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Stil und Text

Eine Einführung

0515
2017
978-3-8233-9026-8
978-3-8233-8026-9
Gunter Narr Verlag 
Michael Hoffmann

Dieses Buch beschreibt die kommunikative Vielseitigkeit der Texteigenschaft Stil, die sich in pragmatischen und ästhetischen, individuellen und sozialen, monologischen und dialogischen, poetischen und nichtpoetischen Gestaltungsweisen offenbart. Es ist innovativ und verständlich geschrieben und wendet sich an alle, die ein philologisches Interesse für das Verhältnis von Stil und Text aufbringen, sei es im Studium oder im Beruf. Großer Wert wird auf die systematische Beschreibung von Gestaltungszusammenhängen gelegt, in die sich Gestaltungsprinzipien, -ideen, -verfahren und die verwendeten Gestaltungsmittel (sprachlicher oder nichtsprachlicher Art) einfügen. Das Spektrum des Buches reicht vom Nutzen der Stilistik für den Erwerb von Textkompetenz bis zur Methodik von Stiluntersuchungen. In der Gesamtanlage will das Buch dazu anregen, der Stilkomponente von Texten eigenständig auf die Spur zu kommen.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-8233-8026-9 Dieses Buch beschreibt die kommunikative Vielseitigkeit der Texteigenschaft Stil, die sich in pragmatischen und ästhetischen, individuellen und sozialen, monologischen und dialogischen, poetischen und nichtpoetischen Gestaltungsweisen offenbart. Es ist innovativ und verständlich geschrieben und wendet sich an alle, die ein philologisches Interesse für das Verhältnis von Stil und Text aufbringen, sei es im Studium oder im Beruf. Großer Wert wird auf die systematische Beschreibung von Gestaltungszusammenhängen gelegt, in die sich Gestaltungsprinzipien, -ideen, -verfahren und die verwendeten Gestaltungsmittel (sprachlicher oder nichtsprachlicher Art) einfügen. Das Spektrum des Buches reicht vom Nutzen der Stilistik für den Erwerb von Textkompetenz bis zur Methodik von Stiluntersuchungen. In der Gesamtanlage will das Buch dazu anregen, der Stilkomponente von Texten eigenständig auf die Spur zu kommen. Hoffmann Stil und Text Stil und Text Michael Hoffmann Eine Einführung <?page no="3"?> Michael Hoffmann Stil und Text Eine Einführung <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-9026-8 <?page no="5"?> 5 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Stilistische Aspekte der Textkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Zur Einheit von Text- und Stilkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.2 Textstilistische Teilkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.2.1 Formulierungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.2.2 Visualisierungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.2.3 Sprach- und Textspielkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.3 Stil in einer Kosten-Nutzen-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.2 Musterbasiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2.1 Gestaltungsmuster allgemein: Komponenten des Musters Gestalten . . . . . . . . 22 2.2.2 Gestaltungsmuster spezifiziert: Beispielanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.3 Ganzheitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3.1 Zum Begriff Stilgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3.2 Stilgestalten im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.4 Kontextbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.4.1 Gestaltungskontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.4.2 Stil auf verschiedenen Vertextungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.4.2.1 Texthandlung: Stil als das Wie ihrer Durchführung . . . . . . . . . . . . . . 41 2.4.2.2 Textthema: Stil als das Wie der Versprachlichung und Vertextung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.4.2.3 Textarchitektur: Stil als das Wie textarchitektonischer Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.5 Motiviertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.5.1 Gestaltungsmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.5.2 Gestaltungsmotive in der pragmatischen Textkommunikation . . . . . . . . . . . . 65 2.5.2.1 Selbstpräsentation des Textproduzenten: Rollengestaltung, Imagepflege, Individualitätsbekundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.5.2.2 Beziehungsgestaltung zwischen Textproduzent und Textrezipient: Nähe vs. Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.5.2.3 Rezeptions- und Erkenntniserleichterung: Vereinfachung, Didaktisierung und anderes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2.5.2.4 Rezipientenbeeinflussung: Gestaltungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2.5.2.5 Handlungsprofilierung: Spezifizierung und Situierung . . . . . . . . . . . . 82 2.5.3 Grundlegende Unterschiede zwischen pragmatischer und poetischer Textkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.5.4 Gestaltungsmotive in der poetischen Textkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.5.4.1 Spiellustbekundung: Poetische Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 <?page no="6"?> 6 Inhalt 2.5.4.2 Figurenporträtierung: Sprach- und Kommunikationsporträts . . . . . . 92 2.5.4.3 Milieukolorierung: Regionalisierung und Historisierung . . . . . . . . . . 96 2.5.4.4 Blickfeldgestaltung: Poetische Perspektivierungen . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.5.4.5 Realitätsverfremdung: Poetische Metamorphosen . . . . . . . . . . . . . . 103 2.6 Ästhetische Gestalthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2.6.1 Zur ästhetischen Wertigkeit von Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2.6.2 Ästhetische Gestalthaftigkeit im poetischen Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2.6.3 Ästhetische Gestalthaftigkeit im pragmatischen Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2.7 Kulturbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2.7.1 Stil und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2.7.2 Stilwandel und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2.8 Textgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2.8.1 Zum Textbegriff in der Textlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2.8.2 Stil als Eigenschaft von Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2.9 Zeichenhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2.9.1 Stil als kommunikatives Zeichen im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2.9.2 Stil in einem Textzeichenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2.9.3 Komplexanalyse eines textuellen Zeichengefüges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2.10 Eine Stildefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.1 Fokussierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.1.1 Fokus und Horizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.1.2 Deviation: Formen der Abweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3.1.3 Isomorphie: Formen der Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3.1.4 Kontrast: Formen der Entgegensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3.2 Stilzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.2.1 Stilzüge als Gegensatzpaare in der Tradition von Kunstgeschichte und Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.2.2 Stilzüge als Gegensatzpaare in einem mehrdimensionalen Stilfunktionsmodell 170 3.3 Stilregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3.3.1 Registerwahl bei der Produktion von Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3.3.2 Registerwahl bei der Produktion von Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3.3.3 Registermischung im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3.4 Textkompositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3.4.1 Erscheinungsformen textkompositorischer Gestalthaftigkeit . . . . . . . . . . . . 187 3.4.2 Beispielanalysen zu Sprache-Bild-Kompositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3.5 Stiltypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3.5.1 Stiltypen und typisierte Stile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3.5.2 Individualstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3.5.3 Textsortenstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3.5.4 Funktionalstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3.5.4.1 Funktional typisierte Stile: Kernpunkte einer Theorie . . . . . . . . . . . 210 3.5.4.2 Funktionalstil der Alltagskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 <?page no="7"?> 7 Inhalt 3.5.4.3 Funktionalstil der Dichtkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.5.4.4 Funktionalstil der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3.5.4.5 Funktionalstil des Behördenwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3.5.4.6 Funktionalstil des Journalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3.5.4.7 Funktionalstil der Werbekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4 Hinweise zur Methodik der Stilanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4.1 Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4.2 Analysemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4.2.1 Stufen-/ Schrittfolgenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4.2.2 Ebenenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4.2.3 Rahmenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4.3 Ein Wort zum Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Verzeichnis der Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Verzeichnis der Beispieltexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 <?page no="9"?> 9 Vorwort Vorwort Texte können ganz unterschiedlich verfasst sein: dienstlich oder privat, wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich, witzig, ironisch, satirisch oder von neutralem Ernst getragen, religiös oder politisch, dogmatisch oder liberal, poetisch oder nichtpoetisch usw. Es handelt sich um Gestaltungsalternativen oder-- bildlich formuliert-- um verschiedene Farben, in die Texte getaucht werden können. Besser gesagt: Farben, in denen Texte erscheinen können. Denn es gibt streng genommen kein Nebeneinander von Text und Stil im Sinne einer Gegenüberstellung. Es gibt vielmehr nur ein Ineinander: Stil ist ein integraler Bestandteil von Texten-- ein Textualitätsmerkmal. Wer Texte produziert, stellt immer zugleich auch Stil her. Stil wird Texten nicht hinzugefügt. Stil ist ein Chamäleon, lautet ein vielzitierter Satz in der stilistischen Fachliteratur. Doch stimmt dieses sprachliche Bild uneingeschränkt? Es stimmt immer dann, wenn man den universellen Charakter von Stil herausstellen will-- seine Fähigkeit, sich anzupassen an die verschiedensten kommunikativen Bedürfnisse, Aufgaben und Situationen, an die Verfasser und Rezipienten von Texten, an den Zeitgeist, an mediale Gegebenheiten, an vieles mehr. Diese Anpassungsfähigkeit hat zur Folge, dass es verschiedene Stile gibt und somit auch Gestaltungsalternativen. Sie hat letztlich zur Folge, dass es Stil überhaupt gibt. Der Vergleich mit einem Chamäleon stimmt allerdings nicht, wenn man die kommunikative Leistungsfähigkeit des Stils eines einzelnen Textes in einem konkreten kommunikativen Umfeld unter die Lupe nehmen will. Dann nämlich kommt es gerade auf eine ganz bestimmte Farbe an- - auf eine Farbe, die zum kommunikativen Umfeld dieses Textes passt. Wissenschaftlicher Stil z. B. muss als solcher identifizierbar und von populärwissenschaftlichem Stil sowie allen anderen Stilen unterscheidbar sein. Stil wird in diesem Falle zum Zeichen für den Kommunikationsbereich der Wissenschaft. Ein einzelner Text kann also niemals alle Farben zugleich annehmen. Ebenso wenig ist es möglich, unbedenklich von einer Farbe in die andere zu wechseln. Farbwechsel (Stilwechsel), auch Farbmischungen (Stilmischungen) innerhalb eines Textes sind aber, wenn die kommunikativen Umstände es zulassen, durchaus möglich. Wechsel und Mischung von Stilen können zum Zeichen für gestalterische Kreativität werden. Anliegen des vorliegenden Buches ist es, ein Spektrum an stilistischen Farben zu beschreiben, indem den spezifischen Farbtönen von Einzeltexten, Textsorten (Genres) und Textgattungen nachgespürt wird. Geschrieben wurde das Buch für alle, die mit Stil und Text im Studium oder im Beruf zu tun haben, in erster Linie jedoch für Studierende und Dozierende der Germanistik. Das Buch wartet mit zahlreichen Beispielen und Beispielanalysen auf. Zum einen, um graues stiltheoretisches Gedankengut mit der farbigen kommunikativen Praxis zu verbinden. Zum anderen, um Anregungen für eigenständiges Produzieren und Analysieren von Texten zu vermitteln. Verzichtet wurde weitgehend auf die Darstellung von Forschungsgeschichtlichem wie auch auf die Diskussion verschiedener Stilauffassungen und Stiltheorien. Dazu gibt es genügend einschlägige Literatur. Ein Buch zum Verhältnis von Stil und Text kommt nicht ohne Beispieltexte aus. Bei einer ganzen Reihe von Texten bzw. Textauszügen waren Abdruckrechte einzuholen, was sich häu- <?page no="10"?> 10 Vorwort fig als langwierig und nicht immer als erfreulich herausstellte. Mein Dank gilt in Sonderheit all den Verlagen und Redaktionen, die den Abdruck von Texten kostenfrei genehmigten. Ich danke den Verlagen Hinstorff (Rostock), Rowohlt (Reinbek bei Hamburg) und Zsolnay/ Deuticke (Wien), den Redaktionen der Tageszeitungen „Der Tagesspiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“, den Redaktionen der Magazine „Eulenspiegel“, „Das Magazin“ und „Reader’s Digest“, dem Kampagnenbüro „Runter vom Gas“, dem Plakatarchiv der Konrad-Adenauer- Stiftung und der Lebensberatungsplattform Viversum. Ich danke dem Gunter Narr Verlag für die Aufnahme des Titels in die Reihe „narr studienbücher“ und seinem Lektorat, insbesondere Frau Dr. Valeska Lembke und Herrn Daniel Tobias Seger, für die zuvorkommende Begleitung des Projekts vom Exposé bis zur Drucklegung. Potsdam, im April 2017 Michael Hoffmann <?page no="11"?> 11 1.1 Zur Einheit von Text- und Stilkompetenz 1 Stilistische Aspekte der Textkommunikation 1.1 Zur Einheit von Text- und Stilkompetenz Es hat eine gewisse Tradition, Stil als eine Eigenschaft von Texten zu bestimmen. Doch damit ist kaum etwas Genaues gesagt. Es bleibt offen, wie diese Texteigenschaft beschaffen ist, wie sie in den Text hineinkommt, was sie von anderen Texteigenschaften unterscheidet, warum es Stil überhaupt gibt. Es sind Fragen, auf die das Buch eine Antwort geben will. Wichtig erscheint, davon auszugehen, dass der Stil eines Textes eingebunden ist in Prozesse der Textkommunikation. Stil wird textproduzentenseitig hergestellt und textrezipientenseitig wahrgenommen und auch interpretiert. Doch auf welcher Grundlage geschieht dies? Grundlage sind kommunikative Kenntnisse und Fähigkeiten. Oder präziser gesagt: Textproduzenten und -rezipienten sind auf Textkompetenz angewiesen. Darunter sind vielfältige Kenntnisse im Hinblick auf den Umgang mit Texten verschiedener Art zu verstehen sowie die Fähigkeit, Texte ertragsorientiert zu produzieren und zu rezipieren. Ertragsorientierte Textproduktion und -rezeption bedeutet Ausrichtung auf einen kommunikativen Gewinn, einen kommunikativen Nutzen. Textkommunikative Erträge können anvisiert und bei geglückter Kommunikation auch erzielt werden. Wir nehmen hierbei Bezug auf das textlinguistische Ertragsmodell, das Kirsten Adamzik (2004: 116 f.) an die Stelle eines abstrakten Textfunktionsmodells gesetzt hat. Das Ertragsmodell ist auf die Lebenswelt der Kommunikationsteilnehmer, auf deren Kommunikationsbedarf zugeschnitten. Es zeigt verschiedene Möglichkeiten auf, textkommunikative Erträge zu erzielen. Es zeigt allerdings nicht auf, welche Merkmale Texte aufweisen müssen, damit sich der anvisierte Ertrag auch einstellt bzw. einstellen kann. Gerade das Wissen darüber hat sehr viel mit Textkompetenz zu tun. Wir sind der Auffassung, dass der Erfolg beim Erzielen textkommunikativer Erträge wesentlich vom Stil eines Textes (von stilistischen Textmerkmalen) abhängen kann, und skizzieren im Folgenden, wie sich Zusammenhänge zwischen Ertragsarten und Arten stilistischer Textmerkmale herstellen lassen. Intellektuelle Erträge: Sie können sich einstellen, wenn man Wissen erfolgreich vermittelt oder erworben hat. Die entsprechenden Texte (z. B. Lehrbücher) müssen-- soll Kommunikation glücken- - adressatengerecht verfasst sein und weiteren stilistischen Erfordernissen (Klarheit, Gegliedertheit, Fasslichkeit) Rechnung tragen. Es handelt sich dabei letztlich um erkenntniserleichternde Textmerkmale als Voraussetzung für kommunikativen Erfolg. Praktische Erträge: Der Gewinn, den Texte für Produzenten wie Rezipienten einbringen, ist möglicherweise ein lebenspraktischer. Man will sich schnell über Abfahrts- und Ankunftszeiten eines öffentlichen Verkehrsmittels informieren, ein Möbelstück montieren, einen Gebrauchsgegenstand reparieren oder verkaufen. Bei den entsprechenden Texten (Fahrplänen, Montage- und Reparaturanleitungen, Verkaufsanzeigen) kommt es u. a. auf rezeptionsbeschleunigende Merkmale an: auf Sprachökonomie und Übersichtlichkeit, bei Anleitungstexten auch auf Anschaulichkeit. <?page no="12"?> 12 1 Stilistische Aspekte der Textkommunikation Emotional-psychische Erträge: Texte können Gefühle zum Ausdruck bringen und Mittler einer emotionalen Kommunikation sein, bei der sich Gefühlsbekundungen (Freude, Trauer, Stolz usw.) des Textproduzenten auf den Rezipienten übertragen. Der Textertrag kann also darin bestehen, dass die Gefühlslagen von Produzent und Rezipient wie gewünscht übereinstimmen. Gratulationstexte, Festreden, Traueranzeigen signalisieren dies über gefühlsbekundende Textmerkmale. Dem Stil kommt die Funktion der „textuellen Emotionsmanifestation“ (Schwarz-Friesel 2007: 211) zu. Anders liegen die Dinge im Falle von Beleidigungen und Diffamierungen. Hier kann nicht von einem Ertrag (im Sinne von Gewinn oder Nutzen) für beide Seiten gesprochen werden. Soziale Erträge: Mit Texten lassen sich Regeln für das Zusammenleben der Menschen aufstellen. Gesetzestexte sind wohl das beste Beispiel. Der Textproduzent präsentiert die Sachverhalte als juristisch verbindlich, indem er einen juristischen Stil herstellt. Bei Dienstanweisungen, Steuerbescheiden und Verwaltungsvorschriften präsentiert sich der Textproduzent als Amtsperson oder als Institution, ausdrücklich nicht als Privatperson. Er stellt einen amtlichen Stil her, und dazu gehört, amtliche Autorität zu erzeugen. Die Texte müssen demnach rollengestaltende Merkmale aufweisen. Mit Texten lassen sich auch soziale Kontakte knüpfen und pflegen. Zu denken ist an Kontaktanzeigen oder an die Übermittlung von Urlaubsgrüßen und Festtagswünschen. Stilistisch relevant sind dabei u. a. beziehungsgestaltende Textmerkmale. Einen hohen Stellenwert können Anrede-, Gruß- und Wunschformeln haben. Gestalterisch stellt sich aber auch die Frage, wie der Textproduzent mit textkommunikativen Mustern umgeht. Ob er es sich einfach macht und seinen Text aus kommunikativen Fertigteilen zusammensetzt oder ob er es vorzieht, den Textrezipienten mit Originalität zu überraschen. Dann kann ein formbezogener Ertrag hinzukommen. Formbezogene Erträge: Sie können sich mit Bezug auf künstlerisch Gestaltetes einstellen: textproduzentenseitig beim Hervorbringen ästhetischer Gestaltungsweisen im Rahmen poetischer Textsorten (z. B. Ballade, Novelle, Komödie), textrezipientenseitig bei ihrer Wahrnehmung und Interpretation. Kommunikativ wichtig werden betrachtungsstimulierende Textmerkmale. Formbezogene Erträge können für Produzenten von Gebrauchstexten darin bestehen, dass es gelungen ist, die Aufmerksamkeit des Rezipienten gerade auf die Textpassagen zu lenken, die besonders wichtig sind, oder dass es gelungen ist, die Attraktivität eines Textes zu erhöhen und damit Rezeptionslust zu wecken. Ausschlaggebend für den kommunikativen Erfolg können rezeptionssteuernde bzw. rezeptionsstimulierende Textmerkmale sein. Persuasive Erträge: Im Ertragsmodell nicht verzeichnet, aber zu berücksichtigen sind Texterträge, die in der Beeinflussung des Textrezipienten liegen und mehr oder weniger vordergründig die Interessen des Textproduzenten bedienen können. Sie werden beispielsweise anvisiert mit Werbetexten kommerzieller oder politischer Art. Werbetexte sind typischerweise von entscheidungsstimulierenden Merkmalen geprägt. Deren Funktion ist es, den Erwerb eines bestimmten Produkts, die Nutzung einer bestimmten Dienstleistung, die Wahl einer bestimmten Partei zu begünstigen. Auch die Verfasser von Bewerbungsschreiben <?page no="13"?> 13 1.1 Zur Einheit von Text- und Stilkompetenz produzieren entscheidungsstimulierende Texte. Man will sich schließlich erfolgreich auf eine Stelle bewerben, hat aber keine Erfolgsgarantie. Wichtig wird deshalb v. a. eine geeignete Art der Selbstpräsentation. Für das Erzielen persuasiver Erträge sind strategische Überlegungen erforderlich. Zur Textkompetenz des Rezipienten gehört die Fähigkeit, persuasive Textstrategien zu durchschauen. Metakommunikative Erträge: Kommunikative Kenntnisse und Fähigkeiten kann man mit der Produktion eigener und der Rezeption fremder Texte erwerben oder erweitern. Das heißt, man kann etwas ü b e r Kommunikation d u r c h Kommunikation lernen, durch eigenes kommunikatives Tun, auch dadurch, dass man sich im Gestalten und Analysieren von Texten übt. Zu fragen ist, was Bücher über Stil (Stilistiken) für das Erzielen metakommunikativer Erträge leisten können. Der Gedanke an praktische Stillehren liegt nahe, deren Anliegen es ist, stilistische Textmerkmale stilnormativ zu fixieren. Ein metakommunikativer Ertrag kann sich dabei aber nur dann einstellen, wenn bei der Beschreibung von Stilnormen kommunikative Gesichtspunkte ausdrücklich berücksichtigt werden. Das ist nicht immer der Fall (siehe 1.2.1). Stilistiken anderen Zuschnitts sind theoretisch fundierte Abhandlungen zum Stil authentischer Texte. Hier geht es darum, stilistische Textmerkmale stilanalytisch herauszuarbeiten, um Einsichten in das Wesen von Gestaltungsweisen zu gewinnen. Insgesamt gesehen kommt es darauf an, Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, ohne die Beschreibung von Gestaltungserfordernissen zu vernachlässigen. Diesem komplexen Anliegen ist das vorliegende Buch verpflichtet. Der streiflichtartige Überblick über einige Möglichkeiten, textkommunikative Erträge zu erzielen, und- - damit im Zusammenhang- - über stilistische Textmerkmale, die für den kommunikativen Erfolg auschlaggebend sein können, lässt die Frage nach dem Verhältnis von Text- und Stilkompetenz aufkommen. Nach unserer Auffassung ist Stilkompetenz alles andere als eine Anhängselkompetenz. Im Unterschied zu einem Modell von Textkompetenz, das dies nahelegt (vgl. Weidacher 2007: 48 f.), betrachten wir Stilkompetenz als einen wesentlichen A s p e k t von Textkompetenz. Es kann sich sogar um den entscheidenden Aspekt handeln. Textkompetenz gilt mittlerweile als eine Schlüsselkompetenz (vgl. den Buchtitel von Schmölzer-Eibinger / Weidacher 2007), doch immer noch strittig ist, in welche Teilkompetenzen sich Textkompetenz aufgliedert und welchen Stellenwert die einzelnen Teilkompetenzen haben (vgl. u. a. Adamzik / Heer 2009). Wir sprechen im Hinblick auf Stilkompetenz bewusst von einem Aspekt der Textkompetenz und vermeiden es, Stilkompetenz als eine Teilkompetenz neben andere (z. B. Sachkompetenz, Vertextungskompetenz, Textsortenkompetenz) zu stellen. Wir sind der Auffassung, dass Stilkompetenz Kenntnisse und Fähigkeiten umfasst, die untrennbar mit textuellen Teilkompetenzen verknüpft sind. Nehmen wir als Beispiel die Verknüpfung von Textsorten- und Stilkompetenz: Ertragsorientiert zu kommunizieren schließt in vielen Fällen die Beachtung textsortengebundener Gestaltungserfordernisse ein. In einigen Fällen kann Ertragsorientiertheit in der Ausnutzung textsortengebundener Gestaltungsoptionen bestehen, in vergleichsweise seltenen Fällen in der Abweichung von textsortengebundenen Vorgaben. <?page no="14"?> 14 1 Stilistische Aspekte der Textkommunikation Es ginge zu weit, wollten wir uns in die Diskussion über textuelle Teilkompetenzen einschalten. Stattdessen werfen wir einen Blick auf einige textstilistische Teilkompetenzen. 1.2 Textstilistische Teilkompetenzen Nicht nur Text-, auch Stilkompetenz lässt sich in Teilkompetenzen aufgliedern. Wir gehen im Folgenden ein auf die Formulierungs-, die Visualisierungssowie die Sprach- und Textspielkompetenz. 1.2.1 Formulierungskompetenz Der Begriff Formulierung nimmt Bezug auf „das Resultat in der Verwendung von Sprache durch einen Autor beim Herstellen eines Textes“ (Michel 2001: 36). Die Formulierungskompetenz umfasst u. a. Kenntnisse darüber, wie man Sachverhalten eine angemessene sprachliche Form geben kann. Angemessenheit ist ein kommunikatives Grundprinzip; es gehört zum Kanon der Schulrhetorik (vgl. Plett 2001: 27 ff.). Seine Befolgung erfordert die Wahl einer Ausdrucksweise, die ▶ der Persönlichkeit des Textproduzenten, darunter seinem Ethos entspricht; ▶ den sozialen Status, den Verstehenshorizont und die Textverarbeitungskapazität des Rezipienten berücksichtigt; ▶ auf den Redeanlass zugeschnitten ist; ▶ zur Art und Bedeutsamkeit des Redeinhalts passt. Formulierungsleistungen sind folglich in mehrfacher Hinsicht textkommunikativ relationiert. Insofern kann es keine allgemeingültigen Grundsätze für einen guten, d. h. angemessenen Stil geben. Gerade dies wird aber häufig von praktischen Stillehren bzw. Stilratgebern postuliert. Da heißt es z. B. in einem umfangreichen populärwissenschaftlichen Zeitungsbeitrag mit dem Titel „Eine Deutsch-Stilkunde in 20 Lektionen“, verfasst von Wolf Schneider (Die Zeit, Nr. 20 / 2012, Beilage, 8-31): „Verachten wir den Wissenschaftsjargon“ (S. 18). Als Beispiel für diese verachtenswerte Stilform wird eine Passage aus einem Vortrag zitiert, den eine Professorin der Universität Konstanz gehalten hat: Die emphatische Standortbezogenheit, die Affirmation von Differenz und der dekonstruktivistische Blick, der explizite Traditionen und implizite Selbstverständlichkeiten als von Interessen gesteuert durchleuchtet, enthalten ein sozialrevolutionäres Potenzial, das auch für identitätspolitische Zwecke nutzbar gemacht werden kann. (Ebd.) Dieser Stil ist einerseits zweifellos unangemessen, denn die Professorin hat die Textverarbeitungskapazität ihres Publikums missachtet. Andererseits ist wissenschaftlicher Stil typischerweise theoretisch-abstrakt, und in dieser Hinsicht (Stimmigkeit zwischen Formulierung und Redeinhalt) ist ihr Stil durchaus angemessen. Er signalisiert, dass ein intellektueller Ertrag erzielt werden soll. Die Formulierungsleistung ist also insgesamt als zwiespältig zu beurteilen (und nicht pauschal zu verurteilen). <?page no="15"?> 15 1.2 Textstilistische Teilkompetenzen Höchst problematisch ist auch das Stilgebot, auf den Nominalstil als „Krone der Hässlichkeit“ (S. 21) zu verzichten. Als Beispiel wird ein Text aufgeführt, der im Jahre 2012 an Abfallkörben auf Autobahnparkplätzen in Deutschland zu lesen war: „Nur Reiseabfälle. Zuwiderhandlungen werden als unerlaubte Sondernutzung zur Anzeige gebracht.“ (Ebd.) Wolf Schneider nimmt erstens Anstoß am Funktionsverbgefüge zur Anzeige bringen, das er durch das einfache Verb anzeigen ersetzt haben möchte, und zweitens am „Bürokratenjargon“ generell. Man könne- - so der Stilkritiker- - den zweiten Satz des Textes in ein „drastisch besseres Deutsch“ bringen, indem man ihn so formuliert: „Sonst kriegen Sie Ärger! “ Doch sind Schneiders Umformulierungsvorschläge wirklich echte Formulierungsalternativen? Natürlich nicht! Denn würden sie in die Tat umgesetzt, ginge etwas Entscheidendes verloren: der amtliche Nachdruck, mit dem auf juristische Konsequenzen eines Zuwiderhandelns hingewiesen wird. Würde die Aufschrift an Abfallkörben wie vorgeschlagen umformuliert, trüge sie Merkmale des Alltagsstils: Die Verben anzeigen und kriegen sowie das Substantiv Ärger verweisen auf Einfachheit, das Verb kriegen außerdem auf Umgangssprachlichkeit bei der Wortverwendung. Dies aber wäre unangemessen und brächte den anvisierten sozialen Ertrag in Gefahr. Die Passivform, von Wolf Schneider als „hässlichste Form des Verbs“ (S. 17) gegeißelt, ist in grammatischer Hinsicht eine morphologische Alternative zur Aktivform, in stilistischer Hinsicht ein Gestaltungsmittel. Eine Form wie werden zur Anzeige gebracht erzeugt nicht nur Unpersönlichkeit, sie ermöglicht es darüber hinaus, den betreffenden Sachverhalt als allgemeingültig in den Vordergrund zu rücken. Passivformen haben deshalb auch in wissenschaftlichen Texten ihren angestammten Platz. Als formulierungskompetent erweisen sich die Produzenten längerer Texte jedoch nur dann, wenn sie Ersatzformen des Passivs kennen und verwenden, um Monotonie im Stil zu vermeiden. Wir können uns nicht mit jeder der 20 stilkundlichen Lektionen auseinandersetzen. Ein gewisser Nutzen ist textkommunikativ unspezifizierten Stilregeln nicht abzusprechen. Sie sind dabei behilflich, eigene Formulierungsleistungen auf den Prüfstand zu stellen, sie dahingehend zu prüfen, ob jedes Wort nötig, treffend und am richtigen Platz ist. Fragwürdig werden solche Stilregeln, wenn Formulierungsleistungen ohne Rücksicht auf ein konkretes textkommunikatives Umfeld als Fehlleistung bewertet und mit Auszügen aus poetischen Texten konfrontiert werden, die als Beispiele für stilistisch vorbildhaftes Formulieren dienen. Dies ist auch insofern ein fragwürdiges Verfahren, als sich genügend Gegenbelege ausfindig machen ließen, d. h. poetische Textpassagen, die als Verstöße gegen Regeln eines guten Stils zu bewerten wären, da sie „garstige Nominalkonstruktionen“ (S. 8), „ausgeleierte Redensarten“ (S. 15) oder „vermaledeite vorangestellte Attribute“ (S. 22) enthalten. Doch es gibt auch Formulierungsberatung der besseren Art-- praktische Stillehren, die zielgruppen- und praxisorientiert verfasst sind. Verwiesen sei auf das Buch von Karl-Heinz List (2007), das sich an Führungskräfte in Unternehmen wendet und mit Mustertexten zu unternehmensrelevanten Textsorten aufwartet, auch mit Texten zur Firmen-Selbstpräsentation im Internet. <?page no="16"?> 16 1 Stilistische Aspekte der Textkommunikation 1.2.2 Visualisierungskompetenz Ob mündliche oder schriftliche Texte-- Stil muss nicht ausschließlich eine Formulierungsleistung sein. Bei mündlichen Texten können Prosodie, Mimik und Gestik, Geräusche und Musik als sprachbegleitende, -ergänzende oder -ersetzende Zeichen gestaltungsrelevant werden. Bei schriftlichen Texten kommen gegebenenfalls graphische und typographische Gestaltungsmittel, Farben und Bilder hinzu. Mündliche und schriftliche Texte gibt es auch in Kombination. Beispiele sind Werbespots, Vorträge mit Handouts und / oder (digitaler) Folienpräsentation sowie Nachrichtensendungen im Fernsehen. Der Begriff Visualisierung erfasst in stilistischer Hinsicht v. a. die Veranschaulichung von Informationseinheiten des Textes mit Hilfe von Abbildungen (Fotos), Nachbildungen (Zeichnungen) oder Bildern anderen Typs. ‚Visualisierungskompetenz‘ schließt Kenntnisse über Visualisierungsmittel (als Gestaltungsressourcen) ein und die Fähigkeit, verfügbare Visualisierungsmittel in einen Sinn- und Gestaltungszusammenhang mit sprachlichen Zeichen zu bringen. Visualisierungen sind auf verschiedene Arten textkommunikativer Erträge beziehbar. In der wissenschaftlichen Kommunikation (Erzielen intellektueller Erträge) treten sie erkenntniserleichternd in Erscheinung. Visualisiert werden Kernelemente von Theorien und Experimenten. Als rezeptionsbeschleunigende Gestaltungsmittel im Dienste lebenspraktischer Erträge kommen z. B. Piktogramme auf Wetterkarten zum Einsatz: meteorologische Symbole für ‚sonnig‘, ‚regnerisch‘, ‚heiter bis wolkig‘ u. a. Ein Beispiel für die Visualisierung von Gefühlen (Erzielen emotional-psychischer Erträge) sind Bilder mit religiöser Symbolik in Traueranzeigen: Schwalben stehen sinnbildlich für ‚Auferstehung‘, Rosen für ‚das Blut Christi‘. Die schwarze Umrandung einer Traueranzeige ist ein graphisches Mittel der Trauerbekundung. In der Werbekommunikation (Erzielen persuasiver Erträge) finden wir Produktabbildungen, aber auch Bilder, die (vermeintliche) Produkteigenschaften veranschaulichen, z. B. die ‚Heimat einer Biersorte‘. Häufig verwendete Bildmotive hierzu sind Dünenlandschaften, bayrische Biergärten oder berühmte Bauwerke wie die Semperoper in Dresden. Werbekommunikative Texte zielen häufig zusätzlich auf formbezogene Erträge. Realisiert werden Gestaltungsideen, die sich zwischen Sprache und Bild entfalten. Als Beispiel eine Anzeige der „Deutschen Landgestüte“. Die Wiege der Pferdezucht lautet die Werbeschlagzeile, und sie ist mit einem außergewöhnlichen Foto (einer Fotomontage) bebildert. Gezeigt wird ein Fohlen, das in einer buntbemalten, aus Holz gefertigten Wiege liegt. Was ist daran stilistisch-formbezogen bemerkenswert? In der Schlagzeile hat das Substantiv Wiege die lexikalisierte metaphorische Bedeutung ‚Ort, an dem etw. seinen Anfang nimmt‘; das Bild hingegen visualisiert die wörtliche Bedeutung ‚schwingbares Bettchen für einen Säugling‘ und wandelt sie zugleich ab. Die Stelle eines Säuglings nimmt im Bild ein Fohlen ein. Sprache und Bild treten stilistischformbezogen in eine phantasieanregende Beziehung zueinander. Gestaltungsideen dieser Art sind auch als textkommunikative Wort-Bild-Spiele interpretierbar, und damit ist eine Überleitung zum nächsten Teilabschnitt hergestellt. <?page no="17"?> 17 1.2 Textstilistische Teilkompetenzen 1.2.3 Sprach- und Textspielkompetenz Die Begriffe Sprachspiel und Textspiel erfassen kreative Experimente mit sprachlichen bzw. textuellen Einheiten. Die darauf bezogenen Kompetenzen schließen Kenntnisse über Sprachstrukturen und Textmuster ebenso ein wie die Fähigkeit, kreativ mit diesen Strukturen und Mustern umzugehen. Textrezipientenseitig ist es die Fähigkeit, sprachbzw. textspielerisch realisierte Gestaltungsideen zu erkennen. Im Einzelnen lassen sich- - ohne Anspruch auf Vollständigkeit-- folgende „Spiel-Arten“ unterscheiden: Wortspiele: Darunter fallen textkommunikative Spiele ▶ mit ähnlich lautenden Wörtern, z. B. mit den Substantiven Grube und Gruppe in der satirischen Titelzeile Häschen in der Gruppe (Eulenspiegel, Nr. 3 / 2016, 50), die auf ein bekanntes Kinderlied anspielt; ▶ mit der Komponentenstruktur von Phraseologismen (Redewendungen), z. B. mit der Reihenfolge von Komponenten: Tunnel am Ende des Lichts (Programmtitel des Kabaretts „Magdeburger Zwickmühle“); Schafe im Wolfspelz (Frankfurter Rundschau, 17. 12. 2012, Beilage S, 1); ▶ mit der Polysemie (Mehrdeutigkeit) von Lexemen (Systemwörtern)-- wie in der Schlagzeile Zähes Ringen bei Olympia (Focus, Nr. 8 / 2013, 139). Die Gestaltungsidee besteht darin, die Schlagzeile unter Ausnutzung der Polysemie des Lexems Ringen (1. ‚große Anstrengungen zur Lösung eines Problems‘; 2. ‚Ringkampf ‘) mit textkommunikativer Mehrdeutigkeit (Ambiguität) anzureichern, indem sich beide Bedeutungsvarianten überlagern. Im Haupttext erfahren wir sowohl vom Vorhaben des IOC , die Sportart Ringen (Bedeutungsvariante 2) ab 2020 aus dem olympischen Programm zu nehmen, als auch vom internationalen Ringen (Bedeutungsvariante 1) um den Erhalt dieser Sportart bei Olympia. Wortbildungsspiele: Es handelt sich erstens um kreative Experimente mit der Konstituentenstruktur von Wortbildungskonstruktionen. Konstituenten werden ▶ auf der Basis von Lautähnlichkeit ausgetauscht: Wochenschauer (Eulenspiegel, Nr. 9 / 2016, 65) statt Wochenschau; Hartz-Infarkt (Programmtitel des Kabaretts „Kartoon“) statt Herzinfarkt; ▶ auf der Basis paradigmatischer Beziehungen im Wortschatz antonymisch hinzugefügt: unorganisierte Kriminalität (Eulenspiegel, Nr. 6 / 2016, 40) statt organisierte Kriminalität; ▶ auf der Basis des Wortbildungsmusters Zusammensetzung (Komposition) dekomponiert: Wahn & Sinn (Rubriktitel der Satirezeitschrift „Eulenspiegel“) statt Wahnsinn. Spiele mit der Wortbildung haben zweitens ein spezielles Wortbildungsmuster hervorgebracht: die Kreuzung / Verschmelzung zweier Wörter (Kontamination). Das Wort Demokratur ist eine Kreuzung aus Demokratie und Diktatur, das Wort zwischendurst (Paulaner: Genuss für zwischendurst! ) eine Kreuzung aus Durst und zwischendurch. <?page no="18"?> 18 1 Stilistische Aspekte der Textkommunikation Wort-Bild-Spiele: Kreative Experimente mit Wörtern und Bildern erstrecken sich zum einen auf die geistreiche Visualisierung von Wortbedeutungen (als Beispiel die Visualisierung von Wiege der Pferdezucht im vorhergehenden Teilabschnitt), zum anderen auf die Formung von Bildern aus Wörtern. In einer Edeka-Werbeanzeige sind 41 anpreisende Wörter, darunter Frische, Qualität und Leckerbissen, zu einem Bild geformt, das ein Herz darstellt. Textmusterspiele: Gespielt werden kann auch mit den Mustern von Textsorten. Auf diese Weise entstehen z. B. in der Werbekommunikation hybride Texte als Mischung von Werbeanzeige und Lexikonartikel (vgl. Sandig 1986: 201), von Werbeanzeige und Märchen (vgl. Fix 1997: 101), von Werbeanzeige und Kontaktanzeige (vgl. Keßler 1998: 279). Auch Einzeltexte wie der Dekalog (die Zehn Gebote) können die Struktur einer Werbeanzeige bestimmen (ebd.: 282). Namenspiele: Sie können sprach- oder textspielerisch in Erscheinung treten. Der sprachspielerische Umgang mit Eigennamen aller Art (Personen-, Mannschafts-, Städtenamen usw.) zeigt sich z. B. ▶ bei der Modifikation des Sprichworts Unverhofft kommt oft. in der Schlagzeile Unverhofft kommt Ovtcharov (Potsdamer Neueste Nachrichten, 03. 08. 2012, 15), wo der Familienname eines Sportlers (Sportart Tischtennis) das Adverb oft ersetzt; ▶ bei der Kreuzung des Mannschaftsnamens Hoffenheim (Kurzform) mit dem Wertadjektiv hoffnungslos in der Schlagzeile Neue Pleite für Hoffnungslosheim (Bild, 18. 02. 2013, 20), die auf eine Serie verlorener Fußballspiele Bezug nimmt; ▶ bei der paradoxen Zusammenrückung der Verbform bog (umgangssprachlich boch) und der Präposition um zum Städtenamen Bochum in der Titelzeile Ein Mönch Bochum die Ecke (Eulenspiegel, Nr. 4 / 2016, Sonderseiten Literatureule, 94), mit der ein Nonsens- Text, über die Entstehung des Städtenamens Bochum Auskunft gebend, überschrieben ist. Ein Beispiel für den textspielerischen Umgang mit Personennamen liefert ein Exemplar der journalistischen Textsorte Porträt (vgl. Hoffmann 2012a: 242). Der Text ist nach dem poetisch-ästhetischen Muster Akrostichon strukturiert. Das heißt: Jeder Buchstabe des Vor- und Familiennamens der porträtierten Person (im Beispieltext Armin Mueller-Stahl) wird der Reihe nach zum Anfangsbuchstaben eines am Anfang eines Abschnitts stehenden Wortes. Die abschnittseröffnenden Sätze zum Vornamen Armin lesen sich in diesem Namenspiel- Porträt so (vgl. Filmspiegel, Nr. 3 / 1962, 16): Am Anfang war die Begeisterung für das Theater. / Recht oft ging er mit den Kindern ins Theater. / Mueller-Stahl-… Dieser Name ist heute in Theaterkreisen recht gut bekannt. / In Karl-Marx-Stadt bereitet seine Schwester Dietlind als Dramaturgin jede Neuinszenierung mit vor. / Neunzehnhundertneunundvierzig hatte Armin Mueller-Stahl sein Staatsexamen bestanden-- als Musiklehrer! Mit Sprach- und Textspielen verbindet sich eine breite Palette an Funktionen und Wirkungen. Das Erzielen formbezogener Erträge ist lediglich eine Funktion unter vielen anderen (vgl. u. a. Poethe 2002: 26-29; Janich 2010: 211 ff.). <?page no="19"?> 19 1.3 Stil in einer Kosten-Nutzen-Relation 1.3 Stil in einer Kosten-Nutzen-Relation Ertragsorientierte Textproduktion und -rezeption-- so hatten wir gesagt (siehe 1.1)-- bedeutet Ausrichtung auf einen kommunikativen Gewinn, einen kommunikativen Nutzen. Hier lässt sich eine Brücke schlagen zu Rudi Kellers Kosten-Nutzen-Rechnung, die bei der Wahl sprachlicher Mittel aufzumachen sei (1995: 216-228). Mit dem Kostenaspekt werden die kommunikativen Anstrengungen geistiger und artikulatorischer Art erfasst, mit dem Nutzenaspekt mögliche Gewinne in dreifacher Hinsicht: Anstreben lässt sich ein informativer Gewinn (z. B. die Überzeugung des Textrezipienten), ein sozialer Gewinn (z. B. die Aufrechterhaltung einer Freundschaft) und ein ästhetischer Gewinn (z. B. der Unterhaltungswert des Gesagten). Wir erkennen in dieser Dreiteilung unschwer persuasive, soziale und formbezogene Erträge wieder. Die Kosten, die ein Sprecher (Textproduzent) veranschlagt, können höher oder niedriger ausfallen. Höher sind sie, wenn er anstelle einer direkten eine indirekte Ausdrucksweise wählt. Dann ist zu fragen, was ihn dazu veranlasst, den kommunikativ unbequemeren Weg einzuschlagen. Rudi Keller gibt darauf folgende Antwort: „Der Sprecher wählt den indirekten Weg genau dann, wenn er ihn als den aussichtsreicheren beurteilt.“ (Ebd.: 218) Doch was ist eigentlich unter der Direktheit bzw. Indirektheit eines Wegs zu verstehen? Gemeint ist der Unterschied zwischen der Wörtlichkeit und der Nichtwörtlichkeit des Gesagten. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn sich der Sprecher (Textproduzent) metaphorisch oder ironisch äußert. So kann sich eine metaphorische Ausdrucksweise als aussichtsreicher herausstellen, einen intellektuellen Ertrag zu erzielen, eben weil sie es vermag, abstrakte Sachverhalte zu veranschaulichen. Metaphorik verlangt allerdings auch dem Hörer (Textrezipienten) höhere geistige Kosten ab, denn sie impliziert die an ihn gerichtete Aufforderung, „etwas als etwas anderes zu sehen“ (ebd.: 224). Eine ironische Ausdrucksweise kann sich als aussichtsreicher herausstellen, einen emotional-psychischen Ertrag zu erzielen, eben weil sie es vermag, die Bewertung von Sachverhalten als distanziert-spöttisch erscheinen zu lassen, etwa im Rahmen der journalistischen Textsorte Glosse (vgl. Lüger 1995: 137 ff.). Vom Hörer (Textrezipienten) wird bei dieser Form von Indirektheit erwartet, dass er sein Wissen einbringt, um die Ironie zu erkennen. Es wird außerdem erwartet, dass er den Spott als gerechtfertigt ansieht. Auch er hat also erheblich höhere Kosten, doch der mögliche Nutzen liegt auf der Hand: Der Text kann Vergnügen bereiten. <?page no="21"?> 21 2.1 Einleitung 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil 2.1 Einleitung Vor mehr als hundert Jahren beginnt Richard M. Meyer seine „Deutsche Stilistik“ mit folgenden Worten: Die Stilistik wird insgemein als eine Art Geheimmittellehre aufgefaßt, die allerlei Kunstgriffe zur Erzielung ästhetischer Wirkungen an die Hand geben soll. Davon kann im Ernst nicht die Rede sein; vielmehr ist sie eine wissenschaftliche Disziplin, die als solche das Verständnis vorhandener Erscheinungen zu fördern und zu verbreiten sucht. In diesem Sinn behandeln wir die Stilistik in dem folgenden Abriß als ein System theoretischer Erkenntnisse, das sich selbstverständlich praktisch verwerten läßt, gerade wie die Grammatik (im Sprachunterricht) oder jede andere Wissenschaft. (Meyer 1913: 1) Aktuell an diesen Worten ist einiges: der Status der Stilistik als Wissenschaft, die Systemhaftigkeit theoretischer Erkenntnisse, die praktische Verwertbarkeit von Einsichten in stilistische Regularitäten. Nicht mehr aktuell ist natürlich auch einiges: Von einer Geheimmittellehre spricht heutzutage niemand mehr. Statt um Kunstgriffe geht es heute um theoretisch fundierte methodische Instrumentarien. Und schlösse man sich der Auffassung Meyers an, dass die Stilistik letztlich nichts anderes sei „als eine vergleichende Syntax“ (ebd.: 3), bliebe das Blickfeld eingeengt auf ein Teilsystem des Sprachsystems als Stilmittelreservoir und der Blick versperrt auf den eigentlichen Stilbereich in seiner Bindung an und seiner Einbindung in die Kommunikation. Erstaunlicherweise gelingt es dem Autor dennoch, den Blick zu weiten und Stilistisches auch im Rahmen von „Gattungen“ wie ‚Essay‘, ‚Literarisches Porträt‘ und ‚Wissenschaftliche Darstellung‘ zu beschreiben. Vor mehr als zehn Jahren beginnt die „Einführung in die Stilistik“ von Karl-Heinz Göttert und Oliver Jungen folgendermaßen: Das hat Stil! Oder auch: Das hat keinen Stil! - - erstaunlicherweise verstehen wir solche Aussagen bestens, ohne sagen zu können, was Stil eigentlich ist. Diese definitorische Verlegenheit stellt kein kleines Manko für die Stilistik dar. Eine Einführung in die Disziplin der Stilistik hat es da etwas einfacher, weil sie das Manko nur zu benennen, nicht zu beheben braucht. (Göttert / Jungen 2004: 13) Kritikwürdig an diesen Ausführungen ist erstens, dass das Wort Stil in den angeführten Beispieläußerungen ein ästhetisches Werturteil zum Ausdruck bringt, im Sinne von ‚ästhetisch ansprechender Gestaltung‘ verwendet wird, während die Aufgabe der Stilistik darin besteht, den Grundbegriff Stil so zu bestimmen, dass damit die Vielfalt an Gestaltungsweisen mit neutralen Kennzeichnungen (Stil der Wissenschaft, Werbestil, Märchenstil, Stil Thomas Manns usw.) erfassbar wird. Kritikwürdig an den zitierten Worten ist zweitens die Annahme, dass Einführungen in eine Wissenschaftsdisziplin ohne eine Definition des jeweiligen Gegenstands auskommen können. Der Verzicht auf eine Definition hat zwangsläufig zur Folge, dass lediglich diffuse Vorstellungen vom Gegenstand entstehen, was wenig hilfreich und letztlich <?page no="22"?> 22 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil unwissenschaftlich ist. So nährt der Verzicht auf eine Stildefinition berechtigte Zweifel, ob die Stilistik überhaupt zu den Wissenschaftsdisziplinen gehört. Die Zweifel daran potenzieren sich, wenn anstelle des Bemühens, zu einer Stildefinition zu gelangen, spöttische Vergleiche angestellt werden, wenn Stil z. B. mit einem Fabelwesen wie dem Ungeheuer von Loch Ness verglichen wird: „Man spricht davon, schreibt und hält Vorträge darüber, doch über etwas, was unsichtbar bleibt.“ (Dubois u. a. 1974: 24) Dabei ist über Stil als Grundbegriff der Stilistik wahrlich schon viel gesprochen und geschrieben worden. Der Begriff bietet unerschöpflichen Diskussionsstoff. Es gibt mittlerweile zahlreiche Stilrichtungen (Text-, Gesprächs-, Pragma-, Sozio-, Literatur-, Funktionalstilistik u. a.) und weitaus mehr Stilauffassungen, -konzepte und -definitionen. Selbst innerhalb einer Stilrichtung können verschiedene Sichtweisen zur Geltung kommen. So ist es im Rahmen der Textstilistik möglich, den Fokus auf pragmatische Aspekte des Stils zu richten: Stil wird als die Art und Weise des Vollzugs einer Texthandlung (z. B. ERZÄHLEN , WERBEN , BEUR- KUNDEN ) begriffen. Im Rahmen der Textstilistik ist es aber auch möglich, im Stil eines Textes ein mehr oder weniger komplexes kommunikatives Zeichen zu sehen, mit sprachlichen und nichtsprachlichen Komponenten, in monologischer oder dialogischer Form, mit individueller oder überindividueller Prägung, mit pragmatischer, sozialer oder ästhetischer Bedeutung, in poetischen oder nichtpoetischen Kommunikationszusammenhängen. Von dieser semiotischen Sichtweise (Stil als Zeichen in der Kommunikation) sind die stiltheoretischen Ausführungen im vorliegenden Buch getragen. Die Problematik vieler Stiltheorien resultiert aus einem Universalitätsanspruch bzw. aus der Verabsolutierung eines ganz bestimmten Aspekts. Eine semiotisch orientierte Textstilistik legt sich zwar auch fest, hat aber das Potential, die verschiedensten Aspekte unter einem Dach zusammenzuführen. Bei dem hier vorzustellenden Stilkonzept gehen wir nicht von einer fertigen Stildefinition aus. Stattdessen werden Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil in der Art eines Puzzles aneinandergelegt und an Beispieltexten erläutert, um sie am Ende in einer Stildefinition zusammenzuführen. Strittiges bleibt weitestgehend ausgeblendet, doch auf eine Diskussion stiltheoretischer Fragen wird nicht gänzlich verzichtet, denn auch die Problematisierung von Positionen kann dazu beitragen, möglichst viel Klarheit über das Phänomen Stil zu gewinnen. In diesem zweiten Kapitel wird deshalb an das Ende eines Abschnitts gelegentlich ein Block mit der Überschrift „Diskussion“ gestellt, in dem Fragen, die sich aus dem Studium der Fachliteratur ergeben, erörtert oder offene Fragen, die sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht befriedigend beantworten lassen, formuliert werden. 2.2 Musterbasiertheit 2.2.1 Gestaltungsmuster allgemein: Komponenten des Musters Gestalten An unserer ersten Station auf dem Weg zu einer Stildefinition wollen wir auf die Frage eingehen, wie der Stil eines Textes eigentlich in den Text „hineinkommt“. Für die Antwort auf diese Frage erweist es sich als nützlich, wenn nicht als unumgänglich, den stilistischen Aspekt der Textproduktion mit dem Begriff Gestaltung zu erfassen. Mit Hilfe dieses Begriffs können <?page no="23"?> 23 2.2 Musterbasiertheit wir Stil als ein Gestaltungsprodukt bestimmen. Wir können sagen, dass er durch einen Gestaltungsakt hervorgebracht wird und dass Gestaltungsakten ein Gestaltungsmuster zugrunde liegt. Ein prägnanter stiltheoretischer Leitsatz lautet ganz in diesem Sinne: Stil beruht auf dem Muster Gestalten (vgl. Püschel 1995: 306). Da es naturgemäß viele unterschiedliche Stile gibt, müsste es eigentlich dementsprechend viele Gestaltungsmuster geben. Nun besagt der Leitsatz aber gerade, dass es ein einziges Muster gibt, nämlich d a s Muster Gestalten. Wie lässt sich diesem offensichtlichen Widerspruch Logik abgewinnen? Etwa so: Wenn von d e m Muster Gestalten die Rede ist, dann gerät immer das Allgemeine, das allen Gestaltungsakten zugrunde liegt, in den Blick. Man kann es mit Ulrich Püschel noch deutlicher sagen und Gestalten als „das allgemeinste oder zentrale Stilmuster“ (1995: 307) bestimmen. Wenn hingegen im Plural von Gestaltungsmustern die Rede ist, dann werden einzelne, spezifizierte, konkret bestimmbare Gestaltungsakte in ihrer Musterhaftigkeit erfasst. Im Folgenden sei versucht, das Allgemeine (das Muster) und das Einzelne (die Muster) etwas ausführlicher zu beschreiben und voneinander abzugrenzen. Gestalten heißt allgemein gesehen, einer x-beliebigen Sache (Gegenstand, Zustand, Prozess, Handlung usw.) eine bestimmte Form zu geben, und zwar-- wie sogleich hinzugefügt werden muss-- nach einem Formgebungsprinzip oder einer Formgebungsidee, denn nicht jede Formgebung ist per se ein Gestaltungsakt. Wer eine Tasse oder einen Krug töpfert, gibt Gefäßen erst einmal eine Form, die sich als Tasse oder Krug zu erkennen gibt, ohne dass bereits ein Gestaltungsakt vollzogen sein muss. Wer einen Satz nach grammatischen Regeln produziert und Wörter nach grammatischen Regeln einbindet, gibt dem Satz und den Wörtern zweifellos einen Form, aber eben eine grammatische Form. Wer einen Text produziert, ein Textthema abhandelt, orientiert sich bei der Textbildung zum einen an textgrammatischen Regeln, zum anderen an kommunikativen Gesichtspunkten und in diesem Zusammenhang auch an Formgebungsprinzipien. So kann man das Thema eines Textes anschaulich abhandeln (z. B. in Lehrbüchern) oder theoretisch-abstrakt (z. B. in wissenschaftlichen Aufsätzen). Vielfach ist die Gestaltung mehr oder weniger vorgeschrieben, so in Protokollen, wo es auf Genauigkeit ankommt, oder in Festreden, die nach einem feierlichen Stil verlangen. Anschaulichkeit, Abstraktheit, Genauigkeit und Feierlichkeit sind Beispiele für Formgebungsprinzipien. Beispiele für Formgebungsideen findet man z. B. in Werbeanzeigen, die in Gedichtform verfasst sind, in Kontaktanzeigen, in die Märchenelemente eingeflochten sind, oder in den Laut- und Buchstabengedichten der Konkreten Poesie. Gestaltungsakte vollziehen sich nicht im luftleeren Raum. So bildet insbesondere die Textsorte (z. B. Lehrbuch, Protokoll, Festrede, Werbeanzeige, Kontaktanzeige, Gedicht) den Rahmen für die Entfaltung von Formgebungsprinzipien und Formgebungsideen. Mit diesen beiden Stilkategorien ist eine wichtige Komponente des Musters Gestalten gewonnen: das Ziel, das anvisierte Ergebnis des Gestaltens. Um es zu erreichen, müssen geeignete Prozeduren, d. h. Formgebungsverfahren umgesetzt und geeignete Formgebungsmittel eingesetzt werden. Musterbildend sind also neben einer Zielkomponente (finalen Komponente) auch eine prozedurale und eine instrumentale Komponente. Das Muster Gestalten stellt sich mithin als eine Drei-Komponenten-Struktur dar, bei der wir, um zu verdeutlichen, dass es sich um Einheiten dieses Musters handelt, die Bezeichnung Formgebung durch die Bezeichnung Gestaltung ersetzen (siehe Tab. 1). <?page no="24"?> 24 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Finale Komponente Prozedurale Komponente Instrumentale Komponente Gestaltungsprinzipien Gestaltungsideen Gestaltungsverfahren Gestaltungsmittel Tab. 1: Komponenten des Musters Gestalten Wir werden das Muster Gestalten an passender Stelle (siehe 2.5.1) zu vervollständigen haben. 2.2.2 Gestaltungsmuster spezifiziert: Beispielanalysen Vom Allgemeinen nun zum Einzelnen, zu einzelnen Gestaltungsmustern und einzelnen Beispielen. Die Rekonstruktion spezifizierter, konkret bestimmbarer Gestaltungsmuster bedarf nicht grundsätzlich einer breiten empirischen Basis. Sie hat auch dann ziemlich gute Erfolgsaussichten, wenn man einen Einzeltext als Exemplar einer Textsorte erfasst und überlegt, worauf Gestaltungsaspekte in diesem Rahmen gerichtet sein könnten. Beispieltext 1: Stellenanzeige Gestaltungsaspekte im Textsortenrahmen ‚Stellenanzeige‘ leiten sich u. a. aus folgenden Fragen ab: ▶ Wie wird der Arbeitgeber, der das Stellenangebot unterbreitet, bezeichnet? ▶ Wie wird das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle beschrieben? Es gibt grundlegende und besondere Gestaltungsverfahren. Am Beispieltext 1 seien zunächst zwei grundlegende Gestaltungsverfahren aufgezeigt, und zwar: a) das Auswählen von Gestaltungsmitteln aus einem Paradigma und b) das Kombinieren der ausgewählten Mittel zu einer syntagmatischen Struktur. Die Analyse zu a) erfasst verwendete Gestaltungsmittel auf einer vertikalen Achse. Der Beispieltext gibt hierzu vor allem Folgendes zu erkennen: <?page no="25"?> 25 2.2 Musterbasiertheit Textbelege Ausgewählte Gestaltungsmittel Pizza-Service anstelle von ein Pizza-Service Wahl des Nullartikels anstelle des unbestimmten Artikels f. d. R. anstelle von für den Raum Wahl einer Schreibabkürzung anstelle der Vollform (weitere Schreibabkürzungen im Text: Ortskennt. - u. - eig. - std.-weise - n. Vereinb.) Ortskennt(nisse) anstelle von Kennt(nisse) über den Ort Wahl eines Kompositums anstelle einer Wortgruppe mit Ortskennt. u. eig. PKW anstelle von die über Ortskennt. u. eig. PKW verfügen Wahl einer attributiven Wortgruppe anstelle eines Relativsatzes (std.-weise n. Vereinb.) anstelle von Die Beschäftigung erfolgt std.-weise n. Vereinb. Wahl einer Ellipse anstelle eines ausgeformten Satzes Tab. 2: Gestaltungsmittel Stellenanzeige - paradigmatisch Die Analyse zu b) ordnet die verwendeten Gestaltungsmittel auf einer horizontalen Achse an. Um das Gestaltungsziel, hier das Gestaltungsprinzip zu erkennen, müssen die als ausgewählt erkannten Gestaltungsmittel als miteinander kombiniert und in ihrem Zusammenwirken betrachtet werden: Kombinierte Gestaltungsmittel Nullartikel + Schreibabkürzungen + Kompositum + attributive Wortgruppe + Ellipse Tab. 3: Gestaltungsmittel Stellenanzeige - syntagmatisch Das Gestaltungsprinzip, das den Gestaltungszusammenhang zwischen den Gestaltungsmitteln stiftet, ist aus der syntagmatischen Struktur ableitbar: Mit allen ausgewählten und kombinierten Gestaltungsmitteln wird das Gestaltungsprinzip Knappheit (ein Ausdruck von Sprachökonomie) realisiert. Der Stellenanzeige liegt der Gestaltungsakt Verknappen zugrunde, der für Anzeigentexte typisch ist. <?page no="26"?> 26 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Beispieltext 2: Werbeanzeige Bei Gestaltungsakten im Textsortenrahmen ‚Werbeanzeige‘ stellen sich ganz andere Fragen, u. a. diese: ▶ Wie wird das im Text thematisierte Produkt bezeichnet? ▶ Wie werden das Produkt und seine Herstellung bewertet? Am Beispiel einer Werbeanzeige (Text 2) seien drei besondere Gestaltungsverfahren (einschließlich typischer Gestaltungsmittel) zur Realisierung eines Gestaltungsprinzips aufgezeigt, und zwar: ▶ das Kreieren eines klangvollen und orthographisch auffälligen Produktnamens (hier: TwinHaus); ▶ das Auflisten von Vorzügen (des Produkts und seiner Herstellung), hier mittels adjektivischer Wertwörter (attraktiv, einzigartig, effizient), auch in Form eines Augmentativkompositums, d. h. eines zusammengesetzten Wortes, bei dem die erste Konstituente <?page no="27"?> 27 2.2 Musterbasiertheit die zweite semantisch steigert (hochattraktiv), sowie in komparativischer (effizienter, kostengünstiger) und superlativischer Form (beliebtest); ▶ das Umschreiben des Produktnamens mittels Gefühlswörtern oder Gefühlswortkonstruktionen, hier mittels eines substantivischen Augmentativkompositums (Traumhäuser), dessen erste Konstituente aus einem Gefühlswort besteht, das einen sehnlichen und noch unerfüllten Wusch bezeichnet. Aus der Analyse der Gestaltungsverfahren und -mittel lässt sich-- wiederum auf der horizontalen Achse-- das vorherrschende Gestaltungsprinzip ableiten: das Prinzip Anpreisung. Der Anzeige liegt der Gestaltungsakt Anpreisen zugrunde, der für Werbetexte typisch ist. Schwere See, mein Herz? Nicht länger. Lass uns Segel setzen. Sturmerprobte, Wahrheit schätzende, lebensverliebte Frau (30 / 181 / 75, NR, Journalistin, aus Halle / S.) sucht großen Mann mit Herzensweite, Weitblick und Tiefgang. Gern auch älter und mit Mut und großer Lust darauf, aufs offene Meer zu segeln und gemeinsam die Früchte des Lebens heimzuholen. Chiffre: 11 / 09 Beispieltext 3: Kontaktanzeige Im Textsortenrahmen ‚Kontaktanzeige‘ stellen sich u. a. folgende Stilfragen: ▶ Wie werden die Kommunikationsbeteiligten (die suchende und die gesuchte Person) bezeichnet? ▶ Wie werden Vorstellungen von einer Partnerbeziehung kommuniziert? Die Analyse von Beispieltext 3, konzentriert auf diese beiden Fragen, fördert ein besonderes Gestaltungsverfahren zur Realisierung einer Gestaltungsidee zutage, nämlich das Mischen von Mustern, genauer: das Mischen von Merkmalen / Elementen verschiedener Muster. In diesem Text werden Elemente des Frames (Wissensmusters) ‚Segeln‘ in die Themenabhandlung ‚Partnersuche‘ nach dem Textsortenmuster Kontaktanzeige eingeflochten, erkennbar vor allem an den verbalen Wortgruppen Segel setzen und aufs offene Meer segeln, die im Kontext dieser Kontaktanzeige sprachbildlich (metaphorisch) zu verstehen sind. Aber auch die lexikalischen Einheiten sturmerprobt, Weitblick und Tiefgang fügen sich in gewisser Weise in das komplexe Sprachbild ein, das offenbar vom Song „Schwere See“ der Band Element of Crime inspiriert ist. Mit dem Zitieren einer Verszeile aus dem Refrain dieses Songs (Schwere See, mein Herz) wird eine intertextuelle Beziehung aufgebaut, die der Anzeige bereits zu Beginn einen poetischen Anstrich verleiht. Wir sind nun in der Lage, die textprägende Gestaltungsidee zu beschreiben. Sie besteht darin, eine Partnerbeziehung als ein Segelschifffahrtsereignis erscheinen zu lassen. <?page no="28"?> 28 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Suche Dich! Groß, schlank, schlau, liebevoll, geduldig, Interesse für Haus, Garten, Urlaub am Meer und in den Bergen … Verwunschene Prinzessin, 45 / 1,74 m, schlank, blond, blauäugig, mit Bodenhaftung, sucht genau den Frosch, der sich nach dem ersten Kuss in den Traumprinzen verwandelt. Chiffre: 11 / 07 Beispieltext 4: Kontaktanzeige Die Variabilität der Gestaltung von Kontaktanzeigen offenbart sich, wenn man weitere Texte dieser Textsorte in die Analyse einbezieht. Wir beschränken uns hier auf einen einzigen weiteren Text. Als besonderes Gestaltungsverfahren in Beispieltext 4 tritt das Anspielen auf einen Märchentext hervor, das auf eine andere Gestaltungsidee hindeutet. Aber es zeigt sich auch eine Gemeinsamkeit mit Text 3: In beiden lässt sich ein Mischen von Mustern beobachten, denn es werden lexikalische Märchenelemente (verwunschen, Prinzessin, sich verwandeln) in einen Text mit dem Thema ‚Partnersuche‘ eingeflochten. Im Unterschied zu Text 3 werden diese „fremdstilistischen“ Elemente jedoch verwendet, um die Inserentin und den gesuchten Partner als fiktionale Figuren einer poetischen Textwelt (der Welt des Märchens „Froschkönig“) erscheinen zu lassen. Die Gestaltungsidee besteht folglich darin, die Suche nach einem Partner und Vorstellungen von einer Partnerbeziehung in Märchenform zu kommunizieren. Gestaltungsverfahren, die über ein bloßes Auswählen und Kombinieren von Gestaltungsmitteln hinausgehen, gibt es in großer Zahl. Sie vollständig aufzuzählen ist eine unlösbare Aufgabe. Wir wollen hier noch auf einige hinweisen und mögliche Zusammenhänge mit Gestaltungsakten aufzeigen (siehe Tab. 4). Gestaltungsakte (Gestaltungsprinzipien) Gestaltungsverfahren (beispielbezogene Auswahl) Abwechslung-Erzeugen (Abwechslung) Variieren von sprachlichen Einheiten, z. B. Personenbezeichnungen - wie in einer Meldung über Madeline Stuart (Potsdamer Neueste Nachrichten, 15. 09. 2015, 24), in der in fast jedem Satz eine andere Bezeichnung vorkommt: das australische Model Madeline Stuart - die Australierin - die 18-Jährige - sie - der Teenager - Madeline Stuart Dekorieren/ Ausschmücken eines Textes (Dekoriertheit/ Schmuck) Einflechten literarischer Zitate: „O schüttel ab den schweren Traum / und die lange Winterruh; / es wagt es der alte Apfelbaum, / Herze, wag’s auch du! “ Um Fontane zu Wort kommen zu lassen. (Potsdamer Neueste Nachrichten, 19. 03. 2010, 1) Formelhaft-Machen (Formelhaftigkeit) Wiederholen von Rede, z. B. durch Verwenden von Sprichwörtern (Der frühe Vogel fängt den Wurm.), geflügelten Worten (Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.) oder Bauernregeln (Ist der Mai kühl und nass, füllt er dem Bauern Scheun’ und Fass.). <?page no="29"?> 29 2.2 Musterbasiertheit Gestaltungsakte (Gestaltungsprinzipien) Gestaltungsverfahren (beispielbezogene Auswahl) Humorisieren (Humor) Spielen mit Wortformativen oder Wortbedeutungen, z. B. Kreieren von Schüttelreimen: Wenn ich mir eine Wiege lease und geh auf eine Liegewiese - ob die, die auf der Wiese liegen, sich dann auch von mir wiegen ließen? (Das Magazin, Nr. 7-8 / 2015, 130) Ironisieren (Ironie) Ersetzen von Komponenten einer Äußerung durch Komponenten mit gegenteiliger Bedeutung, z. B. Ersetzen negativ bewertender Wörter durch positiv bewertende, wodurch zugleich scheinbar gelobt statt getadelt wird: Das hast du wieder hervorragend (anstelle von miserabel) gemacht. Pathetisieren (Pathos) Parallelisieren von Satzstrukturen (durch Verwenden der Stilfigur Parallelismus): Ich dich ehren? Wofür? / Hast du die Schmerzen gelindert je des Beladenen? / Hast du die Tränen gestillet je des Geängstigten? (J. W. Goethe, Prometheus) Prägnant-Machen (Prägnanz) Gegenüberstellen von sprachlichen Einheiten, z. B. mittels Modalverben im Rahmen der Stilfigur Antithese: Die Frage ist nicht, ob wir das schaffen wollen. Die Frage ist, ob wir das schaffen können. Rhythmisieren (Rhythmik) Parzellieren von Sätzen: Wir können es schaffen. Vielleicht. Wenn wir mutig sind. Und unsere Kräfte einteilen. Veranschaulichen (Anschaulichkeit) Bildhaftes Vergleichen, z. B. mittels des Verbs erinnern: Sein Aussehen und seine straffe Körperhaltung erinnerten an einen Marineoffizier. (P. Mercier, Perlmanns Schweigen) Tab. 4: Zusammenhänge zwischen Gestaltungsakten und Gestaltungsverfahren Ein Problem ist möglicherweise die Unterscheidung zwischen Gestaltungsakten und Gestaltungsverfahren. Als Faustregel gilt: Gestaltungsakte tragen zumeist das Gestaltungsprinzip im Namen (vgl. Verknappen → Knappheit, Anpreisen → Anpreisung, aber auch Veranschaulichen → Anschaulichkeit, Emotionalisieren → Emotionalität usw.), bei Gestaltungsverfahren ist dies nicht der Fall (vgl. Auflisten von Vorzügen → Anpreisung, aber auch Wiederholen → Einprägsamkeit oder Variieren → Abwechslung). Ein weiteres Problem ist möglicherweise die Unterscheidung zwischen Gestaltungsideen und Gestaltungsverfahren, da ja in so manchem Verfahren (Anspielen, Mischen von Mustern u. a.) gestalterische Kreativität steckt. Doch die Koordinaten für Gestaltungsideen werden immer in einem konkreten kommunikativen Gestaltungsrahmen (z. B. dem der Textsorte oder der Textgattung) abgesteckt, während dies bei Gestaltungsverfahren nicht der Fall ist. Anspielungen und Mustermischungen gibt es nicht nur in Kontaktanzeigen, sondern auch in werbenden, journalistischen und poetischen Texten. Gestaltungsverfahren stehen in einer engen Beziehung zu Gestaltungsmitteln, schließen sie häufig ein, was schon an den beiden grundlegenden Verfahren (Auswählen und Kombinieren von Gestaltungsmitteln) erkennbar ist, und in einer eher kommunikativ offenen, uneindeutigen Beziehung zu Gestaltungsakten, -prinzipien und -ideen. In ähnlicher Weise unterscheidet Barbara Sandig (2006: 152) zwischen stilistischen Handlungen und stilistischen <?page no="30"?> 30 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Verfahren. Letztere sind für sie Gestaltungstechniken, „die im Text verschiedenste Funktionen erhalten können“. DISKUSSION 1. In der Literatur wird auch von Stilgestaltung gesprochen. Kann Stil Produkt und zugleich Objekt des Gestaltens sein? Stil beruht auf dem Muster Gestalten, ist Produkt des Gestaltens. Gestalten heißt, einer Sache, die außerhalb des Stils liegt, eine bestimmte Form zu geben. Insofern ist es stiltheoretisch problematisch, ja widersprüchlich, im Gestaltungsprodukt Stil zugleich ein Objekt des Gestaltens zu sehen, d. h. von Stilgestaltung zu sprechen, nachzulesen etwa bei Ulf Abraham: „Stil wahrnehmen und gestalten“ (1996: 293) oder Barbara Sandig: „ GESTALTEN von Stil“ (2006: 51). Dem ist entgegenzusetzen: Stil wird nicht gestaltet, sondern hergestellt, und zwar innerhalb eines Gestaltungsrahmens, in dem sich das Gestaltungsobjekt befindet. 2. In der Literatur wird auch von Stil als einem Gestaltungsmittel gesprochen. Kann Stil Produkt und zugleich Mittel des Gestaltens sein? Es erscheint verwirrend, wenn zu lesen ist, dass Stil ein Gestaltungsmittel ist (vgl. Sandig 2006: 23). Kann Stil wirklich ein Gestaltungsprodukt und zugleich ein Gestaltungsmittel sein? Es ist doch wohl vielmehr so, dass bei der Herstellung von Stil Gestaltungsmittel zum Einsatz kommen, die in das Gestaltungsergebnis eingehen und eine textuelle Stilstruktur konstituieren. Weniger verwirrend ist das Ganze indes, wenn man sich verschiedene Bezugsgrößen des Gestaltens vor Augen führt. Gestalten hat nämlich einen Doppelaspekt; es ist einerseits auf die Ausformung von Textstrukturen beziehbar (siehe z. B. die Gestaltungsprinzipien Abwechslung, Dekoriertheit, Knappheit, Rhythmik), andererseits auf Gegebenheiten des kommunikativen Geschehens, d. h. auf Gegebenheiten, die über die Form des Textes hinausweisen. So kann man eben auch davon sprechen, dass m i t t e l s Stil die Beeinflussung des Rezipienten bzw. Adressaten gestaltet wird (siehe das Gestaltungsprinzip Anpreisung) oder die soziale Beziehung zwischen Textproduzent und Textrezipient (z. B. als förmlich oder familiär) oder die soziale Rolle, in der sich der Textproduzent präsentiert (z. B. als Amtsträger oder als Privatperson), oder global und übergreifend die Situation, in der sich das kommunikative Geschehen vollzieht (z. B. innerhalb von Kommunikationsbereichen wie Journalismus, Parlamentarismus und Gottesdienst). Man kann von Beziehungs-, Rollen- und Situationsgestaltung sprechen (Näheres in 2.5.2). Wie man an diesem Diskussionspunkt sieht, kann sich hinter einer problematisch erscheinenden Äußerung eine plausible stiltheoretische Überlegung verbergen - hier ist es die Überlegung, dass Stil ein „Mittel gesellschaftlich […] relevanter Differenzierungen von Kommunikation“ (Sandig 2006: 142) ist. Der Sprung von einer Sichtweise in eine andere muss jedoch expliziert werden. Die Darstellung von Barbara Sandig lässt dies vermissen. <?page no="31"?> 31 2.3 Ganzheitlichkeit 2.3 Ganzheitlichkeit 2.3.1 Zum Begriff Stilgestalt In diesem Abschnitt wechseln wir die Perspektive auf Stil, und zwar insofern, als nicht die Grundlagen seiner Herausbildung, sondern die Grundlagen seiner Wahrnehmung und Interpretation im Mittelpunkt stehen. Es geht um stilistisch bedeutsame Ganzes-Teil-Beziehungen im Text und um einen weiteren feinen terminologischen Unterschied. Gemeint ist der Unterschied zwischen d e m Gestalten einerseits und d e n Gestalten andererseits. D a s Gestalten ist-- wie wir inzwischen wissen-- ein Gestaltungsakt. D i e Gestalten hingegen sind stilistisch gesehen Gestaltungsprodukte, sodass man sie auch genauer als Stilgestalten bezeichnen kann. Doch was leistet der Gestaltbegriff, der seine Wurzeln in der Gestaltpsychologie hat, für die Stilistik? Er macht es möglich, ja er zwingt dazu, Stil als eine gestaltete Ganzheit zu begreifen und zu erfassen, als ein Gefüge aus Teilen, die zusammengehören, zusammenpassen, zusammenwirken, kurz: die in einem irgendwie gearteten Gestaltungszusammenhang stehen. Stilgestalten können prägend sein für einen Text insgesamt oder für eine Textpassage oder für einen Teiltext. So kann man z. B. Werbeslogans daraufhin betrachten, was an ihnen stilistisch gestalthaft ist. Als Beispiel der Slogan Bitte ein Bit, den auch Barbara Sandig (2006: 83) untersucht hat. Im Unterschied zu ihrer Analyse setzt sich die Stilgestalt dieses Slogans nach unserer Auffassung aus drei Teilgestalten zusammen. Wir registrieren: ▶ die Doppelung einer Silbe (bit); ▶ die symmetrische Anordnung der beiden gleichen Silben am Anfang und am Ende des Slogans; ▶ die elliptische Formung und dadurch bewirkte Kürze des Satzes (nichtelliptisch könnte der Satz Ich möchte bitte ein Bit. lauten). Diese Analyse hilft uns dabei, Eigenschaften von Stilgestalten zu erkennen. 1. Stilgestalten setzen sich aus Elementen (Gestalteinheiten) zusammen, z. B. aus Silben und Wörtern. 3. Können Texte gestaltet werden, also sowohl Rahmen als auch Objekte des Gestaltens sein? Ja, natürlich! , könnte man vorschnell antworten. Doch der geläufige und unverfänglich erscheinende Ausdruck Textgestaltung ist so unproblematisch nicht, denn der Stil eines Textes ist ja Teil eines Textes und nicht etwas, was nachträglich hinzugefügt wird in der Art eines Gewands, das den Text einkleidet. Der Ausdruck Textgestaltung hat allerdings seine Berechtigung, sofern man sich im Klaren darüber ist, dass streng genommen nur einzelne Komponenten des Textes (Texthandlung, Textthema, Textarchitektur u. a.) gestaltet werden können (Näheres in 2.4.2), nicht aber das Textganze, zu dem der Stil gehört. <?page no="32"?> 32 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil 2. Relationen zwischen den Gestalteinheiten bilden eine Gestaltstruktur. Diese Struktur wird durch Gestaltungsverfahren hergestellt, z. B. durch das Wiederholen und Anordnen von Silben oder durch das Auslassen von Wörtern. 3. Gestaltstrukturen verbinden sich mit einer Gestaltqualität, einem qualitativen Gestaltungszusammenhang, in den sich die Gestalteinheiten einfügen. Solche Qualitäten sind z. B. Doppelung, Symmetrie und Kürze. Alle aufgeführten Teilgestalten stehen in einem übergreifenden Gestaltungszusammenhang. Nimmt man Bezug auf Regularitäten der Werbekommunikation, erkennt man, dass sich alle Teilgestalten in den werbestrategisch bedeutsamen Gestaltungszusammenhang Einprägsamkeit einfügen. Im Unterschied zu den formalen (textinternen) Gestaltqualitäten Doppelung, Symmetrie und Kürze ist Einprägsamkeit eine funktionale Gestaltqualität. Sie erfüllt eine kommunikative Funktion. Stilgestalten mit funktionaler Gestaltqualität werden generell von Gestaltungsakten hervorgebracht, und so können wir nun auch sagen, dass der Slogan nach dem Muster Einprägsam-Machen gestaltet wurde. Stellt man sich die Aufgabe, Stilgestalten als ganzheitliche Gebilde zu modellieren, gilt es, das Ganze und seine Teile wechselseitig aufeinander beziehbar zu machen. Wir nennen die beiden Grundkomponenten, aus denen Stilgestalten bestehen, Gestaltstruktur und Gestaltqualität (siehe Tab. 5). Gestaltstruktur Gestaltqualität Formal oder funktional bestimmtes Gefüge aus Elementen (Gestalteinheiten) Formaler oder funktionaler Gestaltungszusammenhang Tab. 5: Komponenten von Stilgestalten Es bleibt festzuhalten: 1. Stilgestalten umfassen ein Gefüge aus Elementen, die in einem formalen oder funktionalen Gestaltungszusammenhang stehen. Die Kookkurrenz (das Zusammenvorkommen) von Einzelheiten allein reicht nicht aus, ergibt noch keine Gestalt. Die Kookkurrenz von Einzelheiten erlangt erst dann Gestalthaftigkeit, wenn deren Zusammenvorkommen als ein Zusammengehören oder Zusammenpassen wahrnehmbar gemacht worden ist. 2. Stilgestalten werden sowohl von Gestaltungsverfahren als auch von Gestaltungsakten hervorgebracht. 3. Die unlösbare Verbindung von Gestaltstruktur und Gestaltqualität macht Stilgestalten zu wahrnehmbaren und interpretierbaren Texteinheiten. Stilgestalten sind stilistische Zeichen (zum Zeichenbegriff siehe 2.9.1). <?page no="33"?> 33 2.3 Ganzheitlichkeit 2.3.2 Stilgestalten im Text Im Folgenden wollen wir Stilgestalten an konkreten Texten ausfindig machen und beschreiben. Wir beginnen mit der Stilgestalt Anschaulichkeit und untersuchen, welche Gestalteinheiten gestaltbildend in Betracht kommen. Doch worauf können wir uns dabei stützen? Anschaulichkeit hat viele Gesichter, tritt in unterschiedlichen Ausprägungen in Erscheinung, was auf die im Gestaltungsmuster Veranschaulichen angelegten Möglichkeiten zurückzuführen ist. Verschaffen wir uns deshalb zunächst einen Überblick (siehe Tab. 6). Stilgestalt Anschaulichkeit (Ausprägungen) Gestalteinheiten Bildhaftigkeit ▶ Konkreta (statt Abstrakta) ▶ bildhafte Vergleiche (z. B. funkeln wie ein Diamant) ▶ Wortschatzeinheiten zur Bezeichnung von Sinneswahrnehmungen (z. B. Farb- und Klangadjektive) ▶ Onomatopoetika (lautmalende Wörter) Bildlichkeit ▶ Metaphern und Allegorien (Großformen der Metapher) ▶ bildliche Vergleiche und Gleichnisse (Großformen des bildlichen Vergleichs) ▶ Personifikationen ▶ bildliche Periphrasen ▶ bildliche Phraseologismen Detailliertheit ▶ Aufzählungen von Einzelheiten eines Erscheinungsbildes: entweder zweigliedrig (darunter Paarformeln) oder aus mindestens drei Gliedern bestehend (Monosyndeta, Asyndeta, Polysyndeta) Andringlichkeit ▶ historisches Präsens ▶ futurisches Präsens ▶ Temporaladverbien Illustriertheit ▶ sprachmedial: Exempel (konkrete Beispiele, Beispielerzählungen) ▶ bildmedial: Fotos, Zeichnungen, Diagramme, Organigramme u. a. m. Tab. 6: Ausprägungen von Anschaulichkeit Die aufgeführten Ausprägungen von Anschaulichkeit können in Texten natürlich auch kookkurrieren. Sie können sich überschneiden, z. B. in Form von bildhafter oder bildlicher Detailliertheit. Auf den Unterschied zwischen Bildhaftigkeit und Bildlichkeit haben Elise Riesel und Evgenia Schendels (1975: 205 ff.) aufmerksam gemacht. Sie verweisen darauf, dass Bildhaftigkeit bereits in der Bedeutung lexikalischer Einheiten angelegt ist (Beispiele liefern bildhafte Verben wie trippeln statt gehen oder nippen statt trinken), während Bildlichkeit i. d. R. erst im Text entstehen kann, durch die Verwendung lexikalischer Einheiten. Bildlichkeit ist allerdings vielen phraseologischen Einheiten eigen, z. B. Sprichwörtern (Viele Köche verderben den Brei.). Durch ihre Verwendung entsteht formelhafte Bildlichkeit. Im Unterschied dazu ist die Gestaltqualität Andringlichkeit kennzeichnend beispielsweise für Texte, die von einem vergangenen oder zukünftigen Geschehen handeln, als sei es ein gegenwärtiges. Das Geschehen wird dicht an den Rezipienten herangebracht (vgl. Schneider 1931: 19). Gestalteinheiten sind Verbformen im Präsens sowie Temporaladverbien wie gerade oder soeben, die verdeutlichend hinzutreten können. <?page no="34"?> 34 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Betrachten wir nun zwei Textproben im Hinblick darauf, welche Ausprägung von Anschaulichkeit sie zu erkennen geben. Es sieht aus wie eine ganz normale Kneipe, eine recht kleine eben. An vier Tischen sitzen junge Menschen vor gefüllten Gläsern und Tassen, sie quasseln und lachen. Die Frauen haben Make-up aufgelegt, manche mehr, manche weniger. Einige haben ihre Nägel lackiert, andere nicht. Sie haben Hosen, Röcke, Kleider an. Die Männer tragen Hemden, T-Shirts, lange Haare, kurze Haare, Vollbärte, Nullbärte. Sie reden miteinander, durcheinander. Sie lachen, streiten, debattieren. Quer über die Tische hinweg. Frauen mit Frauen, Frauen mit Männern, Männer mit Männern. Wie es eben so abends an Orten aussieht, an denen sich Studenten treffen. Nur dass dieser Ort in einer mittelgroßen Stadt im Iran liegt: Siraz. Beispieltext 5: Reisereportage (Textanfang) Das Magazin, Nr. 4 / 2015, 47. Im Rahmen der journalistischen Textsorte Reportage stellen sich u. a. folgende Stilfragen: ▶ Welcher Einstieg wird reportageeröffnend gewählt? ▶ Wie wird der Schauplatz des Geschehens beschrieben? Als Gestalteinheiten von Anschaulichkeit kommen folgende Stilelemente in Betracht: ▶ eine Vielzahl an Konkreta unter den Substantiven, d. h. Wörtern, die Gegenständliches bezeichnen (Kneipe-- Tische-- Gläser-- Tassen-- Haare-- Bärte usw.); ▶ ein bildhafter Vergleich (aussehen wie eine ganz normale Kneipe); ▶ eine Vielzahl an paarigen Aufzählungsgliedern (Gläser und Tassen- - quasseln und lachen-- manche mehr, manche weniger-- einige, andere-- miteinander, durcheinander-- Frauen mit Frauen usw.); ▶ eine Vielzahl an Asyndeta (Hosen, Röcke, Kleider-- Hemden, T-Shirts, lange Haare, kurze Haare, Vollbärte, Nullbärte- - lachen, streiten, debattieren- - Frauen mit Frauen, Frauen mit Männern, Männer mit Männern); ▶ ein Zeugma (Hemden und T-Shirts tragen vs. Haare und Bärte tragen-- die Aufzählungsglieder liegen nicht auf ein und derselben begrifflichen Ebene); ▶ das historische Präsens (z. B. An vier Tischen sitzen junge Menschen.). Wir stellen fest: Es dominiert das Aufzählen von Einzelheiten eines Erscheinungsbildes, was dem Text Detailliertheit verleiht. Weitere Ausprägungen von Anschaulichkeit im Text sind Bildhaftigkeit (siehe Konkreta und bildhafter Vergleich) und Andringlichkeit (siehe historisches Präsens). Dass sich die Stilgestalt Anschaulichkeit im Rahmen der Textsorte Reportage entfalten kann, ist in der journalistischen Kommunikationsaufgabe begründet, über Geschehnisse an einem Ort aus eigenem Erleben, d. h. vor Ort Bericht zu erstatten. Der Reporter ist immer Augenzeuge eines Geschehens und baut eine „Erlebensperspektive“ (Lüger 1995: 115) auf. Der Einstieg, die Texteröffnung, muss jedoch nicht zwangsläufig anschaulich gestaltet sein, denn Journalisten können auch mit einer These, einem abstrakten <?page no="35"?> 35 2.3 Ganzheitlichkeit Gedanken, einem Standpunkt beginnen (vgl. Gehr 2010: 172 f.). Anschaulich hingegen ist der szenische Einstieg, bei dem sich der Reporter schon mit dem ersten Satz „räumlich in einer ‚Szene‘ situiert“ (Burger 2005: 216)-- wie bei unserem Beispieltext. Die nächste Textprobe ist ein Auszug aus einem Roman. Unter einer gläsernen Käseglocke sind sie miteinander eingeschlossen, Erika, ihre feinen Schutzhüllen, ihre Mama. Die Glocke läßt sich nur heben, wenn jemand von außen den Glasknopf oben ergreift und ihn in die Höhe zieht. Erika ist ein Insekt in Bernstein, zeitlos, alterslos. Erika hat keine Geschichte und macht keine Geschichten. Die Fähigkeit zum Krabbeln und Kriechen hat dieses Insekt längst verloren. Eingebacken ist Erika in die Backform der Unendlichkeit. Beispieltext 6: Roman (Auszug aus Teil I) Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin. 27. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2003: Rowohlt Taschenbuch, 17 f. Im Rahmen der poetischen Textsorte Roman sind u. a. folgende Fragen stilistisch relevant: ▶ Aus welcher Perspektive wird das fiktionale Geschehen erzählt? ▶ Wie werden die Figuren des fiktionalen Geschehens bezeichnet und beschrieben? Erzählstilistisch relevant ist an dem Auszug aus Elfriede Jelineks Roman „Die Klavierspielerin“ erstens, dass das Erzählersubjekt keine Figur des Romans ist, erzählt wird von einer Außenperspektive aus, dass sich das Erzählersubjekt zweitens reflektierend in das Romangeschehen einschaltet, es damit unterbricht, und dass es drittens-- und das ist für unsere Untersuchung relevant-- seine Reflexionen mit Bildlichkeit ausstattet, und zwar mittels einer dreigliedrigen Kette von Allegorien. Dabei finden drei unterschiedliche Bildmotive Verwendung (Käseglocke, Bernsteinschmuck, Backform), aber nicht im Sinne einer Aneinanderreihung von Einzelheiten, wie sie für die Detailliertheit von Texten (vgl. Text 5) charakteristisch ist, sondern im Sinne der Entfaltung eines gemeinsamen allegorischen Themas. Bei allen drei Allegorien finden Elemente einer gegenständlichen (toten, starren) Welt Verwendung, um Eigenheiten der Psyche der Hauptfigur zu verbildlichen. Wir stellen fest, dass sich die einzelnen Teilbilder wechselseitig ergänzen. Bildlichkeit wie diese basiert auf gestalterischer Kreativität. Insofern manifestiert sich in dieser Gestaltqualität zugleich eine Gestaltungsidee. Der nächste Beispieltext beherbergt eine Stilgestalt von gänzlich anderer Natur. <?page no="36"?> 36 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Beispieltext 7: Bildwitz Jan Bleiß: Kalender „Kulinarische Missverständnisse“. 2015 (Privatarchiv). Stilfragen, die sich im Rahmen der Textsorte Witz und ihrer Variante, dem Bildwitz, stellen, richten sich vor allem auf die Gestalteinheiten Pointe und Pointenvorbereitung: ▶ Wie wird die Pointe vorbereitet? ▶ Auf welche Weise wird die Pointe entfaltet? Pointenvorbereitung: Das zu betrachtende Textexemplar ist- - wie unschwer zu erkennen ist-- zweigeteilt: in einen sprachmedialen und einen bildmedialen Teiltext. Der sprachmediale Teiltext steht über dem bildmedialen und ist deshalb als pointenvorbereitender Teiltext anzusehen. Die Pointe wird mit einer alltagssprachlichen Äußerung vorbereitet, erkennbar an den Apokopen (Lautabstoßungen am Wortende) dies statt dieses und mach statt mache, an der intimen Anrede Schatzi und dem Regionalismus (Berlinismus) ick. Durch Fettschrift hervorgehoben ist ein Ausdruck aus der Fachsprache der Kochkunst: der Professionalismus Karpfen blau, der auch in die Alltagssprache eingegangen ist. Dass mit der Äußerung die Pointe vorbereitet wird, erschließt sich, wenn man die Zeichnung betrachtet und feststellt, dass man, um die Pointe zu verstehen, zuvor die Äußerung gelesen haben muss. Bildmedial dargestellt ist ein Mann in einem häuslichen Milieu, an einer Badewanne stehend, in der ein Karpfen schwimmt, in die Wanne eine Flasche mit Alkohol gießend. Eine bereits geleerte Flasche mit der Aufschrift Schn(aps) liegt auf dem Boden, weitere Flaschen mit Alkohol stehen bereit. Die <?page no="37"?> 37 2.3 Ganzheitlichkeit Zeichnung illustriert nicht die Äußerung, hat also nichts mit Anschaulichkeit zu tun, sondern macht die Äußerung als Teil eines Bildwitzes überhaupt erst interpretierbar. Die beiden Teiltexte passen nicht nur zueinander (die alltagssprachliche Äußerung korrespondiert hervorragend mit der bildmedialen Darstellung einer Badezimmer-Szene), sie gehören vielmehr pointenentfaltend zusammen. Pointenentfaltung: Die Pointe entfaltet sich zwischen beiden Teiltexten. Der Überraschungseffekt, der sich einstellt, basiert auf der Überlagerung von zwei Bedeutungsvarianten eines Wortes. Es überlagern sich die fachsprachliche und die umgangssprachliche Bedeutung des Adjektivs blau. Die fachsprachliche Bedeutung (‚blau verfärbt‘) ist an den Professionalismus Karpfen blau gebunden. In der Umgangssprache aber hat das Adjektiv blau die Bedeutung ‚betrunken‘. In die Beschreibung der Stilgestalt können wir also das Umdeuten eines fachsprachlich gebundenen Wortes in ein umgangssprachliches Wort als pointenentfaltendes Gestaltungsverfahren aufnehmen. Gestaltqualität: Bei der Erfassung des Gestaltungszusammenhangs, in den sich die Gestalteinheiten Pointe und Pointenvorbereitung einordnen, ist es wohl naheliegend, sich für Witzigkeit zu entscheiden-- eine Gestaltqualität, die auf dem Gestaltungsakt Witzig-Machen beruht. Wir können uns dabei auf eine eingeformte kommunikative „Ordnungswidrigkeit“ stützen und damit auf eine besondere Gestaltungsidee. Sie besteht darin, den Professionalismus Karpfen blau einem Missverständnis auszusetzen. Dessen Besonderheit ist es, dass ihm eine absurde Denkweise innewohnt, die absurde Konsequenzen nach sich zieht. Erst durch die Absurdität des Denkens und Handelns wird das Missverständnis witzig. Rezipienten sind angehalten, die Pointe zu rekonstruieren, indem sie beide Bedeutungen des Adjektivs blau in eine Interferenzbeziehung bringen. (Weiteres zur Textsorte Bildwitz u. a. bei Hoffmann 2001.) Das Ganze würde natürlich auch rein sprachmedial funktionieren: Steht ein Mann im Badezimmer. In der Badewanne schwimmt ein Karpfen. Der Mann gießt eine Flasche Alkohol nach der anderen in die Wanne und ruft seiner Frau zu: „Schatzi, dies Jahr mach ick den Karpfen blau.