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Autonomie in der Lernendengruppe

Entscheidungsdiskurs und Mitbestimmung in einem DaF-Handyvideoprojekt

0711
2016
978-3-8233-9011-4
Gunter Narr Verlag 
Diana Feick

Autonomes Lernen im Fremdsprachenunterricht wird in dieser Studie aus einer interaktionalen Sicht betrachtet. Das bisher meist individualistische Autonomieverständnis wird somit um die soziale Perspektive erweitert. Anhand von Gruppenentscheidungsprozessen wird aufgezeigt, innerhalb welcher Interaktions- und Partizipationsformen sich Gruppenautonomie entfaltet. Die Untersuchung erfolgte im Rahmen eines Handyvideoprojekts mit mexikanischen Deutsch-als-Fremdsprache-Lernenden. Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, wie Aushandlung und Mitbestimmung in Gruppen- und Projektarbeit zur Gruppenautonomie beitragen kann.

<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Autonomes Lernen im Fremdsprachenunterricht wird in dieser Studie aus einer interaktionalen Sicht betrachtet; das bisher meist individualistische Autonomieverständnis wird somit um die soziale Perspektive erweitert. Anhand von Gruppenentscheidungsprozessen wird aufgezeigt, innerhalb welcher Interaktions- und Partizipationsformen sich Gruppenautonomie entfaltet. Die Untersuchung erfolgte im Rahmen eines Handyvideoprojekts mit mexikanischen Deutsch-als- Fremdsprache-Lernenden. Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, wie Aushandlung und Mitbestimmung in Gruppen- und Projektarbeit zur Gruppenautonomie beitragen kann. Diana Feick Autonomie in der Lernendengruppe Entscheidungsdiskurs und Mitbestimmung in einem DaF-Handyvideoprojekt Feick Autonomie in der Lernendengruppe <?page no="1"?> Autonomie in der Lernendengruppe <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Diana Feick Autonomie in der Lernendengruppe Entscheidungsdiskurs und Mitbestimmung in einem DaF-Handyvideoprojekt <?page no="4"?> Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8011-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 5 Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Juli 2015 unter dem Titel „Autonomie in der Gruppe. Entscheidungsdiskurs und Mitbestimmung in einem DaF-Handyvideoprojekt“ vom Fakultätsrat der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig als Dissertation angenommen. Dass diese Arbeit aus einer im heimischen Gespräch entstandenen Idee gedeihen konnte, verdanke ich vielen Menschen, Gruppen und auch Institutionen. Besonderer und tief empfundener Dank gilt meiner Betreuerin Frau Prof. Dr. Karen Schramm für das Vertrauen, die stetige persönliche und wissenschaftliche Unterstützung und die entscheidenden Impulse im gesamten Forschungsprozess. Ebenso herzlich danke ich meiner Zweitgutachterin Frau Prof. em. Dr. Karin Kleppin für ihre frühen Anstöße, die mich für die Autonomiediskussion begeisterten und die anregenden Gespräche in verschiedenen Phasen meiner Auseinandersetzung mit dem Thema. Bedanken möchte ich mich außerdem bei der Sächsischen Landesgraduiertenförderung für das Abschlussstipendium, bei der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung für den Forschungsmittelzuschuss und bei der Germanistischen Institutspartnerschaft des Herder- Institutes mit der Deutschabteilung der Universidad de Guadalajara für die Forschungsaufenthaltsförderung. Mein großer Dank gilt weiterhin allen Teilnehmenden meiner Studie in Guadalajara, vor allem den Kursleitern Silvano Gómez und Claus Witte sowie den Kollegen und Kolleginnen am Departamento de Lenguas Modernas der Universidad de Guadalajara sowie am Spracheninstitut IDEAL. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den Videographieassistentinnen und -assistenten 1 aus dem binationalen Masterstudiengang und den Transkriptionsassistentinnen ganz herzlich für ihre wertvolle Mitarbeit danken. Die Grobtranskripte der analysierten Datensätze lassen sich unter http: / / www.meta.narr.de/ 9783823380115/ start.html aufrufen. Großer Dank gilt außerdem den Teilnehmenden des Forschungskolloquiums des Herder- Institutes, des fremdsprachendidaktischen Kolloquiums sowie den Sommerschulen der DGFF von 2012 und 2014 für viele anregende Diskussionen und Reflexionsanstöße. Insbesondere danke ich Petra Knorr, Eva Hamann, Katharina Herzig und Agniezska Zawadzka, die neben der Kommentierung von Textteilen auch eine große persönliche Stütze für mich darstellten. Sabrina Sadowksi danke ich ganz herzlich für die Korrektur meiner Übersetzungen aus dem Spanischen und Ulrike Kersting für das Layout. Meiner Familie und meinen Freunden gilt mein großer Dank für die außerordentliche Unterstützung und Geduld. Der 1 Zur Personenbezeichnung verwende ich generische Feminina, generische Maskulina und substantivierte Partizipien. <?page no="6"?> 6 größte Dank gebührt jedoch Luis und Yaku - die Bedeutung ihres Daseins für mich lässt sich nicht in Worte fassen. Diese Arbeit widme ich meinem Großvater Hans Eppendorfer, der ihre Vollendung leider nicht mehr miterleben konnte. Seine Größe und Bescheidenheit inspirieren mich auch weiter. Wien, im Mai 2016 <?page no="7"?> 7 Inhalt 1 Einleitung, Problemstellung und Erkenntnisinteresse ............... 9 2 Autonomes Lernen - soziointeraktional und offen ....................15 2.1 Autonomes Lernen als soziales und interaktionales Lernen.......................15 2.1.1 Autonomiekonzeptionen und -modelle ...............................................15 2.1.2 Soziokulturelle Lerntheorie und Lernerautonomie ............................22 2.1.3 Individuum und Gruppe: Kooperation und Kollaboration..............29 2.2 Autonomes Lernen als offenes und mobiles Lernen im Projekt ...............36 2.2.1 Öffnung des Unterrichts in Fremdsprachenlernprojekten................36 2.2.2 Mobile-Learning-Projekte im Fremdsprachenunterricht ......................46 2.3 Autonomes Lernen und Mitbestimmung ......................................................49 2.3.1 Projektgruppen als Praxisgemeinschaften............................................49 2.3.2 Aushandeln und Entscheiden im Fremdsprachenunterricht ............54 2.3.3 Entscheidungen in Fremdsprachenlernprojekten...............................59 2.3.4 Gruppenentscheidungen.........................................................................61 2.4 Zusammenfassung.............................................................................................72 3 Forschungsmethodologie und -design ...................................... 75 3.1 Fragestellung und Ziel ......................................................................................75 3.2 Forschungskontext und Untersuchungsteilnehmende ................................79 3.3 Instrumente: Videographie und Videobasiertes Lautes Erinnern .............84 3.3.1 Videographie.............................................................................................85 3.3.2 Videobasiertes Lautes Erinnern ............................................................90 3.4 Datenerhebung und Datensampling ..............................................................96 3.5 Datenaufbereitung und -auswertung ........................................................... 109 3.5.1 Transkription: das kombinierte Transkript....................................... 109 3.5.2 Auswertungsmethode: Interaktions- und Partizipationsanalyse.... 116 4 Interaktionsstile während der Gruppenentscheidung: Zwischen dominanter Kollaboration und passiver Nicht- Kollaboration ............................................................................. 123 4.1 Teiltypologie 1................................................................................................. 123 4.2 Dominante Kollaboration: der Fall LARA................................................. 146 4.2.1 Dominanz............................................................................................... 147 4.2.2 Kollaboration......................................................................................... 156 <?page no="8"?> 8 4.3 Passive Kollaboration: der Fall JUAN ........................................................ 161 4.3.1 Passivität................................................................................................. 161 4.3.2 Kollaboration......................................................................................... 165 4.4 Passive Nicht-Kollaboration: der Fall LULO ............................................ 169 4.5 Dominante Nicht-Kollaboration: der Fall ELMER ................................. 175 4.6 Zusammenfassung und Diskussion ............................................................. 183 5 Partizipationstypen bei der Gruppenentscheidung .................. 187 5.1 Teiltypologie 2................................................................................................. 187 5.2 Kooperative Partizipation: der Fall RINA ................................................. 192 5.3 Nichtkooperative Partizipation: der Fall ELMER .................................... 218 5.4 Selektive Partzipation: der Fall SONJA ...................................................... 228 5.5 Nicht-Partizipation ......................................................................................... 235 5.5.1 Kooperative Nicht-Partizipation: der Fall JUAN ............................ 236 5.5.2 Subtyp 1: sprachkompetenzbedingte Nicht-Partizipation: der Fall EMMA............................................................................................... 238 5.5.3 Subtyp 2: legitimationsbedingte Nicht-Partizipation: der Fall NERO................................................................................................ 245 5.6 Zusammenfassung und Diskussion ............................................................. 251 6 Diskursive Verankerung von Autonomiepotenzialen in Gruppenentscheidungen ..................................................................... 255 6.1 Interaktionsstil - Partizipationstyp - Gruppenautonomie ...................... 255 6.2 Einer für alle - alle für einen: konvergenter Diskurs durch Kollaboration und Partizipation in Gruppe 3...................................................................... 255 6.3 Zwei gegen Einen: diskursive Allianzen durch Exklusion in Gruppe 1 ..... 291 6.4 Einer gegen alle: divergenter Diskurs durch dominante Nichtkollaboration und nichtkooperative Partizipation in Gruppe 2 .............. 312 6.5 Systematisierung, Zusammenfassung und Diskussion: Gruppenautonomie im Entscheidungsdiskurs .......................................... 331 7 Schlussfolgerungen und Ausblick.............................................349 8 Literaturverzeichnis ..................................................................353 9 Verzeichnis der Abbildungen, Tabellen und Transkripte......... 383 9.1 Abbildungen .................................................................................................... 383 9.2 Tabellen............................................................................................................ 385 9.3 Transkriptauszüge........................................................................................... 385 9.4 Verwendete Abkürzungen ............................................................................ 387 <?page no="9"?> 9 1 Einleitung, Problemstellung und Erkenntnisinteresse Die Freiheit der Menschen, ihre Individualität und Selbstbestimmung sind philosophisch-ethische Grundbegriffe, die die Fremdsprachenforschung seit ca. drei Dekaden inspirieren, Fremdsprachenunterricht als Ort des autonomen Lernens zu etablieren. Sprachlernen wurde dabei zunächst als Vorgang konzeptualisiert, in dem individuelle Unterschiede, Lernstile, -typen, Lernstrategien und Spracheinstellungen ausschlaggebend für den Lernerfolg sind und deren Diversität der Sprachunterricht durch eine gezielte Lernendenorientierung Rechnung zu tragen hat. Gleichzeitig ging die Individualisierung des Lernens mit der Schaffung von meist kursexternen Lernformaten einher, die dieses autonomere Lernen ermöglichen sollten, wie z. B. Selbstlernzentren, Sprachlernberatung, Tandem-Lernen oder computerbasiertes Lernen. Dieser individualistische Ansatz wird von einigen Autonomieforschern jedoch als „westlicher“ Zugriff auf Lernerautonomie kritisiert (Riley 1988, Little 1999, Smith 2001, Benson et al. 2003, Holliday 2003). Besonders im klassischen Sprachkursunterricht der diversen internationalen Deutsch-als-Fremdsprache-Lernkontexte lassen sich aufgrund lokaler Rahmenbedingungen offene, autonomieförderliche Unterrichtsformen, wie z. B. Binnendifferenzierung nur eingeschränkt umsetzen und es stehen weit weniger Möglichkeiten zur Verfügung, autonomes Lernen in einem institutionellen Rahmen curricular zu implementieren. Kritiker des individualistischen Ansatzes argumentieren, dass Sprachenlernen und -lehren nicht nur ein individueller, sondern vor allem auch ein sozialer Prozess ist (Benson & Cooker 2013, Kohonen 2010, Ushioda 2007) und Lerntheorien, wie die Soziokulturelle Theorie (Wygotski 1934/ 2002) oder das Situierte Lernen in Praxisgemeinschaften (Lave & Wenger 1991) auch dem autonomen Lernen eine soziale Natur zugrunde legen. Die beiden Sichtweisen schließen sich jedoch nicht aus, wie Benson & Cooker (2013: xi) betonen: „We are concerned with individuals and individuality but not in an individualistic way. What we are concerned with, in fact, is the social construction of idendity, agency and autonomy - not with individuals as such, but with social individuals.“ (alle Herv. im Original, D.F.) Das Konstrukt der Lernerautonomie bedarf daher einer Rekonzeptualisierung als sozial konstituierte, situierte und dynamische Beziehung zwischen Lernenden und ihren sozialen Kontexten (ebd.: 2). Obwohl in den meisten Sprachvermittlungskontexten Lernen im (Groß-)Gruppenverband stattfindet, mangelt es besonders für diese Konstellation an empirischer Forschung zu Fragen der Lernerautonomieentfaltung und -förderung. Einige dieser Fragen lauten: In welchem Wechselverhältnis stehen Individuen und Gruppen, wie gestalten sich Unabhän- <?page no="10"?> 10 gigkeit, Abhängigkeit und Interdependenz in spezifischen Klassenverbänden oder gruppenbasierten Lernarrangements? Welche Rolle nimmt dabei der soziokulturelle Lernkontext ein? Oxford (2008: 51) fordert daher zu Recht: „More studies are needed of autonomy in different Asian, African, South American and other contexts around the world. Research involving a sociocultural perspective on autonomy could have particular implications for the social aspects of independent L2 learning, such as the roles of tutors, electronic communication and study groups.“ Autonome Handlungsfähigkeit ist beim Sprachenlernen immer an eine Reihe von Entscheidungen geknüpft, wie z. B. zur Frage nach den Lernzielen, Lernaktivitäten, Lernmaterialien, Lernsteuerung oder Lernerfolgsevaluation. Dabei liegen im institutionellen Lernkontext viele dieser Entscheidungen bereits fremdbestimmt durch die Rahmenbedingungen, das Curriculum oder die Lehrperson vor. Wie kann also eine individuelle Selbstbestimmung vor diesem Hintergrund und in Anerkennung der sozialen Lernsituation verwirklicht werden? Eine Möglichkeit besteht in der mitbestimmenden Partizipation des einzelnen Lernenden bei der Entscheidungsfindung mittels kollektiver Entscheidungsaushandlung. Die daraus resultierende geteilte Kontrolle über den Lernprozess in Form von Gruppenentscheidungen ermöglicht eine soziale Konzeptualisierung von Lernerautonomie und überwindet den Anspruch der rein individuellen Verantwortungsübernahme, wie ihn klassische Autonomiekonzeptionen i. S. Holecs (1981) vertreten. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie besteht darin, Autonomiepotenziale in Gruppenaushandlungsprozessen in der Fremdsprache Deutsch zu ergründen, um so eine empirische Erfassung des Konstruktes „soziale Autonomie“ zu ermöglichen. Dies erfolgt am Beispiel eines spezifischen institutionellen Lernkontextes - einem Handyvideoprojekt im mexikanischen Deutsch-als- Fremdsprache-Unterricht mit Erwachsenen. Dabei steht die Beschreibung und Systematisierung entscheidungsbezogener Projektgruppeninteraktionsprozesse im Mittelpunkt der Untersuchung. Mit Rückgriff auf Studien zur Sprachlernförderlichkeit spezifischer Interaktionsmuster sollen als weiteres Resultat der explorativ-interpretativen Untersuchung Hypothesen für die Anbahnung und die Umsetzung gruppenautonomieförderlicher Interaktionen in der Zielsprache Deutsch abgeleitet werden. Im zweiten Kapitel wird dafür die theoretische Fundierung, gekoppelt an die Darstellung und Reflexion des aktuellen Forschungsstandes zum Untersuchungsgegenstand, gelegt. Zum einen wird autonomes Lernen dabei als sozial und interaktional konzeptualisiert (Kapitel 2.1), zum anderen vor dem Hintergrund der Forschungskontextcharakteristika, dem offenen Lernen im Fremdsprachenlernprojekt und dem mobilen Lernen (Kapitel 2.2) sowie anhand des zentralen Aspekts der Mitbestimmung (Kapitel 2.3) verortet. Kapitel 2.1.1 diskutiert zunächst gängige Autonomiemodelle, -konzeptionen und -definitionen insbesondere im Hinblick auf deren Berücksichtigung von <?page no="11"?> 11 soziointeraktionalen Aspekten des Fremdsprachenlernens. Es wird mit Rückgriff auf die Metaanalyse von Schmenk (2008) nachgewiesen, dass klassische Autonomiekonzeptionen eher unkenntlich gemachte Fremdbestimmung darstellen und bisher ohne empirische Fundierung auskommen, wobei die vorgestellten Studien von Tassinari (2010) und Mejía Casas (2013) erste Ansätze darstellen, diesem Desiderat gerecht zu werden. In der Zusammenschau wird das entwicklungspsychologische Autonomieverständnis von Little (1991, 1994) als dasjenige herausgearbeitet, das autonomes Lernen als sozialen und interaktionalen Prozess konzeptualisiert und nicht wie andere Modelle die soziale Komponente auf die bloße Anwendung von Kooperationsstrategien und -techniken reduziert. Daher wird der Forderung Schmenks (2008) gefolgt, einen sozialen bzw. kollektiven Autonomiebegriff zu etablieren, der die Wechselbeziehung von Fremd- und Selbstbestimmung in konkreten fremdsprachlichen Lehr- und Lernkontexten transparent machen kann. Diese Diskussion bildet die Basis dafür, den Forschungsgegenstand der vorliegenden Untersuchung im Anschluss (Kapitel 2.1.2) aus lerntheoretischer Perspektive erörtern zu können. Anhand der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Soziointeraktionalität beim Fremdsprachenlernen wird deutlich gemacht, dass Interaktion in Abkehr zu kognitivistischen Fremdsprachenlernmodellen (Long 1996, Gass 1988, 1997, Gass & Mackey 2007) das Fundament eines zielsprachlichen Ko-Konstruktionsprozess darstellt. In diesem erfolgt die Lerntätigkeit als selbst- und fremdgesteuerte Mediation zwischen Experten und Novizen (Wygotski 1934/ 2002; Leontjew 1978); im Fremdsprachenkontext kommt dabei der kollaborative Dialog (Swain 2000) zum Einsatz. Autonomes Lernen wird in diesem Kapitel als soziale Praxis charakterisiert, in der der einzelne Lernende Teil eines sozialen Interaktionssystems darstellt. Der Auseinandersetzung mit den sozialen Konzepten der Kooperation und Kollaboration als Ausgestaltungsmöglichkeiten der Wechselbeziehungen zwischen Individuum und Gruppe ist Kapitel 2.1.3 gewidmet. Es wird verdeutlicht, dass die soziale Dimension von Lernerautonomie über die Unabhängigkeit des Einzelnen hinausgeht und als geteilte, kollaborative Kontrolle (Anderson & Garrison 1998), also als interdependentes Zusammenspiel von Individualität und Kooperativität, zu fassen ist. Mit der Darstellung des Bedingungsgefüges von kooperativem Lernen, Gruppenarbeit und kollaborativer Interaktion erfolgt unter Rückgriff auf das kollaborative Muster der Paarinteraktion (Storch 2001a) die Arbeitsdefinition des Untersuchungsgegenstandes „Gruppenautonomie“. Kapitel 2.2 arbeitet autonomes Lernen in der Theorie des Projektunterrichts heraus, diskutiert den Stand der diesbezüglichen Deutsch-als-Fremdsprache- Forschung (2.2.1) und veranschaulicht die Weiterentwicklung der Theorie des mediengestützten Lernens am Beispiel des gewählten Untersuchungskontextes - Projekte des Mobilen Fremdsprachenlernens (2.2.2). Offene Formen wie Fremdsprachenlernprojekte erweisen sich dabei als besonders prädestiniert für <?page no="12"?> 12 die kooperative und partizipative Entfaltung von Gruppenautonomiepotenzialen. Schließlich kommt es in Kapitel 2.3 zur Verortung des Konzeptes der Mitbestimmung als Bindeglied zwischen Fremd- und Selbstbestimmung im sozial verstandenen autonomen Lernen. Dafür wird die konzeptuelle Nähe von Projektgruppen und Praxisgemeinschaften (Lave & Wenger 1991) hinsichtlich der Partizipation als Mitbestimmung herausgearbeitet (2.3.1). Institutioneller Fremdsprachenunterricht erfährt sodann eine Konzeptualisierung als Ort der partizipativen Aushandlung und Entscheidungsfindung nach dem von Breen & Littlejohn (2000) entwickelten Ansatz des classroom decision-making (2.3.2). Kapitel 2.3.3 stellt die theoretische Fundierung zur Bedeutung und Gestalt von Entscheidungen in Fremdsprachenlernprojekten dar und veranschaulicht deren Zusammenhang zur Gruppenautonomie im Spannungsfeld zwischen Selbst- und Mitbestimmung. Schließlich folgt in Kapitel 2.3.4 die Diskussion des Forschungsstandes zum Konzept der Gruppenentscheidung aus linguistischer, sozialwissenschaftlicher und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive mit dem Resultat der Herausarbeitung der dieser Studie zugrunde gelegten linguistischen Definition des Begriffes nach Gunnarsson (2006). Diese und die bis dahin ausgeführten forschungstheoretischen Grundannahmen bilden die Voraussetzung für die Formulierung der Forschungsfragen zu Beginn des dritten Kapitels: − Welche Potenziale sozialer Autonomie bietet der Projektunterricht im Kontext Deutsch als Fremdsprache? − Wie gestalten sich Entscheidungsfindungsprozesse in einem Handyvideoprojekt während der polyadischen Interaktion? − Welche Formen der (Mit-)Bestimmung werden innerhalb dieser Gruppenentscheidungsprozesse deutlich? − Wie werden diese Interaktionsprozesse retrospektiv von den einzelnen Gruppenmitgliedern wahrgenommen? Der dritte Teil der Arbeit stellt die forschungsmethodologische Basis und das Forschungsdesign der Studie vor. Neben einer ausführlichen Beschreibung des unterrichtsbeforschenden Untersuchungskontextes und der Untersuchungsteilnehmenden (Kapitel 3.2) wird die Wahl der Erhebungsinstrumente Videographie (3.3.1) und Videobasiertertes Lautes Erinnern (3.3.2) für die methodentriangulierende explorativ-interpretative Erforschung gruppeninterner Entscheidungsprozesse und deren individuelle Wahrnehmung reflektiert begründet. Daraufhin erfolgt die Darstellung der Datenerhebung im mexikanischen DaF- Handyvideoprojekt und die dabei sukzessive vorgenommene ereignisgeleitete Datenauswahl und -reduktion (Kapitel 3.4). Kapitel 3.5 stellt die eingesetzten Datenaufbereitungs- und Auswertungsverfahren des kombinierten Transkripts (3.5.1) und der Interaktions- und Partizipationsanalyse (3.5.2) dar, die ein de- <?page no="13"?> 13 skriptiv-rekonstruktives sowie komparativ-fallkontrastierendes Vorgehen ermöglichten. In den Kapiteln vier bis sechs werden die Analyseergebnisse in Form von auf zwei Teiltypologien beruhenden prototypbasierten Fallbeschreibungen präsentiert, wobei zunächst die ermittelten Interaktionsstile (Kapitel 4) und anschließend die herausgearbeiteten Partizipationstypen (Kapitel 5) während Gruppenentscheidungsprozessen dargestellt werden. Diese bilden die Basis für das sequenzanalytische Aufzeigen der diskursiven Verankerung von Autonomiepotenzialen in Gruppenentscheidungen in Kapitel sechs. Zum Abschluss erfolgt die modellhafte und hypothesenartige Systematisierung und Diskussion der Erkenntnisse (Kapitel 6.5) sowie in Kapitel 7 die Darlegung der Schlussfolgerungen im Hinblick auf weitere Forschungsdesiderate und didaktische Vorschläge für die praxisbezogene Implikation der Ergebnisse zur Gruppenautonomie in Entscheidungsdiskursen des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts. <?page no="15"?> 15 2 Autonomes Lernen - soziointeraktional und offen 2.1 Autonomes Lernen als soziales und interaktionales Lernen 2.1.1 Autonomiekonzeptionen und -modelle Üblicherweise wird der autonome Lernende eher als Individuum denn als Gruppenwesen betrachtet und damit autonomes Lernen als individueller Prozess verstanden, der idealerweise in einer Unabhängigkeit von beim Fremdsprachenlehren involvierten Personen und Institutionen erfolgt bzw. darein mündet. Auch wenn im Kontext Deutsch als Fremdsprache Lernerautonomie bisher eher unter anderen Schwerpunkten empirisch beleuchtet wurde (Metakognition und Strategien bei Chan (2000); Lehrwerke bei Chudak (2007) sowie Strategien und Wortschatzlernen bei Neuner-Anfindsen (2005); Online-Lernberatung bei Saunders (erscheint), dann dominiert dabei immer eine auf die personale Autonomie gerichtete Forschungsperspektive. Dieser Annäherungsweise wird in der vorliegenden Arbeit ein soziointeraktionaler Blickwinkel gegenübergestellt, welcher die empirische Beschreibung des Konstrukts der Gruppenautonomie ermöglicht. Klassische Autonomiekonzeptionen, die bisher weitestgehend ohne empirisch fundierte Modelle auskommen, wurden von Schmenk (2008) detailliert gegenübergestellt und kritisch diskutiert. Ausgehend von für den englischsprachigen Raum vorgenommenen Klassifikationen von Benson (1997) und Oxford (2003) 2 differenziert sie innerhalb der v. a. deutschsprachigen Fremdsprachenforschung sechs verschiedene Autonomiekonzeptionen: − situativ-technizistische, − strategisch-technische, − radikal-konstruktivistische, − entwicklungspsychologische, − pädagogisch-fächerübergreifende und − handlungstheoretische. 2 Unberücksichtigt bleibt in dieser Analyse der Klassifikationsansatz von Martinez (2005: 69 ff., 2008: 73 ff.), der ähnlich wie Oxford (2003) zwischen philosophischen (d. h. kritisch-politischen Perspektiven hinsichtlich der Machtverhältnisse innerhalb der Lehr- und Lernsituation), technischen (situativ-strukturelle Bedingungen der Lehr- und Lernsituation), psychologischen (prozessorientierte, kognitiv-individuelle Charakteristika der Lernenden) sowie sozio-interaktiven Perspektiven auf Lernerautonomie im Fremdsprachenunterricht unterscheidet. <?page no="16"?> 16 Zur Beschreibung der Unterscheidungsmerkmale dieser Konzeptionen, zieht sie deren Verortung hinsichtlich lehr- und lerntheoretischer, (fremd-)sprachtheoretischer und lernsubjektbezogener Grundannahmen heran und kommt zur Schlussfolgerung, dass sich aus diesen grundsätzlich divergierenden Prämissen miteinander unvereinbare Autonomiekonzeptionen entwickelt haben. Zuerst zu nennen ist dabei das historisch geläufigste Autonomieverständnis von Henri Holec (1981), welches Lernerautonomie als Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme für das eigene Lernen definiert und dabei präzisiert: “To take charge of one’s learning is to have […] the responsibility for all the decisions concerning all aspects of this learning […]” (Holec 1981: 3). Holecs Sichtweise, die Schmenk als handlungstheoretischen Ansatz einstuft, impliziert, dass autonome Lernende „in der Lage sind und über die notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, den Lernprozess in all seinen Phasen von der Planung und Durchführung bis zur Reflexion und Evaluation selbstverantwortlich durchzuführen“ (Schmenk 2008: 129). Dies suggeriert, dass Lernende über die dafür nötigen fremdsprachentheoretischen und -praktischen sowie didaktisch-methodischen Kompetenzen - da das Lehren entfällt - bereits verfügen, um alle Entscheidungen selbstverantwortlich treffen und alle Lernphasen in Form des Selbstlernens kompetent durchführen zu können (ebd.: 258 f.). Situativ-technizistische Konzepte von Lernerautonomie (z. B. im GeR (Europarat 2001), Rück 1999, Scharle & Szabo 2000, Wißner-Kurzawa 1995) setzen diese mit dem allein stattfindenden und selbstgesteuerten Lernen, wie es besonders oft im Zuge (älterer Konzeptionen) des computer assisted language learning (CALL) anzutreffen ist, gleich. Somit wird autonomes Lernen reduziert auf die „Summe von Tätigkeiten, die an und mit fremdsprachlichem Materialien allein ausgeführt werden“ (Schmenk 2008: 129) und Lehren auf das bloße Bereitstellen dieser Materialien durch Menschen oder Maschinen. Die dritte Konzeption der strategisch-technischen Autonomiebegriffe versteht unter Lernerautonomie den begründeten und zielgerichteten Einsatz von Strategien und Techniken, um die Effizienz des Lernens zu steigern (ebd.: 130, z. B. Bimmel & Rampillon (2000), Crabbe et al. (2001), späte Schriften von Holec (1987), GeR (Europarat 2001), Müller-Verweyen (1997) und Wenden (1991). In diesem Zusammenhang erfährt Lernen die Gleichsetzung mit einem Managementprozess, der lediglich den Einsatz adäquater, von einem Strategientrainer vermittelter Strategien und Techniken erfordert, um zum Erfolg zu führen. Radikal-konstruktivistische Konzeptionen von Lernen (v. a. Wolff 1994- 2002) verorten Autonomie als einen „dauerhaft[en] Zustand menschlichen Seins“ (Schmenk 2008: 102), welcher somit das autonome Lernen als einzig mögliche Form der individuellen Wissenskonstruktion bestimmt und der durch instruktive Lehre nicht beeinflusst werden kann. <?page no="17"?> 17 Pädagogisch-fächerübergreifende Autonomieverständnisse (z. B. Kumaravadivelu 2003, 2006; Nodari 1996; Rampillon 2003) setzen das Konzept mit Emanzipation und Mündigkeit als Erziehungsziel gleich, welches durch die Aushandlung von Machtverhältnissen zu einer Selbstbestimmung und -organisation der Lernenden führen soll. Als letzte Art von Autonomiekonzeption sei die entwicklungspsychologische Perspektive genannt, die v. a. dem Werk von Little (1988 - 2011) zuzuordnen ist und z. B. auch die lerntheoretische Fundierung für das selbstgesteuerte Lernen im Tandem bietet (Brammerts & Kleppin 2001). Little rekurriert für seine Konzeption innerhalb der soziokulturellen Lerntheorie besonders auf das Phänomen der Internalisierung (s. Kapitel 2.1.2) und definiert Lernerautonomie als „a capacity - for detachment, critical reflection, decision-making, and independent action“ (Little 1991: 4). Dabei erwächst Autonomie aus Interaktion, Interdependenz und geteilter Verantwortung (Little 1994), indem die wechselseitigen (sozialen, kulturellen, historischen) Abhängigkeiten der im Lernprozess miteinander verwickelten Akteure mittels sozialer Kommunikation und deren gradueller Internalisierung von sprachlichen Handlungen zu einer allmählichen Autonomisierung i. S. von Unabhängigkeit beim Sprachenlernen und letztendlich vor allem beim Sprachgebrauch führt. Littles Leistung ist es v. a., das Sprachenlernen mit autonomem Lernen in einen entwicklungspsychologischen Zusammenhang zu stellen, indem soziales Lernen als grundlegende Voraussetzung für das Sprachenlernen verankert wird (vgl. Schmenk 2008: 116). Ziel einer so konzeptualisierten Lernerautonomie sei somit die durch verbale Hilfestellungen erlangte Selbständigkeit im Fremdsprachgebrauch, die nicht zwangsläufig immer mit der Selbstbestimmung des Individuums beim Lernen, wie sie z. B. pädagogischemanzipatorische Autonomieverständnisse vertreten, einhergehen müsse (ebd.). Exemplarisch für die eingangs genannten, eher individualistischen Ansätze sei nun aus der jüngeren Fremdsprachenforschung das dynamische Autonomiemodell von Tassinari (2010) genauer betrachtet, welches primär für die Selbsteinschätzung des autonomen Fremdsprachenlernens innerhalb eines Selbstlernzentrums entwickelt und dafür mit von Experten validierten Deskriptoren und Checklisten konkretisiert wurde. Tassinari (2010: 123) definiert vor diesem Hintergrund Lernerautonomie als „die komplexe Metafähigkeit des Lerners, in verschiedenen Situationen und Formen die Kontrolle über das eigene Lernen auszuüben.“ Als „Konstrukt von Konstrukten“ (2010: 127), das aus wissensbasierten und handlungsorientierten Kompetenzen, Fertigkeiten und Strategien sowie aus motivationalen und affektiven Einstellungen besteht, umfasse Lernerautonomie das Vermögen die „eigenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Fertigkeiten miteinander zu kombinieren, zu koordinieren und in verschiedenen Situationen entsprechend angemessen einzusetzen. […] Lernerautonomie wird durch bewusste Entscheidungen und Handlungen im sozialen Umfeld von verschiedenen Lernern unterschiedlich realisiert.“ (ebd.) <?page no="18"?> 18 Damit greift dieses Autonomieverständnis auf die Definition Bensons (2001: 50) von Autonomie als Fähigkeit der Übernahme von Kontrolle über das eigene Lernen zurück und erfolgt in Abgrenzung zu dem von Holec (1981) geprägten, aber nur schwer beobacht- und damit messbaren Begriff der Übernahme von „Verantwortung“ für das Lernen (s. o.). Innovativ erscheint an dieser Begriffsbestimmung, dass das Element des Kontextes und das damit verbundene Spektrum an Entscheidungen und Handlungen, in dem die Ausübung dieser Fähigkeit zum Tragen kommt, integriert wird. Zu sehr ausgeblendet wird m. E., trotz des Hinweises auf die kontextübergreifende Ausrichtung der Definition, die Berücksichtigung der in der jeweiligen Situation bzw. Institution überhaupt vorhandenen Kontroll- und damit Entscheidungsmöglichkeiten, ohne die sich die Ausübung dieser Fähigkeit jeglicher Grundlage entzieht. Kontrolle wird dabei als für jeden Lernenden prinzipiell zugänglicher Vorgang wahrgenommen; Situationen, in denen eine solche individuelle Kontrolle nicht oder nur minimal ausgeübt werden kann, werden also von vornherein als „autonomielos“ ausgeschlossen - eine Annahme, die es kritisch zu überdenken gilt. Spätestens wenn diese Wahrnehmung von Lernerautonomie auf den Vorgang des autonomen Lernens (als Lerntätigkeit) übertragen wird, muss die Situiertheit und Soziointeraktionalität dieses Prozesses in dessen Konzeptualisierung noch stärker Eingang finden. Um die Vielschichtigkeit von Autonomie zu fassen, ist Tassinaris Modell dynamisch angelegt: Abb. 1: Dynamisches Autonomiemodell (Tassinari 2010: 203) <?page no="19"?> 19 Als Bestandteile von Lernerautonomie 3 postuliert Tassinari verschiedene miteinander verknüpfte, sich bedingende Komponenten, d. h., Kompetenz- und Handlungsbereiche, zu denen neben der (meta-)kognitiven und motivationalaffektiven (untere Halbkugel), der handlungsorientierten (mittlerer Kreis) auch die soziale Komponente (zweite Ebene von oben) subsumiert wird (s. Abb. 1). Im Rahmen dessen konstatiert die Forscherin (2010: 95), dass eine „konkrete Beschreibung[…] der soziointeraktiven Komponente […] in der Autonomieforschung nicht systematisch vorhanden [ist]“. Sie behilft sich daher bei der Formulierung von Deskriptoren für diese Komponente mit dem Terminus der „Kooperation“ und beschreibt diese in ihrem Modell als eine von vielen Handlungsweisen, die das Individuum in Form einer sozialen Strategie ausüben kann. Unter soziale Strategien fasst Tassinari sowohl Kommunikationsstrategien als auch Strategien zum kooperativen Lernen und zur Steuerung des Lernprozesses: „Kooperationstrategien bzw. soziale Kompetenzen können in jeder Phase des autonomen Lernprozesses eingesetzt werden: Beim Planen, beim Auswählen von Materialien und Methoden, beim Durchführen des Lernens, beim Überwachen und beim Evaluieren von Gelerntem und Lernprozess kann der Lerner entscheiden, ob und inwiefern er auf Sprachlernberater, auf Muttersprachler, auf kompetente Sprecher oder auf Mitlerner zurückgreift“. (ebd.: 202) Dieses Verständnis suggeriert jedoch, dass (autonomes) Lernen in seiner Lesart als „Allein-Lernen“ (s. o.) auch immer nicht-sozial bzw. nicht-kooperativ vonstatten gehen kann und eine Art individuell variabler Lernstil ist, auf den je nach Vorliebe auch verzichtet werden kann. Dies erscheint jedoch unter Bezug auf das tätigkeitstheoretische Verständnis von Lernen (s. Kapitel 2.1.2) zu kurz gegriffen, wonach Lernen als Tätigkeit sozial vermittelt stattfindet und jeweils in einen spezifischen sozialen Kontext eingebettet ist. Wenn Strategien als Handlungen bzw. Handlungssequenzen zum Erreichen eines bestimmten Ziels verstanden werden (vgl. Oxford 1990: 7 f. u. a.), sind sie als Element der Lerntätigkeit immer kollektiver Natur, jedoch nur auf der darunter liegenden Ebene der (Teil-)Handlung sowohl individuell als auch kooperativ realisierbar. Schmenk (2008: 73 ff.; 2012: 72-74) kritisiert daher zu Recht die Reduktion, Instrumentalisierung und Mechanisierung von Lernerautonomie, wenn diese als der bloße, auf Effizienz abzielende Strategieeinsatz verstanden wird und kooperative Lernformen Mittel zum Zweck des Erreichens individueller Autonomie sind. Als ökonomische Managementkompetenz wird Fremdsprachenlernen zu einem in alle Teilbereiche zerlegbaren und durch die Verwendung der entsprechenden antrainierten Strategien bzw. Techniken durchkalkulierbaren Prozess, in dem nicht „strategiesierbzw. planbare“ Facetten des Lernens, wie Unterhaltsamkeit, Spaß, Spannung, Überraschung, Phantasie u. ä. sozio-emotionale Aspekte aus- 3 Tassinari (2010: 121) benutzt den Begriff der Selbständigkeit (independence) als Synonym von Lernerautonomie, schließt dabei aber auch die soziointeraktive Dimension des Lernens (interdependence) ein. <?page no="20"?> 20 geblendet werden. 4 Strategienwissen wird dabei als oft fremdbestimmtes Wissens- und Handlungsspektrum vermittelt, also als ein in allen Situationen einsetzbares Repertoire an Handlungsplänen, welche es lediglich zu beherrschen und zu automatisieren gilt. Zusammenfassend muss die Rolle der soziointeraktiven Komponente von Lernerautonomie und deren Anbindung an das Konzept sozialer Strategien dahingehend diskutiert werden, inwiefern dieses Modell nicht nur aus der Perspektive eines einzelnen Lernenden greifen kann, sondern auch auf eine Lernergruppe als sozial interagierende Grundeinheit des institutionellen Fremdsprachenlernens übertragbar ist (vgl. Kapitel 2.1.3). Einen Zugriff auf Lernerautonomie aus soziokognitiver Perspektive bietet die diskursanalytische Studie von Mejía Casas (2009, 2013), die ebenfalls vor dem Hintergrund eines Selbstlernzentrums und der dortigen Sprachlernberatung im kolumbianischen Kontext ein Modell der diskursiven Aushandlung von Rollen („transacción discursiva de roles“, 2009: 59ff.) hervorgebracht hat. Ausgehend von der Konzeption der diskursiven Aushandlung von Rollen beim autonomen Lernen (Riley 1988, 2003) zeigt das Modell, auf welchen Ebenen und unter welchen individuellen und kontextuellen Konditionen eine diskursive Neubestimmung dieser Rollen erfolgen kann. Auf der sogenannten „reaktiven Ebene“ führen Selbstregulationsfähigkeiten, das Vorhandensein einer autonomieförderlichen Lernumgebung und Rollenkonflikte zur diskursiven Aushandlung von Rollen, auf einer „reflexiven Ebene“ kommt zu diesen Bedingungen die Möglichkeit der Reflexion des Lernprozesses als Basis für Wendepunkte im selben hinzu. Die dritte Ebene schließlich ist „proaktiver Natur“ und nimmt als zusätzliche Faktoren die Übernahme von (anderen) Rollen sowie die Umsetzung von Aufgaben in das Spektrum der Kontextbedingungen für das Aushandeln von Rollen auf. 4 Hier greift auch die Einschätzung des Lerntheoretikers Lompscher (o. J.): „Da Lernstrategien nur eine Komponente der psychischen Regulation der Lerntätigkeit sind, können sie nicht isoliert von anderen ausgebildet werden. Motivationale u. a. Regulationskomponenten müssen gleichzeitig berücksichtigt, die psychische Regulation als ganzheitliches, komplexes Geschehen in ihrer Entwicklung gefördert und angeregt werden. Ohne entsprechende Lernmotivation und positive Einstellung zu Lerngegenstand und Lerntätigkeit, ohne Verständnis für Sinn und Nutzen strategischer Überlegungen und Bemühungen, ohne die kognitive Verarbeitung entsprechender Zielstellungen, Erläuterungen, Empfehlungen etc. ist an eine Herausbildung oder Weiterentwicklung erwünschter Lernstrategien nicht zu denken.“ (ebd.: 9) <?page no="21"?> 21 Abb. 2: Modell der diskursiven Rollenaushandlung (Mejía Casas 2009: 63) Wesentlich an den Untersuchungsergebnissen von Mejía Casas scheint, dass die Verortung der Einzelperson innerhalb von autonomen Lernprozessen nicht statischer, sondern von flexibel und diskursiv aushandelbarer Beschaffenheit Teil eines gesellschaftlichen Ganzen ist und der jeweiligen (Neu-)Verteilung von Rechten und Pflichten im Handlungsspektrum unterliegt. Auf die kritische Metaanalyse Schmenks (2008) zurückkommend, stellt jene abschließend fest, dass sich hinter den von ihr untersuchten Autonomiekonzeptionen eher Pseudoautonomie verbirgt, da heteronome Bedingungen des Lernens, also persönliche, soziale, kulturelle, politische und historische Abhängigkeiten ausgeblendet oder unkenntlich gemacht werden. Dies geschieht, indem Ziele, Aufgaben, Strategienwissen, Verhalten und Können oder Entscheidungsspektren in einem als autonom bezeichneten Lernprozess bereits fremdbestimmt vorliegen oder indem Lernerautonomie als einzig mögliche Seins- und Denkweise gesehen wird, die jegliche äußere Vorgaben verneint bzw. letztendlich Lernerautonomie mit Begriffen gleichgesetzt wird, durch die Heteronomie als per se ablehnenswert erscheint. Schmenk plädiert daher dafür, Lernerautonomie als eine Art Kontinuum zu betrachten (vgl. Abb. 3), in dem Autonomie und Heteronomie immer gleichzeitig, aber in unterschiedlicher Ausprägung auftreten und einander bedingen, an dessen Extrempunkten jedoch aus soziokultureller Perspektive nie eine absolute Selbst- oder Fremdbestimmung stehen kann. <?page no="22"?> 22 Abb. 3: Wechselbeziehung von Heteronomie und Autonomie beim Fremdsprachenlernen Zur Handhabung dieses erweiterten Autonomieverständnisses in konkreten Lehr- und Lernkontexten schlägt Schmenk (2008) einen sozialen bzw. kollektiven Autonomiebegriff vor und greift damit ähnliche Forderungen von Esch (2009) und Holliday (2003) auf: „Solange Autonomie als Autonomie von Individuen konzipiert wird, kann soziales Lernen und die Rolle und Relevanz der Anderen nur reduziert werden als hilfreich oder weniger hilfreich für das Individuum.“ (Schmenk 2012: 74). In Abkehr von der Instrumentalisierung sozialen Lernens für rein individualistische Zwecke muss die Wechselbeziehung von Fremd- und Selbstbestimmung neu ausgelotet und für den jeweiligen Kontext transparent gemacht werden. Dies zeigt, dass Schmenks Kritik an Littles Autonomieverständnis und ihrer Interpretation des Prozesses der Internalisierung als bloße Verinnerlichung fremdbestimmter Vorgaben (Schmenk 2012: 64, 71) weitergedacht werden muss und daher im Folgenden einer differenzierteren Betrachtung unterzogen wird. 9? ,? 9 B"=."80+%0#/ ++/ &; / #(%)/ "#./ &0(7&; / #(/ #*0%"("5./ & Das Verständnis der kognitiven Entwicklung eines Menschen erfuhr in der Entwicklungspsychologie, in der angewandten Linguistik und in der Fremdsprachenforschung mit der (Rück-)Besinnung auf Theorien der russischen, kulturhistorischen Schule der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts um Wygotski, Leontjew und Luria eine Neukonzeptualisierung als sozialen und interaktionalen Vorgang. Dabei gilt die soziale Interaktion als grundlegend für jegliche Bildungs- und Lernprozesse. Kognitive und mentale Entwicklungen des Individuums werden hierfür immer auf ein Wechselspiel zwischen physiologischen Vorgängen und die sie einbettenden soziokulturellen Kontexte und Artefakte zurückgeführt, wobei zu letzterem auch die Sprache gezählt wird (Swain et al. 2011: xiii). Ausgehend von diesem social turn in der angewandten Linguistik (Block 2003) soll im Folgenden herausgearbeitet werden, worin diese soziointeraktionale Komponente des Fremdsprachenlernens besteht und inwiefern dabei das auto- <?page no="23"?> 23 nome bzw. selbstgesteuerte (Fremd-)Sprachenlernen ebenfalls als soziointeraktionaler Prozess zu konzeptualisieren ist. Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu betonen, dass Interaktion als Konzept auch in etablierten, kognitivistisch ausgerichteten Modellen des Fremdsprachenlernens Beachtung findet, z. B. im Input-Interaction-Output (IIO)-Modell von Long (1996) und Gass (1988, 1997) oder in dessen Weiterentwicklung von Gass & Mackey (2007). Interaktion erfährt dabei jedoch eine Reduktion als Inputquelle zur Bereitstellung von zielsprachlichen Strukturen (Aguado 2010: 820), bei der der kulturelle, historische und institutionelle Kontext sowie die sozialen Bedingungsgefüge, in denen die Interaktionen stattfinden, völlig ausgeblendet werden bzw. innerhalb von empirischen Studien als verzerrende Einflussfaktoren möglichst zu minimieren sind. Zu diesen soziokulturellen Faktoren zählen laut Block (2003) die individuell unterschiedlich ausgeprägte(n) Mehrsprachigkeit(en), der Kontext des Spracherwerbs (z. B. Curricula, Sprachverwandtschaften, Fremdsprachvs. Zweitsprachvs. natürlicher Erwerb vs. Sprachgebrauch) und das zugrundeliegende Sprachverständnis. Letzteres sieht nach dem IIO-Modell Sprechen als konversationelle Interaktion zum Informationsaustausch mittels Bedeutungsaushandlung und vernachlässigt dabei z. B. ludische oder phatische Funktionen von Sprache sowie die Aushandlung von Identität, „Gesicht“, Solidarität und Unterstützung (ebd.). Aktuellere soziokognitivistische (bzw. variationistische) Strömungen der angloamerikanischen Fremdsprachenforschung versuchen beide Perspektiven in Modellen und empirischen Interaktionsstudien zusammenzuführen, wie bspw. Tarone (2010: 55): The variationist approach builds on a large body of research in sociolinguistics which allows us to generate a range of testable hypotheses targeting the impact of specific social variables (interlocutor, task, topic, accompanying linguistic context) on variation and development in learner language, as well as the operation of attested sociolinguistic processes such as ‘change from above’ and ‘change from below’. Auch Atkinson (2002, 2010: 25-39) verfolgt diesen holistischen 5 Zugriff auf das Fremdsprachenlernen: „In fact, a nearly infinite variety of socially constituted groups help us to think and act better/ differently than we usually can alone […] we think with [Herv. im Original, D.F.] the world, not in isolation from it.“ (ebd.: 25). Dabei postuliert er drei Prinzipien der Soziokognitivität beim Fremdspracherwerb (2010: 27): inseparability (Geist, Körper und Welt arbeiten beim Fremdspracherwerb zusammen), learning is adaptive (Fremdsprachenlernen dient der Adaption zu komplexen und dynamischen ecosocial environments) sowie alignment 5 Die Grundgedanken dieses Ansatzes, ohne dabei jedoch aktuelle neuropsychologische Erkenntnisse zu berücksichtigen, finden sich bereits in der von Pestalozzi und weiteren Vertretern der Reformpädagogik geprägten Theorie des ganzheitlichen Lernens wieder. <?page no="24"?> 24 (Ausrichtung) (Prozesse der kontinuierlichen Anpassung an die Umgebung i. S. einer Ko-Konstruktion von Bedeutungen). Den integrativ-holistischen Ansätzen stehen Forschungslinien gegenüber, die sich als direkten Bezug der soziokulturellen 6 Schule auf den (Fremd-) Sprachlernkontext verstehen und grundlegende Konzepte Wygotskis und seiner Kollegen adaptiert und weiterentwickelt haben. Den Grundstein für den Ausbau leistete v. a. sein Mitarbeiter Alexej N. Leontjew mit der von ihm systematisch ausgearbeiteten Tätigkeitstheorie (1978), nach der Tätigkeit nicht als simples Tun, sondern als zielgerichtete Interaktion zwischen Menschen und ihrer Umgebung verstanden wird. Für die deutschsprachige Rezeption sind die Arbeiten aus dem Kreis um den pädagogischen Psychologen Joachim Lompscher (2004) zu nennen, der in der DDR seit den 60er Jahren die Wygotskirezeption unter dem Terminus „kulturhistorische Tätigkeitstheorie“ bearbeitet und mit Bezug auf den Leontjew-Schüler Dawydow das Konzept der „Lerntätigkeit“ ausdifferenziert hat. Ein weiterer Strang der deutschsprachigen Rezeption der kulturhistorischen Schule stammt aus der funktionalen Pragmatik in der Gruppe um Konrad Ehlich & Jochen Rehbein und prägte in diesem Zusammenhang die sogenannte „Handlungstheorie der Sprache“ (Rehbein 1977), welche im Gegensatz zur ostdeutschen Forschung, die sich ausschließlich auf die sowjetische Psychologie beruft, zentrale Konzepte der Sprachphilosophie (Austin, Searle und Wittgenstein) aufgreift. Im angloamerikanischen Raum prägten die Arbeiten der Psychologen Wertsch (1991, 1998) und Cole (1995, 1996) unter dem Begriff der activity theory das Verständnis der soziokulturellen (bzw. auch sozialkonstruktivistischen) Theorie des (Fremd-)Sprachenlernens durch die Zweitspracherwerbsforscher wie Lantolf (2000), Lantolf & Pavlenko (2001), Lantolf & Thorne (2006), Lantolf & Poehner (2008), Hall & Verplaetse (2000), Johnson (2009), Swain et al. (2011), van Lier (1988, 1989, 2000). Grundlegende Konzepte Wygotskis und seiner Mitarbeiter finden in allen drei Strömungen Verwendung und sollen im Folgenden überblicksartig vorgestellt sowie besonders im Hinblick auf die Verortung des Autonomiegedankens diskutiert werden. Lernen als Grundvorgang der psychischen Entwicklung erfolgt nach Wygotski (1934, 1971) als aktiver Ko-Konstruktionsprozess zwischen Lernenden (Novizen) und ihren kompetenteren Gegenübern (Experten), wobei ein durch Interaktion in gemeinsamer Tätigkeit vermittelter Übergang (dieser Tätigkeit) von der sozialen Außenwelt (interpsychische Ebene) in die mentale Innenwelt (intrapsychische Ebene) des lernenden Individuums stattfindet. 6 Im Folgenden wird dieser aus der angloamerikanischen Wygotski-Rezeption stammende Begriff beibehalten. Er ist gleichwertig der Bezeichnung „kulturhistorische Theorie“ zu betrachten, wie ihn meist Arbeiten, die sich direkt auf die Originaltexte von Wygotski beziehen, verwenden. <?page no="25"?> 25 Dieser, auch als Interiorisierung bzw. Internalisierung (= „nach innen wachsen“) bezeichnete Prozess geschieht dialogisch durch vom Menschen geschaffene, kulturell geprägte Werkzeuge, welche als Mediatoren mentaler Aktivitäten dienen. Wygotski unterscheidet physische (= materielle) von psychischen (= symbolischen) Werkzeugen, zu Letzteren gehört z. B. die Sprache: „Elementare psychische Funktionen werden in dem Maße in höhere 7 transformiert, wie der Mensch Werkzeuge (Mittel) benutzt, die die Beziehung zur Welt und zu sich selbst vermitteln. Äußere Mittel ermöglichen eine zielgerichtete Einwirkung auf die Außenwelt und die Beeinflussung der eigenen Tätigkeit, was zugleich das Bewusstwerden seiner selbst als Subjekt fördert. Zeichen (Wörter, Begriffe, Symbole u. a.) als psychische Werkzeuge (Mittel) [Herv. im Original, D.F.] sind Träger von Bedeutung; Bewusstseinsprozesse sind zeichenvermittelte Prozesse, Operieren mit Bedeutungen.“ (Lompscher 2004: 35) (Sprachliches) Wissen entwickelt sich dabei ausgehend von der Zone der aktuellen Leistung, d. h. dem selbständigen Aufgabenbzw. Problemlösen oder dem (sprachlichen) Handeln ohne Unterstützung durch Dritte innerhalb der Zone der nächsten Entwicklung (ZNE 8 ), einem Handlungsraum, in dem Problemlösungen nur durch die Anleitung 9 durch oder Kollaboration mit wissenderen Interaktionspartnern (Erwachsene, Lehrende, Peers) möglich sind. Aus dem erfolgreichen Durchlaufen der ZNE resultiert die selbstständige Problemlösekompetenz auf dem Niveau des aktuellen Lernstandes und eröffnet wiederum die darauf aufbauende ZNE, sodass von einem regelmäßigen Wechsel von Stadien der Zusammenarbeit und Stadien der Selbständigkeit im Entwicklungsverlauf ausgegangen wird (vgl. Aguado 2011: 820; Lompscher 2004: 35 ff.). Aus der Autonomieperspektive hervorzuheben sind die mit diesem Transformationsprozess einhergehenden Regulationsmechanismen. Allgemein wird Lernen als ein Übergang von der Objektregulation über die Fremdregulation zur Selbstregulation verstanden (z. B. Aguado 2011: 820), bei dem die Überwachung, Kontrolle und Evaluation mentaler oder physischer Aktivitäten durch Objekte, mit fortschreitender Entwicklung durch fähigere Dritte und schließlich durch das Individuum selbst vollzogen wird. In dem Moment, in dem ein Lernender eine ZNE durchläuft, ermöglicht der Rückgriff auf die Fremdregulation das 7 Zu höheren psychischen Funktionen zählen nach Lompscher (2004: 35) jene, die willkürliche, bewusste, zielgerichtete Prozesse der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses oder des Denkens erfordern, z. B. das Sprechen, Erinnern oder Problemlösen. In ihrer Gemeinsamkeit formen sie das menschliche Bewusstsein. 8 Die ZNE kann sowohl von Individuen als auch von Gruppen eingenommen werden (Swain et al. 2011: 83). 9 Für diesen Prozess des Vorbildgebens, der (sprachlichen) Anleitung und Unterstützung wurde von Wood et al. (1976) der Begriff scaffolding geprägt. Er benutzt die Metapher des Gerüstbaus, welche impliziert, dass die bereitgestellten (sprachlichen) Stützen nach und nach mit fortschreitendem Lernen in der ZNE graduell weggelassen werden können. <?page no="26"?> 26 Schaffen neuer Lerngelegenheiten. D. h., Eigenregulation (z. B. durch innere Rede) als Indikator für den höchstmöglichen Entwicklungsstand im Erwachsenenalter ist nicht als permanenter Dauerzustand, sondern im Wechselspiel mit der Fremdregulation zu betrachten. Die Initiative zur Fremdsteuerung geht dabei vom Lernenden aus und erfolgt in Form eines kollaborativen Dialogs 10 mit kompetenteren Personen. Regulation wird daher von einigen Autoren mit Mediation, Kontrolle oder auch agency 11 gleichgesetzt (Swain et al. 2011: 38, 76; Lantolf 2006: 83 ff.) und kann m. E. auch synonymisch zum Begriff Steuerung verwendet werden, womit die konzeptuelle Nähe zum Diskurs um Lernerautonomie und deren Eingebundenheit in soziale Kontexte deutlich wird. Analog zur Transformation von der Objektzur Selbstregulation wird von Wygotski und seinen Kollegen die sprachliche Entwicklung, die an die kognitive geknüpft, jedoch nicht mit ihr identisch ist, konzeptualisiert (vgl. Wygotski 1971: 291 ff.). In der ZNE kommt Sprache bzw. die Tätigkeit des Sprechens zunächst in ihrer sozialen Funktion zum Einsatz („äußeres oder soziales Sprechen“), indem durch (kollaborativen) Dialog Denkaktivitäten gemeinschaftlich gesteuert, auf intermentaler Ebene internalisiert und dabei in die intramentale Ebene integriert werden. Sprache ist demnach das wichtigste semiotische Mittel zur Formung und Ausführung höherer psychischer Funktionen. Mit dem durch Internalisierung erfolgten Erreichen der Zone der aktuellen Leistung wandelt sich soziales in inneres Sprechen um und dringt lediglich in seiner Form des an sich selbst gerichteten Sprechens (private speech) z. T. vokalisiert nach außen. Beide Ausprägungen dienen dem selben Vorgang der Selbstregulation von (mentalen) Tätigkeiten, zu welchen das Individuum in diesem Entwicklungsstadium ohne die Hilfe Dritter fähig ist. Das bei Kindern anzutreffende, und vom inneren Sprechen abzugrenzende, egozentrische Sprechen stellt „eine gemischte oder Übergangsform vom Sprechen für andere zum Sprechen für sich selbst dar, wobei - und darin besteht die grundlegende Gesetzmäßigkeit der Entwicklung des inneren Sprechens - das Sprechen für sich selbst, das innere Spre- 10 Der Begriff des kollaborativen Dialogs als eine Form des sozialen Sprechens (social speech) wurde 2000 von Merrill Swain geprägt und bezieht sich auf all diejenigen Interaktionen, die problemlösend (ebd.: 41) und wissenserweiternd (ebd.: 97) sind: „Collaborative dialogue involves at least two persons who co-construct knowledge that may be new for one or both of them” (Swain et al. 2011: 150). 11 Swain et al. (2011: 149) liefern folgende Beschreibung von agency (dt.: Handlungsfähigkeit, Entscheidungsmacht): „All individuals are agentive, that is, they behave in certain ways according to their motives and goals. What people are able to do depends on the particular contraints and affordances that are present in the situation. These affordances and constraints vary across cultures and may be material or symbolic.“ Die Bedeutung der existenten Machtverhältnisse für die Handlungsfähigkeit betont auch Huang (2011: 230): „Agency, including learner agency, entails action, and often suggests action that arises from deliberation and choice.“ während Toohey (2007: 232) die Verbindung zur Lernerautonomie als „socially situated agency“ herstellt. <?page no="27"?> 27 chen mehr nach Funktion und Struktur, d. h. hinsichtlich seiner psychischen Natur, als nach seinen äußeren Erscheinungsformen zu innerem Sprechen wird.“ (Wygotski 1934/ 2002: 430) Inneres Sprechen ist strukturell gesehen demnach, im Gegensatz zum dialogischen, äußeren Sprechen, subvokal, syntaktisch prädikativ und operiert mit der semantischen und nicht der lautlichen Seite von Wörtern. Jenseits von kindlichen Entwicklungsprozessen subsumieren Swain et al. (2011: 42 ff.) private speech und kollaborativen Dialog im Fremdsprachenlernkontext unter dem Terminus languaging (s. auch Swain 2006), welche als Formen der selbstgesteuerten oder fremdgesteuerten Mediation des Denkens in Interaktionssituationen zur Problemlösung in dialogischer Kooperation bzw. zur individuellen Problemlösung mittels der an Dritte gerichteten inneren Rede (= lautes Denken) dienen: „Languaging is one of the mechanisms of internalization. But languaging is also a means of externalisation: it completes our thoughts (cognition, ideas) and transforms them into artifacts that allow for further contemplation, which, in turn, transforms thought. While we speak or write, we often achieve new or deeper understandig of complex phenomena, and plan and organize for the future based on past experiences.“ (Swain et al. 2011: 42 ff.) Die Beziehung zwischen Denken und Sprechen ist somit reziprok zu betrachten. Lernprozesse finden sowohl durch die Verinnerlichung von sprachlich vermittelten (mentalen) Tätigkeiten statt als auch durch die Verbalisierung von nichtsprachlich vorliegenden Bewusstseinsakten (= Gedanken). Diese grundlegenden Annahmen Wygotskis entwickelte sein Kollege Leontjew (1978) zur Tätigkeitstheorie weiter, welche Verhalten als objektbezogene und -vermittelte Tätigkeit und deren Untrennbarkeit vom menschlichen Bewusstsein (= Denken) sowie vom sozialen, kulturellen und historischen Tätigkeitskontext in den Mittelpunkt rückt. Hiernach ist Tätigkeit historisch-genetisch gesehen kollektiv und zwischen verschiedenen Menschen aufgeteilt und bedarf eines aus inneren Bedürfnissen resultierenden Antriebs, dem Motiv. Dessen Befriedigung richtet sich auf (materielle) Gegenstände 12 (z. B. Nahrung für das Bedürfnis Hunger, Motiv: Sättigung), welche durch gemeinsames Handeln und mit Hilfe von Werkzeugen bearbeitet, angeeignet oder hervorgebracht werden (Lompscher 2004: 49 ff.). Dafür muss die Tätigkeit in verschiedene (individuelle oder kooperative) Teilhandlungen aufgegliedert werden, welche jeweils an ein bestimmtes (für verschiedene handelnde Personen auch unterschiedliches) Ziel geknüpft sind. Makrostrukturell gesehen werden die Handlungen einer Tätigkeit weiterhin in Operationen konkretisiert, die schematisiert, meist automatisiert und an den Bedingungen der jeweiligen Umgebung ausgerichtet ablaufen: 12 Gegenstände sind hiernach Ausschnitte der Wirklichkeit, wie z. B. Dinge, Prozesse, Relationen oder Personen (Lompscher 2004: 59 f.). <?page no="28"?> 28 „Die allgemeine Tätigkeitsstruktur besteht aus Subjekt-Objekt und Subjekt-Subjekt- Relationen, Ziel-Mittel-Bedingungsrelationen, spezifischen Arbeits- und Funktionsteilungen, Regeln und Normen einer Gemeinschaft u. a. Komponenten. Tätigkeiten werden zunehmend als Systeme betrachtet, analysiert und gestaltet.“ (Giest & Lompscher 2004: 108 f.). Tätigkeitssysteme lassen sich weiter in Arbeitssysteme (z. B. Teams, Projekte, Betriebe) und Lernsysteme (z. B. Lerngruppen, Seminare, Schulen) differenzieren, wobei letztgenannte durch Lerntätigkeiten, also vom Motiv der eigentätigen Selbstveränderung geleitet, stattfinden. Nach Swain et al. (2011: 111) stellte die westlich geprägte Wygotskirezeption den Fakt des menschlichen Handelns als sozial bedingt und als Verkörperung (embodiment) des ihn umgebenden Kontexts zugunsten der Idee der Bedeutung von Mediation für das individuelle Lernen in den Hintergrund. Im Unterkapitel 2.2.3 soll daher die Rolle der Gruppe als Praxisgemeinschaft für Lernkonzeptionen im Hinblick auf ihre Wechselwirkung mit Lernerautonomie diskutiert werden. Obwohl der Begriff der Autonomie nicht explizit in den Werken der kulturhistorischen Schule genutzt wird, zeigt sich, dass nach diesem Verständnis Selbstregulation bzw. Selbststeuerung des (Sprachen-)Lernens immer mit dem Ziel des von Hilfestellungen unabhängigen, kompetenten sprachlichen Handelns gleichgesetzt wird und Interaktion dabei primär als ein Schritt auf dem Weg zu diesem eigenständigen Handeln darstellt. Jedoch werden Lernprozesse nie als abgeschlossen betrachtet, sondern bestehen vielmehr in einem permanenten Wechsel von Phasen der Selbst- und der Fremdregulation mit dem Ziel der kognitiven Weiterentwicklung. Betonenswert erscheint außerdem, dass Mediation neben ihrer interaktionalen Komponente auch als Kontrolle i. S. einer aktiven Beeinflussung und Überwachung über das eigene Verhalten verstanden wird (Oxford 2003: 86; Swain et al. 2011: 152) und dass hinsichtlich des Autonomiekonzepts eine klare Unterscheidung zwischen Autonomie beim Sprachenlernen (i. S. von Selbstregulation) und Autonomie beim (Fremd-)Sprachgebrauch (i. S. des selbstständigen Sprechenkönnens) getroffen werden muss. Aktuelle Studien aus soziointeraktionaler bzw. soziokultureller Perspektive zu Lernerautonomie im Fremdsprachenlernkontext untersuchen die Autonomieförderlichkeit von CALL (Blin 2004), die implizite Autonomieförderung durch Projektarbeit (Nakata 2007), soziokulturelle Einflüsse auf die Lernerautonomie mittels Fallbeschreibungen asiatischer Lernender (Benson et al. 2003) oder im türkischen Kontext (Palfreyman 2001), den Zusammenhang von Lernerautonomie und agency beim Zugang erfolgreicher Lernender zu bestimmten Praxisgemeinschaften (Toohey & Norton 2003), die Komplementarität von agency und Metakognition beim strategischen Englischlernen (Gao & Zhang 2011) sowie den Zusammenhang von Lernerautonomie, Identität und Motivation bzw. agency (Huang 2013, Menezes de Oliveira e Paiva 2011, Ushioda 2007). <?page no="29"?> 29 Allen genannten Studien ist Zueigen, dass sie autonomes Lernen immer als in einen bestimmten soziokulturellen Kontext eingebettet betrachten und dass es nicht vornehmlich auf die Individualisierung des Lernens abzielt, sondern als soziale Praxis verstanden wird, in der der einzelne Lernende Teil eines sozialen Interaktionssystems darstellt. Den Ausgestaltungsmöglichkeiten und Konzeptionen zum Wechselverhältnis Individuum und Gruppe vor dem Hintergrund der Lernerautonomie widmet sich der folgende Abschnitt. 2.1.3 Individuum und Gruppe: Kooperation und Kollaboration Das von Holliday (2003), Oxford (2003), Schmenk (2008) u. a. im Kapitel 2.1.1 postulierte soziale Autonomieverständnis bedarf im Folgenden einer genaueren Erläuterung, welche sowohl die Wechselwirkung von (In-)Dependenz und Interdependenz beim autonomen Fremdsprachenlernen als auch dessen Schnittmengen und Abgrenzungen zu den Konzepten Gruppenarbeit und kooperativem bzw. kollaborativem Lernen in den Fokus nimmt. Daraufhin wird der Begriff der Gruppenautonomie eingeführt und bezüglich seiner Beschreibung anhand von Interaktionsmustern veranschaulicht. Die Kontroverse, die mit der Einnahme einer soziokulturellen Perspektive (SKP) auf Lernerautonomie aufgeworfen wird, beschreibt Benson (2011: 17) folgendermaßen: „This social turn also represents a point of tension within research on autonomy, however, because there is a sense in which the idea of autonomy lacks meaning if it does not involve some element of individual development and some element of helping individuals to match learning activities to their own preferences and needs.“ Sicherlich ist die Errungenschaft des lernerorientierten und damit möglichst individualisierten Fremdsprachenunterrichts mit dem Aufkommen der SKP nicht hinfällig geworden. Jedoch blieben wiederum viele Lernpotenziale ungenutzt, wenn der institutionalisierte, also klassenraumbezogene Unterricht lediglich aus Lernenden bestünde, die auf ihre Vorlieben und Bedürfnisse abgestimmte Lernaktivitäten im Extremfall im selben Raum gleichzeitig, aber unabhängig voneinander ausführen würden. Vielmehr greift die personale Autonomie nach Little im Bereich der Lernzielsetzung und der dafür notwendigen Lerntätigkeiten immer auf die Kollaboration mit anderen Lernenden zurück. Schmenk (2008: 335) fasst dies so: „Sie [Autonomie, D.F.] ist in den Wirren des Individualisierungsschubs um die soziale Dimension beschnitten worden. […] Wiederum, dieses Mal allerdings bedingt durch die spezifisch individualistische Vereinseitigung bleibt die Chance ungenutzt, Konsensfindungen und Gruppendynamik auch als sozial-kommunikative Erprobungsszenarien aufzufassen und entsprechend zu reflektieren (was nur eine Möglichkeit sein könnte, Kommunikation und Konsensbildungen nicht nur zu üben, sondern auch im Unterricht genauer anzuschauen).“ <?page no="30"?> 30 So stellt sich die Frage, ob es im Unterrichtskontext denkbar ist, dass Lernende eigene Vorlieben und Bedürfnisse zugunsten eines Gruppenkonsenses graduell zurücknehmen bzw. immer wieder neu zur Aushandlungsdisposition stellen. Geben Lernende ihre personale Autonomie zugunsten einer „kollektiven Autonomie“ (Schmenk 2008) (teilweise) auf, ohne dass dies als Verlust, sondern als Bereicherung wahrgenommen wird, weil sonst das Individuum möglicherweise in seiner (manchmal auch eingeschränkten) Entscheidungskompetenz immer auch dem Risiko der Überforderung ausgesetzt ist? Schmelter (2004: 15) beschreibt dies als „die Entscheidung […] nicht zu lernen oder die Verantwortung für bestimmte Bereiche des Lernens bewusst und bis auf Widerruf in die Hände anderer zu legen“. Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen bildet die Aussage von Weskamp (2010: 242), dass sich Lernerautonomie im Klassenzimmer (und damit auch besonders im Projektunterricht, Anm. D.F.) immer gruppenbezogen und aushandlungsbasiert entfaltet. Auch wenn Lernerautonomie in ihrem Kern die individuelle Fähigkeit eines jeden einzelnen Lernenden darstellt, wird in dieser Studie davon ausgegangen, dass der Prozess des autonomen Lernens als ein sozialer Vorgang zu verstehen ist. Diese soziale Ausprägung ist besonders innerhalb von gruppenorientierten Lernarrangements beobachtbar. Wenn dabei auf Bensons Autonomieverständnis von der Kontrolle über das eigene Lernen zurückgegriffen wird (s. Kapitel 2.1.1), kann diese Kontrolle sowohl vom Individuum als auch von einer Gruppe ausgeübt werden. Daher stellt soziale Autonomie eine Art „kollaborative Kontrolle“ über das Lernen dar. Dieser Begriff geht auf Anderson & Garrison (1998) zurück und betont die interaktionale Komponente bei der Ausübung der geteilten Verantwortung: „[…] learner autonomy best develops through collaborative control of learning experiences and a commitment on the part of learners to develop and assume responsibility for learning processes can only take effect if they have the opportunity to collaboratively control learning experiences. Collaborative control can be exercised through opportunities for meaningful interaction with other learners and teachers.“ (White 2004: 3) Die Idee der Unabhängigkeit (Independenz) als Zeichen von Autonomie wird somit abgelöst von ihrem Verständnis als geteilte Kontrolle (Interdependenz). Seit der internationalen Ausweitung der Debatte um Lernerautonomie kritisieren Fremdsprachenforscher die Überbetonung des Individuums in (meist „westlichen“) Autonomiekonzeptionen (Aoki & Smith 1999, Aoki 2001, Benson 2001, Holliday 2003, Hart 2002, Little 1999c, Littlewood 1999, Press 1996, Smith 2001) und plädieren für deren Wahrnehmung als etwas Kollektives, Kollaboratives oder Kooperatives (Aoki et al. 2010, Kohonen 1992, Lamb 2003, Ng 2005, Thomson 1998, White 2003) oder verankern sie in Gruppenprozessen (Aoki & Smith 1999, Chang 2007, Hart 2002, Smith 2001, Stephenson & Kohyama 2003, Thornbury 2011). Um das Zusammenspiel von Kooperativität und Individualität <?page no="31"?> 31 in der Autonomiekonzeption zu betonen, bezeichnete dies nach Holliday (2003), Oxford (2003), Cortés & Sánchez (2005) und Schmenk (2008, 2012) auch Thornbury (2011) mit dem Begriff social autonomy bzw. autonomy of the group. Hart (2002) spricht in seiner Kleingruppenstudie von „intra-group autonomy“, welche er auf Littlewoods Konzept des kooperativen Lernens (1999: 74) als „a group oriented form of reactive autonomy“ (ebd.) sowie auf Murphey & Jacobs (2000) Begriff der „critical collaborative autonomy“ zurückführt. Schmenk (2012) kritisiert an dieser Konzeption die Instrumentalisierung, indem Gruppenmitglieder ähnlich wie bei Tassinari (2010) nur als Ressourcen für den jeweils individuellen Lernzuwachs verstanden werden, wobei die Komponente „critical“ auch anzeigt, dass Kompetenzen der demokratischen Entscheidungsfindung in Gruppen zu fördern sind. Soziale Autonomie ist jedoch nicht mit kooperativem Lernen, Gruppenarbeit oder kollaborativer Interaktion gleichzusetzen, vielmehr bedingen sie einander, d. h., wo keine dieser Arbeits-, Sozial- oder Interaktionsformen zum Tragen kommt, ist die Entfaltung von sozialer Autonomie eher unwahrscheinlich: „Note that, in accordance with Vygotskian theory, the individual learner’s capacity to exercise responsibility for his or her learning at a psychological level develops out of the interactive (and thus linguistically mediated) experience of shared responsibility for collaborative learning projects.“ (Little 2004: 22) Obwohl Kollaboration und Kooperation in vielen Publikationen der Fremdsprachenforschung synonymisch gebraucht werden (z. B. Nunan 1992), sind sie im Hinblick auf die Verortung von Autonomie und Heteronomie unbedingt voneinander abzugrenzen. Schart (2003: 86, auch Oxford 1997 und Würffel 2007) sieht in ersterem, auf dem sozialen Konstruktivismus basierend, die Zusammenarbeit von Individuen, „wenn sie sich selbstbestimmt in einen interaktiven Planungs- und Problemlöseprozess begeben“, sowie in letzterem eine effizienzsteigernde, strukturierte Zusammenarbeitstechnik unter fremdbestimmten Unterrichtsbedingungen (ebd.) und stellt dabei deutliche Parallelen zu Littlewoods Begriffen der reactive und proactive autonomy fest. Zu ergänzen wäre hier, dass die Selbstbestimmung beim kollaborativen Lernen innerhalb von Gruppen mit verschiedenen Hierarchie- und Initiativebenen einhergeht, also die Initiative auch von der Einzelperson ausgehen kann und weitere Personen unterstützend hinzugeholt werden, während in kooperativen Kontexten, da die Initiative i. d. R. von außerhalb der Gruppe kommt, zunächst von einer einheitlichen, gleichberechtigten Hierarchieebene bei der weiteren Gruppenhandlung ausgegangen wird. Eine weitere Unterscheidung zwischen Kooperation und Kollaboration in Partner- oder Gruppenaktivitäten besteht hinsichtlich der Vorgehensweise bei der Erstellung des Arbeitsresultates. Kooperative Lernarrangements sind durch Arbeitsteilung gekennzeichnet, d. h. die Teammitglieder arbeiten eigenständig und zeitlich parallel an Teilergebnissen, die in ihrer Integration zum Endergebnis führen. In kollaborativer Arbeit sind alle Gruppenmitglieder <?page no="32"?> 32 durchgängig gemeinsam an der Erstellung der Teilergebnisse und somit des Resultates beteiligt (Roschelle & Teasley 1995: 70). Die umfangreiche Diskussion zum kollaborativen und kooperativen Lernen und dessen Abgrenzung zur Gruppenarbeit (vgl. Green & Green 2007, Hammoud & Ratzki 2009, Johnson & Johnson 1987, Oxford 1997 u. a.) soll an dieser Stelle nicht vertieft werden; wichtig ist jedoch festzuhalten, dass nicht jedes Arbeiten in Gruppen automatisch zu sozial verstandenem autonomem Lernen beiträgt. Dafür müssen sich die Bedürfnisse des einzelnen Gruppenmitglieds (zumindest anteilsweise) in einem durch Mitbestimmung ausgeübten Einfluss auf die Gruppenaushandlungsprozesse widerspiegeln. Dies führt dazu, dass sich jedes Mitglied in seinen Bedürfnissen, Interessen, Vorlieben, Fähigkeiten etc. in den Handlungen einer Gruppe repräsentiert sieht bzw. sich damit identifiziert und somit zu den Resultaten der Gruppentätigkeit beiträgt. Ebenso, aber vom Standpunkt der Tätigkeit aus gesehen, beschreibt Lompscher (2004: 95) diese Zusammenhänge folgendermaßen: „Als entscheidende Determinante der Gruppenprozesse wird ihre Beziehung zum Inhalt, zu den Zielen und Werten der gemeinsamen Tätigkeit, zu ihrem gesellschaftlichen Sinn, zu den in der Gruppe wirksamen Normen angesehen. Gruppengröße, Kommunikationsstruktur, emotionale Beziehungen der Gruppenmitglieder (z. B. Sympathiewerte) werden als davon abgeleitete, durch die Tätigkeit vermittelte Merkmale betrachtet, die sich wesentlich danach unterscheiden, welchen Stellenwert für die Gruppe die gemeinsame Tätigkeit (und welche Art von Tätigkeit) hat. Dieser bestimmt die Identifikation und Selbstbestimmung als Gruppenmitglied, die Übertragung und Übernahme von Verantwortung, die Motivation soziometrischer Wahlen usw.“ (ebd.) Soziale Autonomie wird in dieser Untersuchung in ihrer Ausprägung als Autonomie der Gruppe, also Gruppenautonomie verstanden und bezieht sich dabei insbesondere auf Sprachlernprojektgruppen. Sie unterscheidet sich von der Autonomie des Einzelnen, welche in dieser Studie als personale oder individuelle Autonomie bezeichnet werden soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gruppenautonomie nicht die Summe der individuellen Autonomien der Gruppenmitglieder darstellt, sondern die Gruppe als Gesamtgefüge als autonom betrachtet werden kann, wenn Gruppenentscheidungen konsensbasiert ausgehandelt werden. 13 Daran knüpft sich die Annahme an, dass ein soziales Verständnis von 13 Im Sinne sozialer Autonomie ist auch das Konzept der demokratischen Kompetenz zu verstehen, welches Roche et al. (2012: 44) in ihrer Studie neben anderen Kompetenzen innerhalb einer Kinder-Akademie zum Zweck der Sprachförderung bei Drittklässlern mit Deutsch als L1 und L2 in Interaktionen untersuchten. Diese Kompetenz beschreiben die Autorinnen (ebd.) auf Basis einer OECD-Definition zu Kernkompetenzen vom Mitgliedern einer demokratischen Gesellschaft (2005: 5) als „interaktive Anwendung von Medien und Mitteln (z. B. Sprache, Technologie), Integration in heterogenen Gruppen und autonome Handlungsfähigkeit“. Die Integration des Einzelnen in Gruppen führt somit keinesfalls zum Verlust der autonomen Hand- <?page no="33"?> 33 Autonomie im Spannungsfeld von Mitbestimmung und Selbstbestimmung anzusiedeln ist (vgl. Kapitel 2.1.1) und durch Interaktions- und Aushandlungsprozesse vermittelt wird. Das gemeinsame Handeln in Fremdsprachenlernprojekten eröffnet vielfältige Ausprägungen der Gruppeninteraktion und nur ein präziser Blick auf die sprachliche Gestaltung von Aushandlungsprozessen unter den Gruppenmitgliedern vermag es, deren kooperativ-kollaborative Beschaffenheit zu veranschaulichen. Im Kontext des autonomen oder aufgabenbasierten Fremdsprachenlernens wurden Paar- oder Gruppeninteraktionsprozesse bisher vor allem im Hinblick auf ihre Förderlichkeit für den Spracherwerb untersucht (z. B. Eckerth 2003, Legenhausen 1999, 2001, 2010) und deren positiver Einfluss auf die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz belegt. Der Versuch, bestimmte Formen der Gruppeninteraktion in Zusammenhang mit (sozialen) Autonomiekonzeptionen zu bringen, wurde jedoch noch nicht unternommen. Dieser scheint vielversprechend, weil bestimmte Interaktionselemente, -stile und -muster als sprachlernförderlich gelten sowie dabei gleichzeitig Eigenschaften von Kooperation und Kollaboration aufweisen und sich somit ein Zusammenhang zum autonomen Lernen in Gruppen herstellen ließe. Besonders die im Rahmen des soziokulturellen Ansatzes zum Fremdsprachenlernen entstandenen Studien von Storch (2001a) und Watanabe & Swain (2007) gelten als Grundlage für die Weiterentwicklung dieser Annahme. Storch baut auf Forschungsergebnisse von Donato (1988), Lockhart & Ng (1995), Nelson & Murphy (1993) u. a. auf, die zeigen, dass bestimmte Muster der Paarinteraktion mehr zum Lernen von Fremdsprachen beitragen als andere, v. a. wenn „collective scaffolding“ (Donato 1988) i. S. einer Ressourcenbündelung zum Einsatz kommt. In ihrer Langzeitstudie untersucht Storch dyadische Interaktionen unter (hauptsächlich asiatischen) Englischlernenden in einem australischen Universitätskurs zum wissenschaftlichen Schreiben im Hinblick auf auftretende Arten von Interaktionsmustern, deren Stabilität sowie deren Auswirkung auf die L2- Entwicklung. Drei verschiedene Aufgabentypen (Textproduktion, Textkorrektur, Textrekonstruktion) wurden jeweils in drei aufeinander folgenden Wochen dyadisch bzw. in der letzten Woche individuell gelöst. Das Datenkorpus setzte sich aus Audiomitschnitten dieser Interaktionen, den Aufgabenlösungen, Ergebnissen eines Pre- und Posttests (in Form einer Textkorrekturaufgabe), einer Teilnehmendenbefragung zur Einstellung gegenüber von Gruppen- und Partnerarbeit sowie Beobachtungsprotokollen der Partnerarbeitsphasen seitens der Forscherin zusammen. Der Datenanalyse lag ein mixed method-Ansatz aus einer auf der Grounded Theory (Glaser & Straus 1967) basierenden Interaktionsanalyse und statistischen Auswertungsverfahren zugrunde. Der erste Analyseschritt brachte vier Interaktionsmuster hervor, die in Rückgriff auf Damon & Phelps lungsfähigkeit, sondern führt diese zu neuen, ggf. für das Lernen sogar fruchtbareren Ausprägungen. <?page no="34"?> 34 (1989) nach den Merkmalen Gleichheit (equality) und Gegenseitigkeit (mutuality) in einem Raster klassifiziert wurden (s. Abb. 4): „According to Damon & Phelps (1989) equalitiy refers to the degree of control or authority over the task. Equality describes more than merely an equal distribution of turns or equal contributions but an equal degree of control over the direction of a task (van Lier, 1996). Thus high equality is evident in interactions where both participants take directions from each other. Mutuality describes interactions that are rich in reciprocal feedback and a sharing of ideas (Damon & Phelps, 1989).“ (Storch 2002a: 127) Kollaborativ ist ein Interaktionsmuster demnach, wenn die Paare während des gesamten Aufgabenbearbeitungsprozesses zusammenarbeiten, den gleichen Grad der Kontrolle ausüben und Problemlösungen im Einvernehmen beider Partner aushandeln. Paare mit dem Muster Dominant/ Dominant zeigten einen Unwillen bzw. eine Unfähigkeit in der Zusammenarbeit. Der Diskurs zeichnet sich durch einen großen Anteil von Widersprüchen (disagreement) und einem Unvermögen in der Konsensfindung aus. In Dominant/ Passiv-Paaren übernimmt der dominante Partner die autoritäre Kontrolle über die Aufgabenbearbeitung, der sich der passive Partner unterordnet, sodass in diesen Dyaden relativ wenige Aushandlungen zustande kommen. Das vierte Muster (Experte/ Novize) entstand, wenn ein kompetenterer Lerner einen weniger kompetenten ermutigte, an der Lösung der Aufgabe mitzuwirken (Storch 2002a: 127-130). Abb. 4: Modell der dyadischen Interaktion (Storch 2002a: 128) <?page no="35"?> 35 Für die Interaktionsanalyse berücksichtigte Storch (2001a: 279-280) den Mitwirkungsgrad (pattern of contribution), die Gestaltung des Entscheidungsprozesses (decision making behavior and nature of assistance) sowie diskurslinguistische Mittel des Scaffoldings wie (Nach)frage ( request ) , Feedback (positives Feedback, korrektives Feedback: Erläuterungen, Wiederholungen, Vervollständigungen oder überlappendes Sprechen), Pronomennutzung und phatische Äußerungen im Bezug auf deren Auswirkungen auf die Gleichheit und Gegenseitigkeit in der Interaktion. Sprache wird hier zur Problemlösung und zur Ko-Konstruktion von Wissen verwendet und somit als kollaborativer Dialog (Swain 2000) verstanden. Fünf von zehn untersuchten Paaren wurden dem kollaborativen Interaktionsmuster zugeordnet und alle vier Muster erwiesen sich als relativ stabil bezüglich der verschiedenen Aufgabentypen. Hinsichtlich des L2-Erwerbs (operationalisiert an Fallbeispielen durch instances of knowledge transfer) wurde festgestellt, dass besonders die kollaborativen und zum Teil auch die Experte/ Novize-Konstellationen über einen hohen Anteil an Wissenstransfer bei der individuellen Aufgabenbearbeitung verfügten. Somit erwiesen sich unterschiedliche Interaktionsmuster unterschiedlich förderlich für das Fremdsprachenlernen. Watanabe & Swain (2007) fanden in einer an Storchs Untersuchung anknüpfenden Folgestudie ein weiteres Interaktionsmuster (Experte/ Passiv), welches sich dadurch charakterisiert, dass der unwissende Lerner nicht auf Ermutigungen zur Kontrollübernahme seines kompetenteren Gegenübers reagiert, sondern passiv bleibt. Besonders aufschlussreich ist die Erkenntnis dieser Studie, dass sich Sprachkompetenzunterschiede innerhalb der Dyade nicht auf das Interaktionsmuster und das damit verbundene Sprachenlernen auswirken. Festzuhalten bleibt, dass sich die für diese Untersuchungen verwendeten Parameter der diskurslinguistischen Beschreibung von dyadischen Aushandlungsprozessen auf die Darstellung von Gruppenentscheidungsinteraktionen übertragen lassen. Diese Ausführungen legen nahe, dass Gruppenautonomie im Sinne einer durch sprachlich verankerte Gleichheit und Gegenseitigkeit erreichte Mitbestimmung möglicherweise dann zum Tragen kommt, wenn Interaktionen einen hohen Grad an Kollaborativität aufweisen. Daraus lässt sich eine vorläufige Arbeitsdefinition für das Konzept der Gruppenautonomie ableiten: Die Autonomie einer Lernendengruppe ist innerhalb von Gruppenaushandlungsprozessen dann gegeben, wenn ein kollaboratives Interaktionsmuster zur gruppeninternen Entscheidungsfindung vorherrscht. Dieses Muster zeichnet sich nach Storch (2001a) durch einen hohen Grad an Gleichheit (beim Einfluss auf den Verlauf der Aktivität) und Gegenseitigkeit (beim Engagement mit den Beiträgen anderer) aus. Die Unterrichtskommunikation und -interaktion ist gewöhnlich stark durch das Lernarrangement bzw. die Unterrichtsform geprägt. Inwieweit offene, projektorientierte Lernformen einen geeigneten Kontext darstellen, um Gruppenaushandlungsprozesse zu fördern, bildet den Gegenstand des anschließenden Kapitels. <?page no="36"?> 36 2.2 Autonomes Lernen als offenes und mobiles Lernen im Projekt 2.2.1 Öffnung des Unterrichts in Fremdsprachenlernprojekten Nachdem im Kapitel 2.1 autonomes Lernen als sozial und interaktional charakterisiert wurde, soll dieses im folgenden um die Komponente der Öffnung von Unterricht, insbesondere durch Fremdsprachenlernprojekte, erweitert werden (Kapitel 2.2.1). Dabei erfährt mobiles Lernen als spezielle Lernform, in die fremdsprachliche Medienprojekte eingebettet sein können, eine detailliertere Betrachtung (Kapitel 2.2.2). Das Lernen in Projekten nahm seinen Ursprung in der europäischen Architekten- und Ingenieursausbildung in der Mitte des 18. Jahrhunderts und wurde als Methode des „praktischen Problemlösens“ Ende des 19. Jahrhunderts von der nordamerikanischen Reformpädagogik und dem philosophischen Pragmatismus aufgegriffen (Knoll 2011). Wichtige Vertreter dieser Bewegung waren Calvin M. Woodward, Charles R. Richards, William H. Kilpatrick und John Dewey, welche damals die Schüler-, Problem-/ Wirklichkeits- und Produktorientierung als Grundprinzipien der Methode etablierten, wobei sie innerhalb ihrer lerntheoretisch-didaktisch-methodischen Grundüberlegungen z. T. zu konträren Auffassungen gelangten (ebd.: 272). Besonders reflektiert wurde auch das Wechselverhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung innerhalb dieser Methode und durch Richards mittels der (altersabhängig eingeschränkten) Mitsprache der Lernenden bei der Projektplanung und -durchführung berücksichtigt (ebd.: 59- 62). Den altersgemäß eingegrenzten Umfang an Teilhabe begründete Richards laut Knoll (ebd.: 61) damit, dass Kinder „nicht allein Verantwortung übernehmen und im Unterricht nicht alles selbst entscheiden, organisieren und verwirklichen konnten.“ Auch Dewey verwehrte sich dagegen, dass die durch die Demokratisierung des Unterrichts gestärkte Selbstbestimmung der Schüler mit einem Machtverlust der Lehrperson einhergehe. Vielmehr verstand er Projekte als gemeinsame Unternehmen von Lehrenden und Lernenden, wobei erstere die Führungsrolle beibehalten sollten (ebd.: 173-175). Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts gelangte die Projektidee nach Deutschland und wurde in der Weimarer Republik von den Pädagogen Fritz Karsen, Otto Haase und Adolf Reichwein aufgegriffen (ebd.: 235-236). Reformpädagogen der 1960er und -70er Jahre diskutierten die Methode erneut und entwickelten sie weiter, wobei die Werke von Bernhard Suin de Boutemard, Karl Frey, Dagmar Hänsel sowie in den 1980er bis 00er Jahren von Johannes Bastian und Herbert Gudjons sowie Gerhard Wöll die bis heute verbreitetsten Konzeptionen von Projektunterricht im deutschsprachigen Raum darstellen. Hinsichtlich der Begrifflichkeit existieren für diese Form des Lernens die (häufig auch synonymisch gebrauchten) Bezeichnungen Projektmethode (Kilpatrick 1918, Frey 1982), Projektunterricht (Gudjons 1986, Bastian et al. 1997, Hänsel 1999, <?page no="37"?> 37 Wöll 2004), Projektlernen (Wöll 2004), Projektarbeit (Gudjons 2008) oder projektbasiertes, -orientiertes, -artiges Lernen. Ohne an dieser Stelle eine detaillierte Ausdifferenzierung lerntheoretisch begründeter terminologischer Besonderheiten oder z. T. auch kontrovers diskutierter konzeptueller Spezifika herauszuarbeiten, soll festgehalten werden, dass Projektarbeit für die Mehrheit der o. g. Autoren ein handlungsorientiertes, lernerinteressenorientiertes und/ oder gesellschaftsrelevantes, situiert-problemlösendes, erfahrungsorientiertes, partizipativkooperatives, prozess- und produktorientiertes Vorhaben darstellt, durch das Lern- und Bildungsprozesse ausgelöst werden. Exemplarisch dafür gilt die Definition von Projektunterricht von Bastian und Combe (1997: 246): „Dabei verstehen wir Projektunterricht als eine Unterrichtsform in der Lehrer(innen) und Schüler(innen) die Bearbeitung eines für die Beteiligten bedeutsamen Themas bzw. Problems vereinbaren, Arbeitspläne entwerfen, sich arbeitsteilig der Bearbeitung des Problems zuwenden und die Ergebnisse der Arbeit anderen vermitteln.“ Viele der aufgelisteten Charakteristika von Projektlernen stellen Teilbestandteile anderer pädagogisch-didaktischer Lernkonzepte dar oder benennen eigenständige Lerntheorien oder -ansätze. Von Interesse ist hier jedoch nicht, umfassend ihre jeweiligen Schnittmengen oder Abgrenzungen zur Projektarbeit zu diskutieren, sondern diese vornehmlich hinsichtlich des Merkmals der Offenheit und des autonomen Lernens zu reflektieren sowie mit den für das Konzept der sozialen Autonomie relevanten Eigenschaften der Partizipation und der Kooperation abzugleichen. Hinsichtlich des Aspekts der Partizipation, also der Selbst- und Mitbestimmung von und in Projekten, sind bei den o. g. Autoren unterschiedliche Verständnisse auszumachen. Durchgängig wird die Lehrerzentriertheit aufgehoben und den Lernenden die Selbst- und Mitbestimmung im Projekt zugestanden, jedoch variiert dabei der vorgesehene Grad des Partizipationsumfangs. Er reicht von totaler Selbstbestimmung der Lernenden, d. h., der eigenen Auswahl und dem lernerseitigen Aushandeln des Projektinhaltes, -ziels sowie des Projektverlaufs oder im Extremfall sogar des Projektabbruchs z. B. bei Frey (1982) über gemäßigtere Ansätze, z. B. bei Suin de Boutemard (1973) oder bei Bastian & Combe (1997), wo ein Arbeitsbündnis eingegangen wird und die Themenfindung und Organisation des Projektes auf einer gleichberechtigten, aber der Komplementarität der Ausgangspositionen Rechnung tragenden Aushandlung zwischen Lehrenden und Lernenden beruht. Diese Aushandlung richtet sich zunächst an einem bestimmten, curricular vorgegebenen Lernbereich („intentionaler Bezugsrahmen“) aus, mündet aber dann in eine inhaltlich-methodische Selbstbestimmung der Lernenden (Knoll 2011: 242-243). Die engste Auffassung zur Partizipation vertritt Hänsel (1984, 1997), wobei sie sich an Dewey orientiert und die volle Verantwortung für das Projekt und die vorausgehende Planung beim die Führungsrolle innehabenden Lehrenden verankert, wenngleich sich auch die Lernenden mit eigenen Ideen und Vorschlägen in das Projekt einbrin- <?page no="38"?> 38 gen können (Knoll 2011: 259). Diese Positionenbandbreite ergibt sich aus divergierenden Zielvorstellungen zum Projektunterricht, welche sich über den Anspruch erstrecken, damit die Gesellschaft zu verändern und bis hin zur Prämisse reichen, damit allein die Bildung des Individuums zu verfolgen (ebd.: 257-259). Die grundlegende Frage dieser Debatte im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung besteht jedoch darin, wie Mitbestimmung innerhalb von Projektarbeit zur Förderung der Lernerautonomie beiträgt. Genügt es dafür, Aushandlungen nur auf der Lehrenden-Lernenden-Ebene zu berücksichtigen oder sind nicht vielmehr auch solche Partizipationsprozesse aufzugreifen und aufzuwerten, die innerhalb von Projektgruppen stattfinden. Wöll (2004), dessen Auffassung von Partizipation dem gemäßigten Standpunkt zugeordnet werden kann, betont besonders die Bedeutung echter und v. a. auch gruppeninterner Mitbestimmung zum Erleben von Lernerautonomie und gesellschaftlicher Teilhabe: „[…] nur wenn Lehrende und Lernende Unterricht auch [Herv. im Original, D.F.] gemeinsam konstituieren und diskursiv rechtfertigen, können die Lernenden sich als nicht verfügbare, zur Mitsteuerung des Unterrichts und zur Selbststeuerung ihrer Lernprozesse fähige Subjekte erfahren und zugleich jenen komplexen Prozeß der gemeinsamen Regelung gemeinsamer Angelegenheiten kennen- und aushalten lernen, dessen Beherrschung sie zur Teilnahme an einer öffentlichen Kommunikation und Austragung von Konflikten befähigt, bei der es nicht um den Schein der Mitbestimmung geht.“ (Wöll 2004: 222) „Von der Prämisse, dass eine Ziel-Inhalts-Entscheidung in Zusammenhängen der kooperativen Planung erfahrungsorientierten Unterrichts der vorbehaltlosen Zustimmung der Beteiligten bedarf, müssen wir ausgehen, wenn den Lernenden die Möglichkeit der Mit- und Selbstbestimmung eröffnet werden und die Mitsteuerung des Unterrichts selbstbestimmtes Lernen ermöglichen soll. Denn nur auf der Grundlage eines solchen Konsenses kann jedes Mitglied einer Projektgruppe seine Interessen realisieren, so daß auch die jeweilige Bereitschaft vorausgesetzt werden kann, sich für die Realisierung von nur kooperativ erreichbaren Zielen zu engagieren.“ (Wöll 2004: 223) Offen halten die Projekttheoretiker jedoch, wie sich Mitbestimmung zur Selbstbestimmung verhält, also ob letztere per se anzustreben ist und Mitbestimmung dabei nur eine Etappe auf dem Weg zur Lernerautonomie ausmacht oder inwiefern Partizipation in Projektgruppen mit der individuellen Selbstbestimmung, was die Autonomieentfaltung betrifft, gleichwertig zu betrachten ist. Projektarbeit wird vornehmlich für das Erreichen individueller Selbststeuerung als zuträglich erachtet. Weniger finden bisher gruppenbezogene Steuerungsprozesse also Autonomieverständnisse, die eher die soziointeraktionalen Potenziale der Projektarbeit zur Entfaltung von überindividueller Selbststeuerung aufgreifen, Berücksichtigung. Größere Einigkeit innerhalb der Projekttheorie besteht hinsichtlich des Merkmals der Kooperation, welches im zweiten Zitat von Wöll (s. o.) bereits <?page no="39"?> 39 anklingt. Kooperationsfähigkeit, also eine „Kritik-, Argumentations- und Empathiefähigkeit“ (ebd.: 121) wird als die Gelingensbedingung von Projekten betrachtet und bildet gleichzeitig im Merkmal des gemeinsamen Handelns, der Zusammenarbeit bzw. Arbeitsteilung den arbeitsformellen Rahmen, in dem Projektprodukte überhaupt nur entstehen können. So bietet Projektunterricht immer auch Platz für soziales Lernen, indem Umgangs- und Argumentationsformen berücksichtigt bzw. eingeübt werden und Metakommunikation als regelmäßig wiederkehrende Fixpunkte im Projektverlauf verankert sind (Frey 2002, Gudjons 2008). Einhellig wird außerdem in den verschiedenen Konzeptionen von Projektunterricht die prinzipielle Offenheit dieser Lernform betont (Frey 2002: 16, Hänsel 1999: 76). Beim offenen Unterricht „geht es um die Verwirklichung von Selbstbestimmung, Selbständigkeit in der Umweltauseinandersetzung, Kritikfähigkeit, aber auch um Kreativität, undogmatisches Denken, Kommunikationsfähigkeit und Selbstvertrauen - kurz um die Fähigkeit, sein Lernen und Handeln selbständig zu steuern.“ (Gudjons 2008: 23). Auch wenn diese Auffassung vornehmlich auf ein pädagogisch-emanzipatorisches Autonomieverständnis (s. Kapitel 2.1.1) zurückzuführen ist, bedeutet Offenheit hier vor allem, diejenigen Freiheiten und Spielräume flexibel zu ermöglichen, die die Lernenden und ihre persönliche Wirklichkeit in das Zentrum der Arbeit rücken, die Selbst- und Mitbestimmung ermöglichen, die eine Brücke zu außerinstitutionellen Lernorten schlagen (= situiertes und informelles Lernen, Lave & Wenger 1991) sowie die die Rolle der Lehrperson in Richtung des Beratens, Betreuens und Unterstützens verändern. Dies meint außerdem auch, dass das Lernen im Projekt Offenheit hinsichtlich der Lernziele, Inhalte, Lernverfahren, Kontrolle und Evaluation, Sozialformen sowie Lernzeiten mit sich bringt (Gudjons 2008: 32-33). Die wegbereitende empirische Studie, die den Zusammenhang von Partizipation, Kooperation und Lernerautonomie innerhalb von Projektarbeit untersucht, ist die Arbeit von Traub (2012a). In der theoretischen Annäherung an ihre erste Forschungsfrage, ob Projektunterricht eine Lernumgebung darstelle, in der selbstgesteuertes Lernen ermöglicht wird, kommt sie nach eingehender Analyse ausgewählter Projektliteratur zu dem Schluss, dass diese Annahme aus konzeptueller Sicht zutreffe. Empirisch geht sie dieser These perspektiventriangulierend mittels einer Interviewstudie (30 Lehrende), einer Fragebogenstudie (ca. 2000 Lernende) sowie einer teilnehmenden Beobachtung (40 unterrichtsbeobachtende Lehramtsstudenten) nach und erhält das Ergebnis, dass ca. zwei Drittel der von den Befragten bis dahin erlebten Unterrichtsprojekte den in der Forschungsliteratur postulierten Kriterien von Projektunterricht nicht entsprachen und dass die beschriebenen Projekte aus Sicht der Befragten auch nicht die Merkmale des selbstgesteuerten Lernens widerspiegelten. Für Traub (2012a: 30-35) umfasst die Charakterisierung selbstgesteuerten Lernens die Prozessmerkmale der Selbstregulation (Motivation, Strategiennutzung, Bewusstheit und Reflexivität), das so- <?page no="40"?