeinander abgestimmt sind. Die KA zeigt also, wie sich die Aktionen oder Reaktionen von Lernenden und Lehrkraft untereinander beeinflussen und bedingen. Derartige Analysen können dann helfen zu erkennen, welche Interaktionsmuster für die Beteiligung der Lernenden besonders zuträglich (und welche abträglich) sind (vgl. He 2004: 569). Desweiteren macht die KA deutlich, dass erst durch bestimmte Interakti‐ onsprozesse Räume zum Lernen gemeinsam geschaffen und Rollen bzw. Iden‐ titäten konstruiert werden. Dabei ist beobachtbar, wie die Beteiligten sich auf die Praktiken und Muster des institutionellen Sprechens orientieren (He 2004: 573) bzw. diese (u. a. durch Lachen) modifizieren. Die Konversationsanalyse des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts (CA-SLA) ist sowohl für (angehende) Lehrkräfte wie auch für Lernende nützlich (cf. Betz/ Huth 2014-16). So können im Lehrertraining wichtige Einsichten in den Interaktionsprozess im Klassenzimmer gewonnen werden. Zugleich kann die gemeinsame Analyse von Unterrichtssequenzen mit Lernern zum Beispiel dazu genutzt werden, das Sprachbewusstsein zu fördern (ibid.). Innerhalb des relativ jungen Gebiets der CA-SLA sind viele Aspekte des Unterrichtsgeschehens je‐ doch noch weitgehend unerforscht. Dazu gehören auch Fragen zur Mehrspra‐ chigkeit und zu kulturellen Aspekten des Sprachgebrauchs. Beispielsweise stellt 256 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="257"?> sich die Frage, inwiefern die Funktionen und der Gebrauch von Lachen in ver‐ schiedenen Klassenzimmern der Welt gleich oder unterschiedlich sind. In An‐ betracht dessen, dass Lachen nur eine der umfangreichen Ressourcen innerhalb der Interaktion ist, gibt es großen Bedarf für die Erforschung dieser Ressourcen mittels der KA. Mit diesem Kapitel hoffen wir, einen kleinen Einblick in diese Forschung, und insbesondere in den Gebrauch von Lachen im Unterrichtsge‐ schehen, gegeben zu haben. Anhang - Transkriptionskonventionen Folgendes sind die wichtigsten von uns in der Analyse benutzten Transkripti‐ onskonventionen. Für das umfassende GAT2 Transkriptionssystem, siehe Sel‐ ting et al. (2009). Sequenzielle Struktur/ Verlaufsstruktur [ ] [ ] Überlappungen und Simultansprechen = schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Sprecherbeiträge oder Segmente (latching) Ein- und Ausatmen °h / h° Einbzw. Ausatmen von ca. 0.2-0.5 Sek. Dauer °hh / hh° Einbzw. Ausatmen von ca. 0.5-0.8 Sek. Dauer °hhh / hhh° Einbzw. Ausatmen von ca. 0.8-1.0 Sek. Dauer Pausen (.) Mikropause, geschätzt, bis ca. 0.2 Sek. Dauer (-) kurze geschätzte Pause von ca. 0.2-0.5 Sek. Dauer (--) mittlere geschätzte Pause v. ca. 0.5-0.8 Sek. Dauer (---) längere geschätzte Pause v. ca. 0.8-1.0 Sek. Dauer (0.5) gemessene Pausen von ca. 0.5 bzw. 2.0 Sek. Dauer (2.0) (Angabe mit einer Stelle hinter dem Punkt) 257 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="258"?> Sonstige segmentale Konventionen und_äh Verschleifungen innerhalb von Einheiten äh öh äm Verzögerungssignale, sog. „gefüllte Pausen“ : , : : , : : : 8. Dehnung, Längung um ca. 0.2-0.5 Sek. bzw. 9. 0.5-0.8 Sek. und 0.8-1.0 Sek. Akzentuierung akZENT Fokusakzent akzEnt Nebenakzent ak! ZENT! extra starker Akzent Tonhöhenbewegung am Ende von Intonationsphrasen ? hoch steigend , mittel steigend - gleichbleibend ; mittel fallend . tief fallend Lachen und Weinen haha hehe hihi silbisches Lachen ((lacht)) Beschreibung des Lachens <<lachend>> Lachpartikeln in der Rede, mit Reichweite <<: -)> soo> "smile voice" Rezeptionssignale hm ja nein nee einsilbige Signale hm_hm ja_a nei_ein nee_e zweisilbige Signale ʔ hm ʔ hm, mit Glottalverschlüssen, meistens verneinend 258 Grit Liebscher / Sara Marsh <?page no="259"?> Lautstärke- und Sprechgeschwindigkeitsveränderungen, mit Extension <<f>> forte, laut <<ff>> fortissimo, sehr laut <<p>> piano, leise <<pp>> pianissimo, sehr leise <<all>> allegro, schnell <<len>> lento, langsam Sonstige Konventionen ((hustet)) para- und außersprachliche Handlungen u. Ereignisse <<hustend>> sprachbegleitende para- und außersprachliche Handlungen und Ereignisse mit Reichweite ( ) unverständliche Passage ohne weitere Angaben (xxx), (xxx xxx) ein bzw. zwei unverständliche Silben (solche) vermuteter Wortlaut (also/ alo) (solche/ welche) mögliche Alternativen ((unverständlich,ca. 3 Sek)) unverständliche Passage mit Angabe der Dauer (()) Auslassung im Transkript → , fett Verweis auf im Text behandelte Transkriptzeile <<erstaunt>> interpretierende Kommentare mit Reichweite <<flüsternd>> Beispiel für Veränderung der Stimmqualität o. Artikulati‐ onsweise, wie angegeben 259 Konversationsanalytische Perspektive: Funktionen und Bedeutung von Lachen <?page no="261"?> 6 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden im fach- und sprachintegrierten Anfängerunterricht Olga Czyzak 6.1 Lernersprachenanalyse In einem auf fachliche Inhalte und aufgabengesteuertes Lernen ausgerichteten Unterrichtskonzept ohne zugrundeliegenden funktionalen oder grammatischen Syllabus stellt sich automatisch die Frage nach der Rolle der Grammatik. Wenn die Themen die treibende Kraft für die Unterrichtsprogression darstellen und sprachliche Strukturen nur bei Bedarf fokussiert werden, wie handhaben Ler‐ nende die Sprache selbst? Welche Grammatik wird überhaupt gelernt? Inwie‐ fern entspricht die Lernersprache zielsprachlichen Normen? Im vorliegenden Kapitel soll die mündliche Produktion der Lernenden in den fach- und sprach‐ integrierten Kursen im Mittelpunkt stehen und anhand ausgewählter Aspekte die Qualität der Lernersprache erfasst werden. Zur Untersuchung der Qualität von lernersprachlichen Äußerungen exis‐ tieren zahlreiche Analyseansätze. So kann zum Beispiel eine Fehleranalyse Auf‐ schluss über schwer zu erlernende sprachliche Strukturen geben, während eine Frequenzanalyse, bei der die Häufigkeit bestimmter Formen zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht wird, erlaubt, bestimmte Erwerbsfolgen nachzuvoll‐ ziehen (u. a. Ellis/ Barkhuizen 2005). Je nach Erkenntnisinteresse können unter‐ schiedliche Zugangsweisen sinnvoll sein. In jenem Bereich der Fremdsprachenerwerbsforschung, der sich auf die Un‐ tersuchung aufgabenbasierten Lernens spezialisiert hat - task based research -, werden einerseits die Interaktionsprozesse untersucht, wobei das Lernen als ein sozialer Prozess betrachtet wird (vgl. Kap. 2.2.7), andererseits kann sich der Fokus jedoch auch auf die Sprachproduktion einzelner Lernender richten. Lernen wird hier als ein kognitiver Vorgang konzipiert und dieser Perspektive wird im Folgenden besondere Aufmerksamkeit gewidmet. <?page no="262"?> Zahlreiche, an einem solchen kognitiven Ansatz orientierte Studien konzen‐ trieren sich auf die Untersuchung des Erwerbs von Wortschatz und Grammatik in bestimmten Lernszenarien (vgl. Aguado 2010). In der Regel werden spezielle Aufgaben entwickelt und durch Manipulation einer oder mehrerer Variablen Effekte auf die sprachliche Produktion von Lernenden beobachtet. Zum Beispiel zeigt Wigglesworth (1997) wie sich der Einfluss von Planungszeit auf die münd‐ liche Produktion von Lernenden unterschiedlicher Niveaustufen unterscheidet. Unter anderen verdeutlichen Kuiken/ Vedder (2011) den Zusammenhang zwi‐ schen Komplexitätsgrad der Aufgabe und der sprachlichen Leistung der Ler‐ nenden. De Jong/ Vercellotti (2016) untersuchen die Wirkung unterschiedlicher Bildimpulse auf die sprachliche Qualität in monologischen Erzählaufgaben und stellen dabei fest, dass auch scheinbar ähnliche Bilder zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen. Mit Bezug zu Deutsch als Zielsprache ist im Zusammenhang mit der vorlie‐ genden Studie insbesondere die Arbeit von Eckerth (2003) zu erwähnen. Eckerth analysiert die mündliche Interaktion Lernender in Partnerarbeit bei der Bear‐ beitung spezieller sprachstrukturell bzw. referenziell orientierter Aufgaben und betont den hohen Wert dieser Interaktionen für den Lernprozess selbst bei sprachlich fehlerhaften Ergebnissen (vgl. Eckerth 2003: 272). Darüber hinaus finden sich im japanischen DaF-Kontext einige Studien, in denen die sprachli‐ chen Produkte von Lernenden auf grammatische Phänomene hin untersucht und daraus Rückschlüsse auf kognitive Prozesse gezogen wurden. Anhand von Texten Lernender zeichnet Hoshii (2010) den Erwerbsverlauf verschiedener Verbpositionen im Satz nach und verdeutlicht in den Daten, die Schwankungen, denen dieser Prozess unterliegt. In anderen Studien stehen auch mündliche Lernerprodukte im Mittelpunkt. Zum Beispiel zeigt Lipsky (2013) mithilfe von Selbstkorrekturen, welche grammatischen Phänomene für japanische Deutsch‐ lernende schwierig zu erlernen sind und weist hierbei auch auf die „Grenzen der expliziten Grammatikvermittlung und des Einsatzes von Grammatikwissen bei der Sprachproduktion“ (Lipsky 2013: 108f) hin. Bei Schart et al. (2010) werden die sprachlichen Leistungen von Studierenden aus zwei Kursen verglichen, von denen einer einem synthetischen Syllabus und der andere nach einem aufgaben- und inhaltsorientierten Konzept unterrichtet wird, und Zusammenhänge zwischen Lehrmethode und Lernerfolg geprüft (siehe dazu auch Kap. 2.7). Ebenso wie die vorliegende Untersuchung ist letztere Teil der umfangreichen Forschungen, die seit dem Jahr 2000 im Kontext des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität in Tokio durchgeführt werden. In beiden Studien werden Kor‐ rektheit und Komplexität in den Redebeiträgen der Studierenden zur Erfassung 262 Olga Czyzak <?page no="263"?