“ In der bimedialen Fassung sind beide Teile, der sprach- und der bildmediale, aufeinander angewiesen. Fehlte einer von beiden, ginge nicht nur die Witzigkeit des Textes verloren, sondern auch die Zugehörigkeit des Textes zur Textsorte Bildwitz. Die Zeichnung für sich allein stehend würde sich allenfalls für ein Bilderrätsel eignen, bei dem der Sinn zu erraten wäre. Abschließend sei noch ein Gedicht, Ernst Jandls „markierung einer wende“, auf seine stilistische Gestalthaftigkeit hin untersucht. <?page no="38"?> 38 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil 1944 1945 krieg krieg krieg krieg krieg krieg krieg krieg krieg mai krieg krieg krieg krieg krieg krieg krieg (markierung einer wende) Beispieltext 8: Gedicht Ernst Jandl: Augenspiel. Gedichte. Berlin 1981: Volk und Welt, 74. Stilfragen im Textsortenrahmen Gedicht stellen sich u. a. wie folgt: ▶ Welche Einheiten umfasst die lyrische Textwelt, und wie werden sie bezeichnet? ▶ Welche Gestaltungsmittel der Gattung Lyrik werden gestaltbildend verwendet? Als mögliche Einheiten einer das Gedicht prägenden Stilgestalt drängen sich dem Betrachter keinesfalls typische lyrische Gestaltungsmittel auf. Statt deren vor allem diese: ▶ die Aufgliederung der Textfläche in zwei Spalten; ▶ der Kontrast zwischen einer zwölfzeiligen (links) und einer fünfzeiligen Spalte (rechts) mit dem Monatsnamen mai an fünfter Position; ▶ das zwölfmalige Vorkommen des Gattungsnamens krieg in der linken Spalte und dessen viermaliges Vorkommen in der Spalte rechts; ▶ das Vorkommen von Zahlwörtern (Jahreszahlen) in Ziffernschreibweise als fettgesetzte Spaltenüberschriften (1944 und 1945). Für die Synthese der Gestalteinheiten zu einer den Text prägenden Gestaltqualität sind alle diese Beobachtungen am Text wesentlich. Alle registrierten Einzelheiten verweisen auf Eigenschaften, wie sie Kalendern in dieser oder jener Form zukommen. Kalender enthalten Jahreszahlen und Monatsnamen; sie sind in Spalten aufgegliedert und weisen eine zwölfteilige Struktur auf, in der der Monat Mai die fünfte Position besetzt. Dem Text-- so wird man es deshalb sagen dürfen-- ist die Gestaltungsidee eingeformt, ein Gedicht in Kalenderform, <?page no="39"?> 39 2.3 Ganzheitlichkeit eine lyrische Textwelt in der Art eines Kalenders zu präsentieren. Natürlich handelt es sich nur um eine schwach ausgeprägte Ähnlichkeitsbeziehung mit der Textsorte Kalender. Aber wenn man sie bemerkt, d. h. sieht, könnten die Spalteninhalte mit dem stereotyp wiederholten Wort krieg als Einträge eines Kalenderbenutzers interpretiert werden und somit als ein Hinweis darauf, dass sich ein lyrisches Subjekt als Stimme in der Textwelt des Gedichts artikuliert, aber im Monat Mai verstummt, da ja Monatsnamen in Kalendern vorgedruckt sind. Vielleicht mag sich der eine oder andere Rezipient des Textes zu Recht fragen, ob der Text überhaupt als ein Exemplar des Lyrik-Genres Gedicht gelten kann. Der Autor Ernst Jandl jedenfalls hat sich zu dieser Frage selbst geäußert und sie mit Ja beantwortet (vgl. Fix / Poethe / Yos 2001: 141). Beim Entdecken der Gestaltungsidee (Gedicht in Kalenderform) ist das Wissen des Rezipienten in zweifacher Hinsicht gefragt. Benötigt wird zum einen Sprachwissen: zu den Wortschatzbereichen Gattungsnamen, Monatsnamen und Zahlwörtern, zum anderen Kommunikationswissen: zu den typischen formalen Merkmalen von Kalendern und Gedichten. Wir kommen darauf zurück (siehe 3.1.2). DISKUSSION 1. Manche Texte weisen Stilbrüche auf. Wie verhält es sich hier mit der Ganzheitlichkeit von Stil? ‚Stilbruch’ ist eine Kategorie der Bewertung von Stil, bei der die Gestaltungsprinzipien Einheitlichkeit und Stimmigkeit als Bewertungsmaßstäbe fungieren. Es gibt gewollte (intendierte) und ungewollte Stilbrüche. Ein Beispiel für Letzteres ist eine kindersprachliche Äußerung wie Frau Müller, hast du einen Freund? , wo die förmliche Anrede und das familiäre Anredepronomen nicht zusammenpassen, unstimmig sind. Ein Beispiel für einen gewollten Stilbruch stammt aus einer Begräbnisszene in einer Filmkomödie. Der Trauerredner sagt Der teure Tote hat in seinem Leben stets die Kurve gekriegt. Brüchig an dieser Äußerung ist die Kombination von Ausdrücken der gehobenen und einer niederen Stilschicht (zum Begriff siehe Abschnitt 2.8.2). Der gehobensprachliche Phraseologismus der teure Tote und der saloppsprachliche Phraseologismus die Kurve kriegen passen nicht zusammen. Sie sind für den Gestaltungsakt Komisieren eingesetzt worden. Das Beispiel zeigt, dass auch Stilbrüche als Stilgestalten angesehen werden können - hier mit der Gestaltqualität Komik als funktionalem Gestaltungszusammenhang zwischen zwei nicht zueinander passenden Gestalteinheiten. Dagegen müssen ungewollte Stilbrüche, die unfreiwillig komisch sein können, als Pannen oder auch als Fehler bei der Gestaltbildung eingestuft werden. 2. Sind Mustermischungen Stilbrüche? Legte man den Bewertungsmaßstab Einheitlichkeit an, müsste man bei Mustermischungen (siehe dazu die Beispielanalysen zu den Texten 3 und 4 im Abschnitt 2.2) von gewollten Stilbrüchen sprechen. Legt man indes den Bewertungsmaßstab Stimmigkeit an, wird man in Mustermischungen, die dem Realisieren von Gestaltungsideen dienen, keine Stilbrüche sehen, da die kombinierten Merkmale aus verschiedenen Mustern zueinander passen. <?page no="40"?> 40 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil 2.4 Kontextbezogenheit Wir machen uns jetzt die Erkenntnis zu Eigen, dass das Wesen und die kommunikative Leistungsfähigkeit von Stil nur dann erfasst werden können, wenn Gestaltungsakte, Gestaltungsprodukte und interpretative Aktivitäten mit Gestaltungskontexten relationiert werden. 2.4.1 Gestaltungskontexte „Stil ist immer das Wie einer Ausführung, auf welchem Gebiet des Lebens auch immer“ (Riesel / Schendels 1975: 15), aber, wie zu ergänzen ist, immer bezogen auf ein Was als Gestaltungskontext, denn: „Stil ist relational! “ (Sandig 2001). Wesentliche Gestaltungskontexte überblickend, ergibt sich folgendes Bild: Der Stil eines Textes steht in Relation ▶ zu anderen Textstilen, von denen er sich unterscheidet; ▶ zu textuellen Gestaltungsrahmen (wie Textsorte oder Textgattung), innerhalb deren er sich entfaltet; ▶ zu Ebenen der Vertextung (wie Texthandlung, Textthema und Textarchitektur), auf denen er sich manifestiert; ▶ zu situativen Kontexten der Textkommunikation (dazu gehören die Kommunikationsteilnehmer in ihrer Sozialcharakteristik oder Individualität, aber auch der Kommunikationsbereich, der Kommunikationskanal u. a. m.), an die er angepasst, auf die er zugeschnitten werden kann, für die er typisch sein kann, auf die er verweisen kann. Im Folgenden wenden wir uns einzelnen Vertextungsebenen zu und untersuchen, wie sie sich im Gestaltungsrahmen einer bestimmten Textsorte stilistisch beschreiben lassen. Auf ‚Situation‘ als Gestaltungskontext kommen wir im Abschnitt 2.5 zu sprechen. 3. In der Literatur wird bisweilen davon gesprochen, dass Stilgestalten erst im Kopf des Rezipienten entstehen. Stimmt das? Mit Ja beantwortet wird diese Frage u. a. von Ulf Abraham (1996: 290). Stilgestalten seien ein Gestalterlebnis und somit im wahrnehmenden Subjekt aufzusuchen, nicht im Text. Nach unserer Auffassung aber sind Stilgestalten wahrnehmb a r e und interpretierb a r e Ganzheiten im Text, d. h., ob und wie sie wahrgenommen und interpretiert werden, ist in der Tat rezipientenabhängig. Bevor sie jedoch wahrgenommen und interpretiert werden können, müssen sie wahrnehmbar und interpretierbar gemacht worden sein - sie sind also auch produzentenabhängig. Und als Gestaltungsprodukte sind sie - dieser Logik folgend - Eigenschaften von Texten. Anderenfalls müsste man auch Text und Stil voneinander trennen, so wie es Ulf Abraham konsequenterweise tut. Und folgte man dieser Auffassung, verlören auch gebräuchliche Gestaltkennzeichnungen wie Textdesign oder Layout (siehe Abschnitt 3.4.1) ihre Bindung an die Materialität von Texten und wären ausschließlich kognitive Entitäten. <?page no="41"?> 41 2.4 Kontextbezogenheit 2.4.2 Stil auf verschiedenen Vertextungsebenen 2.4.2.1 Texthandlung: Stil als das Wie ihrer Durchführung Texthandlungen sind textbildende Äußerungen oder Äußerungssequenzen. Auf der Texthandlungsebene ist Stil die Art und Weise, wie eine Texthandlung durchgeführt worden ist. Die Unterschiedlichkeit von Stil tritt bei konstant gesetzter Texthandlung zutage. Es gibt verschiedene Typen von Texthandlungen. Nach der jeweiligen kommunikativen Funktion muss unterschieden werden zwischen Texthandlungen, die der thematischen Entfaltung von Texten dienen, und Texthandlungen, die auf das Erzeugen von thematischem Textsinn gerichtet sind. Beispiele für Erstere sind BESCHREIBEN (von Gegenständen und Vorgängen), BERICHTEN (über ein Ereignis), ERÖRTERN (von Problemen), ARGUMENTIEREN (zu einer strittigen These), ERZÄHLEN (einer Geschichte), SCHILDERN (von Eindrücken) und ERKLÄREN (von Sachverhalten). Texthandlungen dieses Typs gelten als „Grundformen thematischer Entfaltung“ (Brinker 2010: 56 ff.). Beispiele für Letztere sind MITTEILEN , BITTEN , SICH - ENTSCHULDIGEN , GRATULIEREN und BEVOLLMÄCHTIGEN . Mit Texthandlungen dieses Typs werden kommunikative Kontakte zwischen den Kommunikationspartnern hergestellt. Unsere bisherigen Beispielanalysen wurden aus gutem Grund textsortenbezogen durchgeführt. Textsorten sind aus der kommunikativen Praxis von Menschen hervorgegangen und komplexe Muster für die Bewältigung konkreter kommunikativer Aufgaben in einem konkreten Situationskontext (siehe auch 2.7.1). Die Muster von Textsorten schließen Texthandlungs- und Gestaltungsmuster ein. Es gibt textsortentypische Gestaltungsprinzipien, die im Kontext textsortentypischer Texthandlungen den Status von Gestaltungserfordernissen, Gestaltungsalternativen oder Gestaltungsoptionen haben. Greifen wir exemplifizierend noch einmal die Textsorte Kontaktanzeige auf und überlegen wir uns, wie sich textsortentypische Wie-Was-Relationen im Bezugsfeld von Texthandlung bzw. Texthandlungsstruktur (einer Verknüpfung von Texthandlungen) ausfindig machen lassen. DD, Mann, 40+/ 186 / 90, sportl., naturverb., attr., kreativ, kunstint., intell., offen, belesen, selbstst., komm., ehrlich, vielgereist, bodenständig, m. Kinderwunsch. BmB. ■■■■■■■■■■■■■■ @web.de oder Chiffre: ■■■■■■■■ Beispieltext 9: Kontaktanzeige Zur Kommunikationsaufgabe, vor der Produzenten von Kontaktanzeigen stehen und an der sich Rezipienten von Kontaktanzeigen orientieren, gehört der Vollzug von zwei Texthandlungen: BESCHREIBEN und AUFFORDERN . An beide lassen sich textsortentypische Gestaltungsprinzipien anschließen. <?page no="42"?> 42 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil a) BESCHREIBEN (Kontaktanzeige) Diese Texthandlung ist wie auch andere Themenentfaltungshandlungen an spezifischen abstrakten thematischen Struktureinheiten identifizierbar: an den Einheiten OBJEKT und SPEZIFIZIERUNG . Entweder ist es ein GEGENSTAND (auch eine Person, ein Zustand o. Ä.), der anhand von MERKMALEN spezifiziert wird (Gegenstandsbeschreibung), oder es ist ein VORGANG , dessen Spezifizierung anhand seiner einzelnen PHASEN erfolgt (Vorgangsbeschreibung). Produzenten von Kontaktanzeigen sind zu einer doppelten Gegenstands-, hier Personenbeschreibung angehalten: zu einer Selbst- und zu einer Partnerbeschreibung. Es kommt darauf an, die eigene Person und den Wunschpartner so zu beschreiben, dass sich Personen, die sich für geeignet halten, angesprochen fühlen zu antworten. Stilistisch relevant ist das Wie des BESCHREIBEN s. Zur Beispielanalyse: Ein erstes beschreibungsbezogenes Gestaltungsprinzip ist Anonymität: die Anonymität der Selbstbeschreibung. Der Textproduzent spricht von sich selbst in der 3. Person und verwendet einen Gattungsnamen (Mann) anstelle eines vollständigen und authentischen Personennamens. Ein weiteres Prinzip ist Detailliertheit: die Detailliertheit der Selbstbeschreibung. Der Textproduzent reiht 13 adjektivische Persönlichkeitsmerkmale aneinander und erwartet offensichtlich von seiner noch unbekannten Wunschpartnerin, auf deren Profilbeschreibung er verzichtet, dass ihr seine Eigenschaften zusagen, zu denen auch eine in die Zukunft weisende gehört (m. Kinderwunsch). Die Detailliertheit der Selbstbeschreibung ist hier allerdings keine Ausprägung von Anschaulichkeit. Maßgebend ist der Gestaltungsakt des Subjektivierens. Subjektivität und Detailliertheit sind miteinander verknüpft. Hinzu kommt eine von Objektivität geprägte Textpassage, die sich in unkommentierten Alters- (40+), Größen- (186) und Gewichtsangaben (90) manifestiert. Wie zu erkennen ist, wird auch bei dieser Anzeige das Gestaltungsprinzip Knappheit realisiert. Die Alters-, Größen- und Gewichtsangaben erscheinen in Ziffernschreibweise; Maßeinheiten wie cm oder kg sind ausgelassen; die Adjektive sind alle nachgestellt und dadurch sprachökonomisch unflektiert; der unbestimmte Artikel ein vor dem Gattungsnamen Mann ist ausgespart; Verwendung finden Schreibabkürzungen (sportl., attr. usw.) und ein Kürzel aus dem Autokennzeichensystem Deutschlands ( DD anstelle von Raum Dresden). Knappheit und Detailliertheit schließen sich eigentlich gegenseitig aus, stehen hier aber in einem Gestaltungskonflikt, den die Bewältigung der Kommunikationsaufgabe mit sich bringt. b) AUFFORDERN (Kontaktanzeige) Produzenten von Kontaktanzeigen müssen, wollen sie Zuschriften erhalten, eine Kontaktmöglichkeit angeben. Stilistisch relevant ist das Wie des AUFFORDERN s, auf die Anzeige zu antworten und somit interaktional zu handeln. Im Kontext dieser Texthandlung, mit der sich der primäre Zweck von Kontaktanzeigen erfassen lässt, stehen ebenfalls mehrere Gestaltungsprinzipien. So korrespondiert die Anonymität der beschreibenden Textpassagen mit der Chiffriertheit der textschließenden auffordernden Passage. Eine E-Mail-Anschrift und eine redaktionelle Chiffre sind als alternative Adressen für Zuschriften angegeben. Chiffriertheit ist mit Knappheit verknüpft. Verknappt gestaltet ist auch eine zweite auffordernde <?page no="43"?> 43 2.4 Kontextbezogenheit Textpassage: Das Initialwort BmB. steht anstelle eines elliptischen Satzes (Bitte mit Bild.) bzw. anstelle eines grammatisch ausgeformten Satzes (etwa Gebeten wird um Zuschriften mit Bild.). BITTEN ist eine Variante von AUFFORDERN . Andere stilistische Facetten der Texthandlungen BESCHREIBEN und AUFFORDERN zeigen sich in Vorgangsbeschreibungen, z. B. im Gestaltungsrahmen der Textsorte Kochrezept (siehe Text 10). Stilfragen, die sich in diesem Rahmen stellen, sind u. a.: ▶ Wie ist die Zutatenliste gestaltet? ▶ Wie werden die Phasen der Zubereitung einer Speise beschrieben? c) BESCHREIBEN (Kochrezept) Der Blick auf Text 10 erbringt in Bezug auf die Texthandlung BESCHREIBEN , dass die Zutatenliste aus einer asyndetischen Reihe mit 10 Aufzählungsgliedern besteht, also auf dem Gestaltungsakt des Detaillierens beruht. Mit dem Gestaltungsprinzip Anschaulichkeit hat auch das nichts zu tun, denn es geht stilistisch in erster Linie um etwas anderes: um Übersichtlichkeit im Dienste leichter Rezipierbarkeit- - unterstützt durch die Verwendung von Sonderzeichen: geometrischer Trennungspunkte (bullet points) zwischen den Aufzählungsgliedern. Zu erkennen ist, dass in die Zutatenliste Mengenangaben integriert sind (200g, 2 EL u. a.) sowie Bearbeitungs- (fein geschnitten) und Verwendungshinweise (zum Anbraten). Die eigentliche Vorgangsbeschreibung mit den Phasen der Zubereitung von Pasta in der Parmesankruste, typographisch von der Zutatenliste durch Verwendung eines anderen Schrifttyps abgesetzt, ist in zwei nummerierte Teiltexte gegliedert. Auf Grund dessen können wir für den gesamten Text das Gestaltungsprinzip der visuellen Gegliedertheit als formale Gestaltqualität im Kontext des BESCHREIBEN s verorten. Bei der Realisierung des Gestaltungsakts Visuell- Gliedern sind unterschiedliche Gestaltungsmittel zum Einsatz gekommen: graphische (Absatzgliederung), typographische (Schrifttypen), geometrische (Sonderzeichen). Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang auch die Verwendung von zwei Schriftfarben: Schwarz für den Haupttext, Pink für die Sonderzeichen und einiges andere. Bei der Beschreibung der einzelnen Zubereitungsphasen Beispieltext 10: Kochrezept Super TV , Nr. 40 / 2015, 92. Pasta in der Parmesankruste Für 4 Portionen · 200 g Penne · Salz · 50 g Parmesan · 1 Tomate · 200 g Waldspeisepilze · 1 Zwiebel, fein geschnitten · Pfeffer · 2 EL Petersilie, fein geschnitten · 1 EL Basilikum, geschnitten · Butter zum Anbraten 1. Nudeln bissfest kochen. Die Tomate enthäuten, entkernen und würfeln. Pilze grob schneiden. Butter in einer Pfanne erhitzen, Zwiebel darin glasig anschwitzen, Pilze und Tomate zugeben und anbraten. Mit Salz und Pfeffer würzen. 2. Geriebenen Parmesan untermischen und die abgetropften Nudeln zugeben. Zum Schluss die Kräuter untermischen. Zubereitung: 15 Min. Kalorien: 605 pro Portion 5,1 BE, 70 g KH, 23 g F, 26 g E <?page no="44"?> 44 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil werden einheitlich Infinitivsätze anstelle von Imperativsätzen verwendet (Nudeln bissfest kochen. statt Kochen Sie die Nudeln bissfest! ). Damit einher geht die Unpersönlichkeit des Textes, die für die Textsorte typisch ist. Verwendung finden ausschließlich Infinitive von Handlungsverben (kochen, enthäuten, würzen usw.), was diesem Teiltext Dynamik verleiht, die mit dem Prinzip Statik der verblosen Zutatenliste kontrastiert. Stilistische Unterschiede zwischen Zutaten- und Zubereitungstext lassen sich also auch an Gestaltungsprinzipien festmachen. Mehrere visuell voneinander abgesetzte Teiltexte dieses Kochrezepts komplettieren die Beschreibung des Gerichts und seiner Herstellung durch knapp gehaltene Angaben weiterer Merkmale. Im oberen und unteren Bereich des Textes finden sich Angaben zur ▶ Ernährungsweise: Vegetarisch; ▶ Zubereitungszeit: Nur 15 Minuten / 15 Min. und ▶ Kalorienmenge: 605 pro Portion usw. Diese Angaben sind im Rahmen des Textsortenmusters als fakultativ einzustufen. Ebenso ist das Foto im oberen Teil des Textes etwas Fakultatives. Es illustriert den sprachmedialen Text, womit wir aber nun tatsächlich einen Gestaltungsakt zur Realisierung von Anschaulichkeit, den des Illustrierens mittels eines Fotos, erkannt hätten. d) AUFFORDERN (Kochrezept) Der Blick auf Text 10 erbringt in Bezug auf die Texthandlung AUFFORDERN , dass sie nicht-- wie in Kontaktanzeigen- - am Textende vollzogen wird, dass sie vielmehr Begleithandlung sämtlicher Beschreibungshandlungen ist. Insofern ist die Unpersönlichkeit des BESCHREI- BEN s zugleich Gestaltungsprinzip des AUFFORDERN s. Wir begegnen einer weiteren Variante des AUFFORDERN s: dem UNTERWEISEN . Mit der Zutatenbeschreibung werden Rezipienten im Hinblick darauf unterwiesen, was für die Vorbereitung des Kochens beschafft und getan werden muss, mit der Zubereitungsbeschreibung im Hinblick darauf, was in welcher Reihenfolge getan werden muss, damit der Kochvorgang gelingt. DISKUSSION In der Literatur wird auch von Stilhandlungen gesprochen. Können Gestaltungsakte problemlos als stilistische Texthandlungen aufgefasst werden? In einem handlungstypologischen Rahmen ist diese Frage zu bejahen, in einem textstilistischen Bezugsfeld eher zu verneinen. Zum handlungstypologischen Rahmen: Texthandlungstypologisch kann man beispielsweise zwischen Basis-, Situierungs- und Ästhetisierungs-Handlungen unterscheiden (vgl. Hoffmann 2012a: 233 f.). Basis-Handlungen wie BESCHREIBEN oder AUFFORDERN sind in situativer wie ästhetischer Hinsicht völlig unbestimmt - entsprechend vielfältig sind ihre stilistischen Facetten. Situierungs-Handlungen hingegen haben den kommunikativen Zweck, Basis-Handlungen der jeweiligen Kommunikationssituation anzupassen. Darunter können Anpassungen an den Kommunikationsbereich fallen. Beispiele für diesen Handlungstyp sind THEORETISIEREN in der <?page no="45"?> 45 2.4 Kontextbezogenheit 2.4.2.2 Textthema: Stil als das Wie der Versprachlichung und Vertextung des Themas Wie wir am Beispiel von Kontaktanzeigen sehen, kann ein und dasselbe Thema (‚Partnersuche‘) ganz unterschiedlich versprachlicht werden: Frau sucht Mann (Text 3), Ich suche Dich! und Prinzessin sucht Frosch (Text 4) oder einfach nur Mann, wobei die Prädikation sucht Frau rezeptiv zu ergänzen (zu inferieren) ist (Text 9). Wir erfahren aus den Beispieltexten außerdem, dass Teilthemen des Themas ‚Partnersuche‘, insbesondere die Teilthemen ‚Persönlichkeitsmerkmale der suchenden Person‘ und ‚Persönlichkeitsmerkmale der gesuchten Person‘, in unterschiedlicher Detailliertheit versprachlicht werden können. In einem der Texte (Text 9) werden 13 Wertadjektive aneinandergereiht, um Vorzüge der eigenen Person aufzulisten, was deutliche Parallelen zu Werbetexten erkennen lässt, während die partnerbeschreibenden Merkmale gänzlich fehlen. Des Weiteren können wir registrieren, dass das Thema ‚Partnersuche‘ nicht zwangsläufig texteröffnend genannt sein muss. Die Textanfänge sind literarisch gestaltet, zitieren aus dem Refrain eines Songtextes, wie in Text 3 (Schwere See, mein Herz? ), oder bestehen aus einem Regionalkennzeichenkürzel, wie in Text 9 ( DD ). Anders hingegen Text 4: Er beginnt mit dem elliptischen Themasatz Suche Dich! Mit Themasätzen, aber auch Themawörtern (vgl. van Dijk 1980: 50) wird das Thema eines Textes explizit formuliert bzw. bezeichnet. Das Thema ‚Partnersuche‘ fügt sich natürlich nicht nur in den Gestaltungsrahmen ‚Kontaktanzeige‘ ein. ‚Partnersuche‘ kann zum Thema werden auch in Ratgebertexten, in psychologischen und poetischen Texten, nicht zuletzt in allen erdenklichen Formen privater Kommunikation. Schlussfolgernd können wir festhalten: Stil ist auf der Vertextungsebene Textthema die Art und Weise, wie das Thema eines Textes versprachlicht und vertextet worden ist. Zu den Vertextungsarten gehört, wie das Thema eines Textes entfaltet worden ist. Themenentfaltungshandlungen repräsentieren zwar einerseits einen Texthandlungstyp und sind-- wie fast alle Texthandlungen- - stilistisch variabel durchführbar, was sich in verschiedenen Stilen des BESCHREIBEN s (vgl. 2.4.2.1), BERICHTEN s, ARGUMENTIEREN s usw. manifestiert, anderer- Wissenschaft, PORTRÄTIEREN im Journalismus und ADMINISTRIEREN im Behördenwesen. Textproduzentenseitige Aktivitäten schließlich, die den kommunikativen Zweck haben, die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die Machart des Textes zu lenken (siehe 2.6.1), kann man handlungstypologisch als Ästhetisierungs-Handlungen bestimmen, z. B. AUFFÄLLIG - MACHEN , ORIGINALISIEREN , SPANNUNG - ERZEUGEN . Zum textstilistischen Bezugsfeld: In diesem Bezugsfeld ist der Handlungsbegriff unnötig, ja störend. Wenn man Stil als die Art und Weise der Handlungsdurchführung bestimmt (vgl. Sandig 2006: 9), kann Stil wohl nicht selbst eine Handlung sein. Auch die Konstruktion von Gleichzeitig- und Zusatzhandlungen (vgl. Sandig 1986: 59 f.) hilft aus diesem terminologischen Dilemma nicht heraus. Es ist zweckmäßiger, sich an der Sprechakttheorie zu orientieren, die Sprechakte als ein Ensemble von Teilakten beschreibt, und ‚Gestaltungsakt’ als einen Teilakt von Texthandlungen zu bestimmen. <?page no="46"?> 46 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil seits kann ein und dasselbe Thema bspw. beschreibend oder berichtend entfaltet werden. Das aber erfordert nicht irgendeinen, sondern einen bestimmten Stil, denn die jeweilige Art der Themenentfaltung muss auch stilistisch kenntlich gemacht werden. Für jede Grundform thematischer Entfaltung gibt es daher eine Stilform mit Indikator-Funktion, was in Stilkennzeichnungen wie ‚berichtender Stil‘ oder ‚beschreibender Stil‘ seinen Ausdruck findet. So gesehen ist die Entscheidung für eine Art der thematischen Entfaltung immer auch eine stilistische Entscheidung. Bevor Beispiele für die Versprachlichung und Vertextung des Themas analysiert werden, sollte noch geklärt sein, was der Begriff Textthema eigentlich erfasst. Die textlinguistische Diskussion hierzu beiseite lassend (vgl. u. a. Adamzik 2004: 118 ff.), wollen wir ‚Textthema‘ als objektsemantisches Zentrum eines Textes begreifen, d. h. als Kerninformation darüber, auf welches Objekt (Gegenstand, Zustand, Lebewesen, Ereignis, Begriff usw.) alle weiteren Informationen (als Teilthemen) bezogen sind. Wenden wir uns nun einigen thematisierungsstilistischen Unterschieden zu, die bei einem Vergleich von Texten mit Übereinstimmung im Thema am besten hervortreten. a) Arten der Entfaltung des Themas - Stil als Indikator Brandstiftung in Berlin-Wilmersdorf Auto des BZ -Journalisten Gunnar Schupelius angezündet Von Tanja Buntrock Das Auto, das in der Nacht zu Montag in Berlin-Wilmersdorf angezündet worden war, gehört dem Kolumnisten der BZ , Gunnar Schupelius. Nun ermittelt der Staatsschutz, ob das Fahrzeug des Journalisten gezielt angegriffen worden war. Nach der Brandstiftung in Wilmersdorf, wo - wie berichtet - in der Nacht zu Montag in der Ahrweilerstraße ein Auto angezündet und fünf weitere beschädigt wurden, ermittelt nun der Staatsschutz: Denn der in Brand gesetzte Mini Cooper gehört dem B. Z.-Journalisten Gunnar Schupelius. In seiner Kolumne „Mein Ärger - der gerechte Zorn von Gunnar Schupelius“ schimpft der Autor etwa über Graffiti am U-Bahnhof oder erörtert, warum „die Grünen nicht regieren können“, und sucht mit seinen konservativen Thesen die Kernleserschaft der Boulevardzeitung anzusprechen. Ob der Brandanschlag gezielt Gunnar Schupelius’ Auto galt oder dieses zufällig angezündet worden war, sei noch unklar, hieß es bei der Polizei. „Ob eine politische Motivation die Zielrichtung war oder es andere Hintergründe gibt, müssen die Ermittlungen ergeben“, sagte ein Sprecher. Ein Selbstbezichtigungsschreiben läge derzeit nicht vor. Gunnar Schupelius wollte sich nicht zu dem Vorfall äußern. Beispieltext 11: Medienbericht tagesspiegel.de (19. 03. 2014: 9: 20 Uhr). <?page no="47"?> 47 2.4 Kontextbezogenheit Brandstiftung, gemeingefährliches, mit hohen Strafen bedrohtes Gefährdungsdelikt. Wegen schwerer B. wird nach § 306 a St GB mit Freiheitsentzug nicht unter einem Jahr bestraft, wer in Brand setzt: 1) ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude, 2) ein Gebäude, ein Schiff oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient, 3) eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, und zwar zu einer Zeit, während Menschen sich darin aufzuhalten pflegen. Wenn durch die B. wenigstens leichtfertig der Tod eines Menschen verursacht wird, ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren (§ 306 c St GB ). Eine besonders schwere Brandstiftung (§ 306 b St GB ) liegt vor, wenn eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht wird (Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren). Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren droht demjenigen Täter einer schweren Brandstiftung, der 1) einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt, 2) in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, oder 3) das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert (§ 306 b Abs. 2 St GB ). Die einfache B., bei der nicht ohne Weiteres Menschenleben gefährdet werden, wird nach § 306 St GB mit Freiheitsentzug von einem bis zu zehn Jahren bestraft. Strafbar sind auch die fahrlässige B. (§ 306 d St GB ) und das Herbeiführen einer Brandgefahr (§ 306 f St GB ). Beispieltext 12: Lexikonartikel DUDEN . Recht A-Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. Mannheim 2007: Dudenverlag, 89. Aus dem Vergleich von Text 11 und Text 12 geht zunächst hervor, dass beide Texte stilistisch völlig unterschiedlich sind, aber ein gemeinsames Thema haben: das Thema ‚Brandstiftung‘. Doch die Übereinstimmung im Thema besteht nur partiell, denn ‚Brandstiftung‘ ist in Text 11 ein EREIGNIS und in Text 12 ein BEGRIFF (die begriffliche Bedeutung des Wortes Brandstiftung). Den Texten liegen also verschiedene „Thementypen“ (Adamzik 2004: 123 f.) zugrunde. Damit im Zusammenhang ist die Themenentfaltung eine jeweils andere. Es stehen sich zwei Texthandlungen gegenüber: das BERICHTEN über ein EREIGNIS anhand von FAKTEN und das BESCHREIBEN eines BEGRIFF s anhand von MERKMALEN seiner Struktur. Auf Grund der Indikator-Funktion von Stil stehen sich auch zwei Stilformen gegenüber: der berichtende und der beschreibende Stil. Berichtender Stil entsteht in Text 11 durch ▶ das Verwenden faktenbezeichnender Lokal- und Temporalangaben (in Berlin-Wilmersdorf; in der Nacht zu Montag), die ein Ereignis in Raum und Zeit einordnen; ▶ die Wahl der Tempusformen Präteritum und Präteritumperfekt zur Kennzeichnung vergangenen und vorvergangenen Geschehens (wurden angezündet und beschädigt; war angezündet worden u. a.); ▶ das zeitliche Strukturieren des Ereignisablaufs mit Hilfe von Tempusformen (Präteritum, Präteritumperfekt), temporalen Adverbien (nun), temporalen Präpositionen (nach) u. a. Mitteln. <?page no="48"?> 48 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Beschreibender Stil entsteht in Text 12 durch ▶ das Hinzufügen von Wesensmerkmalen des zum Themawort gewordenen Begriffs Brandstiftung mit Hilfe eines Gattungsworts (Gefährdungsdelikt) und definierender Attribute (gemeingefährlich; mit hohen Strafen bedroht), wodurch die begriffliche Bedeutung des Themaworts in eine definierte Bedeutung überführt wird; ▶ das Hinzufügen von Differenzierungsmerkmalen des Begriffs mit Hilfe klassifizierender Attribute (schwere B.; besonders schwere B.; einfache B.; fahrlässige B.), wodurch die begriffliche Bedeutung hierarchisch strukturiert wird; ▶ das einheitliche Verwenden der Tempusform Präsens, deren atemporale Variante den begrifflichen Bestimmungen Allgemeingültigkeit verleiht (z. B. wird bestraft; setzt in Brand; liegt vor). Will man den Unterschied zwischen dem berichtenden und dem beschreibenden Stil an Gestaltungsprinzipien bzw. Gestaltqualitäten festmachen, so bieten sich die klassischen Gegensatzpaare ‚Konkretheit‘ vs. ‚Abstraktheit‘ sowie ‚Dynamik‘ vs. ‚Statik‘ an (Näheres dazu in 3.2). b) Arten textsortentypischer Formulierung von Thema und Teilthemen Die stilistischen Unterschiede zwischen beiden Beispieltexten (Texte 11 und 12) sind auch an thema- und themenstrukturbezogenen Formulierungsweisen erkennbar. Eine Erklärung für die Unterschiede liegt in der Zugehörigkeit der Texte zu verschiedenen Textsorten. Auf die Beispieltexte bezogen stehen sich zwei weitere Stilformen gegenüber: der journalistische Stil im Textsortenrahmen Medienbericht (Text 11) und der fachliche Stil im Textsortenrahmen Lexikonartikel (Text 12). Da der Artikel zum Fachgebiet Rechtswesen verfasst ist, kann die Stilkennzeichnung ‚fachlicher Stil‘ präzisiert werden. Es handelt sich hier um den juristischen Stil. Journalistischer Stil (Text 11) beruht u. a. auf ▶ dem Verwenden faktenbezeichnender Realienwörter (Eigennamen, Kalenderdaten, Zahlwörter u. a.), wodurch der Ereignisdarstellung Genauigkeit verliehen wird (Eigennamen im Beispieltext sind Ortsteilnamen: Berlin-Wilmersdorf; Straßennamen: Ahrweilerstraße; Personennamen: Gunnar Schupelius); ▶ dem Wiedergeben von recherchierter Rede, wobei deren Wortlaut originalgetreu (direkte Rede) oder vom Original abweichend (z. B. per indirekter Rede) übernommen werden kann (Beispiele für beide Redewiedergabeformen finden sich vor allem im letzten Abschnitt des Beispieltextes); ▶ dem Bevorzugen von gemeinsprachlicher Lexik, wodurch der Ereignisdarstellung Allgemeinverständlichkeit verliehen wird; ▶ dem Hinzufügen von Informationsquellen, die als „Glaubwürdigkeitssignale“ (Lüger 1995: 99) fungieren (hieß es bei der Polizei; sagte ein Sprecher); <?page no="49"?> 49 2.4 Kontextbezogenheit ▶ „anregenden Zusätzen“ (ebd.: 112), auch als Rezeptionsstimulantien oder Attraktivmacher bezeichnet, im Dienste von Interessantheit und Unterhaltsamkeit. Auf solcherart Zusätze (Wortspielereien, alltagssprachliche Formulierungen, Anspielungen u. a. m.) kann verzichtet werden, wenn dem Thema etwas Außergewöhnliches innewohnt, etwa wenn das Opfer des Brandanschlags ein bekannter Journalist ist (Text 11) oder der Brandstifter ein Feuerwehrmann. Juristischer Stil (Text 12) beruht u. a. auf ▶ dem Ersetzen von gemeinsprachlicher Lexik durch ein- und mehrgliedrige Termini aus dem Fachgebiet des Rechtswesens (Gefährdungsdelikt; Freiheitsentzug); ▶ dem Verwenden von gemeinsprachlicher Lexik mit fachsprachlicher Semantik (vgl. z. B. schwere B.; besonders schwere B.; fahrlässige B.); ▶ dem Herstellen intertextueller Beziehungen in Form von Verweisen auf Gesetzesgrundlagen mit Paragraphenzeichen (z. B. nach § 306a St GB ); ▶ dem Herstellen von Tatbestand-Rechtsfolge-Konstruktionen (vgl. Nussbaumer 2009: 2137), z. B. wegen schwerer B. wird- […] mit Freiheitsentzug nicht unter einem Jahr bestraft (=- Rechtsfolge)- - wer in Brand setzt: 1) ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude, 2) ein Gebäude, ein Schiff oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient-[…] (=-Tatbestand). Die aufgezeigten Verfahren und Mittel des juristischen Stils folgen dem Gestaltungsprinzip Genauigkeit. Zum Wie der Formulierung von Thema und Teilthemen gibt es- - andere Texte heranziehend- - noch einiges mehr zu sagen. So muss das Thema keinesfalls explizit und klar formuliert sein. Es kann auch angedeutet, versteckt, verdeckt oder verschwiegen werden. Andeuten des Themas: Andeutungen finden wir z. B. in Romantiteln wie „Die Klavierspielerin“ (Text 6). Hier wird lediglich die Hauptfigur sozial kategorisiert. Der Titel legt die Interpretation nahe: ‚Es geht um eine Klavierspielerin.‘ Andeutungen können ausgebaut werden, wie im Romantitel „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ (Roman von Jonas Jonasson). Hier wird jedoch nur der Inhalt des extrem kurzen ersten Kapitels komprimiert wiedergegeben. Verstecken des Themas: In Witzen und Bildwitzen (Text 7) ist das Thema in die Pointe eingearbeitet, quasi in ihr versteckt, und aus ihr zu erschließen. Ein geläufiges Witzthema sind ‚Missverständnisse‘. Verdecken des Themas: Beispiele für diese Gestaltungsmöglichkeit liefert die Werbekommunikation in großer Zahl. Dabei werden originelle Gestaltungsideen realisiert- - wie in einer Werbeanzeige für den Peugeot 806, in der das Themawort, d. h. der Produktname, in einen kindlichen, krakelig handgeschriebenen, orthographisch fehlerhaften „Erpresserbrief “ integriert worden ist-- ein weiterer Fall von Mustermischung (siehe Text 13): <?page no="50"?> 50 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Beispieltext 13: Werbeanzeige (als „Erpresserbrief“) Die „Erpressung“ ist bemerkenswerterweise großformatig zum Blickfang gemacht worden; ein kleinformatiges Foto zeigt eine zum Briefinhalt passende Straßenszene mit Kino und davor parkendem Auto, trägt also auch zum Verdecken des Themas bei. Häufiger sind indes Fälle, wo Blickfangbilder (Catch-Visuals) instrumentalisiert werden, um den Rezeptionsvorgang zunächst in eine andere Richtung zu lenken, etwa wenn in der Automobil-Werbung großformatig ein Goldfisch abgebildet ist, der aus einem kleinen Wasserglas in ein größeres springt. Barbara Sandig (2006: 354) sieht in solchen Gestaltungsweisen eine „thematische Irreführung“. Auf den Kommunikationsbereich bezogen, kann man auch von werbekommunikativen Travestien sprechen (vgl. Hoffmann 2012b: 188). Das Thema wird zwar v e rdeckt, soll aber dennoch e nt deckt werden. Verschweigen des Themas: Immer dann, wenn der Titel eines Textes keinerlei Hinweis auf das Thema gibt, liegt ein Verschweigen vor. So trägt eine Reisereportage über den Iran (Text 5) den Titel Niemand trägt ein Pokerface, dem man nicht den geringsten thematischen Fingerzeig entnehmen kann. Der Titel stellt sich als ein Zitat aus dem Haupttext heraus, als Wiedergabe einer Impression von den Menschen, die der Reporterin bei ihrer Reise durch den Iran begegnet sind. <?page no="51"?> 51 2.4 Kontextbezogenheit Alle diese Gestaltungsweisen haben letztlich zum Ziel, das Thema (vorerst) nicht offenzulegen, sondern zu verrätseln, Rätselhaftigkeit zu erzeugen. Das Gegenstück dazu ist die Klarheit der Themenformulierung. Doch wodurch erscheint uns ein Thema als klar formuliert? Klarheit hat sicher nicht unbedingt etwas mit Ausführlichkeit zu tun. Dem Titel des Romans „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ von Frank Witzel mangelt es gewiss nicht an Ausführlichkeit, doch klar ist er nicht. Klarheit hat mit Eindeutigkeit zu tun. Eine klare, d. h. eindeutige Formulierung des Themas kristallisiert sich z. B. in den Titeln wissenschaftlicher Texte (wie „Propaganda und Film im ‚Dritten Reich‘“ von Wolf Donner), in den Bezeichnungen von Speisen, die zu Themawörtern in den Überschriften von Kochrezepten geworden sind (Text 10: Pasta in der Parmesankruste), in den Betreffzeilen privater E-Mails (Unser Treffen am Wochenende) oder amtlicher Schreiben (Mieterhöhung zum 1. Februar). c) Arten hervorhebender Positionierung des Themas Klar oder rätselhaft formulierte Themen können hervorgehoben werden. Beim Gestaltungsakt des Hervorhebens können diverse Verfahren der Positionierung zum Einsatz kommen. Hervorgehoben werden kann ein Thema bspw., indem man es zum Titel auf den Einbänden von Büchern macht, indem man es in die Überschrift von Texten setzt (wie in Kochrezepten), indem man es in die Betreffzeilen privater E-Mails oder amtlicher Schreiben aufnimmt. Die hervorhebende Positionierung des Themas zeigt sich auch in folgenden Verfahren: Lemmatisieren des Themas: Das Thema wird zu einem Stichwort (Lemma) in Nachschlagewerken gemacht (siehe Text 12: Brandstiftung). Einbinden des Themas in eine Schlagzeile: Als Beispiel die Schlagzeile Brandstiftung in Berlin-Wilmersdorf (Text 11). Das Thema wird in Schlagzeilen häufig zusätzlich typographisch hervorgehoben (Fettdruck, größere Schrift). Flächendeckendes Wiederholen des Themas: Als Beispiel ein politischer Werbebrief (Text 14), der eine fortlaufende Wiederholung des Themas ‚Fusion von Berlin und Brandenburg‘ über die gesamte Textfläche hinweg aufweist. Man beachte die relevanten Wortgruppen, von denen die meisten die Toponyme Brandenburg und Berlin enthalten: Brandenburg und Berlin-- das stärkere Land Berlin-Brandenburg-- ein Land Berlin-Brandenburg- - dieses größere, stärkere Land- - für die ganze Region Berlin-Brandenburg- - in einem gemeinsamen Land Berlin-Brandenburg- - ein stärkeres Land Berlin-Brandenburg- - mit der Bildung eines gemeinsamen Landes-- für Berlin-Brandenburg-- gemeinsam mit Berlin. <?page no="52"?> 52 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Beispieltext 14: Politischer Werbebrief <?page no="53"?> 53 2.4 Kontextbezogenheit Mit diesem Werbebrief waren die Abstimmungsberechtigten des Bundeslandes Brandenburg angesprochen, beim Volksentscheid über die Fusion von Berlin und Brandenburg im Jahre 1996 mit Ja zu stimmen. Das flächendeckende Wiederholen des Themas folgt dem Gestaltungsprinzip Einprägsamkeit, steht aber noch in einem anderen Gestaltungszusammenhang, auf den unter d) eingegangen wird. Anders liegen die Dinge im Gedicht „markierung einer wende“ von Ernst Jandl (Text 8). Hier kann man zwar auch von einer flächendeckenden Wiederholung (hier des Substantivs krieg) sprechen, doch damit ist das Thema des Gedichts keinesfalls erfasst; es wird lediglich augenfällig angedeutet. d) Arten der Modalisierung von Thema, thematischen Einstellungen und Themenentfaltung Im Folgenden geht es um stilistische Einstellungen und ihr Verhältnis zu den thematischen Einstellungen. Man kann gegenüber thematischen Textinhalten eine positive oder negative Einstellung zum Ausdruck bringen, behauptete Textinhalte für ‚unbestreitbar‘, ‚wahrscheinlich‘ oder ‚falsch‘ halten, in die Zukunft weisende Textinhalte für ‚überflüssig‘, ‚wünschenswert‘ oder ‚notwendig‘ erklären usw. Es handelt sich um verschiedene Arten der Modalisierung thematischer Textinhalte, die Klaus Brinker (2010: 92) als „thematische Einstellungen“ bezeichnet (in Analogie zu den propositionalen Einstellungen in der Sprechakttheorie). Sie verdienen auch in stilistischer Hinsicht Aufmerksamkeit, da ihr Vorkommen auf das Gestaltungsprinzip Subjektivität verweist, ihr Fehlen demzufolge auf das Gestaltungsprinzip Objektivität. Subjektivität und Objektivität repräsentieren einen anderen Einstellungstyp. Sie gelten als stilistische Einstellungen, als einstellungsbekundende Gestaltungsprinzipien. Um den Unterschied, aber auch den Zusammenhang zwischen thematischen und stilistischen Einstellungen deutlicher zu erkennen, werfen wir nochmals einen Blick auf den politischen Werbebrief von Manfred Stolpe (Text 14). In diesem Text nimmt der Textproduzent mit dem Hauptsatz Ich bin für ein Land Berlin-Brandenburg prononciert Stellung zur geplanten ‚Länderfusion von Berlin und Brandenburg‘ (als Textthema). Er modalisiert das Thema mit dem Ausdrücken einer positiven Einstellung, indem er seine Zustimmung artikuliert. Zugleich fällt auf, dass dieser Satz dreimal hintereinander wiederholt wird, insgesamt also viermal vorkommt, wobei jedes Mal ein weil-Satz folgt, mit dem die Texthandlung ARGUMENTIEREN ausgeführt wird. Mit dieser auffälligen Wiederholung von Ich bin für ein Land Berlin-Brandenburg, die sich als Kombination der Stilfiguren Anapher und Parallelismus beschreiben lässt, wird nicht das Thema, sondern die thematische Einstellung ‚Zustimmung‘ modalisiert. Der Textproduzent gestaltet seine Zustimmung eindringlich. Zustimmung ist eine thematische, Eindringlichkeit eine stilistische Einstellung. Ähnliches kommt in der zweiten Texthälfte vor. Mit dem Hauptsatz Es ist einfach wahr modalisiert der Textproduzent den Inhalt des Nebensatzes daß ein stärkeres Land Berlin-Brandenburg sich-[…] besser behaupten kann dergestalt, dass er ihn für ‚unbestreitbar‘ hält. Der Textproduzent artikuliert Gewissheit. Und auch bei dieser Textpassage wird die thematische Einstellung mehrfach hintereinander ausgedrückt und somit eindringlich gemacht. Halten wir fest: Es gibt Einstellungen verschiedenen Typs: thematische und stilistische Einstellungen. Vom Vorkommen oder Fehlen thematischer Einstellungen hängt ab, ob Texte, <?page no="54"?> 54 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Teiltexte, Textpassagen von Subjektivität oder Objektivität als stilistischen Einstellungen geprägt sind. Während es Arten thematischer Einstellungen in überschaubarer Zahl gibt, ist dies bei stilistischen Einstellungen mitnichten der Fall. Es gibt zu viele Nuancen, und eine immense Schwierigkeit besteht darin, sie voneinander abzugrenzen und systematisch zu erfassen. Eine Möglichkeit, zu einer gewissen Systematik zu gelangen, sehen wir darin, die Einstellungsbegriffe Subjektivität und Objektivität textsorten-/ textgattungsbezogen zu differenzieren. Erscheinungsformen von Objektivität sind dann etwa die Sachbetontheit wissenschaftlicher und behördlicher Texte oder die Tatsachenbetontheit journalistischer Texte (Meldung, Medienbericht, Sachinterview). Erscheinungsformen von Subjektivität sind demgegenüber die Meinungsbetontheit journalistischer Texte (Kommentar, Kritik, Meinungsinterview), die Feierlichkeit liturgischer Texte (Psalm, Hymne, Segensgebet) und die Erlebnisbetontheit schildernder, Eindrücke wiedergebender Texte. Eine Systematisierungsmöglichkeit sehen wir auch darin, stilistische Einstellungen nach dem Verhältnis von Sagen (Äußern) und Meinen zu differenzieren, denn sie können ernst oder unernst gemeint sein. Es sind folgende Fälle zu unterscheiden: 1. Was ernst formuliert ist, soll als ernst gemeint aufgefasst werden. Stilistischer Ernst kann u. a. als Eindringlichkeit oder Strenge in Erscheinung treten. 2. Was unernst formuliert ist, soll als unernst gemeint aufgefasst werden. Erscheinungsformen von stilistischem Unernst sind u. a. Scherzhaftigkeit, Spaßigkeit und Spott. 3. Was ernst formuliert ist, soll als unernst gemeint aufgefasst werden, und umgekehrt. In diesen Fällen handelt es sich um Ironie, die auch mit Spott einhergehen kann. Zahlreiche Erscheinungsformen von stilistischem Unernst sind besonders interessant, da sie auf gestalterischer Kreativität beruhen. Schauen wir uns einzelne Beispiele an. Ein probates Mittel zum Erzeugen von Unernst trägt die terminologische Bezeichnung Aprosdoketon: der unvermittelte, unvorhersehbare, durchaus nicht immer unerwartete Wechsel (siehe Witze) hin zu einem inkongruenten Textelement, d. h. zu einem Textelement, das im Widerspruch steht zu kommunikativen Gepflogenheiten, kommunikativen Normen, auch alltagslogischem Wissen, indem es z. B. Frame-Ordnungen stört. Solcherart Textelemente zum Erzeugen von stilistischem Unernst sind demnach kommunikative „Ordnungswidrigkeiten“ verschiedener Art. Es versteht sich, dass die Pointen von Witzen als Aprosdoketa beschreibbar sind. Aber auch Anspielungen (Allusionen) können aprosdoketisch gestaltet sein-- wie der Titel eines Fernsehfilms beweist: „Einer für alle, alles im Eimer“ (Premiere im ZDF , 15. 10. 2015, 20.15 Uhr). An der Gestaltung dieses Titels waren zwei Gestaltungsakte beteiligt: zum einen das Verdunkeln des Themas, zum anderen das Unernst-Machen des Titels. Der antimetabolisch gestaltete Wahlspruch der „Drei Musketiere“ im Roman von Alexandre Dumas (Einer für alle, alle für einen! ), der als geflügeltes Wort zu den phraseologischen Zitaten gehört, wurde durch ein Aprosdoketon verballhornt: durch den inkongruenten, saloppsprachlichen Phraseologismus im Eimer sein. Der Terminus „Formelbruch“, den Richard M. Meyer (1913: 39) verwendet, bringt diesen aprosdoketischen Fall auf den Punkt. Der zur Formel gewordene Spruch wird unernst gebrochen, und der Bruch ist unernst gemeint. <?page no="55"?> 55 2.4 Kontextbezogenheit Andere Beispiele für eine aprosdoketische Gestaltung finden sich- - wie sollte es anders sein- - in der Werbekommunikation. Eine Anzeige, mit der die Satirezeitschrift „Eulenspiegel“ vor einigen Jahren Abonnenten werben wollte, hob sich durch das Herausstellen von scheinbaren Mängeln des Produkts aus der Fülle von Werbetexten heraus. DAS SATIREMAGAZIN wird dem Ernst des Lebens in keiner Weise gerecht, unterstützt Politiker und andere geeignete Personen in ihrem Bemühen, sich lächerlich zu machen, verzerrt die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit. Beispieltext 15: Werbeanzeige (Abschrift des Fließtextes) Wie man bemerkt, enthält jede einzelne Äußerung ein Aprosdoketon: in keiner Weise statt in jeder Weise; sich lächerlich machen statt sich für das Volk einsetzen; Kenntlichkeit statt Unkenntlichkeit. Eingeschliffene (automatisierte) Formulierungen werden durch inkongruente Textelemente zu kommunikativ „ordnungswidrigen“ und somit entautomatisierten Formulierungen. Was unernst formuliert ist, ist hier aber-- satiregemäß-- ernst gemeint. Im Unterschied zu Werbeanzeigen ist im Muster der journalistischen Textsorte Glosse stilistischer Unernst angelegt. Das sei an einem Exemplar dieser Textsorte untersucht. Matthies meint Teile des BER in Betrieb Berlin hat bekanntlich zwei ganz große Baustellen: den Flughafen und die Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Beim Blick auf die jeweiligen Größenordnungen schwant auch dem Laien: Beides auf einmal geht schlecht. Aber wie wäre es, wenn wir uns auf die Suche nach den vielbeschworenen Synergien machen? Ja klar, die einschlägigen Witze haben wir hinter uns, es wird keine Feldbetten am Gepäckband geben und keine Suppenküche im Empfangsgebäude. Aber umgekehrt geht was: Soeben wurden eingelagerte Flughafen-Sitzbänke geholt, um den Wartebereich im neuen Bearbeitungszentrum Bundesallee ein wenig wohnlicher zu gestalten. Das ist zumindest gut gedacht, denn wer mal ein paar Nächte unfreiwillig auf diesen Spezialmöbeln zugebracht hat, der weiß, wie perfekt sie die Kombination von Anziehung und Abschreckung verkörpern: Man setzt sich ahnungslos rein, die Stunden vergehen, und plötzlich tut der Rücken weh wie Sau. Und wer drauf übernachtet, braucht Bandscheiben aus Stahl. Aber was bedeutet das für den Flughafen? Wird er nun ausgeschlachtet wie ein rostiges Auto, bis es dann so um 2019 herum heißt, nun sei der Rest auch nix mehr wert? In der Bundesallee können sie zweifellos noch mehr von diesen Sachen gebrauchen, zum Beispiel die Empfangs-Counter, an denen sympathische Uniformierte beim Einchecken das Gepäck wiegen, einsammeln und gleich direkt zur nächsten Notunterkunft schicken könnten, Irrläufer in Richtung Sydney oder Kassel-Calden eingeschlossen. <?page no="56"?> 56 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Auch das Anzeigesystem mit den großen Bildschirmen ließe sich nutzen: Lageso drei Tage verspätet, Wohnheim in Hellersdorf gecancelt, Busse nach Brandenburg: Boarding hat jetzt begonnen. Wenn selbst ein lendenlahmer Flughafen wie Tegel jedes Jahr drölfzig Millionen Menschen korrekt durchschleust, sollte die ungenutzte BER-Infrastruktur ja allemal mit ein paar hunderttausend Flüchtlingen zurechtkommen. Das Ganze wäre jedenfalls eine zivile Variante und viel anheimelnder als das Sozialamts- Outfit der vorhandenen Ämter - zumal, wenn wir pensioniertes Bodenpersonal für den Betrieb gewinnen können. Die Leute sind sprachgewandt und nervenstark, verströmen Autorität und Weltgewandtheit. Das sollte für ein paar Jahre reichen. Falls dann doch noch jemand den BER in Betrieb nehmen möchte, schaffen wir einfach das Zeug aus Tegel in die Bundesallee. Beispieltext 16: Glosse Potsdamer Neueste Nachrichten, 10. 10. 2015, 1. Bereits die Schlagzeile Teile des BER in Betrieb entpuppt sich als thematische Irreführung, denn wir erfahren aus dem Haupttext, dass es nicht um den immer noch seiner Eröffnung harrenden Hauptstadtflughafen BER geht, sondern um die Umsetzung von Terminalmobiliar (eingelagerte Flughafensitzbänke) in den Wartebereich im neuen Bearbeitungszentrum Bundesallee, einer Behörde zur Registrierung von Flüchtlingen. Eine ernst formulierte Schlagzeile wird durch den Haupttext unernst gemacht, zwischen Schlagzeile und Haupttext konstituiert sich ein „textlicher Widerspruch“, der als Indikator von Ironie gilt (vgl. Plett 2001: 122). Zu seinem Thema ‚Zweckentfremdung von Terminalmobiliar‘ formuliert und begründet der Textproduzent zwei Thesen; er entfaltet das Thema also argumentativ. Schauen wir uns die beiden Thesen und ihre Begründung näher an. These 1: Das Motiv der Aktion, den Wartebereich im Bearbeitungszentrum wohnlicher zu gestalten, ist zumindest gut gedacht. Wir registrieren zwar zunächst eine positive Haltung (gegenüber der Aktion) als thematische Einstellung, die von Ernst als stilistischer Einstellung geprägt zu sein scheint, doch die mit der Konjunktion denn angeschlossene Begründung (denn die Möbel verkörpern perfekt die Kombination von Anziehung und Abschreckung) offenbart das ganze Gegenteil. Was als Lob formuliert ist, stellt sich als Tadel heraus. Der Wechsel von Lob zu Tadel ist aprosdoketisch gestaltet: Während die Wörter perfekt und Anziehung noch Wörter mit positiver Wertung sind, folgt mit dem unvermittelt angeschlossenen Wort Abschreckung ein negativ wertendes Wort. Auch zwischen These 1 und ihrer Begründung konstituiert sich somit ein textlicher Widerspruch. These 2: In der Bundesallee können sie zweifellos noch mehr von diesen Sachen gebrauchen. Wir registrieren die thematische Einstellung ‚Gewissheit‘ (Indikator: das Modalwort zweifellos), die ebenfalls stilistisch ernst formuliert ist. Der textliche Widerspruch zwischen These <?page no="57"?> 57 2.4 Kontextbezogenheit 2 und ihrer Begründung gibt sich aber hier auf eine andere Weise zu erkennen. Es wird der Vorschlag unterbreitet, pensioniertes Flughafenpersonal zu rekrutieren, weitere Ausstattungsgegenstände des Terminals (Empfangs-Counter; Anzeigensystem mit großen Bildschirmen) für die Bearbeitung von Flüchtlingsanliegen einzusetzen und dabei die Flughafensprache zu adaptieren (vgl. Wohnheim in Hellersdorf gecancelt u. a.). Das aber widerspricht dem gesunden Menschenverstand und kann deshalb nur unernst gemeint sein. Stilistischer Unernst erfasst in diesem Text die gesamte argumentative Themenentfaltung. Das Muster der journalistischen Textsorte Glosse sieht ‚spöttische Ironie‘ als stilistische Einstellung vor, eine „distanziert-spöttische Modalität“ (Lüger 1995: 137). Glossen werden auch als eine Textsorte beschrieben, in deren Muster Paradoxie und Nonsens angelegt sind (vgl. Schalkowski 1998: 314). Auch das sind zweifellos Erscheinungsformen von stilistischem Unernst; sie sind aber im Textsortenrahmen Glosse dem Gestaltungsprinzip Ironie untergeordnet. Doch woran ist ‚Spott‘ erkennbar, und wogegen richtet er sich eigentlich? Glossisten stehen vor einer ziemlich komplizierten Aufgabe. Sie müssen erstens in menschlichem Handeln und Verhalten einen „komischen Widerspruch“ (Pötschke 2010: 268 f.) entdecken und zum Thema machen: eine Diskrepanz etwa zwischen postulierter Stärke und tatsächlicher Schwäche, zwischen erhobenem Anspruch und der Aussichtslosigkeit seiner Verwirklichung, zwischen erklärter Absicht und erzieltem Ergebnis oder-- wie im Beispieltext-- zwischen Handlungsziel und Handlungsmitteln. Glossisten müssen zweitens den thematisierten komischen Widerspruch zum Spottobjekt, zur Zielscheibe von Spott als stilistischer Einstellung machen. Dabei bewährt sich der Gestaltungsakt des Ironisierens und diesem Zusammenhang ein spezielles Ironiesignal: das Konstruieren textlicher Widersprüche (im Beispieltext zwischen Schlagzeile und Haupttext sowie zwischen den Thesen und ihrer Begründung). Durch den Gestaltungsakt des Ironisierens wird das Thema verdeckt und der Widerspruch der Lächerlichkeit preisgegeben. Glossen sind satirische Texte. Weiteres zu Ironie und Satire in 3.1.2. Wer sich im Beispieltext auf die Suche nach Indikatoren von stilistischem Unernst begibt, die nicht als Ironiesignale fungieren, findet u. a. auch noch dies: ▶ ein texteröffnendes Zeugma: Berlin hat zwei Baustellen: den Flughafen und die Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen; ▶ drastische Vergleiche und Metaphern: wehtun wie Sau; den Flughafen ausschlachten wie ein rostiges Auto; ein lendenlahmer Flughafen; ▶ eine scherzhafte Wortschöpfung: die Wortkreuzung (Kontamination) drölfzig (vgl. drölfzig Millionen), gebildet offenbar aus den Zahlwörtern drei, zwölf und zwanzig o. Ä., mit der Bedeutung ‚unbestimmter, größerer Zahlbegriff ‘. <?page no="58"?> 58 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil DISKUSSION Um stilistische Einstellungen terminologisch zu fixieren, werden in der Literatur auch die Begriffe Interaktionsmodalität und Kommunikationsmodalität verwendet. Sind das alles Synonyme? Unter ‚Interaktionsmodalität‘ wird „die Geltungsweise von Redeteilen“ verstanden, „mit der der Sprecher eine bestimmte Einstellung zum Gesagten ausdrückt, aber auch die Art der Interaktion definiert“ (Schwitalla 1997: 185). Während ‚Interaktionsmodalität‘ vor allem eine gesprächsstilistische Kategorie ist, erfasst der Begriff Kommunikationsmodalität Einstellungen, die textstilistisch relevant sind, die einen Text insgesamt prägen (vgl. Lüger 1995: 105). Bei beiden Bestimmungen bleibt offen, ob nicht auch thematische Einstellungen unter die Begriffe subsumierbar sind. Beide Bestimmungen lassen dies aber zu. Insofern können die beiden Termini als Oberbegriffe für thematische wie stilistische Einstellungen verwendet werden. 2.4.2.3 Textarchitektur: Stil als das Wie textarchitektonischer Gestaltung Mit der Vertextungsebene Textarchitektur kommt der äußere Aufbau eines Textes als Gestaltungsobjekt in das Blickfeld, d. h. die Gliederung eines Textes in visuell voneinander absetzbare Teiltexte (Textbausteine). Der Begriff Textarchitektonik erfasst im Unterschied dazu eine ganzheitliche Gestaltungsweise, nämlich die Art und Weise, wie sich die Fläche eines Textes in einzelne Bausteine aufgeteilt präsentiert, wie sich die Bausteine zu einem Ganzen zusammenfügen. Aus der Ganzes-Teil-Relation geht zugleich hervor, welcher Art die Textbausteine sind. Textarchitektonische Gestaltungsweisen sind Stilgestalten (vgl. zu diesem Begriff 2.3.1). Das allgemeine Gliederungsprinzip der visuellen Gliederung konstituiert eine formale Gestaltqualität; die Textbausteine bilden die Gestalteinheiten. Zahlreiche Textarten (Textsorten, Textgattungen) weisen textarchitektonische Charakteristika auf, sodass die Textarchitektonik zum Indikator der Textart wird. Wir stellen einiges in einer Übersicht zusammen. Textart (Textsorte / Textgattung) Textarchitektonik: Gefüge aus textarttypischen Textbausteinen Comics Mosaik aus Bildkästchen (Panels) - Sprech- und Denkblasen Dramentexte Prolog - Akt (Aufzug) - Szene (Auftritt / Bild) - Epilog Fahrpläne, Kalender, Programmübersichten u. a. Tabelle mit Spalten (vertikal) und Zeilen (horizontal) Fragebögen, Formulare Erfragte Angaben - vorgezeichnete leere Antwortfelder Gesetzestexte Präambel (Initialteil) - Paragraphensequenz (Textkern) - Datierung (Terminalteil) Hypertexte Startseite - Navigationsleiste - Hyperlinks - verlinkte Module Journalistische Texte (Medienberichte, Porträts, Reportagen u. a.) Schlagzeile - Lead (Vorspanntext) - Haupttext Lyrische Texte Strophe - Verszeile (bei Liedern Strophen auch als Refrain) <?page no="59"?> 59 2.4 Kontextbezogenheit Textart (Textsorte / Textgattung) Textarchitektonik: Gefüge aus textarttypischen Textbausteinen Offizielle Sachbriefe (vgl. Heinemann / Viehweger 1991: 162 ff.) Briefkopf (Initialteil) - Briefkern (Textkern) - Briefschluss (Terminalteil) Veranstaltungsflyer (vgl. Androutsopoulos 2000) TEAM (Veranstalter) - MOTTO (Veranstaltungstitel) - AKTEURE (Mitwirkende) - DATEN (Ort, Zeit, Eintrittspreis u. a.) - SPONSO- REN (Geldgeber) - VISUAL (Bildelement) Werbeanzeigen (vgl. Janich 2010: 53 ff.) Schlagzeile - Fließtext - Slogan - Produktname - Bildelemente Wissenschaftliche Aufsätze Abstract - Inhaltsverzeichnis (i. d. R. nach dem Dezimalsystem in Abschnitte und Unterabschnitte gegliedert) - Erörterung - Literatur- und Quellenverzeichnis - Fuß- oder Endnoten (Anmerkungen) Tab. 7: Zusammenhänge zwischen Textart und Textarchitektonik Textbausteine können sich unterscheiden durch die Art ▶ ihrer Platzierung (siehe z. B. Abstract, Briefkopf, Präambel, Prolog); ▶ ihrer geometrischen Form (siehe z. B. Felder, Panels, Spalten, Sprech- und Denkblasen); ▶ ihrer Verknüpfung (siehe z. B. Akt / Szene, Tabelle / Spalte, verlinkte Module) ▶ ihrer proportionalen Verhältnisse (siehe z. B. Erörterung als Haupttext und Fußbzw. Endnoten als Nebentexte in wissenschaftlichen Aufsätzen). Textbausteine können rein textthematisch bestimmt sein, wie man am Beispiel der Textsorte Veranstaltungsflyer sehen kann. Fast jeder Baustein repräsentiert in diesem Rahmen ein anderes Teilthema. Die Einbettung in den Gestaltungsrahmen einer Textart bringt aber auch Zusammenhänge mit der pragmatischen oder poetischen Ausrichtung der Bausteine zum Vorschein (siehe z. B. die Bausteine von Werbeanzeigen und Dramentexten). Was die pragmatische Ausrichtung betrifft, so kann jeder Baustein zum Träger einer anderen Texthandlung werden. Als Beispiele jeweils ein Exemplar der miteinander verwandten Textsorten Rezension (Text 17) und Literaturkritik (Text 18). Katrin Beckers. 2012. Kommunikation und Kommunizierbarkeit von Wissen. Prinzipien und Strategien kooperativer Wissenskonstruktion. Berlin: Erich Schmidt Verlag. 408 Seiten. 59,80 €. ISBN 978-3-503-13711-4 Im Fokus der Monographie, der eine Dissertation von 2010 an der RWTH Aachen zugrunde liegt, stehen „die wesentlichen Relationen und Interdependenzen, die zwischen Wissen, Kommunikation und Wissenstransfer“ (S. 10) bestehen. Einbezogen in die theoretisch weit gespannte Studie, die sich als ein Beitrag zur Transferwissenschaft im Sinne Sigurd Wichters und Gerd Antos‘ versteht, sind sowohl die mündliche Alltagskommunikation als auch die Text-Leser- Interaktion im Bereich des schriftlich vermittelten Wissenstransfers. Der Autorin sind dabei laut Einleitung makro- und mikroanalytische Perspektiven gleichermaßen wichtig, ebenso wie die Differenzierung von „wissenskonstitutiven, wissensvermittelnden, wissensrepräsentierenden und wissensproduzierenden Funktionen von Sprache und Kommunikation“ (S. 10). Beispieltext 17: Rezension (Auszug) Zeitschrift für Angewandte Linguistik, H. 61 (2014), 153. <?page no="60"?> 60 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Seltsame Idee, die Trauer über den Tod des Vaters mit der Zähmung eines Habichts zu bekämpfen. Doch wenn der Vater Falkner war … So hat Helen Macdonald nicht nur den Habicht Mabel abgerichtet, sondern auch ein Buch darüber geschrieben, das manchmal allzu gefühlsstark ist, aber so ziemlich das Beeindruckendste, das man über Falknerei, die Leidenschaft zum Birdwatching, vor allem über unseren Umgang mit der Natur lesen kann. Eine Art Leidenschaftsroman, gegen den „Fifty shades of grey“ eine graue Maus ist, die der Habicht glatt wegputzt! H WIE HABICHT Helen Macdonald, allegria, 20 Euro Beispieltext 18: Literaturkritik Das Magazin, Nr. 11 / 2015, 105. Rezensionen haben als wissenschaftliche Textsorte keine Überschrift, sondern eine dem Haupttext vorangestellte Titelansetzung. Mit diesem Textbaustein wird die Texthandlung MITTEILEN von bibliographischen Angaben vollzogen. Mitgeteilt werden: Name des Autors, Erscheinungsjahr, Titel des Buches, Verlagsort, Umfang und Preis usw. Bei Literaturkritiken als journalistischer Textsorte (mitunter auch als Rezension bezeichnet) finden wir die Titelansetzung in verkürzter Version am Textende. Ein weiterer Unterschied: Kritiken können mit einer Überschrift in Form einer Schlagzeile versehen sein, die eine wesentliche Information des Haupttextes vorwegnimmt. Es geht aber auch ohne diesen Baustein, wie der Beispieltext beweist. Der Haupttext von Rezension und Literaturkritik wird zum Träger der eigentlichen Texthandlung, die im BEURTEILEN des wissenschaftlichen oder poetischen Werts einer Publikation besteht. Ein textarchitektonisches Merkmal ist der ungleiche Umfang der Bausteine. Das BEURTEILEN beansprucht fast die gesamte Textfläche. Erwähnenswert sind ferner textarchitektonische Gestaltungsweisen, die besonders markant in Erscheinung treten, z. B. das Basilika-Layout und der Cluster-Text. a) Basilika-Layout Die Gestalteinheiten bestehen hier aus einer breiten Mittelspalte, die von zwei schmalen Spalten flankiert wird. Das Layout trägt eine metaphorische Bezeichnung, inspiriert von der <?page no="61"?> 61 2.4 Kontextbezogenheit Basilikaform vieler Kirchen. Die Gestaltungsweise ist aber auch Ergebnis einer Anpassung an das horizontale Bildschirmrechteck, das an die Stelle des vertikalen Rechtecks von Printerzeugnissen getreten ist (vgl. Große 2001: 112 f.). Wir finden dieses Layout u. a. im Online- Journalismus und auf den Service-Portalen von Behörden. Beispieltext 19: Hypertext (Startseite) https: / / finanzamt-marburg-biedenkopf.hessen.de (17. 01. 2017, 13: 30 Uhr). <?page no="62"?> 62 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil b) Clustertext Beispieltext 20: Medienbericht Berliner Zeitung, 02.-04. 10. 2015, 5. <?page no="63"?> 63 2.4 Kontextbezogenheit Clustertexte werden sowohl im Printals auch im Online-Journalismus produziert. Kennzeichnend für das Clusterprinzip ist die Segmentierung eines journalistischen Langtextes in mehrere kurze Texte. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten (vgl. Bucher 1996: 44 ff.): ▶ die thematische Segmentierung (die Clustereinheiten werden zum Träger von Teilbzw. Subthemen); ▶ die funktionale, d. h. pragmatische Segmentierung (die Clustereinheiten werden zum Träger verschiedener Texthandlungen); ▶ die perspektivische Segmentierung (die Clustereinheiten werden zum Träger verschiedener Sichtweisen auf ein und dasselbe Thema). Auf den Beispieltext trifft die thematische Segmentierung zu: die Segmentierung des Themas ‚Ergebnisse einer Studie zur Inklusion behinderter Kinder‘ in mehrere Teilthemen. An die Stelle eines journalistischen Langtextes sind elf Clustereinheiten getreten: ▶ Ein Einleitungsblock: Genannt werden der Titel der Studie („Jedes Kind ist anders“), der Auftraggeber (Konrad-Adenauer-Stiftung), der Untersuchungsgegenstand (Einstellungen von Eltern behinderter Kinder) u. a. m. ▶ Sechs Frage-Antwort-Komplexe: Die Ergebnisse der Studie werden in einer interviewähnlichen Frage-Antwort-Struktur präsentiert. Solche Strukturen sind Gestaltungsprodukte des Dialogisierens (vgl. Sandig 2006: 212). ▶ Drei Diagramme: Sie veranschaulichen Ergebnisse der Studie. Das Teilthema ‚Exklusionsquoten‘ wird in der Form eines Säulendiagramms präsentiert, das Teilthema ‚Vorteile gemeinsamen Lernens‘ in der Form eines Balkendiagramms und das Teilthema ‚Förderschwerpunkte‘ in der Form eines Tortendiagramms. ▶ Ein Textkasten mit angedeuteter Umrandung: Er enthält ein Zitat aus der Studie, zusätzlich typographisch hervorgehoben mittels größerer und kursivierter Schrift. Der Clustertext umfasst fünf Zeitungsspalten. In der sechsten Spalte rechts findet sich ein Kurzbericht über den Stand der Diskussion zum Thema ‚Inklusion‘ in der Hauptstadt Berlin (siehe Spaltentitel BERLIN ). Dieser Text gehört nicht zum Clustertext i.e.S., hat einen anderen Autor, steht aber in einem engen thematischen Zusammenhang mit dem Clustertext. Verbindendes Themawort ist Inklusion. Der Lead ragt über die fünfte Spalte hinaus, in die sechste Spalte hinein und stellt die Zusammengehörigkeit her. Abschließend sei vermerkt, dass der Zusammenhang zwischen den einzelnen textarchitektonischen Einheiten auch mittels Stilfiguren hergestellt werden kann. So können aufeinander folgende Absätze, Abschnitte, Strophen, Kapitel eines Textes mit dem gleichen Wortlaut beginnen und / oder eine parallele Satzstruktur aufweisen. Man spricht dann von einer architektonischen Anapher bzw. einem architektonischen Parallelismus (vgl. Riesel / Schendels 1975: 268 f.). <?page no="64"?> 64 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil 2.5 Motiviertheit 2.5.1 Gestaltungsmotive Stil ist interpretierbar im Hinblick auf ein Wozu, lesen wir bei Barbara Sandig (1995: 28). Die bisherigen Beispielanalysen haben eine Reihe von Gestaltungsideen und Gestaltungsprinzipien zutage gefördert, zuletzt das Clusterprinzip (Text 20). Die Frage nach dem Wozu von Gestaltungsweisen haben wir noch nicht gestellt: Zu welchem Zweck wurde die Texthandlung oder das Textthema oder die Textarchitektur so und nicht anders gestaltet? Oder anders gefragt: Welches Motiv liegt der Gestaltung zugrunde? Welchen Sinn hat die Gestaltung? Welchen Sinn hat es z. B., einen journalistischen Langtext in mehrere Kurztexte zu segmentieren? Der Sinn liegt hierbei offensichtlich in der Einflussnahme auf den Rezeptionsprozess. Clustertexte sind gegenüber Langtexten rezeptionsstimulierende Texte. Sie kommen dem Rezeptionsverhalten der Leserschaft in der gegenwärtigen Medienwelt entgegen. „Während der Langtext den Leser vor eine Alles-oder-Nichts-Entscheidung stellt- - durchlesen oder weiterblättern-- macht ihm die Clusterpräsentation ein Selektionsangebot.“ (Bucher 1996: 44) Bei jeder Gestaltungsidee, bei jedem Gestaltungsprinzip kann nach dem stilistischen Sinn bzw. nach dem Gestaltungszweck oder -motiv gefragt werden. So liegt dem Prinzip Knappheit (siehe u. a. Text 1) u. a. das Motiv zugrunde, Platz und damit Geld zu sparen, und dem Prinzip Anpreisung (siehe Text 2) das Motiv, Rezipienten persuasiv zu beeinflussen. Die Frage nach den Motiven des Gestaltens ist außerhalb eines konkreten Gestaltungsrahmens kaum zu beantworten. Fragt man z. B. nach dem Motiv hinter dem Prinzip Anschaulichkeit, erkennt man schnell, dass die Antwort von der Textsortengebundenheit des Einzeltextes abhängt. Anschaulichkeit dient in Lehrbuchtexten sicher der Erkenntniserleichterung. In Reportagen hingegen hat Anschaulichkeit den Zweck, plastische Vorstellungen vom Schauplatz und von den Menschen vor Ort hervorzurufen (siehe Text 5). In epischen Texten (z. B. Romanen) wird mit Anschaulichkeit u. a. bezweckt, Figuren zu charakterisieren (siehe Text-6). Es mag nicht vordergründig wichtig sein, wie man das stilistische Wozu bezeichnet, ob als Gestaltungszweck, als Gestaltungsmotiv oder als stilistischen Sinn. Wichtig ist aber auf jeden Fall, dass die Frage nach dem Wozu stiltheoretisch berücksichtigt und stilanalytisch gestellt wird, dass Wie-Wozu-Relationen hergestellt werden, denn ohne sie erschiene die Zielausrichtung von Gestaltungsakten als Selbstzweck. Wir haben indes zu berücksichtigen, dass sich Formgebung immer mit Sinngebung verbindet, und müssen demzufolge das allgemeine Muster Gestalten (siehe 2.2.1) vervollständigen, indem wir eine gestaltungsmotivische Komponente aufnehmen (siehe Tab. 8). Motivische Komponente Finale Komponente Prozedurale Komponente Instrumentale Komponente Gestaltungsmotive Gestaltungsprinzipien Gestaltungsideen Gestaltungsverfahren Gestaltungsmittel Tab. 8: Komponenten des Musters Gestalten (ergänzt) <?page no="65"?> 65 2.5 Motiviertheit Bei der systematischen Erfassung stilistischer Wie-Wozu-Relationen kann insbesondere die pragmatische Stilistik, die Gestaltungsakte und Gestaltungsweisen in den Kontext textkommunikativen Handelns stellt, einige Ergebnisse vorweisen (vgl. Sandig 1986: Kap. 2; dies. 2006: Kap. 1; auch Hoffmann 1987a). Gestaltungsmotive, die dem Stil von pragmatischen Texten zugrunde liegen, können jedoch nicht ohne weiteres auf poetische Texte übertragen werden. In der poetischen Textkommunikation gelten auch in gestaltungsmotivischer Hinsicht andere Regularitäten (Näheres in 2.5.3 f.). Dies wird von der pragmatischen Stilistik gemeinhin ausgeblendet. Die folgenden Abschnitte haben zum Ziel, eine Reihe von Gestaltungsmotiven anhand von Beispielanalysen zu beschreiben. Zunächst wird die gestaltungsmotivische Seite von pragmatischen Texten beleuchtet. 2.5.2 Gestaltungsmotive in der pragmatischen Textkommunikation In der pragmatischen Textkommunikation leitet sich ein generelles Gestaltungsmotiv aus dem Situationskontext eines Textes ab. Stil-- so hatten wir festgestellt (siehe 2.4.1)-- kann an situative Kontexte angepasst, auf sie zugeschnitten werden. Und das heißt auch: Stil kann sich den Kommunikationsteilnehmern anpassen, auf sie zugeschnitten werden, die mit ihrer Kommunikationspartnerschaft zugleich einen Situationsrahmen konstituieren. Neben diesem generellen Gestaltungsmotiv gibt es besondere Motive, je nachdem, ob der Stil auf den Textproduzenten, den Textrezipienten (bzw. Adressaten) oder die Beziehung zwischen Textproduzent und Textrezipient (Adressat) zugeschnitten wird. 2.5.2.1 Selbstpräsentation des Textproduzenten: Rollengestaltung, Imagepflege, Individualitätsbekundung Bei der Selbstpräsentation des Textproduzenten lassen sich verschiedene Aspekte unterscheiden. Vordergründig kann die soziale bzw. kommunikative Rolle werden, die der Textproduzent einnimmt bzw. einzunehmen hat, aber auch dessen Selbstbild (Image) und nicht zuletzt dessen Individualität. a) Rollengestaltung Die Frage lautet: In welcher sozialen bzw. kommunikativen Rolle präsentiert sich der Textproduzent, und wie wird die jeweilige Rolle durch den Stil angezeigt? In der institutionellen Kommunikation z. B. ist es üblich, dass der Textproduzent seinen vollständigen Namen nennt und seinen Amtstitel hinzufügt. Als Beispiel: Manfred Stolpe / Ministerpräsident (Text 14). Allein durch diese Verfahren wird ein amtlicher Stil hergestellt. Der Textproduzent präsentiert sich als Amtsperson (und nicht als Privatperson). Ein weiteres Verfahren zum Erzeugen von Amtlichkeit besteht darin, dass Personennamen durch die Namen von Institutionen ersetzt werden. Als Beispiel: Finanzamt Marburg-Biedenkopf (Text 19). Der Textproduzent präsentiert sich als Institution (und nicht als Einzelperson). <?page no="66"?> 66 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Rollengestaltung ist für alle rituellen Zeremonien (Gottesdienst, Staatsbesuch, Amtseinführung u. a.) von großer Bedeutung. Die Teilnehmer sind verpflichtet, streng entsprechend den ihnen zugewiesenen Rollen zu agieren. Sie greifen dabei auch auf Muster ritueller Textsorten (Gebet, Tischrede, Amtseid u. a.) zurück. Amtseid-Leistende in Deutschland (Bundespräsident, Bundeskanzler, Bundesminister) werden ihrer Rolle bei der Durchführung der Texthandlung SCHWÖREN nur dann gerecht, wenn sie die vorgeschriebene Eidesformel (siehe Text 21) unverändert nachsprechen, dabei die vorgeschriebenen Gesten beachten (Heben der rechten Hand, Emporstrecken zweier Finger) und bei der sprecherischen Umsetzung einen ernsten und möglichst feierlichen Ton anschlagen. Zum Muster der Textsorte gehört also zum einen, dass der gesamte Text vorformuliert (gebrauchsfertig) zur Verfügung steht und auf einen formelhaft-rituellen Stil festgelegt ist, zum anderen, dass Gestik und Prosodie am Gestaltungsakt des Ritualisierens teilhaben. Trotz des Personalpronomens ich am Anfang der Eidesformel (Ich schwöre-…) wird ein entindividualisierter Stil produziert, da der Textproduzent seine Individualität völlig zurückstellen muss. Eine Wahlmöglichkeit gibt es nur bei der Beteuerungsformel So wahr mir Gott helfe. am Textende. Sie kann hinzugefügt oder weggelassen werden. Wird sie hinzugefügt, wird damit zugleich ein religiöses Bekenntnis abgelegt. Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe. Beispieltext 21: Amtseid Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 56. b) Imagepflege Bei diesem Gestaltungsmotiv lohnt sich zunächst ein Blick auf Texte der kommerziellen Werbung. In dem Bestreben, auf dem Markt mit einem eigenständigen Profil präsent zu sein, fällt dem Stil u. a. die Aufgabe zu, ein positives Image des Anbieters zu vermitteln-- erkennbar an Gestaltungsweisen, durch die besondere, auch spezifische Vorzüge des Anbieters (Exklusivität, Kompetenz, Professionalität, Tradition, Ehrlichkeit) hervortreten. Wir gehen darauf im Abschnitt 3.3.2 näher ein. Imagepflege kann auch zum Gestaltungsmotiv in Stellenanzeigen werden (siehe Text-22): <?page no="67"?> 67 2.5 Motiviertheit Beispieltext 22: Stellenanzeige Der Vergleich mit dem Stil von Beispieltext 1 lässt auf den ersten Blick erkennen, dass es dem Textproduzenten nicht auf Rezeptionsbeschleunigung (und auch nicht auf Kostenersparnis) ankommt. Die Sätze sind ausgeformt, mit bewertendem Wortschatz, auch in Form von Aufzählungsgliedern gefüllt und variationsreich strukturiert. Die Ausformung und Komplexität der Sätze verweist auf das Gegenstück zum Gestaltungsprinzip Knappheit, und das ist stilistische Breite. Mit dem Variieren von Satzstrukturen wird das Gestaltungsprinzip Abwechslung realisiert. Wir registrieren ▶ verschiedene Satzformen: einfache Sätze (Unser Klient ist Gründer und Vorstand eines bedeutenden Unternehmens in Norddeutschland.), zusammengezogene Sätze (Durch ihre Freude an Betreuung, Erziehung und Fürsorge tragen Sie wesentlich zur Entlastung der Mutter bei und steuern den Tagesablauf selbständig.) und zusammengesetzte Sätze (Englische und französische Sprachkenntnisse wären vorteilhaft, da Sie die Familie im Urlaub zu nicht alltäglichen Reisezielen begleiten.); ▶ verschiedene Vorfeldbesetzungen: die Besetzung des Vorfelds durch das Subjekt des Satzes (unser Klient), auch in pronominaler Form (Sie), durch ein Akkusativobjekt (Ihre aussagefähigen Bewerbungsunterlagen senden Sie-…), einen infiniten Prädikatsteil (Unter- <?page no="68"?> 68 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil stützt werden Sie-…) oder eine Adverbialbestimmung (Durch Ihre Freude an Betreuung, Erziehung und Fürsorge tragen Sie-…); ▶ verschiedene Konstruktionen hypotaktischer Satzbildung: Nebensätze (da Sie die Familie zu nicht alltäglichen Reisezielen begleiten) und eine Partizipialkonstruktion anstelle eines Nebensatzes (bedingt durch häufige Auslandsaufenthalte des Unternehmerehepaares statt was durch häufige Auslandsaufenthalte des Unternehmerehepaares bedingt ist). Mit der lexikalischen Füllung der Sätze wird ein anderes Gestaltungsprinzip realisiert. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf den bewertenden Wortschatz und bemerken, dass hier prononciert sozial abgehoben formuliert worden ist. Mit Beiwörtern wie bedeutend (bedeutendes Unternehmen), nicht alltäglich (nicht alltägliche Reiseziele) und repräsentativ (repräsentativer Haushalt) gibt sich der Textproduzent als Vertreter der Oberschicht zu erkennen. Das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle Erzieherin ist darauf ausgerichtet, der Etikette dieser sozialen Schicht zu entsprechen. Bei der Beschreibung des Stellenprofils erweisen sich Adjektive in attributiver oder prädikativer Position als Schlüsselwörter: eine aufgeschlossene, seriöse Dame mit gepflegter äußerer Erscheinung; ein hohes persönliches Niveau und ein sicheres Auftreten; unabhängig und kultiviert. Die attributiven Adjektive sind keine schmückenden Beiwörter (Epitheta); sie sind nicht dekorativ hinzugefügt; sie sind oberschichtgemäß ausgewählt und aneinandergereiht. Als Gestaltungsprinzip können wir Distinguiertheit (Vornehmheit) notieren. Insgesamt gesehen weist der Text eine gewählte (elaborierte) Ausdrucksweise auf. Syntaktische Abwechslung und lexikalische Distinguiertheit sind Indikatoren von Elaboriertheit. Zur Imagepflege als Gestaltungsmotiv gehört noch einiges mehr. Erwähnt sei noch, dass man sich sprachmedial als gebildet, belesen und bildmedial als sportlich, muskulös, durchtrainiert präsentieren und damit das eigene Image aufwerten kann. c) Individualitätsbekundung Individualitätsbekundungen (als stilistisches Wozu) stehen mit dem Gestaltungsakt des Originalisierens (als stilistischem Wie) in einem unmittelbaren Zusammenhang. Man erkennt diesen Gestaltungsakt i. d. R. an der Realisierung einer Gestaltungsidee. So können wir auch Kontaktanzeigen Originalität bescheinigen, wenn sie-- wie in Text 3-- eine partnerschaftliche Beziehung als Segelschifffahrt erscheinen lassen oder wenn sie-- wie in Text 4-- Partnersuche in Märchenform kommunizieren. Zur Realisierung dieser Gestaltungsideen werden- - wie wir gesehen haben-- Anspielungen auf andere Texte gemacht und Muster gemischt. Um auf eine Gestaltungsidee zu kommen, bedarf es der Inspiration, eines schöpferischen Impulses. Man kann sich beispielsweise von anderen Texten inspirieren lassen, um den eigenen Text zu originalisieren. Man kann sich aber auch vom Stil eines anderen Textes inspirieren lassen, wie das folgende Beispiel zeigt. <?page no="69"?> 69 2.5 Motiviertheit Komm auf den Punkt! Neue Bandwurmsätze von Javier Marías-- eine Romanbesprechung im Stile des Autors von tobias lehmkuhl N icht allzu lang ist es her, dass ich diese Geschichte las- - weniger lang als ein Wochenende gewöhnlich dauert, und wie gering ist ein Wochenende, wenn es vorüber ist, sich in ein paar Sätzen erzählen lässt und im Gedächtnis nur noch Asche bleibt, die sich beim kleinsten Beben löst, davonfliegt beim geringsten Windstoß- -, und doch wäre es heute unmöglich, diese Geschichte wirklich präzise wiederzugeben, und damit ist nicht gemeint, was den beiden, Eduardo Muriel und seiner Frau Beatriz Noguera, als jungen Menschen geschehen war, und nicht so sehr das-- obwohl auch das-- was mit ihnen geschah, als der Erzähler dieser Geschichte ein junger Mann und ihre Ehe ein unauflösliches Unglück war. Dabei hat es solche Figuren wohl immer gegeben, sie sterben nicht aus, es wird sie weiter geben, bestimmte Figuren wandeln sich nie, ob in der Wirklichkeit oder in der Fiktion, ihrer Zwillingsschwester, sie wiederholen sich im Laufe der Jahrhunderte, als mangelte es beiden Sphären an Fantasie oder als wäre es unausweichlich, ja man könnte meinen, wir erfreuten uns an einem einzigen Schauspiel, einer einzigen fortlaufenden Erzählung, wie kleine Kinder, mit unendlichen Varianten, in altmodischem oder modernem Kostüm, aber im Grunde immer die gleiche Geschichte. Das gilt auch für die Romane von Javier Marías, der eine Vorliebe für den Klang bestimmter Namen hat, für Jaime Deza oder Juan de Vere, junge Männer noch oder doch schon Männer im besten Alter, die in seinen Fiktionen die seltsam undurchsichtigen Erzählinstanzen darstellen. Dabei sind diese Fiktionen vielleicht gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern Geschichten, die er sich vielmehr selbst erzählt, Geschichten, die er erzählen muss, um in dieser Welt existieren zu können, Geschichten, die aus ihm herausströmen wie der Atem und die es ihm, der ein tiefer Melancholiker ist, erträglich machen zu leben. […] Beispieltext 23: Literaturkritik (Textanfang) Süddeutsche Zeitung, 02.-04. 10. 2015, 22. <?page no="70"?> 70 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Die Gestaltungsidee muss in diesem Text nicht entdeckt werden, sie wird im Titelgefüge des Textes verraten. Unter der Schlagzeile (Komm auf den Punkt! ) ist Folgendes zu lesen: Neue Bandwurmsätze von Javier Marías- - eine Romanbesprechung im Stile des Autors. Die Gestaltungsidee besteht also darin, den Stil des zu besprechenden Romans in der Besprechung zu imitieren, eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen beiden Stilen herzustellen, und zwar durch das Konstruieren von Bandwurmsätzen. Das sind im vorliegenden Fall nicht einfach lange Sätze, sondern extrem lange, überlange Sätze. Allein der erste Satz der Kritik umfasst 109 Wörter. In der Stilistik spricht man jedoch nicht von Bandwurmsätzen, sondern von Satzperioden, d. h. mehrfach zusammengesetzten Sätzen. Die Häufung von Wörtern und die Mehrfachzusammensetzung von Sätzen sind noch keine ausreichenden Merkmale des Periodenstils. Kennzeichnend für diesen Stil ist ein syntaktisches Merkmalsbündel: ▶ die Kombination von parataktischer und hypotaktischer Teilsatzverknüpfung; ▶ der fortwährende Wechsel von Parataxe und Hypotaxe; ▶ die mehrstufige Subordination von Nebensätzen und satzwertigen Konstruktionen; ▶ das Anhängen weiterführender Nebensätze; ▶ die Erweiterung von Teilsätzen durch Aufzählungen; ▶ die Unterbrechung von Satzkonstruktionen durch Parenthesen u. a. m. Dem Leser wird abverlangt, auf den Stufen der Periode ständig auf- und niederzusteigen (vgl. Schneider 1959: 455). Originell ist nicht der Stil des besprochenen Romans („So fängt das Schlimme an“), denn im Periodenstil haben auch schon Johann Wolfgang Goethe, Heinrich von Kleist und viele andere geschrieben, der Stil der Besprechung hingegen ist es schon. Der Textproduzent weicht dezidiert von der kommunikativen Normalform einer Literaturkritik ab, sodass es dem Leser schwerfällt, die beurteilenden Elemente des Textes herauszufiltern und sich selbst ein Urteil zu bilden. 2.5.2.2 Beziehungsgestaltung zwischen Textproduzent und Textrezipient: Nähe vs. Distanz Gestaltungsakte können gestaltungsmotivisch darauf spezialisiert sein, dem kommunikativen Kontakt zwischen Textproduzent und Textrezipient (bzw. Adressat) ein soziales Gepräge zu geben. Die Arten der Beziehungsgestaltung lassen sich grob danach unterscheiden, ob sie soziale Nähe oder soziale Distanz hervorbringen. Gestaltungsprinzipien, die zu sozialer Nähe passen, sind Freundlichkeit (charmante Höflichkeit), Lässigkeit, Familiarität und Intimität. Soziale Distanz wird hervorgebracht durch Förmlichkeit (formelle Höflichkeit), Ehrerbietigkeit (intensivierte formelle Höflichkeit), aber auch durch Unfreundlichkeit, Unhöflichkeit und Aggressivität. Daneben gibt es die Möglichkeit, die Art der Beziehung offenzulassen, d. h. auf einen neutralen Stil auszuweichen. Im Rahmen von Texthandlungen (wie DANKEN , GRATU- LIEREN , BEGRÜSSEN ) und Textgattungen (Briefen, Reden aller Art) ist die Wahl der Anrede eine beziehungsgestaltende stilistische Entscheidung. Betrachten wir dazu zwei Beispiele. <?page no="71"?