> 40 ziale Merkmal der Kooperation sowie das Leistungsmerkmal des Lernerfolges. Kooperatives Lernen stellt aus Traubs Sicht somit eine Teileigenschaft von autonomem Lernen dar, Aussagen zum direkten Wechselverhältnis beider Konzepte beschränken sich bei ihr auf die Anerkennung der institutionell notwendigen sozialen Verankerung von schulischem selbstgesteuerten Lernen (ebd.: 33- 34). Im zweiten Teil der Studie pilotiert und evaluiert Traub Teile der von ihr entwickelten PROGRESS-Methode („Projektgruppen entdecken selbstverantwortlich und selbstgesteuert“), welche ein Modell für selbstgesteuerte Kleingruppenprojekte darstellt (vgl. auch Traub 2012b) und „instruktionale Aktivitäten“ und „aktiv-konstruierende Lernprozesse“ (ebd.: 239) gestuft miteinander verbindet, um so selbstgesteuertes Lernen nicht nur anzuregen, sondern auch die dafür notwendigen Handlungsweisen (besonders Strategien) einzuüben. Traub (2012a) vergleicht die statistisch ermittelten Befragungs- und Beobachtungsergebnisse hinsichtlich ihres Selbststeuerungspotenzials mit dem herkömmlichen Unterricht, den die Befragten bis dahin genossen hatten, und kommt zu dem Resultat, dass im nach der PROGRESS-Methode durchgeführten Projektunterricht Merkmale des selbstgesteuerten Lernens von den Befragten erkannt wurden und auch beobachtbar waren. Der Verdienst der Studie Traubs besteht m. E. v. a. darin, dem oft vernachlässigten hohen Stellenwert von Lernerautonomie im Projektunterricht Rechnung zu tragen, indem das Konzept den Kern der Untersuchung darstellt. Noch nicht immer zufriedenstellend gelöst scheint die Veranschaulichung des Zusammenhangs von Kooperation und Selbststeuerung in diesem Kontext. Die bestehende vermeintliche Dichotomie zwischen „Individualität“ und „Kooperativität“ wird nicht aufgelöst, sodass der Eindruck entsteht, dass diese Elemente beliebig im Projekt gemischt werden können oder auch nebeneinanderher existieren, die angestrebte Selbststeuerung sich aber letztendlich immer nur auf das einzelne Individuum bezieht und über ein entsprechendes Strategientraining angeleitet werden kann. Autonom handelnde Einzelpersonen im Projekt können jedoch nicht aus ihrem sozialen Kontext herausgelöst betrachtet werden, sondern stellen immer auch einen Teil einer (Projekt)gruppe dar, sodass man Selbststeuerung oder Eigenständigkeit eher bezüglich der Gruppe als Gesamtgebilde betrachten muss; die Einzelautonomie also durch eine Gruppenautonomie abgelöst wird und sich das Individuum dabei durch die Mitbestimmung in der Gruppe autonom handelnd erfahren kann. Kooperation und Partizipation können daher bei der Betrachtung selbstgesteuerten Lernens im Projekt nicht als untergeordnete Teilaspekte verstanden werden, sondern stellen das zentrale Wesensmerkmal eines projektbezogenen Autonomieverständnisses dar. Die (Deutsch-als-)Fremdsprachendidaktik hat, ebenso wie andere Fachdidaktiken, die Lernform des Projektunterrichtes aufgegriffen und sich für das Ziel des Fremdsprachenlernens zu eigen gemacht (Hoffmann 2008, Legutke & Thomas 1993, Legutke 2003a, b; Lehker 2003, Minuth 2013, Schart 2003 a, b, 2010, <?page no="41"?> 41 Wicke 2004, 2012). In diesem Zusammenhang erfuhr Projektarbeit eine konzeptuelle, fremdsprachenlernbezogene Ausdifferenzierung, wobei die Interaktion in der projektbezogenen Kooperation dabei vermehrt in das Zentrum der Fremdsprachenforschung rückt (z. B. Hoffmann 2008, Šimunek 2007). An der Projektarbeit wird die authentische, bedeutungsvolle Kommunikation, die für das erfolgreiche fremdsprachliche Handeln im Projekt erforderlich ist, als besonders zielführend erkannt. Verschiedene Versuche der Begriffsbestimmung stellen unterschiedlichste Aspekte der Schnittmenge von Projekttheorie und Fremdsprachenlernen in den Mittelpunkt. So fokussiert Peuschel (2012) besonders auf die Produkt- und Handlungsorientierung, die Situierung und die gesellschaftliche Partizipation in fremdsprachlicher Projektarbeit: „Ein Fremdsprachenlernprojekt ist eine in Phasen strukturierte, zeitlich begrenzte Lernform, die auf die Erstellung fremdsprachlicher Produkt(ion)e(n) orientiert ist. Sie verbindet die Eigentätigkeit der Lernenden, die Wissenskonstruktion und das Handeln im fremdsprachigen Feld zwischen institutionalisiertem Lernen sowie Lern- und Kommunikationsgelegenheiten außerhalb von Institutionen. Ziel eines FSLP ist es, fremdsprachliches Handeln herauszufordern, Handlungsmöglichkeiten anzubieten und diese mit Hinblick auf die fremdsprachigen Projektprodukt(ion)e(n) zu füllen. Dabei wird mit der Organisation und Durchführung des Projektes die aktive Teilhabe an der Zielsprachengesellschaft ermöglicht.“ (Peuschel 2012: 21) Schart (2003: 68) wiederum betont die Selbstständigkeit der Lernenden im Projekt, ohne dass er dabei seine Definition konkret auf den Kontext des Fremdsprachenlernens zuspitzt: „Als Projekte gelten zeitlich begrenzte und auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Unternehmungen im Rahmen von institutionalisierten Lehr- und Lernprozessen, bei denen die selbständige Aktivität der Lernenden eine herausgehobene Rolle spielt.“ In beiden Begriffsbestimmungen ist der in der pädagogischen Projekttheorie besonders herausgestellte Wirklichkeitsbezug bzw. die Problemlösungsorientierung oder die Ausrichtung an den Interessen der Lernenden in den Hintergrund getreten. Eine untergeordnete Rolle scheint auch der kooperativpartizipatorische Aspekt im Projektlernen zu spielen, welchen es nicht nur aus zielsprachengesellschaftlicher Perspektive zu betrachten gilt, sondern Mitbestimmung und Teilhabe schon im fremdsprachlichen Klassenraum innerhalb innerinstitutioneller Kommunikationsprozesse elementar für die Autonomieentfaltung ist. Schon 1993 hoben Legutke & Thomas in ihrem Projektarbeitskonzeption Folgendes hervor: „[Projektarbeit, D.F.] is a theme and task-centered mode of teaching and learning which results from a joint process of negotiation between all participants. It allows for a wide scope of self-determined action for both the individual and the small group of learners within a general framework of a plan which defines goals and procedures.“ (Legutke & Thomas 1993: 160) So betont auch Hoffmann (2008: 91) in ihrem Projektbegriffsverständnis den <?page no="42"?> 42 „(relativ) freiwillige[n] Zusammenschluss von Lernwilligen […], die miteinander in einem Arbeitsbündnis (Bastian & Combe 2004) kooperieren, in dem sich jeder gleichberechtigt einbringt, ohne dass einer Person aufgrund institutioneller Zuschreibungen eine Vormachtstellung in Bezug auf Entscheidungen zukommt.“ Gerade die bei der Entscheidungsaushandlung notwendige Lösung sprachproduktions- und rezeptionsbedingter Probleme, die neben fachlich-inhaltlichen Fragen des Projektgegenstandes den lerntheoretischen Kern der fremdsprachlichen Projektarbeit ausmachen, findet nur mittels der Interaktion und Kooperation der Projektbeteiligten statt. Bemerkenswert scheint dabei, dass genau diese Charakteristika im aktuell diskutierten fremdsprachendidaktisch-methodischen Ansatz der Aufgabenorientierung besonders ins Zentrum gerückt werden (z. B. Biebighäuser et al. 2012, Funk et al. 2014, Müller-Hartmann & Schocker-v. Ditfurth 2011, Wicke 2012). Dadurch verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Fremdsprachenlernprojekt und Fremdsprachenlernaufgabe. Im Extremfall werden die Begriffe „komplexe Lernaufgabe“ und „(Mikro-)Projekt“ sogar synonymisch behandelt, indem Projekte weiter in Mikro- und Makroprojekte ausdifferenziert werden und sich dabei vornehmlich in ihrer zeitlichen Ausdehnung unterscheiden (Funk et al. 2014: 126-132). Dies ist insofern kritisch zu reflektieren, als dass die Problemorientierung als Schlüsselkonzept der pädagogischen Projekttheorie auf die sprachlich-bedeutungsbezogene Ebene reduziert wird und Lernaufgaben i. S. von Mikroprojekten lediglich Sprachproblemlöseformate darstellen, aber der übergreifende Bildungsanspruch jeglichen (institutionellen) Lernens vollkommen in den Hintergrund rückt. In diesem Sinne ist nicht jede Lernaufgabe, bei der ein (sprachliches) Problem kommunikativ gelöst werden soll, eine Exkursion unternommen wird (z. B. Erkundung der Öffnungszeiten, eine Klassenexkursion planen, ebd: 11-12), handwerklichgestalterische Tätigkeiten durchgeführt werden (z. B. Modeprojekt T-Shirts bedrucken (ebd.: 133-134) oder das Suchen von Wörtern in der Umgebung (Schritte plus Alpha 1, 2011: 52) auch zwangsläufig ein Projekt, wie es die pädagogische Projekttheorie postuliert. So unterschiedlich, wie die Definitionen von Projekten im Fremdsprachenlernkontext gewichtet werden, so vielfältig fallen auch die Fragestellungen aus, die in der neueren empirischen DaZ-/ DaF-Projektforschung bearbeitet wurden. Schart (2003) stellt die subjektiven Theorien zu Projektunterricht bei Lehrpersonen in den Mittelpunkt seiner Untersuchung und kommt zu der Erkenntnis, dass diese Überzeugungen vom jeweiligen beruflichen Selbstverständnis der DaF- Lehrenden abhängen und durch Argumentationsmuster deutlich werden, die den formalen, inhaltlichen, personalen und sozialen Aspekt des Fremdsprachenlernens herausstellen. Hoffmann (2008) erfasst in ihrer Longitudinalstudie die Lernprozesse innerhalb einer universitären Projektarbeit. Anhand von sechs Fallstudien, wofür sie Projektsitzungsvideographien, Lernertagebucheinträge und Interviewdaten miteinander trianguliert, gelingt es Hoffmann, auf der Lerntheo- <?page no="43"?> 43 rie Holzkamps basierend, expansives und defensives Lernverhalten bzw. Lernverläufe hinsichtlich individueller Voraussetzungen, verwendeter Strategien und der Kooperation in der Gruppe nachzuzeichnen. Die jüngste Untersuchung zu Fremdsprachenlernprojekten hat Peuschel (2012) vorgelegt. Darin hinterfragt sie, wie sich in Radio-DaF-Projekten die sprachliche Tätigkeit von Lernenden gestaltet und wie dadurch (imaginierte) gesellschaftliche Teilhabe (Partizipation) ermöglicht wird. In Form von dichten Beschreibungen rekonstruiert Peuschel anhand der zwei Handlungsketten „für das Hören schreiben“ und „eine Aufnahme machen“ „sprachbezogenes sprachliches Handeln“ (ebd.: 207) bezüglich von Projektprodukt(ion)en. Des Weiteren ermittelt sie daraus Teilhabeoptionen an vier unterschiedlichen fremdsprachlichen Praxisgemeinschaften: die Partizipation in der Projektgruppe, mit einzelnen Sprechenden der Zielsprache im Projektverlauf, als auch die zunächst imaginierte sowie später massenmedial vermittelte Partizipation mit der Zielsprachengesellschaft. Teilhabe wird hier aus einer gesellschaftlichen Perspektive betrachtet und in die Bestandteile von Lernendengruppen, individuellen Zielsprachensprechenden sowie der Zielsprachengesellschaft als Ganze zerlegt. Zu hinterfragen wäre, ob es erkenntniserweiternd ist, Teilhabe nach ihrer Sprachlichkeit oder gesellschaftlichen Zugehörigkeit (Zielsprachengesellschaft vs. Zielsprachensprechende/ -praxisgemeinschaft) zu differenzieren oder ob Fremdsprachenlernende nicht vielmehr bereits ab dem Moment der Aufnahme des Lernprozesses einen Teil der Praxisgemeinschaft der Zielsprachensprechenden darstellen. Wenn auch nicht als zentrale Untersuchungsgegenstände so berühren doch alle der drei genannten Studien die hier im Interesse stehenden Projektmerkmale Autonomie, Kooperation und Partizipation. Schart (2003) beschäftigt sich mit dem autonomen Lernen in Projekten besonders auf theoretischer Ebene und diskutiert Autonomie im Zusammenhang mit der Frage der Macht und Mitbestimmung im Klassenraum. Hierbei präsentiert er ein erweitertes Autonomieverständnis, bei dem Lerner auch dann als autonom gelten, wenn sie „ausgewählte Teilschritte in einem ansonsten fremdbestimmten Unterrichtsgeschehen selbst organisieren und koordinieren“ (ebd.: 86). Neben der Selbstbestimmtheit hinsichtlich der normativen Ebene von Unterricht sieht Schart somit vor allem in der Selbstorganisation auf der operativen Ebene (Aufgabengliederung, -verteilung, Zeitplanung, Koordination, Konfliktmanagement) das Potenzial von Projektarbeit, um autonomes Lernen zu ermöglichen. Diese Überlegungen bilden die Basis der vorliegenden Studie dafür, Gruppenautonomie innerhalb von operativen Entscheidungsfindungsprozessen zu untersuchen (mehr dazu in Kapitel 2.3.3). Hoffmann hebt als ein Resultat ihrer Studie die positive Wirkung der Kooperation und Interaktion im Projekt für die individuellen Lernprozesse hervor: „Dieses gute Abschneiden kollektiver Arbeit lag darin begründet, dass die Gruppe bei jedem bestimmte Funktionen hinsichtlich der eigenen Lernziele erfüllte und Bedürfnisse abdeckte, wie sie sich zum aktuellen Zeitpunkt den Beteiligten darstell- <?page no="44"?> 44 ten: Als wesentliches Element bei Bedeutungsfindung, Konfrontation von Meinungen, Denkanstoß, Feedback, Aufbau von Selbstbewusstsein oder Bestätigung des eigenen Selbstbildes entsprach sie individuell unterschiedlichen Ansprüchen.“ (Hoffmann 2008: 256-257) Eine solchermaßen für individuelle Lernziele genutzte Kooperativität verstärke die erlebte Selbständigkeit der Lernenden im Projektarbeitsprozess (ebd.: 257- 258), Kooperation stellt also bei Hoffmann in erste Linie einen Kanal für und Ausdrucksform von personaler Autonomie dar. Peuschel (2012) arbeitet in ihrer Studie vier Partizipationsebenen für fremdsprachliche Radioprojekte heraus und bezieht dabei auch die imaginierte Teilhabe, also die Vorstellung eines potenziellen Kommunikationspartners bzw. Rezipienten des hergestellten Medienproduktes als Form der Teilhabe an der Zielsprachengesellschaft, ein. In diesem Zusammenhang findet das Konzept der agency (Lantolf & Pavlenko 2001: 145) Anwendung, welches, ähnlich wie das Konzept der Lernerautonomie, die Entscheidungsmacht der Lernenden über ihre Lernprozesse betont („human capacity to act on informed choices“, Benson & Cooker 2013: 7). Demnach besitzen Fremdsprachenlernende, wie alle Menschen, multiple Identitäten, die bewirken, nur bis zu einem für sie sinnvollen Grad in Fremdsprachenbeherrschung zu „investieren“ (ebd.). Der Gestaltungs- und auch daran geknüpfte Sprachlernaufwand eines jeden Teilnehmenden im Projekt wird somit als legitimes individuelles Entscheidungsspektrum bewertbar: „Mit Hilfe der Konzepte agency und participation [Herv. im Original, D.F.] werden die Entscheidungen der Lernenden und das Hinausgreifen in die Gesellschaft im Projekt gefasst, die dafür verantwortlich sind, ob Partizipationsmöglichkeiten genutzt werden oder nicht. Werden sie genutzt, kann gedanklich die Verbindung von Individuum und Gesellschaft hergestellt werden.“ (Peuschel 2012: 51) Schließlich ist auch in den Arbeiten von Legutke (1993, 2003a, b, 2006) eine deutliche Betonung der Offenheit als Charakteristikum der Projektmethode im Fremdsprachenunterricht festzustellen. In seinen konzeptuellen Überlegungen zur Projektarbeit werden sowohl Kooperation, Partizipation als auch Autonomie in ihren Wirkungszusammenhängen aufgearbeitet: „The successful completion of project tasks depends on the cooperative abilities of small groups of learners who organize their own work, monitor their learning outcomes, take responsibility and work out difficulties in group dynamics. The group members are accountable both to their team and the learning group as a whole.“ (Legutke & Thomas 1993: 159). Zusammenfassend sind nach Legutke & Thomas (ebd.: 219-236) folgende Wechselbeziehungen in der fremdsprachigen Projektarbeit empirisch belegt: <?page no="45"?> 45 Kooperation im Projekt − Gruppenmitglieder erarbeiten kollaborativ Ergebnisse, von denen alle kooperierenden Projektbeteiligten profitieren können (ebd.: 220) − Gruppenmitglieder kooperieren und handeln dabei gemeinsam Lösungen für Probleme aus (positive Interdependenz nach Johnson und Johnson 1987) − Lernende übernehmen bestimmte Rollen im Projekt, z. B. Manager, Protokollant, Künstler u. ä. (ebd.: 226, nach Projekt Airport: Legutke & Thiel 1983) − kooperative Teams bestehen idealerweise aus wenigstens zwei Freunden und einer ausgewogenen Menge an kompetenteren und weniger kompetenten Lernenden (ebd.: 225; nach Nuhn 1982 sowie Neumann-Zöckler 1980) Selbst- und Fremdbestimmung / Autonomie im Projekt − kooperative Projektgruppen haben ausreichend Freiraum, um innerhalb eines vom Lehrer etablierten Projektrahmens eigenständige Entscheidungen treffen zu können (ebd.: 221, nach Neumann-Zöckler 1980) − „The experience of self-directed learning during which the individual within the group gains conscious control of the task at hand by appropriating and redesigning the task-as-workplan […] quite obviously has an impact on the student’s sense of achievement and satisfaction.“ (ebd.: 231, nach Seletzky 1989) Individuum und Gruppe im Projekt − „Individual/ social skills and task challenges need to be in balance; the group needs to have developed a positive interdependence and a sense of working together for clearly defined and mutually accepted goals; every team member must be individually accountable and understand that s/ he is in charge of his/ her own and the team-mates’ achievements; and finally the team needs to reflect periodically and assess individual and team progress, feelings and difficulties.“ (ebd.: 231, nach Kohonen 1989) − „The cooperative group, therefore, can be characterized as the nourishing ground of self-empowerment of the individual.“ (ebd.: 235) Gruppenautonomie und Kooperation in Projekten sind demnach gekennzeichnet durch eine prozessals auch produktbezogene Rollenverteilung, eine kriteriengeleitete Teamzusammensetzung, Kooperationskompetenz der Projektbetei- <?page no="46"?> 46 ligten, individueller als auch gruppenbezogener Verantwortungsübernahme, die in positiver Interdependenz mündet sowie der gruppenbezogenen Kontrolle und Eigenständigkeit im Arbeits- und Lernprozess. Neben interkulturellen Begegnungs- und Austauschprojekten, Literaturprojekten, Erkundungs- oder Korrespondenzprojekten (Legutke & Thomas 1993, Funk et al. 2014) erfreuen sich DaF/ Z- Medienprojekte, also Projekte bei denen digitale Medien wie PC, Videokamera, Handy, Tablet u. ä. zum Einsatz kommen, kontinuierlicher Beliebtheit (z. B. Aca 2004, Belz & Müller-Hartmann 2002, Bufe et al. 1984, 1993, Dannerer & Keim 2007, Diekmann 2005, Donath 1998, Herresthal 2008, Leuschner & Strobl 2010, Ludewig 2003, Massler 2004, Niedenthal 1998, Schlak 2003, Schlickau 2000, Schomer 2005, Schröder 2007, Ware & Kramsch 2005). Dabei gilt die Arbeit mit mobilen Endgeräten als innovativster Ansatz, der die Theorie der Projektarbeit mit der Lerntheorie des mobilen Lernens verknüpft. Dieses Konzept sowie grundlegende Forschungsergebnisse zum mobilen Fremdsprachenlernen sollen im folgenden Kapitel überblicksartig zusammengefasst werden. 2.2.2 Mobile-Learning-Projekte im Fremdsprachenunterricht Die Verwendung mobiler Technologien in formellen Lernsettings entspricht in vielerlei Hinsicht den Ansprüchen, die die Begründer des Projektunterrichts an Lernen und Bildung stellten. So wird die Grenze zwischen Unterrichtsraum und Lebenswelt - dem Alltag und den Mediennutzungsgewohnheiten der Lernenden - überwunden: Lernen ist situiert, handlungs- und problemorientiert, informell und offen. Lernereigene mobile Endgeräte dienen als Schlüssel zur lange eingeforderten Verknüpfung der Lernendeninteressen bzw. -bedürfnisse mit vorgegebenen oder ausgehandelten Lernzielen. Die neugewonnene Mobilität, die Lernen prinzipiell an jedem vorstellbaren Lernort möglich macht und damit grundlegende Einsichten in förderliche Lernumgebungen und -prozesse verändert hat, erfordert auch eine begriffliche Neuausrichtung in Abgrenzung bzw. Weiterentwicklung zum e-learning, welches in der Digitalisierung des Lernens und der Massenkommunikation seinen Ausgangspunkt nahm. Mobile learning soll hier in Rückgriff auf das eher weite Verständnis der von Medienpädagogen und Erziehungswissenschaftlern gegründeten Londoner Forschergruppe des m-learnings (london mobile learning group, u. a. Friedrich et al. 2011, Bachmair 2010, Pachler et al. 2011 , Pachler et al. 2010, Pachler 2010, Pachler 2007, Vavoula et al. 2009) verstanden werden als: „the process of coming to know through conversations across multiple contexts among people and personal interactive technologies“, wobei diese Definition auf Sharples et al. (2007: 225) zurückgeht und sich somit von Begriffsbestimmungen abgrenzt, die eher den technologischen Aspekt der Mobilität der Geräte oder der Lernenden betonen (z. B. Mitchian 2010). Dieses Verständnisspektrum zeichnet auch Seipold (2012) in ihrer Studie zum Wissenschaftsprozess in der deutschsprachigen und britischen mobile learning - Diskussi- <?page no="47"?> 47 on nach und stellt fest, dass in der jüngeren Theorieentwicklung mobiles Lernen mehr mit allgemeinen Lerntheorien des situierten, kollaborativen, (bedeutungs-) aushandlungsbasierten, offenen Lernens oder der Tätigkeitstheorie in Verbindung gebracht wird (ebd.). Vor diesem Hintergrund entwickelten Pachler, Bachmair & Cook (2010) die Theorie der „soziokulturellen Ökologie mobilen Lernens“, in der das Lernen mit mobilen Endgeräten durch eine Dreiecksbeziehung von soziokulturellen und technologischen Strukturen (structures), kulturellen Praktiken (cultural practices) und der Handlungskompetenz (agency) der Lernenden gekennzeichnet ist (ebd.: 25). Aspekte des alltäglichen Medienhandelns sollen in das institutionelle Lernen integriert werden, indem das Leistungsvermögen der Lernenden, mit dem sie in der (Außen-)Welt wirksam sind (Expertisen, Lern- und Mediennutzungshabitus), aufgegriffen und mit kulturellen Routinen der informellen Mediennutzung und Massenkommunikation sowie des institutionellen und alltagsbezogenen Lernens verknüpft werden. Lernen versteht sich dabei als Aneignung (appropriation) und findet situativ und kulturell situiert in bestimmten Kontexten verankert statt (Seipold 2012: 173 ff.). Nach diesem Verständnis sind die lerntheoretischen Parallelen von mobilem Lernen und dem (projektbasierten) Sprachenlernen offensichtlich. In der Öffnung des Unterrichts, der Verbindung von formellen und informellen Lernsettings, dem Anknüpfen an Lernerkompetenzen und -interessen, der Situierung von Lern- und Problemlösehandeln sowie der Verschränkung von individuellen und kooperativen Lernarrangements liegen dabei die wesentlichen konzeptuellen Gemeinsamkeiten begründet. Die zentrale didaktisch-methodische Umsetzungsform in dieser Theorie des mobilen Lernens stellt die Projektarbeit dar, zusätzlich kommt aber auch der Szenarienansatz zur Anwendung: „In contrast to large scale projects scenarios can be understood as modular units which are replicable, scalable and transferable and apply to the use in specific learning.“ (LMLG o. J.). Schließlich wird auch in der kulturökologischen Theorie mobilen Lernens Lernerautonomie ein entscheidender Stellenwert zugewiesen. So sind z. B. Lernende neben den Lehrenden mitverantwortliche Entscheider über die Auswahl und Relevanz von massenmedial vermittelten Lerninhalten (Seipold 2012: 338) oder gestalten Lernprojekte individuell und kooperativ mittels persönlicher mitgebrachter mobiler Geräte (BringYourOwnDevice-Ansätze). Im Begriff des Mobile Assisted Language Learning (MALL) findet das Konzept seine theoretische Zuspitzung auf den Fremdsprachenunterricht. In Abgrenzung zum herkömmlichen CALL (Computer Assisted Language Learning) betont MALL die soziale Situiertheit des mobilen Fremdsprachenlernens in vielfältigen Lernumgebungen: „MALL is not taken merely as an aid for the acquisition of language but rather, as a continuous engagement with linguistic activitiy in a variety of contexts.“ (Ros i Solé 2009: 139). Dabei wird mobiles Lernen nicht nur als Instrument zur Effektivitätssteigerung des Fremdsprachenunterrichts verstanden, sondern zunehmend dessen Relevanz als soziale mediale Praxis der Lernenden ins Forschungsinteresse gerückt (Feick 2014, Feick & Nestler 2014, <?page no="48"?> 48 Jarvis & Achilleos 2013, Kukulska-Hulme 2006). Wie die kommentierte MALL- Forschungsbibliographie 1994-2012 (Burston 2013) belegt, widmet sich die Mehrzahl der aufgeführten englischsprachigen Studien dem Überprüfen der Effizienz von Sprachlernsoftware (v. a. für das Wortschatzlernen oder den Wörterbucheinsatz) für mobile Endgeräte. Darüber hinausgehende Untersuchungen fokussieren insbesondere − die Erforschung des Nutzungsverhaltens und der Einstellungen zu MALL (Huang & Lin 2011, Jarvis & Achilleos 2013; Nah, White & Sussex 2008); − die Entwicklung und Evaluation spielbasierter Ansätze (Christ et al. 2013, Fotouhi-Ghazvini et al. 2008, Harriehausen-Mühlbauer et al. 2006, Kam 2013) oder aufgabenbzw. projektbasierter Lernarrangements (Brown 2012, Gabarre & Gabarre 2010, Kiernan & Aizawa 2004, Meurant 2007, Ruge 2012); − interaktives Feedback (Thornton & Houser 2005); − digitale Sprachlerntagebücher (Kukulska-Hulme & Bull 2008), Geotagging (Bo-Kristensen et al. 2009); − den Mehrwert in Anbindung an bestimmte Lernformen/ -konzepte, wie situiertes Lernen (Comas-Quinn et al. 2009, Hwang & Chen 2013, Summerfield 2011, Ros i Solé et al. 2010), communitybasiertes MALL (Petersen et al. 2008, Pemberton et al. 2010), Lernerautonomie (Palfreyman 2012), Immersion (Martín & Beckmann 2011) oder arbeitsplatzbasiertes MALL (Gjedde & Bo-Kristensen 2012); − das Förderpotenzial für einzelne Fertigkeiten: Hören durch Audiound/ oder Videopodcasts oder Audioblogs (Hsu, Wang & Comac, 2008, Monk, Ozawa, & Thomas 2006, Palalas 2012, Reinders & Cho 2010, Pérez et al. 2011), Sprechen (Gromik 2012, Kessler 2010, Tuttle 2013), mündliche Produktion in Radio- und Podcastprogrammen (Beckmann & Martín 2013), kollaboratives Lesen (Chang & Hsu 2011, Lan et al. 2007, Murphy, Bollen & Langdon 2012) oder Schreiben (Borau et al. 2009, Kim & Lim 2010, Osman & Chung 2011, Pearson & Anspear 2011). Mehrheitlich aber nicht ausschließlich liefern die Erhebungen positive Effekte, Einstellungen oder Lernentwicklungen für das MALL im englischsprachigen Kontext. Studien im DaF- oder DaZ-Kontext sind als Forschungsdesiderat festzuhalten, wobei mit der vorliegenden Untersuchung ein erster Versuch unternommen wird, diesem Bedarf nachzukommen, indem ein MALL- Projektsetting zur Erforschung gruppenbezogener Lernerautonomie herangezogen wird. <?page no="49"?> 49 2.3 Autonomes Lernen und Mitbestimmung 2.3.1 Projektgruppen als Praxisgemeinschaften Ein weiterer Faktor, der neben der Offenheit, Kooperation und Kollaboration die Autonomie der Gruppe charakterisiert, stellt die Mitbestimmung dar. Diese wird im Rahmen der Teilhabe an Praxisgemeinschaften 14 (communities of practice) ermöglicht, wie sie (Lave & Wenger 1991, Wenger 1998) in der von ihnen postulierten Theorie des „situierten Lernens“ beschreiben. Ähnlich wie beim projektbasierten Lernen gehen die Lerntheorieforscher davon aus, dass Lernen ein Bestandteil von jeglicher sozialer Praxis 15 darstellt und durch soziale Partizipation geschieht: „Legitimate peripheral participation is proposed as a descriptor of engagement in social practice that entails learning as an integral constituent.“ (Lave & Wenger 1991: 35). Hierbei wird der Weg des Lernens für einen Anfänger durch eine zunächst von der Praxisgemeinschaft legitimierte, periphäre Teilhabe an den Tätigkeiten der Gemeinschaft zu einer mit steigender Kompetenz zunehmend umfassenderen (vollen) Teilhabe - dann in der Rolle eines Experten - beschritten. Praxisgemeinschaften umfassen dabei alle „groups of people who share a concern, a set of problems, or a passion about a topic, and who deepen their knowledge and expertise in this area by interacting on an ongoing basis“ (Wenger et al. 2002: 4). Sie zeichnen sich durch drei Merkmale aus: − eine geteilte Domäne und die damit verbundene Identität (mutual engagement), − eine miteinander interagierende Gemeinschaft (joint enterprise) und − die durch eine gemeinsame Praxis gekennzeichneten Praktiker bzw. Praktiken (shared repertoire) (Wenger et al. 2002, Wenger 1998, 2006). Anders als in herkömmlichen Gruppen, Teams oder Netzwerken ergibt sich die Bindung an die Gemeinschaft und die daraus resultierende Identität ihrer Mitglieder aus einem gemeinsamen Interessensgebiet, für das die Mitglieder im Unterschied zu Außenstehenden eine bestimmte Kompetenz teilen. Bezüglich des mit dem zweiten Merkmal verbundenen Gemeinschaftscharakters betont Wenger (ebd.) das Vorhandensein von gemeinsamen Aktivitäten, Diskussionen und kollektiven Bedeutungsaushandlungsprozessen innerhalb von Praxisgemein- 14 Schmelter (2004) verwendet synonymisch den Begriff der Handlungsgemeinschaft, wobei hier vom Konzept der sozialen Praxis ausgehend durchgängig der Begriff der Praxisgemeinschaften verwendet werden soll. Szableski-Çavus (o. J.) hat das Konzept aus dem Englischen mit „Gemeinschaft in Praxis“ übersetzt. 15 Unter „Praxis“ verstehen Wenger et al. (2002: 38) „a set of socially defined ways of doing things in a specific domain: a set of common approaches and shared standards that create a basis for action, communication, problem solving, performance and accountability.“ <?page no="50"?> 50 schaften, die dadurch die gegenseitige Hilfestellung und den Informationsaustausch zum Interessensgebiet vorantreiben. Unter dem dritten Punkt ist zu verstehen, dass alle Gruppenmitglieder ein gemeinsames Repertoire an Ressourcen teilen, wie z. B. Erfahrungen, Geschichten, Artefakte (Werkzeuge oder Sprache), Handlungen, Diskurse, historische Ereignisse oder Konzepte, welches sie dadurch als kompetente Praktiker eben dieser Gemeinschaft auszeichnet (ebd.). Diese Eigenschaften öffnen die Anwendbarkeit des Konzepts von Praxisgemeinschaften auf alle Sektoren des (öffentlichen) Lebens, in denen Lernen stattfinden kann, also auch und besonders außerhalb der traditionell für das institutionalisierte Lernen geschaffenen Bildungseinrichtungen. Um zu verstehen, inwiefern die Theorie auch für die Fremdsprachenforschung fruchtbringende Einsichten ermöglicht, muss zunächst die Rolle, die Sprache innerhalb des Konzeptes einnimmt, näher betrachtet werden. Für Lave & Wenger (1991: 85), die diesen Aspekt eher marginal streifen, 16 stellt Sprache einen Teil von sozialer Praxis dar und wird als „central medium of transformation“ (ebd.) verstanden. Die periphäre Teilhabe an einer Praxisgemeinschaft legitimiert sich demnach auch über kommunikative Kompetenzen. Am Diskurs in der etablierten Sprache und im passenden Sprachregister einer Praxisgemeinschaft teilnehmen zu können wird zum Zeichen der Mitgliedschaft in dieser (ebd.: 105- 109). Der damit in Verbindung gebrachte Vorgang der Bedeutungsaushandlung bezieht sich dabei jedoch nicht allein auf sprachlich-interaktionale Prozesse: „[…] we produce meanings that extend, redirect, dismiss, reinterpret, modify or confirm in a word, negotiate anew the histories of meanings of which they are part. In this sense, living is a constant process of negotiation of meaning.“ (Wenger 1998: 52 f.). So gesehen geht Bedeutungsaushandlung hier über das linguistische Konzept gleicher Bezeichnung, welches im Rahmen der Interaktionshypothese (Long 1996) Verwendung findet, deutlich hinaus. Eine Weiterentwicklung des sprachlichen Aspekts durch Tusting (2005) scheint richtungsweisend, da diese mittels kritischer soziolinguistischer Analysen die Machtverhältnisse, die durch sprachliche Bedeutungsaushandlung in einer Praxisgemeinschaft markiert werden können, sichtbar macht. Die Ideen von Lave & Wenger greifen soziokulturell orientierte Fremdsprachenforscher auf, indem sie den Zweit- oder Fremdspracherwerb als Prozess der Identitätsbildung bei zunehmender Teilhabe an einer Praxisgemeinschaft in ihrer spezifischen Form der Sprachbzw. Sprechergemeinschaft begreifen (z. B. Toohey & Norton 2003). Nur in dem Maße, in dem Sprachkompetenz ausgebildet ist, können Fremdsprachenlernende an der jeweiligen Zielsprachgemeinschaft teilhaben. Sprache fungiert somit als Schwelle oder aber auch als Barriere für den 16 Der Weiterentwicklung dieser „Theorielücken“ widmen sich Barton & Tusting in ihrem Sammelband von 2005. <?page no="51"?> 51 Zugang zu einer bestimmten Praxisgemeinschaft (vgl. Swain et al. 2010: 27 f.). Obwohl Lave & Wenger (1991) betonen, dass Lernen mehrheitlich in sozialen Praktiken außerhalb des institutionalisierten, auf Instruktion fußenden schulischen Kontextes geschieht, sprechen sich Fremdsprachenforscher (u. a. Canagarajah 2003, Candlin 2001, Haneda 2006, Kohonen 2010, Schmelter 2004: 221) dafür aus, unter bestimmten Voraussetzungen Lernendenpaare oder -gruppen bzw. vollständige Klassen oder Kurse innerhalb des Fremdsprachenunterrichts als Praxisgemeinschaften zu verstehen. 17 In dem Moment, in dem das Lernziel den Erwerb von Sprachkompetenz darstellt, wird die Tätigkeit des Sprachenlernens dieser Ansicht nach zur sozialen Praxis in einem spezifischen Lernkontext. Die Lehrperson sowie Lernende mit bereits fortgeschrittener Sprachkompetenz fungieren dabei als Experten und die übrigen Gruppenmitglieder steigern mit zunehmender Übernahme von sprachlichen Praktiken, also zunehmendem Sprachkönnen, ihre Partizipation am fremdsprachlichen Klassenraumdiskurs. Zwei Studien aus Kanada, die hier exemplarisch aufgeführt werden sollen, untermauern diese Annahme. Haneda (1997) erforschte, wie Teilnehmende ihres universitären Japanisch-als-Fremdsprache-Kurses, der sich eines sehr offenen, projektähnlichen Lernarrangements mit eingebundener Portfolioarbeit bediente, im Sinne einer Praxisgemeinschaft verschiedene Teilhabemodi und die daran geknüpften Lernendenrollen in Lehrer-Lerner-Konsultationen oder Gruppenbesprechungen nutzen, um ihre Sprach(lern-)kompetenz weiterzuentwickeln. Hierfür bringt sie das Konzept der Praxisgemeinschaften mit der Wygotskianischen Zone der nächsten Entwicklung für den fremdsprachlichen Klassenraum in Verbindung und wertet somit die Rolle des Lehrenden auf, der in diesem Setting zum einen als Organisator des Lernkontextes fungiert und zum anderen als nicht-hierarchischer Projektberater agiert. Toohey, die die Community of Practice-Theorie erstmals 1996 auf das zweitsprachliche Klassenraumsetting übertrug, untersucht in ihrer 2000 veröffentlichten Fallstudie, wie in der Praxisgemeinschaft „Schulklasse“ Praktiken der Identitätskonstruktion, Ressourcenverteilung und Gesprächsorganisation die Möglichkeiten des Zweitsprachenlernens für Kinder mit Englisch als L2 beeinflussen. Sie zeigt auf, wie bestimmte etablierte Unterrichtspraktiken einen in Sprache manifestierten Zugang zur Gemeinschaft bzw. Partizipation eher verhindern als fördern können. Eine kritische Rezeption und Anregungen zur Weiterentwicklung der Theorie finden sich bei den literacy-Forschern Barton & Tusting (2005). Sie betonen, dass bei der Etablierung von Teilhabe Sprache und ihr Gebrauch eine zentrale Rolle einnehmen, besonders, wenn sie als Indikator für Machtrepräsentationen, 17 Nach Wenger (1998: 127) stellen Sprecher einer Sprache oder eine Schule an sich keine Praxisgemeinschaft dar, sondern bilden aufgrund gemeinsamer historischer, sozialer, relationaler, institutioneller, lokaler, politischer, diskursiver miteinander verwobener Praktiken eine übergeordnete Einheit, sogenannte constellations. <?page no="52"?> 52 Mitspracherecht, Exklusion, Nicht-Partizipation u. ä. innerhalb von Praxisgemeinschaften eingesetzt werden. Ähnliche Impulse gehen auch von Haneda (2006) aus, die spezifisch für die Fremdsprachenforschung eine Ausdifferenzierung des Partizipationskonzeptes hinsichtlich von Lerntypen in Verbindung mit verschiedenen Praktiken des schulischen Lernens und der Betrachtung diverser Status, die ein Teilhabender einnehmen kann oder will, fordert. Auch weitere Studien im Literacy-Kontext (Barton & Tusting 2005) zeigen, wie bilinguale Personen durch Bedeutungsaushandlung Teilhabe an einer Praxisgemeinschaft erlangen. Für den Bereich der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung übernahm erstmals Schmelter (2004) 18 in seiner Untersuchung des Fremdsprachenlernens im Tandem die Perspektive der Praxisgemeinschaften (bei ihm „Handlungsgemeinschaften“) für diese dyadische Lern- und Interaktionskonstellation, indem er die Tandempartner in ihren Rollen als Experten und Novizen versteht: „Der lernende Novize im Tandem will sich in eine sprachliche und kulturelle Handlungsgemeinschaft einweisen lassen und in dieser Gemeinschaft seine Handlungskompetenz ausbauen. Er tut dies aus eigenem Antrieb mit einem Wegbereiter, der selbst Teil dieser Handlungsgemeinschaft ist. Als Novize geht er seinen eigenen Bedürfnissen nach, die sich aus seinen intendierten Zielen und seinen Vorerfahrungen und vorhandenen Kompetenzen ergeben. Der Experte wiederum erstellt für den Novizen keinen Lehrplan, sondern ‘zeigt’ seine aus eigener Erfahrung entstandene und zugleich sozial vermittelte Praxis und lässt den Novizen an ihr teilnehmen. Sein Handeln ist das Muster, an dem sich der Novize orientieren kann. Seine Hilfe für den Novizen besteht darüber hinaus im Beantworten seiner Fragen und im korrigierenden Eingreifen, wenn sein Partner gegen die Normen seiner Handlungsgemeinschaft verstößt. Darüber hinaus verändert sich durch das Miteinander von Experte und Novize, die Handlungspraxis beider Interaktanten: Beide eigenen [sic! ] sich in der gemeinsamen Erfahrung neue Kenntnisse und Fertigkeiten an und verändern mitunter auch den Lerngegenstand.“ (Schmelter 2004: 115) Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen ist festzustellen, dass Fremdsprachenlernprojektgruppen in ihren Charakteristika sehr viele Parallelen zu Praxisgemeinschaften nach dem ursprünglichen Verständnis von Lave & Wenger (1991) und Wenger (1998) aufweisen, aber dennoch nicht als identisch mit ihnen zu betrachten sind. Die prägnantesten Unterschiede stellen der Entstehungshintergrund und die jeweils mit der sozialen Praxis verbundenen Zielsetzungen und Resultate dar. Während im FSLP, welches im institutionellen Kontext durchgeführt wird, die Teilnahme an und damit Mitgliedschaft in der Gruppe nur bis zu einem gewissen Grad als freiwillig erachtet werden kann (die Projektinitiative geht nur in den seltensten Fällen von den Lernenden selbst aus), fußt die Herausbildung von Praxisgemeinschaften ausschließlich auf der Eigeninitiative ihrer 18 Jüngere Studien, die im DaF-Kontext auf dieser Theorie fußen, liegen von Peuschel (2012), Pietzuch (2015) und Waggershauser (2015) vor. <?page no="53"?> 53 Mitglieder, die die o. g. Eigenschaften und die Motivation des Voneinanderlernens teilen. Während die Aktivitäten einer FLPG an konkreten Aufgaben zum Erreichen bestimmter Projektziele ausgerichtet sind und mit dem Erreichen des Resultats ihre Bestehensgrundlage verlieren, sind die Existenzgrundlagen einer community of practice weitaus offener gehalten und weitaus weniger an spezifische äußere Rahmenbedingungen gebunden, in konkreten Ergebnissen messbar und solange aktiv, solange in ihr partizipiert wird (vgl. Wenger 1998: 96). Damit einher gehen in Projektgruppen die meist (vor-)strukturierten Formen der Zusammenarbeit mit vorgegebenen, oft festen Rollen der einzelnen Gruppenmitglieder im Gegensatz zu der Beschränkung auf die sich flexibel entwickelnde Zweiteilung hinsichtlich der vorhandenen Kompetenzen in Experten und Novizen innerhalb von Praxisgemeinschaften. Am Begriff der Kompetenz wird jedoch auch eine der Schnittstellen zwischen FSLPGs und Praxisgemeinschaften besonders deutlich. Wenn Lernende eines Kurses im Fremdsprachenlernprojekt oft über ähnliche Fremdsprachenkompetenzen verfügen, dann unterscheiden sie sich doch in ihren Expertisen bezüglich des eigentlichen Projektgegenstandes - einer konkreten Tätigkeit bzw. sozialen Praxis (wie in der vorliegenden Studie die Anfertigung eines Handyvideos). In diesem Moment steht nicht mehr das Lernen der Fremdsprache im Mittelpunkt, sondern diese wird zum Medium der Interaktion bei der Kreation eines Projektproduktes, in welche vielfältige Problemlöseprozesse involviert sind. Anhand einer sozialen Praxis wird eine Fremd- oder Zweitsprache somit beiläufig gelernt (vgl. u. a. Weskamp 2010). Die Fremdsprache wird zum sekundären Lerngegenstand, indem sie vorrangig als notwendiges (authentisches) Kommunikationsmittel zum Einsatz kommt. Teilhabe erfolgt somit in erster Linie durch legitimierte Expertise bezüglich des Projektgegenstandes. Sprache muss daher nicht immer das ausschlaggebende Vehikel zur Aufrechterhaltung der Teilhabe sein. Wird ein Gruppenmitglied jedoch einmal als Experte identifiziert, bringen ihm sprachlich kompetentere Teilnehmer sprachliche Hilfestellungen entgegen, um wiederum selbst von den fachlichen Kompetenzen der Experten im Hinblick auf das Projektprodukt profitieren zu können. Steht die fachliche Expertise noch zur Aushandlung (ist die Teilhabe also noch periphär), kann diese durch sprachliche Expertise kompensiert werden. Eine Teilhabe an der FS-Projektgruppe kann demnach sowohl durch Fachals auch durch Sprachkompetenz legitimiert werden. Expertise auf einer der beiden oder beiden Ebenen steigert in diesem Moment das Mitbestimmungsrecht und erhöht die individuelle Entscheidungsmacht (agency). Teilhabe und die damit einhergehende Bedeutungsaushandlung stellt somit den Grad an Engagement innerhalb einer sozialen Praxis dar, welche je nach Kompetenz periphär oder vollständig sein kann, aber volitionale Aspekte hierbei nicht außer Acht gelassen werden sollten. D. h., eine lediglich periphäre Partizipation kann auch bewusst vom Gruppenteilnehmer in diesem Stadium belassen werden, wenn eine volle Identifikation mit der Praxisgemeinschaft nicht ge- <?page no="54"?> 54 wünscht bzw. aus bestimmten Gründen abgelehnt wird (vgl. zu Non-participation auch Norton 2001). Das besondere Potenzial des Konzepts für die Beschreibung einer möglichen sozialen Ausprägung von Autonomie wird v. a. im Vorgang der Bedeutungsaushandlung (i. S. Wengers) deutlich. Die Teilhabe in einer Gruppe wird demnach nicht nur mittels der Akzeptanz von Neulingen durch die bisherigen Gemeinschaftsmitglieder vollzogen, sondern stellt vielmehr einen ständigen Aushandlungsprozess auf Grundlage der zur Debatte stehenden Expertisen und Kompetenzen dar. 2.3.2 Aushandeln und Entscheiden im Fremdsprachenunterricht Ausgehend vom Begriff der Bedeutungsaushandlung, durch den Teilhabe sowie die in ihr verankerte Mitbestimmung vollzogen wird, soll im folgenden Unterkapitel aufgezeigt werden, wie Aushandlungsprozesse im Allgemeinen und dabei die kollektive Aushandlung von Entscheidungen im Besonderen als Merkmal sozialer Autonomie im Fremdsprachenunterricht gewertet werden können. Nach Littles Auffassung von Lernerautonomie ist die Fähigkeit des „Entscheidenkönnens“ für diese grundlegend: „Essentially, autonomy is a capacity - for detachment, critical reflection, decision making and independent action“ (Little 1991: 4). Bei Little bleibt an dieser Stelle jedoch offen, inwiefern hier das individuelle Vermögen im Vordergrund steht oder auch über die Einzelperson hinausgehende Entscheidungsszenarien mitgedacht sind. Breen und Littlejohn (2000) weisen daher zurecht darauf hin, dass insbesondere die Teilhabe an Aushandlung und Entscheidungsfindung im Unterricht ermöglicht, Lernerautonomie zu entfalten: „A classroom based upon negotiated knowledge and procedures allows the learner to exercise autonomy on an equal footing with others in the group and as a contribution to the good of the learning community“ (ebd.: 22). Diese und weitere Autoren (Nunan 1988, van Lier 1996, 2014) plädieren für ein Autonomieverständnis, welches sich weg von einer individualistischen Ausübung von Autonomie im Klassenraum und der damit einhergehenden Individualisierung des Lernens und passiven Aufnehmens fremdgesteuerten Unterrichts hin zu einer aktiven Teilhabe am Aushandeln von Wissen und Vorgehensweisen zum Wohle aller richtet. Es geht ihnen dabei primär um das Erstreben von Interdependenz, also dem auf Aushandlung basierenden Ausbalancieren von gemeinsamen Zielen und persönlichen Absichten oder Vorlieben beim Lernen einer Sprache: „However, negotiation entails freedom with discipline. It does not mean ‘anything goes.’ Collaborative decision-making requires the constant balancing of particular goals, be they negotiable or not, with personal purposes and preferences of learning. <?page no="55"?> 55 In the classroom group, genuine autonomy has to be exercised in an interdependet way.“ (Breen & Littlejohn 2000: 22) Diese Auffassung begreift Fremdsprachenlernende als entscheidungsmündige Mitglieder einer Unterrichtsgruppe und wird einem sozialen Autonomieverständnis im institutionellen Kontext somit eher gerecht als bspw. die von Dickinson (1987) vorgeschlagenen Stufen der Selbststeuerung (s. Abb. 5; Markierung eingefügt, D.F.), die eine absolute Entscheidungsfreiheit des Einzelnen hinsichtlich der Wahlmöglichkeiten über die Ausübung bzw. die Akzeptanz von Selbst- oder Fremdbestimmung auf allen Ebenen des Lernprozesses suggerieren. Im Extremfall resultiert daraus die selbstgewählte Entscheidung, sich komplett fremdbestimmen zu lassen, was zwar legitim (und in vielen Unterrichtskontexten Realität) ist, aber die Grundbestrebung jeglicher Autonomieorientierung in Frage stellt. Hervorzuheben ist bei diesem Ansatz vor allem auf dem mittleren Entscheidungsstrang die Verortung von Gruppen als elementare Entscheidungsträgerinstanz im Fremdsprachenlernprozess (s. Markierung). Wesentliche Entscheidungsknotenpunkte sind nach diesem Modell der Lerngegenstand, die Methode, Geschwindigkeit, Zeit und Ort, Materialien, Monitoring und interne sowie externe Leistungsüberprüfung. <?page no="56"?> 56 Abb. 5: Stufen von Selbststeuerung (Dickinson 1987: 13, Markierung D.F.) Aushandlung (negotiation) auf den Klassenraumdiskurs bezogen grenzen die Fremdsprachenforscher Breen & Littlejohn (ebd.: 5-10) klar vom Konzept der Bedeutungsaushandlung nach Long (1996) ab, bzw. erweitern dieses um eine <?page no="57"?> 57 mentale und eine prozessorientierte Ebene. Sie unterscheiden dazu drei Formen - die personale, die interaktive und die prozedurale Aushandlung. Während die ersten beiden dazu dienen, Bedeutungen aufzudecken („interpret and express meaning in a new language“) und zu klären („sharing, checking and clarifiying meanings“), kommt die prozedurale Aushandlung in erster Linie zum Tragen, um eine Übereinstimmung unter den Gruppenmitgliedern bezüglich eines zur Debatte stehenden Faktors im Lernprozess zu erlangen. Die gegenseitige Verbundenheit der drei Formen zeigt sich darin, dass mit einer prozeduralen Aushandlung auch immer personale und interaktive Aushandlungsprozesse einhergehen. Nach diesem Konzept von Aushandlung wird Lehren und Lernen als Gruppenerfahrung verstanden, bei der von den involvierten Personen, die z. T. verschiedene, z. T. identische Interessen an den Unterricht herantragen, gemeinsam Entscheidungen getroffen werden müssen. Alle an den Gesprächen teilhabenden Personen übernehmen in diesem Moment eine geteilte Verantwortung über die ausgehandelten Entscheidungen zum Lernprozess (Simmons & Wheeler 1995: 2). Die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts fußt in diesem Sinne auf einem in Aushandlung erreichten Konsens und entfaltet dabei, wie noch im Folgenden empirisch zu explorieren ist, eine soziale Autonomie. Zur Anwendung des vorgestellten Konzeptes eines Prozesscurriculums entwickelten Breen & Littlejohn (2000: 32) einen dreischrittigen Aushandlungszyklus (s. Abb. 6), der veranschaulicht, dass Aushandlungen wiederkehrende feste Bestandteile in von Mitbestimmung geprägten Unterrichtskontexten sind. Abb. 6: Aushandlungszyklus (nach Breen & Littlejohn 2000: 32) Zunächst erfolgt in Schritt 1 die Aushandlung bezüglich der Ziele, Inhalte, Arbeitsweisen und Evaluation der jeweiligen Lernphase. Nach der Durchführung (Schritt 2) der auf den Entscheidungen basierenden Handlungen werden diese in einem dritten Schritt hinsichtlich der hervorgebrachten Resultate beurteilt. Dabei <?page no="58"?> 58 werden sowohl Erfolge als auch Schwierigkeiten sowie der Arbeitsprozess selbst bezüglich seiner Angemessenheit zum Erlangen der erreichten Ergebnisse diskutiert. Dieser Aushandlungszyklus kann auf sechs Ebenen, in denen Kernentscheidungen innerhalb eines Prozesslehrplans getroffen werden müssen, Anwendung finden (s. Abb. 7). Die Entscheidungen umfassen die klassischen Kernbereiche der Unterrichtsplanung, wie bspw. Ziele, Arbeits- und Sozialformen, Materialien und Ressourcen, Dauer, Inhalte oder Evaluationsmöglichkeiten. Für die vorliegende Studie sind lediglich die obersten zwei Stufen, also alle Entscheidungen, die auf der Ebene einer Aufgabe oder Aufgabenreihe unter den Lernenden getroffen werden können, von Interesse (s. Kapitel 2.3.3). Schart (2008: 32) weist aus dieser Perspektive auf die Gleichstellung von Projekt und „Maxiaufgabe“ hin. Abb. 7: Die Curriculumpyramide: levels of focus for the negotiation cycle (Breen & Littlejohn 2000: 35) Die Umsetzung eines solchen Prozesslehrplans erforschten Simmons & Wheeler (1995) in einer Fallstudie innerhalb eines berufsorientierten, herkunftssprachlich heterogenen Englischkurses für fortgeschrittene, erwachsene Migranten in Australien. In der methodentriangulierenden Untersuchung, die sich sowohl interaktions-analytischer als auch inhaltsanalytischer Auswertungsverfahren bediente, standen Fragen nach den Auswirkungen von individuellen Unterschieden auf die Partizipation im Aushandlungsprozess, Rollenverhalten und -übernahme sowie Typen der getroffenen Entscheidungen im Vordergrund. Die Ergebnisse zeigten, dass alle 14 Teilnehmenden diese Form der kollektiven Einflussnahme auf die Kursgestaltung als positive Erfahrung (i. S. eines Zugewinns an Sprachkompetenz, Motivation, Selbstvertrauen und Gruppenzugehörigkeit) betrachteten. Die Mehrheit der Entscheidungen wurden in den wöchentlich stattfindenden <?page no="59"?> 59 action meetings zum Wochenstundenplan in den Bereichen Teilnahme, Vorgehensweisen, Inhalte und alternative Lernformen (Stufe 1 nach Breen & Littlejohn 2000: 32) getroffen. Die festgestellte z. T. ungleiche Teilnahme an diesen Aushandlungsprozessen seitens verschiedener Lernender wurde von den Forscherinnen auf einen Mangel an Sprachkompetenz und Selbstbewusstsein sowie auf die jeweiligen verschiedenen kulturellen Hintergründe zurückgeführt, welches sich letztendlich aber nicht nachteilig auf positive Wahrnehmung der Gesamtsituation auswirkte. Einige Teilnehmende hätten dahingehend eine Vorbereitung auf die Aushandlungsaufgabe als sinnvoll erachtet: „Rather than just being given an agenda for the first action meeting it was felt that all the participants should be prepared and equipped for the task prior to the first meeting. Teacher-led classroom dialogue, exposure to examples of successful decision-making, interactive negotiation and an awareness of the parameters of the decision-making could form the basis of appropriate pre-task training. This would ensure more equal participation“. (ebd.: 64) Als Haupterkenntnis der Untersuchung bleibt zu betonen, dass Lernende sich in der Lage zeigten, durch einen wöchentlich auf Gruppenentscheidungen basierenden Kursplan kollektiv Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen: „Individuals contributed their own experience, knowledge, skills, expertise, energy, commitment and motivation in order to achieve this outcome […]“ (ebd.: 55). 2.3.3 Entscheidungen in Fremdsprachenlernprojekten In diesem Unterkapitel gilt es, die Rolle von prozeduraler Aushandlung und Entscheidungen in FSL-Projekten sowie deren Zusammenhang mit dem Konzept der Gruppenautonomie genauer zu betrachten. Dabei ist festzuhalten, dass Fremdsprachenlernprojekte zur Initiation von Aushandlungsprozessen und den damit einhergehenden Autonomieerfahrungen eine besonders vielversprechende Lernform darstellen: „Language tasks, like larger project work […] 'create spaces‘ for negotiated interaction (Ribé 2000: 79).“ Die Studie von Ribé zu einem literarisch-kreativen Projekt im Englischunterricht einer spanischen Sekundarschule belegt, dass Lernende die Möglichkeiten zur (individuellen oder kooperativen) Aushandlung von Entscheidungen in allen Projektphasen in der anschließenden fragebogengeleiteten Evaluation als besonders befriedigend und nützlich für die Entwicklung ihrer Englischkompetenz und ihrer Selbstwirksamkeit erachteten. Hinsichtlich der Aushandlungsprozesse betonen FSL-Projektforscher die Förderung von „social skills of sharing, cooperating, making decisions together, and appreciating how individual contributions can make a successful whole. Learner independence skills such as making responsible choices, deciding how to complete tasks, getting information, trying things out, and evaluating results.“ (Ribé & Vidal 2002: 3) (vgl. auch Cáceres & Unigarro 2007) <?page no="60"?> 60 An diesem Beispiel wird deutlich, dass Unterrichtsprojekte eine große Bandbreite an Selbstbestimmung und Mitbestimmung ermöglichen, aber auch nie völlig frei von Fremdbestimmung i. S. einer Einflussnahme durch die Institution oder die Lehrperson sind. Dabei unterliegen Projekte, ähnlich wie Aufgaben, bestimmten Faktoren bezüglich derer Entscheidungen ausgehandelt werden können. Block (2003: 65) nennt Parameter wie Input, Rollen, Setting, Handlungen, Monitoring, Ergebnisse und Feedback, für die jeweils spezifische Absprachen getroffen oder Regeln aufgestellt werden müssen. Schart (2003: 83) systematisiert diese Entscheidungshorizonte mit Rückgriff auf Hackl (1994) weiter, indem er zwischen normativen und operativen Entscheidungen differenziert. Zu ersteren zählen Beschlüsse über Ziele, Inhalte, Lerngruppe, Ort, Zeiten, Arbeitsformen und Evaluation. Unter den operativen Entscheidungen subsumiert Schart (ebd.: 87) Entschlüsse zur Aufgabengliederung, Aufgabenverteilung, Zeitplanung, Koordination und zum Konfliktmanagement. Bezüglich ihres Autonomiepotenzials eröffnen beide Entscheidungsarten unterschiedliche Ausprägungen. Normative Entscheidungen beeinflussen in erster Linie die Machtverhältnisse im Klassenraum. Dabei ist die Frage nach dem „Wer? “ also der Instanz zum Treffen der Entscheidungen von grundlegender Bedeutung. Fremdbestimmt und vermittelt gelten Lernprozesse, wenn die Institution und/ oder die Lehrenden die alleinige Autorität zur Bestimmung der o. g. Parameter innehaben (s. Abb. 8). Daraus resultieren Vorgaben zu Ansprüchen, Regeln oder gar Sanktionen im Klassenraum (ebd.: 84), welche sich direkt auf die jeweiligen Gestaltungsmöglichkeiten von Partizipation und Kooperation auswirken. Operative Entscheidungen bewegen sich jenseits der Frage der Machtkonstellationen im Klassenraum und betreffen auf einer tieferliegenden Ebene den konkreten Lernprozess. Dabei wird der Aspekt der Selbstbestimmung um das Merkmal der Selbstorganisation erweitert: „Autonom verhalten sich Lernende somit auch dann, wenn sie ausgewählte Teilschritte in einem sonst fremdbestimmten Unterrichtsgeschehen selbst organisieren und koordinieren“ (ebd.: 86). Projektunterricht als Ort, an dem Fremd- und Selbstbestimmung aufeinandertreffen, bietet somit die Grundlage für ein hohes Maß an lernerseitigen Gestaltungsmöglichkeiten und selbstorganisiertem Lernen ohne im „Widerspruch zu einer zielorientierten, didaktisierten Lernwelt“ (ebd.) zu stehen. Die Gewährung eines Mitspracherechtes im Klassenraum und in Projektgruppen, welche zur Selbstorganisation führt, ist daher als Kernelement sozialer Autonomie zu betrachten. <?page no="61"?> 61 Abb. 8: Autonomiespektrum im Verhältnis zur Entscheidungsinstanz An die Überlegungen von Schart anknüpfend gilt es, für eine Beschreibung von Mitbestimmung in Projekten besonders die Rolle von Gruppen (Makroebene) im Unterrichtsdiskurs und die von gruppeninternen Aushandlungen (Mikroebene) bei der Entfaltung von Teilhabe an Entscheidungen aufzuwerten. Das Format „FSLP“ unterliegt dabei gewissen strukturellen Vorgaben, die sowohl die individuelle als auch die kollektive Entscheidungsfreiheit bis zu einem gewissen Maße einschränken. Jedoch begreifen die innerhalb eines Kontextes von heteronom auferlegten Restriktionen freigesetzten Aushandlungs- und Entscheidungspotenziale Autonomie nicht im Sinne herkömmlicher auf das Lernen nach Stunden- oder Kursende beschränkte Konzeptionen, sondern eröffnen die Möglichkeit, soziale Autonomie im Klassenraum konkret durch die Erhöhung des Maßes an Selbst- und Mitbestimmung seitens der Kursteilnehmenden zu fördern. In der vorliegenden Studie wird dabei die Ebene der Projektgruppe als Wirkungssphäre von Selbst- und Mitbestimmung in den Fokus genommen. 9? C? O E#0@@/ (/ (%6K)/ .70(1/ (& Verschiedene akademische Disziplinen haben sich der Erforschung von Gruppenentscheidungen angenommen, so vor allem die Sozialpsychologie, die Kommunikationsforschung und die Linguistik, welche aus der jeweils eigenen Perspektive ein vielgestaltiges Bild über den Gegenstand zeichnen. 19 Üblicherweise haben diese Forschungsfelder wenige Berührungspunkte untereinander und sind oft normativ-präskriptiv ausgerichtet: Wie trifft man eine gute Entscheidung? Wie vermeidet man schlechte? Wann sind Gruppenentscheidungen sinnvoll? (vgl. Gunnarsson 2006: 292 ff.), wobei eine verstärkte Tendenz zu interdisziplinären Betrachtungen dieses Phänomens zu verzeichnen ist (z. B. Allwood & Selart 2001; Kilgour & Eden 2010). Die vorliegende Untersuchung nimmt hingegen eine deskriptive Orientierung ein. Überblicksartig sollen im Folgenden wesentliche Forschungsansätze dieser Felder vorgestellt und zwei linguistische Arbeiten aufgrund ihrer besonderen Relevanz für die Studie detaillierter beleuchtet werden. Für den Forschungs- 19 Auf die Darstellung des Verständnisses von Gruppenentscheidungen innerhalb der Wirtschaftswissenschaften (Entscheidungstheorie i. S. der angewandten Wahrscheinlichkeitstheorie) wird in dieser Arbeit verzichtet, da diese die (für die Untersuchung irrelevanten) Kauf- und Beschaffungsentscheidungen sowie Gruppenentscheidungen zur Gewinnmaximierung zum Untersuchungsgegenstand haben. <?page no="62"?> 62 überblick werden dabei besonders die Bestandsaufnahmen Gunnarssons (2006), Brandstätters (1997) und Saders (1994) zu Grunde gelegt. Die Sozialpsychologie beschäftigt sich innerhalb eines Teilgebietes der Kleingruppenforschung 20 mit Fragen der Gruppenentscheidungen, besonders deren Dynamiken („Feldtheorie“: Lewin 1952), ihren Schemata („Theorie der sozialen Entscheidungsregeln“: Davis 1973), daran geknüpfte Interaktionsprozesse (Bales 1950) sowie mit der Polarisierung und Manipulierbarkeit von Gruppenentscheidungen. Gunnarsson (2006: 13) merkt an, dass der Begriff der Gruppenentscheidung innerhalb dieser Disziplin sehr weit gefasst wird und Untersuchungen zum Problemlösen in Gruppen, Entscheidungsschübe (choice shifts), Gruppenpolarisierung und Gruppenaushandlungen mit einschließt (s. auch Brandstätter et al.: 1982). Zusätzlich wird konstatiert, dass bisher keine übergreifenden Gesetzmäßigkeiten in der Gruppenentscheidungsforschung auszumachen sind (Sader 1994: 216). Die Grundannahme, dass ideale Gruppenentscheidungen immer derart ablaufen, dass eine Reihe möglicher Handlungsalternativen ausführlich geprüft und die optimalste darunter ausgewählt wird, erwies sich anhand der näheren Betrachtung der Entscheidungspraxis nicht haltbar, sodass die mit Entscheidungen einhergehenden Prozesse weiterer sozialpsychologischer Erklärungen bedurften. Sader (1994: 207-209) fasst dafür vier „falsche Prämissen“ zusammen: − Der Wille zur Entscheidungsfindung muss nicht automatisch von allen Beteiligten getragen werden. − Entscheidungsrelevante Informationen liegen nicht immer vollständig und unverzerrt vor. − Die Methoden der Einzelentscheidungsforschung (Laborexperimente) führen zu keinen aussagekräftigen Resultaten bei der Untersuchung von Gruppenentscheidungen (längere Dauer, komplexere Situationen). − Entscheidungen sind keine auf einen bestimmten Zeitpunkt festgemachte Erscheinung (i. S. eines „Gefälltwerdens“), sondern vielmehr prozesshaft (s. auch Huisman 2001). Des Weiteren sind für die nähere Betrachtung dieser Prozesse, der Kontext der Entscheidung (Sachzusammenhang/ -verhalt, Ziel, Gruppendynamik, Bedeutung des Ergebnisses) immer mit zu berücksichtigen (s. auch Aldag & Fuller 1993). Drei Phänomene, die in der aktuelleren Gruppenentscheidungsforschung von besonderem Interesse sind, gilt es kurz zu umreißen. Der bereits erwähnte Vorgang der Gruppenpolarisierung ist an das Risikoschub-Phänomen (risky shift) 20 Andere Unterbereiche erforschen Fragen von Führung, Macht, Statussystemen, Normen, Kohäsion und sozialen Dilemmata innerhalb von Kleingruppen. Die angewandte Sozialpsychologie beschäftigt sich mit weiter gefassten allgemeinen Aspekten der Gruppendynamik (Rollen / -konflikte u. ä.). <?page no="63"?> 63 geknüpft, wonach Gruppenmitglieder dazu tendieren, in Gruppen riskantere (bzw. prägnanter akzentuierte) Entscheidungen zu treffen als allein (Sader 1994: 216-218). Über den naheliegenden Erklärungsansatz der Verantwortungsverteilung hinaus gehen weitere Begründungen, wie − die Theorie der sozialen Identität (Gruppenmitglieder möchten die Gruppe auch von anderen Gruppen abgrenzen. Dadurch kommt es zu einer Polarisierung der Gruppennorm und einer Verringerung der Varianz der Meinung, d. h. Homogenisierung; Hogg, Turner & Davidson: 1990), − die Theorie der überzeugenden Argumente (Verstärkung eines Arguments durch Argumentenfülle) und − die Theorie des sozialen Vergleichs (Selbstdarstellungsförderung durch Bestätigung der eigenen Wertung) (Sader: ebd., Gunnarsson 2006: 14- 16). Eine extreme Form der Gruppenpolarisierung stellt das Phänomen des Gruppendenkens (groupthink) (Janis 1972) dar, welches einsetzt, wenn eine hoch kohäsive Gruppe in ihrem Entscheidungsprozess so stark nach Einmütigkeit und Solidarität strebt, dass sie zu keiner realistischen Beurteilung von Handlungsalternativen gelangt, welches zu folgenschweren falschen Entscheidungen führt (z. B. die US-amerikanische Invasion in der kubanischen Schweinebucht 1961). Gruppen mit hoher Gruppenkohäsion und strukturellen Schwächen (z. B. starkem Konformitätsdruck unter autoritärer Führung) in einer bedrohlich empfundenen Situation sind besonders anfällig für die Entwicklung von groupthink- Erscheinungen. Sader (1994) führt weitere Themenfelder auf, die noch nicht in ausdifferenzierte Theorien gemündet sind, jedoch Einsichten und Forschungsbefunde darstellen, die bei der sozialpsychologischen Betrachtung von Gruppenentscheidungen diskutiert werden: die Bedeutung der Informiertheit (Vorhandensein, Durchschaubarkeit und Transparenz entscheidungsrelevanter Informationen), Entscheiden als Problemlösen (Notwendigkeit einer Ziel-, Situations- und Materialanalyse), der Umgang mit kognitiver Dissonanz, die Bedeutung der Gruppenkohärenz (Konformitätsdruck vs. vertrauensbasierte Wertschätzung), besondere Rollen (z. B. der Außenseiter als Störung oder notwendiges Korrektiv), die Gruppengrenze (innerer Zusammenhalt vs. Informationsbarriere) und die Verfahrenstransparenz (s. auch Huismann 2001): „Eine wesentliche Schwierigkeit vieler Entscheidungsprozesse liegt darin, dass infolge mangelhafter Metakommunikation unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, was bei einem Vorschlag als Zustimmung interpretiert werden kann. Im charakteristischen Fall sind Akteure und passive Mitglieder hier verschiedener Meinung und glauben wechselseitig, diese Auffassung werde auch vom anderen geteilt: Die Akteure pflegen zu glauben, Schweigen bedeutet Ablehnung, die passiven Mitglieder hingegen, <?page no="64"?> 64 Schweigen bedeutet Zustimmung oder, was vielfach für identisch gesehen wird, keine Ablehnung [alle Herv. im Original, D.F.].“ (Sader 1994: 244). Diese Erkenntnis, in Anlehnung an die Feststellung von Watzlawick et al. (1969), dass man nicht nicht kommunizieren könne, gibt einen ersten wichtigen Hinweise auf die Rolle der verbalen und nonverbalen Kommunikation in Entscheidungsinteraktionen, welcher linguistische Untersuchungen (s. u.) im Detail nachgehen. Allgemein ernten sozialpsychologische Studien zu Gruppenentscheidungen (mit Ausnahme der Untersuchungen von Janis (1972, 1982) zu politischen Fehlentscheidungen) Kritik, weil sie auf rein experimentell gewonnenen Erkenntnissen beruhen: „Die meisten Versuchsanordnungen beschränken sich auf einen Ausschnitt des sozialen Entscheidungsprozesses, so vor allem auf die Auswahl einer Alternative aus mehreren (meist nur zwei) bereits vorgegebenen Handlungsmöglichkeiten. Die zur Diskussion stehenden Alternativen sind oft nicht ernsthafte Handlungen, sondern eher unverbindliche Handlungsabsichten, wenn nicht überhaupt nur Meinungsäußerungen. Der Ablauf der sozialen Interaktion wird häufig zugunsten leichter faßbaren Veränderungen im Erleben und Verhalten der beteiligten Individuen vernachlässigt.“ (Brandstätter 1997: 182 f.) Eine deskriptiv ausgerichtete Studie muss daher auf Entscheidungen in authentischen Gruppenaushandlungen basieren, welches auch die Mehrheit der Forschung zu diesem Gegenstand innerhalb der Kommunikationswisschenschaften auszeichnet. Diese Wahrnehmung kam dort mit dem Aufkommen des naturalistic approach und der Betrachtung so genannter bona fide Gruppen zum Tragen (Putnam & Stohl 1990), deren Kommunikationsprozesse im Gegensatz zu im Labor kreierten Gruppen durch den sie umgebenden Kontext beeinflusst werden (v. a. durch multiple (z. T. konkurrierende) Mitgliedschaften einzelner Gruppenmitglieder oder die Zusammenarbeit einer Gruppe mit anderen Gruppen oder Individuen). Des Weiteren unterscheidet Gunnarsson (2006) zwei große Strömungen der Kommunikationsforschung zu Gruppenentscheidungen: ergebnis- und entwicklungsorientierte Perspektiven. Erstere sind an die functional theory (Gouran & Hirokawa 1996) geknüpft, die den Zusammenhang von Gruppenkommunikation und Gruppenentscheidungen herstellt und bestimmte Schritte (Funktionen) in der Kommunikation benennt, welche zum Treffen guter Entscheidungen notwendig sind: 1. Problemanalyse; 2. Bestimmung von Minimalanforderungen für die Akzeptabilität von Alternativen; 3. Identifikation von Alternativen; 4. Evaluation der Alternativen hinsichtlich der Minimalanforderungen sowie 5. Auswahl der akzeptabelsten Alternative (vgl. Hirokawa & Gouran 1996: 56-57). <?page no="65"?> 65 Diese Abfolge orientiert sich an Deweys Modell des (idealen) reflektierten Denkens (1910) und bedient sich in ihrer empirischen Auslegung u. a. sozialpsychologischen Kommunikationskategorien der von Bales (1950) zur Beschreibung des (Un)gleichgewichts zwischen sozioemotionalen und aufgabenbezogenen Aspekten in Gruppendiskussionen geschaffenen Interaktionsprozessanalyse (IPA). Diese Ansätze berücksichtigen nach Gunnarsson (2006: 18-19) jedoch zu wenig die in der Pragmatik bereits etablieren und detailliert beschriebenen Funktionen von Sprechakten oder sprachlichen Handlungen. Weitere Kritik erfuhr die Theorie im Hinblick auf die Frage nach der korrekten Beurteilung der Effektivität von Gruppenentscheidungen sowie den fehlenden Einbezug des weiteren Kontexts der Gruppenkommunikation (vgl. Salazar 2009). Die zweite, die entwicklungsorientierte Perspektive auf Gruppenentscheidungskommunikation bezieht sich im Wesentlichen auf die soziologisch ausgerichtete structuration theory von Giddens (1984), welche Gruppenkommunikation als Bedingungsgefüge von sozialen Strukturen und Handlungsfähigkeit (human agency) betrachtet. Dabei werden Gruppen als soziale Einheiten verstanden, wobei die Handlungen ihrer Mitglieder das soziale System bilden, dessen Strukturen die Regeln und Ressourcen zur Ausübung dieser Handlungen darstellen (Gunnarsson 2006: 19). Der konkrete Bezug zur Gruppenentscheidung kann hierbei nur insofern abgeleitet werden, als dass sich diese immer im Spannungsfeld von Strukturen (mit ihren Dimensionen signification, domination und legitimation) und Interaktionen (mit ihren Dimensionen communication, power und sanctions) bewegen. Studien innerhalb der structuration theory verharren eher auf einem abstrakten Niveau, indem Modelle zum Einfluss verschiedener Strukturen aufeinander diskutiert werden (ebd.: 22). Eine Zusammenfassung der theoretischen Ausdifferenzierung kommunikationswissenschaftlicher Modelle zu Gruppenentscheidungen findet sich unter Hirokawa & Poole (1996). Im Feld der Linguistik, welche sich bisher nur wenig mit der Erforschung von Gruppenentscheidungen beschäftigt hat (z. B. Boden 1994; Huismann 2001, Gunnarsson 2006; Stevanovic 2012), dominiert der analytische Zugriff mittels der ethnomethodologisch fundierten Konversationsanalyse (Sacks, Schegloff & Jefferson 1974), einem Rahmenwerk zur Untersuchung menschlicher Interaktion. Auch hier wird wie bei Giddens structuration theory von der Prämisse der Strukturiertheit ausgegangen, jedoch diese in spezifischen interaktionalen Akten (z. B. turn-taking) zur Herstellung sozialer Ordnung verankert. Die in niederländischen Organisationen von Huisman (2001) durchgeführte Studie konnte mittels dieses Zugriffs zeigen, dass die kommunikative Norm zur Bestimmung der Existenz einer Entscheidung je nach Gruppe unterschiedlich sein kann (s. auch Sader 1994: 244). Vor allem die Partizipation der Gruppenmitglieder, Interaktionsstile/ -muster und Rollen-, Hierarchie- und Machtaspekte sind hierfür wichtige Einflussfaktoren. Huisman (2001) betont hierbei die Situiertheit von Formulierung und Inhalt einer Gruppentscheidung und stellt fest, <?page no="66"?> 66 dass Entscheidungen in Gruppendiskursen kaum anhand einer spezifischen Äußerung oder Aussage identifizierbar sind (s. Sader oben): „[…] a decision evolves around the assessment of a future state of affairs. During this decision-making process, participants form what is tantamount to a “virtual” future reality and shape the future of the organization. Commonly, states of affairs from the past or the present are also discussed in such decision-making episodes. Indeed, the usual starting point of a decision-making episode is the formulation of a state of affairs that is of current interest.“ (Huisman 2001: 72) Die genannten Sachlagen können aus Ereignissen, Situationen oder Handlungen bestehen. Emergierende Entscheidungen innerhalb einer Entscheidungsfindungsepisode gehen, so Huisman (2001: 75) mit der positiven Beurteilung einer formulierten zukünftigen Sachlage sowie einer (verbalen oder nonverbalen) Verpflichtung zur Schaffung dieser einher. Formulierte Sachverhalte enthalten jeweils auch Hinweise zur Beurteilung dieser durch den jeweiligen Gesprächspartner, können also eine Form der Einflussnahme auf eine Entscheidung (oder deren Legitimation) darstellen. Dass bei der Untersuchung von Gruppenentscheidungen auch Suprasegmentalia einfluss- und aufschlussreiche Diskurselemente darstellen, belegt die konversationsanalytische Studie von Stevanovic (2012). Sie belegt anhand von drei prosodischen Mustern der Zustimmung innerhalb finnischer Arbeitsplatzentscheidungsinteraktionen, wie diese als Zeichen emotionaler Ausrichtung hinsichtlich der jeweiligen Entscheidung zum Einsatz kommen. Eine Alternative zur konversationsanalytischen Untersuchung von Gruppenentscheidungen bietet der schwedische Linguist Gunnarsson (2006), dem es gelang die Beschaffenheit von Gruppenentscheidungsinteraktionen erstmals aus einer kommunikationshandlungs- und argumentationsanalytischen Perspektive detailliert zu beschrieben (s. u.). Zu deren empirischer Untersuchung nutzte er sowohl qualitative (Argumentationsanalyse und activity-based communication analysis) als auch quantitative Auswertungsverfahren (Korpusanalyse) und geht dabei von Gruppenentscheidungen als einer Abfolge von „kommunikativen Akten“ aus, welche mittels der Komponenten intention, behavior, effect und context weiter ausdifferenzierbar sind (Gunnarsson 2006: 28). Der Begriff „kommunikativer Akt“ stammt vom schwedischen Linguisten Allwood (1993: 19) in Abgrenzung zu Austin & Searles Begriff „Sprechakt“ und schließt bezüglich des sprachlichen Handelns den Kontext, das Resultat, das Verhalten und die Absicht der Interaktionsbeteiligten mit ein. Kommunikative (also soziale) Aktivitäten (activities) bestehen demnach aus kommunikativen Akten eines bestimmten activity-Typs, welcher durch die Parameter Zweck, Funktion, Prozedur, Rollen (Rechte, Pflichten, Kompetenz), Artefakte, Instrumente Werkzeuge und Medien sowie das soziale und physische Umfeld geprägt ist. Beispielsweise ist Gruppenentscheidungsinteraktion an den Handlungstyp argumentieren (to argue) geknüpft und umfasst nach Gunnarsson (2006: 141) u. a. die folgenden kommunikativen Akte: <?page no="67"?> 67 − suggesting modification of the shared view (making a claim), − elaborating (specification, description) a claim, − modifying a claim, − agreeing with a claim, − disagreeing with a claim, − giving reason for a claim, − giving reason against a claim, − request for elaboration, − request for reason, − request for attitude (agreement/ disagreement) und − clarifications. Der Zweck des Argumentierens kann das Erreichen einer geteilten Sicht bezüglich eines konfliktiven Gegenstandes sein. Die grundlegende Prozedur (procedure) dabei ist das Verteidigen eines Standpunktes durch entsprechende Argumente und das Angreifen des oppositionellen Standpunktes mit Gegenargumenten. Eine Standardrolle kann in diesem Zusammenhang die eines Diskussionsteilnehmenden (participant) sein, die an bestimmte Aufgaben mit einem Set von Regeln geknüpft ist (ebd.). Die Studie Gunnarssons kommt zu aufschlussreichen Erkenntnissen über die linguistische Beschaffenheit von Gruppenentscheidungen. Seine Analysen stützt er auf im natürlichen, meist formellen Kontext vorkommende Entscheidungen unter Muttersprachlern innerhalb von Gruppen unterschiedlicher Größe (Paar, Klein- und Großgruppe), z. B. unter Ehepartnern, in einem Stadtteilausschuss, einer Forschungsprojektgruppe oder einem Chor. Dabei beobachtet er eine Varianz von group decision making in Abhängigkeit von der Handlung, in die es eingebettet ist. Dementsprechend unterschieden sich in den untersuchten Gruppen Gruppenentscheidungskonventionen und die daraus resultierenden Muster. Als zentrales Muster identifiziert er das Argumentieren - entweder für oder gegen eine der Entscheidungsalternativen oder falls diese (noch) nicht vorliegen, im Sinne einer kompromissorientierten Problemlösungsfindung. Hinsichtlich der Interaktionen in Gruppenentscheidungsdiskursen stellt Gunnarsson (ebd.) fest, dass diese hauptsächlich aus dem kommunikativen Akt „Vorschlagen - Akzeptieren“ bestehen und weitere Sprechhandlungen, wie z.B. „Ablehnen“ oder „Informationen elizitieren“ damit einhergehen. Die von den Sprechern eingenommene Position kann in ihrer Stärke variieren, um damit die bevorzugte Form der Entscheidungsfindung in den untersuchten Gruppen - den Konsens - zu fördern. Die zum Einsatz kommende Sprache wird, auch aufgrund der meist for- <?page no="68"?> 68 malen Kontexte, als eher komplex eingestuft (vergleichsweise lange Äußerungen, wenige Sprecherwechsel, komplexe Syntax) und damit eine deutliche Benachteiligung für L2-Sprechende innerhalb dieser Prozesse konstatiert: „[…] participants who are less skilled at using the language in question will be disadvantaged in group decision-making. Second language speakers, people with little training in talking and arguing about abstract matters and people who lack linguistic proficiency for other reasons will have difficulty participating fully in such discussions. If no compensatory measures are taken, a system that relies heavily on group decision-making will discriminate against these groups (which may or may not be desired).“ (ebd.: 289). Die Neigung zum formellen Register auch in informellen Situationen begründet Gunnarsson mit dem Mangel an etablierten informellen Prozeduren und der weitläufigen Bekanntheit ihrer formalen Varianten. Besonders von Interesse ist es daher, Situationen zu untersuchen, in denen alle Gruppenteilnehmenden aufgrund ihrer Eigenschaft als L2-Sprechende als mehr oder weniger sprachlich „benachteiligt“ gelten und möglicherweise keine oder nur geringe Kompetenzen im formellen Register des Entscheidens in der Zielsprache besitzen. Als weiteres Vorgehen zur Beschreibung der linguistischen Beschaffenheit von Entscheidungsdiskursen soll der von Grießhaber entwickelte (funktionalpragmatische) Ansatz zum Diskurstyp „Entscheidungen treffen“ (Grießhaber 1987) erörtert werden. Hervorzuheben ist, dass es sich bei diesen innerhalb des Kontextes „Einstellungsgespräch“ untersuchten Entscheidungsfindungsprozessen um Individualentscheidungen innerhalb einer Paarinteraktion mit einem klaren Machtgefälle handelt, also keinerlei Aussagen über Gruppenphänomene getroffen werden. Die Entscheidung beruht auf der Auswahl von einem Einzustellenden unter mehreren Bewerbern und fußt auf situationsspezifischen Charakteristika (wie z. B. Entscheidungsratifizierungsverfahren oder der sogenannten Bewertungsdrift, also sukzessiven Einschätzungen, die das weitere diskursive Vorgehen des Einstellenden beeinflussen). Daher sollen hier nur die über den konkreten Diskurs im Einstellungsgespräch hinausgehenden relevanten Erkenntnisse zur dyadischen Entscheidungsaushandlung m. H. des Diagramms in Abb. 9 fokussiert werden. Der Entscheidungsdiskurs besteht aus mehreren Phasen, bei denen der Entscheidung auf mentaler Ebene sukzessive Bewertungen einer Alternative vor einem individuellen Bewertungsraster vorangehen, welches sich aus Erfahrungen, Wissen und Können speist. „Punktuelle Informationen und Einschätzungen verdichten sich dabei zu einem entscheidungsrelevanten Bild“ (Grießhaber 1987: 33). Auf dem Weg zu diesem „hypothetischen Bild“ (Position 8) steht an erster Stelle die Bildung einer Prähypothese, also eines ersten Eindrucks über die Eignung einer zur Wahl stehenden Alternative (Position 2) gefolgt von der hypothetischen Einschätzung in Position 5 (= Verfestigung <?page no="69"?> 69 oder Revision der Prähypothese). 21 Die Entscheidung selbst steht eher in der (temporalen) Mitte der Interaktion (Position 14) und muss nicht zwangsläufig verbalisiert werden. Ihr nachgelagert wird zur Ratifizierung der Auswahl je nach positiver oder negativer Bewertungsdrift durch den Entscheidenden diskursive Konvergenz oder Divergenz hergestellt (Positionen 17-24). Festzuhalten ist die Dynamik des Entscheidungsdiskurses als ein „rückgekoppeltes, sich selbst verstärkendes System“ (Grießhaber o.J.), dessen Basis in der Informationsaufnahme sowie deren Einschätzung und Bewertung besteht. 21 Auf die Ausführung der Position 3 „hypothetische Bewertung“ verzichtet Grießhaber in jüngeren Publikationen und ordnet diese der Phase I (Prähypothese) zu (vgl. http: / / spzwww.uni-muenster.de/ ~griesha/ eps/ prg/ egs-decision-mst1.html). <?page no="70"?> 70 Abb. 9: Flussdiagramm Entscheidungsfindungsprozess in Einstellungsgesprächen (Grießhaber 1987-2003) Für Gruppenentscheidungen auf einer hierarchisch einheitlicheren Ebene, wie sie in FSLP-Interaktionen vorliegen, ist jedoch von weniger Linearität im Prozess auszugehen. Außerdem ist damit zu rechnen, dass die ausdifferenzierte <?page no="71"?> 71 Aufschlüsselung eines Gruppenprozesses mittels eines Flussdiagramms aufgrund der erhöhten Menge an Teilnehmenden an die Grenzen der Darstellbarkeit stößt. Zur Spezifikation des Gruppenentscheidungsbegriffs soll daher für diese Arbeit die Definition von Gunnarsson (2006) zu Grunde gelegt werden. Seine Begriffsbestimmung ist vergleichsweise umfassend und verankert bewusst den Zusammenhang von Einzel- und Gruppenentscheidungen: „A decision is an event where a set of agents A chooses one out of at least two alternative future actions, and either performs that action, or forms an intention to make that action happen. If a decision is made public (becomes known to others), an obligation to follow the decision arises for a set of agents B“. (Gunnarsson ebd.: 105) „Group decisions are decisions where the set of choosing agents (A) contains more than one member“ (ebd.: 285). Wichtig ist hier nicht nur das Verständnis von Entscheidung als die Auswahl aus mindestens zwei Alternativen, sondern, dass ein Teil der Entscheidung die Verpflichtung zu einer künftigen Entscheidungsumsetzungshandlung (bzw. die Absicht diese umzusetzen) ausmacht. Der zweite Satz der Definition impliziert, dass die Umsetzungshandlung auch andere (set of agents B) betreffen kann. Im Fall der vorliegenden Untersuchung sind A und B identisch. Offen bleibt in dieser Definition jedoch, wie der Auswahlprozess in einer Gruppe idealerweise ablaufen muss, damit eine Entscheidung zustande kommt. Dazu gibt Rehbein (1977) einen wichtigen Hinweis: „In einem expliziten und kollektiven ENTSCHEIDUNGSPROZESS werden […] eine Reihe von alternativen Handlungen (F, F’, F’’ usw.) entweder mental durch DE- LIBERIEREN oder interaktional in einem Beratungsprozess durchgetestet; anschließend aufgrund der Ergebnisse dieser antizipatorischen Tests bestimmte Schlüsse gezogen und aufgrund dieser Schlüsse eine Auswahl der bestmöglichen Handlungsalternative vorgenommen.“ (Rehbein 1977: 42) (Herv. im Original, D.F.) Auch hier wird nicht weiter ausgeführt, wie der Beratungsprozess interaktional gestaltet sein muss, damit die Auswahl der bestmöglichen Handlungsalternative vollzogen werden kann. Die empirischen Daten in dieser Studie sollen darüber detaillierten Aufschluss geben. Grundlegend sind Gruppenentscheidungen nach Rehbein (1977: 169) als „kollektiver Planbildungsprozess“ zu verstehen. Die Planbildung ist dabei als ein Stadium im Handlungsprozess zu betrachten, welcher sich aus den Stadien Handlungskontext (0), Einschätzung (I), Motivation (II), Zielsetzung (III), Planen (IV), Ausführung (V), Resultat (VI) und Nachgeschichte (VII) zusammensetzt. Planbildungsvorgänge bestehen dabei primär aus der Schemabildung, also einem diskursiv verhandelten Entwurf des Gesamtablaufes der Handlung, der als Vorstufe des Entscheidungsprozesses gilt: <?page no="72"?> 72 „Das von einem Beteiligten verbalisierte Schema kann von den anderen z. B. GEBIL- LIGT, VERWORFEN, AKZEPTIERT, ZURÜCKGESTELLT usw., d. h. einem gemeinsamen Bewertungsprozeß unterworfen werden. Dieser gemeinsame Bewertungsprozeß kann sogar längere Zeit in Anspruch nehmen als die Handlung in der Ausführung.“ (ebd.: 161) (alle Herv. im Original, D.F.) Wenn das Schema von allen akzeptiert wird, liegt ein kooperativer Planbildungsprozess vor. Anders sind adversative Planbildungsprozesse gestaltet, in denen es um die Durchsetzung eines einzigen Planes gegenüber konkurrierenden Plänen geht: „[Dabei] ist das Schema in einer solchen Weise argumentativ darzustellen, daß es entweder den Opponenten zur Übernahme der Handlung bringt oder die Beurteiler der Auseinandersetzung ÜBERZEUGT bzw. so, daß Gegenargumente zu einer Veränderung des Schemas selbst führen. Beide Fälle (der der Kooperation wie der des adversativen Handelns) sprechen dafür, daß das Schema die Vorstufe des Entscheidungsprozesses ist: der Entscheidung, durch die aus dem Schema ein Plan für die Handlung entsteht. (ebd: 161-2) (alle Herv. im Original, D.F.) Rehbein (ebd.: 212) stellt in diesem Zusammenhang die empirisch fundierte Konzeptualisierung kollektiven Planbildens als deutliches Forschungsdesiderat heraus. 2.4 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden die wichtigsten theoretischen Konzepte und Grundannahmen in komprimierter Form als Ausgangsbasis für die empirische Untersuchung dargestellt. Für das Konstrukt der Lernerautonomie und dessen Verbindung zu sozialen Faktoren und Theorien beim Fremdsprachenlernen ließen sich drei Verständnisformen herausarbeiten: − die individualistische Perspektive, bei der der Einsatz von sozialen Strategien ein Instrument zum Erreichen personaler Autonomie im Fremdsprachenlernprozess darstellt, − die sozio-individualistische Perspektive, in der soziale Autonomie aus lerntheoretischer Sicht als Wegbereiter für das Erlangen personaler Autonomie im Sinne des autonomen Fremdsprachgebrauchs betrachtet wird sowie − die sozial-kollektive Perspektive, bei der soziale Autonomie als Ausdrucksform der Partizipation und Mitbestimmung in Fremdsprachenlerngruppen eine eigenständige Existenz einnimmt und damit einen Kontrast zur individuellen Autonomie darstellt. <?page no="73"?> 73 Auf dem letztgenannten Verständnis basiert die theoretische Fundierung dieser Studie, die von der Annahme getragen wird, dass soziale Autonomie in ihrer Ausprägung als Gruppenautonomie in institutioneller, sozial verankerter Sprachlernpraxis - in diesem Fall innerhalb des offenen Lernarrangements Projektunterricht - in besonderem Maße zur Entfaltung kommen kann. Projektorientiertes Fremdsprachenlernen ist durch die Merkmale Kooperation und Partizipation gekennzeichnet. Somit wird davon ausgegangen, dass die Entfaltung sozialer Autonomie durch die Mitbestimmung in projektbezogenen Gruppenentscheidungsaushandlungsinteraktionen ermöglicht wird, besonders wenn sich diese nach einem auf Gleichheit und Gegenseitigkeit beruhenden kollaborativen Interaktionsmuster (Storch 2001a) vollzieht: Die Autonomie einer Fremdsprachenlerngruppe ist innerhalb von Gruppenaushandlungsprozessen dann gegeben, wenn ein kollaboratives Interaktionsmuster zur gruppeninternen Entscheidungsfindung vorherrscht. Dieses Muster zeichnet sich nach Storch (2001a) durch einen hohen Grad an Gleichheit (beim Einfluss auf den Verlauf der Aktivität) und Gegenseitigkeit (beim Engagement mit den Beiträgen anderer) aus. Diese auf den o. g. Vorannahmen beruhende Arbeitsdefinition des Untersuchungsgegenstandes Lernergruppenautonomie dient gleichzeitig als Ausgangspunkt für die Bildung der Kategorien sprachlicher Handlungen und diskursiver Mittel innerhalb der Interaktions- und Partizipationsanalyse (s. Kapitel 3.5). Erfolgreiche Gruppenaushandlungsprozesse und insbesondere die dabei vollzogene Entscheidungsfindung zeichnen sich durch Interdependenz sowie Kooperations- und Kollaborationsprozesse aus, in denen der Einzelne als Teil der Gruppe seine persönlichen Bedürfnisse und Ziele immer wieder neu zur Aushandlungsdisposition stellt und mit den Gruppenzielen und -handlungsplänen konsensbasiert in Einklang bringt. In diesem Fall stellen Gruppenmitglieder bewusst die Ausübung ihrer personalen Autonomie zugunsten der Gruppenautonomie zurück und erfahren sich durch ihre Mitbestimmung im Gruppenaushandlungsprozess als autonom handelnd (s. Abb. 10). Partizipation geschieht vor diesem Hintergrund durch die Aushandlung von projektbezogenen sprachlichen und fachlichen Expertisen und Kompetenzen sowie der Entscheidungsmacht jedes Einzelnen. <?page no="74"?> 74 Abb. 10: Gruppenautonomie und Mitbestimmung Gruppenentscheidungen werden nach Gunnarsson (2006) und Rehbein (1977) als kollektiver Planbildungsprozess konzeptualisiert, bei dem mindestens zwei Personen aus mindestens zwei alternativen Handlungsoptionen die konsensuell bewertete bestmögliche Alternative auswählen. Diese wird unmittelbar ausgeführt oder durch öffentliche Bekanntgabe als Plan zu deren verpflichtender Umsetzung konsolidiert. <?page no="75"?> 75 3 Forschungsmethodologie und -design 3.1 Fragestellung und Ziel Aus den bisherigen Darstellungen zum subjektiven Vorverständnis, den theoretischen Grundlagen und der Definition relevanter Konzepte bzw. Begriffe (s. Kapitel 2) lässt sich zur empirischen Untersuchung des beschriebenen Gegenstandes folgende zentrale Forschungsfrage mit drei Teilfragen ableiten: − Welche Potenziale sozialer Autonomie bietet der Projektunterricht im Kontext Deutsch als Fremdsprache? − Wie gestalten sich Entscheidungsfindungsprozesse in einem Handyvideoprojekt während der polyadischen Interaktion? − Welche Formen der (Mit-)Bestimmung werden innerhalb dieser Gruppenentscheidungsprozesse deutlich? − Wie werden diese Interaktionsprozesse retrospektiv von den einzelnen Gruppenmitgliedern wahrgenommen? Ziel der Studie ist somit das Ergründen von Autonomiepotenzialen in Gruppeninteraktionsprozessen, um so zur empirischen Erfassung des Konstrukts „soziale Autonomie“ beizutragen. Diese Prozesse sollen anhand von spezifischen Interaktionsformen in gruppenbasierten Lernarrangements identifiziert und beschrieben werden, um daraus Hypothesen für die Anbahnung und den Einsatz autonomie- und damit sprachlernförderlicher Gruppeninteraktionen im Fremdsprachenunterricht abzuleiten. Damit der bisher empirisch noch nicht erfasste Forschungsgegenstand, bei dem weniger die konkreten Lernprodukte als mehr die Interaktions- und damit Lernprozesse im Vordergrund stehen (vgl. Riemer & Settinieri 2010: 767), differenziert und adäquat beschreiben werden kann, verfolgt die Studie einen explorativ-interpretativen Forschungsansatz, an dessen Ende die Bildung von Hypothesen zur Rolle soziointeraktionaler Aspekte bei der Konzeptualisierung von Lernerautonomie steht. Mit diesem Ansatz wird den speziellen Charakteristika des Forschungsfeldes Fremd- und Zweitsprachenerwerb 22 besondere Rechnung getragen. Maßgeblich ist dabei das Verstehen als Erkenntnisprinzip, bei dem Wirklichkeit als ein Resultat individueller Konstruktionsprozesse verstanden wird, welche es rekonstruktiv, holistisch, induktiv, an den Untersuchungsteil- 22 Es ist geprägt von Faktorenkomplexion, Kontextabhängigkeit, Institutionengebundenheit, Prozess- und Produktorientiertheit, Abhängigkeit von subjektiven oder impliziten Lehrenden- und Lernendentheorien, Diskontinuität und Individualität sowie divergierenden Menschenbildannahmen (vgl. Grotjahn 2006). <?page no="76"?> 76 nehmenden (UTN) und deren soziokulturellen Kontext(en) ausgerichtet zu erfassen gilt (vgl. Müller-Hartmann & Schocker-v. Ditfurth 2001: 3 ff., Riemer 2008: 6 f., Schart 2003: 16). Dementsprechend gestaltet sich der Untersuchungsgegenstand „dynamisch[…], komplex[…], mehrdimensional[…] und […][durch] unterschiedliche[…] Variablen konstituiert […]“ (Riemer 2008: 12) und erfordert ein Forschungsdesign, das an die Feldforschung angelehnt, real vorfindbares Verhalten in alltagsbelassenen Lehr- und Lernsituationen untersucht und das den Prinzipien qualitativen Forschens entspricht sowie sich an daraus ableitbaren Gütekriterien orientiert. Die Diskussion über Qualitätsstandards für die Fremdsprachenforschung erfolgt in angloamerikanischen Publikationen (u. a. Mackey & Gass 2005: 179 ff.; Richards 2009: 160 ff.) über die von Lincoln & Guba (1985) innerhalb der qualitativen Sozialforschung entwickelten Kriterien credibility (Glaubwürdigkeit, Plausibilität; Übers. D.F.), dependability (Verlässlichkeit, Stabilität; Übers. D.F.), confirmability (Nachvollziehbarkeit, Evidenz; Übers. D.F.), transferability (Übertragbarkeit; Übers. D.F.) und auch Transparenz, welche eher aus der Rezeptionsperspektive von qualitativen Studien heraus entwickelt worden sind. Im deutschsprachigen Raum entsprechen sie weitestgehend den eher aus der Forschungsproduktionsperspektive heraus von Lamnek (2005) etablierten Forschungsprinzipien Offenheit, Flexibilität, Kommunikativität, Reflexivität, Prozessorientierung sowie Explikativität und dienen ebenso wie ihre englischen Pendants als Gegenentwürfe der nicht deckungsgleich übertragbaren Gütekriterien der quantitativen Forschung Objektivität, Reliabilität und Validität. Als grundlegend für die weitere Ausdifferenzierung wird dabei die Transparenz angesehen, welche die Nachvollziehbarkeit aller Einflussfaktoren auf Entscheidungsprozesse innerhalb des Forschungsprozesses ermöglichen soll (vgl. Aguado 2000). Darauf aufbauend gilt die weitestmögliche Berücksichtigung der von Steinke (1999: 252 ff.) formulierten Gütekriterien explorativ-interpretativen Forschens. Zur Gewährleistung der o. g. Plausibilität (credibility) sind hier die − Relevanz (Theorie- und Praxisbezug der Fragestellung), − die reflektierte Subjektivität (Reflexion persönlicher Voraussetzungen des Forschenden zum Thema) und − die empirische Verankerung (Theoriebildung und -überprüfung auf Basis empirischer Daten) zu nennen. Bezüglich der Verlässlichkeit (dependability) von Forschungsergebnissen sind die − Indikation des Forschungsprozesses (gegenstandsangemessene Methodenwahl, Transkriptionsregeln u. ä.) und − die Limitation der entwickelten Theorie(n) (Beschreibung gegenstandsrelevanter Bedingungen und Kontexte) zuträglich. <?page no="77"?> 77 Des Weiteren sind hinsichtlich der Evidenz (confirmability) die − intersubjektive Nachvollziehbarkeit (z. B. durch Dokumentation der Vorannahmen und des Forschungsprozesses, Textinterpretation in Gruppen) sowie die − Kohärenz (widerspruchsfreie Beziehung zwischen Daten und Interpretationen) wesentlich, welche ebenso zur Übertragbarkeit (transferability) einer Studie beitragen. Da die vorliegende Untersuchung an diesen Kriterien ausgerichtet ist, wird auf deren Berücksichtigung in den Ausführungen dieses und der folgenden Kapitel an den entsprechenden Stellen soweit möglich reflektierend Bezug genommen. Ausgangspunkt der Darstellung weiterer methodologischer Implikationen eines explorativ-interpretativen Forschungsansatzes bildet die nun folgende Darlegung des der Studie zugrundeliegenden Menschenbildes. „Der Begriff explorativ-interpretatives Forschen […] steht für eine Reihe verschiedener Ansätze, die […] gemeinsame Annahmen über den Menschen und die soziale Umwelt teilen: Fremdsprachenlerner und -lehrer werden nicht mehr von außen betrachtet, sondern aus ihrer Binnensicht. Dabei wird ihre Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexivität und Kommunikation genutzt (vgl. Caspari et al. 2003: 499). Die etische Sicht auf den Untersuchungsgegenstand (Perspektive des Forschenden, 3. Person, von außen) soll in dieser Studie durch die emische Perspektive (Sicht des Beforschten, 1. Person, von innen) ergänzt werden. Dabei impliziert die Ausrichtung an der soziokulturellen Theorie des Lernens (Wygotski 1934, 2002) ein Subjektmodell, das dem des aus der Anthropologie stammenden, ethnographisch-phänomenologischen Menschenbild entspricht. Es erweitert die Merkmale „Intentionalität, (Selbst-)Reflexivität, Rationalität und Kommunikationsfähigkeit“ elaborativ-prospektiver Menschenbildannahmen, 23 wie sie im Forschungsprogramm „Subjektive Theorien“ (Groeben 1988) entwickelt wurden, um die Annahme, dass Kognition auch als sozialer Vorgang zu verstehen ist und bezieht emotionale, körperlich-räumliche, biographische, kulturelle, gesellschaftliche und historische Aspekte in das zugrundeliegende Forschungsverständnis mit ein (vgl. Hu 2001, Schmelter 2004: 49 ff., Schwerdtfeger 2000). Damit grenzt es sich von reduktiv-implikativen Subjektmodellen ab, die menschliches Handeln aus behavioristischer („Mensch als Maschine“) oder rationalistisch-kognitivistischer Sicht („Mensch als Computer“) beschreiben und dieses dabei auf rein mentale Prozesse reduzieren (vgl. Grothjahn 2005: 70 ff.). Die 23 Für Grotjahn (2005: 76) stellt das phänomenologische Teil des elaborativen Menschenbildes dar, für Schmelter (ebd.) hingegen ist es eine Weiterentwicklung. <?page no="78"?