> der sprachlichen Qualität herangezogen. Während aber für die Studie im Jahr 2010 die Daten in Prüfungssituationen erhoben wurden, stammen im vorlie‐ genden Projekt die zugrundeliegenden Audioaufnahmen ausschließlich aus dem fach- und sprachintegrierten sowie aufgabenbasierten Unterricht. In Abgrenzung zu obigen Arbeiten sollen in dieser Studie weder Erwerbs‐ verläufe oder die Schwierigkeit bestimmter Strukturen ermittelt noch Lerner‐ folge verglichen werden. Vielmehr soll es Ziel sein, die sprachproduktive Leis‐ tungsfähigkeit der Lernenden zu erfassen und so einen Einblick in die sprachliche Qualität zu gewinnen, die im gewöhnlichen Unterricht vorzufinden ist. Diesem Kapitel liegt also die Frage zu Grunde: Wie gut wenden die Studie‐ renden die Fremdsprache in einem Unterricht an, der keinem an grammatischen Strukturen orientierten Syllabus folgt? 6.1.1 Korrektheit, Komplexität und Flüssigkeit Da es sich im Folgenden um eine Bestandsaufnahme der sprachlichen Produk‐ tion Lernender in einem inhalts- und aufgabenbasierten Unterricht handelt, liegt die Wahl einer Methode, die aus der Aufgabenforschung stammt, nahe. In der englischsprachigen Literatur hat sich für diese Zwecke die Betrachtung von Korrektheit, Komplexität und Flüssigkeit (Accuracy, Complexity, Fluency) eta‐ bliert (vgl. u. a. Ellis/ Barkhuizen 2005, Skehan 1998). Eine der wenigen Arbeiten in diesem Bereich mit Bezug zu Deutsch als Fremdsprache stellt Feketes (2016) Untersuchung dar, die allerdings im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit auf einem schriftlichen Korpus lernersprachlicher Produkte fußt. Dieser Ansatz er‐ möglicht es die Qualität der Äußerungen unter der Berücksichtigung der drei Aspekte Accuracy, Complexity und Fluency zu erfassen und diese auf einander zu beziehen. Mit Accuracy wird der Grad der Korrektheit bzw. Grammatikalität bezeichnet. Hierbei steht eine möglichst der Zielsprache entsprechende Verwendung der Formen im Vordergrund und somit die Kontrolle über die bereits erlernten Strukturen. Zur Messung der Korrektheit wurden in verschiedenen Studien unter anderem der Anteil fehlerfreier Sätze (Foster / Skehan 1996), richtiger Pluralbildungen (Crookes 1989) oder zielsprachlichen Normen angemessener finiter Verben (Wigglesworth 1997) herangezogen. Eine ausführliche Darstel‐ lung findet sich bei Ellis/ Barkhuizen (2005). Komplexität bezieht sich ebenfalls in erster Linie auf morphosyntaktische und lexikalische Faktoren, allerdings steht hier eher eine kreative Komponente im Vordergrund. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Verknüpfung von bekannten Strukturen zu neuen Formen, also einem Ausprobieren, was mit dem gelernten Material möglich ist. Fluency hingegen beschreibt die Fähigkeit Lernender, sich 263 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="264"?> möglichst flüssig zu äußern und wird daher als Hinweis auf eine Fokussierung auf die Bedeutung der produzierten Sprache gedeutet (vgl. Skehan 1998: 5). Letz‐ tere wurde hier allerdings ausgeklammert, da sich die Frage stellt, ob eine solche Messung für die vorliegende Studie überhaupt sinnvoll ist. Einerseits handelt es sich um Lernende auf der Niveaustufe A1, von denen nach den Fertigkeitsbe‐ schreibungen im GER flüssiges Sprechen ohnehin nicht erwartet wird (vgl. Gla‐ boniat et al. 2013). Andererseits liegt der Schwerpunkt in den zugrundeliegenden Unterrichts‐ sequenzen auf anspruchsvollen Themen wie Wohlstand und Pfänden, so dass inhaltliche Aspekte im Vordergrund stehen und daher eine ggf. verlangsamte Redegeschwindigkeit der Studierenden nicht unmittelbar die sprachlichen Fä‐ higkeiten widerspiegelt, sondern vielmehr ein Hinweis auf inhaltliche Denk‐ prozesse zum Thema darstellen kann. Darüberhinaus ist für eine genaue Un‐ tersuchung der Fluency die Bestimmung der Länge der einzelnen Redebeiträge sowie der Redepausen nötig, welche für diese Datenmengen einen erheblichen Mehraufwand bedeutet hätte. Bei diesem Analyseansatz wird davon ausge‐ gangen, dass Lernende unterschiedliche Prioritäten setzen können und sich entsprechend auf jeweils einen der Aspekte konzentrieren (Robinson 2001, Skehan 1998). So kann eine Lernerin sich etwa das Ziel gesetzt haben besonders korrekte, aber dafür sichere, also einfache Sätze zu produzieren, während ein anderer Lerner Wert darauf legt, seine Gedanken möglichst vollständig mitzu‐ teilen, dafür aber mehr Fehler in Kauf zu nehmen bereit ist. Diese Prioritäten können auch von Unterricht zu Unterricht oder je nach Unterrichtsphase vari‐ ieren. Für die vorliegende Analyse nun gilt es zu überprüfen, ob für den unter‐ suchten Unterricht bestimmte Tendenzen in Bezug auf die sprachliche Qualität auftreten. Entsprechend der weiter oben alltagssprachlich formulierten Frage danach, wie gut die Lernenden sprechen, lässt sich das Erkenntnisinteresse vor dem theoretischen Hintergrund der Instrumente zur Erfassung der Accuracy, Complexity und Fluency wie folgt präzisieren: • Wie viel sprachlichen Output leisten die Lernenden? • Wie lang sind die sprachlichen Einheiten? • Wie komplex ist die Sprache der Lernenden? • Wie verknüpfen die Lernenden Sätze miteinander? • Inwiefern entsprechen die verwendeten Strukturen zielsprachlichen Normen? Für eine solche Analyse muss das zu untersuchende Material - die Redebeiträge der einzelnen Studierenden - aufbereitet und anschließend auf die oben be‐ 264 Olga Czyzak <?page no="265"?> stimmten Phänomene hin untersucht werden. Im Folgenden soll kurz die Ge‐ winnung der Untersuchungseinheiten und die damit verbundenen Schwierig‐ keiten erläutert werden, bevor anschließend die Analyseergebnisse vorgestellt werden. 6.1.2 Sprachliche Analyseeinheiten - SAE Da der Satz als Einheit einerseits durch seine alltagssprachliche Verwendung stark vorbelastet und andererseits insbesondere in der gesprochenen Sprache schwer zu definieren ist (Hunt 1965: 21, Foster et al. 2000: 360), wurden für die Einteilung von Lernersprache in messbare Einheiten eine Vielzahl von Heran‐ gehensweisen vorgeschlagen. So bestehen T-Units, minimal terminal units, aus mindestens einem Hauptsatz und dazugehörigen Nebensätzen (Hunt 1965: 21). Sie eignen sich aber aufgrund des fragmentarischen Charakters von gespro‐ chener Sprache in der Interaktion nicht als Einheit für den vorliegenden Kon‐ text. Eine Unterteilung der Sprache anhand von Intonation und Sprechpausen, wie etwa tone unit (Crystal/ Davy 1975) oder utterance (Crookes/ Rulon 1985), bringt für die Analyse von Lernerprodukten die Schwierigkeit mit sich, dass Lernende beim Sprechen häufig Pausen für die Planung oder Wortfindung machen und dadurch die eigentlichen Sprecheinheiten unterbrechen (Foster et al. 2000: 359). Eine Segmentierung von gesprochener Sprache auf der Grundlage pragmati‐ scher oder semantischer Funktion, wie etwa bei C-Units bzw. communiation units (Pica et al. 1989) oder idea units (Kroll 1977), lässt für eine eindeutige Un‐ terteilung zu viel interpretatorischen Spielraum offen (Foster et al. 2000: 358). Basierend auf einer eingehenden Untersuchung der Literatur zu verschie‐ denen sprachlichen Analyseeinheiten entwickeln Foster et al. die AS-Units, analysis of speach units. Eine AS-Unit wird als eine Äußerung eines Sprechers definiert, die aus unabhängigen oder abhängigen Sätzen und den dazugehörigen Teilsätzen besteht (vgl. Foster et al. 2000: 365). Da diese Einheiten explizit zur Untersuchung gesprochener Sprache gedacht sind, können AS-Units aus Haupt‐ sätzen, Nebensätzen oder unvollständigen Teilsätzen bestehen. Zwar betonen Foster et al., dass die Einheiten in erster Linie einer syntaktischen Einteilung unterliegen, lassen aber ausdrücklich für die gesprochene Sprache typische grammatische Unvollständigkeit zu (Foster et al. 2000: 366). In Anlehnung an die von Foster et al. vorgeschlagenen AS-Units wurden für die vorliegende Analyse aus den Transkriptionen der audiografierten Unter‐ richtsmitschnitten Sprachliche Analyseeinheiten (SAE) generiert. Diese bilden die Basis der Untersuchung der Qualität der Redebeiträge der Lernenden. Da im untersuchten Unterricht der Schwerpunkt auf Inhalten liegt, werden - anders 265 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="266"?> 1 Verschiedene Teile der Transkription wurden von zwei Forschenden unabhängig von einander in SAE umgewandelt. Die Ergebnisse wurden stichprobenartig überprüft, un‐ sichere Zuordnungen und Differenzen gemeinsam besprochen. Ein Reliabilitätscheck wurde jedoch nicht vorgenommen, was einen methodischen Schwachpunkt dieser Teilstudie darstellt. als bei Foster et al. - auch bei der Einteilung der SAE thematisch eng zusam‐ menhängende Gedanken trotz syntaktischer Unabhängigkeit im Zweifel als eine SAE betrachtet 1 . Eine genaue Auflistung der Regeln für die Bildung der Einheiten findet sich auf der Projekt-Homepage, deshalb soll hier nur kurz auf Schwierigkeiten und mögliche Fehlerquellen bei der Umwandlung der Daten eingegangen werden. 6.1.2 Wiederholungen Wiederholungen einzelner Wörter oder ganzer Satzteile sind auch in der mut‐ tersprachlichen Konversation üblich, beeinträchtigen in der Regel weder den Unterhaltungsablauf noch das gegenseitige Verständnis und werden teilweise gezielt eingesetzt. In lernersprachlichen Äußerungen sind solche Wiederho‐ lungen weitaus häufiger, da sie neben den Funktionen, die sie auch bei Mutter‐ sprachlern erfüllen, wie zum Beispiel als rhetorisches Mittel zur Lenkung der Aufmerksamkeit oder zur Zeitgewinnung bei Wortfindungsschwierigkeiten (vgl. Schwitalla 2012: 118), noch weitere Funktionen erfüllen. Zum Beispiel wie‐ derholen Lernende häufig Wörter oder Satzteile, um sich an die Aussprache der ungewohnten Laute zu gewöhnen, im Gespräch mit mehreren Teilnehmenden werden die Worte eines Sprechers von den Zuhörenden wiederholt, um das ei‐ gene Verständnis zu fördern, den Sprechenden zum Weitersprechen zu ermun‐ tern oder zu signalisieren, dass man verstanden hat (u. a. Sato 2007). Beispiel 1: Transkript U8/ Gruppenarbeit 1/ Gruppe 2 SAE-Nr. SAE sb02: drei und fünf und vierzehn (2) vielleicht U8sb02: 16 / / drei und fünf und vier‐ zehn vielleicht/ / sb09: drei und vierzehn? U8sb09: 21 / / drei und vierzehn? / / sb02: drei und fünf und sieben und vierzehn gibt es nicht in deutsches か (oder)? vielleicht (10) U8sb02: 15 / / drei und fünf und sieben und vierzehn gibt es nicht in deutsches (oder)? vielleicht/ / 266 Olga Czyzak <?page no="267"?