> 71 2.5 Motiviertheit a) Familiarität und Förmlichkeit Im politischen Werbebrief von Manfred Stolpe (Text 14) finden wir in einer graphisch und typographisch vom Textkern abgesetzten Zeile die handschriftlich stilisierte Anrede Liebe Brandenburgerinnen! Liebe Brandenburger! Rollengestaltend- - so war festzustellen- - wird im Briefkopf ein offizieller Stil hergestellt, in der Anredezeile ist es beziehungsgestaltend ein familiärer Stil. Im Textkern werden die Adressaten des Briefes einheitlich gesiezt- - Kennzeichen eines förmlichen Stils. Der Text ist ein Beispiel dafür, dass Stile gemischt werden können, ohne dass ein Stilbruch die Folge ist. b) Ehrerbietigkeit Anredeformeln stehen in reichlicher Zahl zur Verfügung. Das nächste Beispiel zeigt, dass sie auch miteinander kombinierbar sind. Vicco von Bülow (Künstlername: Loriot) begann eine Dankesrede (veröffentlicht in „Forschung & Lehre“, Nr. 10 / 2001) mit folgenden Worten: Hochverehrte Magnifizenz, sehr verehrte Spektabilitäten, Professoren und Dozenten, meine verehrten Damen und Herren-… Die Anrede des Publikums weist verschiedene Formen zum Erzeugen von Ehrerbietigkeit (Verehrungswürdigkeit) auf. Die Aufzählungsglieder sind dennoch semantisch ungleichwertig. Ehrerbietigkeit wird von oben nach unten abgestuft (hochverehrt-- sehr verehrt-- verehrt)-- m.a.W.: Bei der Anrede wird die Stilfigur Antiklimax (siehe 3.1.4) realisiert. Die Anredesequenz ist auf den Redeanlass abgestimmt: die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch den Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal am 22. Juni 2001. Es entspricht dem kommunikativen Usus bei offiziellen Anlässen im Hochschulbereich, den Rektor der Hochschule mit seinem Titel Magnifizenz, die Dekane mit ihrem Titel Spektabilität anzureden. Beziehungsgestaltende Akte können für einen Stilwechsel genutzt werden, um damit verschiedene Adressatenkreise zu erreichen. Das zeigt unser nächstes Beispiel (Text 24). c) Neutralität und Förmlichkeit Der zu betrachtende Text ist zweiteilig. Beide Teile unterscheiden sich thematisch, funktional und stilistisch gravierend voneinander, sodass die Frage berechtigt ist, ob es sich nicht eigentlich um zwei Texte handelt. Andererseits kann es kein Zufall sein, dass beide Teile eine visuelle Einheit bilden. Sie sollen offensichtlich aufeinander bezogen rezipiert werden. Und es stellt sich denn auch heraus, dass sich beide Teile argumentativ-begründend stützen. Der kommunikative Wechsel, der sich von Teiltext 1 zu Teiltext 2 vollzieht, ist im Wechsel des Adressatenkreises begründet. Teiltext 1 wendet sich an (potentielle) Bankräuber, Teiltext 2 an die Kunden der Sparkasse. Damit einher geht ein Wechsel beziehungsgestaltender Prinzipien. Das Prinzip Neutralität wird abgelöst vom Prinzip Förmlichkeit, d. h. von formeller Höflichkeit. Der Stil von Teiltext 2 bestätigt, dass es sprachliche Formen von Höflichkeit auf drei Ebenen gibt (vgl. Lüger 2002: 8): <?page no="72"?> 72 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Ebene 1: höfliches Formulieren von Texthandlungen (bei Lüger: Sprachhandlungen). Die Texthandlung ANREDEN wurde mit einer formell-höflichen Anredeformel ausgestattet: Sehr geehrte Kunden! Für die Texthandlung BITTEN wurde das Gestaltungsverfahren Siezen gewählt: Wir bitten Sie daher-… Ebene 2: das Vorkommen höflicher Texthandlungen. An die Stelle der Texthandlung AUF- FORDERN (etwa mittels einer modalen Infinitivkonstruktion: Auszahlungen ab 5.000 Euro sind einen Tag vorher anzumelden.) wurde die Texthandlung BITTEN gesetzt. Auch das Vorkommen der Texthandlung ANREDEN ist-- vergleicht man es mit der Null-Anrede in Teiltext 1-- ein Ausdruck von Höflichkeit. Ebene 3: die Verknüpfung höflicher Texthandlungen zu einer Sequenz. Wir stellen fest: Die Texthandlungen BITTEN und DANKEN (siehe Dankesformel Vielen Dank.) wurden miteinander verknüpft. Die Analyse zu Ebene 1 verdeutlicht noch etwas anderes: Anreden lassen sich erstens als eine selbständige Texthandlung begreifen, die wie die meisten Texthandlungen stilistisch variabel durchführbar ist, wobei immer eine Anredeformel (ein Anredenominativ) gewählt werden muss. Anreden können zweitens in Texthandlungen integriert sein. Dabei wird zwischen den beiden Gestaltungsverfahren Siezen und Duzen gewählt. Zum Einsatz kommen die entsprechenden Anredepronomina. Beispieltext 24: Bekanntmachung Aushang im Schalterbereich der Mittelbrandenburgischen Sparkasse in Potsdam <?page no="73"?> 73 2.5 Motiviertheit Mit diesen Einsichten ausgerüstet, müssen wir die fehlende Beziehungsarbeit in Teiltext 1 als ein Ausweichen auf einen neutralen Stil interpretieren. Wie sollten (potentielle) Bankbzw. Sparkassenräuber auch angeredet werden? Worum sollten sie gebeten, wofür sollte ihnen gedankt werden? Alternativ hätte man die mit der Äußerung ÜBERFALL ZWECKLOS vollzogene Texthandlung ABRATEN (‚von einem Überfall‘) auch so formulieren können: Wir raten Ihnen von einem Überfall ab. Ein Überfall ist zwecklos, da unsere Mitarbeiter keinen Einfluss auf die Abkürzung der eingestellten Sperrzeit haben. Doch hinter der typographisch hervorgehobenen elliptischen Äußerung ÜBERFALL ZWECKLOS , den beiden Piktogrammen zur Illustration von installierter Sicherheitstechnik und dem in einem Balken untergebrachten Nennsatz (satzwertigen Nominativ) zeitschlossgesicherte Geldbestände stehen Gestaltungsmotive, die wichtiger sind als Beziehungsgestaltung: Aufmerksamkeitslenkung und Rezeptionsbeschleunigung. d) Aggressivität Für diese Art der Beziehungsgestaltung stehen sprachliche, prosodische, gestische u. a. Mittel zur Verfügung: Schimpfwörter (Bullenschwein! ), vulgärsprachliche Phraseologismen (in Äußerungen wie Halt die Fresse! oder Fick dich ins Knie! ), extrem lautes Sprechen (Brüllen, Schreien). Beispiele für aggressive Gesten sind / jdm. den Stinkefinger zeigen/ und / jdn. mit einer Waffe bedrohen/ . Diese Mittel werden bevorzugt in Gesprächssituationen eingesetzt, die aggressiven Äußerungen werden i. d. R. an den Gesprächspartner adressiert. Uns interessiert, wie sich Aggressivität in Texten manifestiert. Untersuchenswert sind diesbezüglich Protestplakate, Beschwerdebriefe, aber auch Leserbriefe. „Missbrauch an Schulen / Gefährlich nah“ von Lorenz Maroldt vom 16. März und „Nähe ist ein Lebensmittel, kein Missbrauch“ von Adolf Muschg vom 15. März Mein Brief ist Ausdruck von dankender Zustimmung zu Lorenz Maroldt und Ausdruck von Beschämung angesichts des Muschg-Textes, einem wortgewaltigen intellektuellen Murks, der Opfer verhöhnt, Täter und vermeintliche Täter in ihrem „reformpädagogischen“ Handeln zeit-geistig legitimiert und mögliche Kritiker seiner abstrusen Gedanken vorsichtshalber schon mal der „flächendeckenden Heuchelei“ bezichtigt. Kaum, dass Opfer nach Jahren durchlebter Verstörung sprechen, meinen Sie, Herr Muschg, „die andere Seite“ rechtfertigen zu müssen. Sie leihen ihr Ihre Eloquenz, als würde sie es nötig haben, in ihrem Schweigen oder in ihren formalisierten Entschuldigungsritualen in Schutz genommen zu werden. Sie sprechen von Pranger und Hexengericht und sittenrichterlicher Heiligkeit …, was für ein Irrtum. Ich bedauere es, ich mag es nicht, dass gerade Sie es sind, Herr Muschg, der ihm erliegt. Beispieltext 25: Leserbrief tagesspiegel.de (21. 03. 2010, 23.30 Uhr). Aggressivität ist in Gesprächen wie in Texten als eine Erscheinungsform von emotionsgeladener Kritik am Kommunikationspartner oder an anderen Personen anzusehen. Aggressive <?page no="74"?> 74 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Leserbriefe können sich gegen alle richten, deren Denk- oder Handlungsweise vom Leserbriefschreiber als empörend angesehen wird, darunter gegen die Redaktion einer Zeitung bzw. Zeitschrift oder gegen einzelne Journalisten bzw. Publizisten, deren Äußerungen oder Texte medienöffentlich bekannt wurden. Der Gestaltungsakt des aggressiven Emotionalisierens ist im Beispieltext an folgenden Gestaltungsverfahren und -mitteln identifizierbar: Abqualifizieren des intellektuellen Niveaus: Dem Adressaten, dem Schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg, wird vom Leserbriefschreiber zum Thema ‚Sexueller Missbrauch an Schulen‘ jegliches intellektuelle Niveau in Abrede gestellt. Indikatoren sind die pejorativen (abwertenden) Wortverbindungen intellektueller Murks und abstruse Gedanken. Indikator ist auch der Ausrufesatz was für ein Irrtum. Abqualifizieren des ethisch-moralischen Denkens: Dem Adressaten wird vorgeworfen, in ethisch-moralischer Hinsicht versagt zu haben, da er Opfer verhöhnt und Täter legitimiert. Die antithetisch angeordneten Wortverbindungen verweisen auf eine „verkehrte Weltsicht“, die dem Adressaten als persönliche Fehlleistung zugeschrieben wird. Dazu passen in gewisser Weise auch irreale Vergleichssätze: als würde sie es nötig haben, in Schutz genommen zu werden. Ausdrücken negativer Gefühle im Verhältnis zwischen Leserbriefschreiber und Adressat: Indikatoren im Text sind die Gefühlswörter Beschämung und bedauern. Aussparen familiärer oder formeller Zusätze in der Anrede des Adressaten: Es heißt lediglich zweimal Sie, Herr Muschg, nicht aber lieber Herr Muschg oder sehr geehrter Herr Muschg. Aggressiver Stil setzt Höflichkeit außer Kraft oder reduziert sie-- wie im vorliegenden Fall-- auf ein Minimum. 2.5.2.3 Rezeptions- und Erkenntniserleichterung: Vereinfachung, Didaktisierung und anderes a) Rezeptionserleichterung Wenn wir Gestaltungsprinzipien daraufhin befragen, inwiefern sie als rezeptionserleichternde Prinzipien interpretierbar sind, dann kommen sicher die folgenden in Betracht: Anschaulichkeit, Übersichtlichkeit, Klarheit und (visuelle) Gegliedertheit, aber auch Hervorhebung, Eingängigkeit und Einfachheit. Zu den drei letztgenannten Prinzipien wollen wir einige erläuternde Bemerkungen machen. Hervorhebung: Als Gestaltungsverfahren des Hervorhebens stehen graphische und typographische Formatierungsverfahren (Anordnen auf einer separaten Zeile, Zentrieren, Vergrößern und Fetten der Schrift) zur Verfügung. In Stellenanzeigen (siehe Texte 1 u. 22) wird auf diese Weise die Stellenbezeichnung hervorgehoben, um für Stellensuchende schnell ersichtlich werden zu lassen, ob die Anzeige für sie relevant ist oder nicht, d. h., die Rezeption <?page no="75"?> 75 2.5 Motiviertheit wird erleichtert, indem das Erfassen relevanter Informationen beschleunigt wird. Rezeptionserleichterung hat eine zeitliche Dimension. Eingängigkeit: Rezeptionsbeschleunigung der etwas anderen Art kann man Clustertexten bescheinigen (siehe Text 20). Wir hatten am Beispiel eines Medienberichts erfahren, wie das Selektionsangebot für den Rezipienten, das durch eine Clusterpräsentation möglich wird, aussehen kann, und waren u. a. auf eine interviewähnliche Frage-Antwort-Struktur gestoßen, die durch das Gestaltungsverfahren Dialogisieren entsteht. Dieses Verfahren ordnet sich dem Gestaltungsprinzip Eingängigkeit zu, worunter v. a. leichte Lesbarkeit zu verstehen ist. Rezeptionserleichterung hat somit auch eine kognitive Dimension. Einfachheit: Eingängigkeit berührt sich mit Einfachheit, ist aber- - wie die sprachlichen Clustereinheiten mit ihren komplex gebauten Sätzen zu erkennen geben- - nicht mit Einfachheit identisch. Der Gestaltungsakt des Vereinfachens (Simplifizierens) prägt z. B. „Meldungen in einfacher Sprache“ (wie im Videotext-Service des Fernsehsenders ARD ), er prägt populärwissenschaftliche Texte ebenso wie speziell für Kinder gestaltete Seiten in einigen großen Tageszeitungen. Zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2015 veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ auf ihren Kinderseiten eine Chronik unter dem Titel „Freiheit! Warum der 3. Oktober ein Grund zum Feiern ist“. Wir wählen einen der Teiltexte aus und untersuchen an ihm Merkmale eines einfachen Stils. Über Ungarn Im Jahr 1989 änderte sich die Lage. Erstens: Die Regierung der Sowjetunion war nicht mehr so streng zu ihren verbündeten Ländern. Zweitens: In der DDR waren sehr viele Menschen unzufrieden, viele wollten das Land verlassen. So war es auch in anderen Ländern, die unter Aufsicht der Sowjetunion standen - zum Beispiel in Ungarn. Als dort die Alarmsysteme an der Grenze veraltet und kaputt waren, wurden sie nicht ausgewechselt. Die ungarische Regierung fand, dass Einsperren keine Lösung mehr war für die Probleme des Landes. Im Sommer fuhren mehr als 25 000 DDR-Bürger nach Ungarn (mit einer Urlaubserlaubnis durften sie das) und flohen über die Grenze nach Österreich. Beispieltext 26: Chronik für Kinder (Auszug) Süddeutsche Zeitung, 02.-04. 10. 2015 (Sonderseiten) Einfacher Stil ist erstens erkennbar an syntaktischen Reduktionen in Form von einfachen und einfach zusammengesetzten Sätzen (Satzgefügen, Satzverbindungen). Ein Richtwert, auf die Satzlänge bezogen, besagt, dass die syntaktischen Konstruktionen höchstens 20 Wörter umfassen dürfen (vgl. Sowinski 1999: 90). Im Beispieltext weist nur der letzte Satz mit 22 Wörtern eine geringfügige Überschreitung dieses Richtwerts auf. Nun können auch in kurzen Sätzen extrem lange Wörter vorkommen, was dem Prinzip Einfachheit zuwiderlaufen würde. Einfacher Stil ist deshalb zweitens erkennbar an lexikalischen Reduktionen in Form von Simplizia (Simplex = einfaches, nicht zusammengesetztes oder abgeleitetes Wort) und einfachen Komposita (Kompositum-= zusammengesetztes Wort). <?page no="76"?> 76 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Belege für Simplizia sind u. a. Jahr, streng und Land; Belege für einfache Komposita sind Alarmsystem und Urlaubserlaubnis. Einfacher Stil ist an einem weiteren, dritten Merkmal zu messen: an der Verwendung alltagssprachlicher Lexik. Ein einfacher, kindgemäßer Stil-- nicht zu verwechseln mit einem kindlichen Stil-- erfordert es beispieltextbezogen, die Sprache der Politik in Alltagssprache zu überführen, d. h. die Wörter durchgängig mit der Lebenswelt bzw. dem Horizont von Kindern zu verknüpfen. Wir konfrontieren die Textbelege hierzu mit ihren Äquivalenten in der Sprache der Politik (siehe Tab. 9). Alltagssprache (Textbelege) Äquivalente in der Sprache der Politik nicht mehr so streng sein eine liberalere Politik betreiben unzufrieden sein dem System kritisch gegenüberstehen / in Opposition zum System stehen unter Aufsicht der Sowjetunion stehen unter der Vorherrschaft der Sowjetunion stehen Einsperren Verweigerung von Reisefreiheit Tab. 9: Alltagssprache und Sprache der Politik im Vergleich Einfacher Stil birgt in einer Chronik die Gefahr in sich, dass die Genauigkeit bei der Wiedergabe historischer Fakten verloren geht. Auch die Logik kann „auf der Strecke bleiben“. Im Beispieltext kollidiert das alltagssprachliche Wort Einsperren mit der Mitteilung, dass mehr als 25.000 DDR -Bürger nach Ungarn gereist sind, um Urlaub zu machen. Das Wort Urlaubserlaubnis, im Text zu verstehen als Bedingung für eine Auslandsreise (mit einer Urlaubserlaubnis durften sie das), ist eine Erfindung des Textproduzenten, der damit offenbar die Unlogik in seinem Wortlaut abmildern wollte. b) Erkenntniserleichterung Von Erkenntniserleichterung ist immer dann zu sprechen, wenn Rezeptionserleichterung mit einem didaktischen Anspruch verbunden wird. Erwartbar ist ein solcher Stil in Lehr- und Studienbüchern aller Art. Wir wählen als Textbeispiele zwei Auszüge aus einem Hochschullehrbuch aus (siehe Texte 27a und 27b) und untersuchen, welche erkenntniserleichternden Gestaltungsverfahren und -mittel zum Einsatz gekommen sind. <?page no="77"?> 77 2.5 Motiviertheit Beispieltext 27a: Lehrbuchtext (Auszug 1) Matthias Granzow-Emden: Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten. Tübingen 2013: Narr, 30. Im ersten Auszug aus dem Lehrbuch (Text 27a) geht es darum, die Wertigkeit (Valenz) von Verben zu erklären, um Verbergänzungen von freien Angaben unterscheidbar zu machen. Bildmedial ist eine Graphik hinzugefügt mit sprachlichen Zeichen (Beispielverben, Ergänzungsgliedern) sowie geometrischen Zeichen (Ellipsen, Linien), um Valenzmuster zu veranschaulichen. Die Schnittstelle zwischen Sprachtext und Graphik bildet der Satz „Vielleicht fragen Sie sich jetzt, weshalb schlafen- […] nur als einwertiges Verb erscheint und nur ein Ärmchen ausstreckt (nur die Einheit wer ist seine Ergänzung).“ Der Satz weist ein erkenntniserleichterndes Gestaltungsverfahren auf: das Personifizieren (Vermenschlichen) von unbelebten Erscheinungen (Stilfigur: Personifikation). Im Beispieltext wird das Verb schlafen personifiziert: Es streckt nur ein Ärmchen aus. Auf die didaktische Bedeutsamkeit des Vermenschlichens weisen bereits Bernhard Asmuth und Luise Berg-Ehlers (1976: 103 ff.) hin, wenn auch in einem anderen terminologischen Rahmen. Die Autoren machen außerdem auf Folgendes aufmerksam: „Abstrakte Gegenstände verlangen nach sinnlicher Verdeutlichung, besonders gegenüber Adressaten, die es nicht gewohnt sind, abstrakt zu denken.“ (Ebd.: 107) Ein geeignetes Verfahren im Dienste „sinnlicher Verdeutlichung“ ist bildhaftes Vergleichen, ein geeignetes Mittel der bildhafte Vergleich. Bildhafte Vergleiche unterscheiden sich einerseits von Sachvergleichen, andererseits von bildlichen Vergleichen. Um den besonderen didaktischen Stellenwert bildhafter Vergleiche ermessen und beschreiben zu können, verschaffen wir uns zunächst einen Überblick über die einzelnen Vergleichsarten und die jeweilige Vergleichsbasis, die als Unterscheidungskriterium dient. <?page no="78"?> 78 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Vergleichsarten Vergleichsbasis Beispiele Sachvergleich Zwischen gleichartigen Vergleichsgliedern wird eine objektive Beziehung quantitativer Art oder eine subjektive Beziehung qualitativer Art hergestellt. Die Gegenüberstellung kann auf Gleichheit, Ungleichheit oder Ähnlichkeit verweisen. Größe von Gebäuden: Der Fernsehturm in Berlin ist höher als der in Dortmund. Alter von Menschen: Sie ist ein Jahr jünger als ihr Bruder. Menge von Menschen: Die Zahl der Arbeitslosen hat sich im Vergleich zum Vormonat leicht verringert. Verständlichkeit von Texten: Die erste Textfassung ist verständlicher als die zweite. Redetalent von Menschen: Er ist wie du ein ziemlich guter Redner. Bildhafter Vergleich Zwischen verschiedenartigen Vergleichsgliedern wird eine real bestehende oder zu bestehen scheinende Ähnlichkeitsbeziehung hergestellt, die auf Sinneswahrnehmungen beruht. Sehen: Autobahnkreuze haben die Form eines Kleeblatts. Riechen: Das Parfüm riecht nach Lavendel. Hören: Das Geräusch hört sich an wie das Zersplittern einer Glasscheibe. Fühlen: Der Teppich fühlt sich weich an wie das Fell eines Feldhasen. Schmecken: Die Pastete schmeckt, als hätte man Honig auf der Zunge. Bildlicher Vergleich Zwischen verschiedenartigen Vergleichsgliedern wird eine Ähnlichkeitsbeziehung im Bereich von Sinneswahrnehmungen erfunden (konstruiert). Die dem Vergleich zugrunde liegende Merkmalsübereinstimmung entspringt der Phantasie. Körpergröße eines Menschen - Leuchtturm: Er war nur 1,72 Meter groß - aber in meiner Erinnerung steht Helmut Schmidt da wie ein Leuchtturm. (Potsdamer Neueste Nachrichten, 16. 11. 2015, 17) Verbreitung einer Weisung - Trompetenstoß: Die interne Weisung aus dem Bundesamt ging wie ein Trompetenstoß um die Welt. (Ebd., 2) Hochhäuser - Schiffscontainer: Die drei Türme aus Stahl und Glas wirken wie nachlässig hochkant übereinandergestapelte Schiffscontainer. (Das Magazin, Nr. 9 / 2015, 72) Zerstörte Häuser - Ziehharmonika: Die Betonböden einzelner Stockwerke wurden zusammengedrückt wie eine Ziehharmonika. (Der Spiegel, Nr. 46 / 2015, 106) Tab. 10: Arten des Vergleichs als Gestaltungsmittel Der besondere didaktische Stellenwert bildhafter Vergleiche-- das lässt sich der Tabelle entnehmen-- erwächst aus der Möglichkeit, zwei verschiedenartige Vergleichsglieder in eine real bestehende Ähnlichkeitsbeziehung zu bringen, die auf Sinneswahrnehmung beruht. Wenn es auf die Vermittlung von Erkenntnissen ankommt, besteht diese Ähnlichkeitsbeziehung häufig in einer Analogiebeziehung. Es werden nicht schlechthin zwei Erscheinungen gegen- <?page no="79"?> 79 2.5 Motiviertheit übergestellt, sondern Strukturen von Erscheinungen, Form-Funktions-Zusammenhänge o. Ä. Bildhaftes Vergleichen wird als bildhaftes Analogisieren realisiert. Betrachten wir dazu einen weiteren Auszug aus dem Hochschullehrbuch zur deutschen Grammatik (Text 27b). Beispieltext 27b: Lehrbuchtext (Auszug 2) Matthias Granzow-Emden, a. a. O., 200. Der Autor des Lehrbuchs bringt abstrakte syntaktische Einheiten, nämlich Satzstrukturen und Nominalgruppen innerhalb eines Satzes, in eine Analogiebeziehung mit komplexen Gebilden in der Natur (Eiskristallen, Pflanzen). Der Veranschaulichung dient die Abbildung eines Farnwedels, eines davon abgelösten Fiederblattes und eines wiederum davon abgelösten Fiederblättchens. Nur der bildhafte Vergleich bietet die Möglichkeit, solche real bestehenden Analogien zwischen abstrakten und konkreten Gebilden aufzuzeigen, und Abbildungen haben dabei das größte Anschaulichkeitspotential. Der Rezipient wird quasi zum Augenzeugen. Weitere Vergleiche bildhafter Art werden in besagtem Lehrbuch des Öfteren angestellt, so auch zwischen sprachlichen Einheiten und Gebrauchsgegenständen (wie z. B. Löffeln) im Hinblick auf das Verhältnis von Form und Funktion (S. 45), zwischen einer Grammatik als Modell der Sprache und einem Flugzeugmodell (S. 38), zwischen der Sprache insgesamt und einer x-beliebigen Landschaft (S. 38 ff.). Die Didaktisierung des Lehrbuchs findet nicht zuletzt ihren Ausdruck in einer übersichtlichen Textarchitektonik- - mit Spalten an den <?page no="80"?> 80 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Seitenrändern, in die sowohl Gliederungs- und Abbildungsnummern als auch thematische Kernbegriffe eingetragen sind (siehe die abgebildeten Textauszüge). Dies ist jedoch gestaltungsmotivisch eher als eine rezeptionserleichternde denn eine erkenntniserleichternde Gestaltungsweise interpretierbar. 2.5.2.4 Rezipientenbeeinflussung: Gestaltungsstrategien In diesem Abschnitt werfen wir ein Streiflicht auf persuasives Gestalten bzw. auf Stile in der persuasiven Textkommunikation, bei der auf das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen strategisch Einfluss genommen wird. Von der antiken Rhetorik sind Lehrsätze überliefert, wie man wirkungsvoll in der Öffentlichkeit redet, vor allem aber, wie man das Redepublikum so beeinflussen kann, dass das Redeziel erreicht wird. Aber auch in Schrifttexten lassen sich Merkmale persuasiver Kommunikation nachweisen, und längst finden auch Bilder, Farben und Töne als Gestaltungsmittel (Persuasorien) Berücksichtigung. Persuasive Kommunikation ist strategiegeleitete Kommunikation, denn der Textproduzent befindet sich in einer Problemsituation. Er rechnet mit einer Kommunikationsbarriere dergestalt, dass es zwischen ihm und dem Kommunikationspartner eine Divergenz der Anschauungen (Meinungen), Überzeugungen, Einstellungen, Handlungsdispositionen gibt, die bis zur Kommunikationsverweigerung gehen kann. In diesem Situationskontext werden Gestaltungsstrategien zur Überwindung von Kommunikationsbarrieren entwickelt, d. h. Problemlösungskonzepte erarbeitet, die Lösungsziele (strategische Gestaltungsprinzipien bzw. -ideen) und Lösungswege (strategische Gestaltungsverfahren und -mittel) enthalten und aufeinander beziehen. Gestaltungsstrategisches wird in den Textstrukturen manifest. Einige unserer bisherigen Beispieltexte sind persuasiv gestaltet. Wir greifen sie nochmals auf, um ihre gestaltungsstrategischen, persuasionsstilistischen Merkmale zu beschreiben. 1. Kommerzielle Werbeanzeigen (Texte 2, 13 u. 15): In Texten der kommerziellen Werbung kommt es aus der Perspektive des Anbieters darauf an, Rezipienten zum Kauf eines Produkts zu bewegen oder zu verführen. Diesem primären Kommunikationsziel ist u. a. die Idealisierungsstrategie verpflichtet. Das Produkt und sein Erwerb werden als absolut vollkommen angepriesen. Der Umsetzung dieser Strategie dient u. a. das Auflisten von Vorzügen (siehe Text 2). In anderen Texten wird die Verfremdungsstrategie umgesetzt, z. B. durch das Verdecken des Themas, indem man einen kindlichen „Erpresserbrief “ erfindet (siehe Text 13), oder man greift auf die Verblüffungsstrategie zurück, bei der an die Stelle des Auflistens von Vorzügen ein anderes Verfahren tritt, z. B. das Herausstellen von scheinbaren Mängeln (siehe Text 15). 2. Politischer Werbebrief (Text 14): In Texten der politischen Werbung wird den Rezipienten ein bestimmtes Wahlbzw. Abstimmungsverhalten nahegelegt. In unserem Beispieltext wird dazu die Einhämmerungsstrategie verfolgt, die Strategie des massiven Einwirkens auf die Rezipienten, und zwar durch flächendeckendes Wiederholen des Themas (‚Länderfusion‘) sowie mehrmaliges, figuriertes Wiederholen von ‚Zustimmung‘ (ich bin dafür) und ‚Un- <?page no="81"?> 81 2.5 Motiviertheit strittigkeit‘ (es ist einfach wahr), kombiniert mit dem Auflisten von positiven Folgen einer Abstimmung mit Ja. 3. Bekanntmachung (Text 24): In diesem zweiteiligen, zuerst an die Adresse von Bankräubern gerichteten Text wird eine andere Strategie verfolgt: die Strategie der Abschreckung. Ein wichtiges strategisches Gestaltungsverfahren ist dabei das Hinzufügen von banktechnischen Piktogrammen und damit das Vor-Augen-Führen von installierter Sicherheitstechnik. Der nächste Beispieltext (Text 28) offenbart, wie Kontraste zur Umsetzung der Abschreckungsstrategie eingesetzt werden. Beispieltext 28: Autobahnplakat http: / / www.dvr.de / presse / plakate/ 3737.htm (28. 10. 2016, 12.41 Uhr). Die Botschaft des Textes richtet sich an alle, die auf Autobahnen am Lenkrad sitzen, und könnte auch folgenden Wortlaut haben: Fahren Sie rücksichtsvoll, denn es kann sonst zu einem Unfall kommen, bei dem Menschen sterben. Wäre die Botschaft so kommuniziert worden, bliebe der persuasive Charakter des Textes zwar erhalten, da ein argumentativer Passus (denn es kann sonst-…) die Aufforderung (Fahren Sie rücksichtsvoll) stützt, gestaltungsstrategisch aber wäre der Text als unwirksam zu bewerten-- aus zwei Gründen. Zum einen: Botschaften auf Autobahnplakaten müssen schnell rezipierbar sein-- ein Satz mit 15 Wörtern erfüllt diese Anforderung nicht. Zum anderen: Autobahnplakate, die Unfallverhütungsmaßnahmen propagieren, sollten abschreckungsstrategisch gestaltet sein, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Auch in dieser Hinsicht müsste man dem Satz Unwirksamkeit anlasten, da der Zusammenhang zwischen rücksichtslosem Fahrverhalten und tödlichen Verkehrsunfällen allgemein bekannt ist. <?page no="82"?> 82 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Das Beispielplakat aber erfüllt die beiden genannten Gestaltungsmaximen voll und ganz. Durch das Kombinieren von großflächigem Bild und kurzem Satz in großer Schrift, der in das Bild hineingeschrieben und durch Balkenformatierung hervorgehoben ist, wird der Maxime schneller Rezipierbarkeit Rechnung getragen. Die sprachmediale Plakatkomponente ist zudem mittels Parallelismus einprägsam formuliert: Einer drängelt, drei sterben. Die bildmediale Plakatkomponente gewährt Einblick in den Innenraum eines PKW s, in dem sich-- in Übereinstimmung mit dem Zahlwort drei-- drei Personen befinden. Abschreckungsstrategisch relevant ist das Verfahren des Kontrastierens. Sprachmedial kontrastieren erstens die Zahlwörter: das Zahlwort einer, das auf den Unfallverursacher referiert, und das Zahlwort drei, das auf die Unfallopfer referiert. Sprachmedial kontrastieren zweitens die Verben: das Verb drängeln, das auf die Unfallursache referiert, und das Verb sterben, das auf die tödlichen Unfallfolgen referiert. Die beiden sprachmedialen Kontraste kontrastieren ihrerseits mit dem Bild, das eine gutgelaunte Familie v o r einem fiktiven tödlichen Verkehrsunfall zeigt. Auf diese Weise wird zwischen Sprache und Bild der Kontrast von ‚Tod‘ und ‚Fröhlichkeit‘ erzeugt. Das Plakat ist übrigens Teil einer Serie. Auf anderen Plakaten finden sich die Äußerungen Einer rast, zwei sterben und Einer ist abgelenkt, vier sterben. Die Serialität wird sowohl sprachmedial (gleiche Satzanfänge, -abschlüsse, weitestgehend paralleler Satzbau) als auch bildmedial (ähnliche Bildmotive) kenntlich gemacht und ist als Versuch zu werten, nachhaltig auf die Verkehrsteilnehmer einzuwirken, dabei aber auch auf Abwechslung zu achten. Eine pervertierte Form von Persuasion ist Manipulation. Manipulativem Gestalten liegen die Strategien der Täuschung, Verdummung oder Verhetzung von Rezipienten zugrunde. 2.5.2.5 Handlungsprofilierung: Spezifizierung und Situierung a) Handlungsspezifizierung Es fand bereits Erwähnung (siehe 2.4.2.2), dass es Stilformen gibt, deren kommunikativer Zweck darin besteht anzuzeigen, von welcher spezifischen Art eine Texthandlung ist. Stilkennzeichnungen wie ‚berichtender Stil‘ oder ‚beschreibender Stil‘ sind Beispiele dafür. Wir können auf Grund dessen nun auch sagen, dass die stilistische Spezifizierung von Texthandlungen zu den Gestaltungsmotiven gehört, und wir wollen dies an einem Beispieltext analysierend vertiefen. Spectre [...] Nach einem mysteriösen Hinweis auf ein Geheimnis aus seiner Vergangenheit, das er bewahren will, begibt sich James Bond unerlaubt auf gefährliche Mission nach Mexico City und Rom. Dort trifft er die schöne Witwe eines einflussreichen Kriminellen und stößt auf eine zwielichtige Organisation, die international vernetzt ist und der Welt den Krieg erklärt hat: Spectre. Während M in London die Korruption innerhalb des MI6 bekämpft, spürt 007 die Tochter seines alten Erzfeinds Mr. White auf. Nur sie kann helfen, das undurchdringbare Netz um Spectre zu enttarnen. Dabei findet Bond heraus, dass es eine Verbindung gibt zwischen ihm und dem Feind, den er jagt. <?page no="83"?> 83 2.5 Motiviertheit Christoph Waltz in einer Reihe mit Fröbe, Pleasance und Jürgens Drei Jahre nach Skyfall, dem erfolgreichsten Bond aller Zeiten, mischen Daniel Craig und Regisseur Sam Mendes die Action-Karten der Bond-Saga neu. In seinem vierten Einsatz als 007 macht Craig dabei erstmals Bekanntschaft mit seinem ultimativen Gegenspieler … Spectre bietet dem Publikum schier atemberaubende Action en masse! Aber auch eine Fortsetzung der düsteren Story um 007, prominent besetzt mit Naomi Harris, Monica Bellucci und Léa Seydoux, neben Ben Whishaw als Q und Ralph Fiennes als M. Oscarpreisträger Christoph Waltz wiederum reiht sich problemlos in die allererste Riege der legendären Bond-Bösewichte ein. Den Titelsong Writings on the Wall singt Soul-Pop-Star Sam Smith. Wie immer gilt bei Bond: Das Beste ist gerade gut genug. MABO Beispieltext 29: Filmempfehlung Kino & Co, Nr. 11 / 2015, 20. Für die Textsorte Filmempfehlung sind zwei Texthandlungen konstitutiv: zum einen das ERZÄHLEN des filmischen Plots, zum anderen das BEWERTEN seiner künstlerischen Umsetzung. Uns interessiert an dieser Stelle jedoch nicht die stilistische Variabilität von Texthandlungen, sondern ihre Spezifiziertheit. Uns interessiert die Frage: Mit welchen Gestaltungsverfahren und -mitteln wird die jeweilige Art der Texthandlung angezeigt? Was sind prozedurale und instrumentale Merkmale eines erzählenden bzw. bewertenden Stils? Beginnen wir mit der Texthandlung ERZÄHLEN . Textproduzenten, die eine Filmempfehlung verfassen, stehen vor der Aufgabe, eine intermediale Beziehung herzustellen, d. h. Einheiten des filmischen Plots (Aktionen und deren Begleitumstände, Akteure: Helden und ihre Gegenspieler, Schauplätze, Episoden, Konflikte usw.) in ein anderes Medium (z. B. Presse oder Internet) zu überführen. Erzählender Stil als handlungsspezifizierender Stil wird im Beispieltext vor allem hergestellt durch ▶ das Akzentuieren von Aktionen mittels Aktionsverben und Aktionsverbgefügen (sich auf eine Mission begeben; auf etw. stoßen; bekämpfen; aufspüren; enttarnen; jagen); ▶ das Typisieren von Akteuren mittels sozial kategorisierender Substantive und / oder bewertender adjektivischer Beiwörter (die schöne Witwe; ein einflussreicher Krimineller; eine zwielichtige Organisation; sein alter Erzfeind); ▶ das Fixieren von Schauplätzen mittels Realienwörtern (Mexiko City; Rom; London); ▶ das Verknüpfen von Episoden mittels temporaler Präpositionen (nach), Konjunktionen (während) und Adverbien (dabei; dort); ▶ das Zuspitzen des Geschehens mittels Peripetie-Sätzen, d. h. Sätzen, die einen dramatischen Wendepunkt des Geschehens zum Inhalt haben. Der letzte Satz des erzählenden Teiltextes (Dabei findet Bond heraus, dass es eine Verbindung gibt zwischen ihm und dem Feind, den er jagt.) deutet einen solchen Wendepunkt an, erzeugt damit Spannung, die aber erst- - Knackpunkt einer Filmempfehlung- - durch einen Kinobesuch gelöst werden kann. <?page no="84"?> 84 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Am Beispieltext lässt sich auch der Unterschied zwischen einem handlungsspezifizierenden und einem handlungsvariierenden ERZÄHLEN verdeutlichen, und zwar insofern, als wir Merkmale eines gestrafften (und nicht eines gedehnten) ERZÄHLEN s registrieren, ohne dass die Handlungsspezifizierung verloren geht. Gestrafftes und gedehntes ERZÄHLEN sind Beispiele für unterschiedliche Erzählstile. Im zweiten Teiltext-- graphisch vom ersten durch eine fettgedruckte Zwischenzeile abgesetzt- - steht anderes im Vordergrund: das BEWERTEN künstlerischer Aspekte des Films. Bewertungsobjekte sind Darstellerattribute (z. B. deren Bekanntheitsgrad: prominent besetzt), Darstellerleistungen (z. B. deren Talent: sich problemlos in die allererste Riege einreihen), Rollenprofile (z. B. die Widersacherrolle: die legendären Bond-Bösewichte), filmästhetische Merkmale (z. B. der Unterhaltungswert: atemberaubende Action, die Atmosphäre: düstere Story, der Neuigkeitswert: die Action-Karten der Bond-Saga neu mischen). In einer Filmempfehlung ist die Dominanz positiven BEWERTEN s erwartbar, was der Beispieltext auch bestätigt. Auf den ersten Blick treten zwei hauptsächliche Gestaltungsmerkmale des bewertenden Stils hervor: ▶ das Hinzufügen von bewertenden Adjektiven zu nominalen und verbalen Wortgruppen sowie Partizipialkonstruktionen (die legendären Bond-Bösewichte; sich problemlos einreihen; prominent besetzt), auch von Adjektiven aus dem Erlebniswortschatz (atemberaubende Action; düstere Story); ▶ das Einflechten von verbalen und satzförmigen bewertenden Phraseologismen (sich in die allererste Riege einreihen; Das Beste ist gerade gut genug.), auch in modifizierter, auf das Genre und die Reihe zugeschnittener Form (die Action-Karten der Bond-Saga neu mischen). Bewertende Elemente können- - wie wir gesehen haben- - in das ERZÄHLEN eines Ereignisses bzw. einer Ereigniskette integriert sein; vice versa können erzählende Elemente-- wie wir feststellen-- das BEWERTEN eines Objekts bzw. einzelner Aspekte unterbrechen (vgl. In seinem vierten Einsatz als 007 macht Craig dabei erstmals Bekanntschaft mit seinem ultimativen Gegenspieler-…). Die Stilform ‚bewertender Stil‘ schließt die Verfahren des Verstärkens und Abschwächens von Bewertungen ein. Im Beispieltext sind es vor allem Phraseologismen mit superlativischen Komponenten oder superlativischer Bedeutung, die positives BEWERTEN verstärken (sich in die allererste Riege einreihen; Das Beste ist gerade gut genug.; en masse). Als besonders markant sticht der Satz mit der Wortgruppe schier atemberaubende Action en masse heraus. Die Steigerungspartikel schier verleiht dem Passus ein Höchstmaß an positiver Bewertung, sodass eine weitere Steigerung kaum möglich erscheint, und das Ausrufezeichen am Satzende sorgt für zusätzliche Intensivierung. Aus dem letzten Satz des Textes (Wie immer gilt bei Bond: Das Beste ist gerade gut genug.) geht ein weiteres Verfahren des bewertenden Stils hervor: das Generalisieren von Werturteilen, hier bezogen auf den Vergleich des aktuellen Films mit seinen Vorgängern. Gestaltungsmittel ist das generelle Präsens im Verbund mit adverbialen Zusätzen, hier mit der Komparativbestimmung wie immer, einem Sachvergleich. <?page no="85"?> 85 2.5 Motiviertheit b) Handlungssituierung Texthandlungen können verschiedenen Situationskontexten angepasst werden. Wir haben das bereits gesehen am Beispiel der Texthandlung BERICHTEN im Textsortenrahmen Medienbericht (Text 11) und der Texthandlung BESCHREIBEN im Textsortenrahmen Lexikonartikel (Text 12). Die Stilkennzeichnungen ‚journalistischer Stil‘ und ‚juristischer Stil‘ (siehe 2.4.2.2) verweisen auf einen bestimmten Situationskontext: die Kommunikationsbereiche Journalismus und Rechtswesen. Auf die Texthandlung ERZÄHLEN bezogen, hat die Anpassung an Situationskontexte zur Folge, dass verschiedene Erzählstile entstehen. Um es an Beispielen zu zeigen, vergleichen wir Text 30 mit Text 29. 1 kann mich nicht erinnern . d ass ich jemals in lebensgefahr gewesen wär. höchstens im im auto . d as ja ja einmal auf der autobahn . das s eigentlich schwer . etwas zu erzählen . wir sind von marburg runtergekommen auf der autobahn . 5 und vor uns ist ein lastwagen hergefahren . und der fahrer . das war nicht ich . w ollte also immer überholen . und hat sich also zu sehr aufn rückspiegel konzentriert . und dann muss plötzlich der lastwagen die geschwindigkeit verringert haben . jedenfalls hat sich sind wir ganz nah rangekommen . 10 und er konnte grad noch ausbiegen und um den lastwagen herumkommen . also lebensgefahr wars vielleicht keine . aber jedenfalls ziemlich nah an nem unfall . das is so gut wie die gefährlichste situation . d ie ich jemals erlebt hab . Beispieltext 30: Mündliche Alltagserzählung Wortlaut und Mündlichkeitsmerkmale wurden dem Transkript FR --_E_00 034_ SE -01-T-01 der Datenbank für gesprochenes Deutsch, IDS Mannheim, entlehnt. Im Unterschied zu Text 29 sind in Text 30 zahlreiche Mündlichkeitsmerkmale auffällig, die sich auf folgende Gestaltungsverfahren zurückführen lassen: ▶ Prokopieren (Abstoßen von Lauten und Silben am Wortanfang): s (Z. 3); nem (Z. 12); runtergekommen (Z. 4); rangekommen (Z. 9); ▶ Apokopieren (Abstoßen von Lauten am Wortende): wär (Z.-1); is (Z.-13); hab (Z.-13); ▶ Apokopieren und Synkopieren (Abstoßen von Lauten im Wortinneren): grad (Z.-10); ▶ Auslassen von Satzteilen (Produzieren von Ellipsen): kann mich nicht erinnern (Z. 1); <?page no="86"?> 86 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil ▶ Brechen von Satzkonstruktionen (Produzieren von Anakoluthen): jedenfalls hat sich sind wir-… (Z. 9); ▶ Duplizieren von Wörtern: im im (Z. 2); ja ja (Z. 2); ▶ Zusammenziehen von Wörtern (Produzieren von Enklisen): aufn (Z. 7); wars (Z. 11). Mündlichkeitsmerkmale gelten als Varianten der Varietät Sprechsprache, der legeren Form von gesprochener Sprache, Schriftlichkeitsmerkmale-- wie sie Text 29 aufweist-- als Varianten der Varietät Schreibsprache, der literarisch-ausgefeilten geschriebenen Sprache. Beide Varietäten können sowohl mündlich als auch schriftlich verwendet werden. So kann man Sprechsprachlichkeit in Schrifttexten vorfinden, die vom Zwang der Wohlgeformtheit befreit sind-- man denke an Notizzettel, Chats und Vorlesungsmitschriften--, und Schreibsprachlichkeit in Texten der mündlichen Kommunikation, bei denen es auf literarische Qualität ankommt (z. B. Predigt, Laudatio, Gedenkrede). Man unterscheidet deshalb zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit (vgl. Koch / Oesterreicher 1985) und somit auch zwischen schriftlich realisierter Sprechsprachlichkeit und mündlich realisierter Schreibsprachlichkeit. Varietäten spielen für das Herstellen von Stil eine herausgehobene Rolle, denn es handelt sich um sozial bzw. situativ differenzierte Teilsprachen innerhalb einer Sprache, die für die Realisierung von Gestaltungsakten zur Verfügung stehen. Außer Sprech- und Schreibsprache gehören zum Varietätengefüge des Deutschen viele andere solcher Teilsprachen, etwa Bairisch und Plattdeutsch als Dialekte, Jugendsprache und Bildungssprache als Soziolekte, die Fachsprache der Medizin oder die des Sports als Professiolekte. Das Verwenden von Varietäten (das Auswählen und Kombinieren varietätengebundener Gestaltungsmittel) ist ein leistungsstarkes Gestaltungsverfahren zur Situierung von Texten und Texthandlungen. Zu fragen ist nun, inwiefern im Auswählen und Kombinieren sprechbzw. schreibsprachlicher Gestaltungsmittel handlungssituierende Verfahren gesehen werden können. Dazu ist es nötig, den Begriff Situationskontext aufzufächern, denn die Kommunikationssituation, in der Texte produziert und rezipiert werden, umfasst zahlreiche Aspekte. Um zu ermitteln, welche Aspekte für das Verwenden von Sprechbzw. Schreibsprache ausschlaggebend sind, stellen wir die Texte 29 und 30 im Hinblick auf ihre Situationsaspekte vergleichend gegenüber (siehe Tab. 11). Situationsaspekt Filmempfehlung (Text 29) Alltagserzählung (Text 30) Kommunikationsbereich Journalismus Alltagskommunikation Kommunikationskanal schriftlich mündlich Planbarkeit der Textproduktion konzipiert spontan Kommunikationskontakt indirekt (vermittelt) direkt (face-to-face) Sozialer Aktionsradius öffentlich privat Tab. 11: Situationsaspekte im Textsortenvergleich <?page no="87"?> 87 2.5 Motiviertheit Der Situationsaspekt Kommunikationsbereich scheidet als ausschlaggebend für die Verwendung von Sprechbzw. Schreibsprache aus, denn es gibt Sprechsprachlichkeit auch im Journalismus (z. B. in Moderationstexten oder Live-Reportagen der Sportberichterstattung) und Schreibsprachlichkeit in der Alltagskommunikation (insbesondere in Privatbriefen). Der soziale Aktionsradius kann auch nicht ausschlaggebend sein, da er die Sozialstruktur von Kommunikationsbereichen mit bestimmt. Die Art des Kommunikationskontakts ist ebenfalls als irrelevant anzusehen, weil sowohl der direkte als auch der indirekte Kontakt das Verwenden beider Varietäten ermöglicht. Schreibsprachlichkeit in Face-to-face-Situationen der Alltagskommunikation ist zwar selten, aber nicht ausgeschlossen. So bescheinigt man Sprechern in privaten Alltagsgesprächen mitunter, dass sie reden können wie gedruckt. In die engere Auswahl relevanter Situationsaspekte kommen der Kommunikationskanal und die Planbarkeit der Textproduktion. Es leuchtet sicher ein, dass Sprechsprachlichkeit primär an den mündlichen, Schreibsprachlichkeit primär an den schriftlichen Kommunikationskanal gebunden ist. Und zweifellos begünstigt der mündliche Kanal die Verwendung von Sprechsprache in hohem Maße, doch eine Eins-zu-Eins-Beziehung gibt es wie gesagt nicht. Somit verbleibt als wichtigster Situationsaspekt für das Verwenden von Sprech- oder Schreibsprache die Planbarkeit der Textproduktion: Spontaneität vs. Konzipiertheit. Zusammenfassend wollen wir Folgendes festhalten: Mit der Verwendung von Sprechbzw. Schreibsprache wird die Texthandlung ERZÄHLEN in einen je anderen Situationskontext eingebettet, wodurch zwei verschiedene Erzählstile entstehen. Sprechsprachlicher Erzählstil verweist auf die Spontaneität, schreibsprachlicher Erzählstil auf die Konzipiertheit des ERZÄHLEN s. Gesondert hinzuweisen ist auf Texthandlungen, deren Bezeichnung auf eine Situierung durch den Kommunikationsbereich verweist. Als Beispiele die Texthandlungen INTER- VIEWEN (im Bereich Journalismus), BEURKUNDEN (im Behördenwesen), PREDIGEN (im Gottesdienst) und KLASSIFIZIEREN (in der Wissenschaft). DISKUSSION 1. In der Literatur zur pragmatischen Stilistik wird häufig betont, dass der Sinn des Gestaltens auch im Bekunden von Einstellungen bestehen kann. Müsste man ‚Einstellungsbekundung’ demnach nicht auch in die Reihe der Gestaltungsmotive aufnehmen? Mit dem Begriff Einstellung sind Haltungen oder Positionen gemeint, die ein Textproduzent explizit oder implizit zum Ausdruck bringt gegenüber allen möglichen Aspekten kommunikativen Handelns. In Betracht zu ziehen sind Einstellungen zu thematischen Textinhalten (siehe 2.4.2.2), darüber hinaus zur Funktion der Texthandlung, zu den Adressaten, zur Sprache oder anderen Kommunikationsmedien usw. (vgl. Sandig 1986: 281 ff.; dies. 2006: 15 f.). Es heißt deshalb durchaus folgerichtig: „Mit der Art, wie wir uns äußern, positionieren wir uns jeweils im (d. h. relativ zum) gesamten Umfeld unserer Interaktion.“ (Sandig 2001: 31) Wenn dem so ist, dann darf man das Bekunden von Einstellungen nicht als eigenständigen Typ stilistischen <?page no="88"?> 88 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil 2.5.3 Grundlegende Unterschiede zwischen pragmatischer und poetischer Textkommunikation Bevor wir die Frage nach dem stilistischen Wozu in der poetischen Textkommunikation aufwerfen und exemplifizierend beantworten, wollen wir erklären, warum es notwendig Sinns, als eigenständiges Gestaltungsmotiv auffassen, denn dann ist jegliches Gestalten ein einstellungsbekundender Akt und Einstellungsbekundung ein Wesensmerkmal von Stil. Wie sich stilistische Einstellungen systematisieren lassen, wird in Abschnitt 3.2.2 dargestellt. 2. In der Literatur zur pragmatischen Stilistik wird auch betont, dass der Sinn des Gestaltens in der Berücksichtigung des Adressaten bestehen kann. Ist ‚Adressatenberücksichtigung’ demnach ebenfalls ein Gestaltungsmotiv? Wir ersehen aus den Beispielanalysen zu Gestaltungsmotiven in der pragmatischen Textkommunikation, dass die Berücksichtigung des Adressaten (vgl. dazu u. a. Sandig 1986: 227 ff.) kein eigenständiges Gestaltungsmotiv ist, sondern ein Begleitmotiv. Es begleitet rezeptions- und erkenntniserleichternde Gestaltungsweisen ebenso wie rezipientenbeeinflussende. In Abhängigkeit von der Textart kommen bestimmte Zielgruppen als Adressaten in Betracht, z. B. Kinder (als Zielgruppe der Kinder-Seiten von Tageszeitungen), Studierende (als Zielgruppe von Hochschullehrbüchern), Heimwerker (als Zielgruppe in der Baumarkt-Werbung). 3. In der Literatur zur pragmatischen Stilistik wird der Sinn des Gestaltens auch in der Selbstdarstellung des Textproduzenten gesehen. Im vorliegenden Abschnitt 2.5.2.1 wird der Begriff Selbstpräsentation verwendet. Gibt es zwischen ‚Selbstdarstellung‘ und ‚Selbstpräsentation‘ einen Bedeutungsunterschied? Die Begriffe Selbstdarstellung (vgl. dazu Sandig 1986: 214 ff.) und Selbstpräsentation sollten nicht deckungsgleich verwendet werden. ‚Selbstdarstellung‘ ist n.u.A. eine textthematische Leistung; sie besteht in der Selbstbeschreibung des Textproduzenten, anzutreffen in Kontaktanzeigen oder Bewerbungsschreiben. Im Unterschied dazu ist ‚Selbstpräsentation‘ eine textstilistische Leistung; vermittelt werden Informationen über den Textproduzenten, die sich aus Gestaltungsweisen „herauslesen“ lassen. 4. In der Literatur zur pragmatischen Stilistik werden Typen stilistischen Sinns auch als die Art der Adressatenberücksichtigung, die Art der Beziehungsgestaltung usw. bestimmt. Ist das sinntypologisch adäquat? Hierzu muss kritisch angemerkt werden, dass sich, werden Typen stilistischen Sinns so bestimmt (vgl. u. a. Sandig 1986: 214 ff., dies. 1995: 30), der Blickwinkel verschiebt: vom stilistischen Wozu zum stilistischen Wie. Oder anders formuliert: Das Wozu und das Wie verschmelzen unzulässigerweise zu einer Kategorie. Denn mit der Art der Adressatenberücksichtigung, der Art der Beziehungsgestaltung usw. wird immer ein Wie erfasst. Dieses Wie kommt durch realisierte Gestaltungsprinzipien bzw. -ideen zur Geltung, ist auf einen Typ stilistischen Sinns (als stilistisches Wozu) bezogen, repräsentiert aber nicht selbst stilistischen Sinn. <?page no="89"?> 89 2.5 Motiviertheit ist, zwischen pragmatischer und poetischer Textkommunikation eine Trennlinie zu ziehen. Kunstwerke, so auch poetische Texte, sind „Medien eines diskontinuierlichen Kommunikationsgeschehens“, lesen wir bei Reinold Schmücker (1998: 282). Während sich Rezipienten in kontinuierlichen, pragmatisch ausgerichteten Kommunikationsprozessen auf den Informationswert von Äußerungen und die Intention eines Äußerungsproduzenten konzentrieren, sind Rezipienten im Kommunikationsbereich Kunst aufgefordert, sich auf die Geformtheit des jeweiligen Mediums zu konzentrieren (ebd.: 287 f.). ‚Diskontinuität‘ meint also, dass Kunstwerke nicht primär auf eine Verständigung zwischen Kommunikationspartnern angelegt sind, dass das Kunstwerk die Kommunikationspartner voneinander trennt. An die Stelle von partnerorientierter Kommunikation tritt werkorientierte Kommunikation (siehe Schaubild 1). Doch was berechtigt eigentlich dazu, bei fehlender Partnerorientierung von Kommunikation zu sprechen? Es handelt sich durchaus auch um Kommunikation, da Kunstwerke-- wie Reinold Schmücker (1998: 282) weiter ausführt-- Zeichencharakter besitzen, Resultat eines Zu-verstehen-Gebens und Gegenstand eines Zu-verstehen-Suchens sind. Kontinuierlicher Kommunikationsprozess Partnerorientiertheit Diskontinuierlicher Kommunikationsprozess Werkorientiertheit (P = Produzent; R = Rezipient) R TEXT R P P WERK Poetischer Text Schaubild 1: Kontinuierlicher vs. diskontinuierlicher Kommunikationsprozess Werkorientiertheit hat für die Rezeption erhebliche Konsequenzen. Die Textrezipienten sind aufgefordert, aus der stilistischen Gestalthaftigkeit eines poetischen Textes (als Sprachkunstwerk) Anhaltspunkte für ein Verstehen seines Gehalts zu gewinnen. Wir brauchen uns nur des Gedichts „markierung einer wende“ von Ernst Jandl (Text 8) zu erinnern, um festzustellen, dass unsere Aufmerksamkeit zwangsläufig auf die Form des Werks gelenkt wird. Es wäre abwegig, dem Gedicht Informationen über den Zweiten Weltkrieg entnehmen zu wollen. <?page no="90"?> 90 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Will man der Eigengesetzlichkeit von Sprachkunstwerken textproduktionsseitig Rechnung tragen, so kann man dies tun, indem man poetische Texte nicht als Produkte eines Texthandelns, sondern als Produkte eines Werkherstellens begreift. Welche Texthandlung sollte man im Jandl-Gedicht auch ausfindig machen können? Oder in einem Drama? Selbst Erzählen ist im Rahmen epischer Textsorten (Genres) auf Grund der Diskontinuität zwischen Kunstproduktion und -rezeption keine Texthandlung im pragmatischen Verständnis. Erzählen ist vielmehr eine Darbietungsform, die im Prozess des Werkherstellens poetisch ausgestaltet wird. Der allgemeinste werkherstellende Gestaltungsakt ist Poetisieren, oberstes Gestaltungsprinzip ist Poetizität. Darauf gründet sich textproduktionsseitig die Differenz zwischen poetischen und pragmatischen Texten- - eine Differenz, die im Interpretationsprozess beachtet sein will, wenn man nach Gestaltungsmotiven fragt. Zu fragen ist in erster Linie nach werkorientierten, nicht nach partnerorientierten Gestaltungsmotiven. In der poetischen Textkommunikation erwachsen Gestaltungsmotive primär aus dem Erfordernis, eine Werkhaltung einzunehmen: eine Haltung des Künstlers gegenüber seinem Werk. Insofern sind poetische Gestaltungsmotive werkbezogene Schaffensmotive. Was das genau heißt, wollen wir in den nächsten Abschnitten darlegen. 2.5.4 Gestaltungsmotive in der poetischen Textkommunikation 2.5.4.1 Spiellustbekundung: Poetische Experimente Die berühmten „Stilübungen“ von Raymond Queneau, aber auch Lautgedichte (z. B. Hugo Balls „Karawane“) und Bildgedichte (z. B. Eugen Gomringers „Wind“), auf die hier nur verwiesen sein soll, zeigen uns, dass der Sinn poetischen Gestaltens im Bekunden von Spiellust bestehen kann. Verfahren spielerischen Gestaltens sind das Experimentieren mit der Sprache, mit Lauten, Buchstaben oder Silben, das Erfinden von Wörtern, deren Lautstruktur keine Bedeutungszuschreibung ermöglicht, das Überführen von Wortbedeutungen in eine bildförmige Gestalt u. a. m. (siehe auch 3.4.2). Ordnet man die Werke einer literarischen Richtung zu, Lautgedichte dem Dadaismus, Bildgedichte der Konkreten Poesie, kommen weiterreichende Schaffensmotive in den Blick, die zu einem Feld literaturwissenschaftlicher Forschung geworden sind. Spiellust können jedoch auch reine Nonsens-Texte zu erkennen geben. Als Beispiel Text 31. <?page no="91"?> 91 2.5 Motiviertheit Beispieltext 31: Scherzrätsel Eulenspiegel, Nr. 10 / 2015, 74 (Sonderseiten „Literatureule“). Schauen wir uns zunächst die textarchitektonische Gestaltung an. Der Text gliedert sich in zwei hauptsächliche Bausteine: die Rätselaufgabe und die Rätselauflösung. Die Rätselaufgabe beansprucht fast die gesamte Textfläche. Sie ist als Frage formuliert (Kennst du ein Gedicht, in dem folgende Präpositionen vorkommen? ) und mit einer Graphik illustriert, die die Semantik der in Frage stehenden Präpositionen veranschaulicht. Die Rätselauflösung ist kleinflächig gestaltet, erscheint kleingedruckt und wird in Entsprechung zur Rätselaufgabe in Gedichtform präsentiert. Schauen wir uns nun die Rätselauflösung genauer an. Das Gedicht ist Produkt eines Spielens mit Wörtern der Wortart Präposition, die als Konstituenten von Wortbildungskonstruktionen (Zusammenrückungen, Komposita) verwendet werden. Es lenkt unsere Aufmerksamkeit somit nicht auf den Reim, sondern auf ein sprachspielerisches Gestaltungsverfahren: das Auseinanderrücken zweier Präpositionen, die regulär zu einem Adverb vereinigt sind (vgl. in zwischen; neben an; mit unter; vor über). Das Verfahren bringt erhebliche Rezeptionserschwernisse mit sich, denn der Rezipient ist gefordert, die Auseinanderrückungen rückgängig zu machen, um den Verszeilen Grammatikalität zu verleihen (bzw. zurückzugeben). Verblüfft stellt er fest, dass vor und über eigentlich ein Temporaladverb bilden, das <?page no="92"?> 92 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil als Erstglied zum verbalen Determinativkompositum vorübergehen gehört, und dass hinter und Zimmer eigentlich Konstituenten eines substantivischen Determinativkompositums sind, mit der Präposition hinter als Erstglied. Es gehört zum Wesen von Scherzrätseln, die Rätselaufgabe thematisch irreführend zu formulieren, sodass sich mit der Rätselauflösung ein Überraschungseffekt einstellt, den man mit der Pointe von Witzen vergleichen kann- - einer Textsorte, die ebenfalls zum Bereich poetischer Scherzkommunikation gehört (siehe Text 7). Die Illustration-- Teil des Textbausteins Rätselaufgabe-- mutet in ihrer graphischen Gestaltung wie eine erkenntniserleichternde Abbildung in einem Grammatiklehrbuch an. Wir haben eine „Textmustermontage“ (Fix 1997) vor uns, d. h. eine Kopplung von Textbausteinen, die auf ein jeweils anderes Textmuster bezogen sind, sich aber dennoch kommunikativ ergänzen und eine kommunikative Ganzheit bilden. Textmustermontagen unterscheiden sich von Textmustermischungen. Erstere sind durch ein textarchitektonisches Nebenbzw. Nacheinander, Letztere durch ein Ineinander verschiedenartiger Textmusterrealisierungen gekennzeichnet. 2.5.4.2 Figurenporträtierung: Sprach- und Kommunikationsporträts Ein Gestaltungsmotiv in der poetischen Textkommunikation ist in dem Bestreben zu sehen, Figuren ein soziales und / oder individuelles Profil zu verleihen. Zu diesem Zweck werden die Äußerungen von Figuren mit Merkmalen versehen, die Rückschlüsse auf entsprechende Persönlichkeitsmerkmale zulassen. Die betreffenden Äußerungsmerkmale können sprachlicher oder kommunikativ-pragmatischer Art sein und sich dementsprechend zu einem Sprachporträt oder einem Kommunikationsporträt bündeln. a) Sprachporträts Unter einem Sprachporträt versteht man die Typisierung einer literarischen Figur „durch ihre Art, sich sprachlich kundzutun“ (Krahl / Kurz 1984: 105). In Sprachporträts werden Äußerungsmerkmale einer Figur (Prosodie, Wortwahl, Satzbau u. a.) interpretierbar im Hinblick auf soziale Merkmale der Figur (Bildungsgrad, regionale Herkunft, sozialer Status usw.). Ein wichtiges Verfahren sprachporträtierender Gestaltung ist das Verwenden von Varietäten (siehe zum Begriff 2.5.2.5), insbesondere von Regional-, Fach- und Gruppensprachen. Als Beispiel ein Auszug aus dem Roman „Der Untertan“ von Heinrich Mann: Auszug 1 (Kap. V) „Verkaufen, was? Klemme, was? “ […] „Quatsch. Weiß Bescheid. Nur keine Fisimatenten! Höherer Befehl. Schnauze halten und verkaufen, sonst gnade Gott.“ […] „Momentane Verlegenheit“, schnarrte er. „Vermittle Kavalieren. Ehrensache.“ <?page no="93"?> 93 2.5 Motiviertheit […] „Präsident von Wulckow eklig hinterher, daß Sie verkaufen, sonst kein Geschäft mit ihm zu machen. Vetter Quitzin arrondiert Besitz hierherum. Rechnet bestimmt auf Ihr Entgegenkommen. Hundertzwanzig die Kiste.“ Beispieltext 32a: Roman (Auszug 1) Heinrich Mann: Der Untertan. 25. Aufl. Leipzig 1986: Philipp Reclam jun., 293 f. Die Äußerungen des Premierleutnants a.D. Karnauke, gerichtet an die Hauptfigur des Romans, Diederich Heßling, der zum Verkauf seines Hauses genötigt werden soll, weisen in prosodischer, lexikalischer und syntaktischer Hinsicht gruppensprachliche Merkmale auf. Sprachgeschichtlich gesehen, handelt es sich um den „preußischen Leutnantston“ des wilhelminischen Kaiserreichs, einen Militärjargon der Offiziere und Reserveoffiziere, der aber auch von Zivilpersonen in Regierungs- oder anderweitig einflussreichen Positionen gesprochen wurde (vgl. von Polenz 1999: 459 f.). Sprachporträtierend eingesetzt, wird die Figur, indem sie so spricht, als Repräsentant der Regierung typisiert. Karnauke agiert-- wie wir erfahren-- im Auftrag des Regierungspräsidenten von Wulckow. Eigenheiten des preußischen Militärjargons zeigen sich vor allem an „syntaktischen Sparformen“ (ebd.: 460). Typische Kennzeichen der Varietät sind ▶ das elliptische Auslassen von pronominalen Satzsubjekten wie ich oder er (Weiß Bescheid.; Vermittle Kavalieren.; Rechnet bestimmt auf Ihr Entgegenkommen.); ▶ das elliptische Auslassen von finiten Verbformen wie ist (Präsident von Wulckow eklig hinterher, sonst kein Geschäft mit ihm zu machen.); ▶ das elliptische Auslassen von pronominalen Satzsubjekten, finiten Verbformen sowie von Artikeln und Präpositionen (Verkaufen, was? statt Sie wollen verkaufen, nicht wahr? ; Klemme, was? statt Sie sind in der Klemme, nicht wahr? ; Nur keine Fisimatenten! statt Machen Sie nur keine Fisimatenten! ; Hundertzwanzig die Kiste. statt Geboten werden hundertzwanzig für die Kiste.), wodurch auch ein- und zweigliedrige Nennsätze entstehen, d. h. Sätze, die auf ein Substantiv oder eine Substantivgruppe im Nominativ reduziert sind (Quatsch.; Ehrensache.; Höherer Befehl.; Momentane Verlegenheit.); ▶ das Ersetzen imperativischer Verbformen durch infinitivische (Schnauze halten und verkaufen), was, auch bedingt durch die Wortwahl, einen befehlssprachlichen Ton erzeugt. Zum Erscheinungsbild des preußischen Militärjargons gehört darüber hinaus ein charakteristisches prosodisches Merkmal, das redekennzeichnend vermittelt wird. Im Text wird mehrfach vermerkt, dass Karnauke schnarrt bzw. etwas schnarrend sagt, also lautstark und hölzern spricht (Textbeleg: „Momentane Verlegenheit“, schnarrte er.). In lexikalischer Hinsicht auffällig ist die Dichte an umgangs- und saloppsprachlichen Ausdrücken. Textbelege für Umgangssprachlichkeit sind Quatsch (statt Unsinn); Klemme (statt schwierige Lage); Fisimatenten (statt Ausflüchte); eklig (statt ganz gehörig). Umgangssprachlich sind auch die Gesprächspartikel was (statt nicht wahr) und ein pragmatischer Phraseologis- <?page no="94"?> 94 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil mus: die Drohformel sonst gnade Gott. Textbelege für Saloppsprachlichkeit sind Kiste (statt Haus) und Schnauze (statt Mund). Man beachte, dass nicht ein einzelnes Äußerungselement typisch für den preußischen Militärjargon ist, sondern erst ihre Fülle und Kombination. Sprachporträtierendes Gestalten erweist sich im satirischen Roman „Der Untertan“ als Karikieren von Figuren. So wird auch Karnauke zu einer karikaturesken Figur. Seine Sprache wirkt in mehrfacher Hinsicht unangemessen. Der Militärjargon passt nicht zum Situationskontext (Karnauke erscheint am Tag der Hochzeit von Diederich Heßling), und die Wortwahl verträgt sich nicht mit seiner sozialen Position. b) Kommunikationsporträts In Kommunikationsporträts sind Äußerungsmerkmale des text- oder gesprächskommunikativen Handelns einer literarischen Figur (Prosodie, Wortwahl, Satzbau u. a.) mit Gestaltungsmotiven pragmatischer Kommunikation (wie Selbstpräsentation, Beziehungsgestaltung oder Rezipientenbeeinflussung) relationiert, was Rückschlüsse auf Charakterzüge der Figur zulässt. Von besonderer interpretativer Bedeutsamkeit ist der fiktionale Situationskontext, in dem sich kommunikatives Handeln vollzieht. Die Äußerungsmerkmale können-- im Unterschied zum Sprachporträt-- je nach Situationskontext variieren, woraus sich die Möglichkeit ergibt, den Charakter einer Figur vielschichtig anzulegen und zu deuten. Als Beispiele drei weitere Auszüge aus dem Roman „Der Untertan“ (siehe Text 32b). Auszug 2 (Kap. III ) „Leute! Da ihr meine Untergebenen seid, will ich euch nur sagen, daß hier künftig forsch gearbeitet wird. Ich bin gewillt, mal Zug in den Betrieb zu bringen. In der letzten Zeit, wo hier der Herr gefehlt hat, da hat mancher von euch sich vielleicht gedacht, er kann sich auf die Bärenhaut legen. Das ist aber ein gewaltiger Irrtum, ich sage das besonders für die alten Leute, die noch von meinem seligen Vater her dabei sind.“ Auszug 3 (Kap. VI ) […] seiner Gattin, die im Bett lag und ihn mit Vorwürfen empfing, erwiderte er blitzend: „Mein Kaiser hat ans Schwert geschlagen, und wenn mein Kaiser ans Schwert schlägt, dann gibt es keine ehelichen Pflichten mehr. Verstanden? “ Auszug 4 (Kap. VI ) „Aus dem Lande des Erbfeindes“, schrie Diederich, „wälzt sich immer wieder die Schlammflut der Demokratie her, und nur deutsche Mannhaftigkeit und deutscher Idealismus sind der Damm, der sich ihr entgegenstellt. Die vaterlandslosen Feinde der göttlichen Weltordnung aber, die unsere staatliche Ordnung untergraben wollen, die sind auszurotten bis auf den letzten Stumpf, damit, wenn wir dereinst zum himmlischen Appell berufen werden, daß dann ein jeder mit gutem Gewissen vor seinen Gott und seinen alten Kaiser treten kann, und wenn er gefragt wird, ob er aus ganzem Herzen für des Reiches Wohl mitgearbeitet habe, er an seine Brust schlagen und offen sagen darf: Ja! “ Beispieltext 32b: Roman (Auszüge 2-4) Heinrich Mann: Der Untertan, a. a. O., 86 (Auszug 2), 313 (Auszug 3), 388 f. (Auszug 4). <?page no="95"?> 95 2.5 Motiviertheit Auszug 2: Diederich Heßling stellt sich als Besitzer der von seinem Vater geerbten Fabrik den Arbeitern vor. Die Äußerungsmerkmale lassen erkennen, dass die Beziehung zwischen ihm und den Arbeitern einerseits lässig, andererseits streng und unpersönlich, insgesamt also widersprüchlich gestaltet wird. Von Lässigkeit zeugen die umgangssprachliche Anrede Leute! , der umgangssprachlich-abwertende Phraseologismus sich auf die Bärenhaut legen, der verwendet wird, um den Arbeitern Faulheit zu unterstellen, und der umgangssprachlich-aufwertende Phraseologismus Zug in etw. bringen, der dazu dient, den künftigen Führungsstil zu beschreiben. Strenge und Unpersönlichkeit werden artikuliert sowohl bei der Beschreibung von Konsequenzen des neuen Führungsstils (vgl. die auffordernde unpersönliche Passivkonstruktion daß hier künftig forsch gearbeitet wird) als auch bei der Bewertung von unterstellter Faulheit (vgl. die Verstärkung mittels gewaltig in dem Satz Das ist aber ein gewaltiger Irrtum.). Insgesamt wird in sozialer Hinsicht ein autoritärer Stil hervorgebracht, wozu auch die Kategorisierung der Arbeiter als Untergebene ihren Beitrag leistet. Auszug 3: Diederich Heßling kommt als Wahlkämpfer für die Partei des Kaisers erst morgens nach Hause und begibt sich in das eheliche Schlafzimmer. Die Äußerungen, mit denen er seine nächtliche Abwesenheit rechtfertigt und seine Frau zurechtweist, sind in einem Stil gehalten, der in einer intimen Situation zwischen Eheleuten absolut unpassend ist. Der bildliche Phraseologismus ans Schwert schlagen (‚zum Kampf aufrufen‘) bringt Pathos in die Rede. Der euphemistische Phraseologismus eheliche Pflichten (‚Geschlechtsverkehr mit dem Ehepartner‘) ist ein Ausdruck formelhafter Behördensprache. Und die jeden Widerspruch unterbindende Anhängsel-Frage Verstanden? erinnert an den preußischen Militärjargon. Es lassen sich Charakterzüge wie Herrschsucht gegenüber der Ehefrau und Unterwürfigkeit (Devotheit) gegenüber dem Kaiser ableiten (vgl. auch die Substitution des bestimmten Artikels durch das Possessivum mein in mein Kaiser als Ausdruck besonderer Wertschätzung). Auszug 4: Diederich Heßling hält zur Einweihung des Kaiserdenkmals eine Propagandarede. Hervorstechend ist die Verunglimpfung und Bedrohung des politischen Gegners. Die Rede enthält militaristisches Brandmarkungsvokabular (Erbfeind; vaterlandslose Feinde), das mit nationalistischem Wertschätzungsvokabular (deutsche Mannhaftigkeit; deutscher Idealismus) kontrastiert. Im Kontext der Propagandasprache erhält auch das ideologiegebundene Wort Demokratie eine klare pejorative Bedeutung. Eingebunden in ein komplexes Sprachbild (eine Allegorie), wird Demokratie mit einer Naturkatastrophe gleichgesetzt (vgl. Schlammflut der Demokratie). Die Radikalität der Sprache Heßlings, interpretierbar als Radikalität seines Wesens, kommt auch in dem politischen Appell zum Ausdruck, die Feinde auszurotten bis auf den letzten Stumpf (Beleg für die Modifikation des Phraseologismus etw. mit Stumpf und Stiel ausrotten). Bemerkenswert ist außerdem das Mischen von politischer Sprache (vgl. staatliche Ordnung; für des Reiches Wohl mitarbeiten) und religiöser Sprache (vgl. göttliche Weltordnung; himmlischer Appell; vor seinen Gott treten) bei der Verkündung und Begründung des Appells. Die Rede bringt einerseits Radikalität (dem politischen Feind gegenüber), andererseits <?page no="96"?> 96 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Unterwürfigkeit (gegenüber Gott und Kaiser) zum Vorschein. Zur politischen Radikalität als Charakterzug passt ein prosodisches Äußerungsmerkmal: die Hysterie des Sprechens. Dass die Rede hysterisch gehalten wird, erfahren wir durch das Verb schreien, das redekennzeichnend eingesetzt worden ist (vgl. …-schrie Diederich). 2.5.4.3 Milieukolorierung: Regionalisierung und Historisierung Ein weiteres Gestaltungsmotiv in der poetischen Textkommunikation ist in dem Bestreben zu sehen, den Erzählstil dem Milieu (sozialen Umfeld) des erzählten Geschehens anzupassen und es auf diese Weise poetisch zu situieren. Als Gestaltungsakte kommen insbesondere das Regionalisieren (Herstellen von Lokalkolorit) und das Historisieren (Herstellen von Zeitkolorit) in Betracht. Die Texte werden mit typischen sprachlichen Merkmalen einer Region oder einer historischen Zeit ausgestattet. a) Regionalisierung De Schnieschuhprüfing Wos e richtiger Schnieschuhfahrer is, der kennt aah Mühlleithen mit seiner grueßen Vuegtlandschanz. Des klaa Dorf liegt mitten din Vuegtlandwald, net weit vom Aschberg. Dort uebn is dr Winter am schännsten, dort dauert’r aah am längsten, und Schnieschuh fahrn könne de Schulkinner in den klann Walddörfel wie net gescheit. […] Emoll is e gunger Lehrer nooch Mühlleithen versetzt wurn, der’s Schnieschuhfahrn net esue gut kunnt, aß’r hett vur sann Schulkinnern bestieh könne, die ball alle klaane Maaster af ihrn Breeteln warn. Des war den gunge Lehrer net aanerlei, und wenn’r an ne Winter gedacht hot, wue’r in ne Tornstunden mit sann Kinnern Schnieschuh fahrn mußt, do is ne e wing schwummerig wurn. Beispieltext 33: Mundarterzählung (Auszug) Friedrich Barthel: Erdepfelblumme. Geschichten, Lieder und Gedichte in der Mundart des östlichen Vogtlandes. Leipzig (o. J.): Hofmeister, 82. Der Text „De Schnieschuprüfing“ (siehe Text 33) ist, wie wir aus dem Untertitel des Buches erfahren, in Ostvogtländisch verfasst und bereitet demzufolge all den Lesern / Hörern Verstehensprobleme, die diesen Dialekt nicht beherrschen. Die Merkmale des Ostvogtländischen, das als Gestaltungsmittel des Regionalisierens eingesetzt worden ist, lassen sich am besten herausarbeiten, wenn man den Text in eine hochsprachliche Fassung bringt: Text 33 in hochsprachlicher Version Die Skiprüfung Was ein richtiger Skifahrer ist, der kennt auch Mühlleithen mit seiner großen Vogtlandschanze. Das kleine Dorf liegt mitten im Vogtlandwald, nicht weit vom Aschberg. Dort oben ist der Winter <?page no="97"?> 97 2.5 Motiviertheit am schönsten, dort dauert er auch am längsten, und Ski fahren können die Schulkinder in dem kleinen Walddörfchen wie verrückt. […] Einmal ist ein junger Lehrer nach Mühlleithen versetzt worden, der das Skifahren nicht so gut konnte, dass er vor seinen Schulkindern hätte bestehen können, die bald alle kleine Meister auf ihren Brettern waren. Das war dem jungen Lehrer nicht einerlei, und wenn er an den Winter gedacht hat, wo er in den Turnstunden mit seinen Kindern Ski fahren musste, da ist ihm ein wenig schwummerig geworden. Aus dem Vergleich der Mundarterzählung mit dem in die Hochsprache „übersetzten“ Text gehen folgende Merkmale des Ostvogtländischen hervor (Auswahl): ▶ lexikalische Dialektismen: Schnieschuh (Ski); aah (auch); wing (wenig); net gescheit (verrückt); ▶ wortbildungsmorphologische Dialektismen: Aktionsmorphem -ing (Prüfing) statt -ung (Prüfung); Diminutivmorphem -el (Dörfel) statt -chen (Dörfchen); ▶ flexionsmorphologische Dialektismen: Zusammenfall von Dativ und Akkusativ wie bei in den klann Walddörfel (in dem kleinen Walddörfchen) oder den gunge Lehrer (dem jungen Lehrer); Wegfall von Flexionsmorphemen wie bei klann (kleinen), aber auch sann (seinen); Reduktion von Flexionsmorphemen wie bei kunnt (konnte); hett (hätte) und könne (können); ▶ phonologische Dialektismen: Monophthonge statt Diphthonge bei klaa (klein); Maaster (Meister); af (auf); Diphthonge statt Monophthonge bei grueß (groß); Vuegtland (Vogtland); uebn (oben); wue (wo); Vokaldehnungen: Breeteln (Bretter); Vokalkürzungen in Kombination mit Vokalwechsel: am schännsten (am schönsten); konsonantische Prokopen: aß (daß), Synkopen: Kinner (Kinder) und Apokopen: ball (bald). Eine Reihe weiterer Abweichungen sind nicht als Dialektismen, sondern als Kolloquialismen (sprechsprachliche Varianten) aufzufassen- - als Merkmale der Imitation spontanen Sprechens, die zusammen mit den dialektalen Merkmalen auf die Nähe des Textes zur privaten Alltagskommunikation verweisen (siehe z. B. die Apokope is, die Synkopen dr, fahrn und warn, die Enklisen dauert’r, der’s, aß’r, wenn’r und wue’r). Wir haben es auch hier mit „bewußter Koloritzeichnung“ (Riesel / Schendels 1975: 64) zu tun, nicht mit „natürlichem Kolorit“ (ebd.), das von Dialektsprechern im Alltag erzeugt wird und in diesem Kommunikationsbereich beziehungsgestaltend der Herstellung von sozialer Nähe dient. Bewusstes Herstellen von Lokalkolorit ist ein Akt der poetischen Situierung des erzählten Geschehens. b) Historisierung Der Kellner des Gasthofes „Zum Elephanten“ in Weimar, Mager, ein gebildeter Mann, hatte an einem fast noch sommerlichen Tage ziemlich tief im September des Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes Erlebnis. Nicht, daß etwas Unnatürliches an dem Vorfall gewesen wäre; und doch kann man sagen, daß Mager eine Weile zu träumen glaubte. <?page no="98"?> 98 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Mit der ordinären Post von Gotha trafen an diesem Tage, morgens kurz nach acht Uhr, drei Frauenzimmer vor dem renommierten Hause am Markte ein, denen auf den ersten Blick - und auch auf den zweiten noch - nichts Sonderliches anzumerken gewesen war. Ihr Verhältnis untereinander war leicht zu beurteilen: es waren Mutter, Tochter und Zofe. Mager, der, zu Willkommsbücklingen bereit, im Eingangsbogen stand, hatte zugesehen, wie der Hausknecht den beiden ersteren von den Trittbrettern auf das Pflaster half, während die Kammerkatze, Clärchen gerufen, sich von dem Schwager verabschiedete, bei dem sie gesessen hatte und mit dem sie sich gut unterhalten zu haben schien. Der Mann sah sie lächelnd von der Seite an, wahrscheinlich im Gedanken an den auswärtigen Dialekt, den die Reisende gesprochen, und folgte ihr noch in einer Art von spöttischer Versonnenheit mit den Augen, indes sie, nicht ohne unnötige Windungen, Raffungen und Zierlichkeiten, sich vom hohen Sitze hinunterfand. Dann zog er an der Schnur sein Horn vom Rücken und begann zum Wohlgefallen einiger Buben und Frühpassanten, die der Ankunft beiwohnten, sehr empfindsam zu blasen. Beispieltext 34: Roman (Anfang des ersten Kapitels) Thomas Mann: Lotte in Weimar. Berlin / Weimar 1975: Aufbau, 7. Bereits die ersten beiden Abschnitte des Romans „Lotte in Weimar“, der 1939 in Stockholm erschien, können als Paradebeispiel für zeitkolorierendes Gestalten dienen. Der Erzählstil steht in Relation zur historischen Zeit des erzählten Geschehens, d. h. 1816. Lexikalische Elemente dieses Stils entstammen drei Wortschatzbereichen: 1. Die Lexik besteht zum Teil aus Archaismen, d. h. aus Wörtern, deren Bezeichnung veraltet ist, nicht jedoch die bezeichnete Sache. Textbelege sind Frauenzimmer (‚Frau‘); Buben (‚Jungen‘) und ordinär (‚normal‘/ ‚alltäglich‘). 2. Die Lexik besteht zum Teil aus Historismen, d. h. aus Wörtern, die nicht mehr existierende Sachen bezeichnen. Historismen im Beispieltext bezeichnen vor allem Menschen in nicht mehr existierenden sozialen Positionen: Hausknecht; Zofe; Kammerkatze (‚Kammerzofe‘); Schwager (‚Postillion‘/ ‚Postkutscher‘). Ein Historismus ist aber auch Post in der Bedeutung ‚Postkutsche‘. 3. Beachtung verdient außerdem die Erlesenheit der Wortwahl, die man feststellt bei den Adjektiven tief statt spät (tief im September) und empfindsam statt gefühlvoll, bei dem reflexiven Verb sich hinunterfinden statt hinabsteigen, bei dem Substantiv Frühpassanten statt frühe / morgendliche Passanten sowie bei einer dreigliedrigen Aufzählung von Körpersprachlichem: Windungen, Raffungen und Zierlichkeiten. Bei der hier aufgeführten Lexik handelt es sich weder um Archaismen noch um Historismen, sondern um Wortschatzeinheiten, die auf Grund ihrer Erlesenheit gehoben und archaisch wirken und die deshalb auch zum Arsenal zeitkolorierenden Gestaltens gehören. Darüber hinaus enthält der Text lexikalische und morphologische Elemente, die als gehobensprachlich kodifiziert sind: das Verb beiwohnen, das archaische Dativmorphem -e in den substantivischen Wortformen (an einem) Tage, (vor dem) Hause, (am) Markte, (vom hohen) Sitze sowie die Auslassung der finiten Verbform hatte in dem Relativsatz den die Reisende gesprochen. <?page no="99"?> 99 2.5 Motiviertheit 2.5.4.4 Blickfeldgestaltung: Poetische Perspektivierungen Werkherstellendes Gestalten ist des Weiteren durch das Erfordernis bestimmt, Auskunft zu geben über das Blickfeld literarischer Subjekte. Das stilistische Wie, d. h. die Art der Blickfeldgestaltung, erkennt man an Formen des Perspektivierens, des gestalterischen Umgangs mit Perspektiven. Wir wollen unter ‚Perspektive‘ den Blickpunkt, den Blickwinkel, die Blickrichtung auf Gegenständlichkeiten innerhalb eines Blickfelds verstehen. Perspektiven beruhen auf Wahrnehmung, auch vorgestellter oder erinnerter Wahrnehmung, oder auf bewertender Positionierung; sie werden in der poetischen Textkommunikation von lyrischen Subjekten, Erzählern oder Figuren auch gegenüber anderen literarischen Subjekten eingenommen. Das Verhältnis von Stil und Perspektive ist vielschichtig und schwer überschaubar (vgl. Sandig 1996). Um eine gewisse Ordnung in die Vielfalt an Perspektiven zu bringen, wollen wir zuallererst drei Dimensionen der Blickfeldgestaltung unterscheiden, die räumliche, zeitliche und personale Dimension, und Varianten von Perspektiven als Mittel der Blickfeldgestaltung zuordnen. Dimensionen der Blickfeldgestaltung Mittel der Blickfeldgestaltung (Varianten von Perspektiven) räumliche Dimension (Wahrnehmungsraum) ▶ Vogel-/ Normalsicht-/ Froschperspektive ▶ Nahvs. Fernperspektive ▶ Innen-/ Außen-/ Innen-Außen-Perspektive ▶ Vordergrundvs. Hintergrundperspektive ▶ weiträumige vs. engräumige Perspektive ▶ … zeitliche Dimension (Wahrnehmungszeit) ▶ Gegenwarts-/ Augenblicks-/ Simultanperspektive ▶ Vergangenheits-/ Rückschau-/ Erinnerungsperspektive ▶ Zukunfts-/ Vorausschau-/ Vorausdeutungsperspektive ▶ Zeitlosperspektive ▶ … personale Dimension (Wahrnehmungsrolle und -haltung) ▶ Eigenvs. Fremdperspektive ▶ Augenzeugen-/ Beobachter-/ Teilnehmerperspektive ▶ Erzähl-/ Reflexions-/ Erlebensperspektive ▶ Identifikationsvs. Distanzperspektive (positive vs. negative Perspektive) ▶ objektivierte / subjektivierte/ emotionalisierte Perspektive ▶ … Tab. 12: Dimensionen und Mittel der Blickfeldgestaltung Gestaltungsrelevant ist nicht das bloße Vorkommen von Perspektiven im Text, da jede Äußerung natürlicherweise perspektivisch ist (vgl. Hartung 1996: 126). Perspektivieren begründet demnach nicht von vornherein eine Art der Blickfeldgestaltung. Wir müssen deshalb gezielt nach Formen des gestalterischen Umgangs mit Perspektiven fragen. Perspektivieren ist zweifellos blickfeldgestaltungsrelevant, wenn man darunter das bewusste Etablieren einer bestimmten Perspektive versteht-- die Entscheidung für eine bestimmte Perspektive aus einem Kreis alternativer Möglichkeiten, die der Rahmen einer Textgattung (z. B. Lyrik, Epik, Dramatik) absteckt. In der Epik sind bekanntlich Erzählperspektiven wählbar, darunter die eingeschränkte (figurengebundene) und die uneingeschränkte Perspektive <?page no="100"?> 100 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil eines alles überschauenden Erzählers (vgl. u. a. Kasper / Wuckel 1982: 169). In der Dramatik werden Perspektiven inszeniert, zu verstehen als ein In-Szene-Setzen. Spezialformen des inszenierten Perspektivierens sind die Mauerschau (Teichoskopie) und der Botenbericht (ebd.: 122). Dabei zeigt sich, dass sich die Perspektiven in der personalen, räumlichen und zeitlichen Dimension verschränken. In der Mauerschau-Perspektive blickt eine Dramenfigur von einer zumeist erhöhten Position aus als Beobachter auf ein Geschehen, das sich zeitgleich (simultan) vor seinen Augen, aber außerhalb des Bühnenraums abspielt. Beim Botenbericht überbringt eine Dramenfigur aus der Eigen- oder Fremdperspektive dramenhandlungsrelevante Nachrichten, d. h. Fakten zu Ereignissen, die bereits abgeschlossen sind. Blickfeldgestaltendes Perspektivieren zeigt sich ferner im Kontrastieren und Verbildlichen von Perspektiven. Sehen wir uns daraufhin zwei Beispieltexte an: ein Gedicht und einen Romanauszug. a) Kontrastieren und Verbildlichen von Perspektiven in der Lyrik Hälfte des Lebens Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm’ ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. Beispieltext 35: Gedicht Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Leipzig 1965: Insel, 315. Vergleicht man die beiden Strophen des Gedichts „Hälfte des Lebens“ miteinander, können in allen drei Dimensionen der Blickfeldgestaltung (siehe Tab. 12) perspektivische Kontraste registriert werden. In der personalen Dimension dominieren jedoch die Kongruenzen. So tritt in beiden Strophen ein lyrisches Subjekt als lyrisches Ich in Erscheinung, in der zweiten Strophe angezeigt durch den pathetischen Ausruf Weh mir und die an sich selbst gerichtete Frage wo nehm’ ich, wenn / Es Winter ist, die Blumen, und wo / Den Sonnenschein / Und Schatten der Erde? Und in beiden Strophen wird eine Erlebensperspektive etabliert, erkennbar an der Wiedergabe von Impressionen. Aber das Blickfeld ist ein jeweils anderes, und das Erleben ist unterschiedlich emotionalisiert. In Strophe 1 wird eine blühende Landschaft <?page no="101"?> 101 2.5 Motiviertheit bewundernd wahrgenommen; in Strophe 2 ist der Blick auf eine erstarrte, leblose Welt gerichtet, die als beklemmend empfunden wird. Beide Strophen enthalten, bezieht man den Titel des Gedichts ein, komplexe jahreszeitliche Sinnbilder für die zweite Hälfte des Lebens. Winterliche, sprachlos und kalt stehende Mauern sowie im Wind klirrende (Wetter-)Fahnen lassen sich als Sinnbild für das Lebensende deuten. In der zeitlichen Dimension der Blickfeldgestaltung ist der Kontrast zwischen der Augenblicksperspektive (Strophe 1) und der Vorausdeutungsperspektive (Strophe 2) anzusiedeln. Augenblicklichkeit wird angezeigt durch Verbformen im aktuellen Präsens (hänget; tunkt), die Vorausdeutung durch den temporalen Wenn-Satz. Die Verbformen stehn und klirren haben in diesem Kontext ebenfalls Zukunftsbezug. In der räumlichen Dimension bemerken wir einen Kontrast zwischen Weiträumigkeit (Strophe 1), angezeigt vor allem durch die Konkreta Land und See, und Engräumigkeit (Strophe 2). Das Konkretum Mauern lässt den Blick als eng begrenzt erscheinen. Mauern können den Blick auch versperren. b) Kontrastieren und Verbildlichen von Perspektiven in der Epik Unser nächstes Beispiel ist ein Auszug aus dem Roman „Gut gegen Nordwind“ von Daniel Glattauer: Drei Tage später Kein Betreff Hallo Emmi, schauen Sie auch gerade beim Fenster raus? Gespenstisch, oder? Für mich ist ein Hagelsturm wie eine Brise Weltuntergang. Da hängt so ein seltsamer ockergelber Schleier über dem Himmel, plötzlich legt sich ein dunkelgrauer Vorhang darüber, und dann prasseln mit immenser Geschwindigkeit Abertausende dieser weißen Kieselsteinchen zu Boden. Wie heißt der Film, in dem es Kröten regnet, oder Frösche oder Hühner? Kennen Sie den zufällig? - Alles Liebe, Leo. Eineinhalb Stunden später RE : Animal Farm. Froschkönig. Kentucky Fried Chicken. - Leo, solche stimmungsschwangeren Naturanimations-E-Mails nach drei Tagen nichts von Ihnen machen mich wahnsinnig! Bitte suchen Sie sich andere Empfänger dafür. Ich habe Ihnen nicht ein halbes Jahr in der Mailbox die Treue gehalten, habe nicht Wochen und Monate hindurch täglich zig Stunden mit Ihnen hier verbracht, damit wir jetzt beginnen, uns über Regengüsse und ockergelbe Schleier über dem Himmel zu unterhalten. Wenn Sie mir etwas von sich erzählen wollen, dann tun Sie es. Wenn Sie etwas von mir wissen wollen, dann fragen Sie. Aber für Dialoge über das Wetter bin ich mir zu schade. Hat Ihnen Mia so sehr den Kopf verdreht, dass Sie plötzlich nur noch Hagelkörner sehen können? […] Guten Tag, Emmi. Beispieltext 36: E-Mail-Roman (Auszug aus Kap. 6) Daniel Glattauer: Gut gegen Nordwind. 26. Aufl. München 2008: Goldmann, 123 f. <?page no="102"?> 102 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Das gesamte Werk steht in der Tradition des Briefromans, ist eine moderne Variante davon. Die Gestaltungsidee besteht darin, eine Liebesgeschichte in Form einer E-Mail-Korrespondenz zwischen zwei Menschen (Leo und Emmi) zu erzählen. Der Auszug aus dem Werk zeigt, dass die Eigenperspektiven beider Figuren auf ein und dasselbe Thema (‚Hagelsturm‘) aufeinanderprallen. Leos Perspektive, räumlich als Innen-Außen-Perspektive zu kategorisieren (der Blick richtet sich von innen nach außen), zeitlich als Augenblicksperspektive (schauen Sie auch gerade beim Fenster raus? ), wird gleichnishaft verbildlicht. Das Gleichnis als Großform des bildlichen Vergleichs (siehe Tab. 10) macht den wahrgenommenen Hagelsturm als Weltuntergangsszenarium (abgeschwächt durch die Metapher Brise) in drei Phasen vorstellbar. Phase 1: Ein seltsamer ockergelber Schleier hängt über dem Himmel. Phase 2: Ein dunkelgrauer Vorhang legt sich darüber. Phase 3: Abertausende weiße Kieselsteinchen prasseln zu Boden. In das Gleichnis sind weitere metaphorische Substantive eingebunden: Schleier, Vorhang und Kieselsteinchen. Emmis Antwort (Eineinhalb Stunden später) ist aus einer Distanzperspektive, einer Perspektive negativ bewertender Positionierung heraus geschrieben. Sie distanziert sich von Leos Schilderung eines Naturschauspiels, indem sie diese- - an sie adressiert- - global abwertet. Die Distanzhaltung betrifft jedoch nicht die Einzelheiten von Leos Hagelsturmerleben, sondern deren Kommunikationswürdigkeit. An Leos Text wird nichts als kommunikationswürdig gelten gelassen. Emmis Distanzperspektive wird emotional kommuniziert. Indikatoren sind vor allem die phraseologischen Wendungen jdn. wahnsinnig machen (‚jdn. um den Verstand bringen‘) und sich zu schade für etw. sein (‚etw. aus jds. Selbstwertgefühl heraus nicht akzeptieren können‘). Wir schließen den Abschnitt zur Blickfeldgestaltung in der poetischen Textkommunikation mit dem Hinweis ab, dass Perspektiven auch miteinander verschmelzen können. Erzähltextgebundene Gestaltungsformen dieser Art des Perspektivierens sind die erlebte Rede und die erlebte Reflexion (vgl. u. a. Kändler 1975: 225-227). DISKUSSION Zur Blickfeldgestaltung in der pragmatischen Textkommunikation Auch in der pragmatischen Textkommunikation trifft man auf poetisch anmutende Perspektivierungen, z. B. in Werbetexten und Reportagen. Wird dadurch die Grenzziehung zwischen poetischer und pragmatischer Textkommunikation überflüssig? 