> 78 genannten Faktoren menschlicher Kognition werden somit nicht als zu neutralisierende Störvariablen angesehen, sondern bewusst als Konstituenten eines Forschungsfeldes wahrgenommen und ihnen mit der Wahl eines entsprechenden Untersuchungsdesigns Rechnung getragen. Die ganzheitliche Sichtweise dieses ethnographisch-phänomenologischen Subjektverständnisses ermöglicht somit den umfassendsten Zugriff auf das Situationsgefüge „Fremdsprachenunterricht“ und auf die in der Untersuchung im Mittelpunkt stehenden Gruppenaushandlungsprozesse. Die explorativ-interpretativ angelegte Studie verortet sich innerhalb der Forschungstraditionen der Fremdsprachenforschung im Forschungsfeld der Unterrichtsforschung (classroom research) und speziell innerhalb der L2-Interaktionsforschung. Im Vergleich zu anderen Forschungstraditionen zeichnet sich diese durch die Nähe zum Klassenraum sowie zu den Lernenden aus. Sie macht Forschungsdesigns damit praktisch nachvollziehbarer und aussagekräftiger und erhöht die Akzeptanz der in diesen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse für das Unterrichtsgeschehen (vgl. Aguado 2010: 817 ff.; Brown & Rogers 2002: 79 ff.). Im engeren bzw. im interaktionistisch-kognitivistischen Sinne befasst sich Interaktionsforschung mit der Frage nach der Förderlichkeit von (bestimmten) Interaktion(en) für den Fremdspracherwerb sowie mit Einflussfaktoren auf diese Interaktion(en), basierend v. a. auf Longs Interaktionshypothese (1996). Innerhalb des Fremdsprachenunterrichts wird hierfür u. a. zwischen mündlicher und schriftlicher oder Lese- und Schreibinteraktion differenziert und es stehen dabei sowohl Lehrer-Lerner als auch dyadische und polyadische Lerner-Lerner- Interaktionen zwischen L2-Sprechern oder L1- und L2-Sprechern im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Diese Studien arbeiten meist deskriptiv, z. T. in laborähnlichen Kontexten und (pseudo-)experimentellen Settings mit Vergleichsgruppendesigns, statistischen Signifikanztests und teilen häufig die gleiche Operationalisierung von Interaktionsmerkmalen (Eckert 2003, Spada & Lightbown 2008). In einem weiteren Sinne und vor allem mit dem soziokulturellen Forschungsparadigma verknüpft, reicht L2-Interaktionsforschung über rein spracherwerbsspezifische Fragestellungen hinaus und betrachtet Interaktion(en) ergänzend aus weiteren für den Kontext Fremdsprachenlehren und -lernen relevanten Perspektiven wie der des Unterrichtsumfeldes, der Unterrichtsbedingungen, des Verhältnisses zwischen Lehrenden und Lernenden oder der Lernenden untereinander (Aguado 2010: 820). Dabei favorisierte Forschungsdesigns erheben Daten in authentischen Unterrichtsinteraktionen, um in differenzierten (Video-) Beobachtungs-, Aufbereitungs- und Auswertungsdesigns das Online-Erfassen von komplexen Unterrichtsprozessen zu ermöglichen. Introspektive und retrospektive Erhebungsverfahren beziehen dabei zunehmend Faktoren wie Wahrnehmung, Bewusstsein und Reflexion auf individueller Ebene ein, um Aushandlungsprozesse zusätzlich zur Forschendenauch aus Lernendenperspektive <?page no="79"?> 79 rekonstruieren zu können. Die damit einhergehende Analyse von Nonverbalia als Teil der Interaktionen führt zum zunehmenden Einsatz der Videographie als Erhebungsinstrument in der Interaktionsforschung (ebd.: 822 ff., s. Kapitel 3.3). Interaktionsforschung ist hierfür eng an interaktionsanalytische Auswertungsverfahren, wie Diskurs-, Gesprächs- oder Konversationsanalyse geknüpft, wobei das für diese Untersuchung gewählte Datenauswertungsverfahren der Interaktions- und Partizipationsanalyse im Kapitel 3.5.2 dargestellt wird. Das ab Kapitel 3.3 detaillierter ausgeführte Forschungsdesign entspricht dem einer quasi-longitudinalen Studie (vgl. Eckerth 2003: 81 f.; Marx 2004: 76), deren Kennzeichen im Gegensatz zu Querschnittsstudien die Datenerhebung über einen längeren Zeitraum und der Einsatz gleicher oder ähnlicher Instrumente sind. Da in der forschungsmethodischen Literatur keine Angaben über eine Mindestdauer zum Erreichen von Longitudinalität gemacht werden, geht Eckerth (ebd.) im Sinne eines Zeitreihendesigns als Kriterium einer Längsschnittstudie von einer mehr als einmaligen Erhebung bei den gleichen UTN aus. Sie ermöglicht das Erfassen von intraindividuellen Veränderungen sowie die interindividuelle Vergleichbarkeit zu verschiedenen Zeitpunkten einer auf die Untersuchung von Prozessen ausgerichteten Datenerhebung und entspricht damit einem Desiderat der Unterrichtsforschung, dass „nur durch einen longitudinalen Zuschnitt Lernprozesse angemessen erforscht und die Wirkungen von Interaktionen auf den L2-Erwerb überzeugend nachgewiesen werden können“ (Augado 2010: 823). Die vorliegende Studie umfasst, wie unter 3.4 beschrieben wird, einen fünfwöchigen Untersuchungszeitraum, in dem Interaktionen und die darauf bezogenen individuellen Erinnerungen mehrerer Gruppen zu zwei Zeitpunkten untersucht werden. Dies lässt zu, dass die mit dem Untersuchungsgegenstand in Verbindung stehenden Aushandlungsphänomene auf ihre Konstanz oder eventuelle Schwankungen hin beschrieben und interpretiert werden können, ohne dass von Vornherein ein Vergleichsdesign festgeschrieben ist. 3.2 Forschungskontext und Untersuchungsteilnehmende Im folgenden Abschnitt wird im Sinne der größtmöglichen Transparenz detailliert auf den Untersuchungskontext, situationsbedingte Einflussfaktoren sowie die Teilnehmenden der Studie eingegangen. Die am explorativen Ansatz ausgerichtete Unterrichtsforschung erfordert ein Untersuchungsfeld, das so natürlich wie möglich belassen wird und damit idealerweise in realen Fremdsprachenunterrichtskontexten situiert ist. Jegliche Standardisierung in der Datenerhebung oder Einbindung in laborähnliche, experimentelle Settings läuft dem Anliegen zuwider, tiefgründige, reichhaltige Daten zu erhalten, die die im Untersuchungsfokus stehenden Prozesse in ihrer Komplexität adäquat erfassen und abbilden können. Entsprechend führt dies zu einer Reduktion auf eine geringere Menge an UTN, erfordert die Überprüfung der <?page no="80"?> 80 Übertragbarkeit von Ergebnissen auf weitere Kontexte und erlaubt die Bildung von Theorien mittlerer Reichweite (vgl. Riemer 2008, Riemer & Settinieri 2010). Die vorliegende Studie macht sich das natürliche Untersuchungsfeld des im Unterricht verankerten Fremdsprachenlernprojektes zunutze, wo soziale Partizipationsprozesse in einem realen Kontext erfassbar sind. Fremdsprachenlernprojekte sind in vielfacher Hinsicht für das Erheben von Entscheidungsinteraktionsdaten prädestiniert, da die Untersuchung von Gruppenaushandlungsprozessen einen Rahmen erfordert, der wiederkehrende authentische Interaktionen in der Fremdsprache Deutsch mit einem höchstmöglichen Partizipationspotenzial jedes einzelnen Kursteilnehmenden hervorruft. Im Gegensatz zu einer einmaligen Aufgabenbearbeitung in Gruppen stellt Projektarbeit als eine Ausprägungsform offenen Unterrichts ein Verfahren mit hoher Teilnehmeraktivierung über einen längeren Zeitraum dar, das an bedeutungsvolle (Aus-)Handlungsprozesse in der Fremdsprache geknüpft ist. Entscheidungsfindungen während verschiedener Phasen einer Gruppenarbeit können in ihrer Geartetheit, Dynamik und Vielfalt erst in einer Lernform wie dem Projekt beobachtet werden, das durch seine interne Strukturiertheit wiederholte Aushandlungsmomente innerhalb eines thematischen Rahmens in einer relativ festen Gruppenkonstellation zulässt. In der vorliegenden Studie blieben dabei bereits vorhandene Gruppengefüge weitestmöglich erhalten, besonders im Fall eines Kurses, in dem aufgrund seiner geringen Teilnehmerzahl die Gesamtkursgruppe der Projektgruppe von fünf Personen entsprach. Der Authentizität der Erhebungssituation war außerdem zuträglich, dass die Projektsitzungen in den jeweiligen Unterrichtsräumen der Kurse stattfanden, also ein vertrautes Umfeld beibehalten blieb und die ursprünglichen Kursleiter zu allen Phasen des Projektes ebenfalls präsent waren. Diese brachten sich z. T. als Videographieassistenten ein (s. Kapitel 3.3) oder unterstützten die Projektleiterin gegen Ende des Projektes bei der Arbeit in einzelnen Gruppen bspw. bei der Übersetzung von Untertiteln von der L1 in die L2. Im Vorfeld des Projektes bereiteten die Kursleiter die UTN sprachlich auf das Themenfeld der Filmsprache und Videoproduktion vor. Nicht zu vernachlässigen bei der Betrachtung des Untersuchungskontextes ist der Fakt, dass die Projektinitiative in Rahmen der Studie von der Forscherin ausging, die diese über eine Kollegin vor Ort an die Kursleiter herantrug. Sie prüften die Zielsetzungen und Inhalte des Handyprojektkonzepts hinsichtlich ihrer Passung in das jeweilige Kurscurriculum und banden es somit jeweils nach Abstimmung mit den Kursteilnehmenden in das relativ flexible Kursprogramm ein. Dabei wurde (der Informationspflicht als forschungsethischem Grundsatz nachkommend) den Beteiligten von Anfang offengelegt, dass das Projekt zur Forschungszwecken durchgeführt wird und im Laufe der Datenerhebung auch von den Teilnehmenden selbst erschlossen, dass dabei die Gruppengesprächsphasen in besonderem Forschungsinteresse standen. Da die Forscherin auch gleichzeitig die Leiterin des Handyprojektes war, ist eine konzeptuelle Nähe des Designs der Studie zum Forschungsfeld der Ak- <?page no="81"?> 81 tionsbzw. Handlungsforschung gegeben. Gemein hat das Design mit der Aktionsforschung den hohen Praxisbezug durch die Untersuchung authentischen Unterrichts und die Situierung der Datenerhebung im und nach dem Unterrichtsgeschehen, also innerhalb eines bereits existierenden etablierten institutionellen und sozialen Fremdsprachenlerngefüges. Die grundlegende Unterscheidung ist jedoch im Zweck der Untersuchung zu verorten. Dient die Aktionsforschung als zyklische Aktion und Reflexion der Verbesserung einer konkreten Unterrichtssituation des Kursleitenden, stand im Falle der vorliegenden Studie nicht die Erprobung und Optimierung von DaF-Handyprojekten im Vordergrund, sondern das Erfassen von Interaktionen in einem authentischen Kontext, welcher durch das von der Forschenden in einen regulären Deutschkurs integrierte Videoprojekt entscheidend mitgestaltet wurde. Die dadurch entstandene Rollendopplung „Forscherin - Projektleiterin“ ist dabei lediglich forschungsökonomischen Gründen geschuldet. Ebenso hätte das Projekt bei entsprechender vorbereitender Qualifizierung der Kursleitenden von ihnen selbst durchgeführt werden können, ohne dass dies der Schaffung der im Forschungsinteresse stehenden Gruppenentscheidungsprozesse entgegengewirkt hätte. Damit soll verdeutlicht werden, dass weniger ein konkretes Unterrichtsformat, welches es in seiner Implementierung zu optimieren gilt, als die durch das Format ausgelösten Interaktionsprozesse ausschlaggebend für das Design der Untersuchung in diesem Setting waren. Nicht außer Acht gelassen werden soll, dass die Rollendopplung „Forscherin - Kursleiterin“ einen Einfluss auf das Verhalten der UTN ausgeübt haben könnte, welcher im Sinne der Authentizität und des Mehrwertes für alle in das Projekt involvierten Akteure nur befürwortet werden kann. Die Rollendopplung und die damit verbundene Frage nach Nähe oder Distanz zum Forschungsgegenstand stellt in der explorativ-interpretativen Fremdsprachenunterrichtsforschung ein immer häufiger anzutreffendes und dabei kontrovers diskutiertes Phänomen dar (vgl. Hoffmann 2008, Schmelter 2004, Rüger 2010, Tassinari 2010). Problematisiert wird dabei das Ungleichgewicht, was beim gleichzeitigen Ausfüllen beider Rollen auftreten kann, indem je nach Situation jeweils eher die Interessen der Forschenden oder eher die Interessen der Lehrenden in den Vordergrund rücken und somit die Anliegen der jeweiligen anderen Rolle vernachlässigt werden könnten. Für eine strikte Trennung beider Rollen zur Entwicklung adäquater Konzepte und über die alltäglich Praxis hinausreichende Theorien sowie daran anknüpfende langfristige und übergreifende Unterrichtsveränderungsmöglichkeiten plädiert Hoffmann (2008: 124), wobei sie dieses Plädoyer aus einer zur Aktionsforschung abgrenzenden Sicht formuliert. Jedoch ermöglicht außerhalb der Aktionsforschung keine andere Forschende(r)-Lehrende(r)-Konstellation der Unterrichtsforschung eine derartige Nähe zum Untersuchungsfeld, womit zweifelsohne ein wesentlicher Beitrag zur Glaubwürdigkeit (credibility) der Studie als einem der oben genannten Gütekriterien beigetragen wird. Aus Perspektive der Datenqualität betont Rüger (2010) den Mehrwert der Rollendopplung beispiels- <?page no="82"?> 82 weise bei der Möglichkeit der unmittelbaren situationsbedingten Anpassung der Erhebungsinstrumente, zur Gewährleistung der Vollständigkeit von Datensätzen und dem Erhalt von tiefergreifenden, analyserelevanten Kontextinformationen. Im Rahmen der vorliegenden Studie bleibt zu betonen, dass die Forscherin den Untersuchungskontext zwar wesentlich in ihrer Rolle als Projektleiterin mitgestaltet hat, aber im Gegensatz zur herkömmlichen teilnehmenden Beobachtung durch den Einsatz der Videographie als beobachtendes Erhebungsinstrument eine weitestmögliche Trennung beider Rollen gelang, da die Videokamera als Aufnahmemedium eine größere Neutralität und Distanz in der Beobachtung gewährleisten konnte (s. Kapitel 3.3.1). In der Rolle der Projektleiterin bemühte sich die Forscherin, das Entscheidungsverhalten der Gruppen so wenig wie möglich zu beeinflussen und hielt sich in den Aushandlungsphasen weitestgehend zurück bzw. ging nur auf inhaltliche oder sprachliche Rückfragen der Lernenden ein. Der bewusste Verzicht auf eine (Vor-)Strukturierung des Untersuchungsfeldes, welche einen offenen Zugang in selbiges ermöglichen sollte, erfordert in einem nächsten Schritt die detaillierte Beschreibung sämtlicher den Erhebungskontext charakterisierender Faktoren hinsichtlich lokaler Gegebenheiten sowie seitens der UTN, wie z. B. Alter, Geschlecht, L1, L2-Kompetenz, Unterrichtskontext, Lernziele usw. Die Auswahl der UTN dieser Studie erfolgte nach unterschiedlichen Gesichtspunkten, sofern der gewählte Untersuchungskontext dabei Spielräume ermöglichte. Die Wahl fiel auf eine sprachlich-kulturell homogene Lernendengruppe mit der Erstsprache Spanisch, um bewusst kulturell möglicherweise unterschiedlich geprägte Gesprächs- und Aushandlungsstile als Einflussfaktor auf das Interaktionsverhalten der Gruppenmitglieder auszuschließen. Ausschlaggebend für die Ansiedlung der Studie im lateinamerikanischen Kontext, speziell in Mexiko, waren die Kenntnisse der lateinamerikanischen Variante des Spanischen und die durch langjährige Aufenthalte in der Region erworbene Vertrautheit mit deren spezifischen soziokulturellen Gegebenheiten aufseiten der Forscherin. Dies wirkte sich besonders förderlich auf einen weitestgehend kultursensiblen Zugang zum Untersuchungsfeld und den weiteren Umgang mit den darin erhobenen Daten aus. Hinsichtlich des Kriteriums Alter fiel die Wahl auf eine Teilnehmendengruppe von erwachsenen Lernenden, die freiwillig Deutsch studienbegleitend an der Universität oder berufsbegleitend bei einem privaten Sprachkursanbieter lernten. Als weiteres Samplingkriterium kam die Deutschkompetenz der Lernenden hinzu. Hier wurde ein Mindestniveau von B1 nach dem GeR als grundlegend erachtet, welches das sprachliche Fundament zu einer aktiven Beteiligung an allen Gruppenaushandlungen in der Zielsprache sicherstellen sollte. Das Handyprojekt wurde daher in einer B2-Gruppe eines studiengangsübergreifenden Deutschkurses am Fremdsprachenzentrum der Universidad de Guadalajara (UdeG) und in einer C1.1-Gruppe der Sprachschule Instituto de Enseñanza para el Aprendizaje de Lenguas (IDEAL) durchgeführt. Beide Gruppen <?page no="83"?> 83 zusammengenommen umfassten eine Teilnehmendenzahl von 13 (sechs männliche und sieben weibliche) im (geschätzten) Alter zwischen 20 und 45 Jahren. Beide Kurse verfolgten das Ziel, die je nächsthöhere Kompetenzstufe (B2 bzw. C1) zur erreichen, wobei das Ablegen einer zertifizierten Prüfung im Anschluss an den Kurs freiwillig erfolgte, also keinen integralen Bestandteil des jeweiligen Kurscurriculums darstellte. Obwohl beide Kurse in der Datenerhebung und -auswertung nicht vergleichend, sondern im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand als eine Einheit betrachtet wurden, sollen hier kurz wesentliche Charakteristika beider Lernkontexte vorgestellt werden. Das Teilnehmendenprofil beider Kurse unterschied sich insofern, als dass die Universitätsgruppe ausschließlich studentische Lernende aus unterschiedlichen Fachrichtungen umfasste, welche mehrheitlich nach einem Auslandssemester in Deutschland ihre Sprachkenntnisse festigen oder sich in zwei Fällen auf die B2- Prüfung des Österreichischen Sprachdiploms (ÖSD) vorbereiten wollten. Hinsichtlich der fachlichen Ausrichtung bestand die Lernendengruppe aus Studierenden geisteswissenschaftlicher Fächer, die den Kurs als Wahlpflichtfach belegten und Studierenden nichtgeisteswissenschaftlicher Fächer, die den Kurs als freiwilliges studienbegleitendes Sprachkursangebot nutzten. An der UdeG steht Deutsch als Fremdsprache als fakultatives Kursangebot Hörern aller Fakultäten offen und stellt gleichzeitig ein Wahlpflichtfach für Studierende einiger geisteswissenschaftlicher Studiengänge dar. In diesem Fall müssen die Studierenden Deutsch mit drei Wochenstunden über fünf Semester belegen und können den Sprachunterricht optional über weitere fünf Semester fortsetzen, mit dem Ziel nach zehn Semestern das Niveau B1 bis B2 nach dem GeR zu erreichen (vgl. Herzig 2014). Die Gruppe der Lernenden am Spracheninstitut IDEAL war insofern in ihrer Zusammensetzung heterogener, als dass sie neben Studierenden verschiedener Hochschulen auch berufstätige Kursteilnehmende mit akademischen Abschlüssen umfasste, die das Erlernen des Deutschen eher als eine Freizeitbeschäftigung, denn als eine akademische oder berufliche Weiterqualifikation betrachteten. Der deutsche Sprachraum war einigen der Lernenden bereits durch Urlaubs- oder Besuchsreisen bekannt. Alle Kursteilnehmenden hatten im vorangegangen Bimester die B2-Prüfung des ÖSD erfolgreich abgelegt. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal der beiden Kurskontexte stellten die Beiträge für die Teilnahme am Kurs dar. Während das privatwirtschaftlichen Sprachinstitut IDEAL eine Kursgebühr erhob und dementsprechend nur Personen mit der nötigen finanziellen Ausstattung offenstand, fielen für die Studierenden des universitären Deutschkurses keine Teilnahmegebühren an. Trotz der aufgezeigten geringfügigen Differenzen hinsichtlich des Kurstyps und der Teilnehmendenprofile kann bei dem in der Studie erfassten Personenkreis von einer relativ homogenen Untersuchungsgruppe gesprochen werden. Aus methodologischer Perspektive führen die dargestellten Kontextspezifika und methodischen Vorüberlegungen zu einem Forschungsdesign, welches so- <?page no="84"?> 84 wohl die Innenals auch die Außensicht auf den Untersuchungsgegenstand fokussiert, zu einer Triangulation von Datenerhebungsmethoden. Im vorliegenden Fall wurden beobachtende mit introspektiven Verfahren kombiniert, die im folgenden Abschnitt detailliert vorgestellt werden. 3.3 Instrumente: Videographie und Videobasiertes Lautes Erinnern Zur Beantwortung beider Teilaspekte der zentralen Forschungsfrage ist die Verknüpfung zwei verschiedener Datensorten, also solcher, die „strukturelle Aspekte des untersuchten Problems erfassen mit solchen […], die wesentliche Merkmale seiner Bedeutung für die Beteiligten fokussieren“ (Flick 2011: 24) notwendig. Dementsprechend bedient sich die Studie der Methodentriangulation, speziell der between method - Triangulation (Denzin 1978: 302), indem zwei methodische Zugänge - der der Videographie und der des Videobasierten Lauten Erinnerns (VLE) - zur Untersuchung des Forschungsgegenstandes herangezogen werden. Dies ermöglicht es, im Gegensatz zur Verwendung einer einzigen Erhebungsmethode, ein umfassenderes Bild des im Forschungsmittelpunkt stehenden Phänomens zu erhalten und die Weite und Tiefe der Analysemöglichkeiten zu erhöhen, also im Sinne des explorativen Vorgehens eine Erkenntniserweiterung zu erlangen (Flick 2011: 18) und damit auch die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse (credibility als Gütekriterium) zu verstärken. Entsprechend des Anliegens, die Innenals auch Außenperspektive auf den Untersuchungsgegenstand zu erfassen, 24 wird dabei das Erheben beobachtbarer, interaktiver Handlungen mit dem Erheben individueller, kognitiver Prozesse während dieser Handlungen kombiniert (ebd.: 42). Anzumerken ist, dass hierbei nicht zwei Methoden zur Untersuchung eines Ereignisses parallel eingesetzt wurden, wie es in der Regel bei diesem Triangulationsverfahren gehandhabt wird, sondern die Instrumente nacheinander zum Einsatz kommen, indem die aus der ersten Erhebungsmethode resultierenden Interaktionsdaten die Grundlage für den Einsatz der nachgeordneten Methode zur Erlangung individueller Daten bilden, also Daten dritter Klasse entstehen. Beide Datenarten ergänzen sich für die Auswertung komplementär und ermöglichen somit im Zugriff sowohl rekonstruktive (individuelle Zuschreibungsanalyse) als auch interpretative Analyseverfahren (Interaktionsanalyse). Die folgenden Abschnitte widmen sich zunächst der Präsentation und Diskussion der Erhebungsmethode der Videographie und anschließend des Videobasierten Lauten Erinnerns. 24 Flick (2011: 23 ff.) benutzt hier den Begriff der Perspektiven-Triangulation, mit dem er sich auf die Verknüpfung verschiedener qualitativer methodischer Forschungsansätze und nicht verschiedener Forscher (investigator triangulation) nach Denzin (1978: 302) bezieht. <?page no="85"?> 85 3.3.1 Videographie Sowohl in den Sozialwissenschaften (vgl. u. a. Corsten et al. 2010; Heath et al. 2010; Kissmann 2009; Knoblauch et al. 2006), in der Linguistik (u. a. Schmitt 2011, Heidtmann 2009), in den Erziehungswissenschaften (u. a. Dinkelaker & Herrle 2009, Hugener et al. 2006; Stigler et al. 2000) als auch in der Zweit- und Fremdsprachenforschung (u. a. Aguado et al. 2010, DESI-Konsortium 2008, Knapp & Ricart Brede 2012) hat sich die Überzeugung etabliert, dass soziale Interaktionen nur mittels Videographie angemessen untersuchbar sind. Das Verfahren der Videographie erfährt dabei zum Einen ein Verständnis als eigenes Forschungsprogramm bzw. -methodologie (i. S. einer „videographischen Studie“ mit spezifischen Video(interkations-)Analyseverfahren) zum Anderen als Datenerhebungsinstrument (i. S. der Tätigkeit „videographieren, auf Video mitschneiden, v. a. in der Unterrichts- und Fremdsprachenforschung). Im Rahmen des erstgenannten Verständnisses geht der Begriff der „Videographie“ als ethnomethodologisches Verfahren auf den Soziologen Hubert Knoblauch zurück und vermittelt die Anbindung der qualitativen Videoanalyse an die Ethnographie, wodurch sie „as the method to analyse people acting in social settings by video“ (2006: 71) verstanden wird. Hierbei stellen Videoaufzeichnungen nur einen Teil des zu analysierenden Datenmaterials eines Untersuchungsfeldes dar und werden durch weitere Daten, die aus Dokumenten, (Experten-)Interviews oder durch teilnehmende Beobachtung gewonnen werden, ergänzt. Diese Form der Videointeraktionsanalyse ist durch ihre Einbettung in sozialwissenschaftliche Theorien bzw. Forschungsansätze, wie dem symbolischen Interaktionismus, dem sozialen Konstruktivismus oder der Ethnomethodologie hermeneutischinterpretativen bzw. konversationsanalytischen Auswertungsverfahren verschrieben und grenzt sich damit von meist quantitativ orientierten Videoanalysemethoden der Psychologie oder einigen Zweigen der Soziologie, Anthropologie oder Erziehungswissenschaften ab (vgl. Knoblauch 2012: 252; Überblick über weitere Ansätze in Corsten et al. 2010; Reichertz & Englert 2011). Allgemein wird die methodologische Diskussion im Bereich der interpretativen Videographie als noch im Anfangsstadium befindlich beschrieben (Knoblauch & Schnettler 2009, Ricart Brede 2011), sodass sich für die fremdsprachenbezogene Empirie noch kein methodologisch ausgereiftes videographisches Forschungsprogramm etabliert hat. Während die Erziehungswissenschaft videobasierte Unterrichtsbzw. Kursforschung zur Untersuchung des sozialen Settings „Unterricht“ einsetzt „mit dem Ziel, die vielfältigen, die Interaktion prägenden Muster des Lehr-Lern- Geschehens in ihrer Komplexität zu rekonstruieren“ (Dinkelaker & Herrle 2009: 11), versucht die interaktionsanalytisch geprägte videobasierte Unterrichtsanalyse der Fremdsprachenforschung die Wirkungszusammenhänge zwischen Unterricht und Spracherwerb zu ergründen (vgl. Aguado et al. 2010). Die vorliegende Arbeit ist somit an der Schnittstelle beider Ansätze angesiedelt, da nicht <?page no="86"?> 86 primär der Fremdspracherwerb, sondern die Spezifika fremdsprachlicher Interaktionsprozesse als Indikatoren einer sozialen Perspektive auf Lernerautonomie im Setting Projektunterricht das Forschungsinteresse bestimmen. Nach der Anbindung an eine videographische Forschungsrichtung gilt es im Folgenden aufzuzeigen, welche weiteren Charakteristika den Einsatz dieses Datenerhebungs- und Analyseverfahrens für die Gruppeninteraktionsuntersuchung prädestinieren. Zunächst tragen moderne, immer kompatibler und kompakter werdende, qualitativ hochwertige Technologien zur Aufnahme und Auswertung von Videodaten dazu bei (eine gewisses Mindestmaß an Medienkompetenz voraussetzend), dass personell und finanziell geringer ausgestatteten Forschungsprojekten (v. a. im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten) der Zugang zu videographischer Forschung möglich ist. Darüber hinaus spricht für eine videographische Datenerhebung im ausgewählten natürlichen Setting im Gegensatz zu anderen Erhebungsmethoden von Interaktionsdaten, wie beispielsweise der teilnehmenden Beobachtung oder der alleinigen Tonaufzeichnung von Gesprächen die Möglichkeit einer relativ komplexitätserhaltenden und theorieunabhängigen Dokumentation (Intersubjektivität) von Aushandlungsprozessen sowie einer unbegrenzten Reproduzierbarkeit des Materials, die nicht nur die Datenauswertung vereinfacht, sondern auch die Nutzung der Videodaten zur retrospektiven Stimulierung zulässt (Schramm & Aguado 2010: 186, Knoblauch & Schnettler 2009: 587 ff.). Besonders für auf videographischen Daten aufbauende Erhebungsverfahren, wie im Fall der vorliegenden Untersuchung das Videobasierte Laute Erinnern (s. 3.3.2), stellt der Einsatz der Videomitschnitte als Impulsmaterial eine grundlegende Voraussetzung für ein methodentriangulierendes Forschungsdesign dar. Hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands erlaubt Videographie nicht nur das Erfassen von Gruppensituationen, sondern ermöglicht im Vergleich zur menschlichen Wahrnehmung „andere und erweiterte Ein-Blicke und Hör-Eindrücke in die Welt […] indem sie einzelne Aspekte wie den Ausschnitt, die Vordergrund-Hintergrund-Verhältnisse oder die Größen - und Zeitdimension variieren, unterschiedlich gewichten oder zusammensetzen“ (Moritz 2012: 36) So können Nah- oder Detailaufnahmen UTN optisch und akustisch an den Beobachtenden heranrücken, um Verhalten in einem Genauigkeitsgrad zu erfassen, wie es herkömmliche Beobachtungssituationen allein aus Gründen etablierter proxemischer Normen nicht zulassen würden. Ebenso ist im entgegengesetzten Fall durch Aufnahmen aus der Vogelperspektive möglich, Handlungen aus einer Position zu erfassen, die dem menschlichen Auge in der Regel verborgen bleibt, aber in Interaktionen wertvolle Zusatzinformationen z. B. des Zeigeverhaltens liefern kann (vgl. Mondada 2009: 56). <?page no="87"?> 87 Der besondere Mehrwert der Videographie im spezifischen Untersuchungskontext ist weiterhin die Möglichkeit zur gleichzeitigen Aufzeichnung von parallel ablaufenden Arbeitsgruppentreffen mit mehreren Geräten, wodurch simultane Projektarbeitsprozesse in den Gruppen erhalten und authentisch abgebildet werden können. Indem Videographie die „simultane und sequenzielle Erfassung von hör- und vor allem sichtbare[n] Elemente[n]“ (Nolda 2007: 480) zulässt, ist sie prädestiniert für den Einsatz in offen angelegten und damit höchst komplexen Untersuchungsfeldern, wie dem fremdsprachlichen Projektunterricht. Besonders in Spracherwerbssituationen bedienen sich Lernende mit noch in der Entwicklung begriffenen fremdsprachlichen Kompetenzen (oft kompensatorisch) nonverbaler oder paraverbaler Elemente der Kommunikation, um ihre Sprechabsicht zu verwirklichen. So können Nichtgesagtes, Blickverhalten, Mimik, Gestik, Körperpositur und -bewegung, Körperkonstellation, Berührungen und Proxemik essentiell für Interaktionsprozesse sein. Besonders die Nichtbeteiligung an einer Interaktion, die für diese ein konstitutives Element darstellt (Schmitt 2011: 11) ebenso wie Bewegungen - als einem einzigartigen Charakteristikum von Filmaufnahmen (Moritz 2011: 34) - können mittels rein auditiver Datenerhebungsformen nicht erfasst werden. Diese vielfältigen Modalitäten „sich in kommunikationsrelevanter Weise auszudrücken, Handlungsziele zu erreichen, soziale Bedeutung zu konstituieren und alle möglichen Arten interaktiver Arbeit zu betreiben“ (Schmitt 2004: 61), werden unter Hinzunahme der Verbalität als „multimodale Kommunikation“ (ebd.) bezeichnet und sind in ihrer Ganzheit im Rahmen einer Interaktionsstudie nur durch die videographische Datenerhebung angemessen erfassbar (vgl. auch Storch 2001a: 100). Multimodalität beinhaltet ebenfalls situative Aspekte des Forschungssettings, sodass durch Videographie die für den Untersuchungskontext und die Interaktion relevanten Objekte, z. B. Möbel, Arbeitsmittel o. ä. Gegenstände in ihrer Positionierung und Handhabung bezüglich des Interaktionsgeschehens erfasst werden können. Durch Videographie lassen sich nicht nur Oberflächenphänomene von Interaktionssituationen erfassen, sondern sie „offers a ‚microscope’ for an in-depth study of the ongoing production of situated social order“ (Knoblauch & Schnettler 2012: 335). Aspekte, die sich bei einer einmalig erlebbaren Beobachtung einer Handlung verflüchtigen, werden durch die Konservierung auf Speichermedien festhalt- und damit auch beobachtbar. Für die Auswertung halten Videodaten somit durch ihre Komplexität die Möglichkeit von mehrfachen Analysen mit verschiedenen Auswertungsfokussen und unter Einbezug von mehreren Beobachtern bereit. Dieses iterative Vorgehen ist besonders in explorativen Studien von Vorteil, deren konstanter Dialog mit den Daten in Analysegruppen wie sie Knoblauch und Schnettler (2012: 349 ff.) beschreiben, zu besonders reichhaltigen und intersubjektiv nachvollzogenen Interpretationen führt. Die „mikroskopische“ Tiefe der Auswertung der Daten wird durch deren Eigenschaft als digitales Videomaterial gefördert, welches durch verschiedene Verfah- <?page no="88"?> 88 ren der Videobearbeitung wie z. B. Standbild, Zoom oder Zeitlupe detailgenaue Darbietungsformen der Daten zulässt. Die bereits erwähnte Speicherbarkeit der Mitschnitte trägt letztendlich auch zur Erhöhung der Transparenz einer Studie bei (vgl. Heath et al. 2010: 7), da diese für die Rezipienten der Ergebnisse zugänglich und intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden können. Die Grenzen des Verfahrens liegen darin, dass auch videographisch erhobene Daten die persönliche Präsenz im Feld nicht ersetzen können und durch ihre Zweidimensionalität bildlich schwer zu erfassende nicht-visuelle und nichtakustische Faktoren der Erhebungssituation wie z. B. Atmosphäre, Gerüche, Raum- und Körpertemperatur oder -feuchtigkeit kaum abbilden können. Die erwähnte Datenfülle kann auch nicht drüber hinwegtäuschen, dass Videoaufnahmen „keine Abbilder im Sinne einer Verdopplung von Realität dar[stellen], sondern räumlich Entferntes und zeitlich Vergangenes [vergegenwärtigen]“ (Nolda 2007: 482). Diese Position relativiert positivistische Überzeugungen des sogenannten „Abbildrealismus“, wonach Videos ein realitätsgetreues Abbild der Welt darstellen (z. B. „Totalität der Wirklichkeitserfahrung“, „weitgehend ungetrübte Bilder der alltäglichen Realität“ bei Knapp & Ricart Brede 2012: 219) und betont die Entfremdung bzw. Transformation der Realität durch Videos sowie die Konstruiertheit von Welt durch Videos (Moritz 2012: 37 ff.), die ihnen eigenen Rezeptionsspezifika unterliegen: „Die „Realitätsillusion“ wird dabei erwirkt nur zum einen durch die aktive Konstitution von mentalen Vorstellungen des Betrachters (die übrigens - im Gegensatz zum Vorgang des Filmverstehens - nicht vom deklarativen Wissensbestand oder aber vom Bildungsniveau einer Person abhängen). Die subjektive Bedeutung eines Films manifestiert sich zum anderen durch ein unwillkürliches Wechselspiel zwischen dem im Film dargebotenen Geschehen und den jeweils eigenen Weltbezügen eines Betrachtenden.“ Somit lässt sich durch Videographie kein unmittelbarer und ungefilterter Gesamtüberblick über ein Untersuchungsfeld erzeugen, da die Aufnahmen immer einen begrenzten Ausschnitt der zu untersuchenden Ereignisse darstellen, welcher von Faktoren wie z. B. Kameraanzahl, Kameraposition, Einstellungsgröße, Kameraperspektive und -führung entscheidend beeinflusst wird. Durch Vorabentscheidungen sowie z. T. spontane situationsabhängige Anpassungen bezüglich der genannten Aspekte unterliegt der videographierte Untersuchungsfokus daher ähnlichen Selektionsverfahren wie die teilnehmende Beobachtung. Dinkelaker & Herrle (2009: 92 ff.) sprechen hier von einer „reversiblen Selektivität“, da die Auswahl der zu analysierenden Datensequenzen nicht schon bei deren Erhebung durch den Beobachter geschieht und damit simultan ablaufende Handlungen unberücksichtigt bleiben müssen, sondern diese Selektion in den synchronen und/ oder diachronen Videoanalyseprozess verlagert werden kann. Damit hält das Videomaterial eine überkomplexe Datenfülle bereit, der nur in mehrfachen Analysegängen gerecht werden kann: „Diese Reversibilität der Se- <?page no="89"?> 89 lektivität erlaubt es auch, unterschiedliche, parallel zueinander verlaufende sequentielle Ordnungen je für sich und in ihrem Verhältnis zueinander zu rekonstruieren.“ (ebd.: 96). Im Zusammenhang mit der oben genannten Gestaltung der Videosituation ist der Faktor der Reaktivität 25 zu thematisieren. Prinzipiell ist davon auszugehen, dass Videoproduktionen als soziale Praxis (Mondada 2009: 64, Mohn 2009: 174) den jeweiligen Untersuchungskontext beeinflussen und sich auf das Verhalten der videographisch begleiteten Personen auswirken (vgl. z. B. Dinkelaker & Herrle 2009: 21, Laurier & Philo 2009, Marquardt 2011, Mohn 2009). Es kann daher nur angestrebt werden, eventuelle Verzerrungen des Geschehens durch entsprechende reaktivitätsvermindernde Maßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren. Hierbei empfehlen sich eine zeitlich angemessene Verweildauer im Feld sowie seitens der Kamerapersonen die Einnahme der Haltung einer „gelassenen, mäßig interessierten Emotionslosigkeit“ zur Gewöhnung der Teilnehmenden an die Aufnahmesituation und die damit einhergehende Abnahme der Reaktionen darauf (Dinkelaker & Herrle: 22 ff.). Zudem erfordert die an wissenschaftlichen Standards ausgerichtete Videographie den Anspruch eines gewissen Mindestmaßes an Professionalität in der Kameraarbeit, die durch die vorgelagerte Schulung der Aufnahmepersonen sichergestellt werden muss. Hinsichtlich datenschutzrechtlicher Richtlinien stellen Videodaten einen weiteren Sonderfall im Rahmen forschungsethischer Grundsatzüberlegungen dar. Es gilt sorgfältig abzuwägen, ob die für andere Datenarten übliche Maßnahme zum Datenschutz - die Anonymisierung der UTN bei der Präsentation von Datenmaterial (z. B. Unkenntlichmachen durch Verpixelung oder schwarzen Balken) - den für den Forschungsgegenstand grundlegenden Mehrwert an Informationen von Videomitschnitten beeinträchtigen oder ob möglicherweise Nachteile für die abgebildeten Personen durch die Veröffentlichung von Videodatenausschnitten entstehen könnten (vgl. Ricart Brede 2011: 101). Um das allgemeine Persönlichkeitsrecht in jedem Fall wahren zu können, ist ein vor der Datenerhebung schriftlich verankertes informiertes Einverständnis von Nöten, in dem explizit dargestellt werden muss, inwiefern beim Umgang mit den Daten den Grundsätzen von Anonymität und Vertraulichkeit entsprochen wird oder welchen Einschränkungen diese ggf. unterliegen (s. Kapitel 3.4). In videographischen Forschungen, die in der Analyse explizit multimodale Aspekte der Interaktion fokussieren, setzt es sich zunehmend durch, dass nicht anonymisierte Datenauszüge (auch von Kindern und Jugendlichen) veröffentlicht werden (z. B. Heidtmann 2009, Mempel 2010, Mondada 2009, Laurier & Philo 2009, Mohn 2009), wobei z. T. noch nicht immer ausreichend transparent gemacht wird, inwieweit in einigen Fällen der Persönlichkeitsschutz gewahrt wurde. Hinzu kommt die Berücksichtigung von ggf. unterschiedlichen Datenschutzbestim- 25 In psychologisch oder erziehungswissenschaftlich ausgerichteten Videostudien wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff der Invasivität verwendet. <?page no="90"?> 90 mungen in international angelegten Studien, wie der vorliegenden, wo sich Datenerhebungs- und Auswertungsland voneinander unterscheiden und Datenschutzmaßnahmen dementsprechend unterschiedlichen nationalen Richtlinien unterzogen werden sollten. Abschließend ist anzumerken, dass Videographie zwar prädestiniert dafür ist, Sicht- und Hörbares von Interaktionen zu erfassen aber den Forschenden keinerlei Informationen darüber liefert, welche Befindlichkeiten damit bei den Beteiligten einhergehen (Nolda: 2007: 482). Dies erfordert das Gewinnen einer zweiten Art von Daten - Daten introspektiver Natur - , die diese Einsichten ermöglichen und die sich mit Videodaten in Bezug setzten lassen. Dem dafür verwendeten Verfahren des Videobasierten Lauten Erinnerns (VLE) widmet sich der kommende Abschnitt. 3.3.2 Videobasiertes Lautes Erinnern Introspektive Methoden der Datenerhebung, zu denen auch retrospektiv vorgehende Verfahren wie das Laute Erinnern (Knorr & Schramm 2012) zu zählen sind, nehmen innerhalb eines methodentriangulierenden explorativ-interpretativen Forschungsdesigns die Stellung eines gleichberechtigten Erhebungsverfahrens ein (Hu 2001: 15). Besonders durch die Verortung im soziokulturellen Paradigma ist es naheliegend, für das Erforschen von fremdsprachigen (inter-)aktionalen Handlungen die interne, subjektive Wahrnehmung dieser Prozesse als wirklichkeitsgestaltendes Element i. S. der emischen Perspektive auf den Forschungsgegenstand zu berücksichtigen (vgl. Aguado 2010: 823, Eckerth 2003: 77, Hu 2001). Bei den im Untersuchungsinteresse stehenden persönlichen Wahrnehmungen (3. Unterpunkt der Forschungsfrage) handelt es sich konkret um die Kognitionen und Emotionen, die während Gruppeninteraktionssituationen individuell vollzogen, aber in den meisten Fällen nicht in vollem Umfang artikuliert werden. Aufgrund der spezifischen Gruppengesprächskonstellation ist zu vermuten, dass ein gewisser Anteil subjektiver Denk-, Erlebens- und Empfindungsprozesse den anderen Teilnehmenden und damit auch der nachträglichen Rekonstruktion durch die Forschende verborgen bleiben. Im Vergleich zum Lauten Denken sind retrospektive Datenerhebungsverfahren, speziell das Videobasierte Laute Erinnern daher prädestiniert dafür, Einblicke in die nicht beobachtbare Gefühls- und Gedankenwelt von Interaktionssteilnehmenden zu ermöglichen: „Besonders für Unterrichtskommunikation, die dem gemeinsamen Problemlösen zuzurechnen ist, ist das VLE die einzige Methode, um auf Gedankeninhalte Zugriff zu erhalten, die nicht parallel zum Geschehen verbalisiert werden können“ (Feick 2012: 202). <?page no="91"?> 91 Retrospektive Introspektionsdaten dieser Art gestatten es somit, ergänzend und erkenntniserweiternd zur Erforschung von fremdsprachlichen Entscheidungsprozessen mit Gruppeninteraktionsdaten trianguliert zu werden. Lautes Erinnern wird dabei in Abgrenzung zum Lauten Denken als „die aus dem Langzeitgedächtnis erfolgende nachträgliche, ungefilterte Verbalisierung einer Person von Gedanken während einer (mentalen, interaktionalen oder aktionalen) Handlung“ (Knorr & Schramm 2012: 185) verstanden, wobei diese Erinnerungen aus Kognitionen, Emotionen und Motiven gespeist sind (Dörnyei 2007) und sowohl mediengestützt oder nicht-mediengestützt elizitiert werden können (Knorr & Schramm ebd: 186). Im englischsprachigen Raum findet dafür auch der Begriff stimulated recall Anwendung und grenzt sich dabei von all denjenigen retrospektiven Erhebungsverfahren ab, die nicht auf eine konkrete Handlung bezogen oder die rückblickend auf die Handlung reflexiv-kommentierender Natur sind (eine ausführliche Begriffsdiskussion dazu in Knorr 2013). Im Gegensatz zu Interviews oder Fragebögen als geläufigen Verfahren zur Ermittlung von Innensichten auf Phänomene obliegt beim VLE den Forschungspartnern die Steuerung ihrer Aufmerksamkeit während der Äußerung zu bestimmten (inter-)aktionsbezogenen kognitiven Vorgängen, anstatt dass diese durch eine vorgegebene inhaltliche Fokussierung allein externen Auswahlprozessen unterliegen (vgl. Knorr & Schramm 2012, Knorr 2013). Das Vermeiden von Filtervorgängen dieser Art erzielt, sofern es sich um Verbalisierungen zu bewusstseinsfähigen mentalen Prozessen handelt, für die Erforschung kognitiver Vorgänge ergiebigere Daten, welche zudem relativ frei von selbstreflexiven Positionierungen oder sozial erwünschten, Kohärenz zum Selbstbild schaffenden Aussagen sind (vgl. Heine 2013). (V)LE findet in der Fremdsprachen- und Lehrerbildungsforschung vornehmlich Anwendung, um interaktive Lern- und Problemlöseprozesse, wie z. B. verschiede Formen von Feedback (Adams 2003, Bao, Egi & Han 2011, Egi 2010; Fujii & Mackey 2009; Polio, Gass & Chapin 2006; Mackey, Gass & McDonough 2000, Nabei & Swain 2002, Sakai 2011, Swain & Lapkin 2002, Sefero ğ lu 2008, Tocalli-Beller & Swain 2005), Fremdsprachenunterricht und Unterrichtsplanung (Knorr 2015; Schepens, Aelterman & van Keer 2007) oder die Nutzung von Strategien (Lam 2008, Wenyu & Yang 2008) zu untersuchen. Je nach zugrunde liegendem Kognitionsverständnis werden dabei den durch das Laute Denken (LD) oder (V)LE gewonnenen Daten verschiedene Funktionen zugewiesen. Vertreter der kognitivistischen Sicht auf Verbalprotokolle (Ericsson & Simon 1984, 1993) sehen in Sprache innerhalb eines Informationsverarbeitungsmodells ein Kommunikationswerkzeug, das die direkte Repräsentation von Kognitionen durch ihre parallele (LD) oder sukzessive (LE) Verbalisierung ermöglicht. Kognitionen können dabei bereits verbal kodiert im Arbeitsgedächtnis vorhanden sein (talk alouds zum Hörbarmachen der „inneren Stimme“ / inner speech) oder nonverbal vorliegen, z. B. Gerüche oder Emotionen <?page no="92"?> 92 und erst in einen verbalen Kode überführt werden (think alouds) (Ericsson & Simon 1993: 16 ff.). Für Befürworter der soziokulturellen Perspektive auf Denken und Sprechen stellen Verbalprotokolle interaktiv konstituierte Konstrukte dar, in denen sich zwangsläufig situationsspezifische Phänomene widerspiegeln, die sich kaum durch eine (nach kognitivistischen Vorstellungen notwendige) Kontrolle der Kontextfaktoren vermeiden lassen (vgl. v. a. Deschambault 2012; Feick 2013; Sasaki 2008; Smagorinsky 1998, 2001; Swain 2006). Sprechen wird hierbei unter Bezug auf die Kognitionstheorie Wygotskis (1934, 2002), Leontjews (1981) und Wertschs (1981) als soziale Handlung (mit den untrennbar an sie geknüpften sozialen, kulturellen und interpersonalen Einflussfaktoren) verstanden, durch die sich Kognitionen vollziehen: „Das Sprechen dient nicht als Ausdruck des fertigen Gedanken [sic]. Indem sich der Gedanke in Sprechen verwandelt, gestaltet er sich um, verändert er sich.“ (Wygotski 2002: 401). Wygotski unterscheidet in diesem Zusammenhang den von einem Motiv ausgelösten Gedanken und seine Umwandlung in Worte, welche mit kontextadäquaten Wortbedeutungen versehen immer nur eine Verallgemeinerung bzw. Objektivierung des eigentlichen Gedankens (d. h., ein Gedanke ist nie mit der direkten Wortbedeutung identisch) darstellen kann. Durch diese wechselseitige Beziehung zwischen Denken und Sprechen führt Artikulation immer auch zur Veränderung der Gedanken oder zur Ausformung von neuen Gedanken. Dieser Prozess, bei dem Kognitionen durch Verbalisierung die eigenen mentalen Aktivitäten regulieren, organisieren und fokussieren, ist nach Wygotskis Auffassung der kindlichen Entwicklung von Denken auch für das Lernen (Internalisierungen) verantwortlich. Somit setzen Vertreter der soziokulturellen Sicht auf Verbalprotokolle diese nicht zur Abbildung von Kognitionen ein, sondern betrachten sie als Mittel zu Bedeutungskonstruktion (z. B. Lernen) und zur Möglichkeit der durch Sprache ausgelösten Reflexion über kognitive Prozesse. Reaktivität stellt in dieser Betrachtungsweise also kein die Datengüte abminderndes Phänomen dar, welches es möglichst zu vermeiden gilt, sondern einen durch Verbalprotokolle ausgelösten Lern- und Entwicklungsprozess (Feick 2013, Swain 2006). In der Mitte des dadurch entstandenen Spektrums von Perspektiven auf das LD und LE sind solche Ansätze zu verorten, die zwar kognitivistisch ausgerichtet sind aber zumindest einräumen, dass dem kognitiven Erleben auch emotionale, soziale und situative Aspekte, sogenannte „multimodale mentale Simulationen“ zugrunde liegen (Schnell 2013) und dadurch in neuere modale Kognitionstheorien (im angelsächsischen Diskurs grounded cognition, embodied cognition und distributed cognition) einzuordnen sind (Rickheit et al. 2010). Innerhalb dieser, vornehmlich das LD fokussierenden Diskurse findet in der Regel keine klare Differenzierung der aufgestellten Postulate für LD und (V)LE statt. Sie unterscheiden sich jedoch in einigen grundlegenden Charakteristika, die sich insbesondere auf die Vorgehensweise und die damit erhobenen Datenarten auswirken und bedürfen daher einer detaillierteren Betrachtung. <?page no="93"?> 93 Während beim LD handlungsbegleitende Kognitionen im Kurzzeitgedächtnis (KZG) vorliegen und von dort aus direkt abgerufen werden können, erfolgt der Zugriff beim (V)LE auf bereits im Langzeitgedächtnis (LZG) abgespeicherte Informationen, bei den im Forschungsinteresse stehenden interaktiven Erlebnissen oder Erfahrungen speziell aus dem episodischen Gedächtnis. Der Transfer vom KZG ins LZG (Encodierung) gestaltet sich dabei in Abhängigkeit von der Relevanz der aufzunehmenden Informationen für das jeweilige Individuum, d. h., Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass nur Erlebnisse, die persönlich bedeutsam, emotional aufgeladen oder an bereits vorhandenes Wissen anknüpfbar sind, überhaupt nach einem bestimmten Zeitraum noch erinnert werden können. Alles andere wird nach 2-3 Sekunden im Arbeitsspeicher des KZG durch nachkommende Informationen überlagert und verblasst nach und nach, wird also vergessen (Pöppel 2002, Morgan 2007). Als zuträglich zur Verankerung im episodischen Gedächtnis wirken sich starke emotionale Bewertungen von Ereignissen oder Erlebnissen aus, wobei diese Bewertungen auch unbewusst erfolgen können (Pöppel 2002). Es ist daher festzuhalten, dass die erinnerten Gedanken bezüglich des Forschungsgegenstandes kein vollständiges Abbild aller ablaufenden mentalen Vorgänge darstellen, sondern nur die individuell relevanten Kognitionen und Emotionen während der Gruppeninteraktion zur Sprache bringen. Erinnerungen an Ereignisse setzen sich dabei ganz vielschichtig aus Anblick, Ton, Geruch, Emotionen, Menschen und Objekten der im Gedächtnis abgespeicherten Situation zusammen (Myers et al 2008: 394 ff.). Impulse (retrival cues) bspw. audiovisueller Natur m. H. einer Videoaufnahme der zu erinnernden Situation gelten dabei als hilfreich, besonders jene Erinnerungen zu aktivieren, die an bildliche Informationen geknüpft im LZG festgehalten sind. Der Abruf der Erinnerung aus dem LZG (recall) kann durch Vergessen (geistige Abwesenheit, Vergänglichkeit, Abblocken), Verzerrungen (Fehlattribution, Beeinflussbarkeit, systematische Fehler) oder Persistenzen beeinträchtigt werden. Encodierte Erinnerungen können nach dem Speichern verblassen und überlagernde frischere Informationen führen zu Interferenzen beim Zugriff auf schon zeitlich länger zurückliegend enkodierte Informationen (ebd.: 409 ff.). Somit wird nahegelegt, beim (V)LE so zeitnah wie möglich nach dem zu untersuchenden Ereignis Erinnerungen an dieses retrospektiv zu erheben. Gass & Mackey (2000) gehen dabei mit Bezug auf Bloom (1954) von einer Spanne von 48 Stunden aus, in der Erinnerungen noch mit einer Genauigkeit von 95 % wiedergegeben werden können. Im Moment der Verbalisierung von Erinnerungen tritt ein weiteres Phänomen zu Tage, welches sich erst in der jüngeren Vergangenheit als eigenständiges Merkmal verbaler Daten konsolidiert hat - die Adressiertheit. Studien, die sich des LDs oder VLEs bedienten (Deschambault 2012; Feick 2013; Sasaki 2008; Smagorinsky 1998, 2001) belegen, dass LD- und (V)LE-Daten sowohl verbale (z. B. direkte Adressatenansprache) als auch nonverbale Elemente (z. B. Blickkontakt) beinhalten, die darauf hinweisen, dass jede Verbalisierung interaktiv ist, <?page no="94"?> 94 also von den UTN als Situation mit Gesprächscharakter konstruiert wird. Dies geschieht auch, wenn keine weitere Person anwesend ist, der Untersuchungsablauf standardisiert verläuft und damit möglichst frei von Kontexteinflüssen gehalten wird. Bakthin nennt dies „hidden dialogicality“ (zitiert nach Smagorinsky 2001: 238), wonach Sprechen immer dialogisch ist, unabhängig davon, ob ein Adressat physisch präsent ist oder nicht und ob es auf eine spezifische Person abzielt oder unspezifisch bleibt (Feick 2013: 65-66). Diese Rezipientenorientierung führt vor allem bei Daten, die durch VLE generiert wurden dazu, „dass beim VLE Kognitionen in Form von Erinnerungen im Gegensatz zum LD immer aus dem LZG stammen […]. An vergangene Ereignisse gekoppelte Gedanken werden daher aufgrund dieser Verknüpfung mit älteren Wissensbeständen vermischt wiedergegeben, sodass die mit der Fremdadressierung z. T. einhergehende deskriptive und reflexive Art der Äußerungen nicht vermeidbar ist.“ (Feick 2013: 64) Unterschieden werden muss hier zwischen VLE-Äußerungsanteilen, die Erinnerungen kontextualisieren oder die betreffende Situation gemäß einer natürlichen Gesprächssituation für einen antizipierten Adressaten beschreiben und solchen, die tatsächlich eine Reflexion oder Interpretation dieser erinnerten Situation vornehmen. Letztere betrachten kognitivistisch ausgerichtete Studien als nicht valide, da durch die Interpretation (bes. beim LD) schon eine Veränderung der mentalen Prozesse vonstatten geht. Für das LE muss diese Annahme jedoch aus o. g. soziokulturell-lerntheoretischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zum Erinnern relativiert werden. Eine weitere Ausdifferenzierung der durch LE gewonnenen Daten nimmt Knorr (2013) in Anlehnung an Henderson & Tallman (2006) vor. Demnach führt LE (ohne vorgelagertes Training) zur Produktion von sowohl erinnerten, während der retrospektiv betrachteten Aktivität in der Vergangenheit entstandenen Gedanken (recall thoughts) als auch zu postaktionalen, durch das Impulsmaterial verursachten, neuen Gedanken (hindsight thoughts). Postaktionale Gedanken legen dabei nach Knorr (ebd.) nachträgliche Reflexionen, Wissensbestände, subjektive Einstellungen oder Situationskontextualisierungen frei, verhalten sich also wie ein nachträgliches Lautes Denken bezüglich des Impulsmaterials. Doch auch der Prozess des Erinnerns von Gedanken vermag im Sinne der SKP zu dessen Weiterentwicklung zu führen: „Es scheint, als würden gerade durch den Vorgang des Verbalisierens von Erinnerungen, Gedanken präzisiert bzw. neu konstruiert, d. h. erinnerte Gedanken gehen in postaktionale Gedanken über.“ (Knorr 2013: 48) Hinsichtlich des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes ist also zu reflektieren, inwieweit eine solche Unterteilung zielführend ist. Insofern, dass VLE einen Einblick in die emische Perspektive auf Aushandlungsprozesse zum Ziel hat, ist es hilfreich, Wahrnehmungen auf die Interaktionen parallel zum Gespräch von solchen zu differenzieren, die sich erst im Nachhinein herausbilden, da letztere sich nicht direkt auf den Verlauf der Aushandlung ausgewirkt haben, aber den- <?page no="95"?> 95 noch wertvolle Hinweise auf die rückblickende Einordnung des interaktiven Geschehens hinsichtlich seines Partizipationspotenzials bieten können. Neben dem Zeitpunkt der Verbalisierung und der sozialen Situiertheit sind weitere erhebungsbegleitende Faktoren zu berücksichtigen, die sich auf die Datenqualität auswirken können: die Verbalisierungssprache und die individuellen Verbalisierungsdispositionen. Innerhalb der Fremdsprachenforschung ist die Frage nach der für die zum LD oder (V)LE genutzten Sprache essentiell. Es ist allgemein davon auszugehen, dass die kognitiven Anforderungen für die UTN besonders auf niedrigeren L2-Sprachniveaustufen tendenziell höher als bei einer retrospektiven Verbalisierung in der L1 sind (vgl. Feick 2012, Knorr & Schramm 2012; Heine 2005: 178 ff., Heine & Schramm 2007: 176 f.), also Hürden der fremdsprachlichen mündlichen Produktion den Verbalisierungsprozess unnötig erschweren. Wichtig ist hierbei zu berücksichtigen, ob für die an Konzepte geknüpften erinnerten Erlebnisse als Einträge der L2 im mentalen Lexikon vorliegen oder ob damit kognitiv aufwändige Transferbzw. Übersetzungsprozesse verbunden sind, die bei Nichtgelingen zu Abbrüchen in der Äußerung, Codeswitching o. ä. führen (Heine 2013: 20-26). 26 Konsens besteht weitestgehend darin, den UTN selbst die Sprachwahl für die Retrospektion zu überlassen und ggf. mit mehrsprachigen Daten zu operieren. Hinsichtlich individueller Fähigkeiten bei der Verbalisierung zeugen Befunde davon, dass sowohl beim (V)LE als auch LD (auch altersabhängige) unterschiedliche Gelingensgrade festzustellen sind (Knorr & Schramm 2012: 200, Edwards- Leis 2007). So geht Heine (2010) davon aus, dass es eher verbale und eher nonverbale Denker gibt, wobei erstgenannten als habituell Ausübende von Selbstgesprächen (private speech) eine laute Artikulierung von Gedanken deutlich leichter zu fallen scheint, als Personen, die diese Gewohnheit nicht pflegen. Für das VLE (wie auch das LD), gilt es daher Maßnahmen zur Datenqualitätssicherung zu ergreifen, die allen UTN, unabhängig von ihren persönlichen Dispositionen, eine möglichst vertraute, störungsfreie Vorgehensweise gewährleisten. Im Vorfeld der Untersuchung zählen dazu das Training und die Instruktion, während der Erhebung die Impulsmaterialsteuerung sowie nach erfolgter Retrospektion die Nachbesprechung. Der Mehrwert des vorgelagerten Trainings einschließlich einer Demonstration und des darauf bezogenen Feedbacks liegt insbesondere im Vertrautmachen mit dem Untersuchungsablauf (Üben des Lauten Erinnerns und Gewöhnung an die Betrachtung von Videoaufnahmen der eigenen Interaktionen oder Handlungen). Es ermöglicht außerdem die Sensibilisierung der UTN im Hinblick auf die Reduktion explikativer oder interpretativer Redeanteile sowie postaktionaler, durch den Videomitschnitt ausgelöster Ge- 26 Eine UTN äußert dazu in ihrem VLE-Protokoll (INES_G1_2611): „Es que siempre cuando hablo en alemán estoy pensando en español, entonces se me salen muchas palabras que solo traduzco.“ (Übers. D.F.: Immer wenn ich deutsch spreche, denke ich auf Spanisch, also komme ich auf viele Wörter, die ich nur übersetze.) <?page no="96"?> 96 danken (Feick 2012, 2013, Knorr 2013). Eine einheitliche Instruktion zum VLE, die in Form eines Leitfadens vor jeder Retrospektionssitzung den UTN zu Gehör gebracht wird, fördert die Vergleichbarkeit der produzierten Datensätze. Wesentlich ist des Weiteren die Entscheidung, ob die Auswahl der retrospektiv zu kommentierenden Sequenzen selbst- oder fremdgesteuert geschieht bzw. in einer Art Mischform, sowohl dem UTN als auch der Forschungsperson das Unterbrechen des Mitschnitts zur Initiierung einer Verbalisierung ermöglicht. Die Verfahren, die eine Beteiligung Dritter zulassen, riskieren einen höheren Grad an sozial erwünschten oder nachträglich reflektierend bzw. rechtfertigenden Äußerungen, die oft kompensatorisch auftreten können, wenn an der entsprechenden Stelle des Videos keine Erinnerung vorliegt (Knorr 2012: 197) oder man diese nicht verbalisieren möchte. In einer Studie zur mündlichen Interaktion (vgl. Gass & Mackey 2000: 53) wurden lediglich 10% der zu kommentierenden Videoaufnahmen von den Studierenden selbst ausgewählt. Bei einer fremdgesteuerten Initiierung (oder der Kombination aus Selbst- und Fremdauswahl) des VLE werden u. U. mehr Daten erzeugt, die nicht unmittelbar aus der Erinnerung der Lernenden gespeist, sondern nachträglich rationalisierend zum Geschehen geäußert werden (vgl. De Smet et al. 2010: 659). Insgesamt steigt damit das Potenzial der externen Einflussnahme auf den Verlauf der Datenerhebung während völlig selbstgesteuerte Vorgehensweisen sich dem Risiko einer höheren Menge an redundanten, weil ggf. nicht gegenstandsbezogenen Erinnerungen stellen müssen. Neben den bereits aufgeführten Grenzen des VLE ist abschließend der Aspekt der Repetition zu reflektieren. Bisher liegen keine Befunde vor, inwieweit sich ein wiederholt stattfindendes VLE innerhalb einer Datenerhebung, wie in der vorliegenden Studie, auf das Bewusstsein der UTN auswirkt, d. h., ob und wie Kognitionen und damit möglicherweise auch die Interaktionen beeinflusst werden, wenn das (durch die Schulung angeeignete) Vorwissen darüber besteht, dass diese im Anschluss an eine Handlung laut erinnert werden sollen. Bestenfalls kann dadurch eine Routinisierung im VLE erreicht werden. Im anschließenden Abschnitt 3.4 werden alle durchführungs- und datensamplingsrelevanten Aspekte der Untersuchung im Detail ausgeführt. 3.4 Datenerhebung und Datensampling In diesem Unterkapitel steht die Darstellung des Untersuchungsablaufes sowie der damit in Verbindung stehenden Datenreduktionsphasen (s. Abb. 11) im Mittelpunkt. Die folgende Graphik fasst die wesentlichen Phasen und Elemente des vorgestellten Forschungsdesigns überblicksartig zusammen. <?page no="97"?> 97 Abb. 11: Schema der Erhebungs- und Samplingphasen Das Konzept des Handyvideoprojekts wurde zunächst in der Erhebungsvorbereitungsphase (s. Abb. 11) im Hinblick auf seine Durchführbarkeit in einem dem Untersuchungskontext ähnlichen Feld (universitärer Deutsch-als-Fremdsprache- Unterricht, L1 Spanisch, B2-Niveau) in einer Lernendengruppe erprobt und entsprechend didaktisch-methodisch optimiert. Der anschließende Zugang zum mexikanischen Untersuchungsfeld ergab sich aus einer am Herder-Institut der Universität Leipzig bestehenden germanistischen Institutspartnerschaft (GIP) mit der Deutschabteilung des Instituts für moderne Fremdsprachen der Universität von Guadalajara (UdeG), die den Forschendenaustausch beider Institute zum Ziel hat und damit einen geeigneten Rahmen für einen empirische Datenerhebung im mexikanischen DaF-Unterricht bot. Mit Hilfe des Partnerinstituts konnte auch der Kontakt zum zweiten Datenerhebungsort, der größten privaten Sprachenschule der Stadt mit Deutsch als Fremdsprache etabliert werden. In einer ersten Phase stellte die Forscherin den Kursleitenden der bezüglich des Sprachniveaus in Frage kommenden Kurse das Projektprogramm vor und bat diese nach deren Zustimmung zum Vorhaben in einer zweiten Phase das Interesse an der Projektteilnahme bei ihren Lernenden zu erkunden. Die Resonanz fiel durchweg positiv aus, sodass die Datenerhebung in einen Zeitraum von sechs Wochen zwischen Oktober und Dezember 2010 vorgenommen werden konnte. Alle Personen wurden nach der Einführung durch den Kursleiter im Vorfeld der Untersuchung zu Untersuchungsbeginn erneut durch die Forschende über das allgemeine Anliegen (ohne dabei den konkreten Forschungsfokus auf Gruppenentscheidungen offenzulegen), die Inhalte und die Durchführung des Handyprojektes sowie die daran geknüpfte Studie aufgeklärt. Sie bestätigten daraufhin <?page no="98"?> 98 ihre Bereitschaft zur Teilnahme am Projekt und unterzeichneten eine entsprechende Einverständniserklärung (spanisches Original und deutsche Übersetzung siehe Anhang A und B). Indem die UTN der Datenerhebung innerhalb des Projektes sowie der Weiterverwendung der erhobenen Daten zu Forschungs- und Publikationszwecken schriftlich zustimmten, lag ein informiertes Einverständnis vor, wie es im Sinne datenschutzrechtlicher und forschungsethischer Standards zu gewährleisten ist (u. a. Aeppli et. al. 2010: 55 ff.; Miethe 2010: 927 ff.; Rallis & Rossmann 2009: 263 ff.). Kritisch ist im Nachhinein anzumerken, dass es sich bei der Nutzung der transkribierten Daten nicht um eine anonymisierte, sondern lediglich um eine pseudonymisierte Form des Materials handelt. Sehr wohl sind die Teilnehmenden durch den Wortlaut der Erklärung jedoch darüber aufgeklärt, dass eine nicht-anonymisierte Verwendung der Videomitschnitte zu Forschungs-, Publikations- und Weiterbildungszwecken beabsichtigt ist. Zusätzlich legt die beträchtliche räumliche Entfernung zwischen Datenerhebungs- und Auswertungsort nahe, dass mit einer pseudonymisierten, aber nicht anonymisierten Veröffentlichung von Datenbeispielen kaum mit bzw. mit keinen unmittelbaren ihr Persönlichkeitsrecht einschränkenden Nachteilen für die UTN zu rechnen ist. Da davon auszugehen ist, dass das deutsche Datenschutzgesetz strengere Maßstäbe setzt als das mexikanische und die Aufbereitung und Auswertung sowie die Publikation der Ergebnisse vornehmlich in Deutschland vorgenommen wird, ist in der Erklärung lediglich die Unterordnung unter das Sächsische Datenschutzgesetz vermerkt. Projektablauf Das für die Datenerhebung grundlegende Handyvideoprojekt erstreckte sich über einen Zeitraum von fünf Wochen, wobei es in der B2-Gruppe zwei zweistündige Sitzungen montags und mittwochs und in der C1-Gruppe eine fünfstündige Sitzung samstags umfasste. An dieser Stelle sollen überblicksartig die wesentlichen Inhalte des Projektes benannt (ausführlich dazu Feick 2014) und im Hinblick auf die damit einhergehenden Gruppeninteraktionsprozesse dargestellt werden. Die Struktur des Handyvideoprojektes orientierte sich am von Hoffmann und Schart (2008: 33) für den Fremdsprachenunterricht angepassten Schema für Interviewprojekte, welches sämtliche Schritte eines Projektes von der Themenfindung bis hin zur Evaluation umfasst. Die vollzogenen Lehr- und Lernaktivitäten verteilten sich dabei auf sechs Projektphasen (s. Tabelle 1). <?page no="99"?> 99 Phase Aktivitäten 1 - Vorbereitung − Erarbeitung bzw. Wiederholung themenspezifischer Lexik zum Filmemachen − Einführung in die Grundlagen der Filmtheorie und -praxis − Vermittlung von Gruppenarbeitstechniken 2 - Einstieg − Bildung von Arbeitsgruppen − Klärung von Rahmenbedingungen, wie Projektkonzept, Rollenverteilung in der Gruppe, Themenfindung und Präsentationsformen 3 - Planung und Organisation − Aufgabenverteilung in der Gruppe − Ideenfindung und Erstellung eines Exposés − Erstellung von Drehbuch oder Interviewfragen − Erstellung von Drehplan und/ oder Storyboard − Auswahl und Beschaffung technischer Hilfs- und Arbeitsmittel 4 - Durchführung − Produktion: Dreharbeiten − Postproduktion: Einführung in die Schnittsoftware, Schnitt, Tonbearbeitung, ggf. Untertitelung 5 - Präsentation − Vorführung der Videoclips (intern und öffentlich) 6 - Evaluation − Bestimmung von Evaluationskriterien − mündliche und schriftliche Evaluation Tab. 1: Phasen des Handyvideoprojektes, nach Feick (2014: 324, leicht angepasst) <?page no="100"?> 100 Nach der grundlagenvermittelnden Vorbereitungsphase erfolgte die Einstiegsphase, in der die Rahmenbedingungen und Zielsetzungen des Projektes erläutert wurden. Angestrebt wurde das Erstellen von Handyvideoclips fiktionaler, dokumentarisch-journalistischer oder experimenteller Natur in deutscher Sprache mit einer maximalen Länge von fünf Minuten. Der gesamte Produktionsprozess (Vorproduktion, Produktion und Postproduktion) sollte dabei in der Zielsprache ablaufen, wobei die erbrachten Leistungen nicht mit Noten evaluiert wurden oder anderweitig an das Bestehen des Kurses geknüpft waren. Die anschließende Zusammenstellung der Arbeitsgruppen fand, um die Genrevorlieben der Kursteilnehmenden aufzugreifen, nach dem Kriterium des Interesses an bestimmten Filmgattungen statt. So bildete sich im B2-Kurs eine dreiköpfige Gruppe (Gruppe 1), die einen fiktiven Stoff bearbeitete und eine fünfköpfige Gruppe (Gruppe 2), die ihrer Arbeit einen dokumentarisch-journalistischen Ansatz zugrunde legte. Angesichts der Tatsache, dass der C1-Kurs aus fünf Mitgliedern bestand und der Untersuchungsfokus auf Gruppeninteraktionen lediglich Arbeitskonstellationen ab drei Personen zuließ, ergab sich daraus automatisch eine fünfköpfige Arbeitsgruppe (Gruppe 3). Dieses Team entschied sich dafür, eine Videoumfrage innerhalb des Sprachinstituts durchzuführen. Guppe 1 (3 TN) Gruppe 2 (5 TN) Gruppe 3 (5 TN) 1 weibliche TN 2 weibliche TN 4 weibliche TN 2 männliche TN 3 männliche TN 1 männlicher TN Tab. 2: Übersicht über Gruppenverteilung nach Anzahl und Geschlecht der UTN Der dritte Projektschritt, die Planungs- und Organisationsphase erforderte pro Gruppe Aushandlungen zur Ideenfindung und Themenverabredung und hatte zum Inhalt, die Vorproduktion des Filmes durchzuführen, d. h., die Aufgaben und Rollen in der Gruppe zu verteilen, ein Exposé, ein Storyboard und ein Drehbuch bzw. Interviewfragen zu entwickeln sowie einen Drehplan zu erstellen. Im Rahmen dessen wurden Absprachen zu möglichen Interviewpartnern, zur Technikakquise, zu Drehorten, Kostümen und Requisiten getroffen. Darauf folgte die vierte, die Durchführungsphase, in der die Dreharbeiten, zum Teil im Rahmen der Kurssitzungen, zum Teil außerhalb, stattfanden. Das Material wurde anschließend gesichtet, geeignete Sequenzen ausgewählt, im Rohschnitt zusammengestellt und im Feinschnitt von den Teilnehmenden mit Effekten, Blenden, Musik, Titeln, Vor- und Abspann etc. versehen. Teil dieses Postproduktionsprozesses bildeten die Tonmischung und z. T. die Untertitelung nach vorangegangener Transkription spanischsprachiger Original-Töne. Im Anschluss daran folgte die Präsentationsphase, die aus Praktikabilitätsgründen an die Evaluationsphase gekoppelt wurde. Nach der Vorführung der Videos vor den Kursteilnehmenden erfolgte eine mündliche und schriftliche Selbstevaluation sowie an der Universität eine kursinterne Rückmeldung der Mitglieder der je- <?page no="101"?> 101 weils anderen Gruppe. Die mündliche Evaluation geschah nach von den einzelnen Gruppen selbst erarbeiteten Bewertungskriterien. Die schriftliche Rückmeldung fand in Form von Impulssätzen zum Grad der Zufriedenheit mit dem Handyvideoprojekt im Allgemeinen und in Form eines skalierten Fragebogens zur Gruppenarbeit (s. Hammoud & Ratzki 2009: 57) statt. Die durch die schriftliche Evaluation gewonnenen Daten fanden jedoch keinen Eingang in das Datenkorpus der Studie, da sie keine direkten Bezüge zum Untersuchungsgegenstand aufwiesen. Im Anschluss an die kursinterne Präsentation und Evaluation erfolgte eine von den Gruppen beschlossene Vorführung der Videoclips vor einem größeren Publikum auf zwei Semesterendbzw. Jahresabschlussveranstaltungen. Gruppe 3 publizierte ihr Video außerdem auf der Videoplattform You- Tube und auf der Webseite des Sprachinstituts. Vorbereitung der Datenerhebung Um der komplexen Anforderung der Kursleitung bei parallel ablaufender Datenerhebung gerecht zu werden, erwies sich die personelle Trennung von Lehr- und Forschungstätigkeit als notwendig (vgl. Kapitel 3.2). Vor diesem Hintergrund konnte für das Videographieren der Projektsitzungen und die Durchführung des Videobasierten Lauten Erinnerns die Unterstützung von Forschungsassistent(inn)en in Anspruch genommen werden. Die Assistent(inn)en setzten sich aus fünf Studierenden des binationalen Masterstudiengangs „Deutsch als Fremdsprache: Estudios interculturales de lengua, literatura y cultura alemanas“ (angeboten vom Herder-Institut der Universität Leipzig und der Abteilung für moderne Fremdsprachen an der Universität Guadalajara) zusammen, die diese forschungspraktische Tätigkeit als Modulleistung innerhalb des Masterseminars „Unterrichtsplanung Deutsch als Fremdsprache im lateinamerikanischen Kontext“ anerkennen lassen konnten. Hinzu kamen eine DAAD-Sprachassistentin, die beiden ursprünglichen Kursleiter des B2- und des C1-Kurses sowie ein Mitarbeiter des Sprachen-Instituts, sodass insgesamt ein neunköpfiges Assistent(inn)enteam für die Datenerhebung zur Verfügung stand. Als nichtmonetäre Honorierung des freiwilligen Mehraufwands wurde den Masterstudierenden das Angebot zuteil, die erhobenen Daten für eigene empirische Untersuchungen im Rahmen ihrer Masterarbeit einzusetzen, welches von einer Studentin in Anspruch genommen wurde. 27 Allen Assistent(inn)en bot sich außerdem die Möglichkeit, an einem Fortbildungsseminar der Projektleiterin zum Thema „Handyvideoprojekte im DaF-Unterricht“, veranstaltet durch das Goethe-Institut Guadalajara, teilzunehmen. 27 Vgl. Schmiedgen, Katja (2011): „Wir müssen äh wie können…“ Das mündliche selbstinitiierte Selbstreparaturverhalten von Lernenden des Deutschen als Fremdsprache. Unveröffentlichte Masterarbeit am Herder-Institut der Universität Leipzig und am Departamento de Lenguas Modernas der Universität Guadalajara. <?page no="102"?> 102 Im Rahmen des Didaktik/ Methodik-Moduls des M.A.-Studiengangs erhielten alle Forschungsassistent(inn)en von der Forschungsleiterin eine Schulung in den Methoden der videographischen Datenerhebung und des VLE. Dabei wurden sie mit der Handhabung der Aufnahmetechnik und dem Kameraskript (s. Checkliste Anhang C) vertraut gemacht. Wesentliche Elemente, die eine einheitliche Datenqualität gewährleisten sollten, betrafen die Kameraeinstellungen, die Überwachung der Licht- und Tonverhältnisse sowie den Umgang mit den Speichermedien. Ein weiterer Fokus lag auf dem Verhalten der Kamerapersonen während des Videographierens. Sie wurden dazu angehalten, die Gruppeninteraktionen nicht zu beeinflussen, indem sie die Haltung einer „gelassenen, mäßig interessierten Emotionslosigkeit“ (Dinkelaker 2009: 27) einnehmen sollten, während sich der Blick hauptsächlich auf den Kameramonitor richtete, mit dem Ziel, den Kontakt mit dem Untersuchungsumfeld so gering wie möglich zu halten und als Aufnahmeinstanz allmählich in den Hintergrund zu geraten. Die Assistent(inn)en konnten die ersten Projektsitzungen (Vorbereitungsphase) zur weiteren Erprobung des Videographierens benutzen, da selbige noch außerhalb der für das Projektsampling relevanten Arbeitsphasen lagen, was sich als förderlich für die angestrebte Qualität der Aufnahmen erwies. Gleichzeitig führte diese Vorgehensweise zu einem positiven und gewollten Nebeneffekt: Die Kursteilnehmenden konnten sich sukzessive an die Situation des Gefilmtwerdens gewöhnen und im Laufe der Zeit die Präsenz der Kamera(s) während des weiteren Projektverlaufes aus ihrer bewussten Wahrnehmung ausblenden. Für die Durchführung des VLE wurden die Assistent(inn)en insofern vorbereitet, als dass sie das Vorgehen auf Grundlage ihrer eigenen Videomitschnittsversuche von Paarinteraktionen ausprobierten und mit dem Leitfaden zum Videobasierten Lauten Erinnern (s. Anhang D) sowie der damit verbundenen Aufnahmetechnik vertraut gemacht wurden. Während der Vorbereitungsphase des Videoprojektes erhielten die UTN ebenfalls ein Training der Methode des VLE. Von zwei Assistentinnen videographisch begleitet, führten sie für ca. zehn Minuten in Partnerarbeit eine Zuordnungsaufgabe zu einem in der Einführung behandelten filmtheoretischen Thema durch (s. Abb. 12). Zu diesen Mitschnitten wurde im unmittelbaren Anschluss individuell laut in der L1 erinnert und dazu von der Gruppe und der Projektleiterin bezüglich der gewünschten Vermeidung reflexiver, deskriptiver und postaktionaler Äußerungen eine evaluierende Rückmeldung gegeben. Allen UTN gelang dabei das VLE z. T. nach kleineren Anpassungen in einem zufriedenstellenden Maße (ausführlicher dazu Feick 2012: 207, Feick 2013: 58). <?page no="103"?> 103 Abb. 12: Auszug aus der Bild-Text-Zuordnungsaufgabe zu Kameraeinstellungsgrößen (Hickethier 1978) Die Auswahl der zu videographierenden Projektphasen erfolgte ereignisgeleitet (event sampling nach Reis 2004), d. h., Projektschritte mit einer besonders hohen Entscheidungsdichte (v. a. in der Planungs-, Postproduktions- und Auswertungsphase) wurden aufgezeichnet (s. Anhang E). Das Datensampling 1 (Projektsampling, s. Abb. 11) schloss damit all diejenigen Prozesse aus, die ohne gruppenentscheidungsintensive Interaktionen (z. B. Einzelarbeiten beim Schnitt, Partnerarbeit) oder Projektphasen außerhalb des Kursortes (z. B. Teile der Dreharbeiten und des Schnitts) stattfanden. Für das Datensampling 2 (Retrospektionssampling, s. Abb. 11) wurden pro Gruppe je zwei Interaktionsphasen innerhalb des o. g. Projektsamples aus je einer Fokussitzung eher am Anfang und eine eher am Ende des Projektes ausgewählt und die ersten 15 bis 45 aufgezeichneten Minuten der Gruppenbesprechung für das VLE als Impulsmaterial bereitgestellt. Daran schloss sich als erster Schritt der Datenauswertung die Segmentierung in Entscheidungsepisoden an (s. Anhang G). 3+"54,64"+01-2%"-3('%0%"4%)+01- Die Datenerhebung umfasste zwei Elemente: die audiovisuelle Aufzeichnung aller durch das Projektsampling ausgewählten Gruppensitzungen des Handyvideoprojekts (Videographie) und das Videobasierte Laute Erinnern der einzelnen Gruppenmitglieder parallel oder im Anschluss an die Kurssitzungen mit Rückgriff auf die im Retrospektionssampling ausgewählten Videomitschnitte. Zunächst soll der Ablauf der videographischen Datenerhebung mit den darin enthaltenen Samplingphasen dargestellt werden, um danach detailliert auf die Durchführung des Videobasierten Lauten Erinnerns einzugehen. Zu den Sitzungen von Gruppe 1 und 2 fanden sich die jeweiligen Mitglieder in zwei nebeneinanderliegenden und durch eine Tür verbundenen Arbeitsräumen (Kursraum und angrenzendes Medienkabinett) zusammen, während Gruppe 3 in ihrem Kursraum verblieb. Soweit möglich wurden die Räume für die Aufnahmen präpariert (Reduktion möglicher Störgeräuschquellen, Anpassung der Lichtverhältnisse etc.) und entsprechende Tisch- und Sitzkonstellationen arrangiert (s. Abb. 14-16). Jede Gruppe wurde pro Fokussitzung von einer Ka- <?page no="104"?> 104 mera begleitet. Sie nahm in der Regel eine Einstellung zwischen nah und halbnah diagonal gegenüber der Gruppe ein, sodass die Personen aus einer Perspektive zwischen Profilsicht und Frontalsicht gefilmt wurden (s. Abb. 13). Damit wurde das Erfassen aller (Inter-)Aktionen der Teilnehmenden ab Brusthöhe sowie ihr Umgang mit den auf dem Tisch befindlichen Objekten (v. a. Arbeitsmaterialien, technische Hilfsmittel, etc.) ermöglicht und erlaubte gleichzeitig auch kleinste gestische und mimische Regungen einzelner Personen ausreichend wahrnehmen zu können. Zudem wurde dadurch sichergestellt, auch über die Gruppen und verschiedenen Projektphasen hinaus hinsichtlich videographischer Parameter vergleichbare Datensätze zu erheben. Abb. 13: Videographiearrangement Bezüglich der Aufnahmekonstellationen etablierten sich drei Grundanordnungen, die je nach benutztem Raum und Anzahl der Gruppenmitglieder leichten Variationen unterlagen. Zur Veranschaulichung dienen die in schematisch vereinfachter Form erstellten Abbildungen 14-16 von Katja Schmiedgen (2011: 52): <?page no="105"?> 105 Abb. 14: Aufbau für 3er-Gruppe Abb. 15: Aufbau für 4erbzw. 5er- Gruppe Abb. 16: Aufbau für 5er-Gruppe Legende: P = Proband(in) PK = Projektkoordinatorin V = Videokamera VA = Videographieassistent(in) Für die Aufnahmen kamen zwei Camcorder zum Einsatz - ein Sony HDR- CX350 sowie ein Sony DCR-DVD 650. Der Ton der Interaktionen wurde simultan über das integrierte Mikrophon der Camcorder aufgenommen. Sowohl von der Handhabung, der Datenspeicherung als auch von der erzeugten Bild- und Tonqualität übertraf die HDR-CX350 die DCR-DVD 650 deutlich (vgl. Schmiedgen 2011: 50), sodass zweitgenannte nur bei parallel ablaufenden Sitzungen von Gruppe 1 und 2 eingesetzt wurde. Trotz der genannten Qualitätsunterschiede konnten Aufnahmen erzeugt werden, die eine gegenstandsangemessene Datenauswertung ermöglichten. Die Führung der Kameras erfolgte aufgrund ihrer geringen Größe und benutzerfreundlichen Handhabbarkeit mit der Hand, also ohne Stativ. Sie konnten somit relativ unauffällig im Kursraum platziert werden und sich dadurch flexibel an das proxemische Verhalten der Gruppenmitglieder und die Projektarbeitsdynamik anpassen. Die angestrebte Nichteinflussnahme durch die Kamerapersonen kann als weitestgehend gelungen eingeschätzt werden, da sich die Lernenden bspw. bei <?page no="106"?> 106 Fragen oder in Problemsituationen nie an die Forschungsassistenten, sondern immer an die Projektleiterin wandten. Die technische Umsetzung der VLE-Sitzungen gestaltete sich derart, dass sich die Kursteilnehmenden das Videoimpulsmaterial auf einem Laptop anschauten und ihre Äußerungen entweder von einer integrierten Webcam oder der externen Videokamera der Marke Sony HDR-CX350, die im 45-Grad-Winkel neben dem Computer positioniert war und einem Audioaufnahmegerät der Marke Olympus WS-311M aufgezeichnet wurden. Dabei dienten die Audioaufzeichnungen zur Absicherung für mögliche technische Ausfälle bei den Videokameras, wie es in der Pilotierung vereinzelt der Fall war. Der gewählte Bildausschnitt (halbnah) ermöglichte das Erfassen sowohl aller akustischen als auch aller nonverbalen die Artikulation der Erinnerung begleitenden Elemente. Zur Reduktion der Fremdadressiertheit positionierten sich die Assistenten während des VLEs von den UTN visuell und meist auch räumlich getrennt, aber in so unmittelbarer Nähe, dass sie den UTN bei Bedarf zur Verfügung standen. Abb. 17: VLE mit Webcam Abb. 18: VLE mit externer Kamera Im Anschluss an das VLE erfolgte durch die Forschungsassistenten bzw. in Sitzungen außerhalb der Kurszeit von der Forschungsleiterin eine retrospektive Kurzbefragung („Was hast du über das Gruppengespräch gedacht? Hast du noch weitere Anmerkungen? “ siehe Leitfaden im Anhang D), aufgrund dieser sie ihren allgemeinen Eindruck zum eben Gesehenen sowie weitere Gedanken und Kommentare über spezifische Situationen hinausgehend äußern konnten. In der letzten VLE-Sitzung wurde dieser Moment für ein ausführlicheres retrospektives Interview genutzt, in dem rückblickend Meinungen über das gesamte Projekt und die Gruppenarbeit erhoben wurden. 28 Obwohl die Projektsprache Deutsch war, erhielten die Lernenden die Möglichkeit die Retrospektion in ihrer L1 durchzuführen, welche alle Kursteilnehmenden in Anspruch nahmen. Zurückzuführen ist dies vermutlich vor allem darauf, dass das Training in der L1 stattfand und die VLE-Instruktionen in der L1 dargeboten wurden. In den Daten ist Codeswitching in die L2 nur in sehr geringem Ausmaß zu verzeichnen. Es fand maximal auf Wortebene statt und 28 Diese Daten wurden, da sie postaktionalen Charakters sind, nicht in die Auswertung einbezogen. <?page no="107"?> 107 meist wenn sich die Erinnerung auf in der Diskussion relevanten deutschen Wortschatz bezog. Den einzelnen UTN wurde von einem Forschungsassistenten im Anschluss an die jeweilige ausgewählte Projektphase der Mitschnitt dieser Situation präsentiert. Im Training sowie erneut vor der realen VLE-Sitzung erhielten die UTN die Anweisung, das Video anzuhalten, sobald sie sich an etwas erinnerten, was während der Gruppendiskussion durch ihren Kopf ging: „Ich möchte, dass du das Video anhältst, sobald du dich an etwas erinnerst. Also wenn du mir etwas darüber sagen kannst, was du in einem bestimmten Moment gedacht hast, sollst du auf Pause drücken und dann beginnt die Aufnahme“ (s. Leitfaden Anhang D). Die Erinnerungen sollten nach dem Stoppen der Aufnahme geäußert werden, um im Folgenden die Videobetrachtung fortzuführen. Eine zeit- oder ereignisgeleitete Verbalisierungsanweisung (Bannert 2007: 137) wurde in diesem Zusammenhang als nicht adäquat bezüglich des Forschungsgegenstandes eingestuft (vgl. Feick 2012: 209), da angenommen wurde, dass die Partizipationswahrnehmung keinen temporären Rhythmen unterliegt und auch nicht vorab an bestimmte (Inter-)Aktionen während eines Gruppengespräches gekoppelt ist. Von der Möglichkeit des Stoppens der Aufnahmen durch die Forschungsleiterin (wie bspw. bei Busse & Borromeo Ferri 2003) oder durch wahlweise Forschende und Lernende (vgl. Gass & Mackey 2000: 53) wurde abgesehen, da zu vermuten war, dass die UTN in eine passivere Rolle während des VLE gedrängt worden wären, wenn eine weitere Person über die spezifischen Situationen, zu denen Erinnerungen abgerufen werden sollten, entschieden hätte (s. 3.3, Feick 2012: 209). Da nicht alle Lernenden nach den jeweiligen Kurssitzungen über ausreichend Zeit für die ca. 20 bis 45-minütigen VLE-Sitzungen verfügten, fanden diese zum Teil während der Kurszeit statt, indem ein Mitglied die Gruppe für die Retrospektion kurzzeitig verließ und diese ohne die jeweilige Person weiterarbeitete. Diese Vorgehensweise kam nur während der 4,5-stündigen Samstagssitzungen der Gruppe 3 zum Einsatz. In den Gruppen 1 und 2 erfolgte das VLE je nach Zeitdisposition der Lernenden in der zweiten Kurshälfte, direkt nach dem Kurs oder während der kommenden zwei Tage, sodass bis auf zwei Ausnahmen nicht mehr als 48 Stunden zwischen Aufnahme und VLE-Sitzung vergingen. Eine besondere organisatorische Herausforderung bestand darin, dass sich in diesem Kurs zum Teil zwei bis drei Personen einer Gruppe parallel in zwei Räumen mit den Videoaufnahmen beschäftigten, während zeitgleich die zweite Gruppe an ihrem Projekt weiterarbeitete. Zur Koordination aller simultan verlaufenden Aktivitäten und zur Vermeidung von unnötigen Wartezeiten erfolgte die Unterstützung durch die Forschungsassistenten. Mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit bezüglich der eigenen Kognitionen (s. Kapitel 3.3, vgl. Knorr 2012: 194) ist wenn, dann nur in unerheblichem Maße zu rechnen, da die UTN nie wussten, zu welchem genauen Teil der Gruppenaushandlung die Retrospektion stattfinden würde. Es ist außerdem anzunehmen, dass ein durchgängiges Monitoring der eigenen fremdsprachlichen Interaktions- <?page no="108"?> 108 prozesse im Hinblick auf eine zukünftige retrospektive Verbalisierung die mentalen Verarbeitungskapazitäten übersteigt. Ablaufbesonderheiten Charakteristisch für alle drei Gruppen war die diskontinuierliche Präsenz zu den einzelnen Kurssitzungen. Meist waren ein bis zwei Personen abwesend, was eine stetige Variation der Gruppengröße zu verschieden Zeitpunkten des Projektes bewirkte. Daher schwankte die Anzahl der Gruppenmitglieder zwischen drei, vier oder fünf Personen pro Gruppenarbeitsphase sowohl in der Kurszeit als auch bei Treffen der Gruppen außerhalb des Kurses. Lediglich in einer Sitzung führte das Fehlen eines Mitgliedes der Dreiergruppe zu einer Partnerarbeitskonstellation, sodass die dabei vollzogenen Entscheidungsfindungsprozesse für die Auswertung unberücksichtigt bleiben. Hinzu kam die relative Unpünktlichkeit einiger Lernender, was nach sich zog, dass Gruppen ihre Arbeit als Zweier- oder Dreierkonstellation begannen und diese im Laufe der jeweiligen Kurssitzung auf eine Dreier-, Vierer oder Fünfergruppe anwuchs. Außerdem führte die wiederholte Abwesenheit oder das Zuspätkommen von zwei Personen der Gruppe 2 dazu, dass von ihnen nur eine statt der üblichen zwei VLE-Aufnahmen vorliegt. Im Team 3 kam die komplette fünfköpfige Gruppe nur in der Planungs- und Organisationsphase (eine Sitzung) zum Zuge, weil eine der Kursteilnehmerinnen danach vom Unterricht fernblieb, sodass der Rest des Projektes als Viererkonstellation fortgeführt wurde. Mit dieser Diskontinuität ist bei Datenerhebungen in authentischen Forschungssettings, besonders in so dynamischen wie dem Projektunterricht immer zu rechnen, zumal sich die lückenlose Anwesenheit in keinem Kurs auf dessen Abschlussqualifikation, also das Bestehen des Kurses auswirkte. Die Länge der videographisch festgehaltenen Gruppensitzungen variiert zwischen 15 und 49 Minuten und umfasst insgesamt 10: 20: 46 Stunden Videomaterial. Mittels des Retrospektionssamplings wurden diese Daten auf ca. vier Stunden Impulsmaterial reduziert. Die videographisch festgehaltenen VLE-Sitzungen besitzen einen Umfang von 11: 54 Stunden, wobei in dieser Angabe auch die Phasen des Mittschnitts enthalten sind, in denen kein Lautes Erinnern stattfand, also auch die Phasen zwischen den Verbalisierungen während der Betrachtung des Impulsmaterials umfasst sind (s. Abb. 19 und Übersicht im Anhang E). <?page no="109"?> 109 Abb. 19: Datensampling und Datenkorpus C? R Q*%/ (*0>4/ #/ .%0(1&0(7&A*06$/ #%0(1& C? R? , S#*(68#.@%."(F&7*6&8"54.(./ #%/ &S#*(68#.@%& Die Aufbereitung der erhobenen Daten erfolgte nach dem Verfahren der Halbinterpretativen Arbeitstranskription (HIAT) mit der Software EXMARaLDA Partitur-Editor 29 . Die Übertragung der mündlichen Videodaten in die schriftliche Textform Transkript liegt in dessen Verwendung als Analysebasis begründet. Die für Videodaten alternativ geläufige direkte Kodierung bzw. Annotation des Filmmaterials, wie es Videotranskriptions- und -analysesoftware (z. B. Interact 30 , MoviScript (Hampl 2008) oder Feldpartitur (Moritz 2010)) ermöglicht, erwies sich als nicht zielführend, da der Analysefokus nicht vornehmlich auf die typischen, eher bildgestützten Parametern der Videoanalyse (z. B. Einstellungsgröße, Kamerahandlungen, Montage, Verhältnis von Bild-Ton-Textebene u. ä.) ausgerichtet ist, sondern die gesprächsbasierte Interaktions- und Partizipationsanalyse im Mittelpunkt der Datenauswertung stand. Nur ein Transkript erreicht die linguistisch detailgenaue Fixierung und Aufbereitung gesprochener Sprache in all ihren sprachlichen Facetten, wie bspw. Aspekte der Multimodalität, also paraverbale, nonverbale, aktionale, proxemische und praxeologische Interaktionselemente. Dies ist ein für diese Untersuchung wesentliches Kriterium aufgrund der erwartbar hohen Relevanz von nichtsprachlichen Handlungen (wie z. B. Nicken oder Kopfschütteln) in der Interaktion von mehreren Personen, bei der 29 EXMARaLDA = Extensible Markup Language for Discourse Annotation (http: / / www.exmaralda.org/ ) 30 http: / / www.mangold-international.com/ de/ software/ interact/ was-ist-interact.html <?page no="110"?> 110 sich die durchschnittlich verfügbare Sprechzeit pro Person verkürzt, je größer die Gruppe ist. Des Weiteren ist, wie im vorliegenden Fall, eine der triangulierenden Analyse dienliche Integration mehrerer Datenarten in eine einzige Auswertungsvorlage möglich. Der vermeintliche Nachteil, dass bei der Transkription von Videodaten eine vorschnelle Informationsreduktion stattfinde (Ricart Brede 2011: 102-103, Hampl 2010: 54), kehrt sich in sein Gegenteil um, wenn die videobasierte Transkription als etwas Expandierbares verstanden wird. Die vollzogene Komplexitätsreduktion durch ein im orientierenden Modus erstelltes Grobtranskript wird sukzessive zumindest teilweise wieder aufgehoben, indem Transkripte mit fortschreitender Datenauswertung und Schärfung bzw. Erweiterung des Analysefokus unter Rückgriff auf das Videomaterial zyklisch einen zunehmenden Feinheitsgrad in der Wiedergabe des Interaktionsgeschehens erreichen (vgl. Redder 2001: 1055). Einzig die Notwendigkeit des „Übersetzens“ nichtsprachlicher Handlungen in eine im Transkript darstellbare Form wie bspw. Umschreibungen, Abkürzungen, Symbole oder Icons stellt bisher einen Umweg dar. Dieser kann lediglich durch digitale Transkripte, die an entsprechenden Stellen im Transkript eine Verlinkung zum jeweiligen Videosegment ermöglichen (z. B. HTML-Ausgabe im Programm EXMARaLDA), aufgehoben werden. Neben der fehlenden Einheitlichkeit in der Systematisierung der Beschreibungssprache oder vorliegenden kodifizierten ikonischen Zeichensystemen (Redder 2001: 1053; Sager 2001: 1072) stellt die schwere Erlernbarkeit von Kürzelsystemen (Dittmar 2009: 177) den größten Problembereich sowohl für die Produzenten als auch Rezipienten von Transkripten mit annotierten nichtsprachlichen Handlungen dar. In diesem Sinne muss „die Transkription […] über das Verbale hinaus diejenigen Ausdrucksmittel wiedergeben, die den Zwecken der sprachlichen Interaktion dienen, die also solche für das gesellschaftlich verbindliche Verstehen des kommunikativen Geschehens wesentliche Handlungselemente darstellen“ (Redder 2001: 1040). Entsprechend wurde das Transkriptionsverfahren nach den Prinzipien der Genauigkeit der Wiedergabe und der leichten Lesbarkeit (Graefen & Liedke 2012: 60) sowie den von Przyborski und Wohlrab-Sahr (2010: 164) formulierten Gütekriterien Praktikabilität, Ausbaufähigkeit und Flexibilität gegenüber Gesprächsdaten, Erlernbarkeit, Lesbarkeit sowie für Videotranskriptionen die „eindeutige Zuordenbarkeit von akustischen und visuellen Ereignissen“ (ebd.: 169) ausgewählt. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Art des vorliegenden Datenmaterials stellt die Transkriptionskonvention HIAT die adäquate Arbeitsgrundlage dar. Die darin vorgesehene Partiturschreibweise erfasst exakt die häufig auftretende Gleichzeitigkeit und Überlappung von Redebeiträgen in Gruppeninteraktionen (Feick 2012: 210). Zudem wird im Gegensatz zur Zeilenschreibweise die gewohnte Leserichtung beibehalten und nur für das Erfassen der Handlun- <?page no="111"?> 111 gen innerhalb einer Partiturfläche durch oben-unten-Lesebewegungen ergänzt (Redder 2001: 1048). Als diskursorientiertes Verfahren nutzt HIAT die literarische Umschrift orientiert an der Standardorthographie, was der Lesbarkeit sehr zuträglich ist, wobei in der vorliegenden Arbeit solche Abweichungen von der sprachlichen Norm, die auf eine für den Sprachlernprozess typische Interimssprache oder auf phonetische Interferenzen zurückzuführen sind, auch in der Verschriftlichung abgebildet wurden. Diese Phänomene bilden z. T. die Grundlage für sprachbezogene Aushandlungsprozesse, welche ein Spezifikum der vorliegenden im Untersuchungsinteresse stehenden fremdsprachlichen Entscheidungsinteraktionen darstellen. Hinsichtlich der o. g. Kriterien der Ausbaufähigkeit und Flexibilität sieht HIAT die Einrichtung von Sprecherspuren zu Verbalia, Non-Verbalia, zur Betonung, zu Suprasegmentalia, phonetischen Transkriptionen, akustischen Phänomenen ohne Autorenschaft, zu Kommentaren, Übersetzungen und morphologischen Transliterationen vor (Rehbein et al. 2004: 8). In dieser Studie wurde jedoch für ausgewählte Spurtypen nur bei deren kommunikativer Relevanz Gebrauch gemacht. Beispielsweise ist die Übersetzungspur für den von L1-Äußerungen durchzogenen deutschsprachigen Diskurs unverzichtbar, genauso wie die Kommentarspur für die Angabe von nichtübersetzbaren standortspezifischen Kontextualisierungen herangezogen wird (z. B. [v]: chilaquiles → [k]: mexikanisches Maisgericht). Eine genaue Abwägung hinsichtlich der Relevanz und Lesbarkeit von eingebundenen Sprecherspuren ist essentiell, da in Gruppeninteraktionen diese allein für ein Transkript einer fünfköpfigen Gruppe mit Verbal-, Non-Verbal-, Übersetzungs- und VLE-Spuren leicht einen Umfang von 20 Zeilen und mehr einnehmen kann. Der EXMARaLDA Partitur-Editor (Schmidt: o. J.), die eingesetzte Transkriptions- und Annotationssoftware, bietet als wichtigste Funktion, neben der Partiturnotation und der hohen Kompatibilität mit anderen Systemen und Datenformaten, die Verknüpfbarkeit mit Videodateien, also die Erstellung der Transkripte direkt auf Basis des Videomaterials. Dadurch kann während der Anfertigung und der Navigation innerhalb eines Transkriptes die dem Segment entsprechende Videosequenz unmittelbar aufgerufen werden. Ausbaufähig ist das Programm hinsichtlich der Möglichkeiten der Annotation und Analyse von Videomaterial. Es gibt keine Spur, die eine Videostandbildsequenz o. ä. bildgestützte Informationen präsentieren lässt, entsprechende Abbildungen können nur durch einen Dateiverweis innerhalb der HTML-Ausgabe integriert werden oder müssen den Transkripten nachträglich nach der Transkriptausgabe manuell hinzugefügt werden. Da EXMARaLDA nur für korpusanalytische Verfahren Auswertungstools bereit hält, also keine Einbindung von Memos, Codes o. ä. deskriptiv-interpretativen Analysewerkzeugen erlaubt, ist in dieser Studie die Verwendung des separaten Analyseprogramms für die Auswertung qualitativer Daten MAXQDA notwendig. Es kann problemlos mit dem Partitur-Editor erstellte Transkripte einlesen (s. 3.5.2). <?page no="112"?