> Aus den Unterrichtsaufnahmen und den Transkriptionen geht nicht immer ein‐ deutig hervor, ob die Wiederholungen einen eigenen Redebeitrag oder ein Nachsprechen darstellen, wobei letzteres ggf. wiederum unterschiedliche Funk‐ tionen haben kann, wie etwa ein verbalisiertes lautes Denken, eine Überprüfung der Aussprache oder ein Hörersignal. In Beispiel 1 etwa wurde aufgrund der fragenden Intonation, die im Transkript mit einem Fragezeichen gekenn‐ zeichnet ist, der Redebeitrag von sb09 als Rückfrage interpretiert und somit als eigener Redebeitrag. Folglich wurde der Transkriptausschnitt in drei SAE um‐ gewandelt, von denen eine sb09 und zwei sb02 zugeordnet wurden. Scaffolding Bei der kollaborativen Erarbeitung eines komplexeren Redebeitrags mit meh‐ reren Beteiligten kann es unübersichtlich werden, so dass nicht mehr eindeutig nachvollzogen werden kann, wem genau welcher Teilsatz anzurechnen ist. Im Zweifel wurden die einzelnen „Gerüstteile“ mehreren Satz-Konstrukteuren zu‐ geordnet, da hier vermutlich einzelne Lernende ohne die Unterstützung anderer nicht erfolgreich gewesen wären. Beispiel 2: Transkript U6/ Gruppenarbeit 1/ Gruppe 3 SAE-Nr. SAE sb03: ich dürfen えーなんだ な んだっ け (Wie war das noch mal? ) - sb05: 何が (Was meinst du? ) - sb03: ververandern 変える (verändern) - sb012: verändern? U6sb12: 29 / / verändern? / / sb03: verändern sb03: ich dürfen ich dürfen meine woh‐ nung verändern U6sb03: 10 / / ich dürfen meine wohnung verän‐ dern/ / sb12: ah alles klar U6sb12: 5 / / alles klar/ / In Beispiel 2 wird das Verb verändern sowohl sb03 als auch sb12 angerechnet, obgleich das Verb selbst erst nach einigen nicht ganz erfolgreichen Versuchen von sb03 eigentlich durch sb12 geliefert und von sb03 dann in den ursprünglich geplanten Satz eingebunden wird. Das bloße Nachsprechen von sb03 wird aber 267 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="268"?> 2 Dieser Begriff steht im Japanischen ursprünglich für die drei kaiserlichen Throninsig‐ nien (Schwert, Spiegel und Krummjuwel). Seit dem japanischen Wirtschaftswunder werden damit umgangssprachlich die für die Bevölkerung drei wichtigsten Dinge be‐ zeichnet - in den 50er Jahren: Kühlschrank, Fernseher, Waschmaschine. nicht als SAE eingestuft. Ebenso wird der Beitrag von sb05 auf Japanisch nicht in eine SAE umgewandelt, da es sich um kein zielsprachliches Produkt handelt. Allerdings kommt solchen Rückfragen eine wichtige Rolle in kollaborativen Prozessen zu (vgl. Kap. 4). Unterbrechungen In einigen Fällen ist auch nicht eindeutig nachzuvollziehen, ob die Studierenden längere Redebeiträge konstruieren und dabei von Kommentaren oder Hilfsan‐ geboten anderer unterbrochen werden oder ob sie einen abgeschlossenen Re‐ debeitrag peu à peu erweitern. In solchen Fällen kann es zu unterschiedlichen Interpretationen kommen, so dass eine Forschungsperson die einzelnen Äuße‐ rungen der Studierenden als einzelne Einheiten wahrnimmt, eine andere aber einen größeren Zusammenhang sieht und die Äußerungen zu einer Einheit mit mehreren Teilsätzen zusammenfasst. Beispiel 3: Transkription U8/ Gruppenar‐ beit 3/ Gruppe 2 SAE-Nr. SAE sb02: ich denke kühlschrank und fernseher und waschmaschine ist 三 種 神器 [Die drei Kronjuwelen 2 ] U8sb02: 24 / / ich denke : kühl‐ schrank und fernseher und waschmaschine ist (kronjuwelen)/ / sb06: mhm [lacht] - sb02: 三種 神器 - sb09: 三種 神器 [lacht] warum 三種 神器 ist nicht nicht pfändbar? U8sb09: 51 / / warum (das) ist nicht pfändbar? / / sb02: mhm? 三種 神器 ist notwendig für ununser leben. (2) also also sind sind sind die dinge unpfändbar (2) ohne kühlschrank lebe ich nicht (4) U8sb02: 46 / / (kronjuwelen) ist not‐ wendig für unser leben : also sind die dinge un‐ pfändbar : ohne kühl‐ schrank lebe ich nicht/ / 268 Olga Czyzak <?page no="269"?> 3 Wie alle anderen Daten sind auch die SAE auf der Projekt-Homepage einsehbar. Im obigen Beispiel wurden die beiden Redebeiträge von sb02 als zwei eigen‐ ständige SAE interpretiert, jedoch ist auch denkbar, dass sb06 den Gedanken noch weiter ausführen wollte, aber durch das Lachen und die folgende Frage der anderen Gruppenmitglieder unterbrochen wurde. Ohne introspektive Daten lässt sich keine der beiden Interpretationen bestätigen oder widerlegen. Die gesamten transkribierten Unterrichtsmitschnitte wurden in SAE einge‐ teilt, so dass für die weitere Untersuchung der Komplexität und Korrektheit insgesamt 2393 SAE lernersprachlicher Äußerungen als Datenbasis dienen 3 . Die Äußerungen der Lehrkraft wurden ebenfalls in SAE eingeteilt, allerdings für die folgenden Analyseschritte außer Acht gelassen, da hier die sprachliche Qualität der Äußerungen der Studierenden im Mittelpunkt steht. 6.2 Komplexität Die Komplexität mündlicher Produkte kann unter verschiedenen Aspekten be‐ trachtet werden. Für die vorliegende Studie wurden die SAE in Bezug auf Ge‐ samtanzahl, Anzahl der Wörter pro SAE und Anzahl der Teilsätze pro SAE un‐ tersucht (vgl. Foster/ Skehan 1996). Darüberhinaus wurden die Teilsätze nach Art der Verknüpfung kategorisiert und anhand der grammatischen Strukturen den Stufen des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens zugeordnet. Im Folgenden werden die Ergebnisse vorgestellt. 6.2.1 Anzahl der SAE Eine erste Annäherung an die Beschreibung der Komplexität der sprachlichen Leistungen der Studierenden kann über die Anzahl der SAE vorgenommen werden (vgl. u. a. Duff 1986; Moser 2010). Insbesondere in interaktiven Lern‐ szenarien, wie dem vorliegenden, lässt sich mit Hilfe solcher Analyseeinheiten die Quantität der sprachlichen Produktion der Lernenden im Unterrichtsge‐ schehen erfassen (vgl. Eckerth 2003: 137). Der Mittelwert der durchschnittlichen Anzahl der SAE je Unterrichtseinheit, die von den einzelnen Lernenden produziert werden, liegt bei 25. Betrachtet man jedoch die Werte für die einzelnen Personen, zeigt sich ein sehr weit gestreutes Bild. Da in den audiographierten Unterrichtseinheiten in den beiden Klassen einerseits mit unterschiedlichen Materialien zu unterschiedlichen Themen ge‐ arbeitet wurde, andererseits die Gruppenarbeitsphasen in Klasse LGa nicht mit‐ geschnitten wurden und sich auch die Anzahl der aufgenommenen Stunden unterscheidet, wird hier von einem Vergleich der beiden Klassen abgesehen. Aus 269 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="270"?> 4 Unterschiede sind zu einem geringen Anteil auf Fehlstunden einzelner Studierender zurückzuführen. In jeweils einer Sitzung fehlten sa08, sa09, sa13, sb07 und sb13, wäh‐ rend sb10 und sa12 zwei bzw. dreimal nicht anwesend waren; sb01 fehlte komplett. der folgenden Tabelle lässt sich jedoch erschließen, dass die Anzahl der SAE der einzelnen Studierenden in beiden Lerngruppen stark variiert. So finden sich sowohl in Klasse LGa als auch in Klasse LGb Lernende, die sich sehr aktiv am Unterrichtsgeschehen beteiligen und andere, die nur wenige mündliche Beiträge beisteuer 4 . LGa SAE W/ SAE Max LGb SAE W/ SAE Max sa01 26 4,5 21 sb02 29,3 5,4 22 sa02 12,6 3,7 20 sb03 49,7 4,7 18 sa03 7,4 5,9 16 sb04 66,3 6,4 55 sa04 37,6 5,6 47 sb05 36 5,3 28 sa05 22,6 6,7 60 sb06 9,3 6 28 sa06 38,6 5,5 53 sb07* 21 3,1 13 sa07 22,6 10,2 71 sb08 45 7,5 55 sa08* 38,5 5,9 36 sb09 27,3 4,9 52 sa09* 2,75 13,1 26 sb10* 12 8,8 33 sa10 9 5,5 18 sb11 26 6,2 37 sa11 5,4 7,8 19 sb12 32,3 6,2 36 sa12* 1 14 15 sb13* 57 6,4 35 sa13* 11,75 5,3 30 sb14 46 4,4 20 Tab. 6.1: Durchschnittliche Anzahl der SAE je UE, durchschnittliche Anzahl der Wörter pro SAE und Anzahl der Wörter der jeweils längsten SAE nach Lernenden aufgeteilt. Mit * gekennzeichnete Studierende haben Fehlstunden. Die Länge der einzelnen Einheiten ist ein Indikator für die Fähigkeit der Ler‐ nenden, Wortschatz zu längeren syntaktischen Einheiten zusammenzufügen (Bygate 2001: 34f). Der Mittelwert für die Länge der SAE liegt bei 6,3 Wörtern pro Einheit, doch schwanken die Durchschnittswerte für die einzelnen Ler‐ 270 Olga Czyzak <?page no="271"?> nenden zwischen drei und 14 Wörtern. Noch deutlicher wird die große Varianz der Länge der SAE bei der Betrachtung der absoluten Zahlen. Während die Werte zurückhaltender Studierender, wie sa09, sa12 und sb10, die Vermutung nahelegen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der An‐ zahl und der Länge der SAE - je weniger desto länger - bestehen könnte, kann dies durch einen Blick auf sehr aktive Studierende nicht bestätigt werden. Die Lernenden mit den durchschnittlich kürzesten Äußerungen liegen, was ihre Beteiligung angeht, eher im unteren Mittelfeld, während die Länge der Beiträge der „Vielredner“ sich überwiegend im Bereich zwischen fünf und sieben Wör‐ tern pro Analyseeinheit bewegt. Eine Abweichung lässt sich bei sa07 feststellen, der zwar recht viel beiträgt, aber mit einer durchschnittlichen Anzahl von 10 Wörtern pro Einheit deutlich über dem Mittelwert liegt. Die durchschnittlich kürzeren Analyseeinheiten in Klasse LGb weisen darauf hin, dass in der Gruppenarbeit, die in der Klasse LGa ausgeklammert wurde, mehr Sprecherwechsel zu kürzeren aber dafür häufigeren Wortmeldung führen. Was auch durch die fast so hohe Anzahl der Äußerungen der Studierenden in LGb in nur drei Unterrichtseinheiten, wie der in LGa mit fünf Unterrichtsein‐ heiten, deutlich wird. Eine genauere Untersuchung dieser Korrelation unter Be‐ rücksichtigung weiterer Faktoren, wie der genauen Unterrichtsphase und der Arbeitsmaterialien findet sich in der interaktionalen Analyse der Unterrichts‐ abläufe in Kapitel 4 in diesem Band. 6.2.2 SAE und Komplexitätsquotient Im nächsten Schritt wurden alle SAE in Bezug auf Nebensätze mit Hilfe der Software MaxQDA kodiert. Da sich dabei zeigte, dass die Lernenden nicht nur Nebensatzkonstruktionen, sondern auch Beiordnungen mit und ohne Kon‐ nektor verwenden, wurde ein Zwischenschritt eingearbeitet, in dem zunächst alle Teilsätze identifiziert wurden. Die grammatische Korrektheit wurde hier nicht berücksichtigt, da - wie bereits oben erwähnt - der Untersuchung der Gedanke zu Grunde liegt, dass Lernende selbst entscheiden können - und auf‐ grund von Grenzen der kognitiven Kapazität dies auch müssen -, welchem sprachlichen Aspekt sie Vorrang einräumen. In diesem Untersuchungsabschnitt wird die Komplexität der Äußerungen fokussiert. Folglich werden alle ver‐ suchten Koordinationen und Subordinationen ohne Beachtung der Korrektheit als Teilsätze eingestuft. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit zu bestimmen, wo‐ durch sich ein versuchter Teilsatz, der aber nicht unbedingt zielsprachlichen Normen entsprechend umgesetzt werden konnte, als Teilsatz qualifiziert. In längeren zusammenhängenden SAE wird als Mindestmerkmal das Vorhanden‐ sein eines Verbs angenommen. So besteht etwa die SAE in Beispiel 4 aus vier 271 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="272"?> Teilsätzen, da jedem Teilsatz ein Verb zugeordnet werden kann, wohingegen in Beispiel 5 nur ein Verb enthalten ist und diese Untersuchungseinheit somit aus einem Teilsatz besteht. Beispiel 4: U8sb13: 18 / / ich denke : buddhafigur und bücher zum beispiel bibel ist nicht un‐ terschiedlich : weil beides ist religion : also das thema von beides gesetz ist gleich/ / Beispiel 5: U1sa06: 39 / / vielleicht im ostdeutschland gibt es nicht so viel arbeit für frauen und mehr körperliche arbeit und nicht so viel frauenarbeit/ / Bei kürzeren SAE, die aus Redebeiträgen besonders interaktiver Sequenzen ent‐ standen sind, ist aber ein Verb nicht zwingend erforderlich, so dass die Beispiele 6 und 7 trotz fehlender Verben als Teilsätze bzw. eigenständige SAE gezählt werden. Hier wird angenommen, dass es sich um elliptische Äußerungen bzw. um Ko-Konstruktionen mehrerer Studierender handelt. Beispiel 6: U3sa02: 2 / / ja brot oder reis/ / Beispiel 7: U7sb11: 16 / / gesetz nicht klar/ / Die aus der Kodierung der Teilsätze gewonnenen Daten wurden zur Berechnung des Komplexitätsquotienten (KQ) verwendet. Hierzu wurde für jeden Lernenden die absolute Anzahl der Teilsätze durch die absolute Anzahl der Untersuchungs‐ einheiten geteilt: 272 Olga Czyzak <?page no="273"?> Der durchschnittliche KQ liegt bei 1,49, allerdings weisen die Werte für die ein‐ zelnen Studierenden ein breites Spektrum auf. Für die meisten Lernenden be‐ wegt sich der KQ in einem Bereich zwischen 1,2 und 1,5. Einen KQ von über 2 erreichen sa12 und sa09, was bedeutet, dass diese in jeder ihrer Äußerungen mindestens zwei Teilsätze verwenden. Betrachtet man jedoch ihre Gesamtzahl an SAE, so zeigt sich, dass beide insgesamt sehr wenige Redebeiträge geleistet haben. Abb. 6.1: Durchschnittliche Anzahl der Sprachlichen Analyseeinheiten (SAE) und Kom‐ plexitätsquotient (KQ) nach Studierenden aufgeteilt Anhand der obigen Grafik lässt sich der KQ und die Anzahl der SAE für jeden einzelnen Lernenden über den gesamten audiographierten Unterricht ablesen. Je näher die Werte an der X-Achse liegen desto weniger Teilsätze wurden pro‐ duziert, desto einfacher ist demnach die Struktur der verwendeten Sprache. Sind 273 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="274"?> die Werte hingegen nahe an der Y-Achse, ist die Anzahl der SAE und somit die Menge der produzierten Redebeiträge der einzelnen Studierenden niedrig. Stellt man die durchschnittliche Anzahl der SAE und den KQ einander un‐ mittelbar gegenüber, lässt sich für einige Studierende die Tendenz beobachten, dass diejenigen, die eine große Zahl an SAE produzieren, weniger komplexe Strukturen verwenden. Auf den ersten Blick erscheinen so zum Beispiel sb04 oder sb13 als Lernende, die grundsätzlich sehr viele Redebeiträge leisten, aber keinen großen Wert auf komplexere Sprachanwendung legen. Wohingegen sa12 oder sa09 sich selten zu Wort melden, dafür aber wohl überlegte längere Äuße‐ rungen mit mehreren Teilsätzen vorbringen. Betrachtet man aber die sprach‐ liche Leistung der Studierenden in den einzelnen Unterrichtseinheiten, so zeigt sich ein weitaus facettenreicheres Bild. Abb. 6.2: Anzahl der SAE und KQ einzelner Studierender (sa11, sa05, sb04) in den ein‐ zelnen Unterrichtseinheiten (U1 bis U8) Die Anzahl der SAE von sb04 etwa variiert zwischen den einzelnen Unterrichts‐ einheiten stark. Der KQ schwankt ebenfalls, jedoch hängen diese Schwan‐ kungen nicht proportional zusammen. Der durchschnittliche KQ von sa11 liegt im Mittelfeld bei 1,56, in den einzelnen Sitzungen aber zeigt sich, dass sa11 sich insgesamt eher wenig beteiligt und der KQ großen Schwankungen unterliegt. Die Durchschnittswerte von sa05 liegen sowohl bei der Anzahl der SAE (23,6) als auch beim KQ (1,48) leicht unter dem Mittelwert der hier untersuchten Daten, doch variieren die einzelnen Werte stark zwischen den Unterrichtseinheiten, die Anzahl der SAE zwischen 9 und 49 und der KQ zwischen 1 und 1,86. 274 Olga Czyzak <?page no="275"?> Es wird deutlich, dass die sprachliche Qualität der Beiträge der einzelnen Studierenden große intraindividuelle Unterschiede aufweist. Solche Unter‐ schiede werden auch in anderen Studien thematisiert und mögliche Gründe in mangelnden Übungsmöglichkeiten zur Verinnerlichung sprachstruktureller Operationen oder unterschiedlichen Lerntypen vermutet (u. a. Diehl 1999, Hoshii 2010: 65). Eine Untersuchung der Einflussgrößen, die nicht nur speziell im vorliegenden Kontext eine Rolle spielen, stellt ein Desiderat für zukünftige Forschungsprojekte dar. Neben der Tagesform der einzelnen Studierenden, dem Interesse am Thema und anderen individuellen Ursachen, wirken sich auch so‐ ziale Faktoren auf die sprachliche Leistung der Lernenden aus (vgl. Philp et al. 2014). Dies wiederum wirft die Frage auf, wie damit im Unterricht oder gar in Prüfungssituationen umgegangen werden sollte. 6.2.3 Satzverknüpfungen Um einen Eindruck davon zu bekommen, welche Satzkonstruktionen die Ler‐ nenden verwenden, wurden alle SAE auf die vorkommenden Konstruktionen hin untersucht und kodiert. Auch in diesem Analyseschritt blieb die gramma‐ tische Richtigkeit der Sätze unberücksichtigt. Jeder Versuch der Studierenden, eine bestimmte Satzverbindung anzuwenden, wurde als ein Vertreter der je‐ weiligen Kategorie gezählt. Das folgende Beispiel etwa besteht aus einem Hauptsatz und zwei Nebensätzen, einem mit weil und einem mit dass eingeleitet. Auch wenn die Wortstellung nicht der zielsprachlichen Norm entspricht, ist die Aussageabsicht klar zu erkennen und eine Zuordnung zu den jeweiligen Ne‐ bensatztypen eindeutig. Beispiel 8: U4sa01: 2 / / dann ich denke dritte : weil ich habe gehört : dass japan hat halb der fläche für wald oder so/ / Bei anderen SAE ist die Zuweisung eines bestimmten Nebensatztyps nicht so offenkundig. So wurde in dem Redebeitrag in Beispiel 9 der hintere Teilsatz als ein mit bevor eingeleiteter Nebensatz eingeordnet, obwohl statt der Subjunktion bevor die Präposition vor gewählt und auch das Tempus nicht angepasst wurde. Jedoch ist auch in diesem Satz die Redeabsicht klar zu erkennen. 275 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="276"?> 5 siehe Projekt-Homepage Beispiel 9: U7sb08: 15 / / ich habe das gesagt : vor du herkommst/ / In anderen Beispielen kann hingegen nicht mit Sicherheit gesagt werden, welche Satzkonstruktion die Lernenden versucht haben anzuwenden, da entweder ent‐ sprechende Konnektoren komplett fehlen, der Satzbau schwer nachzuvollziehen ist oder keine Verbkongruenz vorliegt. In Beispiel 10 wurden der erste Teilsatz als Hauptsatz, der zweite als abhängiger Hauptsatz (vgl. Imo 2016: 50) und der dritte als Relativsatz gewertet. Wobei insbesondere der Relativsatz nur sehr fragmentarisch vorhanden ist. Beispiel 10: U7sb13: 35 / / menschenwürde strafgesetzbuch garantieren : alle menschen können machen außer dinge : steht in das buch/ / Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass in dem hier zugrundeliegenden Un‐ terricht keinerlei Übungssequenzen zu bestimmten grammatischen Phänomenen durchgeführt werden. Bei jeder sprachlichen Äußerung greifen die Studierenden auf ihr bereits vorhandenes Vorwissen zurück. Ihnen wird nicht zuvor das sprachliche Material gegeben, welches sie benötigen, um die Aufgabe bearbeiten zu können (vgl. Ellis/ Shinitani 2013: 135), sondern sie erarbeiten sich sowohl die Inhalte als auch die Redemittel weitestgehend selbst. Nur vereinzelt stehen den Lernenden auf den Arbeitsblättern 5 Formulierungshilfen zur Verfügung. In Tabelle 6.2 sind die Satzverknüpfungen mit Angabe zur Niveaustufe des GER (vgl. Glaboniat et al 2013) und der Anzahl der Fundstellen enthalten. Die Katego‐ rien ergeben sich aus dem Datenmaterial. Durch wiederholtes Lesen und Kodieren wurden zuerst die leicht zu identifizierenden Konnektoren im entsprechenden Satzgefüge ausfindig gemacht und markiert und anschließend die schwerer ein‐ zuordnenden Konstruktionen kategorisiert. Hierbei wurde für jede SAE ein zu‐ grundeliegender Hauptsatz angenommen, der den Kern der Aussage bildet. Die Kategorien Frage und Hauptsatz entstanden dadurch, dass einige Untersuchungs‐ einheiten aus einem Hauptsatz und einer anschließenden Frage oder mehreren semantisch eng verbundenen Hauptsätzen ohne Satzverknüpfung bestehen. 276 Olga Czyzak <?page no="277"?