1. In der kommerziellen Werbung nutzen Textproduzenten häufig die Möglichkeit, in der personalen Dimension der Blickfeldgestaltung die Anbieterperspektive durch die Konsumentenperspektive zu ersetzen. In Werbespots werden kleine Geschichten erzählt. Figuren agieren im Rahmen einer fiktionalen Textwelt miteinander. Poetisch anmutendes Perspektivieren steht in Werbetexten dennoch in einem pragmatischen Kommunikationszusammenhang. Gestaltungsmotivisch gibt die Beeinflussung des Rezipienten den Ausschlag. Zu diesem Zweck werden Gestaltungsstrategien (siehe 2.5.2.4) entwickelt, für deren Realisierung auch poetische Mittel zum Einsatz kommen. <?page no="103"?> 103 2.5 Motiviertheit 2.5.4.5 Realitätsverfremdung: Poetische Metamorphosen Poetische Textwelten können mit der „Realitätskonzeption einer Kultur“ (Sottong / Müller 1998: 85-104) übereinstimmen oder ihr zuwiderlaufen. Übereinstimmung besteht, wenn das dargestellte Geschehen dem Wissen der Kommunikationsteilnehmer darüber entspricht, was als logisch, konsistent oder eben realistisch (realitätsnah) angesehen werden kann. Doch poetische Texte sind in keiner Weise zur Realitätsnähe verpflichtet, in keiner Weise den Gesetzen der Logik unterworfen. Die Textwelten von Märchen, Grotesken, Science-Fiction- Romanen, Horrorgeschichten u. a. poetischen Genres offenbaren Formen der Umwandlung von Realität, die Produkte des Gestaltungsakts Metamorphosieren sind. In ihrer „Kleinen deutschen Stilistik“ (1962) hat Emmy L. Kerkhoff auf die unbegrenzte Fülle metamorphotischer Formen hingewiesen und eine ganze Palette von Möglichkeiten aufgezeigt, die es wert ist, in ihrer Gänze zitiert zu werden: Gegenständlichkeiten werden aus dem einen Bereich in einen andern transponiert; geistige Phänomene stellen sich räumlich dar, und Räumliches wird geistig; Ereignisabläufe in der Zeit werden zu gedanklichen Konstruktionen; das kontinuierliche Nacheinander von Vorgängen wird zerschnitten, und die Teilstrecken werden ausgetauscht; Elemente aus verschiedenen Seinsschichten werden miteinander verwoben; die Einheit einer Erscheinung wird in ihre Teile zerlegt; Ruhendes wird zum Vorgang, und Lebendiges erstarrt; Großes reduziert sich zu Kleinstem, und Kleines wächst überdimensional; eingleisige Abläufe werden mehrgleisig; Dimensionen falten sich zu mehreren auseinander oder schmelzen zu einer zusammen; Niveauverschiebungen von oben nach unten finden statt und umgekehrt; 2. Im Rahmen der journalistischen Textsorte Reportage etablieren die Textproduzenten eine bestimmte „Erzählperspektive“. Das Geschehen wird aus der Augenzeugenperspektive, der Perspektive des teilnehmenden Beobachters oder der Insiderperspektive dargestellt (vgl. Bucher 1986: 135). Ein reportagetypisches Merkmal ist die Kombination von Erlebens- und Augenblicksperspektive. Reportagen stehen dennoch wie Werbetexte in einem pragmatischen Kommunikationszusammenhang. Journalisten müssen ihrer kommunikativen Rolle als Berichterstatter für ein Medienpublikum gerecht werden. Sie gestalten deshalb perspektivierend nicht nur ein Blickfeld, sondern genau diese kommunikative Rolle (zur Rollengestaltung als Form der Selbstpräsentation siehe auch 2.5.2.1). Man sollte deshalb besser nicht von Erzählperspektiven sprechen. Es handelt sich eigentlich um Berichterstattungsperspektiven, die sich auf erzählende (narrative), beschreibende (deskriptive) und argumentierende Teiltexte erstrecken (vgl. Burger 2005: 221). 3. Die Grenzziehung zwischen pragmatischer und poetischer Kommunikation wird also weder bei Werbetexten noch bei Reportagen überflüssig. Man kann aber mit Ulla Fix (2006) von „Grenzgängertexten“ sprechen, d. h. von Texten, die zwar pragmatisch ausgerichtet sind, aber eine poetisierende Gestaltung aufweisen. <?page no="104"?> 104 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil und schließlich werden Modalitäten umgetönt, so daß Reales potential wird und Irreales in den Modus der Wirklichkeit tritt. (Kerkhoff 1962: 47) Metamorphosieren kann paradoxe Züge annehmen, als Paradox-Machen in Erscheinung treten. Als Beispiel wählen wir ein kleines Prosastück aus dem Œuvre von Franz Kafka. Der Ausflug ins Gebirge „Ich weiß nicht“, rief ich ohne Klang, „ich weiß ja nicht. Wenn niemand kommt, dann kommt eben niemand. Ich habe niemandem etwas Böses getan, niemand hat mir etwas Böses getan, niemand aber will mir helfen. Lauter niemand. Aber so ist es doch nicht. Nur daß mir niemand hilft -, sonst wäre lauter niemand hübsch. Ich würde ganz gern - warum denn nicht - einen Ausflug mit einer Gesellschaft von lauter Niemand machen. Natürlich ins Gebirge, wohin denn sonst? Wie sich diese Niemand aneinanderdrängen, diese vielen quergestreckten und eingehängten Arme, diese vielen Füße, durch winzige Schritte getrennt! Versteht sich, daß alle in Frack sind. Wir gehen so lala, der Wind fährt durch die Lücken, die wir und unsere Gliedmaßen offenlassen. Die Hälse werden im Gebirge frei! Es ist ein Wunder, daß wir nicht singen.“ Beispieltext 37: Kleines Prosastück Franz Kafka: Erzählungen. 2. Aufl. Leipzig 1979: Philipp Reclam jun., 15. Der Titel des Textes „Der Ausflug ins Gebirge“ lässt eine Erzählung erwarten. Der Text präsentiert sich aber entgegen der Erwartung als Wiedergabe eines lautstarken und paradoxerweise zugleich stillen Selbstgesprächs (vgl. rief ich ohne Klang), das von inhaltlichen Paradoxa durchzogen zu sein scheint. Der Abgleich des Textes mit der Kerkhoff ’schen Liste poetischer Metamorphosen fördert folgende Paradoxie erzeugende Gestaltungsverfahren zutage: Transformieren von Irrealem in den Modus der Wirklichkeit: Der Text enthält Wortverbindungen, die unsere Aufmerksamkeit beanspruchen, weil sie semantisch inkompatibel (unverträglich) sind. Das betrifft die Verbindung des indefiniten Zahladjektivs lauter mit dem Indefinitpronomen niemand, da dieses keine zählbare Menge von Menschen bezeichnet. Auch der substantivierten Form Niemand fehlt dieses Merkmal. Insofern mutet irreal (unerfüllbar) an, dass sich die epische Figur des Textes-- nennen wir sie Reflektorfigur-- einen Ausflug mit einer Gesellschaft von lauter Niemand wünscht. Die Wörter niemand bzw. Niemand werden im Text dominant gesetzt; sie kommen insgesamt zehnmal vor, in Verbindung mit lauter jedoch nur dreimal. Unklar bleibt, ob sich mit der orthographischen Differenz zwischen niemand und Niemand eine semantische Differenz verbindet. Transponieren von Gegenständlichkeiten aus dem einen Bereich in einen anderen. Verweben von Elementen aus verschiedenen Seinsschichten: Modern ausgedrückt: Mischen von Elementen verschiedener Frames. Semantisch inkompatibel erscheint im Text außerdem, dass die als diese Niemand Bezeichneten alle in Frack sind. Das Substantiv Frack (‚festlicher Gesellschaftsanzug für Herren‘) will nicht in den Frame ‚Gebirgsausflug‘ passen-- im Unterschied zu den Texteinheiten Schritte oder Wind. <?page no="105"?> 105 2.6 Ästhetische Gestalthaftigkeit Textweltimmanente Paradoxa korrespondieren textrezipientenseitig mit der Entautomatisierung von Rezeption: Rezipienten sehen sich veranlasst, die automatisierte Orientierung an der Logik der Dinge aufzugeben und dafür die interne Logik der poetischen Textwelt zu rekonstruieren. Dabei kann sich der Versuch lohnen, Wortbedeutungen ausfindig zu machen, die für paradox Gehaltenes in einem neuen Licht erscheinen lassen. Der substantivierten Form des Indefinitpronomens niemand z. B. könnte die alltagssprachliche Bedeutung ‚unbedeutender Mensch‘ zugeordnet werden, ohne dass dies im poetischen Text abwertend gemeint sein muss, denn auch die Bedeutung ‚unbekannter Mensch‘ ist in diesem Gestaltungsrahmen nicht ausgeschlossen. Wird das Wort Niemand so verstanden, erscheint der Wunsch der Reflektorfigur nicht mehr widersinnig, in einer Gruppe unbekannter Menschen einen Ausflug ins Gebirge zu machen. Auch das nicht in den Frame ‚Gebirgsausflug‘ passen wollende Substantiv Frack gibt weniger Rätsel auf, wenn man einen sinnbildlichen (symbolischen) Gehalt vermutet und dem Wortformativ die Bedeutung ‚festliche Stimmung‘ zuordnet. An dem Satz Versteht sich, daß alle in Frack sind. ist dann nichts mehr widersinnig. Und man hat zugleich eine Erklärung für die Aussparung des Artikels gefunden, denn es heißt ja in Frack und nicht im Frack. Aber ob es nicht doch noch andere Deutungsvarianten gibt oder ob paradox Gesagtes nicht doch paradox gemeint ist, das bleibt offen-- wie manch anderes in diesem Text. Als semantisch inkompatibel erweist sich in Text 37 auch eine Sequenz von Äußerungen. Aufeinanderfolgend realisiert werden eine Behauptung (niemand aber will mir helfen), die Verneinung dieser Behauptung (Aber so ist es doch nicht.) und die Zurücknahme der Verneinung (Nur daß mir niemand hilft.). Was regulär nur in eine Richtung gedacht wahr sein kann, die Behauptung oder ihre Verneinung, wird im Text in sich widersprüchlich zum Ausdruck gebracht, indem beides, die Behauptung und ihre Verneinung, als zutreffend deklariert wird. Es ist möglich, dies im Sinne der Kerkhoff ’schen Mehrgleisigkeit (von Abläufen) zu interpretieren, die irregulär an die Stelle von Eingleisigkeit tritt. 2.6 Ästhetische Gestalthaftigkeit 2.6.1 Zur ästhetischen Wertigkeit von Stil Auf dem Weg zu einer Stildefinition beziehen wir jetzt die Erkenntnis ein, dass jegliches Gestalten, ob in der poetischen oder pragmatischen Textkommunikation, von ästhetischer Wertigkeit ist. „Stilistisches ist immer auch Ästhetisches.“, heißt es prononciert bei Ulla Fix (1996: 319). Dass diese These auf poetische Texte zutrifft, wird man nicht bezweifeln. Dass aber auch alle Texte, die in einem pragmatischen Kommunikationszusammenhang stehen, eine ästhetische Formung aufweisen, versteht sich ganz und gar nicht von selbst. Selbst einschlägige Stilistiken geben hierzu keine genaue Auskunft. Um des Stilästhetischen in poetischen wie nichtpoetischen Texten habhaft zu werden, knüpfen wir an die Ausführungen zur Kategorie Stilgestalt an (siehe 2.3.1). Stilgestalten-- so hatten wir gesagt-- konstituieren sich aus einer Gestaltstruktur (einem Gefüge aus Einzelheiten) und einer Gestaltqualität (einem formalen oder funktionalen Gestaltungszusammenhang, in den sich die Einzelheiten einfügen). Wir wollen nun weiter <?page no="106"?> 106 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil differenzieren zwischen Stilgestalten mit pragmatischen Gestaltqualitäten (Stilregistern) und Stilgestalten mit ästhetischen Gestaltqualitäten (Figurationen). Als pragmatische Gestaltqualitäten anzusehen sind z. B. Distinguiertheit als Art der Imagepflege (Text 22), Aggressivität als Art der Beziehungsgestaltung (Text 25) oder Einfachheit als Art der Rezeptionserleichterung (Text 26). Ästhetische Gestaltqualitäten manifestieren sich in originellen Gestaltungsideen aller Art, aber auch in textarchitektonischer Übersichtlichkeit (wie in Text 10), in typographischer Hervorhebung (wie in Text 11) oder in syntaktischer Abwechslung (wie in Text 22). Die Frage, was unter ästhetischer (im Unterschied zu pragmatischer) Gestalthaftigkeit verstanden werden soll, ist nicht so einfach zu beantworten. Wir nähern uns einer Begriffsbestimmung, wenn wir die je verschiedenen Rezeptionsweisen berücksichtigen, die das Interpretieren von pragmatischen bzw. ästhetischen Gestaltqualitäten erfordert. Die Pragmatik von Stilgestalten erschließt sich, indem Textrezipienten Zusammenhänge herstellen zwischen dem Stil eines Textes einerseits und Texthandlungsbzw. Situationskontexten andererseits. Im Unterschied dazu wird die Ästhetik von Stilgestalten durch „verstehendes Anschauen“ erschlossen, durch das Betrachten von Stil. Jürgen Trabant hat seinerzeit (1996: 135-145) verstehendes Anschauen als eine Rezeptionsweise charakterisiert, die ausschließlich von Kunstwerken, so auch von poetischen Texten bezweckt wird. Zu Unrecht. Stilästhetisches hat auch in pragmatischen Texten die Funktion, die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die Form des Textes zu lenken, sie als gestaltete Form wahrzunehmen und zu interpretieren-- eine Erkenntnis, die man so schon bei Roman Jakobson (1972: 108) findet, der von einer „poetischen Funktion“ sprach, damit aber nicht nur poetische Ästhetizität im Auge hatte, sondern auch das, was Eugenio Coseriu-- sich von Jakobson terminologisch distanzierend-- die „Ästhetik des Alltagslebens“ nannte, diese aber auf das „Streben nach Vollkommenheit bei der Fertigung menschlicher Erzeugnisse“ (1994: 80 f.) einengte. Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Das Betrachten von Stil kann sich auf das Erscheinungsbild von Schrifttexten erstrecken, umfasst aber weitaus mehr, nämlich das Wahrnehmen formaler (textinterner) Gestaltqualitäten aller Art (dazu gehören auch klangliche Einheiten bzw. Klangqualitäten), in diesem Zusammenhang das Entdecken von Gestaltungsideen und nicht zuletzt das Erleben von künstlerisch Gestaltetem. Hier lässt sich eine Brücke schlagen zu einem Wesensmerkmal poetischer Textkommunikation, das wir Werkorientiertheit genannt haben (siehe 2.5.3). Bevor wir uns der Ästhetik des Alltagslebens zuwenden, wollen wir ein Streiflicht auf Stilgestalten in poetischen Texten werfen, wo das Ästhetische als Inbegriff des Poetischen gilt, und auf die literarische Stilistik, wo Stilästhetisches bereits mit der Kategorie Figuration erfasst worden ist. 2.6.2 Ästhetische Gestalthaftigkeit im poetischen Text Für die Beschreibung poetisch-ästhetischer Gestalthaftigkeit hat die literarische Stilistik zwei Spezialkategorien zur Verfügung gestellt: Figuration und Konfiguration. Figurationen werden als Strukturen aus Gestaltelementen definiert, als „einfache Strukturen niederer Ordnung“, die in „Strukturen höherer Ordnung“, Konfiguration genannt, eingehen können (vgl. Kerkhoff 1962: bes. 48). Emmy L. Kerkhoff demonstriert den Umgang mit diesen beiden <?page no="107"?> 107 2.6 Ästhetische Gestalthaftigkeit Kategorien an mehreren Gedichten. Wir wählen einen der Texte aus (siehe Text 38) und stellen die wesentlichsten Analyseergebnisse zusammen. Der Sänger Was hör’ ich draußen vor dem Tor, was auf der Brücke schallen? Laß den Gesang vor unserm Ohr im Saale widerhallen! Der König sprach’s, der Page lief; der Knabe kam, der König rief: Laßt mir herein den Alten! Gegrüßet seid mir, edle Herrn, gegrüßt ihr, schöne Damen! Welch reicher Himmel! Stern bei Stern! Wer kennet ihre Namen? Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit, sich staunend zu ergötzen. Der Sänger drückt’ die Augen ein und schlug in vollen Tönen; die Ritter schauten mutig drein, und in den Schoß die Schönen. Der König, dem das Lied gefiel, ließ, ihn zu ehren für sein Spiel, eine goldne Kette holen. Die goldne Kette gib mir nicht, die Kette gib den Rittern, vor deren kühnem Angesicht der Feinde Lanzen splittern; gib sie dem Kanzler, den du hast, und laß ihn noch die goldne Last zu andern Lasten tragen. Ich singe, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet; das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet. Doch darf ich bitten, bitt’ ich eins: Laß mir den besten Becher Weins in purem Golde reichen. <?page no="108"?> 108 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Er setzt’ ihn an, er trank ihn aus: O Trank voll süßer Labe! O wohl dem hochbeglückten Haus, wo das ist kleine Gabe! Ergeht’s euch wohl, so denkt an mich, und danket Gott so warm, als ich für diesen Trunk euch danke. Beispieltext 38: Ballade Johann Wolfgang Goethe: Der Sänger. In: Gedichte. Eine Auswahl. 16. Aufl. Leipzig 1988: Philipp Reclam jun., 74 f. Für die ästhetische Geformtheit der Ballade „Der Sänger“ sind insbesondere vier Arten von Figurationen maßgebend (in Anlehnung an Kerkhoff 1962: 68-72): 1. Doppelung: Die Figuration wird hervorgebracht durch die Wiederholung von Einheiten, entweder wortwörtlich oder variiert: der König-- der König; gegrüßet-- gegrüßt; Stern bei Stern; Pracht und Herrlichkeit; Augen-- die Augen; eine goldne Kette-- die goldne Kette; Last-- Lasten; singe-- singt; bitten-- bitt’; trank-- Trank; wohl-- wohl u. a. 2. Spaltung: Die Figuration realisiert sich im Zerlegen einer Einheit in zwei ähnliche, verschiedene oder gegensätzliche Glieder und begegnet uns im Text als Spaltung a) des Draußen in vor dem Tor und auf der Brücke; b) des Drinnen in vor unserm Ohr und im Saale; c) der Hofgesellschaft in edle Herrn und schöne Damen; d) der Zuhörerschaft in die Ritter und die Schönen; e) der Gegenwelt des Sängers in Ritter und Kanzler; f) des Lohns in der beste Becher Weins und in purem Golde. 3. Spiegelung: Die Figuration ist durch eine symmetrische Anordnung von Einheiten gekennzeichnet: der König sprach’s, der Page lief; / der Knabe kam, der König rief; die Ritter schauten mutig drein, / und in den Schoß die Schönen; doch darf ich bitten, bitt’ ich eins; danket Gott so warm, als ich / für diesen Trunk euch danke. 4. Pulsschlag: Die Figuration wird hervorgebracht durch ein Auf und Ab bzw. Hin und Her in der semantischen und syntaktischen Textstruktur, woran auch Doppelung, Spaltung und Spiegelung Anteil haben. Für den Text prägend ist der Wechsel a) von Aktion und Reaktion: sprach’s-- lief / kam-- rief; b) von Weggehen und Wiederkommen: lief-- kam; <?page no="109"?> 109 2.6 Ästhetische Gestalthaftigkeit c) von Außen und Innen, d. h. des Wahrnehmungsraums: schallen-- widerhallen; d) von Vorschlag und Gegenvorschlag: die Kette gib den Rittern-- gib sie dem Kanzler; e) in der Hinwendung des Aufforderns: Laß den Gesang vor unserm Ohr im Saale widerhallen! (König / Sänger)-- Laßt mir herein den Alten! (König / Page); f) in der Hinwendung des Grüßens: gegrüßet seid mir, edle Herrn- - gegrüßt ihr, schöne Damen (Herren / Damen); g) in der Zuwendung des Gebens: die goldne Kette gib mir nicht-- die Kette gib den Rittern (Sänger / Ritter); h) in der Hinwendung des Dankens: danket Gott-- als ich euch danke (Gott / Königshaus). Alle aufgeführten Figurationen erweisen sich als Gebilde mit einer zweiheitlichen Struktur. Zweiheitlichkeit (Kerkhoff: Zweiheit) stellt sich demnach als eine textprägende Konfiguration des Gedichts heraus. Versmaß (Metrum) und Reimformen sind bei dieser Analyse noch unberücksichtigt geblieben. Diese Gestaltungsmittel sind aber natürlich auch figurativ gebunden. Es handelt sich um Figurationen der Rhythmik und des Gleichklangs, die sich zur Konfiguration Musikalität zusammenschließen. Musikalität geht im Beispieltext zum einen von den jambischen Versen aus, in denen jede Zeile geformt ist, zum anderen von der Kombination aus Reimformen, die sich in jeder der siebenzeiligen Strophen wiederholt. Kombiniert sind Kreuzreim (Z. 1-4) und Paarreim (Z. 5-6). Es gibt aber auch eine reimlose Zeile (Z. 7), die in der Verslehre Waise genannt wird. 2.6.3 Ästhetische Gestalthaftigkeit im pragmatischen Text Auch in pragmatischen Texten gibt es Figurationen. Die von der antiken Rhetorik überlieferten Stilfiguren, die in der Werbekommunikation, im Journalismus oder in der Wissenschaft einen festen Platz haben, lassen sich figurativ deuten, z. B. als ‚Kontrast‘ (Antithese), ‚Bildlichkeit‘ (Metapher) oder ‚Gleichklang‘ (Anapher). Das Besondere an Stilästhetischem in pragmatischen Texten besteht darin, dass es pragmatisch motiviert ist. So dient textarchitektonische Übersichtlichkeit der Rezeptionserleichterung, textsyntaktische Abwechslung u. a. der Imagepflege und typographische Hervorhebung u. a. der Rezipientenbeeinflussung-- wie in Werbeschlagzeilen und Werbeslogans, die typographisch ins Auge fallen sollen. Der Begriff Sichtbarkeit, den Ulla Fix (1996: 317) verwendet, um ästhetische Gestalthaftigkeit zu beschreiben, passt sehr gut zur Rezeptionsweise des verstehenden Anschauens. Ästhetische Stilgestalten machen eine Form als gestaltete Form sichtbar, lassen formale Gestaltqualitäten hervortreten. Eine Konfiguration wie Zweiheitlichkeit, die für die Ballade „Der Sänger“ kennzeichnend ist (siehe 2.6.2), kann auch pragmatische Texte prägen, steht aber in einem völlig anderen Kommunikationszusammenhang. In der Sparkassen-Bekanntmachung (siehe Text 24) z. B. tritt Zweiheitlichkeit hervor in der Gliederung des Gesamttextes in zwei Teiltexte, in der Zweigliedrigkeit von Überschrift, Bildlegende und Dankesformel (am Textende), in der Einbindung von zwei symmetrisch angeordneten Piktogrammen, die durch einen Doppelpfeil graphisch miteinander verknüpft sind. Doch auf Grund des pragmatischen Kommunikationszusammenhangs liegt der Figurations- <?page no="110"?> 110 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil bzw. Konfigurationscharakter nicht auf der Hand. Der Text will nicht als ein Gebilde aus Zweiheiten wahrgenommen werden. Und dennoch ist zu konstatieren, dass der Text dadurch ein gestalterisches Profil gewinnt, das ästhetisch bedeutsam ist. Stil ist immer ein Wie, bezogen auf ein Was (siehe 2.4.1). Wenn wir diesen Leitsatz stiltheoretischen Denkens ernst nehmen, dann tritt ästhetische Gestalthaftigkeit als stilistisches Wie u. a. auf verschiedenen Textebenen (Texthandlung, Textthema, Textarchitektur) innerhalb eines Gestaltungs-, z. B. eines Textsortenrahmens in Erscheinung. An unserem nächsten Beispieltext (Text 39) wollen wir aufzeigen, wie sich Figurationen als ästhetische Stilgestalten in pragmatischen Texten entfalten. Auf der Grundlage unseres Modells von ‚Stilgestalt‘ interessieren wir uns zunächst für formale Gestaltqualitäten und die gestaltbildenden Einheiten, im Anschluss für das Zusammenspiel von Form und Funktion. Beispieltext 39: Wahlplakat (2012) ACDP , Plakatsammlung, 10-009-2903. 1. Einheitlichkeit: Bei dieser Figuration fällt in syntaktischer Hinsicht die Dreigliedrigkeit von Wortkolonnen ins Auge, die sowohl der Texthandlung MITTEILEN (von Werten politischen Handelns einer Partei) anhaftet, in der sich das Werbeversprechen, die Werbebotschaft manifestiert, als auch der Texthandlung AUFFORDERN (zur Wahl eines Politikers als Repräsentanten dieser Partei), mit der sich der Werbeappell verbindet. In typographischer Hinsicht registrieren wir bei beiden Textbausteinen (Werbebotschaft und Werbeappell) durchweg Majuskelschreibung und eine schnörkellose Schrift. Die registrierten syntaktischen und typographischen Stilmerkmale deuten auf Einheitlichkeit hin-- eine ästhetische Gestaltqualität, die <?page no="111"?> 111 2.6 Ästhetische Gestalthaftigkeit auf der Gleichheit oder Gleichartigkeit von Elementen basiert. Und so ist auch der Geradeaus-Blick des in Frontalansicht abgebildeten Politikers zusammen mit der Geradeaus-Schrift, in die die Wortkolonnen gesetzt sind, ein gestaltstrukturelles Merkmal von Einheitlichkeit. 2. Abwechslung: Eine durchweg auf Einheitlichkeit bedachte Gestaltung läuft Gefahr, Monotonie zu erzeugen, was nicht nur aus werbestrategischer Sicht zu vermeiden ist. Es muss auch auf Abwechslung geachtet werden. Der Rahmen der Textgattung Plakat bietet vielfältige Möglichkeiten einer abwechslungsreichen Gestaltung. Wie sich bei unserem Wahlplakat zeigt, ist die Figuration Abwechslung ebenfalls an zeichenmedialen, syntaktischen und typographischen Merkmalen nachweisbar. In zeichenmedialer Hinsicht stellen wir zunächst fest, dass die gesamte Plakatfläche mit einem Bild (Foto) ausgefüllt ist, in das Schriftfelder integriert sind. Die Kombination von sprach- und bildmedialen Textbausteinen ist ein gestaltstrukturelles Merkmal von Abwechslung auf der Textarchitektur-Ebene und somit ein textarchitektonisches Merkmal. In syntaktischer Hinsicht entsteht Abwechslung durch das Variieren und Kontrastieren von Satzstrukturen. Die Werbebotschaft umfasst erstens drei Nennsätze (Nominalsätze). Sie stehen untereinander und bestehen aus den Wertwörtern Verantwortung, Kompetenz und Nachhaltigkeit. Die Werbebotschaft umfasst zweitens den einzigen ausgeformten Satz im Text: Unser Land verdient das Beste. Der Werbeappell hingegen manifestiert sich in einem Infinitivsatz: Norbert Röttgen wählen. Abwechslung in typographischer Hinsicht geht auf das Variieren und Kontrastieren von Schriftgrößen und Schriftfarben zurück. Außerdem haben beide Wortkolonnen unterschiedliche Zeilenlängen. Bemerkenswert ist auch die Variation des Schriftfonds (Hintergrunds). Während die Textbausteine Werbebotschaft und Werbeappell mit dem Bild verschmelzen, sind die Zeichen, die auf den Werbekommunikator ( CDU ) und das Bundesland ( NRW ) verweisen, in einem zweigeteilten Textbalken mit der Hintergrundfarbe Weiß untergebracht. Zusätzlich ist in den Balken eine kleinformatige Abbildung integriert: das Bild der Landesfarben Nordrhein- Westfalens. Man beachte, dass sich die nach rechts neigende Abbildung dem kursiv gesetzten Schriftzug CDU angleicht-- ein weiteres Einheitlichkeitsmerkmal, im Vergleich mit der Schrift der Wortkolonnen aber zugleich ein Zeichen für Abwechslung. Der Beispieltext zeigt, wie beides, Einheitlichkeit und Abwechslung, in Einklang gebracht werden kann. 3. Dekoriertheit: Erkennbar ist des Weiteren ein kreativer Umgang mit Sprache, die Realisierung einer Gestaltungsidee, die in einer spielerischen Kreuzung von Wörtern zum Ausdruck kommt. In den Werbeappell ist ein Wortspiel eingeformt, in das der Gebietsname Nordrhein-Westfalen, der Personenname Norbert Röttgen und das Handlungsverb wählen einbezogen sind. Die Anfangsbuchstaben (Initialen) des zweiteiligen Personennamens und des Handlungsverbs ergeben von oben nach unten gelesen das Initialwort NRW , Kürzel für das Bundesland, dessen wahlberechtigte Bevölkerung der Adressatenkreis des Plakats ist. Ein Sprachspiel dieser Art wird als Akrostichon bezeichnet (siehe auch 1.2.3). Im Textsortenrahmen Wahlplakat sind Wortspiele dieser oder anderer Art formal-ästhetisches Beiwerk, d. h. Dekor. Die Gestaltqualität Dekoriertheit kann auch auf andere Weise erzeugt werden, z. B. typographisch durch das Verzieren von Initialen (vgl. Sandig 2006: 110-112) oder intertextuell durch ausschmückendes Einflechten von literarischen Zitaten (vgl. Hoffmann 2011: 23). <?page no="112"?> 112 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Alle aufgeführten Figurationen repräsentieren nicht nur einen formalen, sondern auch einen funktionalen Gestaltungszusammenhang. Das Zusammenspiel von Form und Funktion lässt sich wie folgt beschreiben: Die Figuration Einheitlichkeit hat die Funktion, der Werbebotschaft und dem Werbeappell Klarheit zu verleihen. Die Funktion der Figurationen Abwechslung und Dekoriertheit ist es, die Attraktivität des Wahlplakats zu gewährleisten. Der Figuration Dekoriertheit (Gestalteinheit Wortspiel) kommt zusätzlich die Aufgabe zu, die Originalität der wahlwerbenden Partei zu indizieren. Es ist nicht entscheidend, ob pragmatische Texte auf ihre ästhetische Gestalthaftigkeit hin angeschaut werden müssen. Entscheidend ist, dass pragmatische Texte daraufhin angeschaut werden können und dass es pragmatische Texte gibt, die daraufhin angeschaut werden wollen. Pragmatische Texte müssen weder abwechslungsreich noch dekorativ gestaltet sein. Ein gewisses Maß an Einheitlichkeit ist aber i. d. R. erforderlich, wenn der anvisierte Ertrag erzielt werden soll. 2.7 Kulturbezogenheit 2.7.1 Stil und Kultur Stile sind kulturbezogene Gestaltungsprodukte. Sie sind entweder kulturell geprägt und entsprechen dann kulturellen Konventionen, oder sie weichen davon ab und geben sich als innovativ, provokativ, normwidrig zu erkennen. Doch was ist Kultur? Wir können den Begriff hier nicht diskutieren-- einen Begriff, zu dem es Mitte des vorigen Jahrhunderts bereits über 150 Definitionen gab (vgl. Linke 2009: 1132). Wir legen uns auf einen kommunikativen Kulturbegriff fest: Kultur ist ein System kommunikativer Formen, Regeln und Muster (kurz: ein Kommunikationssystem), über das Gemeinschaften verfügen, auf das sie produktiv wie rezeptiv zugreifen und damit Traditionen des Kommunizierens aufrechterhalten. Die Bestimmung von Kultur als Kommunikationssystem steht unter dem Einfluss kulturwissenschaftlicher und anthropologischer Positionen, wonach Kultur als ein systematisch organisiertes Regelwerk für den kommunikativen Gebrauch von Zeichen zu begreifen ist (Extrakt aus Volli 2002: 275-280). Die Frage nach der Verbindung von Stil (als Gestaltungsprodukt) und Kultur (als Kommunikationssystem) wollen wir wie folgt beantworten: Der Zusammenhang stellt sich her über ▶ Gestaltungsformen (als Teilmenge kommunikativer Formen); ▶ Gestaltungsmuster (als Teilmenge kommunikativer Muster) und ▶ Gestaltungsregeln (als Teilmenge kommunikativer Regeln). Es gibt gestaltungsrelevante Beziehungen zwischen den Kommunikationsformen, und es gibt gestalterisch differenzierte bzw. differenzierbare Kommunikationsformen, worin sich insgesamt der differenzierte Kommunikationsbedarf einer Gemeinschaft niederschlägt. <?page no="113"?> 113 2.7 Kulturbezogenheit Kultur umfasst, wenn wir ihre gesellschaftliche Reichweite hinzunehmen, nicht ein einziges Kommunikationssystem, sondern ein Ensemble solcher Systeme. Es gibt Kommunikationssysteme mit gesamtgesellschaftlicher Reichweite, insoweit eine Gesellschaft (oder auch Nation) in ihrer Gesamtheit als Kommunikationsgemeinschaft begriffen wird. Kommunikationssysteme können aber auch eine Bindung an einzelne Gruppierungen innerhalb einer Gesellschaft (Nation) aufweisen. Dann handelt es sich um subbzw. soziokulturelle Systeme. Basiseinheiten von Kommunikationssystemen sind Textsorten. Ihr herausgehobener Stellenwert ist in der Komplexität und Konkretheit eines kommunikativen Orientierungsrahmens begründet. Aus der kommunikativen Praxis von Menschen hervorgegangen, stellen sich Textsorten dar als „Muster zur Bewältigung von spezifischen kommunikativen Aufgaben in bestimmten Situationen“ (Heinemann / Viehweger 1991: 170). Da es sich um wiederkehrende kommunikative Aufgaben und wiederkehrende Situationen handelt, nennen wir sie Standardaufgaben und Standardsituationen. Das Profil der Textmuster, die zum Orientierungsrahmen ‚Textsorte‘ gehören, ist auf die Bewältigung von Standardaufgaben in Standardsituationen zugeschnitten. Alle Komponenten des Orientierungsrahmens ‚Textsorte‘ stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang (siehe Schaubild 2). Textsorte Standardsituation Standardaufgabe Textmuster Schaubild 2: Textsortenkomponenten Prüfstein für den Textsortenstatus ist die Standardaufgabe. Bei der Textsorte Vollmacht z. B. besteht sie darin, einem Menschen die Befugnis zu einer juristisch relevanten Handlung zu erteilen. Wer eine Satzung verfasst, muss ein Regelwerk für das Wirken einer Gemeinschaft erstellen. Produzenten einer Kunstkritik stehen vor der Aufgabe, zur Qualität eines Kunstwerks ein begründetes Urteil abzugeben. Anhand dieses Prüfsteins kann man schnell erkennen, dass Inserate (Anzeigen) keine Textsorte bilden, sondern eine Textgattung, denn es ist völlig unbestimmt, worin genau die Aufgabe besteht. Bei Kontakt-, Stellen-, Verkaufs-, Immobilien-, Werbe- und Traueranzeigen ist das anders. Hier handelt es sich um Textsorten. Die Muster von Textsorten bilden ein Beziehungsgeflecht mit allen anderen, subsidiären Kommunikationsformen. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Heterogenität, die „Artenvielfalt“ von Kommunikationsformen (siehe Schaubild 3), wobei kein Wert auf ihre vollständige Erfassung gelegt werden kann, um anschließend ausschnitthaft stilkulturelle Beziehungen zwischen ihnen als systemkonstituierende Beziehungen aufzuzeigen. <?page no="114"?> 114 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Kommunikationsmodalitäten Redewiedergabeformen Architektonische Gliederungsformen Varietäten Handlungsarten Realisationsarten Technoformen Textsorten Schaubild 3: Textsorten als Basiseinheiten eines Kommunikationssystems a) Stilkulturelle Beziehungen zwischen Handlungsarten und Varietäten Das Denkmodell der pragmatischen Stilistik, wonach Stilhaftigkeit aus der Art der Durchführung von Kommunikationshandlungen erwächst, schließt ein, dass die Muster dieser Handlungen unterschiedliche, ja auch alternative Gestaltungsmittel vorsehen. Wir haben bei der Betrachtung von Stil auf der Texthandlungsebene u. a. gesehen, wie sich die Texthandlung BERICHTEN mit journalistischer Meinungssprache, die Texthandlung BESCHREIBEN mit der Fachsprache des Rechtswesens verbindet (siehe 2.4.2.1). Die Variabilität der Muster, die den genannten Texthandlungen zugrunde liegt, beruht nicht zuletzt auf der Verwendbarkeit anderer Varietäten. BERICHTEN kann sich auch in der Wissenschafts- oder Behördensprache vollziehen, und DEFINIEREN ist in jeder beliebigen Fachsprache möglich. Wie man an den Beispielen sieht, bestehen zwischen Handlungsarten und Varietäten Kompatibilitätsbeziehungen. Die Variabilität von Handlungsmustern beruht auf der Verwendbarkeit verschiedener Varietäten. Es gibt aber auch feste Zuordnungen zwischen Handlungsarten und Varietäten. Als Beispiel führen wir die Kommunikation an, die sich zwischen Servicepersonal und Gästen in traditionsbewussten Wiener Kaffeehäusern vollzieht. Einem Bericht der ARD -Sendung „Weltspiegel“ vom 30. 11. 2003 zufolge werden dort Höflichkeitskonventionen aus dem 18. Jahrhundert weiter gepflegt. Das zeigt sich u. a. an der Art und Weise, wie die Kommunikationshandlung ANREDEN ausgeführt wird. Die Standardanrede für weibliche Gäste ist Gnädige Frau. Männliche Gäste werden prinzipiell mit einem Titel angeredet: mit Herr Dr., wenn man den Titel kennt, mit Herr Exzellenz, wenn über einen Titel nichts bekannt ist. Noch interessanter ist, dass bei der Ausführung von Frage- und Aufforderungshandlungen auf ein Anredepronomen gänzlich verzichtet wird. So heißt es z. B. in einem unpersönlichen Stil Haben schon gewählt? und Möchten gerne zahlen? oder Wenn Kuchen möchten, können gern am Buffet aussuchen. Der Gast wird in Frage- und Aufforderungshandlungen auf diese Weise sprachlich unsichtbar gemacht. Er darf nicht persönlich angesprochen werden-- auch <?page no="115"?> 115 2.7 Kulturbezogenheit dann nicht, wenn ihm der Weg zu einer Wiener Sehenswürdigkeit beschrieben wird. Die Erklärung für diesen sonderbaren Stil mutet paradox an. Sie lautet: Das Servicepersonal ist bestrebt, dem Wunsch des Gastes nach Alleinsein zu entsprechen, der in ein Kaffeehaus geht, weil er zum Alleinsein Gesellschaft braucht. Die aufgeführten Gestaltungsmittel der Anrede-, Frage- und Aufforderungshandlungen sind allesamt Einheiten einer Varietät mit sehr kleinem Geltungsradius. Es sind Einheiten der Varietät ‚Wiener Kaffeehausdeutsch‘, die von deutschen Touristen für einen Wiener Dialekt gehalten wird. b) Stilkulturelle Beziehungen zwischen Kommunikationsmodalitäten und Textsorten Wir haben erwähnt, dass die Muster von Textsorten ein Beziehungsgeflecht mit allen anderen, subsidiären Kommunikationsformen bilden. Es sei an dieser Stelle ein winziger Ausschnitt aus diesem Geflecht unter die Lupe genommen. Wir interessieren uns für Beziehungen, die zwischen Kommunikationsmodalitäten einerseits, hier zu verstehen als Arten stilistischer Einstellungen (siehe DISKUSSION zu 2.4.2.2), und Textsorten andererseits herstellbar sind. Ein Hinweis darauf, dass Modalitäten Kommunikationsformen sind, findet sich bereits bei Teun van Dijk (1980: 240). Dass es sich um textsortendifferenzierende Kommunikationsformen handeln kann, lässt sich am Beispiel der journalistischen Textsorten besonders gut zeigen. Ausgehend von der journalistischen Hauptaufgabe, die im massenmedialen Verbreiten von öffentlichkeitsrelevanten Neuigkeiten besteht (vgl. Hoffmann 2011: 18 ff.), können journalistische Textsorten danach unterschieden werden, welche Modalität das Muster für das Verbreiten von Neuigkeiten vorsieht: Tatsachen-, Meinungs- oder Erlebnisbetontheit. So werden Meldungen, Ticker und Sachinterviews tatsachenbetont verfasst, Kommentare, Kritiken und Meinungsinterviews sind demgegenüber meinungsbetonte Texte, und bei Reportagen, Storys und Features ist von erlebnisbetonten Textsorten zu sprechen. Dabei sind auch Mischformen möglich. Ein Vergleich der meinungsbetonten Textsorten Kommentar und Kritik erbringt z. B., dass Kritiken, insbesondere Kunstkritiken häufig partiell erlebnisbetont gestaltet sind, denn wer Kunstwerke beurteilt, muss sein persönliches Erleben einfließen lassen (vgl. Lüger 1995: 140 f.). Wesentlich erscheint aber v. a., dass zwischen Kommunikationsmodalitäten und Textsorten Subordinationsbeziehungen bestehen können, was im Kommunikationsbereich Journalismus in der Kategorisierbarkeit von Textsorten als tatsachen-, meinungs- oder erlebnisbetont zum Ausdruck kommt (siehe auch 3.5.4.6). c) Stilkulturelle Beziehungen zwischen Technoformen und architektonischen Gliederungsformen Technoformen sind Kommunikationsformen, die an eine spezielle Kommunikationstechnik gebunden sind: Zeitungsartikel, Online-Artikel, Hörfunksendung, Fernsehsendung, Live-Übertragung, Aufzeichnung, Telefongespräch, Videotext, Hypertext, Fax, E-Mail, SMS , Chat, Twitter, Skype usw. Technoformen können mehr oder weniger schnell veralten. Das Wort Telegramm ist mittlerweile zu einem Historismus geworden. Die bezeichnete Sache gibt es nicht mehr. Wir haben bereits gesehen, dass die Startseiten von Hypertexten im Basilika-Layout (siehe Text 19), Zeitungsartikel als Clustertext (siehe Text 20) präsentiert werden können. Techno- <?page no="116"?> 116 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil formen weisen häufig Spezifika architektonischer Textgliederung auf. Es bestehen Dependenzbeziehungen zwischen beiden Spezies von Kommunikationsformen. Das bestätigt auch die Technoform Weblog, die längst für den Wahlkampf von Parteien genutzt wird (vgl. u. a. Domke 2007). Wenn wir Weblogs als Kommunikationsform im Online-Wahlkampf mit der Textsorte Wahlplakat (Text 39) vergleichen, dann stellen wir fest, dass die Hypertextstruktur eines Weblogs völlig neue Möglichkeiten der Rezipientenbeeinflussung bietet. Ein Weblog ▶ bezieht die Wählerschaft interaktiv in den Wahlkampf ein, denn es ermöglicht einerseits den Wählern, individuelle Fragen an eine Partei zu richten, und andererseits den Parteien, mit individuellen Antworten kommunikative Nähe zu Wählern herzustellen; ▶ stellt die aktuellsten Einträge an den Anfang und ordnet alle Einträge chronologisch rückläufig an; ▶ gestattet die permanente Neugestaltung fester Textbausteine wie Werbebotschaft, Werbeappell, Bildmaterial und audiovisuelle Dateien. d) Stilkulturelle Beziehungen zwischen Realisationsarten und Redewiedergabeformen Die landläufige Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache erfasst nicht alle ihre Realisationsarten. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die gesungene und die sprechgesangliche Sprache. Auch Realisationsarten sind gestalterisch differenzierbar: gesprochene Sprache in prosodischer, geschriebene Sprache in typographischer, gesungene Sprache in melodischer Hinsicht. Was den Sprechgesang betrifft, so kann er stoßweise (wie im Rap-Gesang), rezitativisch (wie bei der Aufführung von Kantaten) oder kantilliert (wie im Gottesdienst) zu Gehör gebracht werden. Kantillierter Sprechgesang hat im Gottesdienst die Funktion, einen „Beitrag zur Hebung der Feierlichkeit“ (Greule 2003: 296) zu leisten. Dabei offenbaren sich stilkulturelle Dependenzbeziehungen zwischen Realisationsarten und Redewiedergabeformen. Kantillierter Sprechgesang ist an Texte mit festem Wortlaut gebunden (z. B. an Psalmen oder Gebete). Ulla Fix (2009) hat sie Zitiertexte genannt. Mit der Zitation von Texten wird eine besondere Redewiedergabeform aktualisiert, und zwar die wiederholte Rede, die nicht nur Textpassagen, sondern auch das Textganze prägen kann (siehe dazu auch Text 21). Die Kantillierbarkeit von Texten hat diese Redewiedergabeform zwingend zur Voraussetzung. An rituellen Texten offenbart sich ein zusätzlicher Aspekt des Zusammenhangs von Stil und Kultur, der auch gestaltungsmotivisch relevant ist: die Pflege von Werten einer Gemeinschaft (z. B. Heiligkeit und Traditionsbewusstsein). In der rituellen Kommunikation werden sie-- im Unterschied etwa zur politischen Kommunikation-- nicht thematisiert, sondern zelebriert. Redewiedergabeformen sind außerhalb von Zitationstexten immer „Texte im Text“ (Kurz 2010: 111). Und auch hier gibt es Zusammenhänge mit Realisationsarten. Zu verweisen ist auf die erlebte und die abstrahierte Rede-- Redewiedergabeformen, die in Schrifttexten beheimatet sind. Während die erlebte Rede ihre Heimat in poetischen Texten hat, was bereits kurz Erwähnung fand (siehe 2.5.4.4), ist die abstrahierte Rede eine bevorzugte Redewiedergabeform in den Schlagzeilen journalistischer Texte. Hauptkennzeichen abstrahierter Rede ist die nichtwörtliche Wiedergabe von direkter Rede (vgl. Kurz 2010: 118 f.). Nichtwörtlich ist <?page no="117"?> 117 2.7 Kulturbezogenheit die Wiedergabe, weil vom ursprünglichen Wortlaut abstrahiert wird. Er wird lediglich komprimiert wiedergegeben. Es kommt darauf an, die Quintessenz von Geäußertem zu vermitteln. Nehmen wir als Beispiel eine Schlagzeile aus der Sportberichterstattung. Ein Interview mit Nationalspieler Thomas Müller, geführt während der Fußball- EM 2016, war mit der Schlagzeile „Italiens Abwehr ist nicht undurchdringbar“ (Der Tagesspiegel, 30. 06. 2016, 26) überschrieben. Dass der Titel des Interviews trotz der Anführungszeichen abstrahierte Rede enthält, erschließt sich erst aus dem Interview selbst, wo sich der Interviewte mit folgenden Worten äußert: „Die Italiener verteidigen als Mannschaft und das auch gut, aber sie sind nicht undurchdringbar.“ Wir haben an einigen Beispielen zu verdeutlichen versucht, warum wir bei der Kulturbezogenheit von Stil von einem Kommunikationss y s t e m sprechen müssen. Gestaltungsformen (Kommunikationsmodalitäten, Varietäten, Redewiedergabeformen, architektonische Gliederungsformen) stehen in geregelten Beziehungen zu anderen Kommunikationsformen. Anhand unserer Beispiele sei zusammenfassend gesagt: Innerhalb von Kommunikationssystemen gibt es ▶ Kompatibilitätsbeziehungen zwischen Handlungsarten und Varietäten; ▶ Subordinationsbeziehungen zwischen Kommunikationsmodalitäten und Textsorten; ▶ Dependenzbeziehungen zwischen Realisationsarten und Redewiedergabeformen; zwischen Technoformen und architektonischen Gliederungsformen. Zu beachten ist, dass wir das Wesen eines Kommunikationssystems nur skizzieren konnten. Weitere Kommunikations-, darunter Gestaltungsformen sind zu bedenken, z. B. typisierte Stile (siehe 3.5.1). 2.7.2 Stilwandel und Kultur Kommunikationssysteme sind dynamische Organismen. Sie haben eine historische Dimension und sind für Veränderungen offen. So kann auch ein neuer Stil in Mode kommen, von einer Gemeinschaft akzeptiert oder sogar begrüßt werden, was dann einen kulturellen Wandel, d. h. einen Wandel im System bewirkt. Mit anderen Worten: Nicht jeder Stil, der anders als der übliche ist, führt einen solchen Wandel herbei. Über diese Kraft verfügen nur diejenigen Stilinnovationen, die sich durchgesetzt haben, als Neuerungen kulturkonform sind und dadurch in das System passen. Stilwandel manifestiert sich nur in Texten. Er offenbart sich bei einem diachronischen Vergleich von Texten: „Was jeweils modern- - und damit aus der Rückschau historisch eingebunden-- ist, lässt sich am besten anhand des Vergleichs von Exemplaren eines Textmusters erfahren.“ (Sandig 2006: 525) Gemeint ist nicht irgendein Textmuster, sondern das Muster einer Textsorte. Seine Teilmuster bzw. Komponenten erfassen jeweils einen anderen Vertextungsbzw. Realisierungsaspekt und schließen Gestaltungsmuster ein oder machen sie anschließbar. So gibt es Gestaltungsmuster auf den Vertextungsebenen Texthandlung, Textthema und Textarchitektur (siehe 2.4.2) sowie im Umkreis von Realisationsarten und Technoformen (siehe 2.7.1). <?page no="118"?> 118 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Wir machen jetzt die Probe aufs Exempel und vergleichen zwei Exemplare der Textsorte ‚Kommerzieller Werbebrief ‘ miteinander, zwischen denen ein Abstand von über hundert Jahren liegt (siehe Texte 40 u. 41). Die kommunikative Standardaufgabe, die Textproduzenten kommerzieller Werbebriefe zu bewältigen haben, besteht darin, mittels Briefform möglichst viele Menschen für ein Produkt zu interessieren und sie als Kunden zu gewinnen. Sie kann auch darin bestehen, den Kundenkreis zu erweitern oder zu stabilisieren. Werbebriefe sind also eine Kommunikationsform, deren Situationskontext in sozialer Hinsicht von der Beziehung zwischen einem Anbieter und (potentiellen) Kunden bestimmt ist. Das Profil des Textmusters ‚Kommerzieller Werbebrief ‘ ist auf die Standardaufgabe und den Situationskontext zugeschnitten. Wir lenken unser Augenmerk nun auf Gestaltungsweisen von Textmusterkomponenten, die uns nicht mehr zeitgemäß erscheinen: auf die Ausführung von Texthandlungen und auf die Typographie. a) Stilwandel beim ANREDEN der (potentiellen) Kundschaft am Briefanfang Im zweigeteilten Werbebrief von 1911 vermissen wir in beiden Teilen die Texthandlung AN- REDEN . Während es heute-- wie Text 41 zeigt-- eine auf das Produkt zugeschnittene familiäre Anrede geben kann (Liebe Leserin, lieber Leser), nimmt in Text 40 (Teil 1) das lateinische Kürzel P. P. (praemissis praemittendis ‚das Vorausschickende vorausgeschickt‘) diesen Platz ein, wodurch der Text einen uns heute fremd erscheinenden bildungssprachlichen Anfang nimmt. b) Stilwandel beim GRÜSSEN der (potentiellen) Kundschaft am Briefende Beide Teile des Werbebriefs von 1911 werden mit einer Grußformel beendet, die auf Grund ihrer Ehrerbietigkeit nicht mehr in unsere Zeit passt: Mit vorzüglichster Hochachtung. Statt dieser Formel und einer Unterzeichnung in Druckschrift finden wir heute eine betont freundliche Grußformel mit einem hinzugefügten Faksimile der Unterschrift: Herzlich, Ihr Jakob Augstein. c) Stilwandel beim WERBEN um Kundschaft In beiden Teilen des Werbebriefs von 1911 wird um Kundschaft geworben, indem sie gebeten wird, ein neueröffnetes Zweiggeschäft für Reiseartikel aufzusuchen. Julius Rascher schreibt: Ich bitte höflichst, diesem [meinem ältesten Sohn] Ihr Vertrauen, Unterstützung und Wohlwollen gütigst entgegen zu bringen. Martin Rascher schreibt: […] bitte ich höflichst um Ihre gütige Unterstützung meines Unternehmens. Auffällig und aus heutiger Sicht fremd erscheinend ist vor allem das elativische Ergebenheitsvokabular: höflichst und gütigst. Es sind Elative, weil es im kommunikativen Kontext keine Komparationsformen zu den Superlativen gibt. Es kann nur höflich oder höflichst, gütig oder gütigst heißen, nicht aber höflicher bzw. gütiger. Abgesehen von seiner morphologischen Form ist das Adjektiv gütig ein werbekommunikativ völlig unübliches Wort geworden. Elativische Formen finden wir auch in der bereits erwähnten <?page no="119"?> 119 2.7 Kulturbezogenheit Beispieltext 40: Kommerzieller Werbebrief (1911) <?page no="120"?> 120 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Grußformel Mit vorzüglichster Hochachtung sowie in einer Infinitivkonstruktion mit dem Verb mitteilen als Kernglied: […] gestatte ich mir, Ihnen ergebenst mitzuteilen. Das Adjektiv ergeben (‚demütig‘) ist ein weiterer Beleg für ein werbekommunikativ unüblich gewordenes Wort. Im Werbebrief von 2015 wird das WERBEN um Kundschaft als Einladung (zum Testen eines Produkts) deklariert: Das Substantiv Einladung, das in der Betreffzeile steht, und der Satz Ich lade Sie ein, den Freitag drei Wochen kostenlos zu testen! sind aus gestaltungsstrategischer Sicht ein „Schachzug“, denn sie verdecken den Werbecharakter des Textes. Weitere Texthandlungen wie das BESCHREIBEN des Produkts und das BESCHREIBEN des Anbieters sind vom Stilwandel weniger markant betroffen. Eine herausgehobene Rolle spielen nach wie vor Wertadjektive. 1911 sind es auf die Produktbranche ‚Reiseartikel‘ bezogen die Adjektive dauerhaft, leichtest und elegant, 2015 auf die Produktbranche ‚Wochenzeitungen‘ bezogen die Adjektive kritisch, streitbar und meinungsstark. Die werbesprachliche Dreiglied- Beispieltext 41: Kommerzieller Werbebrief (2015) <?page no="121"?> 121 2.7 Kulturbezogenheit rigkeit von Aufzählungen bei der Realisierung des Gestaltungsakts Anpreisen (siehe auch Text 2) ist uns also erhalten geblieben. Auch textarchitektonisch hat sich nichts grundlegend geändert. Es erscheint nach wie vor zeitgemäß, im Briefkopf auf imageaufwertende Auszeichnungen hinzuweisen-- wie im Text von 1911, wo die Vorder- und die Rückseite einer Auszeichnungsmedaille abgebildet sind, die der Fabrikant auf der Weltausstellung 1910 für seine Fabrikate erhalten hat. Ein weiteres deutliches Zeichen für Stilwandel jedoch liefert das Schriftbild. Schriftsprache (als Realisationsart) und Druckerzeugnis (als Technoform), die ebenfalls Komponenten des Textmusters ‚Kommerzieller Werbebrief ‘ sind, verbinden sich mit typographischen Gestaltungsmerkmalen, die unter dem Einfluss der historischen Zeit stehen. d) Typographischer Stilwandel Das Schriftbild des Werbebriefs von 1911 erscheint uns nicht mehr zeitgemäß, da eine Schrift aus der Gattung Jugendstil verwendet wurde, die heute nur noch historisierend eingesetzt wird. Zu dieser Schrift passen jugendstiltypische Zierleisten, mit denen der Briefkopf dekoriert ist. Die vertikale Leiste gliedert den Briefkopf in einen sprachmedialen und einen bildmedialen Abschnitt. Die horizontalen Leisten unterstreichen die Trennung zwischen Briefkopf und Briefkern. Der Werbebrief von 2015 hingegen ist in einer zeitgemäßen Antiqua-Schrift gedruckt. Ein zeitgemäßes dekoratives Element ist der horizontale Balken am oberen Seitenrand, der mit einer sprechblasenähnlichen Ausbuchtung auf das Logo des Presseerzeugnisses zeigt. Aufschlussreiche weitere Beispiele für Textsorten- und Stilwandel finden sich bei Christine Keßler (2009), vor allem zu den Textsorten Antrag, Werbeanzeige und Hausordnung. DISKUSSION 1. Wie ordnen sich Stilnormen, die den Kern einer präskriptiven Stilistik bilden, in das kommunikative Regelwerk von Kommunikationssystemen ein? Stilnormen (vgl. Fleischer / Michel / Starke 1996: 50-69) sind Komponenten dieses Regelwerks. Es handelt sich um Gestaltungsmaximen und zugleich um Bewertungsmaßstäbe innerhalb eines Gestaltungsrahmens (Textsorte bzw. Textgattung). Stilnormen haben in erster Linie die Funktion, Richtschnur für das Hervorbringen kulturkonformer Stile zu sein. Stilnormen legen z. B. fest, welcher Stil als angemessen gilt, ob er der Persönlichkeit des Textproduzenten entspricht oder dem Bildungshorizont des Textrezipienten, ob er dem Charakter des Themas gerecht wird, dem Redeanlass usw. Angemessenheitsrelationen sind Lehrgegenstand der klassischen Rhetorik (vgl. Plett 2001: 28 f.). Stilbezogene Kommunikationsregeln erstrecken sich darüber hinaus auf Gestaltungsoptionen und stilistische Standards. Wenn beispielsweise eine Literaturkritik im Stil des zu besprechenden Romans verfasst wird (siehe Text 18), entspricht dies keinesfalls dem stilistischen Standard, stellt aber auch keinen Verstoß gegen eine Stilnorm dar. Wir kommen auf die Unterscheidung zwischen Normiertheit und Standardisiertheit im Abschnitt 3.1.2 zurück. <?page no="122"?> 122 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil 2.8 Textgebundenheit 2.8.1 Zum Textbegriff in der Textlinguistik Es ist nicht selbstverständlich, bilddominante Kommunikate, z. B. Bildwitze (Text 7), Autobahnplakate (Text 28) oder Wahlplakate (Text 39), als Texte aufzufassen. Ebenso wenig selbstverständlich ist es, in zweiteiligen sprachdominanten Kommunikaten, die verschiedene Adressaten erreichen sollen, wie die Sparkassen-Bekanntmachung (Text 24), oder die verschiedene Absender haben, wie der Werbebrief von 1911 (Text 40), nur e i n e n Text zu sehen-- eben einen Text, der sich aus zwei Teilen zusammensetzt. Dazu bedarf es eines geeigneten Textbegriffs. Auch ist es ganz und gar nicht selbstverständlich, Stil als eine den Text mitkonstituierende Eigenschaft des Textes zu begreifen. In textlinguistischen Textdefinitionen jedenfalls wird anderes für wesentlich gehalten. ‚Text‘ ist z. B. für Klaus Brinker (2010: 17) „eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert“. Kirsten Adamzik stellt fest: „Eine bündige Definition von Text kann nur Teilaspekte erfassen und die Vielzahl von Definitionen ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass man jeweils unterschiedliche (Kombinationen von) Teilaspekte(n) fokussiert.“ (2004: 39) Wir wollen im Folgenden auf Teilaspekte (Definitionsmerkmale des Textbegriffs) eingehen, die in der Textlinguistik für wesentlich ge- 2. In der Literatur wird auch von kulturellen Stilen gesprochen. Wenn aber Stil generell kulturbezogen ist, stellt sich die Frage, welche Bedeutung das Beiwort kulturell hat. Man findet in der Literatur die Gegenüberstellung von kulturellem (kollektivem) und individuellem Stil (vgl. Linke 2009: 1135-1139, bes. 1138 f.) - eine Position, die wir nicht teilen. Auch individuelle Stile haben eine kulturelle Dimension. Sie sind kulturbezogen, aber nicht generell kulturgeprägt. Das kommunikative Regelwerk, das Kommunikationssysteme auszeichnet, bildet die Folie auch für individuelle Gestaltungseigenheiten. Nach unserer Auffassung gibt es deshalb kulturelle Stile nicht. Die Wortverbindung ist ein Pleonasmus. Was es gibt, sind kulturkonforme und kulturell dyskonforme Stile. Individuelle Stile können beides sein. 3. Bei der Bewertung erbrachter Kommunikationsleistungen (z. B. in politischen Talkshows) wird mitunter mangeInde Kommunikationskultur beklagt. Welche Bedeutung hat die Konstituente -kultur in diesem Kompositum? ‚Kommunikationskultur‘ ist ein Wertbegriff, der außerhalb eines theoretischen Rahmens (eines Kulturkonzepts) häufig dann herangezogen wird, wenn Kommunikationsteilnehmer Maximen kommunikativen Agierens und Interagierens missachtet haben. Solche Maximen sind z. B. ‚Ehrlichkeit‘, ‚Höflichkeit‘, ‚Vorurteilslosigkeit‘ oder auch ‚Geduld‘. Gegen all diese Maximen wird besonders häufig in politischen Talkshows verstoßen. Kommunikationsmaximen, die Stilnormen einschließen (siehe ‚Höflichkeit‘), ohne mit ihnen identisch zu sein (siehe ‚Ehrlichkeit‘), sind im Kommunikationswissen einer Gemeinschaft verankert. <?page no="123"?> 123 2.8 Textgebundenheit halten werden. Im Anschluss (siehe 2.8.2) soll die stilistische Geformtheit eines Textes in die Reihe unverzichtbarer Definitionsmerkmale aufgenommen werden. Ziel ist es, zu einer Textdefinition zu gelangen, die weit genug ist, um „Problemfälle“ wie die obengenannten mit abzudecken, und die präzise genug ist, um Text und Stil zusammenzuführen. Wir gehen zunächst diejenigen Teilaspekte von Texten einzeln durch, zu denen in der Textlinguistik ziemliche Einigkeit herrscht. Thematizität/ Thematische Kohärenz: Regulär hat jeder Text ein Thema. Wir hatten ‚Textthema‘ definiert als objektsemantisches Zentrum eines Textes, d. h. als Kerninformation darüber, auf welches Objekt (Gegenstand, Zustand, Lebewesen, Ereignis, Begriff usw.) alle weiteren Informationen (als Teilthemen) bezogen sind (siehe 2.4.2.2). Die Relationen zwischen Thema und Teilthemen sowie zwischen den Teilthemen untereinander stiften im Normalfall thematische Kohärenz (einen thematischen Zusammenhang). In der textkommunikativen Wirklichkeit kommt es diesbezüglich aber auch zu Fehlleistungen, die, wenn sie kurios genug sind, von journalistischen Publikationsorganen veröffentlicht und zur allgemeinen Belustigung freigegeben werden. Beispieltext 42 ist auf Grund eines Vertextungsfehlers solch ein kurioser Text (über die orthographischen Fehler schauen wir großzügig hinweg). Das Thema, explizit bezeichnet mit Espresso / Kaffeevollautomat, und seine Teilthemen, darunter das Teilthema Ausstattung: 4 Massageköpfe und 2 Massagefinger, sind inkohärent aufeinander bezogen. Thementypologisch ausgedrückt: Die hergestellten Relationen zwischen einem PRODUKT und seinen EIGENSCHAFTEN stehen im Widerspruch zu unserem Weltwissen. Durch ein Vertextungsversehen ist ein kurioser, thematisch defektiver Text entstanden. Prüfen wir nun, inwiefern unsere „Problemfälle“ (Texte 24 und 40) ein gemeinsames Thema haben und thematisch kohärent sind. 1. Zur zweiteiligen Bekanntmachung (Text 24): In beiden Teilen der Bekanntmachung wird zwar jeweils anderes thematisiert (‚die Zwecklosigkeit eines Überfalls‘ bzw. ‚die Anmeldung von Auszahlungen ab 5.000 Euro‘), doch beide Teile sind durch ein übergeordnetes Thema Beispieltext 42: Prospektofferte (der Firma Saturn) Der Spiegel, Nr. 1 / 2016, 130 (Rubrik „Hohlspiegel“). <?page no="124"?> 124 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil (ein Ober- oder Superthema) miteinander verknüpft. Dieses erschließt sich mit Blick auf den schwarzen Balken, der-- zwischen beide Teile geschoben-- den Nennsatz zeitschlossgesicherte Geldbestände enthält. Wir erfahren also den GRUND (als Oberthema) sowohl für die Zwecklosigkeit eines Überfalls (=- FOLGE 1 ) als auch für die Anmeldung von Auszahlungen ab 5.000 Euro (=- FOLGE 2 ). Die auf einen gemeinsamen GRUND beziehbaren GRUND - FOLGE - Relationen rechtfertigen es, das Kommunikat als nur einen Text aufzufassen. 2. Zum zweiteiligen Werbebrief (Text 40): Ungeachtet der formalen Selbständigkeit zweier Briefe kann man auch hier von thematischer Kohärenz und von zwei Teiltexten eines Gesamttextes sprechen, da in beiden Briefen die ‚Neueröffnung eines Geschäfts‘ zum Oberthema wird und beide Absender im Briefkopf aufgeführt sind. Außerdem sind beide Briefe explizit miteinander verknüpft: zum einen durch das Kürzel P. P., das dem ersten Brief voransteht und metakommunikativ vorausweist auf den zweiten Brief, zum anderen durch die Partizipialkonstruktion auf vorstehendes höflichst Bezug nehmend, mit der der zweite Brief beginnt. Thementypologisch haben wir es hier mit einem EREIGNIS (als Oberthema) zu tun sowie mit zwei verschiedenen EREIGNIS - AKTEUR -Relationen: zum einen mit einer EREIGNIS - INITIATOR -Relation (Brief 1), zum anderen mit einer EREIGNIS - EXEKUTANT -Relation (Brief 2). Zu fragen ist, ob die Dinge nicht ähnlich liegen bei ▶ Textsammlungen (z. B. Beiträgen in Sammelbänden zu einem Rahmenthema); ▶ Textsequenzen (z. B. Vorträgen auf Tagungen, Parlamentsdebatten); ▶ Textverbänden (z. B. Leserbriefen zu einem Thema). Die Dinge liegen hier deutlich anders. Wissenschaftler, Politiker, Leserbriefschreiber, die sich zu einem bestimmten Thema (Rahmenthema) äußern, greifen es unabhängig voneinander auf und geben ihre persönliche Sichtweise wieder. Die Texte gehören zwar thematisch zusammen, sie sind aber keine Teiltexte eines Einzeltextes, sondern Teile eines Textkomplexes. Und so muss auch unterschieden werden zwischen der thematischen Kohärenz eines Einzeltextes einerseits und der thematischen Vernetztheit mehrerer Einzeltexte zu einem Textkomplex andererseits. Terminologisch werden Textkomplexe dieser Art als Diskurse bezeichnet. Diskursivität, das Eingebundensein von Texten in einen oder mehrere Diskurse, ist eine Erscheinungsform von Intertextualität. Es gibt auch den Fall, dass ein und derselbe Textproduzent in ein und demselben Einzeltext verschiedene Themen abhandelt (z. B. im Rahmen von Privatbriefen oder Parlamentsreden). Diese Texte sind dann nicht mono-, sondern polythematisch. Funktionalität: Regulär hat jeder Text eine kommunikative Funktion. Der Begriff Textfunktion erfasst textkommunikative Absichten, Anliegen, Ziele, Zwecke u. Ä. (vgl. u. a. Adamzik 2004: 107-117). Für die pragmatische Textkommunikation und nur für diese hat Klaus Brinker (2010: 98-112) ein Modell mit fünf textuellen Grundfunktionen entwickelt, das sprechakttheoretisch fundiert ist und die Art des kommunikativen Kontakts zwischen Textproduzent <?page no="125"?> 125 2.8 Textgebundenheit und Textrezipient zum einheitlichen Unterscheidungskriterium hat. Eine Besonderheit seines Modells, das wir im Folgenden leicht modifiziert wiedergeben, besteht darin, dass er jede Grundfunktion mit einer satzförmigen Paraphrase verdeutlicht: 1. Informationsfunktion: ‚Ich (der Produzent) informiere dich (den Rezipienten) über den Sachverhalt X bzw. über meine Meinung zum Sachverhalt X.‘ 2. Appellfunktion: ‚Ich (der Produzent) fordere dich (den Rezipienten) auf, die Meinung X zu übernehmen bzw. die Handlung X zu vollziehen oder zu unterlassen.‘ 3. Obligationsfunktion: ‚Ich (der Produzent) verpflichte mich dir (dem Rezipienten) gegenüber, die Handlung X zu vollziehen oder zu unterlassen.‘ 4. Kontaktfunktion: ‚Ich (der Produzent) signalisiere dir (dem Rezipienten), dass es mir um die Aufrechterhaltung unseres beiderseitigen sozialen Kontakts geht.‘ 5. Deklarationsfunktion: ‚Ich (der Produzent) gebe dir (dem Rezipienten) zur Kenntnis, dass hiermit Sachverhalt X in Kraft gesetzt ist.‘ Das Modell ist als eine offene Liste zu verstehen. So kann man mühelos eine sechste Grundfunktion hinzusetzen: 6. Unterhaltungsfunktion: ‚Ich (der Produzent) gebe dir (dem Rezipienten) zu verstehen, dass ich dir mit meinem Text Vergnügen bereiten will.‘ (Vgl. Hoffmann 2008a: 75.) Unseren beiden Problemtexten ist zweifellos die Appellfunktion eingeschrieben-- erkennbar an zwei verschiedenen Facetten von Aufforderungen, eine Handlung zu vollziehen oder zu unterlassen. AUFFORDERN spezifiziert sich zum einen als ein ABRATEN (von einem Banküberfall) und zum anderen als ein BITTEN (um die Anmeldung von Auszahlungsbeträgen bzw. um Einkäufe in einem neueröffneten Geschäft). Auf die pragmatische Textkommunikation ausgerichtete Funktionsmodelle sind- - mit Ausnahme der Unterhaltungsfunktion-- nicht auf die poetische Textkommunikation übertragbar. Ein äquivalentes Modell gibt es nicht und kann es wohl auch nicht geben. Funktionale Aspekte lassen sich aber zumindest über die werkbezogenen Gestaltungsmotive (Spiellustbekundung, Figurenporträtierung, Milieukolorierung u. a.; siehe 2.5.4) erfassen. Im Unterschied zu den textuellen Grundfunktionen pragmatischer Texte handelt es sich dabei jedoch um Gestaltungsfunktionen. Situationalität: Im Normalfall ist jeder Text in einen Situationskontext eingebettet. Unter ‚Situation‘ kann man ganz Verschiedenes verstehen: das gesellschaftliche und historische Umfeld, die Sozialbeziehung zwischen Textproduzent und Textrezipient, die Situationseinschätzung der Kommunikationsteilnehmer, die raum-zeitlichen Umstände usw. Wir wollen an dieser Stelle auf ein Situationsmodell zu sprechen kommen, das drei ineinandergreifende Situationskomponenten enthält: die Tätigkeitssituation (als übergeordnete Komponente), die soziale Situation und die Umgebungssituation (vgl. Hartung 1974: 273 ff.). Der Begriff Tätigkeitssituation erfasst nach diesem Modell die gesellschaftliche Sphäre der Kommunikation, die man nach Kommunikationsbereichen (z. B. Parlamentarismus, Journalismus, Gottesdienst, Werbung, Kunst, Geheimdienst) auffächern kann. „Was jeweils <?page no="126"?> 126 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil als Kommunikationsbereich abgehoben, wie weit oder eng der Bereich abgesteckt und in welcher Weise er wiederum in Teilbereiche aufgegliedert wird, ist- […] relativ zu Erkenntnisinteressen und praktischen Bedürfnissen zu sehen.“ (Fleischer / Michel / Starke 1996: 36) Tätigkeitssituationen schließen soziale Situationen ein, d. h. charakteristische Sozialbeziehungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern, die sich aus deren sozialen Rollen, dem sozialen Aktionsradius (privat-- öffentlich-- geheim), der Gruppenzugehörigkeit, der Institutionsgebundenheit usw. ableiten. Wesentlich für die soziale Situation ist auch, ob eine symmetrische (gleichwertige) oder asymmetrische (ungleichwertige) Beziehung zwischen den Kommunikationsteilnehmern besteht oder angenommen wird. Symmetrische wie asymmetrische kommunikative Verhältnisse können die soziale Position betreffen, darüber hinaus Sichtweisen und Interessenlagen, aber auch die verschiedenen Arten von Kompetenz (Sach-, Sprach-, Kommunikationskompetenz). Die Situationskomponente Umgebungssituation bündelt alle die Situationsmerkmale, die als raum-zeitliche Begleitfaktoren auf das kommunikative Geschehen Einfluss nehmen (können): die historische Zeit, raum-zeitliche Merkmale des kommunikativen Kontakts (direkt / indirekt), die Kommunikationsrichtung (monologisch / dialogisch), den Kommunikationskanal (mündlich / schriftlich), die Planbarkeit der Textproduktion (konzipiert / spontan) u. a. (siehe auch Tab. 11). Unsere beiden Beispieltexte, die Bekanntmachung (Text 24) und der Werbebrief (Text 40), verbindet in situationskontextueller Hinsicht einiges. Die Sozialbeziehung ist jeweils asymmetrisch, der soziale Aktionsradius ist öffentlich, der Kommunikationskontakt indirekt, die Kommunikationsrichtung monologisch, der Kommunikationskanal schriftlich. Beiden Texten liegt Konzipiertheit als Textproduktionsmerkmal zugrunde. Unterschiede betreffen den Kommunikationsbereich (Institutionelle vs. Werbekommunikation) und die historische Zeit. Die Datumsangabe im Werbebrief (2. September 1911) ermöglicht dessen zeitliche Einordnung und legt nahe, dass das Ende der Gültigkeit seines Inhalts erreicht ist. Wer heute noch das Geschäft in der Zwickauer Bahnhofstraße aufsucht, um einen Koffer zu kaufen, muss damit rechnen, dass es das Geschäft nicht mehr gibt. Die Gültigkeit der Bekanntmachung hingegen dauert an. Dafür stellen wir ihre Fixiertheit an einen Ort fest, die dem Werbebrief fehlt. Einen Text mit der Äußerung Überfall zwecklos per Aushang zu veröffentlichen ist nur dann sinnvoll, wenn der betreffende Ort auch wirklich überfallgefährdet ist. Textsortenrepräsentanz: Jeder Text repräsentiert im allgemein akzeptierten textlinguistischen Verständnis eine Textsorte. Er ist ein Textsortenexemplar. Das ist allerdings ein zu optimistisches Postulat, denn erstens gibt es Textsortenmischungen, z. B. aus Medienbericht und Kommentar (vgl. Burger 2005: 224-232), und zweitens gibt es Texte, deren Textsortenrepräsentanz im Unklaren bleibt. Dazu gehört unser Beispieltext 24. Wir haben ihn als Bekanntmachung gekennzeichnet, weil uns das am treffendsten erschien, doch Bekanntmachungen bestehen die Prüffrage nach der kommunikativen Standardaufgabe (siehe 2.7.1) nicht. Was kann nicht alles per Bekanntmachung bekanntgemacht werden: Satzungen, Bebauungspläne, Ausschreibungen, Gesetzestexte, Aufstellungsbeschlüsse, aber auch Öffnungs- und Sprechzeiten, Termine für Gerichtsverhandlungen, Ferientermine für die einzelnen Bundesländer <?page no="127"?> 127 2.8 Textgebundenheit usw. usf. Bekanntmachungen bilden eine Textgattung, amtliche Bekanntmachungen eine Untergattung. Wir kommen nun zu denjenigen Textmerkmalen, die im textlinguistischen Diskurs diskutiert werden, wobei die Tendenz dahin geht, diese Merkmale als prototypisch (besonders typisch, aber nicht generalisierbar) für Texte anzusehen (vgl. Sandig 2000). Sprachlichkeit / Sprachdominanz: Prototypische Texte sind sprachliche, zumindest sprachdominante Gebilde. Die eingangs zitierte Textdefinition lässt ausschließlich sprachliche Zeichen als Texteinheiten zu. Das erscheint nicht unlogisch, denn als Grundeinheit eines Textes gilt immer noch der Satz. Es ist deshalb folgerichtig, wenn Klaus Brinker bei der Analyse einer Werbeanzeige (2010: 105-109) das großflächige Foto eines Nashorns nicht als Texteinheit ansieht, sondern das Foto als Bild neben den Text stellt. In der Text-Bild-Beziehung erkennt er dann allerdings eine werbestrategisch bedeutsame Beziehung. Text und Bild werden von ihm in dieser Hinsicht als eine kommunikative Ganzheit behandelt. Würden wir ebenfalls einen derart engen Textbegriff vertreten, müssten bei unseren Beispieltexten die beiden Piktogramme (Text 24) und die Abbildung einer Auszeichnungsmedaille im Briefkopf (Text 40) aus dem Text herausgenommen werden. Die Frage ist also: Sollte man auch bildmediale Zeichen als Texteinheiten, bilddominante Kommunikate als Texte auffassen? Zu bedenken ist jedenfalls, dass es sprachliche Äußerungen gibt, die nur in Kombination mit einem Bild interpretierbar sind. Bildwitze, Karikaturen, Comics und Fotoromane können als Beispiel dienen. In diesem Zusammenhang spielt auch die Multimedialität von Kommunikaten eine Rolle: das kommunikative Zusammenwirken von Schrift und Typographie, Lautsprache und Prosodie, Gestik und Mimik, statischen und bewegten Bildern, Tönen und Musik. In Werbespots z. B. kommt alles zusammen, was zusammenkommen kann. Sollte man also multimedial produzierte Gebilde als Texte auffassen? Die Frage wird tendenziell positiv beantwortet. Schriftlichkeit: Prototypische Texte sind schriftmediale Gebilde. Die Frage ist: Sollte man auch mündliche Kommunikate als Texte auffassen? Wer darauf eine verneinende Antwort gibt, muss sich fragen lassen, welchen kommunikativen Status dann Vorträge, Vorlesungen, Predigten, Dank- und Gedenkreden, Laudationes u. a. m. haben. Hinzu kommt, dass die Exemplare der genannten Textarten nach einer mehr oder weniger ausgearbeiteten schriftlichen Vorlage zu Gehör gebracht werden. Sie haben also eine doppelte Existenzweise. Monologizität: Prototypische Texte sind monologische Gebilde. Die Frage ist: Sollte man auch dialogische Kommunikate als Texte auffassen? Zu bedenken ist, dass man bei einer negativen Antwort auf diese Frage Ratgebertexten zu Leseranfragen, mündlichen und schriftlichen Interviews oder auch Dramentexten Textualität absprechen müsste. Das erscheint nicht sinnvoll zu sein. Mehrsätzigkeit: Prototypische Texte sind mehrsätzige Gebilde. Die Frage ist: Sollte man auch Ein-Satz- oder gar Ein-Wort-Äußerungen als Texte auffassen? Bei einem pragmatischen Textbegriff-- so die vorherrschende Meinung (vgl. u. a. Brinker 2010: 17)-- kann man auch <?page no="128"?> 128 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Äußerungen wie Rauchen verboten oder Feuer! den Status eines Textes zuerkennen, da ein wichtiges Textualitätskriterium erfüllt ist: die kommunikative Funktionalität. Hier ist allerdings zu bedenken, dass man dann nicht mehr von Vertextung sprechen kann, die ja gerade in der kohärenten Verknüpfung von Sätzen (bzw. Zeichen anderer Medialität) besteht. Es empfiehlt sich deshalb, die Grenzziehung zwischen einer einfachen Äußerung (in Satzform) und einem Text (in Mehrsatzform) aufrechtzuerhalten. Mehrsätzigkeit ist in gewissem Sinne auch bei bilddominanten Texten gegeben. Wenn man z. B. einen Witz, der aus einem großflächigen Bild und einem einzigen Satz besteht, in einen rein sprachlichen Text umwandelt, ist man gezwungen, mehrere Sätze zu produzieren. Man muss sukzessive versprachlichen, was das Bild simultan zeigt, und das sind in jedem Falle Einheiten, die zum Verstehen der Pointe nötig sind (siehe die Analyse zu Beispieltext-7). Wie eingangs erwähnt, versteht es sich nicht von selbst, Texte auch als g e s t a lt e t e Gebilde zu begreifen, d. h. den Anteil, den Stil an der Bildung von Texten hat, in den Textbegriff aufzunehmen. Wir halten dies aber für unverzichtbar und widmen dieser wichtigen Ergänzung einen eigenen Abschnitt (siehe 2.8.2). DISKUSSION 1. Zur Situationalität von Texten: Sind mit dem vorgestellten Situationsmodell, das die Komponenten Tätigkeits-, soziale und Umgebungssituation enthält, alle relevanten Situationskomponenten erfasst? Nein. Die Beziehung zwischen Textproduzent und Textrezipient konstituiert einen Situationsrahmen, in den Weiteres eingeordnet werden kann und muss, etwa die (habituelle) psychische Verfasstheit der Kommunikationsteilnehmer - m.a.W. die emotionale Situation. Gemütsverfassungen wie Freude, Bewunderung, Aufregung, Ärger oder Wut können auf Textproduktion wie -rezeption erheblichen Einfluss ausüben, emotionale Stile hervorbringen und emotionale Stilwirkungen auslösen. 2. Zur Multimedialität von Texten: In der Literatur wird die mediale Vielgestaltigkeit von Texten sehr häufig mit dem Begriff Multimodalität erfasst. Gibt es zwischen Multimedialität und Multimodalität einen Bedeutungsunterschied? Grundlage für beide Begriffe ist der Zeichenbegriff (siehe 2.9.1). Während der Begriff Modalität die Bindung von Zeichenarten (modes) an Zeichensysteme bzw. Zeichenordnungen (Kodes) akzentuiert, hebt der Begriff Medialität die Spezifik des Zeichenformativs (-körpers) hervor, d. h. den Aspekt der Wahrnehmbarkeit eines Zeichens. Ob nun Texte als multimodale oder multimediale Gebilde aufgefasst werden - immer kommt das Zusammenwirken von Zeichen verschiedenen Typs in den Blick. Modalität ist aus unserer Sicht allerdings ein missverständliches Wort. Die Ableitung von engl. mode (‚Art‘) erscheint fragwürdig, da es im Englischen auch das Wort modality (‚Art und Weise‘) gibt. Außerdem wird der Begriff Modalität in der Linguistik verwendet, um grammatische, text- und gesprächsstilistische Bedeutungen zu fixieren (Satz-, Kommunikations- und <?page no="129"?> 129 2.8 Textgebundenheit 2.8.2 Stil als Eigenschaft von Texten Stil ist eine nicht wegzudenkende Eigenschaft eines jeden Textes, lesen wir bei Herbert Peukert (1977: 42). Stil ist eine notwendige Texteigenschaft, sagt Ulla Fix (2013: 51). Und weiter: „Stil entsteht erst im Textzusammenhang und er ist an der Herstellung des Textcharakters entscheidend beteiligt.“ (Ebd.) Den Beitrag, den der Stil eines Textes textbildend leistet, sehen wir in folgenden Hauptleistungen: 1. Neben textgrammatischer, textthematischer und textfunktionaler Kohärenz stiftet auch textstilistische Kohärenz einen Zusammenhang zwischen einzelnen Texteinheiten. Maßgebend dafür ist die Realisierung des Gestaltungsprinzips Einheitlichkeit. Es ist in formaler Hinsicht an der Gleichheit von Gestaltungsmitteln oder am Zusammenpassen verschiedenartiger Gestaltungsmittel erkennbar, und es dient in funktionaler Hinsicht dazu, die Permanenz eines bestimmten Stils anzuzeigen und damit das Weiterbestehen eines bestimmten Themas oder einer bestimmten Kommunikationshandlung (vgl. Sandig 1986: 114-122). 2. Stil verfügt über ein eigenes Funktionspotential, das in Gestaltungsprinzipien, -ideen, -strategien und -motiven in hohem Maße differenziert erscheint. Das ist nicht zuletzt der Grund, warum die Beschreibung von Stil alles andere als einfach ist. Die Aufgabe des Stils besteht keinesfalls darin, lediglich eine dienende Rolle zu spielen, Indikator zu sein für textpragmatische und textthematische Strukturen (so bei Brinker 2006: 137). 3. Die Aktualisierung von Gestaltungsmustern macht Texte als Repräsentanten einer bestimmten Textsorte erkennbar. Gesetzestexte etwa werden erst durch den juristischen Stil als Gesetzestexte identifizierbar. 4. Stil ist dazu da, dem differenzierten Kommunikationsbedarf individueller und kollektiver Textproduzenten zu entsprechen. Die Verschiedenheit von Stil ist u. a. darauf zurückzuführen, dass er verschiedenen Situationskontexten angepasst werden kann. Stil wird so zu einem Zeichen, das auf Situationskontexte verweist und Texten ihr situatives Gepräge gibt. In der Gesprächsstilistik wird betont, was auch für die Textstilistik bedeutsam ist: Zwischen Stil und Situation besteht eine interdependente Beziehung (vgl. Selting 2008: 1041 f.). Einerseits beeinflusst der Situationskontext stilistische Entscheidungen, macht einen bestimmten Stil Interaktionsmodalitäten). Wir verzichten jedoch auch auf den Begriff Multimedialität und ersetzen ihn durch den Begriff Plurimedialität. Dieser Begriff hat den Vorzug, dass er Texte mit abzudecken vermag, bei denen lediglich Bimedialität kommunikativ relevant ist. Abzugrenzen gilt es Zeichenmedien (Sprache, Abbildungen, Typographie usw.) von physikalischen Trägermedien und technischen Verbreitungsmedien. Plurimediale Texte, wie sie in den Massenmedien (als technischen Verbreitungsmedien) vorkommen, vereinen Zeichen verschiedener Medialität auf einem gemeinsamen Trägermedium (Papier, Bildschirm, Schallwellen). Praktikable Differenzierungen des Medienbegriffs, auf die wir uns stützen, findet man u. a. bei Jan Georg Schneider (2006). <?page no="130"?> 130 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil erwartbar. Andererseits ist Stil ein Mittel der Herstellung von Situationskontexten. Über ihren Stil geben sich Kommunikationsteilnehmer zu verstehen, wie sie die Situation einschätzen. Dabei kann es auch zu einem Erwartungsbruch kommen. Das textlinguistische Postulat der Situationalität von Texten ist demnach zu modifizieren. Texte sind nicht ausschließlich in einen Situationskontext eingebettet. Textproduzenten stellen auch Situationskontexte aktiv her. ‚Situation‘ ist somit auch als ein Aspekt der Interpretierbarkeit von Stil aufzufassen. Wir sind nun in der Lage, die kommunikative Einheit ‚Text‘ zu definieren und legen eine Textauffassung zugrunde, die die stilistische Geformtheit als unverzichtbares Definitionsmerkmal einschließt: Ein Text ist eine kohärente, pragmatisch oder poetisch funktionalisierte, situativ kontextualisierte, stilistisch geformte Struktur aus sprachlichen Zeichen, in die sich Zeichen anderer Medialität einfügen können. Ein prototypischer Text besteht aus mehreren Sätzen. Die Definition gilt uneingeschränkt für Texte aller Art: für prototypische und weniger typische, für gesprochene und geschriebene, für flüchtig produzierte und elaborierte, für poetische und nichtpoetische. Stil als Eigenschaft von Texten ist zu unterscheiden von stilistischen Ressourcen (Gestaltungsmitteln), die das Sprachsystem oder eine andere Zeichenordnung als wählbar bereitstellen. So widmet sich die sprachsystematisch ausgerichtete Stilistik (vgl. etwa Fleischer / Michel / Starke 1996) bei der Behandlung potentieller lexikalischer Stilelemente auch der stilistischen Differenziertheit des Wortschatzes, die in der Zugehörigkeit von Wortschatzeinheiten (Lexemen) zu den Wortschatzbereichen Stilschicht (Stilebene) und Stilfärbung ihren Niederschlag findet. Unter ‚Stilschicht‘ wird die Art der emotionalen Höhenlage verstanden, die in der Bedeutungsstruktur von Einheiten des Sprachsystems (vorrangig Wortschatzeinheiten) als Konnotation (Mitbedeutung) angelegt ist. Man unterscheidet im Allgemeinen fünf Stilschichten, wobei die emotional unmarkierte Stilschicht ‚normalsprachlich‘ als Bezugsgröße für die anderen Schichten, die darüber oder darunter liegen, fungiert (siehe Tab. 13). Unser Beispielmaterial umfasst stilschichtlich differenzierte Synonyme des normalsprachlichen Verbs fortgehen. Stilschicht Beispiellexeme/ -phraseolexeme Mögliche Zusammenhänge zwischen Stilschicht und Gestaltungsprinzipien gehobensprachlich davonschreiten sich empfehlen sich fortbegeben sich auf den Weg begeben Distinguiertheit Feierlichkeit Pathos normalsprachlich fortgehen Neutralität Sachbetontheit <?page no="131"?> 131 2.8 Textgebundenheit Stilschicht Beispiellexeme/ -phraseolexeme Mögliche Zusammenhänge zwischen Stilschicht und Gestaltungsprinzipien umgangssprachlich abdampfen losziehen sich davonmachen sich auf die Socken machen Ungezwungenheit Familiarität Volkstümlichkeit saloppsprachlich einen Abflug machen abhauen die Fliege machen sich aus dem Staub machen Lässigkeit Volkstümlichkeit vulgärsprachlich sich verpissen Grobheit Aggressivität Obszönität Tab. 13: Stilschichten im Wortschatz Unter ‚Stilfärbung‘ wird u. a. die Art der emotionalen Bewertung von Personen, Sachen oder Sachverhalten verstanden, die ebenfalls in der Bedeutungsstruktur von Wortschatzeinheiten als Konnotation angelegt ist und zur stilschichtlichen Bedeutung hinzutreten kann. Dabei zeigt sich, dass Wortschatzeinheiten mit einer bestimmten Stilfärbung verwendet werden können, um das Gestaltungsprinzip Emotionalität nuanciert zu realisieren. In Tab. 14 geben wir Beispiele für entsprechend „gefärbte“ Personenbezeichnungen. Stilfärbung Beispiellexeme/ -phraseolexeme Begriffliche (denotative) Bedeutung emotional-abwertend Klugscheißer ‚besserwisserische Person’ emotional-abwertend (Schimpfwort) Arschgeige ‚verachtungswürdige Person’ emotional-aufwertend Tausendsassa ‚vielseitig begabte Person’ intim-vertraulich Bruderherz ‚Bruder’ / ‚Freund’ scherzhaft zerstreuter Professor ‚gedankenlose Person’ ironisch spezieller Freund ‚hinterhältige Person‘ o. Ä. übertreibend Intelligenzbestie ‚besonders klug erscheinende Person’ verhüllend (euphemistisch) sterbliche Überreste ‚Leichnam’ Tab. 14: Stilfärbungen im Wortschatz Im Text können Lexeme / Phraseolexeme einer bestimmten Stilschicht bzw. mit einer bestimmten Stilfärbung eine Umdeutung erfahren, d. h. eine textstilistische Bedeutung annehmen, die von der lexikalischen Bedeutung abweicht. Vulgärsprachliches wie das Schimpfwort Arschgeige kann im Textzusammenhang eine völlig andere stilistische Bedeutung annehmen und scherzhaft gemeint sein. Lexeme wie Tausendsassa oder Intelligenzbestie sind im Text- <?page no="132"?> 132 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil zusammenhang gegebenenfalls ironisch zu verstehen. Zu beachten ist darüber hinaus, dass Bedeutungswörterbücher keineswegs einheitliche Angaben zur stilistischen Differenziertheit des Wortschatzes nach Stilschichten und -färbungen machen. Die lexikographischen Angaben sind mitunter auch problematisch (vgl. Ludwig 1995). 2.9 Zeichenhaftigkeit 2.9.1 Stil als kommunikatives Zeichen im Text In der Reihe der Merkmale, die wir stildefinitorisch für wesentlich halten, fehlt noch ein Merkmal, das schon verschiedentlich angeklungen ist: der Zeichencharakter von Stil. Stil ist eine zeichenhafte Texteigenschaft. Wozu braucht die Textstilistik den Zeichenbegriff ? Sie braucht ihn, um herausstellen zu können, dass Stil im Rahmen von Texten eigenständige kommunikative Leistungen erbringt, dass er Teil der kommunikativen Gesamtleistung eines Textes ist. Durch die Vertextung und die Art der Vertextung von Zeichen aus Zeichensystemen/ -ordnungen entstehen Zeichen von neuer Qualität: Textzeichen, darunter Stilzeichen. Zeichenmediale Textstrukturen werden zum Träger kommunikativer Textbedeutungen. Es bilden sich Textzeichen heraus, deren Bedeutung (Semantik) Schlüsse auf das Textthema und die Textfunktion erlaubt, aber auch auf Gestaltungsprinzipien, -ideen, -strategien und -motive. Auch auf Textzeichen trifft zu, was für Systemzeichen gilt, sofern man ein klassisches dyadisches Zeichenmodell zugrunde legt: „Ein jedes Zeichen hat zwei Aspekte: den Aspekt der Wahrnehmbarkeit und den Aspekt der Interpretierbarkeit.“ (Keller 1995: 108) Beide untrennbar miteinander verbundenen Zeichenaspekte werden in der Semiotik, der Wissenschaft, die Zeichen aller Art zu ihrem Gegenstand hat, unterschiedlich terminologisch gefasst: als Signifikant und Signifikat, Bezeichnendes und Bezeichnetes, Zeichenkörper und Zeicheninhalt, Ausdruck und Bedeutung oder als Formativ und Bedeutung. Für unser Zeichenmodell verwenden wir Letzteres (siehe Schaubild 4). Zeichen haben eine doppelte Existenzweise. Zum einen existieren sie in Zeichensystemen bzw. -ordnungen als Muster (die Semiotik spricht von types), zum anderen existieren sie in Kommunikaten, z. B. in Texten, als Exemplare (die Semiotik spricht von tokens). Stilzeichen haben ebenfalls beide Existenzweisen. Sie existieren sowohl in Form von Gestaltungsmustern als auch in Form von Gestaltungsprodukten. Was genau macht die Zeichenhaftigkeit von Stil im Text aus? Wir wollen dazu einige Thesen formulieren: 1. Stil ist ein Zeichen (typischerweise ein Zeichengefüge) im Text; er liefert Informationen über die Textkommunikation, z. B. über die Art der sozialen Beziehung zwischen den Kommunikationsteilnehmern. 2. Stilistische Textzeichen liefern auch Informationen über den Text, in dessen Rahmen sie sich entfalten und an dessen Konstituierung sie teilhaben, z. B. über die Art der architektonischen Gestaltung. <?page no="133"?> 133 2.9 Zeichenhaftigkeit 3. Bei der Interpretation stilistischer Textzeichen werden stilspezifische Zeichenstrukturen mit stilistisch relevanten Wissensstrukturen relationiert. Als stilspezifisch sind Zeichenstrukturen anzusehen, deren Einheiten in einem Gestaltungszusammenhang stehen. Stilistisch relevantes Wissen erstreckt sich auf die Komplexität des aktuellen kommunikativen Kontextes (als Zeichenumfeld), die Differenziertheit von Kommunikationssituationen und Texthandlungen, die Vielfalt an Kommunikationsformen und Gestaltungsmöglichkeiten. 4. Stilistische Textzeichen können als Mikro- oder Makroeinheiten in Erscheinung treten, d. h. prägend sein für einzelne Textbausteine, Teiltexte, Textpassagen oder für das Textganze. 