> 112 Die Anfertigung des Grobtranskriptes 31 der Gruppeninteraktionsdaten im Transkriptionsverhältnis 1: 30 erfolgte durch zwei im Verfahren HIAT und der Software EXMARaLDA geschulte Transkriptionsassistent(inn)en unter Orientierung an einem zuvor erstellten Transkriptionsleitfaden (s. Anhang F). Als nur bedingt hilfreich stellte sich dabei heraus, dass die Transkribenten die L1 der Untersuchungsteilnehmenden nicht beherrschten, was zu Verstehenserschwernissen v. a. bei L1-Einsprengseln im Gespräch und erstsprachbedingten phonetischen Abweichungen führte. Die Sichtung der erstellten Transkripte durch die Forscherin diente daher sowohl der Kontrolle als auch der Vertrautwerdung mit den aufbereiteten Daten. In diesem Durchlauf wurden bereits erste Memos und Markierungen zu entscheidungsdiskursbezogenen Auffälligkeiten erstellt. In diesem Schritt fand außerdem die Ergänzung erster gegenstandsrelevanter nonverbaler Phänomene in der [nv]-Spur, insbesondere das Blickverhalten, Mimik, Gestik sowie erster gegenstandsrelevanter (nicht-)redebegleitender nicht-phonologisch-akustischer Phänomene (z. B. Schreiben, [v]-Spur) statt. Die Transkription der erstsprachigen VLE-Daten wurde von einem transkriptionserfahrenen Spanischmuttersprachler angefertigt. Hierfür lag das Trankriptionsverhältnis bei 1: 10, da gemäß HIAT lediglich die verbalen Handlungen sowie die auftretenden Abbrüche, Reparaturen bzw. schwer oder nicht Verständliches vermerkt wurden. Dabei erwies sich die Zeilenschreibweise als zweckmäßig, sodass ein herkömmliches Textverarbeitungsprogramm (Word) zum Einsatz kam. Diese Transkripte bildeten die Grundlage für die händisch vorgenommene Integration der Sequenzen des VLE in das Grobtranskript der Gruppeninteraktionen. Hierfür wurde für jeden Sprecher außerhalb der Partiturfläche eine Kommentarspur mit der Beschriftung PSEUDONYM [VLE-Sp] sowie eine dazugehörige Übersetzungsspur PSEUDONYM [VLE-Dt] erstellt (s. Abb. 20). Dies erzeugte den enormen Vorteil, dass die Retrospektionsdaten jeweils genau an der Stelle ihres Auftretens in der Zeitachse (d. h., im Moment, in dem das Video für das Laute Erinnern gestoppt wurde) in der Kommentarspur erscheinen, also einem Interaktionsereignis die entsprechende geäußerte Erinnerung exakt zugeordnet werden kann. Das so hergestellte, integrierte Transkript ermöglicht eine ideale Basis für ein triangulierendes Vorgehen. Es erlaubt die für die Analyse notwendige Verknüpfung beider Datentypen bei gleichzeitiger graphischer Trennung durch die Auslagerung in die Kommentarspur, sodass der Lesefluss im Gegensatz zur Zeilenschreibweise erhalten bleibt (vgl. Feick 2012: 210-212). Zudem können zu einem Ereignis geäußerte Erinnerungen verschiedener Gruppenteilnehmer in ihrer Gleichzeitigkeit abgebildet werden (ebd). Ihrer Funktion als „nachträgliche Einschübe“ (ebd.: 210) wird den VLE-Daten insofern Rechnung getragen, als dass die Partiturinnenfläche bei 31 Die Grobtranskripte sind unter http: / / www.meta.narr.de/ 9783823380115/ start.html einsehbar. <?page no="113"?> 113 längeren VLE-Passagen frei bleibt und somit auf der Zeitachse nicht als separates Ereignis mitregistriert wird (ebd.). Analog zu den Übersetzungs- und Kommentarspuren innerhalb des Interaktionstranskriptes zielt die Übersetzung der VLE-Spuren durch die Forscherin auf eine Nachvollziehbarkeit der Datengrundlage ab, wobei eine größtmögliche graphische Repräsentation der kommunikativen Simultaneitätsverhältnisse (Rehbein et al. 2004: 60) angestrebt wurde. Gleichzeitig stellte die Übersetzung einen ersten heuristischen Analyseschritt (ebd.: 58) für die nichtspanischmuttersprachliche Forscherin dar, wobei sich hier Präzisierungen von regional- und registerspezifischen Ausdrücken durch Sprechende der mexikanischen Variante des Spanischen als notwendig erwiesen. Die Datenbeispiele, die zur detaillierten Interaktions- und Partizipationsanalyse herangezogen wurden und exemplarisch in den Kapiteln zur Datenauswertung aufgeführt werden (Kapitel 4-6), durchliefen eine Feintranskription im Verhältnis 1: 80. Dabei fanden die folgenden Phänomene Eingang in die Transkripte: Spurtypen Bezeichnung Typ Kategorie Display-Name Besonderheiten Spur für Sprechgeschwindigkeit, Lautstärke und Sprechweise A sup leer sehr kleine Schriftgröße (6 pt) und graue Unterlegung Redebegleitende nicht-phonologische, akustische Phänomene A sup LULO [ sup ] z.B. Lachen oder Husten Nicht redebegleitende nichtphonologischakustische Phänomene T v LULO [ v ] z.B. Trinken, Schreiben Kommentarspur A k LULO [ k ] Sprecherbezogen, innerhalb des Partiturrahmens für unübersetzbare Begriffe Nonverbale Spur D nv LULO [ nv ] Mimik, Gestik, Blickverhalten (externe) Kommentarspur A k/ VLE LULO [ VLE- Sp ] Kommentare erfolgen in Form des VLE außerhalb des Partiturrahmens in Erstsprache [ Sp ] und Übersetzung [ Dt ] <?page no="114"?> 114 Transkriptionszeichen für Akzente, tonale Bewegungen, Pausen und intrasegmentale Phänomene Gekennzeichnetes Phänomen Bezeichnung Zeichen Kommentar von der Silbenstruktur abweichende Betonung Akrut ´ nur im Spanischen, keine tonale Bedeutung Buchstabe im spanischen Alphabet Tilde ñ nur im Spanischen, keine tonale Bedeutung Fallendes „Hm“ Gravis ` Interjektion der Klasse HM Steigendes „Hm“ Akut ´ Interjektion der Klasse HM Steigend-fallendes „Hm“ Zirkumflex ˆ Interjektion der Klasse HM Gleichbleibendes „Hm“ Makron ¯ Interjektion der Klasse HM kurzes Stocken im Redefluss einfaches Pausenzeichen • geschätzte Pause bis zu einer halben Sekunde doppelter Pausenpunkt • • geschätzte Pause bis zu einer dreiviertel Sekunde dreifacher Pausenpunkt • • • geschätzte Pause ab einer Sekunde numerische Pausenangabe ((5s)) besondere Betonung Unterstreichung des Akzents _ Unterstreichung des betonten Redeteils Dehnung eines Lautes Reduplikation Sooo maximal dreifache Wiederholung des Lautes Die nicht-segmentalen Phänomene der Modulation, Sprechgeschwindigkeit und Sprechweise wurden weiterhin in den Transkripten an aushandlungsrelevanten Stellen gekennzeichnet mit: <?page no="115"?> 115 − Modulation: laut, leise, lauter, leiser (s. Spur [sup]), − Sprechgeschwindigkeit: schnell, langsam, schneller, langsamer (s. Spur [sup]), − Sprechweise: geflüstert, lachend (s. Spur [sup]). Redebgeleitende nicht-phonologische akustische Phänomene wie z. B. Lachen oder Husten wurden ebenfalls in der Spur für suprasegmentale Phänomene [sup] notiert. Nicht redebegleitende nicht-phonologisch-akustische Phänomene (z. B. Trinken) wurden in die verbale Spur des entsprechenden Aktanten aufgenommen. [1] 45 [02: 59.4] 46 [03: 03.0] 47 [03: 03.6] 48 [03: 05.6*] LARA [v] Aha (()). Wir müssen LARA [ger] LARA [nv] ((blickt auf Bildschirm)) ((nickt)) JUAN [v] Ja? JUAN [nv] ((blickt auf Bildschirm)) ((blickt zu RINA)) ((blickt zu LARA und EMMA)) RINA [v] Und danach • Zusammenfassung schreiben? ((schreibt)) Ja. RINA [nv] ((blickt zu LARA)) EMMA [v] ((trinkt)) Ja. EMMA [nv] ((blickt zu RINA)) [2] .. 49 [03: 10.1] 50 [03: 12.0] LARA [sup] ((lacht)) LARA [v] • die Filme sehen. LARA [nv] ((blickt zu EMMA)) JUAN [v] (Gut? ) Okay. Filme sehen. ((startet Video)) JUAN [nv] ((nickt)) ((blickt auf Bildschirm)) JUAN [VLE-Sp] Por la misma vez, nes/ más bien dígan me qué quieren qué haga y lo hago con todo el gusto, pero mis neuronas no estaban dando para mucho. JUAN [VLE-Dt] Noch einmal, sagt mir lieber, was ihr wollt, was ich tun soll und ich mache es mit dem größten Vergnügen, aber meine Neuronen taugten noch nicht viel. Abb. 20: Beispiel Feintranskript (Auszug aus Transkript (G3-2) <?page no="116"?> 116 Die Mitglieder der Gruppe 3 (LARA, JUAN, EMMA und RINA) handeln die Arbeitsaufteilung für die aktuelle Projektsitzung aus, wobei sie einen Laptop vor sich stehen haben, auf dem die angefertigten Aufnahmen in einem Videoschnittprogramm zu sehen sind. Mit Beginn des Transkiptauszuges ist das momentane Blickverhalten der Gruppenteilnehmer verzeichnet (Blick auf Computerbildschirm oder zu anderen Gruppenteilnehmenden). Neben den Verbalisierungen der Interaktanten ([v]-Spur) und nicht redebegleitenden nicht-phonologischen Phänomenen (Schreiben, Video starten - ebenfalls [v]-Spur) sind nicht-phonologische akustische redebegleitende Phänomene (Lachen, [sup]- Spur), Nonverbalia ([nv]-Spur), wie Blickkontakt, Nicken und die Übersetzung einer spanischen Hörerrückmeldung ([ger]-Spur) aufgeführt. In der Kommentar- Spur außerhalb des Partiturrahmens ist die retrospektive Äußerung von JUAN platziert ([VLE-Sp]) ebenso wie deren Übersetzung ([VLE-Dt]). Das integrierte Transkript bildet zusammen mit entscheidungsaushandlungsbezogenen Videostandbildern die ideale Vorlage für eine wahlweise parallele oder separate Analyse der Interaktions- und Retrospektionsdaten. Die sich an die Datenaufbereitung anknüpfenden Analysephasen und das Vorgehen bei der Datenauswertung werden im kommenden Abschnitt dargestellt. 3.5.2 Auswertungsmethode: Interaktions- und Partizipationsanalyse Gemäß dem explorativ-interpretativen Forschungsparadigma erfolgte die Datenauswertung mit dem Ziel der Fallbeschreibung, Mustergewinnung und Typenbildung anhand eines deskriptiv-rekonstruktiven sowie komparativ-fallkontrastierenden Vorgehens. Dabei kamen gesprächslinguistische Ansätze zur Analyse von Unterrichtskommunikation in Verbindung mit kategorienbasierten Verfahren zum Einsatz. Die deduktiv-induktive Kategorienbildung wurde dabei nach Kuckartz (2007) mittels der softwaregestützten Codierung der Transkripte nach interaktions- und partzipationsanalytischen Parametern vorgenommen. Die dafür verwendete Analysesoftware MAXQDA bietet für den vorliegenden Forschungsansatz den Vorteil, dass vielfältige Phasen des heuristischen Vorgehens erleichtert werden, indem Memos an Textabschnitte, Codes o. ä. angefügt, verändert, verwaltet sowie durchsucht, ein deduktiv-induktives Kategoriensystem erstellt und visualisiert sowie daraus Muster oder Typen ermittelt werden können (ebd.: 12 f.). Mittels dieses Instruments können somit die Prozesse der Exploration, Kategorisierung, Klassifikation und Interpretation digital unterstützt und effizienter bewerkstelligt werden. Der erste, der Interaktions- und Partizipationsanalyse vorgelagerte Schritt der Grobsegmentierung der Datensätze nach Entscheidungsepisoden schaffte Orientierung im Material und hatte dabei gleichzeitig explorativen Charakter (s. Übersicht über die ermittelten Entscheidungsepisoden im Anhang G). Für die Interaktionsanalyse wurden daraufhin deduktiv die Kategorien der Muster fremdsprachiger Paarinteraktion nach Storch (2001a) an die neun Daten- <?page no="117"?> 117 sätze angelegt und induktiv ausdifferenziert (= thematische Feincodierung nach Kuckartz 2007: 100, s. Kapitel 4). Für die Partizipationsanalyse ließen sich Kategorien zur Beteiligung am Aushandlungsprozess vornehmlich induktiv aus dem Datenmaterial entwickeln (s. Kapitel 5). Die Partizipationsanalyse ist hier als Variante zum gleichnamigen Analyseverfahren zu verstehen, wie es Krummheuer & Brandt (2001: 89-92) für ihre fachunterrichtliche partizipations- und argumentationsbezogene Interaktionsstudie etablierten. Dabei basiert die Partizipationsauf der Interaktionsanalyse, da letztgenannte auf diskursiven Kategorien der Paarinteraktion (sprachliche Mittel und Handlungen) fußt und die Partizipationsanalyse ausschließlich entscheidungsaushandlungsbezogene, beteiligungsrelevante sprachliche Handlungen fokussiert. Im Folgenden werden die deduktiven und induktiven Kategorien der Interaktions- und Partizipationsanalyse aufgeführt und einander gegenübergestellt. Eine an Transkriptbeispielen veranschaulichte Beschreibung der Kategorien findet sich in Kapitel 4.1. <?page no="118"?> 118 Deduktive, interaktionsbezogene Kategorien nach Storch (2001) Induktive und ergänzte Interaktions- und Partizipationskategorien (Nach-)Frage (S.163) Verständnissicherung (Kameyama 2004) Explanation (S. 170) Bedeutungsaushandlung (Long 1996) Wiederholung (S. 171) Blickkontakt/ Augenkommunikation Simultantalk/ Überlappung (S. 172) Mimik Vervollständigung (S. 172) Gestik phatische Äußerungen (S. 174) Nicken Pronomen (S. 176) Mittel der perspektivischen Modalität (Potentialis) Feedback 32 (allg.) (S.169) Ridikulisierung/ Nonsensbeitrag Ko-Konstruktion (S. 159), Scaffolding durch Gruppenexterne Kollektives Scaffolding (Donato 1988) Problemstellung Vorschlagen Vorschlagsmodifikation Begründen (Ehlich & Rehbein 1986) Erklären (Hohenstein 2006) Zustimmung Ablehnung Gegenargument Entscheidungshandlung Tab. 3: Kategorienübersicht Interaktions- und Partizipationsanalyse Die Codierung der Daten sowie erste Versionen des Kategoriensystems wurden in einer Datenanalysegruppe diskutiert und auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit hin überprüft. Zur Klassifikation der Interaktionsstile und Partizipationstypen, die sich aufgrund der Interaktions- und Partizipationsanalyse in den Daten abzeichneten, 32 Darunter zählt Storch (ebd.): confirmations, disconfirmation, self repairs, reformulations, provision of information or decision, explanation, statement of uncertainity or counter request. <?page no="119"?> 119 kam das Verfahren der Typenbildung nach Kluge (1999) und Kelle & Kluge (2010) zum Einsatz: „Typenbildung ist ein komplexes Verfahren, das anstrebt, die gesamten Bedeutungen [des konkreten Individuellen und des sozialen Bezugsrahmens, D.F.] in ihrer Vielschichtigkeit, die unterschiedlichen Perspektiven zu triangulieren und zugleich die zentralen Interaktions- und Kommunikationsmuster in ihren konstituierenden Prozessen aufzuzeigen.“ (Ecarius & Schäffer 2010: 7) Dabei hat Typenbildung das Ziel, mithilfe von Gruppierungsprozessen Ähnlichkeiten und Unterschiede im Datenmaterial zu ermitteln und somit zu dessen Strukturierung zu gelangen (Kelle & Kluge 2010: 85). Sie bedient sich hierfür der vergleichenden Kontrastierung und der komparativen Analyse (ebd.) und wird als Vorstufe der Hypothesen- und Theoriebildung verstanden (ebd.: 91). Auf Grundlage des „Stufenmodells empirisch begründeter Typenbildung“ (Kluge 1999: 261) fanden nach dem Schritt der kombinierten Interaktions- und Partizipationsanalyse folgende Analysestufen statt: Abb. 21: Die Auswertungsstufen des Stufenmodells empirisch begründeter Typenbildung (Kluge 1999: 261) Aus dem Modell wird ersichtlich, dass der Auswertungsprozess zirkulär, zyklisch und rekursiv verläuft. Die interaktions- und partizipationsanalytische Kodierung des Datenmaterials mündete in Stufe 1 des Typenbildungsmodells (s. Abb. 21) - die Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen. Die Merkmalsbzw. Dimensionenauswahl <?page no="120"?> 120 und -definition erfolgte dabei unter Rückgriff auf das theoretische Vorwissen zum Untersuchungsgegenstand. Bei der Dimensionalisierung von vergleichbaren Merkmalen wurden außerdem sowohl auf Projektgruppenebene als auch auf Individualebene mittels Einzelfallanalysen (Fälle LARA, JUAN, LULO, NERO, RINA, ELMER, SONJA, EMMA) sowie mittels Fallvergleichen (LARA vs. JUAN, RINA vs. ELMER vs. SONJA, JUAN vs. EMMA vs. NERO) relevante Merkmale und deren Ausprägungen hinsichtlich des Interaktions- und Partizipationsstils bestimmt und definiert. Als relevante Dimensionen wurden bezüglich der Interaktion die Merkmale Kollaboration und Dominanz sowie bezüglich der Partizipation die Merkmale Kooperation und Partizipation (i. S. von Mitbestimmung/ -entscheidung) als auch als untergeordnete Merkmale Sprach- und Fachkompetenz sowie Delegitimierung identifiziert. Auf Stufe 2 (s. Abb. 21) erfolgte die Gruppierung der Fälle und die Analyse empirischer Regelmäßigkeiten. Dafür kam die agglomerative Vorgehensweise (ebd.: 270) zum Einsatz, bei der von Einzelfällen ausgehend die Fälle mit höchster Merkmalsübereinstimmung zu Gruppen zusammengefasst wurden. Diese zeichnet sich durch eine möglichst starke gruppeninterne Homogenität und gruppenexterne Heterogenität bezüglich der Merkmalsausprägungen der Dimensionen Kollaboration/ Dominanz und Kooperation/ Partizipation aus. Als visuell-analytische Unterstützung der Fallzuordnung galt die Vier-Felder-Tafel (Abb. 22) und die Anfertigung von zwei Kreuztabellen (Abb. 23) für einen vierbzw. fünfdimensionalen Merkmalsraum. Abb. 22: Exemplarisch vereinfachte Vierfeldertafel <?page no="121"?> 121 Partizipation Kooperation ja selektiv nein kooperativ RINA SONJA JUAN nicht-kooperativ ELMER Abb. 23: Exemplarisch vereinfachte fünfdimensionale Kreuztabelle Bis auf wenige Ausnahmen erwies sich die Zuordnung der Fälle als unproblematisch, wobei die Zweifelsfälle auf die abwesenheitsbedingte geringere zur Verfügung stehende Datenmenge bei einzelnen Projektteilnehmenden zurückzuführen sind. Im dritten Schritt (s. Abb. 21) schloss sich die Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge und die Typenbildung an. Dazu wurden die Fälle gruppenintern (Ebene des „Typus“) als auch gruppenübergreifend (Ebene der „Typologie“) weiter verglichen und kontrastiert. Hierfür wurden weitere kodierte Faktoren mittels der MAXQDA-Funktion des Textretrievals für die Rekonstruktion inhaltlicher Sinnzusammenhänge zwischen den zentralen Untersuchungskategorien Interaktionsstil, Partizipationstyp und Gruppenautonomie herangezogen und in eine erste Version von vorläufigen Hypothesen überführt. Die vierte und abschließende Analysestufe bestand in der Charakterisierung der gebildeten Typen (s. Abb. 21). Anhand von Prototypen, also einer Auswahl von Fällen, die die Merkmale jeden Typs am treffendsten repräsentieren, wurde eine detaillierte Charakterisierung der gebildeten Typen angefertigt (s. Kapitel 4 und 5). Dies fand auf Grundlage der in Stufe 2 und 3 ermittelten Vergleichsdimensionen Kollaboration/ Dominanz sowie Kooperation/ Partizipation, Merkmalskombinationen und Sinnzusammenhängen statt. Das Resultat der Analyse bildete je eine monothetische 33 Typologie (Kuckartz 2007: 103) für die Interaktionsstile (Vier-Felder-Tafel, s. Kapitel 4) und die Partizipationstypen (Kreuztabelle, s. Kapitel 5), bei der alle Elemente eines Typs identische, aber dabei auch verschieden stark auf Einschränkung der Geltung einer Aussage geprägte Merkmale besitzen. In der anschließenden Diskurssequenzanalyse (s. Kapitel 6) wurden gruppenspezifische Diskursarten in Anbindung an die ermittelten Interaktionsstile und Partizipationstypen rekonstruiert und beschrieben. Dabei erfolgte ein Rückgriff auf die von Grießhaber für den Diskurstyp „Entscheidungen treffen“ etablierten Konzepte der Konvergenz und Divergenz (Grießhaber 1987, s. Kapitel 2.3.4). Konvergenz stellt dabei ein „gemeinsames diskursives Bewertungssystem“ 33 Dies ist eine Typologie, „in der alle Elemente eines Typs identische Merkmale besitzen.“ (ebd.) <?page no="122"?> 122 (ebd.: 123) und Divergenz ein Ausbleiben dessen dar. Das gemeinsame Bewertungssystem wird v. a. durch die Etablierung des Hörerfokus (ebd.: 144) sowie die Ergänzungen oder Umformulierung von Äußerungen der Interaktionspartner erzeugt (ebd.: 144-145). <?page no="123"?> 123 O '(%/ #*8%."(66%.+/ &$U)#/ (7&7/ #& E#0@@/ (/ (%6K)/ .70(1F&P$.6K)/ (&7"5.(*(%/ #& G"++*4"#*%."(&0(7&@*66.D/ #&V.K)%AG"++*4"#*%."(& O? , S/ .+%T@"+"1./ &,& Die für den Gruppenentscheidungsprozess ermittelten individuellen Interaktionsstile lassen sich in der folgenden monothetischen Teiltypologie 1 (Abb. 24) graphisch darstellen. Die Angaben in Klammern betreffen die Gruppensitzung, auf die sich der ermittelte Stil jeweils bezieht. Personen in einer durch Kommata untergliederten Aufzählung entsprechen dem gleichen Stil. Abb. 24: Teiltypologie 1: Interaktionsstile In der Teiltypologie 1 sind neben den Merkmalsdimensionen Kollaboration und Beteiligungsgrad sowie ihren jeweiligen Ausprägungsformen zugleich pro Interaktionsstil in vier Feldern die Pseudonyme aller Fälle vermerkt und die entsprechenden repräsentativen Einzelfälle fett hervorgehoben. Diese werden in den Abschnitten 4.2 bis 4.5 ausführlich in ihrer Prototypik und maximalen Kontrastivität vorgestellt. Der Merkmalsraum des Interaktionsstils während Gruppenentscheidungsprozessen wird durch je zwei Merkmalsausprägungen begrenzt: zum einen auf der horizontalen Ebene hinsichtlich der Kollaborativität des Stils mittels der Dimensionen der Kollaboration und der Nicht-Kollaboration im Bezug auf den Entscheidungsdiskurs; zum anderen auf der vertikalen Ebene hinsichtlich des Beteiligungsgrades am Entscheidungsdiskurs durch die Dimensionen der Dominanz und Passivität. <?page no="124"?> 124 Interaktive Dominanz ist durch einen hohen Beteiligungsgrad gemessen an der Beteiligung der übrigen Gruppenmitglieder gekennzeichnet und äußert sich in einer aktiven Aneignung des zu diskutierenden Entscheidungsgegenstandes, einem hohen Redeanteil und langen Redepassagen (v. a. Monologe) mit einem hohen (Gegen-)Vorschlagsvolumen. Auch im Hinblick auf Nonverbalia drückt sich die große Aktivität in regem Blickkontakt sowie reichhaltiger Gestikulation und Mimik aus. Interaktive Passivität ist durch einen eingeschränkten verbalen Beteiligungsgrad gemessen an der Beteiligung der übrigen Gruppenmitglieder gekennzeichnet und erkennbar an einem geringen Redeanteil, vornehmlich phatischen Äußerungen, wenigen oder keinen eigenen entscheidungsrelevanten Vorschlägen oder Reaktionen auf Vorschläge der Anderen. Auf nonverbaler Ebene drückt sich Passivität in einem sehr zurückgenommenen Interaktionsverhalten aus, sowohl was die Augenkommunikation als auch was die Mimik, Gestik und Körperhaltung betrifft. Aus raumorganisatorischer Perspektive nehmen passive Interaktanten meist eine Randposition in der Sitzverteilung ein. Auf der horizontalen Ebene der Kollaboration bedeutet die Ausprägung „kollaborativ“, dass dieser Interaktionspartner eine diskursive Gleichheit und Gegenseitigkeit i. S. von Storch (2001a, b, 2002 a, b) herstellt, welche in dieser Untersuchung ebenfalls auf multimodaler Ebene betrachtet wird. Gleichheit und Gegenseitigkeit ist dementsprechend neben dem Beteiligungsgrad in der Entscheidungsinteraktion gekennzeichnet durch: − ein ko-konstruktives Entscheidungsaushandlungsverhalten, bei dem zur Ressourcenbündelung Beiträge der anderen ergänzt oder modifiziert, Uneinigkeiten verhandelt und Konsense erreicht werden, − einen hohen Grad an Mitwirkung in der gleichmäßigen Abwechslung der Turns oder in Form von Ko-Konstruktion sowie dem damit verbundenen kollektiven Scaffolding sowie − einen hohen Grad an sprachlichen Handlungen wie (Nach-)Fragen, positives oder korrektives Feedback in Form von Erläuterungen, Wiederholungen, Vervollständigungen oder überlappendem Sprechen, der Pronomennutzung der 1. Person Plural sowie phatischen Äußerungen (Storch 2001a: 280). Diese Kategorien wurden deduktiv an das Datenmaterial angelegt. Induktiv erfuhren sie bei der Analyse eine Erweiterung durch die entscheidungsdiskursrelevanten Kategorien des Erklärens und Begründens sowie der Ausdrucksmittel der perspektivischen Modalität (Potentialis) (s. Kapitel 3.5.2). Es ist dabei von Bedeutung, die Verwendung sprachlicher Handlungen im Entscheidungsdiskurs im Hinblick auf ihre Kollaborativität zu bewerten. Aus multimodaler Perspektive wurden Merkmale wie ein auf Gleichheit und Gegenseitigkeit beruhendes Blickverhalten, eine dem Interaktionszentrum zugewandte Körperhaltung sowie eine <?page no="125"?> 125 verstehens- und damit aushandlungsförderliche Mimik und Gestik ergänzt. Retrospektiv äußern Personen, die diesen Interaktionsstil einnehmen, einen höheren Grad an Zufriedenheit und positiven Emotionen bezüglich der Gruppenarbeit. Im Folgenden sollen die genannten Merkmalselemente (Kategorien) beispielhaft illustriert werden. (Nach-)Fragen Fragen können direkt (z. B. Alternativfrage: „Sollten wir das auf Deutsch machen? “ (G3-1a, 07: 02') oder als indirekte Nachbzw. Rückfragen („Ich hab dich nicht gehört.“ (G2-2, 07: 04')) geäußert werden. Sie werden je nach Typ mit einem einfachen Responsiv (ja - nein) oder mit einer elaborierten Erläuterung (s. u.) erwidert. Nachfragen unterscheidet Storch (2001a: 163) in Informationsnachfragen, Bestätigungsfragen (confirmation checks) oder Elaborationsnachfragen, wobei sie (Nach-)Fragen mit Bezug auf McCormick & Donato (2000) eine umfassendere Funktion als die der bloßen Elizitationstechnik zuschreibt: „[They] act as semiotic tools that mediate mental activity in a social context. […] Request and questions are powerful means of involving participants in an activity: they attract attention (Hundheide, 1985), invite participation (Meskill, 1993), and thus act to maintain ongoing interest in the task (see also Anton & DiCamilla, 1998).“ (Storch 2001a: 252) Feedback In der dyadischen Interaktion beschreibt Storch (2001a: 169; 2002a: 130) als Formen des Feedbacks auf (Nach-)Fragen Erläuterungen (explanations) und die Subtypen des negativen, korrektiven oder positiven Feedbacks. Die Kategorie des negativen Feedbacks wird unter den Erläuterungen der Merkmalsausprägung „nicht-kollaborativ“ genauer expliziert. Positives Feedback äußert sich in Zustimmung der verbalen (z. B. als positives Responsiv „ja“, „okay“, „gut“), der phatischen (in Form von Interjektionen) oder der mimisch-gestischen Art (z. B. Nicken, Daumengeste als Symbol für Einverständnis). Korrektives Feedback wiederum besteht aus expliziten Reparaturen oder Umformungen (recasts). Erläuterungen können neben der Reaktion auf (Nach-)Fragen auch als unaufgeforderte Elaboration (bzw. Modifikation) eines Vorschlages im Diskurs auftreten (Storch 2001a: 170). Meist werden sie eingeleitet durch Ausdrücke wie „ich denke“ oder dem kausalen Subjunktor „weil“ und helfen den Hörenden bei der Verarbeitung des verbalisierten Wissens und der Bedeutungserschließung (Hoffmann 2013: 40). Bei der Übersetzung von Storchs Konzept explanation ins Deutsche ist eine Ausdifferenzierung in die sprachlichen Handlungen „erklären“ und „begründen“ erforderlich. Begründen wird dabei im funktionalpragmatischen Sinne als Behebung von antizipierten oder tatsächlichen Verstehensdefiziten eines Handlungssystems verstanden, die eine reparative Umstrukturierung im Wissen des Hörers bewirkt (Ehlich & Rehbein 1986, Ehlich 2009), <?page no="126"?> 126 während das Erklären der Erkenntniserweiterung des Hörerwissens („Sinnübertragung“, „Sinn-Expansion“, Ehlich 2009: 18) dient (ebd.). Im Falle des Erklärens fehlt auf der Rezipientenseite das notwendige Wissen zur weiteren Teilnahme an der Interaktion gänzlich, während Begründen dann notwendig ist, wenn sich der dargestellte Sachverhalt im Widerspruch zum vorhandenen hörerseitigen Wissen befindet. Hinweise auf den diesbezüglichen Zustand des Wissens der Aushandlungsteilnehmenden finden sich in den VLE-Daten wieder. Im kollaborativen Interaktionsmodus wird Erklärungen, Begründungen, Vorschlägen oder Reparaturen auf Rezipientenseite vornehmlich zugestimmt, d. h., sie werden akzeptiert und als Zeichen dessen oft auch wiederholt. Kollaboration bei der Entscheidungsaushandlung bedeutet aber auch, dass Ideen für Vorschläge ko-konstruktiv entwickelt werden, d. h. durch Vervollständigungen, Erweiterungen oder Modifikationen ihre Form gewinnen. Beispiel für positives Feedback - Zustimmen [1] 210 [14: 02.1] 211 [14: 07.6] LARA [v] Aber das ist einfach. Wir haben die Schauspieler hier. Ja, warum nicht? LARA [nv] ((lacht)) ((blickt nach links zu SONJA)) SONJA [v] Ja, das, das mag ich auch. SONJA [nv] ((blickt nach rechts zu LARA)) [2] 212 [14: 11.0] LARA [v] Magst du das? LARA [nv] ((blickt gegenüber zu JUAN)) JUAN [v] Okay. JUAN [nv] ((nickt)) SONJA [nv] ((blickt gegenüber zu JUAN)) Transkriptauszug 1: Zustimmen (G3-1a, 14: 02') Die direkteste zustimmende Feedbackart ist das positive Feedback, welches in Form von verbalen Bestätigungen (Interjektionen) oder nonverbal durch Nicken geschieht. Im Ausschnitt 1 bekundet SONJA ihren Gefallen am Vorschlag, eine Videoumfrage über die Deutschlerngründe der Kursbesucher zu machen (Seg. 211). Dabei blickt sie nach rechts neben sich zu LARA, die überlappend ihre Zustimmung bestätigt: „Ja, warum nicht? “ (Seg. 211) und gleichzeitig SONJAs Blick erwidert, indem sie ihren Kopf um 90 Grad nach links dreht. Anschließend dreht LARA ihren Kopf zurück in die Frontalstellung und vergewissert sich bei ihrem Gegenüber JUAN über dessen Einschätzung mittels einer Entscheidungs- <?page no="127"?> 127 frage (Seg. 212). Dieser reagiert sofort positiv verbal („Okay.“) als auch nonverbal durch ein begleitendes Nicken. Beispiel für korrektives Feedback - Recast Recasts als Form der indirekten Fehlerkorrektur wiederholen einen fehlerhaften Ausdruck in der korrekten Form im Anschluss an die inkorrekte Äußerung. Während der Peer-Interaktion in der vorliegenden Studie, die eher inhaltsals formbezogen abläuft, ist diese Form des Feedbacks weniger häufig anzutreffen. [1] 382 [28: 33.0] LARA [v] So wir sollten ((1,2s)) entscheiden, welche, ((1,2s)) welche Art von Leute wir interviewen. [2] .. 383 [28: 37.5] 384 [28: 42.8] 385 [28: 45.7] LARA [v] Ja? Sehr jung. Nicht so jung. JUAN [v] ((2s)) Ich denke (eher) jung. Junge Leute. [3] 386 [28: 49.5] LARA [v] Ja. Junge Leute. SONJA [v] Ich glaube, einfach die Leute, die Deutsch lernen. EMMA [v] Aha. EMMA [ger] Hm̌ . Transkriptauszug 2: Recast (G3-1a, 28: 33') In der Beispielsequenz oben wiederholt JUAN in seiner Antwort auf die Frage, ob eher junge oder nicht so junge Leute interviewt werden sollen mit der (im Gegensatz zu LARA) korrekt konjugierten Form „junge Leute“ (Seg. 385). Damit stellt er Kongruenz zum Numerus des Objekts „Leute“ in LARAs Frage her, welche dies bestätigend in Seg. 386 aufgreift und somit ihre Akzeptanz signalisiert. Beispiel für korrektives Feedback - Reparatur Reparaturen - in dieser Sequenz die selbstinitiierte Fremdreparatur - erfolgen bei Problemen der Sprechplanung oder des Verstehens (Graefen & Liedke 2012: 265), können selbst- oder fremdinitiiert sein und vom Sprecher selbst oder durch die anderen Interaktanten vorgenommen werden. <?page no="128"?> 128 [1] 87 [06: 03.8] JUAN [v] Ja. SONJA [v] Die Ke/ die Ke/ die Kerzen? Wie heißen die? Velas? SONJA [ger] Kerzen SONJA [nv] referentielle Geste ((blickt zu LARA)) [2] 88 [06: 07.7] 89 [06: 11.9] LARA [v] Kleine… (Dann die Kerzen mit äh) caterinas. LARA [k] mexikanische Totenfiguren LARA [nv] ((nickt)) JUAN [v] Ah, eso. JUAN [ger] dieses SONJA [v] Ke/ Kleine Kerzen. Transkriptauszug 3: Reparatur (G3-1a, 06: 03'-06: 11') In diesem Beispiel verfügt SONJA nicht über die korrekte Form des Wortes „Kerze“ und ist unsicher über die Adäquatheit ihrer Selbstreparatur im ersten Anlauf, sodass sie zur Verständnissicherung eine referentielle Geste benutzt (vgl. Abb. 27) und das gesuchte Wort in der L1 mit steigender Intonation anfügt (Seg. 87). Damit bittet sie die Gruppenmitglieder um Bestätigung, die ihr LARA und JUAN z. T. nonverbal entsprechend gewähren, sodass SONJA das gesuchte Wort daraufhin noch einmal abschließend wiederholt (Seg. 86). Erklären Erklären als Handlungsmuster, also die „gerichtete Abfolge […] mentaler, sprachlicher und nichtsprachlicher bzw. physisch-aktionaler Handlungen des Sprechers und des Hörers“ (Hohenstein 2006a: 160), kann mit einer Bitte um Erklärung initiiert werden. Diese hat ihre Ursache in einem Erklärungsbedürfnis auf der Hörerseite (H) bzw. einer „Zuordnungsrelation [Herv. im Original, D.F.] in der außersprachlichen Wirklichkeit (,Pʻ) [die H, D.F.] nicht selbst herstellen kann und sich für H dadurch eine innere Systematik und Funktionalität des zugehörigen Wirklichkeitsausschnitts nicht erschließen lässt. […] Anders als die mangelhafte Zuordnungsrelation in P beim Erklären, ergibt sich die Verstehensdefizienz [s.o.] als Ansatzpunkt des Begründens nicht aus der Beschaffenheit bzw. Wahrnehmung der außersprachlichen Wirklichkeit P, sondern aus der Art der Organisiertheit des hörerseitigen Wissens (Π H )“ (ebd.: 160- 161). <?page no="129"?> 129 Abgeleitete Fälle des Erklärens (z. B. Worterklärungen (Rehbein 1982) oder wissenschaftliche Vorträge (Hohenstein 2006b)) zeigen, dass nicht immer ein echtes Erklärbedürfnis auf der Hörerseite vorliegen muss - dieses kann auch antizipiert werden, um Erklärungen vorzunehmen. Für diese Untersuchung sollen solche sprachlichen Handlungen als Erklärungen verstanden werden, bei denen ein reales oder antizipiertes Nichtwissen auf Hörerseite vorliegt, welches der Sprecher auflöst, um aufgrund der Erkenntniszunahme die weitere Partizipation am Entscheidungsdiskurs sicherstellen zu können. Beispiel für Erklärung [1] 0 [00: 00.0] DUNA [v] ((2s)) Oder auch wichtig äh die Meinung/ oder die Meinungen von die [2] .. 1 [00: 05.6] 2 [00: 08.3] DUNA [v] Zivilgesellschaft. ((2s)) Gibt es diese äh colectivos DUNA [ger] Kollektive ELMER [v] Ich weiß. [3] 3 [00: 12.2] 4 [00: 18.1] DUNA [v] ((1,5s)) im Rahmen ((1,5s)) Mobilitätmöglichkeiten. ((2s)) Und sie arbeiten [4] .. 5 [00: 25.8] DUNA [v] normalerweise ((3s)) neben Regierungen oder ((2s)) sie haben einige Vorschlagen. ELMER [v] (Ja, wir können auch…) Transkriptauszug 4: Erklärung (G2-2, 00: 00'-00: 25') Für den Entscheidungsgegenstand „Interviewpartner“ schlägt DUNA vor, Akteure der Zivilgesellschaft zu befragen (Seg. 0). Nun antizipiert sie, dass möglicherweise nicht alle Gruppenmitglieder wissen, um welche Akteure es sich dabei handeln könnte, sodass sie erklärend ergänzt, dass es sich dabei um Kollektive handelt, die regierungsunabhängig zum Thema der Mobilitätsmöglichkeiten arbeiten (Seg. 1-5). Dass DUNA hier antizipativ Nicht-Wissen vermutet hat, welches sich seitens der Interaktionspartner zumindest bei ELMER nicht als gegeben herausstellt, bezeugt seine Äußerung: „Ich weiß.“ (Seg. 2). Jedoch stellt sie durch ihre Erklärung sicher, dass eine gemeinsame Wissensbasis um diesen Sachverhalt vorliegt und ihre Gesprächspartner ihrer Argumentation folgen können. <?page no="130"?> 130 Begründen Das Handlungsmuster „Begründen“ findet seinen Ursprung in der vermuteten oder tatsächlichen Gefährdung des Diskurses auf Sprecherseite aufgrund von hörerseitigem Nichtverstehen oder Nichtakzeptanz und der daraus resultierenden negativen Einstellung zum Folgediskurs (Gräfen & Liedtke 2012: 287): „Begründen ermöglicht dem Sprecher ein hörerseitiges Nichtverstehen einer (Sprech)-handlung C so zu bearbeiten, dass sich für H ein Verstehen einstellen kann. Dieses Verstehen ist notwendig um ein Weiterbestehen des Handlungssystems zu gewährleisten.“ (Komor 2010: 144) Ehlich und Rehbein (1986) unterscheiden fünf verschiedene Typen des Begründens: − Handlungsbegründung, − Absichtsbegründung, − Sollen-Begründung, − Kognitive Begründung sowie − Kognitiv-operative Begründung. In der vorliegenden Untersuchung ist besonders die kognitive Begründung von hoher Relevanz, weil damit eine Übereinstimmung zwischen der Aussage eines Sprechers und dem Verständnis des Hörers hergestellt wird. Begründungen wurden v. a. anhand des Einsatzes des kausalen Subjunktors „weil“ identifiziert. Beispiel für Begründungen [1] 26 [01: 53.5] 27 [01: 57.0] LARA [v] (Arzt.) JUAN [v] Ähm noch einmal von/ äh ihr bei/ äh ihr zwei arbeiten in die Zus/ in die [2] .. 28 [02: 01.5] 29 [02: 04.7*] 30 [02: 07.1] LARA [v] Aha. Vielleicht… Ja, jetzt. Weil es ist äh wirklich LARA [ger] Hm̌ . JUAN [v] Zusammenfassung? Wann? Jetzt? RINA [v] Ja, wir… <?page no="131"?> 131 [3] .. 31 [02: 09.7] LARA [v] nötig, das machen. (Weil äh) einmal wir haben alles, (wo sich alle filmen) (()). [4] 32 [02: 14.3] LARA [v] Da können wir entscheiden alle zusammen, was, was wir machen. LARA [nv] RINA und JUAN zugewandt Transkriptauszug 5: Begründen (G3-2, 01: 53'- 02: 14') Im Transkriptauszug reagiert LARA begründend auf JUANs verständnissichernde Entscheidungsfrage, ob LARA und RINA nun an der Zusammenfassung arbeiten würden (Seg. 26-27). LARA bestätigt dies mit einer bejahenden Interjektion (Seg. 28) und führt aufgrund einer weiteren Nachfrage JUANs nach dem Zeitpunkt des Arbeitsbeginns (Seg. 28) weiter aus, welche Ursachen hinter dieser Arbeitsaufteilung stehen, wobei sie zweimal den kausalen Subjunktor „weil“ verwendet (29-32). Somit stellt sie eine Übereinstimmung zwischen dem von ihr anvisierten Handlungsplan und dem aufgelösten Verstehensdefizit JU- ANs zum weiteren Vorgehen her. Kollaborativer Dialog (Kollektives Scaffolding und Ko-Konstruktion) Das auf Gleichheit und Gegenseitigkeit gerichtete Zusammenspiel von Formen des Fragens und des Feedbacks bzw. Erklärungen und Begründungen in der Gruppeninteraktion bezeichnet Swain (2000) auch als kollaborativen Dialog - ein Dialog „in which speakers are engaged in problem-solving and knowledgebuilding“ (ebd.: 102). Dieses Konzept baut u. a. auf dem Phänomen des kollektiven Scaffoldings auf (Donato 1988, 1994). In kollaborativen Gruppen kommt es dabei zur Ressourcenbündelung und Lernende unterstützen sich gegenseitig (mutual assistance) oder ko-konstruieren dialogische Interaktion, d. h. sie vollziehen einen Prozess von „prompting, correcting and pooling their knowledge“ (Storch 2001a: 188). Ko-Konstruktion besteht wiederum aus den oben dargestellten Bestätigungsnachfragen (zur Feedbackgenerierung oder zum Interessenaufbau/ -erhalt), Reformulierungen gegenseitiger Äußerungen (auch Wiederholungen, Vervollständigungen und Überlappungen) sowie der Bestätigungssuche zum Erreichen allgemein akzeptierter Entschlüsse (ebd.). Kollaborativer Dialog, wie er in dieser Studie verstanden werden soll, enthält des Weiteren Verfahren des verständnissichernden Handelns (Kameyama 2004). Durch drei Datenbeispiele wird das Konzept im Folgenden veranschaulicht. <?page no="132"?> 132 Beispiele für Ko-Konstruktion [1] 42 [01: 50.9] 43 [01: 53.5] 44 [01: 55.8] NERO [v] Nach • nach dem Tod oder nach INES [sup] ((lacht)) INES [v] Wieder/ Wiedergeboren after • • • after, after nach (nach dem) INES [ger] nach nach, nach [2] .. 45 [02: 00.7] NERO [v] dem Party oder nach dem… ((6s)) INES [v] O Wiedererwacht. INES [ger] oder Transkriptauszug 6: Ko-Konstruktion (G1-1, 01: 50'-02: 00') Zwei Mitglieder der Gruppe 1 bündeln ihre Ressourcen beim Entwickeln eines Titels für das entstandene Video. Nachdem INES nur das englische Wort für „nach“ aus ihrem mentalen Lexikon abrufen kann, nennt ihr NERO die deutsche Entsprechung, vollendet INES’ Vorschlag (Seg. 44) und gibt ihr zusätzlich mit der Reformulierung „nach dem Tod oder nach dem Party“ zwei alternative Formulierungsvarianten. Somit ko-konstruieren beide den Titelvorschlag „Wiedergeboren nach dem Tod.“ [1] 74 [06: 36.3] 75 [06: 39.3*] 76 [06: 40.3*] 77 [06: 42.8] INES [v] Mein Vorschlag ähm • Arbeitgruppe. Gruppearbeit, no? • • • INES [nv] ((schreibt)) INES [ger] nicht? NERO [v] H m̌ . [2] .. 78 [06: 46.1*] 79 [06: 48.7] 80 [06: 51.1*] INES [v] Gruppearbeit, oder? • • • Arbeitsgruppe? Gruppearbeit INES [nv] ((blickt zu LULO)) ((blickt zu NERO)) LULO [v] Arbeitsgruppe, ich glaub. <?page no="133"?> 133 [3] .. 81 [06: 54.4] 82 [06: 58.9] INES [v] weil es ist arbeiten (aber es ist Team). Oder Teamarbeit. INES [nv] ((schreibt)) NERO [v] H m̌ h m̌ . LULO [v] H m̌ . Transkriptauszug 7: Ko-Konstruktion (G1-2, 06: 36'-06: 58') Zum Entscheidungsgegenstand „Evaluationskriterien“ unterbreitet INES den Vorschlag, die Gruppenarbeit zu beurteilen. Sie gibt ihrem Zweifel durch eine Bestätigungsfrage, ob mit „Arbeitgruppe“ oder „Gruppearbeit“ die korrekte Bezeichnung für das Konzept vorliegt, gegenüber ihren Gruppenkollegen zum Ausdruck (Seg. 76). LULO bekundet seine Präferenz für die erste Variante, zeigt aber durch den Nachtrag „ich glaub’“ an, dass er diesbezüglich über keine absolute Sicherheit verfügt (Seg. 79). Simultan entscheidet sich INES für den Begriff „Gruppearbeit“ und erklärt dies, indem sie das Kompositum semantisiert, d. h. es in seine Bestandteile „arbeiten“ und „Team“ zerlegt (Seg. 80). Anschließend nennt sie das Synonym „Teamarbeit“, um ihre Entscheidung zu untermauern. Von beiden Gruppenkollegen wird die Akzeptanz dieser Wahl mit einer zustimmenden Interjektion bestätigt (Seg. 80-82). An diesem Beispiel wird deutlich, dass kollaborativer Dialog dazu führt, bei der verständnissichernden und bedeutungsaushandelnden Auseinandersetzung mit Anderen Wissen über Sprache neu zu konstruieren. [1] 194 [12: 41.1] NERO [v] Oder das, das wäre äh/ das, das könnte sein Wiedergeburt nach dem • Sauferei. [2] 196 [12: 48.7] NERO [v] Oder etwas Ähnliches. LULO [VLE-Sp] Quiero pensar más que lo del “Wieder”, wiedergeboren o como le quieran poner es/ vendería, lo de volver a la vida vendería el final y no quiero eso, no quiero se anticipen al final, sólo por el título. [3] 197 [12: 50.8] 198 [12: 51.8] 199 [12: 53.2] 200 [12: 55.3] NERO [v] Sauferei? Kennt ihr Sauferei? Wenn du in die LULO [v] Sauferei. Was ist das? <?page no="134"?> 134 [4] .. 201 [12: 57.8] 202 [12: 59.6] NERO [v] Kneipe saufen. Sauferei. LULO [v] Ah, ja, ja. Aber das verkauft die Ende. Transkriptauszug 8: Verständnissicherung (G1-1, 12: 41'-12: 59') In diesem Beispiel wird Verständnissicherung betrieben, indem NERO durch eine Kontextualisierung und Semantisierung die LULO zunächst unbekannte umgangssprachliche Bezeichnung „Sauferei“ für Trinkgelage veranschaulicht. Somit kann NERO seinen Sprecherplan umsetzen und einen Titelvorschlag unterbreiten, was LULO nach der Verständnissicherung in die Lage versetzt, mit einem entsprechenden Gegenargument zu reagieren. Beispiel für Wiederholungen, Vervollständigen, Überlappen [1] 64 [05: 04.4] 65 [05: 09.3] DUNA [v] Die • • • zweite: "Welche Lösung äh könntest du vorschlagen? " ELMER [v] Ich glaube, das passt. • • • H m̄ . [2] 66 [05: 11.7] 67 [05: 15.9] DUNA [v] ((2,5s)) Antwort. ELMER [v] ((2s)) Ja. MIRA [v] Aber das wäre ein lange äh ((2,7s)) Antwort. Transkriptauszug 9: Vervollständigung (G2-2, 05: 04') Vervollständigung als sprachliche Handlung der Ko-Konstruktion wird, wie im Beispiel 9, zur Kompensation von fremdsprachproduktionsbedingten Sprechpausen (z. B. Suche nach dem geeigneten Wort) genutzt, in der der Hörer den Sinngehalt einer Aussage antizipiert („hörerseitige Planbildung“, Rehbein 1977) und verbalisiert. MIRA bringt ein Gegenargument auf einen zuvor geäußerten Vorschlag an (Seg. 66) und signalisiert durch die Partikel „äh“ als Pausenfüller, dass sie das gesuchte Wort noch finden muss. DUNA hat parallel die Sprechabsicht von MIRA nachvollzogen und kann das fehlende Wort „Antwort“ ergänzen und dadurch die Aussage vervollständigen. MIRA bestätigt durch die zeitlich leicht verzögerte, aber dennoch überlappende Wiederholung des betreffenden Nomens, die Korrektheit von DUNAs rekonstruierter Äußerungsabsicht. Wortwörtliche Wiederholungen als sprachliche Handlung werden hier differenziert von der sprachlichen Handlung des sinngemäßen Wiederholens von Vor- <?page no="135"?> 135 schlägen oder deren Modifikationen als Bestandteil von Entscheidungsepisoden (vgl. Kapitel 5). 7+82"+5&8C/ ''%*-2%"-? %"8? %&'/ @/ 854%0-L#2(*/ 'F'-9! #'%0'/ (*/ 8<- Auf pragmatisch-funktionaler Ebene konnten als neue Subkategorie auch sprachliche Formen im kollaborativen Diskurs festgestellt werden, die den Beiträgen die Modalität des Eventuellen, des Möglichen bzw. Aushandelbaren verleihen, z. B. der Konjunktiv II („wir sollten, wir könnten“) (Hoffmann 2013: 285), oder die Geltung des Gesagten einschränken, z. B. die Modalpartikel „vielleicht“ (ebd.: 401) oder die Modalverben (sollen, können, mögen/ möchten: „Was möchten wir machen? “; G3-1a, 00: 28'). Letztere dienen außerdem dazu, einen weichen Sprecherwechsel zu organisieren (vgl. Hoffmann 2013: 298). L+*'/ C#2(*/ 'F'- Auf multimodaler Ebene ist Kollaboration von einem auf Gleichheit und Gegenseitigkeit ausgerichteten Blickverhalten, Mimik und Gestik sowie Körperorientierung geprägt. Bei kollaborativem Blickverhalten versucht der Sprechende, während seines Turns mit der Mehrheit oder allen Gruppenmitgliedern Blickkontakt aufzunehmen. Personen in der Zuhörerrolle verfolgen den Gesprächsverlauf, indem sie durch ihr kongruentes Blickverhalten Sprecherwechsel visuell nachvollziehen und somit ihre ungeteilte Aufmerksamkeit dem Sprechenden gegenüber signalisieren. Diese Blickveränderungen können turn-antizipatorisch, turn-genau oder posttransitional vollzogen werden (Heidtmann 2009: 258 f.). In Episoden mit höchster Entscheidungsrelevanz werden neben verbalen Äußerungen auch mittels der Augenkommunikation Zustimmungs- oder Ablehnungsreaktionen unter den Aushandelnden geäußert oder ausgelöst. Im Folgenden wird an einer Serie von vier Standbildern aus Gruppe 2 (Datensatz G2-1a) die Vielfalt und Dynamik in der Blickkommunikation veranschaulicht (Abb. 25-28). Abb. 25: Sprecher-Hörer- Blickkongruenz, linksorientiert (00: 28') Abb. 26: Sprecher-Hörer- Blickkongruenz, rechtsorientiert (00: 01') <?page no="136"?> 136 Abb. 27: partielle Blickdispersität (01: 25') Abb. 28: Blickdispersität (00: 37') Bei dieser Dreierkonstellation wird deutlich, welche Blickkontaktkombinationen innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums auftreten, wobei hier nicht das komplette Spektrum an theoretisch möglichen Varianten abgebildet ist und auch der Zeitpunkt des Blickwechsels unberücksichtigt bleibt. Einerseits besteht die Variante, dass beide Hörende den Sprechenden anblicken (Abb. 25, 26), wobei in diesem Zeitraum nur eine Orientierung nach rechts oder links, jedoch nicht zur Sprecherin in der Mitte zu beobachten war. Andererseits kann auch nur ein Hörender den Sprechenden anblicken und dieser den Blick erwidern (partielle Blickdispersität), während die andere Interagierende keinen Blickkontakt hat (Abb. 27). Schließlich liegt in Abb. 28 eine häufig anzutreffende Variante vor, bei der überhaupt kein gegenseitiger Blickkontakt auftritt (Blickdispersität), weil die Blickkontaktaufnahme nicht erwidert wird (Sprecherinnen rechts) oder gänzlich ausbleibt (Sprecher links). Maßgeblich in verschiedenen Konstellationen der Augenkommunikation ist die jeweilige Sitzpostion, die den turnbedingten Blickwechsel erleichtern oder erschweren kann. Mimik und Gestik wird in kollaborativer Interaktion eingesetzt, um den Diskurs auch multimodal zu steuern oder auszugestalten. Der Gesichtsausdruck kann die persönliche Relevanzsetzung des Entscheidungsgegenstandes (= Aufmerksamkeit), Konformität mit der Gesprächssituation (z. B. positiv-lächelnd) oder Unklarheiten im Verständnis (welcher dadurch bestenfalls Scaffoldingprozesse initiiert) in der Hörerals auch Sprecherrolle unterstreichen. Gesten werden ebenfalls zur nonverbalen Gesprächsbzw. Entscheidungssteuerung und -gestaltung eingesetzt, z. B. symbolische Gesten oder redebegleitende Gesten wie Taktstockgesten oder Zeigegesten (Abb. 29, 30, 32). Sie belegen in kollaborativen Entscheidungsinteraktionen Zustimmung und Einverständnis (z. B. Nicken oder symbolische Gesten) oder veranschaulichen in der Ko- Konstruktion in Form von referentiellen Gesten (Abb. 31) die Semantisierung von unbekanntem Wortschatz. <?page no="137"?> 137 Abb. 29: Zählgeste in zwei Formen (G3-1a, 14: 39') Abb. 30: Zeigegeste (G3-1a, 04: 23') Abb. 31: refentielle Geste für „Kerze“ (G3-1a, 06: 06') Abb. 32: links vorn: redebegleitende Geste, rechts: zwei Personen in Denkpose (G3- 1a, 19: 00') <?page no="138"?> 138 Die Körperorientierung ist in der kollaborativen Interaktion eine dem Diskurszentrum zugewandte Körperhaltung. Oft wird sie von einer offenen, präsenten Arm- oder Handhaltung begleitet. Inhaltliche Involviertheit, d. h. mentale Beschäftigung mit dem Diskurs trotz verbaler Abstinenz (Heidtmann & Föh 2007: 264) kann auch durch die Körperpositur angezeigt werden. Durch die sogenannte Denkerpose (Abb. 32) wird beispielsweise ein zwischenzeitlicher Verzicht auf das Rederecht aufgrund der Selbstdarstellung als „kognitiv absorbiert“ (ebd.: 268) vermittelt (Schmitt 2003: 200). Innerhalb der oben dargestellten ersten Teiltypologie und ihrer horizontalen Ebene der Kollaboration bedeutet die entgegengesetzte Ausprägung zu „kollaborativ“ also „nicht-kollaborativ“, dass keine oder nur eine geringe Gleichheit und Gegenseitigkeit seitens des Interaktionspartners im Entscheidungsdiskurs gegeben ist. Dies ist anknüpfend an Storch (2001a: 279-280) erkennbar an der: − ungleichen Beitragsverteilung durch Kontrollübernahmeversuche (Abwehr dieser bei mehr als einer dominanten Person; Akzeptanz dieser bei dominant-passiven Konstellationen); geringe oder keine Versuche, andere Interaktionspartner in den Diskurs einzubeziehen, ausbleibendes verbales und nonverbales Engagement mit den Redebeiträgen (v. a. Vorschlägen) anderer Gruppenmitglieder oder offener Unwillen, diese zu berücksichtigen; − am Entscheidungsaushandlungsverhalten mit geringer oder ausbleibender Ko-Konstruktion, einer allgemeinen Unfähigkeit oder Unwillen zum Aushandeln und zur Konsensfindung erkennbar an einem höheren Anteil von Gegenvorschlägen, Zurückweisungen, Widersprechen bzw. Disputen (in dominant-dominat-Konstellationen) bzw. einem höheren Anteil an Einzelentscheidungen sowie − hinsichtlich diskurslinguistischer Merkmale an Unterbrechungen bzw. Simultantalk zum Rederechtsentzug, wenigen oder eher monologischverabsolutierenden Erklärungen und Begründungen, keinen oder wenigen (Nach)fragen, Feedback in Form von explizitem Reparaturen, die z. T. auf Ablehnung stoßen. Diese Kategorien wurden induktiv um konsenswidersächliche Tendenzen, wie Nonsensbeiträge oder Ridikulisierungen und eine Tendenz der Orientierung zu gruppenexternen Personen beim Scaffolding, wie z. B. zur Lehrerin oder zum Videographieassistenten erweitert. Im VLE bekundeten Teilnehmende mit nichtkollaborativer Ausprägung eher negative Emotionen bezüglich des Interaktionsgeschehens. Im nonverbalen Bereich deuten das Blickverhalten, die Körperorientierung sowie Mimik und Gestik bei verbaler Abstinenz auch auf eine mentale Abstinenz hin. Es besteht kein oder ein geringer Blickkontakt mit den Turn-Inhabern und eine Blick- und Körperorientierung weg vom Diskurszentrum, z. T. hin zu anderen Objekten im Raum. Die Körperhaltung und Mimik <?page no="139"?> 139 sind eher statischer Natur, und Gestik kommt kaum zum Einsatz. Für die sprachlichen Handlungen des Merkmalsspektrums der Nichtkollaboration erfolgt nun eine datenbezogene Veranschaulichung. Negatives Feedback, monologisches Erklären und Begründen, Unterbrechungen, Überlappungen Negatives Feedback zeigt sich im Entscheidungsdiskurs v. a. in einem ausgeprägten Vorkommen von Gegenargumenten zu unterbreiteten Vorschlägen, Zurückweisungen oder Widersprüchen, die der Interaktion einen eher disputhaften Charakter verleihen. Einher geht dies mit der Unterbrechung der Redebeiträge anderer durch überlappendes Sprechen, wobei der Sprechende, dem ins Wort gefallen wird, dadurch meist sein Rederecht verliert. In Interaktionskonstellationen, in denen nur eine Person interaktional dominiert, drückt sich die Nichtkollaboration durch einen geringen Anteil von erklärend-begründenden Passagen für unterbreitete Entscheidungsalternativen aus bzw. wenn, haben diese einen eher monologisch-verabsolutierenden Charakter. Im folgenden Beispiel wird eine Situation veranschaulicht, die dem disputational talk (Wegerif & Mercer 1997) zugeordnet werden kann. Der Entscheidungsgegenstand der Aushandlung in Gruppe 2 betrifft in dieser Sequenz das Finden von Schlussfolgerungen aus der Verkehrsumfrage für die Abmoderation des Videos. Die Auseinandersetzung findet v. a. zwischen den Gruppenmitgliedern DUNA und ELMER statt, die dritte Anwesende MIRA ist in diesem Ausschnitt nicht verbal beteiligt. [1] 133 [18: 08.4*] ELMER [v] Also ich habe schon meine ((2s)) Schlussfolgerung. [2] 134 [18: 15.1] DUNA [v] Wir sind auch Benutzer. ELMER [v] Ich könnte sagen, ja ich hab schon (meine Schlussfolgerung). [3] 135 [18: 19.4] 136 [18: 21.0] 137 [18: 24.4] DUNA [sup] ((lacht)) ELMER [v] • • • Jetzt? Ich hab keine Lust mehr. Also das ist nicht äh/ [4] .. ELMER [v] das hängt nicht von uns ab also… <?page no="140"?> 140 [5] 138 [18: 27.3] DUNA [v] ((3s)) Naja, zum Beispiel effizienter ((2s) Verkehrsmöglichkeiten, [6] .. 139 [18: 37.8] DUNA [v] Verkehrsstruktur. ELMER [v] Jiia. (()). Aber das können wir nicht machen. [7] .. ELMER [v] Also wir haben nicht das Geld und wir sind nicht Politiker und… [8] 140 [18: 44.0] 141 [18: 48.2*] DUNA [v] Wir sind äh Zivilgesell/ äh gesellschaft. ELMER [v] ((1,5s)) Ja. [9] 142 [18: 50.0] 143 [18: 51.6] 144 [18: 52.6] DUNA [v] Und wir sind Benutzer. So auf jeden Fall haben wir eine ELMER [v] • • • Ja. Und sowieso und sowieso und [10] .. 145 [18: 57.7] DUNA [sup] ((lachend)) DUNA [v] Meinung. ELMER [v] sowieso die/ also die Politiker machen, was/ was sie wollen. [11] 146 [19: 02.9] 147 [19: 09.6] DUNA [v] Ja, okay, aber ELMER [v] Nicht was die Leute • • • braucht, sondern (( )). (( )). [12] .. DUNA [v] vielleicht ist es Anfang von einer Lösung oder… Ja. ELMER [v] Deswegen. einer Revolution. <?page no="141"?> 141 [13] 148 [19: 19.4] 149 [19: 22.7] DUNA [sup] ((lacht)) DUNA [v] ((2s)) Verkehrsrevolution. [14] 150 [19: 24.2] DUNA [v] ((2s)) Okay. Deswegen finde ich, dass die Meinung von diese ähm verschiedene [15] .. DUNA [v] Zivilgesellschaft oder colectivos ist aber wichtig. DUNA [ger] Kollektive Transkriptauszug 10: Disputational talk (G2-2, 18: 08') ELMER reagiert auf DUNAs Vorschlag, einige Schlussfolgerungen aus der Sicht der Benutzer zu benennen mit einer klaren Ablehnung (Seg. 136) und koppelt diese an eine Begründung in Form des Gegenarguments, dass das Ziehen von Konsequenzen nicht von ihnen abhinge (Seg. 137). DUNA gibt daraufhin ein Beispiel, welche Art von Lösungen sie sich vorstellen könne (Seg. 138). ELMER begleitet diese Aussage mit einem zustimmend-zweifelnden Hörersignal und unterbricht daraufhin DUNA bei ihrer Aufzählung der Möglichkeiten, um ihnen zu widersprechen. DUNA verliert daraufhin ihren Turn, denn ELMER äußert sein Gegenargument (Seg. 139), welches er auf der mentalen Suche nach weiteren Aspekten abbricht. Sofort nutzt DUNA die Gelegenheit, den Turn zurückzugewinnen, indem sie zwei weitere Begründungen für die Berechtigung ihres Vorschlages anbringt (Seg. 140, 142). Auch diese werden von ELMER mit zustimmenden Hörersignalen begleitet (Seg. 141, 143). Bei der anschließenden Äußerung eines weiteren Arguments seitens DUNA (Seg. 144) beginnt ELMER mit einer simultanen Aussage im Sinne seiner Argumentationslinie, wobei er wiederum, den Anfang der Äußerung wiederholend, den Turn an sich reißt (Seg. 144-146). DUNA lässt ELMER seine Begründung ausführen, stimmt ihr zu, um sogleich ein weiteres Gegenargument vorzubringen (Seg. 147). Als sie ihren Beitrag vermutlich sprechplanungsbedingt abbricht, ergänzt ELMER die Aussage mit dem Wort „Revolution“ (Seg. 147). Damit ironisiert er DUNAs Argumentationslinie, welches DUNA aufgreift und lachend ausbaut („Verkehrsrevolution“, Seg. 148), wodurch der Auseinandersetzung zunächst die Ernsthaftigkeit genommen zu sein scheint (vgl. nächster Punkt der Ridikulisierung). DUNA führt die Aushandlung in ihrem anschließenden Beitrag aber auf das seriöse Niveau zurück, in der sie ihren eingangs unterbreiteten Vorschlag zur Berücksichtigung der Zivilgesellschaft wiederholt und begründend untermauert <?page no="142"?> 142 (Seg. 150). Tendenziell ist in dieser Sequenz ELMER in seinem Interaktionsverhalten weniger kollaborativ als DUNA, weil besonders er die sprachlichen Mittel der Nicht-Kollaboration, wie Ablehnung, Widerspruch, Unterbrechung, Simultanäußerung und Nonsensbeitrag verwendet. Nonsensbeitrag und Ridikulisierung Wie im letzten Punkt erwähnt, stellt ein markantes Mittel der Nicht- Kollaboration die Formulierung von wenig sinnhaften Redebeiträgen bzw. Vorschlägen oder die ironische Kommentierung der Beiträge anderer (Ridikulisierung), um deren Relevanz in Frage zu stellen, dar. Das folgende Beispiel ist ebenfalls in Gruppe 2 (G2-2) angesiedelt. In der Sequenz wird der Entscheidungsgegenstand „Videoevaluationskriterien“ verhandelt. [1] 107 [09: 25.5] FABIO [v] Naja, so wie gesagt, können wir das Video behalten für die nächste Generation. ELMER [nv] ((blickt nach rechts unten)) [2] 108 [09: 34.0] 109 [09: 37.0] FABIO [sup] ((lächelt)) FABIO [v] Für die nächste äh… ELMER [sup] ((lacht)) ELMER [v] Für deine Kinder, oder was? ELMER [nv] ((blickt zu ALEX)) ((blickt zu FABIO)) ALEX [sup] ((lächelt)) [3] 110 [09: 38.6] 111 [09: 41.2] FABIO [v] Ja, warum nicht? Ich will, dass meine Lie/ äh dass meine DUNA [sup] ((lächelt)) MIRA [sup] ((lacht)) ELMER [sup] ((lacht)) ELMER [v] Okay. ALEX [sup] ((lacht)) [4] 111 [09: 41.2] FABIO [v] meine Kinder Deutsch lernen. Warum nicht? ELMER [v] Okay. <?page no="143"?> 143 [5] 112 [09: 46.2] FABIO [v] Damit sie sich an, an, an die Guadalajara von meiner Zeit sich ELMER [v] Ja. ELMER [VLE-Sp] Claro, otro comentario de FABIO que se me hizo absurdo, pero gracioso. ELMER [VLE-Dt] Klar, noch ein Kommentar von Fabio der mir absurd aber lustig vorkam. [6] .. 113 [09: 58.6] 114 [10: 04.1] FABIO [v] erinnern. • • • Ja und besonders auf Deutsch, weil… Wenn ich eine [7] .. FABIO [v] Deutsche heirate, • • • (dann müssten) meine Kinder Deutsch reden. DUNA [sup] ((lächelt)) MIRA [sup] ((lacht)) [8] .. FABIO [VLE-Sp] Ahí realmente fue un lapsus estupidus, pero me dio mucha risa el comentario de ELMER entonces pensé, pues claro, si tengo hijos por supuesto quiero que aprendan alemán. FABIO [VLE-Sp] Das war hier wirklich ein lapsus estupidus aber ich fand den Kommentar von ELMER so witzig also dachte ich, na klar, wenn ich Kinder habe, will ich natürlich, dass sie Deutsch lernen. Transkriptauszug 11: Nonsensbeitrag (G2-2, 09: 25'-10: 04') Die Sequenz setzt ein, nachdem ELMER auf FABIOs Vorschlag, das Video für die nächste Generation zu verwenden mit der ironischen Frage reagiert: „Für deine Kinder, oder was? “ (Seg. 109). Alle Gruppenmitglieder lachen darüber, da FABIO noch keine Kinder hat, doch FABIO knüpft daran an und äußert die Absicht, dass seine Kinder Deutsch lernen sollen, v. a. wenn er eine Deutsche heiraten würde (Seg. 111-114). Darauf reagieren DUNA und MIRA mit Belustigung (Seg. 114). Retrospektiv bewerten sowohl ELMER als auch FABIO selbst diesen Kommentar als lustig und absurd (ELMER VLE Seg. 112) bzw. „lapsus estupidus“ (FABIO VLE Seg. 114). Damit zeigt sich, dass die Äußerung FABIOs weder absolut ernst gemeint war noch einen Beitrag zur echten Weiterentwicklung in der Entscheidungsfindung darstellt, sondern eher der allgemeinen Erheiterung und Situationsauflockerung dient. Auch die anschließende Ironisierung ELMERs ist von entscheidungsirrelevanter Qualität. Dieses Merkmal steht in engem Zusammenhang mit Kategorien der (Nicht-)Partizipation, da besonders <?page no="144"?> 144 diese Art von Redebeiträgen keinen relevanten Einfluss auf das Entscheidungsresultat ausübt, sondern dessen Erreichen lediglich hinauszögern (vgl. Kapitel 5). Scaffolding durch Gruppenexterne Das Merkmal der Ko-Konstruktion und des kollektiven Scaffoldings trifft auf nicht-kollaborative Interaktion nicht oder in nur sehr geringem Maße zu. Vielmehr wird es ersetzt durch die hilfesuchende Orientierung nach außen, von der Gruppe weg, wie es besonders in Gruppe 1 zutrifft. Sie diskutiert in der folgenden Sequenz den Entscheidungsgegenstand „Videoevaluationskriterien“. [1] 131 [11: 17.3] 132 [11: 25.5] NERO [v] Es ist sehr schwierig für mich, ein Video zu evaluieren, ähm weil ähm • • • [2] NERO [v] die/ • • die Arten von Arbeit, das wir machen auf einem Video, es ist völlig/ [3] .. 133 [11: 38.5] INES [v] Gewöhnlich. INES [nv] ((nickt)) NERO [v] es ist ganz verschieden als äh wir sind äh • • • gewöhnlich? O angewohnt? NERO [ger] oder [4] .. 134 [11: 43.8] 135 [11: 46.1*] INES [v] H m̌ h m̌ . NERO [v] Gewöhnlich? Acostumbrados? Gewohnt. H m̌ h m̌ . NERO [ger] gewohnt NERO [nv] ((blickt in Kamera)) LULO [v] Ja. LEHRER [v] Gewohnt. Transkriptauszug 12: Scaffolding durch Externe, G1-2 (11: 17'-11: 46') NERO wendet sich in dieser Sequenz zum Thema „Evaluationskriterien“ direkt zur Kamera (und den diese bedienenden Lehrer), um das ihm fehlende Wort zu erfragen (Seg. 130). Dieser reagiert, entsprechend Seg. 131 und verlässt dadurch seine Rolle als Videographieassistent zugunsten der des Lehrers. Mit dieser Handlung stellt NERO INES’ Vorschlag „gewöhnlich“ in Frage und sichert sich <?page no="145"?> 145 durch die Expertenauskunft des Lehrers ab. Daher ist sein Verhalten zwar aus Sicht eines Lernenden, der um die Kompetenzen der Anwesenden weiß, nachvollziehbar, aber im Sinne der gruppeninternen Gleichheit und Gegenseitigkeit als nichtkollaborativ zu bewerten. Vor dem Hintergrund dieser kategorienbezogenen Veranschaulichungen lassen sich aus der Kombination der Merkmalsdimensionen Kollaboration, Nicht- Kollaboration, Dominanz und Passivität vier Grundtypen von Interaktionsstilen im Gruppenentscheidungsdiskurs rekonstruieren: − dominante Kollaboration, − passive Kollaboration, − dominante Nicht-Kollaboration und − passive Nicht-Kollaboration. Der Stil der dominanten Kollaboration zeichnet sich dadurch aus, dass die ausgeübte interaktionale Dominanz dem Ziel der Gruppenkonsensfindung untergeordnet wird, d. h., dass alle Elemente der Kollaboration im eher dominanten Diskurs zum Tragen kommen, um zu konsensuell ausgehandelten Gruppenentscheidungen zu gelangen. Der Einsatz verschiedener Konsensfindungstechniken wird dafür als förderlich erachtet und bewusst angewendet. Hinsichtlich des Blickverhaltens ist die kontinuierliche Augenkommunikation und die Herstellung von Blickkontakt mit allen Gruppenmitgliedern zur Absicherung der Zustimmung zu einer Entscheidungshandlung kennzeichnend. Redebegleitende Gesten und symbolische Gesten, die die Aushandlung strukturieren und erleichtern, kommen außerdem zum Einsatz (vgl. Kapitel 4.2). Der Stil der passiven Kollaboration zeigt bei einem geringen verbalen Beteiligungsgrad dennoch eine kollaborative Grundhaltung (v. a. anhand der Nonverbalia). Personen mit diesem Stil agieren der Gruppenkonsensfindung, also den vorgebrachten Vorschlägen zur Entscheidungsfindung gegenüber nicht ablehnend bzw. hinderlich, geben aber ihre Entscheidungsmacht im kollaborativen Sinne an andere (meist) fähigere Gruppenteilnehmende ab (vgl. Kapitel 4.3). Über nonverbale Elemente wie Nicken oder Hörersignale wird innerhalb dieses Stils die minimale Kollaboration als Reaktion auf entscheidungsrelevante Vorschläge sichergestellt. Vertreter des Stils der passiven Nicht-Kollaboration bringen ihre den vorgebrachten Vorschlägen kritische oder ablehnende Haltung aufgrund ihres geringen Beteiligungsgrades nicht oder kaum verbal zum Ausdruck. Lediglich auf nonverbaler und mentaler (VLE)-Ebene sind diese gegenläufigen Bewertungen rekonstruierbar und äußern sich in Desinteresse oder unausgesprochenen negativen Einschätzungen der Vorschläge anderer. Im nonverbalen Gesamteindruck dominiert ein statisches Erscheinungsbild. Die Blick- und Körperausrichtung <?page no="146"?> 146 orientiert sich weg vom Diskurszentrum, z. T. finden aushandlungsirrelevante Parallelhandlungen statt (vgl. Kapitel 4.4). Der Stil der dominanten Nicht-Kollaboration ist dadurch charakterisiert, dass der dominante Beteiligungsgrad in der Interaktion nicht zu einer Gruppenkonsensentscheidung führt, sondern diese eher herauszögert bzw. verhindert. Im Extremfall wird dieser Stil im oppositionellen Sinn bewusst dafür eingesetzt, eine bereits konsolidierte Gruppenentscheidung anzuzweifeln bzw. diese ad absurdum zu führen. Verbal bedienen sich Inhaber dieses Stils Unterbrechungen und Simultantalk. Auf nonverbaler Ebene spiegelt sich die Nichtkollaboration in längeren Phasen der vom Diskurszentrum abschweifenden Blick- und Körperhaltung. Einher geht die Verwendung des Stils mit negativen Emotionen und retrospektiven Bekundungen von Desinteresse und Gleichgültigkeit gegenüber den zur Debatte stehenden Entscheidungsgegenständen (vgl. Kapitel 4.5). Die im Folgenden genauer veranschaulichten Interaktionsstile sind in ihrem Auftreten nicht durchweg stabil, d. h., eine Person interagiert während des gesamten Projektverlaufes nicht zwangsläufig durchgängig mit dem gleichen Stil, sondern kann diesen auch je nach Situation ändern. Besonders deutlich wird dies beim Teilnehmer mit dem Pseudonym JUAN. Im Datensatz G3-1 entspricht seine Interaktion einer gemäßigten Form von dominanter Kollaboration. In den Datensätzen G3-2 und G3-3 verwendet er anfangs den Stil der passiven Kollaboration, der später zweitweise von einer dominanten Nicht-Kollaboration abgelöst wird. Des Weiteren ist aus Gruppenperspektive ein Zusammenauftreten von Stilen zu verzeichnen, d. h. bestimmte Stile stehen in einem Wechselverhältnis zueinander. Da, wo dominante Stile auftreten, sind immer auch passive Stile vorhanden und umgekehrt. Jedoch zeichnet sich die allgemeine Tendenz zu einer relativen Stabilität der Stile ab. 4.2 Dominante Kollaboration: der Fall LARA Dieser Interaktionsstil zeichnet sich durch einen hohen Grad an Kollaborativität und einen ausgeprägten Beteiligungsgrad aus. Innerhalb der Analyse konnten fünf Personen diesem Stil zugeordnet werden: Lara, Elmer (1), Juan (1, 3), Fabio und Nero (1) (vgl. Abb. 24). Als Prototyp für die kollaborative Dominanz steht die Teilnehmerin der Gruppe 3 mit dem Pseudonym LARA. Im Gespräch fällt ihre Interaktion sowohl durch eine ausgeprägte verbale als auch physische Präsenz auf. LARA ist die Gruppenälteste und übernimmt die Gruppenarbeitsrolle des Zeitmanagers, de facto hat sie aber eine eher führende Position i. S. einer Gesprächsleiterin im Gruppendiskurs inne. LARA gehört zu den sprachlich kompetenteren Sprechern der Gruppe. Die Gruppe besteht in der ersten untersuchten Sitzung aus den fünf Teilnehmenden LARA, JUAN, SONJA, EMMA und RINA und in der zweiten aus den vier Teilnehmenden LARA, JUAN, EMMA und RINA. Die Entscheidungsgegenstände in der ersten Sitzung (G3- <?page no="147"?> 147 1a, G3-1b) betrafen das Thema des Videos und die Rollenverteilung innerhalb der Gruppe. In der zweiten Sitzung (G3-2, G3-3) handelten die Teilnehmenden zunächst ihre Arbeitsorganisation (Reihenfolge der Arbeitsschritte, Arbeitsaufteilung) und im Anschluss die Formulierung eines Abmoderationstextes (Zusammenfassung) im Video aus. 4.2.1 Dominanz LARAs diskursive Dominanz zeigt sich durch einen vergleichsweise hohen Redeanteil und ein entsprechend hohes Vorschlagsvolumen zur Entscheidungsfindung im gesamten Gesprächsverlauf. Dieser gestaltet sich jedoch nicht gleichmäßig hoch, sondern erfolgt variabel und legt damit die Interpretation nahe, dass dies jeweils auch kompensatorisch im Hinblick auf die (z. T. geringere) Beteiligung der anderen Gruppenmitglieder geschieht. D. h., LARA dominiert die Interaktion nicht durchgängig durch die Menge ihrer Redebeiträge, sondern stellt diese auch als Reaktion auf das Beitragsvolumen ihrer Interaktionspartner wahlweise zurück oder verstärkt sie. Längere, monologische Redepassagen von LA- RA übernehmen also meist die Funktion der Überbrückung und Diskursaufrechterhaltung, wie die retrospektive VLE-Äußerung zur folgenden Gesprächssequenz belegt: [1] 7 [00: 33.0] 8 [00: 37.6] LARA [v] So, danach könnten wir ähm alle zusammen entscheiden, diee • • Spezialeffekte, RINA [v] Effekte. [2] .. 9 [00: 40.1] 10 [00: 43.4] 11 [00: 46.2] LARA [v] Musik und ((1,5s)) Untertitel. ((2,9s)) (()). LARA [nv] ((dreht Kopf zu JUAN und RINA)) JUAN [v] H m̌ . JUAN [nv] ((nickt)) RINA [v] (Spezialeffekte). RINA [nv] ((nickt)) EMMA [v] H m̌ . EMMA [nv] ((nickt)) <?page no="148"?> 148 [3] 12 [00: 48.0] 13 [00: 49.1] LARA [v] Natürlich wir könnten äh, ähm die Zusammenfassung schreiben und die JUAN [v] ((trinkt)) RINA [sup] leise RINA [v] (H m" , aber…) [4] 14 [00: 51.8] 15 [00: 54.6] 16 [00: 54.8] LARA [v] andere könnten äh könnten äh die Video beginnen. JUAN [v] Schneiden? RINA [v] H m! . HCP. RINA [nv] ((nickt)) ((nickt)) LARA [VLE-Sp] No veía que tuvieran mucho que decir y por eso seguía yo hablando. LARA [VLE-Dt] Ich sah, dass sie nicht viel zu sagen hatten, deshalb sprach ich weiter. Transkriptauszug 13: Kompensation (G3-2, 00: 33') Abb. 33: Blickkontakt zu RINA und JUAN (00: 43') LARA registriert in dieser Sequenz am Beginn der Sitzung zum Entscheidungsgegenstand „Arbeitsverteilung“ die ausbleibende bzw. zurückhaltende verbale Reaktion auf ihren Vorschlag seitens der übrigen Gruppenteilnehmenden. Dieser besteht darin, nach dem Rohschnitt und dem Schreiben der Zusammenfassung (Abmoderation) später gemeinsam über die Spezialeffekte, Musik und Untertitel zu entscheiden (Seg. 7-9). Die Zurückhaltung wird besonders deutlich durch eine verhältnismäßig lange Pause, die als Schweigen gedeutet werden LARA LARA <?page no="149"?> 149 kann, (2,9 Sekunden, Seg. 10). Daher muss LARA erst Blickkontakt zu den zwei rechts neben ihr sitzenden Gruppenmitgliedern aufnehmen (s. Abb. 33), um ein Feedback auf ihren Vorschlag zu erhalten. Die links neben LARA sitzende EMMA hatte als einzige durch die Interjektion H m̌ (Seg. 9) unmittelbar ihre Zustimmung ausgedrückt. JUAN und RINA reagieren daraufhin auf LARAs Blickkontakt mit Nicken sowie einem zustimmendem „H m̌ “ (Seg. 10-11). Da eine anschließende verbale Aktivität bei den anderen auszubleiben scheint, formuliert LARA selbst den Alternativvorschlag zur Arbeitsaufteilung, mit RINA gemeinsam zuerst die Zusammenfassung zu schreiben und JUAN und EMMA mit dem Videoschnitt beginnen zu lassen (Seg. 12-14). Jenen äußert sie, obwohl ein Konsens zum ersten Vorschlag („alles gemeinsam zu bearbeiten“, Seg. 7-9) bereits hergestellt wurde, dies aber vermutlich LARA noch nicht zufrieden stellte oder nicht mit dem für LARA nötigen Nachdruck geschah, um ihn als konsolidiert betrachten zu können. Dabei überschneidet sich ihre Äußerung jedoch mit dem Ansatz eines in geringerer Lautstärke vorgebrachten Einwands von RINA: „(H m̄ , aber…)“ (Seg. 12), wobei jedoch LARA als dominante Sprecherin das Rederecht bei sich behält. Schließlich kommentiert LARA retrospektiv: „Ich sah, dass sie nicht viel zu sagen hatten, deshalb sprach ich weiter.“ (No veía que tuvieran mucho que decir y por eso seguía yo hablando.) (LARA VLE G3-2, 00: 52'). Hinsichtlich der Qualität der retrospektiven Äußerung beinhaltet LARAs erinnerter Beitrag durch das kausale Präpositionaladverb „por eso“ (dt.: deshalb) eine ihren höheren Redeanteil erklärende Komponente. Die von LARA wahrgenommene Passivität der Gruppenmitglieder erfordert eine gesteigerte verbale Aktivität ihrerseits, um den Diskurs aufrechterhalten zu können bzw. einen totalen Gesprächsstillstand zu verhindern. Ihre Äußerungen erfolgen daher nicht nur auf inhaltlicher Ebene motiviert, sondern erfüllen ebenso die oben erwähnte Kompensationsfunktion. Gleichzeitig deutet die VLE-Äußerung an, dass LARAs Diskurs nicht selbstbezogen stattfindet, sondern mit einer Aufmerksamkeit gegenüber den anderen Gruppenteilnehmenden und deren eventuellen Äußerungsabsichten gepaart ist, d. h., LARA ist prinzipiell bereit, das Rederecht abzugeben, sobald dies von ihren Peers signalisiert wird und sie diese Signale auch wahrnimmt. Dass der Umgang mit der selbstwahrgenommen Dominanz in der gleichen Situation aber auch zu entgegengesetzten diskurssteuernden Handlungen bei LARA führt, verdeutlicht die folgende ca. zwei Minuten später einsetzende Sequenz zum identischen Entscheidungsgegenstand: [1] 32 [02: 14.3] 33 [02: 18.0] LARA [sup] ((leise)) LARA [v] Da können wir entscheiden alle zusammen, was/ was wir machen. Oder LARA [nv] ((RINA und JUAN zugewandt)) <?page no="150"?> 150 [2] .. LARA [v] vielleicht könnnen wir • entscheiden, was zusammen am Ende (alle zusammen LARA [nv] ((blickt zu RINA und JUAN)) [3] .. 34 [02: 24.0] LARA [v] machen). RINA [v] Ja, wir, wir könnten das Video sehen und dann wieder RINA [nv] ((zeigt mit Stift auf Computerbildschirm)) LARA [VLE-Sp] En este momento ya pensaba: he hablado demasiado, que digan algo los demás. LARA [VLE-Dt] In diesem Moment dachte ich schon: ich habe genug gesprochen, die anderen sollen mal was sagen. [4] .. 35 [02: 28.9] LARA [v] Ja, so du hast (hier) die Idee. LARA [nv] ((blickt zu EMMA)) JUAN [nv] ((blickt zu RINA)) RINA [v] sie könn/ sie kann uns helfen. EMMA [v] H m̌ h m̌ . Transkriptauszug 14: Dominanzrücknahme (G 3-2, 02: 14'-02: 28') Zu diesem Zeitpunkt herrscht in der Gruppe immer noch keine einheitliche Vorstellung über die Aufgabenverteilung und das weitere Vorgehen im Arbeitsprozess. Erneut bringt LARA in Segment 32 einen Vorschlag („gemeinsame Entscheidung“), den sie in Segment 33 einer weiteren Alternative gegenüberstellt („gemeinsame Entscheidung am Ende“). Diese Äußerung erfolgt in geringerer Lautstärke als die vorhergehende. Den Turn ergreift daraufhin RINA (Seg. 34), die den zweiten Vorschlag LARAs bestätigt und ausdifferenziert: das Rohmaterial gemeinsam anzusehen und sich dann von EMMA beim Schreiben helfen zu lassen. Zu dieser Situation erinnert LARA im VLE (G3-2; 02: 24'): „In diesem Moment dachte ich: ich habe genug gesprochen, die anderen sollen mal was sagen.“ (En este momento ya pensaba: he hablado demasiado, que digan algo los demás). Damit bestätigt sie selbstwahrnehmend ihre verbale Dominanz, distanziert sich aber gleichzeitig von dieser, indem sie mental Redebeiträge der anderen Gruppenmitglieder einfordert. Die Turnübernahme von RINA ist also ganz im Sinne der von LARA favorisierten geteilten Entscheidungsfindung. In der Erinnerung hat LARA demnach sehr präsent, dass ihr die eigene Dominanz im Dis- <?page no="151"?> 151 kurs nicht legitim erschien und sie sowohl verbal als auch nonverbal versuchte, die übrigen Personen in die Arbeitsplanung mit einzubeziehen und die Abgabe des Rederechts wiederholt (wenn auch nur mental) erwünschte. Dass diese Einschätzung nicht konsequent zu gesprächssteuernden Äußerungen der Turn-Verteilung durch LARA führte, zeigt, dass ihr die Dominanzrücknahme erst in der zweiten Sequenz gelang, nachdem sie erkennt, dass die Erhöhung des eigenen Redeanteils in kompensatorischer Funktion einer kollaborativen Entscheidungsaushandlung nur bedingt zuträglich sei. LARA bewertet ihr eigenes Interaktionsverhalten als nicht konsensförderlich bzw. gruppenentscheidungsfindungszuträglich und verdeutlicht retrospektiv, dass ihr an einer Meinungspluralität sehr gelegen war. Das Phänomen der selbstwahrgenommenen Dominanz wirkt sich auch emotional auf die Betroffene aus. So erinnert sie in Segment 74 (VLE G3- 1a; 05: 11'): „Hier machte ich mir Sorgen, weil ich das Gespräch zu sehr dominierte und es war nötig, dass die anderen sprachen und andere Ideen gaben.“ (Aquí ya me estaba preocupando porque estaba dominando demasiado la conversación y era necesario que los demás hablaran y dieran otra idea.) Die Besorgnis, einem gleichberechtigten Diskurs durch die eigene Dominanz im Wege zu stehen, zeigt sich in der Bewertung der ungleichmäßigen Redeverteilung als etwas, was zu ändern unbedingt notwendig ist, um durch das Feedback der anderen eine gemeinsam kollaborativ ausgehandelte Entscheidung gewährleisten zu können. Eine Turn-Übernahme durch andere Gruppenmitglieder wird von LARA durchweg positiv bewertet: (VLE G3-1a, 06: 03'): „Hier dachte ich, gut, SONJA übernimmt die Zügel des Gespräches. Nicht nur ich.“ (Aquí pensé, bueno, SONJA está tomando la rienda de la conversación. No solamente yo.) Die verbalen Handlungen des Interaktionsstils „dominante Kollaboration“ gehen mit Phänomenen der multimodalen Kommunikation einher, die diese Merkmale unterstützen oder um eine zusätzliche Interaktionsdimension erweitern. Wie unter 4.2.2 noch detaillierter beschrieben wird, interagiert LARA ausgerichtet auf Konsensentscheidungen und deren kollaborative Aushandlung. Dafür kommt eine an dieses Ziel angepasste nichtsprachliche Kommunikation zum Einsatz, für die LARA verschiedene Mittel der Multimodalität einsetzt. Besonders deutlich kommt dies bei ihrem Blickverhalten, ihrer Mimik und ihrer Gestik zum Ausdruck, welche im Folgenden detaillierter betrachtet werden. LARAs verbale Dominanz findet sich v. a. auf der mimisch-gestischen Ebene reflektiert. Ihre Äußerungen werden von einem (umfang-)reichen mimischgestischen Repertoire begleitet, wodurch sie die Aufmerksamkeit ihrer Gruppenkollegen noch stärker auf sich zieht und diese somit auch über längere Redepassagen hinweg aufrechterhalten kann. Ihren Aussagen verleiht sie vor allem durch den Einsatz verschiedener symbolischer sowie redebegleitender Gesten zusätzlichen Nachdruck. <?page no="152"?> 152 Die in Abbildung 34 erkennbare Abwehrgeste, also das Anheben beider Arme, die sie schutzschildartig zwischen sich und die übrigen Gruppenmitglieder stellt, bei gleichzeitiger Abwendung des Kopfes durch eine leichte nach rechtshinten-Bewegung, setzt sie gezielt ein, um im Entscheidungsmoment zum Gegenstand „Themenfindung“ abwehrend einzugreifen. Diese Geste wird durch die Äußerung begleitet: „Die dritte Option - das ist zu viel für mich.“ Damit bezieht sie sich auf den Vorschlag JUANs, nach einer dritten Entscheidungsalternative zusätzlich zu den bereits etablierten zwei Themenmöglichkeiten (Totentag vs. Deutschlerngründe) zu suchen. Abb. 34: Abwehrgeste (G3-1a, 14: 56') Ein weiteres Beispiel für das gestische Spektrum der Interaktion LARAs stellt die Beschwichtigungsgeste in Abbildung 34 dar. Hier streckt sie die Arme parallel in Richtung der Gruppenmitglieder JUAN und RINA aus und hebt sie zweimal kurz auf und ab. Dies wird begleitet durch ein Lächeln. LARA setzt diese Geste somit in einem ironischen Modus ein, um eine vermeintliche Uneinigkeit zwischen JUAN und RINA bezüglich des Entscheidungsgegenstandes der Gruppenrollenverteilung zu entschärfen (G3-1a, 24: 38'): LARA SONJA EMMA RINA JUAN LARA SONJA EMMA RINA JUAN <?page no="153"?> 153 Abb. 35: Beschwichtigungsgeste (G3-1a, 25: 07') [1] 323 [24: 38.0] JUAN [v] „Präsentator präsentiert die Gruppen/ Gruppe/ Gruppenergebnisse vor der gesamten JUAN [k] liest vom Arbeitsblatt vor [2] .. 324 [24: 44.8] 325 [24: 47.6] 326 [24: 50.0*] LARA [v] ((2s.)) H m! . LARA [nv] ((nickt, blickt zu RINA)) JUAN [v] Gruppe.“ No puedo hacer estos dos? JUAN [ger] Kann ich nicht beide sein? JUAN [nv] ((tippt zwei Mal auf das Blatt)) ((blickt zu LARA)) RINA [nv] ((blickt zu LARA)) ((blickt zu EMMA, dann nach vorn)) EMMA [nv] ((blickt zu LARA)) [3] .. 327 [24: 53.1] LARA [v] Das LARA [nv] ((lehnt sich zurück)) ((lächelnd)) JUAN [v] Präsentator und Checker? JUAN [nv] ((blickt zu RINA)) RINA [v] Nee, aber wir sind fünf. Und wir brauchen nicht Energiespender und RINA [nv] ((zeigt fünf Finger)) <?page no="154"?> 154 [4] .. 328 [24: 57.8] 329 [25: 01.1] LARA [sup] ((lachend)) ((lacht)) LARA [v] glauben wir. Vielleicht am Ende sind wir… LARA [nv] ((macht Grimasse)) JUAN [v] ((tippt sich mit Stift auf Brust)) Ich bin Energiespender. JUAN [nv] ((schaut zu RINA)) RINA [sup] ((lacht)) RINA [v] Gesprächsleiter. (()). RINA [nv] ((blickt zu JUAN)) [5] 330 [25: 03.5] 331 [25: 04.5] 332 [25: 07.0] LARA [v] Okay gut. LARA [nv] ((Beschwichtigungsgeste)) JUAN [v] (Come on! ). Bitte! JUAN [nv] ((schlägt mit Hand auf Tisch)) RINA [sup] ((lacht)) RINA [v] Echt? Aber… Aber… RINA [VLE - Sp] Ahí sentía que no nos estábamos poniendo bien RINA [VLE - Dt] Hier fühlte ich, dass wir uns nicht gut einigen <?page no="155"?> 155 [6] .. LARA [VLE - Sp] Me daba risas porque RINA insistía en que sólo éramos cinco y hay siete papeles y teníamos que desaparecer dos roles. LARA [VLE - Dt] Ich musste lachen, weil RINA insistierte, dass wir nur fünf waren und es gibt sieben Rollen und wir zwei Rollen weglassen mussten. RINA [VLE - Sp] de acuerdo de quién iba a ser quién y solo faltaban dos roles. Entonces, y tenía/ ahi tenía la duda de que si a lo mejor era/ si era necesario tener los otros dos roles que estábamos descartando. Era así como pues es un äh/ es como un volado pero/ pues igual/ estaba pensando que si de todas maneras si alguien no tenía alguna habilidad o le faltaba alguna cosa, pues nos podíamos apoyar mutuamente como equipo. RINA [VLE - Dt] konnten, wer wer sein sollte und es fehlten nur noch zwei Rollen. Also, und ich hatte/ hier hatte ich Zweifel, ob es vielleicht war/ ob es nötig war, die anderen Rollen zu haben, die wir gerade aussortierten. Es war so wie ein äh/ es ist, wie eine Münze zu werfen/ also egal/ ich dachte, dass auf jeden Fall, wenn jemand etwas nicht konnte oder ihm etwas fehlte, dass wir uns ja gegenseitig als Team unterstützen konnten. [7] 333 [25: 08.3] RINA [v] Wir könnten äh du könntest Energiespender und Präsentator sein. Transkriptauszug 15: Gruppenrollenverteilung JUAN schlägt in Segment 325 vor, sowohl die Gruppenrolle des Präsentators als auch die des Checkers zu übernehmen. Dabei wendet er sich mit dem Blick weg von LARA hin zu RINA, die ihm in Segment 326 mit dem Gegenargument ins Wort fällt, dass es aufgrund der Gruppengröße nur fünf Rollen von den sieben zur Auswahl stehenden zu besetzen gibt (vgl. VLE RINA , Seg. 333), wobei die Rolle des Energiespenders und des Gesprächsleiters im vorangegangenen Gespräch schon aussortiert worden waren. LARA schaltet sich in Segment 327 mit dem ironischen Kommentar „Das glauben wir.“ ein, den sie mit einem Lachen begleitet. JUAN beteuert daraufhin sowohl gestisch als auch verbal durch die Betonung des Verbs „bin“, an RINA gerichtet, dass er sich bereits für die Rolle des Energiespenders entschieden habe. Dem verleiht er spielerisch Nachdruck (Seg. 330), indem er mit der flachen Hand auf den Tisch schlägt, was die allgemeine Belustigung noch verstärkt. Als im Anschluss RINA erneut ansetzt, mit „aber“ einen Einwand zu formulieren, bedient sich LARA der oben gezeigten Beschwichtigungsgeste, die sie an die vermittelnde Äußerung „Okay gut.“ <?page no="156"?> 156 (Seg. 332) koppelt. In dieser möglicherweise konfliktiven Situation reagiert LA- RA daher gestisch und verbal, um die scheinbaren Opponenten zu beruhigen. 4.2.2 Kollaboration Der in der Analyse ermittelte Stil der interaktionalen Dominanz in seiner kollaborativen Ausprägung zeigt sich des Weiteren darin, dass zur Entscheidungsfindung mehrheitlich die Diskursmerkmale eines kollaborativen Interaktionsmusters nach Storch (2001a) eingesetzt werden, d. h. eine hohe Gleichheit und Gegenseitigkeit in der Interaktion mittels dieses Stils erreicht wird. Auf den Entscheidungsdiskurs bezogen, bedeutet das, dass diese Diskursmerkmale zielgerichtet zur Erzeugung von konsensuell getroffenen Entscheidungen eingesetzt werden. Kollaboration wird dabei, wie die folgenden Beispiele belegen, erzeugt durch kollektives Scaffolding und Ko-Konstruktion (Donato 1994), (Nach)fragen und Feedback. Gleichzeitig ist der Diskurs von einer hohen Kohäsion und Kohärenz geprägt. Diese wird erzeugt durch die Wiederholung und Erweiterung der Beiträge der anderen, dem gegenseitigen Vervollständigen von Äußerungen und überlappendem Sprechen. Kollektives Scaffolding und Ko- Konstruktion betreibt LARA z. B. mittels der Technik des Übersetzens, wie das folgende Beispiel aus einer Sequenz zum Entscheidungsgegenstand „Thema des Videos“ zeigt: [1] 177 [12: 10.0] 178 [12: 15.4] LARA [v] Ge/ Geschichte oder story. JUAN [v] Ähm… Aber weiß nicht, wa/ welche qué história? Qué es? Geschichte. JUAN [ger] Welche Geschichte? Was heißt? JUAN [nv] ((blickt zu LARA)) [2] 179 [12: 17.5] 180 [12: 19.4] JUAN [v] Welche Geschichte wir können machen. Das ist eine Möglichkeit, weil nur eine Persone [3] .. 181 [12: 22.6] 182 [12: 25.8] JUAN [v] spricht und äh Leute d/ d/ das filmen, nur ähm actuar? JUAN [ger] spielen JUAN [nv] ((blickt zu RINA, EMMA und SONJA)) <?page no="157"?> 157 [4] 183 [12: 27.2] 184 [12: 29.5] 185 [12: 30.0] LARA [v] Ja, spielen. H m̌ . LARA [nv] ((nickt)) JUAN [v] Äh… spielen, ja. Spielen. JUAN [nv] ((bewegt Hände vor dem Körper abwechselnd vor und zurück, nickt)) EMMA [v] Spielen. Transkriptauszug 16: Kollektives Scaffolding und Ko-Konstruktion durch Übersetzen (G3-1a, 12: 10') LARA mit ihrer höheren lexikalischen Kompetenz hilft JUAN, nachdem dieser sie hilfesuchend angeblickt hat, in den Segmenten 177-178 bei der Nutzung der deutschen Entsprechung „Geschichte“ für „história“. Sofort greift er das Wort auf und wiederholt seinen Vorschlag komplett in der Zielsprache (Seg. 179). Das gleiche Vorgehen hilft ihm in Segment 180, in dem LARA ihm, obwohl nicht von JUAN visuell fokussiert, die Übersetzung für „actuar“ - „(schau-)spielen“ vermittelt, damit JUAN seinen Vorschlag vollenden kann (Seg. 181-184). Dies verbindet sie mit der Bekanntgabe ihrer Zustimmung zu JUANs Idee durch die Antwortpartikel „ja“. Zudem zeigt sich in diesem Ausschnitt die hohe Kohäsion und Kohärenz im Diskurs, wenn auch ein weiteres Gruppenmitglied EMMA das gesuchte Wort überlappend zu JUAN wiederholt, was zusätzlich auch als positives Feedback gewertet werden kann. Fragen und Nachfragen setzt LARA gezielt zur kollaborativen Konsensbildung ein, indem sie zu Entscheidungsalternativen Bestätigung ersucht: „Ja, glaubst du? “ (G3-1a, 14: 23') oder Feedback einfordert: „Magst du das? “ (G3-1a, 14: 07') oder durch Entscheidungsfragen diese gezielt herbeiführt: „Sind Sie einverstanden? “ (G3-1a, 16: 43'). Schließlich zeugt auch LARAs häufiger Gebrauch des Personalpronomens der ersten Person Plural „wir“ von diskursiver Gleichheit und Gegenseitigkeit sowie einer geteilten Verantwortung bei der Entscheidungsaushandlung (vgl. Donato: 1988; Storch 2001a: 190). <?page no="158"?> 158 [1] 40 [02: 55.6] LARA [v] Aber wir haben nicht so viel Zeit, weil die, die Tradition ist schon weg. JUAN [v] (()). LARA [VLE - Sp] Eso también me preocupaba, además del tiempo, la toma de las escenas. Porque ellos querían ir al panteón y eso implica movernos y yo solamente cuento con el sábado en la mañana y no tengo tiempo para hacerlo en otro momento. LARA [VLE-Dt] Das beunruhigte mich auch, neben der Zeit, die Aufnahme der Szenen. Weil sie wollten zum Friedhof gehen und das bedeutete für uns, woanders hinzugehen und ich habe nur den Samstag Vormittag und keine Zeit, das andermal zu machen. [2] 41 [03: 01.1] 42 [03: 04.7] LARA [v] Die, die Feiertag ist schon weg, so… Falls wir/ Wenn wir das filmen möchten JUAN [v] H m̌ H m̌ h m̌ . [3] .. 43 [03: 08.8] 44 [03: 11.0] 45 [03: 13.6] LARA [v] äh es, es, es wir haben nicht so viele Materialien wie (altares) oder… (So LARA [ger] Altare JUAN [v] H m̌ . RINA [v] H m̌ . [4] .. 46 [03: 19.1] 47 [03: 20.3] LARA [v] wir müssen (an das) denken. Ja, das ist, ist okay. JUAN [v] Okay. Was noch? Andere Idee? [5] 48 [03: 21.9] LARA [v] Aber wir sollten das sehr schnell machen. Transkriptauszug 17: Einsatz von „wir“ (G3-1a; 02: 55') Bemerkenswert an dieser Sequenz hinsichtlich der Kollaborativität, bei der LA- RAs Vorbehalt gegenüber der Idee auf dem Friedhof geschmückte Altare des kürzlich gefeierten „Totentags“ zu filmen, ist, dass sie den im VLE (Seg. 40) dargelegten persönlichen Hinderungsgrund, nur an Samstagen Zeit zu haben, nicht thematisiert, sondern in der Interaktion durchgängig aus Gruppenperspektive („wir“) argumentiert. <?page no="159"?> 159 Ein weiteres Merkmal der dominanten Kollaboration besteht in der führenden Rolle bei der Ideenfindung bzw. Problemlösungsimpulsen. Entscheidende Vorschläge für die zur Diskussion stehenden Fragestellungen gehen von LARA aus, jedoch liegt es an ihrem persönlichen Engagement, diese Ideen zu einer gemeinsam entwickelten Entscheidungsvariante auszubauen, sodass sich alle damit identifizieren. In diesem Sinne trägt sie mit ihrem Diskursverhalten zur Verständnissicherung und auf einer weiteren Stufe zur Überzeugungsarbeit bei. Eine Entscheidung gilt erst dann als konsolidiert, wenn alle Gruppenmitglieder ihr (verbal oder nonverbal) zugestimmt und diese Entscheidung auch in ihren Umsetzungskonsequenzen sprachlich-inhaltlich durchdrungen haben (s. Kapitel 5). So erinnert LARA zum konsensuell ausgehandelten Videothema „Deutschlerngründe“ nachdem alle Mitglieder ihre Zustimmung kundgetan hatten (VLE LARA, G3-1a, 14: 59'): „Okay, wir fünf waren einverstanden. Das war gut.“ (Okay, los cinco estabamos de acuerdo. Eso era bueno.). Sie bewertet die mit dem Einverständnis aller getroffene Entscheidung als gute Entscheidung. In mimischer Hinsicht wird deutlich, dass LARA ihre Gesichtsausdrucksmöglichkeiten gezielt dazu einsetzt, die Offenheit bzw. Verhandelbarkeit ihrer verbal unterbreiteten Vorschläge, also ihr Interesse an der Kollaboration der anderen und ihre Konsensbereitschaft zu signalisieren. Besonders deutlich wird dies an einem wiederholt auftretenden fragend-zweifelnden Gesichtsausdruck, bei dem sie die Mundwinkel nach unten und die Augenbrauen nach oben zieht (s. Abb. 36 a, b). Diese Mimik erfolgt i. d. R. direkt nach der Unterbreitung eines Vorschlages, welcher sich in diesem Beispiel in der vorangegangenen Aushandlung als echte mögliche Entscheidungsalternative (Videothema „Deutschlerngründe“) herauskristallisiert hat. Gleichzeitig gelingt es LARA mit diesem Ausdruck bei den übrigen Gruppenmitgliedern eine (verbale oder nonverbale) Reaktion hervorzurufen und läßt sich somit als Mittel der kollaborativen Bestätigungssuche, die der Entscheidungsfindung zuträglich ist, interpretieren. <?page no="160"?> 160 Abb. 36a: Frage-Zweifel-Mimik (G3-1a, 14: 07') Abb. 36b: Frage-Zweifel-Mimik (G3- 1a, 14: 27') Entscheidend zur Ausgestaltung des kollaborativen Interaktionsstils trägt LA- RAs Blickverhalten bei. Hinsichtlich der Blickorientierung ist festzustellen, dass die übrigen Gruppenmitglieder im Diskursverlauf mehrheitlich ihren Blick auf LARA gerichtet haben, ihren Redebeiträgen also durch die Aufrechterhaltung des visuellen Kontaktes ihre ungeteilte Aufmerksamkeit signalisieren. Ausnahmen bilden dabei lediglich diejenigen, die direkt rechts oder links neben LARA sitzen. Hier variiert die Blickorientierung mehr, da damit ein höherer physischer Aufwand des Kopfdrehens einhergeht, welcher nur in für das Gespräch bedeutsameren Passagen vorgenommen wird. D. h. diejenigen, die LARA in ihrem direkten Blickfeld (nur Augenbewegung, aber keine Kopfbewegung erforderlich) haben, werden auch eher durch LARAs Blicke adressiert. Gleichzeitig stellt sie aber sicher, alle Gruppenmitglieder relativ gleichmäßig während ihrer Beiträge anzusehen und in entscheidungsrelevanteren Phasen jeden einzelnen visuell zu fokussieren, um somit die Reaktion des jeweiligen Gruppenmitgliedes zu erfassen oder durch die gezielte Aufnahme des Blickkontaktes ein Feedback zu erzeugen (s. auch Transkriptauszug 13 „Kompensation“). Auffällig ist, dass ihr direktes Gegenüber im Datensatz G3-1a, b JUAN in sprachlichen oder inhaltlichen Unsicherheitssituation seinerseits hauptsächlich LARA ansieht, sie also (sicher auch aufgrund ihrer dominanten Rolle) als erste Adressatin zur Problemlösung gilt. Außerdem wird das Blickverhalten gezielt zur Turn-Organisation eingesetzt (Ehlich & Rehbein 1982: 68). Eine kollaborative Interaktion entsteht somit auch mittels der Augenkommunikation, insbesondere der Ausdruckseinheiten des kommunikativen Zweckbereiches wie Ansehen, Nichtansehen, Blickzuwenden und Blickabwenden (ebd.: 63) unter den Gruppenteilnehmenden. <?page no="161"?> 161 O? C 3*66.D/ &G"++*4"#*%."(F&7/ #&L*++&XJ: V& O? C? , 3*66.D.%U%& Der Interaktionsstil der passiven Kollaboration ist gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Kollaborativität und einen gering ausgeprägten Beteiligungsgrad. Innerhalb der Untersuchung konnten drei Personen diesem Stil zugeordnet werden (vgl. Abb. 24: JUAN (2), EMMA und ALEX). Als Prototyp dafür fungiert der Teilnehmer JUAN, ebenfalls aus Gruppe 3, in seinem Gesprächsverhalten während der zweiten Gruppensitzung (JUAN (2), Datensatz G3-2, Dauer: 13: 13'). Diese Sitzung umfasst vier Teilnehmende: JUAN, EMMA, RINA und LARA. JUAN ist das einzige männliche Gruppenmitglied und hinsichtlich seiner sprachlichen Kompetenz eher schwächer als die Mehrheit seiner Gruppenkolleginnen einzuschätzen. Die interaktionale Passivität weist für gewöhnlich eine starke Situationsgebundenheit auf. In JUANs Fall liegt die Ursache für seine momentane geringe Beteiligung am Diskurs an den Geschehnissen des Vortages: (G3-2; VLE JUAN 1: 00'): „Ich fühlte mich etwas schlecht, weil ich ein bisschen verkatert war. Also brauchte ich wirklich den Kaffee, um aufzuwachen und zu verstehen, was wir machen sollten.“ (Me sentía un poco mal, pues venía un poquito crudo. Entonces realmente necesitaba el café para poder despertar y entender lo que necesitabamos hacer.) (s. Abb. 37). Abb. 37: Gruppenkonstellation Gruppe 3, 2. Sitzung (G3-2, 1: 00') Einen anderen häufigen Grund für die Passivität stellt die Abwesenheit in mindestens einer der vorangegangenen Sitzungen dar, sodass der Teilnehmende zunächst eine Wissenslücke schließen muss, um zur Gesprächsbeteiligung dieselbe Informationsgrundlage wie die übrigen Gruppenmitglieder zu besitzen. Mittels der Einnahme der Zuhörerrolle, die zumindest mit einer verbalen (wenn RINA JUAN EMMA LARA RINA JUAN EMMA LARA <?page no="162"?> 162 auch nicht zwangsläufig mentalen) Passivität einhergeht, versuchen passiv kollaborative Gruppenteilnehmende diese Wissenslücke auf indirekte Art und Weise zu schließen. Interaktional betrachtet, äußert sich der auf die Passivität zurückzuführende geringe Beteiligungsgrad sowohl verbal als auch nonverbal und findet seine Bestätigung in den VLE-Daten. Auf verbaler Ebene lässt sich eine auffällig geringe Anzahl an Redebeiträgen im Vergleich zu anderen aktiveren Gruppenmitgliedern feststellen. Falls Redebeiträge erfolgen, fallen diese vergleichsweise elliptisch oder fragmentarisch aus. Meist beschränken sich Repräsentanten dieses Stils auf kurze Äußerungen in Form von Interjektionen wie „Ja.“, „Okay.“ oder Hörerrückmeldungen der „Klasse HM“ (Ehlich 1986), vornehmlich in ihrer konvergenten Funktion (h m̌ oder h m̌ h m̌ ), um die mentale Mitverfolgung des Diskurses und dessen inhaltlich geteilten Verlauf zu signalisieren. Der folgende Transkriptausschnitt soll dies verdeutlichen. [1] 7 [00: 33.0] 8 [00: 37.6] LARA [v] So, danach könnten wir ähm alle zusammen entscheiden, die • Spezialeffekte, [2] .. 9 [00: 40.1] 10 [00: 43.4] 11 [00: 46.2] LARA [v] Musik und • Untertitel. ((2,9s)) (()). LARA [nv] ((blickt zu RINA)) ((blickt zu RINA)) ((blickt zu JUAN und RINA)) JUAN [v] H m̌ . JUAN [nv] ((nickt 3 Mal)) RINA [v] Effekte ? (Spezialeffekte). RINA [nv] ((nickt)) EMMA [v] H m̌ EMMA [nv] ((nickt)) [3] 12 [00: 48.0] 13 [00: 49.1] LARA [v] Natürlich wir könnten äh, ähm die Zusammenfassung schreiben und die JUAN [v] ((trinkt)) RINA [v] (H m̄ , aber…) <?page no="163"?> 163 [4] 14 [00: 51.8] 15 [00: 54.6] 16 [00: 54.8] LARA [v] andere könnten äh die Video beginnen. JUAN [v] Schneiden? JUAN [nv] ((blickt zu LARA )) RINA [v] H m̌ . H m̌ RINA [nv] ((nickt)) ((nickt)) [5] 17 [00: 55.9] 18 [00: 59.9] 19 [01: 00.3] LARA [v] (Ich möchte schreiben). Gut? So? LARA [nv] ((blickt erst RINA, JUAN, dann EMMA an)) JUAN [v] Ja. JUAN [nv] ((blickt zu RINA)) ((blickt zu Emma)) RINA [v] Schneiden und Spezialeffekt? Ja? RINA [nv] ((blickt zu Emma)) EMMA [v] (Die zwei Sachen.) Transkriptauszug 18: Verbalia passiver Kollaboration I (G3-2; 00: 33') JUAN reagiert auf den Vorschlag LARAs, zum Entscheidungsgegenstand „Arbeitsaufteilung“ später gemeinsam über die Spezialeffekte, die Untertitel und die Musik des Videos zu entscheiden, in Segment 10 zustimmend durch ein „H m̌ “ begleitet durch ein Nicken. LARAs Alternativvorschlag in den Segmenten 12-14, die Schreibarbeit und den Schnitt aufzuteilen, entgegnet er mit der verständnissichernden Nachfrage „Schneiden? “ (Segment 16), wobei er hier die kürzestmögliche Variante einer Frageformulierung durch die Verwendung der steigenden Intonation nutzt. Die Erweiterung seiner Frage zur Gegenfrage durch RINA (Segment 17): „Schneiden und Spezialeffekt? “ erwidert JUAN durch die affirmative Partikel „Ja.