> SV FS Beispiel abhängiger Hauptsatz (A2) 221 U5sa11: 5 / / ich denke : tabelle vier passt zu text zwei/ / Hauptsatz (A1) 158 U2sa06: 53 / / wir haben westfalen : es ist nummer zehn/ / und (A1) 96 U1sa03: 4 / / westen deutschland hat viele großstadt : und die großstadt hat viel arbeitenplatz/ / aber (A1) 90 U8sb12: 11 / / deutschen text sagt über apothek in nummer neun : aber japanischen text sagt nicht/ / W-Wort-Satz (B1) 85 U7sb14: 93 / / zuerst wir muss entscheiden : welche person haben schulden / / weil (A2) 69 U3sa13: 6 / / in fukui meine heimatstadt ist lohnniveau nied‐ riger als tokio : weil lebensstandard ist niedriger als tokio in fukui/ / also (A1) 63 U8sb13: 14 / / es gibt viele leute : also ein zu konkret gesetz kann nicht passen zu viele person zum beispiel/ / Frage (A1) 61 U5sa04: 7 / / also was passt zu tabelle eins : was denken sie? / / dass (A2) 60 U2sa08: 16 / / es steht in diese papier : dass es gibt hohes maß an soziales kontakten in hamburg/ / wenn (A2) 35 U7sb03: 31 / / ich denke : gericht pfänden etwas : wenn person B können zurückzahlen nicht/ / Infinitiv mit zu (B1) 23 U7sb11: 22 / / ich denke : gericht geben für person A : recht zu pfänden zu person B wichtige dinge/ / je … desto … (B1) 20 U3sa05: 3 / / das ist sehr interessant : ähnliche idee haben wir : je kälter das klima ist : desto unglücklicher sind die menschen/ / 277 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="278"?> Relativsatz (A2) 17 U2sa01: 17 / / lohn ist ein geld : das man kann bekommen nur für arbeiten? ok? / / oder (A1) 11 U8sb08: 3 / / aber weil das ist nicht konkret : ich meine : das ist zu wenig : oder zu viel werden kann/ / um (B1) 11 U4sa07: 3 / / also ist viel geld haben notwendig : um glücklich zu fühlen sich? / / ob (B1) 7 U8sb02: 22 / / ich denke : das gesetz regelt nicht : ob ein haustier mobiler besitz ist/ / obwohl (B1) 5 U2sa01: 19 / / nein ich verstehe nicht : warum menschen in westfalen bekommen viele geld : obwohl sie so oft arbeit nicht/ / deshalb (A2) 4 U5sa07: 33 / / und israel hat viele soziale problem : deshalb ich denke nicht so/ / bevor (B1) 2 U7sb08: 15 / / ich habe das gesagt : vor du herkommst/ / Tab. 6.2: Anzahl der Fundstellen (FS) der Satzverknüpfungen (SV) Insgesamt wenden die Studierenden ihrem Lernstand entsprechende Satzkonst‐ ruktionen an. Die mit Abstand häufigste Konstruktion ist dabei der abhängige Hauptsatz. Er wird sowohl für Rückfragen als auch für Erklärungen verwendet, besonders oft aber nutzen die Lernenden diese Konstruktion in Kombination mit der Einleitung Ich denke bzw. Wir denken . Die Konjunktionen und und aber werden vielfach eingesetzt, ebenso wie die Subjunktionen weil und dass, die den Nivaustufen A1 und A2 des GER zugeordnet werden. Eine Ausnahme bilden die W-Wort-Sätze, die der Stufe B1 angehören (vgl. Glaboniat et al 2013: 155), von den Studierenden aber vergleichsweise häufig benutzt werden. Ein möglicher Grund für die relativ hohe Anzahl dieser Konstruktion könnte darin liegen, dass die W-Wort-Sätze nicht immer eindeutig von gewöhnlichen W-Fragen zu un‐ terscheiden sind. In den Beispielen 11 und 12 dürfte es sich um „echte“ W-Wort-Sätze handeln, da der Kontext eine solche Interpretation unterstützt. 278 Olga Czyzak <?page no="279"?> 6 Um ein möglichst weites Spektrum abzudecken, wurden die Studierenden mit den meisten Satzverknüpfungen ausgewählt. Beispiel 11: U5sa04: 20 / / ich verstehe es diese wort : aber ich kann nicht verstehen : warum diese satz ist in text eins/ / Beispiel 12: U8sb09: 20 / / der fernsehen ist auch der grund : ich denke : aber ich weiß nicht : warum der kühlschrank oder die waschmaschine ist so unpfändbar/ / In Beispiel 13 hingegen könnte die eigentliche Absicht des Studenten gewesen sein, eine Frage zu formulieren, aufgrund der Intonation und des Gesprächs‐ verlaufs wurde hier aber eine Zuordnung zu der Kategorie W-Wort-Satz ge‐ wählt. Beispiel 13: U1sa04: 7 / / das frage ist so : warum es gibt wenig frauen im norden/ / Ein anderer Ansatz, das gehäufte Auftreten der W-Wort-Sätze im vorliegenden Datenmaterial zu erklären, besteht darin, die Allgemeingültigkeit der Schwie‐ rigkeitsgrade einzelner grammatischer Strukturen des GER zu hinterfragen. So wäre zum Beispiel denkbar, dass für die untersuchte Gruppe W-Wort-Sätze leichter zu erlernen sind als etwa Verknüpfungen mit deshalb. Die Gründe hierfür könnten unter anderem in sprachlichen Strukturen der Herkunfts‐ sprache, der größeren Relevanz der Form für die Mitteilungsabsichten der Ler‐ nenden oder Sprechgewohnheiten der Lehrperson zu suchen sein. Um eine solche Frage eingehend beantworten zu können, müssten weitere qualitative, flankierende Daten zu Rate gezogen werden, die eine umfassende Abbildung der Einflussfaktoren ermöglichen. Anhand von Tab. 6.3 lässt sich die Verwendungsweise der einzelnen Satzver‐ bindungen durch ausgewählte Studierende nachvollziehen 6 . Ein Blick auf die 279 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="280"?> Zahlen macht deutlich, dass auch hier individuelle Entscheidungen zum Vor‐ schein kommen. Nicht nur die Anzahl der verwendeten Verbindungen, die zwi‐ schen 63 und 101 variiert, sondern auch die Vielfalt unterscheidet sich. So lässt sich bei den Studierenden aus der Lerngruppe LGb eine ausgeprägte Benutzung von Konstruktionen mit abhängigen Hauptsätzen feststellen, während die Ler‐ nenden aus LGa insbesondere sa08, eher selten davon Gebrauch machen. Auch wird deutlich, dass nicht alle gefundenen Verknüpfungen von allen Studie‐ renden gleichermaßen verwendet werden. Zum Beispiel greifen alle Lernenden in der obigen Tabelle auf Konstruktionen mit weil oder und zurück, allerdings finden sich die Verknüpfungen bei sb12 nur jeweils einmal, während andere, wie etwa sa08 (12mal weil) oder sa07, sb04 und sb08 (jeweils 12mal und), sie weitaus häufiger einsetzen. Sätze mit wenn werden insgesamt seltener bzw. von sa04 gar nicht verwendet und obwohl (sa08) oder deshalb (sa07) nutzt nur jeweils ein Lernender. Es sind eindeutig Präferenzen der einzelnen für bestimmte Kon‐ struktionen zu erkennen. Satzverknüpfung sa04 sa07 sa08 sb04 sb08 sb12 Abh. Hauptsatz (A2) 9 7 5 18 17 19 Hauptsatz (A1) 5 16 8 15 28 11 und (A1) 9 12 4 12 12 1 aber (A1) 9 7 7 7 4 8 W-Wort-Satz (B1) 5 5 6 9 13 4 weil (A2) 7 7 12 6 5 1 also (A1) 5 8 4 7 4 5 Frage (A1) 3 3 9 7 4 4 dass (A2) 9 13 3 0 5 5 wenn (A2) 0 2 1 3 2 3 Infinitiv mit zu (B1) 0 0 1 2 1 4 je … desto … (B1) 2 2 3 0 0 0 Relativsatz (A2) 0 1 0 2 1 0 oder (A1) 0 0 0 4 3 0 um (B1) 0 3 0 1 0 1 280 Olga Czyzak <?page no="281"?> ob (B1) 0 0 0 1 1 0 obwohl (B1) 0 0 2 0 0 0 deshalb (A2) 0 2 0 0 0 0 bevor (B1) 0 0 0 0 1 0 Summe 63 88 65 94 101 66 Tab. 6.3: Verwendung der Satzverknüpfungen einzelner Lernenden Die bereits bei der Anzahl und Komplexität der SAE beobachtete Varianz setzt sich also bei den Satzverknüpfungen fort und lässt sich auch hier nicht nur auf interindividueller Ebene, sondern auch intraindividuell nachzeichnen. Die fol‐ gende Tabelle zeigt, dass sb04 in den unterschiedlichen Sitzungen verschiedene Konstruktionen für seine Redebeiträge wählt, was dafür spricht, dass die Mit‐ teilungsabsicht bei der Wahl der Konnektoren ein entscheidender Faktor ist. Während er zum Beispiel in U7 häufig und (9) und W-Wort-Sätze (8) einsetzt, finden sich diese Strukturen in U6 (0/ 1) und U8 (3/ 0) überhaupt nicht oder nur vereinzelt. Satzverknüpfung U6 U7 U8 Summe Abh. Hauptsatz (A2) 4 3 11 18 Hauptsatz (A1) 7 1 7 15 und (A1) 0 9 3 12 aber (A1) 1 2 4 7 W-Wort-Satz (B1) 1 8 0 9 weil (A2) 1 1 4 6 also (A1) 1 4 2 7 Frage (A1) 1 4 2 7 dass (A2) 0 0 0 0 wenn (A2) 1 1 1 3 Infinitiv mit zu (B1) 0 1 1 2 je … desto … (B1) 0 0 0 0 281 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="282"?> Relativsatz (A2) 0 0 2 2 oder (A1) 0 3 1 4 um (B1) 0 0 1 1 ob (B1) 1 0 0 1 obwohl (B1) 0 0 0 0 deshalb (A2) 0 0 0 0 bevor (B1) 0 0 0 0 Summe 18 37 39 94 Tab. 6.4: Verwendung der Satzverknüpfungen von sb04 Die Lernenden suchen sich ihren Redeabsichten entsprechende Strukturen heraus und versuchen mit deren Hilfe ihre Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Das Fehlen von grammatischen Vorgaben zur Bewältigung der Aufgaben führt zu einem breiten Spektrum an sprachlichen Mitteln und somit einem hohen Grad an Individualität in Bezug auf Ausmaß und Art der Komplexität der Lern‐ ersprache. Die Studierenden experimentieren mit verschiedenen Konstruk‐ tionen indem sie sich inhaltlich austauschen, ohne auf die Verwendung vorbe‐ stimmter Strukturen zu achten. Es zeigt sich deutlich, dass diese Freiräume auf vielfältige Weise kreativ genutzt werden. Im folgenden Abschnitt hingegen wird die Grammatikalität in diesem inhaltsbasierten Unterricht in den Fokus ge‐ nommen und somit der Einfluss der Formenfreiheit auf die sprachliche Rich‐ tigkeit der Lernersprache. 6.3 Korrektheit Bei der Betrachtung der Korrektheit von lernersprachlichen Äußerungen be‐ steht eine große Hürde darin zu definieren, anhand welcher Aspekte diese ge‐ messen werden soll. Anders als bei einer Fehleranalyse, bei der alle auftretenden Fehler berücksichtigt und erklärt werden (vgl. Ellis/ Barkhuizen 2005: 51f), gilt es in der vorliegenden Studie einen Maßstab zu finden, der es erlaubt, eine all‐ gemeine Aussage über die Grammatikalität der sprachlichen Produktion der Lernenden zu treffen. Häufig verwendete Verfahren in aufgabenbasierten Stu‐ dien sind zum Beispiel die Feststellung des relativen Anteils von fehlerfreien Teilsätzen oder das Zählen von Fehlern pro 100 Wörter (Foster/ Skehan 1996; Ellis/ Barkhuizen 2005: 150), allerdings gestaltet sich die Entscheidung, was 282 Olga Czyzak <?page no="283"?