5. Stil ist ein potentiell vielschichtiges textkommunikatives Zeichengefüge, bei dem bald das eine, bald das andere formativische und / oder semantische Merkmal in den Vordergrund treten kann. Die Rede von der Wahrnehmbarkeit und Interpretierbarkeit, die beide Zeichenaspekte als Potentialitäten kennzeichnet, trägt stilsemiotisch gesehen dem Unterschied zwischen Stilzeichen und Stilzeichenrezeption Rechnung. Stilistische Textzeichen sind keine wahrgenommenen, sondern w a h r n e h m b a r e kommunikative Einheiten, d. h. auch, sie können sich der Aufmerksamkeit des Rezipienten gänzlich entziehen. Es gibt auffällige und unauffällige Stile. Stilistische Textzeichen sind keine interpretierten, sondern i nt e r p r e t i e rb a r e kommunikative Einheiten, d. h., es hängt von der Stilkompetenz des Rezipienten ab, ob stilistische Bedeutungen (darunter Sinngehalte), die im Text angelegt sind, erschlossen werden. Es ist Aufgabe der Stilsemiotik, Stilzeichen und ihre Bedeutung zu beschreiben, um damit Wahrnehmungs- und Interpretationshilfe zu leisten. Rezipientenseitig können indes auch Stilwirkungen (Stilbewertungen), wie ‚antiquiert‘, ‚elegant‘, ‚hochtrabend‘, ‚holprig‘, ‚interessant‘, vordergründig werden (vgl. dazu Sandig 2006: 30-49). Die professionelle Bewertung von Gestaltungsleistungen fällt in die Zuständigkeit der Stilkritik. 6. Die potentielle Vielschichtigkeit des textstilistischen Zeichengefüges (vgl. These 5) resultiert in formativischer Hinsicht aus der kombinatorischen Vielfalt an Gestaltungsverfahren und Zeichenformativ (Aspekt der Wahrnehmbarkeit) Zeichenbedeutung (Aspekt der Interpretierbarkeit) Schaubild 4: Zeichenmodell <?page no="134"?> 134 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil aus der Verwendung von Gestaltungsmitteln verschiedener Medialität, in semantischer Hinsicht aus stilistischen Bedeutungen pragmatischer, sozialer und ästhetischer Art. Die generelle Vielschichtigkeit textkommunikativer Zeichengefüge, in die sich Stil eingliedert, lässt es ratsam erscheinen, ein Modell zu entwickeln, das eine gewisse Systematik vor allem bei der Erfassung stilistischer wie nichtstilistischer Textbedeutungen ermöglicht. Wir stellen uns dieser Aufgabe im nächsten Abschnitt. 2.9.2 Stil in einem Textzeichenmodell Das vorzustellende Textzeichenmodell (siehe Schaubild 5) gliedert das vielschichtige kommunikative Zeichengefüge eines Textes auf in ▶ zwei Textzeichenaspekte: die Textformativik (Textmedialität) und die Textsemantik; ▶ drei textsemantische Ebenen: die thematische, die soziale und die ästhetische Ebene; ▶ zwei textsemantische Dimensionen: die Welt- und die Sinnsemantik, die sich über alle Ebenen erstrecken. Die Aspekte, Ebenen und Dimensionen textueller Zeichengefüge stehen in Relation zum Textzeichenumfeld mit seiner Fülle an Einzelaspekten, die sich allein schon aus dem Situationskontext, einschließlich der historischen Zeit ergeben. Hinzu kommt die Kulturbezogenheit von Texten und Stilen und in diesem Zusammenhang all das, was die Semiotik als Kode bezeichnet: das Sprachsystem mit seinen Varietäten, ikonographische Bildmotive, Textsorten, Gestaltungsmuster u. a. m. Zum Textzeichenumfeld gehören darüber hinaus sämtliche Vorgängertexte (Prätexte), mit denen der aktuelle Text (als Posttext) thematisch verbunden ist oder auf die er zitierend, anspielend, parodierend usw. Bezug nimmt. Nicht zu vergessen die Textkompetenz der Kommunikationsteilnehmer, ihr Wissen über Sachverhalte, Situationen, Kodes, Vorgängertexte u. a. m. <?page no="135"?> 135 2.9 Zeichenhaftigkeit Textzeichenumfeld Textzeichenumfeld Textzeichenaspekte Textzeichenumfeld Textformativik Textsemantik Gestaltete Strukturen aus sprachlichen, typographischen, bildförmigen, prosodischen, musikalischen u.a. Zeichen Ebene Thematische Ebene Soziale Ebene Ästhetische Ebene Weltsemantik Sinnsemantik Objektsemantik (Informationen über thematische Welten) Thematische Sinngehalte (objektsemantische Textfunktionen) Registersemantik (Informationen über soziale Welten) Figurationssemantik (Informationen über Eigenwelten der Zeichen) Soziale/ situative Sinngehalte (registersemantische Textfunktionen) Ästhetische Sinngehalte (figurationssemantische Textfunktionen) Textzeichenumfeld Was leistet dieses Modell? 1. Anhand des Modells kann gefragt werden, inwiefern textformativische Strukturen aus sprachlichen, typographischen, bildförmigen, prosodischen u. a. Elementen zum Träger von Textbedeutungen inhaltlicher und funktionaler, thematischer und pragmatischer, sozialer und ästhetischer Art werden. 2. Das Modell ermöglicht es, die Textformativik in ihrer medialen Komplexität und stilistischen Geformtheit zu begreifen, textformativische Gestaltungsmerkmale auf realisierte Gestaltungsverfahren und verwendete Gestaltungsmittel zurückzuführen. 3. Das Modell schreibt vor, welt- und sinnsemantische Zeichenkomponenten unmittelbar aufeinander zu beziehen, da Zeicheninhalte und Zeichenfunktionen textkommunikativ eine Einheit bilden. Es ist nicht sinnvoll, Textthematisches und Textfunktionales auf verschiedenen Textebenen zu lokalisieren (vgl. u. a. Brinker 2006: 131) oder verschiedenen Textdimensionen zuzuweisen (vgl. Adamzik 2004: 58 f.). 4. Das Modell macht stilistische Textzeichen auf zwei textsemantischen Ebenen erfassbar. Auf der sozialen Ebene lassen sich registerstilistische Bedeutungen wie Familiarität, Förmlichkeit und Distinguiertheit erfassen, d. h. eingeformte Gestaltungsprinzipien, die den Text auf eine bestimmte Weise situieren, ihm ein soziales Gepräge geben (zum Registerbegriff siehe 3.3.1) Schaubild 5: Textzeichenmodell <?page no="136"?> 136 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil und die sinnsemantisch als Arten der Beziehungsgestaltung bzw. Selbstpräsentation interpretierbar sind. Auf der ästhetischen Ebene haben figurationsstilistische Bedeutungen ihren Platz, darunter eingeformte Gestaltungsideen. Diese konstituieren eine Eigenwelt der Zeichen und verbinden sich sinnsemantisch mit ästhetischen Funktionen, die in der pragmatischen Textkommunikation über den Text hinausweisen. Gemeint sind rezipientenbezogene Funktionen wie Attraktivität, Spannung und Unterhaltsamkeit. ‚Eigenwelt‘ meint dabei nicht völlige Autonomie der Zeichen, denn auch die ästhetische Ebene hat ein Zeichenumfeld und steht in Beziehung zu den anderen textsemantischen Ebenen. 5. Das Modell verdeutlicht den Stellenwert, den Stil für das Textganze hat, ohne alle Arten von Stilformen abzubilden. Stil ist keinesfalls etwas Nebensätzliches oder Zusätzliches. Er ist auch keine Last, die der Text mit sich herumschleppt, wie es der Ausdruck „Huckepack-Phänomen“ (Heringer 2015: 152) suggeriert. Übersichten über textsemantische Differenzierungen auf den einzelnen textsemantischen Ebenen bieten die Tabellen 15a-c. Aufgenommen sind überwiegend Kennzeichnungen, die bei unseren bisherigen Beispielanalysen eine Rolle gespielt haben. Die Übersichten sollen als Orientierungshilfe bei der Erfassung von Textzeichenbedeutungen dienen; sie sind nicht als universelles Analyseraster zu verstehen. Typen von Welt- und Sinnsemantik Textzeichenbedeutungen (Auswahl) Objektsemantik (Informationen über thematische Welten) Textthemen: Brandstiftung; Geburtstag; Geschäftseröffnung; Hamburg; Länderfusion; Partnersuche; Sicherheitstechnik; Speisenzubereitung; Stellenprofil; Unfallgefahr; Universität; Verbvalenz; Wetter Thematische Sinngehalte Textuelle Grundfunktionen: Appell; Deklaration; Information; Kontakt; Obligation; Unterhaltung Themenentfaltungsfunktionen: Argumentation; Deskription; Explikation; Narration; Reflexion Funktionen anderer Texthandlungen: Anrede; Antwort; Aufforderung (Befehl, Bitte, Empfehlung, Unterweisung); Bewertung; Beurteilung; Dank; Definition; Frage; Gratulation; Gruß; Klassifikation; Mitteilung; Schwur Tab. 15a: Textsemantische Differenzierungen auf der thematischen Ebene <?page no="137"?> 137 2.9 Zeichenhaftigkeit Typen von Welt- und Sinnsemantik Textzeichenbedeutungen (Auswahl) Registersemantik (Informationen über soziale Welten) Gestaltungsprinzipien (Stilregister): Aggressivität; Anonymität; Distinguiertheit; Familiarität; Grobheit; Höflichkeit (Ehrerbietigkeit, Förmlichkeit, Freundlichkeit); Lässigkeit; Neutralität; Offizialität; Professionalität; Sachbetontheit; Unflätigkeit; Unpersönlichkeit Soziale / situative Sinngehalte Gestaltungsstrategien: Abgrenzung; Abschreckung; Einhämmerung; Erotisierung; Idealisierung; Verblüffung; Verdummung Gestaltungsmotive: Beziehungsgestaltung; Handlungssituierung; Rezipientenbeeinflussung; Selbstpräsentation (Rollengestaltung, Imagepflege) Tab. 15b: Textsemantische Differenzierungen auf der sozialen Ebene Typen von Welt- und Sinnsemantik Textzeichenbedeutungen (Auswahl) Figurationssemantik (Informationen über Eigenwelten der Zeichen) Ästhetisch-formale Gestaltungsprinzipien: Abgestuftheit (absteigend / aufsteigend); Abwechslung; Bildhaftigkeit; Bildlichkeit; Breite; Dekoriertheit; Detailliertheit; Einheitlichkeit; Geordnetheit; Gleichklang; Illustriertheit; Knappheit; Kontrast; Musikalität; Paradoxie; Sinnbildlichkeit; Spaltung; Symmetrie; Synchronität; Zweiheitlichkeit Gestaltungsideen: Gedicht in Kalenderform; Kontaktanzeige in Märchenform; Roman in Form einer E-Mail-Korrespondenz; Romanbesprechung im Stil des Romans; Werbetext in Form eines „Erpresserbriefs“; Werbetext in Gedichtform Ästhetische Sinngehalte Gestaltungsmotive und ästhetisch-funktionale Gestaltungsprinzipien in der pragmatischen Textkommunikation: Erkenntniserleichterung (Anschaulichkeit); Individualitätsbekundung (Originalität); Rezeptionserleichterung (Einprägsamkeit, Klarheit, Übersichtlichkeit); Rezipientenbeeinflussung (Attraktivität, Hervorhebung, Spannung, Unterhaltsamkeit) Gestaltungsmotive in der poetischen Textkommunikation: Blickfeldgestaltung; Figurenporträtierung; Milieukolorierung; Realitätsverfremdung; Spiellustbekundung Tab. 15c: Textsemantische Differenzierungen auf der ästhetischen Ebene Die Anordnung der textsemantischen Ebenen ist nicht als eine feststehende hierarchische Ordnung zu verstehen. Geht es um die Semantik eines poetischen Textes, wird man die ästhetische Ebene ganz nach oben rücken müssen. Objekt- und Registersemantik sind in diesem Falle der Figurationssemantik untergeordnet. So lassen sich poetische Texte daraufhin anschauen und interpretieren, auf welche Weise für den thematischen und sozialen Gehalt kunstgemäße Gestaltungsweisen gefunden wurden, d. h. inwiefern durch Poetisierung die Konstruktion einer thematischen bzw. sozialen Eigenwelt sichtbar wird. <?page no="138"?> 138 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil Auch in pragmatischen Texten können sich stilrelevante Beziehungen zwischen den Ebenen bemerkbar machen, z. B. zwischen der sozialen und der ästhetischen Ebene. Es sei daran erinnert, dass das Besondere an Stilästhetischem in pragmatischen Texten darin besteht, dass es pragmatisch funktionalisiert ist (siehe 2.6.3). Es gibt also auch pragmaästhetischen Sinn. Außerdem gibt es Texte, deren Gestaltung ein Schubladendenken ohnehin verbietet. Ulla Fix (2006) hat sie „Grenzgängertexte“ genannt. Wir brauchen uns nur einiger Gestaltungsideen zu erinnern, die durch Mischung von pragmatischen und poetischen Textelementen realisiert werden (in Tab. 15c sind einige nochmals aufgeführt). Bei Grenzgängertexten werden die Grenzen aber streng genommen nicht überschritten, denn es kann wohl zumeist eindeutig entschieden werden, ob diese Texte in einem pragmatischen oder einem poetischen Kommunikationszusammenhang stehen. DISKUSSION 1. In der Literatur wird bisweilen strikt unterschieden zwischen Bedeutung und Sinn. Im vorgestellten Textzeichenmodell hingegen erscheint der Textsinn als ein Typ von Textbedeutung (siehe Sinnsemantik). Was ist der Hintergrund für die unterschiedlichen Positionen? Zum einen ist es die Auffassung, dass Bedeutung eine Eigenschaft ist, die nur Einzelzeichen in Zeichensystemen zukommt. Sinn sei demgegenüber eine textgebundene Information; er könne auf der Grundlage der verwendeten Einzelzeichen erschlossen werden. Diese Position vertreten z. B. Eugenio Coseriu (1994: 64-67) und Rudi Keller (1995: 116; 132). Zum anderen wird zwischen Bedeutung und Sinn differenziert, um dem Unterschied zwischen Semantik und Pragmatik Rechnung zu tragen. Diese Unterscheidung geht auf den Semiotiker Charles William Morris zurück; sie hat die Sprechakttheorie und die handlungsorientierte Textlinguistik beeinflusst. So wird das Textthema als textsemantischer Kern, die Textfunktion (textuelle Grundfunktion) als kommunikativ-pragmatischer Sinn eines Textes aufgefasst. Aus textsemiotischer Sicht besteht keine Veranlassung, zwischen Bedeutung und Sinn derart strikt zu unterscheiden. Geht man davon aus, dass durch die Vertextung und die Art der Vertextung von Einzelzeichen aus Zeichensystemen qualitativ andere, nämlich kommunikative Zeichen (Textzeichen) entstehen, dann kommt auch diesen Zeichen prinzipiell Bedeutung zu. Sonst wären es ja keine Zeichen. Sinngehalte lassen sich unter dieser Prämisse als ein Spezialfall von Bedeutung auffassen: als textfunktionale Bedeutungen. 2. Terminologische Uneinheitlichkeit gibt es auch zu einem anderen Begriffspaar: Verstehen und Interpretieren. In welchem Verhältnis stehen die beiden Begriffe zueinander? Die Begriffe Verstehen und Interpretieren werden teils synonymisch verwendet, teils erfassen sie verschiedene Rezeptionsakte. So wird z. B. Interpretieren als eine Rezeptionsanstrengung angesehen, die erforderlich ist, wenn sich Texte als schwer verständlich oder vieldeutig, verschieden auslegbar erweisen. Verstehen wird demgegenüber als ein Rezeptionsakt angesehen, der sich <?page no="139"?> 139 2.9 Zeichenhaftigkeit 2.9.3 Komplexanalyse eines textuellen Zeichengefüges An einem Exemplar der journalistischen Textsorte Interview (Text 43) soll demonstriert werden, wie sich Texte als kommunikative Zeichengefüge beschreiben lassen. Grundlage der Komplexanalyse ist das vorgestellte Textzeichenmodell (siehe 2.9.2). [Hinweis: Der Journalist Stefan Woldach, der das Interview führte, hat den Abdruck des Textes nicht genehmigt. Wir müssen uns an dieser Stelle mit einer Beschreibung der Textstruktur begnügen.] Zwei Drittel der Textfläche nehmen die Schlagzeile, der Lead und ein Foto der interviewten Skunk-Anansie-Sängerin Skin ein. Die großgedruckte Schlagzeile lautet: „Das verfickt mieseste Jahr meines Lebens“ Der mittelgroß gedruckte Lead hat folgenden Wortlaut: Auch nach 20 Jahren wird die Skunk- Anansie-Sängerin Skin ihrem Ruf als Kodderschnauze gerecht. Vor allem, wenn man sie auf die Tiefschläge der letzten Monate anspricht … Der kleingedruckte zweispaltige Haupttext im unteren Drittel gliedert sich in je sechs Fragen und Antworten. Beispieltext 43: Interview kulturnews. Magazin für Musik und urbane Kultur, Januar 2016, 18. a) Thematische Ebene Thema des Interviews, sein objektsemantischer Kern, ist eine PERSON : die interviewte Band- Sängerin Skin. Die Themenstruktur ist aus den Interviewfragen und -antworten ableitbar. Erfragt werden personenzentriert MERKMALE intellektueller und biographischer Art: ▶ Merkmale ihrer Persönlichkeit: ihr Verhältnis zur Musik (Frage 1); die Funktion ihres frechen Mundwerks (Frage 3); auf „Klartexte“ richtet (vgl. die Reflexion der Begriffe bei Fix 2007: 325-328). Wir übernehmen in dieser Frage die Position Rudi Kellers und übertragen sie auf Textzeichen: In der Kommunikation werden Zeichen gesetzt, die dem Rezipienten Schlüsse auf kommunikative Inhalte bzw. Funktionen ermöglichen. „Den Prozeß des Schließens nennt man Interpretieren; das Ziel dieses Prozesses heißt Verstehen.“ (Keller 1995: 106 - Hervorh. im Original) Interpretieren ist also bei Texten aller Art eine Aktivität des Textrezipienten - mit dem Ziel, zu einem Textverständnis zu gelangen. Interpretieren kann aber auch zu einer Texthandlung werden. Dann nämlich, wenn die Kommunikationsaufgabe darin besteht, einen Interpretationstext (i.d. R. zu einem poetischen Text) zu verfassen, d. h. einen Text über einen Text zu produzieren (vgl. Scherner 2007). <?page no="140"?> 140 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil ▶ Merkmale ihres Kunstschaffens: der Symbolgehalt des Titels „Anarchytechture“, den das neue Album ihrer Band bekommen hat (Frage 2); die Botschaft eines von ihr verfassten Songtextes in diesem Album (Frage 4); ▶ Merkmale ihrer Biographie: einschneidende Ereignisse in ihrem Leben (Frage 5); Extrempunkte ihres Lebens (Frage 6). PERSON - MERKMAL -Strukturen sind charakteristisch für die Themenentfaltungshandlung BESCHREIBEN , für die Themenentfaltungsfunktion Deskription. Dass das Thema dialogisch entfaltet wird, spielt für die Themenentfaltungsfunktion keine Rolle. Die Themenentfaltung ist hier eine interaktive Leistung, eine Koproduktion zweier Textproduzenten: des Interviewers und der Interviewten. Von der textuellen Grundfunktion her stellt sich das Interview als ein Informationstext dar. Die Frage-Antwort-Struktur zielt darauf, dem Textrezipienten Wissen über die interviewte Person zu vermitteln. Die Paraphrase der Informationsfunktion (vgl. 2.8.1) lautet in diesem Fall: ‚Ich (die Sängerin Skin) informiere dich (den Textrezipienten) über mich und meine Band.‘ Der Interviewer spielt dabei die Rolle eines Mediators zwischen der Sängerin und dem Textrezipienten. Allerdings: Nicht alles Wissenswerte ist thematisiert. Einiges ist ausgespart. Wir erfahren z. B. nicht, dass Skin ein Pseudonym (Künstlername) ist, dass die Sängerin die Frontfrau ihrer Band ist und dass sich die Band der Musikrichtung Gitarrenrock verschrieben hat. Das alles wird vom Interviewer als bekannt vorausgesetzt (präsupponiert) und gehört somit zum Umfeld des Textzeichengefüges. Das Interview ist weder ein Sachnoch ein Meinungsinterview; es zeigt Verwandtschaft mit der journalistischen Textsorte Porträt, da es darauf ausgerichtet ist, das Selbstbild der Sängerin zu vermitteln, ein Denkporträt zu verfertigen-- wenn auch nur in Ausschnitten. b) Soziale Ebene Auf der sozialen Ebene interessiert, welche Stilregister „gezogen“ werden. Interviewer und interviewte Person können sich registerstilistisch mehr oder weniger deutlich voneinander unterscheiden. Es können sogar verschiedene Stile aufeinanderprallen (z. B. ein höflicher und ein unhöflicher Stil). Auch der Beispieltext offenbart Unterschiede in der Wahl von Stilregistern. Der Interviewer kommuniziert durchweg sachbetont. Dies gründet sich registerformativisch auf eine Wortwahl, die von der Stilschicht her (siehe 2.8.2) unmarkiert, d. h. normalsprachlich ist. Abweichungen von der Normalsprache kommen in den Fragehandlungen des Interviewers nur ein einziges Mal vor. Mit dem saloppsprachlichen Substantiv Kodderschnauze (‚Person mit frechem Mundwerk‘) in Frage 3 (Womit du auch wieder deinem Ruf als Kodderschnauze gerecht wirst. Ist das eigentlich ein Selbstschutz? ) wechselt der Interviewer aber streng genommen nicht in ein anderes Stilregister, denn er verwendet das Wort als Zitat. Er nimmt Bezug auf den Ruf der Sängerin, eine Kodderschnauze zu sein. Diesem Ruf wird die Sängerin auch im Interview gerecht, indem sie registerformativisch mehrfach von einem normalin einen vulgärsprachlichen Stil abgleitet. Textbelege sind die Adjektive scheiße und verfickt in Antwort 5: Das letzte Jahr lief richtig scheiße für mich. So richtig! Es war das verfickteste, mieseste Jahr meines Lebens. Wir erkennen in diesem Sprach- <?page no="141"?> 141 2.9 Zeichenhaftigkeit gebrauch der Sängerin jedoch nicht Unflätigkeit, sondern eine unangepasste Lässigkeit des Sprechens und sehen darin gestaltungsmotivisch eine zum Habitus gewordene Individualitätsbekundung. Ihr Sprachgebrauch trägt überdies umgangs- und saloppsprachliche Züge, die zum Stilregister Lässigkeit passen, festzumachen an den Adjektiven mies (s. o., Antwort 5) und idiotensicher in Antwort 4: Ich habe hart daran gearbeitet, dass die Botschaften aller neuen Songs ganz klar und deutlich sind. Aber „I’ll let you down“ ist idiotensicher-[…]. sowie am Phraseologismus die große Klappe haben in Antwort 3: Schließlich stamme ich aus Brixton, was eine ziemlich harte Gegend ist. Alle Mädchen dort haben eine große Klappe, sind frech und fluchen. Demgegenüber steht die Sachbetontheit, die die Fragehandlungen des Interviewers kennzeichnet, im Einklang mit dessen kommunikativer Rolle, ist also gestaltungsmotivisch gesehen ein Ausdruck von Rollengestaltung. Der Interviewer legt darüber hinaus Wert auf einen familiären Ton als Art der Beziehungsgestaltung. Davon zeugt, dass die Sängerin geduzt wird. c) Ästhetische Ebene Analysieren wir zunächst die Textarchitektonik und die Typographie. Sprachmedial weist der Text eine dreigliedrige Struktur auf. Drei Schriftformationen sind durch großzügige Zwischenräume voneinander abgesetzt. Wird der Blick von oben nach unten gerichtet, bemerkt man einen stetig abnehmenden Schriftgrad, zurückzuführen auf das Gestaltungsverfahren Abstufen (Gradieren). Ein figurationssemantisches Merkmal der Textarchitektonik ist Abgestuftheit (Gradation); es lässt das Textganze äußerlich-formal zugleich als ein geordnetes Ganzes erscheinen. Man könnte im Gestaltungsverfahren Abstufen auch die Realisierung der Stilfigur Antiklimax sehen-- hier zu verstehen als Abstufen des Schriftgrads in absteigender Linie. Die typographische Hervorhebung der oberen und mittleren Schriftformation ist in den kommunikativen Funktionen begründet, die sich mit den Textbausteinen Schlagzeile und Lead verbinden. Sinnsemantisch (gestaltungsmotivisch) ist ihre Hervorhebung als eine Art der Rezipientenbeeinflussung interpretierbar: als Wecken von Rezeptionsinteresse. Die Schlagzeile enthält eine aus dem Interview (dem Haupttext) ausgekoppelte, nicht ganz wortgetreu in direkter Rede wiedergegebene Äußerung der Sängerin. Der Lead verweist voraus auf ein markantes Persönlichkeitsmerkmal der Sängerin, das im Interview zur Sprache kommt. Schlagzeile und Lead sind von ihrem Informationsgehalt her kommunikativ überflüssig, nicht jedoch im Hinblick auf die Textpragmatik und die Textästhetik. Textästhetisch bedeutsam ist auch die typographische Gestaltung der Frage- und Antworthandlungen, in die der Haupttext unterteilt ist. Sie sind durch Fett- und Normaldruck voneinander abgesetzt, so dass sich ein typographischer Kontrast bildet-- eine Gestaltqualität, die im Dienste der Rezeptionserleichterung steht. Unsere Aufmerksamkeit beansprucht natürlich auch das Ganzkörper-Foto der interviewten Sängerin, das dem Text Illustriertheit verleiht. Es spaltet die horizontale Schlagzeile, die eigentlich drei Zeilen beansprucht, in zwei Teile und schiebt sich vertikal-mittig dazwischen, wodurch ein Kreuz aus Sprache und Bild entsteht. Spätestens an dieser Stelle unserer Stilbetrachtung müssen wir einen dritten Textproduzenten einbeziehen: den Graphiker. Er ist <?page no="142"?> 142 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil es, der das Erscheinungsbild des Textes bestimmt. Er ist es auch, der entschieden hat, ein Silhouetten-Foto in den Sprachtext einzubinden. Zu registrieren ist, dass sich die Schrift von Schlagzeile und Lead den Konturen des Fotos angleicht, was eine enge Verbindung zwischen Sprache und Bild herstellt. Die Zusammengehörigkeit wird sichtbar gemacht. Untersuchen wir nun, inwiefern sich der Stil von interviewender und interviewter Person figurationsstilistisch analysieren lässt. Dabei interessiert nur der veröffentlichte Wortlaut. Wir können uns nicht dafür interessieren, inwiefern der Originaltext redigiert worden ist und dadurch an Authentizität eingebüßt hat. Uns kann auch nicht interessieren, ob es sich bei dem Interview in deutscher Sprache, das mit einer britischen Sängerin geführt wurde, um eine Übersetzung handelt. Ein Hinweis darauf fehlt. Wir können es nur vermuten. Die Fragehandlungen des interviewenden Journalisten sind figurationssemantisch von syntaktischer Abwechslung geprägt. Wir registrieren figurationsformativisch unter Bezugnahme auf die Möglichkeiten der Satzgestaltung im Interview (vgl. Gehr / Kurz 2010: 212-226): ▶ ein- und mehrteilige Interviewfragen; ▶ Ergänzungs- und Entscheidungsfragen; ▶ offene und verborgene Fragen. Interrogative Mehrteiligkeit entsteht u. a. durch eine Verknüpfung von Aussage- und Fragesatz: Skin, euer Debüt „Paranoid and sunburnt“ liegt nun schon 20 Jahre zurück. Wie fühlt sich Musik inzwischen für dich an? (Frage 1). Bei Entscheidungsfragen (s. o., Frage 3: Ist das eigentlich ein Selbstschutz? ) wird i. d. R. nicht erwartet, dass sie mit Ja oder Nein beantwortet werden. Bei verborgenen Fragen, die man zu den indirekten Sprechakten zählen kann, wird die Frage als Feststellung formuliert und erscheint u. a. im Gewand eines weiterführenden Nebensatzes: Was bei „I’ll let you down“ ja auch ganz explizit der Fall ist-… (Frage 4). Weiterführende Nebensätze, die ungewöhnlicherweise am Beginn eines Redebeitrags stehen (siehe auch den oben zitierten Beginn von Frage 3), sind im Textsortenrahmen Interview ein Mittel der engen Verknüpfung von Frage und Antwort bzw. Antwort und Frage. Die Verknüpfungsform wird Satzkonstanz genannt und als das „semantisch-syntaktische Weiterwirken einer Rede in der Gegenrede“ definiert (Gehr / Kurz 2010: 221-- mit Bezug auf Hennig Brinkmann). Satzkonstanz gilt als ein Zeichen für die Natürlichkeit dialogischer Kommunikation. Bei den Antworten der interviewten Sängerin ist nicht vorrangig auf syntaktische Abwechslung zu achten, denn sie sind figurationsstilistisch anderweitig ergiebig. Wir registrieren u. a. ▶ metaphorische Bildlichkeit (Antwort 1: Musik als eine lebenslange Affäre); ▶ tautologische Doppelung (z. B. Antwort 2: unberechenbar und zügellos; Antwort 3: spontan und geradeheraus; Antwort 4: klar und deutlich); ▶ antithetischen Kontrast (Antwort 2: Struktur und Chaos; Grenzen und Freiheit; Antwort 5: das verfickteste, mieseste Jahr, doch gleichzeitig auch das schönste Jahr). Die figurationssemantischen Merkmale Bildlichkeit, Doppelung und Kontrast (ästhetische Ebene) sind registersemantisch (soziale Ebene) bedeutsam. Die Sängerin präsentiert sich nicht nur als unangepasst-lässig, sondern auch als redegewandt und geistreich. Sie beherrscht Register der Imagepflege und bekundet damit zugleich Individualität. <?page no="143"?> 143 2.10 Eine Stildefinition 2.10 Eine Stildefinition Wir haben das Ziel verfolgt, ein möglichst facettenreiches Bild davon entstehen zu lassen, was den Stil eines Textes ausmachen kann. Die Aufgabe besteht jetzt darin, die herausgearbeiteten Wesensmerkmale der Textkategorie Stil in einer Definition zusammenzuführen. Die Texthandlung DEFINIEREN , die es zu vollziehen gilt, ist im Kommunikationsbereich Wissenschaft an strenge logische Regeln des Aufeinanderbezugs von DEFINIENDUM (dem zu definierenden Begriff) und DEFINIENS (den definierenden Merkmalen) gebunden. Es kommt darauf an, Merkmale anzugeben, die geeignet sind, das DEFINIENDUM in seinem Wesen zu erfassen und von anderen Erscheinungen abzugrenzen. Das DEFINIENS umfasst deshalb zum einen die Unterordnung des DEFINIENDUMS (als Artbegriff) unter einen nächsthöheren Gattungsbegriff (Genus proximum) und zum anderen die Zuordnung von artspezifischen Merkmalen (Differentia specifica), sodass sich das DEFINIENDUM als die zu definierende Art von anderen Arten derselben Gattung unterscheiden und abgrenzen lässt. Auf der Suche nach einem geeigneten Gattungsbegriff für das DEFINIENDUM Stil findet sich im Kreise der behandelten Definitionsmerkmale nur ein einziges: die Zeichenhaftigkeit. Nur dann, wenn wir Stil der Gattung Zeichen unterordnen, zu der bekanntlich sehr verschiedene Zeichenarten gehören, können alle weiteren Merkmale als Differentia specifica angeschlossen werden. Diese gruppieren sich in erster Linie um den Begriff Gestalten. Zu überlegen ist aber, welche Begriffe aus der Begriffsfamilie Gestalten (Gestaltungprodukt, -akt, -muster, -prinzip, -idee, -motiv, -strategie, -verfahren und -mittel) definitorisch berücksichtigt werden sollen. Definitionen dürfen nicht überfrachtet werden. Ganz sicher zu berücksichtigen ist, dass es pragmatische und ästhetische Gestaltqualitäten als stilistische Zeichenbedeutungen gibt. Wollte man Stil als Gestaltungsprodukt definieren, würde man gegen eine Definitionsregel verstoßen, denn es gibt außer dem Stil keine anderen Arten von Gestaltungsprodukten. Deshalb sind alle die Definitionen unzureichend, die Stil als ein Wie bestimmen, z. B. als charakteristische Verwendungsweise von Sprache, als spezifische Art der Ausgestaltung von Textstrukturen oder als sozial relevante Art der Handlungsdurchführung. Bei diesen Begriffsbestimmungen fehlt das Genus proximum. Zu bedenken ist darüber hinaus, dass es Merkmale gibt, die keine Alleinstellungsmerkmale von Stil sind, wohl aber spezifische Merkmale von Textzeichen. Das betrifft 1. die Merkmale Ganzheitlichkeit sowie Kontext- und Kulturbezogenheit: Diese Merkmale kommen dem Text insgesamt zu, nicht nur dem Stil, der sich im Rahmen von Texten entfaltet und an der Textbildung beteiligt ist. 2. das Merkmal Musterbasiertheit: Über dieses Merkmal verfügen auch Texte insgesamt, insofern sie Exemplare einer Textsorte sind. 3. das Merkmal Textgebundenheit: Dieses Merkmal hat auch für andere Textzeichen Gültigkeit, z. B. für das Textthema, die Texthandlung, die Textsortenzugehörigkeit. Dessen ungeachtet sind alle diese Merkmale, die Stil und Text, Stil und Textthema (usw.) gemeinsam haben, Wesensmerkmale von Stil. Wir hatten es für nötig befunden, ‚Stil‘ in einer Textdefinition zu verankern (siehe 2.8.2). Wir müssen nun auch ‚Text‘ in einer Stilde- <?page no="144"?> 144 2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil finition unterbringen, wohl wissend, dass es Stil auch in anderen Gestaltungskontexten (z. B. Architektur, Management, Sport, Mode) gibt. Am Ende unserer Überlegungen zum Stilbegriff angelangt, stellen wir folgende Gleichung auf: Stil ist ein kultur- und kontextbezogenes, ganzheitliches Zeichen im Text mit pragmatischen und / oder ästhetischen Bedeutungen, das durch den Vollzug von Gestaltungsakten musterbasiert hervorgebracht wird und interpretierbar ist im Hinblick auf gestalterische Prinzipien, Ideen, Motive u. a. m. Einen Hinweis müssen wir doch noch anschließen. Wenn wir im vorliegenden Buch das Wort Stil verwenden, dann nicht immer in der per Definition festgelegten Bedeutung. Wenn wir z. B. von Stilfiguren, von Wörtern einer bestimmten Stilschicht, von Wörtern mit einer bestimmten Stilfärbung sprechen, dann meinen wir Gestaltungsmittel, die in Texten zu Stilelementen werden können. Wenn wir von typisierten Stilen sprechen, z. B. Funktionalstilen (siehe 3.5.4), meinen wir ein Gefüge aus Gestaltungsprinzipien, die in Texten zu Stilzügen werden können. Es ist also zu beachten, dass das Wort oder die Wortkonstituente Stil nicht nur Gestaltungsprodukte bezeichnet, nicht immer stildefinitorische Bedeutung hat. Versuche, diesem terminologischen Dilemma zu entkommen, haben kaum Aussicht auf Erfolg. So ist die Unterscheidung zwischen S t i l im Sinne von ‚Gestaltungsmuster‘ oder ‚Gestaltungsnorm‘ und S t i l i s t i s c h e m im Sinne von ‚Gestaltungsprodukt‘ (vgl. Lerchner 1981) anderweitig problembehaftet. Sie läuft dem Sprachusus zuwider und verkompliziert die Stilbeschreibung von Einzeltexten. Im Unterschied zum Substantiv Stil erlaubt es das Substantiv Stilistisches eben nicht, Konstituente in einem Kompositum zu werden. Folgte man dem Vorschlag, müsste man bei der Bezeichnung stilistischer Merkmale im Text auf Wortgruppen ausweichen. Es wäre nicht mehr möglich, Stilfiguren als Stilelemente zu bezeichnen. Die Rede wäre dann von Figuren des Stilistischen als Elementen des Stilistischen. Das aber wäre äußerst unpraktisch. <?page no="145"?> 145 3.1 Fokussierungsformen 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil In den folgenden Abschnitten wird jeweils eine bestimmte Kategorie zur Erschließung von textstilistischer Zeichenhaftigkeit in den Mittelpunkt gerückt. Dabei geht es um stilistische Auffälligkeiten, pragmatische wie ästhetische Gestaltqualitäten, textkompositorische Strukturen und stiltypologische Kennzeichnungen. Ziel ist es aufzuzeigen, wie unterschiedlich sich stilistisch Zeichenhaftes in Texten manifestieren kann (zum Zeichenbegriff siehe 2.9.1), und darzulegen, wie sich verschiedene Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil systematisch beschreiben lassen. 3.1 Fokussierungsformen 3.1.1 Fokus und Horizont In der Stilistik gibt es mehrere Ansätze, stilistisch Relevantes am Kriterium der Auffälligkeit festzumachen. Man spricht von der Ausdrucksverstärkung (Expressivität) einzelner Elemente oder des Stilganzen (vgl. Fleischer / Michel / Starke 1996: 59-63), von auffallenden Identitäten (Kongruenzen) und auffallenden Oppositionen (Kontrasten) im Text, die ein Textproduzent erzeugt und ein Textrezipient rekonstituiert (vgl. Spillner 1974: 67-71), von Stufen der Auffälligkeit und einem stilistischen Informationsprofil, bei dem bestimmte Elemente im Horizontbereich (unauffällig) bleiben oder in den Fokusbereich treten, d. h. auffällig werden (vgl. Michel 2001: 53 ff.). Die Unterscheidung zwischen Horizont und Fokus ist einem textgrammatischen Modell entlehnt und für textstilistische Belange aufbereitet worden. Stilistische Fokussierung wird bestimmt als „ein durch spezifische Verwendungsweisen bewirktes, kommunikativ motiviertes, die Rezeption konditionierendes Hervorheben sprachlicher Elemente im Vergleich zu paradigmatisch oder syntagmatisch anderen Ausdrucksmitteln innerhalb des Relationsgefüges eines Textes“ (ebd.: 54 f.). Mit anderen Worten: Fokussierung beruht auf einem Gestaltungsakt, bei dem bestimmte Texteinheiten in den Vordergrund (Fokus) der Aufmerksamkeit gebracht und vom „Rest“ des Textes (Horizont) abgesetzt worden sind. Der Begriff ermöglicht somit die Abstufung der Relevanz von Elementen für das Ganze, und er hat den Vorzug, für pragmatische wie poetische Texte gleichermaßen geeignet zu sein. Fokussierte Texteinheiten sind nach unserem Textbegriff (siehe 2.8.2) nicht generell sprachmediale Einheiten. Auch bildmediale Zeichen können hervorgehoben werden. Das wird bewerkstelligt, indem man die Größenverhältnisse zwischen ihnen und Zeichen anderer Medialität so gestaltet, dass sie es sind, die „ins Auge fallen“ bzw. zum Blickfang werden. Als fokussiert anzusehen sind Texteinheiten, wenn sie ▶ eine von sprachlichen oder kommunikativen Normen deviante (abweichende) Form aufweisen (siehe 3.1.2); ▶ auf figurierte oder hochfrequente Weise wiederholt vorkommen, d. h. mit isomorphen (formengleichen) Texteinheiten eine gestaltete Wiederholungsstruktur bilden (siehe 3.1.3); ▶ als Glieder eines Kontrasts aufeinandertreffen (siehe 3.1.4). <?page no="146"?> 146 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Wir wollen Folgendes festhalten: 1. Fokussierungsformen sind stilistische Textzeichen. Sie sind i. d. R. auf Fokussierungsmuster (Gestaltungsmuster besonderer Art) beziehbar. 2. Fokussierungsformen und -muster lassen sich den Fokussierungstypen Deviation, Isomorphie und Kontrast zuordnen. 3. Fokussierungsstrukturen (als Zeichenformative) bilden sich durch die Fokussierungsverfahren Abweichen, Wiederholen und Entgegensetzen. 4. Fokussierungsstrukturen verbinden sich mit Fokussiertheit (als Zeichenbedeutung). Sie besteht in der Interpretierbarkeit von Texteinheiten als hervorgehoben bzw. auffällig. Fokussierungsformen können sich sowohl mikrostilistisch (auf einzelne Textpassagen bezogen) als auch makrostilistisch (auf einzelne Teiltexte oder das Textganze bezogen) entfalten. Darauf gehen wir im Folgenden näher ein. 3.1.2 Deviation: Formen der Abweichung Grammatische oder orthographische Fehler in Texten / Teiltexten können stilistisch beabsichtigt sein. Man denke an die Kleinschreibung von Substantiven (siehe Text 8) oder an Werbeslogans wie Das König der Biere und Sooo muss Technik! Texte / Teiltexte können auch stilistisch uneinheitlich sein, einen beabsichtigten bzw. unbeabsichtigten Stilbruch aufweisen oder einen stilistischen Defekt anderer Art, indem sie z. B. umgangssprachliche Elemente enthalten, obwohl die Verwendung der Normalsprache vorgeschrieben ist. Zum Fokussierungstyp Deviation gibt es eine umfangreiche stiltheoretische Diskussion (vgl. u. a. Spillner 1974: 31-40; Püschel 1985; Dittgen 1989). Dreh- und Angelpunkt ist die Antwort auf die Frage, w o v o n Stilformen abweichen können. Wir haben bereits erwähnt (siehe 3.1.1), dass es sprachliche oder kommunikative Normen sind, die als Bezugsgrößen fungieren. Wir wollen dies nun präzisieren und unter Normen Vorgaben für das Befolgen von Regeln verstehen-- von Regeln für sprachliche Richtigkeit (z. B. Wortstellungsregeln), kommunikative Angemessenheit (z. B. Wortverwendungsregeln) oder Vertextungsaspekte anderer Art (z. B. Kohärenzregeln). Im Bezugsrahmen ‚Norm‘ stehen sich demzufolge regelkonforme (reguläre) und regelwidrige (irreguläre) Formen gegenüber. Zu ergänzen wäre, dass ein Großteil der Abweichungen eine andersartige Bezugsgröße hat: sprachliche bzw. kommunikative Standards, d. h. Vorgaben für das Hervorbringen von Normalformen. Diese können sich auf die Verwendung von Sprache wie auch auf die Realisierung von Textmustern erstrecken. Im Bezugsrahmen ‚Standard‘ stehen sich Normal- und Spezialformen gegenüber. Auf der Grundlage der vorgenommenen Differenzierungen gelangt man zu vier Arten der stilistischen Deviation: a) Abweichung von sprachlichen Standards Aus dem Kreis der Stilfiguren gehören folgende Abweichungsformen hierher: die Aufzählungsfiguren Asyndeton und Polysyndeton (Normalform: Monosyndeton), die Positions- <?page no="147"?> 147 3.1 Fokussierungsformen figuren Prolepse und Epiphrase, die Ersetzungsfiguren Litotes und Periphrase sowie die Auslassungsfigur Ellipse. Asyndeton: Aufzählung mit mindestens drei Gliedern, bei der verknüpfende Konjunktionen fehlen: Kameradschaft, Liebe, Freundlichkeit, Essen, Trinken, Schlafen, das Geschäft, der Haushalt, sonntags ein Ausflug, abends mal ins Kino. (Hans Fallada, Kleiner Mann-- was nun? ) Polysyndeton: Aufzählung mit mindestens drei Gliedern, die alle durch ein und dieselbe Konjunktion (und; oder) miteinander verknüpft sind: Steuern sechs Mark und Arbeitslosenversicherung zwei Mark siebzig. Und Angestelltenversicherung vier Mark. Und Krankenkasse fünf Mark vierzig. Und die Gewerkschaft vier Mark fünfzig. (Ebd.) Prolepse: Linksherausstellung eines Satzglieds und seine Wiederaufnahme durch ein Pronomen: Solch vornehme Uhren, vielleicht müssen die nachts aufgezogen werden. (Ebd.) Epiphrase: Rechtsherausstellung eines Satzglieds und seine Ersterwähnung durch ein Pronomen: Und dann geht er rüber ins Büro, der Brotherr von Johannes Pinneberg. (Ebd.) Litotes: Ersetzung eines Wortes durch eine verneinte Gegenbezeichnung: Ein Mann in grüner Strickjacke, offenbar Herr Groebel, gleichgültig, aber nicht unfreundlich [statt freundlich], mit glattem schwarzem Haar, gab mir einen Schlüssel. (Heinrich Böll, Die Kirche im Dorf) Periphrase: Umschreibung eines Wortes durch eine erweiterte Gattungsbezeichnung: die heilige Stadt (für Jerusalem). Ellipse: Kürzen eines Satzes durch Auslassen eines oder mehrerer Satzglieder: Ich weiß, was ich will, dachte er. Bestimmt keine Ochsen und Frisiersessel. (Sten Nadolny, Selim oder Die Gabe der Rede) Spezialformen zu dieser Deviationsart entstehen auch durch Spaltsätze, Satzperioden, die Abwandlung von Phraseologismen oder die Bildung von Rededarstellungskomposita. Spaltsatz: Aufspaltung eines einfachen Satzes in ein Satzgefüge aus Hauptsatz (mit dem Wörtchen es als formalem Subjekt) und Relativsatz: Es ist der niedrige Leitzins der EZB , der das Wirtschaftswachstum bremsen kann. (statt Der niedrige Leitzins der EZB kann das Wirtschaftswachstum bremsen.). Satzperiode: Vereinigung mehrerer einfacher Sätze zu einem mehrstufigen Gefüge aus koordinierten und subordinierten Teilsätzen, die auch ineinander verschränkt sein können (siehe auch 2.5.2.1 u. Text 23 sowie 3.5.2 u. Text 57): Inzwischen war der Nachmittag herangekommen, und die Gemüter der herumschwärmenden Flüchtlinge hatten sich, da die Erdstöße nachließen, nur kaum wieder ein wenig beruhigt, als sich schon die Nachricht verbreitete, daß in der Dominikanerkirche, der einzigen, welche das Erdbeben verschont hatte, eine feierliche Messe von dem Prälaten des Klosters selbst gelesen werden würde, den Himmel um Verhütung ferneren Unglücks anzuflehen. (Heinrich von Kleist, Das Erdbeben in Chili) <?page no="148"?> 148 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Abwandlung von Phraseologismen: Ersetzung einer phraseologischen Komponente durch eine andere: Liebe auf den ersten Schritt (Werbung für Schuhe); Lange Rede, kurze Bindung (Werbung für Handys). Rededarstellungskompositum: Zusammengesetztes Wort, bei dem die erste Konstituente aus einem rededarstellenden Satz besteht (vgl. Hoffmann 2008b): der Aus-dir-mache-ich-wasganz-Großes-Angeber. (Das Magazin, Nr. 4 / 2002, 16) Vom Wortbildungsstandard des Typs Komposition weichen auch überlange Komposita (sogenannte Bandwurmwörter) ab, Zusammensetzungen mit mehr als drei Konstituenten, z. B. das substantivische Textwort Leistenlattenlamellenlöcherlukenluftlabyrinth (Franz Fühmann, Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens), das der Beschreibung eines Budapester Dampfbads dient. Wortschöpfungen dieser oder anderer Art werden als Okkasionalismen (Einmal-/ Gelegenheits-/ Ad-hoc-Bildungen) bezeichnet. Auch die Fachsprache des Behördenwesens hat überlange Komposita zu bieten, wie man weiß, aber keine mit ästhetischem Reiz. Zu einiger „Berühmtheit“ brachte es das 63-Buchstaben-Wort Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz-- ein Professionalismus, den der Schweriner Landtag im Jahre 2013 per Beschluss wieder aus dem Verkehr gezogen hat. Überlange Komposita können auch zum Spottobjekt werden-- wie in dem Karl-Valentin-Sketch „In der Apotheke“. Ein Mann betritt eine Apotheke, hat aber den Namen des Medikaments, das er besorgen soll, vergessen. Die Apothekerin hilft ihm schließlich auf die Sprünge und fragt, ob es sich um das Beruhigungsmittel Isopropyl-propenyl-barbitursaures-phenyl-dimethyl-dimethyl-aminopyrazolon (dimethyl kommt tatsächlich zweimal vor) handelt. Der Mann bestätigt dies nach zweimaliger Wiederholung des Wortes erfreut und äußert zugleich sein Bedauern darüber, dass man sich das Wort nicht merken könne, obwohl es doch so einfach sei. Eine Abweichung von semantischen Standards liegt vor, wenn Textwörter Ambiguität (Mehrdeutigkeit) aufweisen. So wirbt ein Vermögensberatungsunternehmen in einer Anzeige mit der Schlagzeile Ausgezeichnet für Deutschland und bildet dazu Auszeichnungsmedaillen und -urkunden ab, die ihm verliehen wurden. Das Wort ausgezeichnet erweist sich in diesem Text als ambig, als doppelt interpretierbar: Zum einen kann ihm die Bedeutung ‚hervorragend‘, zum anderen die Bedeutung ‚mit Preisen geehrt‘ zugeschrieben werden. b) Abweichung von sprachlichen Normen Dieser Deviationsart ordnet sich in semantischer Hinsicht das Gros der Ersetzungsfiguren zu, die auch Tropen (Tropus / Trope: ‚vertauschter Ausdruck‘) genannt werden. Wir führen im Folgenden die geläufigsten auf. Metapher: Ersetzung eines Zeichens auf der Grundlage eines phantasievollen Vergleichs mit der Semantik eines anderen Zeichens. Die semantische Gemeinsamkeit wird tertium comparationis genannt: Im Autobus rasende Fahrt über die Kettenbrücke und hinter der Brücke jäh in die Kurve und mit unverminderter Schnelle durch die Haarnadelkehre [tertium com- <?page no="149"?> 149 3.1 Fokussierungsformen parationis: ‚U-förmigkeit‘] einer Umleitung hindurch-… (Franz Fühmann, Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens) Allegorie: Ausgedehnte Metapher: Jahrelang hat er auf den Steppen der Kultur das magere Gras dieser Kunst gefressen, bis er einen Verleger fand. (Heinrich Böll, Die Suche nach dem Leser) Personifikation: Variante der Metapher, bei der nichtmenschlichen Erscheinungen menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden: Die letzten Blätter in den Gelb- und Grünkronen der Pappeln winken der Wolke zu, doch sie sieht es nicht. (Franz Fühmann, Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens) Synästhesie: Variante der Metapher, bei der verschiedene Sinneswahrnehmungen (z. B. eine visuelle und eine akustische) irregulär kombiniert wiedergegeben werden: Die Fische spielen unter dem Licht / mit grünen Geräuschen. (Georg Maurer, Am Fluß) Metonymie: Ersetzung eines Zeichens auf der Grundlage einer Berührung (z. B. räumlich, zeitlich oder kausal) mit der Semantik eines anderen Zeichens: Nachmittags prüfte ich bei den Hermanns das Jahr 1948 [statt die Steuererklärung zum Jahr 1948]. (Heinrich Böll, Die Kirche im Dorf) Synekdoche: Ersetzung eines semantisch weiteren Zeichens durch ein semantisch engeres oder umgekehrt (z. B. Teil für Ganzes; Gattung für Art; Singular für Plural): „Bittä! “, sagt die grüne Bluse [statt: die Frau in der grünen Bluse] und sieht ihn empört an. (Hans Fallada, Kleiner Mann-- was nun? ) Hyperbel: Ersetzung eines Zeichens durch ein anderes mit über- oder untertreibender Semantik (insbesondere Grad-, Maß- und Mengenangaben): Die Liebe dauert immer nur einen Augenblick. (Elke Heidenreich, Winterreise) Zu den irregulären Formen in syntaktisch-semantischer Hinsicht zählen die Positionsfigur Anakoluth, die Auslassungsfigur Aposiopese und die Aufzählungsfigur Zeugma. Anakoluth: Unvermittelter Wechsel in eine andere Satzkonstruktion. Eine begonnene Konstruktion wird nicht zu Ende geführt; der Satz wird mit einer neuen Konstruktion fortgesetzt: Und wenn du sagst, wir wollen es hell und sauber haben, du mußt ein bißchen geduldig sein. (Hans Fallada, Kleiner Mann-- was nun? ) Aposiopese: Abbrechen eines Satzes. Im Unterschied zur Ellipse und zum Anakoluth entsteht dadurch eine nicht abgeschlossene Satzkonstruktion: Oh, so rutscht mir doch alle-…! (Ebd.) Zeugma: 1. Semantisch irreguläre Aufzählung von Einzelheiten. Die Aufzählungsglieder liegen nicht auf ein und derselben begrifflichen Ebene: Dort drüben roch es nach Samstag, nach Frieden, Badewasser, Seife, frischem Mohnbrot, nach neuen Tennisbällen. (Heinrich Böll, Im Tal der donnernden Hufe) 2. Semantisch irreguläre Kombination von Verbergänzungen. Ein polysemes Verb wird in ein und derselben Satzkonstruktion in zwei Bedeutungsvarianten <?page no="150"?> 150 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil verwendet: Ich feilte an meinen Fingernägeln und an meinem Stil herum. (Friedrich Dürrenmatt, Der Meteor) Zu den irregulären Formen in orthographischer Hinsicht zählen regelwidrige Schreibweisen, wie sie in der Werbung vorkommen, wo Produkt- oder Marktinformationen spielerisch in das Schriftbild eingeformt sind: Woll-D-e-h-n-hose; Final€€€€€€€€€€€! Irreguläre Wortformen erscheinen z. B. als Hybridbildung aus zwei verschiedenen Einzelsprachen (z. B. Englisch und Deutsch): Porto im Greenen Bereich? oder als Kontamination (Kreuzung) von Wörtern: Das Wort Ojelympia! (Bild am Sonntag, 29. 07. 2012, 1) ist eine Kontamination aus der Interjektion oje und dem Substantiv Olympia. Im folgenden Auszug aus der Erzählung „Ich bin Zeuge“ von Ephraim Kishon (Text 44) sind sämtliche Interpunktionszeichen (Kommata, satzschließende Punkte) ausgelassen, um den Redeschwall einer literarischen Figur, ihre ‚Plapprigkeit‘, ihr sprichwörtliches Sprechen ohne Punkt und Komma zu veranschaulichen. Wir haben es hier mit einem anderen Fall von Andringlichkeit (siehe 2.3.2) zu tun. Der Textauszug liefert zugleich ein weiteres Beispiel für ein Sprachporträt (siehe 2.5.4.2). „Entschuldigen Sie lieber Herr daß ich Sie überfalle wo wir uns doch kaum kennen aber jetzt bin ich endlich so weit daß ich Jankel heiraten könnte ach so Sie wissen nicht daß ich von meinem ersten Mann geschieden bin warum spielt keine Rolle er hat getrunken und hat anderen Weibern Geschenke gemacht aber Jankel trinkt nicht und verdient sehr schön und kümmert sich nicht um Politik und er lebt schon sehr lang im Land und hat einen sehr guten Posten in der Textilbranche und will ein Kind haben aber schnell denn er kann nicht mehr lange warten schließlich ist er nicht der Jüngste aber er schaut noch sehr gut aus auch wenn er kein Haar am Kopf hat und er hat sogar eine Wohnung ich weiß nicht wo aber Sie müssen uns unbedingt besuchen und Sie werden uns doch sicherlich diesen kleinen Gefallen tun nicht wahr? “ Beispieltext 44: Satirische Erzählung (Auszug) Ephraim Kishon: Dreh’n Sie sich um, Frau Lot! Satiren. 2. Aufl. Bergisch Gladbach 1995: Lübbe, 154 f. c) Abweichung von kommunikativen Standards Beispiele für diese Deviationsart sind Äußerungen mit einer Diskrepanz zwischen Gesagtem und Gemeintem. Die Rhetorik kennt diesbezüglich vor allem zwei Ersetzungsfiguren: die rhetorische Frage und die Ironie. Rhetorische Frage: Äußern einer Aussage oder Aufforderung in Form einer Frage: Wenn sie [die Schauspieler] unverschämt sind-- und welcher Künstler wäre das nicht? -, bedeutet dies eine erhebliche zusätzliche Verteuerung für meinen Onkel. (Heinrich Böll, Nicht nur zur Weihnachtszeit) <?page no="151"?> 151 3.1 Fokussierungsformen Ironie: Äußern einer Aussage oder Aufforderung, bei der das Gemeinte durch das genaue Gegenteil ausgedrückt ist: Ja, ich weiß es besser: Gott hat den Menschen erschaffen, damit er die Herrlichkeit der Welt bewundere. Jeder Autor, und sei er noch so groß, wünscht, daß sein Werk gelobt werde. (Heinrich Heine, Die Harzreise) Der definitorische Verweis auf eine gegenteilige Bedeutung wird mitunter als unzutreffend zurückgewiesen. Es wird zu bedenken gegeben, dass die Erscheinungsformen von Ironie viel zu komplex und zu vielschichtig seien, um sie auf ein einziges semantisches Verhältnis zu reduzieren. So sieht man z. B. in dem Fall, dass das Gemeinte durch das genaue Gegenteil ausgedrückt wird, nur einen „Extremfall ironischen Sprechens“ (Ottmers 2007: 182). Wir aber bleiben bei der tradierten rhetorischen Bestimmung, und zwar aus zwei Gründen (vgl. auch Hoffmann 2013): Zum einen halten wir das Kriterium eines Gegensatzes zwischen wörtlicher und nichtwörtlicher Bedeutung für unverzichtbar, um Ironie von anderen Ersetzungsfiguren (wie Metapher und Hyperbel) abzugrenzen. Zum anderen halten wir es für erforderlich, gegenteilig Gemeintes auf verschiedene Komponenten von ‚Äußerungsbedeutung‘ beziehbar zu machen (siehe Tab. 16). Komponenten der Äußerungsbedeutung Erläuterung Beispiele begriffliche Bedeutung von Wörtern in bewertenden Äußerungen Positiv bewertende Wörter sind negativ bewertend gemeint und umgekehrt. Was für ein spannendes Spiel! Gemeint: ‚langweiliges Spiel’. syntaktische Bedeutung von behauptenden Äußerungen Bejahend (affirmativ) formulierte Äußerungen sind verneinend gemeint und umgekehrt. Du kennst ihn doch. Er hat ihr wie immer die ganze Wahrheit gesagt. Gemeint: ‚Er hat ihr wie immer nicht die ganze Wahrheit gesagt.’ äußerungsfunktionale (pragmatische) Bedeutung Lobend formulierte Äußerungen sind als Tadel zu verstehen und umgekehrt. Mein Kompliment! Wie hast du das bloß wieder hinbekommen? Gemeint: ‚Tadel’. referentielle Bedeutung Faktisch formulierte Äußerungen sind fiktiv gemeint, da sie auf Objekte referieren, die in der Umgebungssituation der Kommunikationspartner nicht existieren. Äußerung inmitten eines Industriegebiets: Natur, wohin das Auge blickt! Gemeint: ‚trostloses Gebiet ohne Natur‘. äußerungsstilistische (kommunikationsmodale) Bedeutung Ernst formulierte Äußerungen sind unernst gemeint und umgekehrt. Äußerung in einer ausweglos erscheinenden finanziellen Situation: Überfall doch eine Bank! Gemeint: ‚unernster Vorschlag’. Tab. 16: Formen ironischer Diskrepanzen zwischen Geäußertem und Gemeintem Nun stellen sich die Dinge in pragmatischen wie poetischen Texten tatsächlich nicht ganz so einfach dar, wie es anhand konstruierter Beispiele den Anschein hat. Authentische Texte können Kopfzerbrechen bereiten. In der Erzählung „Als der Krieg ausbrach“ von Heinrich Böll äußert der Protagonist u. a. Folgendes: Zu jeder anderen Zeit hätte ich über Leo gelacht, wie er da vor mir stand, mit dem Stahlhelm, dem Symbol ungeheurer Wichtigkeit, auf dem Kopf. <?page no="152"?> 152 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Was die literarische Figur mit der Apposition Symbol ungeheurer Wichtigkeit positiv bewertet, nämlich einen Stahlhelm als Kopfbedeckung, ist nicht einfach negativ bewertend gemeint (also nicht als ‚Symbol ungeheurer Unwichtigkeit‘), da die Schutzfunktion eines solchen Helms sicher nicht in Abrede gestellt wird. Die Ironie bezieht sich vielmehr auf die Wirkung des Helms auf den Betrachter. Die positive Bewertung ist unernst gemeint. Ironiekonstituierend ist der Gegensatz zwischen stilistischem Ernst und stilistischem Unernst. Ein wesentliches Ironiesignal geht von dem bewertungsverstärkenden Adjektiv ungeheuer aus. Unser nächstes Beispiel für Ironie ist ein Text des satirischen Journalismus (Text 45). Vollendete Umgangsformen Während von Wladimir Putin kein Wort des Bedauerns zu hören war, weil ein russischer Kampfjet die türkische Grenze - angeblich aus Versehen - überflogen hat, hat sich US-Präsident Obama für den Luftangriff auf ein Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen prompt entschuldigt. Als Friedensnobelpreisträger weiß er eben, was sich gehört. CD Beispieltext 45: Satirische Meldung Eulenspiegel, Nr. 11 / 2015, 16. Der erste Satz des Textes entspricht weitgehend dem Muster der journalistischen Textsorte Meldung. Das MITTEILEN dessen, was sich wo und durch wen aktuell ereignet hat, passt zum Handlungs- und Themenstrukturmuster der Textsorte. Auch ist die mustergemäße Realisierung des Gestaltungsprinzips Genauigkeit bei der Faktenwiedergabe erkennbar. Die Schlagzeile (Vollendete Umgangsformen) und der zweite Satz der Meldung (Als Friedensnobelpreisträger weiß er eben, was sich gehört.) zeigen indes, dass das Muster der Textsorte satirisch abgewandelt wurde (vgl. dazu auch Hoffmann 2003: 324-330). Satirische Meldungen weichen durch Ironie vom Standard einer Meldung ab. Wir interpretieren die Texthandlung LOBEN , die der Textproduzent, die Handlungsstruktur erweiternd, vollzogen hat, als ein TADELN , weil wir einen im Text indirekt thematisierten Widerspruch erkennen: den Widerspruch zwischen dem sozialen Status einer Person (hier: Friedensnobelpreisträger) und ihrem mangelnden Ethos (hier: Mitverantwortung für einen Luftangriff auf ein Krankenhaus). Man zögert unweigerlich, diese Diskrepanz als einen ‚komischen Widerspruch‘ (siehe dazu 2.4.2.2) zu bezeichnen. Der Begriff ‚tragischer Widerspruch‘ trifft die Sache wohl eher. Der zweite und letzte Satz des Textes wäre nichtironisch somit wie folgt zu lesen: ‚Er weiß eben nicht, was sich wirklich gehört, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass sich dergleichen nicht ereignen kann.‘ Abweichungen von kommunikativen Standards entstehen auch durch die Realisierung origineller Gestaltungsideen. An dieser Stelle ist Gelegenheit, auf das Gedicht „markierung einer wende“ von Ernst Jandl (Text 8) zurückzukommen, das weder über einen Reim noch über Strophen verfügt, dafür Ähnlichkeit mit einer Kalenderstruktur aufweist. Da es keine Norm gibt, die vorschreibt, welche Gestalt Gedichte anzunehmen haben-- eine Ausnahme bilden z. B. Vorgaben für die Struktur eines Sonetts--, können wir das Jandl-Gedicht nun als eine Abweichung in den Bezugsrahmen ‚lyrischer Standard‘ einordnen. <?page no="153"?> 153 3.1 Fokussierungsformen Originelle Gestaltungsideen haben auch die Form einer Allusion (Anspielung auf einen anderen Text). Die Schlagzeile Guten Morgen, liebe Sorben (Potsdamer Neueste Nachrichten, 26. 03. 2016, 17) z. B. spielt auf den Liedtext Guten Morgen, liebe Sorgen an. d) Abweichung von kommunikativen Normen Die Entscheidung darüber, ob eine Stilform als kommunikativ irregulär zu gelten hat, ist nur mit Bezug auf den kommunikativen Kontext möglich. Ironischer Stil z. B. gilt im Rahmen einiger Textgattungen (behördliche, wissenschaftliche, rituelle Texte) und Textsorten (Meldung, Medienbericht, Parteiprogramm) als unangemessen. So sieht auch das Muster der rituellen Textsorte Laudatio Ironie nicht vor. Ironie passt in einem rituellen Rahmen nicht zu den Texthandlungen DANKEN , LOBEN , EHREN und BEGLÜCKWÜNSCHEN des Preisträgers (Laureaten). Die kommunikative Standardaufgabe besteht bei dieser Textsorte darin, die herausragenden Leistungen des betreffenden Preisträgers öffentlich zu thematisieren und zu würdigen. In stilistischer Hinsicht sind die Kommunikationsmodalitäten ‚Feierlichkeit‘ und ‚heitere Geselligkeit‘ üblich (vgl. Sandig 2006: 252). Üblich ist aber auch ‚Höflichkeit‘ bei der Hinwendung zum Laureaten und zum Redepublikum. Im Mittelpunkt einer Laudatio stehen weder der Laudator noch das Redepublikum-- im Mittelpunkt steht der Laureat. Wenn aber fast alles von dem, was die kommunikativen Normen einer Laudatio ausmacht, missachtet wird, führt dies unweigerlich zur Entritualisierung. Text 46 liefert ein Beispiel. Die Singularität in gebührendem Licht Laudatio auf Thomas Gottschalk zur Verleihung des Medienpreises für Sprachkultur 2002 Von Gerhard Polt, Schliersee Meine sehr verehrten Damen und Herrn, gestatten Sie mir, dass in der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, dem Anlass entsprechend, obwohl meine sehr verehrten Herrn Vorredner bereits Essentielles, ja Substantielles von sich gegeben haben, ich noch ein paar kurze Anmerkungen mache. Wie gesagt in der gebotenen Kürze, da ja, wie wir wissen, das Büfett bald eröffnet sein wird oder der gastronomische Akt bald beginnt, also für langatmige, ausschweifende Würdigungen kein Raum mehr zur Verfügung steht. Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herrn, ganz kurz noch einmal Revue passieren, damit die Großartigkeit und die Singularität des heutigen Abends das ihr gebührende Licht erfährt. Also, ich mach’s kurz. Meine sehr verehrten Damen und Herrn, als Pharao Cheops seine Pyramide in Giseh errichtet hat, da folgte ja, wie uns allen bekannt, Pharao Chephren oder unterägyptisch Chafra mit einer zwoten Pyramide nach und da haben wir schon zwei Pyramiden zu Giseh, dual miteinander korrespondierend, nicht wahr, und es war kein anderer als Pharao Mykerinos, wie die Griechen ihn ja nannten, Mykerinos, unterägyptisch Menkauré oder auch Menkauhawre, nicht wahr, der dann die dritte Pyramide zu Giseh erstellte. Und da haben wir es bereits, obwohl wir ja sagen „Tertium non datur“, aber da steht sie. Was, meine sehr verehrten Damen und Herrn, sagt uns das: Oh hätten wir doch nun die Zeit, uns diesem Änigma zu nähern! Trinität nach der Dualität - all dies bedürfte näherer Erläuterung, aber zu unser aller Bedauern drängt uns die Zeit und wir verlassen Ägypten. <?page no="154"?> 154 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil […] Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen natürlich vor großartigen Bühnen, die uns dieser Kontinent ja geschenkt hat, die natürlich im Lauf der Jahrtausende gewachsen sind. Es ist die Agora in Athen, es ist das Forum von Rom, es ist Byzanz, es ist Florenz, es ist der Palazzo Pitti, es ist der Canal Grande, es sind heute die ARD , das ZDF , SAT 1. Und alle, alle haben sie mitgewirkt, die Großen, die Leonardo da Vinci, die Michelangelo, die berühmten Bs - die Bach, die Beethoven, die Brahms -, die Leibniz, Goethe, Rembrandt, Dürer, Einstein, Heisenberg, Napoleon, ja ein Gaius Julius Cäsar. Und heute sind wir hier versammelt, um einen Mann zu ehren, meine sehr verehrten Damen und Herrn, der heute hier unter uns ist, und wir neigen unser Haupt in tiefem Respekt. Kein anderer als Sie waren es, der die Pforte zu einem neuen Jahrtausend für den Homo ludens aufgerissen hat. Und wir neigen unser Haupt und sagen: Dank Ihnen, mein lieber Thomas Gottschalk, für Ihr Gesamtwerk. - Ich danke Ihnen. Beispieltext 46: Laudatio (Einleitung und Schluss) Der Sprachdienst, Nr. 3 / 2002, 97-99. Dem Textmuster Laudatio entspricht lediglich die intensivierte formelle Höflichkeit bei der Anrede des Publikums (meine sehr verehrten Damen und Herren), die die gesamte Rede durchzieht. Alles andere weicht deutlich von den kommunikativen Normen dieser Textsorte ab. Das heißt im Einzelnen: 1. Die Handlungsstruktur wird erst ganz am Ende der Rede teilweise realisiert, wo auf das zweifache EHREN des Laureaten (wir neigen unser Haupt in tiefem Respekt; wir neigen unser Haupt) ein zweifaches DANKEN folgt (Dank Ihnen, mein lieber Thomas Gottschalk, für Ihr Gesamtwerk; Ich danke Ihnen.). 2. Vorgaben für die Themenstruktur, nämlich die Persönlichkeit und die Leistungen des Laureaten in das Zentrum der Rede zu stellen, werden nicht einmal ansatzweise beachtet. Stattdessen streift der Laudator eine Epoche der Weltgeschichte nach der anderen (das alte Ägypten, Mesopotamien, das antike Griechenland, Hexenverbrennungen usw.), um dann im vorletzten Satz seiner Rede und nicht etwa früher den Namen des Mannes zu erwähnen, dem eigentlich die gesamte Rede zu widmen gewesen wäre. 3. Der Laudator (der Kabarettist Gerhard Polt) verstößt auch gegen die stilistische Vertextungsregel, sich selbst zurückhaltend zu präsentieren. Mit seinem Streifzug durch die Weltgeschichte präsentiert er sich als überaus gebildet und kenntnisreich. Er nimmt in die Rede ausgiebig bildungssprachliches Gedankengut (philosophische und literarische Zitate) auf und streut eine Fülle an Latinismen (z. B. Tertium non datur; Änigma; Trinität; Homo ludens) ein. 4. Dominierende Kommunikationsmodalität ist unangemessenerweise Ironie, die sich vor allem im Schlussteil der Rede mit Spott verbindet. Spottsignal ist ein mehrstufiges, makrostilistisches Zeugma. Stufe 1: Die Fernsehanstalten ARD , ZDF und SAT 1 werden in eine Reihe mit architektonischen Meisterwerken der Weltgeschichte gestellt. Stufe 2: Der Laureat wird <?page no="155"?> 155 3.1 Fokussierungsformen als Fernsehmoderator in eine Reihe gestellt mit berühmten Komponisten, Malern, Dichtern, Wissenschaftlern und Heerführern. 5. Insgesamt gesehen liegt ein deutlicher Musterbruch vor. Der Laudator folgt im Wesentlichen einem völlig anderen Muster: dem Muster der Textsorte ‚Historischer Abriss‘. Der Musterbruch ist in diesem Text als eine ziemlich riskante Figuration anzusehen, da er zwar Unterhaltsamkeit (heitere Geselligkeit) erzeugt, aber eben auf Kosten des Laureaten. Doch dieser hat in seiner Dankrede (Der Sprachdienst, Nr. 3 / 2002, 99) schlagfertig selbstironisch reagiert, indem er sie mit den Worten eröffnete: „Gerhard Polt hat mich endlich in den Gesamtzusammenhang gestellt, in den ich gehöre.“ Hingewiesen sei noch auf eine weitere Form der Abweichung von kommunikativen Normen: die regelwidrige Verwendung von Varietäten (z. B. Dialekt statt Hochsprache) bzw. von Stilregistern (z. B. ‚unfreundlicher Stil‘ statt ‚höflicher Stil‘). 3.1.3 Isomorphie: Formen der Wiederholung Die Unterscheidung zwischen Deviation einerseits und Isomorphie bzw. Kontrast andererseits ist nicht ganz lupenrein, denn auch die Formen der Wiederholung und Entgegensetzung weichen letztlich von Normen oder Standards ab. Wenn wir dennoch in Isomorphie und Kontrast zwei relativ eigenständige Fokussierungstypen sehen, so deshalb, weil für die entsprechenden Fokussierungsformen in erster Linie t e x t i nt e r n e Relationen zwischen den Fokussierungselementen auffälligkeitsrelevant sind (vgl. auch Michel 2001: 60). Die markantesten Formen des Fokussierungstyps Isomorphie sind als Wiederholungsfiguren bekannt. Diese unterscheiden sich danach, wo (Position), wie oft (Frequenz), in welchem Grad an Übereinstimmung (vollständige bzw. partielle Gleichheit), in welchem Umfang (Extension) und wozu (Funktion) wiederholt wird (vgl. Plett 2001: 41). Für die Begriffsbestimmung der einzelnen Figuren ist aber v. a. wesentlich, welche Position oder welchen Grad an Übereinstimmung die Wiederholungsglieder haben. Das Spektrum an Wiederholungsfiguren ist umfangreich. Anapher: Form der Wiederholung, bei der die Wiederholungsglieder am Anfang mehrerer benachbarter syntaktischer oder architektonischer Einheiten (z. B. Sätze, Abschnitte, Strophen) stehen: Jetzt erst spürte ich, daß es kalt war und ich keinen Mantel hatte, jetzt erst kam mein Hunger richtig hoch und knurrte vor der Pforte des Magens, jetzt erst begriff ich, daß ich auch schmutzig war, unrasiert, zerlumpt. (Heinrich Böll, Mein trauriges Gesicht) Epipher: Form der Wiederholung, bei der die Wiederholungsglieder am Ende mehrerer benachbarter syntaktischer oder architektonischer Einheiten stehen: Und nun hat Lämmchen einen Vormittag für sich allein, eine Wohnung für sich allein, einen Küchenzettel zu machen ganz allein. (Hans Fallada, Kleiner Mann-- was nun? ) Symploke: Kombination aus Anapher und Epipher: Es ist doch schlimm. Daß sich Karl und Vater immer zanken, ist schlimm. Und daß Vater und Mutter immer streiten, das ist auch <?page no="156"?> 156 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil schlimm. Und daß sie Mutter immer um das Kostgeld betrügen wollen, und daß Mutter sie mit dem Essen betrügt-- alles ist schlimm. (Ebd.) Epizeuxis: Form der Wiederholung, bei der die Wiederholungsglieder innerhalb einer syntaktischen Einheit unmittelbar aufeinanderfolgen: Ich war so eingenommen, so eingenommen von der Schönheit der Gelehrsamkeit. (Gotthold Ephraim Lessing, Der junge Gelehrte) Kyklos: Form der Wiederholung, bei der die Wiederholungsglieder am Anfang und am Ende einer syntaktischen Einheit bzw. Äußerung stehen: Unwissender, niederträchtiger Kerl! Hast du mir es nicht oft genug gesagt, daß ich mich aus der Stube fortmachen soll? -[…] Unwissender, niederträchtiger Kerl! (Ebd.) Anadiplose: Form der Wiederholung, bei der die Wiederholungsglieder am Ende und am Anfang zweier benachbarter Sätze stehen: […] während die Tempel aller Götter Staatszeremonien vorbereiteten, pflegte ich meine verquere Genugtuung. Mit Genugtuung fühlte ich die Kälte, die sich in mir ausbreitete. (Christa Wolf, Kassandra) Diapher (auch Diaphora): Form der Wiederholung, bei der die Wiederholungsglieder formativisch gleich oder ähnlich, aber semantisch differenziert sind: Daß der Mensch zum Menschen werde, / Stift’ er einen ew’gen Bund. (Friedrich Schiller, Das Eleusische Fest) Parallelismus: Form der Wiederholung, bei der syntaktisch gleichwertige Elemente in benachbarten Sätzen an gleicher Stelle wiederkehren: Schulbücher lagen auf der Erde, eine Hose hing über dem Nachttisch. (Heinrich Böll, Im Tal der donnernden Hufe) Paronomasie: Spielerische Form der Wiederholung auf der Basis formativischer Ähnlichkeiten zwischen mehreren Wörtern: Die Menschen müssen sich rentieren, bis sie in Rente gehen. (Elfriede Jelinek, Lust) Polyptoton: Variante der Paronomasie. Die Wiederholungsglieder haben einen gemeinsamen Wortstamm, sind aber flexions-, auch wortbildungsmorphologisch differenziert: Sie dachte: -[…] ich muß ihn allein lassen, er muß das begreifen. Aber ich begriff das nie, und es war auch unbegreiflich. (Heinrich Böll, Wie in schlechten Romanen) Figura etymologica: Sonderfall des Polyptotons. Die Wiederholungsglieder sind einander über- und untergeordnet (meist regiert ein intransitives Verb ein Substantiv im Akkusativ): Lämmchen bekommt Rätsel zu raten. (Hans Fallada, Kleiner Mann-- was nun? ) Wiederholungsfiguren können eine makrostilistische Extension annehmen. So kann sich ein Kyklos als textrahmend erweisen. Voraussetzung ist, dass der Anfang und das Ende eines Textes im Wortlaut übereinstimmen. Von einem architektonischen Parallelismus ist zu sprechen, wenn sich Satzstrukturen im äußeren Textaufbau (z. B. bei der Einleitung von Abschnitten, Kapiteln, Strophen) wiederholen. Eine besondere makrostilistische Form der Wiederholung besteht im Ausbau von Wiederholungsstrukturen zu Leitmotiven: „Kehrt ein und dasselbe Element unregelmäßig im Text wieder, ohne an eine feste Stelle gebunden zu sein, wirkt es wie ein Echo oder Leitmotiv.“ <?page no="157"?> 157 3.1 Fokussierungsformen (Riesel / Schendels 1975: 247) In unserem nächsten Beispieltext, einem Auszug aus Heinrich Bölls Erzählung „Der Zug war pünktlich“, avanciert das unscheinbare Temporaladverb bald (auch in substantivierter Form) zu einem Textelement dieser Art. Es wird mehrmals abschnittseröffnend eingesetzt (z. B. Bald, dachte er) oder satzeröffnend (z. B. Dieses Bald hat ihn ergriffen wie eine Angel, an der er nun zappeln wird), findet sich aber auch mitten im Satz (z. B. Wann wird dieses Bald sein? ). In der aufgeführten Textprobe (siehe Text 47) kann man einen leitmotivischen Kulminationspunkt sehen, da die Wörter bald bzw. Bald insgesamt 18mal vorkommen, noch dazu in figurierter Form als Epizeuxis (Bald. Bald. Bald. Bald.), Anadiplose (Welch ein furchtbares Wort: Bald. Bald kann in einer Sekunde sein), Anapher (Bald kann in einer Sekunde sein, Bald kann in einem Jahr sein, Bald ist ein furchtbares Wort.), auch in Kombination mit einem Parallelismus (Bald ist nichts und Bald ist vieles. Bald ist alles. Bald ist der Tod-…) sowie eingebunden in eine Epipher (Wann ist Bald? Welch ein furchtbares Wort: Bald.) und in einen Kyklos (Bald bin ich tot. Ich werde sterben, bald.). Stiltheoretisch zu bedenken ist also, dass Isomorphie durchaus mit dem Gestaltungsprinzip Abwechslung harmonieren kann. Bald. Bald. Bald. Bald. Wann ist Bald? Welch ein furchtbares Wort: Bald. Bald kann in einer Sekunde sein, Bald kann in einem Jahr sein. Bald ist ein furchtbares Wort. Dieses Bald drückt die Zukunft zusammen, es macht sie klein, und es gibt nichts Gewisses, gar nichts Gewisses, es ist die absolute Unsicherheit. Bald ist nichts und Bald ist vieles. Bald ist alles. Bald ist der Tod … Bald bin ich tot. Ich werde sterben, bald. Du hast es selbst gesagt, und jemand in dir und jemand außerhalb von dir hat es dir gesagt, daß dieses Bald erfüllt werden wird. Jedenfalls wird dieses Bald im Kriege sein. Das ist etwas Gewisses, wenigstens etwas Festes. Beispieltext 47: Literarische Erzählung (Auszug) Heinrich Böll: Die Erzählungen. 1947-1970. 2. Aufl. Leipzig 1973: Insel, 32. Leitmotivische Isomorphie lässt sich auch wortbildungsmorphologisch variieren. So wird in Günter Grass’ Erzählung „Unkenrufe“ das Unkenmotiv entweder zur ersten oder zur zweiten Konstituente eines Determinativkompositums (vgl. Hyvärinen 1998: 205-208): Unkenruf; Unkengeläut; Tieflandunken; Feuerunken. Darüber hinaus kommt es als Simplex (Unke) vor. Verwiesen sei ferner auf die Möglichkeit, ein leitmotivisches Textelement mit einer sinnbildlichen Bedeutung zu versehen, d. h. Texte mit einem Leitsymbol auszustatten (vgl. Kerkhoff 1962: 53). Texte, die aus einer Folge von Sätzen der Satzart Aussagesatz bestehen, repräsentieren den Vertextungsstandard. Doch es gibt auch Texte / Teiltexte mit einer Häufung von Ausrufe- oder Fragesätzen, die unmittelbar aufeinanderfolgen, deren Wortlaut aber ganz verschieden ist. Diese Texte weichen vom Vertextungsstandard ab und sind zugleich als makrostilistisch isomorph anzusehen. Verwiesen sei auf Goethes Gedicht „Mailied“, dessen erste, vierzeilige Strophe ausschließlich Ausrufesätze enthält, und auf Goethes Gedicht „Beherzigung“, dessen erste, achtzeilige Strophe fast ausschließlich aus Fragesätzen besteht. <?page no="158"?> 158 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Erwähnung verdienen außerdem weitere mikrostilistische Formen der Wiederholung. Eine phonologische Form ist die Alliteration. Die Wiederholungsglieder bestehen hier aus dem gleichen konsonantischen Anlaut benachbarter Wörter, wovon nicht nur poetische Texte zeugen, sondern auch Slogans der kommerziellen Werbung, die dadurch an Einprägsamkeit gewinnen (Milch macht müde Männer munter), und Schlagzeilen des Journalismus, die dadurch interessanter werden (Killer-- Kugeln-- Kommissare). Unter den phraseologischen Formen der Wiederholung finden sich vorgefertigte idiomatisierte Wortpaare, d. h. Konstruktionen aus zwei formativisch gleichen oder ähnlichen Wörtern derselben Wortart, die durch eine Konjunktion oder Präposition verbunden sind. Sie werden als Zwillingsformeln bezeichnet: Tag für Tag; auf Schritt und Tritt; dann und wann; weit und breit. Davon zu unterscheiden sind Zwillingsbildungen, d. h. Wortpaare, die nach einem phraseologischen Muster frei konstruiert worden sind. Als Beispiele die Muster [X AN X]: Auto an Auto; Schreibtisch an Schreibtisch; Kranich an Kranich; [X IST X]: Gesagt ist gesagt; Betrug ist Betrug; Urlaub ist Urlaub; [X ( XX )]: das Event der Events; die Nacht der Nächte; das Schloss der Schlösser und [X + HIN / X + HER ]: Urlaub hin-- Urlaub her; Trinkgeld hin-- Trinkgeld her; Bedenken hin- - Bedenken her. Die Bezeichnung „Phraseoschablonen“ für Bildungen dieser Art (vgl. u. a. Fleischer 2001: 115 f.) ist nicht korrekt, denn eine Schablone ist ein Schema, ein Modell oder eben ein Muster. Konstruktionen nach einer Schablone sind demzufolge Schablonenbildungen und nicht die Schablone selbst. Sie können stilistisch besonders interessant werden, wenn das phraseologische Muster kreativ themenbezogen umgesetzt wird. So heißt es in einem Medienbericht über den Tod einer Galapagos-Schildkröte, die letzte ihrer Art: Ausgestorben ist ausgestorben. (Potsdamer Neueste Nachrichten, 23. 11. 2012, 32) Es gibt aber auch Zwillingsbildungen, die wie die Zwillingsformeln längst in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen sind, z. B. Versprochen ist versprochen und Geschenkt ist geschenkt. 3.1.4 Kontrast: Formen der Entgegensetzung Dass es keine starren Trennlinien zwischen den Fokussierungstypen gibt (siehe 3.1.3), kommt auch bei den Gegensatzfiguren, den markantesten Formen der Entgegensetzung, zum Vorschein. An einigen der folgenden Begriffsbestimmungen wird ersichtlich, dass Entgegensetzung und Abweichung, Entgegensetzung und Wiederholung zusammentreffen können. Antithese: Semantische Entgegensetzung von Wörtern oder Wortgruppen: Von weitem sieht eine Ehe außerordentlich einfach aus: Zweie heiraten. Aber in der Nähe löst sich die ganze Geschichte in tausend Einzelprobleme auf. (Hans Fallada, Kleiner Mann-- was nun? ) Oxymoron: Semantisch irreguläre, paradoxe oder paradox erscheinende Entgegensetzung von Wörtern oder Wortkonstituenten: Alles, was erlaubt ist, ist verboten. (Erich Kästner, Möblierte Melancholie) Im Moment war der Deutsche damit beschäftigt, über seine Hände nachzudenken-[…]. Er hatte wohl gar nicht gewußt, daß er ein Rechts-Linkshänder war. (Sten Nadolny, Selim oder Die Gabe der Rede) <?page no="159"?> 159 3.1 Fokussierungsformen Chiasmus: Syntaktische Form der Entgegensetzung, bei der syntaktisch gleichwertige Elemente in benachbarten Sätzen entgegengesetzte Positionen einnehmen: Ach Gott! Die Kunst ist lang! / Und kurz ist unser Leben. (Johann Wolfgang Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil) Antimetabole: Syntaktische Form der Entgegensetzung in Kombination mit der lexikalischen Wiederholung zweier (antithetischer) Wörter. Die Wiederholungsglieder tauschen dabei nicht ihre syntaktische Position, sondern ihre Rolle als Satzglied (z. B. die Subjekt- und Objektrolle): Die Toten werden keine Zeit haben, / von den Lebenden Abschied zu nehmen. / Die Lebenden werden kein Ende finden, / ihre Toten zu begraben. (Walter Werner, Hölderlin auf dem Gleichberg) Klimax/ Antiklimax: Lexikalische Entgegensetzung von mindestens drei Aufzählungsgliedern in einer semantisch aufsteigenden (Klimax) oder absteigenden (Antiklimax) Reihenfolge. Beispiel 1 (Klimax): Könnte man eine Straße, ein Viertel, eine Stadt, ein Land durch die Gedanken, Träume, Erinnerungen, Gefühle beschreiben, die einem in ihrem Bannkreis kommen? (Franz Fühmann, Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens) Beispiel 2 (Antiklimax): Man esse morgens wie ein König, mittags wie ein Bauer, des Abends wie ein Bettler. (Spruchweisheit) In diesen Spruch ist eine doppelte Antiklimax eingeformt: zum einen in temporaler Hinsicht (morgens-- mittags-- des Abends), zum anderen in sozialer Hinsicht (König-- Bauer-- Bettler). Correctio: Entgegensetzung von Texteinheiten durch Selbstkorrektur des Textproduzenten. Als Beispiel ein Szenenauszug aus Goethes „Faust“. Bei dem Unterfangen, das Neue Testament ins Deutsche zu übertragen, bleibt Faust bereits an der ersten Textstelle hängen, sucht nach einem passenden Ausdruck und korrigiert sich mehrfach selbst (siehe Text 48). Die mehrstufige Correctio gibt eindrucksvoll einen Wortfindungsprozess wieder. Die in die Figur eingebundenen Wörter (Wort- - Sinn- - Kraft- - Tat) sind typographisch durch Sperrdruck hervorgehoben. Wir sehnen uns nach Offenbarung, Die nirgends würd’ger und schöner brennt Als in dem Neuen Testament. Mich drängt’s den Grundtext aufzuschlagen, Mit redlichem Gefühl einmal Das heilige Original In mein geliebtes Deutsch zu übertragen. Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an. Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wo r t! “ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wo r t so hoch unmöglich schätzen, ich muß es anders übersetzen, <?page no="160"?> 160 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: Im Anfang war der S i n n . Bedenke wohl die erste Zeile, Daß deine Feder sich nicht übereile! Ist es der S i n n , der alles wirkt und schafft? Es sollte stehn: Im Anfang war die K r a f t! Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat Und schreibe getrost: Im Anfang war die Ta t! Beispieltext 48: Drama (Szenenauszug) Johann Wolfgang Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil. 23. Aufl. Leipzig 1968: Philipp Reclam jun., 42. Zu den Formen der Entgegensetzung gehören ferner typographische Kontraste (zwischen Schriftgrößen, -arten, -farben, -stärken, -richtungen, -dimensionen), stilschichtliche Kontraste (z. B. zwischen einem gehoben- und einem umgangssprachlichen Stil) sowie Frage-Antwort-Strukturen in monologischen Texten: Wie groß ist die Macht des Schicksals tatsächlich? Und zürnen die Götter den Menschen noch immer? Vermutlich schon. Und vielleicht auch deswegen, weil die Menschen die Mythen nicht bezwingen. (Staatsoper. Das Magazin, Nr. 3 / 2015, 25 f.) Figuren der Entgegensetzung können kunstvoll kombiniert werden, auch mit Figuren anderen Typs. Als Beispiel für solcherart mikrostilistische Figurendichte eine Passage aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“: Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht. In den ersten beiden Verszeilen treffen Parallelismus und Antithese aufeinander. Die dritte und vierte Verszeile sind chiastisch und alle Verszeilen untereinander antimetabolisch figuriert. Die Antimetabole entsteht hier durch den Tausch der Satzgliedrolle Adverbialbestimmung (sind im Dunkeln-- sind im Licht) mit der Satzgliedteilrolle Attribut (die im Lichte-- die im Dunkeln). Formen der Entgegensetzung können sich ebenfalls makrostilistisch entfalten- - wie an unserem nächsten Beispieltext (Text 49) zu zeigen ist. <?page no="161"?> 161 3.2 Stilzüge Beispieltext 49: Umfrage (Auszug) Reader’s digest, Nr. 3 / 2015, 51. Das Textganze, im Rahmen einer international angelegten Umfrage zu nationalen Frühstücksgewohnheiten nur ein Teiltext, ist doppelt antithetisch strukturiert. Zum einen wird die Texthandlung BESCHREIBEN (vonseiten einer Korrespondentin) aufgespalten in ein Frühstücken außer Haus und ein Essen zu Hause. Zum anderen wird die Texthandlung BE- WERTEN (vonseiten einer Ernährungsexpertin) aufgespalten in ein positives Urteil (vgl. u. a. ungesättigte Fettsäuren wirken sich günstig auf den Fettstoffwechsel aus) und ein negatives Urteil (vgl. u. a. beim starken Erhitzen können gesundheitsschädliche chemische Verbindungen entstehen). Typographische Sonderzeichen (ein grünes Herz für ‚gut‘, ein rotes Kreuz für ‚schlecht‘) tragen zur Visualisierung der Antithetik bei. 3.2 Stilzüge 3.2.1 Stilzüge als Gegensatzpaare in der Tradition von Kunstgeschichte und Ästhetik Man kann des Stils eines Textes nicht habhaft werden, ohne Gestaltungszusammenhänge erfasst zu haben, in die sich stilistische Einzelheiten (Stilelemente) einordnen lassen. Die Kategorie Stilzug hat sich dabei als eine brauchbare Beschreibungsgröße erwiesen. Während Stilgestalten (siehe 2.3.1), darunter Fokussierungsformen (siehe 3.1), auch aus einer mikrostilistischen Struktur elementarer Einheiten bestehen können, sind Stilzüge per se Makroeinheiten. Der Begriff (nicht die Bezeichnung) Stilzug ist eng mit der Geschichte der Stilistik verknüpft (vgl. Hoffmann 1987b); er wird nicht nur auf den Stil konkreter Einzeltexte bezogen, <?page no="162"?> 162 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil sondern auch im Sinne von textgestalterischen Vorgaben (Normen, Prinzipien) und Wirkungen (Eindrücken) verwendet. Begriffsgeschichtlich ragen die von Wilhelm Schneider (1931) für die Stilbeschreibung poetischer Texte aufgestellten sprachästhetischen Ordnungsbegriffe heraus, die er Ausdruckswerte nennt und in einer Übersicht zusammenstellt (siehe Schaubild 6). Sein Konzept steht in der Tradition von Kunstgeschichte und Ästhetik. So waren Jahre zuvor z. B. „Kunstgeschichtliche Grundbegriffe“ in Form von Gegensatzpaaren veröffentlicht worden, gewonnen durch einen Vergleich von Werken der Renaissance mit Werken des Barock: Linear- - Malerisch; Flächenhaft- - Tiefenhaft; Offen- - Geschlossen; Einheitlich- - Vielheitlich; Klarheit-- Unklarheit / relative Klarheit (vgl. Wölfflin 1915). Tafel der Ausdruckswerte. I. Nach den Beziehungen der Worte zum Gegenstand der Aussage. 1. Beibehaltung der wirklichen Gegebenheit: Begrifflich - Sinnlich; Knapp - Breit; Klar - Dunkel; Abstand haltend - Andringlich. 2. Umformung der wirklichen Gegebenheit: a) Umformung des Maßes: Mindernd - Steigernd. b) Umformung des Wertes: Bestimmt - Flau; Ruhig - Bewegt; Sachdienlich - Spielerisch; Hoch - Niedrig; Schlicht - Ausgestattet. II . Nach den Beziehungen der Worte zueinander: Spannungsarm - Spannungsreich; Plastisch - Musikalisch; Glatt - Rauh; Einhellig - Vielhellig. III . Nach den Beziehungen der Worte zur gesamten Sprache: Gesprochen - Geschrieben; Formelhaft - Eigen. IV . Nach den Beziehungen der Worte zum Verfasser: Objektiv - Subjektiv. Schaubild 6: Tafel der Ausdruckswerte (Schneider 1931, 21, Neusatz) Mit Schneiders Konzept verbindet sich der Anspruch, Gleichwertiges für die Literaturwissenschaft zu erschaffen. Das Konzept hat vom Ansatz her noch heute Bestand und Orientierungswert, da sich die Ausdruckswerte, die ebenfalls Gegensatzpaare bilden, in ein kommunikativ angelegtes System einfügen. Aus heutiger Sicht stellen sich die Ausdruckswerte als stilistische Textbedeutungen dar. Sie repräsentieren den Bedeutungsaspekt von Stilzügen als makrostilistischen Textzeichen. Für die Systematisierung der Ausdruckswerte, die an die Stelle bisheriger, unbefriedigender Sammelsurien beliebig erscheinender Stilkennzeichnungen treten, verwendet Wilhelm Schneider verschiedene Beziehungsrichtungen, in denen der Text <?page no="163"?> 163 3.2 Stilzüge und seine Einheiten (Schneider: Worte) stehen. Ausdruckswerte-- so seine Überlegungen-- lassen sich ableiten aus der Beziehung von Texteinheiten ▶ zum Gegenstand der Aussage (z. B. Begrifflich-- Sinnlich); ▶ zu anderen Texteinheiten (z. B. Spannungsarm-- Spannungsreich); ▶ zur gesamten Sprache (z. B. Formelhaft-- Eigen) und ▶ zum Verfasser, d. h. Schriftsteller (Objektiv-- Subjektiv). In Schneiders System ist auch eine Beziehung der Texteinheiten zum Leser vorgesehen, doch er führt keine passenden Ausdruckswerte hierzu an, räumt lediglich ein: „Man könnte-[…] einen auf Wirkung ausgehenden, auf den Leser eingestellten Stil von einem Stil unterscheiden, der in keinerlei Weise durch die Rücksicht auf den Leser bestimmt ist.