“ (Segment 18), wodurch zunächst ein Konsens zum weiteren Vorgehen hergestellt zu sein scheint. Jedoch kommt es kurz darauf in Segment 32 erneut zu einer Nachfrage JUANs bezüglich der weiteren Arbeitsorganisation: [1] 32 [01: 53.5] 33 [01: 57.0] LARA [v] (Arzt.) JUAN [v] Ähm noch einmal von/ äh ihr bei/ äh ihr zwei arbeiten in die Zus/ <?page no="164"?> 164 [2] .. 34 [02: 01.5] 35 [02: 04.7*] LARA [v] Aha. Vielleicht… Ja, jetzt. Weil es ist äh LARA [ger] Hm̌ . JUAN [v] in die Zusammenfassung? Wann? Jetzt? [3] 36 [02: 07.1] LARA [v] wirklich nötig, das machen. RINA [v] Ja, wir… Transkriptauszug 19: Verbalia passiver Kollaboration II (G3-2; 01: 53') Diese Nachfrage deutet auf JUANs verständnissicherndes Handeln (Kameyama 2004) bezüglich einer vermeintlich schon konsolidierten Entscheidung zur Arbeitsorganisation hin und äußert sich in einer direktiven Planstörungsexothese („noch einmal“, Segment 32) (Kameyama 2004: 132-136), welche das aufgetretene Rezeptionsdefizit überwinden soll. Vermutlich ist dieses auf seine reduzierte Aufmerksamkeit infolge der situationsbedingten eingeschränkten mentalen Rezeptionsaktivität zurückzuführen. Diskursive Passivität widerspiegelt sich also nicht etwa durch ein totales Schweigen, sondern eher in einer sporadischen, auf sprachliche Effizienz ausgerichteten Interaktion und kann u. a. auf eine verminderte Aufmerksamkeit zurückzuführen sein, die sich z. B. in Verstehensschwierigkeiten äußert. Auf nonverbaler Ebene zeigt sich die interaktive Passivität durch einen reduzierten Blickkontakt zu den übrigen Gruppenmitgliedern, wenige bis keine gestischen und mimischen (Re-)Aktionen sowie eine allgemein eher als statisch zu beschreibende Gesichts- und Körperhaltung. Dies vermittelt den Eindruck einer allgemein eher abwartenden Haltung, welche sich nicht zuletzt in der Einnahme einer meist am Rand befindlichen Sitzpostion widerspiegelt (z. B. EMMA in Gruppe 3). JUAN bildet dabei eine Ausnahme, weil er den eingesetzten Laptop bedient und damit im weiteren Verlauf der Sitzung auch seinen passiven Stil aufgibt. In der retrospektiven Selbstwahrnehmung bestätigt JUAN sein eingeschränktes Aktivitätsniveau (Transkript G3-2, Segment 43, 02: 52'): „Was ich dachte ist: Gut, in dieser Hinsicht ist alles gut. Ich glaube wir müssen nur vereinbaren, wie wir die Arbeit aufteilen und wie ich schon sagte, war ich praktisch im stand-by-Modus während ich aufwachte, um zu erfahren was wir machen würden und wer sich wie einteilt.“ (Lo que estaba pensando es: Bueno, por esa parte estamos bien. Creo que nada más debemos ponernos de acuerdo para dividir el trabajo y como lo comentaba estaba prácticamente en modo de stand-by, mientras despertaba para saber qué es lo que íbamos a hacer, quién se dividía qué parte.) <?page no="165"?> 165 Die Bezeichnung „Stand-by-Modus“ verdeutlicht hier sehr anschaulich das auf äußere Umstände zurückgeführte reduzierte Aufmerksamkeitsniveau und kann als Extremform der passiven Kollaboration bezeichnet werden. In gemäßigteren Fällen werden v. a. diskursbedingte Faktoren angeführt, die ein vermindertes Aktivitätslevel rechtfertigen. So steht passive Kollaboration in einem direkten Wechselverhältnis zur dominanten Kollaboration, d. h., die Passivität einzelner Gruppenmitglieder ermöglicht die Dominanz anderer u. u. Außerdem ist an JUANs Fall sehr gut nachzuzeichnen, wie flexibel die Stile innerhalb einer Gruppensitzung und darüber hinaus zum Einsatz kommen können, also nicht nur personengebunden, sondern auch situationsabhängig zu sein scheinen (s. Kapitel 4.2). 4.3.2 Kollaboration Beim Stil der „passiven Kollaboration“ steht das Interaktionsmerkmal Kollaboration im Vordergrund, d. h., trotz der diskursiven Passivität trägt der Sprechende zum Entscheidungsaushandlungsprozess, wenn auch indirekt, bei. Wichtig ist dabei zu betonen, dass die unter 4.3.1 beschriebenen sprachlichen Mittel und Handlungen innerhalb dieses Stils immer im Sinne einer konsensuellen Gruppenentscheidung zum Einsatz kommen. Hierbei wird den Merkmalen der Gleichheit und Gegenseitigkeit (kollaborativer Dialog, Ko-Konstruktion, kollaboratives Scaffolding, Feedback etc.) in ihrer Minimalausprägung entsprochen, wobei die Gleichheit durch den reduzierten Umfang der Turns gegenüber der Gegenseitigkeit etwas in den Hintergrund rückt. Der Einsatz diskursiver Mittel ist verhältnismäßig sparsam: über nonverbale Elemente wie Nicken oder Hörersignale wird innerhalb dieses Stils die minimale Kollaboration als meist positive Reaktion auf entscheidungsrelevante Vorschläge sichergestellt. Insgesamt wirkt die passive Kollaboration eher entscheidungszuträglich denn hinderlich (vgl. vs. passive Nicht-Kollaboration), weil Nutzer dieses Stils über ein prinzipielles Interesse an den Entscheidungsgegenständen verfügen (s. Kapitel 5). JUAN kollaboriert insofern, als dass er in Entscheidungsmomenten (s. Transkripte 18 und 19) mit minimalstem kommunikativen Aufwand bzw. wenigstens nonverbal seine meist positive Bewertung der zur Verhandlung stehenden Entscheidungsalternative ausdrückt. Wesentlich für diesen Stil ist außerdem die aus den VLE-Daten rekonstruierbare grundsätzliche Bereitschaft, sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen oder die eigene Entscheidungsmacht komplett oder teilweise abzugeben: „Ich fühlte mich ein bisschen schlecht, also ich war ein bisschen verkatert. Deshalb brauchte ich wirklich den Kaffee, um aufzuwachen und um zu verstehen, was wir machen sollten. Und ja, ich überließ es LARA, RINA und EMMA zu bestimmen, was wir machen sollten.“ (Me sentía un poco mal, pues venía un poquito crudo, entonces realmente necesitaba el café para poder despertar y entender lo que necesita- <?page no="166"?> 166 bamos hacer y si estaba dejando que LARA, RINA y EMMA pues ayudaran a definir qué es lo que necesitabamos hacer, no? ) (G3-2, 01: 00') „Und, also ja, verlasse mich auf die Kolleginnen, um die Entscheidung zu treffen: Wie wollen wir uns organisieren? “ (Y es, pues sí, apoyarme en las compañeras para tomar esa decisión: cómo nos íbamos a organizar? ) (G3-2, 02: 53') Wie in diesen zwei VLE-Ausschnitten deutlich wird, überlässt es JUAN seinen Kolleginnen aus den mehrmals von ihm vorgebrachten Gründen, die Entscheidung über die Arbeitsaufteilung der bevorstehenden Sitzung untereinander auszuhandeln. Jedoch schaltet er sich immer dann in das Gespräch ein, wenn das Verständnis seinerseits bezüglich der aus den Entscheidungen folgenden Konsequenzen bzw. Handlungsschritte nicht sichergestellt (Transkript 18) oder seine Rückmeldung zur Konsensfindung notwendig ist (Transkript 19, Seg. 47). JUAN setzt seine beschränkten (Aufmerksamkeits-)Ressourcen also zielgerichtet nur in den Fällen ein, wo seine Kollaboration zwingend erforderlich ist, um den Arbeitsprozess nicht zu beeinträchtigen. Abb. 38: Gruppenkonstellation zur Entscheidung „Zusammenfassung schreiben“ (G3-2, 02: 59') <?page no="167"?> 167 [1] 45 [02: 59.4] 46 [03: 03.0] 47 [03: 03.6] 48 [03: 05.6*] LARA [v] Aha. (()). Wir müssen LARA [nv] ((blickt auf Bildschirm)) ((nickt)) LARA [ger] Hm̌ JUAN [v] Ja? JUAN [nv] ((blickt auf Bildschirm)) ((blickt zu RINA)) ((blickt zu LARA und EMMA)) RINA [v] Und danach• Zusammenfassung schreiben? ((schreibt)) Ja. RINA [nv] ((blickt zu LARA)) EMMA [v] ((trinkt)) Ja. EMMA [nv] ((blickt zu RINA)) [2] .. 49 [03: 10.1] 50 [03: 12.0] LARA [sup] ((lacht)) LARA [v] • die Filme sehen. LARA [nv] ((blickt zu EMMA)) JUAN [v] (Gut? ) Okay. Filme sehen. JUAN [nv] ((nickt)) ((blickt auf Bildschirm)) ((startet Video)) JUAN [VLE-Sp] Por la misma vez, nes/ más bien díganme qué quieren qué haga y lo hago con todo el gusto, pero mis neuronas no estaban dando para mucho. JUAN [VLE-Dt] Noch einmal, sagt mir lieber, was ihr wollt, was ich tun soll und ich mache es mit dem größten Vergnügen, aber meine Neuronen taugten noch nicht viel. Transkriptauszug 20: Entscheidungsepisode 15 - Zusammenfassung (G3-2, 02: 59'- 03: 12') <?page no="168"?> 168 Abb. 39: visueller confirmation check, Seg. 47 Abb. 40: visueller confirmation check, Seg. 48 Am Beispiel der Entscheidungsepisode 15 „Zusammenfassung schreiben“, die einen Teil des Entscheidungsgegenstandes „Arbeitsorganisation“ bildet, werden die o. g. Merkmale passiver Kollaboration besonders deutlich. JUAN richtet seine Aufmerksamkeit zunächst auf den Computerbildschirm (Seg. 45), da er in dieser Sequenz als Bediener des Gerätes fungiert. Als RINAs Entscheidungsfrage nach dem weiteren Vorgehen im Anschluss an das Sichten der bisherigen Aufnahmen: „Und danach Zusammenfassung schreiben? “ (Seg. 45) von LARA mit der Interjektion „Aha“ (Dt.: H m! ) bestätigt wird, richtet sich JUAN zunächst mit einem confirmation check verbal „Ja? “ (Seg. 47) als auch durch den Blickrichtungswechsel visuell (s. Abb. 39) an RINA , die das geplante Vorgehen während sie schreibt noch einmal bestätigt: „Ja.“ (Seg. 48). Daraufhin wendet sich JUAN durch eine 180-Grad-Drehung des Kopfes an seine Sitznachbarinnen links neben ihm (s. Abb. 40), um zu signalisieren, dass er auch deren Rückmeldung erwartet. Zeitgleich reagiert EMMA ebenfalls mit „Ja.“ und LARA mit der aus der Entscheidung resultierenden Handlungsaufforderung „Wir müssen die Filme sehen.“ (Seg. 48). Diese wird von JUAN in Segment 49 bestätigend wiederholt „Filme sehen“, nachdem er seine eigene Zustimmung durch ein Nicken und verbal mittels „Okay“ (Seg. 48) erneut zum Ausdruck gebracht hat. Schließlich setzt er die indirekte Anweisung in Segment 50 um und startet das Video. Retrospektiv betont JUAN seine Einverständnis mit und den Wunsch nach dem Empfangen und Ausführen von Anweisungen durch die anderen Gruppenmitglieder (G3-2, JUAN VLE Seg. 49): „Noch einmal, sagt mir lieber, was ihr wollt, was ich tun soll und ich mache es mit dem größten Vergnügen, aber meine Neuronen taugten noch nicht viel.“ (Por la misma vez, nes/ más bien dígan me qué quieren qué haga y lo hago con todo el gusto, pero mis neuronas no estaban dando para mucho.“) Seine Bereitwilligkeit betrifft also mehr die Umsetzungsebene von Entscheidungen als das diskursive Abwägen und Auswählen von Handlungsoptionen. Somit ist die passive Kollaboration in der Gruppeninteraktion deutlich von der diskursiven Passivität abzugrenzen, wie sie Storch für das Interaktionsmuster „domi- <?page no="169"?> 169 nant/ passiv“ während der Paarinteraktion beschreibt. Wie genau sich dieser Interaktionsstil auf die Partizipationspotenziale im Gruppendiskurs auswirkt (Typ der kooperativen Nicht-Partizipation), wird detaillierter in Kapitel 5.5.1 dargestellt. Zunächst soll ein Interaktionsstil im Mittelpunkt stehen, bei dem interaktive Passivität mit Nicht-Kollaboration einhergeht. 4.4 Passive Nicht-Kollaboration: der Fall LULO Der Interaktionsstil der passiven Nicht-Kollaboration ist durch einen geringen Beteiligungsgrad und damit verbunden durch geringe interaktive Gleichheit und Gegenseitigkeit gekennzeichnet. Innerhalb der Analyse entsprach der Teilnehmer LULO innerhalb des zweiten Datensatzes diesem Stil in Reinform (s. Abb. 24). LULO ist Mitglied der Gruppe 1, einer Dreiergruppe, die neben ihm die Teilnehmenden NERO und INES umfasst. Gruppe 1 gestaltete als einzige Gruppe ein Video mit fiktionalem Charakter („Morgengrauen“), wofür LULO das Drehbuch verfasste. Er nahm im Gegensatz zu NERO regelmäßig an allen Gruppentreffen innerhalb und außerhalb der Kurszeit teil und sein Sprachniveau ist in der Mitte zwischen dem seiner beiden Mitstreiter INES (eher niedriger) und NERO (eher höher) anzusiedeln. LULOs Interaktionsstil der passiven Nicht-Kollaboration tritt bei der zweiten erhobenen Sitzung auf, die am Ende des Projektes die Entwicklung von Evaluationskriterien für das erstellte Video zum Gegenstand hatte. Analog zum Stil der passiven Kollaboration weist passive Nicht- Kollaboration alle diskursiven Merkmale der Passivität auf. LULOs Redebeiträge sind nach seiner anfänglichen Aufzählung möglicher Evaluationskriterien im weiteren Verlauf des Gespräches sehr begrenzt. Zum Teil vergehen bis zu zwei Minuten, bis LULO erneut einen Turn ergreift, welche mehrheitlich sehr kurz gehalten, also phatischer Art sind, sodass die Aushandlung hauptsächlich zwischen INES und NERO stattfindet. LULOs wenige Redebeiträge dienen dabei hauptsächlich der Verständnissicherung gegenüber den Beiträgen von INES, tragen aber sonst keinerlei entscheidungszuträglichen Charakter. Auch jegliche Formen der Hörerrückmeldung kommen bei ihm kaum zum Einsatz. Lediglich im zweiten Drittel des Gespräches findet LULO wieder zu einem eher aktivkollaborativen Stil zurück, wobei er auch hier seine (z. T. gegenteiligen) Bewertungen von Entscheidungsalternativen nicht verbal äußert. Das verbal passive Verhalten spiegelt sich in den nonverbalen Handlungen und der Augenkommunikation von LULO wider. Recht selten fokussiert er seine Gruppenmitglieder während deren Redebeiträgen, sondern nimmt eher eine relativ statische Blickrichtung mit leichter Tendenz nach rechts ein (s. Abb. 41, 42). <?page no="170"?> 170 Abb. 41: Blickverhalten LULO - Denkpose (G1-2, 3: 27') Abb. 42: abschweifendes Blickverhalten (G1-2, 4: 02') Die in Abb. 41 ersichtliche Körperhaltung, die sogenannte „Denkerpose“ (Schmitt 2003: 200) signalisiert eine nach innen gerichtete kognitive Orientierung und eine ausbleibende verbale Interaktionsabsicht. Wenn LULO Blickkontakt aufnimmt, so geschieht dies ausschließlich gegenüber INES; mit NERO kommt in der gesamten Sequenz kein einziger Blickkontakt zustande. Dies führt hinsichtlich seiner Körpersprache zu einem sehr zurückhaltenden, oft abweisenden, mitunter statisch-apathischen Gesamteindruck. INES LULO NERO INES LULO NERO <?page no="171"?> 171 Eine mögliche Begründung für sein zurückgenommenes Interaktionsverhalten liefert LULO retrospektiv: „Ich habe keine Ahnung was ich ihnen noch sagen soll, also, wirklich so als ob, ich hatte wirklich keine Idee, was ich ihnen antworten soll oder was ich noch zum Thema beitragen soll. Deshalb, also, äh, also ehrlich gesagt mir/ es war egal/ weil das am Ende die Entscheidung war/ weil gut ich habe meine Meinung gesagt und/ wofür die Evaluation ist. Und gut, dass, dass mir gefiel, was sie vorschlug.“ (No tengo idea de que más, que más decirles entonces, pues realmente así como que/ realmente no tenía mucha idea de qué responderles o cómo contribuir más al tema. Entonces, pues, äh, pues la verdad no importaba la verdad porque/ para la decisión al final porque/ bueno, expresé mi punto de vista y/ para lo que es la evaluación. Y bueno, que, que me gustaba lo que estaba proponiendo ella.) (LULO VLE G1-2, 03: 13') Für LULO scheint seine Mitwirkungspflicht abgegolten und rechtfertigt seine darauffolgende Passivität. Gleichzeitig gibt er mit „es war egal“ zu Verstehen, dass seinerseits eher weniger Interesse am aktuell zur Disposition stehenden Entscheidungsgegenstand bzw. einer Konsensfindung besteht. Insofern verdeutlicht er keinen weiteren Aushandlungsbedarf, da alle Optionen genannt wurden, wobei ihm die ausbleibende Entscheidung für einen oder mehrere dieser Vorschläge nicht problematisch bzw. tatsächlich notwendig erscheint, jedoch seinen Rückzug aus der Interaktion zur Folge hat. Diese Wahrnehmung bestätigt er auch im kurz darauf folgenden retrospektiven Kommentar: „Gut, hier denke ich, gut es wurde schon alles gesagt, was können wir noch sagen oder wie können wir noch weiter dazu beitragen. Okay, ich meine, was können wir noch hinzufügen? Aber ich glaubte schon: mehr nicht, weil ja schon alles gesagt war und also, ich wusste nicht, womit noch weitermachen.“ (Bueno, aquí lo que estoy pensando es que bueno, ya se dijo todo, ya que más podemos decir o cómo podemos contribuir. Okay, digo, qué más se le puede poner? Pero realmente yo ya creía que nada, que ya todo se había dicho y pues, ya, no sabía con qué seguir.) (LULO VLE G1- 2, 04: 38') Am deutlichsten wird seine zunehmende mentale Abwesenheit und die Aufnahme anderer (überbrückender) Handlungen in der folgenden Sequenz: LULO richtet seine Aufmerksamkeit, während NERO etwas zum Schreiben aus der Tasche holt, auf eine auf dem Tisch stehende Wasserflasche und erinnert dazu: „Gut, hier stand auf dem Etikett der Flasche „Dreh mich um“ und ich drehte sie um, um zu sehen, was da stand. Nichts weiter.“ (Bueno, ahí la etiqueta de la botella dice: „Dame la vuelta.“ y le di la vuelta para ver qué decía. Nada más.) (LULO VLE G1-2, 06: 11') Lediglich das Aufwerfen einer neuen Option bezüglich der Integration einer Fremdevaluation durch die andere Gruppe erhöht seine diskursive Aktivität leicht: <?page no="172"?> 172 [1] 158 [13: 40.5] 159 [13: 45.5] 160 [13: 47.8] INES [v] Und das wäre jede Person. Ja, vielleicht. Die andere/ aber die INES [nv] ((blickt zu LULO)) NERO [nv] ((blickt zu INES)) LULO [v] Die andere Gruppe? LULO [nv] ((blickt zu INES)) [2] .. 161 [13: 51.7] 162 [13: 55.7] INES [v] andere Gruppe sind nicht ähm… O haben/ hab/ habt/ haben nicht die Pro/ der INES [ger] oder [3] .. 163 [13: 59.8] INES [v] Prozess geseht. • Wer/ Wer seht/ wer sieht die/ der Prozess/ die ganze NERO [nv] ((dreht Kopf zu LULO)) LULO [v] Die ander Gruppe konnt/ könnte die/ das Resultat äh… [4] .. 164 [14: 06.0] INES [v] Prozess aus. Nur uns. LULO [VLE-Sp] Aquí me parece que los dos estábamos pensando en lo mismo. Lo que había pensado un rato antes sobre evaluaciones cruzadas. LULO [VLE-Dt] Hier scheint mir, dass wir zwei an das Gleiche denken. Das was ich kurz vorher über gekreuzte Evaluationen dachte. Also wollte ich, [5] .. 165 [14: 12.5*] LULO [v] Ich glaub, dass die LULO [VLE-Sp] Entonces quería, pues, expresarles lo que había pensado a ver si estábamos pensando lo mismo o no. LULO [VLE-Dt] also, ausdrücken, was ich gedacht hatte, um zu sehen, ob wir das gleiche dachten oder nicht. <?page no="173"?> 173 [6] .. 166 [14: 12.5] 167 [14: 17.7] INES [v] Evaluieren? NERO [v] Wie sagt LULO [v] andere Gruppe könnte die/ das Video äh evaluieren. LULO [nv] ((nickt)) [7] .. 168 [14: 22.1*] NERO [v] man das auf Deutsch? Autoevaluación? Selbstevaluation. LULO [v] Selbstevaluation. H m̌ . LEHRERIN [v] Selbstevaluation. [8] 169 [14: 26.1] 170 [14: 32.1] INES [v] Okay ist das jetzt Selbst…? INES [nv] ((schreibt)) LULO [v] Nein, nicht selbst, sondern die andere Gruppe. Wir evaluieren d/ das Video [9] .. LULO [v] von die andere Gruppe, was wir seh/ sehen und was wir glauben, das ist richtig [10] 171 [14: 35.8] 172 [14: 38.8] LULO [v] und das ist nicht richtig. Und (Weise). LULO [nv] ((bewegt Unterarm mit ausgestrecktem Zeigefinger vor und zurück)) [11] 173 [14: 40.9*] 174 [14: 42.5*] 175 [14: 42.7] INES [v] Vie/ Vielleicht wir können Kritik/ Kriti/ eine NERO [v] Aber wir evaluieren auch. LULO [nv] ((nickt)) LULO [VLE-Sp] A mí lo que me interesaba LULO [VLE-Dt] Was mich an der <?page no="174"?> 174 [12] .. INES [v] Kritik machen, aber nicht evaluieren. LULO [v] H m̌ h m̌ . LULO [VLE-Sp] de la evaluación del otro grupo, bueno de la evaluación cruzada, es que estaríamos juzgando nada más el resultado y no todo el proceso. Entonces, no importaría si se esforzaron mucho, si no se esforzaron o si lo que hicieron estuvo muy completo o estuvo muy vacío, sino el resultado al final. Y eso sería lo que ellos evaluarían de nuestro trabajo y nosotros evaluaríamos de su trabajo. Pero ya después, bueno, me hicieron ver que eso era/ bueno eso parece subjetivo. A mí me parece un poco más objetivo, creo. LULO [VLE-Sp] Evaluation der anderen Gruppe, also der gekreuzten Evaluation interessierte, war, dass wir das Resultat und nicht den ganzen Prozess beurteilen. Also es wäre unwichtig, ob sie sich angestrengt hätten oder nicht oder ob es sehr vollständig oder sehr nichtssagend war, sondern das Resultat am Ende. Und das würden sie von unserer Arbeit evaluieren und wir von ihrer Arbeit. Aber dann, gut, sie zeigten mir, dass das subjektiv sei. Mir erscheint es ein bisschen objektiver, glaube ich. [13] 176 [14: 47.5] INES [v] Weil es ist ein verschiedener Prozess. LULO [v] Ja, eine Kritik machen. Ja. LULO [nv] ((nickt)) Transkriptauszug 21: Mentale Ablehnung LULOs (G1-2, 13: 40'-14: 47') Auf LULOs Frage, ob die andere Gruppe in die Evaluation einbezogen werden solle (Seg. 158), reagiert INES unentschlossen mit der Modalpartikel „vielleicht“, um dann das Gegenargument anzuführen, dass die andere Gruppe keine Kenntnis über den Entstehungsprozess des Videos besitze (Seg. 159). LULO führt, INES’ Beitrag überlappend, einen Gegenvorschlag an, dass nur das Endresultat der anderen Gruppe zu evaluieren sei (Seg. 163) und wiederholt diesen in Segment 165. Seine Gesprächspartnerin schließt eine verständnissichernde Nachfrage („Evaluieren? “ 14: 12') an, die NERO zu einer Bitte um Übersetzung des Begriffs „Autoevaluación“ ausweitet. Dies nimmt LULO in Segment 169 zum Anlass, dem zu widersprechen und erneut, diesmal um mit der entsprechenden gestischen Veranschaulichung zu erklären, dass er keine Selbstsondern eine Fremdevaluation favorisiert. Daraufhin stellt NERO mit „Aber wir evaluieren auch.“ (Seg. 173-174) fest, dass die Selbstevaluation weiterhin eine von ihm befürwortete Option ist. INES ergreift dann den Turn zur Unterbreitung eines Kompromissvorschlages, dass man statt der Evaluation eine Kritik des Videos der anderen Gruppe vornehmen könne (Seg. 174-175), welchem sie zur Ver- <?page no="175"?> 175 stärkung die Begründung anschließt, dass dies zwei unterschiedliche Verfahren seien (Seg. 176). Zeitgleich signalisiert LULO sowohl verbal als auch nonverbal seine Zustimmung, woraus zu folgern wäre, dass in dieser Frage ein Konsens erzielt wurde. Anders lässt sich die Episode jedoch deuten, wenn die retrospektiven Beiträge LULOs zu dieser Sequenz betrachtet werden. Er erinnert zu Segment 175, dass er der Einschätzung der anderen, eine Fremdevaluation sei zu subjektiv, eigentlich nicht zustimme, sondern diese für objektiver halte. Es besteht hier also eine Diskrepanz zwischen (zustimmendem) diskursivem Verhalten und der mentalen (ablehnenden) Einschätzung zur skeptischen Beurteilung einer Entscheidungsalternative durch die übrigen Gruppenmitglieder. Offen muss an dieser Stelle bleiben, ob sich die Überzeugung erst während des VLEs verfestigt hat oder bereits während der Interaktion so ausgeprägt war. Letzteres ließe zwei konträre Schlüsse bezüglich der Kollaborativität zu. Zum einen kann der Grund für LULOs ausbleibenden Widerspruch im Wunsch nach dem Zustandekommen einer schnellen Entscheidung liegen, woraus eine indirekte Kollaboration resultiert - im Sinne der Entscheidung für die Selbstevaluation und einer gemäßigten Fremdevaluation in Form von Kritik. Zum anderen kann darin eine bewusste Nicht-Kollaboration aus Desinteresse am Entscheidungsgegenstand bzw. der weiteren Aushandlung zu grundlegend unterschiedlichen Postionen bezüglich der Objektivität oder Subjektivität von Evaluationen gesehen werden, die ebenfalls eine zügige Beendigung des Diskurses zum Ziel hat. Ein Kennzeichen der passiven Nicht-Kollaboration stellt dementsprechend das Zusammenvorkommen eines geringen bzw. gesättigten Interesses am Entscheidungsgegenstand gekoppelt an negative Bewertungen der Entscheidungsoptionen auf mentaler Ebene sowie einem spärlichen (non-)verbalen Beteiligungsgrad während der Interaktion dar. Tendenziell zeigt sich dadurch, dass sich passive Nicht-Kollaboration in dieser und ähnlichen Situationen oft für den Diskursfortgang in seinem Gegenteil auswirkt, also ausbleibende Kollaboration zu einer indirekten Kollaboration im Sinne der Akzeptanz oder Anpassung an die Mehrheitsmeinung führt (s. Kapitel 4.5). 4.5 Dominante Nicht-Kollaboration: der Fall ELMER Der Interaktionsstil der dominanten Nicht-Kollaboration ist durch einen mittleren bis hohen Beteiligungsgrad bei gleichzeitig ausbleibender diskursiver Gleichheit und Gegenseitigkeit geprägt. Der Untersuchungsteilnehmer mit dem Pseudonym ELMER entsprach diesem Stil in seiner Reinform im zweiten Datensatz (s. Abb. 24). ELMER ist Mitglied der Gruppe 2, welche in ihrer Zusammensetzung die unstetigste Gruppe darstellt, da sie insgesamt aus fünf Personen besteht und selten als vollständiges Team bei den Projektsitzungen vertreten ist. Während der zwei ausgewerteten Gruppenbesprechungen sind in der ersten Sitzung drei Personen (ELMER, <?page no="176"?> 176 DUNA und MIRA) und in der zweiten Sitzung fünf Personen anwesend (EL- MER, DUNA, MIRA, ALEX und FABIO). Bezüglich der Sprachkompetenz ist die Gruppe als relativ homogen einzustufen. Den Stil der dominanten Nicht- Kollaboration weist ELMER lediglich in der zweiten Sitzung auf, während der die Gruppenmitglieder folgendermaßen positioniert sind (Abb. 43): Abb. 43: Gruppenkonstellation G2-2 (von links nach rechts: FABIO, DUNA, MI- RA, ELMER, ALEX) Bei den Entscheidungsgegenständen der Sitzung handelt es sich um die Videoevaluation und die weitere Verwendung des Videos. ELMERs Dominanz zeigt sich in simultanen Äußerungen oder Unterbrechungen der anderen Redebeiträge, bei denen er meist das Rederecht für sich gewinnt, sodass keine diskursive Gleichheit und Gegenseitigkeit hergestellt wird. Dabei verleiht er seiner mehrheitlich ablehnenden Einstellung zu den Entscheidungsgegenständen oder den dazu unterbreiteten Vorschlägen einen klaren Ausdruck mittels offen oppositioneller Äußerungen wie: „Bin nicht dabei.“ (G2-2, 02: 54'), „Ja nicht.“ (G2-2, 03: 23'), „Vielleicht (wäre möglich), aber ich glaube aber nicht.“ (G2-2, 08: 36'), oder „Eigentlich nein.“ (14: 03'), wobei die Negationspartikel „nicht“ sehr häufig Verwendung findet. Zudem kommen in der zweiten Gesprächshälfte monologische Einschübe zum Einsatz, bei denen das Feedback der übrigen Gruppenmitglieder nicht in Betracht gezogen wird, was ELMERs Gegenargumenten einen gewissen Absolutheitsanspruch verleiht (s. Transkriptauszug 21). In dieser Entscheidungsepisode wird der Gegenstand „Videoverwendung“ ausgehandelt. <?page no="177"?> 177 [1] 88 [07: 42.3] FABIO [v] Auf jeden Fall es könnt sehr interessant für die/ für die Ausländer s/ für die [2] .. 89 [07: 51.0] 90 [07: 53.2] FABIO [v] deutschsprächigen Ausländer. Es könnt sehr interessant sein. ELMER [v] Ja, vielleicht. [3] 91 [07: 54.1] ELMER [v] Aber soweit ich weiß, es kein/ es gi/ äh ja kein äh ((3s.)) eine Vorstellung oder so [4] .. 92 [08: 08.1] FABIO [v] H m̌ . DUNA [v] Oder ein deutsches MIRA [v] (Es gibt eine/ ) ELMER [v] in FIL/ in der FIL, die/ (also) auf Deutsch. (Oder? ) • Alles ist auf Spanisch. ELMER [k] Buchmesse der Stadt [5] .. 93 [08: 14.2] FABIO [v] DUNA [v] äh Programm. Es heißt „Letras Germanas“ auf Spanisch. DUNA [ger] „Germanische Schriften“ DUNA [nv] ((drei Mal Taktstockgeste)) ELMER [v] Ja, ich weiß, es gibt auch äh… [6] 94 [08: 18.8] DUNA [v] Und ja, kann… ELMER [v] Und es gibt auch viele verschiedene Bücher auf Deutsch, aber kein/ äh keine [7] .. 95 [08: 30.2] 96 [08: 36.1] DUNA [v] Vielleicht nächstes Jahr. Deutsch (()). ((4s.)) Vielleicht MIRA [v] H m̌ h m̌ . Oder wir können warten. ELMER [v] • Vorstellung. (()) Vorstellungen. <?page no="178"?> 178 [8] .. 97 [08: 42.8] ELMER [v] (auf Englisch), aber ich glaube aber nicht. Es ist nur auf Spanisch normalerweise. Transkriptauszug 22: Ablehnende Nicht-Kollaboration (G2-2, 07: 42'-08: 42') Von DUNA wird in Minute 06: 11' der Vorschlag unterbreitet, das Video auf der internationalen Buchmesse der Stadt (FIL) zu zeigen. ELMER argumentiert dazu in Segment 90, dass es seines Wissens auf der Messe keine Veranstaltungen in deutscher Sprache gäbe. Dem widersprechen DUNA und MIRA unmittelbar und ELMER überlappend, dass es ein deutsches Programm mit dem Titel „Letras Germanas“ gäbe (Seg. 91-92). ELMER betont seine geteilte Kenntnis darüber und belegt an einem weiteren Beispiel (deutsche Bücher), sein Wissen über den thematisierten Buchmessekontext (Seg. 92-93), schließt aber wiederholend mit dem Argument, dass diese Veranstaltungen ausschließlich in spanischer Sprache abgehalten würden. Verstärkt wird seine negative Einschätzung mit der seiner Ablehnung Nachdruck verleihenden Ich-Aussage: „Vielleicht (auf Englisch), aber ich glaube aber nicht. Es ist nur auf Spanisch normalerweise.“ (G2-2, 08: 36'). Die drauf folgende längere Pause (4 Sekunden), während der kein Gruppenmitglied das zur Disposition stehende Rederecht ergreift, weist darauf hin, dass ELMER mit seiner Bestimmtheit in der Argumentation den Gesprächsfluss zunächst zum Erliegen gebracht hat und kein weiterer Diskussionsbedarf seitens der übrigen Gruppenmitglieder zu bestehen scheint. Ein weiteres Charakteristikum dieses Stils ist das des Scherzes bzw. der Ironie. ELMER setzt diese Mittel meist überlappend zu den Äußerungen seiner Gesprächspartner ein, um Vorschläge der anderen zu diskreditieren bzw. der Ridikulität preiszugeben. Er entzieht dem Diskurs somit seine Bestehensgrundlage und seine Ernsthaftigkeit. Diese Mittel finden ihre extremste Ausprägung in ELMERs Nonsensvorschlägen, die eine weitere Beschäftigung mit dem Gegenstand ad absurdum führen, dabei konfrontativ und kontraproduktiv wirken (s. Transkriptauszug 23). <?page no="179"?> 179 [1] 101 [09: 08.3] 102 [09: 11.9] FABIO [v] ((hustet)) Was? Was denn? DUNA [v] Neiiin. MIRA [v] Was? ELMER [sup] ((lacht)) ((lachend)) ELMER [v] Das Video • • • zu löschen. Das Video zu löschen. ALEX [sup] ((lacht)) ALEX [v] (()) [2] 103 [09: 16.5] 104 [09: 17.8] 105 [09: 18.3] FABIO [v] Das Video zu löschen? H m̄ . Nicht unbedingt. ELMER [v] Ja. ELMER [VLE-Sp] Ahí simplemente ya estaba cansado, ELMER [VLE-Dt] Hier war ich einfach schon müde, [3] .. ELMER [VLE-Sp] aburrido y había / de hecho, llevaba varios días sin dormir bien, estaba muy cansado y realmente ya no me importaba lo que quisieran hacer con el video. Yo solo quería terminar ya lo antes posible. ELMER [VLE-Dt] gelangweilt und hatte/ eigentlich hatte ich schon einige Tage nicht gut geschlafen, ich war sehr müde und es interessierte mich wirklich nicht mehr, was sie mit dem Video machen wollten. Ich wollte nur so schnell wie möglich fertig werden. [4] 106 [09: 21.1] 107 [09: 25.5] FABIO [v] Naja, so wie gesagt, können wir das Video behalten ELMER [v] • • • Mir ist es egal, (ehrlich). ELMER [nv] ((zuckt mit den Schultern)) ((blickt nach rechts unten)) [5] .. 108 [09: 34.0] 109 [09: 37.0] FABIO [v] für die nächste Generation. Für die nächste äh… ELMER [sup] ((lacht)) ELMER [v] Für deine ELMER [nv] ((blickt zu ALEX)) ((blickt zu FABIO)) ALEX [sup] ((lächelt)) <?page no="180"?> 180 [7] .. 110 [09: 38.6] 111 [09: 41.2] FABIO [sup] ((lächelt)) FABIO [v] Ja, warum nicht? Ich will, dass meine Lie/ äh dass meine DUNA [sup] ((lächelt)) MIRA [sup] ((lacht)) ELMER [sup] ((lacht)) ELMER [v] Kinder, oder was? Okay. ALEX [sup] ((lacht)) [8] .. FABIO [v] Kinder Deutsch lernen. Warum nicht? ELMER [v] Okay. Transkriptauszug 23: Nonsensbeitrag (G2-2, 09: 08'-9: 41') Auf die Nachfrage der Lehrerin, ob die Gruppe schon zu einem Fazit gelangt sei, reagiert ELMER konfrontativ mit dem Vorschlag: „Das Video zu löschen.“ (Seg. 100), was sofort auf Ablehnung, Ungläubigkeit bzw. Entrüstung der andern Gruppenmitglieder stößt (Seg. 101-104). Daraufhin bekundet ELMER seine Meinungslosigkeit gegenüber der diskutierten Fragestellung mit „Mir ist es egal.“ (Seg. 105) und ironisiert kurz darauf die Idee FABIOs das Video für die nächste Generation aufzuheben mit der provokanten Frage: „Für deine Kinder, oder was? “ (Seg. 108). In der Retrospektion begründet ELMER sein Interaktionsverhalten folgendermaßen: „Hier war ich einfach schon müde, gelangweilt und hatte/ ich hatte schon mehrere Tage nicht gut geschlafen und war sehr müde. Und ehrlich gesagt war es mir egal, was sie mit dem Video machen wollten. Ich wollte einfach so schnell wie möglich fertig werden.“ (ELMER VLE G2-2; 09: 18') Dieses offene Desinteresse am Gegenstand kollidiert mit seiner bisher eher aktiven Interaktion im Projektverlauf, sodass ELMER zwar eine dominante Rolle beibehält, diese aber entweder zur Delegitimierung des Diskurses nutzt oder wahlweise auch eine passivere Haltung einnimmt. Dies wird am Beispiel des Vorschlages von MIRA, das Video am IDEAL-Institut zu zeigen, veranschaulicht: <?page no="181"?> 181 [1] 157 [13: 52.7*] 158 [13: 58.0*] 159 [14: 03.3*] 160 [14: 03.3*] FABIO [nv] ((nickt)) MIRA [sup] ((lacht)) MIRA [v] ((2s.)) Wollt ihr es machen, oder? MIRA [nv] ((blickt zu ELMER)) ELMER [sup] leise ELMER [v] ((5s.) Ja. Eigentlich nein. ALEX [sup] ((lacht)) ((lacht)) [2] .. DUNA [v] Ja, (mir gefällt das). MIRA [v] (()). ELMER [v] • • • Aber ja, wie ihr wollt. (()) ELMER [VLE-Sp] Sí, pues la verdad es que le estaba diciendo que sí a todo lo que sugerían porque la verdad no me importaba mucho lo que quisieran hacer con el video y tampoco tengo muchas ganas de ir a / no sé de seguir trabajando con el video simplemente porque, no sé, como publicarlo o algo, realmente no tengo ningún interés en hacerlo. Sé que es algo, un tema importante, pero, el video no creo que tenga las/ los requisitos que necesita para que valga la pena publicarlo. ELMER [VLE-Dt] Ja, also um ehrlich zu sein habe ich zu allem ja gesagt, was sie vorschlugen, weil es mir wirklich egal war, was sie mit dem Video machen wollten. Außerdem habe ich auch keine Lust mit dem Video weiterzuarbeiten, einfach weil, weiß nicht, es zu veröffentlichen oder so, weil ich wirklich keinerlei Interesse daran habe. Ich weiß, dass es etwas, ein wichtiges Thema ist, aber ich glaube das Video erfüllt nicht die Voraussetzungen damit es sich lohnt, es zu veröffentlichen. [3] 161 [14: 12.2*] 162 [14: 13.9*] ELMER [v] Ja, also, wenn wir wirklich was mit dem ELMER [nv] ((dreht Kopf zu ALEX und grinst)) ((blickt zu DUNA und FABIO)) ALEX [nv] ((blickt zu ELMER und grinst)) [4] .. ELMER [v] Video machen sollen, dann ähm ja, das wäre vielleicht eine gute Idee. Transkriptauszug 24: Ablehnung und deren Aufgabe (G2-2, 13: 52'-14: 13') <?page no="182"?> 182 ELMER äußert in Segment 159 eine Ablehnung („Eigentlich nein“) auf die Entscheidungsfrage MIRAs „Wollt ihr es machen, oder ? “ (Seg. 158) bezüglich des Vorschlages, das Video den anderen Gruppen zu zeigen (Seg. 152, s. Anhang). Dies führt nicht zuletzt wegen seines explizit konfrontativnichtkollaborativen Charakters zu Gelächter bei den übrigen Gruppenmitgliedern, aber auch zu einer positiven Verstärkung durch DUNA „Ja, (mir gefällt das).“ (Seg. 159) während ELMER gleichzeitig seine totale Ablehnung zurücknimmt und einlenkt: „Aber ja, wie ihr wollt.“ Seine anfängliche Ablehnung gibt er aus Gründen der Gruppenkohärenz auf, vermutlich um einen daraus möglicherweise resultierenden Gesprächsabbruch oder Konflikt zu vermeiden. Er wechselt hier also zu einem eher passiv-kollaborativen Stil, den er retrospektiv folgendermaßen begründet: „Ja also um ehrlich zu sein habe ich zu allem ja gesagt, was sie vorschlugen, weil es mir wirklich egal war, was sie mit dem Video machen wollten. Außerdem habe ich auch keine Lust mit dem Video weiterzuarbeiten, einfach weil, weiß nicht, es zu veröffentlichen oder so, weil ich wirklich keinerlei Interesse daran habe. Ich weiß, dass es etwas, ein wichtiges Thema ist, aber ich glaube das Video erfüllt nicht die Voraussetzungen damit es sich lohnt es zu veröffentlichen.“ (ELMER VLE G2-2, 14: 03') ELMER fehlt somit die Identifikation mit dem Projektprodukt, sodass er alle Ambitionen der übrigen Gruppenmitglieder, mit dem Video in irgendeiner Form weiterzuarbeiten, massiv abblockt. Auf emotionaler Ebene glaubt er sich in dieser Situation an negative Gefühle zu erinnern: „Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber ich glaube hier war ich ein bisschen verzweifelt, weil wir immer noch weiter über Dinge diskutierten, über die man sich eigentlich sehr leicht einigen kann, aber aus einem eigenartigen Grund nicht.“ (ELMER VLE G2-2, 14: 38') Sein Desinteresse am Entscheidungsdiskurs kommt ebenfalls in der nonverbalen Interaktion zum Ausdruck. Ablehnende Äußerungen werden von einem Kopfschütteln begleitet, was hinsichtlich der Negation verstärkend wirkt. Außerdem zeigt ELMERs Blick- und Körperverhalten deutlich, dass er sich stellenweise mental vom Diskurs entfernt. Er lehnt sich, nachdem er zunächst noch die Arme auf dem Tisch liegen hatte, vom Tisch zurück. Des Weiteren verfolgt EL- MER die jeweils redenden Gruppenpartner nicht mittels seines Blickkontaktes, sondern richtet seine blickbezogene Aufmerksamkeit auf andere sich abwechselnde Fokuspunkte im Raum: nach unten (Abb. 44), nach oben (Abb. 45) oder nach vorn (Abb. 46), wobei er meist eine statische Blick- und Körperhaltung einnimmt. Seine gänzliche Distanzierung vom Interaktionsgeschehen kommt schließlich gegen Ende der Sitzung durch das Verschränken der Arme vor der Brust zum Ausdruck (Abb. 47). <?page no="183"?> 183 Abb. 44: Blick nach unten (G2-2, 4: 09') Abb. 45: Blick nach oben (G2- 2, 04: 16') Abb. 46: Frontalblick (G2-2, 04: 41') Ab b. 47: Verschränkung der Arme (G2-2, 11: 42') Am Fallbeispiel ELMER wird somit deutlich, dass der Interaktionsstil „dominante Nichtkollaboration“ seinen Ursprung, wie in den VLE-Daten ersichtlich, in einer Indifferenz oder einem Desinteresse am Entscheidungsgegenstand hat. Seine verbalen Beiträge zielen darauf ab, die Gruppenentscheidung zu be- oder verhindern und sie ihrer Berechtigungsgrundlage zu entziehen. Dafür kommen diskursive Mittel der Dominanz, wie Unterbrechungen, Simultansprechen, längere Monologe und ein hoher Anteil an ablehnenden bzw. negierenden Äußerungen zum Einsatz. Zusätzlich bedient sich der Sprecher der Ironie oder Nonsensäußerungen, um Vorschläge oder Entscheidungen anzuzweifeln oder ad absurdum zu führen. Einher geht die Verwendung des Stils mit negativen Emotionen und einer vom Diskurszentrum abschweifenden Blick- und Körperhaltung sowie einer eher statischen Mimik und Gestik. O? Z P06*55/ (>*660(1&0(7&Q.68066."(& Aus der Interaktionsanalyse geht die Rekonstruktion von vier individuellen Interaktionsstilen innerhalb der Gruppenentscheidungsaushandlung hervor: die dominante Kollaboration, die dominante Nicht-Kollaboration, die passive Kollaboration und die passive Nicht-Kollaboration. Dabei kommen die Kriterien Gleichheit und Gegenseitigkeit als Charakteristika für das Diskursmerkmal (Nicht-)Kollaboration erst jeweils im Verhältnis zum Merkmal des Beteiligungsgrades (dominant vs. passiv) betrachtet zur Geltung. D. h., in der Gruppenentscheidungsinteraktion tritt im Gegensatz zu den Mustern der Paarinteraktion <?page no="184"?> 184 (Experte-Novize, dominant-dominant, dominant-passiv, kollaborativ), wie sie Storch (2001a) beschreibt, Kollaboration auch in einem passiven Modus auf und Nicht-Kollaboration kann sowohl passiv als auch dominant im Diskurs verankert sein. Eine Mittelstellung nimmt dabei der aktive Modus ein, indem gemäßigt, also weder dominant noch passiv interagiert wird. Festzuhalten bleibt, dass die auf Storch basierenden und weiterentwickelten Kriterien für (Nicht-) Kollaborativität ausschließlich in Merkmalen der sprachlichen Handlungen oder Handlungsmuster (Vorschlagen, Zustimmen, Ablehnen, Nach(fragen), Begründen, Erklären, (Gegen-)Argumentieren, Vervollständigen, Wiederholen) oder diskursiven Mitteln (perspektivische Modalität, Überlappungen, Unterbrechungen, Pronomengebrauch) sowie Ko-Konstruktion und Scaffolding verankert sind und einen ersten Schritt bei der Ergründung der Gestalt von Gruppenentscheidungsprozessen darstellen. In einem zweiten Schritt betrachtet die vorliegende Studie den Entscheidungsdiskurs zusätzlich aus einer operativfunktionalen Perspektive, indem die Analyse um die Ebene der Partizipation erweitert wird (Kapitel 5). Einen entscheidenden Anteil an der Gruppeninteraktion nimmt die Augen-, Körper- und Raumkommunikation sowie die Mimik und Gestik ein. Zum einen kann Kollaboration im Extremfall auch lediglich anhand des Einsatzes der unter Punkt 4.1 genannten nonverbalen Kommunikationsformen, v. a. durch Blickkongruenz, Nicken oder einer dem Diskurszentrum zugewandten Körperhaltung beobachtet werden. Zum anderen ist verbale Abstinenz nicht zwangsläufig an kognitive Abwesenheit gekoppelt. Je nach Interaktionsstil bedeutet das Schweigeverhalten eine Eigenorientierung bei gleichzeitiger hoher mentaler Aufmerksamkeit gegenüber dem Diskurs oder eine klare proxemische Distanzierung und eine demonstratives „Sich zurückziehen“ bei gleichzeitigem geringen mentalen Engagement mit dem aktuellen Gruppendiskurs (Heidtmann & Föh 2007, Heidtmann 2009). Heidtmann (2009) zeigt in ihrer Studie zur Multimodalität der Kooperation von Filmstudierenden innerhalb von Pitching-Sitzungen, wie mit zunehmender Kooperativität einer Arbeitsgruppe die multimodale Individualorientierung einer Arbeits- oder Funktionsrollenorientierung weicht. Hinsichtlich der Konsistenz der Interaktionsstile ist bei einigen Gruppenteilnehmern eine höhere Flexibilität bei deren Einsatz je in Bezug zur Gruppengröße, zu verschiedenen Interaktionspartnern oder zu Phasen in der Projektarbeit zu verzeichnen. Retrospektiv erinnerte Gedanken und Gefühle geben dabei entscheidende Hinweise auf die individuelle Begründung bzw. Situierung zur Einnahme eines bestimmten Stils. Besonders deutlich wird anhand der analytischen Verknüpfung der Interaktions- und Retrospektionsdaten die persönliche Involviertheit und das persönliche Interesse am jeweils zur Debatte stehenden Aushandlungsgegenstand. Tendenziell gehen die nicht-kollaborativen Interaktionsstile dabei mit einem größeren Desinteresse bzw. ausbleibender persönlicher Relevanzsetzung einher. <?page no="185"?> 185 Kollaboration erweist sich somit als zentrale, wenn auch nicht als ausschließliche Voraussetzung für Partizipation i. S. einer geteilten Kontrolle im Gruppendiskurs. Das folgende Kapitel widmet sich daher der Frage, in welchem Wechselverhältnis Interaktionsstile und die Ausübung von Mitbestimmung bei der Entscheidungsaushandlung stehen und ob ggf. weitere Phänomene die Partizipation begleiten, fördern oder hemmen können. <?page no="187"?> 187 5 Partizipationstypen bei der Gruppenentscheidung 5.1 Teiltypologie 2 Die Ermittlung von individuellen Interaktionsstilen während Gruppenaushandlungsprozessen stellt den ersten Schritt zum Erfassen von Gruppenautonomie als ausgeübte Gleichheit und Gegenseitigkeit im Entscheidungsdiskurs dar. Hierfür erfährt das Konzept der Kollaborativität im folgenden zweiten Auswertungsschritt eine Erweiterung um das Konzept der Partizipation. Beide sind nicht als identisch bzw. gleichwertig zu verstehen (Wenger 1998: 56), d. h., partizipiert werden kann z. B. auch in nichtkollaborativen Interaktionssettings. Für die Entscheidungsinteraktion ist demnach nicht nur von Bedeutung, welchen Gesprächsstil eine Person innehat, sondern auch wie dadurch Mitbestimmung ausgeübt wird und diese wiederum Einfluss auf den Verlauf der Entscheidungsaushandlung und auf das Entscheidungsresultat hat. Hinzu kommt die Betrachtung der Zusammenarbeit als interaktiver Prozess und der mentalen Disposition zur Zusammenarbeit bei der Entscheidungsaushandlung, wodurch das Konzept der Partizipation mit der Dimension der Kooperation in Verbindung gebracht wird. Dementsprechend steht bei der Partizipationsanalyse im Bezug auf die diskursive Teilhabe die Frage im Vordergrund, ob sie auf einer geteilten Zielorientierung basiert (Kooperation) oder dies ausbleibt (Nichtkooperation). Es liegt also in diesem Teil der Untersuchung weniger der interaktive Charakter der Aushandlung im Fokus, als die Qualität der Partizipation hinsichtlich ihrer Gruppen- oder Individualorientierung im Bezug auf das Verfolgen eines (Aus-)Handlungsziels. Die Partizipationsanalyse mündete in der folgenden zweiten Teiltypologie: Partizipation Kooperation ja selektiv nein selbstbestimmt unfreiwillig sprachbedingt legitimationsbedingt kooperativ RINA, LARA, LULO 1, JUAN 1, ELMER 1, DUNA, MIRA SONJA, INES, ALEX, LULO 2 JUAN 2 EMMA NERO, FABIO nicht-kooperativ ELMER 2 Abb. 48: Teiltypologie 2 - Partizipationstypen <?page no="188"?> 188 Die Merkmalsdimensionen der Typologie 2 umfassen die Konzepte Partizipation und Kooperation. Ihre Ausprägungsformen kooperativ vs. nicht-kooperativ und Partizipation vs. Nicht-Partizipation sowie die dazugehörigen Fälle inklusive der fett hervorgehobenen repräsentativen Einzelfälle sind in Abbildung 48 dargestellt. Letztere werden in ihrer Prototypik, maximalen Kontrastivität und Ausdifferenzierung zu Subtypen ausführlich in den Kapiteln 5.2-5.5 beschrieben und diskutiert. Zunächst erfolgt die Charakterisierung der Merkmalsdimensionen und im Anschluss die der daraus ermittelten Typen. Partizipation, wie bereits in Kapitel 2.3.1 ausführlicher erläutert, wird nach Lave & Wenger (1991) im Kontext des Lernens als Teilhabe an den soziokulturellen Praktiken einer Praxisgemeinschaft verstanden. Im Falle der vorliegenden Studie handelt es sich bei der Praxisgemeinschaft um eine Handyvideoprojektgruppe mit gemischten Expertisen sowohl fachlicher als auch zielsprachlicher Natur, die die Praktik der Handyvideoerstellung in der Fremdsprache Deutsch ausübt. Partizipation ist dabei nicht nur an das Engagement in bestimmten (Aus-)Handlungen i. S. von Beteiligung geknüpft, sondern stellt darüber hinaus auch einen Teil der persönlichen Identität als etwas Situationsübergreifendes dar (Wenger 1998: 57). Für den Projektentscheidungsdiskurs als ein spezifischer Kontext, in dem Partizipation ausgeübt werden kann, greift jedoch ein präziseres, diskursiv deutlicher zu erfassendes Verständnis des Konzepts, wie es Ellis (1994) beschreibt. Er betont, dass Partizipation (und hier wieder im engeren Sinne von „Beteiligung“) bestimmt wird vom „degree of control the learners exercise over the discourse“ (ebd.: 594). Diese Auffassung teilt Storch (2001a) mit ihrem Konzept von diskursiver Gleichheit, die sich als Kontrolle bzw. Einfluss auf eine Aufgabe beobachten lässt. Vor diesem Hintergrund wird in dieser Untersuchung Partizipation anhand von Mitbestimmung bzw. Mitentscheidung im Gruppendiskurs beschrieben: „Partizipation geht, im Gegensatz zu dem oft verwendeten Missverständnis, über das reine Informieren der Teammitglieder hinaus und hat damit immer etwas mit der Verteilung von Macht zu tun. Partizipation umfasst das gemeinsame Bestimmen der Ziele und der Wege dorthin. Es geht um die richtigen Formen der Beteiligung aller Teammitglieder am Prozess, an Entscheidungen und schließlich auch am Erfolg des gesamten Projekts. Partizipation meint also nicht nur die Information und die Befragung aller Beteiligten, sondern die Möglichkeit zur Mitentscheidung. (Bornemann 2012: 105) Mitbestimmung, welche als Begriff im Folgenden synonymisch zu Mitentscheidung gebraucht werden soll, äußert sich also nicht nur durch die verbale Präsenz im Diskurs (Beteiligungsgrad), sondern auch im Grad des Einflusses auf den Entscheidungsdiskurs bezüglich der (nicht) erreichten Entscheidungen. Zur detaillierteren Beschreibung dieses Einflussgrades werden folgende Fragen in Betracht gezogen: <?page no="189"?> 189 Wie zeigt sich im Diskurs individueller Einfluss auf eine Gruppenentscheidung? − Wer liefert welche (entscheidungsweisenden) Vorschläge? − (Wie) werden diese erklärt bzw. begründet? − Wie wird von den übrigen Interaktanten darauf reagiert? (z. B. Zustimmung, Ablehnung, Gegenvorschläge, Modifikationen, etc.) − Wie gewichtig sind diese Beiträge im Bezug auf das Entscheidungsresultat bzw. dessen Ausbleiben? − Wie gestaltet sich Mitbestimmung diskursiv ((nicht-)sprachliche Mittel und Handlungen) und sind Bezüge zum Interaktionsstil erkennbar? − Was sagen die VLE-Daten über den prinzipiellen Willen zur und die Wahrnehmung der Einflussnahme/ Mitbestimmung aus? Nicht-Partizipation als das Gegenteil von Partizipation wird demnach als ausbleibende Teilhabe an soziokulturellen Praktiken einer Praxisgemeinschaft verstanden. So wie Gruppenteilnehmenden oft ein prinzipieller Wille zur Partizipation unterstellt wird, kann auch das Gegenteil der Fall sein, dass bewusst darauf verzichtet oder die Partizipationsmöglichkeit seitens der Interaktionspartner verweigert wird. Oft ist der freiwillige Verzicht der Fall, wenn Personen ihre Identität über solche klaren Abgrenzungsprozesse definieren (Wenger 1998: 164 ff., Norton 2001). Neben der fehlenden Identifikation mit der Praxisgemeinschaft liegt ein weiterer wesentlicher Grund der Nicht-Partizipation besonders innerhalb von mehrsprachigen Kontexten in der mangelnden Sprachkompetenz: „[…] for a novice not to understand a conversation between old-timers becomes significant because this experience of non-participation is aligned with a trajectory of participation“ (Wenger 1998: 165). Unterschieden wird daher in eine selbstgewählte Nicht-Partizpation, die das Potenzial zur Umformung in zukünftige Partizipation enthält: die Peripherität (ebd.). Ihr gegenüber steht die Marginalisierung als unfreiwillige Nicht-Partizipation, die auf fremdbestimmte Faktoren zurückgeht und im Extremfall zu einer Exklusion aus der Praxisgemeinschaft führt (ebd.: 166-167). Im Gruppenentscheidungsdiskurs wird Nicht-Partizipation anhand einer geringen oder fehlenden Mitbestimmung im Sinne der Einflussnahme auf den Aushandlungsprozess beobachtbar. Dafür kann, wie sich aus Retrospektionsdaten rekonstruieren lässt, eine Fremdbestimmung in Kauf genommen oder gezielt die Selbstbestimmung als Ausgrenzung aus der Gruppenkonsensfindung bevorzugt werden. Nicht-Partizipation ist diskursiv betrachtet daher, wie im Folgenden gezeigt werden soll, häufig eng mit Diskursmerkmalen nicht-kollaborativer Interaktionsstile verknüpft (Kapitel 4 und Kapitel 6). <?page no="190"?> 190 Kooperation als zweite Merkmalsdimension der Typologie stellt, wie bereits in Kapitel 4.1 ausführlicher erläutert, eine Partizipationssituation dar, die einen mindestens zwei Personen großen Teilnehmerkreis umfasst, welche eine identische Zielvorstellung besitzen und arbeitsteilig in einem Tätigkeitszusammenhang mit produktivem Aspekt stattfindet (Fiehler 1978: 146). Unterschieden werden muss hierbei zwischen individuellen bzw. interindividuellen Zielen von Tätigkeiten und dem sozialen Zweck von Handlungen (Rehbein 1977: 102-125, 146). „Zwecke sind [dabei] in Handlungsmustern kollektiv erarbeitete, erreichte und weiterhin erreichbare Ziele.“ (ebd.: 108). Tätigkeiten sind nach dieser Auffassung individueller oder interindividueller Natur und einem kollektiven Gesamtziel untergeordnet. Im Handyvideoprojekt besteht das Gesamtziel in der Produktion eines deutschsprachigen Handyvideoclips. Das Erreichen dieses Ziels geht mit kollektiven Entscheidungs- und Planungsprozessen zur Ermittlung von Teilzielen einher. Teilziele können kollaborativ oder durch individuelle, arbeitsteilig stattfindende Handlungen (z. B. Drehbucherstellung, Dreh, Schnitt) realisiert werden, die z. T. in Einzelarbeit stattfinden, sodass das Kooperationskennzeichen „Arbeitsteilung“ nicht im Mittelpunkt der Analyse stand. Vielmehr wurden solche Gruppenaushandlungsphasen im Handyvideoprojekt fokussiert, die sich mehrheitlich operativen Entscheidungen zur Planung des Arbeitsprozesses oder inhaltlich-gestalterischen Fragen zum Projektprodukt widmen. Diese Phasen ermöglichen die Bestimmung und Umsetzung von Teilzielen und im Bezug auf jeweils einen damit verbundenen Entscheidungsgegenstand. Derartige Entscheidungsdiskurse erfordern den Einsatz sprachlicher Handlungen, die dem unmittelbaren Erreichen eines Teilziels oder sogar des Gesamtziels jeweils (mehr oder weniger) zuträglich sind. Individuelle Ziele, die sich so wie auch Gruppen(teil-) ziele analytisch rekonstruieren lassen, sind in der Regel auf das Gruppengesamtziel ausgerichtet, können sich aber auch (präexistent oder als Resultat des Arbeitsprozesses) als davon abweichend charakterisieren lassen (Nicht- Kooperation). Als kooperativ kann ein Gruppeninteraktionsbeteiligter bezeichnet werden, wenn er das Gruppengesamtziel und die sich daraus ergebenden Teilziele mitträgt und seine ggf. individuellen Teilziele auf das Gruppengesamtziel ausrichtet. Mental getragen wird diese Kooperativität durch den vorhandenen Willen zum Verfolgen eines gemeinsamen Ziels. Nicht-Kooperation zeigt sich in der Abwesenheit des Willens zur Verfolgung eines gemeinsamen Ziels und z. T. auch die Fokussierung auf eigene dem Gruppengesamtziel nicht zuträgliche (sprachliche) Handlungen. Nicht kooperativ ist ein Gruppenmitglied, wenn es das Gruppengesamtziel nicht mitträgt und seine Tätigkeiten auf andere individuelle Ziele ausrichtet. Aus der Kombination der Merkmalsdimensionen ergeben sich vier Partizipationstypen im Gruppenentscheidungsdiskurs: <?page no="191"?> 191 − kooperative Partizipation, − nichtkooperative Partizipation, − kooperative Nicht-Partizipation und − nichtkooperative Nicht-Partizipation. Der Typ der kooperativen Partizipation ist dadurch gekennzeichnet, dass Mitbestimmung aktiv ausgeübt und damit das Gruppengesamtziel verfolgt wird. Einflussmöglichkeiten im Entscheidungsdiskurs werden durch Mittel der Diskurssteuerung, der Entwicklung, Bearbeitung, Bewertung und Begründung von Entscheidungsalternativen sowie der Beteiligung an Entscheidungshandlungen geltend gemacht. Auf mentaler Ebene besteht der Wille zur Zielverfolgung, welcher durch VLE-Daten rekonstruierbar ist. Nicht-kooperative Partizipation zeichnet sich dadurch aus, dass Mitbestimmung aktiv ausgeübt wird, diese aber nicht dem Erreichen des Gruppenziels zuträglich ist oder selbiges bewusst verhindert. Dieser Partizipationstyp teilt (Teil-)Ziele nicht, was sich anhand der erinnerten Kognitionen manifestiert. Vielmehr deuten Diskurs- und VLE-Daten darauf hin, dass eigene Ziele und die damit verbundenen Handlungen eine höhere Relevanzsetzung erfahren. Kooperative Nicht-Partizipation zeigt sich im (meist momentanen) ausbleibenden Willen zur Mitbestimmung oder einem geringen Einflussgrad auf den Entscheidungsdiskurs aber einer prinzipiellen Teilung und Verfolgung eines gemeinsamen (Teil-)Ziels. Hinsichtlich des geringen Einflussgrades führen die Merkmale Legitimation und Sprachkompetenz zu den Subtypen der legitimationsbedingten und der sprachkompetenzbedingten Nicht-Partizipation. Im Gegensatz zur allgemeinen kooperativen Nicht-Partizipation wird dabei die Partizipation unfreiwillig verhindert. Im ersten Fall wird dem Partizipierenden keine Entscheidungsmacht zugestanden, seine Mitbestimmung somit durch die Gruppenmitglieder interaktiv delegitimiert. Im zweiten Fall erschweren oder behindern Kompetenzdefizite in der L2 die verständliche Darstellung entscheidungsrelevanter diskursiver Mittel, was wiederum zur selbstgewählten Abgabe der Entscheidungsmitwirkung führen kann. Der theoretisch aus der Merkmalskombination konstruierbare vierte Typ der nichtkooperativen Nichtpartizipation wäre dadurch charakterisiert, dass keine Mitbestimmung als Einflussnahme auf den Gruppendiskurs ausgeübt wird und dies gleichzeitig an die Abwesenheit der Teilung des Gruppenziels gekoppelt ist. Dieser Typ entfällt jedoch aus dem Merkmalsraum, weil er in den Daten und vermutlich auch real nicht auftritt (s. Abb. 48). Wenn eine Person dauerhaft weder Einfluss auf den Entscheidungsdiskurs ausübt, noch über gemeinsame Teil(ziele) verfügt, kann sie praktisch kein funktionierendes Gruppenmitglied sein. Dies belegt, dass „nicht alle der theoretisch möglichen Kombinationen in der untersuchten sozialen Realität existieren.“ (Kluge 1999: 100) und Reduktionen zur Zusammenfassung von Merkmalskombinationen vorgenommen werden <?page no="192"?> 192 müssen (ebd.). Vor diesem Hintergrund schließt sich nun die Darstellung der drei Typen inkl. Subtypen (Kapitel 5.2, 5.3, 5.5) sowie der Sonderform der selektiven Partizipation (Kapitel 5.4) an. 5.2 Kooperative Partizipation: der Fall RINA Der Partizipationstyp der „kooperativen Partizipation“, zu dem neben RINA noch sechs weitere Untersuchungsteilnehmende zugeordnet wurden (s. Abb. 48), zeichnet sich durch eine ausgeprägte Gruppenziel- und Teilzielorientierung sowie die Einflussnahme auf den Entscheidungsdiskurs aus. Der Wille zur Verfolgung des Gruppenziels bzw. des jeweiligen Teilziels pro Entscheidungsgegenstand ist vornehmlich aus den Daten des Videobasierten Lauten Erinnerns rekonstruierbar, wie es im Folgenden am Fallbeispiel RINA verdeutlicht werden soll. Die Teilnehmerin RINA ist Mitglied der Gruppe 3 und bei allen Projektsitzungen anwesend. Bezüglich der mündlichen Kompetenz ist sie im Mittelfeld ihrer Gruppe anzusiedeln. Sie zeigt eine sehr positive Einstellung zur Gruppenarbeit und ein großes Interesse an der Durchführung des Handyvideoprojektes. RINA handelt (sprachlich) kontinuierlich in Ausrichtung auf das Gruppengesamtziel, also der Erstellung eines Handyvideos. Dies wird in den analysierten Datensätzen besonders deutlich im Hinblick auf die Orientierung an Teilzielen der jeweiligen Gruppenaushandlungsphase zu spezifischen Entscheidungsgegenständen. Am Beispiel des Entscheidungsgegenstandes „Thema und Genre des Videos“ (Datensatz G3-1a), das als Teilziel der Projektplanungsphase eingangs der Sitzung von der Projektleiterin gesetzt wird, soll veranschaulicht werden, wie sich die Zielorientierung bzw. -verfolgung bei RINA mental und interaktional gestaltet. Die Retrospektionsdaten vermitteln eine starke mentale Involviertheit bei der Entscheidungsaushandlung und die kontinuierliche Fokussierung auf das Teilziel des Findens eines Themas für das zu erstellende Video: [1] 8 [00: 48.1] 9 [00: 52.2] LARA [v] Was? SONJA [v] (in meine Tasche) SONJA [nv] ((verstaut Buch)) RINA [v] Ja, meine… Ich wo…/ ich will ein Fiktionales aber… Aber… Ja, ich weiß nicht. EMMA [v] (()). <?page no="193"?> 193 [2] .. 10 [00: 56.3] RINA [v] Ja, ich mein… Ich glaube, es ist eine gute Idee (zu) machen, aber ich weiß RINA [VLE - Sp] En ese momento estaba pensando äh quiero hacer algo interesante, RINA [VLE - Dt] In diesem Moment dachte ich äh ich möchte etwas Interessantes [3] .. RINA [v] nicht. Ich bin nicht so kreativ. RINA [VLE - Sp] quiero ähm quiero hacer algo que sea original porque es una buena experiencia, pero no se me ocurre nada. Ähm tal vez estaba pensando en algo como experimental o algo como un documental. RINA [VLE - Dt] machen, ich möchte was machen, was originell ist, weil es eine gute Erfahrung ist. Aber mir fällt nichts ein. Ähm vielleicht dachte ich an etwas Experimentelles oder etwas Dokumentarisches. Transkriptauszug 25: Zielorientierung (G3-1a, 00: 48'-00: 56') RINA äußert zu Beginn der Sitzung, dass sie persönlich gern ein fiktionales Thema bearbeiten würde, favorisiert somit eine bestimmte Genreoption (Seg. 8). In der Retrospektion erinnert sie (G3-1a, 00: 56'): „In diesem Moment dachte ich äh ich möchte etwas Interessantes machen, ich möchte was machen, was originell ist, weil es eine gute Erfahrung ist. Aber mir fällt nichts ein. Ähm vielleicht dachte ich an etwas Experimentelles oder etwas Dokumentarisches.“ Mittels dieser Äußerung bestätigt RINA ihr prinzipielles Interesse an der Projektidee und ihre Identifikation mit dem Projektziel. Gleichzeitig macht sie ihren Anspruch deutlich, dass die Ausgestaltung des Projektes, z. B. das Thema des Videos etwas „Originelles“ sein solle, damit die Videoproduktion zu einer „guten Erfahrung“ werden könne. Daraufhin thematisiert sie ihr persönliches Dilemma, welches sie an der Imagination eines konkreten Handlungsplanes hindert - das Fehlen eines Themas, zu dem der Film gemacht werden soll. Etwas unbestimmter, aber auch z. T. widersprüchlich, grenzt sie zumindest die von ihr favorisierten Filmgenres ein (in der Interaktion: fiktional; im VLE: experimentell oder dokumentarisch). Sie richtet somit ihre volle Aufmerksamkeit auf die zu lösende Problemstellung und verkündet das Resultat der mental antizipierten Lösungsansätze sowie die Kompetenzgrenzen, an die sie dabei stößt: „…aber ich weiß nicht. Ich bin nicht so kreativ“ (Seg. 10) oder „Aber mir fällt nichts ein“ (RINA VLE G3-1a, 00: 56'). Im Rahmen ihrer Zielfokussierung realisiert RINA, dass noch keine realistischen Entscheidungsalternativen existieren, der Handlungsplan erst interaktiv festzulegen und die Teilelemente zum Erreichen des Zieles noch zu bestimmen sind. Indem sie den aktuellen persönlichen Problem- <?page no="194"?> 194 bearbeitungsstand und mentalen Antizipationsprozess sowie die noch ausstehenden Planungslücken erkennt und interaktiv sowie retrospektiv offen legt, verdeutlicht RINA ihre explizite Zielorientierung. Als der erste Vorschlag, etwas zum mexikanischen Totentag zu machen, fällt (Seg. 11, s. Anhang), spezifiziert RINA diesen mit der Idee, einen stadtbekannten Friedhof aufzusuchen und dort zu filmen. Dies zeigt der folgende Transkriptauszug: [1] 17 [01: 19.6] RINA [v] Wir könnten nach/ äh „Panteón de Belén“ gehen und da filmen, vielleicht? [k] Friedhof der Stadt EMMA [v] Si. EMMA [ger] Ja. [2] 18 [01: 25.6] LARA [v] Ah. JUAN [v] Okaaay. RINA [VLE - Sp] Ahí se me habia/ Ahí me dio gusto porque empecé a pensar en varias escenas que podíamos filmar acerca del día de muertos. Por ejemplo, ir al Panteón de Belén y grabar alguna/ algunos de los recorridos en el día y pensaba que eso era interesante pues porque solo es algo de México y ahí si empecé a emocionarme más por la idea de hacer este video, äh por las ideas que se me venían a la cabeza, al pensar en algun tema ya en especifico como el día de muertos por ejemplo. RINA [VLE - Dt] Hier hatte ich/ hier gefiel es mir, weil ich begann, über verschiedene Szenen nachzudenken, die wir über den Totentag filmen konnten. Zum Beispiel zum „Panteón de Belén“ zu gehen und einige Führungen an dem Tag aufzunehmen. Und ich dachte, das wäre etwas Interessantes, weil, na, weil es das nur in Mexiko gibt und da begann ich mich noch mehr zu begeistern für die Idee, dieses Video zu machen äh für die Ideen, die mir in den Sinn kamen, wenn man schon über ein bestimmtes Thema nachdenkt, den Totentag zum Beispiel. [3] .. 19 [01: 30.0] SONJA [v] (Führungen machen) RINA [v] Ah weil äh es gibt äh Leute, die, die • • • aha Führungen machen und sie, sie <?page no="195"?> 195 [4] .. RINA [v] reden ähm über Geschichte oder… Transkriptauszug 26: Vorschlagsmodifikation (G3-1a) Im VLE kommentiert sie zu dieser Gesprächssequenz: „Hier hatte ich/ hier gefiel es mir, weil ich begann, über verschiedene Szenen nachzudenken, die wir über den Totentag filmen konnten. Zum Beispiel zum „Panteón de Belén“ zu gehen und einige Führungen an dem Tag aufzunehmen. Und ich dachte, das wäre etwas Interessantes, weil, na, weil es das nur in Mexiko gibt und da begann ich mich noch mehr zu begeistern für die Idee, dieses Video zu machen äh für die Ideen, die mir in den Sinn kamen, wenn man über ein bestimmtes Thema nachdenkt, den Totentag zum Beispiel.“ Hier beschreibt RINA ihre zunehmende Motivation für das Projekt, in dem Moment, wo sich das Videothema „Totentag“ herauszubilden scheint, besonders, weil die von ihr vorgebrachte Friedhofsidee dabei von den anderen Gruppenmitgliedern zunächst positiv bewertet wird. An dieser Stelle setzt bei RINA die Imagination eines realistischen Handlungsplanes ein, wozu sie in Transkriptauszug 24 noch nicht in der Lage war. Die retrospektive Äußerung zeugt davon, dass sich in dem Moment, wo sich der erste wesentliche Handlungsplan konkretisiert, indem eine realistische Entscheidungsalternative ausgehandelt wird, auch die Fokussierung auf das Gruppengesamtziel zunimmt und ein starker Wille zur Umsetzung des Planes entstanden ist. Im weiteren Verlauf des Gespräches kommt von JUAN die Idee auf, etwas mit dem Hund der Teilnehmerin LARA zu filmen. [1] 137 [08: 50.6] LARA [v] Sie machen so viel/ sie sind so laut. Sie haben ein… (Wie heißt das? ) RINA [v] H m̌ . Ja. RINA [VLE - Sp] Ahí estaba pensando que äh la idea de grabar por ejemplo también lo de los perros / que estabamos como dispersándonos mucho.Y empezaba a sentir como un poquito de despesperación, asi de no pues necesitábamos enfocarnos un poco más, pero pues estaba abierta a nuevas ideas que se pudieran plantear. Era como una lluvia de ideas y pues esperaba que algo bueno saliera de ahí. RINA [VLE - Dt] Hier dachte ich, dass äh die Idee zum Beispiel auch das mit den Hunden zu filmen/ dass wir uns da sehr verzetteln. Und ich begann ein bisschen Verzweiflung zu spüren, so wie, nein also wir müssen uns mehr fokussieren, aber also ich war offen für neue Ideen, die aufkommen könnten. Es war wie ein Brainstorming und ich erwartete, das etwas Gutes da rauskommen würde. <?page no="196"?> 196 [2] 138 [08: 56.3] 139 [08: 57.9] 140 [08: 58.5] LARA [v] Sie bellen. Sie bellen. JUAN [v] Cómo se dice ladrar? Bellen. JUAN [ger] Wie sagt man bellen? RINA [v] Bellen. LEHRERIN [v] Bellen. Transkriptauszug 27: Mentale Vorschlagsablehnung (G3-1a, 08: 50') RINA distanziert sich, wie sie im VLE bezeugt, mental von diesem Vorschlag, da er für sie eine irrelevante Entscheidungsalternative (Rehbein 1977: 19) darstellt. Neben dieser inhaltlichen Komponente nimmt sie zugleich die Zielverfolgung während dieser Diskursphase in den Blick: „Hier dachte ich, dass äh die Idee zum Beispiel auch das mit den Hunden zu filmen/ dass wir uns da sehr verzetteln. Und ich begann ein bisschen Verzweiflung zu spüren, so wie, nein also wir müssen uns mehr fokussieren, aber also ich war offen für neue Ideen, die aufkommen könnten. Es war wie ein Brainstorming und ich erwartete, dass etwas Gutes da rauskommen würde.“ In Hinsicht auf den Aushandlungsprozess bemängelt sie retrospektiv dessen fehlende Stringenz und Zielorientierung. Sie kommt zu der persönlichen Einschätzung, dass der Hundevorschlag nicht zielführend, weil nicht praktikabel erscheint und empfindet diese Gesprächsphase als Abschweifung in der Gruppenaushandlung. Gleichzeitig begründet sie ihre dennoch ausbleibende verbale Intervention an dieser Stelle mit der Offenheit des Verfahrens des Brainstormings und dem daran geknüpften Zulassen aller möglichen Filmideen verbunden mit der Erwartung, dass sich der beste Vorschlag durchsetzen würde. Nach ca. zehn Minuten Diskussion gelangen die Mitglieder der Gruppe 3 zu dem Vorschlag, eine Videoumfrage zu den Deutschlernmotiven der Schüler am Institut zu machen: [1] 200 [13: 01.2] LARA [v] Weil die Leute, die Deutsch lernen, ist nicht so normal, weil alle möchten JUAN [v] H m̌ . SONJA [v] (aber Deutsch). <?page no="197"?> 197 [2] 201 [13: 07.3] 202 [13: 10.9] LARA [v] Englisch oder Französisch lernen, aber Deutsch? Es ist, weil sie ein Ziel JUAN [v] H m̌ . EMMA [v] (()). [3] .. 203 [13: 17.1] LARA [v] haben, ein besonderes Ziel haben, (glaube ich). So, das könnte auch JUAN [v] H m̌ . RINA [VLE - Sp] Ahí me empezó a parecer muy RINA [VLE - Dt] Hier begann mir die Idee, die [4] .. LARA [v] interessant sein. JUAN [v] Ja. RINA [VLE - Sp] interesante la idea que estaba planteando mi compañera y era algo que incluso yo también me lo había preguntado, que me daba curiosidad saber qué era lo que motivaba las personas estudiar alemán porque había mucha gente estudiando alemán. Era otra idea que me parecía interesante para el proyecto. Pero estaba pensando en qué iba a pasar con la otra idea del Dia de Muertos, que también era interesante, cómo íbamos a decidir que idea elegir. RINA [VLE - Dt] meine Gruppenkameradin vorschlug, sehr interessant zu erscheinen und das war etwas, was auch ich mich schon gefragt hatte, es machte mich neugierig zu wissen, was die Leute motivierte, Deutsch zu lernen, weil es viele Leute gab, die Deutsch lernen. Das war eine andere Idee, die mir für das Projekt interessant erschien. Aber ich dachte daran, was mit der anderen Idee zum Totentag passieren würde, die war auch interessant. Wie würden wir uns entscheiden, welche Idee auszuwählen. Transkriptauszug 28: Mentale Vorschlagsbefürwortung (G3-1a, 13: 17') RINA beurteilt diese Idee, wie aus dem VLE hervorgeht, als reizvolle Fragestellung, die ihr eigenes Wissensdefizit zu dieser Thematik auflösen könnte, also an ein echtes Bedürfnis geknüpft ist: „Hier begann mir die Idee, die meine Gruppenkameradin vorschlug, interessant zu erscheinen und das war etwas, was auch ich mich schon gefragt hatte, es machte mich neugierig zu wissen, was die Leute motivierte, Deutsch zu lernen, weil es viele Leute gab, die Deutsch lernen.“ <?page no="198"?> 198 Gleichzeitig antizipiert sie mit dem Aufkommen einer zweiten realistischen Entscheidungsalternative neben dem Thema „Totentag“ eine mögliche diskursive Diskrepanz: „Das war eine weitere Idee, die mir für das Projekt interessant vorkam. Aber ich dachte daran, was mit der anderen Idee zum Totentag passieren würde, die war auch interessant. Wie würden wir uns entscheiden, welche Idee auszuwählen.“ Nachdem die Plausibilität der Umsetzung des Vorschlages in einen Handlungsplan von RINA positiv bewertet wurde, deckt sie unmittelbar eine möglicherweise daraus resultierende Problemstellung für das Erreichen des Teilziels zu diesem Entscheidungsgegenstand auf: das Vorhandensein von zwei für sie gleichwertig interessanten Themenvorschlägen. Damit verdeutlicht sie ihre vorausschauende Wahrnehmung, dass eine weitere Entscheidungsaushandlungsphase zur Auswahl der besseren Idee notwendig sei. Nachdem die Gruppe die Entscheidung zur Videoumfrage über Deutschlerngründe im weiteren Diskussionsverlauf ratifiziert hat, widmet sie sich der Aushandlung der nächsten, durch die Projektleiterin initiierten Fragestellung nach den Verwendungsmöglichkeiten des fertigen Videos. Neben anderen Optionen (z. B. Werbung für das Sprachinstitut) formuliert die Teilnehmerin LARA die Idee, dass das Video als Orientierungshilfe für junge Menschen dienen könne, um eigene Ziele zu entwickeln: [1] 294 [20: 38.0] LARA [v] Das ist nicht wie Englisch. (Du könntest das in zwei Jahre) • • • lernen. [2] 295 [20: 43.0] LARA [v] Aber wenn du einen Träum hast äh über • • • nach Deutschland zu RINA [v] H m̌ . RINA [VLE - Sp] Ahí estaba pensando en mi propia experiencia y, y también estaba RINA [VLE - Dt] Hier dachte ich an meine eigene Erfahrung und, und auch stellte ich mir vor, wie, <?page no="199"?> 199 [3] .. LARA [v] fahren, du musst/ man muss starten/ früh starten. RINA [VLE - Sp] imaginándome cómo, cómo era la experiencia de los demás. O sea en cuanto a/ Por ejemplo, si la pregunta es por qué estudias alemán, este, cómo o qué fue lo que motivó a las demás personas. Entonces me estaba dando más curiosidad por el proyecto. Ya tenía ganas como hasta ya de empezar a preguntar a las personas y, y tenía alguna idea/ alguna cierta idea de cuál era la tendencia para estudiar alemán, pero äh aún así me quedaba como la curiosidad de la conclusión del proyecto. RINA [VLE - Dt] wie die Erfahrung der anderen war. Also im Bezug auf/ zum Beispiel, ob die Frage lautet: Warum lernst du Deutsch, also, wie oder was motivierte die anderen Leute. Also wurde ich neugieriger auf das Projekt. Ich hatte schon Lust, also schon anzufangen, die Leute zu fragen und, und ich hatte eine Idee/ eine bestimmte Idee darüber, was die Tendenz war, warum man deutsch lernt, aber äh trotzdem blieb mir diese Neugier über das Ergebnis des Projektes. Transkriptauszug 29: Antizipation der Handlungsplanausführung (G3-1a, 20: 51') In dieser Gesprächsphase bestätigt RINA retrospektiv die an ein persönliches Bedürfnis anknüpfende ausgeprägte Motivation für das Projekt und die ausgewählte Thematik sowie die Zufriedenheit mit dem erreichten Teilziel der Themenfindung: „Hier dachte ich an meine eigene Erfahrung und, und auch stellte ich mir vor, wie, wie die Erfahrung der anderen war. Also im Bezug auf/ zum Beispiel, ob die Frage lautet: Warum lernst du Deutsch, also, wie oder was motivierte die anderen Leute. Also wurde ich neugieriger auf das Projekt. Ich hatte schon Lust, also schon anzufangen, die Leute zu fragen und, und ich hatte eine Idee/ eine bestimmte Idee darüber, was die Tendenz war, warum man deutsch lernt, aber äh trotzdem blieb mir diese Neugier über das Ergebnis des Projektes.“ Außerdem wird ihre starke Orientierung auf die Ausführung der Handlung „Filmen der Videoumfrage“ deutlich. An dieser Stelle kann sie sich den Handlungsplan konkret vorstellen und weiß, wie er umzusetzen ist. RINAs Ausrichtung auf das Gesamtziel verstärkt sich, indem sie konkrete Ergebnisse der Gesamthandlung und des Projektproduktes antizipiert sowie ihre Neugier über die Lösung dieser realen Fragestellung betont. Ein Resultat des Aushandlungsprozesses stellt somit die Deckungsgleichheit vom persönlichen Ziel RINAs, ihre Neugier über die Motive der Deutschlernenden zu befriedigen, mit dem Zweck der Gruppenhandlung „Videoumfrage zu Deutschlerngründen“ dar. Abschließend soll der folgende Transkriptauszug resümierend RINAs ausgeprägte Gruppenzielorientierung und -verfolgung darstellen. Im Datensatz G3-2 <?page no="200"?> 200 diskutiert die Gruppe den Entscheidungsgegenstand „Arbeitsorganisation“ in der Sitzung, in der das aufgenommene Rohmaterial geschnitten wird. [1] 127 [11: 55.2] 128 [11: 59.2] JUAN [v] Ich denke, ich könne/ könnte äh schneiden das Video. Zum Beispiel äh/ es [2] .. 129 [12: 04.2] LARA [v] Ja, zu viel ich lerne, weil/ JUAN [v] gibt äh eine besondere Satz: „Ich lerne Deutsch.“ Könnt/ ich könnte [3] 130 [12: 06.3] LARA [v] ich lerne, weil… Nur die… JUAN [v] H m̌ h m̌ . (Ich) könnte das schneiden. JUAN [nv] Scherengeste RINA [VLE-Sp] Ahí estaba pensando que otra vez estábamos mezclando las cosas y sentía un poco de desesperación porque era así como, hay que / nos estamos perdiendo del objetivo, del plan que habíamos hecho. Y a veces eso, cuando las cosas se salen del plan, a veces como que me desesperan o / así, pero pues / es como algún pensamiento que me pasó por la mente. RINA [VLE-Dt] Hier dachte ich, dass wir wieder die Sachen vermischten und ich spürte ein bisschen Verzweiflung, weil das war wie, man muss/ wir verlieren das Ziel, den Plan, den wir gemacht hatten. Und manchmal das/ wenn die Sachen nicht nach Plan verlaufen, dann bringt mich das manchmal zur Verzweiflung oder/ so aber also/ das ist so ein Gedanke, der mir durch den Kopf ging. [4] 131 [12: 09.0] 132 [12: 14.1] LARA [v] Ja gut. Aha. Okay. Okay. Perfekt. LARA [nv] nickt mehrmals JUAN [v] Und dann bei/ ihr beide könnte/ können schreiben die Text. Ja. JUAN [nv] zeigt auf LARA und RINA blickt zu RINA RINA [v] Okay. RINA [nv] nickt Transkriptauszug 30: Handlungsplanorientierung (G3-2, 12: 06') <?page no="201"?> 201 RINA äußert im VLE (Seg. 130): „Hier dachte ich, dass wir wieder die Sachen vermischen und ich spürte ein bisschen Verzweiflung, weil das war wie, man muss/ wir verlieren das Ziel, den Plan den wir gemacht hatten. Und manchmal das/ wenn die Sachen nicht nach Plan verlaufen, dann bringt mich das manchmal zur Verzweiflung oder/ so aber also/ das ist so ein Gedanke, der mir durch den Kopf ging.“ Sie verdeutlicht dadurch ihre starke Fokussierung auf einen Handlungsplan, der zum Erreichen eines bestimmten Teilziels von der Gruppe erstellt wurde. RI- NAs Wahrnehmung der Gruppeninteraktion weist dabei eine starke Zielorientierung auf. Diese kann z. T. eine flexible Reaktion auf spontane Veränderungen oder Abweichungen von Handlungsplänen, von deren Ablauf bzw. Umsetzung sie eine konkrete Vorstellung entwickelt hat, verhindern. Gleichzeitig weiß sie um diese persönliche Problematik einer mitunter zu starken Planverhaftung und den dadurch ausgelösten negativen Emotionen, so dass sie diese im Sinne des Aushandlungsfortschritts zurückstellt. Ihre Überlegungen bleiben jedoch auf die mentale Ebene beschränkt, da sie vermutlich die Zielgefährdung in dieser Situation nicht als extrem genug wahrnimmt, um auch wie an anderen Stellen verbal aktiv in den Aushandlungsverlauf einzugreifen. Neben der Gruppenzielorientierung und -verfolgung als Indikator des Merkmals Kooperation kennzeichnet diesen Partizipationstyp die durch die Einflussnahme auf den Diskurs ausgeübte Mitbestimmung. Im Weiteren ist daher zu zeigen, wie sich RINAs Einflussnahme auf den Aushandlungs- und Entscheidungsfindungsprozess gestaltet und welche Wirkung sie damit erzielt. Wichtig ist hier festzuhalten, dass der Einfluss auf das Entscheidungsresultat nicht allein am Beteiligungsgrad (s. Kapitel 4) abgelesen werden kann, sondern ebenfalls die Komponente der Auswirkung der Mitbestimmung auf den Diskursverlauf oder das Entscheidungsergebnis in Betracht gezogen werden muss. Voraussetzung ist dabei die (bei RINA gegebene) positive Einstellung zur geteilten Entscheidungsfindung und gegenseitigen Einflussnahme. Prinzipiell zeigt RINA einen geringeren Beteiligungsgrad als ihre Gruppenkameraden LARA und z. T. auch JUAN und SONJA (s. Teiltypologie 1, Kapitel 4.1), doch übt sie ihre Einflussnahme gezielt und auf unterschiedlichen diskursiven Ebenen aus: − auf der Metaebene bei der Diskurssteuerung, − sowie auf der interaktiven Ebene: − bei der Entwicklung und Bearbeitung von Entscheidungsalternativen, − bei der Bewertung und Begründung von Entscheidungsoptionen und − durch die direkte Beteiligung an Entscheidungshandlungen. <?page no="202"?> 202 Diskurssteuerung RINA nimmt aktiv Einfluss auf die Strukturierung, Organisation und Fokussierung der Gruppenaushandlung. Dabei bedient sie sich v. a. zusammenfassendwiederholender Redebeiträge: [1] 244 [16: 43.1] 245 [16: 47.5] LARA [v] Okay. Sind Sie einverstanden? Okay, das ist „was“. RINA [v] Ja, es ist (eins). Was? „ Was? “ Ein Interview. EMMA [v] Ja. RINA [VLE - Sp] Ahí ya había pensado que estábamos RINA [VLE - Dt] Hier dachte ich dass wir uns wieder [2] .. RINA [VLE - Sp] volviendo a dispersarnos un poco. Entonces por eso quise/ äh sentí la necesidad de decir: bueno a ver ya, vamos a enfocarnos, vamos a äh completar la tarea que se nos asignó en vez de seguir platicando. Estaba/ Estaba muy interesante la discusión, pero äh me gusta seguir como un proceso y sentí que había dispersión. Pero el hecho de que planteara las preguntas, o sea, que dijera cuáles eran los objetivos del día en el pizarrón, me daba tranquilidad de saber qué era lo que esperaba de mí ese día o por lo menos en ese momento antes de la pausa. RINA [VLE - Dt] verzettelten. Also deshalb wollte/ spürte ich die Notwendigkeit zu sagen: gut also genug, lasst uns fokussieren, lasst uns die Aufgabe beenden, die wir bekommen haben anstatt weiter zu plaudern. Die Diskussion war sehr interessant, aber mir gefällt es, im Prozess fortzufahren und ich spürte die Zerstreutheit. Aber die Tatsache, dass Fragen gestellt waren, also dass die Tagesziele an der Tafel standen, beruhigte mich, zu wissen, was man von mir an diesem Tage erwartete oder wenigstens in diesem Moment vor der Pause. Transkriptauszug 31: Resümierende Diskurssteuerung (G3-1a, 16: 47') RINA blickt in dieser Gesprächssequenz an die Tafel, wo die zu bearbeitenden Fragestellungen von der Projektleiterin notiert wurden (Was? Wofür? Rollen, Exposé, Drehbuch, Drehplan). Danach resümiert sie in ihrer Äußerung das Resultat der Entscheidungsfindung, d. h. das ausgehandelte Genre des Handyprojektes mit Bezug zum formulierten Diskursziel: „Was? Ein Interview.“ (Seg. 245). Retrospektiv begründet sie ihren Redebeitrag damit, dass sie, nachdem sie die Zerstreutheit unter den Interaktanten bemerkt, eine Konzentration und Neufokussierung der Gruppe auf ausstehende Entscheidungsgegenstände her- <?page no="203"?> 203 stellen wollte. Dies gelingt ihr, da sich die Gruppe nach ihrem Beitrag der nächsten Fragestellung („Wofür? “ - Zweck des Videos) zuwendet. Im folgenden Transkriptauszug, der zeitlich vor Transkriptauszug 30 anzusiedeln ist, kollaboriert RINA zunächst beim Zusammenfassen der relevanten Entscheidungsalternativen durch JUAN (Seg. 222). Den Einwand LARAs gegen die Suche nach einer dritten Option bestätigt RINA wiederholend mit der Feststellung, dass zwei Optionen genug seien (Seg. 227). Damit nimmt sie explizit Einfluss auf den Entscheidungsmoment, indem sie die Voraussetzung der Existenz von zwei Alternativen für eine Auswahl als ausreichend untermauert. [1] 220 [14: 30.9] 221 [14: 32.7] JUAN [v] Ich find es eine gute Idee. Noch andere? [2] 222 [14: 34.5] JUAN [v] Wir haben vielleicht zwei? Dia de muertos, ein Interview (()). JUAN [ger] Totentag RINA [v] Ja, wir haben dia de muertos und… RINA [ger] Totentag [3] 223 [14: 41.2] 224 [14: 46.6] 225 [14: 50.6] LARA [v] H m̌ h m̌ . Nein. JUAN [v] Ein Ziel für Deutsch. Ähm, eine dritte Option? EMMA [v] H m̄ . [4] 226 [14: 51.9] LARA [v] ((2s)) Die dritte Option, das ist zu viel für mich. [5] 227 [14: 56.1] LARA [nv] lacht JUAN [v] Zwei Optionen? Okay. RINA [v] Ja, ich glaube zwei Optionen sind gut. <?page no="204"?> 204 [6] 228 [14: 59.9] JUAN [v] Okay. Welche? Okay. SONJA [v] Dann würde ich diese lieber machen. Diese (()) EMMA [v] Ja. RINA [VLE - Sp] Ahí pensé que estab/ ähm que ya con dos opciones/ tener dos opciones que me parecían muy buenas ideas era suficiente y, y estaba pensando que, que äh nos estábamos complicando demasiado. Pues si ibamos a seguir buscando más ideas al final ibamos a decidir qué elegir. No sé, pensé que iba a ser muy difícil la elección que ibamos a tener. Äh me parecía que dos opciones eran suficientes, sino que si de por sí soy una persona indecisa, al tener muchas opciones como que me estresaba un poco, si. RINA [VLE - Dt] Hier dachte ich, dass / ähm genug mit zwei Optionen, zwei Optionen zu haben, die mir sehr gute Ideen erschienen, war genug und, und ich dachte, dass, dass äh wir es verkomplizierten. Also wenn wir weitere Ideen suchen würden, müssten wir am Ende entscheiden, welche wir auswählen. Ich weiß nicht, ich dachte, dass die Auswahl sehr schwer sein würde. Äh mir erschienen zwei Optionen genug, auch weil ich an sich eine unentschlossene Person bin. Viele Optionen zu haben, stresste mich ein bisschen, ja. Transkriptauszug 32: Alternativeneingrenzende Diskurssteuerung Die von RINA retrospektiv erinnerten Gedanken während dieser Situation (Seg. 228) bringen zum Ausdruck, dass sie das Gespräch in ihrem Sinne lenkt, um die Schwierigkeit der Entscheidungsfindung durch die Suche nach einer dritten Option nicht weiter zu erhöhen. Auch im folgenden Beispiel für eine gesprächsstrukturierende Einflussnahme begründet sich RINAs Redebeitrag in einer wahrgenommenen „Unordnung“ bei der Aushandlung des Arbeitsplanes für die anstehende Sitzung (RINA VLE G3-2, 02: 09'): [1] 26 [01: 53.5] LARA [v] (Arzt.) JUAN [v] Ähm noch einmal von/ äh ihr bei/ äh ihr zwei arbeiten Zus/ in die Zusammenfassung? <?page no="205"?> 205 [2] 27 [01: 57.0] 28 [02: 01.5] 29 [02: 04.7*] LARA [v] Ähä. Vielleicht… Ja, jetzt. Weil es ist äh wirklich nötig, das machen. LARA [ger] Hm̌ . JUAN [v] Wann? Jetzt? RINA [v] Ja, wir… [3] 30 [02: 09.7] 31 [02: 14.3] LARA [v] (Weil äh) einmal wir haben alles, (wo sich alle filmen) (()). Da können RINA [VLE-Sp] Ahí me estaba sintiendo confundida porque primero habíamos dicho una cosa y luego cambiar a otro como que me estaba incomodando que no siguieramos el plan que habíamos propuesto al principio. Por ejemplo, se me hacía desordenado lo que estábamos haciendo. RINA [VLE-Dt] Hier fühlte ich mich verwirrt, weil wir zuerst eine Sache gesagt hatten und dann wechselten wir zu einer anderen, was mich störte, dass wir nicht mit dem Plan weitermachten, den wir am Anfang vorgeschlagen hatten. Zum Beispiel kam es mir durcheinander vor, was wir machten. [4] .. 32 [02: 18.0] LARA [v] wir entscheiden alle zusammen, was, was wir machen. Oder vielleicht können wir LARA [nv] RINA und JUAN zugewandt blickt zu RINA und JUAN [5] .. 33 [02: 24.0] LARA [v] • entscheiden, was zusammen am Ende (alle zusammen machen). RINA [v] Ja, wir, wir könnten RINA [nv] zeigt mit Stift auf PC [6] .. 34 [02: 28.9] LARA [v] Ja, so du hast (hier) die Idee. LARA [nv] blickt zu EMMA JUAN [nv] blickt zu RINA RINA [v] das Video sehen und dann wieder sie könn/ sie kann uns helfen. EMMA [v] H m̌ h m̌ . Transkriptauszug 33: Diskurssteuerung durch Präzisierung des Handlungsplanes <?page no="206"?> 206 Der zu Beginn der Sitzung abgestimmte Arbeitsplan bestand darin, eine Arbeitsteilung beim Schreiben der Zusammenfassung und beim Schnitt des Videos vorzunehmen. Im weiteren Gesprächsverlauf wird von diesem Handlungsplan jedoch wieder abgewichen. Mit ihrer bestätigenden Wiederholung von LARAs nicht ganz klar formuliertem Vorschlag, am Ende zusammen über alles zu entscheiden (Seg. 33), präzisiert RINA den Handlungsplan, erst das Video gemeinsam zu sehen und sich danach beim Verfassen der Abmoderation helfen zu lassen. Die Zusammenfassung und Konkretisierung des Handlungsplanes (Seg. 33) nimmt in diesem Fall also auch eine verständnissichernde Funktion für die die Gesprächssequenz einleitenden Nachfrage von JUAN (Seg. 26) ein. Entwicklung und Bearbeitung von Entscheidungsalternativen Die Einflussnahme im Gruppenentscheidungsdiskurs zeigt sich des Weiteren im Merkmal der Entwicklung und Bearbeitung von Entscheidungsalternativen. Dies geschieht durch das Unterbreiten von Vorschlägen, Modifikationen von Vorschlägen i. S. einer Präzisierung, Konkretisierung oder Anpassung des Vorschlags sowie der Äußerung von Gegenvorschlägen, d. h. alternativen Entscheidungsoptionen. Eine Auswirkung dieser Einflussnahmeformen ist insbesondere in der Beschaffenheit des Entscheidungsresultates erkennbar, indem dieses die Vorschläge oder Modifikationen des Partizipierenden widerspiegelt. Am Beispiel des Entscheidungsgegenstandes „Auswahl und Menge der Interviewpartner“ (Datensatz G3-1b) soll dies nun veranschaulicht werden. Das Ergebnis der Diskussion besteht darin, alle anwesenden Deutschkursteilnehmer zu fragen und am darauf folgenden Samstag einige ausgewählte Personen für die Umfrage zu filmen (Seg. 51-55). RINA übt an drei entscheidenden Punkten der Gruppenaushandlung zu dieser Fragestellung ihre Mitbestimmung aus: [1] 27 [02: 16.8] 28 [02: 20.8] JUAN [v] Die Probleme mit alle SONJA [v] Aber wir müssen alle fragen. Das kommt sowieso. [2] .. 29 [02: 24.1*] 30 [02: 25.8] LARA [v] Ja. Zeit. Ich bin die Zeit. LARA [nv] hebt Zeigefinger tippt sich auf die Brust JUAN [v] fragen ist äh der Zeit. Wir brauchen mehr Zeit. RINA [v] Ja, aber/ Aber es ist ja/ wir können RINA [nv] weist auf SONJA <?page no="207"?> 207 [3] .. 31 [02: 30.0] SONJA [v] Ja, zum Beispiel nur zehn Leute. RINA [v] nur die interessanten Ant/ äh äh Leute zeigen und dann… Transkriptauszug 34: Entwicklung einer Entscheidungsalternative Zur Frage, wer gefilmt werden soll, schlägt RINA als Modifikation von SONJAs Idee, alle Deutschkursteilnehmer zu fragen (Seg. 27) vor, nur die Leute mit interessanten Antworten im Video zu zeigen (Seg. 29-30). Damit findet sie einen Kompromiss in Bezug auf JUANs Gegenargument, dass nicht genug Zeit zur Verfügung stünde, alle anwesenden Lernenden zu fragen (Seg. 28.) Nach einer zwischengeschobenen Diskussion zur Frage, ob verschiedene Handys zum Filmen eingesetzt werden könnten, kommt SONJA auf die Ausgangsfragestellung zurück mit der Wiederholung ihres Vorschlages, erst zu fragen ohne zu filmen (Seg. 40-41) und dann nur ca. 10-20 Personen mit einem Handy aufzunehmen (Seg. 45). EMMA hinterfragt daraufhin die Menge der zu filmenden Personen (Seg. 48), woraufhin RINA bestätigt und gleichzeitig SON- JAs Idee modifiziert, alle bzw. die meisten Schüler zu interviewen, aber nur 10- 15 davon zu filmen (Seg. 52). [1] 45 [03: 28.5] 46 [03: 34.1] LARA [v] Ja. Zu spontan ist zu viel. JUAN [v] Ja. Aber mit die/ mit, mit die/ mit eine SONJA [v] Und dann filmen wir die Leute, die wir… [2] .. 47 [03: 37.9] JUAN [v] andere Handy oder mit eine Kamera, dieselbe Kamera. SONJA [v] Ja, deswegen können [3] .. 48 [03: 43.1] LARA [v] H m̌ . LARA [nv] nickt JUAN [v] H m̌ . JUAN [nv] nickt SONJA [v] wir zwanzig Leute filmen oder zehn Leute (klappt dazu.) (Können wir.) <?page no="208"?> 208 [4] .. 49 [03: 46.1] 50 [03: 49.1] LARA [v] (H m̌ .) JUAN [v] H m̌ h m̌ . JUAN [nv] nickt SONJA [v] ((1s)). H m̄ . Alle. EMMA [v] Das ist eine gute Frage. Wie viele Leute möchten wir fragen? [5] 51 [03: 52.2] 52 [03: 56.4] LARA [v] (()) (Das ist viel.) SONJA [v] H m̌ . (Wie viel? ) RINA [v] Oder meisten. Aber, aber filmen nur zehn oder fünfzehn. EMMA [v] Alle, alle Schule? Okay. Transkriptauszug 35: Bearbeitung einer Entscheidungsalternative I Mit dem an Sonja gerichteten Hinweis von LARA, dass das gesamte Video nicht länger als fünf Minuten dauern solle (Seg. 53-55), resümiert RINA, das Rederecht ergreifend, die favorisierte Entscheidungsalternative und konsolidiert damit gleichzeitig die getroffene Entscheidung, am Tag des Gespräches alle Lernenden zu interviewen und nächsten Samstag einige der Befragten zu filmen (Seg. 55-59). [6] 53 [04: 01.4] 54 [04: 04.8] LARA [v] Ja, weil wir müssen fünf Minuten maximal haben. Die Zeit. JUAN [v] H m̌ . Is okay. SONJA [v] Fünf Minuten? Ja. RINA [v] Ja. EMMA [v] (()). [7] 55 [04: 09.5] 56 [04: 14.3] LARA [v] Das ist maximal. Und… RINA [v] Wir könnten vielleicht äh heute alle fragen ähm und äh nächste, <?page no="209"?> 209 [8] .. 57 [04: 18.7] 58 [04: 22.0] 59 [04: 26.1] SONJA [v] H m̌ h m̌ . (Filmen.) RINA [v] nächste Samstag wir, wir könnten äh nur einige • • • wählen. Filmen. Transkriptauszug 36: Bearbeitung einer Entscheidungsalternative II RINAs aktive Mitbestimmung zeigt sich in diesem Beispiel an der Modifikation und Wiederholung von Vorschlägen sowie deren Synthese zu einer Entscheidung. Die implizite Entscheidung wird in dieser Sequenz darin ersichtlich, dass alle Teilnehmenden (z. T. nonverbal) zustimmen oder durch eine ausbleibende Reaktion (Schweigen) ihre Zustimmung signalisieren und dass unmittelbar im Anschluss der Entscheidungsgegenstand „Interviewfragestellung“ (vgl. Transkriptauszug 39) diskutiert wird. Bewertung und Begründung von Entscheidungsoptionen Eine weitere Einflussnahmemöglichkeit besteht im Umgang mit den zur Debatte stehenden Entscheidungsalternativen. Diese können erklärt oder begründet werden und sofern eine Bewertung noch nicht stattgefunden hat, sich ihnen zustimmend oder ablehnend gegenüber positioniert werden. Wiederum zeigt sich der Effekt dieser Diskurshandlungen im zustande gekommenen Entscheidungsresultat. Mittels eines bereits in Kapitel 4 unter dem Aspekt des Interaktionsstils analysierten Transkriptauszuges, sollen nun diese Einflussnahmehandlungen RINAs veranschaulicht werden. Besonders deutlich in dieser Gesprächssequenz wird das Merkmal der Wirkung von Einflussnahme anhand der Reaktionen der übrigen Interaktanten. Die Gruppenteilnehmer handeln an dieser Stelle der Sitzung die Arbeitsrollenverteilung aus. Dafür greifen sie auf ein Arbeitsblatt der vergangenen Sitzung zu möglichen Gruppenrollen zurück, in der die Auswahl von notwendigen Rollen bereits andiskutiert wurde. Aus sieben verschiedenen Rollen (Präsentator, Gesprächsleiter, Checker, Energiespender, Zeitmanager, Materialmanager, Protokollant) sind fünf zu vergeben oder als Rollenkombinationen aufzuteilen. <?page no="210"?> 210 [1] 323 [23: 20.4] 324 [23: 31.0] LARA [v] ((schreibt)) JUAN [v] ((6s)) (()). Checker. Check mit (einem was? ) Zeitmanager? JUAN [nv] schaut auf Blatt SONJA [nv] schaut auf Blatt RINA [ger] schaut auf Blatt EMMA [nv] schaut auf Blatt [2] 325 [23: 33.4] RINA [v] Ja, wir aber… Ähm. Wir sind funf. Wir könnten… [3] 326 [23: 38.7] 327 [23: 41.9] LARA [v] Ja. JUAN [v] Sieben. JUAN [nv] tippt zählend auf Blatt RINA [v] Wir könnten• • • jeder eine Roll haben. [4] 328 [23: 46.3] 329 [23: 51.1] LARA [v] (()) „kümmert sich um JUAN [v] (()). SONJA [v] Ja. Diese brauchen wir nicht. (Energie). SONJA [nv] zeigt auf Blatt EMMA [v] (()). LARA [k] liest vom Arbeitsblatt vor [5] .. 330 [23: 55.5] LARA [v] Motivation.“ Ey! SONJA [v] Ja, zwei nicht. Auch diese Gesprächsleiter wir brauchen diese SONJA [nv] ((zeigt aufs Blatt)) <?page no="211"?> 211 [6] .. 331 [24: 01.0] JUAN [v] (Qué es el Gesprächsleiter? ). ((„Achtet auf gutes miteinander JUAN [ger] Was ist der SONJA [v] zwei nicht. JUAN [k] liest vom Arbeitsblatt vor [7] .. 332 [24: 07.2] LARA [sup] lacht LARA [v] Wir sind nur fünf. JUAN [v] Arbeiten und respektvollen…“)) Ah si. • • Yo. JUAN [ger] Ah ja. Ich. [8] 333 [24: 10.0] 334 [24: 14.8] 335 [24: 15.5*] LARA [v] Nicht eine ganze… „Er überprüft, ob alle JUAN [v] Checker? RINA [v] Ich kann, Ich kann Checker sein. LARA [nv] liest vom Arbeitsblatt vor [9] .. 336 [24: 20.2] LARA [v] Mitglieder…“ JUAN [v] „Überprüft, ob alle Gruppenmitglieder die Tagesergebnisse vorstellen JUAN [k] liest vom Arbeitsblatt vor liest vom Arbeitsblatt vor [10] .. 337 [24: 24.1] 338 [24: 25.2*] 339 [24: 27.5] LARA [v] Oho. LARA [nv] anerkennend JUAN [v] können.“ • (Bist) du Zeitmanager. Checker, Zeitmanager, JUAN [nv] ((zeigt auf LARA)) (zeigt auf RINA, zeigt auf SONJA, <?page no="212"?> 212 [11] .. 340 [24: 32.6] JUAN [v] Protokollant? Gesprächs/ Gesprächsleiter, Energiespender. JUAN [nv] zeigt auf EMMA)) ((tippt auf Blatt)) EMMA [v] (()). Aha. EMMA [ger] Hm̌ hm̌ . EMMA [nv] nickt [12] .. 341 [24: 38.0] JUAN [v] Falta • Präsentator. „Präsentator präsentiert die Gruppen/ Gruppe/ Gruppenergebnisse JUAN [ger] Es fehlt JUAN [nv] ((tippt auf Blatt)) [13] JUAN [v] vor der gesamten Gruppe.“ JUAN [k] liest vom Arbeitsblatt vor [14] 342 [24: 44.8] 343 [24: 47.6] 344 [24: 50.0*] LARA [v] ((2s)) H m̌ . LARA [nv] ((nickt, blickt zu RINA)) JUAN [v] No puedo hacer estos dos? JUAN [ger] Kann ich nicht beide sein? JUAN [nv] ((tippt zwei Mal auf das Blatt)) ((blickt zu LARA)) RINA [nv] ((blickt zu LARA)) ((blickt zu EMMA, dann nach vorn)) EMMA [nv] ((blickt zu LARA)) [15] .. 345 [24: 53.1] LARA [sup] ((lächelnd)) LARA [v] Das LARA [nv] ((lehnt sich zurück)) JUAN [v] Präsentator und Checker? JUAN [nv] ((blickt zu RINA)) RINA [v] Nee, aber wir sind fünf. Und wir brauchen nicht Energiespender und RINA [nv] ((zeigt fünf Finger)) <?page no="213"?> 213 [16] .. 346 [24: 57.8] 347 [25: 01.1] LARA [sup] ((lachend)) ((lacht)) LARA [v] glauben wir. Vielleicht am Ende sind wir… LARA [nv] (( macht Grimasse)) JUAN [v] ((tippt sich mit Stift auf Brust)) Ich bin Energiespender. JUAN [nv] ((schaut zu RINA)) RINA [sup] ((lacht)) RINA [v] Gesprächsleiter. (()). RINA [nv] ((blickt zu JUAN)) [17] 348 [25: 03.5] 349 [25: 04.5] 350 [25: 07.0] LARA [v] Okay gut. LARA [nv] ((Beschwichtigungsgeste)) JUAN [v] (Come on! ). Bitte! JUAN [nv] ((schlägt mit Hand auf Tisch)) RINA [sup] ((lacht)) RINA [v] Echt? Aber… Aber… RINA [VLE - Sp] Ahí sentía que no nos estábamos poniendo bien RINA [VLE - Dt] Hier fühlte ich, dass wir uns nicht gut einigen <?page no="214"?