> genau fehlerfrei bzw. was genau ein Fehler ist, bei der Untersuchung von münd‐ licher Sprache nicht nur bei Fremdsprachenlernenden schwierig, da Abbrüche, Neuanfänge, Auslassungen etc. bei mündlicher Kommunikation, insbesondere in interaktiven Settings, üblich sind (vgl. Lipsky 2013: 91). Hinzu kommen For‐ mulierungen, die im mündlichen Sprachgebrauch akzeptabel sind, im schriftli‐ chen jedoch als Fehler wahrgenommen werden, wie etwa die Verbzweitstellung in weil-Sätzen im Deutschen. Ein zweiter Zugang zu dieser Problematik besteht darin, eine möglichst re‐ präsentative Struktur zu wählen und nur die Korrektheit dieser einen Struktur zu betrachten. So finden sich etwa im englischsprachigen Raum Studien, in denen der Anteil der korrekten Pluralformen (Crookes 1989) oder der finiten Verbphrasen (Wigglesworth 1997) als Maß für Korrektheit verwendet wird. In Untersuchungen zur mündlichen Sprachproduktion von Lernenden des Deut‐ schen im japanischen Kontext dienten u. a. Vergangenheitsformen (Schart et al. 2010) oder die Anzahl der selbstinitiierten Selbstkorrekturen (Lipsky 2013) als Hilfsmittel zur Ermittlung des Grammatikalitätsgrades. Allerdings wurden die Daten in beiden Untersuchungen in Prüfungssituationen erhoben, in denen die Prüflinge möglicherweise verstärkt auf die Richtigkeit ihres Outputs achten, während in der vorliegenden Studie Daten aus dem ganz normalen Unterricht die Grundlage bilden. Da schon bei der Bestimmung der Teilsätze in den SAE das Vorhandensein eines Verbs als Mindestkriterium angenommen wurde, soll auch hier das Verb im Mittelpunkt stehen und die Verbkongruenz zur Ermittlung der Korrektheit her‐ angezogen werden. Es wird hier ausdrücklich davon abgesehen, die richtige Po‐ sition des Verbs im Satz zu berücksichtigen, da - wie bereits oben erwähnt - in einem mündlichen hochinteraktiven Kontext die Verbposition nicht nur bei Ler‐ nenden variabel gehandhabt wird. Im Japanischen wird das Verb nicht in Abhän‐ gigkeit von Person oder Numerus verändert und somit stellt die Konjugation eine beträchtliche Herausforderung für Lernende auf Anfängerniveau dar. Zur Ermittlung des Anteils der korrekt konjugierten Verben wurden die Verben in allen SAE in den einzelnen Teilsätzen auf ihre Kongruenz hin beurteilt und entsprechend kodiert. Ursprünglich wurde von zwei Kategorien - korrekt und falsch - ausgegangen, während der Bearbeitung des Datenmaterials drängte sich aber noch die Einordnung unklar auf. In letzterer sind die Fälle zusammen‐ gefasst, in denen es sich nicht eindeutig entscheiden lässt, ob es sich tatsächlich um einen Kongruenzfehler handelt. In vielen dieser Fälle fehlt einfach ein Teil des Satzes, weshalb nicht ganz klar ist, ob sich das Verb ggf. auf das Subjekt des Satzes des Vorredners bezieht, einfach weggelassen wurde oder eine Wieder‐ holung bzw. Bestätigung eines Teils der Aussage eines Gesprächspartners ist. 283 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="284"?> Beispiel 14: U1sa06: 33 / / spielen mit kindern/ / Beispiel 15: U5sa08: 26 / / wo sind? / / Beispiel 16: U7sb02: 8 / / ich denke : alle menschen können ihr beruf/ / In anderen Fällen wiederum lässt der Satz verschiedene Interpretationen zu. Beispiel 17: U8sb12: 16 / / ich weiß nicht : was kleintiere ist/ / In Beispiel 17 etwa wäre die korrekte Verbform zum Subjekt Kleintiere sind, jedoch fragt der Student hier nach der Bedeutung des Wortes Kleintiere, folglich ist davon auszugehen, dass dem Fragenden hier nicht bewusst ist, dass es sich um einen Plural handelt und Kleintiere wie eine unbekannte Vokabel verwendet wird. Somit entspricht das Verb in dieser Frage durchaus zielsprachlichen Normen, passt aber grammatisch nicht zum Subjekt und wird daher als unklar kategorisiert. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Korrektheitsanalyse dar‐ gestellt. 6.3.1 SAE und Korrektheit Die durchschnittliche Korrektheit liegt bei allen Studierenden zwischen 56 % (sb05) und 100 % (sa12) mit einem Gesamtdurchschnitt von 75 %. Ein Vergleich der Mittelwerte der beiden Klassen zeigt, dass die Grammatikalität in der LGa (81 %) deutlich höher liegt als in der LGb (69 %). Dieser Unterschied deutet auf die Tendenz hin, dass die Lernenden in Kleingruppen eher dazu bereit sind 284 Olga Czyzak <?page no="285"?> 7 Zu den Unterschieden zwischen Gruppenarbeit und Plenum siehe Abschnitt 6.4. Fehler zu machen, da - wie erwähnt - in den Daten von LGa keine Gruppen‐ arbeitsphasen enthalten sind 7 . Abb. 6.3: Durchschnittliche Anzahl der SAE und Korrektheit Wie bereits bei der Komplexität zeigt sich auch hier eine große Bandbreite sprachlicher Qualität der einzelnen Lernenden, ohne dass sich verallgemeiner‐ bare Tendenzen abzeichnen. Analog zu Abbildung 6.2 ist anhand der x-Achse die durchschnittliche Anzahl der SAE und auf der y-Achse der relative Anteil korrekt verwendeten Verben abzulesen. Lässt man sa12 als Extremfall außer Acht und vergleicht etwa sa08 und sb05 miteinander, zeigt sich, dass die durch‐ schnittliche Korrektheit der beiden Studierenden weit auseinander liegt, 91 % und 56 %, die durchschnittliche Anzahl der SAE aber recht ähnlich ausfällt, knapp 38,5 SAE und 36 SAE. In einem direkten Vergleich der durchschnittlichen Korrektheit und Kom‐ plexität zeichnen sich vier Gruppen ab. 285 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="286"?> Abb. 6.4: Lernergruppen in Bezug auf Korrektheit und Komplexität Lernende bei denen die Werte für beide Faktoren gleichermaßen hoch, bzw. niedrig sind und Lernende deren Sprachproduktion zwar eine hohe Komplexität aber geringe Korrektheit aufweisen und umgekehrt. So sind die SAE von sa08 zwar überaus korrekt (91 %), aber unterdurchschnittlich komplex (KQ: 1,35), während sb10 eher komplexe Sprache produziert und bei der Korrektheit unter dem Durchschnitt liegt (65 %, KQ1,92). Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine eingehende Typenanalyse unter Berücksichtigung weiterer quantitativer und qualitativer Faktoren tiefergehende Einblicke in die mündliche Sprachpro‐ duktion Lernender im Unterricht ermöglichen könnte. Eine genauere Betrachtung der sprachlichen Leistungen der Studierenden in den einzelnen Sitzungen macht die Unterschiede zwischen den Unterrichtsein‐ heiten deutlich. 286 Olga Czyzak <?page no="287"?> Abb. 6.5: Anzahl der SAE und Korrektheit einzelner Studierender (von links nach rechts sa02, sa13, sa08, sb05) in den einzelnen Unterrichtseinheiten (U1 bis U8) Beim größten Teil der Lernenden sind deutliche Leistungsschwankungen zu er‐ kennen. So scheinen einige Studierende einfach einen „schlechten Tag“ zu haben, wie etwa sa02, bei anderen wiederum variiert der Anteil korrekt konju‐ gierter Verben sehr stark von Unterrichtseinheit zu Unterrichtseinheit, wie zum Beispiel bei sa13. Erneut drängt sich die Frage nach den Gründen für dieses Phänomen auf und daran anschließend, wie damit in der Alltagspraxis umge‐ gangen werden soll. 6.3.2 Häufige Verben Ein Vergleich der häufigsten korrekt bzw. fehlerhaft oder unklar verwendeten Verben zeigt, dass in beiden Kategorien - wenig überraschend - die Verben sein, haben und können weit oben stehen, wobei erstere sowohl als Vollverben als auch als Hilfsverben oft zum Einsatz kommen. Der häufige Gebrauch des Verbs denken bei den korrekten Verben ist auf die als Chunk verwendeten Phrasen ich denke und wir denken zurückzuführen, die vielen Lerneräußerungen als eine Art Einleitung vorangestellt wird. Ebenso finden sich die Verben geben, verstehen und wissen fast ausschließlich in festen Wendungen wie ich weiß (nicht), ich verstehe (nicht), verstehst du oder es gibt wieder. Das gehäufte Auftreten von 287 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="288"?> solchen Chunks bei den korrekt angewandten Verben verdeutlicht nochmals deren wichtige Rolle bei der mündlichen Sprachproduktion (u. a. Skehan 1998: 3). Das Verb bedeuten wird stets im Zusammenhang mit genaueren Erklärungen oder Bitten um Erklärungen verwendet, allerdings wird das Umfeld des Verbs stärker variiert, als bei den zuvor genannten. In sehr unterschiedlicher Funktion tritt das Verb sagen in Erscheinung; so wird mit dessen Hilfe auf vorher im Unterrichtsgespräch Erwähntes oder im Material vorkommende Aspekte Bezug genommen, nach Vokabular gefragt oder es werden Beispiele formuliert. Verben korrekt Verben falsch/ unklar Verb Häufigkeit Verb Häufigkeit sein 652 sein 96 denken 302 haben 79 haben 150 können 58 können 134 pfänden 37 geben 115 machen 19 verstehen 63 garantieren 18 wissen 61 müssen 18 sagen 52 leben 16 pfänden 38 sagen 15 bedeuten 33 denken 14 Tab. 6.5: Die häufigsten Verben Das Verb pfänden wird fast genauso oft richtig, wie falsch bzw. unklar verwendet, wobei alle als korrekt eingestuften Verwendungsweisen in Verbindung mit einem Modalverb bzw. in der Struktur zu + Infinitiv auftreten, dahingegen alle Versuche pfänden zu konjugieren in die Kategorien unklar oder falsch fallen. Bei den übrigen Verben passt die Form oft nicht zum Subjekt, das Subjekt fehlt komplett oder es werden sowohl Modalverb als auch Vollverb flektiert. Dieser Befund verdeutlicht erneut die Bedeutung von Chunks auf dem hier zugrundeliegendem Lernniveau. Eine eingehende Fehleranalyse bestehend aus Identifikation, Beschreibung und Erklärung der einzelnen Fehler für die Studierenden könnte hier Einblicke in individuelle Denkprozesse geben (Ellis/ Barkhuizen 2005: 69), jedoch würde 288 Olga Czyzak <?page no="289"?> dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Darüberhinaus gestaltet sich die Erklärung von Fehlern ohne introspektive Daten oder weitere Testver‐ fahren - die in diesem Projekt nicht erhoben worden sind - schwierig, da ei‐ nerseits sehr unterschiedliche Ursachen in Frage kommen, andererseits externe Einflussfaktoren, wie etwa zusätzliches Lernen außerhalb des hier untersuchten Kurses, nicht eingeschätzt werden können. 