“ (Schneider 1931: 20) Die Gruppierung von Ausdruckswerten nach mehreren Beziehungsrichtungen ist aus heutiger Sicht ein Vorläufer der stiltheoretischen Erkenntnis „Stil ist relational! “ (Sandig 2001), auf die wir im Abschnitt 2.4.1 eingegangen sind. Mögliche Einwände gegen das System der Ausdruckswerte werden von Wilhelm Schneider selbst entkräftet: 1. Er wehrt sich gegen das Anlegen streng logischer Maßstäbe an seine Systematik. Ausdruckswerte müssten in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Gefordert werden dürfe demnach nicht, dass die Begriffe streng voneinander abgegrenzt sind. (Ebd.: 13) 2. Er sieht in der Zweipoligkeit seiner Begriffe ein Problem und weist auf das „Mißverhältnis zwischen dem starren Schema der Stilbegriffe und der lebendigen Wirklichkeit“ (ebd.: 14) hin. Es seien Graduierungen zu berücksichtigen, die durch einen Vergleich mit anderen Werken herausgearbeitet werden könnten. Ausdruckswerte seien keine absoluten, sondern relative Werte. 3. Er hält die Abstraktheit der Ausdruckswerte für unumgänglich, wenn sie eine flexible Anwendung gewährleisten sollen. Sein System sei ein „weitmaschiges Netz“, gleiche aber auch dem „Koordinatensystem eines Mathematikers“: „Man gewinnt mit ihm einen festen Punkt, der zu weiteren Bestimmungen dienen kann.“ (Ebd.: 24) Am Beispiel der Kennzeichnung „Breiter Stil“ heißt das z. B.: Stilistische Breite passt „für förmliche Umständlichkeit, für ungebundene Geschwätzigkeit, für rhetorische Eindringlichkeit, für Gefühlstrunkenheit“ (ebd.: 16) u. a. m. Die Ausdruckswerte erlauben nicht nur, dass sie weiter differenziert werden, sie können es auch erfordern. Im Folgenden sei am Gedicht „Sprache“ von Johannes Bobrowski (Text 50) demonstriert, wie das System der Ausdruckswerte bei der Ermittlung von Stilzügen behilflich sein kann. Wir übernehmen es geringfügig modifiziert. Eine Modifikation besteht darin, dass wir die in der „Tafel der Ausdruckswerte“ verzeichnete Bezugsgröße „Verfasser“ durch die Größe „literarisches Subjekt“ ersetzen. Wir tun dies, um der Eigengesetzlichkeit von Sprachkunstwerken (siehe 2.5.3) Rechnung zu tragen. <?page no="164"?> 164 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Sprache Der Baum größer als die Nacht mit dem Atem der Talseen mit dem Geflüster über der Stille Die Steine unter dem Fuß die leuchtenden Adern lange im Staub für ewig Sprache abgehetzt mit dem müden Mund auf dem endlosen Weg zum Hause des Nachbarn Beispieltext 50: Gedicht Johannes Bobrowski: Wetterzeichen. Berlin 1966: Union, 37. a) Stilzüge aus Beziehungen zwischen den Texteinheiten untereinander Spannungsarm- - Spannungsreich: Im System der Schneider’schen Ausdruckswerte ist ‚Spannung‘ an semantische Beziehungen zwischen syntaktischen Texteinheiten gebunden, ist also keine narrative oder dramaturgische Kategorie. Es geht aber auch bei semantisch-syntaktisch erzeugter Spannung um das einstweilige Vorenthalten von Informationen. Werden sie gänzlich vorenthalten, ist von rätselhaften Zeichenbeziehungen zu sprechen. Das Gedicht „Sprache“ ist von dieser Warte aus zweifellos spannungsreich gestaltet. Maßgebend für diesen Befund sind zum einen semantisch inkompatible, zum anderen widersprüchliche Verse und Verszeilenbeziehungen. Als semantisch inkompatibel stellt sich die Verknüpfung von räumlicher und zeitlicher Ausdehnung (Baum-- größer als die Nacht) sowie von unbegrenzter und zugleich engbegrenzter Entfernung (endloser Weg-- zum Hause des Nachbarn) heraus. Widersprüchlich erscheint insbesondere das in der ersten Strophe behauptete Entspanntsein des Atmens (mit dem Atem der Talseen) und das in der dritten Strophe dagegengesetzte Erschöpftsein, das mit Atemnot einhergeht (abgehetzt). In der zweiten Strophe widersprechen sich die Zeitangaben lange (‚zeitlich begrenzt‘) und ewig (‚zeitlich unbegrenzt‘), die unmittelbar aufeinanderfolgen. Plastisch- - Musikalisch: Bei diesem Gegensatzpaar, das eigentlich keinen echten Gegensatz bildet, kommen Parallelen der Sprachkunst mit zwei anderen Künsten in das Blickfeld: Ähnlichkeiten zwischen Dichtung und Malerei, zwischen Dichtung und Musik. Plastischer <?page no="165"?> 165 3.2 Stilzüge Stil entsteht, wenn mit Sprache ein einheitliches, in sich ruhendes und abgerundetes Bild erzeugt wird (vgl. Schneider 1931: 189). Dem Gedicht „Sprache“ fehlt es an Plastizität-- die Bilder in den drei Strophen lassen keine Gesamtvorstellung aus den aufgeführten Einzelheiten entstehen. Musikalischer Stil ist im Grunde jeder Versdichtung eigen; er wird erzeugt durch Reim und Rhythmus sowie durch Strophen- und Verszeilengliederung (ebd.: 197). Musikalität wird im Gedicht auf spezielle Weise erzeugt: Wir registrieren eine von Regelmäßigkeit geprägte Zunahme (Kreszenz) und Abnahme (Dekreszenz) der Verszeilenlängen, wobei die dritte Strophe sich von den beiden anderen deutlich unterscheidet, insofern als sie durchweg kreszent angelegt ist. Kreszenz und Dekreszenz lassen sich musikalisch deuten: als ein allmähliches An- und Abschwellen der Stärke von Tonfolgen. Glatt- - Rau(h): Stilistische Glätte stellt sich u. a. her durch finite Verben als Bindeglieder zwischen Satzkonstituenten sowie durch Konjunktionen als Bindeglieder zwischen Wörtern und Sätzen. Dem Gedicht „Sprache“ den Stilzug Rauheit zuzuweisen gründet sich auf die registrierte Auslassung sämtlicher finiter Verben und konjunktionaler Verknüpfungen zwischen den Verszeilen. In den Gestaltungszusammenhang Rauheit ordnet sich außerdem ein, dass die Texteinheiten nicht metrisch gebunden, sondern freirhythmisch gestaltet sind und dass der Textverlauf auf Grund der relativ kurzen Verszeilen und der durch sie bewirkten Fülle an Pausen eher als stockend denn als fließend zu kennzeichnen ist. Hinzu kommt die Reimlosigkeit des Gedichts. b) Stilzüge aus Beziehungen zwischen Texteinheiten und thematisiertem Gegenstand Begrifflich- - Sinnlich: Dieses Gegensatzpaar erfasst im Grunde das Verhältnis von Abstraktheit und Konkretheit bei der Darstellung eines Gegenstands. Sinnlichkeit stellt sich im Gedicht „Sprache“ her über den hochfrequenten Gebrauch von Konkreta unter den Substantiven (Baum-- Talseen-- Steine-- Fuß-- Adern usw.), die nahezu einheitliche Verwendung des definiten Artikels (Ausnahme: das artikellose Titelwort Sprache) sowie einen Reichtum an sprachlichen Bildern, auch in der Form eines bildlichen Vergleichs (größer als die Nacht). Das Abstraktum Sprache wird in eine Textwelt versetzt, die von vielen einzelnen Sinneswahrnehmungen (Nacht-- Geflüster-- Stille-- leuchtend) und menschlichen Befindlichkeiten (abgehetzt-- müde) geprägt ist. Knapp-- Breit: Der Stilzug Knappheit lässt sich in Bobrowskis Gedicht festmachen an syntaktisch äußerst sparsamen Ausführungen zum Titel- und Themawort Sprache. Wortgruppen treten an die Stelle ausgeformter Sätze. Die syntaktische Vervollständigung und Relationierung der Verszeilen ist von den Rezipienten zu leisten. Klar-- Dunkel: Klar ist ein Stil dann, wenn er nichts beim Rezipienten voraussetzt, was nicht vorausgesetzt werden kann, wenn er nichts verschweigt, verschleiert oder nur andeutet, was zum Verständnis nötig ist (vgl. Schneider 1931: 67). Zunächst ist festzustellen, dass die Knappheit des Gedichts seiner Klarheit im Weg steht, denn die Relationen zwischen dem Titel- und Themawort Sprache und Texteinheiten wie Baum, Steine oder Adern sind semantisch offen, verschieden deutbar: z. B. prädikativ (‚Sprache ist ein Baum‘), komparativ (‚Sprache ist wie <?page no="166"?> 166 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil ein Baum‘) oder attributiv (‚der Baum der Sprache‘; ‚die Sprache des Baums‘). In den Gestaltungszusammenhang Dunkelheit gehört des Weiteren der durchgängige Verzicht auf die syntaktische Eingrenzung der Texteinheiten, erkennbar an der Auslassung von Interpunktionszeichen, es fehlt sogar ein das Gedicht abschließender Punkt. Für Dunkelheit sorgen auch die bereits zum Stilzug Spannungsreich eruierten Inkompatibilitäten und Widersprüchlichkeiten. Auch hatten wir bereits einen Reichtum an sprachlichen Bildern registriert, doch die Vergleichsbasis erschließt sich uns nicht. Der Stilzug Dunkelheit basiert nicht zuletzt auf dunkler Bildlichkeit. Andringlich- - Abstand haltend: Dieses Gegensatzpaar erfasst den Unterschied zwischen stilistisch erzeugter Nähe und Ferne. Der Gegenstand eines Textes kann dem Rezipienten nahegebracht werden (z. B. durch Vergegenwärtigung); es kann aber auch eine Fern-, sprich Distanzbeziehung zwischen Gegenstand und Rezipient hergestellt werden (z. B. durch Versinnbildlichung). Bei unserem Gedicht steht außer Zweifel: Thematisch wichtige Wortschatzeinheiten werden nicht in ihrer usuellen Bedeutung verwendet. Eine Welt, die uns vertraut vorkommt, durch eine Vielzahl an Konkreta nah erscheint, wird von einer zweiten Welt, die fern liegt, überlagert. Diese Interferenz ist es, die einen Abstand haltenden Stil konstituiert. Bei einigen weiteren stilistischen Alternativen fällt die Entscheidung schwerer, so im Falle von Mindernd und Steigernd sowie von Ruhig und Bewegt. Das Gedicht sperrt sich hier gegen ein einfaches Entweder-- Oder; es lebt offenbar auch von Kontrasten. Mindernd-- Steigernd: Folgt man dem Hinweis, dass der Ausdehnung eines Begriffs zum Unbegrenzten, ausnahmslos Gültigen hin der Ausdruckswert Steigernd innewohnt (vgl. Schneider 1931: 121), wird man einerseits die Artikellosigkeit des Substantivs Sprache, andererseits die semantisch bedingte Nichtkomparierbarkeit von Adjektiven wie ewig und endlos als Indikatoren eines steigernden Stils ansehen. Zudem erbringt das Inferieren (Ergänzen) fehlender finiter Verben, dass diese wohl in der Tempusform des generellen (allgemeingültigen) Präsens einzufügen wären: Der Baum [ist] größer als die Nacht-- Die Steine [sind] unter dem Fuß usw. Nicht zu übersehen ist jedoch die Dominanz des definiten Artikels, die die Allgemeingültigkeit des Gesagten einschränkt, d. h. mindert. Ruhig-- Bewegt: Wortzeichen können sich semantisch darin unterscheiden, ob sie statische oder dynamische Objekte bezeichnen. Man denke z. B. an die Unterscheidung zwischen Zustands-, Vorgangs- und Handlungsverben. Auf das Gedicht „Sprache“ bezogen wird man erneut zwischen den einzelnen Strophen differenzieren müssen. Für die ersten beiden Strophen ist eher der Stilzug Statik kennzeichnend, für die dritte Strophe eher der Stilzug Dynamik. Statik beruht erstens auf dem Fehlen von Vorgangs- oder Handlungsverben, zweitens auf einer Reihe von Lokalangaben (über der Stille- - unter dem Fuß- - lange im Staub), drittens auf einer Serie substantivischer Textwörter, die unbelebte Objekte bezeichnen (Nacht-- Talseen-- Stille-- Steine-- Staub). Diese Serie findet zwar in der dritten Strophe eine gewisse Fortsetzung mit den Substantiven Weg und Haus, doch hier begegnet uns auch das dynamische infinite Verb abgehetzt (‚durch ständiges Antreiben erschöpft‘) in Verbindung <?page no="167"?> 167 3.2 Stilzüge mit Wortgruppen, die ‚Unerreichbarkeit‘ (auf dem endlosen Weg) eines ‚nahen Ziels‘ (zum Hause des Nachbarn) bezeichnen. Sachdienlich- - Spielerisch: Bei diesem Gegensatzpaar lautet die Alternativfrage: Dient der Stil der Darstellung einer Sache (sachdienlicher Stil), oder dient er einem Spiel mit der Sprache (spielerischer Stil)? Ansätze für Letzteres finden sich lediglich in den Alliterationen Stille- - Steine- - Staub und mit dem müden Mund. Ansonsten ist die Sprache des Gedichts keinem Spiel ausgesetzt. Die Entscheidung für den Stilzug Sachdienlichkeit lässt sich vor allem damit begründen, dass sprachlichen Bildern der Zweck zugeschrieben werden kann, den Begriff Sprache zu versinnlichen bzw. zu versinnbildlichen. Sachdienlichkeit darf nicht mit Sachbetontheit im Sinne von Objektivität verwechselt werden. Hoch-- Niedrig: Dieses Gegensatzpaar dient dazu zu entscheiden, ob der Stil einen gewöhnlichen (alltäglichen) oder außergewöhnlichen (nichtalltäglichen) Blick auf das in der Textwelt Dargestellte erkennen lässt. Man kann mit Sprache die Dinge alltäglich erscheinen lassen (niedriger Stil) oder veredeln (hoher Stil). Bobrowskis Gedicht zeichnet diesbezüglich ein hoher Stil aus, denn bereits die Zeichenbeziehungen zwischen dem Titelwort Sprache und den stropheneinleitenden Wörtern Baum und Steine sind außergewöhnlich. Schlicht- - Ausgestattet: Mit diesem Gegensatzpaar wird der Blick gelenkt auf den Unterschied zwischen einem schmucklosen und einem ausschmückenden Stil. Obwohl Bobrowskis Gedicht reich an sprachlichen Bildern ist, was als Indikator des Stilzugs Ausgestattetheit angesehen werden könnte, fällt die Entscheidung zugunsten von Schlichtheit aus. Keines der sparsam gesetzten Wörter erscheint weglassbar; kein einziges Wort ist somit lediglich schmückendes Beiwerk. c) Stilzüge aus Beziehungen zwischen Texteinheiten und literarischem Textsubjekt Die Frage, die nun gestellt werden soll, lautet, ob und wie sich in der poetischen Textwelt ein literarisches Textsubjekt (Schneiders „Schriftsteller“) artikuliert. Die „Tafel der Ausdruckswerte“ bietet hierzu nur das Gegensatzpaar Objektiv- - Subjektiv an; hierher gehört aber zweifellos auch das Paar Bestimmt-- Flau, das sich im System der Ausdruckswerte aus der Beziehung zwischen Einheiten des Textes und dem thematisierten Gegenstand ableitet. Objektiv-- Subjektiv: Die Entscheidung ist bei diesem Gegensatzpaar davon abhängig, ob man einem literarischen Textsubjekt Rang und Stimme zuerkennen kann. Betrachtet man das Gedicht „Sprache“ daraufhin, wird man eine die Gegenstandsdarstellung prägende Subjektivität nicht an der expliziten Artikulation eines lyrischen Subjekts (z. B. in Form von Interjektionen oder Ausrufesätzen) festmachen können, wohl aber an der Art der Gegenstandsdarstellung, die durchgängig impressional angelegt ist. Bildkräftige Impressionen durchziehen den Text. Das lyrische Subjekt bleibt dabei im Hintergrund. Bestimmt-- Flau: Mit Hilfe dieses Gegensatzpaares wird erfassbar, ob das literarische Textsubjekt Gewissheit und Selbstsicherheit vermittelt (bestimmter Stil) oder eher Zweifel, Be- <?page no="168"?> 168 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil denken, Unschlüssigkeit artikuliert (flauer Stil). Das lyrische Subjekt des Gedichts „Sprache“ vermeidet sämtliche Mittel einschränkender Modalisierung, die als Zeichen von Unsicherheit oder Zögerlichkeit interpretierbar wären, und verleiht seinen Äußerungen auf diese Weise Bestimmtheit. d) Stilzüge aus Beziehungen zwischen Texteinheiten und der gesamten Sprache Gesprochen- - Geschrieben: Bei Orientierung an diesen beiden Ausdruckswerten fällt die Entscheidung zugunsten von Gesprochen aus. Die Nähe vieler lyrischer Texte zur gesprochenen Sprache, nicht zu verstehen als Rezitiersprache, sondern als Sprechsprache (spontane gesprochene Sprache), ist im Gedicht „Sprache“ wahrnehmbar gemacht durch den freien Rhythmus, die Fülle an Pausen, die elliptischen Strukturen, die Kürze der verszeilig gegliederten syntaktischen Einheiten, die ohne Zeilen- und Strophensprung (Ausnahme: mit dem Geflüster über / der Stille) aneinandergereiht sind. Mit der Erkenntnis, dass gesprochene Sprache in Schrifttexten imitierbar ist, dass der Stil wie lebendige Rede anmuten kann, nimmt Wilhelm Schneider vorweg, was Jahrzehnte später mit der Unterscheidung zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit theoretisch fundiert wird (siehe 2.5.2.5). Formelhaft-- Eigen: Einem formelhaften (klischeehaften) Stil, wie er z. B. die Trivialliteratur prägt, steht ein eigenheitlicher (individueller, schöpferischer) Stil gegenüber. Bei der Analyse des Gedichts „Sprache“ macht man die Entdeckung, dass es nicht die sprachlichen Zeichen sind, die als neuartig erscheinen, sondern die Sprachzeichenbeziehungen. Der gesamte Wortbestand könnte einem Lexikon des Alltagswortschatzes entnommen sein (Ausnahme: das Kompositum Talseen), doch die hergestellten Zeichenbeziehungen entsprechen gerade nicht dem Alltagswissen, zumal sie sich als semantisch offen erweisen. Mit dieser Feststellung haben wir uns eigentlich erneut in den Bereich der Relationen, die die Texteinheiten untereinander eingehen, hineinbegeben, der am Anfang der Analyse stand. Die Beziehungsrichtungen können sich-- wie man sieht-- überkreuzen. Es gibt aber noch einen anderen Grund, zum Ausgangspunkt zurückzukehren. In der „Tafel der Ausdruckswerte“ ist ein Gegensatzpaar verzeichnet, das noch nicht zu Ordnungsbegriffen der Analyse gemacht worden ist: das Paar Einhellig vs. Vielhellig. e) Zum Gegensatzpaar Einhellig - Vielhellig Anhand dieses Gegensatzpaares ist zu entscheiden, ob die Stilzüge (Ausdruckswerte) zueinander passen oder einander zuwiderlaufen. Es handelt sich letztlich um den ästhetischen Gegensatz zwischen Harmonie und Disharmonie. Prüfend, ob das Gedicht „Sprache“ eine entsprechende Kennzeichnung hierzu ermöglicht, stützen wir uns zunächst auf diejenigen Analyseergebnisse, die in der Registrierung von Regelmäßigkeiten bestehen, denn sie sind Indikator eines harmonischen Stils. Erinnert sei u. a. an den durchgängig obwaltenden freien Rhythmus, an die sprachlichen Bilder, die jeder Strophe ihr Gepräge geben, an die syntaktisch sparsame Sprache sowie an die außergewöhnlichen Zeichenbeziehungen. Noch unerwähnt <?page no="169"?> 169 3.2 Stilzüge geblieben ist die Regelmäßigkeit (Einheitlichkeit) des Strophenbaus: Jede Strophe umfasst fünf Zeilen und führt mit einem die erste Zeile füllenden Substantiv ein Bezugsobjekt für die nachfolgenden Aussagen ein. Wir dürfen bei unserer Entscheidung aber auch die registrierten Unregelmäßigkeiten nicht außer Acht lassen, z. B. die Brüche in Form von semantisch inkompatiblen und widersprüchlichen Zeichenverknüpfungen. Zu erinnern ist auch an die Sonderrolle der dritten Strophe, die nicht zuletzt daran sichtbar wird, dass nur sie das Titel- und Themawort Sprache einleitend wieder aufnimmt. Diese Kookkurrenz von Regel- und Unregelmäßigkeiten ist auch im Gefüge der Stilzüge zu finden. Es gibt Stilzüge, die einander bedingen, wie Sinnlichkeit und Subjektivität. Andere passen gut zusammen, wie Rauheit und Dunkelheit. Wieder andere kontrastieren miteinander, wie Statik und Dynamik, oder scheinen sich zu „beißen“, wie Sinnlichkeit und Distanziertheit (Abstand haltend). Derlei Uneinheitlichkeit fügt sich aber gut in den Gestaltungszusammenhang Spannungsreichtum ein; sie ist nicht als Indikator eines vielhelligen (disharmonischen) Stils anzusehen. f) Zum poetisch-ästhetischen Sinn des Gedichts Will man die Frage nach dem ästhetischen Sinn des Gedichts beantworten, empfiehlt es sich, zunächst die dunklen Sprachbilder zu entschlüsseln, d. h. die zweite, fernliegende Welt, von der die Rede war, zu erschließen. Das Gedicht muss in seiner Sinnbildlichkeit (Symbolhaftigkeit) erfasst werden. Wir greifen zu diesem Zweck auf geeignete Nachschlagewerke, z. B. Lexika alter Symbole (vgl. Cooper 1988) zurück und stellen verschiedene Deutungsmöglichkeiten sinnbildlicher Zeichen in einer Tabelle zusammen. Wortzeichen Möglichkeiten sinnbildlicher Deutung Baum ‚dynamisches Leben’ / ‚Synthese von Himmel, Erde und Wasser’ Nacht ‚Chaos’ / ‚Tod’ / ‚Zerstörung’ Atem ‚Leben’ / ‚Seele’ / ‚lebensspendende Macht’ Stein ‚statisches Leben’ / ‚Stabilität’ / ‚Unvergänglichkeit’ / ‚innerer Zusammenhalt’ Fuß ‚Dienstbereitschaft’ / ‚Bewegungsfreiheit’ Leuchten (Licht) ‚Wahrheit’ / ‚Erleuchtung’ / ‚Erkenntnis’ Adern ‚Schätze’ / ‚Stärke’ / ‚Energie’ Weg ‚Erlangung höherer Ebenen des Bewusstseins’ Haus ‚Weltzentrum’ / ‚Universum’ Tab. 17: Wortzeichen mit sinnbildlicher Bedeutung im Gedicht „Sprache“ (J. Bobrowski) Die Deutung der Symbolgehalte des Gedichts liefert Anhaltspunkte für die Erschließung des ästhetischen Sinns: Jede Strophe symbolisiert einen anderen Aspekt des thematisierten Gegenstands Sprache. In Strophe 1 erscheint Sprache als ein dynamischer, lebendiger, sich entwickelnder Organismus (Aspekt der Veränderlichkeit), in Strophe 2 als ein beständiges, unvergängliches Gebilde mit innerem Zusammenhalt, aber auch mit verborgenen und unent- <?page no="170"?> 170 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil deckten Werten (Aspekt der Stabilität), in Strophe 3 als ein universelles Instrument zwischenmenschlicher Verständigung, das Schaden nehmen kann durch Verschleiß, Inhaltsleere u. dgl. (Aspekt der Funktionalität). Das alles wird aber gerade so nicht gesagt, sondern ganz anders, eben poetisch. So ist ein originelles und stimmiges Gesamtbild entstanden, dessen Betrachtung ein phantasievolles Hineindenken in Positionen ermöglicht, deren poetische Artikulation auf einen sprachtheoretischen und sprachkritischen Anspruch verweist. 3.2.2 Stilzüge als Gegensatzpaare in einem mehrdimensionalen Stilfunktionsmodell Mit dem System der Ausdruckswerte (siehe 3.2.1) war bezweckt worden, den Stilanalysen poetischer Texte Wissenschaftlichkeit zu verleihen. Das System sollte dabei behilflich sein, „von der Wiedergabe bloß subjektiver Empfindungen wegzurücken und sich objektiv gültigen Urteilen möglichst zu nähern“ (Schneider 1931: 10). Der Maßstab der Wissenschaftlichkeit ist auch an Stilanalysen pragmatischer Texte anzulegen. Die Kennzeichnungen müssen überprüfbar sein. Es überrascht nicht sonderlich, dass es auch bei pragmatischen Texten möglich ist, mit Gegensatzpaaren als Orientierungsgrößen zu arbeiten. Man denke an stilistische Gegensätze, die im Rahmen eines Textsortenvergleichs zutage treten: an die Knappheit eines Werbeplakats (siehe Text 39) im Unterschied zur Breite eines Werbebriefs (siehe u. a. Text 41), an die Objektivität eines Medienberichts (siehe u. a. Text 11) im Unterschied zur Subjektivität einer Glosse (siehe Text 16), an die Formelhaftigkeit eines Amtseids (siehe Text 21) im Unterschied zur Individualität einer Laudatio (siehe Text 46). Doch auch pragmatische Texte weisen i. d. R. nicht nur einen, sondern mehrere Stilzüge auf. Lassen sie sich auf ähnliche Weise ermitteln wie in der poetischen Textkommunikation? Anzuknüpfen ist an die Erkenntnis, dass jegliches Gestalten ein einstellungsbekundender Akt ist (siehe DISKUSSION zu 2.5.2). In der pragmatischen Textkommunikation positionieren sich Textproduzenten qua Stil zu verschiedenen Erfordernissen bzw. Optionen textkommunikativen Handelns. Sie bekunden Einstellungen (Haltungen) zu verschiedenen Handlungsaspekten. In Betracht zu ziehen sind Einstellungen zu den ▶ kommunikativen Normen und Möglichkeiten der Vertextung von Sachverhalten; ▶ thematisierten Sachverhalten selbst; ▶ Kommunikationspartnern bzw. Adressaten; ▶ Kodes (Mustern) der Textkommunikation; ▶ Möglichkeiten der ästhetischen Organisation von Texteinheiten. Es liegt nun nahe, Stilzüge als einstellungsbekundende Textzeichen aufzufassen-- als Textzeichen, deren Funktion es ist, auf Einstellungen eines bestimmten Typs zu verweisen. Ihre systematische Erfassung wird möglich, wenn man ein Modell zugrunde legt, das Parallelen zu den Beziehungsrichtungen Wilhelm Schneiders (siehe 3.2.1) aufweist. Von Ulf Abraham wurde seinerzeit (1996: 231-258) ein vierdimensionales Stilfunktionsmodell vorgestellt, das die Zeichenfunktionsmodelle von Karl Bühler und Roman Jakobson zum Vorbild hat. Wir erweitern es um eine fünfte Dimension und unterscheiden darstellungs-, ausdrucks-, appell-, kodierungs- und formatierungsfunktionale Stilzüge, denen wir- - der Tradition folgend- - <?page no="171"?> 171 3.2 Stilzüge Stilzüge in Form von Gegensatzpaaren zuordnen (siehe Tab. 18). Es handelt sich auch bei unserer Klassifikation um ein offenes System, in dem sich einige Ordnungsbegriffe aus der „Tafel der Ausdruckswerte“ (siehe Schaubild 6) wiederfinden, teilweise in modifizierter Form. Funktionale Stilzugklassen Stilzüge in Form von Gegensatzpaaren Darstellungsfunktionale Stilzüge Knapp - Breit Statisch - Dynamisch Begrifflich - Sinnlich Klar - Dunkel Genau - Vage Schlicht - Dekoriert Mindernd - Steigernd Ausdrucksfunktionale Stilzüge Objektiv - Subjektiv Ernst - Unernst Bestimmt - Einschränkend Feierlich - Alltäglich Appellfunktionale Stilzüge Andringlich - Abstandswahrend Eindringlich - Distanziert Unterhaltsam - Seriös Kodierungsfunktionale Stilzüge Konventionell - Originell Formelhaft - Individuell Ungezwungen - Konzentriert Formatierungsfunktionale Stilzüge Spannungsreich - Spannungsarm Kontrastreich - Kontrastarm Formenstreng - Aufgelockert Glatt - Rau Gegliedert - Ungegliedert Einheitlich - Brüchig Tab. 18: Funktional klassifizierte Stilzüge Wir erproben unsere Klassifikation an einem Vorwort zu einem populärwissenschaftlichen Sachbuch über Sprache. Es gibt Tausende von Sachbüchern über Autos und Essen, Garten und Geigen, Pyramiden und Moden - aber kein einziges über die Sprache und das, was Menschen alles mit ihr tun. Warum? Ist die Sprache und das sprachliche Verhalten von Menschen etwa nicht wichtig genug? Das kann ja wohl nicht der Fall sein: Beim Flirt und vor Gericht, beim Verkaufen und im Wahlkampf, beim Taufen und im Unterricht läuft ohne Sprache (fast) nichts. Ist das sprachliche Verhalten vielleicht zu problemlos, um groß darüber nachzudenken und zu lesen? Das wohl kaum. Denn tagtäglich gibt es für jeden Situationen, wo mit der Sprache etwas schief geht - Mißverständnisse, Unklarheiten, Doppeldeutigkeiten - und wo man sich über die Art, wie andere sprechen oder schreiben, wundert, ärgert, freut. Oder liegt es vielleicht daran, daß viele Menschen schon schlechte Erfahrungen mit der Sprache und dem Nachdenken über die Sprache gemacht haben: Rechtschreibfehler, ‚Aufsatzthema verfehlt‘, unverständliche Gedichte, ‚schlechter Stil‘? Ist die Sprache - vielleicht auch <?page no="172"?> 172 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil durch einen Deutschunterricht, der sich mehr um Fehler und Korrektheit gekümmert hat als um die Erkundung der vielen und spannenden Dinge, die man mit der Sprache tut - bereits ein ‚besetztes Gebiet‘, ein Feld von Niederlagen, von dem man sich lieber fernhält? Verwunderlich wäre das nicht; zumal es viele Bücher auf dem Markt gibt, die unsere Sprache nur unter diesem Gesichtspunkt von ‚Fehlermachen - Fehlervermeiden‘ zum Thema machen: Rechtschreiblexika, Stil-Lehren, ‚Mustersammlungen‘ für Reden, Briefe und viele mehr. Ein solches Buch - ein ‚Fehlervermeidungsbuch’ − haben wir ausdrücklich nicht gemacht! Was steht denn nun in diesem Buch? Vieles: viele alltägliche (und nicht ganz alltägliche) Situationen, wo Sprache eine Rolle spielt; dabei oft auch Situationen, wo etwas mit der Sprache schief läuft. […] Und was hat man davon? Einiges (das kann jeder sagen! ) (stimmt aber! ! ) […] Wie ist dieses Buch aufgebaut? Das Buch hat 36 Kapitel; jedes Kapitel besteht aus Abschnitten, die 1 oder 2 Seiten lang sind. […] Was sind denn das für Leute, die dieses Buch geschrieben haben? Wir arbeiten an verschiedenen Hochschulen - sowohl in der Lehrerausbildung als auch in der Erwachsenenbildung. Der Arbeitsschwerpunkt, der uns allen gemeinsam ist, ist Sprachwissenschaft; dazu kommen bei den einzelnen von uns noch Literaturwissenschaft, Kommunikationstheorie, Kunstwissenschaft, Psychologie. […] Und wer soll dieses Buch lesen? Alle (ha, ha! ) Im Ernst: Eigentlich geht das, worüber wir schreiben, alle an (während ein Hobby wie das Briefmarkensammeln nur einen Teil der Menschen angeht). […] So - und wie fängt man nun an? In Ruhe im Inhaltsverzeichnis blättern und von einer der Abschnittsüberschriften her anfangen. Oder: im Register ein Stichwort aufstöbern, das einen interessiert, und von seiner Fundstelle her lesen. Oder: einfach irgendwo aufschlagen und mal gucken, wie das Buch so ist (vielleicht gibt dann ‚ein Wort das andere‘). Viel Spaß! Beispieltext 51: Vorwort (gekürzt) Wolfgang Boettcher, Wolfgang Herrlitz, Ernst Nündel, Bernd Switalla: Sprache. Das Buch, das alles über Sprache sagt. Braunschweig 1983: Westermann, 9-11. a) Darstellungsfunktionale Stilzüge Mit darstellungsfunktionalen Stilzügen positioniert sich ein Textproduzent in Relation zu den kommunikativen Normen und Möglichkeiten der Vertextung von Sachverhalten (Themenausdehnung, -konkretisierung, -strukturierung usw.). Er gibt mittels Stil zu erkennen, <?page no="173"?> 173 3.2 Stilzüge welchen Grad an Ausführlichkeit, Konkretheit, Strukturiertheit usw. er für angemessen bzw. zweckmäßig hält. Wir gehen auswählend auf folgende Stilzüge ein: Breite: Stilprägend für den Beispieltext ist eine Fülle von Aufzählungen. Die Aufzählungsglieder sind paarweise geordnet-- wie im ersten und zweiten Absatz (Autos und Essen, Garten und Geigen, Pyramiden und Moden; beim Flirt und vor Gericht, beim Verkaufen und im Wahlkampf, beim Taufen und im Unterricht) oder asyndetisch gereiht-- wie im dritten und vierten Absatz (Mißverständnisse, Unklarheiten, Doppeldeutigkeiten; Rechtschreibfehler, ‚Aufsatzthema verfehlt‘, unverständliche Gedichte, ‚schlechter Stil‘). Statik: Wir registrieren ein Vorherrschen von Zustandsverben (z. B. sein; liegen; stehen; haben ‚umfassen‘; bestehen; angehen ‚betreffen‘), darüber hinaus die unpersönliche Konstruktion es gibt, die dreimal vorkommt, und eine Verbform im Zustandspassiv (ist aufgebaut). Erst im letzten Abschnitt erweisen sich infinite Handlungsverben (blättern; anfangen; aufstöbern; aufschlagen; gucken) als dynamisierend. Begrifflichkeit: Im Beispieltext dominieren die Abstrakta unter den Substantiven (z. B. Sprache; Verhalten; Erfahrungen; Nachdenken; Korrektheit; Gesichtspunkt; Arbeitsschwerpunkt). Wesentlich sind außerdem mehrfach hergestellte begriffliche Über- und Unterordnungen. Den einzelnen Aufzählungsgliedern (siehe Stilzug Breite) werden Oberbegriffe (Sachbücher; Verhalten; Situationen; Erfahrungen) vorangestellt (siehe etwa Situationen als Oberbegriff und Mißverständnisse, Unklarheiten, Doppeldeutigkeiten als Unterbegriffe). Solche begrifflichen Hierarchien sind nicht im Sprachsystem (als Hyperonym-Hyponym-Relationen) angelegt-- sie werden im Text okkasionell aufgebaut. b) Ausdrucksfunktionale Stilzüge Mit ausdrucksfunktionalen Stilzügen positioniert sich ein Textproduzent in Relation zu den thematisierten Sachverhalten, zu seinem kommunikativen Anliegen und zu seiner Rolle in der Kommunikation. Er bringt mittels Stil u. a. zum Ausdruck, ob er persönliche, individuelle Sichtweisen für kommunikativ angemessen hält oder nicht, ob ihn der Sachverhalt emotional berührt oder nicht. Der Beispieltext lässt diesbezüglich v. a. folgende Stilzüge erkennen: Subjektivität: Im Gedicht „Sprache“ (siehe Text 50) tritt Subjektivität in der Wiedergabe bildkräftiger Impressionen hervor. Hier nun zeigt sie sich im Bekunden von ‚Verwunderung‘ darüber, dass es bislang kein populärwissenschaftliches Sachbuch über Sprache gibt, und im Ausloten von Gründen für dieses Defizit. Konstituiert wird der Stilzug durch Elemente eines bewertenden Stils: bewertende Adjektive (wichtig; problemlos; schlecht; unverständlich; spannend u. a.), bewertende Verben (schiefgehen; schieflaufen-- im Text orthographisch fehlerhaft getrennt geschrieben), bewertende Substantive (Mißverständnisse; Unklarheiten; Korrektheit; Niederlagen u. a.). Subjektivität manifestiert sich auch in der rund eingeklammerten Lachpartikel haha (im Text ha, ha), die aber nur eine Randerscheinung und allein nicht in der Lage ist, den Stilzug Unernst zu konstituieren. <?page no="174"?> 174 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Bestimmtheit: Der Beispieltext enthält zwar einige Elemente einschränkender Modalisierung wie die Abtönungspartikel wohl (Das kann ja wohl nicht der Fall sein.), auch in Kombination mit dem Modalwort kaum (Das wohl kaum.), und das Modalwort vielleicht (Oder liegt es vielleicht daran, daß-…), dennoch ist für das Stilganze der Stilzug Bestimmtheit prägend. Wir stützen uns dabei auf die Dominanz von Äußerungen, die in der Modalität des Unstrittigen formuliert sind. Man beachte auch den Satz Ein solches Buch-- ein ‚Fehlervermeidungsbuch‘-- haben wir ausdrücklich nicht gemacht! , der das Nachdruckadjektiv ausdrücklich enthält und an dessen Ende ein intensivierendes Ausrufezeichen steht. c) Appellfunktionale Stilzüge Mit appellfunktionalen Stilzügen positioniert sich ein Textproduzent in Relation zu den Kommunikationspartnern bzw. Adressaten. Er gibt mittels Stil zu erkennen, mit welcher Intensität und Offenheit er auf sie einwirken will, ob und wie er sie interaktiv einzubinden gedenkt, in welchem Maße er auf Unterhaltsamkeit bedacht ist. Appellfunktional trifft auf den Beispieltext augenscheinlich nur der Stilzug Andringlichkeit zu. Andringlichkeit: Entscheidend für diesen Stilzug ist beispieltextbezogen erstens, dass die Beweggründe für das Schreiben eines Sachbuchs über Sprache mit der Lebenswelt der Adressaten verknüpft werden. Der Text ruft lebensweltlich vertraute Szenen vor Augen, und zwar mit substantivischen Ereigniswörtern (Flirt; Verkaufen; Wahlkampf; Taufen; Unterricht; Briefmarkensammeln). Auch knüpft er an negative Erfahrungen der Adressaten beim Erwerb von Sprachkompetenz an, und zwar mit bewertenden Texteinheiten, die in den Frame ‚Deutschunterricht‘ passen (Rechtschreibfehler; ‚Aufsatzthema verfehlt‘; unverständliche Gedichte; ‚schlechter Stil‘). Entscheidend für Andringlichkeit ist zweitens, dass der Text eine Vielzahl von Fragen aufwirft, darunter rhetorische Fragen. Zunächst sind es rhetorische Entscheidungsfragen, die den Leser in die Darlegung von Beweggründen für das Schreiben des Buches einbeziehen (z. B. Ist [sic! ] die Sprache und das sprachliche Verhalten von Menschen etwa nicht wichtig genug? ). Dann sind es Ergänzungsfragen, die dem Leser eine Orientierung für die Benutzung des Buches geben (z. B. Was steht denn nun in diesem Buch? ). d) Kodierungsfunktionale Stilzüge Mit kodierungsfunktionalen Stilzügen positioniert sich ein Textproduzent in Relation zu den Kodes (Mustern) der Textkommunikation und in diesem Rahmen auch zur Nutzung von Gestaltungsressourcen. Er gibt mittels Stil zu erkennen, welches Gewicht er der Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten und -spielräumen sowie der Kreierung von Gestaltungsweisen und -mitteln beimisst. Auf den Beispieltext treffen die Stilzüge Konventionalität und Konzentriertheit zu. Konventionalität: Ausschlaggebend ist zum einen, dass die thematischen Vorgaben des Textmusters Vorwort ausnahmslos befolgt werden. Der Text gibt Antworten auf nahezu alle vorworttypischen W-Fragen: Wozu wurde das Buch geschrieben? Was ist der Inhalt des <?page no="175"?> 175 3.2 Stilzüge Buches? Wer hat das Buch verfasst? Worin besteht der Nutzen des Buches? Wie ist das Buch aufgebaut? Für wen wurde das Buch geschrieben? Ausschlaggebend ist zum anderen, dass der Sprachstil weder Wortspiele noch originelle Wortschöpfungen erkennen lässt, sodass auch er als konventionell zu kennzeichnen ist. Konzentriertheit: Dieser Stilzug lässt sich vor allem an den mehrfach zusammengesetzten Sätzen nachweisen, deren Konstruktion ein hohes Maß an Konzentration erfordert. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch die von paarigen Gedankenstrichen eingeschlossenen Parenthesen (syntaktischen Einschübe), die zur Unterbrechung einzelner Konstruktionen führen. Ein besonders hohes Maß an Konzentration ist an einer überlangen Parenthese, bestehend aus 29 Wörtern, ablesbar (siehe zweite Frage des vierten Absatzes). e) Formatierungsfunktionale Stilzüge ‚Formatierung‘ ist hier ein metaphorischer Terminus zur Bezeichnung der ästhetischen Zeichenfunktion (vgl. Abraham 1996: 250). Mit formatierungsfunktionalen Stilzügen gibt ein Textproduzent zu erkennen, wie er die Möglichkeiten der ästhetischen Organisation von Textelementen genutzt hat. Wahrnehmbar wird dies durch die Anordnung von Elementen auf der Textfläche, die Verbindung von Elementen zu einem Ganzen, die Abstufung von Elementen innerhalb eines Ganzen u. a. m. Einstellungsrelevant ist in dieser Stilfunktionsdimension auch die Kombination von Stilzügen im Text. Zur Stilcharakteristik des Beispieltextes gehören in formatierungsfunktionaler Hinsicht folgende Stilzüge: Kontrastreichtum: Der Text ist mit Kontrasten durchzogen. Ins Auge springt der typographische Kontrast zwischen Fett- und Normaldruck, der einen Teil der Frage-Antwort-Strukturen beherrscht. Hinzu kommen rhetorisch-ästhetische Kontraste-- die Stilfigur Antithese findet sich bereits am Anfang des Textes (Tausende von Sachbüchern-- kein einziges). Eine besondere Rolle spielen auch satzsemantische Gegenüberstellungen mit der adversativen Subjunktion während (wie im vorletzten Abschnitt), mit der alternativen Konjunktion oder (wie im letzten Abschnitt) sowie mit dem Negationswort nicht (Ein solches Buch haben wir nicht gemacht.). Auflockerung: Der Beispieltext weist eine Reihe von Elementen auf, die die Strenge seiner Formung auflockern. Es handelt sich vorwiegend um umgangssprachliche Wortschatzeinheiten. Das Verb laufen z. B. wird in der Bedeutung ‚vonstattengehen‘ verwendet (ohne Sprache läuft nichts). Die Verben schiefgehen und schieflaufen ersetzen das normalsprachliche Verb misslingen. Umgangssprachlich konnotiert sind darüber hinaus das Verb gucken (‚sehen‘) und das Adjektiv groß (‚ausgiebig‘). Auflockernde Einsprengsel sind außerdem die Abtönungspartikel ja (Das kann ja wohl nicht der Fall sein.) und die Lachpartikel haha (im Text ha, ha). Glätte: Im Unterschied zum Gedicht „Sprache“ (siehe Text 50) enthält das Vorwort Elemente, die stilistische Glätte erzeugen: gebräuchliche Wörter und Wortverbindungen, verbale Satzkonstruktionen statt nominaler, Konjunktionen wie und, denn, oder als Bindeglieder zwischen Wortgruppen (z. B. beim Flirt und vor Gericht), Sätzen (Denn tagtäglich gibt es für jeden <?page no="176"?> 176 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Situationen, wo-…) und Absätzen (Oder liegt es vielleicht daran, daß-…). Nicht zu vergessen die glättende Verteilung komplexer Satzinhalte auf mehrere Teilsätze. Gegliedertheit: Der Text ist durchgängig dialogisch gegliedert. Die Gliederungsform ist textarchitektonisch sichtbar gemacht, insofern als Frage-Antwort-Strukturen den Text in Absätze und Abschnitte gliedern. Einheitlichkeit: Dieser Stilzug lässt sich in zweifacher Hinsicht am Beispieltext nachweisen. Zum einen manifestiert sich Einheitlichkeit in der Gleichheit von Elementen (z. B. in der sich wiederholenden Frage-Antwort-Struktur), zum anderen im Zusammenpassen verschiedenartiger Elemente. Dies zeigt sich in der Auflockerung des normalsprachlichen Stils durch umgangssprachliche Elemente. Die vorgestellte Stilzugklassifikation ist wie das System der Ausdruckswerte nicht als ein starres Analyseschema zu verwenden. Mit den Gegensatzpaaren stehen stilanalytische Fixpunkte zur Verfügung, die Relativierungen, Differenzierungen und Ergänzungen ermöglichen. Wie heißt es doch aus berufenem Munde? „Die Ausdruckswerte sind-[…] von vornherein aufzufassen als wandelbare und sehr schmiegsame Begriffe, freilich mit einem festen Kern.“ (Schneider 1931: 22) 3.3 Stilregister 3.3.1 Registerwahl bei der Produktion von Äußerungen Register ist ein Fachwort in verschiedenen Verwendungskontexten. Im Verlagswesen z. B. bedeutet es ‚alphabetisches Verzeichnis von Begriffen, Namen u. Ä.‘. Im Behördenwesen hat es die Bedeutung ‚amtlich geführtes Verzeichnis‘. Gemeinsprachlich begegnet uns das Wort in den Redewendungen alle Register ziehen (Sie hat alle Register ihres Könnens gezogen.) und andere Register ziehen (Wir müssen andere Register ziehen, um unser Ziel zu erreichen.). Bedeutet die erstgenannte Redewendung ‚alle verfügbaren Mittel aufwenden‘, so bedeutet die zweitgenannte ‚wirksamere Mittel einsetzen‘. Der Herkunftsbereich dieser bildlichen Redewendungen ist die Musik, genauer gesagt: das Orgelspiel, wo unter Registern Reihen von Orgelpfeifen verstanden werden, mit denen sich verschiedene Tonlagen / Klangfarben erzeugen lassen. Vom Orgelspiel und seinen Tonlagen inspiriert, sind in der Wissenschaft diverse Registerkonzepte entwickelt worden. Sie haben ihren Ursprung in der anglophonen Soziolinguistik (vgl. u. a. Dittmar 1997: 207-210) und stimmen darin überein, dass sich mit unterschiedlichen Stilformen unterschiedliche soziale Tonlagen zwischen den Kommunikationsteilnehmern erzeugen lassen, was letztlich dazu dient, Äußerungen an die jeweilige soziale Kommunikationssituation anzupassen. Eine vielzitierte, auf Martin Joos zurückgehende Gruppierung mit fünf Stilregistern ist z. B. die folgende (zit. n. Plett 2001: 131 f.): <?page no="177"?> 177 3.3 Stilregister Frozen (Frostig): Darf ich mich höflich nach dem Wohlbefinden der gnädigen Frau erkundigen? Formal (Förmlich): Darf ich fragen, wie es Ihrer Gesundheit geht, Frau Meyer? Consultative (Beratend): Was macht Ihre Gesundheit, Frau Meyer? Casual (Ungezwungen): Wie geht’s, Kathrin? Intimate (Vertraulich): Alles o. k., altes Haus? Wir lassen außer Acht, dass die Registerbezeichnung „Consultative (Beratend)“ gar nicht in die Reihe passt, da damit eine Äußerungsfunktion, nicht aber eine soziale Tonlage erfasst wird. Noch dazu ist die zugeordnete Äußerung völlig ungeeignet, als Beispiel für einen beratenden Stil zu dienen. Die aufgeführte Registergruppierung kann aber eines verdeutlichen: Die Arbeit mit Gegensatzpaaren (siehe 3.2) ist in der Stilistik nicht immer zweckmäßig. Bedeutungen stilistischer Zeichen müssen gegebenenfalls mehrstufig differenziert werden. Bereits einfache Sprachhandlungen (Sprechakte) wie ANREDEN , GRÜSSEN oder AUFFORDERN lassen sich mit unterschiedlichen soziosituativen Bedeutungen anreichern-- was man an den folgenden Registergruppierungen (stilistischen ‚Tonleitern‘) ersehen kann: a) Anrederegister Ehrerbietig: Hochverehrte Frau Präsidentin! Förmlich: Sehr geehrte Frau Professor Dr. Franke! Familiär: Liebe Charlotte! Intim: Schnuckelchen! / Schatz! / Häschen! b) Grußregister Lässig: Hi! / Hallo! Scherzhaft: Hallöchen! / Hallöli! / Hallölilein! / Hallölileinchen! Neutral: Guten Tag! Neutral-Regional: Grüß Gott! / Moin, Moin! Emotional: Einen wunderschönen guten Tag! c) Aufforderungsregister Preziös (Gespreizt): Es erscheint mir an der Zeit, dass Sie sich jetzt schleunig auf den Weg begeben. Höflich: Verlassen Sie bitte sofort mein Grundstück! Aggressiv: Runter von meinem Grundstück! Militärisch: Abmarsch! Für die Wahl eines Registers gibt vor allem das jeweilige Situationsverständnis des Sprechers den Ausschlag, wobei auch dessen aktuelle psychische Verfasstheit eine Rolle spielen kann. Man kann Stilregister deshalb als Stilformen zur Herstellung eines Situationskontextes begreifen und in Registergruppierungen Repertoires der Situationskontextualisierung sehen. Registergruppierungen anhand konstruierter Beispiele sind nicht unproblematisch, zumal <?page no="178"?> 178 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil auch die Situationskontexte konstruiert sind und häufig hinzugedacht werden müssen. Mit einer Äußerung wie Abmarsch! - - registerstilistisch als ‚militärisch‘ eingestuft- - kann aber z. B. auch eine familiäre Tonlage erzeugt werden, etwa im Rahmen einer energischen Aufforderung von Eltern an ihre Kinder, endlich ins Bett zu gehen. Bei stilistischen Zeichen, die durch Registerwahl hervorgebracht werden, ist nicht nur die Registersemantik von Interesse, sondern auch die Registerformativik. Womit-- so ist zu fragen-- werden soziosituative Bedeutungen wahrnehmbar gemacht? Bei den Anrede- und Grußregistern fällt die Antwort leicht: Sprecher wählen eine ihnen geeignet erscheinende Anredebzw. Grußformel aus einem Paradigma solcher Formeln aus. Für die Aufforderungsregister gibt es kein vergleichbares Formelreservoir. Hier kommt es u. a. auf die Zugehörigkeit der eingesetzten Gestaltungsmittel zu Stilschichten (siehe 2.8.2) bzw. Varietäten anderen Typs (siehe 2.5.2.5) an. Auf unsere Beispiele bezogen: Das adverbial gebrauchte Adjektiv schleunig und die phraseologischen Wortgruppen an der Zeit (sein) sowie sich auf den Weg begeben sind Einheiten der gehobenen Sprache; verlassen ist ein normalsprachliches Verb, sofort ein normalsprachliches Adverb; das prokopierte Adverb runter steht umgangssprachlich für herunter; das Substantiv Abmarsch schließlich hat im Rahmen einer Aufforderung eine befehlssprachliche Prägung. Wir wollen festhalten, dass es regelhafte, aber keine Eins-zu-eins-Beziehungen zwischen Registerbedeutungen und registerformativisch verwendeten Varietäten gibt, und stellen eine Auswahl möglicher Zusammenhänge in einer Tabelle dar (siehe Tab. 19). Registerformativik (Varietäten als Gestaltungsmittelreservoir) Registersemantik (soziosituative Bedeutungen) Bildungssprache Kultiviertheit Fachsprachen Professionalität Gehobene Sprache Preziosität / Feierlichkeit Jugendsprache Lässigkeit Normalsprache Neutralität / Alltäglichkeit Regionalsprachen (z. B. Dialekte) Familiarität Theoriesprache Wissenschaftlichkeit Vulgärsprache Aggressivität Tab. 19: Mögliche Zusammenhänge zwischen Varietäten und Registersemantik Bei einer Analyse von Stilregistern in authentischen Texten, der wir uns im nächsten Abschnitt zuwenden, sind zuverlässigere Kategorisierungen möglich. 3.3.2 Registerwahl bei der Produktion von Texten Wird Registerwahl als eine gestalterische Aktivität von Textproduzenten aufgefasst, öffnet sich das Blickfeld für registerstilistische Bedeutungsunterschiede von Texten ein und derselben Textsorte oder Textgattung. Stilregister stellen sich in dieser Perspektive als soziosituativ <?page no="179"?> 179 3.3 Stilregister differenzierte Ausführungsvarianten von Texthandlungen dar (vgl. bereits Hoffmann 1999: 318). Man kann in diesem Rahmen auch gestaltungsmotivische oder gestaltungsstrategische Registergruppierungen ausfindig machen. Wir zeigen im Folgenden einige pragmatische Bezugsgrößen auf, die in Texten der kommerziellen Werbung als registergruppierend in Betracht kommen, und konzentrieren uns auf ▶ Register der Selbstpräsentation des Anbieters; ▶ Register der Produktpräsentation; ▶ Register der Beziehungsgestaltung zwischen Anbieter und Konsument. Das Gestaltungsmotiv der Rezipientenbeeinflussung (siehe 2.5.2.4) kommt, obwohl sein Einbezug naheliegend erscheint, nicht in Betracht, denn es ist für alle werbekommunikativen Gestaltungsakte grundlegend und deshalb als übergreifend für die Registergruppierungen der Gattung Werbetext anzusehen. Ähnliches gilt für das Gestaltungsprinzip Anpreisung (siehe 2.2.2 u. 3.5.4.7). Anpreisender Stil umfasst sowohl Register der Selbstals auch Register der Produktpräsentation. a) Register der Selbstpräsentation (Imagepflege und -aufwertung) Wer erfolgreich werben will, braucht ein positives Image. Es verwundert daher nicht, dass das Eigenlob des Anbieters (vgl. Sowinski 1998: 38) eine der häufig praktizierten Werbestrategien ist. Zu den Registern einer positiven Selbstpräsentation gehören die folgenden: Triumphierender Stil: Dieses Register ist an Einstufungsausdrücken erkennbar, die das eigene Unternehmen an die Spitze aller konkurrierenden Unternehmen setzen. Es ist sozusagen das Selbstbewusstsein des Marktführers, das aus dem Werbetext spricht. Als Einstufungsausdrücke zur sprachlichen Überbietung der Konkurrenz dienen insbesondere ▶ der Phraseologismus die Nr. 1 (sein): Die D. A. S. als Nummer 1 im Rechtsschutz ist Ihr servicestarker Partner, wenn es darauf ankommt.; ▶ das Zahlsubstantiv Million, mit dem eine in Zahlen fassbare Überlegenheit zum Ausdruck gebracht wird: 27 Millionen machen AOL im Internet zur weltweiten Nr. 1.; ▶ das Wertadjektiv führend: Allianz Gruppe. In Europa führender Versicherer.; ▶ das Wertadjektiv top und das Kompositum Testsieger: Top! Risikoschutz vom Testsieger. Sachkundiger Stil: Mit diesem Register sollen Fachwissen und Kompetenz angezeigt bzw. suggeriert werden. Sachkundiger Stil wird hergestellt durch ▶ das Einfügen des Doktortitels in den Markennamen: Dr. Oetker; Dr. Best; ▶ das Einfügen von Hinweisen auf die lange Tradition des Unternehmens: Ihr Online Juwelier mit 175-jähriger Familientradition; ▶ das Ersetzen unspezifischer Personenbezeichnungen (z. B. Mitarbeiter) durch Kompetenz vermittelnde Ausdrücke wie Experte; Spezialist; Berater; Maître; ▶ das Ersetzen unspezifischer Tätigkeitsbezeichnungen wie herstellen oder zubereiten durch fachspezifisches (technologisches) Know-how-Vokabular, z. B. walzen und con- <?page no="180"?> 180 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil chieren: Vielleicht wissen Sie nicht, daß eine Excellence durch besonders langes Walzen und Conchieren zur Vollkommenheit verfeinert wird (Schokoladentafeln Excellence von Lindt). Geistreicher Stil: Imageaufwertend kann auch das Bestreben sein, durch Esprit, Witz, Originalität zu beeindrucken. Gestaltungsverfahren des geistreichen Stils sind u. a. ▶ das Modifizieren der Komponentenstruktur von Phraseologismen, so auch von Sprichwörtern: Der Klügere liest nach. (Potsdamer Neueste Nachrichten); ▶ das Entidiomatisieren von Phraseologismen, d. h. das Überführen einer phraseologischen Wortgruppe in eine freie Wortgruppe, was auch mit phraseologischer Modifikation einhergehen kann-- wie im Falle des Phraseologismus nicht bis drei zählen können (‚nicht sehr intelligent sein‘), dessen Zahlwortkomponente im Werbetext die Bedeutung ‚drei bzw. fünf Prozent Zinsen‘ annimmt: wenn ihre bank bei zinsen nur bis 3 zählen kann-- wie wär’s mit 5? (Internetbank first-e); ▶ das Kreieren von Doppelbedeutungen unter Ausnutzung der Polysemie eines Wortes-- wie in einer Anzeige von MasterCard, in der das Substantiv Karte sowohl ‚Kreditkarte‘ als auch ‚Eintrittskarte‘ bedeutet: Ihre Karte zum Finale! Setzen Sie jetzt auf MasterCard und sichern Sie sich Ihre Chance auf das UEFA Champions League Finale Milan 2016.; ▶ das Kreuzen (Kontaminieren) von Wörtern, z. B. von Freitag und Samstag zu Framstag (Penny-Werbung); ▶ das Bilden von Sprachenmischkomposita, z. B. Preis-Revoluciόn (Neckermann-Reisen). Das deutsch-spanische Kompositum bezieht seinen Reiz aus seiner Einbettung in einen Werbetext für Reisen nach Kuba. Revoluciόn ist zum einen als Signalwort für das Einstufen des Produkts in eine neue Niedrigpreiskategorie zu verstehen, zum anderen als landestypisches politisches Schlagwort. Kultivierter Stil: Dieses Register wird gewählt, um imageaufwertend Bildung und Geschmack anzuzeigen. Wer kultiviert schreibt, formt die Sätze nicht nur aus, sondern erhöht auch ihre Komplexität und hebt sich auf diese Weise von den in der Werbung gängigen Verkürzungen ab. Dies kann durchaus adressatenseitig honoriert werden. Es stimmt u. E. nicht, wenn behauptet wird, dass niemand Werbung wahrnähme, müssten grammatisch ausgefeilte Texte gelesen werden (vgl. Schmitz 2011: 99). Kultivierter Stil zeigt sich außerdem an ▶ der Verwendung bildungssprachlicher Ausdrücke (dazu gehören eher ungeläufige Fremdwörter wie Reminiszenz oder Symbiose): Die Modelllinie Junghans Meister ist eine Reminiszenz an die Blütezeit des wiederauferstehenden Uhrmacherhandwerks in den Gründertagen der Bundesrepublik.-- Freuen Sie sich auf die Symbiose von Bang & Olufsen und Premiere World.; ▶ der poetisch anmutenden Formung von Werbeschlagzeilen, z. B. mittels Personifikationen in Kombination mit der Kleinschreibung der Substantive: die nacht erfindet sich jeden abend neu und der tag jeden morgen (Nachtwäsche von Moonday); ▶ der philosophisch anmutenden Formung von Werbeschlagzeilen zu einer Sentenz (einer intellektuellen Spruchweisheit): Dein Kopf kennt das Ziel. Aber es sind die Füße, die Dich <?page no="181"?> 181 3.3 Stilregister tragen (Schuhe von Sioux).-- Charakter zeigt man, wenn man gegen alle Widerstände sein Ziel verfolgt (Tabac Original). b) Register der Produktpräsentation Im Folgenden geht es um Stilregister, die eine bestimmte Einstellung des Anbieters gegenüber seinem Produkt erkennen lassen. Registerstilistische Differenzierungen der Produktpräsentation treten am deutlichsten auf der Texthandlungsebene hervor. Gliedert man die Texthandlung WERBEN produktbezogen in die Teilhandlungen BENENNEN , BESCHREIBEN und BEWERTEN des Produkts auf, kann teilhandlungstypischer Wortschatz ermittelt werden (siehe Tab. 20), der-- wie zu zeigen ist-- von registerformativischer Relevanz ist. Teilhandlungen der Texthandlung WERBEN Teilhandlungstypischer Wortschatz BENENNEN des Produkts Produktnamen Markennamen BESCHREIBEN des Produkts Fachwörter Zahlwörter Innovationsvokabular Exklusivitätsvokabular BEWERTEN des Produkts Wertwörter Ideologievokabular Gefühlswörter Tab. 20: Wortschatzbereiche im Rahmen der Texthandlung WERBEN Einstellungen des Anbieters gegenüber seinem Produkt kommen in folgenden Registern zum Ausdruck: Objektiver Stil: Werbestilistische Objektivität wird vor allem erzeugt durch ▶ die Verwendung von Fach- und Zahlwörtern, die in der Werbung die Funktion haben, objektive Produkteigenschaften zu fixieren, d. h. Konstruktionsdaten, Inhaltsstoffe, Materialbesonderheiten u. dgl. zu bezeichnen: Quarz Chronograph, Edelstahlgehäuse, Zusatzkrone mit drehbarer Lünette, wasserdicht bis 10 ATM ; ▶ die schlichte Reihung von Wörtern zur Bezeichnung von Waren, die zur Produktpalette einer Firma gehören: Jalousien-- Rollos-- Plissees-- Lamellenvorhänge-- Markisen (JalouCity); ▶ eine Kombination von Sprache und Bild, wobei lediglich der Markenname in eine großformatige Abbildung des Produkts integriert ist. In einer Anzeige für Mode von Hugo Boss z. B. ist ein einzelner Schuh abgebildet. Zwischen Sprache und Bild entfaltet sich auf diese Weise die Stilfigur Synekdoche sogar in zweifacher Hinsicht: Zum einen liegt das Ersetzungsmuster ‚Teil für Ganzes‘ zugrunde (das Bild eines einzelnen Schuhs steht für <?page no="182"?> 182 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil ‚ein Paar Schuhe‘), zum anderen das Ersetzungsmuster ‚Art für Gattung‘ (das Bild eines einzelnen Schuhs steht für ‚gesamte Kollektion‘). Objektiver Stil kann durchaus anpreisend sein. Das zeigt insbesondere die Verwendung von Innovations- und Exklusivitätsvokabular. Geht es um die Herausstellung von Produkteigenschaften, die dem neuesten Stand von Forschung und Entwicklung entsprechen, wird mit Innovationsvokabeln, die den Wortfamilien neu (brandneu; neuartig; Neuland; Neuheit) und erst- (zuerst; allererst; erstmals) entstammen, darauf verwiesen. Auch das Adjektiv bahnbrechend, der Phraseologismus neue Maßstäbe setzen und Wortgruppen wie von nun an oder noch nie (Samsung: So haben Sie Fernsehen noch nie gesehen.) kommen zum Einsatz. Mitunter dienen Innovationsvokabeln der Produktbenennung: Innovationsmodell; innovatives Funktionssofa. Im Unterschied dazu referiert Exklusivitätsvokabular auf das Privileg des Anbieters, das Produkt allein herzustellen oder auf dem Markt zu vertreiben. Dazu gehören die Adjektive exklusiv (exklusiv bei Karstadt); alleinig (alleiniger Hersteller) und die Fokuspartikel nur (Nur bei 1&1! ). Auf Exklusivität verweist auch das Wertadjektiv einzigartig. Subjektiver Stil: Werbestilistische Subjektivität wird erzeugt durch ▶ die Verwendung von Wertwörtern, deren Bedeutung es ist, Eigenschaften eines Gegenstands bewertend zu fixieren, wobei bevorzugt adjektivische Beiwörter (Epitheta) eingesetzt werden-- wie in einer Anzeige für ein Produkt aus dem Uhrenatelier Glashütte: dezente Strichzifferierung; markante Stoppskalierungen; prägnantes Großdatum; edles Holzetui; ▶ die Verwendung von Ideologievokabular, d. h. konsumideologischen Wertwörtern, deren Bedeutung es ist, bewahrens- oder erstrebenswerte Aspekte der Lebensweise des Konsumenten (als Individuum und als Gesellschaftsmitglied) zu fixieren, z. B. Extravaganz; Freiheit; Jugendlichkeit; Lebensqualität; Natürlichkeit; Sicherheit. Werbestilistische Subjektivität kann auch konsumentenperspektiviert vermittelt werden. Es liegt dann eine besondere Form der Adressatenberücksichtigung vor: „Man berücksichtigt den Adressaten in besonderer Weise, wenn man ihm eine Formulierung anbietet, die er unverändert übernehmen kann.“ (Sandig 1986: 234) Werbestrategisch handelt es sich um das Inszenieren der Konsumentenperspektive (vgl. Hoffmann 2012b: 187). Dem Konsumenten wird produktbewertend selbst das Wort erteilt, entweder in fingierter Rede-- Äußerungen werden einem ins Bild gesetzten Konsumenten in den Mund gelegt (Yogurette: Die passt zu mir.)-- oder in zitierter Rede, die vorliegt, wenn der Sprecher einen Namen hat (Lotto-Faber: „Ich hab’s geschafft! “ Gewinnerin Irene E. aus Frankfurt). Emotionaler Stil: Werbestilistische Emotionalität wird u. a. erzeugt durch ▶ das Verwenden von Gefühlswörtern, d. h. lexikalischen Einheiten, deren Bedeutung es ist, Gefühlsqualitäten zu bezeichnen: z. B. Spaß (Spaß ohne Grenzen im Europa-Park); Wohlfühlen (Miele: Küchen zum Wohlfühlen) und Leidenschaft ( PKW s Mini: Mit seinem Großvater dieselbe Leidenschaft teilen); <?page no="183"?> 183 3.3 Stilregister ▶ das Metaphorisieren von Erlebnisqualitäten: Wohnzimmer werden zu Hunderennbahnen, Weltmeeren und glamourösen Boulevards.-- Esszimmer werden zu Open-Air-Festivals.-- Wohnräume werden zu Opernhäusern.-- Kleine Räume werden zu Weltbühnen ( TV -Technik von Bang & Olufsen).-- Dieser Bourbon schmeckt wie vom Teufel persönlich kreiert (Whiskey-Werbung); ▶ das Konstruieren von Ausrufe- und Wunschsätzen: arte. Was für ein Angebot.-- Rügenwalder Mühlenfest lebe hoch! Varianten des subjektiven bzw. emotionalen Stils sind der übertreibende und der ironische Stil. Übertreibender Stil: Er entsteht, wenn von der Stilfigur Hyperbel (siehe 3.1.2) Gebrauch gemacht wird, die sich sprachwie bildmedial realisieren lässt. Sprachmedial begegnen uns u. a. hyperbolische Wertwörter wie vollendet (vollendeter Genuss) oder kolossal (kolossale Wimpern) sowie hyperbolische Innovationsvokabeln wie Revolution (Haarpflege-Revolution) und Sensation (Küchen-Sensation). Mit bildmedialen Hyperbeln können Beziehungen zu Werbeslogans aufgebaut werden. So warb ein Versicherungsunternehmen mit dem Slogan Stark mit der Stuttgarter. und fügte eine hyperbolische Abbildung hinzu, um seine Leistungsstärke zu veranschaulichen. Gezeigt wurden Menschen, die einarmig einen Elefanten stemmen. Ironischer Stil: Er entsteht, wenn das Produkt scheinbar abgewertet, im eigentlichen Sinne aber positiv bewertet wird: Der neue Patrol GR . Perfekt für schmutzige Geschäfte (Nissan- Autowerbung).- - Hier geht es drunter und drüber (Adler-Modemarkt).- - Investieren Sie in fallende Werte (Internetanbieter cholesterin.de). Die Beispiele zeigen, dass der Ersetzungsmechanismus, der dem ironischen Stil zugrunde liegt, nicht zu eng aufgefasst werden darf (siehe auch 3.1.2). Man kann schmutzige Geschäfte nicht durch saubere Geschäfte ersetzen, drunter und drüber nicht durch ordentlich, fallende Werte nicht durch steigende Werte. Entscheidend ist, dass die Wortgruppen, die scheinbar eine negative Bewertung ausdrücken, erst durch Umdeutung im Text positive Eigenschaften des Produkts bezeichnen. Der Ausdruck schmutzige Geschäfte bedeutet im Werbetext ‚geeignet für Fahrten abseits befestigter Straßen‘, der Ausdruck drunter und drüber bedeutet ‚Vielfalt an Jacken und Blusen‘, der Ausdruck fallende Werte hat die Bedeutung ‚niedriger Cholesterinspiegel‘. Die ausgedrückte negative Bewertung ist also jeweils unernst gemeint. c) Register der Beziehungsgestaltung Die Texthandlung WERBEN lässt sich nicht nur in produktbezogene Teilhandlungen aufgliedern, sondern auch in rezipientenbzw. adressatenbezogene. Register der Beziehungsgestaltung treten am deutlichsten hervor im Rahmen der Teilhandlungen EMPFEHLEN des Produkts sowie ANREDEN , GRÜSSEN , FRAGEN und AUFFORDERN des Rezipienten / Adressaten. Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild: <?page no="184"?> 184 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Förmlicher Stil: Die Orientierung des Textproduzenten an Höflichkeitskonventionen bzw. -normen bringt einen förmlichen Stil hervor. Dies zeigt sich an ▶ der Verwendung distanzierender Anredepronomina und Possessivartikel (Sie; Ihr), speziell in Empfehlungshandlungen (Deutsche Bank: Unser Wissen in Ihren Händen), Aufforderungshandlungen (Entdecken Sie den Volvo XC 90.) und Fragehandlungen ( DAK : Sie glauben, alle Krankenkassen sind gleich? ); ▶ der Verwendung distanzierender Anredeformeln, d. h. werbebrieftypischer Kombinationen aus Anredenominativen und den Zusätzen sehr geehrt oder verehrt, wobei geschlechtsneutrale Formeln (Sehr geehrte Kundschaft! ), die auf die Produktbranche abgestimmt sein können (Verehrte Wohnfreunde! ), von Formeln zu unterscheiden sind, die ausdrücklich beide Geschlechter berücksichtigen (Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser! ); ▶ der Verwendung der Distanz erzeugenden Grußformel Mit freundlichen Grüßen, wie sie auch in behördlichen Schreiben vorkommt. Freundlicher Stil: Ein freundlicher Stil als Ausdruck von entgegenkommender und somit distanzabbauender Höflichkeit entsteht, wenn ▶ mit dem Kommunikationspartner im Modus des Konjunktivs kommuniziert wird: Wir würden uns freuen, Sie im Zirkus Probst begrüßen zu dürfen.; ▶ Aufforderungshandlungen mit dem Satzäquivalent bitte und Abtönungspartikeln wie mal und einfach mal in ihrem fordernden Charakter abgeschwächt werden: Bitte rufen Sie uns an! -- Fragen Sie mal den Fachmann.-- Am besten einfach mal reinklicken.; ▶ Fragehandlungen mittels Konjunktiv, Modaladverb gern und Abtönungspartikel denn zu Vorschlagshandlungen werden: Stille, einsame Bergwelt erleben oder durch lebendige Städtchen schlendern-- wie hätten Sie’s denn gern? Familiärer Stil: Familiarität als Ausdruck von Nähe zwischen Anbieter und Konsument basiert auf ▶ der Ersetzung distanzierender Komponenten in Anrede- und Grußformeln durch die Adjektive lieb (Lieber Reisegast! ) und herzlich (Herzliche Grüße); ▶ der Ersetzung distanzierender Anredepronomina (Sie) und Possessivartikel (Ihr) durch du und dein (Youniq: Hier wohnst du! In deinen eigenen vier Wänden.); ▶ der Ersetzung hochsprachlicher Lexik durch regionalsprachliche-- wie auf einem Werbeplakat des Outlet-Centers Wustermark, das mit Berlinismen (kieken; wa) wirbt: Da kiekste wa! Lässiger Stil: Dieses Nähe-Register verlangt, über das Duzen des Rezipienten hinauszugehen. Lässigkeit wird erzeugt durch die Ersetzung von Lexemen der Stilschicht ‚normalsprachlich‘ durch umgangs- und saloppsprachliche Lexik, z. B. Leute (Ragman-Shirts: Nicht drängeln, Leute, es gibt für jeden eins.); blöd (Media Markt: Blöd, wer jetzt nicht kauft) oder sich verarschen lassen (1-2-3-Küchen: Lasst Euch nicht verarschen! ). Eine humoristische Tonlage, wie sie das Register des scherzhaft-lässigen Stils auszeichnet, wird erzeugt, wenn umgangs- und <?page no="185"?> 185 3.3 Stilregister saloppsprachliche Lexeme, z. B. wurstegal (statt völlig gleich), Flöhe (statt Geld), zusammenkratzen (statt zusammensuchen) in einer Äußerung zusammengeführt werden, die dem Konsumenten Geldmangel unterstellt: Dabei ist es wurstegal, ob Sie sich schon für Notebooks, PC s oder einen der bekannten Belinea Monitore entschieden haben, kratzen Sie Ihre letzten Flöhe zusammen und machen Sie sich auf den Weg (Maxdata). Das Siezen des Rezipienten ist bei diesem Stil zwar etwas ungewöhnlich, bewirkt aber keinen Stilbruch. Elitärer Stil: Die Möglichkeit, zielgruppenorientierte Stile herzustellen, schließt ein, speziell das Lebensgefühl der oberen Gesellschaftsschichten anzusprechen und die unteren Schichten auszugrenzen. Das ist u. a. der Fall, wenn ▶ Statussymbole zum Motiv von Blickfangbildern werden-- wie in einer Werbeserie für Produkte des Modedesigners Hugo Boss, wo das Foto eines Golfschlägers die Produktabbildung ersetzt; ▶ der Werbetext ausschließlich fremdsprachig formuliert ist und unübersetzt bleibt: Once you have it. You’ll love it (Aigner-Lederwaren).-- Un poco macho un poco ángel (Brandy Osborne Veterano). Neutraler Stil: Soll die Art der Beziehung unbestimmt bleiben, leisten anredevermeidende Formulierungsvarianten gute Dienste: Fragehandlungen werden elliptisch formuliert: Dehnungsstreifen? Falten? Narben? (Merz-Spezialdragees). In Aufforderungshandlungen wird der Imperativ durch einen Infinitiv ersetzt: Jetzt modernisieren und sparen (Velux-Fenster). In Empfehlungshandlungen finden das Indefinitpronomen man und das Relativpronomen wer Verwendung: Dermokosmetische 4-fach-Wirkung. Man fühlt es. Man sieht es (Eubos- Kosmetik).-- Wer sie liest, sieht mehr (Süddeutsche Zeitung). Zu beachten ist, dass Äußerungen dieser Art nur dann in einem neutralen Stil gehalten sind, wenn sie normalsprachlichen Wortschatz enthalten. Wird diese Stilschicht abgewählt, ändert sich auch die Registersemantik- - zu beobachten etwa an der Schlagzeile Futtern, glotzen, sparen! (World of Pizza in Kooperation mit UCI -Kinowelt), die mit saloppsprachlichen Infinitiven (futtern; glotzen) im Register des lässigen Stils formuliert ist. Es gibt also ein registerformativisches Zusammenspiel von grammatischen und lexikalischen Merkmalen. 3.3.3 Registermischung im Text Texte können sich registerstilistisch als uneinheitlich erweisen, ohne stilbrüchig zu wirken. Dies erklärt sich u. a. daraus, dass die unterschiedlichen Register nicht unmittelbar aufeinandertreffen, sondern in gut voneinander abgegrenzten Teiltexten vorkommen. So sind in Werbebriefen häufig die Anrede- und Grußformeln nicht aufeinander abgestimmt; eine briefeinleitende förmliche Anrede wird mit einem briefausleitenden familiären Gruß kombiniert und umgekehrt. In Werbeanzeigen findet man stilistisch nicht zusammenpassende Register verteilt auf Schlagzeile und Haupttext. Der lässige Stil der am Ende des vorigen Abschnitts zitierten Werbeschlagzeile Futtern, glotzen, sparen! wird im Haupttext aufgegeben; <?page no="186"?> 186 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil dafür heißt es in einem neutralen Stil: Wer bei World of Pizza bestellt und mit seiner Rechnung in die UCI -Kinowelt geht, der spart bei seinem nächsten Kinobesuch! Im Mischen von Registern kann man ein Gestaltungsverfahren sehen, sofern sich eine Beziehung zu Gestaltungsprinzipien und Gestaltungsmotiven herstellen lässt. Bei den folgenden Beispielen ist dies der Fall: a) Registermischung im Dienste der Individualitätsbekundung Wir hatten bei der Analyse eines Interviews (siehe Text 43) festgestellt, dass die interviewte Sängerin registerformativisch mehrfach von einem normalin einen vulgärsprachlichen Stil abgleitet. Dieses Abgleiten lässt sich terminologisch als Registerwechsel, auch Code-Switching genannt, bestimmen. Registersemantisch hatten wir festgestellt, dass der Sprachgebrauch der Sängerin nicht mit dem Etikett Unflätigkeit versehen werden sollte, da er vielmehr eine unangepasste Lässigkeit zum Ausdruck bringt, die zu einem Markenzeichen ihrer Persönlichkeit (Individualität) geworden ist. b) Registermischung im Dienste der Rezipientenbeeinflussung Die Analyse eines Vorworts zu einem populärwissenschaftlichen Sachbuch (siehe Text 51) hat eine Reihe von Elementen zutage gefördert, die die Strenge seiner Formung auflockern: umgangssprachliche Wortschatzeinheiten, aber auch die Lachpartikel haha. Das Gestaltungsprinzip Auflockerung ist hier auf das Gestaltungsmotiv Rezipientenbeeinflussung beziehbar, denn die auflockernden Elemente werden eingesetzt, um Rezeptionsinteresse zu wecken bzw. den Leseanreiz zu erhöhen. c) Registermischung im Dienste der Milieukolorierung Unser Blick fällt auf die Schlagzeile Wie jeck feiert es sich unter Polizeischutz? , mit der ein Medienbericht über den Kölner Karneval 2016 (vgl. Berliner Kurier, 05. 02. 2016, 33) überschrieben ist. Der regionalsprachliche Ausdruck jeck (‚närrisch‘) ist in der Sprache des Berichterstatters ein fremdstilistisches Element- - ebenso wie die Ausdrücke Jeckenhochburg (‚Narrenhochburg‘) im Lead und Jecken (‚Karnevalisten‘) im Haupttext. Mit solchen Einsprengseln regionalisiert der Berichterstatter seinen Sprachgebrauch, geleitet vom Gestaltungsmotiv Milieukolorierung, das- - wie man feststellt- - nicht nur für poetische Texte (siehe 2.5.4.3), sondern auch für pragmatische Texte Geltung hat. Durch den Gestaltungsakt des Regionalisierens wird Lokalkolorit hergestellt. Der Berichterstattungsstil wird auf diese Weise dem Milieu (sozialen Umfeld) des berichteten Geschehens angepasst. <?page no="187"?> 187 3.4 Textkompositionen 3.4 Textkompositionen 3.4.1 Erscheinungsformen textkompositorischer Gestalthaftigkeit Das Wort Komposition steht wie das Wort Register (siehe 3.3.1) in verschiedenen Verwendungskontexten; es hat dementsprechend mehrere Bedeutungen angenommen. In der Kunst bezeichnet es musikalische Werke, Gemäldearrangements, Bauformen von Dramen. In der Systemlinguistik ist Komposition eines von mehreren Wortbildungsmustern; es regelt die Zusammensetzung von Wörtern zu Komposita. Zum Begriff Textkomposition gibt es verschiedene Auffassungen (vgl. u. a. Michel 1980: 430-434). Um den Begriff in unser Stilkonzept einzubinden, greifen wir auf die oben dargelegten stiltheoretischen Positionen zur ästhetischen Wertigkeit von Stil zurück (siehe 2.6.1) und legen uns auf folgende Definition fest: Kompositionen sind ästhetische, d. h. betrachtungsfähige bzw. betrachtungsstimulierende Stilgestalten (Figurationen), die sich durch Relationen zwischen qualitativ verschiedenen Textkomponenten herausbilden. Textkompositorische Gestalthaftigkeit erwächst beispielsweise aus ▶ Ähnlichkeiten zwischen Textthema und Stilstruktur; ▶ Kongruenzen zwischen Texthandlungsstruktur und textarchitektonischer Gliederung; ▶ Kontrasten zwischen sprach- und bildmedialen Textbausteinen. An Letzteres anknüpfend, sei Folgendes vermerkt: Der Begriff Komposition ermöglicht es, das Textganze als einen Gestaltungsrahmen in den Blick zu nehmen, in dem Zeichen verschiedener Medialität ästhetische Beziehungen eingehen. Selbst die beiden Zeichenaspekte, Formativ und Bedeutung (siehe 2.9.1), können zu Komponenten von Kompositionen werden (siehe Beispielanalysen zu Bildgedichten in 3.4.2). Nachfolgend kommen wir auf einige ausgewählte Erscheinungsformen textkompositorischer Gestalthaftigkeit in poetischen wie pragmatischen Texten zu sprechen. a) Ringkompositionen An Textkompositionen dieser Art haftet die Gestaltqualität Geschlossenheit. Ringkompositionen entstehen durch das Rahmen von Texten. Textarchitektonische Einheiten lyrischer, epischer und dramatischer Texte (Strophen, Abschnitte, Szenen) zeigen am Textanfang und am Textende in raum-zeitlicher, thematischer, sprachlicher oder anderer Hinsicht Merkmale der Übereinstimmung. Beispiele sind das Gedicht „1946“ von Horst Lindemann (vgl. Riesel 1974: 90 f.), die Erzählung „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ von Gottfried Keller (vgl. Asmuth / Berg-Ehlers 1976: 119) und das Drama „Graf Öderland“ von Max Frisch. Vergleichbares findet sich auch in pragmatischen Texten, da allgemein Folgendes gilt: „Texte können durch Qualitäten des Textanfangs und des Textendes ‚geschlossen‘ erscheinen, als deutlich abgerundete Gestalt.“ (Sandig 2006: 177) Zu den Kennzeichen geschlossener Texte (ebd.: 177-186) gehören sprachliche, etwa phraseologische Übereinstimmungen zwischen Schlagzeile und Textende in journalistischen und werbenden Texten. Barbara Sandig bezeichnet <?page no="188"?> 188 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil diesen Fall von Rahmung als „sprachliches Abrunden“ (ebd.: 178). Wir sehen darin ein textkompositorisch relevantes Gestaltungsverfahren bzw. die makrostilistische Extension der Stilfigur Kyklos. b) Spiegelungskompositionen Die Figuration der Spiegelung kann sich mikrostilistisch entfalten, etwa durch die symmetrische (chiastische) Anordnung von Einheiten in einzelnen Verszeilen (siehe 2.6.2 u. Text 38); sie kann aber auch eine makrostilistische Extension erlangen, die von textkompositorischer Relevanz ist. So zeigt das fünfaktige Trauerspiel „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller eine symmetrische Formung der Dramenfigur-Dramenakt-Beziehung. In den Akten I und V ist Maria die Hauptfigur, in den Akten II und IV ihre Gegnerin Elisabeth, und im dritten Akt steht die Begegnung beider Frauen im Mittelpunkt (vgl. Asmuth / Berg-Ehlers 1976: 120). Symmetrisch geformt ist Andreas Gryphius’ fünfaktiges Trauerspiel „Papinianus“ gleich auf zweifache Weise: Zum einen bildet die Mittelszene des dritten Akts den Höhepunkt des Dramas, es gibt also eine Symmetrie von steigender und fallender Dramenhandlung, zum anderen ist die Szenenanzahl pro Akt symmetrisch geordnet: 4-6-- 7-6-4 (ebd.). Pragmatische Texte indes erscheinen symmetrisch geformt u. a. dann, wenn sie im Basilika-Layout gestaltet sind (siehe 2.4.2.3 u. Text 19). c) Spannungskompositionen Kompositorisch geschlossen erscheinende Texte können sich zugleich als spannend erweisen. Orientiert man sich z. B. dramentheoretisch an der Bauform des klassischen fünfaktigen Dramas, wie sie Gustav Freytag 1873 beschrieben hat (vgl. Liewerscheidt 1990: 139), resultiert Spannung vor allem aus folgenden Progressionsmerkmalen der Dramenhandlung: Entwicklung und Zuspitzung des Konflikts im zweiten Akt, Handlungsumschwung (Peripetie) im dritten Akt und verzögerte Auflösung des Konflikts (Retardation) im vierten Akt. Spannung kann aber auch aus der Aufhebung des Ordo naturalis und der Einführung des Ordo artificialis erwachsen. Dabei geht es um ein kunstvolles Verhältnis zwischen Ereignis- und Darstellungsfolge: Ereignisse werden nicht chronologisch, sondern achronologisch dargestellt. So lassen sich Anfangsereignisse lange verschweigen, sie können „erst gegen Ende klar werden, und zwar nicht nur dem Leser, sondern auch den Akteuren selbst“ (Asmuth / Berg-Ehlers 1976: 115). Ein Beispiel ist der Bildungsroman „Geschichte des Agathon“ von Christoph Martin Wieland. Spannung in pragmatischen Texten resultiert vorrangig aus der Verrätselung des Textthemas. Das Thema kann versteckt, verdeckt oder verschwiegen werden (siehe 2.4.2.2). d) Humorkompositionen Spannung in Form von Rätselhaftigkeit kann auch in den Beziehungen zwischen sprach- und bildmedialen Textkomponenten liegen. Kommt dabei zusätzlich eine witzige Gestaltung zum Tragen, bilden sich humorvolle Textkompositionen heraus. Beispiele dafür liefern Werbekampagnen, die mit einer produktfremden Bilderserie gänzlich ohne Worte starten, den Bezug <?page no="189"?> 189 3.4 Textkompositionen zu einem Produkt somit zunächst verschweigen und die entscheidenden produktbezogenen Informationen erst nach einer gewissen Zeit freigeben (vgl. Meyer 2010: 245). Ähnlich gelagert sind Werbeanzeigen, die das Produkt bildmedial metaphorisieren, wodurch witzige Vergleiche entstehen (vgl. Held 2006: 117 f.), und Werbespots mit einer Pointe, der eine Anspielung auf eine bekannte Filmszene vorausgeht (vgl. Wyss 2011: 285). Kompositionen dieser Art nehmen Bezug auf den filmhistorischen Kode und schließen eine musikalische Komponente ein. Humorvoll komponiert sind Texte auch dann, wenn sie eine Ähnlichkeit zwischen Thema und Stilstruktur aufweisen, die in einer Pointe gipfelt. Als Beispiel eine Kritik des Buches „Die Scheinwelt des Paradoxons“, in der die Texthandlung ARGUMENTIEREN paradox ausgeführt wird (vgl. Sandig 1986: 211): Dieses Buch lehrt nichts, führt zu nichts, klärt nichts, beabsichtigt nichts und ist deshalb eines der wenigen wichtigen Bücher. Eine Äußerung, deren Pointe in einem Widerspruch zu unmittelbar vorangehenden Äußerungen steht, wird in der Stilistik als „Schlagsatz“ (Riesel / Schendels 1975: 260) bezeichnet. Schlagsätze kommen v. a. in satirischen Texten vor. Es handelt sich um einen Spezialfall des Aprosdoketons (siehe dazu 2.4.2.2). e) Designkompositionen Texte, deren Erscheinungsbild plurimedial gestaltet ist und auf Unverwechselbarkeit bzw. Wiedererkennbarkeit zielt, verfügen über ein Design-- ein kommunikatives Zeichenensemble aus sprachlichen und typographischen Elementen, Formen, Formaten, Bildern, Farben u. a. m., bei dem ergonomische (gebrauchswertorientierte) mit ästhetischen (imageorientierten) Zielen verknüpft sind (vgl. Schmitz 2011: 82). Gesellschaftlich bedeutsam sind die Corporate Designs von Unternehmen und Institutionen, handelt es sich doch um Stilformen, denen identitätsvermittelnde und identifikationsstiftende Aufgaben zugedacht sind. Als Beispiel wählen wir das Corporate Design der Universität Potsdam, das in einem Manual (Handbuch), verfasst als Richtschnur für alle Universitätsangehörigen, ausführlich beschrieben wird (vgl. Loschelder 2004). Entwickelt für Brief- und Faxbögen, Visiten- und Einladungskarten, Urkunden und Zeugnisse, soll es das einheitliche Erscheinungsbild der Universität nach außen gewährleisten. Wir zeigen Hauptmerkmale dieses Designs unter Bezugnahme auf besagtes Handbuch am Deckblatt einer Einladungskarte (siehe Text 52) auf. Corporate Designs umfassen zwei Hauptkomponenten: das Logo und das Layout, d. h. das Erscheinungsbild aller Textbausteine in ihrem Verhältnis zueinander. Das Logo der Universität Potsdam (im Beispieltext links oben) ▶ hat eine kreisförmige Gestalt, die an ein Siegel erinnert; ▶ enthält den kreisförmig gebogenen Schriftzug Universität Potsdam, der sich durch die Hausschrift der Universität (Scala Serif) auszeichnet; ▶ umschließt die stilisierte Nachbildung eines der beiden historischen Commun-Gebäude am Universitätscampus Neues Palais, in dem die Universitätsleitung ihren Sitz hat; ▶ ist mit einer der Kreisform angepassten gebogenen Linie ausgestattet, die sich aus fünf Punkten zusammensetzt, wovon ein jeder für eine der fünf Fakultäten der Universität steht. <?page no="190"?> 190 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Im Beispieltext ist das Universitätslogo fakultätsbezogen abgewandelt. Zum einen durch Hinzufügen des Fakultätsnamens (Philosophische Fakultät), zum anderen durch Hervorheben (Vergrößern) desjenigen Punktes im Logo, der als Zeichen für diese Fakultät steht. Beispieltext 52: Einladungskarte (Deckblatt) Philosophische Fakultät der Universität Potsdam (2016). <?page no="191"?> 191 3.4 Textkompositionen Für das Layout des Corporate Designs sind u. a. folgende Merkmale der Schrift-, Farb- und Flächengestaltung kennzeichnend: Schriftgestaltung: Festgelegt ist, dass neben der Hausschrift, die für den Universitätsnamen im Logo gilt, die Zusatzschrift Scala Sans Verwendung finden kann. Im Beispieltext prägt sie die Textbausteine Fakultätsname (Philosophische Fakultät), Veranstaltungsart und Hauptakteur (Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Dagmar Barth-Weingarten), Veranstaltungsdatum (08. Juni 2016) und Texthandlungsfunktion (Einladung). Farbgestaltung: Als Hausfarbe der Universität ist ein dunkles Blau vorgeschrieben. Farbsymbolisch gilt Blau u. a. als „ideale Farbe der Sachlichkeit und somit der Wissenschaft“ (Hammer 2008: 190). Bei zweifarbiger Gestaltung wird als Zusatzfarbe eine 45-prozentige Aufrasterung des Volltons verwendet. Darüber hinaus ist jeder Fakultät eine eigene Farbe zugeordnet. Die Farbe der Philosophischen Fakultät (Bordeaux) ist im Beispieltext an zwei Stellen dezent eingesetzt: Zum einen ist der vergrößerte Punkt im Universitätslogo entsprechend eingefärbt. Zum anderen weist der verkürzte horizontale Balken über dem oberen Rand des Fotos, das eine Teilansicht des historischen Außengeländes vermittelt, diese Farbe auf. Flächengestaltung: Vorgeschrieben ist, dass die Karten im Hochformat gedruckt und alle Textbausteine linksbündig angeordnet werden. Abweichend von der Ursprungsversion des Designs werden Universitätslogo und Abbildung neuerdings in der oberen, die übrigen Textbausteine in der unteren Blatthälfte platziert. Man sieht am Beispieltext außerdem, wie einzelne Teilthemen der Texthandlung EINLADEN durch großzügige Zwischenräume übersichtlich voneinander abgesetzt sind. An der designästhetischen Ordnung von Logo und Layout sind visuelle Kontraste maßgeblich beteiligt: ▶ Schriftkontraste, z. B. zwischen der Haus- und der Zusatzschrift; ▶ Farbkontraste, z. B. zwischen der Haus- und der Zusatzfarbe; ▶ Formkontraste, hier zwischen den geometrischen Formen Kreis (Logo) und Rechteck (Abbildung). Die Bedeutung visueller Kontraste für visuelle Stilgestalten arbeitet Stefan Meier (2014: 226-245) heraus, vor allem anhand von Beispielen aus der journalistischen Medienkommunikation. Im Unterschied zum Corporate Design muss das Webdesign, entwickelt für den Internetauftritt eines Unternehmens oder einer Institution, nicht nur ein unverwechselbares bzw. wiedererkennbares Erscheinungsbild gewährleisten, es hat auch die Funktion, den Rezipienten (Usern) bei der Suche nach Informationen und bei der Nutzung von Informationsangeboten behilflich zu sein. Gestaltungsmotivisch sind also Selbstpräsentation und Rezeptionserleichterung verknüpft. Im Handbuch der Universität Potsdam heißt es: „Der Internetauftritt wurde dem Corporate Design angepasst und erhielt ein entsprechendes Webdesign.“ (Loschelder 2004: 64) Als nutzerfreundliche Merkmale werden genannt: <?page no="192"?> 192 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil ▶ die Klarheit der Gliederung; ▶ die übersichtliche Strukturierung der Benutzeroberfläche; ▶ die barrierefreie Gestaltung der Internetseiten. Die Anpassung des Webdesigns an das Corporate Design zeigt sich u. a. bei der Farbgestaltung der Textbausteine Logo und Navigationsleisten, wo die Farbe der Universität und die Farben der Fakultäten als differenzierende Gestaltungsmittel zum Einsatz kommen. 3.4.2 Beispielanalysen zu Sprache-Bild-Kompositionen In diesem Abschnitt geht es um Gestaltungsideen, die sich in der Verknüpfung von Sprache und Bild manifestieren. Wir untersuchen dabei auch, mit welchen Gestaltungsverfahren die beiden Zeichenmedien verknüpft werden, offenbaren sich doch gerade dadurch ihre wechselseitigen semantischen Beziehungen. a) Programmkarte mit Bilderschrift Das Deckblatt der Karte (siehe Text 53) ist bilddominant gestaltet. Die Texthandlung HIN- WEISEN auf eine Veranstaltung ist lediglich kleingedruckt im Kopf der Textfläche untergebracht. Hingewiesen wird auf die Art der Veranstaltung (1. Internationales Symposion für Kommunikation und Design), das Rahmenthema der Veranstaltung, hervorgehoben durch eine vergrößerte Schrift in der Farbe Rot (bildklangwort), den Veranstaltungszeitraum (15. bis 17. Mai 2003), den Veranstalter (Institut für Designwissenschaft am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Mannheim) und den Veranstaltungsort (Mannheimer Kunstverein). Das MITTEILEN der Programmabfolge ist den Innenseiten vorbehalten. Textkompositorisch relevant sind die semantischen Beziehungen zwischen dem dreiteiligen Themawort bildklangwort und der dreiteiligen bildmedialen Zeichenformation. Denn jeder Konstituente des Kopulativkompositums ist genau eine Zeichnung in Verbindung mit einem Richtungspfeil zugeordnet, und zwar nach den Ersetzungsregeln der Stilfigur Metonymie: Die Zeichnung eines Auges ersetzt metonymisch die Wortkonstituente bild, die Zeichnung eines Ohres die Wortkonstituente klang und die Zeichnung eines Mundes die Wortkonstituente wort. Die ersten beiden Fälle ordnen sich dem Ersetzungsmuster ‚Wahrnehmungsorgan für Wahrnehmungsobjekt‘ zu, der letzte Fall folgt dem Muster ‚Instrument für Produkt‘. Das Gestaltungsverfahren Metonymisieren dient hier der Realisierung einer speziellen Gestaltungsidee. Es dient der Überführung von Wortsemantik in Bilderschrift. Jede einzelne Zeichnung wird in diesem Kontext zu einem Ideogramm, d. h. zu einem Schriftzeichen, das einen Begriff darstellt. Dass die Konstituenten des Themaworts bildklangwort bildmedial metonymisch ersetzt werden, ist nur das eine. Das andere ist, dass das Wort und die beigefügten Bilder wechselseitig aufeinander verweisen. Hartmut Stöckl bezeichnet Letzteres deshalb als „Parallelisierung von Sprache und Bild“ (2004: 254), die auch bei metonymischen Sprache-Bild-Beziehungen vorliege (ebd.: 257). <?page no="193"?> 193 3.4 Textkompositionen Beispieltext 53: Programmkarte (Deckblatt) Institut für Designwissenschaft der Fachhochschule Mannheim (2003). <?page no="194"?> 194 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil b) Geburtstagskarte im Gewand eines Smartphone-Displays Beispieltext 54: Geburtstagskarte (Deckblatt) Im Textsortenrahmen ‚Geburtstagskarte‘ stellen sich u. a. folgende Fragen: ▶ Wie werden die textsortentypischen Texthandlungen GRATULIEREN , EHREN und WÜNSCHEN im Vordruck vollzogen? ▶ Welcher Art ist die Beziehung zwischen dem vorgedruckten Text und dem gewählten Bildmotiv? Das Deckblatt der Karte ist-- wie man sieht-- ebenfalls bilddominant gestaltet. Zu unterscheiden sind hier aber drei verschiedene, sich überlagernde Bildebenen. Den Hintergrund des Deckblatts bildet die Teilansicht einer hellblauen Jeans (Ebene 1), was textkompositorisch als eher unbedeutend einzustufen ist, selbst wenn man darin die bildmediale Realisierung der Stilfigur Synekdoche erkennt. Im Vordergrund ist ein aktiviertes Smartphone-Display (Ebene 2) mit 16 erfundenen Applikations-Buttons abgebildet, von denen 14 ein Bild integrieren (Ebene 3). Für die obengenannten Texthandlungen stellt der sprachliche Kode kommunikative Formeln bereit, z. B. Herzlichen Glückwunsch! ( GRATULIEREN ), Hoch sollst du leben! ( EHREN ) und Alles Gute! ( WÜNSCHEN ). Im Beispieltext ist die Texthandlung WÜNSCHEN <?page no="195"?