> 214 [18] .. LARA [VLE - Sp] Me daba risas porque RINA insistía en que sólo éramos cinco y hay siete papeles y teníamos que desaparecer dos roles. LARA [VLE - Dt] Ich musste lachen, weil RINA insistierte, dass wir nur fünf waren und es gibt sieben Rollen und wir zwei Rollen weglassen mussten. RINA [VLE - Sp] de acuerdo de quién iba a ser quién y solo faltaban dos roles. Entonces, y tenía/ Ahi tenía la duda de que si a lo mejor era/ si era necesario tener los otros dos roles que estábamos descartando. Era así como pues es un äh/ Es como un volado pero/ pues igual/ Estaba pensando que si de todas maneras si alguien no tenía alguna habilidad o le faltaba alguna cosa, pues nos podíamos apoyar mutuamente como equipo. RINA [VLE - Dt] konnten, wer wer sein sollte und es fehlten nur noch zwei Rollen. Also, und ich hatte/ Hier hatte ich Zweifel, ob es vielleicht war/ ob es nötig war, die anderen Rollen zu haben, die wir gerade aussortierten. Es war so wie ein äh/ Es ist, wie eine Münze zu werfen/ also egal/ Ich dachte, dass auf jeden Fall, wenn jemand etwas nicht konnte oder ihm etwas fehlte, dass wir uns ja gegenseitig als Team unterstützen konnten. [19] 351 [25: 08.3] RINA [v] Wir könnten äh du könntest Energiespender und Präsentator sein. Transkriptauszug 37: Bewertung und Begründung einer Alternative Der Transkriptauszug setzt ein, nachdem die Rolle des Zeitmanagers von LARA und die des Materialmanagers von SONJA übernommen wurden. RINA ergreift das Rederecht zum ersten Mal in Segment 325, um das Argument anzubringen, dass die Gruppe aus fünf Personen bestünde, also jeder eine Rolle haben könne, wobei eine Reduktion des Gesamtangebots um zwei Rollen vorgenommen werden müsse. SONJA bestätigt diese Aussage und nimmt sie auf, indem sie die zu vernachlässigenden Rollen (Energiespender und Gesprächsleiter) direkt benennt (Segmente 328 und 330). JUAN widerspricht dem, nachdem er das Aufgabenprofil des Gesprächsleiters angelesen hat und schlägt sich selbst für diese Rolle vor (Seg. 332). Zeitgleich setzt LARA zu dem Gegenargument an, dass bei einer so kleinen Gruppe diese Rolle nicht benötigt würde (Seg. 332-333), welches sie aber nicht zu Ende ausführt, da überlappend RINA ihren Vorschlag unterbreitet, die Rolle des Checkers zu übernehmen (Seg. 332). JUAN reagiert fragend und liest verständnissichernd die Aufgabenbeschreibung des Checkers vor (Seg. 335-336). Anschließend fasst er den aktuellen Stand der Rollenverteilung wiederholend zusammen und bietet EMMA die Rolle des Protokollanten an, die dem zustimmt (Seg. 338-339). Dadurch wird der aktuelle Verhandlungsstand der Rollenverteilung konsolidiert. JUAN stellt daraufhin fest, dass die Rolle des <?page no="215"?> 215 Präsentatoren noch nicht vergeben wurde, vergewissert sich über dessen Aufgaben und schlägt vor, Präsentator und Checker zu sein (Seg. 340-344). Dabei blickt er die ihm gegenübersitzende LARA an. RINA lehnt diesen Vorschlag, LARA ins Wort fallend, ab, indem sie widerspricht und begründet ihr Argument aus Seg. 325 wiederholend, dass die Gruppe nur aus fünf Personen bestünde (Seg. 244) und dass die Rollen des Gesprächsleiters und Energiespenders überflüssig seien. LARA stellt dies in Frage und JUAN äußert scherzhaft, dass er ein Energiespender sei. Es kommt zu Gelächter und RINA unterbreitet in Seg. 351 den Kompromissvorschlag, dass JUAN Präsentator und Energiespender sein könne. Nach einer weiteren Minute Diskussion, in der RINA keine weiteren ausschlaggebenden Beiträge liefert, übernimmt JUAN die Rolle des Präsentators. RINA liefert in dieser Sequenz durch ihre aktive Mitbestimmung einen entscheidenden Beitrag zum Endresultat der ausgehandelten Entscheidung. Sie nutzt dabei wiederholt vorschlagende, ablehnende und begründende sprachliche Handlungen und interveniert bzw. insistiert in Diskursmomenten, die die von ihr favorisierte Rollenverteilung in Frage stellen. Sie kann somit die Zweifler JUAN und LARA von ihrer Einschätzung der notwendigen und überflüssigen Rollen überzeugen und zeigt sich gleichzeitig interaktional kollaborativ, indem sie Kompromissvorschläge unterbreitet. Unterstützung findet sie dabei in SON- JA, die RINAs Argumente aufgreift, wiederholt und z. T. erweitert, um dann im weiteren Verlauf wieder von RINA aufgegriffen zu werden. Beteiligung an Entscheidungshandlungen Die Mitbestimmungsform der Beteiligung an Entscheidungshandlungen bezieht sich auf den konkreten Moment des Fällens einer Entscheidung, welcher oft nicht klar zu erkennen ist und meist eher implizit als explizit auftritt. Dennoch weisen einige sprachliche Handlungen auf die direkte Involviertheit in diesen Vorgang hin. Dazu gehört die Auswahl von Optionen, das Niederschreiben eines in diesem Moment dazu bestimmten Entscheidungsresultats oder die Ratifizierung einer Entscheidung, d. h. einer nachträglichen Wiederholung der positiven Bewertung der ausgewählten Entscheidungsalternative. Im Fallbeispiel RINA sind Ratifizierungen wie die folgende charakteristisch: [1] 231 [15: 12.2] LARA [v] Am, am, am Ende könnten wir wie eine Zusammenfassung geben für unsere Leute und EMMA [v] Ja. (Zusammenfassung). [2] .. 232 [15: 17.4] LARA [v] äh… Meistens weil sie ein Doktorat machen/ in Deutschland machen oder nur als <?page no="216"?> 216 [4] .. LARA [v] Hobby oder nur weil sie Großeltern oder Eltern aus Deutschland haben oder (()). JUAN [v] Okay. RINA [v] (Ja, okay.) [5] 233 [15: 36.2] 236 [15: 43.1] LARA [v] H m̌ . Ja. RINA [v] Ja, wir können (sehen), meistens Leute wollen Deutsch lernen, weil bla, bla. Es wäre [6] .. 237 [15: 47.1] LARA [v] Glaub’ ich. (Machen wir so.) JUAN [v] Okay. RINA [v] ein interessantes Projekt. EMMA [v] H m̌ h m̌ . Transkriptauszug 38: Ratifizierung einer Entscheidung Nach der Entscheidung für ein Interviewprojekt zu den Deutschlernmotiven (Seg. 214), konkretisiert LARA den Handlungsplan, indem sie das Einfügen einer Zusammenfassung am Ende des Videos vorschlägt (Seg. 231). RINA greift diese Idee mit einem konkreten Formulierungsbeispiel auf (Seg. 233) und betont wiederholend ihre Zustimmung: „Es wäre ein interessantes Projekt.“ (Seg. 236). Einen direkten Einfluss auf die Entscheidungshandlung übt RINA auch im folgenden Beispiel aus, indem sie diese synthetisiert und die Akzeptanz dessen in der Gruppe nonverbal angezeigt sowie der Übergang zur nächsten Fragestellung ausgedrückt wird. [1] 89 [06: 29.3] SONJA [v] Weil, wenn ich sage, ja, ja ich komm hier nur, weil ich nichts zu tun am Samstag habe, [2] .. 90 [06: 36.1] 91 [06: 38.7] LARA [v] H m̄ . Aber am gleich Morgen? Ja, ja, ja. SONJA [v] dann wissen wir (())… RINA [v] Hä, ja. (()). Du <?page no="217"?> 217 [3] .. 92 [06: 42.7] 93 [06: 45.4] LARA [v] Aber es wird interessant sein. RINA [v] könntest schlafen. Wir könnte/ Wenn wir [4] .. 94 [06: 47.9] 95 [06: 53.0] LARA [v] H m̌ h m̌ . Nur „warum“. RINA [v] fragen… Wir könnten das äh Fragen stellen aber mit Filmen wir Könnten nur [5] 96 [06: 55.0] 97 [06: 58.5] LARA [v] Ja. LARA [nv] Nickt JUAN [v] Exposé, Drehbuch, qué? Drehplan. JUAN [ger] Was? SONJA [v] H m̌ . SONJA [nv] Nickt RINA [v] „Warum studierst du Deutsch? “ Transkriptauszug 39: Erklärung und Auswahl einer Alternative Der Entscheidungsgegenstand dieser Gesprächssequenz ist die Formulierung der konkreten Fragestellung für die Videoumfrage. Im Laufe der Aushandlung kristallisierten sich zwei Fragestellungsalternativen heraus: „Warum lernst du Deutsch? “ und „Warum lernst du samstags Deutsch? “, wobei vor allem LARA für die zweite Variante plädiert, während die übrigen Gruppenteilnehmer die erste Frage favorisieren. RINA fügt als Erklärung hinzu, dass die meisten Personen sicherlich samstags zum Kurs kommen, weil sie an den übrigen Tagen arbeiten oder studieren, also der Neuigkeitswert für LARAs Fragestellung nicht so hoch wie bei der ersten Fragevariante wäre (Seg. 71). Nach einer weiteren Aushandlungsschleife unterbreitet RINA den Kompromissvorschlag, in der ersten Fragerunde beide Fragen zu stellen, aber beim Filmen des Videos nur den Grund für das Deutschlernen zu erfragen (Seg. 88-90). Dieser von RINA ausgewählten Entscheidungsoption wird sowohl durch konvergente Hörerrückmeldungen als auch nonverbal von den anderen Mitdiskutanten zugestimmt. Daraufhin entsteht eine relativ lange Pause und danach wird von JUAN die nächste Fragestellung an der Tafel vorgelesen. In diesem Beispiel zeigt sich, wie RINA durch ihren Beitrag zu einer impliziten Entscheidungskonsolidierung beigetragen hat. Zusammenfassend wird im Fall RINA deutlich, dass der Typ der kooperativen Partizipation nicht nur als eine erweiterte Variante des Interaktionsstils der <?page no="218"?> 218 (dominanten) Kollaboration zu verstehen ist. Partizipation als Konzept geht über den reinen Beteiligungsumfang hinaus, indem ausschließlich die durch die Einflussnahme auf das Diskursgeschehen und das Entscheidungsresultat ausgeübte Mitbestimmung betrachtet wird. Entscheidend ist hier die Beteiligung auf den Ebenen der Diskurssteuerung, der Entwicklung, Bearbeitung, Bewertung und Begründung von Entscheidungsalternativen sowie der Beteiligung an Entscheidungshandlungen. Durch diese Formen der Einflussnahme gelingt es auch Teilnehmenden mit mittlerem bis geringem allgemeinem Beteiligungsgrad, in der Entscheidungsaushandlung zu partizipieren. Besonders auf der mentalen Ebene lässt sich durch das VLE rekonstruieren, dass dieser Typ eine ausgeprägte Gruppengesamtzielorientierung aufweist. 5.3 Nichtkooperative Partizipation: der Fall ELMER Der Typus der nichtkooperativen Partizipation ist dadurch gekennzeichnet, dass die ausgeübte Einflussnahme auf den Diskursverlauf in einem nicht-kooperativen Modus vollzogen wird. Dies begründet sich (retrospektiv) in einer ausbleibenden Gruppen(teil-)zielorientierung sowie dem daraus resultierenden Desinteresse am Entscheidungsgegenstand und zeigt sich in der Hinwendung zu individuellen Teilzielen oder der bewussten Verzögerung bzw. sogar Verhinderung der Gruppenentscheidungsfindung zum Erreichen des Gesamtzieles. Charakteristische sprachliche Handlungen für diesen Typ sind eng an den Interaktionsstil der dominanten Nicht-Kollaboration geknüpft. Die realisierte Mitbestimmung besteht vornehmlich in der massiven Ablehnung von Entscheidungsalternativen, ironischen oder Nonsensbeiträgen und der Delegitimierung anderer Gruppenmitglieder. Der Fall ELMER, der für diesen Typ als Extremfall vorgestellt werden soll, ist Mitglied der Gruppe 2 und war als einer der wenigen Gruppenteilnehmer an allen Sitzungen beteiligt, hat also einen aktiven Beitrag zum Entstehen des Projektproduktes geleistet (s. Kapitel 4.5). Den nichtkooperativen Partizipationstyp verkörpert er insbesondere im zweiten analysierten Datensatz. In ELMERs Retrospektionsdaten wird sein Unwille zur Partizipation schon zu Beginn der Sitzung, die gleichzeitig eine der letzten Projektsitzungen darstellt, explizit thematisiert (ELMER VLE G2-2, 01: 04'): „Gut hier war ich etwas müde und gestresst. Ehrlich gesagt wollte ich nicht mehr mitmachen bei den Entscheidungen der Gruppe weil/ ich glaube, das ist das größte Problem, das wir hatten, nicht zu Einigungen zu kommen, wegen des äh so langsamen Vorankommens, das wir im Projekt hatten.“ (Bueno, aquí estaba algo cansado y estresado. La verdad ya no quería participar ya mucho en las decisiones del grupo porque / creo que es el mayor problema que tuvimos, el no llegar a acuerdos y por lo mismo, äh, el avance tan lento que tuvimos en el proyecto.) <?page no="219"?> 219 ELMER begründet sein Desinteresse an der Gruppenentscheidungsfindung mit seiner Unzufriedenheit über die Schwierigkeiten und die langsame Geschwindigkeit vorangegangener Gruppenaushandlungen. Hieran zeigt sich, dass der ausbleibende Wille zur Partizipation kein Dauerzustand im gesamten Projekt darstellt, sondern sich in diesem Fall als Resultat aus den vorangegangenen Gruppeninteraktionen konstituiert. Besonders deutlich wird ELMERS fehlende Motivation und offene Ablehnung von Vorschlägen auch in der folgenden Sequenz und seiner darin enthaltenen retrospektiven Äußerung. [1] 34 [02: 44.8] 35 [02: 50.4] FABIO [v] (()) DUNA [v] Vielleicht könnten wir auch das Video verbessern? Ja. Irgendwann, irgend… MIRA [v] Ja. [2] .. 36 [02: 53.0] FABIO [v] Irgendwo. ELMER [nv] schüttelt Kopf ALEX [v] H m̌ h m̌ . ELMER [VLE-Sp] Sí, ahí cuando dijo que quería mejorar el video, no / pensé que lo estaban diciendo como para que yo lo hiciera otra vez la parte de / pues sí, simplemente todo lo que hacía falta según ella. ELMER [VLE-Dt] Ja, hier als sie sagte, sie wolle das Video verbessern, nicht/ ich dachte, dass sie das sagten, damit ich den Teil nochmal mache/ also ja einfach alles, was ihrer Meinung nach noch fehlte. [3] 37 [02: 54.9] FABIO [sup] lacht DUNA [sup] lacht MIRA [sup] lacht MIRA [v] (()). ELMER [v] Bin nicht dabei. ALEX [sup] lacht Transkriptauszug 40: Mentale und interaktionale Ablehnung DUNA schlägt zum Entscheidungsgegenstand „Verwendung des Videos“ vor, es noch weiter zu überarbeiten (Seg. 34), worauf ELMER nonverbal mit Kopf- <?page no="220"?> 220 schütteln und verbal mit einer direkten Zurückweisung reagiert: „Bin nicht dabei.“ (Seg. 37). Retrospektiv erklärt er seinen Widerspruch damit: „Ja, hier als sie sagte, sie wolle das Video verbessern, nicht/ ich dachte, dass sie das sagten, damit ich den Teil nochmal mache/ also ja einfach alles, was ihrer Meinung nach noch fehlte.“ Er signalisiert damit, dass er das Handlungsziel der Videoverbesserung nicht teilt und keinen Willen dafür besitzt, diese Teilhandlung (von ihm vermutet: allein) erneut auszuführen. Gleichzeitig wird dabei eine Meinungsverschiedenheit offensichtlich, die hinsichtlich der Qualität des hergestellten Videos, an dessen Schnitt ELMER maßgeblich beteiligt war, zu bestehen scheint. Alternativ zur offenen Ablehnung ist im späteren Gesprächsverlauf auch zunehmend eine ausgeprägte Gleichgültigkeit sowohl auf interaktiver (z. B. Seg. 106: „Mir ist es egal, ehrlich“) als auch mentaler Ebene zu beobachten. Zu MI- RAs Vorschlag, das Video am anderen Projektstandort vorzuführen (Seg. 154; s. Kapitel 4.5, Transkriptauszug 23) erinnert er: „Gut also, ehrlich gesagt, mir bedeutete es nicht viel, was sie mit dem Video machen wollten, ehrlich gesagt, ist es mir immer noch egal.“ Seine Distanzierung betrifft hierbei nicht nur einzelne Vorschläge, sondern den gesamten zur Diskussion stehenden Entscheidungsgegenstand. Die klare Abgrenzung zum Projekt(resultat) zeigt ELMER auch mit ironischen Mitteln. Als FABIO einen konkreten Videoverbesserungsvorschlag unterbreitet - die Handyaufnahmen nicht aus dem fahrenden Auto heraus zu machen, um das Wackeln zu reduzieren (Seg. 39) - reagiert ELMER mit der ironisierenden Äußerung: „Wie du willst, das ist dein Projekt“ (Seg. 41). [1] 38 [02: 57.6] FABIO [v] Ja, das kann sein, dass wir das Video/ äh ((5s)) dass wir das Video verbessern. [2] 39 [03: 04.9*] 40 [03: 12.1] FABIO [v] Nicht so viele Fehler. Nicht mit dem Handy und, und [3] .. 41 [03: 23.3] FABIO [v] fahren gleiche Zeit ((3s)) oder? ELMER [v] Wie du willst, das ist dein Projekt. (Ja nicht.) ELMER [VLE-Sp] Bueno, ahí desde ese punto de vista ELMER [VLE-Dt] Gut, hier aus dieser Perspektive <?page no="221"?> 221 [4] .. ELMER [VLE-Sp] sí me molestó el comentario de FABIO, porque estaba criticando cuando él, creo que ni siquiera tomó ningún video. Su aportación no fue, desde mi punto de vista suficiente como para ponerse a criticar lo que los demás hicieron. ELMER [VLE-Dt] störte mich der Kommentar von FABIO, weil er kritisierte, obwohl er, glaube ich, gar keine Aufnahme gemacht hatte. Sein Beitrag war, aus meiner Sicht, nicht ausreichend, um kritisieren zu können, was die anderen gemacht hatten. Transkriptauszug 41: Ironisierung Mit dem besonders betonten Personalpronomen drückt ELMER ironisch aus, dass er genau vom Gegenteil überzeugt ist. Durch die hinterhergeschobene, gegenteilige Aussage „Ja nicht.“ verweist er erklärend indirekt auf den geringen Anteil FABIOs am Projektresultat. Retrospektiv beschreibt er seinen Unmut folgendermaßen (ELMER VLE G-2-2, 03: 23): „Gut, hier aus dieser Perspektive störte mich der Kommentar von FABIO, weil er kritisierte, obwohl er, glaube ich, nicht eine einzige Aufnahme gemacht hatte. Sein Beitrag war, aus meiner Sicht, nicht ausreichend, um kritisieren zu können, was die anderen gemacht haben.“ ELMER nutzt seinen verbalen Beitrag dazu, mittels Ironie FABIOs Legitimation zur kritischen Meinungsäußerung in Frage zu stellen (s. Kapitel 5.5.2). Verursacht wird dies durch die von ELMER wahrgenommene fehlende Anerkennung der Gruppenarbeitsleistung seitens FABIO. Neben ablehnenden und indifferenten sprachlichen Handlungen zu Entscheidungsalternativen und -gegenständen nutzt ELMER seinen diskursiven Einfluss gezielt, um die Entscheidungsfindung herauszuzögern oder wie im folgenden Beispiel der Videoweiterverwendung fast ganz zu verhindern. Als eine Entscheidungsalternative präsentiert DUNA die Idee, das Video auf der lokalen Buchmesse FIL zu präsentieren (s. Kapitel 4.5, Transkriptauszug 22). ELMER bewertet diesen Vorschlag negativ: „Hier also, erschien es mir etwas äh schwierig, die Tatsache, das man so ein Video auf der FIL zeigen könnte und noch dazu auf Deutsch, wenn die Mehrheit des Publikums Spanisch spricht. Äh ich glaube nicht, dass es viel Relevanz, genug Relevanz hätte, um als so ein Video gezeigt zu werden.“ (Ahí, este, me pareció un tanto, äh, difícil, el hecho de que se pudiera pasar un video como ese en la FIL, sobre todo en alemán cuando la mayoría de audiencia son hispanohablantes. Äh, no creo que hubiera tenido mucha relevancia, suficiente relevancia como para ser transmitido un video así.) (ELMER VLE G2-2, 06: 24') ELMER schätzt die Handlungsumsetzungsmöglichkeiten für unrealistisch ein, da aus seiner Sicht weder eine Zielgruppe vorhanden sei, noch das Video die <?page no="222"?> 222 nötige Qualität für einen derartigen öffentlichen Präsentationskontext besitze. Er bringt in der Interaktion dafür beide Gegenargumente an: [1] 75 [06: 40.5] 76 [06: 43.9] 77 [06: 44.8] FABIO [v] Bitte? ELMER [v] ((3s)) (Ja, vielleicht.) Ja, ich mein vielleicht aber nur, wenn es auf ELMER [nv] leise [2] .. 78 [06: 48.5] 79 [06: 52.3] FABIO [v] Ja, genau. DUNA [v] H m̌ h m̌ . ELMER [v] Deutsch ist sonst äh… ist überhaupt nicht interessant und äh nicht so [3] .. 80 [06: 56.2] FABIO [v] Ja, für… Für uns is/ ELMER [v] schön gemacht, nicht so gut gemacht eigentlich. (Also) • insgesamt ich [4] .. 81 [07: 04.7] ELMER [v] glaube wir/ man könnte das in einem (Tag) • • • machen. Wirklich. (()). Transkriptauszug 42: Entscheidungsverzögernde Gegenargumentation I Seine erstes Gegenargument besteht in der minderen Qualität des Videos (Seg. 77-81), welches er im Seg. 83 wiederholend und zur Verständnissicherung für FABIO paraphrasiert: „Also das nicht so wie ein gut äh Arbeit.“ Im Anschluss daran führt er das zweite Gegenargument der fehlenden Zielgruppe und des Sprachenproblems an: [1] 89 [07: 51.0] 90 [07: 53.2] FABIO [v] Es könnt sehr interessant sein. ELMER [v] Ja, vielleicht. [2] 91 [07: 54.1] ELMER [v] Aber soweit ich weiß, es kein/ es gi/ äh ja kein äh ((3s.)) eine Vorstellung <?page no="223"?> 223 [3] .. 92 [08: 08.1] FABIO [v] H m̌ . DUNA [v] Oder ein deutsches MIRA [v] (Es gibt eine/ ) ELMER [v] oder so in FIL/ in der FIL, die/ (also) auf Deutsch. (Oder? ) • Alles ist auf Spanisch. [4] .. 93 [08: 14.2] DUNA [v] äh Programm. Es heißt „Letras Germanas“ auf Spanisch. DUNA [ger] „Germanische Schriften“ DUNA [nv] ((drei Mal Taktstockgeste)) ELMER [v] Ja, ich weiß, es gibt auch äh… [5] 94 [08: 18.8] DUNA [v] Und ja, kann… ELMER [v] Und es gibt auch viele verschiedene Bücher auf Deutsch, aber kein/ äh keine • [6] .. 95 [08: 30.2] 96 [08: 36.1] DUNA [v] Vielleicht nächstes Jahr. Deutsch (()). ((4s.)) Vielleicht MIRA [v] H m̌ h m̌ . Oder wir können warten. ELMER [v] Vorstellung. (()) Vorstellungen. [7] .. 97 [08: 42.8] ELMER [v] (auf Englisch), aber ich glaube aber nicht. Es ist nur auf Spanisch normalerweise. Transkriptauszug 43: Entscheidungsverzögernde Gegenargumentation II An dieser Stelle beteiligt sich die projektleitende Lehrerin mit der Frage an der Diskussion, ob man schon zu einer Entscheidung gekommen sei, woraufhin ELMER, vermutlich provokativ, einen Nonsensvorschlag unterbreitet (s. Kapitel 4.5, Transkriptauszug 23): <?page no="224"?> 224 [1] 101 [09: 08.3] 102 [09: 11.9] FABIO [v] ((hustet)) Was? Was denn? DUNA [v] Neiiin. MIRA [v] Was? ELMER [sup] ((lacht)) ((lachend)) ELMER [v] Das Video • • • zu löschen. Das Video zu löschen. ALEX [sup] ((lacht)) ALEX [v] (()) [2] 103 [09: 16.5] 104 [09: 17.8] 105 [09: 18.3] FABIO [v] Das Video zu löschen? H m̄ . Nicht unbedingt. ELMER [v] Ja. ELMER [VLE-Sp] Ahí simplemente ya estaba cansado, ELMER [VLE-Dt] Hier war ich einfach schon müde, [3] .. ELMER [VLE-Sp] aburrido y había / de hecho, llevaba varios días sin dormir bien, estaba muy cansado y realmente ya no me importaba lo que quisieran hacer con el video. Yo solo quería terminar ya lo antes posible. ELMER [VLE-Dt] gelangweilt und hatte/ eigentlich hatte ich schon einige Tag nicht gut geschlafen, ich war sehr müde und es interessierte mich wirklich nicht mehr, was sie mit dem Video machen wollten. Ich wollte nur so schnell wie möglich fertig werden. [4] 106 [09: 21.1] ELMER [v] • • • Mir ist es egal, (ehrlich). ELMER [nv] ((zuckt mit den Schultern)) Transkriptauszug 44: Entscheidungsverzögernder Nonsensbeitrag Dies führt, wie in Kapitel 4.5 als Interaktionsmittel beschrieben, nach anfänglicher Überraschung zur Erheiterung der Gruppenmitglieder, jedoch aus partizipatorischer Sicht zu keinem nennenswerten Fortschritt bei der Entscheidungsfindung. Einen weiteren Vorschlag von FABIO, das Video für die nächste Generation aufzubewahren, gibt ELMER durch seine Kommentare ebenfalls der Lächerlichkeit preis und entzieht ihm damit den Status als in der Argumentation gleichberechtigtes Gruppenmitglied. Diese Delegitimierung von FABIO <?page no="225"?> 225 erreicht ihren Höhepunkt mit ELMERS Frage nach der Bekanntheit des Projektproduktes: [1] 122 [10: 32.0] 123 [10: 37.6] FABIO [v] Was denn? ELMER [v] ((3s)) Du hast es auch nicht/ äh, äh auch noch nicht gesehen? [2] 124 [10: 38.7] 125 [10: 41.6] FABIO [v] Nö. Noch nicht. DUNA [v] Das ist eine Überraschung. MIRA [v] Das Video. ELMER [v] Das Video. ELMER [VLE-Sp] Sí, se me hizo gracioso ELMER [VLE-Dt] Ja, ich fand es lustig, [3] .. ELMER [VLE-Sp] el hecho de que FABIO estuviera hablando tanto sobre el video, si él ni siquiera lo había visto porque no había participado en los últimos dos o tres encuentros, no recuerdo. ELMER [VLE-Dt] dass FABIO so viel über das Video sprach, obwohl er es noch nicht einmal gesehen hatte, weil er nicht bei den letzten zwei oder drei Treffen dabei war, ich weiß nicht mehr. Transkriptauszug 45: Mentale und interaktionale Delegitimierung Als ELMER an dieser Stelle unter den Teilnehmenden offenlegt, dass FABIO das fertige Video noch nicht gesehen hatte, zeigt er im VLE sein hinter dem Amüsement verborgenes Unverständnis über die Ideenfülle seines Gruppenkameraden, ohne dafür über das für ELMER notwendige entsprechende Hintergrundwissen zu verfügen. Indirekt spricht er FABIO dadurch die Berechtigung für seine ausgeprägte Partizipation und v. a. Kritik am Projektresultat ab, wodurch der Entscheidungsfindungsprozess erheblich gestört wird und das Gespräch an dieser Stelle zwischenzeitlich zum Erliegen kommt. Auch die letzte von MIRA vorgebrachte Entscheidungsalternative, das Video am anderen Projektstandort vorzuführen (Seg. 154; s. Kapitel 4.5, Transkriptauszug 24), findet bei ELMER keinen Anklang. <?page no="226"?> 226 [1] 157 [13: 52.7*] 158 [13: 58.0*] 159 [14: 03.3*] 160 [14: 03.3*] FABIO [nv] ((nickt)) MIRA [sup] ((lacht)) MIRA [v] ((2s.)) Wollt ihr es machen, oder? MIRA [nv] ((blickt zu ELMER)) ELMER [sup] leise ELMER [v] ((5s.) Ja. Eigentlich nein. ALEX [sup] ((lacht)) ((lacht)) [2] .. DUNA [v] Ja, (mir gefällt das). MIRA [v] (()). ELMER [v] • • • Aber ja, wie ihr wollt. (()) ELMER [VLE-Sp] Sí, pues la verdad es que le estaba diciendo que sí a todo lo que sugerían porque la verdad no me importaba mucho lo que quisieran hacer con el video y tampoco tengo muchas ganas de ir a / no sé de seguir trabajando con el video simplemente porque, no sé, como publicarlo o algo, realmente no tengo ningún interés en hacerlo. Sé que es algo, un tema importante, pero, el video no creo que tenga las/ los requisitos que necesita para que valga la pena publicarlo. ELMER [VLE-Dt] Ja, also um ehrlich zu sein habe ich zu allem ja gesagt, was sie vorschlugen, weil es mir wirklich egal war, was sie mit dem Video machen wollten. Außerdem habe ich auch keine Lust mit dem Video weiterzuarbeiten, einfach weil, weiß nicht, es zu veröffentlichen oder so, weil ich wirklich keinerlei Interesse daran habe. Ich weiß, dass es etwas, ein wichtiges Thema ist, aber ich glaube das Video erfüllt nicht die Voraussetzungen, damit es sich lohnt, es zu veröffentlichen. [3] 161 [14: 12.2*] 162 [14: 13.9*] ELMER [v] Ja, also, wenn wir wirklich was mit dem ELMER [nv] ((dreht Kopf zu ALEX und grinst)) ((blickt zu DUNA und FABIO)) ALEX [nv] ((blickt zu ELMER und grinst)) [4] .. ELMER [v] Video machen sollen, dann ähm ja, das wäre vielleicht eine gute Idee. Transkriptauszug 46: Gegenstandsbezogene Indifferenz <?page no="227"?> 227 ELMER reagiert darauf mit einer direkten Ablehnung, die er zwar durch die Gradpartikel „eigentlich“ abschwächt, aber trotzdem damit eine konfrontative Wirkung erzielt (Seg. 159), die, erkennbar am Lachen der Gruppenmitglieder, als scherzhaft eingestuft wird. Im nächsten Turn lenkt ELMER daraufhin ein und präsentiert seine prinzipielle Zustimmung zum Vorschlag und die Unterordnung unter die vermeintliche Mehrheitsmeinung: „…Aber ja, wie ihr wollt.“. Im VLE bestätigt er seinen mittlerweile erreichten Zustand der Indifferenz gegenüber den Entscheidungsoptionen und seiner weiterhin bestehenden fehlende Zielorientierung: „Ja, also um ehrlich zu sein habe ich zu allem ja gesagt, was sie vorschlugen, weil es mir wirklich egal war, was sie mit dem Video machen wollten. Außerdem habe ich auch keine Lust mit dem Video weiterzuarbeiten, einfach weil, weiß nicht, es zu veröffentlichen oder so, weil ich wirklich keinerlei Interesse daran habe. Ich weiß, dass es etwas, ein wichtiges Thema ist, aber ich glaube das Video erfüllt nicht die Voraussetzungen, damit es sich lohnt, es zu veröffentlichen.“ ELMER resigniert, eine für ihn realistische Entscheidungsalternative zu finden und bestätigt dies durch seine mangelnde Identifikation mit dem Projektprodukt. Gleichzeitig ist er sich des institutionellen Rahmens der Gruppeninteraktion bewusst („…wenn wir wirklich was mit dem Video machen sollen…“ Seg. 162) und zeigt Konsensbereitschaft (trotz seiner inneren gegenteiligen Überzeugung), einen Handlungsplan zu konsolidieren. Da daran vermutlich die Beendigung der Diskussion geknüpft ist, welches sein primäres persönliches Handlungsziel darstellt (ELMER VLE G2-2, 09: 18': „Ich wollte einfach so schnell wie möglich fertig werden.“), gibt er an dieser Stelle vor, seine nicht-kooperative Haltung aufzugeben und zu kooperieren. Als Resümee ist festzuhalten, dass nicht-kooperative Partizipation geprägt ist von einer ausbleibenden Gruppen(teil-)zielorientierung und der entscheidungshinderlichen Einflussnahme auf den Gruppenaushandlungsdiskurs. Auf mentaler Ebene liegen dabei mangelnde Motivation und ausbleibende Relevanzsetzung von Entscheidungsgegenständen vor, die besonders anhand der VLE-Daten rekonstruierbar sind. Interaktional vollzieht sich entscheidungshemmende Mitbestimmung mittels der z. T. argumentativ untermauerten Ablehnung von Entscheidungsoptionen, ohne dass eigene realistische Alternativen vorgeschlagen werden sowie auch von Indifferenzäußerungen. Des Weiteren wird der Entscheidungsdiskurs durch Ironisierungen oder Nonsensbeiträge und der Delegitimierung anderer Gruppenmitglieder behindert. Im vorliegenden Extremfall ist nicht-kooperative Partizipation an den Interaktionsstil der dominanten Nicht- Kollaboration gekoppelt. <?page no="228"?> 228 5.4 Selektive Partzipation: der Fall SONJA Der Typ der selektiven Partizipation stellt eine Sonderform der Mischung zwischen kooperativer Partizipation (s. Kapitel 4.2) und kooperativer Nicht- Partizipation (s. Kapitel 4.5) dar. Charakteristisch ist der Wechsel zwischen Diskursphasen, in denen Mitbestimmung aktiv ausgeübt wird und Momenten, in denen dies ausbleibt. Obwohl eine prinzipielle Orientierung am Gruppengesamtziel und den entscheidungsgegenstandsbezogenen Teilzielen besteht, kommt es in nichtpartizipativen Momenten dazu, dass sich zwischenzeitlich auf mentaler Ebene parallel zum Gruppendiskurs anderen individuellen Problemstellungen und z. T. damit verbundenen individuellen Parallelhandlungen zugewandt wird. Diesem Typ konnten neben SONJA drei weitere Untersuchungsteilnehmer (ALEX, INES, LULO 2) zugeordnet werden (s. Abb. 48). SONJA gehört zu den kompetenteren Sprechenden der Gruppe 3, sie bleibt jedoch im Anschluss an die im Folgenden analysierte Sitzung aus unbekannten Gründen vom Kurs fern. Während der gesamten Sitzung übt SONJA ihre Einflussnahme mittels der im Kapitel 4.2 beschriebenen sprachlichen Handlungen aus. Sie unterbreitet Vorschläge (G3-1a: Seg. 3, 11, 76, 248, 264, 293, 302, 359, 369), modifiziert sie (Seg. 92), bearbeitet Entscheidungsalternativen (Seg. 52), gibt Gegenargumente bzw. wiederholt diese (Seg. 76, 307, 324, 364), äußert Erklärungen und Begründungen (Seg. 254, 373), gibt ihre Zustimmung (Seg. 203, 331, 382), führt Entscheidungshandlungen aus (Seg. 213, 331) und greift diskurssteuernd und verständnissichernd in das Gespräch ein (Seg. 52, 105, 298, 323, 348). Auf mentaler Ebene zeigt sich jedoch in den VLE-Daten, dass sie erinnert - meist ausgelöst durch die Wahrnehmung ihrer Parallelhandlungen im Video - wie sie zwischenzeitlich ihre Aufmerksamkeit auf entscheidungsgegenstandsirrelevante, persönliche Kognitionen richtet. Im folgenden exemplarischen Gesprächsausschnitt zum Gegenstand „Videothema“ betrachtet SONJA ca. 4 Sekunden lang ihre Fingernägel der rechten Hand (Abb. 49). SONJA <?page no="229"?> 229 Abb. 49: Aufmerksamkeitsverschiebung SONJA (G3-1a, 04: 32') [1] 66 [04: 26.0] 67 [04: 29.1] LARA [v] Aber ich denke es ist nicht so stark heutzutage. Weil wir, wir feiern nicht so, so viel JUAN [v] Okay. SONJA [nv] blickt nach unten blickt zu LARA [2] .. 68 [04: 35.1] LARA [v] (mehr). Wie (vor) wie unsere Eltern oder Großeltern. SONJA [VLE - Sp] Ahí estoy pensando, ya no me voy a morder las uñas de los dedos. SONJA [VLE - Dt] Hier denke ich, dass ich mir nicht mehr die Nägel kauen werde. Transkriptauszug 47: Aufmerksamkeitsverschiebung I Im VLE (Seg. 68) kommentiert SONJA dazu, dass sie in diesem Moment denkt, nicht mehr ihre Fingernägel zu kauen. Für einen kurzen Moment richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf eine persönliche Problemstellung, um direkt im Anschluss durch das Anblicken der Turn-Inhaberin LARA (04: 33') ihre kognitive Rückkehr zur Gruppendiskussion zu signalisieren. Ca. vier Minuten später äußert SONJA folgende Erinnerung (SONJA VLE G3-1a, Seg. 126): „Hier denke ich, dass mir die Kälte nicht gefällt, weil meine Nase rot wird und im Film werde ich eine rote Nase haben, wenn es kalt ist.“ Bezüglich der Entscheidungsfindung befindet sich die Aushandlung an einem Punkt, an dem eine Entscheidungsalternative herausgearbeitet wurde (Totentag), aber noch keine Genrefestlegung stattgefunden hat. Von JUAN erfolgt daher der Vorschlag, nach einer weiteren Idee zu suchen und er äußert den Vorschlag, <?page no="230"?> 230 etwas mit LARAs Hund zu machen (Seg. 124). SONJA rückt an dieser Stelle die Aufnahmesituation in ihr Bewusstsein, was auch daran erkennbar ist, dass sie mehrmals in die Kamera blickt (Abb. 50). Abb. 50: Kamerablick SONJA [1] 124 [08: 01.0] 125 [08: 04.4] LARA [v] So viel… Ja. JUAN [v] Du, du sagst äh, letzte Woche/ du nimmst äh mit deinem Hunde oder deinen Hunden… [2] 126 [08: 07.1] LARA [v] Aber ich sollte sie bringen und das wäre • nicht so einfach. JUAN [v] (()). (Das wäre eine Möglichkeit.) SONJA [nv] blickt nach unten SONJA [VLE - Sp] Ahí estoy pensando que no me gusta el frío porque se me pone la nariz roja y en la película voy a salir con la nariz roja si hace frío. SONJA [VLE - Dt] Hier denke ich, dass mir die Kälte nicht gefällt, weil ich davon eine rote Nase bekomme und im Film werde ich eine rote Nase haben, wenn es kalt ist. Transkriptauszug 48: Aufmerksamkeitsverschiebung II Diese erinnerte Kognition zeugt davon, dass SONJA in diesem Moment (noch) nicht bereit ist, sich kognitiv oder interaktiv mit dem Vorschlag JUANs zu befassen. Dass sich hinter diesem Verhalten ein bewusst gewähltes Prinzip verbirgt, bestätigt SONJA in der kurz darauf folgenden VLE-Äußerung (G3-1a, 08: 41'): <?page no="231"?> 231 „Hier denke ich: Ich werde warten bis alle ihre Ideen gesagt haben und währenddessen/ und am Ende schenke ich ihnen Aufmerksamkeit.“ Die Reparatur in ihrer Aussage nach der Temporalangabe „währenddessen“ deutet an, dass SONJA sich in der Zeit zwischen den erwarteten Äußerungen der Gruppenmitglieder und dem antizipierten Ende der Diskussion möglicherweise anderen Gedanken bzw. Handlungen (z. B. Handy checken, ins Heft schreiben) zuwenden bzw. in irgendeiner Form ihre Aufmerksamkeit nur auf bestimmte (vermutlich von ihr als entscheidungsrelevanter bewertete) Phasen des Gruppendiskurses fokussieren möchte. [1] 133 [08: 30.9] LARA [v] Wir ähm/ wir laufen jeden Tag, aber es gibt so viele Hunde, die [2] .. 134 [08: 38.0] LARA [v] nicht äh laufen. Sie sind/ sie sind immer in, in die Häuser, auf dem… [3] 135 [08: 43.1] LARA [v] Wie heißt es? Dach. JUAN [v] (Tod) oder? RINA [v] Dach. SONJA [VLE - Sp] Ahí estoy pensando, voy a esperar a que todos digan sus ideas SONJA [VLE - Dt] Hier denke ich: Ich werde warten bis alle ihre Ideen gesagt haben [4] .. SONJA [VLE - Sp] este y mientras, y al final les pongo atención. SONJA [VLE - Dt] und währenddessen/ und am Ende schenke ich ihnen Aufmerksamkeit. [5] 136 [08: 46.4] LARA [v] Ja, sie sind immer dort. Transkriptauszug 49: Aufmerksamkeitssteuerung Sie koppelt sich also an dieser Stelle bewusst aus dem Diskurs aus, nachdem ihr eigener Vorschlag (Totentag) ausführlich diskutiert wurde und nutzt dafür den Interaktionsstil der passiven Kollaboration (s. Kapitel 4.3). Eine mögliche Ursache ist in der negativen Bewertung der aktuell zur Debatte stehenden Entscheidungsalternative „Hundevideo“ zu vermuten, welche jedoch nicht von SONJA <?page no="232"?> 232 laut geäußert wird, sondern sie kollaborativ allen die Chance einräumen möchte, ihre Vorschläge vorzutragen. Die nächste retrospektive Äußerung bezeugt jedoch das Gegenteil (SONJA VLE G3-1a, 08: 28'): „Hier denke ich, etwas mit einem Hund würde alle Deutschen begeistern, weil sie Hunde lieben.“ (Aqui estoy pensando, algo con un perro le va a encantar a todos los alemanes, porque aman a los perros.) Dies zeigt, dass SONJA offenbar in der Lage ist, der Diskussion zu folgen und dabei gleichzeitig persönliche Parallelhandlungen durchzuführen. Dies belegt das folgende Beispiel: Abb. 51: Parallelhandlung SONJA Das persönliche Handlungsziel SONJAs, die Anrufe auf ihrem Handy zu prüfen, erfährt in dieser Sequenz eine höhere Relevanzsetzung als die aktive Mitbestimmung im Gruppendiskurs: [1] 197 [12: 47.5] LARA [v] So, was könnte die Frage sein? Warum kommst du her? Warum bist du hier? JUAN [v] Ah. H m! . Warum. SONJA [nv] blickt nach unten <?page no="233"?> 233 [2] 198 [12: 51.9] JUAN [v] H m! h m! . SONJA [nv] blickt nach unten SONJA [VLE - Sp] Ahí estoy pensando, nadie me ha marcado a mi celular. Le voy a marcar a mi papá en la pausa. SONJA [VLE - Dt] Hier denke ich: Keiner hat mich auf dem Handy angerufen. Ich werde meinen Papa in der Pause anrufen. Transkriptauszug 50: Parallelhandlung I SONJA fasst gleichzeitig zur Gruppenaushandlung einen individuellen Handlungsplan zu einem persönlichen Teilziel (Handykommunikation), nimmt sich aber nur interaktiv, jedoch nicht mental, kurzzeitig aus dem Diskurs zurück. An einer entscheidungsrelevanten Stelle ca. zwei Minuten später ergreift sie erneut den Turn zur Äußerung ihrer Zustimmung zu LARAs Vorschlag, eine Videoumfrage über die Deutschlerngründe zu machen. D. h., die Aufmerksamkeitsverschiebung SONJAs auf ihr individuelles Ziel ist in diesem Gruppendiskurs jeweils nur von sehr kurzer Dauer und findet vor allem während des Zuhörens von längeren monologischen Redebeiträgen LARAs oder JUANs statt. Das letzte ausgewählte Transkriptbeispiel soll verdeutlichen, in welcher weiteren Situationen SONJA das Verfolgen eines persönlichen Handlungsziels kurzzeitig vor die Partizipation im Gruppendiskurs setzt. Im Moment der Gesprächssequenz hat sie schon zwei Vorschläge zum Entscheidungsgegenstand „Verwendung des Videos“ unterbreitet, die beide eine positive Bewertung durch die übrigen Gruppenmitglieder erfahren haben. LARAs Beitrag (Seg. 292-294) erklärt und begründet die Ideen noch im Detail: Abb. 52: Oberkörperdrehung SONJA <?page no="234"?> 234 SONJA wendet sich in Segment 273 zur Tafel um und begründet ihre Handlung im VLE: „Hier denke ich: Welche neuen Wörter stehen an der Tafel, um neues Vokabular zu lernen, weil es sehr viele Wörter gibt, von denen ich nicht weiß, wie ich sie sagen soll.“ [1] 292 [20: 12.0] LARA [v] Manchmal die, die äh junge Leute haben nicht die Idee/ sie, sie RINA [v] Ja. [2] 293 [20: 17.5] 294 [20: 19.6] LARA [v] wissen nicht. • • • Aber sie brauchen/ sie müssen viel Zeit, um Deutsch zu SONJA [nv] dreht sich um SONJA [VLE - Sp] Ahí estoy pensando SONJA [VLE - Dt] Hier denke ich: [3] .. LARA [v] lernen, benutzen. SONJA [VLE - Dt] qué palabras nuevas puso en el pizarrón para aprender nuevo vocabulario, porque hay muchísimas palabras que no sé cómo decirlas. SONJA [VLE - Sp] Welche neuen Wörter stehen an der Tafel, um neues Vokabular zu lernen, weil es sehr viele Wörter gibt, von denen ich nicht weiß, wie ich sie sagen soll. [4] 295 [20: 28.6] LARA [v] Es nicht einfach. SONJA [nv] dreht sich zurück Transkriptauszug 51: Parallelhandlung II Erneut verlässt sie durch ihre Oberkörperdrehung das laufende Gespräch und richtet ihre gesamte Aufmerksamkeit für neun Sekunden auf die an der Tafel notierten Vokabeln. Dies geschieht unvermittelt, d. h. nicht aufgrund eines momentanen Äußerungsbedürfnisses heraus, bei dem der Tafelanschrieb von Bedeutung gewesenen wäre. Vermutet werden kann, dass sich die zurückgestellte Partizipation in mangelnden Wortschatzkenntnissen jenseits konkreter Äußerungsbedürfnisse begründet (s. Kapitel 5.5.1), sie kann aber auch darauf beruhen, dass SONJA ihre notwendige Mitbestimmung zur aktuell ausgehandelten Fragestellung als abgegolten erachtet. Sie bleibt auch nach dieser Sequenz bis <?page no="235"?> 235 zum nächsten Entscheidungsgegenstand weiterhin dem Interaktionsstil der passiven Kollaboration verhaftet, beschäftigt sich z. T. mit ihren Fingernägeln oder blickt wiederholt in die Kamera. Zusammenfassend ist zum Stil der selektiven Partizipation festzuhalten, dass sich die Selektivität zum einen in der Beteiligung am Gruppendiskurs, also einer Abwechslung der Interaktionsstile der aktiven und passiven Kollaboration, zeigt. Zum anderen ist er aber auch von einer Partizipation geprägt, die auf ausschlaggebende Entscheidungsmomente, wie z. B. dem Unterbereiten und der Diskussion von (Gegen-)Vorschlägen, der Bearbeitung sowie Auswahl von Entscheidungsalternativen und der Durchführung von Entscheidungshandlungen reduziert wird und in der verbleibenden Zeit parallel individuelle Ziele und Handlungen mental erfasst und teilweise auch ausgeführt werden. Es kann gefolgert werden, dass Vertreter dieses Typs in der Lage sind, ihre Aufmerksamkeit zu steuern und auf verschiedene Parallelhandlungen zu verteilen, wobei sowohl individuelle als auch Problemstellungen des Gruppendiskurses zum Zentrum der Aufmerksamkeit gemacht werden. Dabei nehmen die Individualsequenzen einen vergleichsweise minimalen Umfang ein, lassen sich also eher als kurzzeitige, gedankenblitzartige Abschweifungen von der Gruppendiskussion charakterisieren und treten meist dann auf, wenn die Person schon aktiv an der Entscheidungsfindung zum jeweiligen Gegenstand partizipiert hat und danach eine eher abwartende Haltung einnimmt. D. h., die Ausrichtung auf das Gruppengesamtziel und die entsprechenden Teilziele bleibt durchgängig bestehen und durch die eingeschobenen Individualhandlungen wird der Fortschritt der Gruppenaushandlung sowie das Erreichen der Gruppenteilziele nicht beeinträchtigt. 5.5 Nicht-Partizipation Der Typ der kooperativen Nicht-Partizipation und seine Subtypen der sprachbedingten und legitimationsbedingten Nicht-Partizipation werden in diesem und den folgenden Unterkapiteln dargestellt. Kooperative Nicht-Partizipation ist geprägt durch die vorhandene Verfolgung des Gruppengesamtziels und der sich daraus ergebenden entscheidungsgegenstandsabhängigen Teilziele. Gekoppelt ist dieses Merkmal an den ausbleibenden Willen zur Mitbestimmung bzw. die ausbleibende Einflussnahme im Entscheidungsdiskurs. Prototypisch wird dafür im Folgenden der Fall JUAN vorgestellt. Bei der Partizipationsanalyse fanden zudem weitere Faktoren Berücksichtigung, die eine Ausdifferenzierung der kooperativen Nicht-Partizipation zu zwei Subtypen erfordern. Nicht-Partizipation kann demnach selbstbestimmt erfolgen (s. Kapitel 5.4 und 5.5.1) oder unfreiwilliges Resultat von kompetenzbedingten Verständlichkeitsschwierigkeiten (s. Kapitel 5.5.2) sowie (De)legitimierungsprozessen und Exklusionsmechanismen sein (s. Kapitel 5.5.3), die z. T. auch an Kompetenzzuschreibungen gekoppelt sind. Ein geringer Einflussgrad ist daher gespeist aus einem geringen Beteiligungsgrad <?page no="236"?> 236 (kooperativen Nicht-Partizipation) oder aus einer fehlenden Berücksichtigung der individuellen Mitbestimmungsversuche durch die übrigen Gruppenmitglieder (Nicht-Partizipation durch Delegitimierung). Somit ergeben sich zwei Subtypen der (freiwilligen, selbstbestimmten) kooperativen Nicht-Partizipation: − fremdbestimmte Nicht-Partizipation durch Delegitimierung (Subtyp 1) − unfreiwillige Nicht-Partizipation durch Sprachkompetenzdefizite (Subtyp 2) Der Typ der kooperativen Nicht-Partizipation ist durch eine geringe oder ausbleibende Einflussnahme verursacht. Außerdem wird er durch einen geringen oder ausbleibenden Willen zur Mitbestimmung im Entscheidungsdiskurs (Fall JUAN) oder durch einen geringen Einflussgrad auf selbigen (Fall NERO) gekennzeichnet. Der geringe Einflussgrad kann entweder durch Delegitimierung (Kapitel 5.5.3: Fall NERO) oder durch Sprachkompetenzdefizite (Kapitel 5.5.2: Fall EMMA) ausgelöst sein. Hinsichtlich der kooperativen Komponente wird bei diesem Partizipationstyp die prinzipielle Teilung des gemeinsamen Ziels aufrechterhalten. 5.5.1 Kooperative Nicht-Partizipation: der Fall JUAN Dem Fall JUAN, der bereits in Kapitel 4.3 prototypisch für den Stil der passiven Kollaboration beschrieben wurde, widmet sich die folgende Darstellung aus partizipationstypologischer Perspektive. JUAN übt im Datensatz G3-2 während der ersten Hälfte der Sitzung interaktiv kaum Einfluss auf die Entscheidungsfindung zum Gegenstand „Arbeitsorganisation“ aus. Den Grund dafür benennt er im VLE mit Müdigkeit (ausführlicher dazu Kapitel 4.3), woraus ein mangelnder Wille zur Mitbestimmung resultiert. Der folgende VLE-Ausschnitt verdeutlicht JUANs Abgabe der Entscheidungsmacht an die anderen Gruppenmitglieder: „…Und ja, ich überließ es LARA, RINA und EMMA zu bestimmen, was wir machen sollten.“ (…Y si estaba dejando que LARA, RINA y EMMA pues ayudaran a definir qué es lo que necesitabamos hacer, no? )“ (G3-2, Seg. 13, 01: 00') Eine dies bestärkende Äußerung findet sich auch an späterer Stelle in den VLE- Daten: „Noch einmal, sagt mir lieber, was ihr wollt, was ich tun soll und ich mache es mit dem größten Vergnügen, aber meine Neuronen taugten noch nicht viel.“ (Por la misma vez, nes/ más bien díganme qué quieren qué haga y lo hago con todo el gusto, pero mis neuronas no estaban dando para mucho.) (G3-2,VLE Seg. 49) JUAN weist hier auf einen retrospektiv wiederholt erinnerten Gedanken hin („noch einmal“). Mit Verweis auf seine noch eingeschränkte mentale Aktivität präsentiert er sein Selbstverständnis als extern zur zu konsolidierenden Planbildung („sagt mir, […] was ich tun soll“). Vielmehr versteht JUAN sich als Teil <?page no="237"?> 237 der darauf folgenden Handlungsausführung („ich mache es mit dem größten Vergnügen“). Er bestätigt durch diese Äußerung somit seine explizite Ablehnung der Beteiligung an einer kollaborativen Entscheidungsaushandlung und eine gleichzeitige Akzeptanz und bereitwillige Ausführung aller Handlungspläne, die ohne seine Partizipation verabschiedet werden. Trotz des ausbleibenden Willens zur Einflussnahme zeigen die retrospektiven Daten eine deutliche Zielorientierung in JUANs rekonstruierten Kognitionen. Der anschließende VLE-Auszug verdeutlicht dies beispielhaft: „Und, also ja, verlasse mich auf die Kolleginnen, um die Entscheidung zu treffen: Wie wollen wir uns organisieren? “ (Y es, pues sí, apoyarme en las compañeras para tomar esa decisión: cómo nos íbamos a organizar? ) (G3-2, 02: 53') Erneut beschreibt er seinen Rückzug bei der Entscheidungsaushandlung und die Abgabe dieser Aufgabe an seine Gruppenkameradinnen. JUAN hat dabei jedoch den Entscheidungsgegenstand und das -ziel klar im Fokus („Wie wollen wir uns organisieren? “), d. h., er schätzt den etablierten Gegenstand auch persönlich als relevant für den weiteren Arbeitsprozess ein. Seine Zielfokussierung zeigt sich weiterhin auch in der retrospektiv verbalisierten Zufriedenheit im Moment, in dem die Entscheidung konsolidiert und somit das Aushandlungsziel erreicht wird. „Es hat ein wenig gedauert, um zu dem Fazit zu gelangen, uns aufzuteilen, das was uns LEHRERIN von Anfang an vorgeschlagen hatte. Nun haben wir entschieden, wobei wir mitmachen würden. Einige bei der Zusammenfassung, der Rest also übernahm die Aufgabe des Videoschnitts und hier dachte ich, soweit ich es erinnere: gut, wenigstens wissen wir nun, wohin wir steuern, nicht? Etwas, das bejahender ist und bis zu einem bestimmten Punkt eine gewisse Sicherheit gab, nicht wahr? […] aber ein bisschen das Gefühl der Befriedigung: gut nun wissen wir was wir machen werden“. (Nos tomó un poquito de tiempo llegar a la conclusión pues de dividir, que es lo que LEHRERIN nos sugirió desde el principio. Ya decidimos en qué íbamos a participar. Unos en la conclusión, el resto pues haciendo la talacha de editar el video y ahí lo que, según recuerdo, mi pensamiento fue: bueno, al menos ya sabemos hacia dónde vamos, no? Lo cual es más asertivo y daba hasta cierto punto un nivel de seguridad, no? […] pero un poco el sentimiento de satisfacción: bueno ya sabemos que vamos a hacer.) (G3-2,12: 23') Nach der Benennung des Entscheidungsresultats erinnert sich JUAN an die positiven Emotionen („Gefühl der Befriedigung“) und das Sicherheitsgefühl, das ihm die Festlegung des weiteren Vorgehens vermittelte. Er zeigt sich zum einen dadurch genauso orientiert auf das nun erreichte Ergebnis als wäre er auch direkt interaktional beteiligt gewesen. Zum anderen bestätigt er damit die Befriedigung seines Bedürfnisses nach klaren Arbeitsstrukturen, um geplant und zielorientiert weiteragieren zu können. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Nicht-Partizipationstyp kooperativer und selbstbestimmter Ausprägung trotz seiner prinzipiellen Teilung <?page no="238"?> 238 von Gruppengesamt- und Teilzielen keine interaktionale Verfolgung dieser durch aktive Mitbestimmung ausübt. Vielmehr überlässt dieser Typ die Entscheidungsfindung den übrigen Gruppenmitgliedern und demonstriert Bereitschaft, die fremdbestimmten Handlungspläne bereitwillig auszuführen. In den vorliegenden Daten wird kooperative Nicht-Partizipation auf der interaktionalen Ebene durch den Stil der passiven Kollaboration (s. Kapitel 4.3) umgesetzt. 5.5.2 Subtyp 1: sprachkompetenzbedingte Nicht-Partizipation: der Fall EMMA Als Ergebnis der Rekonstruktion inhaltlicher Sinnzusammenhänge zwischen den Untersuchungskategorien „Nicht-Partizipation“ und „Kooperation“ wurden zwei weitere Faktoren in die Analyse einbezogen - die Sprachkompetenz und die Legitimation bzw. Delegitimierung der Aushandlungsteilhabe (vgl. Kapitel 5.3). Daraufhin ließen sich die zwei Subtypen der kooperativen Nicht- Partizipation, die Nicht-Partizipation durch Sprachkompetenzdefizite und die Nicht-Partizipation durch Delegitimierung ermitteln. Den Extremfall für Nicht-Partizipation durch Sprachkompetenzdefizite stellt EMMA dar. Sie war Mitglied der Gruppe 3, gehörte zu den sprachlich schwächeren unter ihren Teamkollegen und nahm nicht an allen Projektsitzungen teil. Zu Beginn der Sitzung zum Videoschnitt (Entscheidungsgegenstand zusammenfassender Abmoderationstext) führt EMMA ihre Verständnisprobleme zunächst auf ihre Abwesenheit am vorangegangen Projekttag zurück (EMMA V- LE G3-2, 01: 00'): „Ich versuche zu verstehen, weil ich am Tag, an dem sie filmten, nicht da war. Also oder/ was passiert gerade.“ (Estoy tratando de entender porque como no vine el día que filmaron. Pues o/ qué está pasando.) Nachdem ihre Gruppenkollegin RINA einen ersten Entwurf des Textes vorliest, stellt sich ein sprachbedingtes Nichtverstehen ein: [1] 11 [00: 58.8] RINA [v] „In diesem Interview sehen wir die wichtigste Gründe für das Deutschlernen. RINA [k] ((liest vor)) [2] 12 [01: 03.7] RINA [v] Die Leute wollen Deu/ in/ wollen in Deutschland studieren oder lernen es als Hobby RINA [k] ((liest vor)) <?page no="239"?> 239 [3] .. RINA [v] aber es gibt auch andere Gründe, zum Beispiel Liebe, Familie und Reisen.“ [4] 13 [01: 16.2] 14 [01: 18.7] LARA [v] ((2s)) Kurz. JUAN [v] H m̄ . Ja. Kurz. EMMA [VLE-Sp] Fue corto, pero al mismo tiempo dije, jaja, no entendí, otra vez. EMMA [VLE-Dt] Das war kurz, aber gleichzeitig sagte ich, haha, ich habe nichts verstanden, noch einmal. [5] 15 [01: 21.1] 16 [01: 23.2] 17 [01: 27.3] LARA [v] Es sollte kurz sein. JUAN [v] Ich denke vielleicht ein/ eine andere Satz. Ähm. Du sagst [6] .. 18 [01: 32.3] JUAN [v] okay, es gibt viele (Gründe) für Deutschlernen. Äh. RINA [v] (()). RINA [nv] ((gibt Heft)) EMMA [v] Darf ich? EMMA [nv] ((nimmt EMMA [VLE-Sp] Para entenderlo bien EMMA [VLE-Dt] Um es richtig zu verstehen, [7] .. JUAN [v] H m̌ h m̌ . (Y entonces…). JUAN [ger] Und also… EMMA [nv] Heft)) EMMA [VLE-Sp] necesito leer otra vez lo que, la idea que están plasmando. EMMA [VLE-Dt] muss ich nochmal lesen, was sie/ die Idee, die sie entwickeln. Transkriptauszug 52: Nichtverstehen <?page no="240"?> 240 Abb. 53: EMMA: Verständnissicherung durch Nachlesen EMMA erinnert in Segment 14: „Das war kurz, aber gleichzeitig sagte ich, haha, ich habe nichts verstanden, noch einmal.“ (Fue corto, pero al mismo tiempo dije, jaja, no entendí, otra vez.) Diesen Wunsch nach einem wiederholten Vorlesen artikuliert EMMA jedoch nicht, sondern behilft sich mit der Bitte um RINAs Notizen (s. Abb. 53): „Um es richtig zu verstehen, muss ich nochmal lesen, was sie/ die Idee, die sie entwickeln.“ (Para entenderlo bien necesito leer otra vez lo que/ la idea que están plasmando.) (EMMA VLE G3-3, 01: 32') Währenddessen gehen die übrigen Gruppenmitglieder schon in die diskursive Beurteilung des Vorschlages über (Seg. 14-17). So hält EMMA zwar einerseits das Gespräch nicht durch die Verbalisierung ihres Nichtverstehens auf, sondern behilft sich mit der individuellen Problemlösungsstrategie des leisen Durchlesens. Dadurch versäumt sie jedoch andererseits die Möglichkeit der Mitbestimmung während der sich unmittelbar anschließenden Diskussion. Eine direkte Einflussnahme auf die Entscheidungsaushandlung bleibt ihr somit durch die Parallelhandlung der Verständnisdefizitsbeseitigung verwehrt. EMMAs mentale Beschäftigung mit dem Textentwurf (G3-3, Seg. 14-30) bewirkt die Entwicklung einer Alternativvorstellung der Zusammenfassung des Videos und eine Diskrepanz zur bisherigen Variante, an die sie sich auch im VLE erinnert: „Ich lese die Notiz und bemerke, dass die Idee, die ich von der Zusammenfassung oder der Abmoderation hatte, auf Worte fokussiert war. Ich dachte, dass wir mehr über Statistiken sprechen würden.“ (Estoy leyendo el escrito y me doy cuenta que la idea que yo tenía de hacer el resumen o el hablado final era enfocado a palabras. Yo pensé que ibamos a hablar un poco más de estadísticos.) (G3-3; 02: 12') Auch nach dieser Feststellung bemüht sich EMMA nicht um die verbale Rückkehr zur Gruppenaushandlung, sondern greift zu einer die gewünschte Partizipation vorbereitenden Kompensationsstrategie (EMMA VLE G-3-3, 02: 58'): <?page no="241"?> 241 „Ich habe eine Idee und ich muss sie ins Heft schreiben, um sie meinen Kameraden erklären zu können.“ (Tengo una idea y necesito escribirla en el cuaderno para poderselas comentar a mis compañeros.) Sie macht sich daher Notizen in ihr Heft während das Gespräch ohne ihre Mitwirkung fortgesetzt wird. Nach Beendigung dieser individuellen Parallelhandlung kommentiert sie leise zu ihrem Sitznachbarn JUAN, dem die partizipative Abwesenheit EMMAs nicht entgangen war, ihre Idee auf Spanisch. Er ermutigt sie, diese auch den übrigen Gruppenmitgliedern vorzustellen (Seg. 76-80). [1] 80 [05: 44.3] 81 [05: 47.7] LARA [v] Was auch… A ver… LARA [ger] Also JUAN [v] Explicales. Ándale! JUAN [ger] Erklär es Ihnen. Na los! EMMA [sup] ((lacht)) ((zögerlich)) EMMA [v] Ich meine, dass es ist äh, ähm ein bisschen • • • EMMA [VLE-Sp] Me empecé a frustar EMMA [VLE-Dt] Es begann mich zu [2] .. 82 [05: 59.5] JUAN [v] (()). Ja. EMMA [v] mehr äh mhmhmh/ (Ich) finde es EMMA [VLE-Sp] porque no sabía cómo decirles lo que estaba pensando y menos en alemán. EMMA [VLE-Dt] frustrieren, weil ich nicht wusste, wie ich ihnen sagen sollte, was ich dachte und noch weniger auf Deutsch. [3] .. 83 [06: 03.8] EMMA [v] besser, wenn wir zum Beispiel zeigen: In diesem Interview finden wir, dass EMMA [nv] ((liest)) ((blickt auf)) [4] .. EMMA [v] meistens oder meisten Leute ähm Deutsch lernen, weil sie mochten lalala. <?page no="242"?> 242 [5] 84 [06: 16.2] 85 [06: 19.7] LARA [v] (Studieren) (()). Aha LARA [ger] RINA [v] Hm̌ . EMMA [v] Wie… (Studieren,) lalala. Und noch andere Leute mochten EMMA [nv] ((blickt auf Notiz)) [6] .. 86 [06: 25.7] 87 [06: 27.5] JUAN [v] (()). EMMA [v] (und) die… H m̄ . Wie sagt man das auf Deutsch? ((1,5s)) Okay. Dass • • • EMMA [VLE-Sp] Qué frustrante! EMMA [VLE-Dt] Wie frustrierend! [7] .. EMMA [v] aha Master-Leute und Interes fur deutsche Kultur und • • • noch andere RINA [VLE-Sp] Ahí estaba pensando en que no entendía lo que estaba diciendo, así de: Qué está diciendo? No entiendo su idea. RINA [VLE-Dt] Hier dachte ich, dass ich nicht verstand, was sie sagte, so wie: Was sagt sie? Ich verstehe ihre Idee nicht. [8] .. 88 [06: 36.1] JUAN [v] H m̌ . EMMA [v] Leute, das sagt Liebe und… (An)/ wir sagen das, aber nur das all, wie [9] .. 89 [06: 44.5] 90 [06: 46.8] JUAN [v] A, b, c, d. EMMA [v] eine Liste. Nicht äh alles wie ah die Antworten sind äh Hobby, <?page no="243"?> 243 [10] .. 91 [06: 55.7] LARA [v] Ja, das versteh ich nicht. JUAN [v] (Verständlich? ) Okay. (()). EMMA [v] blablabla… (Nein? ) Aha. EMMA [VLE-Sp] No me están entendiendo nada y yo no sé cómo explicarlo otra vez. EMMA [VLE-Dt] Sie verstehen mich überhaupt nicht und ich weiß nicht, wie ich es nochmal erklären soll. Transkriptauszug 53: Verbalisierungsschwierigkeiten EMMA ergreift schließlich in Segment 81 den Turn, um ihre Idee zu artikulieren. Dabei stößt sie trotz schriftlicher Vorbereitung auf Verbalisierungsschwierigkeiten, erkennbar an den Abbrüchen, stockendem Sprechen, Wortfindungsproblemen, Ellipsen, vorgeschalteten Sprechhandlungsaugmenten (äh, ähm), Paraphrasierungen (blablabla, mhmhmh) etc. Dies führt auf Seiten der Hörerinnen zu Nichtverstehen: „Hier dachte ich, dass ich nicht verstand, was sie sagte, so wie: Was sagt sie? Ich verstehe ihre Idee nicht.“ (RINA VLE , Seg. 87); „Ja, das versteh ich nicht.“ (LARA, Seg. 91) und seitens der Sprecherin zu Frustrationsgefühlen: „Es begann mich zu frustrieren, weil ich nicht wusste, wie ich ihnen sagen sollte, was ich dachte und noch weniger auf Deutsch.“ (EMMA VLE , Seg. 81) „Wie frustrierend! “ (EMMA VLE , Seg. 86) Einerseits bezeugen EMMAs negative Emotionen das wahrgenommene Unvermögen, ihre Idee zu formulieren und werden verstärkt durch die von den Gruppenmitgliedern z. T. geäußerten daraus resultierenden Verstehensprobleme. Schließlich mündet die Sequenz aufgrund der L2-Kompetenzdefizite vorerst in EMMAs Aufgabe des Rederechts und somit auch dieser Mitbestimmungschance (EMMA VLE , Seg. 91): „Sie verstehen mich überhaupt nicht und ich weiß nicht wie ich es nochmal erklären soll.“ Die Umsetzung der Äußerungsabsicht kann im weiteren Verlauf jedoch durch das kollektive Scaffolding sichergestellt werden, sodass EMMA erneut das Rederecht erwirbt, um ihren Vorschlag zu unterbreiten: [1] 113 [07: 48.8] EMMA [v] Ähm. Statt machen wir nur die Liste von die alle unterschiedliche Antworten <?page no="244"?> 244 [2] 114 [07: 57.6] 115 [07: 58.7] LARA [v] Okay. EMMA [v] können wir, wir ähm ((4s)) zum Beispiel meisten [3] .. 116 [08: 08.6] 117 [08: 12.6] EMMA [v] Leute sagt wer oder was. Und noch wenige Leute sagt, die, die nicht hat… [4] 118 [08: 19.9] LARA [v] Ja, also aber nicht so wichtig. EMMA [v] (()). EMMA [nv] ((seufzt)) EMMA [VLE-Sp] Que complicado es tratar de explicarles mi idea en alemán! Wie kompliziert es ist, ihnen meine Idee auf Deutsch zu erklären! Transkriptauszug 54: Verbalisierungsversuch EMMA unternimmt einen zweiten Versuch ihre Idee darzustellen (Seg. 110- 119), durch den sie eine direkte Reaktion von LARA in Form eines Gegenarguments („Aber…“) erfährt. Trotz der erneut erinnerten negativen Emotionen (EMMA VLE , Seg. 118): („Wie kompliziert es ist, ihnen meine Idee auf Deutsch zu erklären! “) verfolgt EMMA ihre Einflussnahmeabsicht kontinuierlich und erreicht dadurch ihre Reintegration in den Entscheidungsaushandlungsdiskurs. Sie lässt sich somit aufgrund der Äußerungshürden nur zwischenzeitlich davon abbringen, ihren Vorschlag ins Gespräch einzubringen, dies gelingt jedoch nur durch die Hilfestellung der Gruppenmitglieder (s. Kapitel 6.2). Letztendlich lässt sich EMMA im weiteren Diskussionsverlauf von den Gegenargumenten LARAs und RINAs gegen ihren Vorschlag überzeugen und stimmt deren Entscheidungsalternative zur Formulierung der Zusammenfassung zu (EMMA VLE , Seg, 157): „Endlich verstehe ich, warum wir nicht das Beispiel nehmen konnten, was ich vorgeschlagen hatte.“ (Finalmente entiendo por qué no podíamos utilizar el ejemplo que estaba dando). Am Fall EMMA ist deutlich zu erkennen, wie sprachliche Einschränkungen die Partizipation am Gruppenentscheidungsdiskurs zeitweise einschränken oder im Extremfall auch ganz verhindern können. Kompetenzdefizite in der L2 führen dazu, dass sich nicht nur der Beteiligungsgrad reduziert, sondern auch eine aktive Mitbestimmung verwehrt bleibt. Sprachlich weniger kompetente Sprechende geben ihre Äußerungsabsichten vergleichsweise schnell auf, artikulieren ihre Ideen oder Argumente nicht oder nur unter großen Mühen nach einer intensi- <?page no="245"?> 245 ven sprachlichen Turn-Vorbereitung, die z. T. durch individuelle Parallelhandlungen vorgenommen wird. Einher gehen damit intensive negative Gefühle der Kompetenzlosigkeit. Je nach den in der Gruppe vertretenen Interaktionsstilen kann in solchen Fällen Partizipation nur durch kollaborative Verständnissicherungstechniken der übrigen Gruppenmitglieder gewährleistet werden (s. Kapitel 6.2). Andernfalls wird mangelnde Sprachkompetenz zum exkludierenden Legitimationsmerkmal für den Entscheidungsdiskurs. 5.5.3 Subtyp 2: legitimationsbedingte Nicht-Partizipation: der Fall NERO Einen weiteren Subtyp der kooperativen Nicht-Partizipation stellt die unfreiwillige, legitimationsbedingte Nicht-Partizipation dar. Hierbei wirken sich der Faktor der Delegitimierung und die daraus resultierende interaktionale Exklusion so auf den Entscheidungsdiskurs aus, dass einem Gruppenmitglied von den übrigen Teilnehmenden keine Entscheidungsmacht zugesprochen wird. Das Recht der Mitbestimmung wird durch Dritte gegenüber einem Individuum entzogen. Somit kann die davon betroffene Person keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Entscheidungsfindung ausüben und nimmt unfreiwillig eine Beobachterrolle ein. Die Partizipationsanalyse ergab, dass zwei Personen (NERO, FABIO) diesem Subtyp zuzuordnen sind. Als Extrembeispiel wird im Folgenden der Fall NERO vorgestellt, welcher als Mitglied der dreiköpfigen Gruppe 1 (LULO, INES, NERO) besonders durch seine mehrfache Abwesenheit bei wichtigen Projektterminen (z. B. Videodreh) gekennzeichnet ist. NERO verfügt über eine vergleichsweise hohe Sprachkompetenz. Der folgende exemplarische Transkriptauszug stellt einen Teil der Gruppenaushandlung zum Entscheidungsgegenstand „Filmtitel“ dar. [1] 50 [02: 22.2] 51 [02: 27.0] NERO [v] „Vuelve a la vida“ oder „Levantamuertos“ oder etwas Ähnliches. NERO [ger] Wiederauferstehen Totewecken LULO [v] Ah, ja, aber das ist [2] .. LULO [v] wie ((2s)) wie d/ wie INES ((1s)) eine ((2s)) Como si fuera una bruja. LULO [ger] Als wäre sie eine Hexe. LULO [VLE-Sp] Äh, el título LULO [VLE-Dt] Äh der Titel, <?page no="246"?> 246 [3] .. LULO [VLE-Sp] que sugiere NERO, aquí me da pensar que la idea de que la protagonista en el video es una bruja que levanta muertos. Y entonces ya no tendría gracia que estuviera muerto el tipo, sería algo así como, como cuando Mickey Mouse hace que la escoba limpie todo el laboratorio en aprendiz de brujo, una cosa así. LULO [VLE-Dt] den NERO vorschlägt, bringt mich hier auf den Gedanken, dass das Video von einer Hexe handelt, die Tote wiederauferstehen lässt. Und also, das wäre dann nicht mehr lustig, wenn der Typ tot wäre, das wäre so etwas wie, wie wenn Mickey Mouse beim Zauberlehrling den Besen dazu bringt, das ganze Labor zu fegen, oder so etwas. [4] 52 [02: 39.3] 53 [02: 42.4] 54 [02: 43.5] NERO [v] Deine Rolle ist? H m̄ . LULO [v] ((3s)) Deine Rolle ist die Gästgeber in einer Party/ ähm [5] .. 55 [02: 48.1] LULO [v] nach einer Party. Aber das könnte verstehen wie, dass INES ist ein/ eine… [6] 56 [02: 53.4] 57 [02: 54.5] 58 [02: 55.8] 59 [02: 58.6] INES [v] Morderin. Möderin? Oder bruja? Bitch? Ich weiß nicht auf INES [ger] Hexe. Hexe LULO [v] (Mörder.) Una bruja. Bitch oder (()). LULO [ger] Eine Hexe. Hexe. [7] .. 60 [03: 00.9] INES [v] Deutsch. LULO [v] Und äh der/ das Person ist ja komplett tot ((1s)) und äh es ist wie eine [8] .. 61 [03: 12.0] 62 [03: 14.0] NERO [v] ((1s) H m̄ . ((5s)) LULO [v] Walt Disney-Film. NERO [VLE-Sp] Bueno, ahí prácticamente ya le habían cambiado un NERO [VLE-Dt] Gut, hier hatten sie praktisch schon ein bisschen das <?page no="247"?> 247 [9] .. NERO [VLE-Sp] poco al tema y querían hacer una especie de / buscar un título que tuviera que ver como la brujería o la magia, digo, lo que estaba proponiendo un poco INES. Entonces yo me puse como a pensar, no, qué título, qué palabra podría entrar ahí en esta dinámica. NERO [VLE-Dt] Thema verändert und wollte eine Art / einen Titel suchen, der mit Hexerei oder Magie zu tun hat, ich meine, das war das, was INES so ein bisschen vorschlug. Also fing ich an darüber nachzudenken, welchen Titel oder welches Wort in diese Dynamik passen würde. Transkriptauszug 55: Mental wahrgenommene Einflusslosigkeit NERO schlägt in Segment 50 zwei mögliche Filmtitel vor. Diese werden von LULO mit einem Gegenargument abgelehnt (Seg. 51) und mit einer zusätzlichen verständnissichernden Erklärung versehen (54-60). NEROs retrospektive Erinnerungen zu dieser Gesprächssequenz belegen seine Selbstwahrnehmung als weniger einflussreiches und den Entscheidungen der Anderen ausgesetztes Gruppenmitglied (NERO VLE G1-1, Seg. 62) : „Gut, hier hatten sie praktisch schon ein bisschen das Thema verändert und wollten eine Art/ einen Titel suchen, der mit Hexerei oder Magie zu tun hat, ich meine, das war das, was INES so ein bisschen vorschlug. Also fing ich an darüber nachzudenken, welchen Titel oder welches Wort in diese Dynamik passen würde.“ Daran, wie NERO über seine Erinnerung berichtet, indem er eine Distanzierung durch die Nutzung der 3. Person Plural („sie“) beim Verweis auf die Gruppenmitglieder herstellt, zeigt er, dass er sich nicht als aktiven Teilhaber der Teilentscheidung der Themenveränderung in Richtung Magie und Hexerei wahrnimmt, sondern diese vielmehr als bereits ohne ihn getroffen registriert und akzeptiert. An seiner zweiten Äußerung wird ersichtlich, dass er das Ziel der Aushandlung nach wie vor teilt und seine Kognitionen auf die Titelfindung fokussiert, doch bei kleineren Teilentscheidungen bleibt seine Einflussnahme, so wie er sie nachträglich erinnert, aus. Direkt im Anschluss an diese Sequenz widmet sich die Teilnehmerin INES in Eigenregie einem anderen Entscheidungsgegenstand und der dazugehörigen Handlung - der Fehlerbeseitigung im Videoschnitt. Dadurch verlässt sie den Gruppenentscheidungsdiskurs und wendet sich einer individuellen Parallelhandlung zu („Wir mussen checken, ob es ist/ es Fehler gibt.“ INES VLE G1-1, 03: 51'). <?page no="248"?> 248 [1] 100 [06: 16.0] 101 [06: 17.9] INES [v] Ich habe ein paar Fehler gefunden. [k] ((Video läuft.)) NERO [VLE-Sp] Bueno, ahí la verdad no entendía que estaba haciendo NERO [VLE-Dt] Gut hier verstand ich wirklich nicht, was INES INES [VLE-Sp] Recordé que tenía que editar los errores, los INES [VLE-Dt] Ich erinnerte, dass ich die Fehler editieren [2] .. NERO [VLE-Sp] INES porque le estaba corrigiendo algo. Estaba como tratando de entender qué le quería quitar o poner. NERO [VLE-Dt] machte, weil sie etwas korrigierte. Ich versuchte zu verstehen, was sie entfernen oder hinzufügen wollte. INES [VLE-Sp] pequeños errores que había encontrado en la última vista y estaba un poco más concentrada en esos errores que en buscar el título. INES [VLE-Dt] musste, die kleinen Fehler, die ich bei der letzten Sichtung gefunden hatte und ich war ein bisschen konzentrierter auf diese Fehler als darauf, einen Titel zu suchen. [3] 102 [06: 46.9] 103 [06: 48.6] 104 [07: 05.1] INES [v] (Vielleicht das hier.) Weil es ist das Blutige (()). KOMM [v] ((Video läuft. INES schneidet.)) [4] 105 [07: 07.8] KOMM [k] ((Video läuft. INES schneidet.)) NERO [VLE-Sp] Bueno, ahí seguía sin entender todavía. 10: 57: Seguía sin entender. NERO [VLE-Dt] Gut, hier verstehe ich immer noch nichts. 10: 57: Verstehe weiterhin nichts. INES [VLE-Sp] Pienso que tengo que sincronizar exactamente las imágenes con lo que se está diciendo y aunque / estoy más concentrada en la sincronización. INES [VLE-Dt] Ich denke, dass ich die Bilder exakt mit dem angleichen muss, was gesagt wird und obwohl/ ich bin mehr auf die Synchronisation konzentriert. Transkriptauszug 56: Exklusion durch Wissensdefizit Da nicht alle drei Personen am Schnitt beteiligt sind, entsteht eine Wissensdiskrepanz zwischen INES, LULO und NERO, sodass letztendlich NERO durch <?page no="249"?> 249 INES’ exkludierendes Interaktionsverhalten von der Partizipation ausgeschlossen ist, was er auch retrospektiv bestätigt (NERO VLE , Seg. 102): „Gut, hier verstand ich wirklich nicht, was INES machte, weil sie etwas korrigierte. Ich versuchte zu verstehen, was sie entfernen oder hinzufügen wollte.“ Diese durch die kompetenzbedingte Arbeitsteilung entstandene Exklusion setzt sich über die gesamte Parallelhandlung fort und NERO erinnert mehrfach sein durch seine Dekontextualisierung ausgelöstes Nichtverstehen: „Gut, hier hatte ich immer noch nichts verstanden.“ (07: 50'); „Verstand immer noch nichts.“ (10: 57'). Im weiteren Verlauf des Videoschnitts von INES versucht NERO wiederholt am Geschehen zu partizipieren, stößt dabei aber auf geringe Resonanz seitens seiner Teamkollegen. Beispielsweise äußert er zu LULOs Schauspielweise im Video: „Das ist gut. Aber deine Reaktion war dann nicht naturell.“ (Seg. 152- 153), worauf LULO ihm entgegnet: „Ich bin kein Schauspieler.“ (Seg. 155). Zu diesem Kommentar erinnert INES im VLE (Seg. 155): „Ich dachte, dass NERO noch nicht das Recht zum Kritisieren hatte. Dass die Reaktion von LULO ein bisschen/ er kritisierte das Schauspiel/ nein also/ meine Reaktion/ ich dachte, dass er noch nicht das Recht hatte zu kritisieren, weil er nicht dabei war.“ (Pensé que NERO no tenía el derecho todavía de criticar. Que la reacción de LULO era un poco / estaba criticando la actuación / no este / mi reacción / pensé que como no tenía derecho a criticar todavía que no estuvo presente.) Abb. 54: Interaktionskonstellation Gruppe (G1-1, 9: 00') Auch an späterer Stelle im Gespräch erinnert INES ähnliche Gedanken (INES V- LE G1-1, Seg. 256): LULO NERO INES LULO NERO INES <?page no="250"?> 250 „Ehrlich gesagt interessierte mich nicht, was NERO sagte, also dachte ich, es wäre besser Schlüsselwörter im Text zu suchen, um einen Titel zu finden, der uns einfiel.“ (La verdad es que no me interesaba lo que estaba diciendo Leo, entonces pensé que era mejor buscar algunas palabras claves en el texto para encontrar algún título que se nos ocurriera.) An beiden Beispielen wird die abwesenheitsbedingte Delegitimierung von NE- RO durch INES ersichtlich. Aus ihrer Perspektive steht ihm durch sein Fehlen bei den Dreharbeiten kein Recht zur (kritischen) Meinungsäußerung zu. Darüber hinaus bestätigt das exkludierende Verhalten INES’ (z. B. geringe oder keine Reaktion auf seine Äußerungen oder Fragen, Blickkontakt vornehmlich mit LULO), dass sie wenig Interesse an der Integration von NERO in den diesbezüglichen Entscheidungsprozess besitzt. Die z. T. subtilen interaktionalen Signale der Exklusion werden dennoch von NERO wahrgenommen, sodass er letztendlich die ihm dadurch verbleibende Beobachterposition einnimmt. Verdeutlicht wird dies in einer seiner Erinnerungen zum Entscheidungsgegenstand „Evaluationskriterien“ (NERO VLE G1-2, Seg. 103): „Gut, ehrlich gesagt, das, was ich wollte, war so wie zwischen beiden vermitteln, weil das Ding war, dass die beiden die Evaluationskriterien erstellen wollten und gut, ich vermittelte da eher, um zu sehen, was beide sagten.“ (Bueno, la verdad yo lo que quería hacer era como que mediar entre ambos porque como que la onda estaba en que ellos dos querían establecer los criterios de evaluación y bueno, yo no más estaba como mediando ahí a ver qué decían ambos.) Er beschreibt seine Rolle hier als die eines Mediators, welche eine gewisse Außenseiter- und Beobachterstellung verdeutlicht. NERO nimmt hin, dass er keine aktive Teilhabemöglichkeit an der Entscheidungsfindung innehat („… dass die beiden die Evaluationskriterien erstellen wollten“) und sucht sich eine Rolle, die ihm zumindest eine periphäre, aber entscheidungsirrelevante Partizipation ermöglicht. Als Resümee kann für den Fall NERO festgehalten werden, dass die unfreiwillige, legitimationsbedingte Nicht-Partizipation ursächlich an Faktoren im (Projekt-)Arbeitsgeschehen verankert ist, die Wissensunterschiede hervorrufen. Die Wissensunterschiede führen zu einer Dekontextualisierung und zu Verständnisschwierigkeiten, die je nach Gruppeninteraktionsstil aufgelöst werden, also Partizipation ermöglichen (s. Fall EMMA, Kapitel 5.5.1) oder nicht aufgelöst werden und dadurch in Nicht-Partizipation münden. Die Nicht- Legitimation zur Mitbestimmung erfährt das Individuum durch andere Gruppenmitglieder, sie wird v. a. durch ein exkludierendes, nicht-kollaboratives Interaktionsverhalten ersichtlich, z. B. im Ausbleiben von Blickkontakt oder ausbleibenden (non)verbalen Reaktionen auf Äußerungen (und auch Fragen) des delegitimierten Gruppenmitgliedes. Somit wird dieser Person die Entscheidungsmacht entzogen und die Einflussnahme auf den Gruppendiskurs unterbunden. Vertreter dieses Typs behelfen sich meist mit der Einnahme eines In- <?page no="251"?> 251 teraktionsstils der passiven Kollaboration, z. B. in der Rolle des Beobachters oder Vermittlers. 5.6 Zusammenfassung und Diskussion Im Mittelpunkt des fünften Kapitels stand die Partizipationsanalyse, welche Gruppenautonomiepotenziale mittels der Untersuchung von Mitbestimmung, d. h. der Einflussnahme auf den Entscheidungsdiskurs bei geteilter Gruppenzielorientierung, erfasst. Dadurch wird der Aspekt der Kollaborativität, der eine entscheidende Merkmalsdimension von Interaktionsstilen im Gruppendiskurs darstellt, um die Konzepte der Partizipation (Ellis 1994: 592-595; Lave & Wenger 1991) und der Kooperation (Fiehler 1978, Rehbein 1977) innerhalb von Gruppeninteraktionssettings erweitert. Fruchtbar erwies sich dabei die Eingrenzung des Partizipationskonzeptes innerhalb von Gruppeninteraktionsprozessen auf den analytisch rekonstruierbaren Faktor Mitbestimmung/ -entscheidung, welcher zugleich über das von Schwab (2009) und Diegritz & Rosenbusch (1977) vorgeschlagene Verständnis von Partizipation als quantifizierbarem Beteiligungsgrad während des Interaktionsgeschehens hinausgeht und vielmehr den analytischen Blick auf die diskursiven Einflussnahmepotenziale richtet. Die verschränkte Auswertung der VLE- und der Gruppeninteraktionsdaten führte zur Herausbildung von drei Partizipationstypen: kooperative Partizipation, nicht-kooperative Partizipation und kooperative Nicht-Partizipation. Kooperative Partizipation prägt bei mental gegebener Gruppen(teil-)zielorientierung und Handlungsplanbildung die diskursive Einflussnahme auf den Entscheidungsaushandlungsprozess und damit letztendlich auch auf das Entscheidungsresultat. Sie zeigt sich auf der Metaebene in zusammenfassend-wiederholenden Diskurssteuerungshandlungen und auf Entscheidungsebene durch das Vorschlagen, die Entwicklung und Bearbeitung von Entscheidungsalternativen, durch das Bewerten und Begründen bzw. Erklären von Entscheidungsoptionen sowie der Beteiligung an Entscheidungshandlungen. Konträr zur kooperativen birgt die nicht-kooperative Partizipation das Charakteristikum der mental verankerten ausbleibenden Gruppen(teil-)zielorientierung, welche durch eine Hinwendung zu individuellen (Teil-)Zielen ersetzt werden kann sowie eine Irrelevantsetzung einzelner Entscheidungsgegenstände beinhaltet. Interaktiv dominieren dabei die negative Bewertung von Entscheidungsoptionen und ausbleibende oder unrealistische eigene Vorschläge sowie die Delegitimierung anderer Gruppenmitglieder. Diese Art der Partizipation führt, besonders, wenn sie an den Interaktionsstil der nicht-kollaborativen Dominanz geknüpft ist, zur Verzögerung oder Verhinderung von Gruppenentscheidungen. Der dritte Typ - die kooperative Nicht-Partizipation - zeigt prinzipiell keine oder nur eine sehr geringe Einflussnahme auf die Entscheidungsinteraktion, wobei dennoch eine geteilte Gruppen(teil-)zielorientierung vorliegt. Als essentiell stellte sich hierbei zur Ausdiffe- <?page no="252"?> 252 renzierung in einen Mischtyp und zwei Subtypen die Frage nach der Selbst- oder Fremdbestimmtheit der Nicht-Partizipation heraus. Eine freiwillige Nicht- Partizipation mündet im Mischtyp der selektiven Partizipation. Die unfreiwillige Nicht-Partizipation führt zum Entstehen der Subtypen der sprachkompetenzbedingten und der legitimationsbedingten Nicht-Partizipation. Der erstgenannte Typ, die Mischform aus Partizipation und Nicht-Partizipation bildet sich heraus, wenn Gruppenteilnehmende durch selektive, gezielte Aufmerksamkeitssteuerung individuelle und Gruppenteilziele parallel verfolgen und die Einflussnahme auf den Entscheidungsdiskurs gezielt dosiert wird, um in später folgenden Gesprächsphasen eine eher abwartende Haltung einzunehmen. Unfreiwillige Nicht- Partizipation, die durch Dritte verursacht wird, geht mit diskursiver Delegitimierung einher und mündet in eine Exklusion im Entscheidungsfindungsprozess. Ursachen können in vorangegangener Abwesenheit im Gruppenarbeitsprozess sowie in Wissens- und Kompetenzunterschieden liegen. Letztere führen, wenn sie sich nur auf die L2-Beherrschung beziehen, zur kompetenzbedingten Nicht- Partizipation, dem zweiten Subtyp der Nicht-Partizipation. Dabei erfolgt die aktive Mitbestimmung sprachbedingt nur erschwert oder gar nicht und kann als Form der Peripherität in eine zukünftige Partizipation münden. Als weiteres Resultat der Partizipationsanalyse stellte sich ein enger Zusammenhang zwischen Interaktion (s. Kapitel 4) und Partizipation heraus. Dabei ist das Wechselverhältnis nicht als reziprokes (ein Stil führt zu einem Typ, ein Typ führt zu einem Stil), sondern als kausales Bedingungsgefüge zu verstehen (wenn ein Stil, dann ein bestimmter Typ). Gruppenteilnehmende können zwar interagieren ohne zu partizipieren, aber nicht umgekehrt, da eine ausbleibende Interaktion jegliche Einflussnahmemöglichkeit ausschließt. Somit stellt der eingenommene Interaktionsstil die diskursive Umsetzungsform eines Partizipationstyps dar. Interaktionale (Nicht-)Kollaboration kann sich entweder in einer kooperativen oder auch nicht-kooperativen Einflussnahme auf den Entscheidungsdiskurs auswirken und dadurch Gruppenentscheidungen herbeiführen oder verhindern. Die Untersuchungsergebnisse des Kapitels 5.5 bestätigen weiterhin Forschungsresultate zur Nicht-Partizipation, welche in ihrer Ausprägung als Exklusion oder Subordination ihren Ursprung v. a. in ungleichen Machtverhältnissen zwischen kompetenteren und weniger kompetenten Sprechenden finden (Toohey & Day: 1999; Toohey & Norton: 2003). Die Erkenntnisse Hobbs (2012) zur Auswirkung von Hierarchie- und Statusunterschieden auf die Entscheidungsmacht, hervorgerufen durch Alter, Geschlecht, Erfahrung oder Expertise, stimmen für die letztgenannten zwei Kriterien direkt mit dem Analyseergebnis des kompetenzbedingten Subtyps der Nicht-Partizipation überein. Zusammenhänge mit den übrigen genannten Einflussfaktoren können eher indirekt aufgezeigt werden, standen jedoch als isoliert betrachtete Merkmale nicht im Zentrum der Untersuchung. <?page no="253"?> 253 Die analytische Berücksichtigung des Faktors der Selbstbestimmtheit vs. Fremdbestimmtheit von (Nicht-)Partizipation soll an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden, da er als Erweiterung zu den von Norton (2001) beschriebenen „acts of resistance“ in Sinne einer totalen (nichtkooperativen) Nicht-Partizipation innerhalb eines Gruppeninteraktionssettings - alternativ zum endgültigen Fernbleiben vom Kurs - die Ausdifferenzierung in selektive und kooperative Nicht-Partizipation erfährt. Lernende wählen also innerhalb von institutionalisierten Gruppenlernprozessen weitere, weniger radikale (Nicht-)Partizipationsmöglichkeiten, die ein weniger (inter-)aktionales Engagement zulassen, ohne dass ihre grundsätzliche Projektteilnahme in Frage gestellt ist. <?page no="255"?> 255 6 Diskursive Verankerung von Autonomiepotenzialen in Gruppenentscheidungen 6.1 Interaktionsstil - Partizipationstyp - Gruppenautonomie Auf Grundlage der analytischen Vorarbeiten in Kapitel 4 und 5 wird in den anschließenden Ausführungen die Wechselbeziehung von Interaktionsstil und Partizipationstyp im Hinblick auf den Entscheidungsdiskursverlauf und der Verankerung von Potenzialen der Gruppenautonomie dargestellt. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: − Wie wird Mitbestimmung diskursiv ermöglicht bzw. verhindert? − Welche Rolle nimmt dabei das Zusammenspiel von Interaktionsstil und Partizipationstyp ein? − Wie wird Mitbestimmung individuell wahrgenommen? − In welchem Verhältnis stehen Einzelentscheidungen und Gruppenentscheidungen? − Welche Schlüsse lassen sich daraus für die Entfaltung von Gruppenautonomie vs. personaler Autonomie ziehen? Mittels dieser Fragen wird die Verbindung zu folgenden Vorannahmen hergestellt: − soziale Autonomie entfaltet sich durch Mitbestimmung, − es existiert in der Gruppenentscheidungsinteraktion auch Fremd- und Selbstbestimmung, d. h. personale Autonomie, − personale Autonomie entfaltet sich mittels nichtkollaborativ und nichtkooperativ getroffener Individualentscheidungen, − Gruppenautonomie wird wirksam durch Konsensentscheidungen und die dabei verwirklichte Mitbestimmung aller Gruppenmitglieder. 6.2 Einer für alle - alle für einen: konvergenter Diskurs durch Kollaboration und Partizipation in Gruppe 3 Gruppe 3 stellt den Fall dar, in dem Entscheidungen hauptsächlich mittels konvergenter Diskursmuster hervorgebracht werden. Die Konvergenz wird durch eine positive Bewertungsdrift (Grießhaber, Kapitel 2.3.4), Konsenstechniken zur <?page no="256"?> 256 Entscheidungsfindung, mehrheitlich kollaborative Interaktionsstile und kooperative Partizipation erzeugt. Exemplarisch soll dies am sprachhandlungs(muster)bezogenen Verlauf einer durch die Konsensfindungstechnik „Abstimmung“ ausgehandelten Gruppenentscheidungsepisode zum Gegenstand „Videothema“ verdeutlicht werden: Legende der Codes: Problemstellung (P) Wiederholung Problemstellung (W(P)) Vorschlag (V(P)) Wiederholung Vorschlag (W(V)) Vorschlagsmodifikation (Va(P)) Zustimmung (Z(V)) Erklärung (E) Begründung (B) Gegenargument (GA) Entscheidungshandlung (Abstimmung, Übereinstimmung, Ratifizierung) (EH) Entscheidungsepisode „Filmthema“ (G3-1a, 00: 28'-15: 10') 1 P1 „Was möchten wir machen? “ (LARA) ↓ 2 V1(P1) etwas Fiktionales (RINA) ↓ 3 V2(P1) D i a d e m u e r t o s (Totentag) (SONJA) ↓ 4 Z (JUAN, RINA) ↓ 5 V2a(P1) Konkretisierung Drehort - Panteón de Belén (RINA) ↓ 6 Z (V2a) (EMMA, LARA, JUAN) ↓ 7 E (Erklärung) (RINA) <?page no="257"?> 257 ↓ 8 GA1 Licht (JUAN) ↓ 9 V2b (P1) Modifikation: Geschichte schreiben (EMMA) ↓ 10 V2c (P1) Modifikation: Dokumentation (JUAN) ↓ 11 B (Begründung) (JUAN) ↓ 12 W(V) Wiederholung V2a (EMMA) ↓ 13 GA 1 (V2c) Zeit (LARA) ↓ 14 W(P) Wiederholung P1 (SONJA) ↓ 15 V2d (P1) Modifikation: Umfrage zu Totentag (LARA) ↓ 16 B (Begründung) (LARA) ↓ 17 Z (V2d) (JUAN) ↓ 18 B (Begründung) (LARA) ↓ 19 GA (V2d) (SONJA) ↓ 20 V2e (P1) Modifikation: Umfrage zu Bedeutungen der Totentagsgegenstände (SONJA) ↓ 21 Z (V2d) (JUAN, EMMA, LARA, RINA) ↓ 22 W(V) Wiederholung V2d: Doku+Interview (RINA, LARA) ↓ <?page no="258"?> 258 SUBPROBLEM P1a: Interviewsprache (LARA) V1 (P1a): Deutsch (JUAN) V2 (P1a): kein Interview (SONJA) Erklärung/ Information (JUAN) V2(P1a): Modifikation zu V1(P1a): alles erklären (SON- JA) V3(P1a): Modifikation zu V1(P1a): nur B2-Gruppe fragen (RINA, JUAN) - Entscheidung? ↓ 23 V3 (P1) Hunde (JUAN) ↓ 24 GA (V3) (LARA) ↓ 25 E (Erklärung) (LARA) ↓ 26 GAb (V3) (LARA) ↓ 27 V4 (P1) eine Frage stellen (LARA) ↓ 28 E (LARA) ↓ 29 GA (V4) Deutschkenntnisse (JUAN) ↓ SUBPROBLEM P1a: Wiederholung - Interviewsprache (SONJA) Erklärung (LEHRERIN) V4 (P1a): Erzähler (JUAN) Erklärung (JUAN) P1b - Welche Geschichte erzählen? (JUAN) V1 (P1b): Chilaquiles (JUAN) ↓ 30 V4a (P1) Konkretisierung: Warum kommst du zum Deutschkurs? (LARA) ↓ 31 B (a) (LARA) ↓ 32 B (b) (LARA) ↓ <?page no="259"?> 259 33 Z (V4a) (JUAN) % 34 EH Abstimmung + Auswahl % 35 EH Übereinstimmung = Entscheidung % 36 EH Ratifizierung Abb. 55: Flussdiagramm 1 Entscheidungsepisode 10 (Videothema) Die Entscheidungsaushandlung erstreckt sich über 36 Handlungsschritte, welche sich, ausgehend von der Formulierung einer Problemstellung (P), aus einer Abfolge von Vorschlägen, Konkretisierungen und Modifikationen, Erklärungen, Begründungen, Gegenargumenten und Zustimmungen sowie der Aushandlung von aus der Hauptfragestellung resultierenden Subproblemen zusammensetzt. Die Entscheidungshandlung als konkreter Entscheidungsmoment ist in der Abstimmung über die Entscheidungsoptionen und der Auswahl einer Alternative in den Schritten 33-35 verankert und soll im folgenden Transkript detaillierter dargestellt werden: Abb. 56: Gruppensituation Gruppe 3 (G3-1a; 13: 20') <?page no="260"?> 260 [1] 192 [13: 20.0] 193 [13: 24.1] LARA [v] Warum lernen die junge Leute oder nicht so junge Leute Deutsch? SONJA [nv] ((blickt nach unten)) EMMA [v] Ja, warum man • • • Deutsch [2] .. 194 [13: 27.7] LARA [v] Ja, das… Ja, ich glaube viele von diese Leute haben Träume. SONJA [nv] ((blickt zu LARA)) EMMA [v] lernen möchte. [3] 195 [13: 35.9] 196 [13: 38.9] LARA [v] Sie möchten etwas (viel) gut machen. Oder (viel) anders als die ganze Generation JUAN [v] H m̌ . JUAN [nv] ((nickt)) SONJA [v] (()). [4] .. 197 [13: 45.1] LARA [v] machen. Ja. Besonders wenn du weißt, die junge Leute haben nicht so JUAN [v] H m̌ . [5] .. 198 [13: 49.9] LARA [v] viele Ziele heutzutage. Sie sind langsam und faul. JUAN [v] H m̌ h m̌ . JUAN [nv] ((nickt)) RINA [sup] ((lächelt)) [6] 199 [13: 53.2] 200 [13: 55.2] LARA [v] Aber… Ja, aber ich seh so viele junge Leute hier und das ist etwas JUAN [nv] ((nickt)) RINA [v] Sie möchten nix machen. <?page no="261"?> 261 [7] .. 201 [14: 00.0] 202 [14: 02.2] LARA [v] interessant für mich. Glaube ich. Das ist einfach. Wir haben die JUAN [v] Ich denke auch. JUAN [nv] ((nickt)) ((nickt)) [8] .. 203 [14: 07.6] LARA [sup] ((lacht)) LARA [v] Schauspieler hier. Ja, warum nicht? • Magst du das? LARA [nv] ((blickt zu SONJA)) ((blickt zu JUAN)) JUAN [v] Okay. JUAN [nv] ((nickt)) SONJA [v] Ja, das • das mag ich. SONJA [nv] ((blickt zu LARA)) ((blickt zu JUAN) LARA [VLE - Sp] Aquí empecé a tranquilizarme LARA [VLE - Dt] Hier begann ich mich zu beruhigen, [9] .. LARA [VLE - Sp] porque vi que mi idea les había gustado y que quizás ya no tendríamos que seguir buscando por la idea central de nuestra película. LARA [VLE - Dt] weil ich sah, dass ihnen meine Idee gefallen hatte und dass wir vielleicht nicht mehr nach der Hauptidee unseres Films suchen mussten. [10] 204 [14: 12.1] LARA [v] Weil du hast ein Ziel. Du hast (()). Du hast (()). So. LARA [nv] ((zeigt auf SONJA, EMMA, RINA)) JUAN [nv] ((nickt)) [11] 205 [14: 17.1] LARA [v] Wir sind nur eine kleine, eine kleine Gruppe und es gibt fünf verschiedene Ziele. JUAN [v] (()). <?page no="262"?> 262 [12] 206 [14: 23.7] LARA [v] JUAN [v] Ja. So… Si, si, si das passt mich auch gut (()). JUAN [ger] Ja, ja, ja RINA [v] Ja. (Interessant). [13] 207 [14: 29.0] 208 [14: 30.9] LARA [v] Ja? Glaubst du? JUAN [v] Ja. (Ich finds eine gute Idee). Noch andre Idee? JUAN [nv] ((nickt)) LARA [VLE - Sp] Pensé: qué bueno, LARA [VLE - Dt] Ich dachte: wie [14] .. 209 [14: 34.5] 210 [14: 38.0] JUAN [v] Wir haben vielleicht zwei? Dia de JUAN [ger] Totentag RINA [v] Ja, wir haben LARA [VLE - Sp] JUAN está de acuerdo conmigo! LARA [VLE - Dt] gut, JUAN ist einverstanden! [15] .. 211 [14: 41.2] 212 [14: 42.9] LARA [v] H m̌ h m̌ . JUAN [v] muertos, (()). Ein Ziel für Deutsch. Ähm, eine dritte Option? RINA [v] dia de muertos und… RINA [ger] Totentag <?page no="263"?> 263 [16] 213[14: 46.6] 214 [14: 50.7] 215 [14: 53.2] LARA [v] Nein. (weiß nicht.) Die dritte LARA [nv] ((leise)) EMMA [v] ((3s)). H m̄ . LARA [VLE - Sp] Pensé: qué bueno, mi idea sigue adelante. LARA [VLE - Dt] Ich dachte: Wie gut, meine Idee kommt voran. SONJA [VLE - Sp] Ahí SONJA [VLE - Dt] Hier [17] .. LARA [v] Option, das ist zu viel für mich. LARA [VLE - Sp] Bien! LARA [VLE - Dt] Gut! SONJA [VLE - Sp] estoy pensando: me gustaría hablar de Frida Kahlo porque es mitad alemana, mitad mexicana y estaría padre que alguien se disfrazará de Frida Kahlo y actuara como Frida Kahlo y contáramos su historia. Pero también pensaba que era mucho trabajo y que mejor no. Y estaba viendo el cuadro de Frida Kahlo por eso. SONJA [VLE - Dt] denke ich gerade: Ich würde gern von Frida Kahlo sprechen, weil die halb Deutsche halb Mexikanerin ist und es wäre toll, wenn sich jemand als Frida Kahlo verkleiden und Frida Kahlo spielen und wir ihre Geschichte erzählen würden. Aber ich dachte auch, dass es viel Arbeit wäre und besser nicht. Und deshalb schaute ich das Bild von Frida Kahlo an. [18] .. 216 [14: 56.4] JUAN [v] Zwei Optionen? Aha. RINA [v] Ja, ich glaube zwei Optionen sind (gut). LARA [VLE - Sp] También RINA estaba de acuerdo. LARA [VLE - Dt] Auch RINA war einverstanden. [19] 217 [14: 59.9] JUAN [v] Welche? RINA [VLE - Sp] Ahí pensé que estab/ ähm que ya con dos opciones/ tener dos opciones que me parecían RINA [VLE - Dt] Hier dachte ich dass/ ähm genug mit zwei Optionen/ zwei Optionen zu haben, die mir <?page no="264"?> 264 [20] .. LARA [VLE Sp] Okay, los cinco estabamos de acuerdo. Eso era bueno. LARA [VLE - Dt] Okay, wir fünf waren einverstanden. Das war gut. RINA [VLE - Sp] muy buenas ideas era suficiente y, y estaba pensando que/ que äh nos estábamos complicando demasiado. Pues si ibamos a seguir buscando más ideas al final ibamos a decidir qué elegir. No sé, pensé que iba a ser muy difícil la elección que ibamos a tener. Äh me parecía que dos opciones eran suficientes, sino que si de por sí soy una persona indecisa, al tener muchas opciones como que me estresaba un poco, si. RINA [VLE - Dt] sehr gute Ideen erschienen, war genug und, und ich dachte, dass, dass äh wir es verkomplizierten. Also wenn wir weitere Ideen suchen würden, müssten wir am Ende entscheiden, welche wir auswählen. Ich weiß nicht, ich dachte, dass die Auswahl sehr schwer sein würde. Äh mir erschienen zwei Optionen genug, auch weil ich an sich eine unentschlossene Person bin. Viele Optionen zu haben stresste mich ein bisschen, ja. [21] 218 [15: 01.0] JUAN [v] Okay. JUAN [nv] ((nickt)) SONJA [v] Dann würd ich diese lieber machen. Diese Interview. SONJA [nv] ((zeigt auf LARA)) EMMA [v] Ja, ich auch. EMMA [nv] ((nickt)) [22] 219 [15: 05.6] 220 [15: 10.6] LARA [v] Am Ende können wir eine… Ja. JUAN [v] Du auch? Ja? Okay. JUAN [nv] ((blickt zu EMMA)) RINA [v] Und es ist einfach. EMMA [v] Ja, das ist… Und interessant. EMMA [nv] ((nickt)) <?page no="265"?> 265 [23] 221 [15: 13.2] LARA [v] Am, am Ende könnten wir wie eine Zusammenfassung geben für unsere Leute und äh… EMMA [v] Ja. (Zusammenfassung). Transkriptauszug 57: Entscheidung Videothema Während LARA in den Segmenten 192-200 eine weitere Begründung im Sinne des Vorschlags V4a („Umfrage für Deutschlerngründe“) darlegt, geben die meisten Gruppenmitglieder ihrer positiven Bewertung und Zustimmung zu dieser Entscheidungsalternative Ausdruck: EMMA in Seg. 193, indem sie die Entscheidungsoption bejahend wiederholt, LARA in Seg. 200, nachdem sie weitere Erklärungen zu Hintergründen und zur Geeignetheit des Themas abgegeben hat, JUAN in Seg. 201 und durch wiederholtes Nicken während der vorangegangenen Äußerungen sowie SONJA in Seg. 203. LARA wendet sich zusätzlich mit einer Entscheidungsfrage zum Gefallen der Entscheidungsalternative direkt an JUAN (Seg. 203). Dieser bestätigt erneut und überlappend mit RINA seine Zustimmung und wiederholt diese nach einer weiteren vergewissernden Rückfrage durch LARA (Seg. 204-206). Danach übernimmt JUAN die Initiative und fragt nach zusätzlichen Optionen, um eine Auswahl aus drei möglichen Alternativen vorzubereiten (Seg. 208-212). Damit wendet er eine geläufige Konsensfindungstechnik an - die Abstimmung, bei der die Entscheidung durch die Auswahl von einer aus mehreren (in diesem Fall drei) verschiedenen Möglichkeiten getroffen wird. Jedoch insistieren LARA und RINA unmittelbar, dass zwei Entscheidungsoptionen genug seien (Seg. 214-215). Daraufhin ergreift SONJA den Turn und nennt als erste in der Gruppe die von ihr favorisierte Variante - das Interviewprojekt (Seg. 218). EMMA drückt parallel ihre Übereinstimmung mit der Auswahl dieser Alternative aus, wobei JUAN sie danach noch einmal direkt adressiert, um ihr Einverständnis sicherzustellen. So kann EMMA ihre Zustimmung explizit wiederholen (Seg. 220). RINA bezeugt ihre Übereinstimmung mit der Auswahl überlappend zu LARA durch die Nennung eines weiteren Arguments für diese Option (Seg. 219). An dieser Stelle ist ein Einverständnis aller Gruppenmitglieder sichergestellt und die Entscheidung für die Alternative „Umfrage zu Deutschlerngründen“ kann als ratifiziert betrachtet werden. Darauf weist auch hin, dass LARA direkt im Anschluss daran beginnt, den verabschiedeten Handlungsplan auszugestalten, indem sie einen Vorschlag für eine Form des Videoendes unterbreitet (Seg. 221). Nach der Auswahl von einer Handlungsalternative ist an dieser Stelle die zweite Bedingung für das Vorliegen einer Entscheidung nach Gunnarsson (2006), der Absicht zur auf der Entscheidung basierenden Handlungsumsetzung somit erfüllt. Anhand der diskursiven Umsetzung der zur Entscheidung führenden Handlungsschritte soll nun das Zusammenwirken von Interaktionsstilen und Partizi- <?page no="266"?> 266 pationstypen im Abgleich mit der persönlichen Wahrnehmung mittels des VLE bei der Aushandlung dieser Entscheidung veranschaulicht werden. Alle Gruppenmitglieder nehmen kollaborative Interaktionsstile ein (s. Kapitel 4), welche im Spektrum zwischen der dominanten (LARA) und der passiven Ausprägung (EMMA) angesiedelt sind. Als Mittelfeld, also eine aktive Kollaboration sind dabei JUAN, RINA und SONJA einzuordnen, wobei letztere die deutlichste Tendenz zu weniger kollaborativen Gesprächsphasen aufweist. Das heißt, alle Aushandlungsbeteiligten stellen mittels der ihnen durch einen geringen, mittleren oder starken Beteiligungsgrad zur Verfügung stehenden (nicht-) sprachlichen Mittel im Diskurs eine verbale bzw. nonverbale Gleichheit und Gegenseitigkeit her durch (Nach-)Fragen, (positives) Feedback, Wiederholen, Simultansprechen, Nicken, zustimmende Hörersignale bei den entscheidungsrelevanten sprachlichen Handlungen bzw. Handlungsmustern wie Vorschlagen, Zu-/ Übereinstimmen, (Gegen-)Argumentieren/ Widersprechen, Begründen und Erklären. In der knapp zweiminütigen Entscheidungshandlung dominiert LARA zwar neben JUAN im verbalen Äußerungsumfang, stellt jedoch durch rückversichernde Entscheidungsfragen (Seg. 203: „Ja, warum nicht? Magst du das? “; Seg. 207: „Ja? Glaubst du? “) und die entsprechende fragend-zweifelnde Mimik die Diskussionswürdigkeit ihres Vorschlages wiederholt zur Debatte (s. Kapitel 4). Dadurch ermöglicht sie außerdem ihren Gruppenkamerad(inn)en, explizit zu ihrer Argumentation Stellung zu nehmen, wobei sie durch die Nutzung des Personalpronomens der zweiten Person Singular vorrangig den ihr gegenübersitzenden JUAN adressiert, welcher neben ihr in dieser Phase der Entscheidungsfindung die höchste interaktionale Aktivität zeigt. Aufschlussreich ist dabei für die Beantwortung der dritten Forschungsteilfrage nach der Selbstwahrnehmung der Entscheidungsinteraktion die retrospektive Äußerung von LARA. Sie bezeugt, wie wichtig ihr in diesem Entscheidungsmoment das sukzessive geäußerte zustimmende Feedback aller Teamkollegen ist und welche Erleichterung sie verspürt, als sich eine positive Bewertungsdrift abzeichnet: „Hier begann ich mich zu beruhigen, weil ich sah, dass ihnen meine Idee gefallen hatte und dass wir vielleicht nicht mehr nach der Hauptidee unseres Films suchen mussten.