6.4 Exkurs: Gruppenarbeit vs. Plenum Im Verlauf der vorangegangenen Ausführungen ist immer wieder deutlich ge‐ worden, dass Unterschiede zwischen den Daten der beiden Lerngruppen bestehen. Solche Diskrepanzen können auf eine Vielzahl von Gründen zurückgeführt werden, wie etwa individuelle Faktoren, unterschiedliche Materialien oder zeitliche Um‐ stände, doch ist im vorliegenden Fall ein wesentlicher Unterschied, dass in LGa nur die Arbeitsphasen im Plenum audiographiert, in LGb hingegen auch die Gruppen‐ arbeitsphasen miteinbezogen wurden. Daher sollen im Folgenden in einem kurzen Exkurs die Daten aus LGb in Hinblick auf die sprachlichen Leistungen der Studie‐ renden in der Gruppenarbeit und im Plenum verglichen werden. Betrachtet man nur die Anzahl an Redebeiträgen, die die Studierenden über den gesamten Verlauf der hier aufgenommenen Unterrichtssequenz produziert haben, und die daraus resultierenden SAE, wird deutlich, dass der Output der einzelnen Studierenden im Plenum und in den Gruppenarbeitsphasen sich er‐ heblich unterscheidet (siehe Kap. 4). Die meisten Lernenden melden sich in der Gruppenarbeit mindestens doppelt so oft zu Wort wie im Plenum, was nicht weiter überraschend ist, da sich in Kleingruppen aufgrund der geringeren An‐ zahl von Akteuren mehr Gelegenheiten bieten sich einzubringen bzw. es schwie‐ riger ist, sich dem Gruppengespräch zu entziehen. Im vorliegenden Untersu‐ chungsabschnitt steht jedoch die sprachliche Qualität im Mittelpunkt und Einflussgrößen wie Länge der Gruppenarbeitsphasen oder interaktionale As‐ pekte werden nicht berücksichtigt. Eine detailliertere Betrachtung der Grup‐ peninteraktionen findet sich in Kap. 4. Hinsichtlich der Komplexität der SAE liegen die Werte der meisten Studie‐ renden in den beiden Sozialformen nicht besonders weit auseinander und sind in einigen Fällen wie etwa sb02, sb07 oder sb13 sogar nahezu identisch. Andere Lernende wie sb06, sb08 und sb10 hingegen produzieren im Plenum wesentlich komplexere sprachliche Äußerungen als in der Gruppe. Einzelne jedoch bringen eher in der Gruppenarbeit komplexe Strukturen hervor. Auch hier zeigen sich individuelle Präferenzen. 289 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="290"?> Abb. 6.6: Komplexität anhand des KQ gemessen für die einzelnen Studierenden in der Gruppenarbeit und im Plenum Abb. 6.7: Korrektheit für die einzelnen Studierenden in der Gruppenarbeit und im Plenum 290 Olga Czyzak <?page no="291"?> Ein Vergleich der Korrektheit für die einzelnen Lernenden zeigt, dass die Werte der meisten Studierenden im Plenum und in der Gruppenarbeit mit vereinzelten Ausnahmen sehr nahe bei einander liegen. Die meisten Lernenden neigen dazu eher im Plenum korrekt flektierte Verben einzusetzen, doch sb04, sb06 und sb09 konjugieren eher in der Gruppenarbeit zielsprachlichen Normen entsprechend. Da die Funktion der Gruppenarbeit im hier beschriebenen Unterricht in erster Linie darin besteht, Aufgaben zu bearbeiten, Ideen zusammen zu tragen und die Diskussion im Kurs vorzubereiten, können für die Äußerungen der Studie‐ renden im Plenum höhere Werte für Komplexität und Korrektheit erwartet werden. Die Unterschiede sind jedoch nicht gravierend und so stellt eine ge‐ nauere Untersuchung der Verzahnung von Gruppenarbeitsphasen und Ple‐ numsgesprächen bezüglich der sprachlichen Qualität ein Desiderat für weiter‐ gehende Lernersprachenanalysen dar: Wie genau werden die sprachlichen Ergebnisse der Gruppenarbeit im Plenum eingebracht? Wie unterscheiden sich die Redebeiträge in Kleingruppen von den Wortmeldungen im Plenum? Warum sind einzelne Studierende im Plenum aktiver als in ihrer Gruppe? 6.5 Fazit Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung war die Frage nach der sprach‐ lichen Qualität des Lerneroutputs in einem inhaltsbasierten Unterricht ohne grammatisch oder funktional ausgerichtete Progression. Was passiert, wenn man Lernenden kein sprachliches Stützgerüst anbietet bzw. vorgibt, an dem sie sich entlang hangeln können? Welche Sprache produzieren Lernende, wenn komplexe Themen im Mittelpunkt stehen und sprachliche Strukturen in den Hintergrund treten? Inwieweit findet sich grammatisches Wissen in der Lern‐ ersprache wieder, wenn keine explizite Grammatikvermittlung stattfindet? Zur Beantwortung dieser Frage wurde auf das Instrumentarium des Accuracy, Complexity und Fluency Ansatzes aus der englischsprachigen Fremdsprachen‐ forschung zurückgegriffen. Anhand ausgewählter Aspekte wurden die Kom‐ plexität und die Korrektheit eingehend betrachtet und es wurde versucht allge‐ meine Tendenzen aufzuzeigen. Aus der Analyse ist deutlich hervorgegangen, dass das sprachproduktive Leistungsspektrum im untersuchten Datenmaterial in allen Bereichen weit gestreut ist. Die sprachlichen Leistungen der Lernenden unterscheiden sich stark voneinander. Während einige Studierende sowohl syn‐ taktisch als auch die Anzahl der Wörter betreffend sehr komplexe und in Bezug auf die Verbkongruenz einwandfreie Sätze hervorbringen, sind die Äußerungen anderer zwar korrekt dafür aber kürzer und einfacher konstruiert oder umge‐ kehrt. Die sprachliche Qualität anderer Lernender wiederum weist sowohl die 291 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="292"?> Komplexität als auch die Korrektheit betreffend insgesamt niedrige Werte auf. Neben der großen Bandbreite sprachlicher Leistungsfähigkeit der einzelnen Studierenden im Vergleich untereinander unterscheidet sich auch die Qualität der individuellen Sprachproduktion zwischen den Unterrichtssitzungen. Deut‐ lich wird dies auch bei der Wahl der Satzverknüpfungen, die von den Lernenden sehr unterschiedlich verwendet werden. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Studierenden in einem offen gestal‐ teten, inhalts- und aufgabenbasierten Unterricht ohne sprachstrukturelle Vor‐ gaben ihre eigenen Prioritäten setzen und ihre Ziele dann auch selbständig rea‐ lisieren. Es konnte anhand eines tatsächlichen Kurses veranschaulicht werden, welche Konsequenzen die in aktuellen Sprachlehrkonzepten geforderte Lern‐ erzentrierung und Individualisierung des Lernprozesses für die sprachliche Pro‐ duktion der Lernenden nach sich zieht. Die Lernenden suchen individuell nach Strukturen und Wortschatz und entscheiden selbst, welche sprachlichen Mittel sie zur Kommunikation im Unterricht verwenden, arbeiten jedoch inhaltlich mit demselben Material, wodurch von den Lernern selbstiniziert eine Art Binnen‐ differenzierung entsteht. Für die Lehrperson in einem solchen individualisierten Unterrichtsszenario gilt es, diese Lernprozesse gezielt zu fördern und weniger in einer leitenden als viel mehr in einer unterstützenden Funktion in Erschei‐ nung zu treten. Darüberhinaus liefert die vorliegende Untersuchung einen Beitrag zur auf‐ gabenbasierten Forschung. Deren Erkenntnisse beruhen bislang überwiegend auf Daten, die in laborähnlichen Situationen erhoben wurden. Diese Studie bietet dazu eine ergänzende unterrichtsbasierte Perspektive. Es wurde hier der Versuch unternommen den Unterricht in seiner Gesamtheit zu erfassen, anstatt nur einzelne Aufgaben zu betrachten. Studien mit Fokus auf bestimmte Aufga‐ bentypen bieten einen sehr präzisen Blick auf sprachliche Aspekte bei der Auf‐ gabenbearbeitung, jedoch erfassen sie nur einen kleinen Ausschnitt des Pro‐ zesses und werden, wie die vorliegende Studie anhand unterschiedlicher Aspekte demonstrieren konnte, der Komplexität eines echten Unterrichtsver‐ laufs kaum gerecht (vgl. Vercellotti 2018). Eine forschungsmethodologische Grenze dieser Untersuchung zeigt sich im Mangel der Erklärungsansätze für die intraindividuellen Unterschiede der sprachlichen Leistungen der Lernenden. Wie lassen sich die Schwankungen zwischen den einzelnen Unterrichtseinheiten erklären? Was sind die Gründe für die „schlechten Tage“? Warum schwanken die Werte für die Komplexität und Korrektheit in diesem Ausmaß? Eine Möglichkeit, Antworten auf diese Fragen zu finden, besteht in einer stärkeren Verzahnung der kognitiven Perspektive mit dem soziokulturellen An‐ 292 Olga Czyzak <?page no="293"?> satz. Zum Beispiel könnte bereits eine genaue Betrachtung der SAE hinsichtlich der einzelnen Inhaltsbezogenen Sequenzen unter Berücksichtigung der Unter‐ richtsmaterialien Hinweise auf mögliche Gründe für Leistungsschwankungen geben. Dazu müsste die Analyse der Lernersprache, deutlich enger als es in dieser Teilstudie geleistet werden konnte, auf eine detaillierte Betrachtung der Interaktionsprozesse, wie sie in Kapitel 4 dargestellt wird, aufbauen und die Einteilung der SAE sowie deren Kodierung innerhalb der einzelnen Sequenzen betrachtet werden. Im Rahmen einer erneuten Erfassung unterrichtsbasierter Interaktion könnten zusätzlich zu den Unterrichtsaufnahmen introspektive Daten durch lautes Erinnern oder eine retrospektive Befragung erhoben werden (Heine/ Schramm 2016). Eine solche emische Perspektive könnte wertvolle Ein‐ blicke in die Gedanken und Emotionen der Lernenden während der einzelnen Unterrichtsphasen geben und somit bei der Bestimmung von Ursachen für un‐ terschiedliche sprachliche Leistungen behilflich sein. Im vorliegenden Kapitel werden einige Tendenzen in Bezug auf sprachliche Leistungen von Lernenden in einem fach- und sprachintegrierten Anfängerun‐ terricht aufgezeigt und die Vielfalt der sprachlichen Möglichkeiten der Ler‐ nenden offengelegt. Jedoch wird auch deutlich, dass zur Erfassung solcher kom‐ plexen unterrichtlichen Prozesse weiterführende Untersuchungen nötig sind, die eine umfassende Erklärung der Wirkungszusammenhänge erlaubt und da‐ durch Hinweise für die Unterrichtspraxis liefern kann. 293 Kognitive Perspektive: Die sprachliche Leistung der Lernenden <?page no="295"?> 7 Rück- und Ausblick: Bedingungen dialogischen Lernens Michael Schart Dieses abschließende Kapitel fällt deutlich kürzer aus, als man es von einem multiperspektivisch angelegten Forschungsprojekt erwarten sollte. Das lässt sich vor allem auf die Genese der Gesamtstudie zurückführen, die in Kap. 2 ausführlich geschildert wurde. Als ein Aktionsforschungsprojekt begonnen in‐ tegrierte sie erst nach und nach weitere Perspektiven. Dies brachte zum einen jene methodologischen und methodischen Einschränkungen mit sich, auf die in den Teilstudien verwiesen wurde. Zum anderen ist es dadurch an dieser Stelle kaum möglich, die Erkenntnisse aus den einzelnen Kapiteln überzeugend zu‐ sammenzuführen. Obwohl die Teilstudien unterschiedliche Aspekte desselben Unterrichtskon‐ textes beleuchten, lassen sich ihre Ergebnisse also nicht zu einem größeren Ganzen verschmelzen. Sie stehen am Ende dieses Bandes somit primär für sich selbst. Gleichwohl handelt es sich um ein Nebeneinander, bei dem man zahl‐ reiche Verbindungslinien erkennen kann. Viele der Erkenntnisse von Kap. 3 über die Wahrnehmung der Unterrichtsatmosphäre durch die Studierenden finden beispielsweise eine Bestätigung in deren interaktivem Verhalten. So schätzt eine deutliche Mehrheit das angstfreie Lernumfeld im Intensivpro‐ gramm, das zu selbstbestimmter Interaktion einlädt. Dieses Ergebnis spiegelt sich dann in Kap. 4 wider, in dem aufgezeigt wird, wie die Studierenden über weite Strecken des Unterrichts hinweg den Austausch tatsächlich in eigener Regie gestalten. Es kommt erneut in Kap. 5 zum Vorschein, das sich mit der wichtigen Funktion des Lachens in diesen Interaktionsprozessen beschäftigt. Und schließlich zeigt es sich auch in der großen Varianz bei der lernersprachli‐ chen Entwicklung, wie sie Kap. 6 dokumentiert. Solche Verbindungslinien zwischen den Teilstudien wurden in den einzelnen Kapiteln mehrfach thematisiert. Sie sollen an dieser Stelle nicht nochmals nach‐ gezeichnet werden. Ich möchte stattdessen den Blick nach vorne richten und danach fragen, welche Konsequenzen sich aus den Erkenntnissen aller betei‐ <?page no="296"?