> 195 3.4 Textkompositionen (Zum Geburtstag die besten Wünsche) in das Display des abgebildeten Smartphones (Bildebene 2) eingebunden. Der Zusatz und für die Zukunft-… verknüpft die Texthandlung WÜN- SCHEN mit Bildebene 3, die 16 konkrete Geburtstagswünsche (als Teilthemen) displaygemäß in horizontaler und vertikaler Linie auflistet. Untersucht man die semantischen Beziehungen zwischen den Wort- und den Bildzeichen, stellt sich heraus, dass sie auf fünf verschiedene Gestaltungsverfahren zurückführbar sind, und zwar auf ▶ das Visualisieren von Wortbedeutungen mittels Bild (siehe die Buttons Tolle Freunde, Geld und Sonnenschein); ▶ das Metonymisieren von Wortbedeutungen durch das Bild (siehe die Buttons Kraft, Gesundheit und Freude, deren Wortzeichen mit den beigegebenen Bildern (Hantel, Kiwis, Blume) in einem Wirkung-Ursache-Verhältnis stehen; ▶ das Symbolisieren von Wortbedeutungen durch das Bild (siehe das Bild eines vierblättrigen Kleeblatts als Symbol für Glück, eines Löwen als Symbol für Mut, eines Herzens als Symbol für Liebe; ▶ das Intensivieren von Wortbedeutungen durch das Bild (siehe die Buttons mit den Wörtern Spaß und Humor, deren Bedeutung durch die beigefügten Emoticons intensiviert wird); ▶ das Offenlassen der semantischen Beziehung zwischen Wort- und Bildzeichen (siehe u. a. die kommunikative Formel Alles Gute, der das Bild eines Geschenkpäckchens beigegeben ist). Textkompositorische Gestalthaftigkeit ist somit auf zwei der drei Bildebenen nachweisbar. Das Montieren von Bildebenen (siehe dazu auch Stöckl 2004: 285-287) stellt sich als ein makrostilistisches Gestaltungsverfahren heraus. Die Gestaltungsidee, die der Komposition zugrunde liegt, besteht darin, Geburtstagswünsche im Gewand eines aktivierten Smartphone- Displays zu übermitteln. Für die Realisierung dieser Idee sind die Bilder der Ebenen 2 und 3 zwingend erforderlich, für den Vollzug der Texthandlung WÜNSCHEN aber sind sie es nicht; sie sind in sprachmedialer Hinsicht lediglich Dekor. <?page no="196"?> 196 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil c) Filmplakat im Gewand eines Fotoromans Beispieltext 55: Filmplakat Progress Filmprogramm, Nr. 8 / 1979, 32. <?page no="197"?> 197 3.4 Textkompositionen Im Rahmen der Textsorte Filmplakat ist vor allem folgende Frage stilistisch relevant: Wie wird die Texthandlung WERBEN für einen Film ausgeführt? Produzenten von Filmplakaten stehen vor der anspruchsvollen Aufgabe, intertextuelle Beziehungen herzustellen zwischen einem audiovisuellen künstlerischen Text (Spiel- oder Dokumentarfilm) und einem pragmatischen Text aus Papier (Filmplakat). Es kommt darauf an, Elemente und Strukturen eines Films in ein Plakat zu diesem Film zu transkodieren, das Plakat auf werbewirksame Weise mit Filmizität auszustatten. Durch diesen Prozess der Transkodierung entsteht- - analog dem, was Ionna Spassova (1998: 328 ff.) am Beispiel von Theaterplakaten demonstriert hat- - ein Metatext (Filmplakat) zu einem Objekttext (Film). Darüber hinaus gilt es, Filmizität mit Faktizität (faktischen Informationen über den Film) zu verbinden. Dies erklärt die Herausbildung von Sprache-Bild-Kompositionen. Es versteht sich, dass dabei dem Bild eine herausgehobene Rolle zukommt. Schauen wir uns am Beispieltext an, wie er Filmisches und Faktisches zu einem kommunikativen Ganzen verbindet, wie er filmplakatgemäß komponiert worden ist. Ins Auge fällt zuallererst die Unterteilung der Plakatfläche in sechs gleich große Felder, die durch unebene Linien voneinander abgegrenzt sind. In jedem einzelnen Feld sind genau ein handschriftlich stilisiertes Wort des Filmtitels Bis daß der Tod euch scheidet (Faktizität), der ein formelhaftes Eheversprechen bei Trauungszeremonien zitiert, und genau ein uneben gerundetes Szenenfoto (Filmizität) platziert. Faktizität wird darüber hinaus in kleineren, uneben umrandeten Textfeldern vermittelt. Es sind Informationen über das Filmformat und die Produktionsfirma (Ein Farbfilm der DEFA , Gruppe ‚Babelsberg‘), den Regisseur (Heiner Carow) und weitere Mitarbeiter/ -innen des Produktionstabs (z. B. Produktionsleitung: Erich Albrecht) sowie über das Darstellerensemble (Mit Katrin Saß, Martin Seifert, Angelica Domröse usw.). Filmizität wird außerdem erzeugt durch bildmediales Nacherzählen der Filmhandlung, fokussiert auf die beiden Hauptakteure. Man beachte die Pfeile, die alle in ein und dieselbe Richtung weisen. Sie machen aus einer bloßen Ansammlung von Szenenfotos eine geordnete Bilderfolge, die an einen Fotoroman erinnert-- hier an einen Roman ohne Happy End. Darauf deutet nicht nur der Filmtitel hin, sondern auch das letzte Szenenfoto, auf dem nur noch die Hauptakteurin zu sehen ist, während alle anderen Fotos beide Hauptakteure als Liebespaar zeigen. Ausgelöst wird dadurch Spannung. Für den Betrachter stellt sich die Frage, mit welcher Art von Tragik der Film am Ende wohl aufwarten wird. Eine besondere textkompositorische Finesse ist im letzten Plakatfeld rechts unten auszumachen: die textsemantische Kongruenz zwischen dem Verb scheiden (Element des Filmtitels) und dem Szenenfoto (Bild zur Filmhandlung). Das Verb wird durch den sprachlichen Kontext monosemiert und bedeutet ‚trennen‘; das Foto wird durch den Kontext der Bilder narrativ (hier fotoromanhaft) finalisiert und bedeutet ‚Trennung‘. Bei der Realisierung der Gestaltungsidee (Filmplakat im Gewand eines Fotoromans) wird das Gestaltungsprinzip Einheitlichkeit zu einem wesentlichen Kompositionsprinzip. Zu den bisher aufgeführten Einheitlichkeitsmerkmalen gesellen sich Farbgebungsmerkmale. So ist Schwarz die Farbe aller Linien und Schriftelemente, und diese Farbe korrespondiert mit dem Schwarz-Weiß sämtlicher Szenenfotos, was, da es sich um einen Farbfilm mit tragischem Ausgang handelt, die Filmizität des Plakats keinesfalls beeinträchtigt, sondern eher beför- <?page no="198"?> 198 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil dert. Abwechslung-- Gegenprinzip zur Einheitlichkeit-- manifestiert sich in verschiedenen Schriftgrößen und -stärken bei der Vermittlung von Faktizität. d) Gedichte in Gestalt von Schrift-Bildern Beispieltext 56a: Bildgedicht Franz Fühmann, Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens, 2. Aufl. Leipzig 1986: Philipp Reclam jun., 74. Beispieltext 56b: Bildgedicht Franz Fühmann, a. a. O. Beispiele für außergewöhnliche Sprache-Bild-Kompositionen liefern nicht zuletzt die Bildgedichte der Konkreten Poesie-- jener „Strömung innerhalb der modernen Lyrik (seit etwa 1950), in der versucht wird, sprachliche Elemente (Buchstaben, Silben, Wörter) nach optischen oder akustischen Gesichtspunkten zu einem Textgebilde zusammenzusetzen“ (Zirbs <?page no="199"?> 199 3.5 Stiltypen 1998: 217). Die beiden Bildgedichte von Franz Fühmann gehören zu einer Reihe von insgesamt sieben Werken, die sich auf poetisches Experimentieren mit der Buchstabenstruktur der antonymischen Adjektive spitz und stumpf sowie der Substantive Spitz, Spitze, Spitzen, Stumpf und Strumpf gründen. Durch das Anordnen von Buchstaben in horizontaler wie vertikaler Richtung entstehen Zeichenformative besonderer Art: Schrift-Bilder. Deren Funktion ist es, die Bedeutung des jeweiligen Wortzeichens visuell wahrnehmbar zu machen. In Text 56a wird unter zweifacher Hinzunahme des Onomatopoetikons wau die Bedeutung des Themaworts Spitz (‚kleiner Hund mit spitzer Schnauze‘) visualisiert, in Text 56b unter zweifacher Hinzunahme der Majuskel R die Bedeutung des Themaworts Laufmasche (‚Maschenlücke in einem Strumpf ‘). Verallgemeinernd gesagt: Das Thema der Gedichte wird nicht entfaltet, sondern mittels Schrift bildförmig gestaltet. 3.5 Stiltypen 3.5.1 Stiltypen und typisierte Stile Wir beginnen diesen Abschnitt mit einer Definition, die ihrer Kürze und ihres Reims wegen die Gestalt eines Merksatzes angenommen hat: Stiltypen sind Stilklassen, die typisierte Stile umfassen. Der Satz ist die Quintessenz stiltheoretischer Positionen, zu denen wir im Folgenden Näheres ausführen wollen. Typisierte Stile sind einerseits reproduzierbare, andererseits reproduzierte Stile. Grundlage der Typisierung ist das Muster ‚Stil X-= typisch für Spezifikum Y‘-- ein Wissensmuster, über das Kommunikationsgemeinschaften verfügen. Die Typisierung eines Stils nach diesem Muster beruht in erster Linie auf der Anbindung von stilistischen Merkmalen und Merkmalskombinationen an ein bestimmtes Spezifikum des Textzeichenumfelds (zum Begriff siehe 2.9.2). Das Spezifikum Y repräsentiert im Muster nicht irgendeinen Textproduzenten, sondern einen Autor in seiner Individualität oder Sozialcharakteristik. Es repräsentiert nicht allgemein die Kommunikationssituation, sondern einen bestimmten Kommunikationsbereich (als Tätigkeitssituation). Es repräsentiert nicht schlechthin ein Textmuster, sondern das Muster einer bestimmten Textsorte usw. Diese und weitere Umfeld-Spezifika fungieren als Kategorien der Typisierung von Stil. Umfeld-Spezifika fungieren zugleich als Kriterien der Typologisierung von Stilen. Typisierte Stile, die auf ein und dieselbe Typisierungskategorie (z. B. die Individualität eines Autors) bezogen sind, bilden auf der nächsthöheren Abstraktionsstufe eine Stilklasse, in die sie sich einordnen, bzw. einen Stiltyp, dem sie sich zuordnen. Das Typisieren von Stil ist eine Gestaltungsbzw. Interpretationsleistung, das Typologisieren von Stilen (vgl. die Stiltypen bei Fleischer / Michel / Starke 1996: 28) eine Klassifikationsleistung. Beziehungen zwischen Stiltypen und typisierten Stilen haben wir exemplifizierend in einer Übersicht zusammengestellt (siehe Tab. 21). <?page no="200"?> 200 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Stiltypen Typisierungskategorien / Typologisierungskriterien Typisierte Stile (Beispiele) Individualstil Individualität des Textproduzenten Franz-Kafka-Stil Heinrich-von-Kleist-Stil Thomas-Mann-Stil Gruppenstil Sozialcharakteristik des Textproduzenten Adelsfamilienstil Jugendgruppenstil Politikerstil Epochenstil Literarische Epoche Stil der Moderne Stil des Naturalismus Stil der Romantik Funktionalstil Kommunikationsbereich Stil des Behördenwesens Stil des Journalismus Stil der Wissenschaft Textgattungsstil Textgattung (Textgattungsmuster) Epischer Stil Persuasiver Stil Ritueller Stil Textsortenstil Textsorte (Textsortenmuster) Kommentarstil Märchenstil Wetterberichtsstil Tab. 21: Stiltypen und typisierte Stile Zu den dargelegten Positionen sind noch einige Anmerkungen nötig: 1. Stiltypen werden im Singular, Stilklassen im Plural bezeichnet. Es ist also möglich, sowohl vom Stiltyp Individualstil zu sprechen als auch von der Stilklasse der Individualstile. 2. Die Typisierung eines Stils basiert auf Merkmalen und Merkmalskombinationen, die sich bei einem Textvergleich als markant und dominant (stilprägend) herausgestellt haben. 3. Die Markanz und Dominanz von Merkmalen und Merkmalskombinationen eines Stils ist Voraussetzung für seine Identifizierbarkeit im Text. Merkmale eines typisierten Stils können in Textexemplaren mehr oder weniger deutlich ausgeprägt sein. Sie können gänzlich fehlen. Es ist demnach möglich, dass sich Texte eines Autors, einer Textsorte, eines Kommunikationsbereichs (usw.) nur schwer oder überhaupt nicht individual-, textsorten-, funktionalstilistisch (usw.) interpretieren lassen. 4. Typisierte Stile sind keine prototypischen Stile, auch wenn dies bisweilen behauptet wird (vgl. Fleischer / Michel / Starke 1996: 31 f. über „Prototypen innerhalb eines Stiltyps“; Sandig 2006: 535 u. a. über „literarische Autor- oder Epochen-Stile, Individualstile und auffällige soziale Stile“). Denn sobald weniger typische oder untypische Merkmale das Erscheinungsbild eines Stils bestimmen, handelt es sich um einen stiltypologisch indifferenten Stil. 5. Typisierte Stile sind nicht generell soziale Stile. Diese Auffassung (vgl. Selting / Hinnenkamp 1989: 5 f.) ist zu eng; sie schließt Stile aus, die als typisch für literarische Epochen, Gattungen und Genres (Textsorten) sowie für die Individualität von Schriftstellern gelten. <?page no="201"?> 201 3.5 Stiltypen 6. Es entspricht nicht unserer Auffassung, Varietäten aus der Klasse der Fach- und Gruppensprachen als typisierte Stile zu begreifen (so bei Sandig 2006: 278). Wir halten dies für eine Begriffsüberdehnung. Fach- und Gruppensprachen sind-- wie übrigens auch Regionalsprachen und Stilschichten-- Gestaltungsmittel im Rahmen von Gestaltungsmustern, keine Stile. 7. Zwischen den in der Tabelle aufgeführten Stiltypen gibt es keine starren Trennlinien, denn stiltypologische Zuordnungen können sich kreuzen. Ein und derselbe Text weist gegebenenfalls Merkmale eines Individual- und eines Epochenstils auf oder Merkmale eines Funktional- und eines Textsortenstils oder Merkmale eines Gruppen- und eines Textsortenstils. Der Versuch, einen einzigen Text (einen Brief Ernst Barlachs) fünffach stiltypologisch zu kennzeichnen (vgl. Fleischer / Michel / Starke 1996: 32-50), ist achtbar, stößt aber schnell an seine Grenzen. Abgesehen davon, dass auf eine Differenzierung zwischen Stiltyp und typisiertem Stil verzichtet wird-- die Begriffe werden vermengt--, will die Herausarbeitung relevanter Merkmale von Anfang an nicht gelingen. 8. Typisierungskategorien / Typologisierungskriterien können auch pragmatischer oder syntaktischer Art sein. Dies ist jedoch weniger gebräuchlich und führt zu einer inhomogenen Stiltypologie. Erwägen kann man z. B., Gruppen von Stilregistern als Rollen- oder Beziehungsstile zu klassifizieren. Als klassenbildend fungieren hierbei die Gestaltungsmotive der Rollen- und Beziehungsgestaltung (siehe 2.5.2.1 u. 2.5.2.2). Zu denken ist auch an die Klasse der Satzbaustile, in die sich die Stilformen Nominalstil und Verbalstil (vgl. dazu u. a. Faulseit / Kühn 1972: 136 ff.; 156) sowie der Periodenstil (siehe 2.5.2.1 u. Text 23 sowie 3.5.2 u. Text 57) einordnen. Die nachfolgenden Abschnitte beleuchten das Verhältnis von Stiltyp und typisierten Stilen stilanalytisch. Untersucht wird das Vorkommen typisierter Stile in konkreten Einzeltexten. Da es nicht möglich ist, auf alles und jedes hierzu einzugehen, treffen wir eine Auswahl. 3.5.2 Individualstil Vertextungsmerkmale individualstilistischer Art treten u. a. im Satzbau und in der Wortbildung zutage. Wir gehen auf beides am Beispiel des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard ein. a) Individualstilistische Satzbaumerkmale Thomas Bernhard hat für seine Prosatexte einen Periodenstil kreiert, bei dem sich die Abweichung vom syntaktischen Standard als Form des Fokussierungstyps Deviation (siehe 3.4.2) mit Formen der Fokussierungstypen Kontrast und Isomorphie (siehe 3.4.3 u. 3.4.4) verbindet, wobei Formen der Isomorphie besonders auffällig in Erscheinung treten. Als Beispiel ein Auszug aus der Erzählung „Gehen“ (Text 57). Der besseren Orientierung halber sind die Sätze durchnummeriert. <?page no="202"?> 202 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil [1] Während ich, bevor Karrer verrückt geworden ist, nur am Mittwoch mit Oehler gegangen bin, gehe ich jetzt, nachdem Karrer verrückt geworden ist, auch am Montag mit Oehler. [2] Weil Karrer am Montag mit mir gegangen ist, gehen Sie, nachdem Karrer am Montag nicht mehr mit mir geht, auch am Montag mit mir, sagt Oehler, nachdem Karrer verrückt und sofort nach Steinhof hinaufgekommen ist. [3] Und ohne zu zögern, habe ich zu Oehler gesagt, gut, gehen wir auch am Montag, nachdem Karrer verrückt geworden ist und in Steinhof ist. [4] Während wir am Mittwoch immer in die eine (in die östliche) Richtung gehen, gehen wir am Montag in die westliche, auffallenderweise gehen wir am Montag viel schneller als am Mittwoch, wahrscheinlich, denke ich, ist Oehler mit Karrer immer viel schneller gegangen als mit mir, weil er am Mittwoch viel langsamer, am Montag viel schneller geht. [5] Aus Gewohnheit gehe ich, sehen Sie, sagt Oehler, am Montag viel schneller als am Mittwoch, weil ich mit Karrer (also am Montag) immer viel schneller gegangen bin als mit Ihnen (am Mittwoch). [6] Weil Sie, nachdem Karrer verrückt geworden ist, nicht mehr nur am Mittwoch, sondern auch am Montag mit mir gehen, brauche ich meine Gewohnheit, am Montag und am Mittwoch zu gehen, nicht zu ändern, sagt Oehler, freilich haben Sie, weil Sie jetzt Mittwoch und Montag mit mir gehen, Ihre Gewohnheit sehr wohl verändern müssen und zwar in für Sie wahrscheinlich unglaublicher Weise verändern müssen, sagt Oehler. [7] Es sei aber gut, sagt Oehler und er sagt in unmißverständlich belehrendem Ton, von größter Wichtigkeit für den Organismus, ab und zu und in nicht zu großem Zeitabstand, die Gewohnheit zu ändern, und er denke nicht nur an ändern, sondern an ein radikales Ändern der Gewohnheit. […] Beispieltext 57: Literarische Erzählung (Textanfang) Thomas Bernhard: Gehen. Frankfurt / M. 1971: suhrkamp taschenbuch, 7 f. Besonderheiten des Abweichens vom syntaktischen Standard (Deviation): Auf dem Hintergrund allgemeiner Merkmale des Periodenstils (siehe 2.5.2.1) zeigen sich Satzbaubesonderheiten der Bernhard’schen Perioden wie folgt: 1. Die Perioden beginnen häufig nicht mit einem Hauptsatz, sondern mit Nebensätzen erster bzw. erster und zweiter Ordnung. Nebensätze erster Ordnung sind gelegentlich in Hauptsätze eingeschoben (wie in Satz 2), Nebensätze zweiter Ordnung gelegentlich in Nebensätze erster Ordnung (wie in Satz 1). 2. Die Perioden bestehen fast ausnahmslos aus Redewiedergaben. Figurenrede (hier Äußerungen Oehlers) wird entweder im Modus der Direktheit ohne Anführungszeichen (wie in Satz 2) oder im Modus der Indirektheit, angezeigt durch Verbformen im Konjunktiv I (wie in Satz 7) zitiert. Redekennzeichnende Sätze (wie sagt Oehler) sind redewiedergebenden Sätzen i. d. R. nachgeordnet. Besonderheiten des Wiederholens von Textsegmenten (Isomorphie): Die kompliziert gebauten Sätze kreisen permanent um scheinbar belanglose Wörter (vgl. Betten 1987: 69-- mit Bezug auf Strebel-Zeller). Bereits der Anfang der Erzählung „Gehen“ lässt dies erkennen. Das Gespräch der Protagonisten (Ich-Erzähler und Oehler) kreist um <?page no="203"?> 203 3.5 Stiltypen ▶ Geh-Wochentage (Montag und Mittwoch); ▶ Geh-Gefährten (Karrer und Oehler); ▶ Geh-Geschwindigkeiten (schneller und langsamer); ▶ Geh-Gewohnheiten (im Hinblick auf Wochentage, Gefährten und Geschwindigkeiten des Gehens), zu denen auch Geh-Richtungen (östlich und westlich) gehören, die im Textauszug nur einmal erwähnt werden, im weiteren Verlauf des Gesprächs aber noch mehrfach Erwähnung finden. Die mehrfache Wiederholung von Bezeichnungen für Wochentage, Gefährten, Richtungen und Geschwindigkeiten des Gehens verleiht diesen Redeinhalten eine Bedeutungsschwere, die ihnen ihrer Alltäglichkeit wegen eigentlich nicht zukommt. Hochfrequent wiederholt werden die Wörter Montag (allein im Textauszug kommt das Wort 14mal vor) und gehen (12mal). Auffällig wiederholt wird auch die Angabe des Grundes für das Ändern der Geh-Gewohnheiten: bevor / nachdem Karrer verrückt geworden ist. Bis auf die einleitenden Subjunktionen sind diese Teilsätze in Struktur und Lexik identisch; Parallelismus und wortwörtliche Wiederholung sind kombiniert. In zusammengezogener Form ist allerdings auch ein grammatischer Fehler zu registrieren. In Satz 2 fehlt die Verbform geworden (nachdem Karrer verrückt und sofort nach Steinhof hinaufgekommen ist). Besonderheiten des Entgegensetzens von Textsegmenten (Kontrast): Der Periodenstil Bernhards wäre nur unzureichend beschrieben, würden die Formen des Konstruierens von Gegensätzen unterschlagen, die sich sowohl in Wortverbindungen als auch in Satzkonstruktionen manifestieren. Am Textauszug sind folgende Formen belegbar: ▶ temporales Entgegensetzen mittels antonymischer Subjunktionen: bevor- - nachdem (Satz 1); ▶ direktionales Entgegensetzen mittels antonymischer Richtungsadjektive: östlich-- westlich (Satz 4); ▶ vergleichendes Entgegensetzen mittels antonymischer Adjektive im Komparativ: viel schneller-- viel langsamer (Sätze 4 u. 5); ▶ additives Entgegensetzen mittels der paarigen Konjunktion nicht nur- - sondern auch (Satz 6); ▶ präzisierendes Entgegensetzen mittels der paarigen Konjunktion nicht nur- - sondern (Satz 7); ▶ begründendes Entgegensetzen mittels der kausalen Subjunktion weil (Satz-6). Erwähnung verdienen auch adversative Konstruktionen mit der Subjunktion während und den Adverbialbestimmungen am Montag und am Mittwoch (Sätze 1 u. 4). Dem Bernhard’schen Periodenstil kann bescheinigt werden, dass er trotz der Fülle an isomorphen Formen, trotz exzessiver Redundanz ein abwechslungsreicher Stil ist. Keine Periode gleicht der anderen. Anne Betten kommt zu dem Schluss, dass Thomas Bernhard, „der Monomane der Wiederholung, noch mehr als dies der Meister der Variation und des Kontrastes ist“ (1998: 188). Dennoch stellt sich die Frage, warum Thomas Bernhard für trivial anmutende Inhalte die höchst anspruchsvolle Form der Satzperiode gewählt hat. Dies gilt <?page no="204"?> 204 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil schließlich gemeinhin als Indikator eines gewollten Stilbruchs (vgl. Riesel / Schendels 1975: 262). Doch das permanente Kreisen der Sätze um s c h e i n b a r belanglose Wörter hat in den Prosawerken Bernhards ganz andere Gründe. Und auch das ist ein Individualstilistikum. Wenn z. B. die Protagonisten der Erzählung „Gehen“ miteinander sprechen, so artikulieren sie, wie es scheint, was sie gerade denken. Es ist ein Denken in Gegensätzen, das letztendlich dem angestrengten Versuch dient, die Welt begrifflich zu erfassen. Permanentes sprechendes Kreisen soll offenbar dabei helfen, die an Alltagsfakten festgemachten Gegensätze im Kopf zirkulieren zu lassen, um den Denkprozess mit einem Begriff abschließen zu können, der von den Fakten abstrahiert. Ein solcher Begriff ist mit dem Wort Gewohnheit gefunden, das in Satz 5 erstmals fällt und in den Sätzen 6 und 7 in Verbindung mit den Verben ändern bzw. verändern je zweimal wiederholt wird. b) Individualstilistische Wortbildungsmerkmale Eine weitere Eigenheit in den Prosatexten von Thomas Bernhard ist begrifflicher Stil in höchster Vollendung. Begriffe, v. a. in Form von Ad-hoc-Komposita, avancieren zu „tragenden Pfeilern der gesamten Textstruktur“ (Betten 1987: 88). Der Autor nutzt Wortbildungsmuster und -mittel für Begriffsprägungen, -reihungen und -differenzierungen. Die folgenden Beispiele stammen ebenfalls aus der Erzählung „Gehen“, sind aber nicht im Textauszug enthalten. Begriffsprägungen: Typisch sind Wortkreationen in Form von Ad-hoc-Komposita, denen die Aufgabe zukommt, die überwiegend weitschweifigen Reflexionen über die Welt in einem Begriff zu verdichten. Belege sind Entsetzenssubstanz; Gefühls- und Denkdummkopf; Geistesleistungsfähigkeit; Leidenskapazität; Verschlimmerungsprozeß; Unterstützungsenthusiasmus. Begriffsreihungen: Typisch sind erstens Reihen aus Komposita mit Wiederholung der ersten und Variation der zweiten Konstituente: Geisteskälte- - Geistesschärfe- - Geistesverrücktheit; Menschenunglück- - Menschenhäßlichkeit- - Menschenabscheulichkeit. Typisch sind zweitens drei- oder viergliedrige Reihen aus Derivaten (Ableitungen) mit dem Suffix -keit: Fürchterlichkeit-- Häßlichkeit-- Abscheulichkeit; Hinfälligkeit-- Unheimlichkeit-- Ungeheuerlichkeit; Hilflosigkeit (hier mit der Suffixvariante -igkeit)-- Fürchterlichkeit-- Erbärmlichkeit. Begriffsdifferenzierungen: Typisch sind erstens Differenzierungen zwischen Hyperonym (Oberbegriff) und Hyponym (Unterbegriff): Denken-- Ersatzdenken; Verstand-- Unterverstand / Subverstand. Typisch sind zweitens Differenzierungen, die durch Beiwörter entstehen: totale / elementare / plötzliche / totale, endgültige Verrücktheit-- endgültiges Verrücktsein. Die begrifflichen Differenzierungen sind nicht generell ein mikrostilistisches Phänomen. So kehrt das Derivat Verrücktheit mit einem der genannten Beiwörter auch an weit voneinander entfernten Textstellen wieder. Mit ihren Analysen der Romane „Holzfällen. Eine Erregung“ und „Der Untergeher“ steuert Anne Betten (1987) zahlreiche weitere Belege für den begrifflichen Stil à la Thomas Bernhard bei. Wir identifizieren sie als Belege für Begriffsprägungen: u. a. Einladungsunver- <?page no="205"?> 205 3.5 Stiltypen schämtheit; Empirescheußlichkeit; Gesellschaftswiderwärtigkeit; Fleischhauergehilfentief; Klavierradikalismus; Lehrerkindstumpfsinn; Sackgassenmenschenmechanismus; sodann als Belege für Begriffsreihungen: u. a. Ausgangsvisionen-- Ausgangsintentionen-- Ausgangsleidenschaft; Kunstaustreiber- - Kunstvernichter- - Kunstmißbraucher; Theatergenie- - Theaterbesessener- - Theaterberserker-- Theatermensch sowie als Belege für Begriffsdifferenzierungen: u. a. Falle-- Gesellschaftsfalle; Genie- - Theatergenie; Kostbarkeiten- - Musikzimmerkostbarkeiten; Pose- - Zweck-Pose- - Mehrzweckpose. Hierher gehören auch jene Ad-hoc-Komposita, mit denen usuelle Gattungsbegriffe (Hyperonyme) textweltbezogen in mehrere okkasionelle Artbegriffe (Kohyponyme) aufgefächert werden, z. B. der Gattungsbegriff Menschen in die Artbegriffe Ersterbezirkmenschen; Jagdhausmenschen; Musikmenschen; Sackgassenmenschen; Selbstmordmenschen. Bei diesen Komposita, die verstreut im Roman „Der Untergeher“ vorkommen, bleibt die zweite Konstituente konstant, während die erste, überwiegend mehrgliedrige Konstituente variiert. Die Typisierung eines Stils als Thomas-Bernhard-Stil erfasst markante und dominante Merkmale in einer Vielzahl seiner Prosawerke. Sie erstreckt sich nicht auf Werke anderer Gattungen (lyrische, dramatische und autobiographische Texte) und vernachlässigt auch die Entwicklungsstadien in seinem Stil, wozu es literaturwissenschaftliche und linguistische Erkenntnisse gibt (vgl. Betten 1998; bes. 169 f. u. 186 ff.). 3.5.3 Textsortenstil Textsortenstilistische Besonderheiten, so auch Besonderheiten der Medientextsorte Horoskop, die wir in diesem Abschnitt in den Mittelpunkt rücken, erschließen sich mit Bezug auf das jeweilige Textmuster, in dem Gestaltungserfordernisse, aber auch Gestaltungsoptionen angelegt sind. Anknüpfend an unser Textsortenkonzept (siehe 2.7.1), wollen wir uns zunächst zur Standardaufgabe und zur Standardsituation der Textsorte Horoskop äußern, um anschließend auf Merkmale des Textmusters einzugehen. Standardaufgabe: Sie besteht kurz gesagt darin, Voraussagen für verschiedene Lebensbereiche von Menschen (Partnerschaft, Beruf, Gesundheit usw.) nach astrologischen Parametern zu treffen. Standardsituation: Der Produzent eines Horoskops, der anonym bleiben kann, aber stets als Experte der Astrologie auftritt, baut eine Beziehung zu einem ihm unbekannten und sozial unbestimmten Medienpublikum auf, dem er Interesse an astrologischen Verlautbarungen unterstellt. Dabei kann die Spezifik des Medienerzeugnisses, in dem das Horoskop erscheint, die soziale Unbestimmtheit des Medienpublikums relativieren. Aus einer unbegrenzten Vielzahl von Rezipienten kann eine begrenzte Gruppe von Adressaten werden. Es gibt Horoskope, die speziell an Jugendliche adressiert sind oder speziell an Erwachsene, darunter speziell an Frauen. Unser Beispieltext (Text 58), der aus einer Programmzeitschrift stammt, wendet sich an die Generation der Erwachsenen. <?page no="206"?> 206 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Textmuster: Im Folgenden wenden wir uns dem gestalterischen Profil des Textmusters Horoskop zu und beschreiben es, indem wir am Beispiel eines Textexemplars die Vertextungsebenen Textarchitektur, Texthandlung und Textthema (siehe 2.4.1) als Gestaltungsebenen einzeln in den Blick nehmen. a) Textsortenstilistische Merkmale auf der Textarchitekturebene Die auf dieser Vertextungsebene bestehende Möglichkeit, ein Textganzes in visuell voneinander abgesetzte Teiltexte zu gliedern (siehe 2.4.2.3), wird auf horoskopeigene Weise genutzt. Das Muster der Textsorte sieht hierzu vordergründig eine textarchitektonische Gestaltung vor, bei der das Textganze in zwölf sternzeichenbezogene Einzelhoroskope unterteilt wird. Als Beigabe zu jedem Teiltext sind Sternzeichensymbole (ein bildmediales Gestaltungsmittel) anzusehen, die variabel gestaltbar sind. Sie unterstützen die augenfällige Gliederung des Textganzen. Das Textmuster sieht außerdem vor, einzelne Textbausteine typographisch von den Textblöcken der Einzelhoroskope abzusetzen. Das betrifft zum einen die obligatorische Angabe des Gültigkeitszeitraums für die Vorhersagen (im Beispieltext Für die Woche vom 25. Juni bis 1. Juli), zum anderen die obligatorische Benennung der Sternzeichen (z. B. Widder) in Kombination mit der Angabe seiner Geltungsdauer (z. B. 21.3.-20.4.), die fakultativ ist. Fakultativ ist darüber hinaus eine Überschrift, die auf die Textsorte verweist (etwa Horoskop oder Ihre Sterne), wie man an unserem Beispieltext sehen kann. Es wird vorausgesetzt, dass die Rezipienten über entsprechendes Textsortenwissen verfügen. Zum Muster der Textsorte gehören außerdem besondere Varianten textarchitektonischer Gestaltung. So ist es z. B. möglich, jedes Einzelhoroskop in Abschnitte zu gliedern und in Beispieltext 58: Horoskop Super TV , Nr. 25 / 2016, 90. <?page no="207"?> 207 3.5 Stiltypen jedem Abschnitt die Lebensaussichten in einem anderen Lebensbereich (z. B. Partnerschaft, Familie, Beruf) zu thematisieren. Auch kann die Geltungsdauer eines Sternzeichens durch die Angabe von Zeitsektoren verfeinert werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Einzelhoroskope durch ein Diagramm zu ergänzen, das die Lebensaussichten in ausgewählten Lebensbereichen durch übereinander liegende, farblich verschiedene Linien darstellt, deren Länge prozentualen Zahlenwerten entspricht- - wie in der Illustrierten „SuperIllu“ (Nr. 3 / 2016, 36), wo das Diagramm Astrometer genannt wird. b) Textsortenstilistische Merkmale auf der Texthandlungsebene Es ist schon erstaunlich, wie viele verschiedene Arten von Texthandlungen in das Textmuster Horoskop hineinpassen. Ein Großteil von ihnen sind jedoch lediglich Modifikationen der dominierenden Texthandlung VORHERSAGEN . Astrologen deuten die Sterne, indem sie den Rezipienten ZURATEN oder ABRATEN , etwas Bestimmtes zu tun, indem sie ihnen EMP- FEHLEN , sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten, oder sie WARNEN vor einer Gefahr. Hinzu kommen die Texthandlungen LOBEN und TADELN , mit denen die Einzelhoroskope eröffnet werden können. Schauen wir uns die Texthandlungsstruktur des Beispieltextes an: ▶ LOBEN von Charaktereigenschaften des Rezipienten: Sie sind ein selbstloser Mensch, der nicht nur das eigene Wohlbefinden, sondern auch das seiner Mitmenschen im Blick hat (Krebs). ▶ TADELN von Charaktereigenschaften des Rezipienten: Es fällt Ihnen nicht immer leicht, Verständnis für die Macken Ihres Partners aufzubringen (Stier). ▶ ZURATEN zu einem Verhalten in einer Konfliktsituation: Bei einer Diskussion sollten Sie ruhig und sachlich bleiben, Ihrem Gegenüber gut zuhören (Zwillinge). ▶ ABRATEN von einem Verhalten in einer Konfliktsituation: Stemmen Sie sich nicht gegen Entwicklungen, die sich nicht aufhalten lassen (Skorpion). ▶ WARNEN vor einer Gefahr: Achten Sie in diesen Tagen besser auf die Signale Ihres Körpers (Wassermann). ▶ EMPFEHLEN eines Verhaltens durch In-Aussicht-Stellen eines Erfolgs: In finanzieller Hinsicht kann es sich jetzt durchaus lohnen, ein kleines Wagnis einzugehen (Löwe). Marginal in der Handlungsstruktur des Beispieltextes vertreten sind die Texthandlungen ▶ PROPHEZEIEN von Ereignissen: Der Rat eines guten Freundes bringt Sie weiter (Skorpion). ▶ BELEHREN des Rezipienten: Geduld ist eine Tugend-- vor allem in finanzieller Hinsicht (Jungfrau). Aber auch diese Texthandlungsarten gehören zum Handlungsstrukturmuster der Textsorte. Die Abgrenzung zwischen ZURATEN und EMPFEHLEN sowie zwischen ABRATEN und WARNEN bereitet möglicherweise Probleme. Sie fällt relativ leicht, wenn man diese Handlungsarten auf Typen von Alltagssituationen bezieht, in denen sich Rezipienten befinden kön- <?page no="208"?> 208 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil nen: ZURATEN und ABRATEN auf Konfliktsituationen, WARNEN auf Gefahrensituationen und EMPFEHLEN auf Erfolgssituationen. Textsortenstilistisch relevant ist, wie die einzelnen Texthandlungen vollzogen werden. Der Beispieltext liefert Anhaltspunkte für wesentliche Gestaltungsprinzipien, die den Stil von Horoskopen prägen, nämlich Einfachheit, Bildlichkeit, Vagheit, Kontrast, Formelhaftigkeit und Abwechslung. Einfachheit: Horoskoptexte zeichnet ein einfacher Satzbau aus. Sie bestehen aus einfachen Sätzen (z. B. Waage: So manches dauert in diesen Tagen länger als erwartet.), einfach zusammengesetzten Sätzen (z. B. Steinbock: Aufgeschlossen, wie Sie sind, ist das Knüpfen von Kontakten kinderleicht.), einfachen Fügungen mit Infinitivkonstruktionen (z. B. Fische: Es fällt Ihnen nicht immer leicht, anderen eine Bitte abzuschlagen.) und zusammengezogenen Sätzen (z. B. Steinbock: Sie kommen spielend mit anderen ins Gespräch und halten den Plausch mit Ihren kessen Sprüchen am Laufen.). Die Einfachheit im Satzbau korrespondiert mit der Einfachheit im Wortschatz, der bisweilen familiär bzw. familiär-umgangssprachlich konnotiert sein kann: Schatz (Widder); Plausch (Steinbock); Macken (Stier). Fachwortschatz der Astrologie findet sich lediglich in Bezeichnungen für Planeten: Sonne und Venus (Krebs); Mars (Wassermann). Bildlichkeit: Zum Gestaltungsprofil des Textmusters Horoskop gehören bildlich-verbale Phraseologismen: etw. unter den Teppich kehren (Widder); sich auf eine Linie festlegen (Stier); etw. auf Herz und Nieren prüfen (Zwillinge); jdn. vor den Kopf stoßen (Jungfrau); auf der sicheren Seite stehen (Waage). Der Beispieltext enthält auch eine astrologische Personifikation: Sonne und Venus wissen-… (Krebs). Vagheit: Ein typisches Formulierungselement im Textmuster Horoskop ist das Modalverb können. Mit seiner Hilfe werden Vorhersagehandlungen zu Kann-Vorhersagen. Im Beispieltext begegnet uns dieses Modalverb sowohl indikativisch (Skorpion: Eine kleine Veränderung kann jetzt Großes bewirken.) als auch konjunktivisch (Jungfrau: Das könnte in dieser Woche öfter passieren.). Kontrast: Vorhersagehandlungen wie ABRATEN und ZURATEN gewinnen gegenseitig an Gewicht, wenn sie kontrastierend aufeinander bezogen werden. Geeignete Indikatoren des Kontrastierens sind die Subjunktionen statt und anstatt sowie das Modalverb sollen in konjunktivischer Form: Statt einen Konflikt unter den Teppich zu kehren, sollten Sie mit Ihrem Schatz darüber sprechen (Widder). Anstatt sich zurückzuziehen, sollten Sie mit Ihrem Partner über das sprechen, was Sie bewegt (Löwe). Formelhaftigkeit: Auch wenn jedes Einzelhoroskop individuell verfasst erscheint, so kehren doch, vergleicht man mehrere Exemplare der Textsorte miteinander, bestimmte Formulierungen stereotyp wieder. Horoskope gelten als Texte, die stark routiniert produziert werden (vgl. Sandig 1986: 194). Warnhandlungen z. B.-- so haben wir festgestellt-- werden häufig mit dem Satz Finanziell ist Vorsicht angebracht. vollzogen, so auch im Beispieltext (siehe Sternzeichen Steinbock). Weitere Belege für Formelhaftigkeit finden sich im Beispieltext zu den Sternzei- <?page no="209"?> 209 3.5 Stiltypen chen Jungfrau (Geduld ist eine Tugend.) und Waage (Qualitätsprodukte kosten mehr, halten aber auch länger.) Astrologen neigen offenbar dazu, Spruchweisheiten und Gemeinplätze als kommunikative Fertigteile in ihre Texte einzuflechten. Als sprachliche Fertigteile bieten sich bildliche wie nichtbildliche Phraseologismen an. Abwechslung: Neben der Variation einfacher Satzstrukturen (siehe Einfachheit) sorgen weitere Gestaltungsmerkmale für einen abwechslungsreichen Stil. Bei den Texthandlungen ZURATEN , ABRATEN , WARNEN und EMPFEHLEN konkurrieren konjunktivische Formen des Modalverbs sollen mit Imperativen von Vollverben (z. B. Krebs: Trotz aller Hilfsbereitschaft sollten Ihre persönlichen Bedürfnisse nicht zu kurz kommen. Denken Sie ruhig auch mal an sich selbst! ) und Kopulaverben (z. B. Schütze: Seien Sie tolerant-…). Beachtung verdient darüber hinaus, womit das Vorfeld in Verbzweitsätzen besetzt ist. Die Initialposition nehmen u. a. ein Subjekte (z. B. Krebs: Sonne und Venus), Akkusativobjekte (z. B. Zwillinge: zu gute Angebote), Temporalbestimmungen (z. B. Skorpion: gerade in dieser Woche), Modalbestimmungen (z. B. Wassermann: unter dem Einfluss von Mars). c) Textsortenstilistische Merkmale auf der textthematischen Ebene Das Textthema wird in Horoskopen nicht explizit bezeichnet; es lässt sich aber aus den Einzelhoroskopen ableiten. Man kann deshalb von einer Textprogression mit einem abgeleiteten Thema sprechen (vgl. zu diesem Textprogressionstyp des Thema-Rhema-Konzepts u. a. Brinker 2010: 45). In allen Teiltexten von Horoskopen werden ‚Lebensaussichten‘ thematisiert- - ausführlicher gesagt: ‚Ereignisse im Leben von Menschen unter dem Einfluss von Sternenkonstellationen‘. Horoskope weisen eine textsortentypische Themenstruktur auf. Das Leben von Menschen wird in Lebensbereiche aufgegliedert, wodurch sich Teilthemen wie ‚Partnerschaft‘, ‚Beruf ‘, ‚Freizeit‘ und ‚Gesundheit‘ ergeben. Stilistische Aspekte auf der textthematischen Ebene zeigen sich v. a. bei der Versprachlichung und Vertextung der Teilthemen. Das Textmuster sieht hierzu die Nutzung verschiedener Gestaltungsverfahren vor. Auf einige wesentliche gehen wir im Folgenden ein. Explizites Bezeichnen der Teilthemen mittels Themawörtern: In unserem Beispieltext werden die Teilthemen übergangslos in einem Textblock abgehandelt. Der thematische Wechsel wird u. a. durch Themawörter kenntlich gemacht, d. h. Wörter, die im Textsortenrahmen Horoskop Teilthemen explizit bezeichnen. Es sind v. a. Wörter der Wortart Substantiv wie Gesundheit (Widder) und Finanzen (Stier). Teilthemen können aber auch mit einem Adjektiv (Wassermann: finanziell) oder einer präpositionalen Wortgruppe (Jungfrau: in finanzieller Hinsicht) bezeichnet werden. Ein besonderer Fall von Sprachökonomie ist das Kompositum Finanztipp (Waage), da es sowohl das Teilthema (‚Finanzen‘) als auch die Art der Texthandlung ( EMPFEHLEN ) indiziert. Andeuten der Teilthemen mittels Schlüsselwörtern: Das Textmuster der Textsorte Horoskop sieht Gestaltungsalternativen zum expliziten Bezeichnen von Teilthemen vor, darunter das Verwenden von Schlüsselwörtern (vgl. Bachmann-Stein 2004: 286), d. h. Wörtern, die <?page no="210"?> 210 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil ein Teilthema andeutend erschließbar machen. Belege für Schlüsselwörter im Beispieltext sind Schatz (Widder) und Partner (Stier), die auf das Teilthema ‚Partnerschaft‘ verweisen. Schlüsselwörter können wie Themawörter der Wortart Adjektiv angehören. Wir haben Belege in der Illustrierten „Gala“ (Nr. 33 / 2014, 72) gefunden, nämlich schusselig (Skorpion: Der Kosmos macht Sie etwas schusselig.) und vergesslich (Widder: Uranus macht Sie ein bisschen vergesslich.). Beide Adjektive verweisen auf das Teilthema ‚Wohlbefinden‘. Substituieren von Thema- und Schlüsselwörtern durch unbestimmte Ereigniswörter: Eine weitere Gestaltungsalternative zum expliziten Bezeichnen von Teilthemen besteht darin offenzulassen, welches Teilthema bedient wird. An die Stelle von Thema- und Schlüsselwörtern treten unbestimmte Ereigniswörter- - in unserem Beispieltext sind das die Wörter Konflikt (Widder: Statt einen Konflikt unter den Teppich zu kehren-…); Diskussion (Zwillinge: Bei einer Diskussion sollten Sie ruhig und sachlich bleiben-…); Entwicklungen (Skorpion: Stemmen Sie sich nicht gegen Entwicklungen, die Sie nicht aufhalten können.) und Streit (Schütze: So können Sie einen Streit vermeiden.). Unbestimmte Ereigniswörter wie diese ermöglichen es dem Rezipienten, die Äußerungen je nach Bedarf auf die Teilthemen ‚Partnerschaft‘, ‚Beruf ‘, ‚Finanzen‘ oder ‚Familie‘ zu beziehen. Der thematische Inhalt eines Horoskops wird auf diese Weise zur „Suchanweisung“ (Bachmann-Stein 2004: 286). Dies ist auch auf die Vagheit von Personen- und Gegenstandsbezeichnungen (ebd.: 287-293) zurückzuführen. Typische Formulierungselemente im Textmuster Horoskop sind Indefinitpronomina. Die Vagheit einzelner Sätze unseres Beispieltextes beruht nicht zuletzt auf der Verwendung der Pronomina niemand (Jungfrau); manches (Waage); alles (Schütze) und andere (Steinbock / Fische). Abschließend möchten wir betonen, dass es bei der typisierenden Beschreibung von Textsortenstilen nicht darauf ankommt, alle Facetten im Erscheinungsbild einer Textsorte zu berücksichtigen. So ist es im Hinblick auf die Textsorte Horoskop unwesentlich, ob es sich um Tages-, Wochen- oder Jahreshoroskope handelt, in welchem Massenmedium Horoskope veröffentlicht, für welchen Adressatenkreis sie produziert werden. 3.5.4 Funktionalstil 3.5.4.1 Funktional typisierte Stile: Kernpunkte einer Theorie Die Erkenntnis, dass eine Einzelsprache wie das Tschechische, Russische oder Deutsche in funktionale Teilsprachen gegliedert ist und funktionalstilistisch differenziert verwendet wird, verbindet sich wissenschaftsgeschichtlich mit dem Strukturalismus der Prager Schule (vgl. u. a. Havránek 1976), sie fand über die Stilforscherin Elise Riesel (1963; auch Riesel / Schendels 1975) Eingang in die Germanistik und hat mittlerweile nicht nur in der stilistischen, sondern auch in der varietäten- und textlinguistischen Fachliteratur einen festen, wenn auch nicht unumstrittenen Platz. Man spricht von Funktionalstilen (wie Riesel 1963; Fleischer / Michel 1975; Adamzik 2004); Funktionsstilen (Sanders 1977); Bereichsstilen (Fleischer/ Michel / Starke 1996) und in der Varietätenlinguistik auch von Funktiolekten (Löffler 2005). Im Folgenden seien Kernpunkte der Theorie skizziert. <?page no="211"?> 211 3.5 Stiltypen 1. Im Mittelpunkt der Theorie steht die Frage: Welche Gestaltungsmerkmale von Texten eines bestimmten Kommunikationsbereichs sind durch bereichstypische Funktionen der Sprache determiniert? Maßgebend für die Zuordnung typisierter Stile zu Kommunikationsbereichen ist das Konzept einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft. Es besagt, dass die bereichstypischen Funktionen der Sprache aus bereichstypischen kommunikativen Tätigkeiten erwachsen. Dem Konzept liegt also ein spezifischer Funktionsbegriff zugrunde. Zusammenhänge zwischen Kommunikationsbereichen und funktional typisierten Stilformen haben wir in eine tabellarische Form gebracht (siehe Tab. 22). Kommunikationsbereiche Bereichstypische Tätigkeiten/ Funktionen der Sprache Funktionalstile Alltagskommunikation Besprechen familiärer Angelegenheiten; Pflegen privater Kontakte, auch im Rahmen von Freizeitaktivitäten Funktionalstil der Alltagskommunikation Behördenwesen Erledigen von Verwaltungsaufgaben; Erlassen von Vorschriften für das gesellschaftliche Leben Funktionalstil des Behördenwesens Wissenschaft Vermitteln von Forschungsergebnissen; Darlegen und Diskutieren von Forschungspositionen Funktionalstil der Wissenschaft Journalismus Informieren über aktuelle Ereignisse; Beeinflussen der öffentlichen Meinung Funktionalstil des Journalismus Dichtkunst Herstellen von sprachlichen Kunstwerken; Bewirken von Kunsterlebnissen Funktionalstil der Dichtkunst Werbekommunikation Gewinnen von Käufern eines Produkts, von Nutzern einer Dienstleistung, von Wählern einer Partei Funktionalstil der Werbekommunikation Tab. 22: Funktionale Zusammenhänge zwischen Kommunikationsbereichen und Stilformen Mit dem Funktionalstil der Werbekommunikation haben wir dem überlieferten Stilsystem, das fünf Funktionalstile umfasst, einen Stil hinzugefügt (vgl. bereits Hoffmann 2007a). Das System ist aber weiter ausbaufähig. Denkbar ist, einen Funktionalstil der Religionsausübung einzugliedern (vgl. „Stil der religiösen Kommunikation / sakraler Stil“ bei Gontscharova 2010: 77 ff.; „sakrale Sprache“ bei Eroms 2008: 133 ff.) oder auch einen Funktionalstil des Parlamentarismus, des Bildungswesens, des Militärwesens usw. 2. Ein weiterer Kernpunkt der Theorie ist die Auffassung, dass jeder Funktionalstil über einen festen Komplex sprachlicher Merkmale verfügt. Das heißt jedoch nicht, dass alle Texte, die in einem bestimmten Kommunikationsbereich produziert werden, übereinstimmende Gestaltungsmerkmale aufweisen müssen. Besonders im Hinblick auf den Bereich der Dichtkunst mit seiner Vielfalt an künstlerischen Handschriften wäre dies eine absurde Annahme. Deshalb betonen wir: Funktionalstile sind typisierte Stile. Es kommt bei ihrer Beschreibung darauf an, <?page no="212"?> 212 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil jene Merkmale und Merkmalskombinationen zu berücksichtigen, die mit bereichstypischen Funktionen der Sprache auf einsichtige Weise korrespondieren und Wiedererkennungswert haben. Auch muss Klarheit über die kommunikativen Rahmenbedingungen eines Kommunikationsbereichs herrschen; nicht jede Beschreibung der Funktionalstile wird der Theorie gerecht (vgl. dazu Hoffmann 2007b). Merkwürdig mutet an, dass Funktionalst i l e auch als funktionale Teils p r a c h e n bezeichnet werden können. Doch die Theorie der Funktionalstile liefert selbst eine Erklärung dafür. Es kommt auf die Blickrichtung an. Ist der Blick von außen nach innen gerichtet, von Gestaltungsmerkmalen in Textexemplaren auf die Sprache als funktional differenziertes Zeichensystem, erscheint es logisch, die Bezeichnung Sprache zu wählen (z. B. Behördensprache statt Funktionalstil des Behördenwesens). Ist der Blick von innen nach außen gerichtet, d. h. von der Sprache als System auf die Sprachverwendung in Textexemplaren, wird die Eigenschaft funktionaler Teilsprachen akzentuiert, ein Gefüge aus Gestaltungsmustern für die Realisierung von Sprachfunktionen zu sein. Dann liegt es nahe, von Stilen zu sprechen (z. B. Funktionalstil der Wissenschaft statt Wissenschaftssprache). Zur Problematik, die Bezeichnung Stil für Gestaltungsressourcen zu verwenden, siehe Abschnitt 2.10. 3. Für die Beschreibung funktionalstilistischer Merkmalskomplexe ist wesentlich, dass sich der Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Kommunikationsbereich und den jeweiligen sprachlichen Gestaltungsmitteln nicht direkt, sondern über Gestaltungsprinzipien vermittelt herstellt. Dabei ist von einer Hierarchie solcher Prinzipien auszugehen, da sich einige für die stilistische Textproduktion als übergeordnet, andere als untergeordnet erweisen. Diesen Umstand kann man sich bei der Abgrenzung der Funktionalstile zunutze machen. So gab es den Versuch einer funktionalstilistischen Grobdifferenzierung mittels einer algorithmischen Schrittfolge (vgl. Fleischer / Michel 1975: 246 ff.). Die funktionalen Stile wurden in drei Schritten anhand von alternativen Textmerkmalen ermittelt und voneinander abgegrenzt. Einbezogen waren aber nicht nur Gestaltungsprinzipien (Ungezwungenheit, literarische Formung, künstlerische Formung), sondern auch Grundfunktionen der Kommunikation (Informationsvermittlung, Verhaltenssteuerung, Meinungsbeeinflussung). Wenn man so verfährt, büßt der Algorithmus an Systematik ein. Der Algorithmus von Heinrich Löffler (2005: 98) aber stellt die Dinge sogar auf den Kopf, denn es werden Funktionalstil und Kommunikationsbereich, Funktionalstil und Textgattung, Funktionalstil und Textfunktion verwechselt. Das zeigen die Bezeichnungen für Funktionalstile, die algorithmisch ermittelt werden, nämlich „Alltagsrede“, „Wissenschaftliche Texte“, „Direktivstil“, „Belletristik“ und „Presse“. Wer so verfährt, verwehrt dem Algorithmus jegliche Logik und somit auch jeglichen Erkenntniswert. Wir stellen hier einen erweiterten und vereinheitlichten Algorithmus mit fünf Schritten vor (in etwas anderer Version bereits bei Hoffmann 2007a: 11). Bei jedem dieser Schritte ist von einem Knotenpunkt aus eine Entscheidung zwischen zwei alternativen Gestaltungsprinzipien zu treffen. <?page no="213"?> 213 3.5 Stiltypen Die Vorgehensweise bei diesem Algorithmus ist wie folgt näher zu beschreiben: Knoten 1: Texte unterscheiden sich gestalterisch zunächst dadurch, dass sie entweder Produkte eines spontanen oder Produkte eines mehr oder weniger geplanten Kommunikationsprozesses sind, was in gegensätzlichen Gestaltungsprinzipien seinen Ausdruck findet. Eine ungezwungen-lockere Gestaltung ist typisch für den Funktionalstil der Alltagskommunikation. Anderenfalls haben wir es mit literarisch-ausgefeilten Texten zu tun. Textmengen unterschiedlicher Art Literarisch-ausgefeilte Texte Sachprosa: Texte ohne künstlerische Formung Texte ohne theoretische Abstraktheit Texte ohne bürokratische Formalisierung Knoten 1: ungezwungen-locker vs. literarisch-ausgefeilt Knoten 2: künstlerisch geformt vs. nicht künstlerisch geformt Knoten 3: theoretisch-abstrakt vs. nicht theoretisch-abstrakt Knoten 4: bürokratisch-formalisiert vs. nicht bürokratisch-formalisiert Knoten 5: journalistisch geformt vs. anpreisend-persuasiv Funktionalstil der Dichtkunst Funktionalstil der Alltagskommunikation Funktionalstil der Wissenschaft Funktionalstil des Behördenwesens Funktionalstil des Journalismus Funktionalstil der Werbekommunikation 1 2 5 4 3 Schaubild 7: Ein Algorithmus zur Ermittlung und Abgrenzung von Funktionalstilen <?page no="214"?> 214 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Knoten 2: Die literarisch-ausgefeilten Texte lassen sich grob danach differenzieren, ob sie eine künstlerische Formung aufweisen oder nicht. Das Gestaltungsprinzip der künstlerischen Formung ist charakteristisch für poetische Texte; es ist Hauptmerkmal des Funktionalstils der Dichtkunst. Trifft das Prinzip nicht zu, erfassen wir Textmengen, die sich unter dem Oberbegriff Sachprosa zusammenfassen lassen. Knoten 3: Innerhalb der Sachprosa findet man Texte, die dominant theoretisch-abstrakt gestaltet sind, und solche, die es nicht sind. Das Gestaltungsprinzip der theoretischen Abstraktheit ist charakteristisch für wissenschaftliche Texte; es ist ein Merkmal des Funktionalstils der Wissenschaft. Knoten 4: Unter den Texten, die nicht dominant nach dem Prinzip der theoretischen Abstraktheit gestaltet sind, weisen einige deutliche Merkmale von bürokratischer Formalisierung auf; dieses Gestaltungsprinzip ist bestimmend für den Funktionalstil des Behördenwesens. Knoten 5: Der letzte Schritt in diesem Rahmen besteht aus der Entscheidung, ob sich Texte anhand einer journalistischen Formung als journalistische Medientexte zu erkennen geben oder ob sie anpreisend-persuasiv gestaltet und somit als Werbetexte zu charakterisieren sind. Die Entscheidung bildet die Grundlage für die Abgrenzung der Funktionalstile des Journalismus und der Werbekommunikation. Die Beschreibung der Funktionalstile in den folgenden Abschnitten umfasst Angaben ▶ zu funktionalen und situativen Parametern der Kommunikation; ▶ zum stilistischen Merkmalskomplex, d. h. zu typischen Gestaltungsprinzipien, -verfahren und -mitteln. 3.5.4.2 Funktionalstil der Alltagskommunikation a) Funktionale und situative Parameter der Kommunikation Unter Alltagskommunikation ist in der Funktionalstilistik ein Kommunikationsbereich zu verstehen, in dem die Menschen privat und unbefangen, von beruflichen, schulischen, institutionellen oder anderen Zwängen befreit kommunizieren (vgl. Riesel 1970: 63). Hauptfunktion der Sprache ist es demzufolge, Kommunikationsmittel im privaten Umgang miteinander zu sein. Entscheidend ist nicht die Privatheit der Lebenssphäre schlechthin, sondern die Privatheit beim Besprechen familiärer Angelegenheiten, bei der Pflege von Kontakten, auch im Rahmen von Freizeitaktivitäten. Die Kommunikationspartner begegnen sich in ihren Alltagsrollen als Mutter und Sohn, Ehefrau und Ehemann, Freundinnen, Wohnungsnachbarn usw. Der Kommunikationskanal ist vorwiegend mündlich. Es wird hauptsächlich spontan und flüchtig kommuniziert. <?page no="215"?> 215 3.5 Stiltypen b) Stilistischer Merkmalskomplex 1. Vorherrschende Gestaltungsprinzipien des Funktionalstils der Alltagskommunikation sind nach Elise Riesel (1970: 85) Ungezwungenheit und Lockerheit. Die beiden Begriffe werden allerdings nicht klar voneinander abgegrenzt. Wir sehen Lockerheit als eine Erscheinungsform von Ungezwungenheit an. Die Texte weisen Merkmale eines entspannten Kommunizierens auf (Ungezwungenheit), und entspanntes Kommunizieren schlägt sich u. a. in Nachlässigkeiten phonologischer, morphologischer oder syntaktischer Art nieder (Lockerheit). Verwendet werden Varietäten, die Nähe zum Kommunikationspartner signalisieren. In Betracht kommen dabei v. a. Dialekte und die Umgangssprache. Der Terminus Umgangssprache ist in der Linguistik mehrdeutig. Er bezeichnet nicht nur die Sprechsprache als spontane gesprochene Sprache, sondern auch Regionalsprachen als Ausgleichsvarietäten zwischen Hochsprache und Dialekten, sodann Fach- und Gruppenjargons sowie den stilistischen Substandard, d. h. Stilschichten unterhalb der Normalsprache (vgl. Hoffmann 2007a: 17 f.). Alltagsstilistisch ist wesentlich, dass Elemente aller Ausprägungen umgangssprachlichen Sprechens und Schreibens kombiniert vorkommen können. Analysieren wir dazu einen Beispieltext. Hi, family, sind noch bis Sonntag in Karlovy Vary im Thermalhotel. Bekommen viele Anwendungen. Schade, dass ihr keine WhatsApp habt. Wie sieht’n eure Planung für den Sommer aus? Wenn ich an das Sauwetter voriges Jahr denke! Habt ihr Fußball geguckt? Das Halbfinale war ja ne schöne Pleite, nuwwer? Absolut unnötig, dieser blöde Elfer. Kussis, ich geh jetzt ins carbon bath - nacksch in die Anwendungswanne. Da is irgend so’n besondres Zeug drin. Bis bald, eure Evi Beispieltext 59: Privatbrief per E-Mail Privatarchiv, 08. 07. 2016. Der Brief enthält Umgangssprachliches verschiedener Art: ▶ sprechsprachliche Elemente: die Enklisen sieht’n und so’n; die Prokope ne; die Apokopen geh und is; die Synkopen besondres und drin (siehe dazu auch 2.5.2.5 u. Text 30); ▶ stilistische Substandardismen: Sauwetter; gucken; Kussis; blöd; ▶ Regionalismen, die der obersächsischen Umgangssprache angehören: nuwwer (statt nicht wahr); nacksch (statt nackt) sowie ▶ einen Fachjargonismus aus der Fußballsprache: Elfer (statt Elfmeter). Ein spezieller Aspekt von Ungezwungenheit ist die Familiarität des Sprechens und Schreibens. Man verwendet Vornamen anstelle vollständiger Personennamen, auch Kurzformen von Vornamen (z. B. Evi statt Evelyn), darüber hinaus Koseformen (z. B. Schatz; Mausi; Hase), <?page no="216"?> 216 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil familienintern geprägte Wörter sowie familiäre Anredeformeln und -pronomina (im Beispieltext: Hi, family; ihr). Die Ungezwungenheit des Sprechens und Schreibens macht sich auch in emotionaler Hinsicht bemerkbar. Alltagsstilistische Emotionalität ist gebunden an Mittel des Übertreibens. Zu ihnen gehören ▶ hyperbolische Gradpartikeln wie wahnsinnig und ungeheuer: wahnsinnig interessant; ungeheuer spannend; ▶ hyperbolische Phraseologismen: ewig und drei Tage; sich den Hals verrenken; vor Wut platzen; darunter auch phraseologische Vergleiche: arm wie eine Kirchenmaus; dümmer, als die Polizei erlaubt. Charakteristisch sind ferner Mittel des Spottens (z. B. Spottnamen wie Büroheini; Getränkefritze; Versicherungstante), des Schimpfens (z. B. Schimpfwörter wie Blödian und Vollidiot) und des Fluchens (z. B. Fluchformeln wie Verdammte Scheiße! und Zum Kotzen! ). Die Lockerheit des Sprechens und Schreibens führt zu Nachlässigkeiten im Satzbau-- zu irregulären Satzkonstruktionen in Form von Anakoluthen und Aposiopesen oder-- wie im Beispieltext-- zu unvollständigen Satzkonstruktionen in Form von Ellipsen (z. B. Bekommen viele Anwendungen) und freistehenden Nebensätzen, d. h. Nebensätzen ohne Anbindung an einen Hauptsatz (Wenn ich an das Sauwetter voriges Jahr denke! ). 2. Kennzeichnend für Alltagstexte ist außerdem eine einfache, unkomplizierte Sprech- und Schreibweise, durchaus auch in der Hochsprache. Das Gestaltungsprinzip Einfachheit erkennt man an der Bevorzugung parataktischer und asyndetischer Satzverknüpfungen, darüber hinaus an der Verwendung von Grundwortschatz, worunter auch „Schwammwörter“ (Riesel 1970: 88-102) fallen, d. h. Wörter, die erst durch den Kontext eine konkrete Bedeutung erhalten. Beispiele sind die Verben machen und tun sowie die Substantive Ding, Sache und Zeug. Im Beispieltext hat das Wort Zeug die Bedeutung ‚Badezusatz‘ angenommen, doch als lexikalische Einheit im Sprachsystem ist das Wort semantisch unbestimmt, offen für die Bezeichnung vieler verschiedener Objekte; es hat sozusagen die Bedeutungen vieler verschiedener Wörter schwammartig in sich aufgesogen. 3.5.4.3 Funktionalstil der Dichtkunst a) Funktionale und situative Parameter der Kommunikation Hauptfunktion der Sprache im Kommunikationsbereich der Dichtkunst ist es, als Instrument bei der Herstellung von sprachlichen Kunstwerken zu fungieren und bei Textrezipienten zu bewirken, dass sie sich auf ein Kunstwerk einlassen, damit Kommunikation zu einem Kunsterlebnis werden kann. In situativer Hinsicht ist neben den grundlegenden Unterschieden zwischen pragmatischer und poetischer Textkommunikation (siehe 2.5.3) eine kommunikative Mehrebenenstruktur zu beachten. Die realen Kommunikationspartner im Bereich der Dichtkunst stehen sich in den sozialen Rollen Künstler und Publikum (z. B. Lese-, Theaterpublikum) gegenüber. In diesen realen Kommunikationsprozess sind lyrische Subjekte, <?page no="217"?> 217 3.5 Stiltypen Erzählerinstanzen und Dialoge zwischen lyrischen, epischen und dramatischen Figuren eingeschaltet. Der Kommunikationskanal ist schriftlich. Sämtliche Werke der Dichtkunst können jedoch durch Rezitation, Lesungen, Inszenierungen zu Gehör gebracht werden. Werke der dramatischen Kunst werden von vornherein für eine Aufführung in Gestalt von Hörspielen, Spielfilmen, Dokudramen oder Theaterinszenierungen verfasst. b) Stilistischer Merkmalskomplex Über die sprachlichen Merkmale des Funktionalstils ist intensiv, auch kontrovers diskutiert worden (vgl. die „Problemkreise“ bei Hoffmann 2001b: 18-21). Strittig geblieben ist u. a. die Position, dass für die Herstellung von sprachlichen Kunstwerken „sämtliche Elemente verschiedenster funktionaler Stile herangezogen werden können“ (Riesel / Schendels 1975: 21). Nach dieser Position unterliegen die Auswahl und die Kombination sprachlicher Mittel keinerlei Restriktionen. Ähnlich auch die Position Eugenio Coserius, der die dichterische Sprache als Sprache schlechthin ansieht, denn nur in ihr finde man „die volle Entfaltung aller sprachlicher Möglichkeiten“ (1994: 147). Wir hingegen sind der Auffassung, dass dieser Stil mit der These von der Unbegrenztheit sprachlicher Mittel und Möglichkeiten nicht als typisierter Stil erfassbar ist. Wir wollen deshalb für ihn zwei Eigenheiten, den stilistischen Merkmalskomplex betreffend, reklamieren, die das vorherrschende Gestaltungsprinzip der künstlerischen Formung hinreichend konkretisieren: zum einen die Einbindung sprachlicher Mittel in gattungstypische Gestaltungsformen, zum anderen die Fülle und Dichte an Fokussierungsformen. Auf beide Eigenheiten kommen wir im Folgenden zu sprechen. 1. Auf der Grundlage eines textsemiotischen Stilbegriffs (siehe 2.10) ist es möglich, das Ineinandergreifen zweier Kodes, des sprachlichen und des poetisch-ästhetischen, als stilistisch merkmalhaft zu erfassen. Sprachliche Einheiten auf allen Ebenen des Sprachsystems werden im Kommunikationsbereich der Dichtkunst poetisch-ästhetisch instrumentalisiert, d. h., sie werden in gattungstypische Gestaltungsformen (siehe Tab. 23) eingebunden. Gattung Gestaltungsformen (Auswahl) Lyrik Reim- und Strophenformen; Zeilen- und Strophensprung (Enjambement); Versmaße (Metren); freie Rhythmen; lyrische Subjekte Epik Erzählperspektiven; Erzählzeiten; Rede- und Gedankendarstellung (Figuren- und Erzählerrede, Figuren- und Erzählerreflexion); Vorausdeutungen und Rückwendungen Dramatik Bauformen des Dramas; Wechsel von Monolog und Dialog; Konfliktaufbau und -lösung; Botenbericht; Mauerschau (Teichoskopie) Tab. 23: Gattungstypische Gestaltungsformen in der poetischen Textkommunikation Gestalterische Gattungstypik bringt mit sich, dass die Verwendung von Varietäten poetischen Gestaltungsmotiven unterliegt. Die Verwendung von Dialekten und regionalen Umgangssprachen beispielsweise, alltagsstilistisch der Herstellung von sozialer Nähe dienend, ist in <?page no="218"?> 218 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil der poetischen Textkommunikation ein Gestaltungsverfahren der Figurenporträtierung und Milieukolorierung (siehe 2.5.4.2 u. 2.5.4.3). Poetische Stile können aus dem Rahmen fallen und weisen dann keine funktionalstilistisch relevanten Merkmale auf. Gattungsuntypische Stile finden wir z. B. in Gedichten ohne Strophen und Verszeilen (Text 8), darunter auch in Bildgedichten (Texte 56a u. 56b). In Erzähltexten ohne Handlung i.e.S. (Text 37) prägen sich gattungstypische Gestaltungsformen zwangsläufig weniger deutlich aus. 2. Zum Merkmalskomplex des Funktionalstils gehört außerdem das Merkmal der Fülle und Dichte an Fokussierungsformen. Wir beschreiben es am Beispiel eines Textes aus der Feder von Hermann Hesse. Ein Wallfahrer-Lied von Vögeln gesungen Die Woge wogt, es wallt die Quelle, Es wallt die Qualle in der Welle, Wir aber wallen durch die Welt, Weil nur das Wallen uns gefällt. Wir tuns nicht, weil wir wallen sollen, Wir tun es, weil wir wallen wollen. Wer nur der Tugend willen wallt, Kennt nicht des Wallens Allgewalt. Sie wallt und waltet über allen, Die nur des Wallens willen wallen. Beispieltext 60: Gedicht Hermann Hesse: Ein Wallfahrer-Lied von Vögeln gesungen. In: Gudrun Schury (Hrsg.): Kängt ein Guruh. Hundert komische Gedichte. 2. Aufl. Berlin 2009: Aufbau, 18. Lenken wir unser Augenmerk zunächst auf Fokussierungsformen, die auf der künstlerischen Bearbeitung der Zeichenformative und formativischen Zeichenstrukturen beruhen. Auffällig ist die Fülle an isomorphen Formen. Wir verweisen auf ▶ den paarigen Endreim als Spielart der Stilfigur Paronomasie: z. B. Quelle-- Welle; ▶ weitere Paronomasien: Quelle-- Qualle; wallen-- wollen; wallen-- willen; ▶ Polyptota: die Woge wogt; wallen-- Wallen; ▶ Alliterationen: z. B. weil wir wallen wollen; des Wallens willen wallen; ▶ die Homophonie von Silben: wallt-- Allgewalt; ▶ die partielle Homophonie im Stamm verschiedener Wörter: Welle-- Welt; wallt-- waltet. Das Gedicht besteht aus 68 Wörtern (einschließlich der Titelwörter). Bei 29 von ihnen steht der Frikativ [v] im Anlaut (bzw. der Buchstabe w), bei 24 von ihnen der Lateral [l] im Wortinneren nach kurzem Vokal (bzw. der Buchstabe l, v. a. das Buchstabendoppel ll). Vokalischer <?page no="219"?> 219 3.5 Stiltypen Gleichklang im Wortinneren (Assonanz) wie z. B. in der zweiten Verszeile (Es wallt die Qualle-…) verbindet sich mit konsonantischem Gleichklang (Konsonanz). Wenden wir uns nun den Fokussierungsformen zu, die auf der künstlerischen Bearbeitung der Zeichenbedeutungen und semantischen Zeichenstrukturen beruhen. Unsere Aufmerksamkeit beansprucht zuerst die semantische Beziehung zwischen dem Titelwort Wallfahrer- Lied und dem Verb wallen, das bemerkenswerterweise in jeder Verszeile vorkommt, wenn man die substantivierte Form Wallen hinzurechnet. Wir machen eine überraschende Entdeckung: In den ersten beiden Verszeilen hat das Verb wallen die Bedeutung ‚Wellen bildende Bewegung‘ (wie übrigens auch in Goethes „Zauberlehrling“). In der dritten Verszeile wechselt die Bedeutung unvermittelt; wallen bedeutet ab hier und bis zum Ende des Gedichts ‚eine Wallfahrt machen‘. Das Verb wallen gilt in dieser Bedeutung zwar als veraltet, es stellt aber nur in dieser Bedeutung Kohärenz zum Titelwort Wallfahrer-Lied her. Der Beginn des Gedichts mit dem Verb wallen in einer völlig anderen Bedeutung ist deshalb als ein Kohärenzbruch anzusehen und somit als Abweichung von den Normen der Vertextung. Da wir es nicht mit Bedeutungsvarianten eines Verbs zu tun haben, nicht mit Polysemie, sondern mit zwei homonymischen Verben (Verben mit identischen Formativen, aber völlig unterschiedlichen Bedeutungen), handelt es sich um ein Wortspiel mit Homonymen. Unsere Aufmerksamkeit beansprucht natürlich auch die semantische Beziehung zwischen dem Titelwort Wallfahrer-Lied und der titelergänzenden Partizipialgruppe von Vögeln gesungen. Ein erster Interpretationsversuch könnte darauf hinauslaufen, dass Vögel gemeint sind, die in menschlicher Sprache singen. Doch das schließen wir aus. In den Titel des Gedichts ist unseres Erachtens nicht die Stilfigur Personifikation eingeformt, sondern eine Metapher. Wir sehen in dem Substantiv Vögel eine Kurzform des Kompositums Wandervögel (‚Menschen, die gern wandern‘) und somit ein Wort, das metaphorische Bedeutung trägt, denn Wandervogel bezeichnet im ursprünglichen Sinne einen Zugvogel und nicht einen Menschen. Schreibt man dem Substantiv Vögel metaphorische Bedeutung zu, was am plausibelsten erscheint, werden weiterreichende Interpretationen möglich. Das Pronomen wir, das sechsmal vorkommt, davon dreimal am Verszeilenanfang, einmal in flektierter Form (uns), wird dann nämlich auf eine Gruppe von singenden Wallfahrern beziehbar, und man hat schließlich auch herausgefunden, welcher Art das lyrische Subjekt ist, das sich im Gedicht artikuliert. 3.5.4.4 Funktionalstil der Wissenschaft a) Funktionale und situative Parameter der Kommunikation Hauptfunktion der Sprache im Bereich der Wissenschaft ist es, Kommunikationsmittel zu sein bei der Verbreitung und Diskussion von Forschungsergebnissen aus den verschiedensten Wissenschaftszweigen. Kommuniziert werden Erkenntnisse über die Welt in Gestalt von Regularitäten, Gesetzmäßigkeiten, Typologien u. dgl. Die Kommunikationspartner stehen sich entweder als Fachleute (Wissenschaftler) gegenüber oder als Fachleute und Studierende. Die populärwissenschaftliche Kommunikation zwischen Fachleuten und Nichtfachleuten (Laien) bildet einen Sonderfall, der von der Funktionalstilistik vernachlässigt werden muss, <?page no="220"?> 220 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil da die Textproduzenten vor der Aufgabe stehen, wissenschaftliche Erkenntnisse allgemeinverständlich und möglichst unterhaltsam zu vermitteln. Allgemeinverständlichkeit und Unterhaltsamkeit aber gehören nicht zum Merkmalskomplex des wissenschaftlichen Stils. Wissenschaftliche Kommunikation vollzieht sich vorwiegend schriftlich. Publikationen haben einen besonderen Stellenwert, da nur sie die geistige Urheberschaft dokumentieren und die gründliche Auseinandersetzung mit Positionen, Thesen, Modellen usw. ermöglichen. b) Stilistischer Merkmalskomplex 1. Stilprägend ist in erster Linie das Gestaltungsprinzip der theoretischen Abstraktheit. Es prägt auch den Stil von Abstracts, einer wissenschaftlichen Textsorte, zu deren Muster es gehört, den Inhalt eines wissenschaftlichen Textes komprimiert zu referieren. Unser Beispieltext referiert den Inhalt eines wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatzes. Abstracts kommen auch als Teiltexte wissenschaftlicher Aufsätze vor: als vorangestellte Zusammenfassung. LGL : 2. Aspekte einer Theorie der Sozialkommunikation; 20. Textlinguistik S igurd W ichter , Gespräch, Diskurs und Stereotypie. In: ZGL 27. 1999, 261-284 Der Diskurs als texttranszendente, als große Kommunikationsform wird in seiner Verwandtschaft mit dem Gespräch gesehen und - gegen mögliche Kritik - als legitimer und relevanter Gegenstand der Linguistik behauptet. Vorgeschlagen werden einige Differenzierungen für eine Diskurslinguistik, so die Differenzierung zwischen einer Primärebene und einer Sekundärebene innerhalb des Diskurses und die ebenfalls diskursinterne Differenzierung zwischen faktischen (pragmatischen) und fiktionalen Linien. Generelle Größen für Diskursklassifizierungen sind das Thema, die Diskursgemeinschaft, die Diskurskonstellation und der Verlaufszeitraum einschließlich möglicher unter- und übergeordneter Kategorien. Neben den inhaltlich konstituierten Diskursen gibt es Einheiten, die anderen Bildungsprinzipien gehorchen und der inhaltlichen Klammer entbehren: Tagesordnungen und Nachrichtenfolgen z. B. bieten Querschnitte aus Diskursen zur isolierten, partiellen Behandlung von inhaltlich Disparatem nach bestimmten Zeitzwängen. Inhaltlich konstituierte Gruppen von Diskursen nun kann man als Diskursräume zusammenfassen. Diskurs und Diskursräume bilden das System der thematisch gebundenen Textmengen und lassen sich zusammenfassen in der Diskursgeschichte einer Gesellschaft. Diskurse sind in der Regel und vielleicht sogar stets vertikal strukturiert. Die Kooperation zwischen Experten und Laien ist möglich und verläuft über ‚Bedienungsoberflächen‘ als Übergabestellen: über stereotype Bedeutungen von Wörtern. Von diesen neutralen Stereotypen zu unterscheiden sind die Parteilichkeitsstereotype, bei denen das Halbwissen zum Instrument sozialer Parteinahme und möglicher Aggression wird. Die Untersuchung der Verständigung einer Gesellschaft mit sich und anderen ergibt sich nicht zuletzt als Untersuchung ihrer Diskursgeschichte. N. O. Minabitur, Montpellier Beispieltext 61: Abstract Zeitschrift für germanistische Linguistik, H. 3 (1999), 378. <?page no="221"?> 221 3.5 Stiltypen Theoretische Abstraktheit entsteht v. a. durch die Fülle und Dichte an theoriebezogenen und theoriegebundenen Fachwörtern, die man auch als wissenschaftliche Termini bezeichnet. Fachwörter dieser Art sind in unserem Beispieltext zweifellos die Wörter Diskurs, Gespräch und Stereotypie, denn der Text nimmt auf einen wissenschaftlichen Aufsatz Bezug, in dem diese drei Wörter Titelwörter sind. Das Fachwort Diskurs ist in eine Diskurstheorie eingebunden, das Fachwort Gespräch in eine Theorie der Gesprächskommunikation, das Fachwort Stereotypie u. a. in eine Theorie der Sozialkommunikation. Eine wesentliche Eigenschaft von Termini ist es, dass ihre Bedeutung per Definition festgelegt ist oder im Text definitorisch festgelegt wird. Termini haben eine definierte Bedeutung. Die Fülle und Dichte an Termini wird auch durch den Aufbau terminologischer Wortfamilien und hierarchischer Begriffsstrukturen befördert. Eine terminologische Wortfamilie (ein terminologisches System) konstituiert sich im Beispieltext durch die Wörter Diskurs, Diskursgemeinschaft und Diskursraum. Zu dieser Wortfamilie gehören auch die Termini Produktdiskurs und Normdiskurs; sie stehen aber als Hyponyme zum Hyperonym Diskurs zugleich in einer hierarchischen Begriffsstruktur. Auch das Textsegment Differenzierung zwischen einer Primärebene und einer Sekundärebene innerhalb des Diskurses verweist auf eine Begriffshierarchie. In den Gestaltungszusammenhang der theoretischen Abstraktheit fügen sich weitere Gestaltungsverfahren und -mittel ein: ▶ das Verwenden von Akademismen (allgemeinwissenschaftlichem Vokabular) wie transzendent; relevant; Kategorie; System; strukturieren; ▶ das Konstruieren von agenslosen Sätzen (Deagentivierungen) wie Diskurs und Diskursräume bilden das System der thematisch gebundenen Textmengen; ▶ das Generalisieren von Satzinhalten mit Mitteln des Verallgemeinerns, wozu Verbformen im generellen Präsens, aber auch das Adjektiv generell, das Adverb stets und die phraseologische Wortgruppe in der Regel gehören. 2. In der wissenschaftlichen Kommunikation kommt es ferner auf strenge Systematik an. Umfangreichere Texte erhalten üblicherweise eine Gliederung nach dem dekadischen Ziffernsystem: 1. / 1.1 / 1.2 / 1.2.1 / 1.2.2 usw. Auf diese Weise lässt sich schnell überprüfen, ob ein Text logisch gegliedert ist. Ein Ausdruck von strenger Systematik sind natürlich auch alle begrifflichen Hierarchien in Form von Typologien, Klassifikationen, Algorithmen usw. In unserem Beispieltext fehlt all dies- - textsortenbedingt. Doch in den beiden Titelzeilen des Textes finden wir nicht nur bibliographische, sondern auch systematisierende Angaben. Angegeben ist, welchen Artikeln des „Lexikons der Germanistischen Linguistik“ ( LGL ) sich der Zeitschriftenaufsatz zuordnet: dem Artikel 2 (Aspekte einer Theorie der Sozialkommunikation) und dem Artikel 20 (Textlinguistik). Der referierte Aufsatz wird mit der Systematik eines wissenschaftlichen Lexikons vernetzt. 3. Wissenschaftsstilistisch relevant ist des Weiteren eine auf Übersichtlichkeit und Genauigkeit bedachte Darlegung von Forschungsergebnissen und -positionen. Der Realisierung des Gestaltungsprinzips Übersichtlichkeit dient die Differenzierung zwischen Haupttext und <?page no="222"?> 222 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Nebentexten (z. B. in Form von Fußnoten), darüber hinaus die Darstellung von Textteilen im Tabellen- und Spaltenmodus sowie die enge Verflechtung von Textteilen durch explizite Vor- und Rückverweise wie siehe; vorgenannt; obengenannt und im Folgenden. Genauigkeit, d. h. wissenschaftliche Präzision, zeigt sich insbesondere an den Formen des Zitierens. Bei Zitaten und Teilzitaten muss nicht nur der Wortlaut wortwörtlich, es müssen auch sämtliche Formatierungsmerkmale des Originals übernommen werden. Genauigkeit zeigt sich außerdem an der Vermeidung von Ausdrucksvariation im terminologischen Bereich sowie an der Verwendung von Realienwörtern, v. a. bei Quellenangaben, die nur dann als wirklich genau gelten können, wenn sie-- wie bei selbständigen Buchpublikationen-- den vollständigen Verfassernamen, den Buchtitel, den Namen des Verlags und des Verlagsortes sowie eine Jahreszahl, das Erscheinungsjahr des betreffenden Buchs bezeichnend, enthalten. 4. Auch außerhalb von populärwissenschaftlicher Darstellung können Textproduzenten bemüht sein, ihren Texten Anschaulichkeit zu verleihen. Sie stellen theoretische Zusammenhänge in Schaubildern dar, fügen Diagramme hinzu oder kreieren metaphorische Termini, z. B. Magicum ‚Zeigehandlung mit realitätsverändernder Kraft‘ (Trabant 1996: 133 f.) und Bewertungsmanagement ‚adressatenbezogenes Ausdrücken von Bewertungen‘ (Sandig 2006: 251 f.). Erinnert sei auch an die metaphorischen Termini Basilika-Layout und Stilregister, die sich nach ihren Herkunftsbereichen als Architektur- und Musikmetapher bestimmen lassen. Metaphorische Termini sind Ergebnis wissenschaftlicher Begriffsbildung, die neben ihrem Erkenntniswert über Anschaulichkeit im Sinne eines kommunikativen Mehrwerts verfügen. Davon zu unterscheiden sind Metaphern als rhetorisch motivierte Stilelemente, die auch in wissenschaftlichen Texten vorkommen können (vgl. Fleischer / Michel / Starke 1996: 258 f.), aber nach unserer Auffassung nicht zum Merkmalskomplex des Stils der Wissenschaft gehören. Beispiele für Letzteres finden sich bei Ulf Abraham (1996: 392), der Deutschlehrer mit eingeschränkter Stilkompetenz als einäugig bezeichnet, und bei Nina Janich (2010: 273), die einem Abschnitt ihrer Monographie die Überschrift Der Blick über den Tellerrand gegeben hat-- eine Nominalisierung des verbalen metaphorischen Phraseologismus über den Tellerrand blicken. 3.5.4.5 Funktionalstil des Behördenwesens a) Funktionale und situative Parameter der Kommunikation Die Sprache dient im Behördenwesen dazu, die Effizienz bei der Erledigung von Verwaltungsaufgaben zu sichern und das gesellschaftliche Leben der Menschen juristisch zu regeln. Die Kommunikationspartner haben spezifische soziale Rollen inne; sie sind Vertreter von Institutionen (Ministerien, Ämtern, Dienststellen u. a.) und Unternehmen oder Bürger eines Staates. Die Beziehungen sind stets von nichtprivater Natur. Der Kommunikationskanal ist vorwiegend schriftlich. Es handelt sich weder generell um öffentliche noch generell um offizielle Kommunikation. Bezeichnungen wie „Stil des öffentlichen Verkehrs“ (Riesel 1963) und „Stil des offiziellen Verkehrs“ (Gontscharova 2010) sind unzutreffend, denn es gibt in diesem Bereich sowohl verwaltungsinterne, auch geheimdienstliche Dokumente und Gesprächsprotokolle als auch unbestätigte, unbeglaubigte Papiere und provisorische Verlautbarungen. <?page no="223"?> 223 3.5 Stiltypen b) Stilistischer Merkmalskomplex Hauptkennzeichen von Behördentexten ist ihre bürokratische Formalisierung, d. h. eine streng sachbetonte, schematisierte Form, die sich auf allen Vertextungsebenen (Textarchitektur, Texthandlung, Textthema) zu erkennen gibt. 1. Auf der Textarchitekturebene tritt bürokratische Formalisierung als architektonische Schematisierung in Erscheinung. Formulare gliedern sich in vorgedruckte Fragen und vorbereitete Antwortfelder. Dienstliche Schreiben weisen nicht nur einen standardisierten Briefkopf auf; am Ende steht häufig ein Textblock, der mit der Überschrift Anlagen versehen ist und in dem die Anlagen einzeln aufgelistet sind. Für Gesetzestexte ist eine Gliederung in Paragraphen und Absätze charakteristisch. Vertragstexte (wie Text 62) sind als juristische Texte auf ähnliche Weise strukturiert. Unsere AGB für Anwendungen & Behandlungen Vergütung 1. Für Kunden, die eine Behandlung oder Anwendung (im Folgenden Behandlung genannt) ohne Kassenverordnung oder Kostenübernahmeschein in Anspruch nehmen (im Folgenden Selbstzahler genannt), gilt die Preisliste für Selbstzahler. Die Vergütung ist spätestens nach Rechnungszugang fällig. 2. Kunden, die eine Behandlung aufgrund einer Kassenverordnung oder eines Kostenübernahmescheins in Anspruch nehmen, haben die Behandlung schriftlich zu quittieren und nach Abschluss der Behandlung den Quittungsbeleg bei der ISTS GmbH abzugeben. Wird die Behandlung nicht quittiert oder wird der Quittungsbeleg nicht bei der ISTS GmbH abgegeben, kann die ISTS GmbH die Behandlung gegenüber dem Kostenträger nicht abrechnen. In diesen Fällen hat der Kunde die Behandlung nach der Preisliste für Selbstzahler zu vergüten. 3. Für jede durch den Kunden (Selbstzahler und andere Kunden) veranlasste Verschiebung oder Stornierung eines Behandlungstermins kann die ISTS GmbH von dem Kunden Bearbeitungskosten in Höhe von 7,50 € beanspruchen. Zahlungsbedingungen Die Vergütung ist vor Anwendungs-/ Behandlungstermin fällig. Der Kunde kann nach seiner Wahl, durch entsprechendes Ausfüllen des Bestellformulars, durch Bankeinzug oder Überweisung bezahlen. […] Annahmeverzug des Kunden Kunden, die zu einem vereinbarten Behandlungstermin ohne Absage nicht erscheinen oder nicht bis spätestens 24 Stunden vor dem Behandlungstermin absagen, haben die volle Vergütung gemäß der Preisliste für Selbstzahler zu entrichten. Haftung der Insel Sylt Tourismus-Service GmbH Die ISTS GmbH haftet für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit und für sonstige Schäden, soweit letztere mindestens auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung der ISTS GmbH, ihres gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen beruhen. Im Übrigen ist die Haftung der ISTS GmbH ausgeschlossen. <?page no="224"?> 224 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Sonstiges 1. Erfüllungsort für sämtliche Verpflichtungen beider Vertragsparteien aus diesem Vertrag ist Sylt / Westerland. 2. Für diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die gesamten Rechtsbeziehungen zwischen dem Kunden und der ISTS GmbH gilt das Recht der Bundesrepublik Deutschland. 3. Gerichtsstand für etwaige Rechtsstreitigkeiten zwischen der ISTS GmbH und einem Kunden, der Kaufmann ist oder der keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, oder einem Kunden, der nach Abschluss des Behandlungsvertrages seinen Wohnsitz oder persönlichen Aufenthaltsort ins Ausland verlegt, oder dessen Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist, ist Niebüll. […] Beispieltext 62: Buchungsvertrag (gekürzt) syltnesscenter.de (Zugriff am 21. 07. 2016, 15.45 Uhr) 2. Auf der Texthandlungsebene konkretisiert sich bürokratische Formalisierung in amtlichem Nachdruck. In unserem Beispieltext werden hauptsächlich zwei Arten von Texthandlungen vollzogen: das VORSCHREIBEN (von Tätigkeiten) und das SICH - VERPFLICHTEN (zu einem Tun im Schadensfall). Amtlicher Nachdruck wird erzeugt durch ▶ das Bezeichnen der Vertragsmodalitäten mittels juristischen Fachwortschatzes; im Beispieltext bereits in den Teilüberschriften: Vergütung; Zahlungsbedingungen; Annahmeverzug; Haftung; ▶ das Überführen der Vertragspartner und dritter Personen in juristische Subjekte, wobei ebenfalls Fachwörter Verwendung finden: Vertragsparteien; Selbstzahler; Kostenträger; gesetzlicher Vertreter; Erfüllungsgehilfe; ▶ das Verweisen auf gesetzliche Grundlagen: Für diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die gesamten Rechtsbeziehungen zwischen dem Kunden und der ISTS GmbH gilt das Recht der Bundesrepublik Deutschland.; ▶ das Substituieren von Imperativsätzen durch unpersönliche modale Infinitivkonstruktionen: (Kunden) haben zu quittieren und abzugeben; (der Kunde) hat zu vergüten; (Kunden) haben zu entrichten (für die ebenfalls übliche Konstruktionsvariante sein + zu + Infinitiv gibt es im Beispieltext keine Belege). Juristischer Stil, der Gesetzes- und Vertragstexte als juristische Texte erkennbar macht, aber auch Lexikonartikel zum Rechtswesen prägt (siehe 2.4.2.2), ist ein Gattungsstil des Behördenstils. 3. Auf der textthematischen Ebene zeigt sich bürokratische Formalisierung in einer strengen Komprimierung von Textinhalten. Bevorzugt werden Mittel des Nominalstils: ▶ vielgliedrige substantivische Komposita: Kostenübernahmeschein (Beleg im Beispieltext); Eheunbedenklichkeitsbescheinigung; Nichtzulassungsbeschwerdefrist; ▶ nominale Blöcke (Substantivketten mit fortschreitender syntaktischer Unterordnung): die volle Vergütung gemäß der Preisliste für Selbstzahler; Erfüllungsort für sämtliche Verpflichtungen beider Vertragsparteien aus diesem Vertrag (Belege im Beispieltext); <?page no="225"?> 225 3.5 Stiltypen ▶ partizipiale Attribute, die ihrerseits attributiv erweitert sein können: für jede durch den Kunden veranlasste Verschiebung oder Stornierung (Beleg im Beispieltext), darunter auch Gerundivkonstruktionen: die bis zum 15. August zu beantragende Lehrauftragsvergütung. Vielgliedrige Komposita, die Gesetze und Verordnungen bezeichnen, werden alternativ und sprachökonomisch durch Initialwörter oder initialwortähnliche Kürzel ersetzt: BRKG (Bundesreisekostengesetz); BW ildSchV (Bundeswildschutzverordnung); ES tG (Einkommensteuergesetz). Erstaunlich ist, dass vielgliedrige Komposita eine Aufforderung ausdrücken können. So bedeutet das Wort Betriebskostenvorauszahlungsbetrag ‚Betrag an Betriebskosten, der vorauszuzahlen ist‘ (vgl. Hohenstein / Rehbein 2009: 2162). Der Beispieltext enthält einen besonders bemerkenswerten Satz (siehe Abschnitt „Sonstiges“, Absatz 3). Bemerkenswert ist nicht, dass der Satz lediglich aus zwei Satzgliedern (Subjekt und Prädikat) besteht. Bemerkenswert ist, dass das Subjekt, im Vorfeld stehend, 51 Wörter zählt, das satzschließende Prädikat nur ganze zwei, nämlich die Wörter ist (als finite Verbform) und Niebüll (als Prädikativum). Mammutsatzglieder und extreme syntaktische Disproportionen gibt es in der pragmatischen Textkommunikation nur im Stil des Behördenwesens. 4. Ein spezieller Aspekt von bürokratischer Formalisierung ist Formelhaftigkeit, die Kommunikation mit sprachlichen Fertigteilen. Formelhafte Gestaltungsmittel sind in erster Linie ▶ Nominationsstereotype, d. h. nichtidiomatische Phraseologismen (vgl. zum Begriff Fleischer 2001: 114): Freispruch mangels Beweises; zu unserer Entlastung zurück; im Namen des Volkes; mit sofortiger Wirkung sowie ▶ Funktionsverbgefüge (Streckformen), d. h. Konstruktionen aus Funktionsverb und (präpositional regiertem) Substantiv, die formal i. d. R. durch ein einfaches Vollverb ersetzbar sind, aber dann ihren amtlichen Charakter verlieren: in Anspruch nehmen (Beleg im Beispieltext); Anwendung finden; zur Durchführung bringen; Ersatz leisten; ein Geständnis ablegen; Klage erheben (im Beispieltext die Ableitung Klageerhebung); in Vollzug setzen; Widerspruch einlegen u. v. a. Das Funktionsverbgefüge Widerspruch einlegen z. B. ist zwar formal durch das einfache Vollverb widersprechen ersetzbar, semantisch aber führt eine solche Ersetzung zur Undeutlichkeit, da nur das Substantiv Widerspruch, nicht aber das Verb widersprechen seinen Status als Fachwort signalisiert und eindeutig einen juristischen Sachverhalt bezeichnet (vgl. auch Fleischer / Michel / Starke 1996: 125). 