“ (Seg. 203) „Ich dachte: wie gut, JUAN ist einverstanden! “ (Seg. 208) „Ich dachte: wie gut, meine Idee kommt voran.“ (Seg. 214) „Gut! Auch RINA war einverstanden.“ (Seg. 215) „Okay, wir fünf waren einverstanden. Das war gut.“ (Seg. 217) Ebenso wie LARA nutzt JUAN das Mittel des Fragens, um die übrigen Gruppenmitglieder in die Entscheidungsaushandlung einzubeziehen, besonders ab Segment 208, indem er das eventuelle Vorhandensein möglicher weiterer alternativer Ideen eruiert. Dadurch signalisiert auch er die von ihm erwünschte Mitbe- <?page no="267"?> 267 stimmung der anderen und stellt sicher, dass auch die eher passive EMMA das Rederecht zur Äußerung ihrer Bewertung erhält. Besonders kommt bei JUAN die nonverbale Hörerrückmeldung des Nickens zum Einsatz, wodurch er seine zustimmende Haltung untermauert. RINAs kollaborative Interaktion zeigt sich in dieser Sequenz vor allem in wiederholend-paraphrasierenden Äußerungen, die unterstützend auf LARAs Begründung der Geeignetheit ihres Vorschlages abzielt und somit implizit auch ihrer Zustimmung zu dieser Idee Ausdruck verleiht (Seg. 199: „Sie möchten nix machen.“, Seg. 216 „Ja, ich glaube zwei Optionen sind (gut).“, Seg. 219: „Und es ist einfach.“). Des Weiteren zeugen auch überlappende Redeanteile (z. B. Seg. 210: „Ja, wir haben dia de muertos und…“) von RINAs kollaborativem Interaktionsstil. Trotz ihres vergleichsweise geringeren Redeanteils kommt EMMAs passive Kollaboration v. a. mittels Wiederholungen von LARAs Äußerungen, die als Indikator für ihre Zustimmung und dem Engagement mit deren Beiträgen gewertet werden können, zum Ausdruck (Seg. 193: „Ja, warum man Deutsch lernen möchte.“, Seg. 220 „Und interessant.“, Seg. 221: „Zusammenfassung.“). Lediglich SONJAs Interaktionsverhalten kann nur als zeitweise kollaborativ betrachtet werden, wobei dies im engen Zusammenhang mit dem von ihr verkörperten Typ der selektiven Partizipation steht (s. Kapitel 5.4). Zu Beginn der Sequenz (Seg. 192-193) widmet sie ihre Aufmerksamkeit ihrem Mobiltelefon (s. Abb. 56) und wird erst nach LARAs begründender Äußerung zu Beginn verbal aktiv, um ihre Zustimmung zu bezeugen: (Seg. 203: „Ja, das • das mag ich.“). Als einzige in der Gruppe liegt in SONJAs VLE-Daten ein Hinweis daraufhin vor, wie mental mit der Frage JUANs nach anderen Optionen umgegangen wird. Sie erinnert sich an ihre Idee, einen Film über die Malerin Frida Kahlo zu machen, deren Bild an der Wand sie in diesem Moment betrachtet (SONJA VLE G3-1a, 14: 53'). Dabei kommt sie aber selbst zu dem Schluss, dass diese Idee nur schwer umsetzbar sei und verzichtet auf deren Verbalisierung. Hier entscheidet sich SONJA also im Sinne der Kollaboration dafür, sich der Position von LARA und RINA, dass zwei Optionen ausreichend seien, anzuschließen und ihre mental entwickelte Idee nicht zur Diskussion zu stellen. Im weiteren Verlauf zieht sich SONJA weitestgehend verbal aus der Aushandlung zurück, um erst in Segment 218 als erste in der Gruppe ihre Präferenz für eine der beiden Entscheidungsalternativen auszudrücken: „Dann würd ich diese lieber machen. Diese Interview.“ Im Anschluss daran nimmt SONJA wieder einen passiveren Interaktionsstil ein. Hinsichtlich des von ihr verkörperten selektiven Partizipationstyps wird dabei besonders deutlich, dass sie gezielt nur entscheidungsrelevante Redebeiträge der Zustimmung oder der Auswahl äußert und sonst eher eine abwartende Position einnimmt bzw. sich persönlichen, gruppenentscheidungsirrelevanten Handlungen zuwendet. Die übrigen Gruppenmitglieder verkörpern in dieser Entscheidungsepisode den Typ der kooperativen Partizipation (s. Kapitel 5.2), d. h., sie teilen das Aushandlungsziel, ein Thema für das Videoprojekt zu finden und üben eine aktive Mitbestimmung im Entscheidungsprozess aus. Diese Mitbestimmung realisieren sie interakional durch das <?page no="268"?> 268 Vorschlagen bzw. Entwickeln von Entscheidungsalternativen (vgl. Flussdiagramm, Handlungsschritte 2, 3, 7, 8, 11-13, 16, 18, 22-29, 31-32). Die Partizipation zeigt sich des Weiteren in der Bearbeitung der Vorschläge durch Modifikationen bzw. Konkretisierungen (s. Flussdiagramm 1, Handlungsschritte 5, 9, 10, 15, 20, 30) und Bewertungen (s. Flussdiagramm 1, Handlungsschritte 4, 6, 17, 21, 33 sowie im Transkript Seg. 201, 203, 206-208, 218-219). Während der Entscheidungshandlung wird die Bearbeitung von Entscheidungsalternativen besonders deutlich an der Äußerung RINAs: „Ja, ich glaube zwei Optionen sind (gut).“ (Seg. 216). Ihre aktive Mitbestimmung reflektiert sie im Lauten Erinnern dahingehend, dass sie sich, LARAs Einwand aufgreifend, dafür einsetzt, die Optionenanzahl so gering wie möglich zu halten: „Hier dachte ich dass, ähm genug mit zwei Optionen/ zwei Optionen zu haben, die mir sehr gute Ideen erschienen, war genug und, und ich dachte, dass, dass äh wir es verkomplizierten. Also wenn wir weitere Ideen suchen würden, müssten wir am Ende entscheiden, welche wir auswählen. Ich weiß nicht, ich dachte, dass die Auswahl sehr schwer sein würde.“ (RINA VLE G3-1a, 14: 59') Ausschlaggebend für die Partizipation aller ist zudem, dass letztendlich alle Mitglieder an der Entscheidungshandlung teilnehmen (s. Transkriptauszug 57). Sie vollziehen die Entscheidungshandlung durch die Auswahl der favorisierten Option (SONJA) bzw. die Äußerung der Übereinstimmung mit dieser Auswahl (alle anderen). Gleichzeitig ist auf nonverbaler Ebene ein integratives Blickverhalten zu beobachten, d. h., durch die Augenkommunikation wird parallel zur verbalen Interaktion die Zustimmung bzw. Übereinstimmung bei der Auswahl der Alternative abgeglichen (s. Abb. 57-60). Abb. 57: SONJAs Wahl (Seg. 218, 15: 02') <?page no="269"?> 269 Abb. 58: JUANs Aufforderung (Seg. 220, 15: 06') Abb. 59: RINAs Zustimmung (Seg. 219, 15: 09') Abb. 60: EMMAs Zustimmung (Seg. 219, 15: 11') <?page no="270"?> 270 Während der Entscheidungshandlung (Seg. 218-220) stehen alle Gruppenmitglieder miteinander in Blickkontakt. Zunächst ruhen die Blicke auf SONJA, die ihre Präferenzaussage mit der entsprechenden Zeigegeste verbindet (Abb. 57). Daraufhin kontaktiert JUAN visuell EMMA, um sich explizit über deren Einverständnis zu vergewissern (Abb. 58). Schließlich äußern sowohl RINA (Abb. 59) als auch EMMA (Abb. 60) ihre Übereinstimmung, indem sie ergänzend zu ihrer bereits artikulierten Zustimmung weitere Begründungen zugunsten der ausgewählten Alternative formulieren (Seg. 219-220). Dabei wird ihnen immer die durch den Blickkontakt ersichtliche Aufmerksamkeit der übrigen Gruppenmitglieder zuteil. Diese Detailanalyse lässt den Schluss zu, dass die durch die Partizipation aller Gruppenteilnehmer ausgehandelte Entscheidung eine Autonomie der gesamten Gruppe erzeugt. Indem jede einzelne Person zu Wort kommt und bei der Auswahl der favorisierten Alternative berücksichtigt wird und den Auswahlprozess auch retrospektiv mit positiven Bewertungen belegt, kann die Entscheidung als Konsensentscheidung betrachtet werden und birgt somit das Potenzial der größtmöglichen Identifikation mit der Entscheidung bei gleichzeitiger maximaler Absichtsstärke zur Umsetzungshandlung. Vergleichend zu jener Entscheidungsepisode, die mit dem Einsatz einer Konsensfindungstechnik zum Ziel führte, soll nun eine in ihrer Typik häufiger anzutreffende Episode vorgestellt werden, in der die ausgehandelte Entscheidung eher implizit denn explizit ersichtlich wird. Auch hier ist darzustellen, inwieweit der Diskurs von Konvergenz geprägt ist und die dabei ausgeübte Mitbestimmung der Teilnehmenden ausgestaltet wird. Der Entscheidungsgegenstand betrifft die genaue Formulierung der Interviewfrage für die Handyvideoumfrage. Der sprachhandlungs(muster)bezogene Verlauf der Entscheidungsepisode stellt sich im folgenden Flussdiagramm dar, wobei die letzte Minute der Episode in das sich anschließende detaillierte Transkript überführt wurde: Legende der Codes: Problemstellung (P) Wiederholung Problemstellung (W(P)) Vorschlag (V(P)) Wiederholung Vorschlag (W(V)) Vorschlagsmodifikation (Va(P)) Zustimmung (Z(V)) Erklärung/ Begründung (E/ B(V)) Gegenargument (GA(V)) <?page no="271"?> 271 Ablehnung (A(V)) Entscheidungshandlung (Abstimmung, Übereinstimmung, Ratifizierung) (EH) Entscheidungsepisode „Interviewfrage“ (G3-1a, 04: 38'-07: 23') 1 P1 (LARA + SONJA, Seg. 60-62) ↓ 2 V1(P1) (LARA, Seg. 63) W a r u m s a m s t a g s ? ↓ 3 B (V1) (LARA, Seg. 64) ↓ 4 GAa (V1) (SONJA, Seg. 65) D a s i s t a n d e r e F r a g e . ↓ 5 V2a (P1) Konkretisierung Drehort - Panteón de Belén (RINA) ↓ 6 (W(V)) Wiederholung V1 (P1) (EMMA, Seg. 68) ↓ 7 Z (V1) (JUAN, LARA, RINA, Seg. 69) ↓ 8 B (V1) (LARA, Seg. 70-71) ↓ 9 A (V1) (SONJA, Seg. 70) ↓ 10 Wiederholung GAa (V1) (EMMA, Seg. 70) D a s i s t e i n e a n d e r e F r a g e . ↓ 11 B (GAa) (SONJA, EMMA, Seg. 71-72) D a s i s t e i n e andere Bedeutung. ↓ 12 B (V1) (LARA, Seg. 73) ↓ 13 A (V1) (SONJA, Seg. 74) ↓ 14 V2 (P1) (RINA, Seg. 74) W i r k ö n n t e n s i e f r a g e n . ↓ <?page no="272"?> 272 15 E (V2) (RINA, Seg. 75-77) ↓ 16 B (V1) (LARA, Seg. 78-81) ↓ - Beginn Transkript (s.u.) - 18 V3 (P1) (JUAN, Seg. 83) W a r u m l e r n e n L e u t e D e u t s c h ? ↓ 19 B (V1) (LARA, Seg. 83-85) ↓ 20 GAc (V1) (SONJA, Seg. 85-86) S t i m m t d a s ? N e i n . . ↓ 21 B (GAc) (SONJA, Seg. 87-90) ↓ 22 B (V1) (LARA, Seg. 90-93) ↓ 23 B (V3) (RINA, Seg. 92) 24 V3a (P1) (RINA Seg. 94-97) F r a g e n s t e l l e n a b e r nur „Warum? - Frage filmen ↓ 25 Z (V3a) (LARA, SONJA, Seg. 97-98) ↓ 26 P1 (JUAN, Seg. 98) ↓ 27 W(V) Wiederholung (V3a) (P1) (RINA, Seg. 99) ↓ 28 EH Entscheidungshandlung (LARA, RINA, Seg. 99-103) ↓ 29 EH Ratifizierung (LARA, RINA, Seg. 102-103) Abb. 61: Flussdiagramm 2 - Entscheidungsepisode 12 (Interviewfrage) <?page no="273"?> 273 [1] 83 [06: 04.8] LARA [v] Aber das war… Ja, aber, JUAN [v] Aber d/ das Thema es ist, warum Leute Deutsch lernen. SONJA [v] Weil zum Beispiel jeden… [2] 84 [06: 08.9] LARA [v] Aber das hier/ das ist etwas Interessanter auch, weil die Leute hier JUAN [v] Nicht, (was)… H m̌ h m̌ . [3] 85 [06: 12.9] LARA [v] (wirklich) will Deutsch lernen. (Glaube ich.) Das, das könnte [4] .. 86 [06: 18.0] 87 [06: 21.5] LARA [v] die Frage… Ja. Ja, (wir werden das wissen) am Ende. Es SONJA [v] Aber stimmt das? (Na) das kann doch nicht… Ja. [5] .. 88 [06: 26.4] LARA [v] ist auch wie eine… H m̌ h m̌ , ja. SONJA [v] Ja, aber das können wir darauf wissen von dieser Frage, weißt du? SONJA [nv] zeigt auf ihr Heft JUAN [VLE-Sp] Viendo el video me hace recordar que si este a SONJA le JUAN [VLE-Dt] Das Video zu sehen, erinnert mich daran, dass SONJA die [6] .. JUAN [VLE-Sp] importa mucho la cámara. Pero que los demás miembros estamos ignorando la cámara, pero a SONJA sí le importa bastante el estar presente la cámara y salir a cuadro. Mera observación, no hay nada implícito, pero sí es curioso que sí trata de: yo estoy aquí, cámara, hola, cómo estás, no? JUAN [VLE-Dt] Kamera sehr wichtig ist. Aber wir anderen Mitglieder ignorieren die Kamera aber für SONJA ist es ziemlich wichtig, dass da eine Kamera ist und im richtigen Licht zu erscheinen. Bloße Beobachtung, das hat nichts zu bedeuten, aber ja es ist auffällig, wie sie versucht: Ich bin hier, Kamera, hallo, wie geht’s, nicht wahr? [7] 89 [06: 29.3] SONJA [v] Weil wenn ich sage, ja ich komm hier nur, weil ich nichts zu tun am Samstag habe, <?page no="274"?> 274 [8] 90 [06: 35.1] 91 [06: 36.6] LARA [sup] ((lächelt)) LARA [v] H m̄ . Aber um halb neun? LARA [nv] nickt SONJA [v] dann wissen wir… [9] 92 [06: 38.7] 93 [06: 42.7] LARA [v] Ja, ja, ohhh. Aber es, es wird interessant sein. RINA [v] Hä, ja. (()). Du könntest • • • schlafen. [10] 94 [06: 45.4] 95 [06: 47.9] LARA [v] Hm hm . RINA [v] Wir könnte/ Wenn wir fragen… Wir könnten das äh Fragen stellen aber [11] .. 96 [06: 53.0] 97 [06: 55.1] 98 [06: 58.5] LARA [v] Nur „warum“. ((2s)) Ja. LARA [nv] Nickt SONJA [v] H m̌ . SONJA [nv] nickt RINA [v] mit Filmen wir könnten nur „Warum studierst du Deutsch? “ <?page no="275"?> 275 [12] .. LARA [v] ((setzt Brille auf)) JUAN [v] „Exposé, Drehbuch, qué? Drehplan.“ JUAN [ger] Was? JUAN [nv] ((blickt zur Tafel, liest vor )) SONJA [nv] blickt zur Tafel RINA [nv] blickt zur Tafel EMMA [nv] blickt zur Tafel JUAN [VLE-Sp] Siguiendo o dándole continuidad/ qué más tenemos qué hacer y qué nos falta para terminar este la tarea que nos han dado. Vamos moviéndonos y espero que me sigan la corriente y que me entiendan que tenemos el programa, tenemos el tiempo encima y vamos. Por favor, hay que continuar. JUAN [VLE-Dt] Weitermachen oder fortführen/ was müssen wir noch machen und was fehlt uns noch, um die Aufgabe zu beenden, die uns gegeben wurde. Lasst uns weitermachen und ich hoffe, dass sie mir folgen und dass sie mich verstehen, das wir das Programm haben, die Zeit drängt und los geht’s. Bitte, wir müssen weitermachen. [13] 99 [07: 03.9] JUAN [v] (()) RINA [v] Wir müssen fragen, aber die Fragen ist nur eine Frage. [14] 100 [07: 08.7] 101 [07: 11.4] LARA [v] Warum? (Warum studierst/ ) Warum lernst du Deutsch? JUAN [v] H m̌ h m̌ . Entonces wir machen nicht ein Exposé… JUAN [ger] Also RINA [v] Warum studierst du? (()) [15] .. 102 [07: 16.5] 103 [07: 19.5] 104 [07: 23.9] LARA [v] Lernst. Warum lernst du Deutsch? ((schreibt)) SONJA [v] Was ist Opfer? SONJA [nv] blickt zur Tafel blickt zur Tafel RINA [v] Ja, warum. Transkriptauszug 58: Entscheidungsepisode 12 (Interviewfrage) <?page no="276"?> 276 Die Problemstellung dieser Entscheidungsepisode kristallisiert sich als sogenanntes Subproblem aus der Diskussion um die Anzahl der Interviewpartner heraus. Der problemauslösende Widerspruch wird daran deutlich, dass die Gruppe entscheidet, zu erfragen, wie viele Personen samstags Deutschkurse am Institut besuchen, woraufhin LARA daraus eine vermeintlich interessante(ere) Fragestellung ableitet, warum diese Personen gerade samstags einen Deutschkurs besuchen (Seg. 63). Dieser Vorschlag wird von SONJA und später auch von EMMA abgelehnt, mit der Begründung, dass dies keine geeignete Fragestellung sei (Seg. 65, 70-72, 74, 82). LARA lässt sich jedoch nicht von ihrer Idee abbringen und bietet zahlreiche Begründungen für die Relevanz ihres Vorschlages (Seg. 65, 66- 67, 70-71, 73, 78-81), wofür sie auch anfänglich die Zustimmung von JUAN, EMMA und RINA erhält (Seg. 69). Mit Einsatz des Transkriptauszuges kehrt sich diese Tendenz jedoch um, indem JUAN das ursprünglich ausgehandelte Videothema der Deutschlerngründe (s. o.) als Vorschlag für die Interviewfragestellung unterbreitet (Seg. 83). LARA beharrt ihrerseits auf der Geeignetheit ihres Vorschlages, mit der Begründung, dass es interessanter sei, die Samstagsschüler zu befragen, weil die Wochenendkursteilnahme von einem größeren Deutschlernwillen zeuge (Seg. 84-85). SONJA entzieht ihr das Rederecht, indem sie ihr ins Wort fällt und LARAs Behauptung in Frage stellt (Seg. 85-86). LARA bestätigt daraufhin die Überzeugung von ihrem Vorschlag, wobei SONJA sie erneut unterbricht und das Gegenargument formuliert (verbunden mit einer entsprechenden Zeigegeste), dass man die gewünschte Antwort nur durch „diese Frage“ (eine alternative Frageformulierung, die sie vermutlich in ihr Heft notiert hatte) erhalten könne (Seg. 87-88) und untermauert dies mit einer weiteren Begründung (Seg. 89). Diese zieht LARA mit einem weiteren Gegenargument ihrerseits in Zweifel (90-91), woraufhin RINA SONJAs Position mit einer zusätzlichen Begründung unterstützt (Seg. 92). In den Segmenten 94-97 formuliert RINA nun einen Kompromissvorschlag, wobei sie JUANs und LARAs Vorschläge modifiziert, indem sie sie miteinander verknüpft. Dem stimmen LARA und SONJA sowohl verbal als auch nonverbal zu (Seg. 96-97). Es entsteht eine Pause, in der LARA ihre Brille aufsetzt, vermutlich, um die entschiedene Frageformulierung zu notieren. JUAN signalisiert dann durch seinen Beitrag des Vorlesens der an der Tafel notierten noch offenen Arbeitsprodukte (Exposé, Drehbuch, Drehplan), dass man sich einer neuen Fragestellung zuwenden könne bzw. die bis gerade verhandelte als gelöst zu betrachten sei (Seg. 98). RINA interpretiert dies als Aufforderung, das Entscheidungsresultat noch einmal explizit zu formulieren, worin sie von LARA unterstützt wird (Seg. 99-100). Daraufhin kommt es zu einer Bedeutungsaushandlung (studieren vs. lernen), als deren Ergebnis die Frageformulierung „Warum lernst du Deutsch? “ bestehen bleibt und ratifizierend von LARA in ihr Heft notiert wird (Seg. 101-102). Die Entscheidung erfolgt in dieser Episode also implizit und wird erst durch die Entscheidungshandlung des Aufschreibens explizit gemacht. Der Abschluss der Entscheidungsepisode 12 wird dadurch deutlich, dass SONJA eine neue <?page no="277"?> 277 (sprachbedingte) Fragestellung aufwirft, die über keine direkte Relevanz für das Entscheidungsergebnis verfügt (Seg. 103). Bezüglich der Interaktionsstile, mit denen die Partizipation an der Entscheidung umgesetzt wird, ist festzuhalten, dass auch hier eine Kollaborativität seitens aller Gruppenteilnehmer vorliegt. Die aktivsten Interaktanten sind SONJA und LARA, die zu Beginn der Episode konträrer Meinung sind. Jedoch formulieren sie ihr negatives Feedback nie in Form einer direkten Ablehnung oder offenen Kritik, sondern nutzen die Form der (Nach-)Frage, um ihre Zweifel deutlich zu machen (z. B. „Glaubst du nicht? Nein? “ (Seg.74), „Aber stimmt das? “ (Seg. 86- 87), „weißt du? “ (Seg. 88), „Aber um halb neun? “ (Seg. 90-91). Dem beigeordnet sind Hörersignale, die Konvergenz ausdrücken wie „H m̌ , H m̌ h m̌ “ (Seg. 84, 88, 95, 97, 100) und oft auch durch die nonverbale Handlung des Nickens begleitet werden (Seg. 90, 97). Alternativ kommt es auch zu eindeutig zustimmenden Äußerungen wie z. B. „Ja.“ (Seg. 86, 87, 88, 92, 98). Wenn Gegenargumente oder Alternativvorschläge angeführt werden, dann in einem abschwächenden Modus, der die Aussagen als persönliche Meinungen relativiert und ihnen damit einen gewissen Absolutheitsanspruch nimmt, z. B.: „Glaube ich.“ (Seg. 85). Gekoppelt ist diese Modalität an die Verwendung von Ausdrucksmitteln der perspektivischen Modalität (Konjunktiv II) wie z. B. „Das könnte die Frage …“ (Seg. 85), „Wir könnten das äh Fragen stellen aber mit Filmen wir könnten nur „Warum studierst du Deutsch? “ (Seg. 95-97). Hinzu kommen die die Kollaborativität kennzeichnenden Merkmale der Wiederholung („warum“, Seg. 96-97, 100 „studierst“, Seg. 100-101) sowie der Überlappung (Seg. 83, 86, 90, 96, 100), welche nicht ausschließlich als eine Art der Unterbrechung den Turn-Wechsel initiiert. Vielmehr ist eine Balance von Erhalt und Abgabe des Rederechts bei simultanen Äußerungen zu beobachten. Die letztgenannten Kollaborationsmerkmale bilden die Basis für das Phänomen der Ko-Konstruktion, welche wiederum vom Vorhandensein eines kollaborativen Dialogs zeugt. LARA gibt korrektives Feedback und reformuliert in Seg. 101 den von RINA geäußerten Kompromissvorschlag der Interviewfragegestaltung „Warum studierst du Deutsch? “ (Seg. 97) in die semantisch korrektere Frage „Warum lernst du Deutsch? “. In der nachfolgenden Äußerung, in der sie die Frage noch einmal wiederholt, bestätigt sie durch die Betonung des Verbs ihre Überzeugung, dass dies die korrekte Formulierung darstelle und sie erhält dafür die Zustimmung von RINA. Die zum Einsatz kommenden kollaborativen Interaktionsstile gelten als diskursive Umsetzung des Partizipationstyps, der in dieser Sequenz vertreten ist. Er entspricht der kooperativen Partizipation, die sich zunächst daran messen lässt, dass alle Gruppenmitglieder nicht nur an der Interaktion im Allgemeinen, sondern auch konkret an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Die Mitbestimmung wird dabei durch unterschiedliche Arten der Einflussnahme auf das Entscheidungsresultat deutlich. JUAN wirkt gleich zu Beginn des Transkriptauszuges diskurssteuernd, indem er das eigentlich zur Diskussion stehende <?page no="278"?> 278 Thema „Deutschlerngründe“ wiederholend fokussiert (Seg. 83) und damit die vorherige Ausrichtung des Diskurses auf die Frage, warum man samstags Deutsch lernt, als weniger relevant einstuft. Der Einfluss auf die Entscheidung wird außerdem durch die Entwicklung und Bearbeitung von Entscheidungsalternativen gegenüber LARAs Vorschlag ausgeübt (SONJA: Seg. 85-86; RINA: Seg. 94-97, 99). Bewertungen und Begründungen von Optionen nehmen sowohl Befürworter als auch Kritiker von LARAs Vorschlag (V1) vor (LARA: Seg. 83-85, 90-93; SONJA: Seg. 87-90; RINA: Seg. 92), wobei letztendlich RINA die Zustimmung auf ihre Vorschlagsmodifikation im Sinne eines Kompromisses aus beiden Varianten (Seg. 94-97) von beiden Vertreterinnen der zwei Entscheidungsalternativen erhält (Seg. 97). JUANs Übereinstimmung mit der positiven Bewertung der nun favorisierten Alternative zeigt sich indirekt darin, dass er als anschließende Äußerung eine neue Problemstellung formuliert, also die bisherige als gelöst betrachtet. Dies begründet sich auch in seiner VLE-Äußerung an dieser Stelle, in der er sich an den von ihm verspürten Zeitdruck für die Vollendung der Aufgabe erinnert (JUAN VLE G3-1b, 06: 58'). Nun setzt die eigentliche Entscheidungshandlung ein, während der die gewählte Option zur Ratifizierung wiederholt und in ihrer sprachlichen Ausgestaltung perfektioniert wird, woran insbesondere LARA und RINA teilhaben. Auch die interaktional passivere Gruppenteilnehmerin EMMA bestimmt letztendlich bei der Entscheidungsaushandlung mit, indem sie an früherer Stelle im Flussdiagramm (Seg. 68, 70) Vorschläge und Gegenargumente ihrer Gruppenkameradinnen wiederholt sowie Begründungen äußert und somit ihre persönliche Bewertung der Alternativen deutlich macht. Festzuhalten bleibt, dass diese implizite Konsensentscheidung durch die Partizipation aller hervorgebracht wurde und letztendlich nach der Aushandlung zweier konträrer Postionen zu einem Kompromissvorschlag führt und seine Auswahl auf der Zustimmung aller Gruppenmitglieder beruht. Wenngleich alle Interaktanten das gleiche Handlungsteilziel verfolgen, wird an dieser Stelle noch keine Umsetzungshandlung bzw. Absichtserklärung vollführt. Vielmehr ist diese für die sich anschließenden Dreharbeiten zu erwarten. Auch an dieser Entscheidungsepisode wird deutlich, dass sich Gruppenautonomie in dem Moment entfaltet, in dem eine für alle zufriedenstellende Entscheidungsalternative ausgewählt wird und diese auf einem ausgehandelten Kompromiss aus zwei konträren Optionen besteht. Als drittes Analysebeispiel soll nun aufgezeigt werden, wie mit Einzelentscheidungen, also personaler Autonomie, innerhalb dieser kollaborativkooperativen Gruppenkonstellation umgegangen wird und wie diese sich auf die diskursive Ausgestaltung der Mitbestimmung und deren individuelle Wahrnehmung innerhalb der Gruppe auswirkt. Die Gruppe befindet sich in diesem Datensatz in der Postproduktionsphase des Projektes und besteht nur noch aus vier von einstmals fünf Gruppenmitgliedern. <?page no="279"?> 279 Abb. 62: Gruppensituation Gruppe (G3-2, 08: 15') [1] 75 [07: 56.0] 76 [07: 59.3] LARA [v] Um. Für den Lebenslauf, ja. JUAN [v] ((arbeitet am Computer)) RINA [v] Für den LEHRERIN [v] Ne, „für“ ist okay, aber der Lebenslauf. Also für? [2] 77 [08: 03.0] 78 [08: 05.9] 79 [08: 09.6] LARA [v] (So ist) der Lebenslauf. Und… LARA [nv] ((schreibt)) JUAN [v] H m! . Ich will äh JUAN [nv] blickt auf RINAs Blatt zu RINA RINA [v] Lebenslauf. (No, zuerst deine Ende)? RINA [ger] Nein RINA [nv] zeigt auf Bildschirm [3] .. 80 [08: 14.1] LARA [v] • • • Aber wir könnten dieses äh JUAN [v] beide Liste ähm Ja, mischen. RINA [v] Mischen? <?page no="280"?> 280 [4] .. LARA [v] nur • • • zwei Leute dieses machen und die andere zwei können die RINA [v] Ja. EMMA [VLE-Sp] En este punto seguía dormida, pensando: EMMA [VLE-Dt] An dem Punkt war ich immer noch [5] .. 81 [08: 25.1] LARA [v] Spezialeffekt (beginnen), ja? Am Anfang. Die/ der Titel am Anfang LARA [nv] zu RINA JUAN [nv] schaut auf LARAs Blatt EMMA [VLE-Sp] Oh Dios, debo despertar! EMMA [VLE-Dt] Oh Gott, ich muss aufwachen! [6] 82 [08: 29.6] LARA [v] „Warum lernst du Deutsch? “ Okay? RINA [v] H m̌ . LARA [VLE-Sp] Aquí pensaba que estábamos usando mucho tiempo para econtrar un resumen o una conclusión de las entrevistas y debíamos dividir el trabajo. Unos cortando los videos y otros escribiendo la conclusión. LARA [VLE-Dt] Hier dachte ich, dass wir viel Zeit brauchen, um ein Resümee oder eine Schlussfolgerung der Umfrage zu finden und wir sollten die Arbeit teilen. Einige, die die Videos schneiden und andere, die das Fazit schreiben. RINA [VLE-Sp] En ese momento estaba pensando pues que sería mejor trabajar entre los cuatro para terminar más rápido el resumen, pero que pues nos quedaba poco tiempo para poder terminar todo el proyecto, entonces sí era necesario que nos dividieramos el trabajo. RINA [VLE-Dt] In diesem Moment dachte ich also, dass es besser wäre zu viert zu arbeiten, um das Resümee schneller zu beenden aber also es blieb uns wenig Zeit, um das ganze Projekt beenden zu können, also ja war es notwendig, uns die Arbeit aufzuteilen. <?page no="281"?> 281 [7] 83 [08: 33.0] LARA [v] Reise sie möchten auch. JUAN [v] (Ideologie) keine… Reise. JUAN [nv] blickt auf LARAs Blatt tippt am Rechner RINA [v] Reise. [8] 84 [08: 37.3] LARA [v] Lebenslauf, JUAN [v] Ähm Lebenslauf. JUAN [nv] blickt auf LARAs Blatt tippt RINA [v] Wa/ ähm weile (wir könnten…) [9] 85 [08: 42.7] 86 [08: 46.5] LARA [v] Hobby, Liebe. Liebe. LARA [nv] liest JUAN [v] Hobby, äha. Und Liebe. JUAN [nv] tippt LARA [VLE-Sp] Aquí pensé que no era necesario que JUAN escribiera esto en la computadora porque lo íbamos a hacer en el cuaderno para que RINA se lo aprendiera de memoria, pero si el quería hacerlo, pues adelante. LARA [VLE-Dt] Hier dachte ich, dass es nicht nötig war, dass JUAN alles mit dem Computer aufschrieb, weil wir es im Heft machen würden damit es RINA auswendig lernen konnte, aber wenn er das machen wollte, also nur zu. [10] 87 [08: 50.1] 88 [08: 52.8] 89 [08: 56.3] LARA [v] Herausforderung. Heraus-for-derung. Verstehst du? JUAN [v] Ja. Heraus? RINA [v] H m̌ h m̌ . [11] .. 90 [09: 04.1] LARA [v] Heraus-forderung. Es war Eltern JUAN [v] (()). RINA [v] Forderung. (Aber wegen dem) ah es war Eltern. <?page no="282"?> 282 [12] .. LARA [v] ja. RINA [v] Ja, die/ der äh der Mann wollte mit ähm/ LEHRERIN [v] Hm ? JUAN [VLE-Sp] Ahí lo que estaba pensando era unificar criterios porque RINA y LARA estaban haciendo su cuenta de cuántas intervenciones, más bien los temas que los participantes habían mencionado. Qué significa eso? Unos lo hacían porque quieren irse de viaje a Alemania, otros / o sea, las razones. Cada quien tenía una lista. LARA tenía una lista un poquito más extensa, RINA otra. Ok, aunque esté de modo zombie, tratar de hacer una sola lista y tratar de enfocarnos a esa lista. Una sola versión de las razones que los alumnos estaban dando. Las personas que entrevistamos, lo que estaban diciendo, que eran sus motivos para ir a Alemania, no? JUAN [VLE-Dt] Hier war das, was ich dachte, die Kriterien zu vereinen, weil RINA und LARA zählten, wieviele Beiträge, besser die Themen, die die Teilnehmer genannt hatten. Was bedeutet das? Einige machten es, weil sie nach Deutschland reisen wollen, andere also, die Gründe. Jeder hatte eine Liste. LARA hatte eine etwas längere Liste, RINA eine andere. O.k., auch wenn es im Zombiemodus war, versuchen eine einzige Liste zu machen und versuchen uns auf diese Liste zu konzentrieren. Eine einzige Version der Gründe, die die Schüler angaben. Die Personen, die wir interviewt hatten, was sie sagten, was ihre Gründe seien, um nach Deutschland zu gehen, nicht? [13] 91 [09: 11.4] RINA [v] mit Eltern. LEHRERIN [v] Eltern. Transkriptauszug 59: Entscheidungsepisode 15 (Zusammenfassung I) Der Entscheidungsgegenstand der Episode 15, aus der das Transkript nur einen Auszug darstellt, ist die Erarbeitung des Zusammenfassungstextes für das Ende des Films. Dafür sehen sich die Gruppenmitglieder zunächst die aufgenommenen Umfragevideos an. Gleichzeitig verfolgen sie das Ziel, alle genannten Deutschlerngründe zusammenzutragen. Nach dem Sehen des Videos folgen erste Formulierungsversuche. Zu Beginn der Transkriptsequenz erhält LARA korrektives Feedback von der Lehrerin bezüglich einer fehlerhaften Genuszuweisung (Seg. 75-77). Zeitgleich wendet JUAN seine Aufmerksamkeit seinem Laptop zu, auf dem soeben die Videos angeschaut wurden und nun in einem Schnittprogramm geöffnet sind. Sodann blickt er auf RINAs Notizen (Seg. 77) und fährt fort, etwas in seinen Rechner einzugeben. Im VLE gibt er retrospektiv zu seiner Handlung die Auskunft, die zwei vorliegenden Deutschlerngründe- <?page no="283"?> 283 sammlungen von RINA und LARA zu einer Liste zusammenführen zu wollen (JUAN VLE G3-2, 09: 04'). Auch interaktional nimmt er darauf Bezug, als RINA ihn (nicht ganz verständlich) nach seiner Handlung fragt (Seg. 78) und er ihr erklärt, dass er beide Listen „mischen“ möchte (Seg. 79). Daraufhin schlägt LA- RA vor, die Arbeit aufzuteilen und sich zwei Personen mit den Listen befassen könnten und die anderen beiden mit dem Videoschnitt (Seg. 80-82). Dem stimmt nur RINA zu, während JUAN sich weiter allein mit den Listen befasst und in Seg. 83 eine auf ihre Aufzeichnungen bezogene Nachfrage an LARA stellt. Sie geht darauf ein und unterstützt JUAN sprachlich beim Erfassen und Notieren der übrigen Gründe (Seg. 83-90). RINA ergreift in Seg. 84 überlappend den Turn, führt ihre Äußerung aber nicht zu Ende: „Wa/ ähm weile (wir könnten...)“. Die Sequenz endet mit dem Austausch einer Hintergrundinformation zu einem der Interviewten zwischen RINA, LARA und der LEHRERIN. Aus partizipationsanalytischer Sicht fällt in dieser Sequenz auf, dass JUAN für seine Handlung am Computer eine Einzelentscheidung fällt, also nach der Handlungsplanaufnahme keine Abstimmung zur Handlungsplanumsetzung mit den Gruppenmitgliedern erfolgt. Dies und die Handlung selbst rufen bei LARA und RINA Irritationen hervor, da ihnen JUANs Handlungsziel zunächst verborgen bleibt und nach seiner Erklärung auch direkt in Frage gestellt wird. LARA schlägt eine alternative Handlungsaufteilung vor, welche von JUAN jedoch sowohl verbal als auch nonverbal ignoriert wird und woraufhin er seine individuelle Handlung fortsetzt. Auch ein zweiter Versuch RINAs, die Zweckmäßigkeit seines Vorgehens zu thematisieren, bleibt erfolglos, da JUAN zeitgleich in die sprachliche Aushandlung mit LARA involviert ist. Aus der Interaktion ist daher zu schließen, dass weder RINA noch LARA seine eigenmächtig getroffene Entscheidung zum nächsten Handlungsschritt befürworten, was auch in den Erinnerungsdaten sehr deutlich bestätigt wird. LARA erinnert sich zwei Mal kurz hintereinander, dass sie JUANs Handeln als zu zeitraubend empfand und eine Arbeitsteilung zielführender gewesen wäre: „Hier dachte ich, dass wir viel Zeit brauchen, um ein Resümee oder eine Schlussfolgerung der Umfrage zu finden und wir sollten die Arbeit teilen. Einige, die die Videos schneiden und andere, die das Fazit schreiben.“ (LARA VLE G3-2, 08: 29') „Hier dachte ich, dass es nicht nötig war, dass JUAN alles mit dem Computer aufschrieb, weil wir es im Heft machen würden, damit es RINA auswendig lernen konnte, aber wenn er das machen wollte, also nur zu.“ (LARA VLE G3-2, 08: 46') In der zweiten Retrospektion wird gleichzeitig deutlich, dass sie JUANs Handeln negativ bewertet, weil es für die weiteren Arbeitsschritte keinen hilfreichen Beitrag leistete. Gleichzeitig zeigt ihre letzte Äußerung, dass sie daraus nicht die Absicht entwickelte, seinem unzweckmäßigen Handeln Einhalt zu gebieten. Ähnlich verhält es sich bei RINA. Auch sie bewertet JUANs Listenzusammenführung als ungünstig für das Erreichen des Gruppenhandlungsziels der Fertigstellung des Videos: <?page no="284"?> 284 „In diesem Moment dachte ich also, dass es besser wäre zu viert zu arbeiten, um das Resümee schneller zu beenden aber also es blieb uns wenig Zeit, um das ganze Projekt beenden zu können also ja war es notwendig uns die Arbeit aufzuteilen.“ (RI- NA VLE G3-2, 08: 29') „Hier dachte ich, dass wir schon damit beginnen sollten, das Resümee zu schreiben, dass wir zu lange für etwas brauchten, das wir gar nicht so beachten sollten, weil wir ja mit dem Zählen schon fertig waren. Wir brauchten die Liste nicht abzutippen. Das dauerte mir zu lang und war sinnlos äh einige Sachen, die wir machten.“ (RINA VLE G3-2, 10: 15') Im ersten Zitat zeigt sie, dass sie den Alleingang JUANs ablehnt, dann aber aus Zeitgründen eine derartige Arbeitsteilung als sinnvoll erachtet. In der zweiten VLE-Äußerung bestätigt RINA, dass sie JUANs Handlung als überflüssig bewertet. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass sowohl LARA als auch RINA JUAN trotz seines von ihnen mental als negativ bewerteten Vorgehens in seinem Handeln gewähren lassen, also keine Verbalisierung des Widerspruchs erfolgt. Die lediglich vorsichtigen Versuche ein alternatives Vorgehen in die Diskussion einzubringen, verlieren durch JUANs Nichtbeachtung an Durchsetzungskraft bzw. werden nicht bis zu Ende artikuliert. Daraus kann gedeutet werden, dass beide bevorzugen, eine offene Konfrontation in der Gruppe zu vermeiden. Gründe dafür könnten im Sinne der kollaborativen Interaktion und kooperativen Partizipation im Zeitmanagement und der Zielausrichtung der Individualhandlung sowie im Technikexpertenstatus des Handelnden bestehen. Hinsichtlich des Zeitmanagements und der Zielorientierung könnte die Überzeugung JUANs, seine Handlung einzustellen oder zu modifizieren, als weiterer Zeitaufwand gedeutet worden sein, sodass bevorzugt wird, es dabei zu belassen, da sein Engagement letztendlich dem gleichen Ziel, das die gesamte Gruppe verfolgt, gewidmet ist. Letztendlich kooperiert JUAN noch und hat lediglich den kollaborativen Interaktionsmodus verlassen, sodass sein Handeln als alternativer, individueller Teilweg, der als eher umständlich, aber nicht kontraproduktiv zur Zielerfüllung bewertet wird, auf Toleranz stößt. Ebenfalls denkbar ist, dass JU- AN als ausschließlichem Bediener des Rechners die Kompetenz und Autorität zugeschrieben wird, eigenständige Handlungen durchzuführen, ohne explizit die Zustimmung der Anderen einzuholen. Personale Autonomie in Form von Individualentscheidungen wird in dieser Interaktions- und Partizipationskonstellation nicht zum Komplikationsfaktor für Gruppenentscheidungsprozesse, sondern im Sinne der Gleichheit und Gegenseitigkeit akzeptiert und weitestgehend in den weiteren Handlungsverlauf integriert. Als letztes Beispiel dafür, wie eine Gruppe mit konvergentem Diskursmuster die Mitbestimmung aller Beteiligten aktiv fördert, soll der Umgang mit dem Typ der sprachbedingten Nichtpartizipation dargestellt werden. Den Fall EMMA charakterisieren ein passiver Interaktionsstil und die damit verbundene sprach- <?page no="285"?> 285 kompetenzbasierte eingeschränkte Teilhabe am Entscheidungsdiskurs (Kapitel 5.5.2). In der folgenden Sequenz, die ebenfalls noch zur Episode der Formulierung des Abmoderationstextes gehört (s. Transkriptauszug 53, Kapitel 5.5.2), versucht EMMA aus ihrer Nichtpartizipation auszubrechen und einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten. Dabei stößt sie an ihre sprachlichen Grenzen (ebd.: Seg. 81-85) und wird in ihrem Anliegen nicht verstanden, wie schon ausführlich in Kapitel 5.2.2 unter interaktions- und partizipationsanalytischer Perspektive aufgezeigt wurde. Jedoch gelingt es der Gruppe interaktional, und dies soll der Fokus der nun folgenden Analyse sein, das gegenseitige Verständnis letztendlich sicherzustellen und eine Konsensentscheidung herbeizuführen. [1] 92 [06: 25.7] 93 [06: 27.5] JUAN [v] (()). EMMA [v] H m̄ . Wie sagt man das auf Deutsch? ((1,5s)) Okay. Dass • • • aha EMMA [VLE-Sp] Qué frustrante! EMMA [VLE-Dt] Wie frustrierend! [2] .. EMMA [v] Master-Leute und Interes fur deutsche Kultur und • • • noch andere Leute, RINA [VLE-Sp] Ahí estaba pensando en que no entendía lo que estaba diciendo, así de: qué está diciendo? RINA [VLE-Dt] Hier dachte ich, das ich nicht verstand, was sie sagte, so wie: was sagt sie da? [3] .. 94 [06: 36.1] LARA [v] H m̌ . JUAN [v] H m̌ . EMMA [v] das sagt Liebe und… (An)/ wir sagen das, aber nur das all, wie eine Liste. RINA [VLE-Sp] No entiendo su idea. RINA [VLE-Dt] Ich verstehe ihre Idee nicht. [4] 95 [06: 46.8] 96 [06: 52.3] JUAN [v] A, b, c, d. EMMA [v] Nicht äh alles wie ah die Antworten sind äh Hobby, blablabla… <?page no="286"?> 286 [5] 97 [06: 55.7] LARA [v] Ja, das versteh ich nicht. JUAN [v] (Verständlich? ) Okay. (()). EMMA [v] (Nein? ) Aha. EMMA [VLE-Sp] No me están entendiendo nada y yo no sé cómo explicarlo otra vez. EMMA [VLE-Dt] Sie verstehen mich überhaupt nicht und ich weiß nicht, wie ich es noch mal erklären soll. [6] 98 [07: 00.2] 99 [07: 04.3] JUAN [v] Dein, dein (Problem) ist das äh die Formen, die Formen. In diesem [7] .. 100 [07: 08.2] LARA [v] Okay. JUAN [v] Interview sehen wir die wichtigste Gründe. Und sie hat gesagt, in diesem Interview [8] .. 101 [07: 13.2] 102 [07: 16.0] LARA [v] Okay. Ja, JUAN [v] finden wir die, die Formen. Diese ähm Text Äh das ist wie eine/ we/ [9] .. 103 [07: 20.6] LARA [v] aber LEHRERIN hat uns gesagt, wir sollten nicht äh JUAN [v] wenn wir den Text schreiben. (H m̌ ). [10] 104 [07: 24.0] 105 [07: 28.0] LARA [v] „dass“ und „um zu“ benutzen bei/ beim Sprechen. Wir benutzen das nicht so LEHRERIN [v] H m̌ h m̌ . [11] .. 106 [07: 32.0] 107 [07: 35.2] LARA [v] oft. Es, es sollte mehr, mehr na/ natürlich sein, ja? Das/ wir haben dieses, JUAN [v] Ah. <?page no="287"?> 287 [12] .. 108 [07: 40.0] LARA [v] „dass“ (und so) benutzt, aber es klingt nicht so normal. So das ist auch/ EMMA [v] Ah, okay. [13] .. 109 [07: 44.2] LARA [v] wir haben das nicht benutzt. H m̌ h m̌ . Okay. EMMA [v] Oder vielleicht ich sage noch wieder, was ich meine. RINA [VLE-Sp] Ahí estaba pensando que, bueno, a veces el RINA [VLE-Dt] Hier dachte ich, gut, manchmal hat die [14] .. RINA [VLE-Sp] trabajo en equipo tiene muy buenas cosas, pero hay veces en que se encuentran diferencias, opiniones y no se logra, como, un convencimiento total. O sea, que en todo hay problemas pues y que con las cosas buenas de/ que venían de trabajar en equipo también venían unas cosas que a veces frenaban un poco el trabajo porque no nos estábamos poniendo de acuerdo. RINA [VLE-Dt] Teamarbeit sehr gute Seiten und es gibt Momente, wo Differenzen, Meinungen auftreten und man gelangt nicht zu wie einer kompletten Überzeugung. Also es gibt bei allem Probleme und in den guten Dingen/ die auch von der Gruppenarbeit herkommen, kamen auch Dinge, die die Arbeit etwas bremsten, weil wir uns nicht einigen konnten. Transkriptauszug 60: Entscheidungsepisode 15 (Zusammenfassung I) Zu Beginn der Sequenz wendet sich EMMA aufgrund ihrer Erklärungsprobleme hilfesuchend mittels einer W-Frage an ihre Gruppenkameraden (Seg. 92) und anhand der dazugehörigen VLE-Äußerung wird deutlich, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt der Interaktion in einer „frustrierten“ Stimmung befindet. Doch auch ihr zweiter Anlauf, ihre Idee verständlich zu machen (Seg. 93), führt nicht zum gewünschten Ziel (RINA VLE Seg. 93, Seg. 97). So erinnert sie schließlich in Seg. 97 ihre Ratlosigkeit gegenüber weiteren Formulierungsalternativen für ihren Vorschlag. An dieser Stelle ergreift JUAN, der als einziger EMMAs Idee verstanden hat, den Turn und vermittelt zwischen ihr und den übrigen Nichtverstehenden. Dafür setzt er die Scaffoldingtechnik der Paraphrasierung ein, um den Beteiligten deutlich zu machen, dass EMMA die Zusammenfassung gern auf formaler Ebene verändern würde (Seg. 98-102). LARA signalisiert ihr nun einsetzendes Verstehen durch positive Hörerrückmeldungen und reagiert mit einem Gegenargument auf EMMAs Veränderungsvorschlag (Seg. 103-108). Sie greift dabei auf eine Erklärung der LEHRERIN zurück, wie man für gesprochene <?page no="288"?> 288 Sprache Texte formulieren solle. Aus dieser Äußerung schließt EMMA jedoch ein immer noch nicht vorliegendes Verstehen oder eine mangelnde Einsicht in ihre Idee und setzt wiederum an, ihren Vorschlag ein drittes Mal zu erklären (Seg. 109-117 - nicht im Transkriptauszug, s. Anhang). Mittlerweile ist bei RI- NA, wie sie im VLE äußert, eine Wahrnehmung der Langwierigkeit der Bedeutungsaushandlung eingetreten (RINA VLE G3-3, 07: 44'). Im weiteren Verlauf des Gespräches gibt sich EMMA zunächst überzeugt von LARAs Formulierungsansatz einer zusammenfassenden Listenaufzählung, steigt jedoch ab Segment 149 nochmals mit eigenen Formulierungsvorschlägen in die Aushandlung ein: [1] 147 [00: 00.9] 148 [00: 04.0] 149 [00: 05.0] LARA [v] Wie blablablablabla. (()). RINA [v] Hm ? EMMA [v] (()). Die, die, das Wort wichtigste äh tauschen für [2] .. 150 [00: 12.1] EMMA [v] meisten Leute. Das ist… RINA [VLE-Sp] Ahí estaba pensando que podíamos tomar parte de lo que había dicho ella. Pensaba que sí sonaba más bonito como / estaba pensando: sí, pues así como dice ella suena más bonito que como una lista como lo habíamos puesto antes. RINA [VLE-Dt] Hier dachte ich, dass wir einen Teil von dem, was sie gesagt hatte, übernehmen konnten. Ich dachte, das es wirklich schöner klang wie/ ich dachte: ja also so wie sie es sagt, klingt es schöner als eine Liste, wie wir sie vorher erstellt hatten. EMMA [VLE- Sp] Sigo aferrada en cambiar algunas palabras porque considero que están mejor. EMMA [VLE- Dt] Ich bin weiter hartnäckig darin, einige Wörter auszutauschen, weil ich denke, dass sie besser sind. [3] 151 [00: 14.1] 152 [00: 18.2] RINA [v] Äh. In diesem Interview sehen wir… EMMA [v] Dass meiste Leute finden wichtig äh blablabla, [4] .. 153 [00: 24.9] LARA [v] Aber ja, dann es kommt diese „um zu, dass“… Wir sollten EMMA [v] um Deutsch zu lernen. H m̌ h m̌ . <?page no="289"?> 289 [5] .. 154 [00: 31.7] 155 [00: 34.2] LARA [v] das nicht benutzen so das… Wir hatten am Anfang das gemacht. Um EMMA [v] Ja. [6] .. 156 [00: 37.2] 157 [00: 38.8] LARA [v] Deutsch zu (()) aber es klingt nicht so gut. Ja das EMMA [v] H m̌ h m̌ . LEHRERIN [v] Das is wenn man schreibt, ne? [7] .. LARA [v] is ähm… Aha. LARA [ger] Hm̌ . LEHRERIN [v] Aber wenn man spricht, muss man nur so kurze Hauptsätze benutzen. [8] 158 [00: 43.2] 159 [00: 46.8] LARA [v] Ja. So dies is nicht so schlecht. Vielleicht könnten wir es kürzer machen. EMMA [v] Ja. Gut. EMMA [VLE-Sp] Finalmente entiendo por qué no podíamos utilizar el EMMA [VLE-Dt] Endlich verstehe ich, warum wir das Beispiel von mir nicht benutzen konnten. [9] .. 160 [00: 49.3] LARA [v] So es ist nicht so lang für sie es zu EMMA [VLE-Sp] ejemplo que estaba dando. <?page no="290"?> 290 [10] 161 [00: 51.7] LARA [v] lernen. Ja. Ja. EMMA [v] Ahh. Wir machen (()). LARA [VLE-Sp] Sí, aquí pensaba que no podíamos hacerlo muy largo, el resumen o la conclusión porque iba a ser muy difícil que se la aprendiera de memoria y la dijera continua, sin atorarse. LARA [VLE-Dt] Ja, hier dachte ich, dass wir es nicht sehr lang machen sollten, das Resümee oder die Schlussfolgerung, weil es sehr schwer sein würde, das auswendig zu lernen und flüssig zu sprechen, ohne sich zu verhaspeln. Transkriptauszug 61: Entscheidungsepisode 15 (Zusammenfassung II) Im zweiten Transkriptausschnitt der analysierten Entscheidungsepisode 15 formuliert EMMA zunächst den Vorschlag, im Zusammenfassungstext das Wort „wichtigste“ durch „meiste“ zu ersetzen. RINA greift die Idee auf und formuliert den Anfang eines Satzes neu (Seg. 151), welcher von EMMA im Stil der kollaborativen Interaktion vervollständigt wird (Seg. 152). LARA erhebt daraufhin erneut den Einwand, dass die soeben vorgeschlagene syntaktische Konstruktion für mündliche Texte ungeeignet sei (Seg. 153-155). Dabei erhält sie erklärende Unterstützung von der LEHRERIN, die nochmals auf den Unterschied von gesprochener und geschriebener Sprache hinweist (Seg. 156-157). Im Anschluss daran gibt EMMA sowohl interaktional als auch retrospektiv ihrer Einsicht und ihrer Zustimmung Ausdruck, da sie nun LARAs Beharren auf der Formulierung einer Liste von Deutschlerngründen gänzlich nachvollziehen kann: „Endlich verstehe ich, warum wir das Beispiel von mir nicht benutzen konnten.“ (EMMA VLE G3-3, Seg. 159). Im weiteren Verlauf der Episode 15 wird eine dementsprechende listenartige Aufzählung der Deutschlerngründe als Teil des Abmoderationstextes erstellt. Im Bezug auf den konvergenten, partizipativen Entscheidungsdiskurs der Gruppe 3 innerhalb dieser Entscheidungsepisode bleibt Folgendes festzuhalten: Die Gruppenmitglieder sind stets bemüht, allen Teilnehmenden eine Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung zu ermöglichen, wenn sie ihre Äußerungsabsicht zu erkennen geben. Stellen sich dem sprachkompetenzbedingte Schwierigkeiten der Vorschlagsformulierung oder in Form von Rezeptionsdefiziten (Kameyama 2004) in den Weg, wird auf unterschiedliche Weise versucht, eine geteilte Verstehensbasis herzustellen. Dabei kommen unterschiedliche Varianten der Ko-Konstruktion und des (kollektiven) Scaffoldings, wie Paraphrasieren oder Übersetzen (s. Kapitel 4.2.2) zum Einsatz. Eine Konsensentscheidung betrifft daher in dieser Diskursform nicht nur die allgemeine Übereinstimmung bei der Auswahl der günstigsten Entscheidungsalternative, sondern beinhaltet auch die dazu notwendige Verständnissicherung, um die Implikationen der aus <?page no="291"?> 291 einer Entscheidung resultierenden Handlungspläne unmissverständlich in ihrem Bedeutungsgehalt durchdrungen zu haben. Eine ausdrückliche Zustimmung aller Gruppenteilnehmenden, die auf dem gegenseitigen Verständnis basiert, bildet daher die Voraussetzung für die Mitbestimmung bei der Aushandlung einer Konsensentscheidung und der sich daraus entfaltenden Gruppenautonomie. 6.3 Zwei gegen Einen: diskursive Allianzen durch Exklusion in Gruppe 1 Auch für den Fall der Gruppe 1 soll im Folgenden das Zusammenspiel von Interaktionsstilen und Partizipationstypen im Bezug auf den daraus resultierenden Entscheidungsdiskurs dargestellt werden. Die Art des Diskurses und der ausgehandelten Entscheidungen gibt Aufschluss über das Wechselverhältnis von personaler Autonomie und Gruppenautonomie in dieser spezifischen Interaktionskonstellation. Gruppe 1 als kleinste, nur drei Mitglieder umfassende Projektgruppe charakterisiert ein Diskursmuster, das stark von Divergenzen, einer Allianzbildung zwischen zwei Teilnehmenden und der Exklusion des dritten Mitglieds im Gruppenentscheidungsprozess geprägt ist. Dies wird am Beispiel des Aushandlungsprozesses zum Entscheidungsgegenstand „Filmtitel“ veranschaulicht. Die Gruppe sitzt bei diesem Treffen an einem runden Tisch, wobei INES vor sich den Computer mit der aktuellen Schnittfassung des Videos platziert hat (s. Abb. 54). Zunächst folgt das Flussdiagramm der gesamten Entscheidungsepisode (G1-1, 28: 07'), wobei die letzten 3,5 Minuten der Sequenz detaillierter im Transkriptausschnitt 61 dargestellt sind. Legende der Codes: Problemstellung (P) Wiederholung Problemstellung (W(P)) Vorschlag (V(P)) Wiederholung Vorschlag (W(V)) Vorschlagsmodifikation (Va(P)) Zustimmung (Z(V)) Erklärung/ Begründung (E/ B(V)) Bedeutungsaushandlung/ Verständnissicherung (B/ VS) Gegenargument (GA(V)) <?page no="292"?> 292 Ablehnung (A(V)) Entscheidungshandlung (Abstimmung, Übereinstimmung, Ratifizierung) (EH) Entscheidungsepisode „Filmtitel“ (G1-1, 00: 00'-25: 10') 1 P1 Filmtitel (INES, LULO, Seg. 0-3) ↓ 2 B (INES, LULO, Seg. 4-14) ↓ 3 V1 (P1) (NERO, Seg. 15-19) - „ W i e d e r g e b u r t n a c h d e m T o d ? “ ↓ 4 V1mod (P1) (INES, NERO, Seg. 20-25) - „W i e d e r g e b u r t “ ↓ 5 GA (V1mod) (LULO, Seg. 27) ↓ 6 V2 (P1) (INES, Seg. 29-31) -„ E r w a c h t ! “ ↓ 7 E (INES, LULO, Seg. 33-39) ↓ 8 V3 (P1) (INES, NERO, Seg. 42-44) - „Wiedergeboren nach dem Tod/ nach der Party“ ↓ 9 V4 (P1) (INES, Seg. 45) -„ W i e d e r e r w a c h t “ ↓ 10 V5 (P1) (NERO, Seg. 48-50) - Übers. von „Vuelve a la vida/ Levantamuertos“ ↓ 11 GA (V5) (LULO, Seg. 51-56) ↓ 12 B (LULO, INES, Seg. 59-67) ↓ 13 V6 (P1) (NERO, Seg. 70) -„ H a l l o w e e n “ ↓ <?page no="293"?> 293 14 W(V) Wiederholung V2 (P1) (LULO, INES, Seg. 72-73) -„ E r w a c h t ! “ ↓ Parallelhandlung Schnitt (INES) P2 - Schnittfehler beseitigen (INES, Seg. 75-88) ↓ 15 V7 (P1) (NERO, Seg. 89) - Titel aus Video: „ H a l l o w e e n - T o t e n t a g p a r t y “ ↓ 16 A (V7) und B (LULO, INES, Seg. 90) ↓ Parallelhandlung Schnitt (INES) P2 - Schnittfehler beseitigen (INES, Seg. 91-159) ↓ 17 W(P) Wiederholung P1 (LEHRERIN, Seg. 160-165) ↓ 18 W(V) Wiederholung V7 (P1) (NERO, Seg. 166-168) - „ H a l l o w e e n - T o t e n t a g p a r t y “ ↓ 19 A (V7) und B (INES, LULO, Seg. 169-171) ↓ 20 V8 (P1) (INES, Seg. 173) - „ T o d i s t n i c h t w i e s c h e i n t “ ↓ 21 GA (V8) (INES, Seg. 175) ↓ 22 E (NERO, Seg. 176-179) ↓ 23 B (INES, Seg. 180-187) ↓ 24 W(V) Wiederholung V3 (P1) (INES, Seg. 191) - „ W i e d e r g e b o r e n “ ↓ 25 A (V3) (LULO, Seg. 193) ↓ 26 V3 (P1) (NERO, Seg. 195-196) - „ W i e d e r g e b u r t n a c h d e r S a u f e r e i “ ↓ 27 B und VS (NERO, Seg. 197-201) <?page no="294"?> 294 ↓ 28 GA (V3mod) (LULO, Seg. 201-202) ↓ 29 VS (LULO, NERO, Seg. 203-209) ↓ 30 V9 (P1) (INES, Seg. 212) - „ T o d i s t t o l l “ ↓ 31 Z (V9), Wiederholung (INES, NERO, LULO, Seg. 214-222) ↓ 32 GA (V9) (INES, Seg. 223) ↓ 33 V10 (P1) (INES, Seg. 228) - „ W i e d e r a u f e r s t e h u n g “ ↓ 34 VS (LEHRERIN, NERO, Seg. 232-235) ↓ 35 W(V) V4 (P1) (INES, Seg. 236) - „ W i e d e r e r w a c h t “ ↓ 36 VS (LEHRERIN, Seg. 236-239) ↓ 37 V11 (P1) (NERO, Seg. 240) - „D e r T o d m e i n e s F r e u n d e s “ ↓ 38 A (V11) (INES, Seg. 244) ↓ 39 V12 (P1) (LULO, Seg. 246) - „D e r T o d u n d d i e P a r t y “ ↓ 40 W(V) V3 (P1) (INES, Seg. 250) - „(V o m ) T o d w i e d e r g e b o r e n “ ↓ 41 V13 (P1) (NERO, Seg. 266) - „D i e G ö t t i n d e r S a u b e r k e i t “ ↓ 42 B und VS (NERO, Seg. 267-275) ↓ 43 A (V13) (INES, Seg. 275) ↓ Parallelhandlung Schnitt - Untertitel (INES, Seg. 276-289) ↓ <?page no="295"?> 295 44 V14 (P1) (INES, Seg. 291) - „T o d w i e d e r z u r ü c k “ ↓ 45 VS (NERO, LEHRERIN, Seg. 293-302) ↓ 46 V15 (P1) (NERO, Seg. 309) - „B e t r a c h t u n g e n ü b e r d e n T o d “ ↓ 47 GA (V15) (NERO, Seg. 310) ↓ Parallelhandlung Schnitt - Tonkorrektur (INES, Seg. 311-337) ↓ 48 B „se cebó“ (LULO, LEHRERIN, Seg. 340-349) ↓ 49 W(V) V1 (P1) (INES, NERO Seg. 353-354) - „W i e d e r g e b u r t “ ↓ 50 W(V) V15 (P1) (NERO, Seg. 356) - „B e t r a c h t u n g e n ü b e r d e n T o d “ ↓ 51 GA (V15) (NERO, Seg. 356) ↓ 52 W(V) V2 (P1) (INES, Seg. 357) - „E r w a c h t “ ↓ 53 V16 (P1) (NERO, Seg. 358) - „El bello durmiente“ (Übers.: Der schlafende Schöne) ↓ 54 A (LULO, Seg. 362) ↓ 55 W(V) V8 (P1) (INES, Seg. 365) - „ T o d i s t n i c h t w i e s c h e i n t “ ↓ 56 GA (V8) (LEHRERIN, LULO, NERO, Seg. 368-372) ↓ 57 V17 (P1) (LULO, Seg. 372-373) ↓ 58 V16 (P1) (NERO, Seg. 358) - „El bello durmiente“ (Übers.: Der schlafende Schöne) ↓ 59 Z (V18) (INES, Seg. 377) <?page no="296"?> 296 ↓ 60 E (NERO, Seg. 379) ↓ 61 VS (LEHRERIN, Seg. 378-381) ↓ 62 Z (V18) (INES, Seg. 382) ↓ 63 VS (LEHRERIN, Seg. 389-398) ↓ 64 V18mod (P1) (LULO, Seg. 399-400 - „M o r g e n g r a u e n “ ↓ 65 EH Entscheidungshandlung - schreiben (INES, Seg. 406) ↓ 66 EH Ratifizierung (INES, LULO, Seg. 407-408) ↓ 67 B (INES, Seg. 409) ↓ 68 VS (INES, NERO, LULO, Seg. 412-419) ↓ 69 W(V) V5 (P1) (NERO, Seg. 420-421) - etw. mit „v o l v e r a l a v i d a “ ↓ 70 VS (LEHRERIN, Seg. 421) ↓ 71 Z (V18) (LULO, INES, NERO Seg. 422-426) ↓ 72 P3 (INES, LEHRERIN, Seg. 422-427) - Abspann des Films Abb. 63: Flussdiagramm 3 - Entscheidungsepisode 1 (Filmtitel) Die gemeinsame Suche nach einem Titel für das Video ist anfänglich von erheblichen Divergenzen geprägt. Sechs verschiedene Vorschläge, die sowohl von INES als auch von NERO in einer Art Brainstorming dargeboten werden, stoßen entweder auf die Ablehnung LULOs oder werden im weiteren Gespräch von den Vorschlagenden selbst als weniger geeignet verworfen. Nachdem sich in dieser ersten Phase der Aushandlung keine Idee als besonders treffend herausstellt, beginnt INES mit einer individuellen Parallelhandlung am Computer, bei der sie Schnittfehler im Video beseitigen will. Diese Individualhandlung kann als <?page no="297"?> 297 Akt personaler Autonomie gewertet werden, da er aufgrund einer Einzelentscheidung vollzogen wird und nicht zuvor mit den übrigen Gruppenmitgliedern abgestimmt wurde. Die Legitimation dafür findet sich vermutlich in INES’ Kompetenz als Videoschnittexpertin. Im VLE äußert sie sich dazu folgendermaßen: „Ich erinnere, dass ich die Fehler beseitigen musste, die kleinen Fehler, die ich beim letzten Sichten gefunden hatte und ich war ein bisschen mehr auf diese Fehler konzentriert als darauf, einen Titel zu finden.“ (Recordé que tenía que editar los errores, los pequeños errores que había encontrado en la última vista y estaba un poco más concentrada en esos errores que en buscar el título (INES VLE G1-1, 06: 17') . Jedoch verlässt INES mit ihrer Handlung den bis dahin eingenommenen kollaborativen Interaktionsrahmen und den kooperativen Partizipationsmodus, da sie sich dem selbstgewählten Handlungsteilziel des Videoschnitts zu- und damit vom Gruppenteilziel der Titelfindung abwendet. Damit schließt sie sich freiwillig für eine gewisse Zeit aus der Gruppeninteraktion aus und überlässt den übrigen Gruppenmitgliedern die Entscheidung, die Titelfindung ohne sie fortzusetzen oder sich ihrer Handlung interaktional anzuschließen. An dieser Stelle entscheiden sich LULO und NERO für die zweite Option und bringen sich ratgebend in den Videoschnitt ein. Sicherlich verfolgt diese Individualhandlung eine Kompensations- oder Überbrückungsfunktion und ist dem Gesamtziel des Projektes der Videoproduktion im Sinne einer kooperativen Arbeitsteilung zuträglich. Jedoch erfolgt INES’ Handeln in diesem Fall zuungunsten der Gruppenautonomie, da sie selbstbestimmt handelt, also die Freisetzung ihre personalen Autonomie vorzieht. Gleichzeitig zeugt die Parallelhandlung von einer Exklusion NEROs, wie sie bereits aus partizipationsanalytischer Sicht in Kapitel 5.5.3 dargestellt wurde. Bezüglich der Autonomiegewichtung findet sich NERO an diesem Punkt in einer Situation der Fremdbestimmung wieder, da er durch die entstandene Informationslücke zunächst keinerlei Ansatzpunkt findet, seine Beteiligung an der Interaktion und seine Mitbestimmung zurückzugewinnen. Sein VLE drückt die dadurch hervorgerufene Hilflosigkeit aus: „Gut, hier verstand ich wirklich nicht, was INES machte, weil sie etwas korrigierte, ich versuchte zu verstehen, was sie entfernen oder hinzufügen wollte.“ (Bueno, ahí la verdad no entendía que estaba haciendo INES porque le estaba corrigiendo algo, estaba como tratando de entender qué le quería quitar o poner.) (NERO VLE G1-1, 06: 17'). Schließlich beendet INES ihre Parallelhandlung und die Gruppe kehrt, initiiert durch die Nachfrage der LEHRERIN ab Seg. 160 zur Titelfindung zurück. In der darauffolgenden Aushandlung folgen weitere Divergenzen durch die gegenseitige Ablehnung der vorgeschlagenen Titel. Dabei wächst die Unzufriedenheit unter den Gruppenmitgliedern, was sich besonders in einer gegenseitigen negativen Bewertung von LULOs und NEROs Vorschlägen in beider VLE-Daten niederschlägt. So erinnert sich LULO in Bezug auf NERO: <?page no="298"?> 298 „Also hier, alles, was ihm einfällt/ ich dachte, alles was er sagte, gab das Ende preis, das heißt, es nahm es vorweg und dann gab es keine Überraschung mehr, keinen Witz. Wir alle wussten, dass der Typ nicht tot war, sondern besoffen. Also brauchten wir einen besseren Titel.“ (O sea aqui/ todo lo que se le ocurre a él / yo pensaba que todo lo que estaba diciendo es que, vendía el final, es decir, anticipaba y ya no tenía ninguna sorpresa, ninguna gracia. Todos sabíamos que el tipo no estaba muerto, estaba ebrio. Entonces, necesitábamos un mejor título.) (LULO VLE G1-1, 12: 59') Zur selben Situation erinnert sich auch NERO an seinen zunehmenden Unmut gegenüber der Ablehnung durch LULO: „Und gut, ich hatte einen Titel vorgeschlagen aber wie ich sage, LULO war mit keinem Titel einverstanden, das ist die Wahrheit.“ (Y bueno, yo había propuesto un título, pero como lo digo, LULO no estaba contento con ningún título, es la verdad.) (NERO VLE G1-1,13: 05') Einhergehend mit diesen negativen Befindlichkeiten verstärkt sich auch die Delegitimierung NEROs bezüglich seiner Beteiligung bzw. Meinungsäußerung im Aushandlungsprozess. INES erklärt im Hinblick auf NEROs Kritik an LU- LOs Schauspielqualitäten in einer retrospektiven Stellungnahme ihre Gedanken, die sie jedoch an dieser Stelle nicht in der Interaktion zum Ausdruck bringt: „Ich dachte, dass NERO noch nicht das Recht zum Kritisieren hatte. Dass die Reaktion von LULO etwas/ er kritisierte das Schauspiel/ nein also/ meine Reaktion/ ich dachte er hatte nicht das Recht zu kritisieren, weil er nicht dabei war.“ (Pensé que NERO no tenía el derecho todavía de criticar. Que la reacción de LULO era un poco / estaba criticando la actuación / no este / mi reacción / pensé que como no tenía derecho a criticar todavía que no estuvo presente .) (INES VLE G1-1,10: 52') Die Delegitimierung begründet sich, wie bereits in Kapitel 5.5.3 dargestellt, in der diskontinuierlichen Anwesenheit NEROs bei den Projekttreffen, insbesondere bei den Dreharbeiten für das Video. Es ist anzunehmen, dass diese Tatsache INES’ gesamtes interaktionales Handeln in dieser Entscheidungsepisode prägt. An späterer Stelle in INES’ Retrospektion wird sie in ihrer Ablehnung gegenüber NEROs Beiträgen sogar noch deutlicher: „Um ehrlich zu sein, interessierte es mich nicht, was NERO sagte, also dachte ich, dass es besser wäre, einige Schlüsselwörter im Text zu suchen, um einen Titel zu finden, der uns einfiel.“ (La verdad es que no me interesaba lo que estaba diciendo NERO, entonces pensé que era mejor buscar algunas palabras claves en el texto para encontrar algún título que se nos ocurriera.) (INES VLE G1-1,16: 04') Auch wenn INES diese Einschätzung gegenüber ihren Gruppenkollegen nicht verbal zum Ausdruck bringt, wirkt sich ihre Überzeugung doch auf ihre Bewertung der entscheidungsrelevanten Redebeiträge NEROs aus. Sie verlieren an Wertigkeit und er wird durch die Ablehnung im Vergleich zu LULO in seiner Entscheidungsmacht bzw. möglichen Einflussnahme auf den Diskurs von vornherein und unabhängig von der Qualität seiner Beiträge herabgesetzt. <?page no="299"?> 299 Hervorgerufen durch diese zunehmend verfestigte Divergenz, wiederholt sich in Seg. 276-289 das Muster der kompensatorischen Parallelhandlung durch INES’ Videoschnitt. Hierbei artikuliert sie jedoch in Seg. 276-278 ihren Vorschlag, allein am Schnitt der Untertitel weiterarbeiten zu wollen während die Anderen fortfahren sollten, einen Titel zu kreieren: „Da wir keine Idee hatten, also entschied ich eine andere Sache zu beginnen damit uns vielleicht in einem Moment dann wieder etwas einfiel.“ (Como no teníamos una idea, entonces decidí hacer/ empezar a hacer otra cosa para que quizás en un momento se nos volviera a ocurrir algo, después.) (INES VLE G1-1,17: 51') Für die dritte Parallelhandlung von INES in Seg. 311-337 erfolgt diese Art der Ankündigung wiederum nicht, d. h., sie wird erneut durch eine Einzelentscheidung von Seiten INES’ ausgelöst. Letztendlich mündet die bis dahin erfolglose Titelsuche von nunmehr 23 Minuten in negativen Emotionen bei den Beteiligten: „Hier waren wir alle so wie frustriert, mit den Händen im Nacken, am Kopf. Wir waren frustriert, nun, wir hatten noch etwa fünf Minuten um den Titel richtig auszuwählen, um uns für einen zu entscheiden. Also nun wir hatten alle unterschiedliche Ideen und ja, uns frustrierte der Titel. Das war etwas schwierig.“ (Ahí estábamos así como frustrados todos, con las manos en la nuca, en la cabeza. Estábamos frustados, pues teníamos como cinco minutos para escoger ya bien el título, para decidirnos por uno. Entonces, pues como que todos teníamos ideas diferentes, y sí, nos frustró el título. Fue algo difícil.) (NERO VLE G1-1, 23: 08') „Ich wartete darauf, dass/ nochmal kamen wir auf dieselben Ideen zurück, dieselben Ideen und ich dachte, dass/ gut, ich war verzweifelt.“ (Estaba esperando que / otra vez volvíamos a las mismas ideas, las mismas ideas y pensé que / bueno estaba desesperada.) (INES VLE G1-1, 24: 34') Ein weiterer Beleg für die angespannte Stimmungslage stellt die Körpersprache der Gruppenmitglieder in Abbildung 63 dar. Während NERO sich abwartend zurücklehnt und die Arme vor der Brust verschränkt hält, wobei er INES visuell fixiert, richtet diese in der Denkerpose ihren Blick auf den Computerbildschirm. LULO nimmt ebenfalls die Denkerpose ein, wobei er die Stirn in Falten zieht und sich mit dem Blick sowie der Körperposition von seinen Gruppenmitgliedern abwendet. Dieses Standbild verdeutlicht zudem die Gruppenkonstellation zu Beginn des nun detaillierter analysierten Transkriptauszugs zur Entscheidungsfindung innerhalb der Entscheidungsepisode 1 - „Filmtitel“. <?page no="300"?> 300 Abb. 64: Gruppensituation Gruppe 1 (G1-1, 24: 19') [1] 373 [24: 27.3] 374 [24: 28.2] 375 [24: 29.7] 376 [24: 34.1] INES [sup] ((lacht)) INES [v] H m! ? No, noch einmal. H m" . (3s) ((lacht)) INES [ger] Nein INES [nv] hilflos LULO [v] Totparty. NERO [VLE-Sp] Ahí estábamos ya cansados NERO [VLE-Dt] Hier waren wir schon müde, INES [VLE-Sp] Estaba esperando que / otra vez INES [VLE-Dt] Ich wartete dass / nochmal [2] .. NERO [VLE-Sp] porque de hecho ese título que acaba de decir LULO, pues ya lo habíamos rechazado, vamos a decirlo así. Entonces, era como volver otra vez a considerar lo que ya habíamos rechazado. Entonces estaba pensando como: algo diferente. NERO [VLE-Dt] Weil dieser Titel, den LULO gerade genannt hat, also den hatten wir schon abgelehnt, um es so zu sagen. Also, das war, als würden wir noch einmal etwas in Erwägung ziehen, was wir schon verworfen hatten. Als dachte ich so etwas wie: etwas anderes. INES [VLE-Sp] volvíamos a las mismas ideas, las mismas ideas y pensé que / bueno estaba desesperada. INES [VLE-Dt] Kehrten wir zu den gleichen Ideen zurück, die gleichen Ideen und ich dachte, dass / gut, ich war verzweifelt. LULO INES NERO LULO INES NERO <?page no="301"?> 301 [3] 377 [24: 39.0] NERO [sup] ((lacht)) NERO [v] Rojo Amanecer, huey. NERO [ger] Rotes Morgengrauen, Alter. INES [v] Ja! LULO [VLE-Sp] „Rojo Amanecer“ es una película. El título ya existe. Por eso me da tanta risa y aparte, bueno, es un poco exagerado llamarle „Rojo Amanecer“ al video. Entonces fue lo que pensé, en la película esa y por eso me dio tanta risa. LULO [VLE-Dt] „Rojo Amanecer“ ist ein Film. Den Titel gibt es schon. Deshalb muss ich so lachen und außerdem, gut, es ist ein bisschen übertrieben das Video „Rojo Amanecer“ zu nennen. Also, das war, woran ich dachte, an diesen Film und deswegen musste ich so lachen. [4] 378 [24: 42.2] 379 [24: 46.3] NERO [v] ((lacht)) „Rojo Amanecer“ ist ein mexikanisches Film. NERO [nv] blickt zur LEHRERIN INES [v] Auf Deutsch? Rot… LULO [v] ((lacht)) LEHRERIN [v] rot, rotes… Ja. <?page no="302"?> 302 [5] 380 [24: 50.6] LEHRERIN [v] Rotes, rote äh rotes Morgengrauen müsste man dazu sagen. NERO [VLE-Sp] Entonces se me vino a la mente esta película que hace referencia a la matanza de estudiantes en la ciudad de México en la plaza de Tlatelolco en 1968. Es una película. No me acuerdo quién/ creo que es Raetes el que la filmó no me acuerdo bien, pero se llama „Rojo Amanecer“, y yo, un poco con la onda del chiste y de la ironía de que, pues, dígamos que el personaje de LULO se despierta y todo bañado en sangre y al parecer hubo una masacre o un asesinato, bueno, era un poquito así también como para relajar el asunto y tal vez nos podía dar eso una idea, no. Ya nos había cambiado el humor. Eso fue lo bueno. NERO [VLE-Dt] Also kam mit dieser Film in den Sinn, der sich auf das Studentenmassaker in Mexiko- Stadt auf dem Tlateloco-Platz 1968 bezieht. Das ist ein Film. Ich erinnere mich nicht wer/ ich glaube er ist von Raetes, er erinnere mich nicht genau, aber er heißt „Rojo Amanecer“ und ich, so ein bisschen witzig und ironisch darüber, also sagen wir, dass die Figur von LULO aufwacht, ganz in Blut gebadet und es scheint so, als hätte es ein Massaker oder einen Mord gegeben, gut, das war auch ein bisschen um die Sache zu entspannen und vielleicht konnte uns das eine Idee geben, nicht. Unsere Laune war wieder besser. Das war das Gute. [6] 381 [24: 54.7] NERO [v] Kauen? LEHRERIN [v] Ich hole… Nee, Grauen. Ich hole mal n Stift. [7] 382 [24: 57.8] 383 [25: 00.3] 384 [25: 03.0] NERO [v] Rojo amanecer? Erinnerst, erinnerst du dich an • den Film? INES [v] Ja, es ist gut das. No (()) INES [ger] Nein [8] 385 [25: 07.6] NERO [v] Ja. INES [v] Si, pero das ist total (ein anderes). INES [ger] Ja, aber LULO [VLE-Sp] Ahí me parece muy malicioso llamarlo „Rojo Amanecer“, entonces me estaba agradando la idea, me gustaba. LULO [VLE-Dt] Hier erscheint es mir sehr ironisch den Film „Rojo Amanecer“ zu nennen, also mir sagte die Idee zu, sie gefiel mir. <?page no="303"?> 303 [9] 386 [25: 10.7] NERO [v] Genau. LULO [VLE-Sp] Hasta ese momento era el mejor título que se nos había ocurrido. LULO [VLE-Dt] Bis zu diesem Moment war das der beste Titel, der uns eingefallen war. Transkriptauszug 62: Entscheidungsepisode 1 (Filmtitel I) Zu Beginn der Sequenz (Seg. 377) äußert NERO den Vorschlag, dem Video die deutsche Übersetzung des Titels des mexikanischen Filmes „Rojo Amanecer“ zu geben. INES stimmt der Idee sofort zu (Seg. 377, 382) und auch LULO bewertet den Vorschlag mental positiv (LULO VLE G1-1, 25: 07', 25: 10'). Daraufhin folgt eine längere Bedeutungsaushandlung im Hinblick auf die Polysemie von Morgengrauen: [15] 395 [25: 46.2] 396 [25: 47.6] NERO [v] Gris no? ((blättert im Wörterbuch)) NERO [ger] Grau nicht? LEHRERIN [v] Nee, nee, nee. Das ist grau. Aber Grauen, das Grauen ist como die LEHRERIN [ger] Wie [16] .. 397 [25: 51.8] INES [v] Hm . (()). LULO [v] Ah. LEHRERIN [v] Angst. Hat eine doppelte Bedeutung. Schau mal bei das Grauen, was da steht. LEHRERIN [nv] zu NERO [17] .. 398 [25: 57.5] LULO [v] Mit dem LULO [VLE-Sp] Ahí me agradó más el título cuando la / una definición de cada uno. LULO [VLE-Dt] Hier gefiel mir der Titel noch mehr, als die/ eine Definition von jedem einzelnen. <?page no="304"?> 304 [18] 399 [26: 00.0] INES [v] Morgengrauen nur? LULO [v] Morgengrauen könnte ohne rotes ohne (()). INES [VLE-Sp] Yo estaba buscando el consenso entre todos porque LULO , bueno no estaba de acuerdo con unas cosas y NERO tampoco y yo tampoco. Entonces como me pareció buena la idea, era como/ buscaba la aprobación de, de LULO. INES [VLE-Dt] Ich suchte den Konsens zwischen allen, weil LULO, gut war nicht einverstanden mit einigen Dingen und NERO auch nicht und ich auch nicht. Also, es schien mir eine gute Idee zu sein, es war wie/ ich suchte die Zustimmung von, von LULO. [19] 400 [26: 04.6] 401 [26: 05.9] INES [v] (()) LULO [v] Ja. Es ist besser Morgengrauen. [20] 402 [26: 09.2] 403 [26: 13.8] NERO [v] Ich habe grau und grausam, aber kein Grauen. INES [v] (()) Morgengrauen nur? INES [nv] zu NERO LEHRERIN [v] Ich frage mal [21] .. 404 [26: 17.0] NERO [v] Ja, danke. LEHRERIN [v] den LEHRER. LULO [v] Ja. INES [VLE-Sp] En ese momento, en ese momento decidí: bueno, sí, parece que todos están de acuerdo, voy a escribirlo. INES [VLE-Dt] In diesem Moment entschied ich: gut ja es scheint so, als seien alle einverstanden, ich werde es aufschreiben. <?page no="305"?> 305 [22] 405 [26: 18.6] INES [v] Mor-gen-grau-en. Así? INES [ger] So? INES [nv] Schreibt NERO [VLE-Sp] Bueno, entonces ahí este ya LEHRERIN decía que podría ser ese el título “Morgengrauen”, pero no conocíamos bien o sea cuál era el significado de Grauen. Pensábamos que era “hacerse gris”, no, “grau zu werden”, pero eso no era realmente lo que significa la palabra. A partir de ahí, de esa película „Rojo Amanecer“ bueno, ya empezó a salir el amanecer y bueno, íbamos bien hasta ahí ya. NERO [VLE-Dt] Gut , also LEHRERIN sagte, dass Morgengrauen der Titel sein könne aber wir kannten nicht also wir verstanden die Bedeutung von Grauen nicht. Wir dachten, die war „grau werden“ nicht „grau zu werden“ aber das war es nicht wirklich was das Wort bedeutete. Von da ab, von diesem Film „Rojo Amanecer“ ausgehend, gut begann das Morgengrauen zu entstehen und gut, bis hierhin lief es schon gut. [23] 406 [26: 23.5] NERO [v] H m̌ h m̌ . Rotes Morgengrauen. INES [v] Aber sin rotes oder? Ohne rotes. (()). Rotes? INES [ger] ohne [24] 407 [26: 30.8] 408 [26: 31.7] 409 [26: 35.7] NERO [v] (()). So, amanecer. Das ist alles. INES [v] Ja, weil das ist ein bisschen exagerado. INES [ger] übertrieben LULO [v] Ohne rotes. <?page no="306"?> 306 [25] 410 [26: 37.9] NERO [v] Amanecer. INES [v] • Was denkst du? INES [nv] zu LULO LULO [v] (Ja.) NERO [VLE-Sp] Bueno, y este pues, INES dijo que lo de rojo estaba un poco exagerado, que pues quedara como Morgengrauen, como amanecer, entonces ya/ pues a LULO no le veía muy convencido. INES ya estaba más para acá que para allá y LULO estaba más para allá que para acá. Entonces bueno. NERO [VLE-Dt] Gut und also INES sagte, dass mit dem Rot war ein bisschen übertrieben, dass es Morgengrauen bleiben sollte, wie das Morgengrauen, also, nun LULO sah mir nicht sehr überzeugt aus. INES war schon eher dafür und LULO war eher dafür als dagegen, also gut. [26] 411 [26: 41.3] 412 [26: 48.0] NERO [v] Amaneciendo. Ähm. (Am Morgen.) INES [v] Rotes? Todes? LULO [v] Totes Morgengrauen. Totes. Por eso totes. LULO [nv] Deswegen [27] 413 [26: 49.5] 414 [26: 54.8] INES [v] Pero (()) no sería „muerte amaneciendo“. Qué? Todes? Tote. Tot/ muerte. INES [ger] Aber (()) wäre das nicht „aufwachender Tod“? Was? Tod. LULO [v] Amanecer muerto. LULO [ger] Tot erwachen. [28] .. INES [v] Ah la/ el amanecer de la muerte. Todes? INES [ger] die/ das Erwachen des Todes LULO [VLE-Sp] Yo seguía insistiendo con lo de muerte, pero creo que realmente ya venía demás. Y no sé por qué? LULO [VLE-Dt] Ich beharrte darauf mit dem Tod aber ich denke, das war überflüssig. Und ich weiß nicht warum. <?page no="307"?> 307 [29] 415 [27: 05.5] NERO [v] Ich denke da/ wir, wir sollten etwas ähnliches verwenden, etwas mit Beziehung zu [30] .. 416 [27: 13.9] NERO [v] ähm volver a la vida oder eine (()). NERO [ger] ins Leben zurückkehren INES [v] (()). LEHRERIN [v] Das Grauen, das Grauen ist „el horror“ . [31] 417 [27: 19.0] INES [v] Ah. Ja, es ist gut. Es ist Morgengrauen. LULO [v] Ah, ja. Morgengrauen. LULO [VLE-Sp] Me gusta completamente el Morgengrauen. Sin ninguna otra palabra. Es una sola palabra que lo dice todo. Un juego de palabras. A mi me agradó completamente. Se queda. Fue lo que pensé, se queda ese título a como dé lugar. LULO [VLE-Dt] Mir gefällt Morgengrauen total. Ohne ein anderes Wort. Es ist ein einziges Wort, das alles sagt. Ein Wortspiel. Es gefiel mir voll und ganz. Das bleibt. Ich dachte, der Titel bleibt, komme, was da wolle. [32] 418 [27: 24.6] 419 [27: 29.9] NERO [v] H m̌ h m̌ . Das ist so wie ein Spiele/ ein Spielwort. INES [v] (()). Ja, gut. Ja? (()) INES [nv] zu NERO LULO [v] Ja, ja, ja. LEHRERIN [v] Ein Sprach/ NERO [VLE-Sp] Ahí estaba analizando el NERO [VLE-Dt] Hier analysierte ich den [33] .. LEHRERIN [v] ja, Wortspiel. NERO [VLE-Sp] título y me parecía que era un juego de palabras ingenioso, digo, sin saberlo, era ingenioso y quedaba mejor NERO [VLE-Dt] Titel und er erschien mir ein originelles Wortspiel, sag ich, ohne es zu wissen war er originell und passte besser. <?page no="308"?> 308 [34] 420 [27: 34.1] 421 [27: 36.7] NERO [v] Sprachspieles, ok. LEHRERIN [v] Ein Sprachspiel ist es. Oder Wortspiel ist [35] .. 422 [27: 40.0] NERO [v] Wortspiel. INES [v] Und mit dem Titel? Das, deine Uni ist Leipzig Uni? LEHRERIN [v] besser. Wortspiel. H m̌ . [36] .. INES [v] Oder Uni? Universität. Handy-Videoprojekte? Oder? Projekt. LEHRERIN [v] Universität Leipzig. Projekt. Ist ja eins. LULO [VLE-Sp] Lo que pensé es: ya, acabamos. Ya está terminado. Un par de detalles, pero ya no tengo que hacerlos yo. Ya, listo para exhibirse. LULO [VLE-Dt] Was ich dachte ist: genug, wir sind fertig. Es ist schon beendet. Einige Details aber die muss ich nicht machen. Fertig zum Vorführen. [37] 423 [27: 53.3] 424 [27: 57.9] INES [v] (2s) (La) Universität von Leipzig? LEHRERIN [v] Nö, ohne von. NERO [VLE-Sp] Bueno, en ese momento ya habíamos escogido el tema, pero LULO todavía no estaba contento, eh? NERO [VLE-Dt] Gut, in diesem Moment hatten wir schon den Titel ausgewählt aber LULO war noch nicht zufrieden, ne? Transkriptauszug 63: Entscheidungsepisode 1 (Filmtitel II) Die Episode 1 findet ihren Fortgang in der Aufspaltung von zwei Handlungssträngen. Während die LEHRERIN muttersprachliche Unterstützung bei der Übersetzung des Wortes „Grauen“ einholt und NERO diese im Wörterbuch recherchiert, modifiziert LULO den Vorschlag NEROs mit der Idee, den Titel auf das Wort „Morgengrauen“ zu reduzieren (Seg. 398-401). Verständnissichernd fragt INES nochmals bei LULO nach (Seg. 403) und dieser bestätigt seine favorisierte, reduzierte Variante (Seg. 404). Im VLE begründet INES ihr Nachfragen mit ihrem Wunsch nach einer Konsensermittlung: <?page no="309"?> 309 „Ich suchte den Konsens zwischen allen, weil LULO, gut war nicht einverstanden mit einigen Dingen und NERO auch nicht und ich auch nicht. Also, es schien mir eine gute Idee zu sein, es war wie/ ich suchte die Zustimmung von, von LULO“. (INES VLE G1-1, 26: 00') Hierbei tritt der Widerspruch auf, dass INES zwar erinnert, alle bei der Konsensfindung einbeziehen zu wollen, dann aber ausführt, nur an der Einschätzung von LULO interessiert zu sein. Die positive Rückmeldung LULOs nimmt INES zum Anlass, den Titel in den Computer einzugeben und dabei durch die Entscheidungshandlung des Schreibens dem Entscheidungsresultat eine faktische Form zu geben. Retrospektiv bestätigt sie die von ihr getroffene Einzelentscheidung aufgrund des von ihr wahrgenommenen Konsenses: „In diesem Moment entschied ich: gut ja es scheint so, als seien alle einverstanden, ich werden es aufschreiben.“ (INES VLE G1-1, 26: 13'). Direkt im folgenden Redebeitrag zeigt sich aber, dass dieses Handeln noch keineswegs auf der Zustimmung aller Beteiligten beruht, indem NERO INES’ Frage nach der korrekten Orthographie des Wortes mit der noch notwendigen Erweiterung des Titels um das Adjektiv „rotes“ erwidert (Seg. 405-406). INES vergewissert sich daraufhin, dass die Entscheidung bei dem Einworttitel beibehalten werden würde, was ihr LULO auch bestätigt (Seg. 406-407). Sie schließt daran eine an NERO gerichtete Begründung an, warum diese Auswahl die geeignetere sei (Seg. 408). NERO wiederholt nun den Titel leicht zweifelnd (Seg. 409), sodass INES die Bewertung von LU- LO erneut erfragt: „Was denkst du? “ und damit entweder ihre Entscheidung noch einmal grundsätzlich in Frage stellt oder auch NERO mit LULOs Bestätigung die ihr schon bekannte Präferenz manifestieren will. LULO interpretiert die Frage auf die zuletzt genannte Art, da er eine neue Modifikation vorschlägt: „Totes Morgengrauen“ (Seg. 411-412). Retrospektiv distanziert er sich zwar von der Geeignetheit dieser Idee (LULO VLE G1-1, 26: 54') mit INES, jedoch eröffnet er eine kurze Phase der Verständnissicherung (Seg. 411-414). Diese wird von NERO durch die Wiederholung eines bereits vorher genannten Titelvorschlages („etwas mit volver a la vida“) unterbrochen. Seine Äußerung zeigt, dass ihn bis dahin der Titel „Morgengrauen“ nicht vollständig überzeugt zu haben scheint, er dies aber noch nicht artikuliert hatte. Die Reaktion von LULO und INES auf diese konträre Idee bleibt offen, da sich an dieser Stelle die LEHRERIN wieder in das Gespräch einschaltet und die fehlende Übersetzung von „Grauen“ bekannt gibt (Seg. 416). Sowohl INES als auch LULO (ebenfalls im VLE) bestätigen ihre positive Einschätzung des Titels vor der neu erschlossenen Kenntnis über die zweite semantische Ebene des von ihnen favorisierten Titels. NERO reagiert darauf nur mit einem zustimmenden Hörersignal, sodass sich INES veranlasst sieht, NERO noch einmal direkt zu adressieren und seine Position zu erfragen. Er antwortet nicht direkt, sondern gibt seine sprachwissenschaftliche Einordnung des Titels („Wortspiel“) kund (Seg. 419). In der Retrospektion bestätigt er dazu seine positive Beurteilung des Titels vor dem literarisch- <?page no="310"?> 310 sprachlichen Hintergrund (NERO VLE G1-1, 27: 29'). In der von INES daraufhin individuell initiierten Anschlusshandlung, die im Eintippen der weiteren fehlenden Informationen des Abspanns besteht, zeigt sich, dass ab diesem Moment die Titelentscheidung für sie als ratifiziert gilt (Seg. 422-424). Dass diese Einschätzung einer vorliegenden Übereinstimmung jedoch nicht alle Gruppenmitglieder teilen, wird in der verbalisierten Erinnerung NEROs zu dieser Gesprächsphase ersichtlich: „Gut, in diesem Moment hatten wir schon den Titel ausgewählt aber LULO war noch nicht zufrieden, ne? “ (NERO VLE G1-1, 27: 57'). Er diagnostiziert aus dem Verhalten seines Gruppenkameraden eine mangelnde Zufriedenheit mit der getroffenen Entscheidung, welche aber eindeutig dessen zuvor interaktional und retrospektiv geäußertem Gefallen an der Titelentscheidung widerspricht: „Mir gefällt Morgengrauen total. Ohne ein anderes Wort. Es ist ein einziges Wort, das alles sagt. Ein Sprachspiel. Es gefiel mir voll und ganz. Das bleibt. Ich dachte, der Titel bleibt, komme, was da wolle.“ (LULO VLE G1-1, 27: 19'). Somit bezweifelt NERO bis zum Ende der Episode die Berechtigung des ausgewählten Titels, behält diese Gedanken im Moment der Interaktion jedoch für sich. Diese Unsicherheit in der Bewertung von LULOs (Interaktions-)Verhalten setzt sich bei NERO auch im zweiten Teil der Entscheidungsepisode 2 zum Gegenstand „Evaluationskriterien“ fort: Gut, hier wollte ich wissen, was LULO dachte, weil mir LULO sehr nervös oder eher sehr unruhig vorkam. Also wollte ich wissen, woran er dachte, ob er das, was INES vorschlug, in Erwägung zog.“ (Bueno, ahí yo quería saber qué era lo que estaba pensando LULO, porque yo había visto a LULO como muy nervioso o muy inquieto más bien. Entonces, quería saber que era lo que él estaba pensando, si había considerado lo que INES había propuesto.) (NERO VLE G1-2, 04: 22') „Gut, hier wollte ich wissen, was die Ideen von LULO waren, weil und ich insistiere, LULO so, ich weiß nicht, so aussah als würde ihm das, was er hört, nicht gefallen. Und ich wartete darauf, was LULO sagte, weil es für mich nur diese zwei Elemente waren, die man evaluieren konnte, die ich da schon erwähnt hatte.“ (Bueno ahí yo lo que quería era saber cuáles eran las ideas de LULO, porque inisisto, yo veía a LULO como, no sé, como que no le estaba gustando lo que escuchaba. Y yo estaba esperando qué decía LULO porque para mí nada más habían sido como dos los elementos que había que evaluarse, que ya los mencioné ahí.) (NERO VLE G1-2, 05: 46') „Gut, hier denke ich darüber nach, was INES sagte aber ich insistiere, ich wartete auf die Antwort von LULO.“ (Bueno, ahí estaba tomando en cuenta lo que estaba diciendo INES, pero, insisto, yo estaba esperando la respuesta de LULO.) (NERO VLE G1-2, 07: 28') In dieser Episode fällt es NERO noch schwerer, Einblick in die Gedankenwelt seines Gruppenkollegen zu erhalten, weil dieser sich mit der Einnahme des Interaktionsstils der passiven Nicht-Kollaboration weitestgehend aus der Interaktion zurückgezogen hat (s. Kapitel 4.4). NERO nimmt diese Diskrepanz zwar <?page no="311"?> 311 wahr, wird aber nicht interaktional aktiv, um sie aufzulösen. NEROs Exklusion manifestiert sich dadurch und steht im Gegensatz zu einer geteilten Denk- und Interaktionsweise zwischen INES und LULO: „Hier scheint mir, dass wir zwei an das Gleiche denken. Das, was ich kurz vorher über gekreuzte Evaluationen dachte. Also wollte ich, also, ausdrücken, was ich gedacht hatte, um zu sehen, ob wir das gleiche dachten oder nicht.“ (Aquí me parece que los dos estábamos pensando en lo mismo, lo que había pensado un rato antes sobre evaluaciones cruzadas. Entonces quería, pues, expresarles lo que había pensado a ver si estábamos pensando lo mismo o no.) (LULO VLE G1-2, 14: 06') Das heißt, LULO rückt im letzten Drittel der Entscheidungsepisode 2 wieder leicht von seiner Passivität ab (s. Transkriptausschnitt 21, Kapitel 4.4) und zwar vornehmlich, um mit INES zu kollaborieren. Auch INES gibt retrospektiv Aufschluss über dieses von ihr wahrgenommene Phänomen: „Hier dachte ich auch, dass ich mich nur an LULO wende und als NERO mich/ ich spielte mit meinen Händen und NERO nahm mir die Hand weg und ich erinnerte mich, dass NERO ja auch da war. Es scheint als würde ich nur mit LULO sprechen und in diesem Moment sagte/ wurde mir bewusst, dass ich ja nur mit LULO spreche/ und als mich NERO berührte.“ (Ahí también estaba pensando que solo me estaba dirigiendo a LULO y cuando NERO me estaba / yo estaba jugando con mis manos y NERO me, me quitó la mano, me acordé que también estaba NERO. Parece que solamente estoy hablando con LULO y en ese momento dije / fui consciente de que sí, solamente estaba hablando con LULO / y cuando NERO me tocó.) (INES VLE G1-2, 04: 22') Die exklusiv auf LULO abzielende Gesprächsführung ist für INES so vereinnahmend, dass sie erst durch NEROs physische Kontaktaufnahme seiner Präsenz erneut gewahr wird. LULOs und INES’ kollaborative Interaktion untereinander kann daher als Allianz bezeichnet werden, die sich gegenüber NERO in einer nicht-kollaborativen Gesprächsführung bis hin zur Exklusion niederschlägt und seine Mitbestimmung im Gruppenentscheidungsprozess erschwert. Dies wird besonders im Blickverhalten sichtbar, welches zwischen LULO und NERO in dieser Episode von keinerlei Augenkontakt geprägt ist, sodass sich beide visuell eher hin zu INES orientieren (s. Kapitel 4.4). Daraus resultiert die detailliert in Kapitel 5.5.3 beschriebene legitimationsbedingte Nicht-Partizipation von NERO, aus der es ihm nur selten gelingt herauszugelangen, sodass er sich schließlich mit der Rolle eines Mediators zwischen INES und LULO begnügt (s. ebd.). Der divergente Charakter des Entscheidungsdiskurses in Gruppe 1 zeigt sich zusammenfassend somit in verschiedenen Aspekten der interaktionalpartizipativen Perspektive. Die Allianzbildung zwischen zwei Gruppenmitgliedern, die untereinander durch einen kollaborativen Interaktionsstil aber durch eine nichtbzw. nur teilkollaborative Interaktion mit dem dritten Gruppenmitglied gekennzeichnet ist, führt zur weitestgehenden delegitimierungsbedingten <?page no="312"?> 312 Exklusion dieser Person aus dem Entscheidungsprozess. Er ist zwar weiterhin interaktional am Gespräch beteiligt, seinen Beiträgen wird aber, wie die VLE- Daten zeigen, weniger entscheidungsrelevantes Gewicht beigemessen. Aufseiten des exkludierten Gruppenmitglieds kommt es dadurch zu vermehrten Schwierigkeiten, die Bewertungen der geäußerten Vorschläge durch die anderen Gruppenmitglieder evaluieren zu können und führt bis hin zu Fehleinschätzungen dieser nichtverbalisierten Beurteilungen. Einher geht dies oft mit negativen Emotionen bei allen Aushandlungsbeteiligten. Die Divergenz hinsichtlich der Mitbestimmung ist außerdem darin ersichtlich, dass die Einflussnahme auf den Entscheidungsdiskurs im Wesentlichen vom Unterbreiten oder Ablehnen von Vorschlägen geprägt ist. Weniger werden Erklärungen, Begründungen oder Modifikationen von Vorschlägen oder Gegenargumenten vorgenommen (s. Flussdiagramm 3). Das geringe Gewicht der Einflussnahmeversuche des exkludierten Mitgliedes führt zu einem vermehrten Auftreten von Einzelentscheidungen oder Teilkonsensentscheidungen, die maximal in der Ratifizierungsphase noch zu Gruppenentscheidungen ausgebaut werden, indem nachträglich die Zustimmung der exkludierten Person eruiert wird. Dies kann jedoch weniger als Konsensdenn vielmehr als Pseudokonsensentscheidung gewertet werden, da es eher der Ratifizierung einer bereits getroffenen Einzel- oder Paarentscheidung dient. Der Entscheidungsdiskurs ist weiterhin geprägt von individuellen Parallelhandlungen, die gar nicht oder nur indirekt mit dem aktuell angestrebten Gruppenteilziel in Verbindung stehen, die also durch nichtkooperative Partizipation gekennzeichnet sind. Sie dienen meist der Überbrückung von Gesprächsphasen mit geringer Entscheidungsrelevanz, verzögern dadurch aber z. T. auch den Fortgang des gegenwärtigen Entscheidungsaushandlungsdiskurses. Auf Individualentscheidungen zurückzuführende Parallelhandlungen nehmen in den analysierten Datensätzen einen höheren Stellenwert ein als konsensbasierte Gruppenscheidungen. Somit dominiert im Fall der Gruppe 1 mit dem auf Allianzbildung sowie Delegitimierung fußenden divergenten Diskurs die personale gegenüber der Gruppenautonomie. 6.4 Einer gegen alle: divergenter Diskurs durch dominante Nichtkollaboration und nichtkooperative Partizipation in Gruppe 2 Die Entscheidungsinteraktion der Gruppe 2 ist primär divergenter Natur, wobei diese im ersten analysierten Datensatz (Dreierkonstellation) eine weniger starke Ausprägung als im zweiten Datensatz (Fünferkonstellation) einnimmt. Die Divergenz, die in der Dreierkonstellation nur indirekt und stellenweise in der Interaktion beobachtbar ist, kommt in der Fünferkonstellation zur vollen Geltung. Daher sollen zunächst Diskursspezifika der schwachen Divergenz aus Datensatz 1, der aus zwei Teildatensätzen besteht, herausgearbeitet werden, um sie im <?page no="313"?> 313 Anschluss den Merkmalen der starken Divergenz (Datensatz 2) gegenüberzustellen und jeweils Aussagen zum Autonomiepotenzial in beiden Konstellationen abzuleiten. Der erste Datensatz besteht aus der Sitzung einer Dreiergruppe (ELMER, DUNA und MIRA), d. h., die zwei weiteren Gruppenmitglieder (ALEX und FABIO) sind zu diesem Termin nicht anwesend. Den Einstieg in das ca. 45minütige Gespräch bildet die Wiederholung der Resultate des vorangegangenen Treffens, an dem ELMER nicht teilgenommen hatte. Im Laufe der Sitzung werden diverse Entscheidungsgegenstände mit ihren jeweiligen Subproblemstellungen diskutiert: Einführung und Fazit des Videos, Interviewfragen, Interviewteilnehmer, Drehplan, Recherche, Erzähler, Gruppenarbeitsrollen sowie der Schnitttermin. MIRA übernimmt dabei die Aufgabe der Protokollantin, wobei auch DUNA durchgängig Notizen anfertigt. Der Gesprächsverlauf ist als relativ schleppend zu charakterisieren, was vor allem an der hohen Anzahl und Dauer von Gesprächspausen ersichtlich wird. Die latente Divergenz manifestiert sich v. a. in den diskursiven Schleifen, d. h. in der Aufgabe des Entscheidungsgegenstandes und einer späteren Wiederaufnahme der diesbezüglichen Aushandlung, wobei diese bis zur endgültigen Entscheidung z. T. mehrmals durchlaufen werden. Hierfür überwiegt die Form der impliziten Entscheidungsfindung gegenüber der expliziten und sie manifestiert sich vornehmlich in der Entscheidungshandlung des Aufschreibens. Diese Merkmale sollen in den folgenden Transkriptausschnitten zum Gegenstand der Interviewfragen beispielhaft illustriert werden. Abb. 65: Gruppensituation Gruppe 2 (G2-1a, 02: 36') <?page no="314"?> 314 [1] 30 [02: 35.7] 31 [02: 41.4] MIRA [v] Wir hatten schon zwei Interviewfragen. Beispielen. Und das erste heißt äh: [2] .. 32 [02: 46.2] DUNA [v] Die wichtigsten. MIRA [v] „Welche Versch/ Verkehrsprobleme findest du die größten und die wichtigsten? “ [3] 33 [02: 54.3] 34 [02: 59.6] DUNA [v] MIRA [v] (5s) Und welche Lösung könntest du vorschlagen? (1s) Und… [4] .. 35 [03: 08.7] 36 [03: 12.5] 37 [03: 16.4] DUNA [v] (2s) Ja, das. Was sagst du? DUNA [nv] zu ELMER ELMER [v] (2s) Na, ist okay, ich glaub. MIRA [v] Was noch? Nein, äh. [5] 38 [03: 20.2] 39 [03: 23.9] ELMER [v] Vielleicht… Ach so, wie wars nochmal die erste Frage? Welche [6] .. 40 [03: 30.5] DUNA [v] Oder Mobilität/ Mobilitätsprobleme? ELMER [v] Verkehrsprobleme… (()). Ähm. (5s) Ich glaube, vielleicht [7] .. ELMER [v] hier also die erste Frage könnten wir ein bisschen mehr konkretisieren, dies/ [8] .. 41 [03: 40.8] 42 [03: 45.3] ELMER [v] die Frage meine ich. Ich finde sie ist ein bisschen äh (3s) nicht so Ja. MIRA [v] Amplia. MIRA [ger] Weit. <?page no="315"?> 315 [9] .. 43 [03: 53.7] 44 [03: 58.7] 45 [04: 01.5] DUNA [v] Und wie genau? Welche Verkehrsproblem ELMER [v] Genau. (weiß nicht ähm). MIRA [v] (2s) Ach so. [10] .. 46 [04: 06.1] 47 [04: 09.1] DUNA [v] hast du im Alltag? DUNA [nv] nickt ELMER [v] Oder… (2s) Fährst du mit dem Auto? (()) MIRA [v] (Könnte sein.) [11] 48 [04: 14.7] 49 [04: 17.4] 50 [04: 21.4] DUNA [v] Welche Mobilitätmöglichkeit… ELMER [v] Und so weiter. Und äh: „Wie läuft es so? “ (3s) Aber ich [12] .. DUNA [nv] nickt ELMER [v] weiß nicht. Es ist/ (es wäre) nicht nur eine Frage, sondern zwei, drei, ja… [13] 51 [04: 32.2] 52 [04: 37.0] 53 [04: 40.2] DUNA [v] • Aber, zwei oder drei Fragen pro ähm… Pro Person? Wir haben MIRA [v] Person? [14] .. 54 [04: 43.0] 55 [04: 47.7] DUNA [v] vielleicht nur zwei Minuten. ELMER [v] Ah. • Also ich finde es nicht so schwer. (()) Also [15] .. 56 [04: 51.8] DUNA [v] H m̌ . ELMER [v] wir können nur einmal fragen, dann… Und äh. Also, wenn wir dieses äh <?page no="316"?> 316 [16] .. 57 [04: 56.4] 58 [05: 01.9] DUNA [v] Schneiden. Ja. H m̌ h m̌ . DUNA [nv] nickt ELMER [v] Video äh schneiden. Und dann wir können also zusammenfassen. (()). MIRA [nv] nickt [17] 59 [05: 04.4] 60 [05: 09.3] 61 [05: 11.7] DUNA [v] Die zweite: „Welche Lösung könntest du vorschlagen? “ ELMER [v] Ich glaube, das passt. • • • H m̄ . (2s) Ja. MIRA [v] Aber [18] .. 62 [05: 15.9] 63 [05: 20.1] DUNA [v] (2s) Antwort. ELMER [v] (3s) Und ich, ich, also muss man viel MIRA [v] das wäre ein lange äh Antwort. H m̌ h m̌ . [19] .. 64 [05: 22.5] 65 [05: 28.4] DUNA [v] (9s) So? („Was denkst du? “). ELMER [v] denken und überlegen und vielleicht… MIRA [v] Äh m. (1s) (Eine [20] .. 66 [05: 44.4] DUNA [v] Vielleicht wenn wir (Lösung) im Bereich ähm MIRA [v] andere Möglichkeit erzählen.) [21] .. 67 [05: 56.0] DUNA [v] (2s) einerseites äh Stau andererseits äh Mobilität • • • möglichkeiten. (Du hast) [22] 68 [05: 59.3] 69 [06: 05.3] 70 [06: 07.9] 71 [06: 09.4] 72 [06: 13.1] DUNA [v] (2s) Fahrrad oder… (1,5s) Ja. Keine Ahnung. ELMER [v] H m̌ . (2s) (()). MIRA [v] (2s) weiß nicht, <?page no="317"?> 317 [23] 73 [06: 13.0] 74 [06: 18.9] DUNA [v] ((schreibt)) ELMER [v] (1s) Welche? Erste oder zweite? MIRA [v] aber deswegen ich finde diese Frage wichtig. [24] 75 [06: 21.7] 76 [06: 23.1] ELMER [v] Ähm ja. „Welche Lösung könntest du vorschlagen? “ Ja, das ist okay aber.. MIRA [v] Die zweite. Weil… Weil wir [25] .. 77 [06: 32.2] MIRA [v] versuchen die Meinungen um die Leute (1s) ähm wissen und (4s) (für etwas)… [26] 78 [06: 42.0] 79 [06: 45.9] MIRA [v] (3s) weiß nicht. (5s) Aber wir können auch versuch/ ähm ja versuchen, das [27] .. 80 [06: 59.0] DUNA [v] ((schreibt)) ELMER [v] Äh weißt ihr schon, wen werden wir fragen? MIRA [v] zu machen und fragen. (1,5s) Nö. [28] 81 [07: 06.6] 82 [07: 10.6] 83 [07: 13.7] DUNA [nv] beendet Schreiben, blickt auf ELMER [v] Ja, aber… Ja, aber einfach so unbekannte Leute (()). MIRA [v] Unbekannte Leute. Auf Spanisch Transkriptauszug 64: Entscheidungsepisode 4 (Interviewfragen I) Zu Beginn der Sequenz wiederholt MIRA die in der vorangegangenen Sitzung formulierten Interviewfragen (Seg. 30-33) und DUNA fragt ELMER nach seiner Einschätzung dieser Vorschläge (Seg. 36). Er äußert sich zunächst zustimmend (Seg. 37), um daraufhin eine Modifikation für die erste der beiden Fragen anzuregen und begründet dies mit der Unkonkretheit der aktuellen Formulierung (Seg. 40-43). Auf die Nachfrage DUNAs, welche Formulierung er stattdessen vorschlagen würde (Seg. 44), reagiert ELMER zunächst ratlos (Seg. 45). Daraufhin unterbreitet DUNA eine neue Idee (Seg. 46), worauf ELMER überlappend einen weiteren, aus zwei Fragen bestehenden, Vorschlag formuliert (Seg. 47-50). Diesen problematisiert ELMER aufgrund der Menge an zu stellen- <?page no="318"?> 318 den Fragen, was DUNA dazu veranlasst, das Gegenargument des Zeitmangels anzubringen (Seg. 51-53). Dieses entkräftet ELMER, indem er erklärt, dass man die Antworten im Schnitt zusammenfassen könne (Seg. 54-57). Dem stimmen DUNA und MIRA nonverbal zu (Seg. 58). Daran anknüpfend wiederholt DU- NA die zweite entwickelte Frage nach Lösungsmöglichkeiten (Seg. 59), die EL- MER simultan bejaht (Seg. 59-61). MIRA äußert Zweifel (Seg. 61-62), denen sich ELMER anschließt, indem er ein weiters Gegenargument anbringt (Seg. 63). Daraufhin fordert DUNA ELMER nachfragend auf, seine Beurteilung mit seinen Gruppenkameradinnen zu teilen. Da dies ausbleibt, versucht DUNA einen weiteren Alternativvorschlag zu formulieren (Seg. 66-70), bricht ihn aber ab und beginnt etwas in ihr Heft zu notieren (Seg. 70-73). Zeitgleich bestätigt MIRA an ELMER gerichtet ihre positive Beurteilung der zweiten Fragestellung und begründet dies, woraufhin sie vorschlägt, zumindest einen Versuch des Einsatzes der entwickelten Fragen zu unternehmen (Seg. 72-79). Währenddessen schreibt DUNA weiterhin in ihr Heft bis ELMER eine neue Problemstellung aufwirft, indem er nach den anvisierten Interviewpartnern fragt (Seg. 80). Damit verlassen die Gruppenmitglieder den Entscheidungsdiskurs zu den Interviewfragen, ohne dass es zu einer Entscheidungshandlung gekommen wäre und verhandeln stattdessen einen anderen (wenn auch damit in Verbindung stehenden) Entscheidungsgegenstand. Eine abschließende Entscheidung zu den Interviewfragen bleibt somit an dieser Stelle aus. Erst ca. 24 Minuten später greift die Gruppe den Gegenstand der Interviewfragen erneut auf, als MIRA diese in den Drehplan aufnehmen möchte: [1] 46 [04: 59.2] 47 [05: 07.0] 48 [05: 07.5] DUNA [v] (2s) So, wir haben zwei Interviewfragen (3s) gemacht. ELMER [v] Ja. (3s) (Sollen MIRA [v] (gemacht) [2] .. 49 [05: 16.5] 50 [05: 19.9] DUNA [v] Aber ist nicht (4s) so klar. Die Erste. ELMER [v] wir das…) Ja, ja, ich weiß. Ich weiß, deswegen wollte ich äh [3] .. 51 [05: 28.6] ELMER [v] also ein bisschen die erste Frage (2s) verändern, ein bisschen. Für/ (3s) <?page no="319"?