> 1 siehe z. B. die Studie von Hale et al. (2018); gleichlautende Anregungen finden sich bei Dalton-Puffer (2017: 162) und Fitzsimmons-Doolan et al. (2017: 29) ligten Forschungsperspektiven für die Gestaltung von dialogischen Lernpro‐ zessen ableiten lassen. Meines Erachtens können im Lichte der Datenanalyse eine Reihe von Bedingungen formuliert werden, die für dialogisches Lernen in einem fach- und sprachintegrierten Setting, aber sicher auch darüber hinaus, von grundlegender Bedeutung sind. Mit deren Darstellung soll diese Studie ihren Abschluss finden. Bedingung 1: dialogische Haltung Dialogisches Lernen setzt auf Seiten der Lehrkraft eine bestimmte Einstellung zur eigenen Rolle, zum fremdsprachlichen Lernprozess und zu den Lernenden voraus. Ein kritischer Selbstblick auf die eigenen Vorstellungen von erfolgrei‐ chem Unterricht stellt daher den ersten Schritt zu einer dialogischen Haltung dar. Die Lehrkraft sollte sich fragen, ob eine weitgehend von den Lernenden geführte Interaktion zum persönlichen Bild vom Lehrberuf passt. Sie sollte auch überlegen, inwieweit sich jene Vielfalt an lernersprachlicher Entwicklung, wie sie in Kap. 6 beschrieben wurde, mit ihren Lehrzielen sowie den lokalen Anfor‐ derungen vereinbaren lässt. Das dialogische Lernen ist nicht per se eine bessere oder effektivere Form des Unterrichtsgesprächs als etwa das Frage-Antwort-Bewertungsmuster (IRF/ IRE). Beide Ansätze führen jedoch - und das konnte in Kap. 4 sehr anschaulich dar‐ gestellt werden - zu deutlich unterschiedlichen Mustern der Beteiligung, was sich wiederum auf die Kompetenzentwicklung auswirkt. Deshalb ist es für die Lehrkraft so entscheidend, sich Klarheit darüber zu verschaffen, welche Art von Unterricht sie anstrebt. Ein zentrales Element der dialogischen Haltung ist die Aufgeschlossenheit für Evidenz. Es kann eine sehr ernüchternde Erfahrung bedeuten, dem eigenen Sprachgebrauch in transkribierter Form zu begegnen. Unweigerlich stößt man als Lehrkraft dabei auf eigene Fehler, die in der Anspannung des Unterrichts nicht ins Bewusstsein vordringen konnten. Auch während der Arbeit an dieser Studie wurde ich vielfach mit solchen Situationen konfrontiert. So musste ich beispielsweise erkennen, dass ich die Studierenden durch mein Eingreifen in der Gruppenarbeit zuweilen eher verwirrte als unterstützte. Und dennoch sollte man auf Evidenz nicht verzichten. Denn es ist so augenöffnend wie faszinierend, anhand von Transkripten zu erkennen, wie sich das Unterrichtsgespräch im eigenen Klassenraum entwickelt und welche Faktoren sich dabei hemmend oder förderlich auswirken. 1 296 Michael Schart <?page no="297"?> Bedingung 2: Reflexion Dialogisches Lernen kann letztlich aber nur gelingen, wenn sich die dialogische Haltung auf die Lernenden überträgt. An Kap. 3 lässt sich ablesen, dass es sich dabei um einen langwierigen Prozess handeln kann, der bewusst gestaltet werden muss. Gerade jene Lernenden, die über viele Jahre hinweg in ein passives Verhalten im Unterricht gedrängt wurden, benötigen eine gewisse Zeit der Ein‐ gewöhnung in kleinen Schritten, um zu verstehen, dass die gewohnten Regeln der Teilnahme am Unterricht kein Naturgesetz darstellen, sondern zwischen Lehrkraft und Lernenden verhandelbar sind. Sehr hilfreich ist es daher, regel‐ mäßig innezuhalten und gemeinsam über die Prozesse zu sprechen, die im Klas‐ senraum gerade ablaufen. Was die Mehrzahl der Studierenden in Kap. 3 über ihre Erfahrungen dabei berichtet, sollte optimistisch stimmen, dass Lernkul‐ turen auf dem Weg zu einer dialogischen Haltung keine unüberwindbare Hürde bilden. Vielmehr führen diese Daten eindrücklich vor Augen, weshalb Lernkul‐ turen in lokalen Kontexten immer wieder aufs Neue geschaffen werden. Bedingung 3: Freiräume Lernende können sich nur dann aktiv einbringen, wenn man ihnen auch die Gelegenheit dazu gibt. Von diesem, nur auf den ersten Blick trivialen Zusam‐ menhang leitet sich eine wesentliche Voraussetzung dialogischen Lernens ab: Lehrende sollten ihr Handeln im Unterricht sowie ihre gesamte Planung da‐ raufhin befragen, wo genau sie solche Freiräume ermöglichen - oder aber diese über Gebühr einschränken. Und sie sollten sich Klarheit darüber verschaffen, warum sie gerade dieses Vorgehen für angemessen halten bzw. welche Gründe möglicherweise dagegensprechen könnten. Wie auch Çimenli/ Sert (2017) oder Walsh (2013) in ihren Studien demonstrieren, zeigt Kap. 4 an zahlreichen Bei‐ spielen, dass Lernende solche Räume besetzen, sobald man sie ihnen tatsächlich zugesteht. Bedingung 4: Herausforderungen Dass aus der Kombination von relevanten Inhalten und anspruchsvollen Auf‐ gaben eine Triebkraft für dialogische Lernprozesse erwachsen kann, wird aus der Datenanalyse in Kap. 4 ersichtlich. Es sind vor allem die offenen Impulse und die Konfrontation mit kognitiven Konflikten (vgl. Gillies 2014), die den ex‐ plorativen Dialogen unter den Studierenden den Boden bereiten. Dabei sollte die Rolle der Materialien aber nicht überschätzt werden - auch diesen Schluss legt die Analyse nahe. Denn sie können dialogisches Lernen nicht garantieren. Entscheidend bleibt das Verhalten der Beteiligten in der Interaktion. 297 Rück- und Ausblick: Bedingungen dialogischen Lernens <?page no="298"?> Bedingung 5: Denkzeit Wenn die fremde Sprache im Unterricht nicht in erster Linie als ein System von Regeln und Strukturen betrachtet wird, sondern als ein Mittel, um Ideen von Relevanz auszudrücken, dann muss die Lehrkraft den Denkprozessen der Ler‐ nenden ausreichend Zeit zugestehen. In der vorliegenden Studie beschäftigen sich die Lernenden in vielen Sequenzen mit Fragen, über die sie sich zuvor kaum Gedanken gemacht haben. Ihnen fehlen also auch in der Muttersprache häufig zunächst einmal die Worte. Es liegt auf der Hand, dass man mit zeitlichem Druck dieser Situation nicht gerecht wird. Bedingung 6: Unterstützung Dieser Aspekt bezieht sich auf alle Dimensionen des Lern-Engagements, die in Kap. 4 untersucht wurden. Dabei ist es weniger die Aufgabe der Lehrkraft, in jeder Situation eine angemessene Hilfe bereitzustellen. An vielen konkreten Beispielen konnte veranschaulicht werden, warum es vielmehr darum gehen muss, gemeinsam eine Unterrichtsatmosphäre zu schaffen, in der sich die Be‐ teiligten als eine lernende Gemeinschaft verstehen, aufeinander achten und sich gegenseitig stützten. Ein Lachen kann dabei ebenso wertvolle Dienste leisten wie eine sprachliche Hilfestellung. Lehrende können diesen Prozess unter an‐ derem dadurch fördern, dass sie die Lernenden gezielt mit den interaktiven Funktionen bestimmter Formulierungen vertraut machen. Bedingung 7: Modellfunktion der Lehrkraft Die Lehrkraft sollte sich darüber bewusst sein, dass sie mit ihrem Verhalten im Unterricht als ein Modell wahrgenommen wird. Wie wichtig gerade die Leh‐ rersprache für die Herausbildung interaktionaler Kompetenzen der Lernenden ist, wurde bereits in den Arbeiten von Boblett (2018), Garton (2012), Lee (2009), Sato/ Ballinger (2012) sowie Sato/ Viveros (2016) herausgestellt. Die vorliegende Studie konnte insbesondere anhand der auffälligen Parallelen zwischen der In‐ teraktion in Plenums- und Gruppenarbeitsphasen diese Ergebnisse bekräftigen. Es zeigt sich, dass beim dialogischen Lernen die Unterschiede zwischen den Sozialformen verschwimmen. Eine wichtige Grundlage dafür ist jedoch eine gewisse Eingewöhnungsphase, in der sich die Studierenden schrittweise dem interaktiven Verhalten der Lehrkraft anpassen. Und es wäre fraglos ein reiz‐ voller Gegenstand für eine Folgestudie, gerade diesen Prozess des Einfindens in das dialogische Lernen eingehender zu untersuchen. 298 Michael Schart <?page no="299"?> Literatur Adams, Rebecca Jane/ Newton, Jonathan (2009). TBLT in Asia: constraints and opportu‐ nities. Asian Journal of English Language Teaching 19, 1-17. Aguado, Karin (2010). Sozialinteraktionistische Ansätze. In: Krumm, Hans-Jürgen/ Fand‐ rych, Christian/ Hufeisen, Britta/ Riemer, Claudia (Hrsg.). Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin: Walter De Gruyter, 817-826. Aguado, Karin/ Heine, Lena/ Schramm, Karen (Hrsg.) (2013). Introspektive Verfahren und Qualitative Inhaltsanalyse in der Fremdsprachenforschung. Frankfurt/ M.: Lang. Åhlund, Anna/ Aronsson, Karin (2015). Stylizations and alignments in a L2 classroom: Multiparty work in forming a community of practice. Language & Communication, 43, 11-26. 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Über mehrere Jahre hinweg wurden in einem Programm für Deutschlandstudien an einer japanischen Universität Daten zu den Interaktionsprozessen im Unterricht, zur Entwicklung der Lernenden und ihrer Sicht auf das Geschehen erfasst und mit Hilfe verschiedener Forschungsansätze ausgewertet. Aus der Studie ergeben sich wichtige Impulse für die Planung fach- und sprachintegrierter Programme und deren Erforschung. 18424_2_Umschlag.indd 3 18424_2_Umschlag.indd 3 10.03.2020 09: 08: 11 10.03.2020 09: 08: 11