3.5.4.6 Funktionalstil des Journalismus a) Funktionale und situative Parameter der Kommunikation Der Funktionalstil des Journalismus ist eine Kommunikationsform, die sich im Massenmedium Presse herausgebildet und durch fortschreitende technische Entwicklung auf weitere Massenmedien (Hörfunk, Fernsehen, Internet) ausgedehnt hat. Die Zweckbestimmtheit der <?page no="226"?> 226 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Sprache resultiert in diesem Bereich aus Aufgaben, die dem Journalismus in verschiedenen Arbeitsfeldern zukommen. Journalistische Arbeitsfelder Journalistische Aufgaben Informationsjournalismus Vermitteln von Fakteninformationen zu einem aktuellen oder bevorstehenden Ereignis Meinungsjournalismus Beurteilen eines aktuellen Ereignisses oder Vorhabens; Kritisieren gesellschaftlicher Verhältnisse; Aufdecken von Missständen Erlebnisjournalismus Mit- oder Nacherlebbarmachen von Ereignissen, an denen der Journalist persönlich beteiligt ist oder war (Vermitteln von Sport-, Reise-, Kulturerlebnissen) Tab. 24: Arbeitsfelder und Aufgaben im Journalismus Die aufgeführten journalistischen Arbeitsfelder sind ressortübergreifend; es gibt sie in den journalistischen Ressorts Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Lokales, und Journalisten können ihre Aufgabe vorrangig darin sehen, das Medienpublikum mit informations-, meinungs- oder erlebnisjournalistischen Beiträgen zu unterhalten. Doch ganz gleich, in welchem Arbeitsfeld oder Ressort Journalisten zu Hause sind, ihre Hauptaufgabe besteht darin, Neuigkeiten zu verbreiten, die für die Öffentlichkeit eines Landes von Belang und Interesse sind (vgl. Hoffmann 2011: 18 ff.). Während die textproduzierenden Journalisten redaktionell eingebunden und somit dienstlichen Zwängen ausgesetzt sind, ist die Textrezeption, sofern sie nicht beruflich veranlasst ist, reine Privatangelegenheit. Die Rezipienten müssen angesichts der Vielzahl an journalistischen Medienbeiträgen eine Auswahl treffen. Sie können sich journalistischen Texten gegenüber gänzlich verweigern. Das Medienpublikum ist ein sozial heterogenes Massenpublikum, wobei gegebenenfalls spezielle Zielgruppen erreicht werden sollen. Die Kommunikationskanäle sind schriftlich (Presse), mündlich (Hörfunk), mündlich und schriftlich (Fernsehen), schriftlich und mündlich (Internet). Eine aspektreiche Beschreibung des Kommunikationsbereichs findet sich bei Harald Burger (2005: 1-31). b) Stilistischer Merkmalskomplex Den drei aufgeführten journalistischen Arbeitsfeldern entsprechen drei Gattungsstile des Journalismus. In jedem konkretisiert sich das stilprägende Gestaltungsprinzip der journalistischen Formung aufgabenbezogen anders. 1. Medientexte des Informationsjournalismus (z. B. Meldungen und Medienberichte) zeichnen sich durch eine tatsachenbetonte Berichterstattung aus. Wir zeigen typische Merkmale am Beispiel einer Meldung aus dem Ressort Sportberichterstattung auf. <?page no="227"?> 227 3.5 Stiltypen JUDO Sven Maresch scheitert bei Olympia im ersten Kampf Der deutschen Judoka Sven Maresch ist gleich in seinem Auftaktkkampf gescheitert. Der 29 Jahre alte Berliner verlor in der Kategorie bis 81 Kilogramm am Dienstag in Rio de Janeiro gegen Sergiu Toma aus den Vereinigten Arabischen Emiraten durch seinen vierten Strafpunkt. Für Maresch war bei seiner ersten Olympia- Teilnahme damit schon früh Schluss. dpa Beispieltext 63: Meldung Potsdamer Neueste Nachrichten, 10. 08. 2016, 15. Die journalistische Formung von Texten ist bereits an ihrem Titel erkennbar, der aus einer Schlagzeile besteht. Journalistische Texte haben keine Überschrift-- sie sind mit einer Schlagzeile betitelt. Dass dieser Schlagzeilen-Titel in Presse und Internet i. d. R. als Überschrift erscheint, ist lediglich ein textarchitektonisches Zusatzmerkmal und auf die Schlagzeilen in den anderen journalistischen Medien ohnehin nicht übertragbar. Journalistische Texte können auch ein Titelgefüge aufweisen. Das ist dann der Fall, wenn Schlagzeilen als typographisch hervorgehobene Zeilen (Blickfangzeilen) mit einer Ober- und / oder mit einer Unterzeile versehen sind. Im Beispieltext kommt die Schlagzeile Sven Maresch scheitert bei Olympia im ersten Kampf zusammen mit der Oberzeile Judo vor, die den Text einer Sportart zuordnet. Die Texthandlungs- und Themenstruktur informationsjournalistischer Texte wird von Mitteilungshandlungen bestimmt, die Antworten auf faktenbezogene W-Fragen geben (vgl. Bucher 1986: 82): ▶ Was hat sich ereignet? ▶ Wo, wann, wie, weshalb hat es sich ereignet? ▶ Wer war an dem Ereignis beteiligt? Stilistisch relevant ist, dass diese W-Fragen tatsachenbetont beantwortet werden. Geachtet wird im Informationsjournalismus ▶ bei der Beantwortung der Wer-Frage auf vollständige Personennamen (Sven Maresch; Sergiu Toma) und offizielle Bezeichnungen als Zusätze zu Personennamen (der deutsche Judoka; aus den Vereinigten Arabischen Emiraten); ▶ bei der Beantwortung der Wo-Frage auf offizielle Ortsbezeichnungen (Rio de Janeiro); <?page no="228"?> 228 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil ▶ bei der Beantwortung der Wann-Frage auf wochentagsbezogene Bezeichnungen (am Dienstag), die durch ihre scheinbare Ungenauigkeit zum Zeichen für die Aktualität der Berichterstattung werden; ▶ bei der Beantwortung der Was-Frage auf normalsprachliche Ereigniswörter (erster Kampf; Auftaktkampf) und fachsprachliche Bezeichnungen als Zusätze zu Ereigniswörtern (in der Kategorie bis 81 Kilogramm). Geachtet wird darüber hinaus auf Quellenangaben (wie dpa). Der Textproduzent bleibt im Informationsjournalismus prinzipiell sprachlich unsichtbar. Wird Rede wiedergegeben, so gilt auch für den Einsatz redekennzeichnender Verben das Gebot der Normalsprachlichkeit. Verwendet werden Verben wie sagen, betonen und hervorheben. 2. Medientexte des Meinungsjournalismus (z. B. Kommentare und Kritiken) erkennt man am meinungsbetonten Verbreiten von Neuigkeiten. Wir zeigen einige typische Merkmale am Beispiel eines Sportkommentars auf. Ruf nach Reformen L arS S pannageL über die schlechten Resultate deutscher Schwimmer Es war wie ein Running Gag im Olympic Aquatic Stadium. Fast jedes Mal, wenn ein deutscher Schwimmer ratlos über seine schlechte Platzierung sprach, lief im Hintergrund die amerikanische Nationalhymne. Die USA haben die Schwimmwettbewerbe absolut dominiert. Den Deutschen hingegen ist es nicht gelungen, den Anschluss an die Weltspitze wieder herzustellen. Im Kielwasser von Michael Phelps ist eine US -Schwimm-Generation entstanden, die ihrem Idol nacheifert. Von 33 Goldmedaillen im Becken von Rio gingen 16 an die USA , nur in drei Disziplinen gingen die USA leer aus. Von einer solchen Breite an Toptalenten kann man in Deutschland nach den zweiten Olympischen Spielen in Serie ohne Medaille nur träumen: In den USA ist Schwimmen auch dank Phelps Volkssport, hierzulande immer mehr Randsport. Chef-Bundestrainer Lambertz kündigte angesichts geringer finanzieller Mittel an, künftig noch weniger Sportler optimal fördern zu können. Und er ist sich sicher, „dass uns der Nachwuchs sicher nicht die Türen einrennen wird“. Natürlich fehlt es den deutschen Schwimmern in Rio auch am Selbstbewusstsein der Amerikaner, persönliche Bestzeiten oder Steigerungen von Vorlauf zu Halbfinale zu Endlauf sah man kaum. In kaum einer Sportart treten aber die Mängel im deutschen Förderungssystem so offensichtlich zu Tage wie im Schwimmen. Die gewünschte duale Karriere ist angesichts des immensen Aufwands kaum zu bewältigen. Von Bedingungen wie an US-Colleges können deutsche Schwimmer nur träumen. Auch Großbritannien bringt zurzeit mehr herausragende Athleten hervor - die Reform des deutschen Spitzensportsystems drängt. Besonders für die Schwimmer. Beispieltext 64: Sportkommentar Potsdamer Neueste Nachrichten, 15. 08. 2016, 13. <?page no="229"?> 229 3.5 Stiltypen Zu unterscheiden ist zwischen ‚Meinung‘ (als Thementyp) und Meinungsbetontheit (als Gestaltungsprinzip). Meinungen können auch in Texten des Informations- und Erlebnisjournalismus thematisiert werden. Meinungsjournalistische Meinungsbetontheit hingegen erstreckt sich auf den Text als Ganzheit und erfasst in erster Linie die Art und Weise, wie die Texthandlung BEWERTEN (eines aktuellen Ereignisses) durchgeführt wird. Dabei stellen sich v. a. folgende Fragen: ▶ Wie wird der zentrale Bewertungsgegenstand (das zu bewertende Ereignis) in den Text eingeführt? ▶ Werden Bewertungsmaßstäbe zugrunde gelegt? Wenn ja, wie werden sie kommuniziert? ▶ Welche Bewertungsmittel werden verwendet? Der zentrale Bewertungsgegenstand findet in unserem Beispieltext bereits im Lead Erwähnung-- mit einer Wortgruppe, in die das Bewertungsprädikat schlecht integriert ist: die schlechten Resultate deutscher Schwimmer. Haupttexteröffnend wird jedoch etwas anderes wiedergegeben, nämlich eine Szene aus dem Olympia-Schwimmstadion in Rio de Janeiro, die sich häufig wiederholte und der eine gewisse Tragikomik innewohnte, was den Kommentator veranlasst, sie mit einem bildlichen Vergleich zu bewerten: Es war wie ein Running Gag. Erst am Ende des ersten Absatzes bewertet der Kommentator die Schwimmleistungen mit Verweis darauf, dass der Anschluss an die Weltspitze erneut nicht geglückt ist. Die journalistische Formung von Bewertungshandlungen betrifft also zum einen ihre Verteilung auf mehrere Teiltexte (Lead, Haupttext, es sind auch bewertende Schlagzeilen möglich), zum anderen die Wahl eines Texteinstiegs, der den zentralen Bewertungsgegenstand vorerst in den Hintergrund treten lässt. Bewertungshandlungen muss nicht zwangsläufig ein Bewertungsmaßstab zugrunde liegen. Wer etwas gut oder schlecht findet, muss nicht zugleich Auskunft darüber geben, woran er sein Werturteil festmacht. Im Meinungsjournalismus ist eine solche Auskunft unumgänglich. Bei Sportkommentaren geben bereits die einzelnen Sportarten Bewertungsmaßstäbe im Sinne von sportlichen Werten vor, z. B. ‚Schnelligkeit‘ bei den Lauf- und Schwimmdisziplinen oder ‚Torgefährlichkeit‘ bei den Ballsportarten. Sportartübergreifende Bewertungsmaßstäbe sind u. a. ‚Fairness‘, ‚Teamgeist‘ und ‚Fähigkeit zur Leistungssteigerung‘. Ein Bewertungsmaßstab aus der Zuschauerperspektive ist ‚Unterhaltungswert‘. Die Orientierung an Bewertungsmaßstäben ist auch in unserem Beispieltext nachweisbar. Sie werden zu Kriterien des Vergleichs zwischen den Nationen USA und Deutschland. Wir stellen einige Analyseergebnisse hierzu in einer Übersicht zusammen und nehmen die jeweiligen Bewertungsmittel mit auf: Bewertungsmaßstäbe Textbelege Bewertungsmittel ‚Medaillenerfolg’ schlechte Resultate; schlechte Platzierung Wertadjektiv schlecht ‚Weltspitze’ Den Deutschen ist es nicht gelungen, den Anschluss an die Weltspitze wieder herzustellen. Ergebnis-Ziel-Konstruktion (mit erfolgsverneinendem Präsatz und Wertsubstantiv Weltspitze) <?page no="230"?> 230 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Bewertungsmaßstäbe Textbelege Bewertungsmittel ‚nationale Relevanz des Schwimmens’ In den USA ist Schwimmen Volkssport, hierzulande immer mehr Randsport. Antithese Volkssport - Randsport ‚Fähigkeit zur Leistungssteigerung’ Persönliche Bestzeiten oder Steigerungen von Vorlauf zu Halbfinale zu Endlauf sah man kaum. Wertsubstantive Bestzeiten und Steigerungen in Kombination mit dem Modaladverb kaum (‚fast gar nicht‘) ‚Effizienz nationaler Fördermaßnahmen’ Von Bedingungen wie an US -Colleges können deutsche Schwimmer nur träumen. Realität-Wunsch-Konstruktion (mit realitätsverneinendem Verb träumen in Kombination mit der Modalpartikel nur) Tab. 25: Bewertungsmaßstäbe und -mittel in der Sportberichterstattung (am Beispiel eines Sportkommentars) Die Übersicht verdeutlicht: Journalistische Bewertungen des zentralen Bewertungsgegenstands weisen eine Orientierung an Bewertungsmaßstäben auf, die sowohl explizit als auch implizit kommuniziert werden. Im Beispieltext bezeichnen die Wertsubstantive Weltspitze und Steigerungen den Maßstab explizit. Kennzeichnend ist darüber hinaus eine große Bandbreite an Bewertungsmitteln. Der Kommentator des Beispieltextes hat im Großen und Ganzen auf die Variation der Mittel geachtet. Er listet gesellschaftliche und individuelle Defizite als Gründe für die Erfolglosigkeit der Schwimmer auf. Die Texthandlung BEWERTEN wird mit der Texthandlung BEGRÜNDEN verknüpft. 3. Die Realisierung des Gestaltungsprinzips Erlebnisbetontheit macht journalistische Medientexte (z. B. Reportagen und Feuilletons) zu erlebnisjournalistischen Texten. Wir arbeiten einige typische Merkmale an einem weiteren Beispieltext heraus. TRIO de Janeiro Olympia tunnelt mich c hriStian h önicke will von der Welt da draußen gerade nix wissen Ach, ist schon eine Woche rum? Ich habe gar nicht darauf geachtet. Ich bin im Tunnel. Das sagen die Sportler immer, wenn man sie fragt, wie sie denn dies und das so finden. Sie haben nie eine Meinung, sie bekommen ja nichts von der Außenwelt mit, weil sie sich komplett auf ihren Wettkampf konzentrieren. Ich weiß jetzt, wie das ist. Die erste Woche Olympische Spiele vermengt sich in meinem Kopf zu einem gigantischen Sportbrei. Tobas Kreuzbandriss, Djokovics Tränen, blutende Radfahrer, kotzende Ruderer, tanzende Brasilianer. So viele Bilder, so viele Medaillen, so viele Triumphe, so viele Tragödien, und jeden Tag kommen neue dazu. Da ist kein Platz mehr für irgendetwas anderes, der Sport verlangt die volle Konzentration. Gestern bin ich im Bus auf dem Weg von einem Wettbewerb zum nächsten den Strand von Ipanema entlanggefahren, das hat mir zumindest der Routenplaner später angezeigt. Statt aus dem Fenster zu sehen oder Fotos zu schießen, habe ich am Handy den Tagesplan durchgearbeitet. Wo muss ich hin, wer gegen wen, ist der Südkoreaner Weltmeister oder die Brasilianerin, Ippon, Volley, <?page no="231"?> 231 3.5 Stiltypen Riesenfelge? Nach dem Kampf ist vor dem Rennen, im Tunnel gibt es keinen Strand. Meine Welt ist jetzt Olympia, alles andere existiert nicht. Nur manchmal, alle zwei, drei Tage, huscht ein kurzer Gedanke durch mein Gehirn. Wie es wohl jetzt da draußen aussieht? Haben wir noch eine Kanzlerin? Gibt es den Euro noch? Nein, halt, sagt es mir lieber nicht, das lenkt nur ab. Ich muss im Tunnel bleiben. Eine Woche noch, oder? Ich kann das Licht sehen. An dieser Stelle wechseln sich unsere drei Olympiareporter Lars Spannagel, Sven Goldmann und Christian Hönicke ab. Beispieltext 65: Feuilleton Potsdamer Neueste Nachrichten, 13. 08. 2016, 8. Erlebnisjournalisten stehen vor der Aufgabe, vor Ort Erlebtes mit- oder nacherlebbar zu machen. Im Rahmen der Textsorte Feuilleton geht es um Letzteres. Es geht um das Wiedergeben von Eindrücken zu einem aktuellen Ereignis. Es dominiert die Texthandlung SCHILDERN . Um Erlebnisbetontheit zu erzeugen, greifen Journalisten auf Gestaltungsverfahren wie die folgenden zurück. Egoisieren von Sichtweisen: Im Unterschied zur Reportage blenden Feuilletonisten die Sichtweisen anderer Menschen weitestgehend aus. Sie kommunizieren vorrangig ich-perspektiviert, was bereits in der Formulierung von Schlagzeilen zum Ausdruck kommen kann: Olympia tunnelt mich. Stilistisch merkmalhaft ist dabei nicht die Verwendung von Pronomina wie ich und mein an sich-- merkmalhaft ist, dass sich ein Reflektor-Ich artikuliert, und zwar in Gestalt eines inneren Monologs, einer Selbstdiagnose, einer Selbstprognose, eines Selbstvergleichs oder einer Selbstbefragung (vgl. Hoffmann 2014: 231). Für unseren Beispieltext sind Selbstdiagnose (siehe Schlagzeile) und Selbstbefragung (siehe Haupttext) charakteristisch. Die Selbstbefragung bringt einen interessanten Fragesatztyp hervor, der in keinem Grammatiklehrbuch verzeichnet ist: die Egofrage. Sie wird im Beispieltext texteröffnend gestellt (Ach, ist schon eine Woche rum? ), bildet in der Textmitte eine Sequenz (Wo muss ich hin, wer gegen wen usw.) und erscheint auch am Textende (Haben wir noch eine Kanzlerin? Gibt es den Euro noch? ), wo sie in eine Hinwendung zum Lesepublikum mündet (Nein, halt, sagt es mir lieber nicht, das lenkt nur ab.). Mit dieser Aufforderung wird ansatzweise das Gestaltungsverfahren des Dialogisierens mit dem Leser (vgl. Sandig 2006: 215) realisiert. Es hat erlebnisjournalistisch den Zweck, die Leserschaft in die Gedanken- und Erlebniswelt des Journalisten hineinzuziehen; es ist ein Verfahren zum Erzeugen von Andringlichkeit. Metaphorisieren von Sichtweisen: Der Produzent des Beispieltextes zitiert die in Sportlerkreisen gängige Redewendung im Tunnel sein (‚von der Außenwelt nichts mitbekommen‘), bildet davon auf kreative Weise ein verbales Derivat (tunneln), konstruiert eine phraseologische Variante (im Tunnel bleiben) und stellt im letzten Satz eine Beziehung zur Redewendung Licht am Ende des Tunnels sehen her, die er auf die Komponenten Licht und sehen reduziert (Ich kann das Licht sehen.). Origineller Sprachgebrauch liegt auch in der Metapher ein <?page no="232"?> 232 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil gigantischer Sportbrei vor, mit der die Fülle an Eindrücken von der ersten Woche Olympia veranschaulicht wird. Kumulieren von Einzelheiten: Erlebnisbetontes Gestalten erfordert eine gewisse Detailfülle, ein Ausmalen des Erlebten. Charakteristisch für den Beispieltext ist, dass eine bunte Mischung von Einzelheiten präsentiert wird. Asyndetisch koordinierte Glieder von Aufzählungen bezeichnen erstens szenische Details von Wettkämpfen verschiedener Sportarten: Tobas Kreuzbandriss, Djokovics Tränen, blutende Radfahrer, kotzende Ruderer, tanzende Brasilianer. Kumuliert werden zweitens sportartübergreifende Details des Großereignisses Olympia: So viele Bilder, so viele Medaillen, so viele Triumphe, so viele Tragödien. Mit dieser Aufzählung wird besonders stark emotionalisiert. Die Aufzählungsglieder haben die Form von Ausrufesätzen, und die Wiederholungsfigur Anapher intensiviert den Gefühlsausdruck. Kumuliert werden drittens Details eines noch ungeordneten Tagesplans: Wo muss ich hin, wer gegen wen, ist der Südkoreaner Weltmeister oder die Brasilianerin, Ippon, Volley, Riesenfelge? Fachwörter verschiedener Sportarten stehen bei dieser Aufzählung metonymisch für ‚Wettkämpfe in diesen Sportarten‘: Ippon (Judo); Volley (Ballsport); Riesenfelge (Turnen). Der Beispieltext ist in einer Olympia-Kolumne erschienen, deren Beiträge abwechselnd von drei Journalisten verfasst wurden. Wir wollen abschließend den originellen Kolumnentitel würdigen, der eine Wortkreuzung (Kontamination) enthält: Trio de Janeiro. 3.5.4.7 Funktionalstil der Werbekommunikation a) Funktionale und situative Parameter der Kommunikation Im Paradigma der Funktionalstile nimmt der Funktionalstil der Werbekommunikation eine Sonderstellung ein, da er-- im Unterschied zu allen anderen Funktionalstilen-- eine Texthandlung ( WERBEN ) im Namen führt. Fragt man nach den bereichstypischen Funktionen der Sprache, ist zwischen kommerzieller Werbung (Reklame) und politischer Werbung (Propaganda) zu unterscheiden. Kommerzielle Werbung ist darauf aus, Käufer für ein Produkt, Nutzer einer Dienstleistung oder Besucher einer Veranstaltung zu gewinnen. Politische Werbung zielt in Wahlkämpfen auf die Gewinnung von Wählern einer Partei, in Volksentscheiden auf die Gewinnung von Befürwortern bzw. Gegnern einer politischen Maßnahme von gesamtgesellschaftlicher Tragweite. Um möglichst viele Textrezipienten zu erreichen, werden die journalistischen Medien Presse, Hörfunk, Fernsehen und Internet genutzt. Werbung ist auch im Straßenbild zu finden: auf Plakaten, Schaufensterscheiben, Karosserien von Fahrzeugen usw. Es gibt kommerziell und politisch ausgerichtete Werbeveranstaltungen, wo sich die Kommunikationspartner face-to-face gegenüberstehen. Werbetexter gehören häufig einer Werbeagentur an, hinter der ein Unternehmen oder eine politische Organisation als Auftraggeber stehen. Werbetexte werden vielfach Personen in den Mund gelegt, die beispielgebend in die Rolle eines Käufers oder Wählers schlüpfen. Häufig haben diese Personen Expertenbzw. Prominentenstatus, worin zugleich ein werbestrategischer Aspekt zu sehen ist. Werbestrategische Überlegungen erstrecken sich auch auf den Rezipientenkreis, indem eine Zielgruppe <?page no="233"?> 233 3.5 Stiltypen ins Auge gefasst wird. Dabei können soziodemographische Merkmale (Alter, Geschlecht, Einkommen), psychologische Merkmale (Denkweisen, Vorurteile, Vorlieben), soziologische Merkmale (z. B. Gruppennormen) und Konsumdaten (z. B. Konsumbedürfnisse, Kaufverhalten) bestimmend werden (vgl. Janich 2010: 27-- mit Bezug auf werbetheoretische Literatur). Werbestrategische Überlegungen sind notwendig, denn die Textproduzenten befinden sich generell in einer Problemsituation. Sie müssen zum einen eine Kommunikationsbarriere in Form eines (unterstellten) kommunikativen Widerstands gegen die Werbebotschaft zu überwinden suchen und sich zum anderen gegenüber Konkurrenten behaupten. Die Textrezipienten bzw. -adressaten befinden sich in einer Entscheidungssituation. Sie sehen sich vor die Entscheidung gestellt, entsprechend der aktuellen oder entsprechend einer anderen, konkurrierenden Werbebotschaft zu handeln. Auch besteht die Möglichkeit, prinzipiell eine negative Rezeptionshaltung einzunehmen und Werbebotschaften voll und ganz zu ignorieren. b) Stilistischer Merkmalskomplex Der funktionalstilistische Blick auf Werbekommunikation erfasst einen relativ festen Merkmalskomplex. Es geht also um d e n typischen Werbestil und nicht-- wie bei registerstilistischer Betrachtung (siehe 3.3.2)-- um Werbestile in ihrer Vielfalt, d. h. um Werbestilistisches in größtmöglicher (werbestrategischer, werbesemiotischer) Differenziertheit. Im Folgenden beschreiben wir den Gattungsstil der kommerziellen Werbung. 1. Stilprägend im funktionalstilistischen Sinne ist v. a. das Gestaltungsprinzip Anpreisung. In lexikalischer Hinsicht können sich Wörter aller werbekommunikativ wesentlichen Wortschatzbereiche (siehe Tab. 20) als anpreisend-persuasiv zu erkennen geben. Während im Stil der Alltagskommunikation (siehe 3.5.4.2) Gebrauchsgegenstände mit Wörtern des Grundwortschatzes bezeichnet werden, ist werbestilistisch deren Ersetzung durch klangvolle Produktnamen typisch: Warsteiner Spitzenpilsener (statt Bier); Finn Comfort Schuhe (statt Schuhe); Gran Café (statt Kaffee); Krups Novodent Family (statt Zahnbürste); Digitalkamera Yakumo (statt Fotoapparat). Während Fachwörter im Stil des Behördenwesens (siehe 3.5.4.5) u. a. die Funktion haben, amtlichen Nachdruck zu erzeugen, ist ihnen werbestilistisch die Funktion zugedacht, objektive Produkteigenschaften (Inhaltsstoffe, Materialien, Konstruktionsdaten, Gebrauchswerte usw.) anzupreisen, z. B. L-Carnitin unterstützt die Fettverbrennung (Eiweiß- Diät-Produkt). Während Wertwörter im Stil des Journalismus (siehe 3.5.4.6) eingesetzt werden, um aktuelle Ereignisse und Entwicklungen zu beurteilen, dienen sie in der Werbekommunikation dazu, subjektive Produkteigenschaften anpreisend, d. h. generell positiv bewertend zu fixieren. Hotels haben nach den Worten von Reiseveranstaltern eine erstklassige Lage, ein modernes Ambiente, fantastische Bungalowzimmer. Die Schweizer Stadt St. Gallen verzaubert ihre Besucher mit einer schmucken Altstadt, gemütlichen Cafés und hübschen Boutiquen. Während Gefühlswörter im Funktionalstil der Dichtkunst (siehe 3.5.4.3) als ein Mittel der künstlerischen Formung lyrischer Texte dienen, verbindet sich werbestilistisch mit ihnen ein Werbeversprechen-- das Versprechen nämlich, dass sich positive Gefühlszustände bei all <?page no="234"?> 234 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil denen einstellen, die das beworbene Produkt erwerben. Es gibt Zusammenhänge zwischen Gefühlswort und Produktbranche, z. B. Freude und Spaß in der Autowerbung (Freude am Fahren; Fahrspaß), Glück und Traum in der Immobilienwerbung (Wohnglück; Wohntraum; Traumhaus). Werden Gefühlswörter an exponierter Stelle eingesetzt, z. B. in Werbeslogans, rückt nicht der Gebrauchswert, sondern der Gefühlswert in den Vordergrund. In der Gastronomie- und Destinationswerbung findet man auch Erlebniswörter-- lexikalische Einheiten, die ein Erlebnis in Aussicht stellen, z. B. Genuss (ein wahrer Genuss für Liebhaber der Meeresküche) und Nervenkitzel (Wer glamourösen Nervenkitzel liebt, kommt im Grand Casino Bern auf seine Kosten.). Adjektivische Erlebniswörter sind beispielsweise spannend (spannende Kulturen) und exotisch (exotische Landschaften). Hingewiesen sei noch auf Spezialbereiche anpreisender Lexik: das Innovations- und Exklusivitätsvokabular (siehe 3.3.2). Durch die hergestellten Vergleiche zwischen dem Werbestil und anderen Funktionalstilen erkennen wir ein weiteres Mal, dass Gestaltungsmittel nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern in Gestaltungszusammenhänge integriert werden müssen. Probate flexionsmorphologische Mittel der Anpreisung sind bekanntlich Komparative und Superlative. Komparationsparadigmen werden auch syntagmatisch entfaltet und mit dem Markennamen, der den Superlativ ersetzt, abgeschlossen: Gut, besser, Paulaner. Wortbildungsmorphologisch ist u. a. auf Augmentativkonstruktionen hinzuweisen: auf Komposita mit Erstgliedern wie Riese (Riesenwaschkraft), Spitze (Spitzenpilsener), hoch (hocheffektiv) und super (supergünstig) sowie Derivate mit Präfixen wie mega- (megaattraktiv) und ultra- (ultramodern). Als anpreisend in syntaktischer Hinsicht sind Imperativsätze anzusehen, die eine Aufforderung mit einem Erlebnisversprechen verknüpfen. Sie kommen u. a. in der Gastronomiewerbung vor: Lassen Sie sich verführen.-- Lehnen Sie sich entspannt zurück.-- Erleben Sie unser monatlich wechselndes 3-Gang-Menü.-- Starten Sie genussvoll in den Tag. 2. Ein weiteres wesentliches Gestaltungsprinzip des Stils der Werbekommunikation ist Einprägsamkeit. Hierbei kommt dem Satzbau eine Schlüsselrolle zu. Charakteristisch sind kurze, einfache Sätze (1-7 Wörter). Um komplexere Sätze in ihrem Umfang zu reduzieren, erhalten Satzglieder die Form eines selbständigen Satzes: Jetzt ist Ihr Haus zum Greifen nah. Mit der Gesamtfinanzierung von Wüstenrot. Auch die Glieder einer Aufzählung werden häufig syntaktisch verselbständigt: Quadratisch. Praktisch. Gut. Diese rhetorischen Eingriffe in die Schreibsprache folgen den Regeln einer disjunktiven Grammatik. Das Separieren von Satz- und Aufzählungsgliedern erinnert an marktschreierische Rede (vgl. Stöckl 1997: 51) und kann deshalb als ein Verfahren des Einprägsam-Machens angesehen werden. Viele Werbeslogans und -schlagzeilen basieren auf dem Strukturmuster ‚Produkt-/ Markenname + Ellipse mit Anpreisungsvokabular‘, auch in umgekehrter Reihenfolge, wie Beispiele aus der Autowerbung zeigen: Peugeot. Mit Sicherheit mehr Vergnügen.-- Volvo. Der Zukunft mit Sicherheit voraus.-- Mercedes-Benz. Das Beste oder nichts.-- BMW . Freude am Fahren.-- Voller Leben. Der neue Almera Tino. Einen hohen Stellenwert beim Einprägsam-Machen von Werbetexten haben nicht zuletzt Gestaltungsmittel des rhetorisch-ästhetischen Kodes, d. h. Abweichungs-, Wiederholungs- <?page no="235"?> 235 3.5 Stiltypen und Gegensatzfiguren (siehe 3.1.2-3.1.4). Wir führen Beispiele an für die Figuren Personifikation (Ihre Füße werden staunen.); Anapher (Bessere Farben. Bessere Bilder. Besser jetzt.); Kyklos und Parallelismus (Meine Katze liebt Whiskas. Ich liebe meine Katze.) sowie Antimetabole (Einfach komplett. Komplett einfach). Zur Abrundung des Dargelegten zeigen wir an einem Beispieltext (Text 66), dass es nur weniger Merkmale bedarf, um einen Stil als Werbestil zu typisieren. Beispieltext 66: Prospektofferte Kulinarischer Kalender Juli bis September 2016, Mövenpick Restaurant „Zur Historischen Mühle“, Potsdam- Sanssouci. Als werbestilistisch bedeutsam registrieren wir ▶ das Auflisten von Vorzügen der offerierten Speisen mit Hilfe adjektivischer Wertwörter: gesund; hausgemacht; köstlich; vielfältig; verführerisch; ▶ das Anreichern einer dreigliedrigen Aufzählung mit Gefühlswörtern (Liebe; Leidenschaft): Liebe, Leidenschaft & Küche, womit eine Art Motto für den Restaurantbesuch formuliert ist; ▶ das Anreichern eines Imperativsatzes mit Erlebniswörtern (Entdeckungsreise; sonniges Italien; genießen): Gehen Sie an unserem Buffet auf kulinarische Entdeckungsreise ins sonnige Italien und genießen Sie „La dolce Vita“. <?page no="236"?> 236 3 Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil Das Zitat „La dolce Vita“ verdient natürlich auch Beachtung. Zitiert wird der Titel eines berühmten italienischen Films von Federico Fellini, was hervorragend zum kulinarischen Thema des angepriesenen Restaurantbesuchs (Italienischer Abend) passt. Bei einer funktionalstilistischen Betrachtung von Werbekommunikation sind Zitate und weitere Erscheinungsformen des Herstellens intertextueller Beziehungen (vgl. dazu ausführlich Janich 2010: 232-241) aber eher auszublenden, denn es kommen dabei werbestrategische und -semiotische Aspekte zum Tragen, die sich mit einem registerstilistischen Ansatz besser erschließen und beschreiben lassen. <?page no="237"?> 237 4.1 Leitsätze 4 Hinweise zur Methodik der Stilanalyse 4.1 Leitsätze Wir waren im ersten Kapitel des Buches auf einige textstilistische Teilkompetenzen eingegangen, über die Textproduzenten wie -rezipienten verfügen müssen (siehe 1.2), und erweitern diese Liste nun, indem wir auf die Analysekompetenz zu sprechen kommen-- eine speziell rezipientenseitige Teilkompetenz. Wie andere Teilkompetenzen auch erwirbt man Analysekompetenz nicht von heute auf morgen. Wir verstehen darunter die Fähigkeit, Stile als Gestaltungsprodukte nach methodisch reflektierten Gesichtspunkten zu kennzeichnen, zu beschreiben und gegebenenfalls zu bewerten. Am Anfang einer jeden Analyse sollte die Reflexion darüber stehen, w a s man w i e stilanalytisch erreichen will. Im Folgenden formulieren und erläutern wir dazu vier Leitsätze. Leitsatz 1: Jeder Stilanalyse liegt eine Stiltheorie, zumindest eine bestimmte Stilauffassung zugrunde. Die jeweilige Theorie bzw. Auffassung erweitert oder verengt das Blickfeld und gibt die Zielsetzung vor. Es leuchtet sicher ein, dass man Stile nicht analysieren kann, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was überhaupt analyserelevant sein könnte. Von stiltheoretisch fundierten Analysen sind die präzisesten Ergebnisse zu erwarten. Wer Stil als Abweichung von einer Norm bestimmt-- Kernstück der Abweichungsstilistik--, hat ein verengtes Blickfeld. Die Analyse ist einzig und allein darauf gerichtet, Texteinheiten ausfindig zu machen, die als normabweichend gelten können. Texte, die solche Einheiten nicht enthalten, geraten stilanalytisch ins Abseits. Wer Stil als die Art und Weise der Durchführung von Texthandlungen begreift, was den Kern einer pragmatischen Textstilistik ausmacht, wird sein Augenmerk lediglich auf die stilistische Variabilität von Texthandlungen lenken. Das Blickfeld ist hier auf pragmatische Stile verengt; poetische Stile bleiben unberücksichtigt. Wer die Auffassung vertritt, dass Stil ein relativ eigenständiges textkommunikatives Zeichen ist-- Kernstück einer semiotischen Textstilistik (siehe 2.9)--, richtet den Blick auf stilistische Zeichenformative und Zeichenbedeutungen, auf formativische und semantische Strukturen stilistischer Zeichen. Eine semiotische Stilauffassung hat den Vorzug, dass sie das Fundament für Analysen von pragmatischen wie poetischen Stilen bilden kann. Sie hat außerdem den Vorzug, dass sich Textelemente verschiedener Zeichenmedien (Sprache, Typographie, Prosodie, Bilder, Farben, Musik usw.) von vornherein als Elemente eines Stilganzen erfassen lassen. Leitsatz 2: Jede Stilanalyse hat das Herausarbeiten von Gestaltungszusammenhängen zum Oberziel, unabhängig davon, welche Stilauffassung vertreten wird. Stilanalysen dürfen sich nicht im Auflisten von Einzelheiten erschöpfen; sie müssen der Ganzheitlichkeit von Stil Rechnung tragen. Jede der einzelnen Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil (siehe Kap. 3) lenkt den Blick auf das Wahrnehmen von Stilgestalten und zwingt zu interpretativem Nachdenken über formale und / oder funktionale <?page no="238"?> 238 4 Hinweise zur Methodik der Stilanalyse Gestaltqualitäten. Mikrostilistische Fokussierungsformen (siehe 3.1) im Text zu ermitteln ist stilanalytisch gesehen nur eine Vorstufe der Stilbeschreibung. Ausgehend vom Begriff Fokussierung, der funktionale Gestaltqualitäten (‚Hervorhebung‘, ‚Auffälligkeit‘, ‚Expressivität‘) erfasst, ist nicht nur festzuhalten, wodurch (durch welche Gestaltungsverfahren) und womit (mit welchen Gestaltungsmitteln) Texteinheiten hervorgehoben bzw. auffällig oder expressiv gemacht werden. Es muss auch die Frage nach dem Was (Was wird hervorgehoben? ) und dem Wozu (Wozu wird es hervorgehoben? ) gestellt werden. Erst dadurch erhalten funktionale (s. o.) und formale Gestaltqualitäten (Deviation, Isomorphie, Kontrast) ihre textkommunikative Ausdeutung. Erst dadurch gelangt man zu Aussagen, die textstilistisch von Belang sind. Leitsatz 3: Jede Stilanalyse ist auf möglichst klar umrissene Analysekategorien und darauf bezogene Kennzeichnungsbegriffe angewiesen. Der Zugriff auf Analysekategorien und Kennzeichnungsbegriffe ist stilanalytisch höchst bedeutsam, denn nur so können Analyseergebnisse nachvollzogen und überprüft werden. Analysekategorien stehen i. d. R. als Begriffspaare zur Verfügung, z. B. ▶ Figuration und Konfiguration (siehe 2.6.2); ▶ Fokussierungsform und Fokussierungstyp (siehe 3.1); ▶ Stilelement und Stilzug (siehe 3.2); ▶ Stilmittel und Stilregister (siehe 3.3); ▶ Komponente und Komposition (siehe 3.4); ▶ typisierter Stil und Stiltyp (siehe 3.5). Auf einige interpretative Analysekategorien (wie Stilzug, Stilregister und ‚typisierter Stil‘) lassen sich Kennzeichnungsbegriffe systematisch beziehen, z. B. ▶ Knappheit und Breite als darstellungsfunktionale Stilzüge; ▶ Förmlichkeit, Familiarität und Intimität als Stilregister der Beziehungsgestaltung; ▶ Thomas-Bernhard-Stil, Horoskopstil und Stil der Alltagskommunikation als typisierte Stile, ihrerseits beziehbar auf die Stiltypen Individual-, Textsorten- und Funktionalstil. Die Kategorie Textkomposition ermöglicht es, Gestaltungsideen zu beschreiben. Diese lassen sich nicht generell Kompositionstypen (wie Ring-, Spiegelungs- und Designkomposition) zuordnen, denn es handelt sich häufig um unikale gestalterische Kreationen. Hier ist es Aufgabe des Stilanalytikers, gerade die Unikalität der Textkomposition zu beschreiben. Leitsatz 4: Die Methode des Vergleichens hat für Stilanalysen einen herausragenden Stellenwert. Stilistische Kennzeichnungsbegriffe (z. B. Knappheit, Förmlichkeit, Horoskopstil) haben eine doppelte Funktion. Einerseits dienen sie dazu, Stile voneinander abzugrenzen. Andererseits ist es ihre Funktion, Gemeinsamkeiten im Stil mehrerer Texte zu fixieren. Von daher erklärt sich, dass die Methode des Vergleichens in stilanalytischer Hinsicht als besonders geeignet, <?page no="239"?> 239 4.2 Analysemodelle ja als unumgänglich anzusehen ist. Stilvergleiche können unterschiedlich angelegt sein. Ulla Fix (1991: 142-152) spricht von über-, inter- und innertextuellen Vergleichen. Aus unserer Sicht stellen sich wesentliche Parameter von Stilvergleichen wie folgt dar: Vergleichstypen Methodisches Vorgehen Mögliche Analyseziele Systembezogener Vergleich Vergleichen von Gestaltungsalternativen (z. B. Formulierungsvarianten), die im Sprachsystem (oder in einem anderen Kode) angelegt sind Beschreiben von Stilregistern Textartbezogener Vergleich Vergleichen von Gestaltungsweisen im Rahmen von Textsorten oder Textgattungen Beschreiben von Textsorten- oder Funktionalstilen Autorenbezogener Vergleich Vergleichen von Texten ein und desselben Autors Beschreiben von Individualstilen Gruppenbezogener Vergleich Vergleichen von Texten einer bestimmten sozialen Gruppe Beschreiben von Gruppenstilen Historischer Vergleich (synchronisch) Vergleichen von Texten einer bestimmten (literarischen) Epoche Beschreiben von Epochenstilen Historischer Vergleich (diachronisch) Vergleichen von Texten aus verschiedenen historischen Zeiträumen Beschreiben von Stilwandel Textinterner Vergleich Vergleichen von Texteinheiten (verschiedener Zeichenmedialität), von Textebenen und Stilzügen untereinander Beschreiben von Textkompositionen Tab. 26: Parameter stilistischen Vergleichens als Analysemethode „Aussagen zu Stil ohne Vergleich“, schreibt Bernd Spillner (2009: 1774), „sind nicht aussagekräftig. Sie sind natürlich legitim, aber nicht wissenschaftlich.“ Das ist missverständlich formuliert. Stilbeschreibungen erfordern zwar einen Vergleich-- im Sinne einer stilanalytischen Vorleistung. Sie erfordern aber nicht zwingend, dass Texte vergleichend gegenübergestellt werden. Anliegen einer Stilbeschreibung kann es sein, das Charakteristische, Typische oder Einmalige am Stil eines Einzeltextes herauszuarbeiten, ohne dabei andere Texte explizit einzubeziehen. 4.2 Analysemodelle Unter den zahlreichen Analysevorschlägen, die von Stilistikern unterbreitet worden sind (vgl. die Überblicksdarstellung bei Sowinski 1999: 138-166), haben nicht alle modellhaften Charakter. Von einem Analysemodell ist nur dann zu sprechen, wenn Analysestufen/ -schritte festgelegt, Analyseebenen unterschieden oder Analyserahmen konzipiert werden, die Analyseaspekte umschließen. Die Problematik der Modellierung stilanalytischen Vorgehens besteht u. a. darin, dass es nur schwer möglich ist, Texte aller Art gleichermaßen zu berücksichtigen. Poetische Texte verlangen nach einer anderen Vorgehensweise als pragmatische <?page no="240"?> 240 4 Hinweise zur Methodik der Stilanalyse Texte, historische Texte nach einer anderen Vorgehensweise als zeitgenössische Texte (vgl. Sowinski 1999: 166f u. 168-173; Michel 2001: 143-184). Insofern ist es höchst problematisch, für die Analyse poetischer Stile einen textlinguistischen Rahmen zu konzipieren, der Stil in Beziehung zu pragmalinguistischen Kategorien (Handlungstyp, Textfunktion, Illokutionsstruktur) setzt (wie bei Michel 2001: 187 f.). Wir gehen im Folgenden vorrangig auf die Modelle ein, die als praktikable Handreichungen für eine Stilanalyse dienlich sein können. Praktikabel sind Modelle, wenn sie eine klare und überschaubare Struktur mit möglichst eindeutigen Analysekategorien aufweisen. 4.2.1 Stufen-/ Schrittfolgenmodelle a) Drei Stufen einer Analyse poetischer Stile Zu den frühen Entwicklern eines Stufenmodells gehört Wilhelm Schneider. Für die Analyse poetischer Stile zeichnet er drei Stufen vor: 1. Erforschung der sprachstilistischen Erscheinungen (Ausdrucksmittel), „die für das betreffende Schriftwerk oder den Schriftsteller besonders kennzeichnend sind, die ihm sein eigentümliches Gepräge geben“ (1931: 6); 2. Deutung der Stilformen, d. h. Bestimmung ihres Ausdruckswerts; Zusammenstellung der Stilformen von gleichem Ausdruckswert; 3. Unterordnung sämtlicher Ausdruckswerte unter höhere Ordnungsbegriffe (Gattung des Schriftwerks, literarischer Zeitraum, geistige Strömung, Menschen- oder Künstlertypus u. a.). In unsere Terminologie übersetzt: Auf der ersten Stufe werden Stilelemente ermittelt, auf der zweiten Stufe Stilzüge, auf der dritten Stufe Beziehungen zwischen Stilzügen und Gestaltungskontexten. Wie zu erkennen ist, zielt die Handhabung des Modells auch auf die Herausarbeitung individual-, gattungs- und epochenstilistischer Merkmale ab. b) Vier generelle methodische Grundstufen Von Georg Michel stammt ein Modell mit vier „methodischen Grundstufen“ (1972: 73), anzuwenden auf Texte aller Art: 1. Erfassen des Redeganzen, d. h. des dargestellten Sachverhalts und seiner Bewertung durch den Autor; 2. Erfassen der Stilelemente; 3. Erfassen der Stilzüge; 4. Stilbeschreibung. Die Stufen 1-3 werden als Analysestufen von der Synthesestufe 4 abgesetzt. Betont wird, dass es trotz herstellbarer Wechselbeziehungen zwischen den Stufen auf deren Reihenfolge ankommt. Man könne nicht mit dem Erfassen der Stilzüge beginnen, da das Erfassen der Stilelemente dafür eine notwendige Voraussetzung sei. Man könne aber auch nicht mit dem <?page no="241"?> 241 4.2 Analysemodelle Erfassen der Stilelemente beginnen, da ihre Beziehung zum Redeganzen beachtet werden müsse. Die Schneiderschen höheren Ordnungsbegriffe bleiben vom Sprachwissenschaftler Michel unberücksichtigt, weil Untersuchungen dazu seines Erachtens in den Zuständigkeitsbereich der Literaturwissenschaft fallen. Betont wird deshalb auch, dass stilbeschreibend Formulierungen zu vermeiden sind, die durch eine sprachstilistische Analyse nicht gestützt werden können-- Formulierungen wie „Der Autor war sich bewußt-…“; „Er wählt in klarer Erkenntnis, daß-…“; „Er entscheidet sich absichtlich für-…“ (ebd.: 99). c) Drei Schritte bei der Analyse von Werbestilen Eine festgelegte Reihenfolge von Analyseschritten sieht ferner das Modell vor, das speziell für die Analyse von Werbestilen entwickelt wurde (vgl. Hoffmann 2012b), das aber auch als Anregung für Analysen von Stilen anderer Art dienen kann. Es umfasst drei Schritte: 1. Herausarbeiten von Verfahren und Mitteln werbestilistischer Typisierungen (des Typisch-Machens von Werbetext bzw. -stil); 2. Herausarbeiten von Verfahren und Mitteln werbestilistischer Differenzierungen (des Unterscheidbar- oder auch Unverwechselbar-Machens von Werbetext bzw. -stil); 3. Herausarbeiten von Verfahren und Mitteln werbestilistischer Fokussierungen (des Auffällig-Machens von Werbetext bzw. -stil). Diese Schrittfolge wird bewusst so und nicht anders empfohlen; sie orientiert sich am Vorkommen von Werbetexten in ihrer stilistischen Vielfalt. Ausgangspunkt ist erstens die Beobachtung, dass sich bestimmte Texte allein auf Grund ihrer Gestaltung eindeutig als Werbetexte zu erkennen geben und dass sich eine bestimmte Art von Textgestaltung eindeutig als Werbestil identifizieren lässt. Daran schließt sich zweitens die Beobachtung an, dass es verschiedene Werbestile, verschieden gestaltete Werbetexte gibt, darunter auch solche, wo Werbestilistisches sogar verhindert, dass die Werbefunktion auf Anhieb ausgemacht werden kann. Der dritte Analyseschritt leitet sich aus der Beobachtung ab, dass sowohl der typische Werbestil als auch die verschiedenen Werbestile an Verfahren und Mitteln des Auffällig-Machens erkennbar werden. Bei allen drei Schritten kommt es darauf an, Gestaltungszusammenhänge zu beschreiben, d. h. Zusammenhänge zwischen Funktionalem (Gestaltungsmotiven, -prinzipien, -strategien), Prozeduralem (Gestaltungsverfahren) und Instrumentalem (Gestaltungsmitteln). Im Unterschied zu den beiden anderen, einzeltextbezogenen Modellen ist dieses Modell als Handreichung für eine Korpusanalyse gedacht. 4.2.2 Ebenenmodelle a) Systemebenenmodell Einzugehen ist zunächst auf ein Modell, das der Auffindung sprachlicher Gestaltungsmittel dient, die im Text zu Elementen von Stilzügen werden können. Bewährt hat sich dabei eine Orientierung an der Ebenengliederung des Sprachsystems (siehe Tab. 27), ergänzt um das System der Stilfiguren (vgl. u. a. Michel 1972, 79-93; Fleischer / Michel / Starke 1996: 71-79 ). <?page no="242"?> 242 4 Hinweise zur Methodik der Stilanalyse Stufenmodelle, die das Ermitteln von Stilelementen vorsehen, werden somit um ein sprachsystembezogenes Ebenenmodell ergänzt. Sprachsystemebene Gestaltungsmittel und -möglichkeiten (Auswahl) phonologisch-phonetische Ebene ▶ phonetische Variation von Phonemen und Phonemverbindungen ▶ Nutzung von Phonemen und Phonemverbindungen für Alliteration, Endreim und Lautmalerei (Onomatopöie) grapheologisch-graphetische Ebene ▶ radikale Kleinbzw. Großschreibung von Wörtern ▶ Verzicht auf Interpunktionszeichen ▶ Mehrfachsetzung eines Buchstabens ▶ Verwendung von Anführungszeichen als Ironiesignalen flexionsmorphologische Ebene ▶ Wahl von Pluralvarianten (z. B. Jungs statt Jungen) ▶ Wahl von Bedeutungsvarianten einzelner Tempora (z. B. historisches und futurisches Präsens im Dienste der Vergegenwärtigung) ▶ Differenzierung zwischen Modusformen (z. B. Konjunktiv I und II ) als Mitteln der Redewiedergabe wortbildungsmorphologische Ebene ▶ Verwendung von Komposita und Kurzwörtern zum Erzeugen von Knappheit ▶ Nutzung von Wortbildungsmustern für die Bildung von Okkasionalismen ▶ Verwendung von Präfix- und Suffixderivaten (z. B. Unmensch und Dichterling) als Mitteln negativer Bewertung lexikalische Ebene ▶ Wahl von Wörtern einer bestimmten Stilschicht oder mit einer bestimmten Stilfärbung ▶ Ersetzung von heimischen Wörtern durch Fremdwörter ▶ Verwendung von Archaismen, Dialektismen, Professionalismen phraseologische Ebene ▶ Verwendung von sprichwörtlichen Redensarten und Sprichwörtern ▶ Ersetzung einfacher Verben durch Funktionsverbgefüge ▶ Modifikation der Komponentenstruktur von Phraseologismen ▶ Ambiguierung von Phraseologismen durch Remotivation (Aufhebung von Idiomatizität) syntaktische Ebene ▶ Variation der Satzform (einfacher, zusammengesetzter, mehrfach zusammengesetzter Satz) ▶ Variation der Satzanfänge ▶ Ersetzung von Nebensätzen durch Infinitiv- oder Partizipialkonstruktionen ▶ Einflechten von Ausrufesätzen zum Erzeugen von Emotionalität, von Fragesätzen zum Erzeugen eines Plaudertons Tab. 27: Gestaltungsmittel und -möglichkeiten auf den Ebenen des Sprachsystems Auch Stilfiguren lassen sich systematisch als Gestaltungsmittel auffinden. Das macht ihre Gliederung in Figuren der Ersetzung, Wiederholung, Anordnung, Auslassung usw. deutlich. Was bei der Skizzierung des Modells fragmentarisch bleiben musste: An die Auflistung von Gestaltungsmitteln und -möglichkeiten, die das Sprachsystem und der rhetorische Kode zur Verfügung stellen, schließt sich eine ausführliche Beschreibung funktionaler Gestaltungspotenzen dieser Mittel und Möglichkeiten in verschiedenen Verwendungskontexten an (vgl. v. a. Fleischer / Michel 1975: 65-189; Riesel / Schendels 1975: 52-204; Fleischer / Michel / Starke 1996: 71-288). <?page no="243"?> 243 4.2 Analysemodelle b) Textebenenmodell Mit der Erforschung von Regularitäten der Textkommunikation reifte die Erkenntnis, dass es zweckmäßig ist, diese Regularitäten auf verschiedenen Textebenen zu beschreiben und dies texttypologisch nutzbar zu machen (vgl. Heinemann / Viehweger 1991: 145-175). Von daher bezieht die Textstilistik die Anregung, auch textstilistische Regularitäten mehrebnig zu modellieren, stilistisch Merkmalhaftes auf verschiedene Textebenen zu projizieren. Ein Modell dieser Art umfasst drei Vertextungsebenen (siehe 2.4.2), auf denen sich Stil jeweils anders manifestiert: 1. Texthandlungsebene: Stil als das Wie der Durchführung von Texthandlungen; 2. Textthematische Ebene: Stil als das Wie der Versprachlichung und Vertextung des Themas; 3. Textarchitekturebene: Stil als das Wie textarchitektonischer Gestaltung. c) Textzeichenmodell mit Textbedeutungsebenen Werden Texte als zeichenhafte Gebilde aufgefasst, öffnet sich ein neuer Blick auf die Ebenenstruktur von Texten. Texteinheiten verschiedener Zeichenmedialität (gesprochene und geschriebene Sprache, Prosodie, Typographie, Ikonographie usw.) sind dann textformativische Einheiten, die in unlösbarer Verbindung mit textsemantischen Einheiten zu Textzeichen werden, deren Bedeutung auf verschiedenen Ebenen des Textes lokalisierbar ist. Hingewiesen sei auf ein Textzeichenmodell (vgl. Hoffmann 2008c), das im vorliegenden Buch geringfügig modifiziert erneut vorgestellt (siehe 2.9.2) und an einem Presseinterview (Text 43) erprobt wurde. Anliegen des Modells ist es, Textbedeutungen auf drei Ebenen erfassbar zu machen, auf der thematischen, sozialen und ästhetischen Ebene, und stilistische Textbedeutungen der sozialen und ästhetischen Ebene zuzuweisen. Das Modell eignet sich auch für die Analyse poetischer Stile, sofern man der ästhetischen Ebene das Primat einräumt und untersucht, welche poetischen Gestaltungsweisen für den thematischen und sozialen Gehalt gefunden wurden. Es sind also Flexibilität in der Handhabung und literarisches Interpretationsvermögen gefragt. 4.2.3 Rahmenmodelle a) Rahmenmodell für sprachstilistische Komplexanalysen Ein weiteres Analysemodell von Georg Michel versteht sich als „Rahmenmodell grundlegender Gesichtspunkte“ (2001: 187) und umfasst Analyseaspekte, die folgendermaßen geordnet sind (kompakt dargestellt auf S. 188): I Text-- Textsorte-- Kontext; II Semantik des Textes und einzelner Textelemente; III Grammatische Struktur des Textes; IV Handlungstyp-- Textfunktion; V Stilistische Informationen-- konnotative Potenz-- Sinngebung. <?page no="244"?> 244 4 Hinweise zur Methodik der Stilanalyse Hervorgehoben wird, dass es sich um einen textlinguistischen Rahmen handelt, der mit den Aspekten / Aspektreihen I- IV textlinguistische Aspekte vorgibt, die als übergreifend für Stilanalysen anzusehen sind. Was zur Aspektreihe V stilanalytisch festzuhalten sei, müsse aus den Ergebnissen zu I- IV abgeleitet werden. Demonstriert wird die Anwendung des Modells ausgerechnet an zwei poetischen Texten, einem Prosatext von Botho Strauß und einem Gedicht von Christian Weise, was bei der Analyse zu IV . das Eingeständnis zur Folge hat, dass das Modell hierzu eher ungeeignet ist (ebd.: 156). Der Grund dafür liegt auf der Hand: Poetizität kommt im Modell nicht vor. b) Textmustermodell Einen textlinguistischen Rahmen für die Analyse pragmatischer Textsortenstile konzipiert Barbara Sandig (2006: 489). In ihrem Textmustermodell sind Aspekte des Situations- und Handlungskontextes (gesellschaftlicher Zweck, Situationseigenschaften, Situationsbeteiligte) einerseits und Typen von Teilmustern (Handlungs-, Sequenz- und Formulierungsmuster) andererseits unmittelbar aufeinander bezogen. Für die Stilanalyse heißt das, stilistisch relevante Beziehungen zwischen textexternen und textinternen Merkmalen herzustellen bzw. aufzudecken, die Musterrealisierung mit dem Muster zu vergleichen. Zu bedenken sei, dass „die Textmusterrealisierung Züge enthalten [kann], die im Muster selbst nicht angelegt sind“ (ebd.: 488). Wie sich das Modell anwenden lässt, wird an Exemplaren der Textsorten Glosse und Heiratsannonce vorgeführt. Stilistische Analysekategorien werden nicht systematisch bereitgestellt. Ein Hineindenken in eine sehr spezielle Terminologie und Darstellungsweise ist erforderlich. c) Leitfragenmodell Textlinguistisch fundierte Rahmenmodelle bergen Gefahren in sich. Die Abstraktheit der Begriffe, die Vernachlässigung stilistischer Analysekategorien, das Ausblenden poetischer Regularitäten der Textkommunikation- - all dies kann Stilanalysen erschweren. Wir favorisieren deshalb auf der Grundlage eines semiotischen Text- und Stilbegriffs (siehe 2.8.2 u. 2.10) ein textsortenbezogenes Analysemodell, in das Leitfragen integriert sind, die nicht nur vorgegeben werden, sondern auch- - auf die jeweilige Textsorte bezogen- - selbst zu stellen sind. Im Folgenden seien Eckdaten dieses Modells skizziert. Im Einklang mit unserem Textsortenkonzept (siehe 2.7.1) erstrecken sich geeignete Leitfragen erstens auf Aspekte des textkommunikativen Rahmens: ▶ Worin besteht die Standardaufgabe, die textkommunikativ zu bewältigen ist? ▶ In welcher Standardsituation befinden sich die Kommunikationsteilnehmer? Die Kategorie Standardaufgabe ersetzt in unserem Modell die abstrakte pragmalinguistische Kategorie Textfunktion. Die Frage nach der Standardaufgabe kann auch an poetische Texte gestellt werden. Sie besteht- - ganz allgemein gesagt- - im Herstellen eines Kunstwerks mit Hilfe der Sprache, auch im Verbund mit anderen Zeichenmedien. Aspekte der Standard- <?page no="245"?> 245 4.2 Analysemodelle situation in der poetischen Textkommunikation haben wir in die Beschreibung des Funktionalstils der Dichtkunst aufgenommen (siehe 3.5.4.3). Geeignete Leitfragen erstrecken sich zweitens auf das Profil des jeweiligen Textmusters (in Relation zu den Aspekten des textkommunikativen Rahmens), z. B.: ▶ Welche Texthandlungs- und Themenstruktur ist textsortentypisch? ▶ Welche Gestaltungsmuster, auch in textarchitektonischer Hinsicht, sind integriert und auf die Texthandlungs- und Themenstruktur beziehbar? Bei der Analyse poetischer Stile muss die pragmalinguistische Kategorie Texthandlung durch eine poetische Kategorie ersetzt werden, etwa durch die Kategorie Darbietungsform oder die Kategorie Gestaltungsakt. Dadurch konkretisiert sich die allgemein formulierte Standardaufgabe (Herstellen eines Kunstwerks). Gattungstypische Darbietungsformen sind (in Anlehnung an Liewerscheidt 1990: 110): ▶ in der Lyrik das Wiedergeben eines „punktuellen Bewußtseins- oder Gefühlsvorgangs“ (ebd.), üblicherweise in einer rhythmischen Sprachform und zeitenthoben; ▶ in der Epik das Erzählen fiktionaler Begebenheiten durch einen fiktionalen Erzähler in einer textinternen Zeitenfolge; ▶ in der Dramatik das In-Szene-Setzen eines Rollenspiels, bei dem Figuren ihren Auftritt haben und interagieren. Die Handlung wird gespielt. An diese Darbietungsformen lassen sich diverse gattungstypische Gestaltungsformen anschließen (siehe Tab. 23). Geeignete Leitfragen erstrecken sich drittens auf Merkmale der Musterrealisierung (in Relation zum Profil des Textmusters). Wir haben solche Fragen gelegentlich unseren Beispielanalysen vorangestellt. Erinnert sei z. B. an Fragen, die sich im Textsortenrahmen Reportage (Text 5) stellen: ▶ Welcher Einstieg wurde reportageeröffnend gewählt? ▶ Wie wird der Schauplatz des Geschehens beschrieben? Oder an Fragen im Textsortenrahmen Bildwitz (Text 7): ▶ Wie wird die Pointe vorbereitet? ▶ Auf welche Weise wird die Pointe entfaltet? Es gibt keine vorgefertigten Fragenkataloge, auf die man sich berufen könnte. Es dürfte aber deutlich geworden sein, dass man mit analyseleitenden Fragen der Gesetzlichkeit bzw. Eigengesetzlichkeit von Texten einer bestimmten Textsorte eher auf den Grund kommt als mit einem abstrakten textlinguistischen Analyseraster. Der Reiz einer Stilanalyse kann gerade darin bestehen, geeignet erscheinende Leitfragen selbst zu formulieren. Auch dies gehört dann zur Analysekompetenz. <?page no="246"?> 246 4 Hinweise zur Methodik der Stilanalyse 4.3 Ein Wort zum Schluss Wir haben dem Kapitel die Überschrift „Hinweise zur Methodik der Stilanalyse“ gegeben und möchten es mit dem Hinweis darauf abschließen, dass es kein allumfassendes, allgemeingültiges Analysemodell gibt. Allgemeingültig ist das Analyseziel. Bei einer Stilanalyse geht es immer um das Erfassen der Ganzheitlichkeit von Stil, um das Verhältnis zwischen dem Stilganzen und seinen Teilen, um das Beschreiben von Stilgestalten. Gefordert ist eine Zusammenschau mikro- und makrostilistischer Einheiten in Relation zum Textganzen und zum kommunikativen Kontext. Dabei ergänzen sich zwei Blickrichtungen wechselseitig: der Blick von oben nach unten (vom Ganzen zu den Teilen) und der Blick von unten nach oben (von den Teilen zum Ganzen). Man spricht auch von der Top-down- und der Bottom-up- Perspektive und hinsichtlich ihrer Wechselseitigkeit von einem hermeneutischen Vorgehen. Mit Stilanalysen lässt sich ein metakommunikativer Ertrag (siehe 1.1) erzielen. Man gewinnt durch eigenes Tun Einblicke in Gestaltungsmöglichkeiten, Gestaltungserfordernisse und insgesamt in die kommunikative Leistungsfähigkeit von Stil. Man erwirbt Analysekompetenz. Das geht nicht ohne Anstrengungen ab. Stilanalysen sollten aber auch, sofern die Texte es zulassen, Spaß machen. Analysemodelle können dabei von Nutzen sein. <?page no="247"?> 247 Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tab. 1: Komponenten des Musters Gestalten 24 Tab. 2: Gestaltungsmittel Stellenanzeige-- paradigmatisch 25 Tab. 3: Gestaltungsmittel Stellenanzeige-- syntagmatisch 25 Tab. 4: Zusammenhänge zwischen Gestaltungsakten und Gestaltungsverfahren 28-29 Tab. 5: Komponenten von Stilgestalten 32 Tab. 6: Ausprägungen von Anschaulichkeit 33 Tab. 7: Zusammenhänge zwischen Textart und Textarchitektonik 58-59 Tab. 8: Komponenten des Musters Gestalten (ergänzt) 64 Tab. 9: Alltagssprache und Sprache der Politik im Vergleich 76 Tab. 10: Arten des Vergleichs als Gestaltungsmittel 78 Tab. 11: Situationsaspekte im Textsortenvergleich 86 Tab. 12: Dimensionen und Mittel der Blickfeldgestaltung 99 Tab. 13: Stilschichten im Wortschatz 130-131 Tab. 14: Stilfärbungen im Wortschatz 131 Tab. 15a: Textsemantische Differenzierungen auf der thematischen Ebene 136 Tab. 15b: Textsemantische Differenzierungen auf der sozialen Ebene 137 Tab. 15c: Textsemantische Differenzierungen auf der ästhetischen Ebene 137 Tab. 16: Formen ironischer Diskrepanzen zwischen Geäußertem und Gemeintem 151 Tab. 17: Wortzeichen mit sinnbildlicher Bedeutung im Gedicht „Sprache“ (J. Bobrowski) 169 Tab. 18: Funktional klassifizierte Stilzüge 171 Tab. 19: Mögliche Zusammenhänge zwischen Varietäten und Registersemantik 178 Tab. 20: Wortschatzbereiche im Rahmen der Texthandlung WERBEN 181 Tab. 21: Stiltypen und typisierte Stile 200 Tab. 22: Funktionale Zusammenhänge zwischen Kommunikationsbereichen und Stilformen 211 Tab. 23: Gattungstypische Gestaltungsformen in der poetischen Textkommunikation 217 Tab. 24: Arbeitsfelder und Aufgaben im Journalismus 226 Tab. 25: Bewertungsmaßstäbe und -mittel in der Sportberichterstattung (am Beispiel eines Sportkommentars) 229-230 Tab. 26: Parameter stilistischen Vergleichens als Analysemethode 239 Tab. 27: Gestaltungsmittel und -möglichkeiten auf den Ebenen des Sprachsystems 242 <?page no="248"?> 248 Verzeichnis der Schaubilder Verzeichnis der Schaubilder Schaubild 1: Kontinuierlicher vs. diskontinuierlicher Kommunikationsprozess 89 Schaubild 2: Textsortenkomponenten 113 Schaubild 3: Textsorten als Basiseinheiten eines Kommunikationssystems 114 Schaubild 4: Zeichenmodell 133 Schaubild 5: Textzeichenmodell 135 Schaubild 6: Tafel der Ausdruckswerte (Schneider 1931) 162 Schaubild 7: Ein Algorithmus zur Ermittlung und Abgrenzung von Funktionalstilen 213 <?page no="249"?> 249 Verzeichnis der Beispieltexte Beispieltext 1: Stellenanzeige 24 Beispieltext 2: Werbeanzeige 26 Beispieltext 3: Kontaktanzeige 27 Beispieltext 4: Kontaktanzeige 28 Beispieltext 5: Reisereportage (Textanfang) - © Das Magazin, Berlin 34 Beispieltext 6: Roman (Auszug) - Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin. Copyright © 1983 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg 35 Beispieltext 7: Bildwitz - © Jan Bleiß, Wandlitz-Schönwalde 36 Beispieltext 8: Gedicht - Ernst Jandl, Werke in 6 Bänden (Neuausgabe), hrsg. von Klaus Siblewski © 2016 Luchterhand Literaturverlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH 38 Beispieltext 9: Kontaktanzeige 41 Beispieltext 10: Kochrezept 43 Beispieltext 11: Medienbericht - © Der Tagesspiegel, Berlin 46 Beispieltext 12: Lexikonartikel - © Bibliographisches Institut GmbH (Duden), Berlin 47 Beispieltext 13: Werbeanzeige (als „Erpresserbrief “) 50 Beispieltext 14: Politischer Werbebrief 52 Beispieltext 15: Werbeanzeige (Abschrift des Fließtextes) 55 Beispieltext 16: Glosse - © Der Tagesspiegel, Berlin 55-56 Beispieltext 17: Rezension (Auszug) 59 Beispieltext 18: Literaturkritik - © Das Magazin, Berlin 60 Beispieltext 19: Hypertext/ Startseite im Basilika-Layout 61 Beispieltext 20: Medienbericht als Clustertext - © Dumont Service GmbH, Köln 62 Beispieltext 21: Amtseid 66 Beispieltext 22: Stellenanzeige 67 Beispieltext 23: Literaturkritik (Textanfang) - © Süddeutsche Zeitung, München 69 Beispieltext 24: Bekanntmachung 72 Beispieltext 25: Leserbrief 73 Beispieltext 26: Chronik für Kinder (Auszug) - © Süddeutsche Zeitung, München 75 Beispieltext 27a: Lehrbuchtext (Auszug 1) - © Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen 77 Beispieltext 27b: Lehrbuchtext (Auszug 2) - © Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen 79 Beispieltext 28: Autobahnplakat 81 Beispieltext 29: Filmempfehlung 82-83 Beispieltext 30: Mündliche Alltagserzählung 85 Beispieltext 31: Scherzrätsel - © Eulenspiegel, Berlin 91 Beispieltext 32a: Roman (Auszug 1) - Heinrich Mann, Der Untertan. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1995 92-93 Beispieltext 32b: Roman (Auszüge 2-4) - Heinrich Mann, Der Untertan. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1995 94 Beispieltext 33: Mundarterzählung (Textanfang) - Friedrich Barthel, De Schnieschuhprüfing © Mit freundlicher Genehmigung des Friedrich Hofmeister Musikverlags GmbH, Leipzig 96-97 <?page no="250"?> 250 Verzeichnis der Beispieltexte Beispieltext 34: Roman (Anfang des ersten Kapitels) - © Thomas Mann, Lotte in Weimar, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1974 97-98 Beispieltext 35: Gedicht 100 Beispieltext 36: E-Mail-Roman (Auszug) - Daniel Glattauer: Gut gegen Nordwind. © Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2006. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags 101 Beispieltext 37: Kleines Prosastück 104 Beispieltext 38: Ballade 107-108 Beispieltext 39: Wahlplakat 110 Beispieltext 40: Kommerzieller Werbebrief (1911) 119 Beispieltext 41: Kommerzieller Werbebrief (2015) 120 Beispieltext 42: Prospektofferte 123 Beispieltext 43: Interview 139 Beispieltext 44: Satirische Erzählung (Auszug) - Ephraim Kishon, Drehn Sie sich um, Frau Lot! © 1961 by LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München 150 Beispieltext 45: Satirische Meldung - © Eulenspiegel, Berlin 152 Beispieltext 46: Laudatio (Einleitung und Schluss) 153-154 Beispieltext 47: Literarische Erzählung (Auszug) 157 Beispieltext 48: Drama (Szenenauszug) 159-160 Beispieltext 49: Umfrage (Auszug) - © Reader’s Digest Deutschland - Verlag Das Beste GmbH, Stuttgart 161 Beispieltext 50: Gedicht - Johannes Bobrowski, Gesammelte Werke in sechs Bänden. Erster Band. Die Gedichte © 1998, Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH 164 Beispieltext 51: Vorwort (gekürzt) 171-172 Beispieltext 52: Einladungskarte (Deckblatt) 190 Beispieltext 53: Programmkarte (Deckblatt) 193 Beispieltext 54: Geburtstagskarte (Deckblatt) 194 Beispieltext 55: Filmplakat - Heinz Handschick © DEFA-Stiftung, Berlin 196 Beispieltext 56a: Bildgedicht - Franz Fühmann, Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens © Hinstorff Verlag GmbH, Rostock 1999 198 Beispieltext 56b: Bildgedicht - Franz Fühmann, Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens © Hinstorff Verlag GmbH, Rostock 1999 198 Beispieltext 57: Literarische Erzählung (Textanfang) - Thomas Bernhard, Gehen, in: ders., Werke in 22 Bänden. Band 12. Erzählungen II. © dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2006 202 Beispieltext 58: Horoskop 206 Beispieltext 59: Privatbrief per E-Mail 215 Beispieltext 60: Gedicht - „Ein Wallfahrer-Lied. Von Vögeln gesungen“, aus: Hermann Hesse, Sämtliche Werke in 20 Bänden. Herausgegeben von Volker Michels. Band 10: Die Gedichte. © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2002. Alle Rechte bei und vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin 218 Beispieltext 61: Abstract 220 Beispieltext 62: Buchungsvertrag (gekürzt) 223-224 Beispieltext 63: Meldung 227 <?page no="251"?> 251 Verzeichnis der Beispieltexte Beispieltext 64: Sportkommentar - © Der Tagesspiegel, Berlin 228 Beispieltext 65: Feuilleton - © Der Tagesspiegel, Berlin 230-231 Beispieltext 66: Prospektofferte 235 In einzelnen Fällen konnten die Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Rechtmäßige Ansprüche können beim Verlag geltend gemacht werden. <?page no="252"?> Literaturverzeichnis Abraham, Ulf (1996): StilGestalten. Geschichte und Systematik der Rede vom Stil in der Deutschdidaktik. Tübingen: Niemeyer. Adamzik, Kirsten (2004): Textlinguistik. Eine einführende Darstellung. Tübingen: Niemeyer. 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Analysemodell 239, 243 f., 246 Anapher 53, 63, 109, 155, 157, 232, 235 Andeuten 49, 53, 63, 209 Andringlichkeit 33 f., 150, 174, 231 Angemessenheit 14, 146 Anhängsel-Frage 95 Anordnen 31 f., 74, 108 f., 175, 188, 191, 199, 242 Anpreisung 27, 29 f., 64, 179, 233 f. Anredeformel 71 f., 184, 216 ANREDEN 72, 114, 118, 177, 183 Anschaulichkeit 11, 23, 29, 33 f., 37, 42 ff., 64, 74, 137, 222 Anspielung siehe-Allusion Antiklimax 71, 141, 159 Antimetabole 54, 159 f., 235 Antiqua-Schrift 121 Antithese 29, 74, 109, 142, 158, 160 f., 175, 230 Antonym / antonymisch 17, 199, 203 Apokope / Apokopieren 36, 85, 97, 215 Aprosdoketon 54 f., 189 Archaismus 98, 242 ARGUMENTIEREN 41, 45, 53, 189 Assonanz 219 Ästhetik / ästhetisch 21, 105 f., 109, 137, 141, 161 f., 217 Asyndeton 146 f. Attraktivität 12, 112, 136 f. Attraktivmacher 49 Auffälligkeit 133, 145, 238 AUFFORDERN 41-44, 72, 110, 125, 177, 183 Auflockerung 175 f., 186 Aufmerksamkeitslenkung 73 Aufzählen 33 f., 70, 98, 121, 147, 149, 173, 232, 234 f. Aufzählungsfigur 146, 149 Augmentativderivat 234 Augmentativkompositum 26 f., 234 Auseinanderrücken 91 Auslassen 32, 42, 85, 93, 98, 147, 150, 165 f., 242 Auslassungsfigur 147, 149 Ausrufesatz 74, 157, 167, 232, 242 Auswählen 24 f., 28 f., 68, 86 BBandwurmsatz 70 Bandwurmwort 148 Basilika-Layout 60, 115, 188, 222 Bedeutung siehe-Semantik BEGLÜCKWÜNSCHEN 153 Begrifflichkeit 173 BEGRÜNDEN 230 BEGRÜSSEN 70 BELEHREN 207 BENENNEN 181 BERICHTEN 41, 45, 47, 85, 114 BESCHREIBEN 41-45, 47, 85, 114, 120, 140, 161, 181 <?page no="260"?> 260 Sachregister Bestimmtheit 168, 174 Beteuerungsformel 66 BEURKUNDEN 22, 87 BEURTEILEN 60 BEVOLLMÄCHTIGEN 41 BEWERTEN 83 f., 161, 181, 229 f. Beziehungsgestaltung 70, 73, 88, 94, 106, 136 f., 141, 179, 183, 201, 238 Bilderschrift 192 Bildhaftigkeit 33 f., 137 Bildlichkeit 33, 35, 109, 137, 142, 166, 208 Bildungssprache 86, 178 Bimedialität 129 BITTEN 41, 43, 72, 125 Blickfangbild 50 Blickfeldgestaltung 99-102, 137 Botenbericht 100, 217 Bottom-up-Perspektive 246 Brandmarkungsvokabular 95 Breite 67, 137, 158, 163, 170, 173, 238 Brüchigkeit 39, 171 CChiasmus 159 f. Chiffriertheit 42 Clustertext 62 ff., 75, 115 Code-Switching 186 Corporate Design 189, 191 f. Correctio 159 DDANKEN 70, 72, 153 f. Dankesformel 72, 109 DEFINIEREN 114, 143 Dekoriertheit / Dekorieren 28, 30, 111 f., 137, 171 Designkomposition 189, 238 Detailliertheit 33 ff., 42, 45, 137 Deviation 146, 155, 201 f., 238 Devotheit 95 f. Dialekt 86, 96, 115, 155, 178, 215, 217 Dialektismus 97, 242 Dialogisieren 63, 75, 231 Diapher / Diaphora 156 Didaktisierung 74, 79 Diskurs 124, 127, 221 Diskursivität 124 Distanziertheit 169 Distinguiertheit 68, 106, 130, 135, 137, 147 Doppelung 31 f., 108, 142 Drohformel 94 Dunkelheit 166, 169 Duplizieren 86 Duzen 72, 141, 184 Dynamik 44, 48, 166, 169 EEgofrage 231 Egoisieren 231 EHREN 153 f., 194 Ehrerbietigkeit 70 f., 118, 137 Eidesformel 66 Eindringlichkeit 53 f., 163 Einfachheit 15, 74 f., 106, 208 f., 216 Eingängigkeit 74 f. Einhämmerungsstrategie 80 Einheitlichkeit 39, 110 ff., 129, 137, 162, 169, 171, 176, 197 Einhelligkeit 168 Einprägsamkeit 29, 32, 53, 137, 158, 234 Einstellung stilistische 53 f., 57 f., 88 thematische 53, 56, 58 Einstellungsbekundung 87 f. Elaboriertheit 68 Ellipse 25, 77, 85, 147, 149, 216, 234 Emotionalität / Emotionalisieren 12, 16, 19, 29, 74, 102, 128, 130 f., 173, 182 f., 216, 242 Enjambement 168, 217 Entidiomatisieren 180 Epipher 155, 157 Epiphrase 147 Epitheton 68, 182 Epizeuxis 156 f. Epochenstil 200 f., 239 Ereigniswort 174, 210, 228 Erkenntniserleichterung 64, 74, 76, 137 Erlebnisbetontheit 54, 115, 230 f. Erlebnisjournalismus 226, 229 Erlebniswort 234 f. Erlesenheit 98 Ernst 54, 56, 151 f., 171 Ersetzen siehe-Substituieren Ersetzungsfigur siehe-Tropus Ertrag emotional-psychischer 12, 16, 19 <?page no="261"?> 261 Sachregister formbezogener 12, 16, 19 intellektueller 11, 14, 16, 19 metakommunikativer 13, 246 persuasiver 12, 16, 19 praktischer 11, 16 sozialer 12, 15, 19 ERZÄHLEN / Erzählen 22, 41, 83 ff., 87, 90, 96 ff., 245 Erzählperspektive 99, 103, 217 Erzählzeit 217 Euphemismus / euphemistisch 95, 131 Exklusivitätsvokabular 181 f., 234 Expressivität 145, 238 FFachjargonismus 215 Fachsprache 36, 86, 114, 148, 178 Fachwort siehe-Professionalismus Faktizität 197 f. Familiarität 70 f., 131, 135, 137, 178, 184, 215, 238 Farbgestaltung 191 f. Feierlichkeit 23, 54, 116, 130, 153, 178 Fetten 74 Figura etymologica 156 Figuration 106, 108-112, 155, 187 f., 238 Figurenporträtierung 92, 125, 137, 218 Filmizität 197 Flächengestaltung 191 Fluchformel 216 Fokussieren 51, 74, 106, 109, 137, 141, 145, 190, 238 Fokussierungsform 145 f., 155, 161, 217 ff., 238 Fokussierungstyp 146, 155, 158, 201, 238 Fokussierungsverfahren 146 Formativik / formativisch 133, 156, 158, 218, 237 Formelbruch 54 Formelhaftigkeit / Formelhaft-Machen 28, 33, 66, 95, 170, 197, 208, 225 Förmlichkeit 70 f., 135, 137, 238 Formulierung 14, 48 f., 51, 55, 182, 208 Formulierungskompetenz 14 Formung journalistische 227, 229 künstlerische 212, 214 FRAGEN 183 Fragesatz 157, 242 Frame 27, 54, 104 f., 174 Freundlichkeit 70, 137, 147 Funktionalität 124, 128, 170 Funktionalstil 144, 200, 210 f., 213, 238 f. der Alltagskommunikation 213 ff. des Behördenwesens 212, 214, 222 der Dichtkunst 214, 216, 233, 245 des Journalismus 225 der Werbekommunikation 211, 232 der Wissenschaft 212, 214, 219 Funktionsverbgefüge 15, 225, 242 GGeflügeltes Wort 54 Gefühlswort 27, 74, 181 f., 233, 235 Gegensatzfigur 158, 235 Gegenüberstellen 29, 78, 122, 175 Gegliedertheit 11, 43, 74, 176 Genauigkeit 23, 48 f., 76, 152, 221 Generalisieren 84, 221 Gerundivkonstruktion 225 Geschlossenheit 187 Gestalteinheit 31-34, 36-39, 58, 60, 112 Gestaltqualität 32 f., 35, 37 ff., 43, 48, 58, 105 f., 109 ff., 141, 143, 145, 187, 238 Gestaltstruktur 32, 105 Gestaltungsakt 23, 25-29, 31 f., 37, 39 f., 42-45, 51, 54, 57, 64 ff., 68, 70, 74 f., 86, 90, 96, 103, 121, 144 f., 179, 186, 245 Gestaltungsidee 16 f., 24, 27 ff., 35, 37 ff., 49, 64, 68, 70, 102, 106, 111, 136 ff., 152 f., 192, 195, 197, 238 Gestaltungsmittel 15 f., 24 ff., 28 ff., 38, 43, 64, 78, 80, 84, 86, 96, 109, 114 f., 129 f., 134 f., 144, 178, 192, 201, 206, 212, 225, 234, 238, 241 f. Gestaltungsmotiv 64 ff., 68, 73, 82, 87 f., 90, 92, 94, 96, 125, 137, 179, 186, 201, 217, 241 Gestaltungsmuster 22 ff., 33, 41, 112, 117, 129, 132, 134, 144, 146, 201, 212, 245 Gestaltungsprinzip 24-30, 39, 41-44, 48 f., 53, 57, 64, 67 f., 70, 74 f., 80, 88, 90, 129-132, 135, 137, 144, 152, 157, 179, 186, 197, 208, 212-217, 220 f., 226, 229 f., 233 f. Gestaltungsstrategie 80, 102, 137 Gestaltungsverfahren 24, 26-29, 32, 37, 64, 72, 74-77, 80 f., 83, 85 f., 91, 104, 133, 135, 141, 180, 186, 188, 192, 195, 209, 218, 221, 231, 238, 241 Gestik 16, 66, 127 Glätte 165, 175 <?page no="262"?> 262 Sachregister Gleichklang 109, 137, 219 Gleichnis 33, 102 Gradieren 71, 141, 145, 175 GRATULIEREN 41, 70, 194 Grenzgängertext 103, 138 Gruppenstil 200, 239 GRÜSSEN 118, 177, 183 Grußformel 118, 120, 178, 184 f. HHandlungsart 114, 117, 207 Handlungsprofilierung 82 Handlungssituierung 85, 137 Handlungsspezifizierung 82, 84 Hermeneutik / hermeneutisch 246 Hervorheben siehe-Fokussieren HINWEISEN 192 Hinzufügen 17, 48, 66, 77, 81, 84, 190 Historismus 98, 115 Höflichkeit 70 ff., 74, 122, 137, 153 f., 184 Homonymie 219 Homophonie 218 Humor / Humorisieren 29, 188, 195 Humorkomposition 188 Hybridbildung 150 Hyperbel 149, 151, 183 Hyperonym / hyperonymisch 173, 204 f., 221 Hyponym / hyponymisch 173, 204, 221 Hypotaxe / hypotaktisch 68, 70 IIdealisierungsstrategie 80 Ideologievokabular 181 f. Illustriertheit 33, 137, 141 Imagepflege 65 f., 68, 106, 109, 137, 142, 179 Imitieren 97 Imperativsatz 43, 224, 234 f. Individualitätsbekundung 65, 68, 137, 141, 186 Individualstil 200 f. Infinitivsatz 43, 111 Informationsjournalismus 226 ff. Initialwort 43, 111, 225 Innovationsvokabular 181 Intensivieren 84, 95, 195 Interaktionsmodalität 58, 129 Interpretieren 106, 138 Intertextualität 124 INTERVIEWEN 87 Intimität 70, 238 Ironie / Ironisieren 19, 29, 54, 56 f., 150-154 Isomorphie 146, 155, 157, 201 f., 238 JJambus / jambisch 109 Jugendsprache 86, 178 Jugendstil 121 KKlarheit 11, 49, 51, 74, 112, 137, 162, 165, 192 KLASSIFIZIEREN 87 Klimax 159 Knappheit 25, 29 f., 42, 44, 64, 67, 137, 165, 170, 238, 242 Kohärenz 123 f., 129, 219 Kohärenzbruch 219 Kolloquialismus 97 Kombinieren 24 f., 28 f., 82, 86, 109 Kommunikation partnerorientierte 89 werkorientierte 89 Kommunikationsbereich 30, 40, 44, 50, 85 ff., 89, 97, 115, 125 f., 143, 199 f., 211 f., 214, 216 f., 226 Kommunikationsform 112 f., 115-118, 133, 225 Kommunikationsmodalität 58, 115, 117, 153 f. Kommunikationsporträt 92, 94 Kommunikationssituation 44, 86, 133, 176, 199 Kommunikationssystem 112 f., 117, 121 f. Komprimiertheit 49, 117, 220 Konkretheit 48, 165, 173 Konkretum 101 Konsonanz 219 Kontamination 17, 57, 150, 180, 232 Kontrast / Kontrastieren 38, 81 f., 100 f., 109, 111, 137, 141 f., 145 f., 155, 158, 160, 166, 175, 187, 191, 201, 203, 208, 238 Kontrastreichtum 175 Konventionalität 174 Konzentriertheit 174 f. Kreieren 26, 29, 174, 180 Kultiviertheit 178, 180 Kulturbegriff 112 Kumulieren 232 Kürze 32, 168, 234 Kurzwort 242 Kyklos 156 f., 188, 235 L <?page no="263"?> 263 Sachregister Lässigkeit 70, 95, 131, 137, 141, 177 f., 184, 186 Latinismus 154 Lautmalerei siehe-Onomatopöie Layout 40, 60, 189, 191 Leitmotiv 156 Leitsymbol 157 Litotes 147 LOBEN 152 f., 207 Lockerheit 215 f. Lyrisches Subjekt 39, 100 MMakrostilistik 146, 157, 160 Mammutsatzglied 225 Manipulation 82 Mauerschau siehe-Teichoskopie Meinungsbetontheit 54, 229 Meinungsjournalismus 226, 228 f. Metamorphose / Metamorphisieren 103 f. Metapher / Metaphorisieren 19, 27, 33, 57, 102, 109, 148 f., 151, 183, 219, 222, 231 Metonymie / Metonymisieren 149, 192, 195, 232 Metrum 109, 165, 217 Mikrostilistik 146, 188 Milieukolorierung 96, 125, 137, 186, 218 Militärjargon 93 ff. MITTEILEN 41, 60, 110, 152, 192 Modifizieren 180 Monosyndeton 146 Multimedialität 127 ff. Multimodalität 128 Musikalität 109, 137, 165 Musterbruch 155 Mustermischung 29, 39, 49 NNachdruck, amtlicher 15, 224 Namenspiel 18 Nennsatz 73, 93, 111, 124 Neutralität 71, 130, 137, 178 Nominalstil 15, 201, 224 Nominationsstereotyp 225 Norm kommunikative 145 f. sprachliche 145 Normalform 70, 146 Normalsprache 140, 146, 178, 215 O Oberthema 124 Objektivität 42, 53 f., 167, 170, 181 Okkasionalismus 148, 242 Onomatopöie 33, 199, 242 Ordo artificialis 188 Ordo naturalis 188 Originalität 12, 49, 68, 106, 112, 137, 152, 170, 175, 180, 232 Ostvogtländisch 96 f. Oxymoron 158 PParadoxie / Paradox-Machen 57, 104, 137 Parallelismus 29, 53, 63, 82, 156 f., 160, 203, 235 Parataxe / parataktisch 70, 216 Parenthese 70, 175 Paronomasie 156, 218 Parzellieren 29 Passivform/ -konstruktion 15, 95 Pathos / Pathetisieren 29, 95, 130 Periodenstil 70, 201 ff. Peripetie 83, 188 Peripetie-Satz 83 Periphrase 33, 147 Personifikation / Personifizieren 33, 77, 149, 180, 208, 219, 235 Perspektive / Perspektivieren 35, 99-103 Persuasion 12, 80, 82, 200 Phraseologismus 17, 33, 39, 54, 73, 84, 93, 95, 141, 147 f., 179 f., 182, 208 f., 216, 222, 225, 242 Plastizität 165 Plurimedialität 129, 189 Poetizität / poetisch 12, 15, 18, 22, 27 ff., 35, 45, 59 f., 65, 88 ff., 92, 96 f., 99, 102-106, 116, 125, 130, 137 ff., 145, 151, 158, 162, 167, 169 f., 180, 186 f., 199, 214, 216 f., 237, 240, 243 ff. Pointe 36 f., 49, 54, 92, 128, 189, 245 Pointenentfaltung 37 Pointenvorbereitung 36 f. Polyptoton 156 Polysemie 17, 180, 219 Polysyndeton 146 f. Positionsfigur 146, 149 Pragmatik / pragmatisch 22, 59, 63, 65, 87-90, 92 ff., 102 f., 105 f., 109 f., 112, 114, 124 f., 127, 130, 134-138, 143 ff., 151, 170, 179, 186 ff., 197, 201, 216, 225, 237, 239, 244 <?page no="264"?> 264 Sachregister Prägnanz / Prägnant-Machen 23, 29, 182 Präsens atemporales / generelles 84, 221 futurisches 33, 242 historisches 33 f. PREDIGEN 87 Preziosität 178 Professionalismus 36 f., 148, 176, 181, 221, 224 f., 232 f. Professionalität 66, 137, 178 Prokope / Prokopieren 85, 97, 215 Prolepse 147 PROPHEZEIEN 207 Prosodie / prosodisch 16, 66, 73, 92 ff., 96, 116, 127, 135, 237, 243 Pulsschlag 108 RRadikalität 95 Rahmen 187 Rätselhaftigkeit 51, 188 Rauheit 165, 169 Realienwort 48, 83, 222 Realisationsart 116 f., 121 Realitätsverfremdung 103, 137 Rede abstrahierte 116 direkte 48, 141 erlebte 102, 116 fingierte 182 indirekte 48 wiederholte 116 zitierte 182 Rededarstellungskompositum 147 f. Redewiedergabeform 48, 116 f. Regionalisierung 96 Regionalismus 36, 215 Regionalsprache 178, 201, 215 Registermischung 185 f. Registerwechsel siehe-Code-Switching Reim 91, 152, 165, 199, 217 Retardation 188 Rezeptionsbeschleunigung 67, 73, 75 Rezeptionserleichterung 74 ff., 106, 109, 137, 141, 191 Rezipientenbeeinflussung 80, 94, 109, 116, 137, 141, 179, 186 Rhetorische Frage 150, 174 Rhythmik / Rhythmisieren 29 f., 109 Ringkomposition 187 Rollengestaltung 65 f., 103, 137, 141 Rückwendung 217 SSachbetontheit 54, 130, 137, 141, 167 Sachdienlichkeit 167 Sachvergleich 77 f., 84 Satire 57, 150 Satzkonstanz 142 Satzperiode 147, 203 Scherzhaftigkeit 54, 177 SCHILDERN 41, 231 Schimpfwort 73, 131, 216 Schlagsatz 189 Schlichtheit 167, 171 Schlüsselwort 68, 209 f. Schmuck siehe-Dekoriertheit / Dekorieren Schreibabkürzung 25, 42 Schreibsprache 86 f., 234 Schrift-Bild 198 f. Schriftgestaltung 191 Schwammwort 216 SCHWÖREN 66 Segmentieren 63 Selbstpräsentation 13, 15, 65, 88, 94, 103, 136 f., 179, 191 Semantik / semantisch 16, 22, 27, 29, 33, 37, 47 ff., 57, 66, 71, 84, 91, 95, 98, 104 f., 108, 122, 128, 131-135, 137 f., 142, 144, 148 f., 151, 156 f., 159, 164 ff., 168 f., 175-178, 180, 182 f., 187, 191 f., 195, 199, 216, 219, 221, 225, 237, 243 Semiotik / semiotisch 132, 134, 257 f. Seriosität 171 SICH-ENTSCHULDIGEN 41 SICH-VERPFLICHTEN 224 Siezen 71 f., 185 Simplex 75, 157 Sinnbildlichkeit 137, 169 Sinnlichkeit 77, 165, 169 Situationalität 125, 128, 130 Situationskontext 41, 65, 80, 85 ff., 94, 106, 118, 125, 129, 134, 177 Spaltsatz 147 Spaltung 108, 137, 141 <?page no="265"?> 265 Sachregister Spannung 83, 136 f., 188, 197 Spannungsarmut 163 f., 171 Spannungskomposition 188 Spannungsreichtum 163 f., 166, 169, 171 Spezialform 100, 146 f. Spiegeln 108, 188 Spiegelungskomposition 188 Spiellustbekundung 90, 125, 137 Spott 19, 54, 57, 154 Spottname 216 Sprache gehobene 178 geschriebene 116, 243 gesprochene 116, 168, 215 gesungene 116 kantillierte 116 politische 76 religiöse 95 Sprache-Bild-Komposition 192, 197 f. Sprachenmischkompositum 180 Sprachporträt 92, 94, 150 Sprachspiel 17, 111 Sprachspielkompetenz 17 Sprachsystem 21, 130, 134, 173, 216 f., 239, 241 f. Sprechsprache 86 f., 168, 215 Sprichwort 18, 28, 33, 180, 242 Standard kommunikativer 146 sprachlicher 146 Standardaufgabe 113, 118, 126, 153, 205, 244 f. Standardsituation 113, 205, 244 Statik 44, 48, 166, 169, 173 Stilautoritärer 95 berichtender 47 beschreibender 48 bewertender 83 f., 173 elitärer 185 erzählender 83 fachlicher 48 geistreicher 180 juristischer 12, 48 f., 85, 129 populärwissenschaftlicher 222 ritueller 66 sachkundiger 179 triumphierender 179 typisierter 117, 144, 199 ff., 210 f., 217, 238 Stilbegriff 144, 217, 244 Stilbruch 39, 71, 146, 185, 204 Stilelement 34, 130, 144, 161, 222, 238, 240, 242 Stilfärbung 130 f., 144, 242 Stilfigur 29, 53, 63, 71, 77, 109, 141, 144, 146, 175, 181, 183, 188, 192, 194, 218 f., 241 f. Stilgestalt 31-35, 37-40, 58, 105 f., 109 f., 161, 187, 191, 237, 246 Stilklasse 199 f. Stilkompetenz 11, 13 f., 133, 222 Stilregister 137, 140 f., 176 ff., 181, 222, 238 Stilschicht 39, 130 f., 140, 144, 178, 184 f., 201, 215, 242 Stiltyp 199 ff., 238 Stilvergleich 239 Stilwandel 117 f., 120 f., 239 Stilwirkung 128, 133 Stilzeichen 32, 132 f., 178 Stilzug 144, 161-168, 170-176, 238-241 Stimmigkeit 14, 39 Strophenform 217 Strophensprung siehe-Enjambement Subjektivität 42, 53 f., 99, 167, 169 f., 173, 182 Substituieren 29, 49, 93, 179, 210, 224 Symbolhaftigkeit siehe-Sinnbildlichkeit Symmetrie 32, 137, 188 Synästhesie 149 Synekdoche 149, 181, 194 Synkope / Synkopieren 85, 97, 215 Synonym / synonymisch 58, 130, 138 Systematik 221 TTADELN 152, 207 Tatsachenbetontheit 54, 115, 227 Tautologie / tautologisch 142 Technoform 115, 117, 121 Teichoskopie 100, 217 Terminus 49, 54, 58, 175, 215, 221 f. Textarchitektonik 58 f., 79, 141 Textarchitektur 31, 40, 58, 64, 110 f., 117, 206, 223 Textbegriff 122, 127 f., 130, 145 Textfunktion 124, 132, 138, 212, 240, 243 f. Textgattungsstil 200 Texthandlung 22, 31, 40-45, 47, 53, 59 f., 63 f., 66, 70, 72 f., 82 f., 85 ff., 90, 110, 114, 117 f., 120, 133, <?page no="266"?> 266 Sachregister 136, 139, 143, 152 f., 161, 179, 181, 183, 189, 191 f., 194 f., 197, 206-209, 223 f., 229-232, 237, 243, 245 Textkompetenz 11, 13, 134 Textkomposition 187 f., 238 f. Textmuster 17, 92, 113, 117 f., 121, 154, 174, 199, 205-210, 245 Textmustermischung 92 Textmustermontage 92 Textmusterspiel 18 Textsorte 12 f., 15, 18 f., 23 f., 28 f., 34-37, 39 ff., 43 f., 48, 55, 57-60, 66, 83, 90, 92, 103, 113-118, 121, 126, 129, 134, 139 f., 143, 152-155, 178, 197, 199 f., 205-210, 220, 231, 238 f., 243 ff. Textsortenkompetenz 13 Textsortenrepräsentanz 126 Textsortenstil 200 f., 205, 210, 244 Textspiel 17 f. Textspielkompetenz 14, 17 Textthema 23, 31, 40, 45 f., 53, 64, 110, 117, 123, 132, 136, 138, 143, 187 f., 206, 209, 223 Textzeichen 132 f., 135, 138 f., 143, 146, 162, 170, 243 Textzeichenumfeld 134, 199 Themasatz 45 Thematizität 123 Themawort 45, 48 f., 51, 63, 165, 169, 192, 199, 209 f. Themenentfaltung 46 f., 53, 57, 140 Theoriesprache 178 Top-down-Perspektive 246 Travestie, werbekommunikative 50 Tropus 147 f., 150 f. Typographie / typographisch 16, 43, 51, 63, 71, 73 f., 109 ff., 141, 159 f., 175, 206, 227 UÜbersichtlichkeit 11, 43, 74, 106, 109, 137, 221 Übertreiben 183, 216 Umdeuten 37, 131, 183 Umgangssprache 37, 215 Umschreiben 27, 147 Unangemessenheit 14 f., 94, 153 Unernst 54 f., 57, 152, 171, 173 Unflätigkeit 137, 141, 186 Ungezwungenheit 131, 171, 177, 212, 215 f. Unpersönlichkeit 15, 44, 95, 137 Unterhaltsamkeit 49, 136 f., 155, 171, 220 UNTERWEISEN 44 Unterwürfigkeit siehe-Devotheit VVagheit 171, 208, 210 Varietät 86, 93, 115 Variieren 28 f., 67, 111, 203 f., 209, 230, 242 Veranschaulichen 16, 29, 33, 79 Verbalstil 201 Verbildlichen 100 f. Verblüffungsstrategie 80 Verdecken 49 f., 80 Verfremdungsstrategie 80 Vergegenwärtigen 166, 242 Vergleich bildhafter 29, 33 f., 77 ff. bildlicher 78 Vergleichen 22, 77, 79, 238 f. Vergrößern 74, 190 Verknappen 25, 29 Vermenschlichen 77 Verschweigen 50 Versmaß siehe-Metrum Verstärken siehe-Intensivieren Verstecken 49 Verstehen 89, 128, 138 Vertraulichkeit 177 Verzieren 111 Vielhelligkeit 168 Visualisierung 16, 18, 161, 195 Visualisierungskompetenz 16 Volkstümlichkeit 131 Vorausdeutung 101, 217 Vorfeldbesetzung 67 VORHERSAGEN 207 Vornehmheit siehe-Distinguiertheit VORSCHREIBEN 224 Vulgärsprache 178 WWARNEN 207, 209 Webdesign 191 f. WERBEN 22, 118, 120, 181, 183, 197, 232 Wertschätzungsvokabular 95 Wertwort 26, 111, 181 ff., 233, 235 Widerspruch komischer 57, 152 <?page no="267"?> 267 Sachregister textlicher 56 Wiederholen 28 f., 32, 51, 53, 80, 108 f., 145 f., 148, 155 f., 158 f., 202 ff., 242 Wiederholungsfigur 155 f., 232 Wiener Kaffeehausdeutsch 115 Wissenschaftlichkeit 178 Witzigkeit 37 Wort-Bild-Spiel 16, 18 Wortbildungsspiel 17 Wortkreuzung siehe-Kontamination Wortspiel 17, 111 f., 175, 219 WÜNSCHEN 194 f. Wunschformel 12 Z Zahlwort 38 f., 48, 57, 82, 181 Zeichenmodell 132 Zeilensprung siehe-Enjambement Zentrieren 74 Zeugma 34, 57, 149, 154 ZURATEN 207 ff. Zusammenrückung 18 Zweiheitlichkeit 109, 137 Zwillingsbildung 158 Zwillingsformel 158 <?page no="268"?> ISBN 978-3-8233-8026-9 Dieses Buch beschreibt die kommunikative Vielseitigkeit der Texteigenschaft Stil, die sich in pragmatischen und ästhetischen, individuellen und sozialen, monologischen und dialogischen, poetischen und nichtpoetischen Gestaltungsweisen offenbart. Es ist innovativ und verständlich geschrieben und wendet sich an alle, die ein philologisches Interesse für das Verhältnis von Stil und Text aufbringen, sei es im Studium oder im Beruf. Großer Wert wird auf die systematische Beschreibung von Gestaltungszusammenhängen gelegt, in die sich Gestaltungsprinzipien, -ideen, -verfahren und die verwendeten Gestaltungsmittel (sprachlicher oder nichtsprachlicher Art) einfügen. Das Spektrum des Buches reicht vom Nutzen der Stilistik für den Erwerb von Textkompetenz bis zur Methodik von Stiluntersuchungen. In der Gesamtanlage will das Buch dazu anregen, der Stilkomponente von Texten eigenständig auf die Spur zu kommen. Hoffmann Stil und Text Stil und Text Michael Hoffmann Eine Einführung