> 319 [4] .. ELMER [v] sowas wie: (3s) „Welche (2s) Verkehrsmittel benutzen Sie? “ oder (etwas)… DUNA [VLE-Sp] En este punto estaba muy desesperada DUNA [VLE-Dt] An diesem Punkt war ich sehr verzweifelt, [5] .. DUNA [VLE-Sp] porque no íbamos avanzando y estábamos escribiendo cosas que ya habíamos hablado, que ya habíamos tratado en otras sesiones y yo creí que íbamos como en retroceso. Pero bueno, era como parte de la dinámica también, porque no siempre estamos todos los miembros del grupo y es difícil avanzar así. DUNA [VLE-Dt] weil wir nicht vorankamen und Dinge aufschrieben, die wir schon besprochen hatten, die wir schon in anderen Sitzungen behandelt hatten und ich dachte, dass wir uns wie rückwärts bewegten. Aber gut, das war auch Teil der Dynamik, weil nicht immer alle Gruppenmitglieder da sind und es ist schwer, so voranzukommen. [9] 52 [05: 43.3] DUNA [v] Vielleicht: „Welche findest du optimal? “ ELMER [v] „Wie fährt/ wie fahren Sie? “ Hm ? ELMER [VLE-Sp] Ahí estaba opinando sobre que/ otra posible pregunta para la entrevista porque se me hizo muy general la pregunta que hicieron, que sugirieron y sólo para cambiarla. Otra opinión. ELMER [VLE-Dt] Hier äußerte ich mich über/ eine andere mögliche Frage für das Interview, weil mir die Frage sehr allgemein vorkam, die sie hatten, die sie vorschlugen, und nur um sie zu ändern. Eine andere Meinung. [11] 53 [05: 48.5*] 54 [05: 51.8] DUNA [v] „Welche findest du optimal? “ Oder es ELMER [v] Aber, aber [12] .. 55 [06: 00.5] DUNA [v] wär beide (( )). H m̌ . DUNA [ger] nickt ELMER [v] erstmals, erstmals wollen wir wissen, wie man fährt, (oder)? Also, „Fahren <?page no="320"?> 320 [13] .. DUNA [nv] nickt ELMER [v] Sie mit dem Auto, mit dem Fahrrad, mit dem Motorrad? “ Und dann ja. MIRA [v] H m̌ . MIRA [nv] nickt [14] .. MIRA [VLE-Sp] Bueno, aquí recuerdo que la idea de lo que propuso ELMER me pareció muy interesante, saber lo que cada persona exactamente/ si es con un carro, si es con una bicicleta, piensan del tráfico en la ciudad. MIRA [VLE-Dt] Gut, hier erinnere ich, dass mir die Idee, die ELMER vorschlug, sehr interessant vorkam, zu wissen, was jede Person genau/ ob mit dem Auto, ob mit dem Fahrrad, über den Verkehr der Stadt denkt. [15] 56 [06: 07.0] ELMER [v] Äh. „Glauben Sie, dass dieses Verkehrsmittel passt äh oder (1,5s) [16] .. 57 [06: 19.8] DUNA [v] H m̌ h m̌ . DUNA [nv] nickt ELMER [v] ist gut genug? “ Ja, nein, wieso. [17] 58 [06: 24.0] 59 [06: 30.0] DUNA [v] Die Lösungen, (Lösung). ELMER [v] Und äh was noch? Ja, die nächste Frage vielleicht. H m̌ . [18] 60 [06: 33.0*] MIRA [v] Ich habe auch eine Frage. Die/ der Erzähler… Transkriptauszug 65: Entscheidungsepisode 4 (Interviewfragen II) Zu Beginn dieser Sequenz, zu der auch VLE-Daten vorliegen, ruft DUNA den Entscheidungsgegenstand der Interviewfragen in Erinnerung und artikuliert das Problem, dass diese noch nicht endgültig festgelegt wurden (Seg. 46-48). EL- MER bestätigt, dass er diese Einschätzung teilt (Seg. 49), begründet dies kurz (Seg. 50) und wiederholt seinen Vorschlag aus der vorangegangenen Sequenz (Seg. 51). DUNA äußert daraufhin wiederholend eine Formulierungsalternative, <?page no="321"?> 321 die sich aber inhaltlich von ELMERs Idee unterscheidet. Dieser nennt simultan eine weitere Idee (Seg. 52) und DUNA merkt an, dass man beide Fragen nehmen könne (Seg. 54). Überlappend gibt ELMER zu bedenken, dass zuerst die von ihm vorgeschlagene Frage nach der Verkehrsmittelnutzung gestellt werden solle und erst im Anschluss die Frage nach der Einschätzung dieser Transportformen (Seg. 54-57). Dabei benennt er auch die konkreten Frageformulierungen. MIRA und DUNA stimmen dem nonverbal zu (Seg. 55, 57) und ELMER will zur zweiten Frage nach den Lösungsmöglichkeiten übergehen, wovon ihn aber MIRA abhält, indem sie einen neuen Entscheidungsgegenstand (Erzähler) in die Diskussion einbringt (Seg. 58-60). So wird auch diese Entscheidungsepisode von keiner konkreten Entscheidungshandlung abgeschlossen. Lediglich ab Minute 11: 18', während der MIRA als Protokollantin alle Ergebnisse notiert, verschriftlicht sie mit Hilfe der Unterstützung durch ihre Gruppenkollegen letztendlich die Frageformulierungen. Währenddessen findet zwischen DUNA und ELMER eine neue Debatte über den Einbezug von Fußgängern und Mehrfachnutzern statt, welche jedoch in kein konkretes Resultat mündet. Der Entscheidungsdiskurs in dieser Sequenz begründet seine schwache Divergenz in seinem schleifenartigen Verlauf, bei dem es fast nie beim ersten Aufkommen einer Problemstellung zu einer Entscheidung kommt. Oft werden verschiedene Alternativen aufgeworfen und mit den jeweiligen Erklärungen oder Begründungen versehen. Seitens der anderen Gruppenmitglieder werden diesen Optionen wiederum meist Gegenargumente oder Ablehnungen entgegengebracht. Häufig erfolgt dann ein sprungartiger Wechsel zum nächsten Entscheidungsgegenstand, der nicht immer zwangsläufig mit dem vorangegangenen in Verbindung steht, d. h. ein Subproblem dessen darstellt. Kommt es bei der zweiten oder dritten diskursiven Wiederaufnahme eines Gegenstandes zu einer Entscheidung, dann geschieht dies implizit, also wird zu einer Entscheidungsalternative Zustimmung meist nonverbal (Nicken, positive Hörersignale) ausgedrückt. Es erfolgen weder Abstimmungen noch werden andere Techniken der Konsensfindung eingesetzt. Die vorherrschende Entscheidungshandlung ist die Verschriftlichung der Resultate durch MIRA (Protokollantin), durch die sie die zuvor implizit ausgehandelten Entscheidungen ratifiziert, d. h. sicherstellt, dass sie auf dem Konsens aller beruhen, wobei dies nicht immer zum gewünschten Resultat führt, sondern neue Aushandlungsschleifen nach sich zieht. Zum Teil tritt die individuelle Parallelhandlung des Schreibens auf (z. B. DUNA), wobei sich die Handlungsausführenden dadurch für gewisse Phasen interaktional aus dem Entscheidungsdiskurs zurückziehen. Unter Bezugnahme auf die vorherrschenden Interaktionsstile und Partizipationstypen lassen sich diese Phänomene genauer ergründen. Während MIRA und DUNA einen kollaborativen Stil während der Interaktion einnehmen (s. Kapitel 4.2.2), ist dies für ELMER nur teilweise der Fall. Er ist in seiner Interaktion sehr dominant, aber nicht durchgängig kollaborativ. Während er an einigen Stellen ko-konstruierend aktiv wird, Fragen zur Feedbackgenerierung stellt, auf die Redebeiträge der anderen eingeht oder mit <?page no="322"?> 322 Ausdrucksmitteln der perspektivischen Modalität arbeitet, nutzt ELMER andererseits nichtkollaborative Mittel wie Widersprüche, Verweigerung, Unterbrechen der andern Redebeiträge durch Überlappungen/ Turn-Entzug sowie die Perspektivenpolarisierung „ich“ vs. „ihr“. In der Diskussion um die Interviewpartner beispielsweise positioniert sich ELMER gegen den Vorschlag DUNAs, Akteure von Organisationen der Zivilgesellschaft zu befragen: „(9s) Also ich weiß nicht. Ich wollte sowas ein bisschen nicht so kompliziert machen. (Ob) wir nur fünf Minuten haben oder wenn du was Anderes machen willst, dann wir können die Anderen fragen und wenn wir genug Zeit haben (oder ja mal schaun).“ (G2-1b, 00: 45') Seine Ablehnung vermittelt ELMER hier zwar nicht in direkter Form, sondern signalisiert sogar Kompromissbereitschaft, indem er vorschlägt, die noch fehlenden Gruppenmitglieder zu befragen. Jedoch macht er für die momentane Aushandlung klar, welcher sein Standpunkt ist. Dieser gewinnt an argumentativer Stärke, indem ELMER sich der polarisierenden Darstellung „ich“ vs. „du“ bedient, hier also sich selbst und DUNA als oppositionelle Entscheidungsträger aus der Gruppe heraushebt und damit einer gemeinschaftlichen Verantwortungsteilung und Gruppenperspektive auf den Gegenstand, wie es im kollaborativen Interaktionsstil durch das Pronomen „wir“ signalisiert wird, entgegenwirkt. DUNA begegnet dieser Äußerung überlappend mit der Aussage „Stimmt.“ sowie mit weiteren positiven Hörersignalen und notiert sich etwas in ihr Heft. Eine offen ablehnendere Haltung nimmt ELMER bei der Diskussion um die Funktion des Erzählers ein: „Ja, aber wir/ also ich werd es nicht nochmal machen mit (oder nicht): „In Guadalajara gibt es • • • viele Autos und so.“ (G2-1b, 08: 31'). ELMER manifestiert seine Weigerung, seine bereits getätigten Videoaufnahmen zu wiederholen und ihnen, wie von MIRA vorgeschlagen, einen Erzählertext beizufügen. Auch in diesem Beispiel widerspricht er einem Vorschlag seiner Gruppenkolleginnen, indem er, die Negation betonend, seine persönliche Meinung als absolut in den Vordergrund stellt und seine Aussage von der 3. Person Plural auf die 1. Person Singular repariert. Ein ähnliches Muster zu Demonstration der Unabweichbarkeit von seiner persönlichen Überzeugung zeigt sich schließlich bei der Debatte um den Gegenstand der Schlussfolgerung (Episode 7) im Endteil des Videos. Dem Kommentar DUNAs, dass es dabei auf die Meinungen der Leute und der eigenen Meinung als Gruppe ankomme, entgegnet ELMER: „Ja, das (2s) das weiß ich nicht. Also ich habe schon meine (2s) Schlussfolgerung. Ich könnte sagen, ja ich hab schon (( )). Jetzt? Ich hab keine Lust mehr. Also das ist nicht äh/ das hängt nicht von uns ab also…“ (G2-1b, 18: 03') Auch hier bezeugt ELMER, bereits über ein individuelles Fazit zu verfügen, weigert sich aber, eine kollektive Stellungnahme auszuhandeln, da er ihr eine Relevanz für das Projektprodukt abspricht. Wiederum stellt er seine persönliche Präferenz über die der Gruppe, agiert also nicht kollaborativ. <?page no="323"?> 323 Dieses Interaktionsverhalten spiegelt sich auch in den für die Gruppenmitglieder ermittelten Partizipationstypen wider. Alle Beteiligten sind dem kooperativen Typ zuzuordnen, weil alle die gleichen Handlungsziele teilen und aktiv Einfluss auf den Entscheidungsdiskurs ausüben. Jedoch ist durch die dominante und nur teilkollaborative Interaktion von ELMER ein Ungleichgewicht in der Stärke des Einflussgrades festzustellen. Bei der Mehrheit der Entscheidungsgegenstände, wie auch im oben aufgeführten Beispiel der Interviewfragen, gelingt es ELMER, die von ihm favorisierte Entscheidungsalternative durchzusetzen. Er ist seinen Gruppenkameradinnen argumentativ überlegen, d. h., ihre Einflussnahmeversuche resultieren seltener darin, dass ihre Ideen bei der letztendlichen Entscheidung einbezogen werden. Die ausgeprägte Meinungsmacht EL- MERs führt dazu, dass DUNA und MIRA die Auswahl einer Alternative in der Mehrheit der Fälle von seiner Zustimmung abhängig machen. Auf mental-affektiver Ebene führt diese Diskursart zu einer negativen Einschätzung bzw. Emotionen bei den Gruppenmitgliedern. Besonders DUNA und ELMER, die etwas aktiver als MIRA partizipieren, weil diese vielmals das Gespräch protokollierte, bezeugen in der Retrospektion ihre Wahrnehmung der Divergenz in der Entscheidungsfindung. Gleich zu Beginn des zweiten Teils des Datensatzes beschreibt DUNA die Schwierigkeiten der Konsensfindung am Beispiel des Gegenstandes „Interviewpartner“: „Ich dachte als Teil unseres Projektes war es auch wichtig, die verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft in Betracht zu ziehen, die sich heutzutage mit Problemen der Mobilität beschäftigen. Und gut, hier begann eine Debatte, weil es wichtig ist, sie ins Projekt einzubeziehen, aber es wäre auch/ es war problematisch uns zu einigen, ob wir sie einbeziehen oder nicht.“ (Pensé que como parte de nuestro proyecto era importante que consideraramos también las diferentes organizaciones de la sociedad civil que trabajan hoy con problemas de movilidad. Y bueno, aquí comenzó un debate porque es importante integrarlos al proyecto, pero también sera/ fue un poco problemático ponernos de acuerdo en si los íbamos a integrar o no.) (DUNA VLE G2-1b, 00: 35') Auch ELMER bezeugt seine Einschätzung der Unvereinbarkeit der verschiedenen Meinungen über die Entscheidungsgegenstände: „Gut, hier habe ich ein bisschen an dem gezweifelt, was wir fragen würden. Ich wusste wirklich nicht ob/ ich hatte keine Ahnung, was wir machen würden. Wir hatten alle unterschiedliche Ideen und es scheint, als ob wir zu keiner Einigung gelangen konnten. Und ja.“ (Bueno, ahí creo que estaba un poco dudoso de qué era lo que íbamos a preguntar. Realmente no sabía si/ no tenía idea de que se supone que íbamos a hacer. Todos teníamos ideas diferentes y no podíamos llegar a un acuerdo, al parecer. Y si.) (ELMER VLE G2-1b, 01: 17') Dies führt im Rahmen des Transkriptauszuges 63 dazu, dass DUNA sich an ihre Verzweiflung erinnert, die sie bei der wiederholten Diskussion der gleichen Fragestellungen verspürt: <?page no="324"?> 324 „An diesem Punkt war ich sehr verzweifelt, weil wir nicht vorankamen und Dinge aufschrieben, die wir schon besprochen hatten, die wir schon in anderen Sitzungen behandelt hatten und ich dachte, dass wir uns wie rückwärts bewegten. Aber gut, das war auch Teil der Dynamik, weil nicht immer alle Gruppenmitglieder da sind und es ist schwer, so voranzukommen.“ (En este punto estaba muy desesperada porque no íbamos avanzando y estábamos escribiendo cosas que ya habíamos hablado, que ya habíamos tratado en otras sesiones y yo creí que íbamos como en retroceso, pero bueno, era como parte de la dinámica también, porque no siempre estamos todos los miembros del grupo y es difícil avanzar así.) (DUNA VLE G2-1b, 05: 28') Auch ELMER erinnert diese negative Emotion und findet in der Rückschau keine Erklärung für die wahrgenommenen Schwierigkeiten im Entscheidungsprozess: „Ich erinnere mich nicht gut aber ich glaube hier war ich ein bisschen verzweifelt, weil wir weiter über Dinge diskutierten, über die man, ich weiß nicht, sich wirklich sehr leicht einigen konnte, aber aus einem eigenartigen Grund nicht.“ (No me acuerdo bien, pero creo que ahí ya estaba un poco desesperado porque seguíamos discutiendo sobre cosas que realmente, no sé, eran muy fáciles de llegar a un acuerdo, pero por una extraña razón no.) (ELMER VLE G2-1b, 17: 02') Für die Verankerung von Autonomiepotenzialen in dieser Art des divergenten Entscheidungsdiskurses bleibt somit festzuhalten, dass auch eine kooperative Mitbestimmung aller nicht zwangsläufig zu konsensbasierten Entscheidungen führt. Besonders dann nicht, wenn Meinungsverschiedenheiten nicht aufgelöst werden und ein leicht dominanteres Gruppenmitglied innerhalb der Kooperation einen zunehmend größeren Einflussgrad erlangt. In diesem Fall gleicht die letztendlich zustande kommende Entscheidung eher einer Unterordnung unter die durchsetzungskräftigste Meinung und weniger einem gleichberechtigten auf Aushandlung basierenden Konsens. Der deutlichste Hinweis auf diese eher an der Oberfläche bestehenden Gruppenentscheidungen ist das schleifenartige Diskursmuster, welches allein durch die Notwendigkeit der Verschriftlichung ein Aushandlungsresultat hervorbringt, meist in der Form eines Kompromisses bzw. der Zustimmung zur Präferenz des einflussstärksten Gruppenmitglieds. In diesem Fall kann von einer verdeckten personalen Autonomie gesprochen werden, da die Gruppenentscheidung vermutlich deckungsgleich oder ähnlich wie das Resultat der Einzelentscheidung des dominanten Gruppenmitgliedes zum selben Gegenstand ausgefallen wäre. Diese gering ausgeprägte Konsensfindungsbereitschaft nimmt im zweiten ausgewerteten Datensatz bei ELMER ihre extremste Ausprägung an. Wie schon in den Kapiteln 4.5 und 5.3 ausführlich analysiert, repräsentiert er in dieser Sitzung den Typ der nichtkooperativen Partizipation, der durch einen nichtkollaborativen Interaktionsstil diskursiv verankert ist. ELMER nutzt seine Mitbestimmungsmacht dazu, den Entscheidungsprozess bewusst zu be- oder verhindern. Dabei kommen offen oppositionelle Äußerungen, (die oft simultan oder andere Redebeiträge unterbrechend auftreten), Gegenargumente, monolo- <?page no="325"?> 325 gisch-verabsolutierende Redebeiträge, polarisierende Ich-Botschaften, Nonsensbeiträge sowie Gleichgültigkeitsbezeugungen bei einem äquivalenten nonverbalen Interaktionsverhalten zum Einsatz. In der Retrospektive begründet sich dieses Verhalten vornehmlich durch eine geringe Motivation, die Indifferenz oder dem Desinteresse an zur Debatte stehenden Entscheidungsgegenständen sowie einer daraus resultierenden mangelnden Gruppen(teil-)zielorientierung. Die praktizierte Mitbestimmung erfolgt dabei v. a. zur massiven Ablehnung von durch die übrigen Gesprächsteilnehmer positiv bewerteten Entscheidungsalternativen oder des gesamten Entscheidungsgegenstandes bis hin zur Delegitimierung anderer Gruppenmitglieder. Der Gruppe in der Fünferkonstellation (FA- BIO, DUNA, MIRA, ELMER, ALEX) gelingt es dadurch nicht, zu den Entscheidungsgegenständen „Evaluationskriterien“ und „Videoverwendung“ zu einer Einigung zu gelangen. Es werden zwar von einzelnen Gruppenmitgliedern bestimmte Alternativen favorisiert, aber es kommt an keiner Stelle zu einer Form der Entscheidungshandlung oder (nachträglichen) Ratifizierungsversuchen. Da die Perspektive ELMERs schon in den Kapiteln 4 und 5 ausführlich analysiert wurde, soll hier vor allem die Wahrnehmung der übrigen Gruppenmitglieder über diesen divergenten Aushandlungsprozess im Mittelpunkt stehen. Abb. 66: Gruppensituation Gruppe 2 (G2-2) Vermehrt kommt es auch in der Fünferkonstellation zu konträren Bewertungen von Entscheidungsalternativen, die interaktional nicht aufgelöst und an einen Konsens oder Kompromiss herangeführt werden. FABIO unterbreitet in Minute 02: 03' zum Gegenstand der Videoverwendung den Vorschlag, den Clip für die zukünftigen Teilnehmer der Deutschkurse bereitzustellen. Sowohl MIRA als <?page no="326"?> 326 auch ELMER kommen dabei durch die im VLE verzeichnete mentale Bewertung der Option zu höchst unterschiedlichen Resultaten: „Gut, die Idee, das Video den anderen Generationen zu zeigen, schien mir eine gute Idee, auch ich hatte schon daran gedacht.“ (Bueno la idea de mostrar el video a otras generaciones me parecio una buena idea, incluso yo estaba también pensando en eso.) (MIRA VLE G2-2, 02: 16') „Gut ja, hier lachte ich über den Kommentar von FABIO, weil er mir ein bisschen, ich weiß nicht, absurd vorkam.“ (Bueno sí, ahí me reí del comentario de FABIO porque se me hizo un poco, no sé, absurdo.) (ELMER VLE G2-2, 02: 16') Während MIRA ihre Einschätzung auch verbal kundtut („Kann sein. Ja.“ (G2-2, 02: 14')) und dafür auch durch die Zustimmung von DUNA positive Resonanz erfährt (G2-2, 02: 14'), reagiert ELMER lediglich nonverbal mit einem leichten Kopfschütteln, während ALEX weder verbal noch nonverbal Stellung dazu nimmt. Besonders deutlich wird diese Divergenz auch bei der Beurteilung des Projektresultats hinsichtlich seiner Tauglichkeit zur öffentlichen Vorführung: [1] 77 [06: 44.8] 78 [06: 48.5] FABIO [v] Ja, genau. DUNA [v] H m̌ h m̌ . ELMER [v] Ja, ich mein vielleicht aber nur, wenn es auf Deutsch ist sonst äh… [2] .. 79 [06: 52.3] ELMER [v] ist überhaupt nicht interessant und äh nicht so schön gemacht, nicht so gut [3] .. 80 [06: 56.2] FABIO [v] Ja, für… Für uns is… ELMER [v] gemacht eigentlich. (Also) • insgesamt ich glaube wir/ man könnte das in MIRA [VLE-Sp] Aquí creo que aunque el vidéo fuera en español si era MIRA [VLE-Dt] Hier denke ich, obwohl das Video auf Spanisch war, <?page no="327"?> 327 [4] .. ELMER [v] einem Tag (2s) machen. MIRA [VLE-Sp] una buena posibilidad mostrarlo en Alemania porque tenía subtítulos. Igual para personas en Mexico podemos mostrarlo porque esta en español y poner subtítulos de otra… war es eine gute Möglichkeit, es in Deutschland zu zeigen, denn es hatte Untertitel. Genauso können wir es Menschen in Mexiko zeigen, weil es auf Spanisch ist und andere Untertitel… [5] 81 [07: 04.7] 82 [07: 07.4] FABIO [v] (()) Ich hab dich nicht gehört. FABIO [nv] zu ELMER ELMER [v] Wirklich. (()). [6] 83 [07: 11.2] 84 [07: 16.5] FABIO [v] (()) Naja. Auf jeden ELMER [v] Also das nicht so wie ein (1s) gut äh (1s) Arbeit. Aber… [7] .. 85 [07: 20.2] 86 [07: 23.1] FABIO [v] Fall… DUNA [nv] nickt ELMER [v] Aber es ist schon auf Deutsch also… ALEX [v] Aber… Aber ist unsere erste Video. <?page no="328"?> 328 [8] .. 87 [07: 26.9] FABIO [v] Ja, aber das/ wenn das der erste Versuch ist… DUNA [v] Hm hm. DUNA [nv] blickt zu ALEX , nickt ELMER [v] Ja, ja. Wenn das äh… ALEX [v] (Wir müssen kein/ keine Premiere machen.) ALEX [VLE-Sp] En este momento estaba pensando que ELMER dijo que el video no estaba / no había sido muy bueno, pero yo dije que había sido el primer / nuestro primer video. Por lo tanto, no había sido tan malo. ALEX [VLE-Dt] In diesem Moment dachte ich, dass ELMER sagte, das Video war nicht/ ist nicht sehr gut gewesen war, aber ich sagte, dass das das erste/ unser erstes Video war. Deswegen ist es nicht so schlecht gewesen. - [9] 88 [07: 33.0] 89 [07: 37.0] FABIO [v] Das ist kein professionelles Ding. DUNA [v] H m̌ . ELMER [v] Ja. Deswegen. FIL ich weiß nicht. Transkriptauszug 66: Entscheidungsepisode 9 (Videoverwendung) Bezüglich des Vorschlages (DUNA 06: 11'), das Video auf der lokalen Buchmesse (FIL) mit Deutschlandschwerpunkt zu zeigen, hält ELMER entgegen, dass der Film nicht interessant und von geringer Qualität sei (Seg. 77-79). Dem stimmt FABIO simultan zu (Seg. 78), wobei ELMER seine Meinung anschließend mit der Begründung bekräftigt, dass in dem Filmresultat ein tatsächlicher Arbeitsaufwand von lediglich einem Tag stecke (Seg. 80). ALEX teilt diese Auffassung nicht und begründet dies mit der Stellung des Videos als gemeinsames Erstlingswerk (Seg. 86), dem DUNA und MIRA nonverbal zustimmen, woraufhin auch FABIO einlenkt und dabei die Nichtprofessionalität des Videos noch einmal herausstellt (Seg. 88). ALEX bestätigt im VLE, dass er die Einschätzung ELMERs nicht teilt und die Qualität des Videos als „nicht so schlecht“ beurteilt (ALEX VLE G2-2, 07: 26'). ELMER nimmt dies zum Anlass seine Zweifel an der Eignung für eine Messevorführung wiederholend zu bestärken (Seg. 89) (s. Transkriptauszug 43). Die Divergenz manifestiert sich schließlich in den jeweiligen Einschätzungen, wann die Entscheidungsepisode als beendet betrachtet werden kann. Dabei kommen DUNA, MIRA und ALEX, wie sie retrospektiv bezeugen, zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. MIRA erinnert bereits gegen Ende der Aushandlung zum Buchmessevorschlag, konkret ab Minute 08: 49' der <?page no="329"?> 329 fast 15-minütigen Besprechung den durch sie wahrgenommenen Abschluss der Diskussion: „Gut, von hier ab dachte ich an nicht mehr viel, weil wir die zwei Fragen, die wir besprechen sollten, schon diskutiert hatten und zu einem Ergebnis gekommen waren.“ (Bueno de aquí en adelante ya no estaba pensando en mucho porque ya habíamos discutido las dos preguntas que teníamos que discutir y hemos llegado a una conclusión.) (MIRA VLE G2-2, 08: 49') Worin MIRA dieses Ergebnis sieht, bleibt offen, jedoch nutzt sie diese Aussage auch dafür, ihre weitere interaktionale Passivität und ausbleibende Mitbestimmung zu begründen: „Gut hier bleibe ich still, weil wir schon fertig waren.“ (Bueno aquí sigo callada porque ya habíamos terminado.) (MIRA VLE G2-2, 11: 04'). Ca. eine Minute später erinnert auch DUNA im Bezug auf ELMERs Nonsenskommentare, dass die Aushandlung zu einem entscheidungsbezogenen Stillstand gekommen war: „Ich fühlte, dass wir schon unsere Zeit verschwendeten, weil wir nichts mehr beisteuerten, sondern es nur in die Länge zogen. Und ich denke, das lag auch daran, dass wir schon sehr erschöpft waren, nachdem wir das Projekt gemacht hatten.“ (Sentí que ya estamos perdiendo tiempo porque no estábamos aportando nada solo lo estamos alargando. Y creo que fue lo mismo que ya estábamos muy cansados después de haber hecho el proyecto.) (MIRA VLE G2-2, 09: 46') Für ALEX erweist sich die Entscheidungsepisode erst ca. 2,5 Minuten später als MIRA für beendet: In diesem Moment hatten wir die Diskussion der zwei Fragen schon beendet, deshalb war es nicht mehr so nötig weiter zu filmen, weil wir keine neuen Ideen mehr beitrugen. Deshalb war ich schon etwas unaufmerksam. (En ese momento ya habíamos acabado de discutir las dos preguntas, por lo tanto ya no tenía mucha relevancia seguir filmando porque ya no estábamos aportando ideas nuevas. Por lo tanto ya estaba un poco distraido.) (ALEX VLE G2-2, 11: 22') Auch er verbindet die Einschätzung des Abschlusses der Diskussion mit der Rechtfertigung seines Rückzugs aus der Interaktion und damit die Aufgabe seines Mitbestimmungsbegehrens. Zeitgleich führt die Frage der LEHRERIN, ob die Gruppe fertig sei, zum erneuten Aufzählen der unterschiedlichen Auffassungen und der Artikulation weiterer Vorschläge für Einsatzmöglichkeiten des Videos, ohne dass sich dabei eine Entscheidung manifestiert oder eine konkrete Absicht zur Umsetzung der Entscheidungshandlung geäußert wird. Dies ist sicherlich auch zum Teil auf den eher hypothetischen Charakter der Fragestellung zurückzuführen, zeugt aber gleichzeitig von der Unfähigkeit bzw. dem Unwillen der Gruppe, eine Übereinkunft zu erzielen. Letztendlich setzen sich in dieser Sitzung die schon in der Dreiergruppe aufgetretenen negativen Emotionen bezüglich der Entwicklung des Aushandlungsprozesses und den daraus resultierenden wenig positiven Einstellungen zur Gruppenentscheidungsfindung fort: <?page no="330"?> 330 „Gut, hier war ich schon müde und gestresst. Ehrlich gesagt wollte ich mich nicht mehr an den Gruppenentscheidungen beteiligen weil/ ich glaube, das größte Problem, was wir hatten, war zu keiner Einigung zu kommen und deshalb äh das langsame Vorankommen, was wir im Projekt hatten.“ (Bueno, aquí estaba algo cansado y estresado. La verdad ya no quería participar ya mucho en las decisiones del grupo porque/ creo que es el mayor problemas que tuvimos, el no llegar a acuerdos y por lo mismo, äh, el avance tan lento que tuvimos en el proyecto.) (ELMER VLE G2-2, 01: 02') „Hier dachte ich, dass, weil es uns von Anfang an schwerfiel, uns zu einigen, es auch schwierig war, die Kriterien zu bestimmen, die wir evaluieren würden und was unsere Meinung zum Endergebnis war. (Aquí pensé que como en un principio nos ha costado mucho trabajo ponernos de acuerdo también fue difícil definir los conceptos que íbamos evaluar y cual había sido (nuestra opinion) sobre el resultado final.) (DUNA VLE G2-2, 01: 42') „Ich hatte den Eindruck, dass alle schon müde waren, weil es sehr stressig war, sich zu einigen und zu filmen. In diesem Moment waren wir schon sehr erschöpft und keiner wollte mehr seine Meinung äußern. Sie hatten keine Ahnung, was sie meinen sollten.“ (Me dio la impresión que ya todo el mundo estaba ya cansado porque fue muy estresante ponerse de acuerdo y filmar. Ya para ese momento tenemos mucho cansancio y nadie quería opinar. No tenian la menor idea de que opinar.) (DUNA VLE G2-2 , 06: 22') „Also hier fühlte ich mich vielleicht ein bisschen enttäuscht, weil die anderen keine Lust hatten, das Video, was wir gemacht hatten, vorzuführen, also…“ (Entonces aquí quizá me sentí un poco decepcionada porque los demás no tenían ganas mostrar el vidéo que habíamos hecho entonces…) (MIRA VLE G2-2 , 14: 19') Die Emotionen, die in dieser finalen Phase des Projektes kundgetan werden, zeugen von Erschöpfung, Stress und Enttäuschung vom kollektiven Arbeitsprozess. Das kreierte Projektprodukt wird nur zum Teil als gelungen wahrgenommen. Am problematischsten wird von den Gruppenmitgliedern der gemeinschaftliche Abstimmungsprozess erinnert, besonders von den Personen, die kontinuierlicher am Projekt mitgewirkt haben. Zusammenfassend gestaltet sich die diskursive Divergenz in Gruppe 2 auf interaktionaler Ebene durch das Aufeinandertreffen von kollaborativen und teil- oder nicht-kollaborativen Interaktionsstilen, die gleichermaßen dazu eingesetzt werden, Mitbestimmung zu bewirken. Diese Stilvielfalt bewirkt ein Ungleichgewicht bezüglich des Einflussgrades einzelner Gruppenmitglieder auf das Entscheidungsresultat, wobei dies meist zuungunsten der kollaborativ interagierenden Personen ausfällt. Diese Partizipationssituation verzögert die Entscheidungsfindung oder verhindert sie im Falle der nicht-kooperativen Mitbestimmung ganz. Auffällig ist dabei, dass schon die Nichtkooperation von nur einem Gruppenmitglied den Prozess ins Stocken oder zum Erliegen bringen kann. Für die Autonomieentfaltung in dieser Art divergentem Diskurs bedeutet <?page no="331"?> 331 das, dass eine implizite personale Autonomie bzw. Pseudo-Gruppenautononomie vorliegt. Ein Individuum manifestiert interaktional die Ausübung seiner Selbstbestimmung in der kompromisslosen Durchsetzung seiner Präferenzen bei der Gruppenentscheidung oder der Verhinderung dieser. Es reduziert dadurch die Mitbestimmung (d. h. den Einflussgrad) der übrigen Gesprächsteilnehmenden, für die sich diese selbstbestimmte Dominanz im Rückkehrschluss in das Erleben von Fremdbestimmung umkehrt. Das Nichtzustandekommen von Gruppenentscheidungen und somit von Gruppenautonomie ist jedoch nicht ausschließlich auf die Nichtkooperation einer Einzelperson zurückzuführen, sondern auf ein allgemeine Unvereinbarkeit konträrer Bewertungen, Meinungen oder Argumentationen, die keine Möglichkeit eröffnen, konsensuell oder kompromissbildend Entscheidungen auszuhandeln. Gegensätzliche Bewertungen, aus denen sich Meinungen und Argumentationen ableiten, sind dabei sowohl auf interaktionaler als auch mentaler Ebene rekonstruierbar und gehen mit zunehmender Aushandlungsdauer mit negativen Emotionen gegenüber dem Interaktionsprozess einher. 6.5 Systematisierung, Zusammenfassung und Diskussion: Gruppenautonomie im Entscheidungsdiskurs Abschließend gilt zu systematisieren, in welchem Wechselverhältnis Diskursart, Interaktionsstil und Partizipationstyp im Hinblick auf die diskursive Entfaltung von Gruppenautonomie bzw. personaler Autonomie zueinander stehen. Der Mitbestimmungsprozess in der Gruppenentscheidungsinteraktion kann sowohl Einzelentscheidungen als auch Gruppenentscheidungen hervorbringen. Einzelentscheidungen sind auf personale Autonomie zurückzuführen (Abb. 67, Innenkreis rechts), Gruppenentscheidungen basieren auf Gruppenautonomie (Abb. 67, Innenkreis links). In der Abbildung 67 wird das jeweilige Zusammenvorkommen von Interaktionsstilen und Partizipationstypen im Bezug auf Gruppen- oder personale Autonomie innerhalb des Entscheidungsdiskurses graphisch dargestellt (s. Innenkreise). <?page no="332"?> 332 Abb. 67: Interaktions- und Partizipationskonstellationen im Entscheidungsdiskurs Wenn die Mitbestimmung an interaktionale Gleichheit und Gegenseitigkeit geknüpft ist (kollaborative Interaktion, s. Innenkreis links, grünes Feld), die Entscheidungsfindung konsensuell geschieht und auch sichergestellt wird, dass sprachkompetenzbedingte Nicht-Partizipation aufgelöst wird, kann von einer Situation ausgegangen werden, in der sich Gruppenautonomie entfaltet. Sowohl kooperative Partizipation (Innenkreis links, linkes blaues Feld) als auch kooperative Nicht-Partizipation (Innenkreis links, rechtes blaues Feld) erzeugen Gruppenautonomie, wenn sie an einen kollaborativen Interaktionsstil geknüpft sind. Dies wurde prototypisch für den Fall der Gruppe 3 beschrieben (Kapitel 6.2), deren Entscheidungsfindungsprozess sich durch diskursive Konvergenz auszeichnet. Im folgenden Modell der diskursiven Konvergenz wird das Bedingungsgefüge von Interaktionsstilen und Partizipationstypen im Hinblick auf die Gruppenentscheidung (E) innerhalb einer Dreiergruppenkonstellation veranschaulicht. <?page no="333"?> 333 Abb. 68: Konvergenter Diskurs Die einzelnen Gruppenmitglieder (L) interagieren in einem kollaborativen Stil miteinander (grüner Pfeil), wobei die Interaktionsstile repräsentativ für die Bandbreite der möglichen Beteiligungsgrade eine dominante (Lernender oben), passive (Lernender rechts unten) oder aktive (Lernender links unten) Ausprägung einnehmen. Idealtypischerweise können alle Personen auch einen gemäßigten (aktiven) Stil ausüben und dominante oder passive Teilnehmende wegfallen. Gleichzeitig partizipieren alle Gruppenmitglieder am Entscheidungsdiskurs auf kooperative Art und Weise (blauer Pfeil), sodass eine Gruppenentscheidung (E) ausgehandelt wird. Dabei repräsentiert der passive Interaktant (Lernender rechts unten) den möglicherweise auftretenden Typ der kooperativen Nicht- Partizipation (gestrichelter Pfeil), d. h., hier ist die Mitbestimmung allein auf das Teilen des Handlungszieles zurückzuführen, die interaktionale Passivität lässt aber keinen weiteren Einfluss auf den Entscheidungsdiskurs zu. Mitbestimmung wird bei diskursiver Konvergenz durch das Herstellen einer gemeinsamen Verstehensbasis ermöglicht, wobei Ko-Konstruktion und kollektives Scaffolding zum Einsatz kommen. Eine Konsensentscheidung ist dann erzielt, wenn eine Übereinstimmung bei der Auswahl der optimalen Entscheidungsalternative <?page no="334"?> 334 besteht und die bedeutungsbezogene Durchdringung der Implikationen des daraus resultierenden Handlungsplanes sichergestellt ist. Dies heißt nicht, dass in konvergenten Diskursen keine Einzelentscheidungen auftreten, jedoch werden sie, sofern sie eine kooperative Ausrichtung besitzen, durch die Kollaborativität in der Interaktion und Partizipation in den Entscheidungsdiskurs integriert. Im Modell der Interaktions- und Partizipationskonstellationen des Gruppenentscheidungsdiskurses in Abbildung 67 werden im rechten Innenkreis die Bedingungsgefüge veranschaulicht, durch die personale Autonomie zum Tragen kommt. Sowohl kooperative Partizipation (s. Abb. 67, Innenkreis rechts, blaues Feld oben) als auch nichtkooperative Partizipation (s. Abb. 67, Innenkreis rechts, blaues Feld unten) sind auf personale Autonomie zurückzuführen, wenn sie an einen nichtkollaborativen Interaktionsstil (s. Abb. 67, rechter Innenkreis, grünes Feld) geknüpft sind. Diese Konstellationen können Einzelentscheidungen (s. Abb. 67 Diskursschema oben rechts) oder gar keine Entscheidungen (s. Abb. 67 Diskursschema unten rechts) hervorbringen. Mitbestimmung im divergenten Diskurs, also einem Aushandlungsmuster, das aufgrund konträrer und unvereinbarer Bewertungs- und Argumentationsweisen durch eine langwierige oder ausbleibende Entscheidungsfindung geprägt ist, umfasst zwei verschiedene Facetten. Die Einflussnahme auf den Entscheidungsprozess kann, wie im Falle der Gruppe 1 (s. Kapitel 6.3) durch das Phänomen der Delegitimierung bewusst verhindert werden oder sie kann auf Einzelinitiativen dominanter Nichtkooperation bzw. nichtkollaborativer Interaktion zurückzuführen sein (s. Gruppe 2, Kapitel 6.4). Delegitimierung betrifft zumeist Einzelpersonen, die bewusst von einem oder mehreren Gruppenmitgliedern interaktional exkludiert werden, indem ihnen aus dem vorangegangenen Projektverlauf begründet kein Mitentscheidungsrecht zugesprochen wird. <?page no="335"?> 335 Abb. 69: Divergenter Diskurs durch Delegitimierung Delegitimierung geschieht vorrangig auf mentaler Ebene und lässt sich aus der Interaktion nur indirekt durch exkludierende Nichtkollaboration (grüne, gestrichelte Pfeile) erschließen. Die Exklusion kann dabei zur Entscheidungsfindung mit einer Allianzbildung unter den beiden anderen Projektteilnehmenden einhergehen (Lernender oben und rechts). Dies bedeutet, dass alliierte Teilnehmende kollaborativ interagieren (grüner Pfeil) und kooperativ partizipieren (blaue Pfeile), dem exkludierten Gruppenmitglied jedoch wenig oder keine Partizipationsmöglichkeiten (blauer, gestrichelter Pfeil) entgegenbringen. Besteht die delegitimierte Person auf ihrem Mitentscheidungsrecht und versucht aktiv zu partizipieren, kann sie u. U. die Mitbestimmung zurückerlangen. In anderen Situationen findet sich der von der Delegitimierung Betroffene mit einer periphären Beobachter- oder Vermittlerrolle ab. Interaktional-partizipativ ist ein solcher Diskurs durch das Unterbreiten und Ablehnen von Vorschlägen geprägt, es kommt weniger zu Erklärungen, Begründungen, Gegenargumenten oder Modifikationen von Vorschlägen. Dies und die Erschwernis des exkludierten Mitgliedes, die Bewertungen von Vorschlägen seitens der Gruppenmitglieder mental zutreffend einschätzen zu können, erhöhen den Anteil von Konsensentscheidungen unter den alliierten Partnern besonders aber von Einzelentscheidungen und darauf folgende Parallelhandlungen im Aushandlungsprozess. Diese Individualentscheidungen vollziehen dominante Gruppenmitglieder oder Personen <?page no="336"?> 336 mit der Protokollantenrolle (s. Gruppe 2, Kapitel 6.4) oder die Delegitimierungsurheber (s. Gruppe 1, Kapitel 6.3). In beiden Fällen werden die Einzelentscheidungen auf die Ausübung personaler Autonomie, also Selbstbestimmung, zurückgeführt und verursachen dadurch für die übrigen Gruppenteilnehmenden die Reduktion der Mitbestimmung sowie das Erfahren von Fremdbestimmung. Oft versuchen Einzelentscheidende zumindest in der Ratifizierungsphase der Entscheidungshandlung die Zustimmung der Restgruppe zu erwirken, damit die Individualentscheidung nachträglich als Gruppenentscheidung deklariert werden kann. Dabei bleibt fraglich, inwieweit ein solches Entscheidungsvorgehen die Präferenzen aller Mitglieder gleichwertig berücksichtigt und einen echten nachträglichen Konsens bewirkt oder doch nur die favorisierte Variante des Einzelentscheidenden widerspiegelt, die ohne Aushandlung vermutlich identisch ausgefallen wäre. Dieses Phänomen trifft besonders auf den Fall der Gruppe 2 zu (Kapitel 6.4), in der die Interaktionsstil-Partizipationstyp-Konstellation des rechten Innenkreises und des Diskursschemas unten rechts (Abb. 67) ausschlaggebend für den divergenten Diskurs und die Autonomieentfaltung sind. Abb. 70: Divergenter Diskurs durch nichtkooperative Partizipation Auch in diesem Diskursmuster besteht ein Ungleichgewicht im Einflussgrad auf das Entscheidungsresultat, da ein dominanter Gesprächsteilnehmer (Lerner oben) sich sowohl des kollaborativen (hier nicht abgebildet) als auch des nicht- <?page no="337"?> 337 kollaborativen Interaktionsstils (grüne, gestrichelte, dünne Linien) bedient, um entweder seine präferierte Entscheidungsalternative durchzusetzen oder auch nach einer Irrelevantsetzung eines Entscheidungsgegenstandes die Übereinkunft zur Auswahl einer Alternative gänzlich zu verhindern (keine Entscheidung oder Einzelentscheidung, s. gelb-weißes Feld E). Den Gruppenmitgliedern gelingt es nicht, mittels kollaborativer Interaktion (grüne Linie) die vorherrschenden konträren Bewertungen, Meinungen oder Argumentationen auszugleichen und konsensuell oder kompromissbildend Entscheidungen auszuhandeln (blaue, gestrichelte, dünne Linien). Daraus profitiert das z. T. nichtkooperativ partizipierende Gruppenmitglied (blaue, gestrichelte, dicke Linie), um sich in seiner Meinungsmacht zu beweisen und den Diskurs dahin zu lenken, dass seine Individualpräferenzen als Entscheidungen von der Gruppe übernommen werden. Hier liegt also keine echte Gruppenautonomie, sondern eine implizite personale Autonomie vor. Auf der Oberfläche wirken die Entscheidungen zwar übereinstimmungsbasiert, interaktionsanalytisch betrachtet kommen bei deren Aushandlung aber überwiegend nichtkollaborative Stile zum Einsatz. Selbstbestimmung in der Gruppenentscheidungsinteraktion entfaltet sich also entweder durch dominante, nicht-kollaborative Interaktion und kooperative Partizipation in Form von Individualentscheidungen (gelbe Entscheidung E) oder durch die Extremform der nichtkooperativen Partizipation geknüpft an nicht-kollaborative Interaktion, in Form von späten Gruppen- oder Individual- oder ganz ausbleibenden Entscheidungen (keine Entscheidung E, hellgelb-weiß). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sowohl Interaktionsverhalten als auch Partizipationsweisen in ihrem Zusammenwirken einen entscheidenden Einfluss darauf ausüben, wie in der Gruppenentscheidungsaushandlung soziale oder personale Autonomie entfaltet werden können. Nach der modellhaften Systematisierung der Untersuchungsergebnisse gilt es nun, diese im Hinblick auf die Beantwortung der eingangs gestellten Forschungsfragen hypothesenartig zusammenzufassen. Teilfrage 1: Wie gestalten sich Entscheidungsfindungsprozesse in einem Handyvideoprojekt während der polyadischen Interaktion? Entscheidungsfindungsprozesse in DaF-Handyvideoprojektgruppen mit der Erstsprache Spanisch ließen sich in der vorliegenden Untersuchung in zwei verschiedenen diskursiven Ausprägungen beobachten. An erster Stelle stehen Entscheidungsaushandlungen, die von diskursiver Konvergenz geprägt sind und zu einem konsensbasierten Entscheidungsresultat führen. An zweiter Stelle stehen Aushandlungsprozesse, die eine diskursive Divergenz aufweisen, wobei zum einen Einzelentscheidungen getroffen wurden oder zum anderen die Gruppendiskussion ohne Entscheidungsresultat verblieb. Zur genaueren Charakterisierung dieser den Diskursen innewohnenden Interaktionsprozesse wurden vier individuelle Interaktionsstile aus den Gesprächs- <?page no="338"?> 338 daten rekonstruiert: die dominante und passive Kollaboration sowie die dominante und passive Nicht-Kollaboration. Mit Dominanz oder Passivität kommt dabei der verbale Beteiligungsgrad (stark vs. gering) an der Interaktion zum Ausdruck. Das Merkmal Kollaboration bzw. Nicht-Kollaboration bezeichnet den Grad an (Un-)Gleichheit beim Einfluss auf den Verlauf der Gruppeninteraktion und (fehlender) Gegenseitigkeit im Engagement mit den Redebeiträgen der übrigen Gruppenmitglieder. Es zeichnet sich in der kollaborativen Ausprägung durch Ko-Konstruktion, kollektivem Scaffolding und sprachlichen Handlungen wie (Nach-)Fragen, Feedback (Zustimmen, Korrigieren), Wiederholen, Vervollständigungen, Erklären und Begründen sowie den Einsatz von Ausdrucksmitteln perspektivischer Modalität aus. Auf multimodaler Ebene zeigt sich kollaborative Interaktion durch ein von Gleichheit und Gegenseitigkeit gekennzeichnetes Blickverhalten, Mimik, Gestik und Körperorientierung. Das Blickverhalten verläuft kongruent zum Sprecherwechsel und beinhaltet Blickkontakt des Sprechenden mit der Mehrheit der Gruppenmitglieder. Mimik und Gestik verdeutlichen innerhalb kollaborativer Interaktion persönliche Relevanzsetzung, situative Konformität, Zustimmung, Einverständnis sowie Verständnisschwierigkeiten bzw. -sicherung. Die Körperorientierung ist bei der Einnahme dieses Stils dem Diskurszentrum zugewandt, wird von einer offenen Arm- und Handhaltung und zeitweise durch die sog. Denkerpose begleitet. In der nicht-kollaborativen Ausprägung der Interaktionsstile ist die Gruppenaushandlung von geringer Gleichheit und Gegenseitigkeit geprägt. Dies wird ersichtlich in einer ungleichen Beitragsverteilung, einem geringen oder ausbleibenden verbalen Engagement mit den Redebeiträgen anderer, geringe oder ausbleibende Ko-Konstruktion, Scaffolding durch Gruppenexterne, einem hohen Anteil an sprachlichen Handlungen wie Gegenvorschlägen/ -argumenten, Ablehnungen, Widersprechen, monologisch-verabsolutierende Erklärungen und Begründungen, keine oder wenige (Nach-)Fragen, Nonsensbeiträgen und Ridikulisierungen sowie diskurslinguistische Merkmale wie Unterbrechungen oder Simultantalk. Hinsichtlich multimodaler Aspekte ist die nicht-kollaborative Interaktion gekennzeichnet durch geringen oder ausbleibenden Blickkontakt unter den Interaktanten, eine ablehnende Augenkommunikation, ablehnende oder statische Mimik, Gestik und Körperhaltung sowie eine dem Diskurszentrum abgewandte Blick- und Körperorientierung. Das zweite analysierte Ausgestaltungsmerkmal von Gruppenentscheidungsprozessen stellt die Partizipation (Mitentscheidung/ -bestimmung) dar. Somit wird der eingenommene Gesprächsstil um die Perspektive seines Einflusses auf die Entscheidungsaushandlung und das Entscheidungsresultat bezüglich konkreter Entscheidungsgegenstände erweitert. In diesem Zusammenhang stellte sich das Merkmal der Kooperativität als Gestaltungsfaktor heraus, d. h., Partizipation und Nicht-Partizipation wurden im Hinblick auf eine mental geteilte oder aus- <?page no="339"?> 339 bleibende Gruppenhandlungs(teil-)zielorientierung (= (Un-)Wille zur Entscheidungsfindung für den jeweiligen Entscheidungsgegenstand) ausdifferenziert. Die Gleichheit im Sinne einer geteilten Kontrolle über den Entscheidungsdiskurs stellt dabei eine Präzisierung der diskursiven Gleichheit nach Storch (2001a) im Sinne des ausgewogenen Einflussgrades auf den Gruppendiskurs im allgemeinen dar. Der jeweilige Wille zur Zielverfolgung ist nicht immer unmittelbar aus den Interaktionsdaten zu erschließen, sondern ließ sich anhand der individuellen VLE-Daten rekonstruieren. Die Partizipationsanalyse brachte vier unterschiedliche Partizipationstypen hervor: kooperative und nicht-kooperative Partizipation, kooperative Nicht-Partizipation (mit den zwei Subtypen sprachkompetenzbedingter und legitimationsbedingter Nicht-Partizipation) sowie selektive Partizipation. Der kooperative Partizipationstyp ist durch eine aktive Ausübung der Mitbestimmung unter Verfolgung des Gruppengesamtziels gekennzeichnet. Der Einfluss auf den Entscheidungsdiskurs wird dabei durch Mittel der metakommunikativen Diskurssteuerung, der Entwicklung, Bearbeitung, Bewertung und Begründung von Entscheidungsalternativen sowie der Beteiligung an Entscheidungshandlungen ausgeübt. Nicht-kooperative Partizipation zeichnet sich dadurch aus, dass die Mitbestimmung allein zur Verzögerung oder Verhinderung des Gruppenziels zum Einsatz kommt. Kooperative Nicht-Partizipation zeigt sich im ausbleibenden Willen zur Mitbestimmung oder einem geringen Einflussgrad auf den Entscheidungsdiskurs, wobei das Gruppenziel jedoch prinzipiell geteilt wird. Ein entscheidender Einflussfaktor der Nicht-Partizipation stellt die Freiwilligkeit bezüglich dieser ausbleibenden Mitbestimmung dar und erlaubte es, zwei Subtypen der Nicht- Partizipation zu rekonstruieren. Ausschlaggebend für die unfreiwillige Nichtmitbestimmung kann zum einen die mangelnde Fremdsprachkompetenz oder zum anderen die situationsbedingte Delegitimierung zur Entscheidungseinflussnahme und Exklusion aus dem Aushandlungsprozess durch Dritte sein. Entscheidungsfindungsprozesse werden demnach durch ein Bedingungsgefüge von Interaktionsstilen und Partizipationstypen gestaltet. Das Wechselverhältnis der beiden Parameter ist dadurch zu charakterisieren, dass ein Interaktionsstil die diskursive Ausgestaltung eines Partizipationstyps darstellt. Dabei stehen beide Phänomene jedoch nicht in einem reziproken Verhältnis, d. h., sie bedingen einander nicht direkt. Vielmehr gibt es einen kausalen Zusammenhang derart, dass ein Partizipationstyp immer durch einen bestimmten Interaktionsstil umgesetzt wird (Partizipation erfordert Interaktion: kooperative Partizipation → kollaborative Interaktion). Umgekehrt erzeugen bestimmte Interaktionsstile nicht zwangsläufig bestimmte Partizipationstypen, d. h. Interaktion erfordert nicht unbedingt Partizipation: kollaborative Interaktion → kooperative Nicht- Partizipation oder nicht-kooperative Partizipation). Ein Zusammenvorkommen von bestimmten Stilen und Typen ist bezüglich des Vorkommens von Gruppen-, Einzel- oder ausbleibenden Entscheidungen festzustellen. Zur Kon- <?page no="340"?> 340 sistenz der Stile und Typen ist festzuhalten, dass sie nicht immer gleichbleibend über einen längeren Zeitraum sind, sondern auch gewissen, wenn auch minimalen, Schwankungen innerhalb einer Gruppensitzung oder zwischen mehreren Gruppensitzungen unterliegen können. In gleichem Maße ist aber auch in anderen Fällen eine Stabilität von Stil und Typ über eine Sitzung hinweg zu verzeichnen. Diese Instabilität kann dabei auf Kontextfaktoren wie Tagesverfassung, Gruppendynamik, Projektstadium u. ä. zurückzuführen sein. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Schwankungen nur männliche Projektteilnehmer betreffen. Teilfrage 2: Welche Formen der (Mit-)Bestimmung werden innerhalb von Gruppenentscheidungsprozessen deutlich? Gruppenentscheidungsaushandlungen legen differenzierte Formen der Selbst-, Mit- und Fremdbestimmung frei. Selbstbestimmung zeigt sich am deutlichsten im Treffen von Individualentscheidungen, die je nach Interaktionsstil einer nachträglichen Ratifizierung unterzogen werden oder dies ausbleibt. Selbstbestimmte Einzelentscheidungen treten sowohl in konvergenten als auch in divergenten Diskursformen auf, wobei diese in divergenten klar überwiegen. Jedoch hängt es vom interaktional-partizipativen Zusammenspiel der übrigen Gruppenteilnehmenden ab, inwiefern diese Episoden personaler Autonomie diskursiv in den Gruppenentscheidungsprozess rückgebunden und in einen Modus der Mitbestimmung überführt werden oder diese dauerhaft eine Reduktion der Mitbestimmung der übrigen Gruppenmitglieder nach sich ziehen und die Individualentscheidungen dadurch als eine von Dritten auferlegte Fremdbestimmung wahrgenommen werden. In eher konvergenten Interaktionskonstellationen erfolgt eine Integration der kaum auftretenden und meist in besonderen fachlichen Expertisen begründeten Einzelentscheidungen in den weiteren Aushandlungsverlauf, da diese der Gruppenzielausrichtung grundsätzlich zuträglich sind. In divergenten, delegitimierungsbedingten Interaktionskonstellationen verursachen Individualentscheidungen Parallelhandlungen, bei denen dem exkludierten Gruppenmitglied jegliche Einflussnahme verwehrt wird. Lediglich in der Ratifizierungsphase kann eine nachträgliche Mitbestimmung eingeräumt werden, die damit aber keine echte, sondern eine Pseudokonsensentscheidung erzeugt. Die selben Mechanismen kommen zum Tragen, wenn ein Gruppenmitglied mit Protokollantenrolle Einzelentscheidungen zur Verschriftlichung der Arbeitsergebnisse trifft. Bei divergenten Gruppendiskursen, die durch nicht-kooperative Partizipation entstehen, dominiert die Selbstbestimmung eines einzelnen Gruppenmitgliedes, die dazu genutzt wird, Gruppenentscheidungen zu verzögern oder zu verhindern. Die übrigen Gesprächsteilnehmenden erfahren dadurch die offenkundigste Art von Fremdbestimmung, da ihre Gruppeninteraktion nicht dazu beiträgt, ihre Partizipation im Diskurs zu reetablieren. <?page no="341"?> 341 Gruppenentscheidungsaushandlungen führen somit zu kooperativen Einzelentscheidungen, die die Selbstbestimmung in Form einer konsensbasierten Mitbestimmung umsetzen. Sie führen aber auch zu nicht-kooperativen Einzelentscheidungen, die zwar die individuelle Selbstbestimmung eines Einzelnen ermöglichen, gleichzeitig aber bei den übrigen Gruppenmitgliedern Heteronomie bewirken, da ihnen die Möglichkeit zur Mitbestimmung verwehrt bleibt. Teilfrage 3: Wie werden diese Interaktionsprozesse retrospektiv von den einzelnen Gruppenmitgliedern wahrgenommen? Zur Ermittlung der persönlichen Wahrnehmung des Interaktionsgeschehens durch dessen Beteiligte erwiesen sich die Daten des Videobasierten Lauten Erinnerns als besonders aussagekräftig. Sie gaben über verschiedene Ebenen der nachträglich erinnerten mentalen Vorgänge während des Aushandlungsprozesses Auskunft. Eine wesentliche Wahrnehmungsebene bestand in der Bestätigung des eigenen Interaktionsverhaltens, indem das persönliche Auftreten im Interaktionsgeschehen argumentativ bekräftigt wurde. Dies wird oft auch an eine detailliertere Begründung oder Rechtfertigung für den individuellen Gesprächsstil und das Partizipationsverhalten gekoppelt. Erinnerte Kommentare wiesen außerdem auch Widersprüche zum Gesprächsverlauf oder zu diskutierten Argumenten auf, welche jedoch nicht in der Gruppensituation, sondern nur während des VLEs geäußert wurden. Daraus lässt sich folgern, dass nicht alle aushandlungsbezogenen Gedanken während der Gruppeninteraktion artikuliert werden, wobei selten die Ursachen (z. B. Zeitmangel) dafür angegeben werden. Außerdem deutet es auch darauf hin, dass die individuellen Gedankengänge während der Gruppeninteraktion nicht ausschließlich gegenstandsbezogen sind. VLE-Daten geben zudem Auskunft über Wissens- und Verstehenszustände während der Gruppensitzung und werden von den Teilnehmenden auch zur vertiefenden Erklärung ihres Interaktionsverhaltens sowie des Bewusstseins darüber herangezogen. Des Weiteren beziehen sich die erinnerten Wahrnehmungen auf persönliche Einstellungen zu Aspekten der Gruppenarbeit, der Projektarbeit, der Fremdsprache und den diesbezüglichen eigenen Kompetenzen, zum Arbeitsprozess und zu diskutierten thematischen Sachverhalten. Im Rahmen der Äußerungen zu konkreten Entscheidungsgegenständen treten sowohl bestätigende Kommentare zur Gruppen(teil-)zielverfolgung als auch deren Gegenteil auf. Außerdem konnte aus den Daten die individuelle zustimmende oder ablehnende mentale Bewertung von einzelnen Entscheidungsalternativen rekonstruiert werden. Der wesentlichste Beitrag der erinnerten Gedanken ist jedoch auf der affektiven Ebene anzusiedeln. Die interaktionsauslösenden und -begleitenden Emotionen erstrecken sich über das Spektrum positiver Gefühle, wie Freude, Begeisterung, Belustigung, Vergnügen und Befriedigung, welche zurückzuführen sind auf die persönliche Motivation, Interesse und Relevanzsetzung am Handyprojekt im Allgemeinen sowie im Besonderen an einzelnen Phasen der Gruppenprojektarbeit bzw. <?page no="342"?> 342 des -aushandlungsprozesses. Zudem drücken sie die Konformität mit dem Interaktionsgeschehen und den erreichten Ergebnissen aus. Wahrgenommene Emotionen betreffen aber auch das Spektrum der negativen Gefühle, wie Frustration, Verzweiflung, Besorgtheit, Unzufriedenheit und Enttäuschung, welche in engem Zusammenhang mit dem Desinteresse, der Demotivation, der Gleichgültigkeit oder der Irrelevantsetzung gegenüber einzelnen Entscheidungsgegenständen, Phasen des Projektes oder Gruppeninteraktionsverläufen stehen. In diesem Zusammenhang kommt es auch zur Distanzierung vom Interaktionsgeschehen und daraus resultierenden Aushandlungsergebnissen. Die retrospektiven Selbstauskünfte zu den aushandlungsbezogenen Emotionen ergänzen somit die Beschreibung der Gestalt von Gruppenentscheidungsprozessen und legen einen direkten Zusammenhang zwischen affektiven Faktoren sowie Interaktionsstilen und Partizipationstypen nahe. Nichtkollaborative Interaktion und nichtkooperative Partizipation (z. B. Fall ELMER) sind dabei mehrheitlich an negative Emotionen gekoppelt, während kollaborative und kooperative Stile und Typen (z. B. Fall RINA) eher an positive Emotionen geknüpft zu sein scheinen. Die Erinnerung an die mentale Wahrnehmung der Gruppeninteraktion ist demnach um ein Vielfaches vielschichtiger, als dass sie als bloßes mentales Abbild des individuellen Gesprächsverhaltens bewertet werden kann. Sie bietet zusätzliche emische Erklärungs- und Interpretationsansätze für die Einnahme bestimmter Interaktionsstile und macht dabei die emotionale Verankerung dieser einer detaillierten analytischen Betrachtung zugänglich. Leitende Forschungsfrage: Welche Potenziale sozialer Autonomie bietet der Projektunterricht im Kontext Deutsch als Fremdsprache? Die Beantwortung der Teilforschungsfragen führt in ihrer Zusammenschau zur Beantwortung der leitenden Forschungsfrage. Die Potenziale sozialer Autonomie in Projektgruppenarrangements bestehen im Erleben von Gruppenautonomie bei der Entscheidungsaushandlung, wenn sich dabei ein konvergenter Diskurs entfaltet. Diskursive Konvergenz führt zu konsensbasierten und auf Mitbestimmung beruhenden Gruppenentscheidungen und ist bedingt durch die kooperative Partizipation im Entscheidungsprozess sowie die daran gekoppelte kollaborative Interaktion und positive Selbstwahrnehmung aller Gruppenmitglieder. In dieser Diskursart kann auch in Einzelfällen der Mitbestimmungstyp der kooperativen Nicht-Partizipation auftreten, wobei er zumindest durch den Interaktionsstil der passiven Kollaboration umgesetzt werden muss, um Gruppenentscheidungen zu ermöglichen. Gruppenentscheidungen stellen dabei den zentralen Indikator für Gruppenautonomie dar, welche wiederum die Ausprägung sozialer Autonomie in projektorientierten Fremdsprachenlernarrangements repräsentiert. Personale Autonomie hingegen entfaltet sich in divergenten Diskursen, in denen vornehmlich selbstbestimmt Einzelentscheidungen getroffen oder gar keine Entscheidungen ausgehandelt werden. Dabei kommen nichtko- <?page no="343"?> 343 operative Partizipations- oder kooperative Nicht-Partizipationstypen zum Tragen, die sich in nicht-kollaborativen Interaktionsstilen freisetzen. Die eingangs aufgestellte Arbeitsdefinition zum Konstrukt der Gruppenautonomie lässt sich daher wie folgt präzisieren: Arbeitsdefinition: Die Autonomie einer Lernendengruppe ist innerhalb von Gruppenaushandlungsprozessen dann gegeben, wenn ein kollaboratives Interaktionsmuster zur gruppeninternen Entscheidungsfindung vorherrscht. Dieses Muster zeichnet sich nach Storch (2001 a, b) durch einen hohen Grad an Gleichheit (beim Einfluss auf den Verlauf der Aktivität) und Gegenseitigkeit (beim Engagement mit den Beiträgen anderer) aus. Präzisierte Definition: Die Autonomie einer Lernendengruppe entfaltet sich innerhalb von Gruppeninteraktionsprozessen dann, wenn Gruppenentscheidungen in diskursiver Konvergenz ausgehandelt werden. Diskursive Konvergenz ist durch kooperative Partizipation (KP) und kollaborative Interaktion (KI) gekennzeichnet. Dabei stellt KP die gruppenzielteilende Mitbestimmung dar und wird durch kollaborative Interaktion (KI) umgesetzt. Im nächsten Abschnitt folgt nun die Diskussion der Untersuchungsergebnisse vor dem Hintergrund des etablierten theoretischen Rahmens und des aktuellen Forschungsstandes. Die explorativ-interpretative Studie gibt Einblicke in ein in der Fremdsprachenforschung bisher wenig erforschtes Untersuchungsfeld: autonomes Lernen als soziales Phänomen in Gruppeninteraktionen. Autonomie als soziales Konstrukt zu konzeptualisieren, dafür plädieren Fremdsprachenforscher schon seit geraumer Zeit (Pennycook 1997, Holliday 2003, Toohey und Norton 2003 und Schmenk 2005), jedoch fehlte diesem Ansatz bisher eine empirische Fundierung bzw. die Rückbindung an spezifische Lehr- und Lernkontexte. Anknüpfend an Bensons Autonomieverständnis (2001) lässt sich Gruppenautonomie als „geteilte Kontrolle“ bzw. „kollaborative Kontrolle“ (Anderson & Garrison: 1998) über den Lernprozess beschreiben. Speziell für das Fremdsprachenlernen im Projekt konnte mittels der Interaktions- und Partizipationsanalyse fallbezogen nachgezeichnet werden, wie sich diese geteilte Kontrolle mittels Mitbestimmung bei der Entscheidungsaushandlung diskursiv entfaltet. Eine der herausgearbeiteten, spezifischen Interaktions- und Partizipationskonstellationen, die diskursive Konvergenz, hat sich dabei als besonders förderlich zur Freisetzung von Gruppenautonomie herausgestellt. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass Gruppenautonomie eine eigenständige Form der Lernerautonomie neben der bisher hauptsächlich erforschten individuellen Autonomie darstellt. Gruppenautonomie <?page no="344"?> 344 wird dabei als ein Zustand beschrieben, der im Gegensatz zur personalen Autonomie als mentale Disposition (Holec 1981, Benson 2001) allein innerhalb von diskursiven Aushandlungsprozessen erzeugt wird. Dies bedeutet auch, dass Gruppenautonomie sich nicht aus der Summe einer gewissen Anzahl von Einzelautonomien zusammensetzt, sondern sich erst aus dem Zusammenwirken von Interaktion und Partizipation entfaltet. Für die interaktionalen Gruppenprozesse konnten Stile und Typen klassifiziert werden, die Storchs (2001a) sowie Watanabe & Swains (2007) Muster der Paarinteraktion für polyadische Lernarrangements weiterentwickeln und präzisieren. Die vier rekonstruierten Interaktionsstile und drei Partizipationstypen (inkl. zweier Subtypen) zeugen davon, dass der Gruppenentscheidungsdiskurs einem komplexen Wechselverhältnis aus interaktionaler Aktivität, Passivität, Dominanz, gegenseitigem Engagement und ausgewogener Beteiligung entspricht, welches im Zusammenhang mit der mitbestimmungsleitenden Gruppenzielorientierung und wechselseitiger Einflussnahme zu verstehen ist. Anders als in den Untersuchungsergebnissen von Storch (2001a) konnte für die Verwendung eines spezifischen Interaktionsstils für einige Fälle eine kontextbezogene Variabilität festgestellt werden. Daher lässt sich vermuten, dass polyadische Interaktionssettings eine größere Vielfalt an Gesprächsstilen erzeugen, die diverse gruppendynamische Mechanismen reflektieren und in einer Partnerarbeitskonstellation z. T. so nicht umsetzbar wären. Einen Mehrwert für die differenzierte Gruppendiskursanalyse stellt der Einbezug retrospektiver Individualdaten und videobasierter multimodaler Aspekte der Gruppeninteraktion dar. Stößt Storch (2001a: 100) noch an interpretatorische Grenzen, was die nonverbale Ausgestaltung der Paarinteraktion betrifft, konnte in dieser Studie veranschaulicht werden, dass gerade in Kleingruppenkonstellationen, in denen sich nicht alle Teilnehmenden gleichzeitig verbal äußern können, besonders die multimodale Kommunikation, wie schon Stevanovic (2012) am Beispiel der Prosodie belegte, einen wesentlichen Beitrag zum Interaktionsgeschehen und speziell zum Entscheidungsresultat sowie der daraus ableitbaren Gruppen- oder Individualautonomie leistet. Als besonders relevant haben sich in diesem Zusammenhang das Blickverhalten, Mimik und Gestik sowie die Körperorientierung herausgestellt. Einen weiteren analytischen Mehrwert bot die Triangulation der polyadischen Interaktionsmit den individuellen Retrospektionsdaten. Sie erlaubten einen ersten, teilnehmergesteuerten Zugriff auf mentale Vorgänge während der Gruppenaushandlung und konnten die Untersuchung des Interaktionsgeschehens u. a. um die wesentliche Komponente der im Prozess freigesetzten Emotionen erweitern. Emotionen haben sich dabei als nicht zu vernachlässigendes Steuerungselement partizipativer Prozesse erwiesen (s. „embodied cognition“ Kapitel 3.3.2). Dies bestätigt auch die Studie von O’Leary (2014), die soziokulturelle und affektive Dimensionen von Autonomie im formalen Bildungsschauplatz der Hochschule mittels e-Portfolioarbeit erforschte. Dabei nahm sie eine Bensons Definition (2001) erweiternde Konzeptualisierung von Lernerautono- <?page no="345"?> 345 mie vor, die auf der affektiven Seite die psychologische und emotionale Fähigkeit verankert, das eigene Lernen zu kontrollieren, indem die persönlichen Emotionen wahrgenommen werden (emotionale Intelligenz). Auf der sozialen Ebene verortet sie dahingehend die Fähigkeit, eine kollegiale Lernumgebung gestalten zu können, in der die Emotionen der anderen Teilnehmer der Lernumgebung wahrgenommen und zusammen mit der Eigenemotionalität handlungsleitend zur Harmonisierung der gegenseitigen Zusammenarbeit Berücksichtigung finden. So ausgeübte Einzelautonomie kann vor dem Hintergrund institutioneller Lernsettings in Gruppenautonomie münden, wobei es sorgfältig abzuwägen gilt, inwiefern heteronome Einflussfaktoren durch die Integration in mitbestimmungserfordernde Lernarrangements tatsächlich relativiert werden können oder sollen. Das Wechselverhältnis von (In-)Dependenz und Interdependenz, wie es Little (2000b, 2001a) für das autonome Lernen beschreibt, besteht in jedem formalen Kurskontext. Jedoch kann eine möglicherweise zu starke Dominanz von Fremdbestimmung erst dann reduziert werden, wenn durch Mitbestimmung ein Art kollektiver Autonomieerfahrung erzeugt wird. Dies heißt nicht, dass Partizipation die Einzelautonomie ersetzen kann oder soll. Vielmehr bildet sie eine Alternative zu rein individualistischen Autonomieförderungsansätzen, innerhalb derer jeder Lernende Kontrolle über sein Lernen ausübt, indem die Erkundung eigener Bedürfnisse allem vorangestellt wird und sie damit um die Chance der sozio-interaktionalen Einbettung ihres Lernprozesses gebracht wird. Die vorliegende Studie konnte diesbezüglich aufzeigen, welche Bedeutung bei der unterrichtlichen Ausübung von Interdependenz die kollaborative Mitbestimmung und der ihr vorausgehende individuelle und keineswegs selbstverständliche Wille zur Partizipation zukommen. Partizipation kann im Fremdsprachenlernkontext, wie in Kapitel 2.3.2 verdeutlicht, auf verschiedenen Ebenen ansetzen, wobei die hier untersuchte Partizipation im Gruppenentscheidungsdiskurs die unterste und die sozial am engsten gefasste dieser Ebenen darstellt. Prinzipiell lässt sich das hier etablierte Verständnis von sozialer Autonomie auf alle weiteren aushandelbaren Ebenen der Ausgestaltung von Lernkontexten übertragen und einer empirischen Überprüfung unterziehen. Was den Willen zur Partizipation betrifft, muss mit Blick auf die Analyseergebnisse geschlussfolgert werden, dass es einen legitimen Akt der individuellen Autonomie darstellt, die eigene Entscheidungsmacht bzw. Handlungsinitiative (agency) zur diskursiven Einflussnahme zurückzustellen oder aufzuheben, auch wenn dadurch das Erreichen des Gruppenaushandlungsziels unmöglich gemacht wird. Im Falle des Zurückstellens der personalen Autonomie, bei dem man die eigene Entscheidungsmacht in Ausrichtung auf das gemeinsame Gruppenziel aufgibt, spricht Yashima (2014: 60) von „autonomous dependency on the trusted other“, eine Art selbstgewähltes „blindes“ Vertrauen in die (meist höheren) Kompetenzen der übrigen Gruppenmitglieder oder der Lehrperson. Hier ist von Relevanz, ob die Abgabe der Entscheidungsmacht immer auch mit einer Aufga- <?page no="346"?> 346 be der eigenen Autonomie einhergeht oder diese vielmehr erhalten bleibt, da es vor allem im Ermessen des Partizipierenden liegt, wie auch in den Daten der passiveren oder selektiven Stile und Typen deutlich wurde, in bestimmten Phasen der Aushandlung die Entscheidungsmacht selbstbestimmt zurückzuerlangen (s. auch Krummheuer & Brandt 2001 für die Partizipation im Klassengespräch). Zu diskutieren ist des Weiteren, welche Aussagekraft Untersuchungsergebnisse zur Gruppenautonomie besitzen, die ausschließlich auf Hypothesen zum polyadischen Entscheidungsfindungsdiskurs beruhen. Sicherlich stellt das Konstrukt der „Entscheidungsfähigkeit“ dabei nur eine Facette des komplexen Gebildes „Lernerautonomie“ dar: „autonomy is a complex socio-cognitive system, subject to internal and external constraints, which manifests itself in different degrees of independence and control of one’s learning process. It involves capacities, abilities, attitudes, willingness, decision making, choices, planning, actions, and assesment either as a language learner or as a communicator inside or outside the classroom. As a complex system it is dynamic, chaotic, unpredictable, non-linear, open, self-organizing, and sensitive to initial conditions and feedback.“ (Paiva 2006: 88-89, in Murray 2014). Wenn auch nicht in erschöpftem Umfang dann doch mit wesentlichen Erkenntnissen durch die VLE-Daten konnten genau jene oben genannten, neben dem Entscheidenkönnen relevanten Teilbausteine der Lernerautonomie mit den Interaktionsdaten dieser Studie in Beziehung gesetzt werden. Selbst- und fremdwahrgenommene sprachliche als auch fachliche Kompetenzen bilden dabei Einflussfaktoren darauf, in welchem Maße auf Einzelentscheidungen basierende individuelle Autonomie von der Gruppe als kooperativen Anteil des Arbeitsprozesses aufgegriffen oder als nicht-kooperatives Handeln soziale Autonomiepotenziale beeinträchtigen. Wie schon von Gunnarsson (2006) betont, bildet besonders die Sprachkompetenz eine Schlüsselfunktion für die Teilhabe im Gruppendiskurs. Gruppeninteraktion kann dabei sowohl kompensatorisch wirken, indem Verständnissicherung und Bedeutungsaushandlung eine informierte Partizipation sprachlich weniger kompetenter Gruppenmitglieder unterstützen. Sie kann aber auch exkludierend wirken, wenn Verständnislücken nicht interaktional geschlossen werden (können) und somit die sprachlich benachteiligte Person in einer reinen Beobachterrolle verharrt. Für diesen Rezipientenstatus innerhalb des Klassengespräches im grundschulischen Mathematikunterricht prägten Krummheuer & Brandt (2001: 62) den Begriff „Bystander“. Dieser veranschaulicht den geringeren Aufmerksamkeitsgrad eines Mithörers, der nicht direkt am Gespräch beteiligt ist. In diesem Zusammenhang sind auch Einstellungs- und Willenszustände zu berücksichtigen, die die Selbstbestimmtheit oder Fremdbestimmtheit beim Zustandekommen dieses Status erklären können. Was die wesentlichen sprachlichen Handlungen einer Entscheidungsepisode betrifft, konnten die argumentativen Muster des Vorschlagens und Zustimmens bzw. Ablehnens, wie Gunnarsson (2006) sie beschreibt, im Korpus identifiziert <?page no="347"?> 347 und als Grundkategorien für die Partizipationsanalyse zweckgerichtet weiterentwickelt werden. Die vorliegende Studie leistet zudem einen Beitrag zur empirischen Fundierung kollektiver Planbildungsprozesse (Rehbein 1977). Die untersuchten Gruppentscheidungsprozesse zeigten die Verknüpfung mentaler Deliberationsvorgänge in ihrem Zusammenspiel mit der interaktionalen Bewertung und ggf. Modifikation der Entscheidungsalternativen sowie der letztendlichen Auswahl einer konsensuell erwählten Handlungsoption. Dabei konnten sowohl die klassische Auswahltechnik der Abstimmung als auch implizitere Auswahlformen, die z. T. an individuelle Auswahlhandlungen geknüpft waren, beobachtet werden. Die von Rehbein (ebd.: 42) als Bestandteil der Beratung genannten antizipatorischen Tests zur Eignung einer Alternative wurden innerhalb der vorliegenden Interaktionen hauptsächlich in Form von Gegenargumenten gegen einen Vorschlag, durch Vorschlagsmodifikationen oder durch Vorschlagsneuentwicklung realisiert. Sehr klar zeichnete sich zudem das fließende Ineinanderübergehen von Auswahlhandlungen und Antizipation der Umsetzungshandlung der ermittelten Entscheidungen ab, welche wiederum neue abstimmungsbedürftige (Sub-)Problemstellungen hervorrufen. <?page no="349"?> 349 7 Schlussfolgerungen und Ausblick Die vorliegenden Untersuchungsresultate lassen zum einen didaktisch-methodische Praxisimplikationen für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht zu und eröffnen zum anderen die Perspektive auf weitere Forschungsdesiderate. Beiden Aspekten widmet sich dieses Schlusskapitel. Handlungsempfehlungen für den institutionellen Kurskontext lassen sich hinsichtlich der Aktivierung von Gruppenautonomiepotenzialen, der Analyse von Interaktionsprozessen in Gruppenarbeitsarrangements und hinsichtlich des Mehrwerts von Videobasiertem Lauten Erinnern zur Reflexion von kollektiven Lern- und Arbeitsprozessen ableiten. Gruppenautonomie wird, wie diese Arbeit zeigt, nicht zwangsläufig in jeder Art von Gruppenarbeit hervorgerufen. Die rekonstruierten Partizipationsphänomene entfalteten sich im Projektunterricht, der anspruchsvollsten Form des offenen Arbeitens. Authentische Handlungsziele spielen also eine entscheidende Rolle bei der Ausgestaltung des Interaktions- und Partizipationsverhaltens einzelner Gruppenmitglieder. Vor diesem Hintergrund böte es sich an, für die Lehrpersonen, die in diesem Setting als Berater oder Moderatoren fungieren, ein Instrumentarium zu entwickeln, was ihnen die Möglichkeit bietet, kooperative Arbeitsprozesse dahingehend zu begleiten, indem in einem ersten Schritt Interaktionsstile, Partizipationstypen sowie Diskursarten identifiziert werden können und in einem zweiten Schritt anhand dieser Einsichten die kollaborative Gruppeninteraktion zu fördern. Dieses Instrumentarium könnte analytische Werkzeuge enthalten und praktische Handlungsleitfäden bereitstellen (z. B. zur Erarbeitung und Wiederholung der Redemittel für die Anwendung sprachlicher Handlungen des kollaborativen Stils). In diesem Zusammenhang böte sich auch die Entwicklung von Lehrerhandreichungen an, die die niveaustufen- und zielgruppenadäquate Einführung oder Reaktivierung und ggf. das Einüben kooperativer Techniken der Entscheidungsfindung thematisieren. Auf der Ebene der Unterrichtspraxis wären zwei Wege der Implementierung und Förderung von sozialer Autonomie denkbar. Während bestimmter Phasen der Gruppenarbeit können entsprechende Impulse zur Gesprächsstilreflexion von der Lehrperson selbst ausgehen oder alternativ können diese durch die Anfertigung von Videomitschnitten der Aushandlungsprozesse in den Lernenden selbst ausgelöst werden. Dazu bestünde die Möglichkeit, die Aufnahmen auf Wunsch entweder individuell oder vor der jeweiligen Gruppe zu präsentieren und die Teilnehmenden das Video, gemäß der Instruktionen des VLE, immer dann stoppen zu lassen, wenn diese sich an eigene Gedanken erinnern. Erinnerungen würden dabei laut in der Ziel- oder Erstsprache geäußert und könnten ggf. durch Dritte dokumentiert werden. Solcherart stimulierte Verbalisierungen würden Reflexionsprozesse über das eigene Interaktionsverhalten, Mitbestim- <?page no="350"?> 350 mungsmöglichkeiten oder Gruppendynamiken anregen. Lernende erfahren sich als aktive, dominante, passive, kollaborative oder auch nicht-kooperative Gesprächsteilnehmerinnen. Diese Einsichten könnten idealerweise in einem zweiten Schritt dazu führen, die persönliche Interaktions- und Partizipationsform als zielführend zu bestätigen oder kritisch zu überdenken und ggf. zu verändern. Die durch das individuelle VLE ausgelösten Reflexionen können aber auch (ggf. anonymisiert) von der Lehrperson aufgegriffen und für die Optimierung der kooperativen Mitbestimmung in der Gruppe zur Diskussion gestellt werden. Voraussetzung dafür ist eine vertrauens- und respektvolle Kursatmosphäre. Dieses Vorgehen ermöglicht Lernenden, ihre Autonomie auf Gruppenebene aus der Eigen- und Fremdperspektive wahrzunehmen, abzugleichen und zu hinterfragen. Zu betonen ist dabei, dass die Reflexion über Gruppenaushandlungen nicht in erster Linie der Beseitigung potenzieller sympathieabhängiger Gruppenkonflikte dienen soll (auch wenn dies ein positiver Nebeneffekt sein kann), sondern den Fokus auf die durch den Einsatz bestimmter sprachlicher Mittel der Zielsprache hervorgerufenen Effekte auf den Entscheidungsfindungsprozess und das jeweils (nicht) erreichte Aushandlungsresultat zu veranschaulichen. Als hilfreich zur Initiation solcher Reflexionen auf der Meatebene erweisen sich dafür auch Checklisten o. ä. Begleitmaterialien, die in den jeweiligen Lernendengruppen eigenständig bearbeitet werden. Von solchen Erfahrungen auf der Gruppenebene ausgehend, ließe sich die Freisetzung sozialer Autonomie auch die Gesamtkursebene ausweiten und für die kooperative Aushandlung auf verschiedenen Ebenen von (Prozess-)Curricula (s. Simmons & Wheeler, Kapitel 2.3.2) fruchtbar machen. Damit ist das erste der Forschungsdesiderate benannt, die sich aus den Ergebnissen dieser Studie ableiten lassen. Die Frage nach Gesprächsstrukturen und -mustern in der Gruppenentscheidungsinteraktion ließe sich als weitere Untersuchungsanschlussmöglichkeit auf die Intergruppenebene und die Ebene Lehrende - Lernende ausweiten, um zu erforschen, in welchem Wechselverhältnis Lehrerautonomie und soziale Lernerautonomie stehen und welche Machtmechanismen der Fremd-, Mit- und Selbstbestimmung dieses unterliegt. Für das selbstgesteuerte Lernen außerhalb institutioneller Kurslernkontexte, z. B. im Tandem oder in einem Selbstlernzentrum wäre es lohnenswert, individuelle Entscheidungsprozesse als Bestandteil autonomen Lernens zu untersuchen und im Hinblick auf das Lernergebnis und Lernverläufe verschiedener Lernertypen oder -stile zu vergleichen. Mit Blick auf Intragruppenentscheidungsinteraktionen wären Längsschnittstudien mit mehr als zwei Untersuchungszeitpunkten von Interesse, um weitere Erkundungen zur Stabilität der ermittelten Stile und Typen anzustellen. Auch eine Varianz des soziokulturellen Kontextes gäbe Aufschluss über Gruppenentscheidungsprozesse innerhalb von verschiedenen Lern- und Gesprächskulturen. In diesem Zusammenhang könnten auch weitere Kontextvariablen wie die Gruppengröße, (Gruppen-)Identität oder individuelle Persönlichkeitsfaktoren in den Untersuchungsfokus genommen werden. <?page no="351"?> 351 Besonders hervorzuheben ist die Rolle von affektiven Faktoren. Emotionen als eine noch relativ unerforschte Komponente von Lernerautonomie verdienen eine detailliertere Untersuchung. So zeigt der Neurowissenschaftler Damasio (2010: 125), dass „soziale Emotionen“ wie Verlegenheit, Mitgefühl, Scham, Schuld, Neid, Eifersucht, Stolz und Bewunderung eine wichtige Rolle in sozialen Gruppenereignissen einnehmen. Es ist daher dafür zu plädieren, bei der Erforschung von autonomieleitendem Verhalten und Kognitionen ebenso die damit einhergehenden Emotionen zu berücksichtigen. Auch Murray (2014: 240) fordert daher, neben den Schlüsselfaktoren Entscheidungsverhalten und Reflexionsfähigkeit nunmehr die affektive Dimension von Lernerautonomie zum Gegenstand empirischer Erhebungen zu machen. In diesem Zusammenhang ist aus methodologischer Perspektive für das VLE die Verbindung von Emotionalität in Gruppeninteraktionen und die bessere Erinnerungsfähigkeit an emotional bedeutsame Situationen genauer zu betrachten. Vor dem Verständnis von Lernerautonomie als sozialer Handlungsfähigkeit (Toohey & Norton 2003) besteht ein weiteres Desiderat darin, neben dem Aspekt des Gruppenentscheidungsverhaltens auch die anderen Komponenten einer sozialen Lernerautonomie wie Einstellungen und Motivation, kritische Reflexion oder kollektives autonomes Handeln zu erforschen. Bezüglich der Untersuchung von Unterrichtskommunikation ist der von Becker-Mrotzek & Vogt (2001: 43) formulierten Notwendigkeit im Bereich der Erforschung sprachlicher Muster kollektiver Lernarragangements zuzustimmen. Diese muss anknüpfend an die vorliegende Studie besonders um die Erfassung der interaktionalen und partizipativen Besonderheiten der Fremdsprachenprojektkommunikation als eine eigenständige Art von Unterrichtskommunikation ergänzt werden. Schließlich gilt es zu betonen, dass das Feld des mobilen Lernens (MALL) für den Bereich Deutsch als Fremdsprache empirisch noch nicht erschlossen ist. M-learning-Modellprojekte, die in anderen Schulfremdsprachen wissenschaftlich begleitet werden (Heinz 2014a, b), gilt es auch für die Lernkontextspezifika des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache im Hinblick auf Aspekte wie Einsatzszenarien, Lernfortschritt, Effizienz, Prozess- und Produktcharakteristika, Nutzungsverhalten, medien- und sprachlerndidaktischer Konzepte und Mehrwert u. v. m. zu untersuchen. Somit bietet die vorliegende Untersuchung Anknüpfungspunkte auf verschiedenen Bezugsebenen und verdichtet gleichzeitig das Feld der Betrachtungsmöglichkeiten von Lernendenautonomie als Gruppenphänomen. Die daraus erwachsene differenziertere Perspektive auf fremdsprachliche und autonomieförderliche Gruppeninteraktionen gilt es in ihrer Relevanz für unterrichtliche Lehr- und Lernprozesse weiterhin zu stärken. <?page no="353"?> 353 8 Literaturverzeichnis (2011), Schritte plus Alpha. 1. Aufl., Ismaning: Hueber. Aca, J. (2004), „Odyssee. Ein E-Mail Projekt im DaF-Unterricht. 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Palgrave Macmillan. 60-87. <?page no="383"?> 383 9 Verzeichnis der Abbildungen, Tabellen und Transkripte 9.1 Abbildungen Abb. 1: Dynamisches Autonomiemodell (Tassinari 2010: 203) ............................ 18 Abb. 2: Modell der diskursiven Rollenaushandlung (Mejía Casas 2009: 63) ....... 21 Abb. 3: Wechselbeziehung von Heteronomie und Autonomie beim Fremdsprachenlernen ........................................................................................ 22 Abb. 4: Modell der dyadischen Interaktion (Storch 2002a: 128)........................... 34 Abb. 5: Stufen von Selbststeuerung (Dickinson 1987: 13, Markierung D.F.) ..... 56 Abb. 6: Aushandlungszyklus (nach Breen & Littlejohn 2000: 32) ........................ 57 Abb. 7: Die Curriculumpyramide: levels of focus for the negotiation cycle (Breen & Littlejohn 2000: 35)........................................................................... 58 Abb. 8: Autonomiespektrum im Verhältnis zur Entscheidungsinstanz............... 61 Abb. 9: Flussdiagramm Entscheidungsfindungsprozess in Einstellungsgesprächen (Grießhaber 1987-2003)......................................... 70 Abb. 10: Gruppenautonomie und Mitbestimmung................................................. 74 Abb. 11: Schema der Erhebungs- und Samplingphasen......................................... 97 Abb. 12: Auszug aus der Bild-Text-Zuordnungsaufgabe zu Kameraeinstellungsgrößen (Hickethier 1978).............................................. 103 Abb. 13: Videographiearrangement ......................................................................... 104 Abb. 14: Aufbau für 3er-Gruppe ............................................................................. 105 Abb. 15: Aufbau für 4erbzw. 5er-Gruppe............................................................ 105 Abb. 16: Aufbau für 5er-Gruppe ............................................................................. 105 Abb. 17: VLE mit Webcam....................................................................................... 106 Abb. 18: VLE mit externer Kamera ........................................................................ 106 Abb. 19: Datensampling und Datenkorpus ............................................................ 109 Abb. 20: Beispiel Feintranskript (Auszug aus Transkript (G3-2)........................ 115 Abb. 21: Die Auswertungsstufen des Stufenmodells empirisch begründeter Typenbildung (Kluge 1999: 261).................................................................... 119 Abb. 22: Exemplarisch vereinfachte Vierfeldertafel ............................................. 120 Abb. 23: Exemplarisch vereinfachte fünfdimensionale Kreuztabelle ................ 121 Abb. 24: Teiltypologie 1: Interaktionsstile .............................................................. 123 Abb. 25: Sprecher-Hörer-Blickkongruenz, linksorientiert (00: 28') .................... 135 Abb. 26: Sprecher-Hörer-Blickkongruenz, rechtsorientiert (00: 01')................... 135 Abb. 27: partielle Blickdispersität (01: 25')............................................................... 136 Abb. 28: Blickdispersität (00: 37') .............................................................................. 136 Abb. 29: Zählgeste in zwei Formen (G3-1a, 14: 39').............................................. 137 Abb. 30: Zeigegeste (G3-1a, 04: 23') ......................................................................... 137 Abb. 31: refentielle Geste für „Kerze“ (G3-1a, 06: 06') ........................................ 137 <?page no="384"?> 384 Abb. 32: links vorn: redebegleitende Geste, rechts: zwei Personen in Denkpose (G3-1a, 19: 00') ............................................................................... 137 Abb. 33: Blickkontakt zu RINA und JUAN (00: 43') ............................................ 148 Abb. 34: Abwehrgeste (G3-1a, 14: 56') .................................................................... 152 Abb. 35: Beschwichtigungsgeste (G3-1a, 25: 07') ................................................... 153 Abb. 36: Frage-Zweifel-Mimik (G3-1a, 14: 07') ...................................................... 160 Abb. 37: Gruppenkonstellation Gruppe 3, 2. Sitzung (G3-2, 1: 00') ................... 161 Abb. 38: Gruppenkonstellation zur Entscheidung „Zusammenfassung schreiben“ (G3-2, 02: 59') ................................................................................ 166 Abb. 39: visueller confirmation check, Seg. 47............................................................. 168 Abb. 40: visueller confirmation check, Seg. 48............................................................. 168 Abb. 41: Blickverhalten LULO - Denkpose (G1-2, 3: 27') .................................. 170 Abb. 42: abschweifendes Blickverhalten (G1-2, 4: 02') ......................................... 170 Abb. 43: Gruppenkonstellation G2-2 (von links nach rechts: FABIO, DUNA, MIRA, ELMER, ALEX) ................................................................. 176 Abb. 44: Blick nach unten (G2-2, 4: 09').................................................................. 183 Abb. 45: Blick nach oben (G2-2, 04: 16') ............................................................ 183 Abb. 46: Frontalblick (G2-2, 04: 41') ........................................................................ 183 Abb. 47: Verschränkung der Arme (G2-2, 11: 42') ................................................ 183 Abb. 48: Teiltypologie 2 - Partizipationstypen ...................................................... 187 Abb. 49: Aufmerksamkeitsverschiebung SONJA (G3-1a, 04: 32') ...................... 229 Abb. 50: Kamerablick SONJA ................................................................................. 230 Abb. 51: Parallelhandlung SONJA........................................................................... 232 Abb. 52: Oberkörperdrehung SONJA .................................................................... 233 Abb. 53: EMMA: Verständnissicherung durch Nachlesen .................................. 240 Abb. 54: Interaktionskonstellation Gruppe (G1-1, 9: 00') .................................... 249 Abb. 55: Flussdiagramm 1 Entscheidungsepisode 10 (Videothema) ................. 259 Abb. 56: Gruppensituation Gruppe 3 (G3-1a; 13: 20') .......................................... 259 Abb. 57: SONJAs Wahl (Seg. 218, 15: 02') .............................................................. 268 Abb. 58: JUANs Aufforderung (Seg. 220, 15: 06') ................................................. 269 Abb. 59: RINAs Zustimmung (Seg. 219, 15: 09') ................................................... 269 Abb. 60: EMMAs Zustimmung (Seg. 219, 15: 11') ................................................ 269 Abb. 61: Flussdiagramm 2 - Entscheidungsepisode 12 (Interviewfrage).......... 272 Abb. 62: Gruppensituation Gruppe (G3-2, 08: 15') ............................................... 279 Abb. 63: Flussdiagramm 3 - Entscheidungsepisode 1 (Filmtitel)....................... 296 Abb. 64: Gruppensituation Gruppe 1 (G1-1, 24: 19')............................................ 300 Abb. 65: Gruppensituation Gruppe 2 (G2-1a, 02: 36') .......................................... 313 Abb. 66: Gruppensituation Gruppe 2 (G2-2) ........................................................ 325 Abb. 67: Interaktions- und Partizipationskonstellationen im Entscheidungsdiskurs ...................................................................................... 332 Abb. 68: Konvergenter Diskurs ............................................................................... 333 Abb. 69: Divergenter Diskurs durch Delegitimierung .......................................... 335 Abb. 70: Divergenter Diskurs durch nichtkooperative Partizipation ................. 336 <?page no="385"?> 385 9.2 Tabellen Tab. 1: Phasen des Handyvideoprojektes, nach Feick (2014: 324, leicht angepasst)............................................................................................................. 99 Tab. 2: Übersicht über Gruppenverteilung nach Anzahl und Geschlecht der UTN ............................................................................................................ 100 Tab. 3: Kategorienübersicht Interaktions- und Partizipationsanalyse ................ 118 9.3 Transkriptauszüge 34 Transkriptauszug 1: Zustimmen (G3-1a, 14: 02') ................................................... 126 Transkriptauszug 2: Recast (G3-1a, 28: 33') ............................................................ 127 Transkriptauszug 3: Reparatur (G3-1a, 06: 03'-06: 11')........................................... 128 Transkriptauszug 4: Erklärung (G2-2, 00: 00'-00: 25') ............................................ 129 Transkriptauszug 5: Begründen (G3-2, 01: 53'- 02: 14') ......................................... 130 Transkriptauszug 6: Ko-Konstruktion (G1-1, 01: 50'-02: 00')............................... 132 Transkriptauszug 7: Ko-Konstruktion (G1-2, 06: 36'-06: 58')............................... 133 Transkriptauszug 8: Verständnissicherung (G1-1, 12: 41'-12: 59') ........................ 134 Transkriptauszug 9: Vervollständigung (G2-2, 05: 04') ......................................... 134 Transkriptauszug 10: Disputational talk (G2-2, 18: 08') ........................................... 141 Transkriptauszug 11: Nonsensbeitrag (G2-2, 09: 25'-10: 04') ................................ 143 Transkriptauszug 12: Scaffolding durch Externe, G1-2 (11: 17'-11: 46') ............. 144 Transkriptauszug 13: Kompensation (G3-2, 00: 33') ............................................. 148 Transkriptauszug 14: Dominanzrücknahme (G 3-2, 02: 14'-02: 28') ................... 150 Transkriptauszug 15: Gruppenrollenverteilung ..................................................... 155 Transkriptauszug 16: Kollektives Scaffolding und Ko-Konstruktion durch Übersetzen (G3-1a, 12: 10') .................................................................. 157 Transkriptauszug 17: Einsatz von „wir“ (G3-1a; 02: 55')...................................... 158 Transkriptauszug 18: Verbalia passiver Kollaboration I (G3-2; 00: 33') ............. 163 Transkriptauszug 19: Verbalia passiver Kollaboration II (G3-2; 01: 53') ........... 164 Transkriptauszug 20: Entscheidungsepisode 15 - Zusammenfassung (G3-2, 02: 59'-03: 12')........................................................................................ 167 Transkriptauszug 21: Mentale Ablehnung LULOs (G1-2, 13: 40'-14: 47') ......... 174 Transkriptauszug 22: Ablehnende Nicht-Kollaboration (G2-2, 07: 42'-08: 42')........................................................................................ 178 Transkriptauszug 23: Nonsensbeitrag (G2-2, 09: 08'-9: 41') ................................. 180 Transkriptauszug 24: Ablehnung und deren Aufgabe (G2-2, 13: 52'-14: 13') .... 181 Transkriptauszug 25: Zielorientierung (G3-1a, 00: 48'-00: 56')............................. 193 Transkriptauszug 26: Vorschlagsmodifikation (G3-1a) ........................................ 195 34 Die vollständigen Grobtranskripte sind unter http: / / www.meta.narr.de/ 978382 3380115/ start.html einsehbar. <?page no="386"?> 386 Transkriptauszug 27: Mentale Vorschlagsablehnung (G3-1a, 08: 50')................. 196 Transkriptauszug 28: Mentale Vorschlagsbefürwortung (G3-1a, 13: 17')........... 197 Transkriptauszug 29: Antizipation der Handlungsplanausführung (G3-1a, 20: 51')................................................................................................... 199 Transkriptauszug 30: Handlungsplanorientierung (G3-2, 12: 06') ....................... 200 Transkriptauszug 31: Resümierende Diskurssteuerung (G3-1a, 16: 47')............. 202 Transkriptauszug 32: Alternativeneingrenzende Diskurssteuerung.................... 204 Transkriptauszug 33: Diskurssteuerung durch Präzisierung des Handlungsplanes .............................................................................................. 205 Transkriptauszug 34: Entwicklung einer Entscheidungsalternative ................... 207 Transkriptauszug 35: Bearbeitung einer Entscheidungsalternative I.................. 208 Transkriptauszug 36: Bearbeitung einer Entscheidungsalternative II ................ 209 Transkriptauszug 37: Bewertung und Begründung einer Alternative................. 214 Transkriptauszug 38: Ratifizierung einer Entscheidung ....................................... 216 Transkriptauszug 39: Erklärung und Auswahl einer Alternative......................... 217 Transkriptauszug 40: Mentale und interaktionale Ablehnung ............................. 219 Transkriptauszug 41: Ironisierung............................................................................ 221 Transkriptauszug 42: Entscheidungsverzögernde Gegenargumentation I ........ 222 Transkriptauszug 43: Entscheidungsverzögernde Gegenargumentation II ...... 223 Transkriptauszug 44: Entscheidungsverzögernder Nonsensbeitrag................... 224 Transkriptauszug 45: Mentale und interaktionale Delegitimierung .................... 225 Transkriptauszug 46: Gegenstandsbezogene Indifferenz..................................... 226 Transkriptauszug 47: Aufmerksamkeitsverschiebung I ........................................ 229 Transkriptauszug 48: Aufmerksamkeitsverschiebung II ...................................... 230 Transkriptauszug 49: Aufmerksamkeitssteuerung ................................................. 231 Transkriptauszug 50: Parallelhandlung I ................................................................. 233 Transkriptauszug 51: Parallelhandlung II ............................................................... 234 Transkriptauszug 52: Nichtverstehen ...................................................................... 239 Transkriptauszug 53: Verbalisierungsschwierigkeiten........................................... 243 Transkriptauszug 54: Verbalisierungsversuch ........................................................ 244 Transkriptauszug 55: Mental wahrgenommene Einflusslosigkeit ....................... 247 Transkriptauszug 56: Exklusion durch Wissensdefizit ......................................... 248 Transkriptauszug 57: Entscheidung Videothema .................................................. 265 Transkriptauszug 58: Entscheidungsepisode 12 (Interviewfrage)....................... 275 Transkriptauszug 59: Entscheidungsepisode 15 (Zusammenfassung I) ............ 282 Transkriptauszug 60: Entscheidungsepisode 15 (Zusammenfassung I) ............ 287 Transkriptauszug 61: Entscheidungsepisode 15 (Zusammenfassung II)........... 290 Transkriptauszug 62: Entscheidungsepisode 1 (Filmtitel I) ................................. 303 Transkriptauszug 63: Entscheidungsepisode 1 (Filmtitel II) ............................... 308 Transkriptauszug 64: Entscheidungsepisode 4 (Interviewfragen I).................... 317 Transkriptauszug 65: Entscheidungsepisode 4 (Interviewfragen II) .................. 320 Transkriptauszug 66: Entscheidungsepisode 9 (Videoverwendung) .................. 328 <?page no="387"?> 387 9.4 Verwendete Abkürzungen FS - Fremdsprache FSLP - Fremdsprachenlernprojekt UTN - Untersuchungsteilnehmer/ in VLE - Videobasiertes Lautes Erinnern SKP soziokulturelle Perspektive <?page no="389"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Autonomes Lernen im Fremdsprachenunterricht wird in dieser Studie aus einer interaktionalen Sicht betrachtet; das bisher meist individualistische Autonomieverständnis wird somit um die soziale Perspektive erweitert. Anhand von Gruppenentscheidungsprozessen wird aufgezeigt, innerhalb welcher Interaktions- und Partizipationsformen sich Gruppenautonomie entfaltet. Die Untersuchung erfolgte im Rahmen eines Handyvideoprojekts mit mexikanischen Deutsch-als- Fremdsprache-Lernenden. Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, wie Aushandlung und Mitbestimmung in Gruppen- und Projektarbeit zur Gruppenautonomie beitragen kann. Diana Feick Autonomie in der Lernendengruppe Entscheidungsdiskurs und Mitbestimmung in einem DaF-Handyvideoprojekt Feick Autonomie in der Lernendengruppe